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Full text of "Werke. Unter Mitwirkung mehrerer Fachgelehrter, hrsg. von Karl Heinemann"

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Ontario Council of University Libraries 


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Unter Mitwirkung mehrerer Fachgelehrter 


herausgegeben von 


Prof. Dr. Karl Heinemann 


Kritiſch durchgeſehene und erläuterte Ausgabe 


Achtzehnter Band 
Bearbeitet von Prof. Dr. Theodor Matthias 


Bibliographiſches Inſtitut Leipzig und Wien 


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3 


Neueröffnekes 
moraliſch-politiſches Yuppenfpiel. 
Et prodesse volunt et delectare poetae.“ 


Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 
. Ein Schönbartipiel. 


Einleitung des Herausgebers. 


ie elf Dichtungen aus den Frankfurter Jahren 1773 — 74 und den 
Weimarer 1778 — 81, die in der erſten Hälfte dieſes Bandes 


vereinigt ſind, zeigen alle verwandten Charakter. Das Weſen der unit, 


on . 


S 


15 


auffällige Richtungen in Lebensführung und Geiſtesentwickelung, die 
Stellung der Kritik und des Publikums zu den ſchaffenden Meiſtern ſind 
es, die in dem erſten Zeitabſchnitte den genial ausgelaſſenen, im 
zweiten einen mehr galligen Humor des Dichters herausfordern und 
bald in allgemeiner, bald in perſönlicher Satire durchgehechelt werden. 

Am lebensfähigſten und wirkungsvollſten hat ſich davon in jeder 


Beziehung das „Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern“ er⸗ 


wieſen. 

Schon in der erſten Geſtalt?, in der das Schönbartſpiel im letzten 
Drittel des März 1773 als Gabe für Freund Mercks bevorſtehenden 
Geburtstag in Darmſtadt eintraf, waren darin mannigfache Erinne⸗ 
rungen, Anregungen und Studien zuſammengefloſſen. Die in ihrem 


1 Sittenpolizeiliches. Gegen die Auffaſſung von „politiſch“ im jetzigen Sinne 
verwahrt ſich, dieſe Faſtnachtsſpiele betreffend, Goethe ausdrücklich in „Dichtung 


und Wahrheit“, Buch 13 (vgl. Bd. 13, S. 127 dieſer Ausgabe): „Merck. . hatte nicht 


lange jene Briefwechſel mit angehört, als er .. . über die Perſonen und ihre 
Verhältniſſe gar manchen ſchalkhaften Einfall laut werden ließ... Von politi⸗ 
ſchen Geheimniſſen war keineswegs die Rede.“ — 2 „Sowohl nützen wollen als unter⸗ 
halten die Dichter“, V. 333 aus Horaz' „Dichtkunſt“, nur ſteht da Aut prodesse 


volunt aut delectare poetae: „entweder nützen oder unterhalten wollen 


die Dichter.“ — 3 Sie iſt in den Anmerkungen am Schluſſe des Bandes leicht unter E 
erſichtlich. 


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8 Jaſmachtsſpiele a Bermanbiet, 3 7 


Zuſammenhange auffäffigen Verſe 5 a 6 des Prologs 1 in 
ſehr ähnlicher Form ſchon in Goethes Brief an Engelbach vom 10. Sep⸗ 
tember 1770 vor: „Jeder hat doch ſeine Reiſe in der Welt, wie im 
Schönerraritätenkaſten. Iſt der Kaiſer mit der Armee vorüber 
gezogen, ſchau ſie, guck fie, da kommt der Papſt mit. feiner Kleriſei“, a 
und geben ſo einen untrüglichen Fingerzeig für den Ausgangspunkt % 
der Dichtung. Mit der von Herder dann jo außerordentlich geſtärkten 455 3 
Verehrung für das Verachtete und Mißachtete ſah Goethe nach dieſem 5 
Zeugnis ſchon damals in den Bildern des Guckkaſtens, der ihm über 
dies auch in ſeiner literariſchen Verwendung ſchon von Leipzig bekannt 10 
ſein konnte, ein Abbild des Flüchtigen und Vergänglichen, des Schwin⸗ 
delhaften und Täuſchungsvollen im Weltlaufe; ſelbſt Shakeſpeares 
Theater mit ſeinen „koloſſaliſchen“ Menſchen heißt ihm damals ja „ein 
ſchöner Raritätenkaſten“. Daher die zarte bloße Umrißzeichnung, das 
flüchtige Vorüberhuſchen der Geſtalten unſerer Dichtung, namentlich 15 
in den Verſen 81—159 und 561627, in denen Goethe im Dezember 
1772 unter dem Bilde eines Jahrmarktsnachmittags ſchon ein ziemlich 
abgeſchloſſenes Bild alltäglichen Menſchentreibens zeichnete, daher — 
denn der Raritätenkaſtenmann war urſprünglich ein Welſcher, d. h. 
Italiener — das geradebrechte Deutſch des Marktſchreiers und des 20 
Schattenſpielmannes, der in der Wirklichkeit mit jenem oft eine Per⸗ 
fon war und mit Drehorgel und Dudelſack wirklich die Zwiſchenmuſtk 
machte, die der Dichter mit der Formel „Orgelum, Orgelei, Dudeldum⸗ 5 
dei“ in — Worten nachahmt. 2 
Nur in einem war das Guckkaſtenmotiv von vornherein eigen⸗ W © 
artig Goethiſch gewendet: während es auch in der literariſchen Ver⸗ 55 
wendung bisher lyriſch⸗epiſchen Charakter gehabt hatte, erhielt es unter 
der Hand Goethes, der damals „allen Bildern, die dramatiſch zu 
behandeln waren, den Vorzug gab“, dramatiſche Geſtalt. Nrjo 
überhaupt konnten ſich mit dem Guckkaſtenmotiv die Jahrmarkts⸗ g 9 
motive verſchmelzen, die — gleichfalls nach italieniſchem Vorbild? 
ebenſo in Einzelblättern der Hochkunſt und ganzen Blätterfolgen von 
„Ausrufbildern“, wie literariſch ſogar in der Form von Jahrmarkts⸗ 8 
opern, z. B. „Leipziger Meſſe“, „Hamburger Jahrmarkt“, 1769 in 
Frankfurt a. M. ſelbſt ein „Jahrmarkt von Rumpelsdorf“, ausge 35 
ſtaltet worden waren und den Verlauf des wirklichen Jahrmarktes 
gern auch in einer Komödie in der Komödie feſthielten. So hat denn 


Werren moralpg eller Puppenſpiet: Einleitung des Herausgebers. 9 


25 Goethes „Jahrmarktsfeſt mit ſolchen Bildern, Blättern und Opern 
viele Geſtalten gemein, Tiroler und Tirolerin, Nürnberger Kram⸗ 
bier und Pfefferkuchenmädchen, Savoyarden und Bänkelſänger, 
Beſenbinder und Lohnpreller; ebenſo wurde das Spiel im Spiel, die 
5 Hiſtoria von Eſther, auch in den von Goethe ausgewählten Szenen 
8 nach dem lange wirkenden Muſter der engliſchen Komödianten damals 
noch auf Jahrmärkten ebenſo mit Marionetten wie auf hier nach⸗ 
geahnt gedachten Schmierentheatern aufgeführt. Für ſie konnte er 
ziugleich die naive Szenenführung an der „Hiſtori der Heſter“ von 
10 Hans Sachs ſtudieren, von dem er für die ganze Dichtung auch den 


in mancher altertümelnden Sprechweiſe und Reimart beſtärkt fühlte. 
Dagegen iſt das Versmaß — außer in den Eſther⸗Stücken — durch⸗ 
weg der Knittelvers, den der Dichter der Volkskunſt ablauſchte und 
15 ganz frei nach Gehör baute, indem er ihn bald erregter in wenigen 
über vielſilbige Senkungen zueinander drängenden Hebungen einher⸗ 
ſpringen, bald in zahlreicheren Hebungen einer ausgeglicheneren Emp⸗ 
findung ſich anſchmiegen ließ. 
Vor dem Fehler der herrſchenden Jahrmarktsſtücke, worin das 
2⁰ Marktbild oft nur die Einleitung zu kaum damit zuf ammenhängenden 
Lliebesintrigen oder Staffage zu allerhand Muſikeinlagen oder höch⸗ 
fſtens ein wirres Kunterbunt für eine nur gaffluſtige Menge war, be⸗ 
wahrte den Dichter fein Genius. Die Handlung zwiſchen Doktor und 
Er Fräulein, das jenem die Cour macht, iſt gerade nur ſoweit angedeutet, 
daß ſie einige Gruppierung in die Bilder bringt und mit den zuge⸗ 
hörigen Figuren des Amtmannes und feiner Frau, der Gouvernante 
und des Pfarrers verhindert, in dem Stück infolge ſeiner Bezeichnung 
als Puppen⸗ und als Gaukelſpiel ein Marionettenſpiel ſtatt eines 
wirklichen Dramas zu ſehen. Kurz, auch als Mitte Februar bis Mitte 
980 März 1773 die kräftigen Verſe 27 — 76 hinzugefügt wurden, blieb 
das Ganze ein einheitliches Jahrmarktsbild für nachdenkliche Leute; 
aber was es jetzt ſpiegeln ſollte, das war nicht mehr verſtelltes, nich⸗ 
N 2 tiges Menſchentun ſchlechthin, ſondern kleinliches Menſchentreiben, wie 
es ſich im beſondern im literariſch ſchöngeiſtigen Getriebe bricht. Der 
85 Marktſchreier, der feine Reklameverſe, wie für feine Tragödie, jo auch 
für alle leiblichen Bedürfniſſe bereithält, iſt ein Allerweltskritikus, 
Tiroler und Nürnberger erinnern an billiges, Tirolerin und Pfeffer⸗ 


Namen „Schönbartſpiel“, d. h. Maskenſpiel, entlehnte und ſich auch 


10 ä Daſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


kuchenmädchen an pikantes Leſefutter, wie der Bänkelſänger an fromme EEE 
Traktätchen; eine alles verliedernde, alles verkritzelnde Kritik ſtellt 


der Wagenſchmermann, eine derb und rückſichtslos dreinfahrende der 
Bauer mit den Beſen dar, und im Zank des Savoyarden und Zither⸗ 
ſpielbuben um die Kreuzer iſt ſelbſt der Streit um literariſches Eigentum 
abgebildert.! Knapper, aber darum kaum weniger treffend find die 
Typen des Publikums umriſſen. Der großen Herde Schafe, wie ſie 
der Zigeunerhauptmann alle nennt, ſtehen am nächſten der Schweine⸗ 
metzger und Ochſenhändler, die ſich zu ſtofflichem Genuß feſtſetzen; dann 
folgen die Gouvernante, die nicht lieſt, weil es ihr Fräulein nicht ſehen 


darf, der Pfarrer, den nur der Gouvernante Mahnung an die Pflicht von 


pikantem Genuſſe losreißt; der Amtmann, der laut den Bänkelſänger 
belobt, ſich aber des fittenrichterlichen Endes halber auch die Skandale 
gefallen ließ und ſich ſchon auf die morgende Fortſetzung freut; ſodann 
das Fräulein, dem, ähnlich wie der Amtmännin, die Literatur nur 
als Mittel dient, die Geſellſchaft des Doktors zu genießen; endlich dieſer, 
d. i. der Dichter ſelbſt, der einen Tag einmal feine unverhohlene Freude 
auch an ſolch tollem Treiben hat. Das Bewußtſein, den Lebensmarkt 


in einen Literaturjahrmarkt verwandelt zu haben, ſpricht der Dichter 


denn auch deutlich genug aus, wenn er im Prolog den Hinweis auf 
alles im Guckkaſten, d. h. in der Dichtung Erſcheinende V. 20 mit den 
Worten ſchließt: „Das muß ein Schwarm Autoren ſein!“ 

Dieſe Verengung des Themas, wenn man ſo will, entſprang 
Goethes Beziehungen zu Merck und ihrer gemeinſamen Tätigkeit, 
Mercks als Redakteur, Goethes als Mitredakteur an den „Frankfurter 
gelehrten Anzeigen“ des Jahres 1772, von der ſie aber zurückzutreten 


beabſichtigten und während deren ſie reichlich Gelegenheit gehabt hatten, 


Beobachtungen über Publikum und Rezenfenten- und Skribententum 


zu machen. Schon Merck hatte ſeinerſeits den in ſeiner Schriftleitung 
gefallenen Ausdruck „Trödelbuden der Kritik“ und den Vergleich der 
„Gaukeleien und Windbeuteleien im Reiche der Gelehrſamkeit“ mit dem 
„Theater jedes Marktſchreiers“ aufgegriffen und in einem ſatiriſchen 
Bilde des Schriftſtellerlebens, der „Rhapſodie von Johann Heinrich 


30 


Reimhart dem Jüngeren“, dem jungen Dichter geraten, ſeine Fähig⸗ 5 


keit zu prüfen 


1 Über die Deutung des Zigeunerhauptmanns vgl. die Anmerkung am Sqhluſſe 


des Bandes zu V. 140 ff. 


10 


— 


5 a Neueröffnetes moraliſch⸗politiſches Puppenſpiel: Einleitung des Herausgebers. 11 


„. . zu unſern Siebenſachen all, 

Womit man in der teuren Zeit 

Das Publikum zu Markte ſchreit.“ 
Goethe bot ihm jetzt alle ihre Beobachtungen in ein vollſtändiges Bild 
eines ſolchen Jahrmarktes geſammelt dar und ſchloß dies ihr Abſchieds⸗ 
lied beim Rücktritt von der leidigen Redaktionstätigkeit gleichzeitig mit 


einer halb huldigenden, halb neckiſchen Verbeugung vor einem neuen 


Richter in äſthetiſchen Dingen, Wielands eben vielverſprechend ange⸗ 
kündigtem „Teutſchem Merkur.“ 
Doch der Dichter wollte dem Freunde noch eine perſönlichere 


Freude machen. Bei einem Frankfurter Beſuche Mercks vom 5. bis 


10. Februar 1773 hatte ſich auch der Goethe von früher nur flüchtig 
bekannte Reiſeapoſtel der Empfindſamkeit, der heſſiſche Rat und Prin⸗ 
zenerzieher Leuchſenring mit zugedrängt, der in ſüßlich frommer Weiſe 
überall den Vermittler zu ſpielen ſuchte und ſich recht anmaßend auch 
in Mercks nicht eben glückliche Ehe als Friedensſtifter eingedrängt 
hatte. Den Tag nach Mercks Abreiſe ſtand denn der Plan für die 
Vollendung des „Jahrmarktsfeſtes“ vor Goethes Geiſte. Das Spiel 
im Spiel mußte die Geſchichte von Eſther mit dem Hanswurſtinter⸗ 
mezzo werden; ſie kündigt der Marktſchreier auf die Frage, was er 
bringe, mit den Worten: „Herr, es iſt eine Tragödie“, geradezu als das 
Kern⸗ und Mittelſtück des Scherzſpieles an, und zugleich deutet er auf 
die Hauptzielſcheibe des Spottes, die Rolle Mardochai⸗Leuchſenrings, 
wenn er ſie als „voll ſüßer Worten und Sittenſprüchen“ anpreiſt. 
Gleichwohl begnügte ſich der Dichter auch hier nicht mit der indivi⸗ 


duellen Satire. Zwar erſchien dem Kundigen hinter Eſther, die es 


lieber mit einem Lämmlein als einem Schweine, d. h. Heiden, hielte, 


5 
hübſchen Dinge wohl einen zinnernen Ring kaufen“ wird, den für 


ungeſucht Mercks Gattin, wie Merck ſelbſt hinter Ahasverus, an deſſen 
Geburtstage die Tragödie ſpielt. Karoline Flachsland meldet denn 
auch ſchon am 27. März ihrem Bräutigam Herder, Goethe habe neuer⸗ 
lich „einen Jahrmarkt in Verſen“ nach Darmſtadt „geſchickt, um Herrn 
Merck die Cour zu machen und Leuchſenrings Perſon darin aufzu⸗ 


. führen“. Ja, Merck ſelbſt hat hinter dem Milchmädchen, das ſich „an 


den Siebenſachen blind ſieht“, gewiß ebenſogut die kritiklos hingege⸗ 
bene Karoline ſelbſt erkannt, als im Zigeunerhauptmann, der „dem 


Karoline entflammten und doch nie Ernſt machenden Herder. Ander⸗ 


m Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. fa > | ME 


ſeits hat die Eſtheraufführung gleichzeitig allgemein menſchliche und 2 


zeitgeſchichtlich typiſche Bedeutung. Sie zeigt die Vergänglichkeit auch 


der höchſten Macht, indem das Intermezzo den Sturz des noch eben 
allmächtigen Schurken Hamann ankündigt, und führt in deſſen 5 155 
ſchroffſtem, aber nach Ahasverus' Urteil doch wadenloſem Rationalis⸗ 5 
mus! wie in Mardochais weichlichſter Empfindſamkeit die großen die 


Zeit beherrſchenden Weltanſchauungen vor. 


Die zeitgenöſſiſche Beſprechung, der der Scherz zuſammen in 
„Künſtlers Erdenwallen“ und „Pater Brey“ 1774 als „Neueröffnetes 


moraliſch⸗politiſches Puppenſpiel“ unterbreitet wurde, wußte jo gut 


wie nichts damit anzufangen. Am meiſten ahnte noch in aller Phi⸗ 
liſterhaftigkeit der Beurteiler in der „Erfurtiſchen Gelehrten Zeitung“ 
vom 9. November 1774 von der Bedeutung, wenn er „die Moral teils f 


in den verſchiedenen Geſichtspunkt“ ſetzte, „von dem jeder die Dinge 
dieſer Welt betrachtet, teils in die Begierde, die Menſchen vollkommen 


22 


ſittlich zu machen“, und wenn er das Stück „voll von Volksliedern“ = Bi. 7 
fand. Für den ungetrübt ſonnigen Humor, mit dem der Dichter die 


Mängel der Welt, ſich in ſeinem Titanendünkel mit einbegriffen, be⸗ 
trachtete, hatte man keinen Sinn. Noch viel weniger verſtand die 


franzöſiſch geſchulte Mitwelt die Bedeutung der Tat, daß in dieſem 
Scherzſpiele zugleich die Fühlung mit der einheimiſchen Vergangenheit 


und der allgemeinen, verachteten Volkskunſt wiedergewonnen war. u 


Vollends die treffende Charakteriſtik in der perſönlichen Satire konnen 5 


nur die eingeweihteſten Kenner des gleichzeitigen Schriftweſens kennen, 


die aber fanden dann gewiß wenigſtens noch einen deutlichſt abkon⸗ 
terfeit, den Gießener Profeſſor der Beredſamkeit, Chriſtian Heinrich 
Schmid, einen betriebſamen, aber unſelbſtändigen Sammler und 
Kritikaſter, auf den Goethe in einem Briefe an Keſtner vom 25. De⸗ 
zember 1772 jelber die Verſe des Stückes „J! a! .. ich bin auch da!“ 
anwendet. Aus einem ſolchen Kreiſe, dem Jacobiſchen, ſchrieb denn 
auch Betty am 6. November 1773 nach der Vertiefung in die ihnen 
überlaſſene Handſchrift begeiſtert: „Orgelum, Orgelei, Dudeldumdei 
haben wir geſtern einigemal angeſtimmt.“ 

Die Form, in welcher man das Gedicht ſeit 1789 in Goethes 


Werken zu leſen gewohnt iſt, unterſcheidet ſich von der e * 


1 Bol. die Anmerkung am Schluſſe des Bandes. 


25 


30 


Seelen nel dolles Puppenſpiel: Einleitung des Herausgebers 13 


i . öder Beziehung. Das Geſpräch des Marktſchreiers ER 
des Doktors ward um die Ausführungen über Leben und Spiel des 
Schauſpielers (V. 27 — 76) bereichert, die Goethe als dem Leiter des 
Lliebhabertheaters und Hauptſpieler wichtig dünken mochten. Die An⸗ 
5 deutung von Karoline Flachslands Leichtgläubigkeit, die jetzt der Frau 
Geeneralſuperintendentin und Hofpredigerin gegenüber eine Taktloſig⸗ 
keit geweſen wäre, ward mit Anlehnung an Gotters „Dorfjahrmarkt“ 
durch eine längere beziehungsloſe Partie (V. 434 — 453) erſetzt, vor 
allem aber wurde die Eſtherhiſtorie ihrer alten Beziehung ganz ent- 
10 kleidet und völlig neu und breiter ausgeführt. In regelrecht pomp⸗ 
= haften, nur inhaltlich vereinzelt geſucht trivialen Alexandrinern wurde 
fie jetzt nicht nur eine Parodie auf das klaſſiziſtiſche Theater der Fran⸗ 
zoſen, die zu berümpfen und zu beachſelzucken nach einem Urteil im 
Mefßkatalog von Oſtern 1778 damals beſonders beliebt war, ſondern 
15 in dem Widerſpruch zwiſchen dieſer höchſten pathetiſchen Form und 
den darin einherſtelzenden Jammergeſtalten des Perſerhofes wurde das 
Spiel im Spiele zugleich eine allgemeine, grotesk⸗komiſche Satire auf 
die höchſten Kreiſe, welche die zehntauſend Galgen ſo gut wie das ge⸗ 
meine Jahrmarktsvolk verdienten. Endlich und vor allem wurde das 
20 ehemalige Leſedrama jetzt, wie die alten Jahrmarktsſtücke es geweſen 
waren, vollſtändig als Operette ausgeſtattet. Darum erhielt, der Dar⸗ 
ſtellerin Corona Schröter zu Ehren, die Tirolerin eine zweite Strophe 
G. 117 120), für Marmotte wurden vier volle Strophen eingelegt 
und auch dem Bänkelſänger noch ſieben (bisher nicht gedruckte) Stro⸗ 
25 phen auf einem Zettel an die Hand gegeben. Die Herzogin Anna 
Amalia ſetzte ſelbſt die Noten zu den Liedern, und ein Hofkomponiſt, 
wohl von Seckendorff, die Inſtrumentalmuſik, die ebenſo das jetzt 
erſt genau vorgeſchriebene ſtumme Spiel der Marktleute begleitete wie 
die Pauſen ausfüllte, deren Goethe, der außer dem Marktſchreier auch 
30 den Hamann und Mardochai ſpielte, nicht weniger als dreimal zum 
Umkleiden bedurfte. 
5 Auguſt⸗September 1778 derart umgeſtaltet, ging das Stüc zum 
erſtenmal am Geburtstage Anna Amalias ſelbſt, dem 20. Oktober 1778, 
und dann in zwei Wiederholungen am 6. November desſelben und 
35 3. Juni des nächſten Jahres in Ettersburg über die Bühne, nicht zur 
5 ungemiſchten Freude Goethes, der vor der eriten Wiederholung, am 
3. November 1773, an Frau von Stein von „Landunluſt“ und dem 


14 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


„Kunſtwerk Mardochai“ redet und dabei wohl an das Gekünſtelte und 
Gemachte der neuen Bearbeitung gegenüber dem urkräftigen Behagen 
und der unmittelbareren Beziehung der erſten Niederſchrift dachte. Der 
Hofkreis und die zu den Wiederholungen zahlreich geladene Geſellſchaft 
Weimars ihrerſeits war vollbefriedigt, und auch Goethes Mutter, die 5 
zum Text auch den Klavierauszug und das Bänkelſängerbild und die 
Eſtherſzenerien des Malers Kraus erhielt, urteilt ganz begeiſtert, dar⸗ 
über würde ſich auch ein Halbtoter wieder munter lachen. | 

Auch die Nachwelt iſt bei dieſem Urteil geblieben. J. v. Falk ver⸗ 
öffentlichte in Weimar 1801 eine gegen die Romantiker gerichtete 10 
Satire, „Der Jahrmarkt zu Plundersweilern“ in ähnlicher Form, nur 
nicht gleichen Geiſtes, und der Däne Ohlenſchläger bildete dem Goethe⸗ 
ſchen Scherzſpiel ſein „St. Johannisabendſpiel“ nach. Goethes „Jahr⸗ 
marktsfeſt“ ſelbſt ſoll zuerſt 1818 wieder als Operette mit neuer Muſik 
von Max Eberwein in Rudolſtadt gegeben worden ſein, doch zu dauern⸗ 15 
dem Leben iſt es erſt 1866 mit einer Aufführung in Königsberg wie⸗ 
der erweckt worden, namentlich aber durch die durchſchlagende, freilich 
poſſenhafte und gewaltſame Bearbeitung mit Muſik von A. Conradi, 
die ihm Emil Pohl 1866 für das Berliner Wallnertheater angedeihen 
ließ. Ziemlich gleichzeitig, 1867, wurde auch in Wien am Karltheater 20 
der erſte Verſuch mit ſeiner Aufführung gemacht. 1868 hörte man es 
in Leipzig, wo es dann wieder 1880 und 1883 gegeben worden iſt, 
ebenfalls mit der Conradiſchen Muſikbegleitung. Mit der Einrichtung 
für das Wallnertheater oder der bremiſchen von H. Bulthaupt mit 
Muſik von C. Reinthaler berühren ſich auch die philologiſch getreueren 25 
Bearbeitungen ſämtlich, in denen es ſeitdem noch in Hamburg, Köln, 
Weimar und Dresden über das Theater oder, wie in Berlin und Bonn, 
über Studentenbühnen gegangen iſt, immer mit zündendem Erfolg. 
Hatte doch eben das Genie hier wieder einmal in das, was es aus der 
Fülle des Augenblicks und zu beſtimmtem Zwecke ſchuf, ein allge⸗ 30 
meines, ein unverwüſtlich farbenreiches Weltbild gefaßt! 


Neueröffnetes moralifh=politifches Puppenſpiel: Prolog. 15 


Prolog. 


mM Adler, dich zur Sonne ſchwing, 
Dem Publiko dies Blättchen bring; 


So Luſt und Klang gibt friſches Blut, 
Vielleicht iſt ihm nicht wohl zu Mut. 
5 Ach, ſchau ſie, guck ſie, komm herbei! 
Der Papſt und Kaiſer und Kleriſei! 
Haben lange Mäntel und lange Schwänz', 
5 Paradieren mit Eichel⸗ und Lorbeerkränz', 
. Trottieren! und ſtäuben? zu hellen Scharen, 
0 Machen ein Gezwatzer als wie die Staren, 
Dringt einer ſich dem andern vor, 
Deutet einer dem andern ein Eſelsohr.s 
Da ſteht das liebe Publikum 
Und ſieht erſtaunend auf und um, 
Was all der tollen Reiterei 
Für Anfang, Mitt' und Ende ſei. 
Oho, ja fa, zum Teufel zu! 
ER O wehl laß ab, laß mich in Ruh’! 
= Herum, herauf, hinan, hinein — 
6 20 Das muß ein Schwarm Autoren ſein! 
. Ach, Herr, man krümmt und krammt! ſich fo, 
1 Zappelt wie eine Laus, hüpft wie ein Floh 
Und fliegt einmal und kriecht einmal, 
| Und endlich läßt man euch in Saal. 
83 Sei's Kammerherr nun, ſei's Lakai; 
Genug, daß einer drinne ſei. 
Nun weiter auf, nun weiter an! 


1 Traben, ältere Form des romaniſchen Lehnwortes trotten. — 2 Sich 
ſtauberregend ſchnell bewegen. — 3 Einem durch Gebärde andeuten, daß er ein 
Eſel ſei. — 4 Sich mit den Krallen packen. 


16 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Wie's tummelt auf der Ehrenbahn! 

Ach ſieh! wie ſchöne pflanzt ſich ein 

Das Völklein dort im Schattenhain; 

Iſt wohl zurecht und wohl zu Mut, 

Zäunt jeder ſich ſein kleines Gut, 5 
Beſchneid't die Nägel in Ruh' und Fried' RE 
Und fingt ſein Klimpimpimperlied; = 
Da kommt ein Flegel ihm auf den Leib, N 
Frißt ſeine Apfel, beſchläft ſein Weib: 

Sich drauf die Bürgerſchaft rottiert!, 10 
Gebrüllt, gewetzt und Krieg geführt; 

Und Höll' und Erd' bewegt ſich ſchon, 

Da kommt mir ein Titanenſohn 

Und packt den ganzen Hügel auf, . 
Mit Städt' und Wäldern einem Hauf?, 15 
Mit Schlachtfeldslärm und liebem Sang 

(Es wankt die Erd', dem Volk iſt's bang) 

Und trägt ſie eben in einem Lauf 

Zum Schemel den Olymp hinauf. 

Des wird Herr Jupiter ergrimmt, 20 
Sein'n erſten beiten Strahl er nimmt 

Und ſchmeißt den Kerl die Kreuz und Quer, 

Hurlurli burli, ins Tal daher 

Und freut ſich ſeines Siegs ſo lang', 

Bis Juno ihm macht wieder bang. 25 
So iſt die Eitelkeit der Welt! 

Iſt keines Reich ſo feſt geſtellt, 

Iſt keine Erdenmacht ſo groß, 

Fühlt alles doch ſein Endelos. 

Drum treib's ein jeder, wie er kann; = 30 
Ein kleiner Mann iſt auch ein Mann! 

Der Hoh' ſtolziert, der Kleine lacht, 

So hat's ein jeder wohl gemacht. 


1 Rottet ſich zuſammen. — 2 Mit einem ganzen Haufen (von) Städten SWS 
Wäldern. | 8 


Neueröffn. moral.⸗polit. Puppenſpiel: Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 17 


. Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 
Be Ein Schönbartſpiel. 


N 2 
. 3 = 


Marktſchreier. 


Mess rühmen und preiſen weit und breit, 
Daß Plundersweilern dieſer Zeit 

Ein ſo hochgelahrter Doktor ziert, 

Der ſeine Kollegen nicht ſchikaniert. 

Habt Dank für den Erlaubnisſchein ?! 

Hoffe, Ihr werdet zugegen ſein, 

Wenn wir heut abend auf allen vieren 

Das liebe Publikum amüſieren. 
Ich hoff', es ſoll Euch wohl behagen; 

Geht's nicht vom Herzen, jo geht's vom Magen.“ 

Doktor. 


Herr Bruder, Gott geb' Euch ſeinen Segen 
Unzählbar, in Schnupftuchs⸗Hagelregen.“ 

Den Profit kann ich Euch wohl gönnen; 
Weiß, was im Grunde wir alle können. 

Läßt ſich die Krankheit nicht kurieren, 

Muß man ſie eben mit Hoffnung ſchmieren. 
Die Kranken ſind wie Schwamm und Zunder; 
Ein neuer Arzt tut immer Wunder. 

Was gebt Ihr für eine Komödia? 


ö 1 Vgl. oben, S. 9, Z. 8. — 2 Er bedankt ſich beim Doktor, daß er bei dem ihm 

befreundeten Amtmann GV. 79, 171, 455 ff.) die Ausſtellung des Scheines nicht 

hintertrieben hat. — 3 Die im folgenden auftretenden Künſtler und vorgeführten 
Kritiker arbeiten um Geld, um das Bedürfnis des Magens zu befriedigen, nicht aus 

Kunſtbegeiſterung und überzeugung. — In das Schnupftuch eingebunden wurde 
das Schaugeld zugeworfen. 


Goethe. XVIII. 2 


7 es iſt Ai Tragödie . 
Voll ſüßer Worten und Sittenſprüchen; 
Hüten uns auch vor Zoten und Flüchen, 
Seitdem in jeder großen Stadt 

Man überreine Sitten hat. 


Doktor. 
Da er man ſich wohl ennuyieren! 


| Marktſchreiier. 
Könnt' ich nur meinen Hanswurſt ben 
Der macht' Euch ſicher große Freud, 5 
Weil Ihr davon ein Kenner ſeid.“ 4 
Doch iſt's gar ſchwer, es recht zu a 
Die Leute ſchämen ſich, zu lachen: 

Mit Tugendſprüchen und großen Worten 
Gefällt man wohl an allen Orten; 
Denn da denkt jeder für ſich allein: 

So ein Mann magſt du auch wohl ſein! 
Doch wenn wir droben ſprächen und täten, 
Wie ſie gewöhnlich tun und reden, 
Da rief ein jeder im l 
Ei pfui, ein indezentes Stück! 

Allein wir ſuchen zu gefallen; 
Drum lügen wir und meiden 1 
Doktor. Fi 

Sauer iſt's, fo ſein Brot erwerben! 


Marktſchreier. . 
Man 5 es könne den 5 been 


5 en waren, „geistreiche Pe und 1775 9200 er äh 
kosmiſches Drama“: „Hanswurſts Hochzeit“ nach „Pickelheri igs 
„Harlekins ſingender Hochzeitsſchmaus“ vom Jahre 1730. ER 

dieſer re 


= Berfenten tauſend Stück Piſtolen 
Und haben nicht die Schuh’ zu beſohlen. 
Anſre Helden find gewöhnlich ſchüchtern, 
Auch ſpielen wir unſre Trunkenen nüchtern. 
So macht man Schelm und Böſewicht 
And hat davon keine Ader nicht. 


= Doktor. 
Der Rollen muß man ſich nicht ſchämen. 
. Marktſchreier. 


3 Warum will man's uns übelnehmen? 
Tritt im gemeinen Lebenslauf 
Ein jeder doch behutſam auf, 
Weiß ſich in Zeit und Ort zu ſchicken, 
Bald ſich zu heben und bald zu drücken 
Und ſo ſich manches zu erwerben, 
Indes wir andre faſt Hunger ſterben. 
. Doktor. 
. So habt Ihr alſo gute Leute? 
3 Marktſchreier. 
Eu 3 5 Talente, die ſeht Ihr heute; 
Auch ſind ſie wegen guter Sitten 
An hohen Höfen wohl gelitten. 

= Doktor, | 
“ ſetzt auch wohl mitunter Zank? 
En Marktſchreier. 
Das geht noch ziemlich, Gott ſei Dank! 
Sie können ſich nicht immer leiden; 
Stark ſind ſie im Geſichterſchneiden: 
Ich laſſ' fie gelaſſen ſich entzweien; 
Jeden Tag gibt's neue Parteien. 

5. 2* 


„ 
4 


20 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Man muß nicht die Geduld verlieren, 
Doch ſind ſie bös zu transportieren.! ae 
Will jetzt zu meinem Geſchäfte gehn. 75 
Doktor. 
Nun, alter Freund, auf Wiederſehn! 
Bedienter. 
Ein Kompliment vom gnäd'gen Fräulein: 
Sie hofft, Sie werden ſo gütig ſein 
Und mit zu der Frau Amtmann gehen, 
Um all das Gaukelſpiel zu ſehen. 80 


(Der zweite Vorhang geht auf, man ſieht den ganzen Jahrmarkt. Im Grunde 
ſteht das Brettergerüſte des Marktſchreiers, links eine Laube vor der Tür des Amt⸗ 
manns, darin ein Tiſch und Stühle. Während der Symphonie geht alles, doch 
in ſolcher Ordnung durcheinander, daß ſich die Perſonen gegen der Vorderſeite be⸗ 
gegnen und dann ſich in den Grund verlieren, um den andern Platz zu machen.) 


Tiroler. 
Kauft allerhand, kauft allerhand, 
Kauft lang' und kurze War'! 
Sechs Kreuzer 's Stück, iſt gar kein Geld, 
Wie's einem in die Hände fällt. 
Kauft allerhand, kauft allerhand, | 85 
Kauft lang’ und kurze War’! 

(Der Bauer ſtreift mit den Beſen an den Tiroler und wirft ihm ſeine Sachen 
herunter. Streit zwiſchen beiden, währenddeſſen Marmotte? von den zerſtreuten 
Sachen einſteckt.) 

Bauer. ; 

Beſen kauft, Beſen kauft! f 
Groß und klein, 
Schroff und rein, 
Braun und weiß, 
All aus friſchem Birkenreis; 
Kehrt die Gaſſe, Stub' und St — 
Beſenreis, Beſenreis! 

(Der Gang des Jahrmarkts geht fort.) 


Nü b + 
Piebe Kindlein a 


8 


Kauft ein, a ** 


1 Abzuſchieben, auf den Schub zu ſetzen. Eine Anſpielung auf gleichzeitige 
Schwierigkeiten mit dem Gothaer Hoftheaterperſonal. — 2 Murmeltierführer. 


* 


* 
=’ 


1 5 


Neueröffn. moral.⸗polit. Puppenſpiel: Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 21 


Hier ein Hündlein, 

Hier ein Schwein; 

Trummel und Schlägel, 

Ein Reitpferd, ein Wägel, 

Kugeln und Kegel, 2 
Kiſtchen und Pfeifer, 

Kutſchen und Läufer, 

Huſar und Schweizer; 

Nur ein paar Kreuzer, 

Iſt alles dein! 


Kindlein, kauft ein. 
Fräulein. 


Die Leute ſchreien wie beſeſſen. 
Doktor. 
Es gilt ums Abendeſſen.“ 
Tirolerin. 
Kann ich mit meiner Ware dienen? 
: Fräulein. 
Was führt Sie denn? 
T.irolerin. 
Gemalt neumodiſch Band, 
Die leichtſten Palatinen? 
Sind bei der Hand; 
Sehn Sie die allerliebſten Häubchen an, 
Die Fächer! was man ſehen kann! 
Niedlich, ſcharmant! 


(Der Doktor tut artig mit der Tirolerin während des Beſchauens der Waren; wird 
zuletzt dringender.) 


0 Tirolerin. 

Iſt ein galantes Mädchen, 

Ihr Herrn, für euch 

Nimmt ſich der gute Freund zu viel heraus, 
Gleich iſt die Schneck' in ihrem Haus, 

Und er macht ſo! — 


(Sie wiſcht dem Doktor das Maul.) 


1 Pgl. Anmerkung zu V. 10. — 2 Damenpelzkragen. 


50 Wa 
Her! Her! 
Butterweiche 0 ne, 
Daß die Achſen nicht Ar 
Und die Räder nicht N 
Dah! Pahl 

Ich und mein Eſel find 5 5 1 


Gouvernante kommt mit dem Pfarrer durchs Gedränge; er hält ſich 
uche, auf; die Gouvernante iſt unzufrieden. 


Gouvernante. 2 
Dort ſteht der Doktor und mein Fräulen i 
Herr Pfarrer, laſſen Sie uns eilen. 
| ee ie Mi 
Ha, ha, ha! 8 2 
Nehmt von den Pfefferkuchen da; 
Sind gewürzt, ſüß und gut; Be 
Friſches Blut, e 
Guten Mut; e 
e ha, ha, ha! 
Gouvernante. 
Geſchwind, Herr Pfarrer, dann! — 
Er Sie das Mädchen an?! 
Pfarrer. 
N Was Ste befehlen. 
Zigeunerhauptmann und ſein Burſch. 3 
Zigeunerhauptmann. Rn 
Lumpen und Quark 
Der ganze Mark! 


Zigenuerburſch. Na ; 


Die Piſtolen 
Möcht' ich mir holen! i 
Zigeunerhauptmann. | 
Sind nicht den Teufel wert! 
| Weitmäulichte Laffen 


5 1 Sticht es Ihnen in die Augen? 


Beſtienhaufen! 
Kinder und Fratzen, 

Affen und Katzen! 

Möcht' all das Zeug nicht, 
Wenn ich's geſchenkt kriegt'! 
Dürft' ich nur über fiel - 
Zigeunerburſch. 
Wetter! Wir wollten ſie! 
Zigeunerhauptmann. 
Wollten ſie zauſen! 
Zigeunerburſch. 
Wollten ſie lauſen! 

a Zigeunerhauptmann. 
Mit zwanzig Mann, 

Mein wär' der Kram! 

| Zigeunerburſch. 
Wir bt der Mühe wert. 


Fräulein. 
Frau Amtmann, Sie werden verzeihen — 
ö N Amtmännin (kommt aus der Haus tür). 
Wir freuen 5 a 2 
Uns von Herzen. Willkommner Beſuch! 
Doktor. 
8 Iſt heut doch des Lärmens genug. 
Bänkelſänger kommt mit ſeiner Frau und ſteckt ſein Bild auf; die Leute ver- 
ſammeln ſich. 
Bänkelſänger. 
Ihr lieben Chriſten allgemein, 
Wann wollt ihr euch verbeſſern? 
Ihr könnt nicht anders ruhig ſein 
Und euer Glück vergrößern: 
Das Laſter weh dem Menſchen tut; 


24 


(Die de wirft dem Knaben kleines Geld hin; Marmotte rafft alles auf) 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Die Tugend iſt das höchſte Gut 
Und liegt euch vor den Füßen. 


(Die folgenden Verſe! ad libitum.) 


Amtmann. 
Der Menſch meint's doch gut. 


Marmotte. 
Ich komme ſchon durch manche Land 
Avecque? la marmotte?, 
Und immer ich was zu eſſen fand, 
Avecque la marmotte, 
Avecque si, avecque la“ 
Avecque la marmotte. 


Ich hab' geſehn gar manchen Herrn, 
Avecque la marmotte, 

Der hätt' die Jungfern gar zu gern, 
Avecque la marmotte, 

Avecque si, avecque la, 

Avecque la marmotte. 


Hab' auch geſehn manch' Jungfer ſchön, 
Avecque la marmotte, 

Die täte nach mir Kleinen ſehn, 
Avecque la marmotte, 

Avecque si, avecque la, 

Avecque la marmotte. 


Nun laßt mich nicht ſo gehn, ihr Herrn, 


Avecque la marmotte, 

Die Burſchen eſſen und trinken gern, 
Avecque la marmotte, 

Avecque si, avecque la, 

Avecque la marmotte. 


la für a; alſo ſoviel als: 


170 


1 | 


180 


185 


WW 


195 


1 Dieſe Verſe ſind abgedruckt in der Anmerkung am Schluſſe des Bandes. — 
2 Altere, beſonders provenzaliſche Form ſtatt avee (mit). — 3 Murmeltier. — 481 
iſt die italieniſch⸗franzöſiſche Tonbezeichnung für h, 
ſorglos trällernd. 


200 


205 


2210 


Naeueröffn. moral-polit. Puppenſpiel: Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 25 


Zitherſpielbub. 
Ai! Ai! Meinen Kreuzer! 
Er hat mir meinen Kreuzer genommen! 
Marmotte. 
Iſt nicht wahr, iſt mein. 
Galgen ſich. Marmotte ſiegt, Zitherſpielbub weint.) 
Symphonie. 
Lichtputzer 
ein Hanswurſttracht, auf dem Theater). 
Wollen's gnädigſt erlauben, 
Daß wir nicht anfangen? 
Zigeunerhauptmann. 
Wie die Schöpſe laufen, 
Vom Narren Gift zu kaufen! 
Schweinmetzger. 
Führt mir die Schweine nach Haus. 
Ochſenhändler. 
Die Ochſen langſam zum Ort hinaus, 
Wir kommen nach. 
Herr Bruder, der Wirt uns borgt, 
Wir trinken eins. Die Herde iſt verſorgt. 
Hauswurſt. 
Ihr mehnt, i bin Hanswurſt, nit wahr? 
Hab' ſei Krage, ſei Hoſe, ſei Knopf; 
Hätt' i au ſei Kopf, 
Wär' i Hanswurſt ganz und gar.! 
Is doch in der Art. Bi 
Seht nur de Bart! 
Allons, wer kauf mir 
Pflaſter, Laxier! 
Hab' ſo viel Durſt 
Als wie Hanswurſt. 
Schnupftuch 'rauf! 


= 


1 Der Vers zeigt deutlich, daß Lichtputzer und Hanswurſt eine Perſon find 


26 | Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


| Marktſchreier. a 5 7 

Wirſt nicht viel angeln, iſt noch zu früh u 

Meine Damen und Herrn 

Sähen wohl gern 

's treffliche Trauerſtück; 

Und dieſen Augenblick 

Wird ſich der Vorhang heben; 

Belieben nur achtzugeben. 

Iſt die Hiſtoria 

Von Eſther in Drama; 

Iſt nach der neuſten Art, 

Zähnklapp und Grauſen gepaart; 

Daß nur ſehr ſchad' iſt, 

Daß heller Tag iſt; 

Sollte ſtichdunkel! ſein, 

Denn 's ſind viel Lichter drein. ar 
(Der Vorhang hebt fih. Man fieht an der Seite einen Thron und einen Boten Br 

in ber Ferne.) 
Symphonie. 
Kaiſer Ahasverus. Haman. 
Haman (allein). 

Die du mit ew'ger Glut mich Tag und Nacht begleiteſt, a 
Mir die Gedanken füllſt und meine Schritte leiteſt, = 225 
O Rache, wende nicht im letzten Augenblick Ei 
Die Hand von deinem Knecht! Es wägt ſich mein Geſchick. 
Was ſoll der hohe Glanz, der meinen Kopf um] ſchwebet, 
Was ſoll der günſt'ge Hauch, der längſt mein Glück belebet, 
Da mir ein ganzes Reich gebückt zu Füßen liegt, 2⁴⁰ 
Wenn ſich ein einziger nicht in dem Staube ſchmiegt? | 
Was hilft's, auf ſo viel Herrn und Fürſten wegzugehen, 
Wenn es ein Jude wagt, mir ins Geſicht zu ſehen? 
Tut er auf Abram groß, auf unbeflecktes Blut, 
So lehr' ihn unfre Macht des Tempels grauſe Glut, 
Und wie Jeruſalem in Schutt und Staub zerfallen, 
So lieg' das ganze Volk und Mardochai vor allen! 


1 Ganz dunkel, ſo daß man nicht einen Stich, d. h. nicht das geringſte ſieht. 


pen Das abe zu Buberbmeiten. 27 


O 8 nur, wie hier, erſt Ahasverus' Blut! 
Da er ein König iſt, ach, iſt er viel zu gut. 


& | Ahasverus (tritt auf und ſpricht). 

N Sieh, Haman, — biſt du da? 

= g Haman. 

Ich warte hier ſchon a 


Ahasverus. 
er ſchläfſt auch nie recht aus, es iſt mir um dich bange. 
Setzt fich 
Haman. 
585 Scheer Monarch, da deine Majeſtät 
Wie immer, ſeh' ich wohl, auf Ro) und Flaumen geht, 
Welch einen Dank ſoll man den hohen Göttern ſagen 
255 Für dein fo jelten Glück, die Krone leicht zu tragen! 2 
Dein Volk, wie Sand am Meer, macht dir jo wenig Müh'! | 
Das iſt nur Götterkraft; von ihnen haſt du ſie. | 
So läßt ſich ein Gebirg' in feſter Ruh' nicht ſtören, 
Wenn Wälder ohne Zahl auf ſeinem Haupt ſich mehren. 
Ahasverus. 
200 ED ja, was das betrifft, die Götter machen's recht; 
So lebt und jo regiert von jeher mein Geſchlecht. 
Mit Müh' hat keiner ſich das weite Reich erworben, 
m keiner jemals iſt aus Sorglichkeit geſtorben. 


Haman. 
Wie bin ich, Gnädigſter, voll Unmut und Verdruß, 
205 Daß ich heut deine Ruh gezwungen ſtören muß! 


= Ahasverus. 
5 Was in zu jagen habt, bitt' ich euch — kurz zu jagen. 
> Hamann. 
0 nehm' ich Worte her, das Schrecknis vorzutragen? 
Wieso | Ahasverus. 
Fe Haman. 


en, Du kennſt das Volk, das man die Juden nennt, 
Das Aer ſeinem Gott nie einen Herrn erkennt. 


28 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Du gabſt ihm Raum und Ruh’, ſich weit und breit zu mehren 20 
Und ſich nach ſeiner Art in deinem Land zu nähren; 
Du wurdeſt ſelbſt ihr Gott, als ihrer ſie verſtieß 
Und Stadt- und Tempelspracht in Flammen ſchwinden ließ!; 
Und doch verkennen ſie in dir den güt'gen Retter, 
Verachten dein Geſetz und ſpotten deiner Götter; 275 
Daß ſelbſt dein Untertan ihr Glück mit Neide fieht 
Und zweifelt, ob er auch vor rechten Göttern kniet. 
Laß ſie durch ein Geſetz von ihrer Pflicht belehren, 
Und wenn ſie ſtörrig ſind, durch Flamm' und Schwert be⸗ 
kehren. 

Ahasverus. | 
Mein Freund, ich lobe dich: du ſprichſt nach deiner Pflicht; 280 
Doch wie's ihr andern ſeht, ſo ſieht's der König nicht. | 
Mir iſt es einerlei, wen fie die Pſalmen fingen, 
Wenn ſie nur ruhig ſind und mir die Steuern bringen. 
Hamann. 
Ich ſeh', Großmächtigſter, dir nur gehört das Reich, 
Du biſt an Gnad' und Huld den hohen Göttern gleich! 285 
Doch iſt das nicht allein: ſie haben einen Glauben, 
Der ſie berechtiget, die Fremden zu berauben?, 
Und der Verwegenheit ſtehn deine Völker bloß. 
O König! ſäume nicht, denn die Gefahr iſt groß. 


Ahasverus. | 
Wie wäre denn das jetzt jo gar auf einmal kommen? 20 
Von Mord und Straßentaub hab' ich lang' nichts vernommen. 


Haman. 
Auch iſt's das eben nicht, wovon die Rede war: 
Der Jude liebt das Geld und fürchtet die Gefahr. 
Er weiß mit leichter Müh' und ohne viel zu wagen, 
Durch Handel und durch Zins Geld aus dem Land zu Bi. 205 
Ahasverus. 


Ich weiß das nur zu gut. Mein Freund, ich bin nicht blind; 
Doch das tun andre mehr, die unbeſchnitten ſind. 


1 Im Jahre 586 v. Chr. zerſtörte Nebukadnezar Jeruſalem und führte die 


Juden nach Babylon in die Gefangenſchaft. — 2 Vgl. 5. Moſis, Kap. 23, V. 20. * 85 | 


300 


Neueröſſn. moral.⸗polit. Puppenſpiel: Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 29 


Haman. 
Das alles ließe ſich vielleicht auch noch verſchmerzen: 
Doch finden ſie durch Geld den Schlüſſel aller Herzen, 
Und kein Geheimnis iſt vor ihnen wohl verwahrt. 
Mit jedem handeln ſie nach einer eignen Art. 
Sie wiſſen jedermann durch Borg und Tauſch zu faſſen; 
Der kommt nie los, der ſich nur einmal eingelaſſen. 


Mit unſern Weibern auch iſt es ein übel Spiel; 


305 


310 


815 


Sie haben nie fein Geld und brauchen immer viel, 
Ahasverus. 
Ha, ha! Das geht zu weit! Ha, ha! Du machſt mich lachen; 
Ein Jude wird dich doch nicht eiferfüchtig machen? 
Haman. 
Das nicht, Durchlauchtigſter! Doch iſt's ein alter Brauch, 


5 Wer's mit den Weibern hält, der hat die Männer auch; 


Und von dem niedern Volk, das in der Irre wandelt, 
Wird Recht und Eigentum, Amt, Rang und Glück verhandelt 


Ahasverus. 
Du irrſt dich, guter Mann! Wie könnte das geſchehn? 
Das alles muß nach mir und meinem Willen gehn. 


Haman. 
Ich weiß vollkommen wohl; dir iſt zwar niemand gleich; 
Doch gibt's viel große Herrn und Fürſten in dem Reich, 
Die dein ſo ſanftes Joch nur wider Willen dulden. 
Sie haben Stolz genug, doch ſtecken ſie in Schulden; 
Es iſt ein jeglicher in deinem ganzen Land 
Auf ein' und andre Art mit Israel verwandt, 
Und dieſes ſchlaue Volk ſieht einen Weg nur offen: 
Solang' die Ordnung ſteht, ſo lang' hat's nichts zu hoffen 
Es nährt drum insgeheim den faſt getuſchten Brand, 
Und eh' wir's uns verſehn, ſo flammt das ganze Land. 


Ahasverus. 
Das iſt das erſtemal nicht, daß uns dies begegnet; 


Doch unſre Waffen ſind am Ende ſtets geſegnet: 


Wir ſchicken unſer Heer und feiern jeden Sieg 
Und ſitzen ruhig hier, als wär' da drauß' kein Krieg. 


80 5 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Haman. 
Ein Aufruhr, angeflammt in wenig Augenblicken, 
Iſt eben auch ſo bald durch Klugheit zu erſticken: „ 
Allein durch Rat und Geld nährt ſich Rebellion, „ 
Vereint beſtürmen ſie, es wankt zuletzt der Thron. 

Ahasverus. 5 

Der kann ganz ſicher ſtehn, ſolang als ich drauf ſite! N 
Man weiß, wie da herab ich gar erſchrecklich blitze: RE 
Die Stufen find von Gold, die Säulen Marmorſtein, 6 
In hundert Jahren fällt ſolch Wunderwerk nicht ein. 335 

Haman. . 
Ach, warum drängſt du mich, dir alles zu erzählen? 


Ahasverus. 
So ſag es grad heraus, ſtatt mich ringsum zu quälen: 
So ein Geſpräch iſt mir ein ſchlechter Zeitvertreib. 


Haman. 
Ach, Herr, ſie wagen ſich vielleicht an deinen Leib. 
Wie? was a Ahasverus (zuſammenfahrend). 
Haman. 3 

Es iſt geſagt. So fließet denn, ihr Klagen! 340 
Wer iſt wohl Manns genug, um hier nicht zu verzagen? 
Tief in der Hölle ward die ſchwarze Tat erdacht, 
Und noch verbirgt ein Teil der Schuldigen die Nacht. 
Vergebens, daß dich Thron und Kron' und Szepter ſchützen; 3 
Du ſollſt nicht Babylon, nicht mehr dein Reich beſitzen! 3s 
In fürchterlicher Nacht trennt die Verräterei e 
Mit Vatermörderhand dein Lebensband entzwei; 
Dein Blut, wofür das Blut von Tauſenden gefloſſen, 
Wird über Bett und Pfühl erbärmlich hingegoſſen. = 
Weh heulet im Palaſt, Weh heult durch Reich und Stadt, 350 
Und Weh, wer deinem Dienſt ſich aufgeopfert hat! Es 
Dein hoher Leichnam wird wie ſchlechtes Aas geachtet, 
Und deine Treuen ſind in Reihen hingeſchlachtet! 
Zuletzt, vom Morden ſatt, tilgt die Verräterhand 
Ihr eigen ſchändlich Werk durch allgemeinen Brand. 


oral.⸗po uppenfpiel: Das Jahrmarttäfeft zu Plundersweilern. 81 


Ahasverus. 


a ) weht was will mir das? Mir wird ganz grün und blau! 
Ich glaub', ich ſterbe gleich. — Geh, ſag' es meiner Frau! 


Mir läuft ein kalter Schweiß! Schon ſeh' ich Blut und 
| Flammen. 
Haman. 


680 Ermanne dich! 
5 Ahasverus. 
Ach! Ach! 
Haman. 
Es iſt wohl hohe Zeit; 

8 Doch treues Volk iſt ſtets zu deinem Dienſt bereit. 
5 Du wirſt den Redlichſten an ſeinem Eifer kennen. 
= Ahasverus. Fl 
Je nun, was zaudert ihr? So laßt ſie gleich verbrennen! 
= Haman. 
= Man muß behutſam ih; io ſchnell hat's keine Not. 
1 Ahasverus. 
905 Deren ftechen fie mich zwanzig Male tot. 

= Haman. 
= des wollen wir nun ſchon mit unſern Waffen N 
ü Ahasverus. 

Und ich war ſo vergnügt als unter meinen Rindern! 
3 9 5 an fie den Tod? Das ſchmerzt mich gar au ſehr! 
ie Haman. 
= und, Herr, wer einmal ſtirbt, der ißt und trinkt nicht Mete 
Ahasverus. 
Man kann den Hochverrat nicht ſchrecklich g'nug beſtrafen 
Haman. 
Du ſollteſt ſchon jo früh bei deinen Vätern ſchlafen! 
Ahasverus. 


= pfui! mir it das Grab mehr als der Tod verhaßt! 
Ach! =. mein würd'ger Freund! — Nun ſtill! ich bin gefaßt. 


32 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Nun ſoll's der ganzen Welt vor meinem Zorne grauen! 
Geh, laß mir auf einmal zehntauſend Galgen bauen. 375 


Haman Enieend). 
Unüberwindlichſter! Hier lieg' ich, bitte Gnad'. 
Es wär' ums viele Volk — und um die Waldung ſchad'. 
Ahasverus. 
Steh auf! Dich hat kein Menſch an Großmut überſchritten; 
Dich lehrt dein edel Herz für Feinde ſelbſt zu bitten. 
Steh auf! wie meinſt du das? 
Haman. 
Gar mancher Böſewicht 380 
Iſt unter dieſem Volk; doch alle ſind es nicht; 1 
Und vor unſchuld'gem Blut mög’ fich dein Schwert behüten! 
Beſtrafen muß ein Fürſt, nicht wie ein Tiger wüten! 
Das Ungeheur, das ſich mit tauſend Klauen regt, 
Liegt kraftlos, wenn man ihm die Häupter niederſchlägt. 38 
Ahasverus. 
O wohl! So hängt mir fie, nur ohne viel Geſchwätze! 
Der Kaiſer will es ſo, ſo ſagen's die Geſetze. 
Wer ſind ſie, ſag' mir an? 
Haman. 
Ach, das iſt nicht beſtimmt; 
Doch geht man niemals fehl, wenn man die Reichſten nimmt. 
Ahasverus. 
Vermaledeite Brut, du ſollſt nicht länger leben! 390 
Und dir ſei all ihr Gut und Hab' und Haus gegeben! 
Ein trauriges Geſchenk! 12 
Ahasverus. 
Wer kommt dir erſt in Sinn? 


Haman. 
Der erſt' iſt Mardochai, Hofjud' der Königin. 
Ahasverus. 
O weh! da wird ſie mir kein Stündchen Ruhe laſſen! 


2 


235 E Neueröffn. moral.⸗polit. Puppenſpiel: Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 33 


Haman. 
0 Sit er nur einmal tot, jo wird ſie ſchon ſich faſſen. 
| Ahasverus. 
So hängt ihn denn geſchwind und laßt ſie nicht zu mir! 
Haman. 
Wen du nicht rufen läßt, der kommt ſo nicht zu dir.! 
Ahasverus. 
W0 iſt ein Galgen nur? Hängt ihn, eh's jemand ſpüret! 
Haman. 
Schon hab' ich einen hier vorſorglich aufgeführet. 
Ahasverus. 


h Und fragt mich jetzt nicht mehr! Ich hab' genug getan; 


Beſchloſſen hab' ich es, nun geht's mich nicht mehr an. (Ab.) 


Hanswurſt. 
Der erſte Aktus iſt nun vollbracht, 
Und der nun folgt — das iſt der zweite. 


Marktſchreier. 
Lieben Freunde, gute Leute, 


0s Daß Menſchenlieb' und Freundlichkeit, 


Sorge für eure Geſundheit 

Und Leibeswohl zu dieſer Zeit 
Mich dieſen weiten Weg geführt, 
Das ſeid ihr alle perſchwadiert?, 


5 410 Und von meiner Wiſſenſchaft und Kunſt 


Werdet ihr, liebe Freunde, mit Gunſt 

Euch ſelbſt am beſten überführen, 

Und iſt ſo wenig zu verlieren. 

Zwar könnt' ich euch Brief und Siegel weiſen 


= 415 Von der Kaiſerin aller Reußens 
5 Und von Friedrich, dem König in Preußen, 


Und allen Europens Potentaten — 


Diooch wer ſpricht gern von ſeinen Taten? 


Anmerkung zu V. 404 ff. am Schluſſe des Bandes. 
Goethe. XVIII. 3 


* 
1 Pgl. V. 487 ff. — 2 Überzeugt. — 3 Katharina II. von e Vgl. die 


e 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. i 


Sind auch viele meiner Vorfahren, 
Die leider! nichts als Prahler waren. 
Ihr könntet's denken auch von mir, 
Drum rühm' ich nichts und zeig' euch hier 
Ein Päckel Arzenei, köſtlich und gut; 
Die Ware ſich ſelber loben tut. 
Wozu es alles ſchon gut geweſen, 
Iſt auf'm gedruckten Zettel zu leſen; 
Und enthält das Päckel ganz 

Ein Magenpulver und Purganz, 

Ein Zahnpülverlein, honigſüße, 

Und einen Ring gegen alle Flüſſe. 
Wird nur dafür ein Batzen begehrt, 
Iſt in der Not wohl hundert wert. 


Schnupftuch rauf! Hanswurſt. 


(Die Zuſchauer kaufen beim Marktſchreier.) 
Milchmädchen. 
Kauft meine Milch! 
Kauft meine Eier! 
Sie ſind gut 
Und find nicht teuer, 
Friſch, wie's einer nur begehrt! 
Zigeunerhauptmann. ä 
Das Milchmädchen da iſt ein hübſches Ding; 
Ich kauft ihr wohl ſo einen zinnernen Ring. 
Zigeunerburſch. 
O ja, mir wär' ſie eben recht. 
Zigeunerhauptmann. 
Zuerſt der Herr und dann der Knecht. 
Beide. 
Wie verkauft Sie ihre Eier? 


Milchmädchen. 
Drei, ihr Herrn, für einen Dreier. 


ea, e Gott, das 1 ſie . 


(Sie macht ſich von ihnen los.) 


Ruf a ee 
Kauft meine Eier! 


Nicht jo wild! 
O nicht ſo teuer! 


Was ſollen mir 

Die tollen Freier? 
Kauft meine Milch, 
Kauft meine Eier! 
i Dann ſeid ihr mir lieb und wert. 


15 Doktor. 
8 Wie gefällt Ihnen das Drama? 


Amtmann. 

Nicht! Sind doch immer Skandala. 

Hab' auch gleich ihnen ſagen laſſen, 

8 a ſollten das Ding geziemlicher faſſen. 

8 Doktor. 

= Bus ſagte denn der Entrepreneur? 

en Amtmann. 

0 65 käm' dergleichen Zeug nicht mehr, 

Und zuletzt Haman gehenkt erſcheine 

Zu sehen: und Schrecken der ganzen Gemeine. 


f e map Eat Hanswurft. 

| Marktſchreier. 
Die Herren gehn noch nicht von hinnen, 
Wir wollen den zweiten Akt beginnen. 
Indeſſen können fie ſich befinnen, - 
5 er fie von meiner Ware was brauchen. 


5 Hanswurſt. 
c acht! kommen a Tränen in die Augen. 


3 * 


Beide. (Sie halten fie.) 


Milchmädchen. 


36 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Muſik. 
Eſther und Mardochai treten auf. 
Mardochai (weinend und ſchluchzend). 
O greuliches Mißgeſchickl o ſchreckenvoller Schluß! 


O Untat, die dir heut mein Mund verkünden muß! 420 
Erbärmlich, Königin, muß ich vor dir erſcheinen. 3 
Eſther. en 
So ſag' mir, was du willt, und hör' nur auf zu weinen! 
Mardochai. 
Hü hül es hält's mein Herz, Hü hül es hält's nicht aus. 
Eſther. 
Geh, weine dich erſt ſatt, ſonſt bringſt du nichts heraus. 
Mardochai. Ei 
Hü Hül es wird mir noch, hü hü! das Herz zerſprengen. a5 
Was gibt's denn? 5 
Mardochai. 
U hu hu, ich ſoll heut abend hängen! 
Eſther. 
Ei, was du ſagſt, mein Freund! Ei, woher weißt du di 
Mardochai. | 


Das iſt ſehr einerlei, genug, es iſt gewiß. 
Darf denn der Glückliche dem ſchönſten Tage trauen? 
Darf einer denn auf Fels ſein Haus geruhig bauen? 480 
Mich machte deine Gunſt jo ficher, Königin, | 
Wie zittr' ich, da ich nun von den Verworfnen bin! 
Eſther. 
Sag', wem gelüſtet's denn, mein Freund, nach dene Leben? 
Mardochai. 
Der ſtolze Haman hat's dem König angegeben. | 
Wenn du dich nicht erbarmſt, nicht eilſt, mir beizuſtehn, 488 
Nicht ſchnell zum König gehſt, ſo iſt's um mich geſchehn. 
Eſther. 
Die Bitte, armer Mann, kann ich dir nicht gewähren; 
Man kommt zum König nicht, er müßt' es erſt begehren. 


& Tritt einer unverlangt dem König vors Geſicht, 

400 Du weißt, der Tod ſteht drauf! Gewiß, dein Ernſt iſt's nicht. 
5 Mardochai. 

O Unvergleichliche, du haſt gar nichts zu wagen; 
Wer deine Schönheit ſieht, der kann dir nichts verſagen. 
Be Und in Geſetzen find die Strafen nur gehäuft, 
Weil man ſonſt gar zu grob den König überläuft. 

5 Eſther. 

405 Und ſollt' ich auch, mein Freund, das Leben nicht verlieren, 
Mich warnt der Vaſti! Sturz, ich mag es nicht probieren. 
Mardochai. 

So iſt dir denn der Tod des Freundes einerlei? 
Eſther. 
Allein was hälf' es dir? Wir ſtürben alle zwei. 
Mardochai. 
Erhalt' mein graues Haupt, Geld, Kinder, Weib und Ehre! 
9 Eſther. 
500 Von Herzen gern, wenn's nur nicht ſo gefährlich wäre. 
Mardochai. 
Ich ſeh', dein hartes Herz ruf' ich vergebens an. 
Gedenk', Undankbare, was ich für dich getan! 
Erzogen hab' ich dich von deinen erſten Tagen, 
= Ich habe dich gelehrt, bei Hof dich zu betragen. 
605 Du hätteſt lange ſchon des Königs Gunſt verſcherzt, 
Er hätte lange ſchon ſich ſatt an dir geherzt, 
Du biſt oft gar zu grad' und wäreſt längſt verkleinert, 
Hätt' ich nicht deine Lieb' und deine Pflicht verfeinert. 
Dir kam allein durch mich der König unters Joch, 
510 Und durch mich ganz allein beſitzeſt du ihn noch. 
= Either. 


Don jelbiten hab' ich wohl nicht Gunſt noch Glück erworben; 
Dir dank ich's ganz allein, auch wenn du längſt geſtorben. 


1 Kerxes⸗Ahasvers Lieblingsgemahlin war Vaſti; fie erſchien nicht, als fie 
der trunkene König am ſiebenten Tage eines Gelages vor ſich entbot, um den 
Verſammelten ihre Schönheit zu zeigen. Vgl Buch Eſther, Kap. 1. 


a 


FREE AT 
Ba N 


De Faſmachtsſpiele und Verwandtes. 


Mardochai. W 
O ſtürb' ich für mein Volk und unſer heilig Land! 
Allein ich ſterb' umſonſt durch die verruchte Hand. e 
Dort hängt mein graues Haupt, dem ungeſtümen Regen, 55 


Dem glüh'nden Sonnenſchein und bittern Schnee entgegen; 2 
Dort naſcht geſchäftig mir, zum Winterzeitvertreib, Br 
Ein garſtig Rabenvolk das ſchöne Fett vom Leib! en: 


Dort ſchlagen ausgedörrt zuletzt die edlen Glieder 1 
Von jedem leichten Wind mit Klappern hin und wieder! seo 
Ein Greuel allem Volk, ein ew'ger Schandfleck mir, . 
Ein Fluch auf Israel, und, Königin — was dir? 1 
Eſther. . 
Gewiß groß Herzeleid! Doch kann ich es erlangen, ee! 
So ſollſt du mir nicht lang’ am leid'gen Galgen hangen 
Und mit ſorgfält' gem Schmerz vortrefflich balſamiert, 525 
Begrab' ich dein Gebein, recht, wie es ſich gebührt. Be 
Mardochai. 
Vergebens wirſt du dann den treuen Freund beweinen! rn 
Er wird dir in der Not nicht mehr wie ſonſt erfhenn, 
Mit keinem Beutel Geld, den du ſo eifrig nahmſt, en 
Wenn du mit Schuldverdruß von Spiel und Handel kamſt; wo 
Mit keinem neuen Kleid noch Perlen und Juwelen; N 
Mein Geiſt erſcheint dir leer, und um dich recht zu quälen, 1 
Bringt er nur die Geſtalt von Schätzen aus der Gruft, 1 
Und wenn du's faſſen willſt, verſchwindet's in die Luft. 


Eſther. u 
Ei, weißt du was, mein Freund? Bedenke mich am Ende ss 
Mit einem Kapital in deinem Teſtamente. re 


Mardochai. „ 
Wie gerne tät' ich das, von deiner Huld gerührt! 
Doch leider! iſt mein Gut auch ſämtlich konfisziert. | Se 


Und dann muß ich den Tod der Brüder auch bejorgen! 
Kein einz'ger bleibt zurück, dir künftig mehr zu borgen. 
Der ſchöne Handel fällt, es kommt kein Kontreband 
Durch unſre Induſtrie dir künftig mehr zur Hand. 


ch werden, de 7 lid sche Ei 1 1 
Und endlich wirſt du ſo mit hoffnungsloſer Pein 
Die Sklavin deines Manns und ſeiner Leute ſein! 


Eſther. 


ſagen? 


Kommt einmal dieſe Zeit, dann iſt es Zeit zu W 
(Weinend.) 


Rein! Wird mir's ſo ergehn? 
Mardochai. 
Ich ſchwor' dir, anders ie 


Either. 


Mardochai. 
Rett' uns noch! 


Eſther. 
Ach, geh mir vom oben 


Mardochai. ̃ 
Königin, ich bitte dich, erhöre! 


E ſther. 
Ach ich wollt' — daß alles anders wäre 
(Ab.) 
Mardochai (atein). 
Bei Gott! hier ſoll mich nicht manch ſchönes Wort Verde 
0 laſf ihr keine Ruh', ſie muß ſich 5 entſchließen. (ab. 


i Was tu' ich? 


35 wollte 8 


Was willſt du? 


. Marktſchreier. 
55 Seiltänzer und Springer ſollten nun kommen; 
Doch haben die Tage ſo abgenommen. 

Allein morgen früh bei guter Zeit 

ind wir mit unſerer Kunſt bereit. 

d wem zuletzt noch ein Päckel gefällt, 

5 D 5 0 um die Hälfte Geld. 


das iſt nicht ſchön von dir! Was brauchſt dus mir zu 8 


40 % Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Schattenſpielmann (inter der Szene). 
Orgelum, Orgelei! 
Dudeldumdei! 
Doktor. 


Laßt ihn herbeikommen. 


Amtmann. 
Bringt den Schirm heraus. 

. Doktor. | 1 55 
Tut die Lichter aus; „ 
Sind ja in einem honetten Haus. . 
Nicht wahr, Herr Amtmann, man iſt, was man bleibt? 


| Amtmann. 
Man iſt, wie man's treibt. 


Schattenſpielmann. 
Orgelum, Orgelei! 
Dudeldumdei! 57⁰ 
Lichter weg! mein Lämpchen nur, 
Nimmt ſich ſonſt nicht aus. 
Ins Dunkle da, Mesdames. 
Von Herzen gern. 9 
Schattenſpielmann. 
Orgelum, orgelei! : 575 
Ach wie Sie! is alles dunkel! 
Finſternis is, 
War ſie all wüſt und leer, 
Hab Sie all nicks auf dieſer Erd geſehe. 
Orgelum . 580 
Sprach Sie Gott, 's werd' Licht! 
Wie's hell da reinbricht! 
Wie ſie all durkeinander gehn, 
Die Element alle vier, N 
In ſechs Tag' alles gemacht is, 585 


1 Hier wie V. 579, 581 und 589 f. ein dem üblicheren Dativus ethieus 
(Ihnen) entſprechender Akkuſativ, der neben anderem den vabebregggnden Welſchen 
kennzeichnen fol. Vgl. S. 8, Z. 19 ff. 


00 


35095 


605 


6110 


5 6 615 


820 


Nenueröffn. moral.polit. Puppenſpiel: Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. 41 


Sonn, Mond, Stern, Baum und Tier, 
Orgelum, orgelei! 
Dudeldumdei! 
Steh Sie Adam in die Paradies, 
Steh Sie Eva, hat ſie die Schlang' verführt, 
Nausgejagt, 
Mit Dorn und Diſteln, 
Geburtsſchmerzen geplagt. 
O weh! 
Otrgelum ;;: 
Hat ſie die Welt vermehrt 
Mit viel gottloſe Leut, 
Waren ſo fromm vorher! 
Habe geſunge, gebet't! 
Glaube mehr an keine Gott, 
Is e Schand und e Spott! 
Seh Sie die Ritter und Damen, 
Wie ſie zuſammenkamen, 
Sich begeh', ſich begatte 
In alle grüne Schatte, 
Uf alle grüne Heide; 
Kann das unſer Herrgott leide? 
Orgelum, orgelei, 
Dudeldumdei! : 
Fährt da die Sündflut rein, 
Wie ſie gottserbärmlick ſchrein; 
All, all erſaufen ſchwer, 
Is gar keine Rettung mehr. 
Orgelum ;; 
Guck Sie, in vollem Schuß 
Fliegt daher Mercurius !, 
Macht ein End all dieſer Not; 
Dank ſei dir, lieber Herre Gott! 
Orgelum, orgelei, 
Dudeldumdei! 


1 Bol. S. 4. 


Sie kommen doch wieder morgen? 


Gounvernante. 
Man hat an einmal ſatt. 


Doktor. 
Jeder Tag ſeine eigne Plage hat. 
Shanenſpelnann. 5 
e orgelei, 5 
Dudeldumdei! 


Zum „Neueſten e 


(Nach dem Aquarell v 


4 Plundersweilern‘“. 


Zeorg Melchior Kraus.) 


8 


a 


* 


Das 
Neueſte von Plundersweilern. 
El 


Einleitung des Herausgebers. 


SER as Neueſte von Plundersweilern“ iſt nichts anderes als eine ſelb⸗ 
285 ſtändige Geſtaltung des ſchon im „Jahrmarktsfeſt zu Plunders⸗ 
weilern“ verwendeten Motivs vom Bänkelſänger, der ein Bild mit 
Darſtellungen aus Literatur und Geſellſchaft erläutert. Während aber 
V das neue Literaturbild dorther die Form erhielt, iſt es in ſachlichem 
Zuſammenhange mit einer anderen, dem Verhältnis zwiſchen Publi⸗ 

kum, Kritik und Literatur gewidmeten Dichtung, den „Vögeln“, ent⸗ 
ſtanden. Im September 1780 in Pempelfort zu Beſuch, wußte nämlich 

> Knebel Friedrich Heinrich Jacobi von dieſer Goethe eben beſchäftigen⸗ 
10 den „ariſtophaniſchen Komödie“ zu erzählen, „worin Klopſtock als Uhu, 
au der junge Cramer als Ente die vornehmſten Rollen ſpielen“. Dann aber 
ſind dieſe beiden auf einen Bildentwurf gekommen, den Henry Crabb 
Robinſon noch 1800 in Frankfurt geſehen hat. Neben Werthers Leichen⸗ 

gefolge war darauf unter anderm vor allem eine auf einer Eiche 

15 ſitzende Eule und eine Ente dargeſtellt, welche den von jener verlorenen 
Arnrat verſchlingt. Da diefer in Geſtalt der Worte „Er und über ihn“ 
herumlag, war die Beziehung auf das Klopſtock verhimmelnde Buch 

dieſes Titels von Karl Friedrich Cramer, deſſen erſter Teil eben 1779 

im Hamburg herausgekommen war, deutlich genug. Klopſtock hatte 
20 Goethen bekanntlich in einem ſchulmeiſternden Briefe vom 8. Mai 1776 
ſeine Beteiligung an dem ausgelaſſenen Treiben des Hofes verwieſen, 

ja auf Goethes entſchiedene Zurückweiſung ſolcher Bevormundung noch 
vpverletzender geantwortet. Trotzdem find „Die Vögel“ ſchließlich ohne 
Jiene perſönliche Spitze ausgeführt worden, und auch im „Neueſten von 
95 2 Plundersweilern“ begnügt ſich der Dichter in überwindendem Humor 
damit, daß Klopſtock, der „Barde halb und halb ein Prophet“, mit 
ſeinem Nachbeter Cramer und ſeinem Göttinger Anhange in den Hinter⸗ 


44 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


grund geſchoben worden ift gegenüber Wieland, der nicht grade dur h 
den etwas kompromißſüchtigen „Merkur“, wohl aber durch feinen eben 


erſchienenen „Oberon“ den Kranz verdient, wie gegenüber dem „Sturm 


und Drang“, der zwar in der empfindſamen Wertherei abgewirtſchaftet 
hat, aber mit ſeinem Ritter⸗ und Räuberdrama, den Hanswurſt nicht 
ausgeſchloſſen, lärmend und zertrümmernd auf der Bühne ſeinen Ein⸗ 
zug hält. Nur eins blieb von den erſten Entwürfen in Goethes Ge⸗ 
dächtnis haften, das Jahr 1780, das er denn auch in der Ausgabe 


von 1817 auf das Titelblatt geſetzt hat. Briefliche Erwähnungen 


der Dichtung ſichern freilich das Jahr 1781. War doch das Gedicht 
Goethes Dank für eine Huldigung, wodurch er zu ſeinem Geburtstage 
dieſes Jahres in Seckendorffs Verſen und Muſik in der Hofgeſellſchaft 


als „einer unſrer beſten und gewiß der weiſeſte Schriftſteller“ gefeiert 


worden war. Unterſtützt vom Maler Melchior Kraus, der das ſeinen 
Text illuſtrierende Bild malte, huldigte er damit ſeinerſeits Weihnach⸗ 
ten 1781 auf der Ettersburg der Herzogin⸗Mutter Anna Amalia, auf 
deren Muſenſitze Tiefurt ihm jene Geburtstagsüberraſchung bereitet 
worden war, auf ihrem eigenſten Gebiete, der Literatur, durch deren 
Beherrſchung ſie die Seele des geiſtig angeregten Kreiſes in der Hof⸗ 
geſellſchaft war. 

Den Vorgang der erſten Vorführung veranſchaulicht noch un⸗ 


15 


20 


mittelbarer als Goethes erſt 1816 geſchriebene Einleitung der gleich⸗ 


zeitige Bericht des Hoftanzmeiſters Aulhorn, der Goethen, wie ſchon 
im „Jahrmarktsfeſt“, als Hanswurſt zur Hand ging. Dieſer berichtet: 

„Der Rat Krauße hatte auf Angeben des Geheimenrats Goethe 
ein Gemälde gemacht, welches das Neueſte zu Plundersweilern vor⸗ 
ſtellte. Es war ein großer Miſchmaſch von menſchlichen Torheiten, 
welche ſich an den () genannten Ort zutrugen, und ſchien zugleich eine 
Anſpielung auf die Literatur unſerer Zeiten zu ſein. Der Ghr. G. hatte 
Verſe verfertigt, welche die Beſchäftigung und Würde einer jeden Geſtalt 
dieſes Gemäldes ans Licht ſtellten. Das Gemälde, welches in einen 
übermannshohen, ellipſenförmigen, mit Satyrköpfen und vergülde⸗ 
ten Schnitzwerke verzierten Rahm gefaßt war, ſtand in dem ſchmalen 


30 


Sälgen gegen die Türe gewendet, worinne man in den Aufenthalt 


der Medizäiſchen Venus hineingeht. Es war mit 14 Lichtern erleuch⸗ 
tet, und darhinter war ein grünes Tuch angeſchlagen, welches die 
nämlichen Dienſte tat als bei einem Gemälde der Grund. Die Muſik 


35 


Dias Neueſte von Plundersweilern: Einleitung des Herausgebers. 45 


RE war im Saal. Die Kleidung des Gh. Goethens war rote Strümpfe, 


welche über die Knie gingen, eine große Bürgermeiſtersweſte, der⸗ 


gleichen Manſchetten, Schapeau! und Halskrauße, Rock mit großen 


8. 


Aufſchlägen und eine ſchwarze Perruque. Als der Herzogin zu wiſſen 


getan worden war, daß alles bereit ſei, ging der Geh. G. mit mir, da 


ich die nämliche Kleidung anhatte als auf dem Jahrmarktsfeſte zu 
Plundersweilern, und eine Maske vor dem Geſicht, der Herzogin 


entgegen; er ſagte ihr, er hoffte, Ihre Durchlſaucht! würde denen Vor⸗ 


10 


nehmen zu Plundlersweilern] die hohe Ehre nicht abſchlagen, fie ein 
wenig im Vorbeigehen zu beſuchen, da ihnen dieſe hohe Gnade an den 
O vorigen Jahrmarkt ſchon einmal widerfahren ſei; doch ließe ſich der 


daſige Senat entſchuldigen, daß er nicht ſelbſt gekommen ſei, Ihro 


15 


Durchl. zu bewillkommnen, weil ſeine Glieder alle verheiratet und 
Kinder hätten und ſich alſo des Vergnügens ohnmöglich berauben 
könnten, ihren kleinen Zöglingen heute abend Heiligen Chriſt zu be⸗ 


ſcheren, derowegen hätten ſie ihn armen Hageſtolz abgeſchickt, Ihro 


2 


O 


25 


Durchl. einzuladen. Damit war die Anrede aus, ich gab das Zeichen, 
daß die Muſik anging, und die Herzogin trat in den Aufenthalt der 
Medizäiſchen Venus hinein; ſie beſah mit Fr. v. Jöchhauß das Ge⸗ 
mälde. Wie die Muſik aus war, ſetzte ſie ſich, wobei ich ihr den Stuhl 
ſchieben mußte, der Gh. G. nahm die Verſe und einen Stab in die 
Hand, deklamierte ſie und wies mit dem Stab auf die Sachen im Ge⸗ 
mälde, welche die Verſe erklärten. Da dieſes vorbei war, wünſchte ich, 
daß das Gemälde noch einmal ſo groß wäre, auf daß mein Verſtand 
noch länger auf ſo eine angenehme Weiſe ergötzt würde; doch jedes Ding 


hat ſein Ende, und meine Beſchreibung hat das ihrige auch erreicht.“ 


30 


55 


Man muß gegen das ſichtlich mangelnde Verſtändnis des Brief⸗ 
ſchreibers für die literariſchen Beziehungen des Gedichts die Begeiſte⸗ 
rung der hohen Empfängerin halten, die dieſes reine Literaturgericht 
ſofort an Knebel und an Goethes Mutter ſchicken ließ. Dann wird 
man in der Dichtung nicht bloß eine der vielen feinſinnigen Auße⸗ 
rungen des Dichters über die deutſche Literatur ſehen, ſondern ein 
perſönlicher gefärbtes, huldigendes Zeugnis, welch tiefes, das eigne 


Schaffen anregendes Verſtändnis er an Anna Amalias weimariſchem 


Muſenhofe fand. 
D. i. Jabot = Hemdkrauſe. 


5 46 6 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. „ 


ame Gedicht verlangt eine kurze Einleitung, weil 


es ſonſt zum größten Teil unverſtändlich bleiben müßte. = 


Herzogin Amalia hatte die gnädige Gewohnheit eingeführt, daß 


ſie allen Perſonen ihres nächſten Kreiſes zu Weihnachten einen = ö 


heiligen Chriſt beſcheren ließ. In einem geräumigen Zimmer 


waren Tiſche, Geſtelle, Pyramiden und Baulichkeiten errichtet, 5 


wo jeder einzelne ſolche Gaben fand, die ihn teils für ſeine Ver⸗ 


dienſte um die Geſellſchaft belohnen und erfreuen, teils auch 
wegen einiger Unarten, Angewohnheiten und Mißgriffe beſtrafen 
und vermahnen ſollten. b 
Zu Weihnachten 1781 verbanden ſich mehrere dieſes Ver⸗ 
eins, der Fürſtin gleichfalls eine Gabe darzubringen, welche nichts 


Geringeres fein ſollte als die deutſche Literatur der nächſtver⸗ 5 
gangenen Jahre in einem Scherzbilde. Über dieſen Gegenſtand a 


war ſo viel geſprochen worden, ſo viel geſtritten und gemeint, 
daß ſich manches Neckiſche wohl zuſammenfaſſen ließ und das 
Zerſtreute in einem Bilde aufzuſtellen möglich war. Nach Er⸗ 
findung und Entwurf des Verfaſſers ward durch Rat Krauſe 
eine Aquarellzeichnung verfertigt, zu gleicher Zeit aber ein Ge⸗ 
dicht geſchrieben, welches die bunten und ſeltſamen Geſtalten 
einigermaßen erklären ſollte. Dieſes Bild war auf einem ver⸗ 
guldeten Geſtell eingerahmt und verdeckt, und als nun jedermann 


ſich über die empfangenen Gaben genugſam erfreut hatte, trat | 
der Marktſchreier von Plundersweilern in der von Ettersburg 


her bekannten Geſtalt, begleitet von der luſtigen Perſon, herein, 
begrüßte die Geſellſchaft, und nach Enthüllung und Beleuchtung 


10 


des Bildes rezitierte er das Gedicht, deſſen einzelne Gegenſtände 
der Begleiter, wie fie eben vorkamen, mit der Pritſche bezeich?!?“ 
nete. Dieſer Scherz gelang zur Ergetzung der höchſten Gönnerin, 1 


— .n Bin exäwellern. l 2 5 47 8 


troffen 155 mochte 8 
Das Bild exiſtiert noch, fklenfcten, und dürfte, von einem 
geſchickten Kupferſtecher geiſtreich radiert, zum völligen Verſtänd⸗ 
nis des Gedichts und dem deutſchen Publikum, das über jene 
Zeiten ſich längſt aufgeklärt ſieht, zur unverfänglichen Unter⸗ 
haltung dienen. 

Weimar, den 30. April 1816. 


. 1 85 Deutſchen Reich gar wohl bekannt 
8 Iſt der Ort, Plundersweilern genannt, 
Und ſeines Jahrmarkts Lärm und Luſt 
Viel groß⸗ und kleinem Volk bewußt;! 

Auch ſieht man, daß zu einer Stadt 
Der Flecken ſich erweitert hat. 


Und zwar mag es nicht etwa ſein 
Wie zwiſchen Kaſſel und Weißenſtein, 
Als wo man emſig und zuhauf 
Macht Vogelbauer auf den Kauf? 
Und ſendet gegen fremdes Geld 

Die Vöglein in die weite Welt.? 


Vielmehr ſind hier wie in Paris 
Der Leute mehr als der Logis; 

Und wie ein Haus gebaut ſein mag, 
Gleicht iſt's beſetzt den andern Tag. 


A 1 Zu der wiederholten Aufführung des „Jahrmarktsfeſtes“ (oben, S. 17ff.) 
waren zahlreiche Einladungen auch an das bürgerliche Weimar ergangen. — 2 Land⸗ 

graf Friedrich legte 1778 die Weißenſteiner (ſpäter Wilhelmsthaler) Allee genannte 
und andere kleine Kolonien an, an Stelle und auf dem Grunde von Dörfern, die 
ihre Einwohner wegen Unfruchtbarkeit, Waſſermangels oder aus Kriegsfurcht ver⸗ 
aſſen hatten, und ſuchte durch Darlehen, Zuweiſung von Holz und Vieh während 
der erſten Jahre für die nach der Fertigſtellung leer bleibenden Häuſer Anſiedler zu 
gewinnen; in Wolfshagen an Stelle des alten Gaſterfeld durfte dabei kein Inländer 
aufgenommen werden. Die wohlgemeinte Koloniſation mißlang. — 3 Anſpielung 
auf den Subſidienvertrag Friedrichs II. von Heſſen⸗Kaſſel mit Großbritannien vom 
x r. 1776, wonach dieſem eingefangene und kaſernierte heſſiſche Untertanen zum 
nel * 8 geliefert wurden. 


48 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Beſonders eine der längſten Gaſſen! 

Hat man für Leſer erbauen laſſen, 

Wo in den Häuſern eng und weit 18 
Geleſen wird zu jeder Zeit; 20 
Auswahl und Urteil ſind verbannt. 

Mit neuen Büchern in der Hand 

Find't man, ſo wie man geht und ſteht, 

Von Türſchwell' auf bis zum Privet? 

Einen jeden emſig ſich erbauen 25 
Und kaum zum Gruße ſeitwärts ſchauen. 


Wie man denn ſchon ſeit langen Zeiten 

Läßt Kaffee öffentlich bereiten, 

Daß für drei Pfennig jedermann 

Sich ſeinen Magen verderben kann; i 30 
So teilt man nun den Leſeſchmaus | 
Liebhabern für ſechs Pfennig aus. 


Von dieſer Straße lang und ſchön 

Könnt ihr hier nur das Eckhaus ſehn. 

Hier ſchauen Damen und Herrn herum 35 
Begierig in das Publikum, 
Wie einer an den andern rennt; 

Und abends ſind ſie gar kontent. 


Vor ihrem Fenſter mit leichten Schritten? 

Spaziert ein Mädchen von ſchlechten Sitten 40 
Und bietet um geringen Preis 

Gar vieler Menſchen ſauren Schweiß. 


1 V. 17 — 38: Beſchreibung der durch das Giebeleckhaus angedeuteten Straße 
der Leſer: der urteilslos verſchlingenden (V. 17 — 26), der die Leihbibliotheken 
benützenden (V. 27—32), ber lediglich am Aneinanderrennen ihres Publikums, d. h. 
den Schriftſtellerfehden, Vergnügen findenden (V. 33 — 38). — 2 Abort. — 3 V. 39 
bis 58: Beſchreibung der Verlagshandlungen, einer jungen, nachdruckenden, darge⸗ 
ſtellt durch die Gruppe um das Mädchen unter den Fenſtern des Giebeleckhauſes 
(V. 39 — 46), und einer wenig abſetzenden, daher wenig zahlenden und darum ge⸗ 
legentlich bitter gehöhnten alten (V. 47 — 56). Der Hohn liegt darin, daß vom 
Balkon des Nachbarhauſes eine im Bilde wenig ſichtbare Perſon ihre Notdurft 
in der Richtung auf die Handlung verrichtet, wie Spuren auf der Allmende (V. 58), 
der (Gemeinde⸗) Flur davor, bezeugen. 


Das Neuefte von Plundersweilern. 49 


Ein jeder wird ſie laut verachten; 
Es mag kein Menſch ſie übernachten, 
Und alle kommen doch zu Haufen, 
Ihr ihre Waren abzukaufen. 


Wie ſchlimm ſieht's drum in jenem Haus, 
In der uralten Handlung aus! 
a Gar einzeln naht ſich dann und wann 
0 Ein etwa grundgelehrter Mann, 
5 Nach einem Folio zu fragen; 
Se Dagegen bücken viel Autormagen 
> Sich mit demütigen Gebärden 
Vor dem Papierpatron zur Erden. 
55 Auch iſt das Haus, wie jeder ſagt, 
Von böſer Nachbarſchaft geplagt: 
Wie man Exempel jeden Tag 
In der Allmende ſehen mag. 


© Halt auf! o weh! welch ein Geſchrei!! 
0 Was zerrt man dieſe Leut' herbei? 
5 Was hat das arme Volk begangen? 
Bi: Was wird mit ihnen angefangen? 


Die aufgehängten Becken hier 
Verkünden euch den Herrn Barbier. 
65 Dem, wo er irgend Stoppeln ſieht, 
| Das Meſſer untern Händen glüht; 
i Und er raſiert, die Wut zu ſtillen, 
Zwar gratis, aber wider Willen, 
Und bei dem ungebetnen Schnitt 
Geht auch wohl Haut und Naſe mit. 


1 B. 59 — 104: Die Kritik, dargeſtellt in dem hohen Gebäude mit ausſichts⸗ 
reichem Balkon und flachem Dach, der Gruppe der vor ihrer Gewalttätigkeit flüchten⸗ 
den Leute links vom Barbierladen (V. 59 — 62), dem Laden des Barbiers, d. i. nach 
Goethes eigener Fußnote Ramlers (V. 63 — 70), dem die Neuigkeiten zufahren⸗ 
den Laſtwagen und der unabſehbaren Flucht von Zimmern, in deren geöffneten 

Fenſtern grob und nach äußerlichen Maßſtäben rezenſiert wird, während die über⸗ 
wiegende Mehrzahl geſchloſſener Fenſter auf die zum e unberufene Stuben⸗ 
= gelegsjamteit deutet. 


Goethe. XVIII. 4 


50 8 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Welch ein Palaſt am End' der Stadt 
Iſt's, wo er ſeine Bude hat! 

Auf gutes Fundament gebaut, 

Der alle Gegend überſchaut. 

Wer iſt der vornehm reiche Mann, 
Der alſo baun und wohnen kann? 


Mit großer Luſt und großem Glück 
Hält ihr Serail! hier Frau Kritik. 
Ein jeder, er ſei groß und klein, ER 
Wird ihr gar ſehr willkommen fein. 80 
Sein Zimmer iſt ihm gleich bereit, et 
Sein Eſſen auch zu rechter Zeit; 
Er wird genähret und verwahrt 
Nach ſeiner Art und ſeinem Bart. 5 
Doch läßt aus Furcht vor Neidesflammen „ 
Sie ihre Freunde nie zuſammen. 95 

Sie hat zwar weder Leut' noch Land, 
Auch weder Kapital noch Pfand, 

Sie bringt auch ſelber nichts hervor 5 
Und lebt und ſteht doch groß im Flor: N 
Denn was ſie reich macht und erhält, „ 
Das iſt eine Art von Stempelgeld ?; Fa 
Drum ſehn wir alle neuen Waren . 
Zum großen Tor hineingefahren. Si 


Am Fenſter läßt ſich einer blicken, 95 
Der reißt gar alles grob zu Stücken; au 
Ein andrer mißt das Werk mit Ellen; 

Ein dritter läßt's auf der Wage ſchnellen; 

Ein vierter, oben guf dem Haus, 3 
Klopft gar die alten Kleider aus.? 100 


1 Hauptreſidenz des Sultans in Konſtantinopel. Damit iſt nicht gerade 
bloß die kritiſche Zeitſchrift Nicolais, die „Allgemeine deutſche Bibliothek“, gemeint, 
ſondern ſchlechthin eine Zeitſchrift für höhere Kritik wie dieſe. — 2 Doppel 
finnig jo viel wie Beſtechungsgeld. — 3 Damit fühlte ſich Merck getroffen wegen 
einiger von ihm nachträglich auch zu Nicolais menge AT Bibliothek“ 
beigeſteuerter Beſprechungen. 


Das deutet nicht auf innre Ruh). 
Die meiſten arbeiten wie in der Gruft 
Und kommen ſelten an friſche Luft. 


Doch ſcheint's, ihr möget nicht verweilen! 
Und gerne dieſen Zug ereilen; 

Bleibt nur ein wenig hinterdrein; 

Ich fürcht', es möcht' gefährlich ſein. 
Unter dem Leichnam auf ſeinem Rücken 
Seht ihr einen jungen Herrn ſich drücken, 
Ein Schießgewehr in ſeiner Hand: 

So trug er ſeinen Freund durchs Land, 
Erzählt den traurigen Lebenslauf 

Und fordert jeden zum Mitleid auf. 
Kaum hält er ſich auf ſeinen Füßen, 
Die Tränen ihm von den Wangen fließen, 
Beſchreibt gar rührend des Armen Not, 
Verzweiflung und erbärmlichen Tod; 

Wie er ihn endlich aufgerafft: 

Das alles ein wenig ſtudentenhaft. 

Da fing's entſetzlich an zu rumoren 
Unter Klugen, Weiſen und unter Toren; 
Drum wünſcht er weit davon zu fein. 


Denn ſeht, es kommen hinterdrein 
Ein Chor ſchwermütiger Junggeſellen, 
Die ſich gar ungebärdig ſtellen. 

Mehr ſag' ich nicht: man kennt genug 
Den ganzen uniformen Zug. 

Jeder führt eine Jungfrau fein, 
Die ſcheinen gleiches Sinns zu ſein: 
„Denn fie tragen auf bunten Stangen 
Paniere zierlich aufgehangen, 


V. 105—140: die Wertherei, dargeſtellt durch das Paar vom Werthergefolge 
ben auf der Treppe an der Serailecke (VB. 105— 108), den Dichter des Werther, mit 
eſſen Leiche auf dem Rücken (B. 109—123), und durch die Paare des Grabgeleites, 
auf die Nachahmer des „Werther“ in Leben und Literatur deuten. 


4* 


3 


52 | Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Die Zeichen ihrer Luſt und Schmerz: 

Einen vollen Mond, ein brennend Herz; 
Wie denn nun faſt eine jede Stadt 

Ihren eignen Mondſchein nötig hat.! 

Die Herzen lärmen und pochen ſo ſehr, 
Man hört ſein eigen Wort nicht mehr; 
Doch ſcheinen die Liebchen bei dieſen Spielen Bel 
Noch ſeitwärts in die Welt zu ſchielen. 140 


Laßt ſie vorbei und ſeht die Knaben,? 

Die in der Ecke ihre Kurzweil haben. 7 \ 
Die Laube, die fie faßt, iſt klein, | 
Doch dünkt fie ihnen ein dichter Hain, | 

Sie haben aus Maien ſie aufgeſteckt a 
Und vor der Sonne ſich bedeckt; 

Mit Siegsgeſang und Harfenſchlag 

Verklimpern ſie den lieben Tag; 

Sie kränzen freudig ſich wechſelsweiſe, \ 

Einer lebt in des andern Preiſe; 150 
Daneben man Keul' und Waffen ſchaut. 

Sie ſitzen auf der Löwenhaut; 

Doch guckt als wie ein Eſelsohr 

Ein Murmelkaſten drunter vor, 
Daraus denn bald ein jedermann 155 
Ihre hohe Ankunft? erraten kann. 


Ihr ſchaut euch um, ihr ſeht empor, 

Leiht andern Stimmen euer Ohr! 

Ja ſeht nur recht! Dort eine Welt“ a 
In vielen Fächern dargeſtellt. 160 


1 Anſpielung auf Goethes eigene Palinodie des „Werther“, den „Triumph ber 
Empfindſamkeit“, worin der empfindſame Prinz einen eigenen Mondſchein im Kaſten 
verpackt bei ſich führt. — 2 V. 141—156: der Göttinger Hain und feine auswär⸗ 
tigen Freunde, die lyriſche Tändeleien (Harfenſchlag), auch Kriegs- und Sieges⸗ 
lieder ſangen, wie Gleim, und ſich in Freundſchaftsepiſteln gegenſeitig prieſen. 
Der Murmeltierkaſten deutet an, daß ſie auf dem Parnaß nicht zu den Höchſt⸗ 
gebornen zählen, ſo ſehr ſie ſich auch mit Keule, Waffen und Löwenhaut als junge 
Herkuleſſe drapierten, um Voltaire und die Wiſſenſchaft, Wieland, Chriſtian Felix 
Weiße, Rhingulf und andere „Lieblinge des Pöbels“ zur erſchlagen. — 3 Herkunft. 
— 1 V. 157 — 188: Klopſtocks und feiner Verehrer Dichten und Tun: ein an 


1565 


170 


175 


180 


* 


Das Neueſte von Plundersweilern. 53 


Man nennt's ein epiſches Gedicht; 
So was hat ſeinesgleichen nicht. 


Der Mann, den ihr am Bilde ſeht, 
Scheint halb ein Barde und halb Prophet. 
Seine Vorfahren! müſſen's büßen, 

Sie liegen wie Dagon? zu ſeinen Füßen; 
Auf ihren Häuptern ſteht der Mann, 

Daß er ſeinen Helden erreichen kann. 


Kaum iſt das Lied nur halb geſungen, 
Iſt alle Welt ſchon liebdurchdrungen. 
Man ſieht die Paare zum Erbarmen 

In jeder Stellung ſich umarmen. 

Ein Zöglings kniet ihm an dem Rücken, 
Der denkt die Welt erſt zu beglücken; 
Zeigt des Propheten Strümpf' und Schuh', 
Beteuert, er hab' auch Hoſen dazu, 

Und, was ſich niemand denken kann, 
Einen Steiß habe der große Mann. 


Vor dieſem himmliſchen Bericht 
Fällt die ganze Schule aufs Angeſicht 


einem Kreuz aufgehängtes Gemälde mit dem Gekreuzigten in der Mitte weiſt auf 
den „Meſſias“ hin (V. 158—162); auf den Schädeln feiner Vorgänger ſtehend erläutert 
es der Dichters Prophet ſelber (V. 163—168), in feiner Begeiſterung beſtärkt durch 
die in Zärtlichkeiten überfließenden Bewunderer zu feinen Füßen (V. 170 — 172), 
durch ſeines Zöglings (vgl. S. 43) kriecheriſche Aufputzung auch des Menſchlichen an 
ihm, wie durch die Begeiſterung der ganzen Schule über dieſen Adeptenbericht 
(B. 173 — 182). Umgeſtürzte römiſche Feldzeichen, Legionsadler, ein deutſcher Bär 
und andres Wunderbare, das auf Bardite, wie „Hermanns Schlacht“ und „Hermanns 
Tod“, und die vaterländiſchen Oden zielt, iſt als wunderlich, wie das „feine“ 
den Jungen tragende Bärentier, d. h. als unwahr nur angedeutet (V. 183 — 186). 
Sein Sittenrichteramt, kraft deſſen er auf anderer Treiben „aufpaßt wie ein Heftel⸗ 
macher“, d. h. der Beſitzer einer Heftelfabrik, iſt überhaupt der Beachtung im Bilde 
nicht würdig befunden worden (V. 187 f). — 1 Der Dichter nennt als ſolche in einer 
Fußnote der Handſchrift ſelbſt Homer und Milton. — 2 Der Philiſtergott, in deſſen 
Haus die eroberte Bundeslade gebracht ward, und von dem es 1. Samuelis, Kap. 5, 
V. 4 heißt: „. .. des anderen Morgens ... fanden fie Dagon .. auf feinem Antlitze 
liegen auf der Erde vor der Lade des Herrn; aber ſein Haupt und ſeine beiden 
Hände abgehauen auf der Schwelle, daß der Stumpf allein darauf lag.“ — 3 In 


einer Fußnote der Handſchrift von Goethe ſelbſt als Cramer bezeichnet; vgl. S. 43. 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Und rufen: Preis dir in der Höh, f 
O trefflicher Euſtaziel! — 5 


Der Adler umgeſtürzte Zier! 

Der deutſche Bär, ein feines Tier! 
Wie viele Wunder, die geſchehn, 
Könnt ihr hier nicht auf einmal ſehn! 
Er hat auch eine Heftelfabrik, 

Die zeigt ſich nicht auf dieſem Stück. 


Ihr kennt den himmliſchen Merkur,? 
Ein Gott iſt er zwar von Natur; 
Doch ſind ihm Stelzen zum irdiſchen Leben 
Als wie ein Pfahl ins Fleiſch gegeben; 
Darauf macht er durch des Volkes Mitte 
Des Jahrs zwölf weite Götterſchritte. 
Auf ſeinen Szepter und ſeine Rute 

Tut er ſich öfters was zugute. 

Vergebens ziehen und zerren die Knaben? 
Und möchten ihn gerne herunter haben; 
Vergebens ſägſt du, töricht Kind!! 

Die Stelzen, wie er, unſterblich ſind. 


1 Cramer, der auf dem Umſchlag ſeines Buches: „Klopſtock. In Fragmenten 


aus Briefen von Tellow an Eliſa“ (Hamburg 1777) bemerkt hatte: „Es iſt billig, 
daß unſer Homer ſeinen Euſtathius habe“, und dafür von Wieland im „Merkur“ 
beſpöttelt worden war. — Erzbiſchof Euſtathios von Theſſalonich (um 1160 n. Chr.) 
ſchrieb einen Sammelkommentar zur Ilias und Odyſſee: Nagengolal eig x Oumoov 
Nidda zai Odvoceıav. — 2 V. 189—208: Wieland als Herausgeber der Monats⸗ 
ſchrift „Teutſcher Merkur“ (V. 189—204) und Dichter des „Oberon“ (B. 205208). 
In jener Eigenſchaft fühlt er ſein Beſtes, das freie Schaffen, bisweilen durch die 
monatliche Redaktionstätigkeit verletzt (V. 191 f.), überſchätzt auch manchmal jein 


äſthetiſches Richteramt (V. 195 f.), iſt aber allen Neidern und Anfechtern überlegen ee = 


(B. 197— 200) und hat nur einen Kummer, trotz vieler Bewunderer doch nicht 


jo viel Leſer zu haben, um den im Gemälde T. M. gezeichneten Pack, d. h. Ballen 


mit verſandfertigen Exemplaren, je loszuwerden. In der zweiten Eigenſchaft wird 
er von einem Engel bekränzt, wie ihm Goethe beim Erſcheinen des „Oberon“ im 
„Merkur“ ſelber einen Lorbeerkranz überſandt hatte. — 3 Wohl eine Anſpielung 
auf eine anonyme Einſendung Chriſtian Gottlob von Voigts und Herders, die die 
Antwort auf eine von oben herab erlaſſene Herausforderung im Anfange des Jahr⸗ 
gangs 1780 ſein ſollte, von dem myftifizierten Herausgeber auch aufgenommen, aber 


ſchulmeiſterlich abgetan und mit dem Rate bedacht war: „Seribite, pueri, seribite! 
Schreibt, ihr Knaben, ſchreibt fleißig!).“ — Schon von Merck auf Nicolai gedeutet. 


18.5 


* 


des Neuefe von Plunberömeiten. ER 


Es ſchaut zu ihm ein großer Hauf 
Von mancherlei Bewunderern auf; 
Doch dieſen Pack, ſo ſchwer und groß, 
Wird er wohl ſchwerlich jemals los. 


Wie iſt mir? wie! Erſcheint ein Engel 
In Wolken mit dem Lilienſtengel! 

Er bringt einen Lorbeerkranz hernieder, 
Er ſieht ſich um und ſucht ſich Brüder. 


Wer ſagt mir ein vernünftig Wort?! 
Was treiben die eilenden Knaben dort? 
Seht ihr nicht, wie geſchickt ſie's machen! 
Seht doch, wie ſteigen ihre Drachen! 
Geht er nicht ſchnell und hoch genung? 
Man nennt es einen Odenſchwung. 


Die andern führ' ich euch nicht vor; 
Sie haben mit dem Blaſerohr 

Nach Schmetterlingen unverdroſſen 
Mit Lettenkugeln lang geſchoſſen, 

Und dann war ſtets das arme Ding 
Ein lahmgeſchoßner Schmetterling. 


Die kleinen Jungens in der Pfützen, 

Laßt ſie mit ihren Schuſſern? ſitzen! 

Und laßt uns ſehn, dort ſtäubt's im Sand, 
Dort zieht ein wütig Heer zu Land. 
Zuvörderſt ſprengt ein Rittersmann? 

Auf einem zweideutigen Pferdlein an; 

Ein hoher Federbuſch ihn ziert, 

Die Lanze er gar ſtolz regiert, 

Von Kopf zu Fuß in Stahl vermummt, 
Daß jeder Bauer und Knecht verſtummt. 


1 V. 209—222: In ihren Beziehungen auf einzelne Perſonen nicht mehr deut⸗ 

bare Verurteilung der (in Klopſtocks Bahnen gehenden) Odendichtung, lahmer Sinn⸗ 
gedichte und feuchter, d. h. ſittlich unreifer Jugendmachwerke. — 2 Schnellkügelchen. 
— 3 8. 223 — 250: Verurteilung der geſchraubten und forcierten Ritter⸗Genie⸗ 
amen, voran, wie Goethes handſchriftliche Bemerkung zu „Rittersmann“ bezeugt, 
mes eigenen „Götz“. 


56 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Als Ritter nimmt er Preis und Gruß; 
Doch eigentlich geht er zu Fuß. 8 


Hinter ihm wird kein Guts geſchafft. 

Es reißet einer mit voller Kraft 

Die Bäume ſamt den Wurzeln aus; 
Die Vögel fliegen zu den Neſtern heraus. 
Sein Haupt trägt eine Felſenmütze, 

Sein Schütteln ſchüttert Ritterſitze. 
Entſetzt euch nicht ob dieſer Stärke 

Und der modernen Simſonswerke: 

Denn aller Rieſenvorrat hier 

Iſt nur von Pappe und von Papier. 


Ein andrer trägt einen Kometenhut; 

Ein dritter beißt in die Steine vor Wut; 
Sie ſtolpern über Särg' und Leichen, 
Dem Pathos iſt nichts zu vergleichen. 
Sie möchten gerne mit hellen Scharen 
Aus ihren eignen Häuten fahren; 

Doch ſitzen ſie darin zu feſt, 

Drum es jeder endlich bewenden läßt. 


Im Vordergrund find zwei feine Knaben,! 
Die gar ein artig Kurzweil haben. 

Mit Deutſchheit ſich zu zieren itzt, 

Hat jeder ſein armes Wams zerſchlitzt; 

Sie ziehen die Hemdchen durch die Spalten, 
Das gibt gar wunderreiche Falten; 

Die Puffen ſtehn gut zu Geſicht; 

Sie ſchonen ſogar der Höschen nicht; 

Sie werden bald ihr Ziel erreichen 

Und deutſchen Betteljungen gleichen. 


1 V. 251—260: Die beiden Grafenbrüder Chriſtian und Friedrich Leopold zu 
Stolberg; ihre Gedichte hatte Boie 1779 herausgegeben, und viele davon, wie das 
„Lied eines deutſchen Knaben“, das „Lied eines alten ſchwäbiſchen Ritters an ſeinen 
Sohn“ und namentlich die Balladen lagen in der teutſchtümelnden Richtung des 
„Götz“. 


240 


245 


260 


Dias Neueſte von Plundersweilern. f 57 


Wenn ich nun jemand raten mag,! 
So hat er genug für dieſen Tag 
Und geht den Lärm und das Geſchrei, 
Was hinten ſich erhebt, vorbei. 


Die Bude, die man dorten ſchaut, 

Iſt ſchon vor alters aufgebaut, 

Worein gar mancher, wie ſich's gebührt, 
Nach ſeiner Art ſich proſtituiert. 

Die feſten Säulen zeigen an, 

Der Ort ſich nicht bewegen kann; 

Ein Mann, der droben im Reifrock ſteht, 
Deutet auf hohe Gravität: 

Doch Wurſtel läßt ſich nicht vertreiben,? 
Läßt ſeine Neckerei nicht bleiben, 

Indes ein neuer Unfall droht 

Und bringt den Alten faſt den Tod. 


Eine Rotte, kürzlich angekommen, 
Hat das Portal ſchon eingenommen 
Und nagelt, ihr iſt nicht zu wehren, 
Ans Frontiſpiz? zwei Hemiſphären, 
Eröffnet nun die weite Welt 
Erobernd zum Theaterfeld; 

Darauf denn jeder bald verſteht, 

Wie es von London nach China geht. 
Und ſo hat man für wenig Geld 
Gleich eine Fahrt um die ganze Welt; 
Es poltert alles drüber und drunter, 
Die Knaben jauchzen laut mitunter, 
Und auf den Dielen wohlverſchanzt 
Die Schellenkapp' wird aufgepflanzt. 


1 V. 261—298: Entwickelung des Theaters, deſſen alte in Ort und Zeit feſt 
eingeſchränkte Form mit dem geſpreizten klaſſiziſtiſchen Koſtüm faſt verſchwindet 
(B. 265— 276, 292), um zwei andern Gattungen Platz zu machen, dem ganze Welt⸗ 
bilder verſprechenden ſhakeſpeariſierenden Geniedrama (V. 263, 264, 277288) und 
den von Goethe ſelbſt ſamt dem Hanswurſt wieder belebten Scherz- und Faſt⸗ 
nachtsſpielen. — 2 Auf Gottſcheds Betreiben war er 1737 in Leipzig von der 
Neuberſchen Truppe feierlich verbrannt worden. — 3 Stirngiebel. 


58 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Kein Menſch iſt ſicher ſeines Lebens; . 
Es“ wehrt der Held ſich nur vergebens; ö 

Es gehen beinah in dieſer Stunde 

Souffleur und Konfident! zugrunde, 

Die man als heilige Perſonen 295 
Von je gewohnt war zu verſchonen. n 
Und dieſer Lärm dient auf einmal 

Auch unſerm Schauſpiel zum Final. 


1 Der Vertraute. Deſſen Untergang bezieht ſich nicht bloß auf bie Überlebt⸗ 
heit dieſer Rolle in den alten Reifrockſtücken, ſondern enthält zuſammen mit V. 291, 
295 f. zugleich auch das verſöhnende Schlußbekenntnis des Dichters, daß er in ſeinen 
Poſſenſpielen oft gerade die vertrauteſten Freunde mitgenommen habe. 


| Ein Jaſtnachtsſpiel, 
i aus wohl zu tragieren nach Oſtern, vom Pater Brey, 
dem falſchen Propheten. 


Zur Lehr', Nutz und Kurzweil gemeiner 
Chriſtenheit, inſonders Frauen und Jung⸗ 
frauen zum goldnen Spiegel. 


Einleitung des Herausgebers. 


as „Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey, dem falſchen Pro⸗ 
pheten“, erſchien im Herbſt 1774 als eine der Nummern des 
„Neueröffneten moraliſch⸗politiſchen Puppenſpiels“ und ward im allge⸗ 
meinen aufgefaßt als eine Satire auf unlauteres, ſüßliches Tugendpre⸗ 
5 digen, auf ſchöntueriſches, im trüben fiſchendes Vermittlertum. Aber 
lange, ehe Goethe im 13. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ verriet, 
daß er darin einen ſehr beſtimmten „zarten und weichen“ jener Genoſſen 
5 dargeſtellt habe, „die auf ihre eigene Hand hin und wieder zogen, ſich in 
jeder Stadt vor Anker legten und wenigſtens in einigen Familien Ein⸗ 
10 fluß zu gewinnen ſuchten“, wußten die Eingeweihten, wie der Jacobi⸗ 
ſche Kreis in Düſſeldorf, daß in der Rolle des Paters der ſchon in der 
urſprünglichen Eſthertragödie des „Jahrmarktsfeſtes“ (vgl. S. 11) 
karikierte darmſtädtiſche Empfindſamkeitsapoſtel Leuchſenring abkon⸗ 
terfeit war. Ja, im Grunde war das Stück nichts mehr und nichts 
weniger als ein Polterabendſcherz, der durch Herders Vermählung mit 
Karoline Flachsland, der „Pſyche“ des Darmſtädter Freundeskreiſes, 
angeregt worden war. 
f Herder war während ſeiner Bräutigamszeit ſeit Sommer 1772 
mit dem jüngeren Freunde nicht immer ganz zufrieden geweſen, zu⸗ 
20 meiſt, weil er im fernen Bückeburg bei dem überſchwenglichen 
Freun dſchaftskult jener Tage vor dem oft i in Darmſtadt anweſenden 


T 
ET ER 


60 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


„Wanderer“ für ſeinen Platz im Herzen Karolinens fürchtete. Hatte er I. 
doch Goethes „Felsweihegeſang an Piyche“ fo übel vermerkt und ſich 


mit einer „Antwort auf die Felsweihe an Pſyche“ und der noch über⸗ 
legen bitterern „Bilderfabel für Goethe“ gerächt. Tatſächlich war der 
Störenfried weder Goethe noch der vielleicht nicht immer ganz diskrete 
Kriegsrat Merck, der urſprüngliche Vermittler des Verhältniſſes, durch 
deſſen Hände lange auch die Briefe der Liebenden gegangen waren; 


vielmehr war es Leuchſenring, der ſo gut Goethe wie Merck, wel⸗ 


cher ſich ſeine Einmiſchung in die eignen ehelichen Verhältniſſe ſehr 
ernſtlich verbeten hatte, beſonders bei Karoline und durch ſie auch in 
Bückeburg verdächtigte, ja ſogar den Bräutigam wenigſtens in ſeiner 


10 


Zuverläſſigkeit beargwöhnte und durch eignes aufdringliches Cour⸗ 


ſchneiden zu erſetzen ſuchte. Goethe hatte wohl erſt gemeint, ſeine 
Glückwünſche zur endlichen Überwindung aller Störungen nicht beſſer 
darbringen zu können als in einem launigen Bilde, das den tatſäch⸗ 
lichen erſten Stifter des Herzensbundes, Freund Merck, noch immer 
als den alten zeigte und den unſaubern Zwiſchenträger mit aller Deut⸗ 
lichkeit heimſandte. Unverkennbar ſchauen denn auch hinter den an⸗ 
deren Masken des Faſtnachtsſpieles die Beteiligten hervor: Merck hin⸗ 
ter dem Würzkrämer, Herder hinter dem Hauptmann Balandrino und 
Karoline hinter Leonora; nur die Schweſter, in deren Hauſe Karoline 
lebte, die Geheimrätin Heſſe, mußte zugunſten einer natürlicheren Ge⸗ 


— 


5 


ſtaltung der dramatiſchen und leichten Verſchleierung der wirklichen 


Verhältniſſe in Leonoras Mutter Sibylla umgewandelt werden. 

Bei Herders Hochzeit am 2. Mai 1773 hielt indes Goethe ſeine 
Masken noch in ſeinem Kopfe gefangen und entließ ſie daraus erſt, 
als der Hochzeit bald eine Verſtimmung zwiſchen ihm und dem Freunde 
folgte, die faſt zwei volle Jahre dauern ſollte. Erſt im November und 
wieder im Dezember 1773 verſpricht er nämlich Betty Jacobi ein Stück, 
das nur das unſrige ſein kann. „Ich habe ein Stückchen Arbeit ange⸗ 
fangen, ſchreibt er, ſtrikte für Sie und alle lieben Seelen, die Ihnen 
gleichen, nicht zur Nahrung, doch aber hoff' ich zur Ergötzung“; und 
als es trotz nochmaligen Verſprechens für Faſtnacht unterm 31. De⸗ 


zember dann bis dahin doch nicht fertig geworden iſt, entſchuldigt er 


ſich, daß „noch nichts produzibel“ ſei, aber „ein bißchen früher oder 
ſpäter tue doch in der Welt nichts“. Die beiden ſonſt kaum verſtänd⸗ 
lichen Zuſätze auf dem Titelblatt „auch wohl zu tragieren nach Oſtern“ 


25 


35 


Ein Faſtnachtsſpiel: Einleitung des Herausgebers. 61 


und „Zur Lehr', Nutz und Kurzweil gemeiner Chriſtenheit, inſonders 
Frauen und Jungfrauen zum goldnen Spiegel“ erhalten dadurch erſt 
den rechten Sinn. 
Be Im Jacobiſchen ſelbſt etwas empfindſamen Kreiſe fand man 
5 zwar die „Manier etwas unſauber, aber den falſchen Propheten 
i aufs treuſte nach dem Leben gezeichnet“, und freute ſich ſo des Scherzes. 
Auch Herders, zumal die in der urteilslos hingegebenen Leonora nicht 
eben geſchmeichelte Frau, erkannten ſich nur zu deutlich wieder und 
fühlten auch ſich ſelbſt bloßgeſtellt, zumal Heinſe von dem Stücke aus 
Düſſeldorf meldete, als ſei es gegen Herder gerichtet. Noch 1789 bei 
der Wiederveröffentlichung des Stückes im 8. Bande von Goethes 
„Schriften“ äußerten ſich Herder und Gattin gleich verſtimmt. Unter 
den Unbeteiligten hat die muntere Laune dem Stück nicht die Unbe⸗ 
rufenſten zu Freunden gewonnen. Byron nahm es zum Muſter für 
ein ſatiriſches Gedicht auf einen fanatiſchen Prediger, und Immer⸗ 
mann ahmte es in einer ſeiner Satiren auf Puſtkuchen nach, betitelt: 
„Ein ganz friſch ſchön Trauerſpiel von Pater Brey, dem falſchen Pro⸗ 
pheten in der zweiten Potenz.“ 


N d Würzkrämer ein feinem Lader). 
* J hol’ mir die Schachtel dort droben. 
x Der Teufelspfaff hat mir alles verſchoben. 
Mir war mein Laden wohl eingericht't, 
Fehlt' auch darin an Ordnung nicht: 

Mir war eines jeden Platz bekannt, 

Die nötigſt' War' ſtund bei der Hand, 
Tobak und Caffee, ohn' den zu Tag 

Kein Höckenweib mehr leben mag. 

Da kam ein Teufelspfäfflein ins Land, 

Der hat uns Kopf und Sinn verwandt, 
Sagt, wir wären unordentlich, 

An Sinn und Rumor den Studenten gleich, 
Könnt' unſre Haushaltung nicht beſtehen, 
Müßten all' ärſchlings zum Teufel gehen, 
Wenn wir nicht täten ſeiner Führung 

Uns übergeben und geiſtlicher Regierung. 


2... Faflmadtöfpiele und Verwandtes. 


Wir waren Bürgersleut' guter Art, 
Glaubten dem Kerl auf ſeinen Bart, 
Darin er freilich hat nicht viel Haar: 

Wir waren betört eben ganz und gar. 

Da kam er denn in den Laden herein, 

Sagt: Verflucht! das ſind mir Schwein'! 
Wie alles durcheinander ſteht! 

Müßt's einrichten nach dem Alphabet. 

Da kriegt er meinen Kaſten Caffee, 

Und ſetzt mir ihn oben hinauf ins C 

Und ſtellt mir die Tobaksbüchſen weg, 

Dort hinten ins T, zum Teufelsdreck; 

Kehrt eben alles drüber und drunter, | 
Ging weg und ſprach: So beſteh's jeunder-! 
Da macht er ſich an meine Frauen, 

Die auch ein bißchen umzuſchauen; 

Ich bat mir aber die Ehr' auf ein andermal aus; 

Und ſo ſchafft' ich mir'n aus dem Haus. 
Er hat mir's aber auch gedacht 
Und mir einen verfluchten Streich gemacht: 
Sonſt hielten wir's mit der Nachbarin, 

Ein altes Weib von treuem Sinn; 
Mit der hat er uns auch entzweit. 
Man ſieht ſie faſt nicht die ganze Zeit; 
Doch da kommt ſie ſoeben her. 


Nachbarin kommt. 

Würzkrämer. 
Frau Nachbarin, was iſt Ihr Begehr? 

Sibylla, die Nachbarin. 

Hätte gern für zwei Pfennig Schwefel und Zunder. 

Würzkrämer. 
Ei ſieh, 's is ja ein großes Wunder, 
Daß man nur einmal hat die Ehr'! 

Sibylla. 

Ei, der Herr Nachbar braucht einen nicht ſehr. 


0 


45 


a ee. Bernadtsfpiet.. er 63 


a . Wirgfeämer, 
3 Red Ole das acht Es war ein' Zeit, 
Da wir waren gute Nachbarsleut' 
Und borgten einander Schüſſeln und 1 
Wär' auch alles gut geweſen; f 
Aber vom Pfaffen kommt der Neid, 
Mißtraun, Verdruß und Zwiſtigkeit. 
Sibylla. 
Red' Er mir nichts übern Herr Pater: 
Er iſt im Haus als wie der Vater, 
Hat über meine Tochter viel Gewalt, 
Zeigt ihr, wie ſie ſoll werden klug und alt, 
Und iſt ein Menſch von viel Verſtand, : 
Hat auch geſehn ſchon manches Land. 


Würzkrämer. 
Aber bedenkt Sie nicht dabei, 
Wie ſehr gefährlich der Pfaff Ihr ſei? 
Was tut er an Ihrer Tochter lecken? 
An fremden verbotnen Speiſen ſchlecken? 
Was würd' Herr Balandrino ſagen? 
Wenn er zurückkäm' in dieſen Tagen, 
Der in Italia zu dieſer Friſt 
AUntern Dragonern Hauptmann iſt, 
Und iſt Ihrer Tochter Bräutigam, 
Nicht blökt und trottelt wie ein Lamm. 
3 Sibylla. 

Herr Nachbar, Er hat ein böſes Maul, 
Er gönnt dem Herrn Pater kein'n blinden Gaul, 
Mein' Tochter, die iſt in Büchern beleſen, 
Das iſt dem Herrn Pater juſt ſein Weſen: 
Auch red't ſie verſtändig, allermeiſt 
Von ihrem Herzen, wie ſie's heißt. 
= Würzkrämer. 
Frau Nachbarin, das iſt alles gut; 

Eure Tochter iſt ein junges Blut 


64 8 Lebend und Verwandtes. 


Und kennt den Teufel der Männer Ränten, 
Warum ſie ſich an die Maidels henken; 
Die ganze Stadt is voll davon. 


Sibylla. | 
Lieber Herr Nachbar, weiß alles ſchon: a 80 
Meint Er denn aber, Herr, beim Blut!, ER 
Daß mein Maidel was Böſes tut? 


Würzkrämer. 
Was Böſes? Davon iſt nicht die Red, 
Es iſt nur aber die Frag', wie's ſteht. 
Sieht Sie, ich muß Ihr deutlich ſagen: 85 
Ich ſtund ungefähr dieſer Tagen 5 
Hinten am Hollunderzaun; 
Da kam mein Pfäfflein und Mädelein traun, 
Gingen auf und ab ſpazieren, f 
Täten einander umſchlungen führen, 90 
Täten mit Augleins ſich begäffeln, 
Einander in die Ohren räffeln?, 
Als wollten ſie eben alſogleich 
Miteinander ins Bett oder ins Himmelreich. 


Sibylla. 
Dafür habt Ihr eben keine Sinnen; | =. 
Ganz geiftiglich iſt ſein Beginnen, | 
Er iſt von Fleiſchbegierden rein 
Wie die lieben Herzengelein. 
Ich wollt', Ihr tätet ihn nur recht kennen, 
Würdet ihn gern einen Heiligen nennen. 100 

(Frau Sibylla, die Nachbarin, ab.) 


Balandrino 
(der Dragonerhauptmann, tritt auf und ſpricht)⸗ 


Da bin ich nun durch viele Gefahr 
Zurückgekehrt im dritten Jahr, . 


1 Bei vollem Bewußtſein, daß fein Blut bezahlt, d. h. hingegeben werden 
muß, wenn er dem Maidel unrecht tut. Ein an altteſtamentliche Auffaſſung, z. B. 
1. Könige, Kap. 2, V. 32f; 3. Moſis, Kap. 20, V. 9, anknüpfender Ausruf der Be⸗ 
teuerung, Verwunderung und Bedrohung; häufiger iſt die Verſicherung „mein Blut!“ 
— 2 Lärmend, geräuſchvoll ziſcheln. 


Ein 1 Bafmadifpiet. 65 


Sk = Hab' in Italia die Pfaſſen gelauſt 
Und manche Republik gezauſt. 

Bin nur jetzt von Sorgen getrieben, 

Wie es drinne ſteht mit meiner Lieben, 

Und ob ſie, wie in der Stadt man ſagt, 

Sich mit dem Teufelspfaffen behagt. 

Will doch gleich den Nachbar fragen; 

War ein redlich Kerl in alten Tagen. 

Würzkrämer. 
Herr Hauptmann, ſeid Ihr's? Gott ſei Dank! 
Haben Euch halt erwart't ſo lang'. 


Hauptmann. 
Ich bin freilich lang' geblieben. 
Wie habt Ihr's denn die Zeit getrieben? 


| Würzkrämer. 
S bürgerlich. Eben leidlich dumm. 
Hauptmann. 
Wie ſteht's in der Nachbarſchaft herum? 
BR 2°: Beer Würzkrämer. 
5 Seid Ihr etwa ſchon vergifbt? 
4 Da hat einer ein’ bößſ' Eh’ geſtift't. 
Hauptmann, 
Sagt, iſt's wahr mit dem Pfaffen? 
Würzkrämer. 


Herr, ich hab' nichts mit dem Miſt zu Kun: 

Aber jo viel kann ich Euch jagen: | 
Ihr müßt nit mit Feuer und Schwert dreinſchlagen; 
Müßt erſt mit eignen Augen ſehn, 

Wie's drinnen tut im Haus hergehn. 

Kommt nur in meine Stube nein, 

Soeben fällt ein Schwank mir ein. 

Laßt Euch's unangefochten ſein, 

Eure Braut iſt ein gutes Ding 


Und der Pfaff nur ein Däumerling. 
5 (Sie gehen =” 
Goethe. XVII. 5 


66 ffir Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Wird vorgeſtellt der Frau Sibylla Garten. Treten auf: das Pfäfflein und 
Leonora, ſich an den Händen führend. 


Pfaff. | | ar 
Wie iſt doch heut der Tag jo ſchön! 130 
Gar lieblich iſt's, ſpazieren zu gehn. | 

Leonora. 

Wie ſchön wird nicht erſt ſein der Tag, 
Da mein Balandrino kommen mag! 

Pfaff. 
Wollt' Euch wohl gönnen die Herzensfreude! ER 
Doch wir find indes beiſammen heute e 
Und ergetzen unſere Bruſt 5 
Mit Freundſchaft und Geſprächesluſt. 


Leonora. 
Wie wird Euch Balandrino ſchätzen, 
An Eurem Umgang ſich ergetzen, 
Erkennen Euer edel Geblüt, a 140 
Frei und liebevolles Gemüt! 
Und wie Ihr wollet allen gut, 
Niemals zu viel noch zu wenig tut! 


Pfaff 
O Jungfrau, ich mit Seel' und Sinn 
Auf immerdar dein eigen bin, 145 
Und den du Bräutigam tuſt nennen, 
Mög' er ſo deinen Wert erkennen! 
O himmliſch glücklich iſt der Mann, 


Der dich die Seine nennen kann! 
(Sie gehen vorüber.) 
Tritt auf Balandrino der Hauptmann, verkleidet in einen alten Edelmann 
mit weißem Bart und Ziegenperücke, und der e 


Würzkrämer. > | 
Hab' Euch nun gejagt des Pfaffen Geſchicht'; a 150 
Wie er alles nach ſeinem Gehirn einricht't, Bi 
Wie er will Berg und Tal vergleichen, 
Alles Rauhe mit Gips und Kalk verſtreichen 
Und endlich malen auf das Weiß Bi 
Sein Geſicht oder ſeinen Steiß. 186 


160 


165 


17⁰ 


Ein Faſtnachtsſpiel. 


Hauptmann. 
Wir wollen den Kerl gewaltig kurieren 
Und über die Ohren in Dreck 'nein führen! 


Geht jetzt ein bißchen nur beiſeit'. 


Würzkrämer. 


Wenn Ihr mich braucht, ich bin nicht weit. 


(Geht ab.) 
Hauptmann. 
Sibylla. 
Welch ein Geſchrei? 
Hauptmann. 
Treff' ich hier nicht den Pater Brey? a 


Sibylla. 
Er wird wohl in dem Garten ſein; 


Ho! Holla! ho! 


Ich ſchick' ihn Ihnen gleich herein. (50 


Der Pfaff (tritt auf und ſpricht 
Womit kann ich dem Herren dienen? 


Hauptmann. 
Ich bin ſo frei, mich zu erkühnen, 
Den Herren Pater hier aufzutreiben; 
Sie müſſen's Ihrem Ruf zuſchreiben. 
Ich habe ſo viel Guts vernommen 
Von vielen, die da- und dorther kommen, 
Wie Sie überall haben genug 
Der Menſchen Gunſt und guten Geruch; 
Wollt' Sie doch eiligſt kennen lernen, 
Aus Furcht, Sie möchten ſich bald entfernen. 
Pfaff. 
Mein lieber Herr, wer ſind Sie dann? 


Hauptmann. 


Ich bin ein reicher Edelmann, 


Habe gar viel Gut und Geld, 
Die ſchönſten Dörfer auf der Welt; 
Aber mir fehlt's am rechten Mann, 
5 * 


67 


68 775 Faſinachtsſpiele unnd Verwandtes 


Der all das gubernieren kann. 

Es geht, geht alles durcheinander 

Wie Mäuſedreck und Koriander!; 

Die Nachbarn leben in Zank und Streit 
Unter Brüdern iſt keine Einigkeit, 

Die Mägde ſchlafen bei den Buben, 

Die Kinder hofieren in die Stuben; 

Ich fürcht', es kommt der Jüngſte Tag. 


Pfaff. 
Ach, da wird alles gut darnach! 


Hauptmann. 
Ich hätt's eben noch gern gut vorher; 
Drum verlanget mich zu wiſſen ſehr, 
Wie Sie denken, ich ſollt's anfangen? 


Pfaff. 
Können nicht zu Ihrem Zweck gelangen, 
Sie müſſen denn einen Plan disponieren 
Und den mit Stätigkeit vollführen. 
Da muß alles kalkuliert ſein, 
Da darf kein einzeln Geſchöpf hinein?, 
Mäuſ' und Ratten, Flöh' und Wanzen 
Müſſen alle beitragen zum Ganzen. 


Hauptmann. 
Das tun ſie jetzt auch, ohne Kunſt. 


Pfaff. 
Doch iſt das nicht das Recht', mit Gunſt; 
Es geht ein jedes ſeinen Gang; 
Doch ſo ein Reich, das dauert nicht lang': 
Muß alles ineinander greifen, 
Nichts hinüber, herüber ſchweifen; 
Das gibt alsdann ein Reich, das hält 
Im ſchönſten Flor bis ans End' der Welt! 


Br 


10 


105 


200 


N 


1 Wanzendill (Corlandrum sativum), ein Küchengewürz und Arzneimittel. — 3 


2 Es darf kein einzeln bevorzugtes hinein, ſondern alle, auch Mäuſe, Ratten u. ſ. w., 
gehören gleichmäßig hinein. 


5 En Betrag 


| ber 
Ro Mein Herr, ich Hab’ hier in der Näh' 
Ein Völklein, da ich gerne ſäh', 
e Wenn Eure Kunſt und Wiſſenſchaft 
Wollt' da beweiſen ihre Kraft. 
Sie führen ein ſodomitiſch Leben, 
Ich will fie Eurer Aufficht übergeben; 
Sie reden alle durch die Naſen, 
Haben Wänſte ſehr aufgeblasen 
Und ſchnauzen jeden Chriſten an 
Und laufen davon vor jedermann. 


Pfaff. 

Da iſt der Fehler, da ſitzt es eben! 
Sobald die Kerls wie Wilde leben 
Und nicht betulich und freundlich find; 
Doch das verbeſſert ſich geſchwind. 
Hab' ich doch mit Geiſtesworten 
Auf meinen Reiſen allerorten, 
Aus rohen, ungewaſchnen Leuten, 
Die lebten wie Juden, Türken und Heiden, 
Z3Zauſammengebracht eine Gemein’, 
225 Die lieben wie Maienlämmelein 
1 Sich und die Geiſtesbrüderlein. 

Hauptmann. 


Wollet Ihr nicht gleich hinausreiten? 
Der Herr Nachbar ſoll Euch begleiten. 


| Pfaff. 
: Der iſt ſonſt nicht mein guter Freund. 


Hauptmann. 
Herr Pater! mehr, als Ihr es meint. 
2 (Sie gehen ab). 
Hauptmann (kommt zurück und ſpricht). 
Nun ab ich noch ein bißchen ſehn, 
Wie's tut mit Leonoren ſtehn. 
Ich tu' ſie wohl unſchuldig ſchätzen, 


70 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Der Pfaff kann nichts als prahlen und ſchwätzen. 


Da kommt ſie eben recht herein. 2235 
Jungfrau! Sie ſcheint betrübt zu ſein. 
Leonora. 


Mir iſt's im Herzen weh und bange, 

Mein Bräutigam, der bleibt ſo lange. 
Hauptmann. 

Liebt Ihr ihn denn allein ſo ſehr? 

Leonora. 5 

Ohn' 5 möcht' ich nicht leben mehrt. 210 
Hauptmann. 

Der Pater Euch ja hofieren tut? 


| Leonora. 
Ach ja, das iſt wohl alles gut; 
Aber gegen meinen Bräutigam 
Iſt der Herr Pater nur ein Schwamm. 


Hauptmann. ; 
Ich fürcht', es wird ein Hurri! geben, 2245 
Wenn der Hauptmann hört Euer Leben. eh 
Leonora. 
a nein! denn ich ihm ſchwören kann, 
Denke nicht dran, der Pfaff ſei Mann; 
Und ich dem Hauptmann eigen bin 
Von ganzem Herzen und ganzem Sinn. 250 
Hauptmann 
(wirft Perücke und Bart weg und entdeckt ſich). 
So komme denn an meine Bruſt, 
O Liebe, meines Herzens Luſt! 
Leonora. 
Iſt's möglich? Ach, ich glaub' es kaum; 
Die himmliſch' Freude iſt ein Traum! 


1 Zuſammenprall, Zank. 


200 


25 


270 


. 


Ein Faſtnachtsſpiel. 


| Hauptmann. 
O Leonor', biſt treu genug; 
Wärſt du geweſen auch ſo klug! 


Leonora. 
Ich bin ganz ohne Schuld und Sünd'. 


Hauptmann. 


Das weiß ich wohl, mein liebes Kind; 


Die Kerls ſind vom Teufel beſeſſen, 
Schnoppern herum an allen Eſſen, 


Lecken den Weiblein die Ellenbogen, 


Stellen ſich gar zu wohlgezogen, 
Niſten ſich ein mit Schmeicheln und Lügen 


Wie Filzläuf', find nicht heraus zu kriegen. 


Aber ich hab' ihn proſtituiert!: 

Der Nachbar hat ihn hinausgeführt, 
Wo die Schwein' auf die Weide gehn, 
Da mag er bekehren und lehren ſchön! 


Nachbar Würzkrämer 
(kommt lachend außer Atem). 
Gott grüß' euch, edles junges Paar! 
Der Pfaff iſt raſend ganz und gar, 
Läuft wie wütig hinter mir drein. 
Ich führt' ihn draußen zu den Schwein'n; 
Sperrt' Maul und Augen auf, der Matz, 


Als ich ihm ſagt', er wär' am Platz: 


Er ſäh', ſie red'ten durch die Naſen, 
Hätten Bäuche ſehr aufgeblaſen, 

Wären unfreundlich, grob und liederlich, 
Schnauzten und biſſen ſich unbrüderlich, 
Lebten ohne Religion und Gott 

Und Ordnung, wie jene Hottentott'; 
Möcht' ſie nun machen all' honett 

Und die frömmſt' nehmen mit zu Bett. 


1 Bloßgeſtellt, angeführt. 


71 


72 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Hauptmann. 
Tät er drauf wacker raſen? 


Würzkrämer. 
Viel Flüch' und Schimpf aus'm Rachen blaſen. 
Da kommt er ja gelaufen ſchon. 285 


Pfaff (außer Atem). 
Wo hat der Teufel den Kujon? 


Erſchreckt, da er den Hauptmann ſieht.) 


Hauptmann. 
Herr Pfaff! erkennt Er nun die Schlingen? 
Sollt' Ihm wohl noch ein Gratias! fingen: 
Doch mag Er frei ſeiner Wege gahn; 8 = 
Nur hör' Er noch zwei Wörtchen an. 290 
Er meint, die Welt könnt' nicht beſtehen, 
Wenn Er nicht tät' drauf herumergehen; 
Bild't ſich ein wunderliche Streich' 
Von ſeinem himmliſch geiſt'gen Reich; 
Meint, Er wolle die Welt verbeſſern, 295 
Ihre Glückſeligkeit vergrößern, 4 8 
Und lebt ein jedes doch fortan, 
So übel und ſo gut es kann. 
Er denkt, Er trägt die Welt auf'm Rücken; 
Fäng' Er uns nur einmal die Mücken! 300 
Aber da iſt nichts recht und gut, 
Als was Herr Pater ſelber tut. 
Tät' gerne eine Stadt abbrennen, 
Weil er ſie nicht hat bauen können; 
Find't's verflucht, daß, ohn' ihn zu fragen, 305 
Die Sonn' ſich auf und ab kann wagen. | 
Doch Herr! damit Er uns beweiſt, 


Daß ohne Ihn die Erde reißt, 


Zuſammenſtürzen Berg und Tal, N 
Probier' Er's nur und ſterb' Er einmal; 310 


1 Danklied. 


Ein Faſtnachtsſpiel. Ä | En 73 


Und wenn davon auf der ganzen Welt 
Ein Schweinſtall nur zuſammenfällt, 
So erklär' ich Ihn für einen Propheten, 
Will Ihn mit all meinem Haus anbeten. 
(Der Pfaff zieht ab.) 
5 Hauptmann. 
Und du, geliebtes Lorchen mein, 
Warſt gleich ei'm Wickelkindelein, 
Das ſchreit nach Brei und Suppe lang', 
Des! wird der Mutter angſt und bang: 
Ihr Brei iſt noch nicht gar und recht; 
Drum nimmt fie ſchnell ein Lümpchen? ſchlecht, 
Und kaut ein Zuckerbrot hinein 
Und ſteckt's dem Kind ins Mündelein. 
Da ſaugt's und zutſcht denn um ſein Leben, 
Will ihm aber keine Sättigung geben; 
Es zieht erſt allen Zucker aus 
Und ſpeit den Lumpen wieder aus. 
So laßt uns denn den Schnacken belachen 
Und gleich von Herzen Hochzeit machen. 
Ihr Jungfrauen, laßt euch nimmer küſſen 
Von Pfaffen, die ſonſt nichts wollen noch wiſſen; 
Denn wer möcht' einen zu Tiſche laden 
Auf den bloßen Geruch von einem Braten? 
Es gehört zu jeglichem Sakrament 
Geiſtlicher Anfang, leiblich Mittel, fleiſchlich End'. 


I Daß davon. — 2 Saugläppchen. — 3 Ironiſierende Anwendung der ſprich⸗ 
wörtlichen Dreiheit: „Anfang, Mittel und Ende“ auf die ſeit Johann Gerhard, dem 

größten lutheriſchen Dogmatiker (1582 — 1637), angeſetzten drei Beſtandteile eines 

Sakraments: 1) art oder prineipium roımrıxov (der ſchöpferiſche Grund oder 

Anfang), das find göttliche Einſetzungsworte; 2) die materia terrestris, d. i. das 
itrdiſche Element oder Symbol, das eine leibliche Sache iſt, dazu beſtimmt, einer 
himmliſchen Sache Träger und Mittel zu fein; 3) die res coelestis, die durch das 
Mittel ausgedrückte Gnadengabe ſelbſt, das Himmliſche, alſo die Überwindung des 
FJleiſches. 


Satyros 


oder 
der vergötterte Waldteufel. 
Drama. 
1770. 


Einleitung des Herausgebers. 


n der ſchon S. 59 erwähnten Stelle von „Dichtung und Wahr⸗ 
heit“ ſtellt Goethe dem „zarten und weichen“ Zeitgenoſſen, den 

er im „Pater Brey“ gezeichnet habe, „einen andern tüchtigern und 
derbern“ entgegen, den er im „Satyros“, „wo nicht mit Billigkeit, doch 
wenigſtens mit gutem Humor dargeſtellt“ habe. Dieſe Zuſammen⸗ 


5 


ſtellung mit dem „Pater Brey“, deſſen Original Leuchſenring ſchon die 


erſten Leſer ſicher erkannten, dazu die Anerkennung der Tüchtigkeit des 
Verſpotteten und die Frage nach der Billigkeit der Darſtellung ſind 
für jeden Unvoreingenommnen unumſtößliche Zeugniſſe, daß auch im 
„Satyros“ urſprünglich perſönliche Satire ſteckte. Wem dieſe freilich 


galt, das blieb trotz der zahlreichſten Verſuche und Vermutungen zur 


Löſung des Rätſels verborgen, bis Scherer dieſe Perſon endlich in 
Herder entdeckte. Nur darf man da nicht an den bitter⸗ernſten Mann 
in der Weimarer Generalſuperintendantur, den Verfaſſer der Werke 
denken, die ihm den Ehrennamen eines Prieſters der Humanität ein⸗ 
getragen haben, ſondern lediglich an den noch nicht Dreißigjährigen, 
wie er reiſend gelernt und gelehrt hatte und 1770 bis Anfang 1773 
den Sturm und Drang des Herzens wie der Literatur in engſtem Ver⸗ 
kehr mit Merck und Goethe durchkämpfte. Denn die Dichtung entſtand 
1773, ja die Zahl 1770, die Goethe beim erſten Drucke unter den Titel 
ſetzte, beruht unverkennbar auf der Erinnerung, daß die Keime der 
Satire ſchon damals in Straßburg gehegt wurden. 


— 


5 


. 
4 a a 


5 Satyros oder der vergötterte Waldteufel: Einleitung des Herausgebers. 75 


Wie es der Einſiedler dem lahmen Satyros mit ſeiner Pflege nicht 
zu Danke tut, hatte der augenkranke Herder in Straßburg Goethes 

Er Geſellſchaft mit Launenhaftigkeit gelohnt; wie Satyros feinen Pfleger 
ſelbſt das größte Heiligtum vernichtet, hatte Herder ſeinem liebens⸗ 
würdigen Geſellſchafter die Freude an allem, was er trieb und ver⸗ 
ehrte, genommen. Wenn Satyros faunenhaft nach Kuß und Liebes⸗ 
umarmung giert, aber gleichzeitig verzückt und verzückend in orphiſchen 
Rätſeln redet, ſo wetterleuchten in Herders und Karolinens Briefen 
5 hinter himmelfliegender Schwärmerei oft ſchwüle Liebesbilder auf, und 
100 mochte immer Mercken und Goethen der Wortlaut dieſer Briefe für 
gewöhnlich unbekannt bleiben, der Geiſt, in welchem das „arme kleine 
Mädchen“ (vgl. V. 194) mit ihrem „Philoſophen“ verkehrte, blieb es 
nicht und war leicht übertreibender Mißdeutung ausgeſetzt, ſeit Merck 

das im Fluge einer Predigt eroberte Mädchen in träumeriſcher Ver⸗ 

15 zückung vor des Abgereiſten Ruhelager betroffen hatte. Vor allem 
kannte ſo gut Merck wie Goethe Herders „Plaſtik“, in ihren erſten Ent⸗ 
würfen und in ihrem ganzen Geiſte, vor allem mit ihrer Begründung 
auf das Ein und Alles des Gefühls, mit ihrer Forderung „fühlbarer, 
offner, ſchöner, nackter Natur“, mit ihrem Preis der „weichen Hüfte, die 
20 zu Schönheit und Wolluſt notwendig iſt“, mit ihrem Bann gegen die 
* Kleiderdezenz; gegen die „Matratzen“ und Steinklumpen, die „feier⸗ 
lich drückenden Gewande“ der Agypter, denen gegenüber er ruft: 
„weg mit ihnen ſoviel als möglich!“ Von ſeiner ehemals rückhaltloſen 
Begeiſterung für Rouſſeau war Herder freilich damals ſchon zurück⸗ 
gekommen, aber in ſeinem Preis der ſprachſchöpferiſchen und poetiſchen 
Überlegenheit des ſinnlichen Menſchen, der noch ganz Natur geblie⸗ 
benen „wilden ungeſitteten Völker“, konnten die Freunde noch immer 
nur den Verehrer des Naturevangeliums zu hören vermeinen, zumal 

der Bückeburger Einſiedler in der Natur lange ſeine einzige Freundin 

30 fand und ſeine Braut ihre von ihm angeregte Lektüre Rouſſeaus nicht 
verheimlichte. Selbſt um einen orakelnden Deuter des Welturſprungs 

im Freunde zu ſehen, brauchte Goethe nicht auf das Erſcheinen der 
„Alteſten Urkunde des Menſchengeſchlechts“ (1774) zu warten; denn 

5 den poetiſchen Gedanken der Schrift, die Betrachtung des moſaiſchen 
3g Schöpfungsberichts unter dem Bilde eines Sonnenaufgangs, hatte 
Herder ſchon mit nach Straßburg gebracht; wie in unſerm Drama 
Satyros vom alles in ſich beſchließenden „Unding“, hat Herder ſchon 


ot 


2 


* 


Ha, Faſtnachtsſpiele und verwandtes. 2 


in einer Vorarbeit der „Alteſten Urkunde“ aus dem u 1771 ma vom 2 ee 


„großen Chaos, der ungeheuren Sammlung von Samen aller Weſen “ 8 


geredet, Zuſammenſetzungen mit der Vorſilbe un⸗, darunter „Unding“, 


und „Urbild“ ebenda und in der „Plaſtik“ von 1770 waren über- 


haupt Lieblingsbildungen von ihm, und Satyros' Verkündigung von 


der im Widerſpiel der Kräfte immer harmoniſchen Einheit des Alls war, 


abgeſehen vom Versmaß, 1772 ebenſo in Herderſchen Beſprechungen Er 


der „Frankfurter gelehrten Anzeigen“ zu leſen geweſen. 
Man ſieht, Herders Leben und Schaffen bot dem Dichter wirklich 
Stoff die Hülle und Fülle, um die Rolle ſeines Waldteufels damit zu 


füllen. Denn dieſe Maske war offenbar ſchon da, ehe fie dieſen leben? 5 


digen Träger erhielt; wenigſtens ſpricht alles dafür, daß die Satire 


zunächſt auf eine literariſche Anregung zurückgeht, auf Wielands „Bei⸗ 
träge zur geheimen Geſchichte des menſchlichen Verſtandes und Herzens, 


aus den Archiven der Natur gezogen“ (1770); denn darin ſteht nicht 


nur eine Abhandlung „Über die von J. J. Rouſſeau vorgeſchlagenen Ver⸗ 
ſuche, den wahren Stand der Natur des Menſchen zu entdecken“, durch die 
Goethe wohl veranlaßt worden iſt, der Naturgemeinde ſtatt der üblichen 
Eicheln Kaſtanien zum „herrlichen Fraße“ zu geben, ſondern auch die 
„Reife des Prieſters Abulfauaris ins innere Afrika“ und „Bekenntniſſe 
des Abulfauaris, geweſenen Prieſters der Iſis“, der die einem Negervolk 


gebrachte Religion ähnlich als Mittel benützt, feine Herrſchaft zu befeſtigen 


und eine ſchöne begeiſterungsfähige Negerfrau bei den Weihen zu den My⸗ 


ſterien zu überwältigen. Wielands Satire veranlaßte wohl auch die leiſen 


ägyptiſchen Töne in der phantaſtiſchen Zeichnung der Ortlichkeit: die 
Zwiebelanbetung, die Entlehnung des Namens Arſinoe von jener 
kühl berechnenden ägyptiſchen ſchweſterlichen Mitregentin; und Wie⸗ 
lands Prieſter Hermes zu übernehmen, mußte Goethe um ſo natür⸗ 
licher dünken, als der Name Herdern ſeit der Abhandlung „Über den 
Urſprung der Sprache“ (1771) für den (ägyptiſchen) Erfinder der 
Schrift vertraut war. Den launigen Ton gab Hans Sachs' Schwank 
„Der Waldbruder mit dem Satyrus“, und auch die Hauptfigur war mit 
der Wahl des erſteren Namens für die Eingeweihten, vor allem Merck, 
jo deutlich bezeichnet, wie Karoline mit Piyche (vgl. S. 59 f.); hatte doch 
Herder ſelber Oktober 1772 gegen Merck die Schwierigkeit, ja Unmög⸗ 
lichkeit beklagt, „den Capriccio mit Bocksfüßen in den harmoniſchen 
Apoll zu verwandeln“. Anderſeits mochte ſich Goethe bei der W 


25 


90 


vatyros oder der vergöttert Waldteufel: Einleitung des Herausgebers. 77 


es Namens an Herders Ausführungen in der „Plaſtik“ von 1770 
halten: „Faunen, Satyren ſind an ſich nicht häßliche Mißgeburten, ſie 
ſollten nach der Landesſage Griechenlands das fein, was fie waren, 
> und alſo bildſam“, und an die Rezenſton in den „Frankfurter gelehr⸗ 
s ten Anzeigen“ von 1772, worin Herder die Auslegung des liebetrun⸗ 
Kkenen Aleibiades auf Sokrates' hölzerne Worte „von außen Holz, 
Kapſel, Satyre, von innen Geiſt und Balſam“ nannte. In dieſem 
. Sinne mag er vom „guten Humor“ der Darſtellung reden, wie denn 
jeder, der beim „Satyros“ mit Scherer an Herder denkt, weit von der 
10 Annahme Düntzers entfernt iſt, Goethe habe dann bis zum Ende ſo⸗ 
zuſagen einen „geſchichtlichen, wirklichen Herder“ darſtellen müſſen. 
Vielmehr konnte doch der Dichter gar nicht anders, als die Karika⸗ 
2 tur in ihrer poetiſchen Selbſtändigkeit ſich ausleben und gerade in dem 
verſtärkt aufgetragenen Zuge, den Herder im Leben überwand, erliegen 
15 zu laſſen. Das Bild ſo verſtanden, gilt auch von unſrer Dichtung, was 
nach Goethes bekannter Andeutung von ſeinen Arbeiten „durchaus 
gilt, daß bei beſondern äußeren, oft gewöhnlichen Umſtänden ein All⸗ 
gemeines, Inneres, Höheres dem Dichter vorſchwebte.“ Denn das iſt 
ſelbſtverſtändlich, daß ſich die Nachwelt im allgemeinen nicht an dem 
20 faſt unbarmherzigen Schabernack gegen Herder erbaut, den das Stück 
urſprünglich einem engſten Kreiſe bedeutete, ſondern an dem ausge⸗ 
llaſſen munteren und rückſichtslos wahrhaftigen Bilde eines ſich ſelbſt 
überſchlagenden Naturalismus, wie ihn teils urteilsloſe, teils be⸗ 
xechnende Anhänger Rouſſeaus betrieben, um durch Vergötterung der 
25 Natur auch den eignen Trieb zum gern bedienten Götzen erhöhen zu 
können. Damals wie heute! 
AJJgn dieſem Sinne hat die Dichtung feit ihrer erſten Veröffent⸗ 
lichung im Jahre 1817 das Ergötzen aller vorurteilsloſen Leſer ge⸗ 
bildet, und wir würden es Goethe nicht einmal übelnehmen, wenn er 
90 in ſeinem eignen Urteile, das ſie als „ein Dokument der göttlichen Frech⸗ 
heit unſrer Jugend“ bezeichnet, den Ton auf das ſchmückende Beiwort 
gelegt hätte. 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Erſter Akt. 


Einſiedler. 

hr denkt, ihr Herrn, ich bin allein, 

Weil ich nicht mag in Städten ſein. 
Ihr irrt euch, liebe Herren mein! 
Ich hab' mich nicht hierher begeben, | 
Weil fie in Städten jo ruchlos leben | 5 
Und alle wandeln nach ihrem Trieb, f | 
Der Schmeichler, Heuchler und der Dieb: 
Das hätt' mich immerfort ergetzt, 
Wollten ſie nur nicht ſein hochgeſchätzt; 
Beſtehlen und be — — mich wie die Raben, 10 
Und noch dazu Reverenzen! haben! 
Ihrer langweiligen Narrheit ſatt, 
Bin herausgezogen in Gottes Stadt; 
Wo's freilich auch geht drüber und drunter | 
Und geht desungeacht nicht unter. 15 
Ich ſah im Frühling ohne Zahl 
Blüten und Knoſpen durch Berg und Tal, 
Wie alles drängt und alles treibt, 
Kein Pläcklein? ohne Keimlein bleibt. 
Da denkt nun gleich der ſteif Philiſter: 20 
Das iſt für mich und meine Geſchwiſter. 
Unſer Herrgott iſt ſo gnädig heuer; 
Hätt' ich's doch ſchon in Fach und Scheuer! 
Unſer Herrgott ſpricht: aber mir nit fo; ° 
Es ſollen's ander' auch werden froh. 25 
Da lockt uns denn der Sonnenſchein 
Störch' und Schwalb' aus der Fremd' herein, 


1 Verehrung, Bücklinge. — 2 Fränkiſch, ſo viel wie: Flecklein. 


Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 79 


Den Schmetterling aus ſeinem Haus, 
„ Die Fliegen aus den Ritzen raus 
380 Und brütet das Raupenvölklein aus. 
Daas quillt all von Erzeugungskraft, 
5 Wie ſich's hat aus dem Schlaf gerafft; 
3 Vögel und Fröſch' und Tier' und Mücken 
Begehn! ſich zu allen Augenblicken, 

5 Hinten und vorn, auf Bauch und Rücken, 
Daß man auf jeder Blüt' und Blatt 
Ein Eh⸗ und Wochenbettlein hat. 

9 Und fing’ ich dann im Herzen mein 
Lob Gott mit allen Würmelein. 

40 Das Volk will dann zu eſſen haben, 

5 Verzehren beſcherte Gottesgaben. 

So frißts Würmlein friſch Keimleinblatt, 

Das Würmlein macht das Lerchlein ſatt, 
ee Und weil ich auch bin zu eſſen hier, 
465 Mir das Lerchlein zu Gemüte führ'. 

8 Ich bin dann auch ein häuslich Mann, 
1 Hab' Haus und Stall und Garten dran. 
. Mein Gärtlein, Früchtlein ich beſchütz' 
55 Vor Kält' und Raupen und dürrer Hitz'. 
50 Kommt aber herein der Kieſelſchlag? 
Und furaſchiert? mir an einem Tag, 
So ärgert mich der Streich fürwahr, 
Doch leb' ich noch am End' vom Jahr, 
= Wo mancher Werwolf? iſt ſchon tot 
d Aus Angſten vor der Hungersnot. 


e Tee Ti N REF Ta ,, OT u 


8 2 (Man hört von ferne heulen.) 
* U! Ul Au! Au! Weh! Weh! Mil Ai! 
. Einſiedler. 


1 Welch ein erbärmlich Wehgeſchrei! 
3 Muß eine verwund'te Beſti' ſein. 


1 Begatten ſich. — 2 Rheiniſch, fo viel als: Hagelſchlag. — 3 Verheert. — 
MMenſch in Wolfsgeſtalt, hier nach rheiniſchem Gebrauche fo viel als: der Gierige, 
der Wucherer. 


80 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. Et 


Satyros. 5 
O weh, mein Rücken! o weh! mein Bein 
Einſiedler. ; 
Gut Freund, was iſt Euch Leids gehn? 
Satyros. 


Dumme Frag'! Ihr könnt's ja ſehn. 

Ich bin geſtürzt — entzwei mein Bein! 
Einſiedler. 

Hockt auf! Hier in die Hütte rein. 

(Einſiedler hockt ihn auf, trägt ihn in die Hütte und legt ihn aufs Bett.) 

Einſiedler. 

Halt ſtill, daß ich die Wund' beſeh'! 
Satyros. 

Ihr ſeid ein Flegel! Ihr tut mir weh. 
Einſiedler. 

Ihr ſeid ein Fratz! ſo halt denn ſtill! 

Wie, Teufel, ich Euch da ſchindeln! will? 
(Verbindet ihn.) 

So bleibt nur wenigſtens in Ruh’! 


Satyros. 
Schafft mir Wein und Obſt dazu. 


Einſiedler. 
Milch und Brot, ſonſt nichts auf der Welt. 


Satyros. 
Eure Wirtſchaft iſt ſchlecht beſtellt. 


Einſiedler. 
Des vornehmen Gaſts mich nicht verſah. 
Da koſtet von dem Topfe da. 


Satyros. 
Pfui! was iſt das ein ä Geſchmack 
Und magrer als ein Bettelſack. 
Da droben im G'birg die wilden Ziegen, 
Wenn ich eine bei'n Hörnern tu' kriegen, 


1 Verbinden. 


6 


8 5 Eatyroß oder der vergötterte Waldteufe, 81 


Faß mit dem Maul ihre vollen Zitzen, 
Tu mir mit Macht die Gurgel beſpritzen, 
Das iſt, bei Gott! ein ander Weſen. 


Einſiedler. 

Drum eilt Euch, wieder zu geneſen. 
Satyros. 

Was blaſt Ihr da ſo in die Hand? 
Einſiedler. 

Seid Ihr nicht mit der Kunſt bekannt? 

Ich hauch' die Fingerſpitzen warm. 
Satyros. 

Ihr ſeid doch auch verteufelt arm. 
Einſiedler. 


Nein, Herr! ich bin gewaltig reich 

Meinem eignen Mangel helf' ich gleich. 

Wollt Ihr von Supp' und Kraut nicht was? 
i Satyros. 

Das warm' Geſchlapp, was ſoll mir das? 


5 Einſiedler. 

90 So legt Euch denn einmal zur Ruh', 
Bringt ein paar Stund' mit Schlafen zu. 
Will ſehen, ob ich nicht etwan 
Für Euren Gaum' was finden kann. 

Ende des erſten Akts. 


Zweiter Akt. 


Satyros (erwachen). 
Das iſt eine Hundelagerſtätt'! 
Ein's Miſſetäters Folterbett! 
Aufliegen hab' ich tan mein'n Rücken, 
Und die Unzahl verfluchter Mücken! 
Bin kommen in ein garſtig Loch. 
In meiner re da lebt man doch; 
Goethe. XVIII. 6 


82 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Hat Wein im wohlgeſchnitzten Krug 
Und fette Milch und Käſ' genug. — 
Kann doch wohl wieder den Fuß betreten? — 
Da iſt dem Kerl ſein Platz zu beten. 
Es tut mir in den Augen weh, 
Wenn ich dem Narren ſeinen Herrgott ſeh'. 
Wollt' lieber eine Zwiebel! anbeten, 
Bis mir die Trän' in die Augen träten, 
Als öffnen meines Herzens Schrein 
Ei'm Schnitzbildlein, Querhölzelein. 
Mir geht in der Welt nichts über mich; 
Denn Gott iſt Gott, und ich bin ich. 
Ich denk', ich ſchleiche ſo hinaus; 
Der Teufel hol' den Herrn vom Haus! 
Könnt' ich nicht etwa brauchen was? 
Das? Leinwand nu wär' ſo ein Spaß. 
Die Maidels laufen ſo vor mir; 
Ich denk', ich bind's ſo etwa für. 
Seinen Herrgott will ich runterreißen 
Und draußen in den Gießbach ſchmeißen. 
Ende des zweiten Akts. 


Dritter Akt. 


Satyros. 
Ich bin doch müd'; 's iſt hölliſch ſchwül. 
Der Brunn, der iſt ſo ſchattenkühl. 
Hier hat mir einen Königsthron 
Der Raſen ja bereitet ſchon; 
Und die Lüftelein laden mich all 
Wie loſe Buhlen ohne Zahl. 
Natur iſt rings ſo liebebang; 
Ich will dich letzen mit Flöt' und Sang. 5 
Zwei Mägdlein mit Waſſerkrügen. 


1 Die Agypter hielten dieſe für heilig und ſchwuren bei ihr als einer Gott⸗ 
heit. — 2 Das volkstümliche Neutrum beruht auf Verſchleifung des unbeſtimmten 
Geſchlechtswortes eine zu ein, z. B. bei Aventinus: „hatt' allein ein Niederwat an“. 


100 


105 


110 


115 


125 


1130 


135 


140 


: 145 


Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 


Arfinve, 


Hör’, wie 's daher ſo lieblich ſchallt! 


Es kömmt vom Brunn oder aus'm Wald. 


Pfyche. 
Es iſt kein Knab' von unſrer Flur; 
So ſingen Himmelsgötter nur. 
Komm, laß uns lauſchen! 
Arfinve, 
Mir iſt bang. 


Pſyche. 
Mein Herz, ach! lechzt nach dem Geſang. 
Satyros Ging). 
Dein Leben, Herz, für wen erglüht's? 
Dein Adlerauge, was erſieht's? 
Dir huldigt ringsum die Natur, 
's iſt alles dein; 
Und biſt allein, 
Biſt elend nur! 
Arfinve. 


Der ſingt wahrhaftig gar zu ſchön! 


. Pſyche. 
Mir will das Herz in meiner Bruſt vergehn. 


Satyros (ſngb. 


Haſt Melodie vom Himmel geführt 


Und Fels und Wald und Fluß gerührt; 
Und wonnlicher war dein Lied der Flur 
Als Sonnenſchein; 
Und biſt allein, 
Biſt elend nur! 

Pfyche. 


Welch göttlich hohes Angeſicht! 
Arſinoe. 
Siehſt denn ſeine langen Ohren nicht? 
ni Pfpche. 
Wie glühend ſtark umher er ſchaut! 
6 * 


83 


Softnadtsfpiele und Verwandtes. 9 


Arſinbe. Er; 
Möcht' drum nicht ſein des Wunders Braut 


Satyros. 
O Mädchen Hold, der Erde Zier! 
Ich bitt' euch, fliehet nicht vor mir. 


Pſyche. 


Wie kommſt du an den Brunnen hier? 


Satyros. 
Woher ich komm', kann ich nicht ſagen, 
Wohin ich geh', müßt ihr nicht fragen. 
Gebenedeit ſind mir die Stunden, 
Da ich dich, liebes Paar! gefunden. 
| Pfyche. 
O lieber Fremdling! ſag' uns recht, 
Welch iſt dein Nam' und dein Geſchlecht? 
Satyros. 
Meine Mutter hab' ich nie gekannt, 
Hat niemand mir mein'n Vater genannt. 
Im fernen Land hoch Berg und Wald 
Iſt mein beliebter Aufenthalt. 


Hab' weit und breit meinen Weg genommen. 


Pſyche. 

Sollt' er wohl gar vom Himmel kommen? 
Arfinve, 

Von was, o Fremdling, lebſt du dann? 
Satyros. 


Vom Leben, wie ein andrer Mann. 

Mein iſt die ganze weite Welt, 

Ich wohne, wo mir's wohlgefällt. 

Ich herrſch' übers Wild und Vögelheer, 
Frücht' auf der Erden und Fiſch' im Meer. 
Auch iſt auf'm ganzen Erdenſtrich 

Kein Menſch jo weil’ und klug als ich. 

Ich kenn' die Kräuter ohne Zahl, 

Der Sterne Namen allzumal, 


15 


168 


1060 


Und me mein ee der A, ins Blut 
Wie Weines Geiſt und Sonnen Glut. 


5 Pſyche. 
Ach Gott! ich weiß, wie's einem tut. 


l Arſinve. 
| Hör', das wär' meines Vaters Mann. 


Ju freilich! Finde. 
Satyros. 
Wer iſt dein Vater dann? 


Arſinve. 

Er iſt der Prieſter und Alteſt' im Land, 
Hat viele Bücher und viel Verſtand, 
Verſteht ſich auch auf Kräuter und Sternen; 
Ihr e ihn wahrhaftig kennen lernen. 


uche. 


5 Pf 
* lauf und bring' ihn geſchwind 1 
5 (Arfinoe ab.) 


Satyros. 

So ſind wir denn allein und frei. 
O Engelskind! Dein himmliſch Bild 
Hat meine Seel' mit Wonn' erfüllt. 


Pöſyche. 
O Gott! fee ich dich geſehn, 
Kann kaum auf meinen Füßen ſtehn. 


Satyros. 
Von dir glänzt Tugend⸗ Wahrheits⸗Licht 
Wie aus eines Engels Angeſicht. 


Pſyche. 

Ich bin ein armes Mägdelein, 

Dem du, Herr! wolleſt gnädig ſein. 
(Er umfaßt ſie.) 

Satyros. 

Hab' alles Glück der Welt im Arm 
So Liebe⸗Himmels⸗Wonne⸗ warm! 


86 


Und einen lächerlich krauſen Bart. 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


P ſpyche. 
Dies Herz mir ſchon viel Weh bereit't; 
Nun aber ſtirbt's in Seligkeit. 


Satyros. 
Du haſt nie gewußt, wo mit hin? | 200 
Pfyche. 
Nie, — als ſeitdem ich bei dir bin. 
Satyros. 


Es war ſo ahnungsvoll und ſchwer, 
Dann wieder ängſtlich, arm und leer; 
Es trieb dich oft in Wald hinaus, 


Dort Bangigkeit zu atmen aus; 205 


Und wolluſtvolle Tränen floſſen, 
Und heil'ge Schmerzen ſich ergoſſen, 
Und um dich Himmel und Erd' verging? 


Pſyche. 
O Herr! du weißeſt alle Ding'. 
Und aller Seligkeit Wahntraumbild 210 
Fühl' ich erbebend voll erfüllt. 
(Er küßt ſie mächtig.) 
Pſyche. 
Laßt ab! — mich ſchaudert's — Wonn' und Weh — 
O Gott im Himmel! ich vergeh' — 
Hermes und Arfinve kommen. 
Hermes. 
Willkommen, Fremdling, in unſerm Land! 


Satyros. 
Ihr tragt ein verflucht weites Gewand. ae. 


Hermes, 
Das iſt nun jo die Landesart. 


Satyros. 


Arfinve (leife zu Pſyche). 
Dem Fratzen da iſt gar nichts recht. 


220 


225 


230 


Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 


Pfyche. 

O Kind! er iſt von ein'm Göttergejchlecht. 
Hermes. 

Ihr ſcheint mir auch ſo wunderbar. 


| Satyros. 
Siehſt an mein ungekämmtes Haar, 

Meine nackten Schultern, Bruſt und Lenden, 
Meine langen Nägel an den Händen; 

Da ekelt dir's vielleicht dafür? 


Hermes. 
Pſyche. 
Mir auch nicht. 


Arfinve (fur ſich. 
Aber mir! 


Mir nicht! 


Satyros. 


| Ich wollt' ſonſt ſchnell von hinnen eilen 


Und in dem Wald mit den Wölfen heulen, 

Wenn ihr euer unſelig Geſchick 

Wolltet wähnen für Gut und Glück, 

Eure Kleider, die euch beſchimpfen, 

Mir als Vorzug entgegen rümpfen.! 
Hermes. 

Herr! es iſt eine Notwendigkeit. 
Pſyche. 

O, wie beſchwert mich ſchon mein Kleid! 
Satyros. i 

Was Not! Gewohnheitspoſſe nur, 

Fernt euch von Wahrheit und Natur, 

Drin doch alleine Seligkeit 

Beſteht und Lebens-Liebens⸗Freud'; 

Seid all zur Sklaverei verdammt, 


Nichts Ganzes habt ihr allzuſamt! 
(Es drängt ſich allerlei Volk zuſammen.) 


1 über meine Nacktheit die Naſe rümpfend mir entgegen halten. 


87 


88 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Einer aus dem Volk. S2 
Wer mag der mächtig' Redner ſein? „ 


Ein andrer. 
Einem dringt das Wort durch Mark und Bein. 


Satyros. n 
Habt eures Urſprungs vergeſſen, e 
Euch zu Sklaven verſeſſen, Fe 
Euch in Häuſer gemauert, ö 
Euch in Sitten vertrauert, 25 
Kennt die goldnen Zeiten Bean 
Nur aus Märchen, von weiten. 


Weh uns! Weh! ei 1 
Satyros. 

Da eure Väter neugeboren 

Vom Boden aufſprangen, 25⁰ 

In Wonnetaumel verloren 

Willkommelied ſangen 

An mitgeborner Gattin Bruſt 

Der rings aufkeimenden Natur, 25 

Ohne Neid gen Himmel blickten, 255 

Sich zu Göttern entzückten. 

Und ihr — wo iſt ſie hin, die Luſt 

An ſich ſelbſt? Siechlinge, verbannet nur!! 


Das Volk. 
Weh! Weh! . 
Satyros. 
Selig, wer fühlen kann, 260 


Was ſei: Gott ſein! Mann! 
Seinem Buſen vertraut,? 
Entäußert bis auf die Haut 
Sich alles fremden Schmucks 
Und nun, ledig des Drucks 


1 Nur einſtweilen (ift fie) verbannt. Satyros will fie wieder zurückführen. — 
2 Iſt ſich ſelbſt genug. 


en ober ber nee Brote, a Der: 89 


Be 


0 e Kleinigkeiten, frei 
Wie Wolken, fühlt, was Leben ſei! 
Stehn auf ſeinen Füßen, 
Der Erde genießen, 
Nicht kränklich erwählen, 
Mit Bereiten ſich quälen; 
Der Baum wird zum Zelte, 
Zum Teppich das Gras 
Und rohe Kaſtanien 
Ein herrlicher Fraß! 
Das Volk. 
Rohe Kaſtanien! O hätten wir's! ſchon! 
Satyros. 
Was hält euch zurücke 
Vom himmliſchen Glücke? 
Was hält euch davon? 
Das Volk. 
Rohe Kaſtanien! Jupiters Sohn! 
a Satyros. 
Folgt mir, ihr werten 
Herren der Erden. 
Alle geſellt! 
Das Volk. 


a Kaſtanien! Unſer die Welt! 
Ende des dritten Akts. 


Vierter Akt. 
Im Wald. 
Satyros, Hermes, Pſyche, Arfinne, das Volk ſitzen in einem Kreise alle 
gekauert wie die Eichhörnchen, haben Kaſtanien in den Händen und nagen daran. 
Hermes (ür fig). 
Sackerment! ich habe ſchon 
Von der neuen Religion 
Eine verfluchte Indigeſtion!? 


1 D. h. ein ſolches Leben (V. 267).— 2 Ver dauungsſchwäche. 


— 


90 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Satyros. 
Und bereitet zu dem tiefen Gang 
Aller Erkenntnis, horchet meinem Geſang! 
Vernehmet, wie im Unding 
Alles durcheinander ging; 
Im verſchloßnen Haß die Elemente toſend 
Und Kraft an Kräften widrig ſich ſtoßend, 
Ohne Feinds-Band, ohne Freunds-Band, 
Ohne Zerſtören, ohne Vermehren. 


Das Volk. 
Lehr' uns, wir hören! 


Satyros. 

Wie im Unding das Urding erquoll, 
Lichtsmacht durch die Nacht ſcholl, 
Durchdrang die Tiefen der Weſen all, 
Daß aufkeimte Begehrungsſchwall 
Und die Elemente ſich erſchloſſen, 
Mit Hunger ineinander ergoſſen, 
Alldurchdringend, alldurchdrungen. 


Hermes. 
Des Mannes Geiſt iſt von Göttern entſprungen. 


Satyros. 
Wie ſich Haß und Lieb' gebar 
Und das All nun ein Ganzes war 
Und das Ganze klang 
In lebend wirkendem Ebengeſangl, 
Sich täte? Kraft in Kraft verzehren, 
Sich täte Kraft in Kraft vermehren 
Und auf und ab ſich rollend ging 
Das all und ein' und ewig' Ding, 
Immer verändert, immer beſtändig! 


Das Volk. 
Er iſt ein Gott! 


ı Harmoniſcher, gleichmäßiger Geſang. — 2 Indikativ, fo viel wie: tat. 


290 


295 


300 


805 


310 


320 


825 


330 


335 


Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 


Hermes. 
Wie wird die Seele lebendig 
Vom Feuer ſeiner Rede! 


U 6 
„ 
| Piyde. 
Heiliger Prophete, 


Gottheit! an deinen Worten, an deinen Blicken 
Ich ſterbe vor Entzücken! 
Das Volk. 
Sinket nieder! En 
Betet an! 


Sei uns gnädig! 
Ein andrer. 


Einer. 


Wundertätig 
Und herrlich! 
Das Volk. 
Nimm dies Opfer an! 
Einer. 
Die Finſternis iſt vergangen. 
Das Volk. 
Nimm dies Opfer an! 
Einer. 
Der Tag bricht herein. 
Das Volk. 


Wir ſind dein! 
Gott, dein! ganz dein! 
Der Einſiedler kommt durch den Wald gerade auf den Satyros zu. 
Einſiedler. 
Ah, ſaubrer Gaſt! find' ich dich hier, 
Du ungezogen ſchändlich Tier! 
Satyros. 
Mit wem ſprichſt du? 
Einſiedler. 
Mit dir! 
Wer hat beſtohlen mich undankbar? 


91 


92 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Meines Gottes Bild geraubet gar? 
Du hinkender Teufel! 


Das Volk. 
Höllenſpott! 
Er läſtert unſern herrlichen Gott! 2 
Einſiedler. . a 
. Du wirft von keiner Schande rot. 1 
Das Volk. Er 
Der Läſtrer hat verdient den Tod. 340 
Steinigt ihn! 
8 Satyros 


Haltet ein! 
Ich will nicht dabei zugegen ſein. 
Das Volk. 
Sein unrein Blut, du himmliſch Licht! 
Fließ' fern von deinem Angeſicht. 


Satyros. 
Ich gehe. b 
Das Volk. 
Doch verlaß uns nicht! 345 
(Satyros ab.) 


Einſiedler. 


Hermes. 
Unſeliger, kein Wort! 
Bringt ihn an einen ſichern Ort! 
Geht, verſchließt ihn in meine Wohnung. 


(Sie führen den Einſiedler ab.) 


e en 

g Hermes. 
Er verdient keine Schonung. 
Und zu verſühnen! den himmliſchen Geiſt, 
Der uns ſich ſo gnädig und liebreich erweiſt, 


Seid ihr toll? 


1 Verſöhnen; ältere, durch das bayriſch⸗öſterreichiſche (ver)ſöhnen ver⸗ 
drängte Form. 


Wollen wir ihm Tale Tempel weihn 
Und mit dem blutigen Opfer erfreun. 


Das Volk. 


Hermes. 
Zur Gottheit Füßen 
Den Frevel zu büßen. 


Das Volk. 


Wohl! Wohl! 


Das Verbrechen 

Zu rächen, 

Zu tilgen den Spott. 
€ Alle, 

Zernichtet die Läſtrer, 


Verherrlichet Gott! 
Ende des vierten Akts. 


Fünfter Akt, 
Wohnung des Hermes. 
Eudora, Hermes' Frau. Der Einſiedler. 


Eudora. 


Nimm, guter Mann! dies Brot und Milch von 1 | 


Es iſt das letzte. 
Einſiedler. 
Weib! ich danke dir. 
Und weine nicht; laß mich in Ruhe ſcheiden; 
Dies Herz iſt wohl gewöhnt zu leiden, 
Allein zu leiden männiglich. 
Dein Mitleid überwältigt mich. 
Eudora. 
Ich bin betrübt, wie Blutdurſt meinen Mann, 
Das ganze Volk der Schwindel faſſen kann! 
Einſiedler. 
Sie glauben. Laß fie! Du wirſt nichts gewinnen. 
Das Schickſal ſpielt * 
Mit unſerm armen Kopf und Sinnen. 


. Satoros ober ber gest Marken. 5 9 


94 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Eudora. 
Dich um des Tiers willen töten! 


Einſiedler. 
Tiers! Wer ſein Herz bedürftig fühlt, 
Find't überall einen Propheten. 2 „„ 
Ich bin der erſte Märtyrer nicht, 7 
Aber gewiß der harmloſen einer; 
Um keiner Meinungen, keiner 
Willkürlichen Grillen, 
Um eines armen Lappens willen, 380 
Eines Lappens, bei Gott! den ich brauchte. 
Mein Andachtsbild, den Schutzgott meiner Ruh', 
Raubt mir das Ungeheu'r dazu. 


Eudora. 
O Freund! ich kenn' ſein Götterblut wie du. 2 
Mein Mann ward Knecht in feiner eignen Wohnung, 385 
Und Ihro borſt'ge Majeſtät ſah zur Belohnung 
Mich Hausfrau für einen arkadiſchen! Schwan, 
Mein Ehbett für einen Raſen an, 
Sich drauf zu tummeln. 


Einſiedler. 
Ich erkenn' ihn dran. 
Eudora. 
Ich ſchickt' ihn mit Verachtung weg. Er hing 390 


Sich feſter an Pſyche, das arme Ding, 

Um mir zu trotzen! Und ſeit der Zeit 

Sterb' ich oder ſeh' dich befreit.? 
Einſiedler. 

Sie bereiten das Opfer heut. 


Eudora. 
Die Gefahr lehrt uns bereit ſein. 395 
Ich gebe nichts verloren; 


1 Die Arkadier hielten ſich für älter als den Mond und ihr Land für die 
Stätte des älteſten ungetrübten Naturglüdes? Der Schwan gilt als ein Vogel der 
Liebe ſeit der Sage von Leda bis auf Böcklins „Inſel der Seligen“. — 2 Kurz 
ſtatt: Ich bin entſchloſſen, lieber zu ſterben, als dich nicht zu befreien. 


€ 


Satyros oder der vergötterte Waldteufel. 95 


Mit einem Blick lenk ich ein 
Bei dem kühnen eingebild'ten Toren. 
Einſiedler. 


Eudora. 
Wann ſie dich zum Opfer führen, 
Lock' ich ihn an, ſich zu verlieren 
In die innern heiligen Hallen, 
Aus Großmut⸗Sanftmut⸗Schein. 
Da dring' auf das Volk ein, 
Uns zu überfallen. 


Ich fürchte 


Und dann? 


Einſiedler. 


Eudora. 
Fürchte nicht! 
Einer, der um ſein Leben ſpricht, 
Hat Gewalt. Ich wage, und du ſollſt reden. (ub. 


Einſiedler. 
Geht's nicht, ſo mögen ſie mich töten. 
Der Tempel. 
\ Satyros ſitzt ernſt wild auf dem Altar. Das Volk vor ihm auf den Knien. 
a Pſyche an ihrer Spitze. 
Das Volk. Chorus. 
Geiſt des Himmels, Sohn der Götter, 
#10 Zürne nicht! 
Frevlern deiner Stirne Wetter, 
Uns ein gnädig Angeſicht! 
Hat der Läſtrer das verbrochen, 
| Sieh herab, du wirſt gerochen! 
45 Schrecklich nahet ſein Gericht. 


Hermes. 
(Ihm folgt ein Trupp, den Einſiedler gebunden führend.) 


Das Volk. 
Höll und Tod dem Übertreter! 
Geiſt des Himmels, Sohn der Götter, 
Zürne deinen Kindern nicht! 


Faftnatsfpiele und Verwandtes. 


Satyros (gerabfteigend). 
Ich hab' ihm ſeine Miſſetat verziehn! 
Der Gerechtigkeit überlaß ich ihn. 
Mögt den Toren ſchlachten, befrein! 
Ich will nicht dawider ſein. 


O Edelmut! ee eh 
Es fließe ſein Blut! 

Satyros. 
Ich geh' ins Heiligtum hinein; 
Und keiner ſoll ſich unterſtehn, 
Bei Lebensſtraf', mir nachzugehn! 


Einſiedler Gür fig). 
Weh mir! Ihr Götter, wollet bei mir jtehn! 
(Satyros ab.) 
Einſiedler. 
Mein Leben iſt in euren Händen, 
Ich bin nicht unbereitet, es zu enden. 
Ich habe ſchon ſeit manchen langen Tagen 
Nicht genoſſen, nur das Leben ſo ausgetragen. 
Es mag! Mich hält der tränenvolle Blick 
Des Freundes, eines lieben Weibes Not 
Und unverſorgter Kinder Elend nicht zurück. 
Mein Haus verſinkt nach meinem Tod, 
Das dem Bedürfnis meines Lebens 
Allein gebaut war. Doch das ſchmerzt mich nur, 
Daß ich die tiefe Kenntnis der Natur 
Mit Müh' geforſcht und leider! nun vergebens; 
Daß hohe Menſchenwiſſenſchaft, 
Manche geheimnisvolle Kraft 
Mit dieſem Geiſt der Erd' entſchwinden ſoll. 


Einer des Volks. 
Ich kenn' ihn; er iſt der Künſte voll. 
Ein andrer. 
Was Künſte! Unſer Gott weiß das all. 


s 


420 
s 


40 


ee Sees ober ber bebe weber. x 


Ein Dritter. 
Er Obe er r fie 12 das iſt ein andrer Fall. 
Einſiedler. 
Ihr ſeid über hundert. Wenn's zwei⸗, dreihundert wären, 
Ich wollte jedem ſein eigen Kunſtſtück lehren, 
Einem jeden eins, 
Denn was alle willen, iſt keins. 
Das Volk. 
Er will uns beſchwätzen. Fort! Fort! 


Einſiedler. 


Noch ein Wort! 
So erlaube, daß ich dir 
Ein Geheimnis eröffne, das für und für 
es glücklich machen ſoll. 
Hermes. 
Und wie ſoll's heißen? 
8 Einſiedler deiſe). 
Nichts weniger als den Stein der Weiſen. 
Komm von der Menge 
Nur einen Schritt in dieſe Gänge. 
(Sie wollen gehn.) 
Das Volk. 
Verwegner, keinen Schritt! 


0 Binde. 
Ins Heiligtum! Und Hermes, du gehſt mit? 
Vergiſſeſt des Gottes Gebot? 

Volk. 


Auf! Auf! des Frevlers Blut und Tod. 
eie reißen den Einſiedler zum Altare. Einer dringt dem Hermes das Meſſer auf.) 


Hülfe! Hülfe Eudora dnwendig'. 
ülfe! Hülfe! 


Das Volk. 
Welche Stimme? 


Hermes. 
Das iſt mein Weib! 


Goethe. XVIII. 7 


98 Faſtnachtsſplele und Verwandtes. 


Einſiedler. 
Gebietet eurem Grimme 
Einen Augenblick! 
a Eudora (inwendig). 
Hülfe, Hermes! Hülfe! 
Hermes. 
Mein Weib! Götter, mein Weib! 40 
(Er ſtößt die Türen des Heiligtums auf. Man ſieht Eudora, ſich gegen des Satyros i 
Umarmungen verteidigend.) 
Hermes. 
Es iſt nicht möglich! 
(Satyros läßt Eudoren los.) 
Eudora. 
Da ſeht ihr euren Gott! 


Volk. 
Ein Tier! ein Tier! 
Satyros. 
Von euch Schurken keinen Spott! | 
Ich tät! euch Eſeln eine Ehr' an, 475 
Wie mein Vater Jupiter vor mir getan?; 
Wollt' eure dummen Köpf' belehren 
Und euren Weibern die Mücken? wehren, 
Die ihr nicht gedenkt ihnen zu vertreiben; 
So mögt ihr denn im Dreck bekleiben“. 480 
Ich zieh’ meine Hand von euch ab, 5 
Laſſe zu edlern Sterblichen mich herab. 
Hermes. 
Geh! wir begehren deiner nit. 
(Satyros ab.) 
Einſiedler. 
Es geht doch wohl eine Jungfrau mit. 


1 Indikativ, fo viel wie: tat, vgl. V. 309. — 2 Indem er Heroinen, wie 
Leda, Jo, Semele, in Liebe nahte. — 3 Muden, Grillen. — “ Stecken bleiben. 


oa 


10 


2 


15 


Vrolog zu den 


neuſten Offenbarungen Goktes, 


1 durch Dr. Carl Friedrich Bahrdt. 
Gießen 1774. 


Einleitung des Herausgebers. 


ür das tiefinnerliche Verhältnis, das Goethe von Jugend auf zur 
Bibel und ſeit der Rückkehr aus der Muſenſtadt an der Pleiße 

auch wieder zur Religion hatte, nicht das letzte Zeugnis iſt der „Prolog 
zu den neuſten Offenbarungen Gottes, verdeutſcht durch Dr. Carl 
Friedrich Bahrdt“. Bahrdt, ein glänzend beanlagter, aber unſteter und 
wenig gediegener theologiſcher Freigeiſt, der ſich durch anſtößiges Leben, 
leichtfertige und neuerungsſüchtige Behandlung der Glaubenslehren 
und maßloſe Ausfälle gegen die Vertreter der anerkannten Lehre ſchon 
in Leipzig, Halle und Erfurt unmöglich gemacht hatte, veröffentlichte in 
ſeiner neuen Stellung zu Gießen, wo ihm der weitherzige Johann 
Samuel Semler Kanzel und Lehrſtuhl wieder zugänglich gemacht hatte, 
1773 und 1774 „Die neuſten Offenbarungen Gottes in Briefen und 
Erzählungen, verdeutſcht durch D. Carl Friedrich Bahrdt, der Theo⸗ 
logie ordentlichen Lehrer, des Conſiſtorii Aſſeſſor, Definitor und Pre⸗ 
diger an der St. Pankratiuskirche zu Gießen“, von deren vier Teilen 
der erſte Matthäus, Markus und Johannes, der zweite Lukas und 
die Apoſtelgeſchichte enthält. Goethes Verehrung der Bibel war durch 
Herders Einführung in eine rein geſchichtlich⸗poetiſche Auffaſſung des 
Alten Teſtaments nur noch geſteigert worden, und auch ſein religiöſer 
Standpunkt war längſt nicht mehr der verſtandesmäßige, vor dem die 
Lehren der Jugend ſchon dem Sechsjährigen angeſichts des Erdbebens 
von Liſſabon nicht ſtandgehalten hatten; ſondern durch den Einfluß 
Herders und vollends der herrnhutiſch⸗pietiſtiſchen Freundin und Ver⸗ 


7 * 


2 100 Er erregen er Bermanbten.. 


wandten der Mutter, Sie von Klettenberg, wie durch die Lektüre 
Rouſſeaus war er zur Forderung und Pflege eines Chriſtentums lieb⸗ 1 
reicher Duldſamkeit vorgeſchritten, zu einer Religion, die „einfach und 
warm ſein muß“, d. h. auf das Gefühl gegründet. Als er ein ſolches 
Chriſtentum in dem „Brief des Paſtors zu *** an den neuen Paſtor 5 
zu er, verkündigt hatte, war im Herbſt ſogar der zarte Zürichen 
Jeſusprediger Lavater zu ihm gepilgert, weil „ſeine Seele dare von N 
einem Dr. jur. Theologie zu lernen“. UN 
Es läßt ſich denken, wie abſtoßend auf den damals der frömmften 
Begeiſterung fähigen Dichter die Überhebung und Nüchternheit wirken 10 
mußte, die aus Bahrdts Veröffentlichungen ſprach; nennt er es doch 
in jenem „Brief des Paſtors u. ſ. w.“ „immer lächerlich“, auch nur 
ſolche Aufſchlüſſe vor die Gemeinde zu bringen, wie er fie von Herder 
gehört hatte, z. B. über das poetiſch Bildliche in dem Befehl an die 8 
Sonne, ſtillzuſtehen im Tale Gideon. Schon 1772 in den „Frank⸗ 15 + 
furter gelehrten Anzeigen“ hatte er deshalb in einer Beurteilung von 
Bahrdts Schrift „Eden, das iſt: Betrachtungen über das Paradies“ 
gebührend „die ekelhafte Dreiſtigkeit“ abgefertigt, mit der ein ſolcher 
Skribent „heilige, den Brüdern teure Bilder und Begriffe“ allegoriſch $ 
verflüchtige. Gegenüber der gleichen Verwäſſerung der Evangelien 0 
und Apoſtelbriefe griff er zu der wirkſameren Waffe, die er in den 
Jahren 1773 und 1774 am ſchneidigſten ſchwang, der dramatiſchen 
Satire. Und wahrlich, greller konnte die moderniſierende Seichtigkeit 
und Oberflächlichkeit, die in Bahrdts „Neuſten Offenbarungen Gottes? 
den neuen Reformator ſpielte, nicht beleuchtet werden als durch dieſen 25 
Goethiſchen Prolog dazu, wonach ſie lediglich niedrige Rache dafür 
ſind, daß ſich die ſchlicht gewaltigen, urwüchſig tiefen Evangeliſten 
nicht auf den Ton eines Bahrdtſchen Kaffeeklatſches im Gießener Pro⸗ 
feſſorengarten herabſtimmen ließen. 8 
Es gehörte denn auch die Griesgrämigkeit des alten Bodmer dazu, 
in der Farce „die vier Evangeliſten mehr als Bahrdt perſifliert, 
proſtituiert“ zu finden. Ein anderer, der ſelbſt ein gut Teil Bahrdtſchen 
Geiſtes hatte, bezeugt durch ſeine rückhaltloſe Freude daran gerade des⸗ 
halb um fo beſſer die Unmittelbarkeit ihrer Wirkung. Es iſt das Ber⸗ 
liner Haupt der Aufklärung, Nicolai. An ihn ſchrieb am 14. März s 
1774 der Gießener Profeſſor Höpfner: „Haben Sie den Prolog zu den 1 
neueſten Offenbarungen Gottes, überſetzt durch. Bahrdt, ſchon geleſen? 


Nach Goethes ſpäterm Bericht in „Dichtung und Wahrheit“ hat er ihn 
b wirklich verſtanden. 


er die Frau Profeſſorin tritt auf im Putz, den Mantel umwerfend. Bahrdt ſigt 
5 am Pult, ganz angezogen, und ſchreibt. 


Frau Bahrdt. 
o komm denn, Kind, die Geſellſchaft im Garten 
Wird gewiß auf uns mit dem Kaffee warten. 


Bahrdt. 


Da kam mir ein Einfall von ungefähr: 
(Sein geſchrieben Blatt anſehend.) 


5 So redt ich, wenn ich Chriſtus wär'. 
ö | Frau Bahrdt. 
Was kommt ein Getrappel die Trepp' herauf? 


Bahrdt. 
's iſt ä ärger als ein Studentenhauf'. 
Das iſt ein Beſuch auf allen vieren. 


Frau Bahrdt. 


Gott behüt'! 's iſt der Tritt von Tieren. 


= Die vier Evangeliſten mit ihrem Gefolge treten herein. Die Frau Doktorin tut 
u einen Schrei. Matthäus mit dem Engel. Markus, begleitet vom Löwen, Lukas 
5 vom Ochſen. Johannes, über ihm der Adler.! 


Matthäus. 

Wir hören, du biſt ein Biedermann 

Und nimmſt dich unſers Herren an: 

Uns wird die Chriſtenheit zu enge, 

Wir ſind jetzt überall im Gedränge. 
Bahrdt. 

Willkomm'n, ihr Herrn! Doch tut mir's leid, 


d 1 Die vier die Evangelisten begleitenden Geſtalten, Engel (urſprünglich: ge⸗ 
fltügelter Menſch), Löwe, Ochs (Kalb) und Adler, ſind die ſchon von der altchriſt⸗ 
lichen Kunſt erfundenen Symbole der Evangeliſten, die auf Ezechiel, Kap. 1, V. 5, 
und 1 Johannis, Kap. 4, V. 6, beruhen. 


102 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. N 


Ihr kommt zur ungelegnen Zeit, 
Muß eben in Geſellſchaft 'nein. 


Johannes. 
Das werden Kinder Gottes ſein: 
Wir wollen uns mit dir ergetzen. 


Bahrdt. 
Die Leute würden ſich entſetzen: 
Sie ſind nicht gewohnt ſolche Bärte breit 
Und Röcke ſo lang und Falten ſo weit; 
Und eure Beſtien, muß ich ſagen, 
Würde jeder andre zur Tür 'naus jagen. 


Matthäus. 
Das galt doch alles auf der Welt, 
Seitdem uns unſer Herr beſtellt. 


Bahrdt. 
Das kann mir weiter nichts bedeuten: 
G'nug, ſo nehm' ich euch nicht zu Leuten. 


Markus. 
Und wie und was verlangſt denn du? 


Bahrdt. 
Daß ich's euch kürzlich ſagen tu': 
Es iſt mit eurer Schriften Art, 
Mit euern Falten und euerm Bart 
Wie mit den alten Talern ſchwer, 
Das Silber fein geprobet ſehr, 
Und gelten dennoch jetzt nicht mehr; 
Ein kluger Fürſt, der münzt ſie ein 
Und tut ein tüchtigs Kupfer drein; 
Da mag's denn wieder fort kurſieren! 
So müßt ihr auch, wollt ihr roulieren 
Und in Geſellſchaft euch produzieren, 
So müßt ihr werden wie unſereiner, 


Geputzt, geſtutzt, glatt, — 's gilt ſonſt keiner. 


20 
42 
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50 


eis zu 155 neuften 1 Gottes. 


| En ſeidnen Mantel und Kräglein flink, 


Das iſt doch gar ein ander Ding! 
Lukas der Maler. 


Möcht' mich in dem Koſtüme jehn!- 


Bahrdt. 
Da braucht ihr gar nicht weit zu gehn, 
Hab' juſt noch einen ganzen Ornat. 
Der Engel Matthäi. 
Das wär' mir ein Evangeliſtenſtaat! 
Kommt — 


Matthäus. 
Johannes iſt ſchon weggeſchlichen 
Und Bruder Markus mit entwichen. 
(Des Lukas Ochs kommt Bahrdten zu nah, er tritt nach ihm.) 
Bahrdt. 
Schafft ab zuerſt das garſtig' Tier! 
Nehm' ich doch kaum ein Hündlein mit mir. 
Lukas. 


Mögen gar nichts weiter verkehren mit dir. 
(Die Evangeliſten mit ihrem Gefolge ab.) 


Frau Bahrdt. 
Die Kerls nehmen keine Lebensart an. 


Bahrdt. 
Komm, s ſollen ihre Schriften dran. 


1 So viel als: leicht, elegant. 


103 


Künſtlers Erdewallen, Apotheoſe 
und Vergötterung. 


Einleitung des Herausgebers. 


13 Goethe Mitte Juli 1774 mit Lavater und Baſedow in Ems zu 
gemeinſamer Rheinfahrt zuſammengetroffen war, kam er mitten 
auf dem Rhein gegenüber Neuwied der Aufforderung zu einer Dar⸗ 
bietung aus dem Born ſeiner Dichtung nach, indem er „Künſtlers Erde⸗ 
wallen“ und „Künſtlers Vergötterung“ vortrug. Zur Erinnerung daran 
hat er denn auch für die Niederſchrift der Dichtung in ein Album, deſſen 
Blätter in ſeiner eigenhändigen Ausfüllung erhalten ſind, die Tage des 
17. und 18. Juli eingetragen, wohlgemerkt: für dieſe Niederſchrift. 
Entſtanden ſcheint die Dichtung dagegen ſchon Anfang Herbſt 1773; 
denn nach Max Morris' Nachweis iſtſie ſchon am 17. Oktober dieſes Jahres 
zu einer Familienfeſtlichkeit in Gießen aufgeführt worden, und Betty Ja⸗ 
cobi bedankt ſich — offenbar mit Beziehung auf „Künſtlers Erdewallen“, 
V. 916 — ſchon unterm 6. November 1773 für ein geſchenktes Drama, 
worin ihr die Venus⸗Rolle beſonderes Vergnügen gemacht habe. 
Naturaliſtiſche Bühnenbilder in der Form jener Zeit unbändiger 
Dramatiſierungsluſt, find beide Dichtungen humorvolle Selbſtzeugniſſe 
über eigenes Mühen und Leiden des Dichters geworden. Goethe war da⸗ 


— 


0 


15 


mals innig beflifjen, was er erlebte und ſah, auch mit Stift und Pinſel zu 


packen, aber während er ſelber mit einer Leidenſchaft, die auch „paſſtonier⸗ 
ten Liebhabern faſt wie Wahnſinn erſcheinen mußte“, um wirkliches Ver⸗ 
ſtändnis der alten Meiſter, um „die Natur in der Kunſt“ ſich abmühte, 
fand er „das gaffende Publikum“ ohne Luſt und Fähigkeit, „ſich Rechen⸗ 
ſchaft zu geben, warum es gaffte oder nicht“. Schon wußte er auch aus 
eigner literariſcher Erfahrung, daß der Künſtler von „der dumpfen Sin⸗ 
nesart des Publikums nicht verlangen kann, daß es ein geiſtiges Werk 
geiſtig aufnehme“, und ſelbſt das wenigſtens ſtoffliche Intereſſe der Maſſe 
am „Götz“ hatte ihn mit deſſen Selbſtverlag nicht vor Schulden bewahrt, 
weil den klingenden Lohn ein ſpitzbübiſcher Nachdrucker einſtrich. 


Was war natürlicher, als daß er den liebenswürdigen, für das 


Anforderungen verſtändnisloſer Beſteller leiden ließ und ihn ſtatt des 
Lohnes auf den ewigen Nachruhm vertröſtete? Die „Vergötterung“, 
die ſeine Anerkennung durch die gerechte Nachwelt darſtellen ſollte, iſt 
nicht über dürftige fünfundzwanzig Eingangsverſe hinausgediehen, 
und wir müſſen uns begnügen, ihren mutmaßlichen Gedankengehalt 
den gleichzeitigen Gedichten „Künſtlers Morgenlied“, „Künſtlers Abend⸗ 
lied“, „Kenner und Enthuſiaſt“, „Monolog des Liebhabers“, „Guter 
5 Rat“, „Sendſchreiben“ und „Kenner und Künſtler“ zu entnehmen, 
10 von denen das letzte geradezu ein Skizzenblatt des unvollendeten Dramas 
ſein mag. Kunſtgenuß wie Kunſtübung müſſen, um echt zu ſein, der 
Begeiſterung des Herzens, dem ſinnenfreudigen Naturgefühl entquellen, 
iſt ihr gemeinſamer Grundgedanke. Das ſtarke Gefühl für die Größe 
des verſtorbenen Künſtlers, mit dem der Schüler deſſen „heiliges Bild“ 
3. 15 nachſchaffen möchte, wäre es gewiß auch geweſen, warum der Schüler 
en zum Schluß ähnlich wie in der ſpäteren „Apotheoſe“ der fördernden 
HBiuld der Muſe empfohlen worden wäre. 

AS Indes mag ſchon die Reife, auf der feine Fahrtgenoſſen die Skizze 
der „Vergötterung“ vernahmen, den Glauben an die Auslänglichkeit 
0 des Grundgedankens, der darin durchgeführt werden ſollte, erſchüttert 

haben. Wohl hat Goethe damals die Schätze der Düſſeldorfer Galerie 
noch empfindend zu heben geſucht; ſchreibt er doch den 21. Juli 1774, 
dorther kommend, daß ſie „ſeines Herzens Härtigkeit erweicht, geſtärkt 
und folglich geſtählt“ habe. Erwartungsvoll berichtet er auch noch am 
25 20. November von einer bevorſtehenden Malſtunde: „Heut ſchlägt mir 
das Herz. Ich werde dieſen Nachmittag zuerſt den Ölpinfel in die 
Hand nehmen! — Mit welcher Beugung, Andacht und Hoffnung, drück 
ich nicht aus, das Schickſal meines Lebens hängt ſehr an dem Augen⸗ 
blick, es iſt ein trüber Tag!“ Es iſt kein Zweifel, in dem Schüler, den 
die Muſe huldvoller als ſein Vorbild zu Erfolgen führen ſollte, hatte 
dieſer Jünger der Malkunſt ſich ſelbſt geſehen, und nun war es ihm 
in der Düſſeldorfer Sammlung vollends klar geworden, daß die Be- 
geiſterung allein zu keiner Meiſterſchaft verhelfe. Die eignen Berichte 
. der Künſtler über ihr Ringen, die er ſchon in einer Beſprechung der 
35 „Frankfurter gelehrten Anzeigen“ erſehnte, wurden ihm durch keine Be⸗ 
trachtung erſetzt; wenigſtens urteilte er noch ſpäter, daß von jenen 
„ganzen Sälen nicht eben ſeine Einſicht vermehrt, wenn auch ſeine 


3 


D 


106 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Kenntnis bereichert und ſeine Llebhaberel beſtärkt worden fein („Dich⸗ \ 


tung und Wahrheit“, Buch 14.) Ebenſo hat nach ſeiner Erinnerung 
damals die Betrachtung des berühmten Jabachſchen Familiengemäldes 
wohl „den tiefſten Grund ſeiner menſchlichen Anlagen und dichteriſchen 
Fähigkeiten aufgedeckt“, aber nicht den Künſtler wachgerufen. Als ſich 
ihm derart die Kunſt verſagte, verlor er auch die Stimmung zur Voll⸗ 
endung ſeines Künſtlerdramas. Daß es wieder vorgenommen wurde, 


geſchah unter dem Eindruck der italieniſchen Reiſe für die erſte Geſamt⸗ 


ausgabe der Schriften, um „das Entworfene nun auszuführen“. Es 
wurde zwiſchen 9. und 19. September 1788 in Gotha vollendet. Jetzt 
hatte Goethe nach vergeblichen Bemühungen auch im Modellieren den 
Gedanken, ein bildender Künſtler zu werden, endgültig aufgegeben, 
aber auch als Liebhaber fand er bloße begeiſterte Empfindung für 
die Natur und geſchichtliches Verſtändnis des Künſtlers und ſeiner 
Zeit ſelbſt für den Kunſtgenuß nicht mehr ausreichend, ſondern dar⸗ 
über hinaus noch Bekanntſchaft mit dem Techniſchen, einen gewiſſen 
Kunſtinſtinkt und als Höchſtes endlich den Kunſtverſtand notwendig, 
das wahre Verſtändnis des innern Weſens der Kunſt, ihres Unter⸗ 
ſchiedes von der Natur, der Reinheit und Tiefe künſtleriſcher Ideen. 
Eine unvergleichlich größere Fülle der Gedanken ſtrömt denn auch in 
das alte Schema der „Vergötterung“ ein, als ſie jetzt klaſſiſcher in „Apo⸗ 


15 


theoſe“ umgetauft und auch die alte Form der Knittelverſe oft unwillkür⸗ 


lich von dem ihm jetzt vertrauteren jambiſchen Fünffüßler geſprengt 


wurde. Aber eine Geſtalt verlor, und mit ihr die Einheitlichkeit des 


Grundgedankens, deſſen Träger ſie iſt. Der endgültig der Kunſtübung 
entſagende Dichter zeichnete den Schüler jetzt matter, und doch empfahl 
er ihn noch wie ehedem der Huld der Muſe, obwohl er der Fülle der 
neuen Anforderungen an den Künſtler nicht mehr in gleichem Maße, 
wie ihrer beſcheidenen Zahl im erſten Entwurfe, gerecht ward. 

Der tiefe Gehalt iſt es geweſen, dem die Dichtung ihre Wir⸗ 
kung verdankte, namentlich bei den kunſtbegeiſterten, Kunſtandacht 
predigenden Romantikern. — Bei Tieck und Wackenroder finden ſich 
Anlehnungen und Anklänge an die „Apotheoſe“ in den „Herzens⸗ 
ergießungen eines kunſtliebenden Kloſterbruders“ (1797), in denen 
manche Ausführung nichts als eine Umſchreibung Goethiſcher Gedan⸗ 
ken iſt, ja ſie ſcheinen ſogar die „Vergötterung“ haben benutzen zu 
dürfen. Auch mit „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798) ſteht 


* 


35 


\ \ 


3 Kunſtlers Erdewallen, Apotheoſe und Vergötterung: Künſtlers Erdewallen. 107 


Tieck und mit dem „Ofterdingen“ Novalis unter demſelben Einfluſſe 


von „Künſtlers Erdewallen“ wie „Apotheoſe“. — Im vertrauteren 


5 


Kreiſe hatte ſich Betty Jacobi ſchon bei ſeinem Entſtehen am „Erde⸗ 
wallen“ „nach Würde ergötzt“. — Den Wiener Kreiſen der roman⸗ 
tiſchen Zeit gehört „Amors Bild“ an, eine ſchwächere Nachahmung 
der „Apotheoſe“ von Joſeph Ludwig Stoll, und in Dänemark entwarf 
Ohlenſchläger nach „Erdewallen“ und „Apotheoſe“ ſeinen „Correg⸗ 
gio“, der eine Zeitlang das Muſter für Künſtlerdramen auch für das 


übrige Europa wurde. 


10 


15 


Künſtlers Erdewallen. 


Drama. 


Erſter Akt. 


Vor Sonnenaufgang. 


Der Künſtler an ſeiner Staffelei. Er hat eben das Porträt einer fleiſchigen, häß⸗ 
lichen, kokett ſchielenden Frau aufgeſtellt. Beim erſten Pinſelſtrich ſetzt er ab. 


Ich will nicht! ich kann nicht! 
Das ſchändliche, verzerrte Geſicht! 
(Er tut das Bild beiſeite.) 
Soll ich ſo verderben den himmliſchen Morgen! 
Da ſie noch ruhen, all meine lieben Sorgen, 
Gutes Weib! koſtbare Kleinen! 
(Er tritt ans Fenſter.) 
Aurora, wie neukräftig liegt die Erd' um dich! 
Und dieſes Herz fühlt wieder jugendlich, 
Und mein Auge wie ſelig, dir entgegen zu weinen! 
Er ſetzt ein lebensgroßes Bild der Venus Urania auf die Staffelei.) 
Meine Göttin, deiner Gegenwart Blick 
Aberdrängt mich wie erſtes Jugendglück. 
Die ich in Seel' und Sinn, himmlliſche Geſtalt, 
Dich umfaſſe mit Bräutigams Gewalt, 
Wo mein Pinſel dich berührt, biſt du mein: 
Du biſt ich, biſt mehr als ich, ich bin dein. 
Uranfängliche Schönheit! Königin der Welt! 
Und ich ſoll dich laſſen für feiles Geld? 
Dem Toren laſſen, der am bunten Tand 
Sich weidet, an einer ſcheckigen Wand? 


108 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


(Er blickt nach der Kammer.) 
Meine Kinder! — Göttin, du wirſt ſie letzen! = 
Du gehſt in eines Reichen Haus, 20 
Ihn in Kontribution zu ſetzen, 
Und ich trag' ihnen Brot heraus. 
Und er beſitzt dich nicht, er hat dich nur. 
Du wohnſt bei mir, Urquell der Natur, 
Leben und Freude der Kreatur! 25 
In dir verſunken, 
Fühl' ich mich ſelig, an allen Sinnen trunken. 


(Man hört in der Kammer ein Kind ſchrein.) 


Künſtler. 
Lieber Gott! un, 
Künſtlers Frau (erwacht. 
's is ſchon Tag! 
Biſt ſchon auf? Lieber, geh doch, ſchlag 
Mir Feuer, leg' Holz an, ſtell' Waſſer bei, 80 
Daß ich dem Kindel koch' den Brei 
Künſtler 
(einen Augenblick vor feinem Bilde verweilend). 


Meine Göttin! I 
Sein älteſter Knabe 


(ſpringt aus dem Bette und läuft barfuß hervor). 
Lieber Pappe, ich helfe dich! 
Künſtler. 5 
2 5 

Knabe. . 
Künſtler. 
Bring klein Holz in die Küch'. 


Wie lang'? 
Was? 


Zweiter Akt. 1 
Künſtler. ö 2 
Wer klopft jo gewaltig? Fritzel, ſchau. 


Knabe. 
Es is der Herr mit der dicken Frau. 


Das tut's ihm.! 


= & ee das ae 9 ik Fe 
Da muß ich tun, als hätt' ich gemalt. 


Frau. 


Künſtler. 


Herr. 
Madame. 
Frau. 
Herr. 


Künſtler. 


Herr 


Mach's nur, es wird ja wohl bezahlt. 


Der Herr und Madame treten herein. 
5 Da kommen wir ja zurecht, 
| Hab' heut geſchlafen gar zu Schlecht. - 
O, die Madam ſind immer ſchön. 
Darf man die Stück' in der Eck' beſehn? 


a Sie machen ſich ſtaubig. (zu Madame) Belieben ſich 


niederzulaſſen! 


Sie müſſen ſie recht im Geiſte faſſen. 
Es iſt wohl gut, doch jo noch nicht, 
4 Daß es einen von dem Tuch anſpricht. 


Stünftler (Heimlich). 


Der Herr 


Künſtler. 


Vor zehen Jahren glich es mir. 


Herr. 


Es gleicht noch ziemlich. 


Madame 


Es iſt auch darnach ein Angeſicht. 


(nimmt ein Gemälde aus der Ecke). 


Iſt das Ihr eigen Bildnis hier? 


(einen flüchtigen Blick darauf werfend). 


O gar ſehr! 


1 Froniſch ſo viel als: das iſt auch danach. 


110 | Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Herr. | 
Sie haben jetzt gar viel Runzeln mehr. | 50 
Frau | 
(mit dem Korbe am Arm, heimlich). 


Gib mir Geld, ich muß auf den Markt! 1 5 
Künſtler. 

„„ 
Frau. 


Dafür kauft man ein'n Quark. 
Dal Künſtler. 
Herr. 
Aber Ihre Manier iſt jetzt größer. 


Künſtler. N 
Das eine wird ſchlimmer, das andre beſſer. 


Herr (zur Staffelei tretend). 
So! ſo! da an dem Naſenbug! 55 
Und die Augen ſind nicht feurig g'nug. 
Künſtler (für ſich. 
O mir! Das mag der Teufel ertragen. 
Die Muſe 

(ungeſehn von den andern, tritt zu ihm). 
Mein Sohn, fängſt jetzt an zu verzagen? 
Trägt ja ein jeder Menſch ſein Joch; 
Iſt ſie garſtig, bezahlt ſie doch! 60 
Und laß den Kerl tadeln und ſchwätzen: 
Haſt Zeit genug, dich zu ergetzen 
An dir ſelbſt und an jedem Bild, 
Das liebevoll aus deinem Pinſel quillt. 
Wenn man muß eine Zeitlang hacken und graben, os 
Wird man die Ruh' erſt willkommen haben. 
Der Himmel kann einen auch verwöhnen, 
Daß man ſich tut nach der Erde ſehnen. 
Dir ſchmeckt das Eſſen, Lieb' und Schlaf, 
Und biſt nicht reich, ſo biſt du brav. 70 


10 


15 


20 


ET, 


erdewallen, Motheofe und Vergötterung: Künſtlers Apotheoſe. 111 


Künſtlers Xpotheoſe. 


Drama. 


Es wird eine prächtige Gemäldegalerie vorgeſtellt. Die Bilder aller Schulen 

hängen in breiten goldenen Rahmen. Es gehen mehrere Perſonen auf und 

ab. An einer Seite ſitzt ein Schüler und iſt beſchäftiget, ein Bild zu kopieren. 
Schüler 

(indem er aufſteht, Palette und Pinſel auf den Stuhl legt und dahinter tritt). 

Da ſitz' ich hier ſchon tagelang, 

Mir wird's ſo ſchwül, mir wird's ſo bang, 

Ich male zu und ſtreiche zu 

Und ſehe kaum mehr, was ich tu'. 

Gezeichnet iſt es durchs Quadrat!; 

Die Farben, nach des Meiſters Rat, 

So gut mein Aug' ſie ſehen mag, 

Ahm' ich nach meinem Muſter nach; 

Und wenn ich dann nicht weiter kann, 

Steh' ich wie ein geneſtelter? Mann 

Und ſehe hin und ſehe her, 

Als ob's getan mit Sehen wär'; 

Ich ſtehe hinter meinem Stuhl 

Und ſchwitze wie im Schwefelpfuhl 

Und dennoch wird zu meiner Qual 

Nie die Kopie Original. 

Was dort ein freies Leben hat, 

Das iſt hier trocken, ſteif und matt; 

Was reizend ſteht und ſitzt und geht, 

Iſt hier gewunden und gedreht; 


1 Ein auf Genauigkeit abzielendes Kopierverfahren, bei dem ein quadratiſches 
Fadennetz über das Original geſpannt wird. — 2 Impotenter. Vgl. Goethes Ge⸗ 


dicht „Tagebuch“, Str. 15. 


112 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. RS 


Was dort durchſichtig glänzt und glüht, 
Hier wie ein alter Topf ausſieht; 

Und überall es mir gebricht 

Als nur am guten Willen nicht, 5 
Und bin nur eben mehr gequält, 2 
Daß ich recht ſehe, was mir fehlt. i 


Ein Meiſter (tritt hinzu. 
Mein Sohn, das haſt du wohl gemacht, 
Mit Fleiß das Bild zuſtand gebracht! 
Du ſiehſt, wie wahr ich ſtets geſagt: 5 . 
Je mehr als ſich ein Künſtler plagt, | 80 
Je mehr er ſich zum Fleiße zwingt, f 
Um deſto mehr es ihm gelingt.“ 
Drum übe dich nur Tag für Tag, 
Und du wirſt ſehn, was das vermag! 
Dadurch wird jeder Zweck erreicht, 35 
Dadurch wird manches Schwere leicht, 
Und nach und nach kommt der Verſtand BE 
Unmittelbar dir in die Hand. = 
Schüler, 
Ihr ſeid zu gut und jagt mir nicht, x 
Was alles dieſem Bild gebricht. 449 
Meiſter. = 
Ich ſehe nur mit Freuden an, 2 
Was du, mein Sohn, bisher getan. 
Ich weiß, daß du dich ſelber treibſt, 
Nicht gern auf einer Stufe bleibſt. 5 
Will hier und da noch was gebrechen, 939 
Wollen wir's ein andermal beſprechen. 
(Entfernt fich.) 
Schüler (das Bild anſehend). 5 
Ich habe weder Ruh' noch Raſt, 8 
Bis ich die Kunſt erſt recht gefaßt. ee 


1 V. 30—32 find ironiſch gemeint; ebenſo weiterhin die Geſtalt des Lieb- 
habers und namentlich feine Worte in V. 49 — 61. - 


woche und Bergötterung: aunflers Mpotfeofe 113 


unſtlers * 


2 Ein Liebhaber Ceritt zu ihm), 
Mein r, mir iſt verwunderlich, 
0 Daß Sie hier Ihre Zeit verſchwenden 
Und auf dem rechten Wege ſich 
Schnurſtracks an die Natur nicht wenden. 
Denn die Natur iſt aller Meiſter Meiſter! 
Sie zeigt uns erſt den Geiſt der Geiſter, 
55 Läßt uns den Geiſt der Körper ſehn, 
Lehrt jedes Geheimnis uns verſtehn. 
Ich bitte, laſſen Sie ſich raten! 
Was hilft es, immer fremden Taten 
Mit größter Sorgfalt nachzugehn? 
o Sie find nicht auf der rechten Spur; 
Natur, mein Herr! Natur! Natur! 
Schüler. 
Man hat es mir ſchon oft geſagt, 
Ich habe kühn mich dran gewagt; 
Es war mir ſtets ein großes Feſt. 
65 Auch iſt mir dies und jen's geglückt; 
Doch öfters ward ich mit Proteſt, 
Mit Scham und Schande weggeſchickt. 
Kaum wag' ich es ein andermal; 
Es iſt nur Zeit, die man verliert; 
70 Die Blätter ſind zu koloſſal 
Und ihre Schrift gar ſeltſam abbreviert. 
Liebhaber (ſich wegwendend). 
Nun ſeh' ich ſchon das Wo und Wie; 
Der gute Menſch hat kein Genie! 
Schüler (ſich niederſetzend). 
Mich dünkt, noch hab' ich nichts getan; 
75 Ich muß ein andermal noch dran. 
Ein zweiter Meiſter 1 
(tritt zu ihm, ſieht ſeine Arbeit an und wendet ſich um, ohne etwas zu ſagen) 
Schüler. 
Ich bitt' Euch, geht ſo ſtumm nicht fort 
Und ſagt mir wenigſtens ein Wort. 


Goethe. XVIII. 8 


114 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Ich weiß, Ihr ſeid ein kluger Mann, | 
Ihr könntet meinen Wunſch am allererſten ſtillen. | 
Verdien' ich's nicht durch alles, was ich kann, 80 
Verdien' ich's wenigſtens durch meinen guten Willen. 
/ Meiſter. 
Ich ſehe, was du tuſt, was du getan, 
Bewundernd halb und halb voll Mitleid an. 
Du ſcheinſt zum Künſtler mir geboren, 
Haſt weislich keine Zeit verloren: 85 
Du fühlſt die tiefe Leidenſchaft, 
Mit frohem Aug' die herrlichen Geſtalten 
Der ſchönen Welt begierig feſtzuhalten; 
Du übſt die angeborne Kraft, | 
Mit ſchneller Hand bequem dich auszudrücken; 90 
Es glückt dir ſchon und wird noch beſſer glücken; 


Allein — 
8 Schüler. 
Verhehlt mir nichts! 


9 Allein du übſt die Hand, 
Du übſt den Blick, nun üb' auch den Verſtand. 
Dem glücklichſten Genie wird's kaum einmal gelingen, 
Sich durch Natur und durch Inſtinkt allein 95 
Zum Ungemeinen aufzuſchwingen: 
Die Kunſt bleibt Kunſt! Wer ſie nicht durchgedacht, 
Der darf ſich keinen Künſtler nennen; 
Hier hilft das Tappen nichts; eh' man was Gutes macht, 
Muß man es erſt recht ſicher kennen. 100 
Schüler. 
Ich weiß es wohl, man kann mit Aug' und Hand 
An die Natur, an gute Meiſter gehen; 
Allein, o Meiſter, der Verſtand, 
Der übt ſich nur mit Leuten, die verſtehen. 
Es iſt nicht ſchön, für ſich allein 105 
Und nicht für andre mit zu ſorgen: 8 
Ihr könntet vielen nützlich ſein, 
Und warum bleibt Ihr ſo verborgen? 


nftters Erdewallen, Apotheoſe und Vergötterung: Künſtlers Apotheoſe. 


9 Meiſter. 
5 Man hat's bequemer heutzutag, 
us Als unter meine Zucht ſich zu bequemen: 
Das Lied, das ich jo gerne fingen mag, 
Das mag nicht jeder gern vernehmen. 
Schüler. 
O ſagt mir nur, ob ich zu tadeln bin, 


Daß ich mir dieſen Mann zum Muſter auserkoren? 
(Er deutet auf das Bild, das er kopiert hat.) 


115 Daß ich mich ganz in ihn verloren? 
| Iſt es Verluſt, iſt es Gewinn, 
Daß ich allein an ihm mich nur ergetze, 
Ihn weit vor allen andern ſchätze, 
Als gegenwärtig ihn und als lebendig liebe, 
120 Mich ſtets nach ihm und ſeinen Werken übe? 


Meiſter. 
Ich tadl' es nicht, weil er fürtrefflich iſt; 
Ich tadl' es nicht, weil⸗du ein Jüngling biſt: 
Ein Jüngling muß die Flügel regen, 
In Lieb' und Haß gewaltſam ſich bewegen. 

125 5 drr Mann iſt vielfach groß, den du dir auserwählt, 
Du kannſt dich lang' an ſeinen Werken üben; 
Nur lerne bald erkennen, was ihm fehlt: 

Man muß die Kunſt und nicht das Muſter lieben. 
Schüler. 
EN Ich ſähe nimmer mich an feinen Bildern ſatt, 
130 Wenn ich mich Tag für Tag damit beſchäft'gen ſollte. 
Meiſter. 
Erkenne, Freund, was er geleiſtet hat, 
Und dann erkenne, was er leiſten wollte: 
Dann wird er dir erſt nützlich ſein, 
Du wirſt nicht alles neben ihm vergeſſen. 

135 Die Tugend wohnt in keinem Mann allein; 

Die Kunſt hat nie ein Menſch allein beſeſſen. 

Schüler. 

So redet nur auch mehr davon! 


8 * 


Ss, 


(Nan bringt das Bild der Venus Urania herein und ſetzt es auf eine eue 


8 2 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Meiſter. 

Ein andermal, mein lieber Sohn. A 
Galerieinſpektor (ritt zu ihnen). e 

Der heut'ge Tag iſt uns geſegnet, , 
O, welch ein ſchönes Glück begegnet! 1 10 
Es wird ein neues Bild gebracht, ee 
So köſtlich, als ich keins gedacht. 


Meiſter. 
Von wem? N 
Schüler. 75 
Sagt an, es ahnet mir. 5 
(Auf das Bild zeigend, das er kopiert.) 
Von dieſem? 
e Inſpektor. 
Ja, von dieſem hier. 
Schüler. ER 
Wird endlich doch mein Wunſch erfüllt! „ 
Die heiße Sehnſucht wird geſtillt! x ee 
Wo iſt es? Laßt mich eilig gehn. Er 
Inſpektor. Be 


Ihr werdet's bald hier oben ſehn. 

So köſtlich, als es iſt gemalt, 

So teuer hat's der Fürſt bezahlt. 
Gemäldehändler (tritt auß. 

Nun kann die Galerie doch ſagen, 

Daß ſie ein einzig Bild beſitzt. 

Man wird einmal in unſern Tagen 2 

Erkennen, wie ein Fürſt die Künſte liebt und ſchützt. = 

Es wird ſogleich heraufgetragen; 155 

Es wird erſtaunen, wer's erblickt. 

Mir iſt in meinem ganzen Leben 

Noch nie ein ſolcher Fund geglückt. 

Mich ſchmerzt es faſt, es wegzugeben; BR 

Das viele Gold, das ich begehrt, 100 

Erreicht noch lange nicht den Wert. e 


Hier! wie es aus der Erbſchaft kam, 


ohne Firnis, Ab Rahm. 
er 2 er n es keine Kunſt noch di. 


Alle verſammeln ſich davor.) 
. Erſter Meiſter. 
wma eine Praktik zeigt ſich hier! 
8 i Zweiter Meiſter. 
5 Das Sin, wie iſt es überdacht! 

5 Schüler. 
2 Eingeweide brennen mir! 


Liebhaber. 
Wie göttlich iſt das Bild gemacht! 


8 Händler. 
5 5 ſeiner trefflichſten Manier. 


ge | Juſpektor. a 
. Der 7 Rahm wird ſchon gebracht. 
Geeſchwind herbei! geſchwind herein! 
Der Prinz wird bald im Saale fein. 


(Das Bild wird in den Rahmen befeſtiget und wieder aufgeſtellt.) 


Der Prinz 


(tritt auf und beſieht das Gemälde). 


. Das Bild hat einen großen Wert; 

„ Empfanget hier, was Ihr begehrt. 

5 Der Kaſſier 

(hebt den Beutel mit den Zechinen! auf den Tiſch und ſeufzet). 
ar: Händler (zum Raffier). 

Ich prüfe fie erſt durchs Gewicht. 

8 Kaſſier (aufzählend). 

6 ſteht bei Euch, doch zweifelt nicht. 


s Der Fürſt ſteht vor dem Bilde, die andern in einiger Entfernung. Der Plafond 
s ſich, die Muſe, den Künſtler an der Hand führend, auf einer Wolke. 


5 Künſtler. 
5 Wohin, o Freundin, führſt du mich? 


255 Frühere venezianiſche Goldmünze. 


* 


118 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Muſe. 
Sieh nieder und erkenne dich! 
Dies iſt der Schauplatz deiner Ehre. 


Künſtler. 
Ich fühle nur den Druck der Atmoſphäre. 

Muſe. 
Sieh nur herab, es iſt ein Werk von dir, 
Das jedes andre neben ſich verdunkelt 
Und zwiſchen vielen Sternen hier 
Als wie ein Stern der erſten Größe funkelt. 
Sieh, was dein Werk für einen Eindruck macht, 
Das du in deinen reinſten Stunden 
Aus deinem innern Selbſt empfunden, 
Mit Maß und Weisheit durchgedacht, 
Mit ſtillem, treuem Fleiß vollbracht! 
Sieh, wie noch ſelbſt die Meiſter lernen! 
Ein kluger Fürſt, er ſteht entzückt; 
Er fühlt ſich im Beſitz von dieſem Schatz beglückt; 
Er geht und kommt und kann ſich nicht entfernen. 
Sieh dieſen Jüngling, wie er glüht, 
Da er auf deine Tafel ſieht! 
In ſeinem Auge glänzt das herzliche Verlangen, 
Von deinem Geiſt den Einfluß zu empfangen. 
So wirkt mit Macht der edle Mann 
Jahrhunderte auf ſeinesgleichen! 
Denn was ein guter Menſch erreichen kann, 
Iſt nicht im engen Raum des Lebens zu erreichen. 
Drum lebt er auch nach ſeinem Tode fort 
Und iſt ſo wirkſam, als er lebte; 
Die gute Tat, das ſchöne Wort, 
Es ſtrebt unſterblich, wie er ſterblich ſtrebte. 
So lebſt auch du durch ungemeßne Zeit. 
Genieße der Unſterblichkeit! 


Künſtler. 
Erkenn' ich doch, was mir im kurzen Leben 
Zeus für ein ſchönes Glück gegeben, 


180 


185 


190 


195 


200 


205 


210 


5 fee Erdewallen, welt uns aan? Künſtlers Apotheoſe. 119 


und was er mir in dieſer Stunde ſchenkt; 
Doch er vergebe mir, wenn dieſer Blick mich kränkt, 
Wie ein verliebter junger Mann 
8 Unmöglich doch den Göttern danken kann, 
215 Wenn ſeine Liebſte fern und eingeſchloſſen weint; 
Wer wagt es, ihn beglückt zu nennen? 
Und wird er wohl ſich tröſten können, 
Weil eine Sonne ihn und ſie beſcheint? 
So hab' ich ſtets entbehren müſſen, 
220 Was meinen Werken nun jo reichlich widerfährt; 
Was hilft's, o Freundin, mir, zu wiſſen, 
Daß man mich nun bezahlet und verehrt? 
O hätt' ich manchmal nur das Gold beſeſſen, 
Das dieſen Rahm jetzt übermäßig ſchmückt! 
225 Mit Weib und Kind mich herzlich ſatt zu eſſen, 
War ich zufrieden und beglückt. 
Ein Freund, der ſich mit mir ergetzte, 
Ein Fürſt, der die Talente ſchätzte, 
f Sie haben leider mir gefehlt; 
230 Im Kloſter fand ich dumpfe Gönner; 
So hab' ich emſig ohne Kenner 
Und ohne Schüler mich gequält. 
(Hinab auf den Schüler deutend.) 
Und willſt du dieſen jungen Mann, 
Wie er's verdient, dereinſt erheben, 
235 So bitt' ich, ihm bei ſeinem Leben, 
Solang' er ſelbſt noch kau'n und küſſen kann, 
Das Nötige zur rechten Zeit zu geben! 
Er fühle froh, daß ihn die Muſe liebt, 
Wenn leicht und ſtill die frohen Tage fließen. 
240 Die Ehre, die mich nun im Himmel ſelbſt betrübt, 
Laß ihn dereinſt, wie mich, doch freudiger genießen. 


Des Künstlers Wergötterung. 


Drama. 


Der Jünger 1 auf. 


| Jünger. e 
8 Hier leg' ich, teurer Meiſter, meinen Pinsel nieder, 5 
Nimmer, nimmer wag' ich es wieder, „ 
Dieſe Fülle, dieſes unendliche Leben 8. 


Mitt dürftigen Strichen wiederzugeben. 
Ich ſtehe beſchämt, Widerwillens voll, 
Wie vor einer Laſt ein Mann, 
Die er tragen ſoll 
oe nicht heben kann. 
5 Meiſter. „ 
5 Bl ei Gefühl, Jüngling, ich weihe dich ein 4 
Vor dieſem heiligen Bilde! Du wirft Meijter ſein. 
Das ſtarke Gefühl, wie größer dieſer iſt, f 
Zeigt, daß dein Geiſt ſeinesgleichen iſt. 


5 Jünger. 
Ganz, heil'ger Genius, verſink ich vor dir. 


N Meiſter. 

0 und der Mann war ein Menſch wie wir, 
Und an der Menſchheit zugeteilten Plagen 
Hatte er weit ſchwerer als wir zu tragen. 


 Erbemallen, Mpotheofeu. Bergökterung: Des gunſtlers Wergötterung. 12] 


= Jünger. 

| 0 warum ſah ich ſein Angeſicht, 
Hört' ſeiner Lippe Rede nicht! 
Du Glücklicher kannteſt ihn? 


Meiſter. 

Ja, mein Sohn. 
Ich war 1 5 jung, er nahte ſchon 
Dem Grabe. Ich werd' ihn nie vergeſſen. 
Wie oft hab' ich zitternd vor ihm dageſeſſen, 
Voll von heißem Verlangen, 
Jedes Wort von ſeinen Lippen zu fangen, 
Und wenn er ſchwieg, an ſeinem Auge gehangen. 


122 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


Söfter, Helden und Wieland. 


Eine Farce. 


Einleitung des Herausgebers. 


oll warmer Verehrung der eleganten, launig prickelnden Kunſt 
Wielands, für ſeine „Muſarion“ begeiſtert und auch für den 
deutſchen Shakeſpeare ihm dankbar verpflichtet, war Goethe 1770 nach 
Straßburg gekommen. Herder hatte ihm dort allerdings mit der 
tieferen Einſicht in die Größe des Briten auch den Blick für die 
Mängel eröffnet, die Wielands Überſetzung und noch mehr den 
ſchulmeiſterlichen Noten in „Shakeſpeares Theatraliſchen Werken“ 
(Zürich 1762—1766) anhafteten. Auch Herders Predigt gegen un⸗ 
deutſche Nachahmungen der Griechen und ſeine Forderung nur echt 
deutſcher Kunſt hörte er dort und las ſie wieder in den nach der Heim⸗ 
kehr nach Frankfurt vorgenommenen „Fragmenten“. Aber noch immer 
ſah er in Wieland neben Oeſer und Shakeſpeare einen ſeiner drei 
„echten Lehrer, die ihm zeigten, wie er's beſſer machen ſollte“; und wenn 
er im „Werther“ die Forderung nach heimiſcher, durch die eigene Emp⸗ 
findung gegangener Kunſt erfüllte, ſo findet der Kenner doch ſelbſt in 
dieſer Dichtung in Gedankenausdruck wie Stimmungsgehalt über⸗ 
raſchende Anklänge an Wielands „Dialoge des Sokrates“. 
Gleichwohl fällt mitten in die Arbeit an dieſem Roman, Ende 
September bis Anfang Oktober 1773, die Satire „Götter, Helden 
und Wieland“. Die bittere Laune, deren geniale Ausgeburt die 
tolle Farce iſt, entſprang der Verſchärfung, welche die allmählich fühl⸗ 
barer werdenden ſachlichen Gegenſätze durch perſönliche Reibungen er⸗ 
fuhren. Als Wieland Anfang 1773 den „Teutſchen Merkur“ angekün⸗ 
digt und mit deſſen Erſcheinen das Amt des literariſchen Zenſors über⸗ 
nommen hatte, legte ihm Goethe im „Jahrmarktsfeſt“ (vgl. oben, S. 41) 


25 


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Götter, Helden und Wieland: Einleitung des Herausgebers. 123 


das Zepter, das er mit feinen Freunden noch eben ſelber geführt hatte, 


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30 


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ſchalkhaft zu Füßen. Aber bald ſah er, daß hier der Rückſtändigkeit 
und Mittelmäßigkeit eine Stätte eröffnet war. Während er und ſeine 
Freunde mit dem britiſchen Rieſen rangen, erſchien unverkennbar aus 
der Feder oder auf Anregung des Herausgebers im Auguſtheft eine 


„Der Geiſt Shakeſpeares“ überſchriebene Sammlung Shakeſpeariſcher 


Gedanken, deren Nachwort ſchloß: „O, ihr jungen und alten Söhne 
des Muſengottes, echte und unechte, leſet Shakeſpearen! und wenn ihr 


nichts Vortreffliches machen könnt, o! ſo ſchwört — ſein Geiſt ruft 
euch, wie der Geiſt im, Hamlet“, zu: ſchwört, ſchwört! — daß ihr lieber 


nichts machen wollt!“ Perſönlich ward Goethe zum erſtenmal durch 
den Tadel getroffen, den an ſeiner Schrift „Von deutſcher Baukunſt“ 
im Maiheft die freilich neue, ungewöhnlich ſchwunghafte Form erfuhr. 
Namentlich ärgerte den Dichter in ſeiner unbedingten Wahrhaftigkeit 
zweierlei: Wieland, der die Wirkung ſeiner Erzählungen ſo ſehr auf 
den Sinnenreiz berechnete, ſpielte mit Georg Jacobi zur Seite im 
„Merkur“ den prüden Sittenrichter und hatte ihn das ſelber ſchon im 
Aprilheft durch eine Bekrittelung ſeines Gedichtes „Die Nacht“ — jetzt 
„Die ſchöne Nacht“ — fühlen laſſen. Noch ſchlimmer empfand er die 
ſelbſtgefällige Überhebung, womit der doch lediglich als Überſetzer und 
Erzähler verdienſtvolle Wieland die Dichter ſchlechthin ſchulmeiſterte 
und von feinem überholten Standpunkte franzöſierend⸗klaſſiziſtiſcher 
Nachahmung am allermeiſten die Jungen, ihn einbegriffen, ob „ihrer 
Originalſucht beſeufzte“. Vor allem pries er ſelbſt dieſer Regelloſig⸗ 
keit gegenüber ſeinen Singſpieltext „Alceſte“ in fünf Briefen an ſeinen 
„lieben Jacobi!“ im erſten Teile des „Merkur“ von 1773, weil die Dich⸗ 
tung gleich dem Meiſterſtücke des großen Sophokles, dem „Philoktet“, 
den einheitlichſten Plan und keine epiſodiſchen Perſonen habe, die nur 
ein ſehr ſchlechtes Mittel ſeien, um durch ein dramatiſches Werk große 
Wirkung zu tun. Die „Alceſte“, rühmte er weiter, ſei von ihm dem 
Genius der Zeit entſprechend „moraliſch verſchönt“ worden, und Her⸗ 
kules habe er aus „platter, roher oſtadiſcher Natur“ zu einem halb⸗ 
göttlichen, halb menſchlichen Tugendhelden, der „alles, alles für die 
Tugend tut“, gemacht und ſo Euripides vielfach veredelt und über⸗ 
troffen. Dieſe Briefe, in denen Wieland ſich ſelbſt Weihrauch ſtreute, 


wurden dann gar noch wieder ihrerſeits als etwas Unvergleichliches 


geprieſen, ſogar dort, wo im Jahre vorher Goethe das Urteil ſprach. 


Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 125 


1 : Am 25. Juni 1773 war nämlich in den „Frankfurter gelehrten An⸗ 5 


zeigen“ „aus Weimar“ eine Ankündigung des Inhalts zu leſen: „Der 
größte Schmuck des erſten Bandes [des, Merkur J ift die Zergliederung, 


die Wieland von ſeiner,Alceſte“, der Meiſter von feinem eignen Werke, 


gemacht hat. . .. Wer Luſt zu lernen hat, lerne hier!“ 


Goethe hatte um ſo mehr Grund, aufzumerken, als es im zweiten i 
Briefe hieß, daß der Grundzug in Admets Weſen, die Gaſtfreundſchaft, 
nur „in heroiſchen Zeiten, in Zeiten des Fauſtrechts ein großes 


Verdienſt in ſich ſchließe“; denn der Stich auf ihn war durch Fettdruck 
der geſperrten Worte noch fühlbarer gemacht worden. Am 15. Sep⸗ 
tember gab er denn auch in einem Briefe an Keſtner dem „Merkur“ 
voll Spott über ſo viel Großſprecherei alſo den Laufpaß: „Wieland 


und die Jackerls [= Jacobis!] haben ſich eben proſtituiert! Glück zu! 
Für mich haben ſie ohnedem nicht geſchrieben. Fahr hin!“ Und am 


13. Oktober meldet Goethes Freund Schönborn an Gerſtenberg, daß 
Goethe „ein fürchterlicher Feind von Wieland und Konſorten ſei und 
ihm ein paar Farcen auf ſie vorgeleſen“ habe. In dieſer Zeit und 
Stimmung muß alſo neben dem nie gedruckten Pasquill „Das Un⸗ 
glück der Jacobis“ auch unſere Farce aufs Papier geworfen worden 
ſein. Es geſchah nach Goethes Erzählung in „Dichtung und Wahr⸗ 


heit“ in einer Sitzung eines Sonntagnachmittags, als es bei einer 


Flaſche guten Burgunders wie ein dionyſiſcher Rauſch über ihn kam. 
In der Anlage unverkennbar von J. E. Schlegels gegen Regnard 
gerichteten Totengeſpräche „Demokrit“ beeinflußt, muß es freilich ſchon 
vorher im Geiſte des Dichters Geſtaltung gewonnen haben; der Be⸗ 
ziehungen auf Wielandſche Veröffentlichungen und gelegentlich faſt 
wörtlicher Anführungen aus Brumoys Euripides⸗Überſetzung voll, 
bleibt jedoch die Niederſchrift auch ſo ein ſtaunenswerter Beweis für 
die Fülle des Gedächtniſſes und die Schärfe der Vorſtellungen, die dem 
Dichter zu augenblicklicher Formgebung zu Gebote ſtand. 

Goethe dachte, wie er mündlich und ſchriftlich verſichert hat, nicht an 
die Veröffentlichung. Da las er in der zweiten Oktoberhälfte im Septem⸗ 
berheft des „Merkur“ die breite, oberflächlich krittelnde Beſprechung feines 
„Gbtz“, die auch durch die Nachſchrift des Herausgebers, daß er fait 
in allem anders denke als der Beurteiler, nicht wettgemacht werden 
konnte. In erneutem Arger wurde noch die dritt- und viertletzte Rede 
des Herkules mit ihren Ausfällen gegen Wielands im dritten Bande 


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1 Selten as rk: alten bes 3 bestes. 125 


gefügt und Se a zur. 0 10 
Vier Drucke noch von 1774 und zwei aus dem nächſten Jahre ver⸗ 
raten, welche Wirkung die Farce tat. Sie wirkte ganz in dem Sinne, 
in welchem Lenz ihre Veröffentlichung betrieb, zunächſt wie ein volles 
Eintreten Goethes für die Grundſätze der Stürmer und Dränger, die 
den, der ſie „lauſichte Gelbſchnäbel“ genannt hatte, hier mit ihrer 
ungebändigten Naturwüchſigkeit und ganzen unehrerbietigen Kraft⸗ 
huberei heimgeſchickt ſahen. Damit war ſie zugleich eine Kampfſchrift 
gegen die rührſelige Empfindſamkeit, auf die der Dichter ſeinen alten 
Meiſter ingrimmig noch immer ſpekulieren ſah, während er in ſeiner 
Selbſtdarſtellung im „Werther“ eben daran war, ſie zu überwinden, 
und ſie traf damit auch die ganze franzöſierende Griechelei in ihrem 
beherrſchenden Vertreter. Schon Leſſing ſoll freilich geurteilt haben, 
Goethe ſei viel weiter vom Verſtändnis des Euripides entfernt als 
Wieland, und auch neuerdings hat man ſich gedrungen gefühlt, dieſen 
in Schutz zu nehmen, weil ſein Tadel des Euripideiſchen Prologes 
und ſeine Veredelung der Charaktere des Admet und des Herkules 
wirklich vom modernen Empfinden gefordert würden, Goethes Ein⸗ 


dagegen richteten. Tatſächlich tun ſie das gar nicht; denn es hätte ge⸗ 
heißen, ſich ſelbſt den Spaß verderben, wenn ſich Goethe hätte die 
Doktorfrage ſtellen wollen, wie Wieland die antiken Geſtalten hätte 
moderniſieren ſollen. „Der ſoll es laſſen“, wollte ihm der kecke Jünger 
von ehedem ja zurufen, „weil jo ein Drechſler zuckerſüßer Opernpuppen 
überhaupt nicht das Zeug zum Dramatiker, noch viel weniger die 
Fähigkeit hat, ſich mit einem Meiſter wie Euripides zu meſſen, ge⸗ 
ſchweige gar den Heroen ſelber nachzuempfinden.“ 

Goethe war der erſte, der dieſe Verrückung des Standpunktes ein⸗ 

30 ſah. Im Juniheft des „Merkur“ von 1774 las er ſeinen Einfall „allen 
Liebhabern von pasquiniſcher Manier als ein Meiſterſtück von Perſi⸗ 
flage und ſophiſtiſchem Witz“ empfohlen, „der aus allen möglichen 
Standpunkten ſorgfältig denjenigen auswählt, aus dem ihm der Gegen⸗ 
ſtand ſchief vorkommen muß und ſich dann recht herzlich luſtig darüber 

35 macht, daß das Ding ſo ſchief iſt“. Jetzt rief er angeſichts fo über⸗ 
legen lächelnder Aufnahme ſeines unehrerbietigen Streiches: „Ich 
bin nun eben proſtituiert“, und beklagte es ernſtlich, daß er ſich 


3 2 


* 


wände alſo hinfällig ſeien. Gewiß wären fie das auch, wenn ſie ſich: - 


126 : Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


— — 


„das garſtige Fratzenzeug“ habe abſchwatzen laſſen. Ja, während mn 


ſich in der Ferne noch für und wider ſtritt und z. B. Profeſſor David 
Hartmann in Mitau darin „ein Stück fand, das Goethe mehr Ehre 
mache als alles ſonſt“ von ihm Erſchienene, im Schweizer Kreiſe da⸗ 


gegen eine Antwort „Menſchen, Tiere und Goethe“ erſchien, waren 


zwiſchen den beiden Hauptbeteiligten ſchon die Friedensunterhand⸗ 
lungen eingeleitet. Als die weimariſchen Prinzen Dezember 1774 in 
Frankfurt waren, ließ ſich Goethe gern beſtimmen, einen freundlichen 
Brief an ihren Erzieher zu richten, und dieſer antwortete gleich freund⸗ 


lich. Das letzte gegenſeitige Mißtrauen ſchwand in dem Augenblick, ı 


wo Goethe in Weimar zum erſten Male den Fuß über die Schwelle 
Wielands geſetzt hatte. War er 1773 mit Ton und Fragſtellung 
im Unrecht, ſo hat ihm in der Sache doch endgültig Wieland recht ge⸗ 
geben. Er hat keine größere Dichtung in antikem Gewande mehr neu 
begonnen; Goethe ſeinerſeits aber nahm manches Motiv der ehedem 
umſtrittenen „Alceſte“ auf, als er gedankentiefer und formvollendeter 
in der „Iphigenie“ die Vermählung chriſtlich deutſchen Geiſtes mit 
antiken Stoffen und Formen ſelber verſuchte. 

Wie andere verwandte Dichtungen iſt auch dieſe jugendliche Spott⸗ 
ſchrift Goethes den Romantikern Vorbild bei ihren Literaturſatiren 
geworden, ſo Tieck für ſeinen „Prolog zum Antifauſt“. Goethe ſelbſt 
hat ſie erſt auf fremdes Zureden in der Ausgabe letzter Hand 1830 
zum erſten Male drucken laſſen. 


Mercurius am Ufer des Cocytus! mit zwei Schatten. 


Mercurius. Charon! he, Charon! Mach, daß du rüber 
kommſt. Geſchwind! Meine Leutchen da beklagen ſich zum Er⸗ 
barmen, wie ihnen das Gras die Füße netzt und ſie den Schnup⸗ 
pen kriegen. 

Charon. Saubre Nation! Woher? Das iſt einmal wie⸗ 
der von der rechten Raſſe. Die könnten immer leben. 

Mercurius. Droben reden ſie umgekehrt. Doch mit allem 
dem war das Paar nicht unangeſehen auf der Oberwelt. Dem 


1 Fluß der Unterwelt. 


20 


d . . ee Er Be 
838 22!!! ͤöħU i ne 


Götter, Helden und Wieland. 127 


em Literator! hier fehlt nichts als ſeine Perücke und ſeine 
Bücher und der Megäre da nur Schminke und Dukaten. Wie 
ſteht's drüben? 
Charon. Nimm dich in acht, ſie haben dir's geſchworen, 
5 wenn du hinüber kommſt. 
Mercurius. Wieſo? 
Charon. Admet und Aleeſte ſind übel auf dich zu ſprechen, 
am ärgſten Euripides. Und Herkules hat dich im Anfall ſeiner 
Hitze einen dummen Buben geheißen, der nie geſcheit werden 
10 würde. 
Mercurius. Ich verſteh' kein Wort davon. 
Charon. Ich auch nicht. Du haſt in Deutſchland jetzt ein 
Geträtſch mit einem gewiſſen Wieland? 
Mercurius. Ich kenn' ſo keinen. 
15 Charon. Was ſchiert's mich? G'nug, fie find fuchswild. 
Mercurius. Laß mich in Kahn, ich will mit hinüber, muß 
doch ſehen, was gibt. 
(Sie fahren über.) 
Euripides. Es iſt nicht fein, daß du's uns ſo ſpielſt, al⸗ 
20 ten guten Freunden und deinen Brüdern und Kindern. Dich 
mit Kerls zu geſellen, die keine Ader griechiſch Blut im Leibe 
haben, und an uns zu necken und neidſchen, als wenn uns noch 
was übrig wäre außer dem bißchen Ruhm und dem Reſpekt, 
den die Kinder droben für? unſerm Bart haben! 
25 Mercurius. Beim Jupiter, ich verſteh' Euch nicht. 
Literator. Sollte etwa die Rede vom „Deutſchen Mer⸗ 
kur“ ſein? 
Euripides. Kommt Ihr daher? Ihr bezeugt's alſo? 
Literator. O ja, das iſt jetzo die Wonne und Hoffnung 
30 von ganz Deutjchland®, was der Götterbote für goldne Papier⸗ 
chen der Ariſtarchen! und Aoidenb herumträgt. 
Euripides. Da hört Ihr's. Und mir iſt übel mitgeſpielt 
in denen goldenen Blättchens. 


1 Bücherkenner, Gelehrter. — 2 Zur Zeit der Entſtehung der Farce noch üblich 
ftatt vor. — 3 Vgl. oben, S. 11. — 4 Berühmter alexandriniſcher Gelehrter des 
3. Jahrhunderts v. Chr. — 5 Sänger, Dichter. Vgl. die Anmerkung am Schluſſe 
des Bandes. 


Ber 
K 
7. 
. 
5 
= 


128 eden und ee, 8 a 


Literator. Das nicht ſowohl, Herr W. 1 nur, daß e . 


nach Ihnen habe wagen dürfen, eine „Alceſte“ zu ſchreiben, und 
daß, wenn er Ihre Fehler vermieden und größere Schönheiten 


aufempfunden, man die Schuld Ihrem Jahrhunderte und deſſen nn. 


Geſinnungen zuſchreiben müſſe. 
Euripides. Fehler! Schuld! Jahrhundert! O du hohes, 


herrliches Gewölbe des unendlichen Himmels! was iſt aus uns 


geworden! Merkur, und du trägſt dich damit! 

Mercurius. Ich ſtehe verſteinert. 

Alceſte. Du biſt in übler Geſellſchaft, und ich werde ſie 
nicht verbeſſern. Pfui! 

Admet. Merkur, das hätt' ich dir nicht zugetraut. 


Mercurius. Red't deutlich, oder ich gehe fort. Was hab' 


ich mit Raſenden zu tun! 


Alceſte. Du ſcheinſt betroffen! So höre denn. Wir gingen 


neulich, mein Gemahl und ich, in dem Hain jenſeits des Cocy⸗ 
tus, wo, wie du weißt, die Geſtalten der Träume ſich lebhaft 
darſtellen und hören laſſen. Wir hatten uns eine Weile an den 
phantaſtiſchen Geſtalten ergötzt, als ich auf einmal meinen Na⸗ 


men mit einem unleidlichen Tone ausrufen hörte. Wir wandten 


uns. Da erſchienen zwei abgeſchmackte, gezierte, hagre, blaſſe 
Püppchens, die ſich einander Alcefte! Admet! nannten, vor⸗ 
einander ſterben wollten, ein Geklingele mit ihren Stimmen 
machten als! die Vögel und zuletzt mit einem traurigen Gekrächz 
verſchwanden. 

Admet. Es war lächerlich anzuſehen. Wir verſtunden das 


nicht, bis erſt kurz ein junger Studioſus herunterkam, der uns 


die große Neuigkeit brachte, ein gewiſſer Wieland habe uns un⸗ 
gebeten wie Euripides die Ehre angetan, dem Volke unſre Mas⸗ 
ken zu proſtituieren. Und der ſagte das Stück auswendig von 
Anfang bis zu Ende her. Es hat's aber niemand ausgehalten 
als Euripides, der neugierig und Autor genug dazu war. 
Euripides. Ja, und was das ſchlimmſte iſt, ſo ſoll er in eben 
den Wiſchen, die du herumträgſt, ſeine „Alceſte“ vor der meinigen 


— 


0 


25 


herausgeſtrichen, mich herunter- und lächerlich gemacht haben. 35 


1 Hier = wie. 


, Re . 
e een e , I ne Er = 


85 Or, Selten mb Wund. 129 


Nercurius. Wer it ber Wieland? 
a Literator. Hofrat und Prinzenhofmeiſter zu Weimar. 
Mercurius. Und wenn er Ganymeds! Hofmeiſter wäre, 
8 forte er mir her. Es iſt juſt Schlafenszeit, und mein Stab? 
s führt eine Seele leicht aus ihrem Körper. 
= Literator. Mir wird's angenehm fein, ſolch einen großen 
Mann bei dieſer Gelegenheit kennen zu lernen. 
(Wielands Schatten in der Range tritt auf.) 

Wieland. Laſſen Sie uns, mein lieber Jacobi. 

Alceſte. Er ſpricht im Traum. 

Euripides. Man ſieht doch, mit was für Leuten er umgeht. 
Mercurius. Ermuntert Euch. Es iſt hier von keinen Ja⸗ 
cobis die Rede. Wie iſt's mit dem Merkur? Ihrem? Merkur? 
5 dem Deutſchen Merkur? 

Wieland (kläglich. Sie haben mir ihn nachgedruckt. 

Mercurius. Was tut uns das. So hört denn und ſeht. 

Wieland. Wo bin ich? Wohin führt mich der Traum? 
Alceſte. Ich bin Alceſte. 
Admet. Und ich Admet. 
20 Euripides. Solltet ihr mich wohl kennen? 
ö Mercurius. Woher? — Das iſt Euripides, und ich bin 
Merkur. Was ſteht ihr ſo verwundert? 

Wieland. Iſt das Traum, was ich wie wachend fühle? 

Und doch hat meine Einbildungskraft niemals ſolche Bilder 
* 25 hervorgebracht. Ihr Alceſte? Mit dieſer Taille! Verzeiht! Ich 
weiß nicht, was ich ſagen ſoll. 

Mercurius. Die eigentliche Frage iſt, warum Ihr meinen 

Namen proſtituiert und dieſen ehrlichen Leuten zuſammen 8 

übel begegnet. 

30 Wieland. Ich bin mir nichts bewußt. Was Euch betrifft, 

Ihr könntet, dünkt mich, wiſſen, daß wir Euerm Namen keine 
Achtung ſchuldig find. Unfre Religion verbietet uns, irgend 
eine Wahrheit, Größe, Güte, Schönheit anzuerkennen und anzu⸗ 


* 

5 1 Troiſcher Königsſohn, den Jupiter zu ſeinem Mundſchenk machte. — 2 Als 
Führer der Träume und Schlafſpender ſchließt und öffnet Merkur die Augen durch 
Berührung mit ſeinem Stabe. Vgl. S. 128, Z. 17. — 3 Der Jacobi Merkur. Die 
Brüder Jacobi hatten den Gedanken dieſer Zeitſchrift vor allen angeregt. 


Goethe. XVIII. 9 


130 Faſtnachtsſpiele und Verwandtes. 


beten außer ihr. Daher find eure Namen wie eure Bildſäulen 
zerſtümmelt und preisgegeben. Und ich verſichre Euch, nicht 
einmal der griechiſche Hermes, wie ihn uns die Mythologen 
geben, iſt mir je dabei in Sinn gekommen. Man denkt gar 
nichts dabei. Es iſt, als wenn einer ſagte: Recueil, Porte- 5 
feuille. ! 

Mercurius. Es iſt doch immer mein Name. 

Wieland. Haben Sie niemals Ihre Geſtalt mit Flügel an 
Haupt und Füßen, den Schlangenſtab in der Hand, ſitzend auf 
Warenballen und Tonnen, im Vorbeigehen auf einer Tabaks⸗ 10 
büchſe figurieren ſehn? 

Mercurius. Das läßt ſich hören. Ich ſprech' Euch los. 
Und ihr andern werdet mich künftig ungeplagt laſſen. So weiß 
ich, war auf dem letzten Maskenballe ein gnädiger Herr, der über 
ſeine Hoſen und Weſte noch einen fleiſchfarbnen Jobs? gezogen 18 
hatte und vermittelſt Flügeln an Haupt und Sohlen? ſeine 
Molchsgeſtalt für einen Mercurius an Mann bringen wollte. 

Wieland. Das iſt die Meinung. So wenig mein Vignetten⸗ 
ſchneider auf Eure Statue Rückſicht nahm“, die Florenz auf⸗ 
bewahrt, ſo wenig auch ich. 20 

Mercurius. So gehabt Euch wohl. Und fo ſeid Ihr über⸗ 
zeugt, daß der Sohn Jupiters noch nicht ſo bankrutt gemacht 
hat, um ſich mit allerlei Leuten zu aſſoziieren. (Ab. 

Wieland. So empfehl' ich mich dann. 

Euripides. Nicht uns jo. Wir haben noch erſt ein Glas 28 
zuſammen zu leeren. 

Wieland. Ihr ſeid Euripides, und meine Hochachtung für 
Euch hab' ich öffentlich geſtanden. 

Euripides. Viel Ehre! Es fragt ſich, inwiefern Euch Eure 
Arbeit berechtigt, von der meinigen bels zu reden. Fünf Briefe 30 
zu ſchreiben, um Euer Drama, das ſo mittelmäßig iſt, daß ich 
als kompromittierter Nebenbuhler faſt drüber eingeſchlafen bin, 
Euern Herren und Damen nicht allein vorzuftreichen?, das man 


1 Sammelheft, Brieftaſche. Wielands Zeitſchrift wird damit als Sammel⸗ 
ftätte aller möglichen Notizen bezeichnet. — 2 Joppe. — 3 So viel wie Knöchel⸗ 
ſchuhe oder griechiſche Sandalen. — “ Die Vignette auf dem „Merkur“ iſt herzlich 
ſchlecht. — 5 Vor ihnen herauszuſtreichen. 


2 


> 5 
10 
15 
20 


2⁵ 


830 


Götter, Helden und Wieland. 131 


noch verzeihen könnte; ſondern den guten Euripides als einen 


verunglückten Mitſtreiter hinzuſtellen, dem Ihr den Rang abge⸗ 


laufen habt. 

Admet. Ich will's Euch geſtehen, Euripides iſt auch ein 
Poet, und ich habe mein' Tage die Poeten für nichts mehr ge⸗ 
halten, als ſie ſind. Aber ein braver Menſch iſt er und unſer 
Landsmann. Es hätte Euch doch ſollen bedenklich ſcheinen, ob 
der Mann, der geboren wurde, da Griechenland den Xerxes be= 
meiſtertel, der ein Freund des Sokrates war, deſſen Stücke eine 
Wirkung auf ſein Jahrhundert hatten wie Eure wohl ſchwer⸗ 
lich, ob der Mann nicht eher die Schatten von Alceſte und Admet 
habe herbei beſchwören können als Ihr. Das verdiente einige ahn⸗ 
dungsvolle Ehrfurcht. Der zwar Euer ganzes aberweiſes? Jahr⸗ 
hundert von Literatoren nicht fähig iſt. 

Euripides. Wenn Eure Stücke einmal ſo viel Menſchen 
das Leben gerettet haben als meines, dann ſollt Ihr auch reden. 

Wieland. Mein Publikum, Euripides, iſt nicht das Eurige. 

Euripides. Das iſt die Sache nicht. Von meinen Fehlern 
und Unvollkommenheiten iſt die Rede, die Ihr vermieden habt. 

Alceſte. Daß ich's Euch ſage als ein Weib, die eh' ein Wort 
reden darf, daß es nicht auffällt. Eure Alceſte mag gut ſein 
und eure Weibchen und Männchen amüſiert, auch wohl gekitzelt 
haben, was Ihr Rührung nennt. Ich bin drüber weggegangen, 
wie man von einer verſtimmten Zither wegweicht. Des Euri⸗ 
pides ſeine hab' ich doch ganz ausgehört, mich manchmal drüber 
gefreut und auch drüber gelächelt. 

Wieland. Meine Fürſtin! 

Alceſte. Ihr ſolltet wiſſen, daß Fürſten hier nichts gelten. 
Ich wünſchte, Ihr könntet fühlen, wie viel glücklicher Euripides 
in Ausführung unſrer Geſchichte geweſen als Ihr. Ich bin für 
meinen Mann geſtorben; wie und wo, das iſt nicht die Frage. 
Die Frage iſt von Eurer Alceſte, von Euripides' Alceſte. 


1 Euripides' Geburt wurde in das Jahr der Schlacht von Salamis, 480 
v. Chr., geſetzt. — 2 Naſeweiſes, überkluges. — 3 Nach Plutarchs „Leben des 
Nicias“, Kap. 29, ſollen von den 7000 dem Tode in den Steingruben bei Sy⸗ 
rakus preisgegebenen atheniſchen Gefangenen viele dadurch ihre Lage verbeſſert 
haben, daß ſie ihre Herren durch Vortrag ergreifender Stellen aus Euripides' 
Dramen rührten f 


9 * 


Safnnsipite und dann 


Wieland. Könnt Ihr 1 mir nme, Ab 50 8 iz > 


delikater behandelt habe? 


warum er eine Alceſte aufs Theater 1 1 5 nuch So e 


wenig Ihr die Größe des Opfers, das ich meinem Manne tat, e 


darzuſtellen wußtet. 
Wieland. Wie meint Ihr das? 


Euripides. Laßt mich reden, Alceſte. Sieh 99 das find 3 


meine Fehler. Ein junger, blühender König, erſterbend mitten 


im Genuß aller Glückſeligkeit. Sein Haus, ſein Volk in Ver⸗ 


zweiflung, den Guten, Trefflichen zu verlieren, und über dem 3 
Jammer Apoll bewegt, den Parzen einen Wechſeltod abdringend. 


Und nun — alles verſtummt und Vater und Mutter und Freunde 
und Volk — alles — und er lechzend am Rande des Tods, 
umherſchauend nach einem willigen Auge, und überall Schwei⸗ 


gen — bis fie auftritt, die Einzige, ihre Schönheit und Kraſt 


aufzuopfern dem Gatten, hinunterzuſteigen zu den hoffnungs⸗ 
loſen Toten. 

Wieland. Das hab' ich alles auch. 

Euripides. Nicht gar! Eure Leute ſind erſtlich alle zu⸗ 


ſammen aus der großen Familie, der ihr Würde der Menſch⸗ 5 
heit, ein Ding, das Gott weiß woher abſtrahiert iſt zum Erbe 


gegeben habt, ihr Dichter auf unſern Trümmern! Sie ſehn 


einander ähnlich wie die Eier, und ihr habt fie zum unbede . 


tenden Breie zuſammengerührt. Da iſt eine Frau, die für ihren 
Mann ſterben will, ein Mann, der für ſeine Frau ſterben will, 
ein Held, der für ſie beide ſterben will, daß nichts übrig bleibt 


als das langweilige Stück Parthenial, die man gerne wie den 


Widder aus 'em Buſche bei den Hörnern kriegte, um dem Elend 
ein Ende zu machen.? 
Wieland. Ihr ſeht das anders an als ich. 


Alceſte. Das vermut' ich. Nur ſagt mir: was war Al⸗ 2 
ceſtens Tat, wenn ihr Mann Sie mehr liebte als ſein Leben? 


Der Menſch, der ſein ganzes Glück in ſeiner Gattin genöſſe, wie 
Euer Admet, würde durch ihre Tat in den doppelt bittern Tod 


1 Schweſter der Alceſte bei Wieland. — 2 Anſpielung auf Iphigeniens Dyfer 
rung in Aulis. 


3. 


3 

x 

re 
85 ee: 


Mens it, läßt ſeine Liebenden 1 — „Daphnis, 10 
ſterbe zuletzt.“ 2 Alſo mußte Admet gerne leben, ſehr gerne leben, 
s oder ich war — was? — eine Komödiantin — ein Kind — 
genug, macht aus mir, was Euch gefällt. 


nicht ſterben mag. Seid Ihr jemals geſtorben? Oder ſeid Ihr 
jemals ganz glücklich geweſen? Ihr red't wie großmütige 
10 Hungerleider. 
Wieland. Nur Feige fürchten den Tod. 

585 Admet. Den Heldentod, ja! Aber den Hausvatertod 
fürchtet jeder, ſelbſt der Held. So iſt's in der Natur. Glaubt 
Ihr denn, ich würde mein Leben geſchont haben, meine Frau dem 
> Feinde zu entreißen, meine Beſitztümer zu verteidigen? Und 
doch — 


Sprache, deren Worte ich vernehme, deren Sinn ich nicht faſſe. 


d lich? Admet — 
Euripides. Ihr bedenkt nicht, daß er zu einer Sekte ge⸗ 
hört, die allen Waſſerſüchtigen, Auszehrenden, an Hals und 
Bein tödlich Verwundeten einreden will, tot würden ihre Her⸗ 
Zen voller, ihre Geiſter mächtiger, ihre Knochen markiger ſein.“ 

25 Das glaubt er. 

| Adnet. Er tut nur jo. Nein, Ihr ſeid noch Menſch genug, 
8 Euch zu Euripides' Admeten zu verſetzen. 

Aleeſte. Merkt auf und fragt Eure Frau drüber. 
Admet. Ein junger, ganz glücklicher, wohlbehaglicher Fürſt, 


empfangen hatte und drinne ſaß mit Genüglichkeit und genoß 


1 Vgl. Ovids „Metamorphoſen“, Buch 8, V. 620 ff., und „Fauſt“, 2. Teil, 
5. Aufzug, V. 11059 ff. — 2 Anſpielung auf die mannigfach variierten Worte: 
„Daphnis!], du ſtirbſt nicht nach mir!“ in Klopſtocks jetzt „Selmar und Selma“ 
überſchriebener Ode, die bei ihrem Erſcheinen „Daphnis und Daphne“ hieß. — 
Anſpielung auf Wielands „Briefe von Verſtorbenen an hinterlaſſene Freunde“, 
in den „Poetiſchen Schriften“, Bd. 2, Nr. 8 (Zürich 1762), und auf Alceſtes Schwär⸗ 
men vom Elyſium. 


Admet. Und den Admet, der Euch ſo ekelhaft iſt, weil er 


Wieland. Ihr redet wie Leute einer andern Welt, eine 


Admet. Wir reden griechiſch. Iſt Euch das ſo wütete 


5 30 der von ſeinem Vater Reich und Erbe und Herde und Güter 


er 


134 Faſinachtsſpiele und Verwandtes. 


und ganz war und nichts bedurfte als Leute, die mit ihm ge⸗ 
noſſen, und ſie wie natürlich fand und des Hergebens nicht 
fatt wurde und alle liebte, daß fie ihn lieben ſollten, und ſich 
Götter und Menſchen ſo zu Freunden gemacht hatte und Apoll 


den Himmel an ſeinem Tiſche vergaß — der ſollte nicht ewig 5 | 


zu leben wünſchen! — Und der Menſch hatte auch eine Frau — 

Alceſte. Ihr habt eine und begreift das nicht. Ich wollte 
das dem ſchwarzaugigen jungen Ding dort begreiflich machen. 
Schöne Kleine, willſt du ein Wort hören? 


Das Mädchen. Was verlangt Ihr? . 


Alceſte. Du hatteſt einen Liebhaber. 

Mädchen. Ach ja! 

Alceſte. Und liebteſt ihn von Herzen, ſo daß du in Mane 
guten Stunde Beruf fühlteſt, für ihn zu ſterben? 

Mädchen. Ach, und ich bin um ihn geſtorben. Ein fend 15 
ſeliges Schickſal trennte uns, das ich nicht lang’ überlebte. 

Alceſte. Da habt Ihr Eure Alceſte, Wieland. Nun ſage 
mir, liebe Kleine, du hatteſt Eltern, die ſich zärtlich liebten? 

Mädchen. Gegen unſre Liebe war's kein Schatten.! Aber 


ſie ehrten einander von Herzen. 20 


Alceſte. Glaubſt du wohl, wenn deine Mutter in Todsge⸗ 
fahr geweſen wäre und dein Vater hätte für ſie mit ſeinem 
Leben bezahlt, daß ſie's mit Dank angenommen hätte? 

Mädchen. Ganz gewiß. 

Alceſte. Und wechſelsweiſe, Wieland, ebenſo, da habt Ihr 25 
Euripidens Alceſte. 

Admet. Die Eurige wäre denn für Kinder, die andere für 
ehrliche Leute, die ſchon ein bis zwei Weiber begraben haben. 
Daß Ihr nun mit Eurem Auditorio ſympathiſterke iſt nötig 


und billig. 30 


Wieland. Laßt mich, ihr ſeid widerſinnige, rohe Leute, mit 
denen ich nichts gemein habe. 

Euripides. Erſt höre mich noch ein paar Worte. 

Wieland. Mach's kurz. 


1 Gegen unſre Liebe war es gar nichts. 


Euripides. Keine fünf Briefe, aber Stoff dazu. Das, 38 4 


R Götter, Helden und Wieland. 135 


ak Ihr Euch ſo viel zugute tut, ein Theaterſtück ſo zu 
lenken und zu runden, daß es ſich ſehen laſſen darf, iſt ein 
Qaaalent, ja, aber ein ſehr geringes. 
8 Wieland, Ihr kennt die Mühe nicht, die's koſtet. 
5 Euripides. Du haſt ja genug davon vorgeprahlt, daß alles, 
wenn man's beim Licht beſieht, nichts iſt als eine Fähigkeit, nach 
Sitten und Theaterkonventionen und nach und nach aufgeflickten 
Statuten Natur und Wahrheit zu verſchneiden und einzugleichen. 
Wieland. Ihr werdet mich das nicht überreden. 
10 Euripides. So genieße deines Ruhms unter den Deinigen 
und laß uns in Ruh'. 
Admet. Begib dich zur Gelaſſenheit, Euripides! Die 
Stellen, an denen er deiner ſpottet, ſind ſo viel Flecken, mit 
denen er ſein eigen Gewand beſchmitzt.! Wär' er klug und er 
15 könnte ſie und die Noten zum Shakeſpeare mit Blut abkaufen, 
er würde es tun. So ſtellt er ſich dar und bekennt: da hab' ich 
nichts gefühlt. 
Euripides. Nichts gefühlt bei meinem Prolog, der ein 
Meiſterſtück iſt. Ich darf wohl von meiner Arbeit ſo reden, 
20 tuſt du's ja. Du fühlſt nichts, da du in den gaſtoffnen Hof 
Admetens trittſt. 
Alceſte. Er hat keinen Sinn für Gaſtfreiheit, hörſt du j ja. 
Euripides. Und auf der Schwelle begegnet dir Apollo, die 
freundliche Gottheit des Hauſes, die, ganz voll Liebe zum Ad⸗ 
25 met, ihn erſt dem Tod entreißt und nun, o Jammer! ſein beſtes 
Weib für ihn dahingegeben ſieht. Er kann nichts weiter retten 
und entfernt ſich wehmütig, daß nicht die Gemeinſchaft mit 
Toten ſeine Reinigkeit beflecke. Da tritt herein, ſchwarz gehüllt, 
das Schwert ihrer heimtückiſchen Macht in der Fauſt, die Köni⸗ 
30 gin der Toten, die Geleiterin zum Orkus, das unerbittliche 
Schickſal, und ſchilt auf die gütig verweilende Gottheit, droht 
ſchon der Alceſte, und Apoll verläßt das Haus und uns. Und 
wir mit dem verlaſſenen Chor ſeufzen: ach, daß Askulap noch 
lebte, der Sohn Apollos, der die Kräuter kannte und jeden 
5 Balſam, ſie würde gerettet werden; denn er erweckte die Toten; 


* 1 Mit Kot bewerfen, beflecken. 


„„ „ besehen und 2 Verwandte. 


\ aber er iſt cine von Jupiters Blitz, 5 nicht duldete, daß 
jener weckte vom ewigen Schlaf, die in Staub geſtr 
nieder ſein unerbittlicher Ratſchluß. 


AAleeſte. Biſt du nicht ganz entrückt en in bie EEE 
taſie der Menſchen, die aus ihrer Väter Munde vernommen 


g e 


hatten von einem ſo wundertätigen Manne, dem Macht gegeben 
war über den allmächtigen Tod? Iſt dir nicht der Wunſch, 


Hoffnung, Glaube aufgegangen: käme einer aus dieſem Ge⸗ 


ſchlechte! käme der Halbgott ſeinen Brüdern zu Hülfe! 


Euripides. Und da er nun kommt, nun Herkules auftritt 


10 


und ruft: ſie iſt tot! tot! haſt ſie weggeführt, ſchwarze, gräßliche 
Geleiterin zum Orkus, haſt mit deinem verzehrenden Schwerte 


abgeweihet! ihre Haare. Ich bin Jupiters Sohn und traue mir 


Kraft zu über dich. An dem Grabe will ich dir auflauſchen, 


wo du das Blut trinkſt der abgeſchlachteten Totenopfer, faſſen 


will ich dich, Todesgöttin, umknüpfen mit meinen Armen, die 


kein Sterblicher und kein Unſterblicher löſet, und du ſollſt mir 
herausgeben das Weib, Admetens liebes Weib, oder ich bin 
nicht Jupiters Sohn. g 

Herkules tritt auß. Was red't ihr von Jupiters Sohn? 
Ich bin Jupiters Sohn. 


20 


Admet. Haben wir dich in deinem Rauſchſchläfchen geſtört? | 


Herkules. Was ſoll der Lärm? 

Alceſte. Ei, da iſt der Wieland. 

Herkules. Ei wo? 

Admet. Da ſteht er. 

Herkules. Der! Nun, der iſt klein genug. Hab' ich mir 
ihn doch ſo vorgeſtellt. Seid Ihr der Mann, der den Herkules 
immer im Munde führt? 

Wieland. Ich habe nichts mit Euch zu ſchaffen, Koloß. 

Herkules. Bin ich dir als Zwerg erſchienen? 

Wieland. Als wohlgeſtalter Mann, mittlerer Größe tritt 

mein Herkules auf. 
f Herkules. Mittlerer Größe! Ich! 


gemeint.? 
1 Weihend abgeſchnitten. — 2 So ſeid Ihr damit nicht gemeint. 


Wieland. Wenn Ihr der Herkules ſeid, ſo ſeid ben 8 nicht 5 ; 


50 8 


Bitte, en Wieland. 


8 Herkules. 65 iſt mein Ane 5 auf den bin ich ſtolz. 
Ich weiß wohl, wenn ein Fratze keinen Schildhalter unter den 
Bären, Greifen und Schweinen finden kann, ſo nimmt er einen 
Herkules dazu. Denn meine Gottheit iſt dir niemals im Traum 
b erſchienen. 
Wieland. Ich geſtehe, das iſt der erſte Traum, den ich ſo 
habe. 5 

Herkules. So geh' in dich und bitte den Göttern ab deine 
Noten übern Homer!, wo wir dir zu groß find. Das glaub' 
10 ich, zu groß! 

Wieland. Wahrhaftig, Ihr ſeid ungeheuer. Ich hab' mir 
Euch niemals ſo imaginiert. 
FE Herkules. Was kann ich davor, daß Er jo eine engbrüſtige 

Imagination hat. Wer iſt denn ſein Herkules, auf den Er ſich 
15 ſo viel zugute tut? Und was will Er? Für die Tugend!? 
Was heißt die Deviſe? Haft du die Tugend geſehn, Wieland? 
Ich bin doch auch in der Welt herumkommen, und iſt mir nichts 
ſo begegnet. 
RE Wieland. Die Tugend, für die mein Herkules alles tut, 
20 alles wagt, Ihr kennt fie nicht! 
; Herkules. Tugend! Ich hab' das Wort erſt hierunten von 
ein paar albernen Kerls gehört, die keine Rechenſchaft davon 
zu geben wußten. 
Ä Wieland. Ich bin's ebenſowenig imſtande. Doch laßt uns 
205 darüber keine Worte verderben. Ich wollte, Ihr hättet meine 
Gedichte geleſen, und Ihr würdet finden, daß ich ſelbſt die Tugend 
wenig achte. Sie iſt ein zweideutiges Ding. N 
5 Herkules. Ein Unding iſt ſie, wie alle Phantaſie, die mit 
dem Gang der Welt nicht beſtehen kann. Eure Tugend kommt 
= so mir vor wie ein Zentaur; ſolang' der vor Eurer Imagina⸗ 
= tion herumtrabt, wie herrlich, wie kräftig! und wenn der Bild- 
phauer Euch ihn hinſtellt, welch übermenſchliche Form! — Ana⸗ 
tomiert ihn und findet vier Lungen, zwei Herzen, zwei Mägen. 


1 Anſpielung auf die halb ſcherzhaften Bemerkungen gegen Homer, die Wie⸗ 
land in ſeinem komiſchen Gedicht „Der neue Amadis“ (Leipzig 1771) angebracht hatte; 
8. B. Teil 1, V. 48, 54 f., 230, 239; Teil 2, V. 17, 20 ff., 39, 109. — 2 Vgl. oben, 
8 S. 123, 8. 38 f., und die Anmerkung am Schluſſe dieſes Bandes. 


. 


138 Vaude und Gelwanz 


Er ſtirbt im Augenblicke der Geburt wie ein andres e er 


oder iſt nie außer Eurem Kopf erzeugt worden. 


Wieland. Tugend muß doch was ſein, ſie muß wo ſein. 


Herkules. Bei meines Vaters ewigem Bart! Wer hat 
daran gezweifelt? Und mich dünkt, bei uns wohnte ſie, Halb⸗ 
göttern und Helden. Meinſt du, wir lebten wie das Vieh, weil 
eure Bürger ſich vor den Fauſtrechtszeiten! kreacgen Wir 
hatten die braviten Kerls unter uns. 

Wieland. Was nennt ihr brave Kerls? 


Herkules. Einen, der mitteilt, was er hat. Und der weiche 


iſt der bravſte. Hatte einer Überfluß an Kräften, ſo prü⸗ 


gelte er die andern aus. Und verſteht ſich, ein rechter Mann 


gibt ſich nie mit geringern ab, nur mit ſeinesgleichen, auch 
größern wohl. Hatte einer denn Überfluß an Säften, machte 
er den Weibern ſo viel Kinder, als ſie begehrten, auch wohl 


ungebeten. Wie ich denn ſelbſt in einer Nacht funfzig Buben 


ausgearbeitet habe. Fehlt' es einem denn an beiden, und der 
Himmel hatte ihm, oder auch wohl dazu?, Erb' und Hab' vor 
Tauſenden gegeben, eröffnete er ſeine Türen und hieß Tauſende 
willkommen, mit ihm zu genießen. Und da ſteht Admet, der 
wohl der brapſte in dieſem Stücke genannt werden kann. 

Wieland. Das meiſte davon wird zu unſern Zeiten für 
Laſter gerechnet. 

Herkules. Laſter, das iſt wieder ein ſchönes Wort. Da⸗ 
durch wird eben alles ſo halb bei euch, daß ihr euch Tugend 
und Laſter als zwei Extrema vorſtellt, zwiſchen denen ihr 


ſchwankt. Anſtatt euern Mittelzuſtand als den poſitiven an⸗ 
zuſehn und den beſten, wie's eure Bauern und Knechte und 


Mägde noch tun. 
Wieland. Wenn Ihr dieſe Geſinnungen in meinem Jahr⸗ 


hunderte merken ließet, man würde Euch ſteinigen. Haben ſie 


mich wegen meiner kleinen Angriffe an Tugend und Neligſeng 
ſo entſetzlich verketzert. 


1 Vgl. S. 124, Z. 6—10. — 2 D. h. wenn der Himmel einem viel Gut, aber 


entweder keine Säfte oder keine Kräfte, oder wenn er ihm jenes zu Kräften und 
Säften auch noch dazugegeben hatte, u. ſ. w. — 3 Wielandſche Angriffe auf die Religion 
oder mehr auf ihre Diener enthalten z. B. die ſchon S. 76, Z. 13 ff., genannten „Beiträge 
zur geheimen Geſchichte des menſchlichen Verſtandes und Herzens“ vom Jahre 1770. 


Götter, Selen und Wieland. 139 


er Hermle Was iſt da viel anzugreifen? Die Pferde, Men⸗ 
ſchenfreſſer und Drachen, mit denen hab' ich's aufgenommen, 
mit Wolken niemals, ſie wollten eine Geſtalt haben, wie ſie 
mochten. Die überläßt ein geſcheiter Mann dem Winde, der 
ſie zuſammengeführt hat, wieder zu verwehen. 
Wieland. Ihr ſeid ein Unmenſch! Ein Gottesläſtrer. 
Herkules. Will dir das nicht in Kopf? Aber des Pro⸗ 
dikus! Herkules, das iſt dein Mann. Eines Schulmeiſters Her⸗ 
kules. Ein unbärtiger Sylvio? am Scheideweg. Wären mir 
10 die Weiber begegnet, ſiehſt du, eine unter den Arm, eine unter 
den, und alle beide hätten mit fortgemußt. Darin iſt dein 
Amadiss kein Narr, ich laß dir Gerechtigkeit widerfahren. 
Wieland. Kenntet Ihr meine Geſinnungen, Ihr würdet noch 
anders denken. 
15 Herkules. Ich weiß genug. Hätteſt du nicht zu lang' unter 
der Knechtſchaft deiner Sittenlehre geſeufzt, es hätte noch was 
Er aus dir werden können. Denn jetzt hängen dir immer noch die 
ſ(ſcheelen Ideale an. Kannſt nicht verdauen, daß ein Halbgott 
x ſich betrinkt und ein Flegel iſt, ſeiner Gottheit ohnbeſchadet. 
20 Und wunder meinſt, wie du einen Kerl proſtituiert hätteſt, 
wennn du ihn untern Tiſch oder zum Mädel auf die Streu 
bringſt.“ Weil Eure Hochwürden das nicht Wort haben wollen. 
Wieland. Ich empfehle mich. 
Herkules. Du möchteſt aufwachen. Noch ein Wort. Was 
25 ſoll ich von eines Menſchen Verſtand denken, der in ſeinem 
| vierzigſten Jahr ein groß Werks und Weſens draus machen 
i kann und fünf, ſechs Bücher voll ſchreiben, davon, daß ein 
Maidel mit kaltem Blut kann bei drei, vier Kerls liegen und ſie 


1 Der Sophiſt Prodikus trägt in Xenophons „Denkwürdigkeiten“, Buch 2, 
Kap. 1, die Lehr⸗Erzählung von „Herkules am Scheidewege“ vor, wonach Herkules 
vor die Wahl geſtellt wird zwiſchen der Ruhm verleihenden Göttin der Tugend und 
der Genuß verheißenden Göttin der Wolluſt. Wieland im „Merkur“ von 1773, 
Teil 3, S. 126, erklärt, daraus den Stoff zu ſeiner dort abgedruckten Kantate 
„Die Wahl des Herkules“ genommen und ſie dem moraliſchen Endzweck zuliebe 
geſchaffen zu haben. — 2 Anſpielung auf den komiſchen Roman „Der Sieg der 
Natur über die Schwärmerei, oder die Abenteuer des Don Sylvio von Roſalva“ 
(1764), mit dem Wieland die Reihe feiner frivolen Dichtungen eröffnete. — 3 Vgl. 
oben, S. 137, Anm. 1. — ! Anſpielung auf Wielands „Muſarion“, wo den Philos 
ſophen Kleanth und Theophron durch Wein und Liebe dies Geſchick bereitet wird. 


Batnasisrle 155 a weren 


in in der Reihe herum Hebhaben Und b daß die Kerls 


drüber beleidigt finden und doch wieder aubeißen. 35 ie = 


gar nicht — 

Pluto (inwendig'. Hel Ho! Was für ein verfluchter drm 
da draußen. Herkules, dich hört man überall vor. Kann man 
denn nicht einmal ruhig liegen bei ſeinem Weibe, wenn ſie 9 
dagegen hat. 

Herkules. So gehabt Euch wohl, Herr Hofrat. 


Wieland (erwachen). Sie reden, was fie wollen: mögen e 


doch reden, was kümmert's mich.? 


1 Anſpielung auf die ausführliche Geſchichte der Danae, die Wieland ſeinem 


Roman „Agathon“ bei der zweiten Auflage vom Jahre 1773 als zwölftes Buch 


hinzugefügt hatte. Im „revidierten“ Agathon von 1794 iſt fie das 15. Bud. — 

2 Über dieſen Gedanken hatte Wieland als über eine alte Inſchrift 1772 das Schrift⸗ 55 
chen veröffentlicht: „Gedanken über eine alte Aufſchrift“, und Goethe hatte ſie in den i 
„Frankfurter gelehrten Anzeigen“ anerkennend beſprochen und nur vermißt, daß der 


Verfaſſer, der die danach Lebenden in große und kleine Sultane und in Zyniker 


geteilt hatte, nicht auch den „Wachspuppenzuſtand“ derer dargeſtellt habe, die ihr ; 


zu folgen nicht die Stärke hätten. Vgl. Bd. 21, S. 65 dieſer Ausgabe. 


—— RE 


5 a 


imp! der Empfindſan b 


— 


Perſonen. 


Andraſon, ein humoriſtiſcher König. 
Mandandane, ſeine Gemahlin. 

Dieſelbe noch einmal. 

Feria, ſeine Schweſter, eine junge Witwe. 
Mana 5 
Sora 
Lato 
Mela 
Oronaro, Prinz. 

Merkulo, ſein Kavalier. 

Der Oberſte ſeiner Leibwache. 

Leibwache. 

Mohren. 

Bediente. 

Askalaphus, Mandandanens Kammerdiener. 


Hoffräulein der Feria. 


a 


10 


15 


20 


25 


Einleitung des Herausgebers. 


» „vielen kleinen jetzt verlornen] Ernſt⸗, Scherz⸗ und Spott» 
gedichten mit unmittelbarem Bezug auf Perſönlichkeiten und 
das nächſte Verhältnis“ dichtete Goethe nach ſeinem eignen Zeugnis 
in den „Tag⸗ und Jahresheften“ auch den „Triumph der Empfind⸗ 
ſamkeit“ als eine „harte realiſtiſche Gegenwirkung“ gegen „überhand⸗ 
nehmende ſchale Sentimentalität“. Denn während er anfangs An⸗ 
fechtungen wegen der ſittlichen Gefährlichkeit ſeines „Werther“, wie ſie 
3. B. vom eifernden Hauptpaſtor Goeze in Hamburg oder vom Berliner 
Bannvogt der Aufklärung, Nicolai, kamen, das Bewußtſein entgegen⸗ 
ſetzte, „daß es hier auf keine unmittelbare Wirkung abgeſehen ſei“, ſon⸗ 
dern „Werthers Jugendblüte ſchon von vornherein als vom tödlichen 
Wurm geſtochen erſcheine“, mußte er ſich bald ſelber geſtehn, daß doch 
in Literatur wie Leben die verkehrteſte Wirkung des Romans eingetreten 
war, die ſich nur denken ließ. Die Empfindungsſeligkeit, die, mit 
Brockes' „Irdiſchem Vergnügen in Gott“ anhebend, zuletzt aus Oſſian, 
Klopſtock und dem Treiben des „Hains“ ſchon kräftige Nahrung geſogen 
hatte, war durch die Dichtung, in der Goethe zur eigenen Befreiung 
von den Keimen dieſer Zeitkrankheit die Selbſtvernichtung ſolches 
Empfindungsüberſchwanges darſtellte, vielmehr erſt vollends empor⸗ 
getrieben worden. Über die literariſchen Nachbildungen, die wie Pilze 
aus der Erde ſchoſſen, hielt er denn auch 1779 ein ſymboliſches Hoch⸗ 
gericht, indem er Fritz Jacobis „Woldemar“, der überdies ſtarke per⸗ 
ſönliche Züge Goethes an ſich trug, eines Tages zu Ettersburg in 
wild » genialer Laune förmlich verfluchte und an einen Baum nagelte. 

Die Einwirkungen des „Werther“ und ſeiner Nachbildungen auf 


das Leben verſtimmten ihn längſt ſchon noch ernſtlicher. Unglückliche 


Opfer der Zeitkrankheit wie ſeichte Gecken, die mit den Bildern der Dich⸗ 
tung im Leben ſpielten, ſahen in dem Roman gleichmäßig die Ver⸗ 
herrlichung der Sentimentalität, kleideten ſich in Werthers Tracht, 


er, 


144 ae 2 run 505 Seebeben, 


gingen wie in Gefühl zerfließend 1 und gland erſt anziehend 85 
zu werden, wenn ſie nach literariſchen Rezepten für die Mlnatur 
ſchwärmten und in den dienenden Gliedern des Volkes ihre natürlichen | 
Brüder umarmten. Selbſtmörder wurden mit dem „Werther“ in der 
Taſche aufgehoben. Unter den vielen Symptomen dieſer Epidemie, die 5 
ſich dem Dichter in jener Zeit aufdrängten, verſtimmten und ergriffen 
ihn am meiſten die ſchwermütigen Briefe, die im Sommer 1777 der Sohn 
des Wernigeroder Superintendenten Pleſſing an ihn richtete, eben jener 
Grübler, den er dann im Dezember desſelben Jahres bei ſeiner Harz⸗ 
reife aufſuchte und damals wie wieder bei einem Beſuche in Weimar tief 10 
und ernſt genug fand, um den inzwiſchen Gymnaſialprofeſſor Gewor⸗ 
denen 1792 bei der Rückkehr aus der Kampagne in Frankreich in Duis- 
burg aufzuſuchen. 1777 war er ihm der Typus eines Menſchen, der 
„den Wert einer klaren Wirklichkeit gegen ein trübes Phantom ſeiner 
düſtern Einbildungskraft von ſich ablehnt“. Auch in der Weimarer Ge⸗ 5 
ſellſchaft mußte er zahlreiche Spielarten ſolcher Wertherei beobachten, ja 
unweit ſeiner Wohnung ſah er ein Opfer derſelben, die Tochter des Ober⸗ 
ſten von Lasberg, noch am 17. Januar 1778 aus der Ilm ziehen, alſo 
zu der Zeit, wo er mit den Proben zu unſerm Stück beſchäftigt war, in 
dem das Treiben der Empfindſamen mit ariſtophaniſcher Laune und 0 
Phantaſtik verſpottet werden ſollte. ” 

Als Goethe am 12. September 1777 Frau von Stein aus Eisenach en: 
die erſte Nachricht von der Erfindung des Stückes gibt, nennt er's „Die 
Empfindſamen“ und bezeichnet es als „eine komiſche Oper, ſo toll und 
grob als möglich“, die Seckendorf komponieren ſoll. Auch haben dieſe 2 
„Empfindſamen“ ſtatt der fünf Balletts, die jetzt eingelegt ſind, deren 3 
acht enthalten. Ebenſo ſollen fie nach Riemers Bericht kürzer und länd⸗ 
lich⸗idylliſcher geweſen ſein; die Erzählung vom Beſuch in der Orakel⸗ 
höhle war voll von Ausfällen gegen die ſalbungsvollen, geldgierigen 
Prieſter. Dies war wohl ein böſer Stich auf Herders unbequeme 30 
Forderungen nach mehr Mitteln für Kirche und Schule und auf ſeine 
nicht minder mißliebigen, aber ebenſo berechtigten Reklamationen 
ſeinem Amte vorenthaltener Geſchäfte und Einkünfte. Gewiß mit Be⸗ 
ziehung auf ſolchen Spott berichtet daher Herders Frau: „Der gelte 
liche Stand beſonders wurde bei jeder Gelegenheit lächerlich gemacht, 33 
Parallelen zwiſchen dem armſeligen Landgeiſtlichen und dem kräftigen, 
in freier Natur lebenden ... Jäger häufig gezogen, wobei dann freilich 


ä 


T.. . ˙—˙wv BERRENNERTT 
1c 


Cialeitung des Geraußgeberd. 145 


der ſtille, ſtudierende Prediger in das jämmerlichſte Licht kam. Leute 
von dieſem Ton, die ſonſt Herdern hochſchätzten, wünſchten nichts mehr, 
als daß auch er in ihre Anſichten eintreten möchte, und bemühten ſich 
diurch feine und grobe Darſtellungen öfters dahin.“ — Überhaupt 
B enthielt die ältere Faſſung zahlreichere perſönliche Anſpielungen und 
Ausfälle, ſo auf Wielands „Alceſte“, auf eines alten Herrn von Secken⸗ 
dorf ewiges Erzählen von Ameiſenbeläſtigung oder auf den Kopfputz 
einer Hofdame, die nach Pariſer Mode einen windmühlenartigen Hut⸗ 
aufbau trug. Ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen der erſten, wirklich 
10 ausgeführten Form von 1777 und der jetzigen „dramatiſchen Grille“ 
iſt deshalb kaum anzunehmen. Auch wenn für die zwei Aufführungen 
des Jahres 1778 ein durchſchlagender Erfolg gemeldet wird, während 
das Stück heute auf Leſer überwiegend einen froſtigen Eindruck macht, 
darf man deshalb zu keinem anderen Schluſſe kommen. Die Un⸗ 
15 mittelbarkeit heute kaum noch verſtändlicher Anſpielungen, eine glän⸗ 
zende Ausſtattung, deren Koſten im Munde des ſtaunenden Weimar 
von vierhundert Talern, die ſie wirklich betrugen, auf zwölfhundert 
anwuchſen, endlich in der Rolle des Andraſon der lebenſprühende 
Dichter ſelbſt: das alles mußte einen geladenen, zur We be⸗ 
20 reiten Hörerkreis mit fortreißen. 
Der Grundſchaden war trotzdem ſchon damals derſelbe wie in der 
Umarbeitung, die das Stück im Juni 1786 für die „Schriften“ erfuhr. 
Durch Verringerung der Balletteinlagen und Tilgung vieler Einzel⸗ 
= anſpielungen und aus augenblicklichen Reizungen und Launen ent- 
- 25 ſprungener Ausfälle ſollte es nach Goethes Hoffnung „produzibler 
geworden ſein und eh' gewonnen als verloren haben“. Der Grund⸗ 
gedanke von der Überlegenheit des Menſchen, der die klar erfaßte 
Wirklichkeit mit ſtetem Herzen genießt, wird auch tatſächlich von vorn⸗ 
herein deutlicher, nun Andraſon nicht mehr den Schein erweckt, einen 
30 Kampf gegen das Prieſterweſen aufnehmen zu wollen, ſondern nur die 
Rätſelhaftigkeit des entſcheidungsvollen Orakels leiſe ironiſiert. Da⸗ 
mit tritt er, ſeines Namens der Herzhafte, Mannhafte, auch launiger 
ſeinem Gegenbilde Oronaro gegenüber, in dem alles Schwächliche, Ge⸗ 
machte und Eingebildete der Sentimentalitätsnarren zuſammengefloſſen 
33 iſt und den feine Puppe mit Werther und Genoſſen unterm Herzen als 
nnichts denn einen Nachäffer des Werther charakteriſiert. Wie aber fing 
es der Dichter an, die Unechtheit der Empfindungen Oronaros fühlbar 


= Goethes XVIII. 10 


* 


146 \ »Der Triumph der Empfindſamkeit. 


zu machen, der doch ſeinem Namen gemäß wie ein „rinnender Berg“ 
ſinnbetörend wirkt? Weit zurückbleibend hinter Ariſtophanes' ur⸗ 
kräftiger Phantaſtik, bei der wir wirklich leibhaftige Geſtalten ſo 
gut der Unterwelt wie aus Wolkenkuckucksheim zu ſehen glauben, 
gab er ihm ſtatt falſcher, gemachter Empfindung Empfindung für das 
Falſche, Gemachte, ſtatt unklarer Einſichten Einſicht in unklare Orakel⸗ 
weisheit und blieb ſchon damit doppelt in der Allegorie ſtecken. Er ſtellte 
zwiſchen ihn und ſein Gegenbild Andraſon deſſen Gemahlin Mandan⸗ 
dane und mutet uns zu, an einen mächtigen Eindruck des Empfinden⸗ 


den auf dieſe Trägerin der tiefſten Empfindung, Mandandane⸗Proſer⸗ 


pina, zu glauben; aber während er darin ehrlich ſein auch noch gegen 
Einbildungen kämpfendes eigenes Herz verkörperte, verſchob er die 
ſauberen Trennungslinien zwiſchen den beiden Gegenfiguren. Ja er 
verſchob ſie gleich noch ein zweites Mal, indem er auf Andraſons Grund 
und Boden den Vorhof zu deſſen Schloß, das Mandandane⸗Proſerpina 
zur Hölle geworden iſt, mit den Künſten — Oronaros ſchmücken läßt. 


10 


Man kann ſich ſolche Widerſprüche zu einem Teil aus der Tatſacheerklären, 


daß das Melodrama „Proſerpina“, dieſe faſt ſchon an „Iphigenie“ her⸗ 
anreichende Durchdringung antiker Mythe mit echtem modernem Emp⸗ 
finden, in die Farce eingefügt wurde, nach Goethes eigenem Urteile „fre⸗ 
ventlich“. War ſie doch aus anderem Anlaß, wahrſcheinlich zu Ehren 
der 1776 verſtorbenen Nichte Glucks gedichtet, auch mehrfach für ſich allein 


veröffentlicht und gegeben worden. Zum andern Teil kann man ſich für 


den Verluſt der Einheitlichkeit dadurch entſchädigt finden, daß geiſtreich 


ebenſo die romantiſche, von Goethe bei der Anlegung des weimariſchen 


Parkes ſelbſt befolgte Richtung der Gartenkunſt, wie die Vorliebe der da⸗ 
maligen Dichtung und Muſik für Mono- und Melodrama in Beziehung 
zum Gefühlsleben der Zeit gerückt iſt. Aber alles das hilft nicht über den 
Übelſtand hinweg, daß wir einheitlich empfundene Charaktere und wahr⸗ 
haft dramatiſches Leben vermiſſen. Daß Goethe ſelbſt das Unruhige 
der Dichtung wenigſtens bei der erſten Ausführung deutlich gefühlt hat, 
zeigen die Worte an Frau von Stein: „Doch ſind nur wenig Dinge, die 
drin auf und ab gehen wies Firmament über unſern Häupten.“ Bei 
der Überarbeitung 1786 hat er gleichwohl noch einen neuen ſchillernden 
Zug eingefügt, die Selbſtverſpottung der ſechsaktigen Form durch den 
Mund einer handelnden Perſon, freilich ohne deshalb die Selbſtironi⸗ 
ſierung, die im Ganzen waltet, ſchmackhafter zu machen. 


30 


ee 


VE 1 
N * 


Einleitung des Herausgebers. 7 24 


> Eben dieſe Selbſtironiſierung ſpricht auch gegen alle Verſuche, zu 
den Hauptgeſtalten der Dichtung Modelle in der weimariſchen Geſell⸗ 


ſchaft zu ſuchen. Am eheſten läßt ſich bei der ſchweſterlich teilnahms⸗ 


* 


or 


S 


vollen Feria an Frau von Stein denken, und auch Merkulo trägt mit 
dem Namen manchen kritiſchen Zug von Freund Merck, der im Sep⸗ 
tember 1777 mit in Eiſenach war und eine Abſchrift der Parodie mit 
dem Vermerk erhielt, bei der Aufführung ſeien alle „Akteurs phyſio⸗ 
gnomiſch bis zur Karikatur“ aufgetreten. Dagegen galt wohl der ab⸗ 
geſchmackten Beziehung von Andraſon und Mandandane auf Herzog 
und Herzogin Goethes Tagebucheintrag nach der zweiten Aufführung: 
„Das Publikum wieder in ſeinem ſchönen Licht geſehn. Dumme Aus⸗ 
legungen ꝛc.“ Wenn Andraſon überwiegend Goethiſche Züge trägt, ſo 
iſt davon auch Oronaro nicht frei; es ſei nur daran erinnert, daß ſeine 
Puppe den Werther unterm Herzen trägt und er ſelbſt über Goethes 
Fähigkeit verfügt, „mit einem ſeiner Blicke ganz unglaubliche Bewe⸗ 
gungen in einem ſchönen Herzen hervorzubringen“; im übrigen ſpricht 
gerade die geringe Lebenswahrheit dagegen, daß er nach lebendiger Be⸗ 
obachtung eines Originals gezeichnet ſei. Auch Mandandane dürfte 
mit Corona Schröter kaum mehr zu tun haben, als daß dieſe durch die 
Einlegung der „Proſerpina“ eine würdige Rolle erhalten ſollte. 
Gerade durch das, was die Dichtung zu keiner reinen Kunſtwirkung 
kommen läßt, das Phantaſtiſch⸗Allegoriſche, hat ſie in einem einzelnen 
Kreiſe wirkliche Liebhaber und Verehrer gefunden, bei den Roman⸗ 
tikern. Bei ihrer Vorliebe für das Spiel der Phantaſie und ihrer Un⸗ 
fähigkeit zu plaſtiſcher Geſtaltung bewunderten ſie gerade das, was 
Goethe ſelbſt an dem Stücke „wunderbare Operationen“ und „tolle 
Imaginationen“ nannte, und ſie ahmten es in ihren Literaturkomödien, 
wie z. B. Tieckin ſeinem „Zerbino“, bis auf Einzelheiten nach, namentlich 
in der Selbſtzerſtörung der Illuſion. Eine Feſtſpiellaune des Genies 
ward der Freibrief für einen ſyſtematiſchen Mißbrauch der Bühnenform. 
Goethen ſelbſt blieb nur die „Proſerpina“ teuer. Mit neuer Muſik 
von Eberwein ließ er ſie am 2. Februar 1815, dem Geburtstage des 
Erbprinzen, wieder geben und am 4. und 6. desſelben Monats wieder⸗ 
holen; und auch ſein Aufſatz „Proſerpina“ kam darauf zurück. Eduard 


2s Laſſen hat 1902 auch eine Muſik zum „Triumph der Empfindsamkeit“ 


geſchrieben. 


10* 


Erſter Aft. 


Saal, im guten Geſchmacke dekoriert. 
Mana und Sora begegnen einander. 5 


Mana. Wo willſt du hin, Sora? 


Sora. In den Garten, Mana. 55 


Mana. Haſt du ſo viel Zeit? Wir erwarten den König 
jeden Augenblick; verliere dich nicht vom Schloſſe. 

Sora. Ich kann es unmöglich aushalten; ich bin den ganzen 
Tag noch nicht an die freie Luft gekommen. 


Mana. Wo iſt die Prinzeſſin? 10 


Sora. In ihrem Zimmer. Sie probiert mit der kleinen 
Mela einen Tanz und läuft jeden Augenblick ans Fenſter, zu 
ſehen, ob der Bruder kommt. 

Mana. Es iſt eine rechte Not, ſeitdem die großen Herren 


auf das Inkognito gefallen find, Man weiß gar nicht mehr, 15 


woran man iſt. Sonſt wurden ſie monatelang voraus an⸗ 
gekündigt, und wenn ſie ſich näherten, war alles in Bewe⸗ 
gung; die Kuriere ſprengten herbei, man konnte ſich ſchicken 
und richten. Jetzo, eh' man ſich's verſieht, find fie einem auf 


dem Nacken. Wahrhaftig, das letztemal hat er mich in der 20 


Nachtmütze überraſcht. 

Sora. Darum warſt du heut ſo früh fertig? 

Mana. Ich finde keine Luſt daran. — Wenn mir ein 
Fremder auf der Treppe begegnet, wird mir's immer bang; 
ich denke gleich, es iſt wieder einmal ein König oder Kaiſer, der 25 
ſeinen gnädigen Spaß mit uns zu treiben kommt. 

Sora. Diesmal iſt er nun gar zu Fuße. Andre laſſen ſich b 
doch ins Gebirge zum Orakel in Sänften tragen, er nicht ſo; 


ehe an. 
. Schade, daß er Et zu Theses Zeiten gelebt hat! 
Feria tritt auf, mit ihr Mela. 
Feria. Seht ihr noch niemand? Wenn ihm nur kein Un⸗ 
glad begegnet iſt! 

Sora. Seid ruhig, meine Fürſtin. Die Gefahren und der 
üble Humor ſcheinen ſich beide vor ihm zu fürchten. 

Feria. Er will mich nur einen en Augenblik ſprechen und dann 

10 gleich wieder fort. 


Lato tritt auf. 
Der König kommt. 
Feria. Wohl! ſehr wohl! 
Lato. Ich ſah hinüber in das Tal und erblickte ihn ode, 
15 als er über den Bach ſchritt. 
| Feria. Laßt uns ihm entgegengehen. 
Sora. Da iſt er. 


Andraſon kommt. 
Feria. Sei uns willkommen! herzlich willkommen! 
20 Alle. Willkommen! 


Liebe tröſtet mich. 

Feria. Mein Bruder, bedarfſt du noch Troſtes? Hat das 
25 Orakel dir keinen gegeben? Möchteſt du doch immer vergnügt 
ſein! Möchte dir doch immer wohl ſein! Wir waren, ſeit du 
uns ehegeſtern verließeſt, voller Hoffnung für dich und dein 
2 Anliegen. 

Mana. Majeſtät! — 
30 Andraſon. Schönheit! 
| Sora. Herr! 

Andraſon. Gebieterin! d 
Lato Wie ſoll man Euch denn nennen? 

Andraſon. Ihr wißt, daß ihr keine Umſtände mit mir 
> nen jofft. 


i 1 Theſeus von Athen ſäuberte auf feinen Wanderungen die Wege von 
ö & 3 den Reiſenden bedrohlichen Gewalttätigen. N 


Audraſon. Ich umarme dich, meine Schweſter! Ich grüße 
euch, meine Kinder! Eure Freude macht mich glücklich, eure 


| 150 Der Triumph der Empfindsamkeit. 


Mana (für fig. Nur damit er auch keine mit uns zu 1 
braucht. 

Lato. Wir möchten von dem Orakel hören. 

Sora. Hat das Orakel nichts Gutes geſagt? 


Mela. Habt Ihr das Orakel nicht unſertwegen gefragt? 


Andraſon. Liebe Kinder, das Orakel iſt eben ein N 

Lato. Sonderbar. 

Andraſon. Daß ein zartes Herz voller Gefühle, Sol 
und Ahnungen, das einer ungewiſſen Zukunft ſehnſuchtsvoll ent⸗ 
gegen lebt, nach Würfeln haſcht, den Becher ſchüttelt, Wurf über 
Wurf ver] sucht und in dem Glückstäfelchen ſorgfältig forſcht, was 
ihm die Würfe bedeuten, und dann fröhlich oder traurig einen 
halben Tag verlebt, das mag hingehn, mag recht gut ſein. 

Lato (fur ſic). Woher er alles weiß? Damit habe ich mich 
erſt heute beſchäftigt. 

Andraſon. Daß ein ſchönes Kind Punkte über Punkte 
tüpfelt!, nachſchlägt und ſucht, was ihr für ein Gatte werden 
möchte? ob der Liebhaber treu iſt? und ſo weiter, das find' ich 
wohlgetan. l 

Mela (fur ſich. Er iſt ein Hexenmeiſter! Wenn wir allein 
ſind, wiſſen wir uns nichts Beſſers. 

Andrej on. Aber wer ein poſitives Übel, Zahnweh oder Un⸗ 


15 


frieden im Hauſe hat, der frage keinen Arzt und kein Orakel! Ihr 


Wiſſen und ihre Kunſt fällt zu kurz: dies und jenes Mittelchen 
und vorzüglich Geduld iſt, was ſie euch empfehlen. 

Feria. Kannſt du, darfſt du uns ſagen? Hat's dir eine 
Antwort gegeben? Darfſt du fie entdecken? 

Andraſon. Ich will fie in vier Sprachen überſetzen und an 
allen Landſtraßen. Be laſſen, es weiß doch kein 1 
was es ſoll. 

Feria. Wie? x 

Andraſon. Da ich ankomme und eingeführt werde - 

Sora. Wie ſieht's im Tempel aus? 

Mana. Iſt der recht prächtig? 


1 Bei der Punktierkunſt wurden zunächſt ohne Berechnung Punkte gehäuft, 
dann zu Figuren verbunden und dieſe nach dem Punktierbuch gedeutet. 


30 


E 151 


Feria. Ruhe, ihr Mädchen! 
Andraſon. Wie mich die Prieſter zur heiligen Höhle 
| en — 
Mela. Die iſt wohl ſchwarz und dunkel? 
3 Andraſon. Wie deine Augen. — Ich trete vor die Tiefe 
4 und ſage klar und vernehmlich: „Geheimnisvolle Weisheit! hier 
tritt ein Mann auf, der ſich bisher für den glücklichſten hielt; 
denn es geht ihm nichts ab; alles, was die Götter einem Men⸗ 
ſchen Gutes zueignen können, ſchenkten ſie mir, ſelbſt das köſt⸗ 
10 lichſte aller Beſitztümer versagten ſie mir nicht: ein treffliches 
: Weib. Aber — ach! daß Aber und Aber ſich immer zu dem 
Danke geſellen, den wir den Göttern zu bringen haben! — Dieſe 
Frau, dieſes Muſter der Liebe und Treue, nimmt ſeit kurzem 
unglücklicherweiſe an einem Menſchen teil, der ſich ihr aufdringt 
15 und der mir verhaßt iſt. Dir, hohe Weisheit, der alles bekannt 
iſt, ſag ich nichts weiter und bitte: enthülle mir mein Schickſal! 
= gib mir Rat und, was mehr iſt, Hülfe!“ — Ich dächte, das 
bieße ſich deutlich erklären? 
f Lato. Wir verſtehn es wohl. 
20 Feria. Und die Antwort? 
Andraſon. Wer ſagen könnte: ich verſtehe fiel 
Sora. Ich bin höchſt neugierig — Haben wir doch rn 
Rätſel erraten! 
Mela. Geſchwinde! 
3 Andraſon. Ich ſteh' und horche, und es fängt von unten 
auf an — erſt leiſe — dann vernehmlich — dann vernehm⸗ 
licher: 
Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von ſchönen 
Händen entgeiſtert, 
30 Alle. Oh! 
Audraſon. Gebt mir ein Licht. Das greifliche Geſpenſt ſoll 
entgeiſtert werden. 
Lato. Von ſchönen Händen. 
* Andraſon. Die fänden ſich allenfalls. Ein greiflich Geſpenſt, 
23s das iſt etwas aus der neuen Poeſie, die mir immer unbegreiflich 
geweſen iſt. 
Be: Feria. Es iſt arg. 


8 152 Ä ei Der r Triumph der b Ssffone 


Yudrafon, Wartet nur und merkt; 88 kommt noch beſſer: 


Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von ſchönen | 


Händen entgeiſtert 
Und der leinene Sad feine Geweide verleih, 

Alle. O! oh! Ei! O! ah! ha! ha! 

Andraſon. Seht! Ein leinen Geſpenſt und ein „ 
Sack und Eingeweide von ſchönen Händen! Nein, was zuviel 
iſt, bleibt zuviel! Was ſo ein Orakel nicht alles ſagen darf! 

Mana. Wiederholt es uns! 

Audraſon. Nicht wahr, ihr hört gar zu gerne, was erhaben 
klingt, wenn ihr's gleich nicht verſteht? 

Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von ſchönen 
Händen entgeiſtert 

Und der leinene Sack ſeine Geweide verleiht, 

Seid ihr nun klüger, meine Lieben? Nun aber merkt auf: 

Wird die geflickte Braut mit dem Verliebten 
vereinet: 

Dann kommt Ruhe und Glück, Frage über 

dein Haus. 

Sora. Nein, das iſt nicht möglich! 

Andrafon. O3 ja; die Götter haben ſich diesmal ſehr br 
poetiſchen Freiheit bedient. 

Lato. Habt Ihr es nicht aufgeſchrieben? 

Aundraſon. Freilich! Hier iſt die Rolle, wie ich fie aus den 
Händen der Prieſter erhielt. 

Lato. Laßt es uns leſen, vielleicht wird es uns klärer. 


(Andraſon bringt eine Rolle aus dem Gürtel und wickelt ſie auf. Die Frauenzimmer 


drängen ſich wechſelsweiſe zu, leſen, lachen und machen ihre Anmerkungen. Es kommt 


auf den guten Humor der Schauſpielerinnen an, dieſes munter und angenehm vorzu⸗ 
ſtellen; deswegen ihnen überlaſſen bleibt, hier zu extemporieren. Die Hauptabſicht dieſer 
Wiederholung iſt, daß das Publikum mit dem Orakelſpruch recht bekannt werde.) 


Feria. Das iſt höchſt ſonderbar und unbegreiflich! Wie 
iſt es dir weiter ergangen? Haſt du nicht irgend eine Aufklärung 
gefunden? 

Andraſon. Nicht Aufklärung, aber Hoffnung. Verwundert 
über die unverſchämte Dunkelheit der Antwort, aber nicht außer 
Faſſung gebracht, trat ich aus der Höhle. Ich ſah den älteſten 


Prieſter auf einem goldenen Seſſel ſitzen. Ich nahte mich ihm, = 


5 


10 


15 


25 


30 


indem ich einige Edelſteine in feinen Schoß legte, rief ich 
aus: „O welche Fülle der Weisheit kommt uns von den Göttern! 
Wie erleuchtet werden wir, die wir auf dunkeln Wegen irren, 
durch ihre Offenbarungen! Aber nicht raten allein, helfen müſſen 
die Unſterblichen. Der Jüngling, über den ich mich beklage, der 
mir das Leben verbittert, wird ehſtens hier erſcheinen, voll Zu⸗ 
trauens und Gehorſams. Möge die alles durchdringende Stimme 
der Götter ihn ergreifen, ſein Herz faſſen und ihm gebieten, nie 
wieder einen Fuß über meine Schwelle zu ſetzen! Mein Dank 
10 würde ohne Grenzen bleiben.“ — Der Alte nickte mit dem Kopfe, 
fein weißer Bart bewegte ſich murmelnd; ich ging mit wechſelnder 
Hoffnung und Sorgen zurück, und bin nun hier. — 

Feria. Möge alles zum Beſten ausſchlagen! — Du ver⸗ 
zeihſt, Bruder; ich muß vor Tafel mit meinen Räten, die ſchon 
15 lange warten, noch einige Geſchäfte abtun; ich laſſe dir die 
Kinder, unterhalte dich mit meinem muntern Geſchlechte. 
er: Andraſon. Ich danke dir, Schweſter. Wenn ich dich miſſen 
Jjll, weiß ich nichts Beſſers als dieſe freundlichen Augen. 

5 Feria. Bald ſeh' ich dich wieder. Gb.) 
20 Sora. Sagt uns nun, Herr, was Ihr denkt. 

Andraſon. Von der geflickten Braut? 
Sora. Ich meine, was Ihr tun wollt. 
5 Andraſon. Tun! als ob das Orakel nichts geſagt hätte. 
Mit meinem Übel beladen wieder nach Hauſe gehn und nach 
25 meiner Frau ſehen, die ich in wunderbaren Zuſtänden anzu⸗ 
treffen fürchte. 
Sora. Was macht ſie denn indeſſen? 

Audraſon. Sie geht im Mondſcheine ſpazieren, ſchlummert 
® an Waſſerfällen und hält weitläufige Unterredungen mit den 
. 30 Nachtigallen. Denn ſeitdem der Prinz weg iſt, einen Zug durch 
ſeine Provinzen und hiernächſt zum Orakel zu tun, iſt's nicht 

i anders, als ob ihre Seele in einen langen Faden gezogen wäre, 
der bis zu ihm hinüberreichte. Eins noch, an dem ſie großes 
Vergnügen findet, iſt, daß ſie Monodramen aufführt. 

3 Mana. Was find das für Dinge? 
Andraſon. Wenn ihr Griechiſch könntet, würdet ihr gleich 
wiſſen, daß das ein Schauſpiel heißt, wo nur eine Perſon ſpielt. 


» } 


154 Der Triumph der Empfindſamkeit. N 


Lato. Mit wem ſpielt ſie denn? 
Andraſon. Mit ſich ſelbſt, das verſteht ſich. 
Lato. Pfui, das muß ein langweilig Spiel ſein! 


Andraſon. Für den Zuſchauer wohl. Denn eigentlich iſt 


die Perſon nicht allein, ſie ſpielt aber doch allein; denn es können 
noch mehr Perſonen dabei ſein, Liebhaber, Kammerjungfern, 
Najaden!, Oreaden?, Hamadryadens, Ehemänner, Hofmeiſter; 
aber eigentlich ſpielt ſie für ſich, es bleibt ein Monodrama. Es 


5 


iſt eben eine von den neueſten Erfindungen; es läßt ſich nichts 


darüber ſagen. Solche Dinge finden großen Beifall. 

Sora. Und das ſpielt ſie ganz allein für ſich? 

Andraſon. O ja! Oder, wenn etwa Dolch oder Gift zu 
bringen iſt 
eine ſchreckliche Stimme aus dem Felſen oder durchs Schlüſſel⸗ 
loch zu rufen hat, ſolche wichtige Rollen nimmt der Prinz über 
ſich, wenn er da iſt, oder in ſeiner Abweſenheit ihr Kammer⸗ 
diener, ein ſehr alberner Burſche; aber das iſt eins. 

Mela. Wir wollen auch einmal ſo ſpielen. 

Audraſon. Laßt's doch gut ſein und dankt Gott, daß es 
noch nicht bis zu euch gekommen iſt! Wenn ihr ſpielen wollt, 
ſo ſpielt zu zweien wenigſtens; das iſt ſeit dem Paradieſe her 
das üblichſte und das geſcheiteſte geweſen. Nun noch eins, meine 
Beſten, — daß wir die Zeit nicht mit fremden Dingen ver⸗ 
plappern — meine Hoffnung, wieder glücklich zu werden, ruht 
nicht allein bei den Göttern, ſondern auch auf euch, ihr Mädchen. 

Sora. Auf uns? 

Andraſon. Ja, auf euch! und ich hoffe, ihr werdet das 
Eure tun. 

Mana. Wie ſoll das werden? 

Andraſon. Der Prinz, wenn er nach dem Orakel geht, 
wird hier vorbeikommen, euch ſeine Ehrerbietung zu bezeigen, 
wie Fremde gewöhnlich tun, die dieſen Weg nehmen. Meine 
Schweſter wird artig ſein und ihm Quartier anbieten; ihm an⸗ 
bieten, daß ſie ſeine Leute, ſein Gepäcke beherbergen will, indes 


denn es geht meiſtens etwas bunt her — wenn 


— 


5 


— 


er ſich ins Gebirge nach dem Orakel tragen läßt, wo jeder, er ſei, 35 


1 Flußnymphen. — 2 Bergnymphen. — 3 Baumnymphen. 


erster At. | 155 

wer er wolle, allein, ohne Gefolge anlangen muß. Wenn er 

nun kommt, meine Beſten, jo ſucht fein Herz zu rühren. — Ihr 

ſeid liebenswürdig. Ich will die als eine Göttin verehren, die 

in an ſich zieht und mich von ihm befreit. 

5 Sora. Gut! Euch iſt er unerträglich, und uns wollt Ihr 

5 ihn zuſchieben! Wenn er uns nun auch unerträglich iſt? 

* Andraſon. Seid ruhig, Kinder! Das findet ſich. Ihr 

andern liebt meiſtenteils an den Männern, was Männer an 

ſſich untereinander nicht leiden können. Und gewiß, er iſt ſo 

10 übel nicht und wäre, denk' ich, noch zu kurieren. 

1 Mela. Wie jollen wir es denn anfangen? | 

Andraſon. Bravo, liebes Kind! du zeigt doch guten Willen! 

Ich muß erſt eure Anlagen ein wenig kennen lernen. Laßt ſehn! 
Stellt euch vor, ich ſei der Prinz; ich will ankommen, ſchmach⸗ 


15 tend und traurig tun — wie wollt ihr mich empfangen? 
"(Sie beginnen einen lebhaften Tanz.) 


Andraſon. Nicht doch, Kinder, nicht doch! Meinet ihr, 

daß alles Wild nach einer Witterung geht? Mit einem ſolchen 
Bauerntanz wollt ihr meinen ſublimierten! Helden gewinnen? 
20 Nein! ſeht auf mich! das muß in einem andern Geiſte traktiert 


erden. ’ 

* Sanfte Muſik. 

Er macht ihnen die hergebrachten Bewegungen vor, womit die Schauſpieler ge⸗ 
wöhnlich die Empfindungen auszudrücken denken.) 


25 Andraſon. Habt ihr wohl achtgegeben, Kinder? Erſtlich, 
immer den Leib vorwärts gebogen und mit den Knieen geknickt, 
als wenn ihr kein Mark in den Knochen hättet! Hernach immer 
eine Hand an der Stirne und eine am Herzen, als wenn's euch 

: in Stücken ſpringen wollte; mitunter tief Atem geholt und jo 
30 weiter. Die Schnupftücher nicht vergeſſen! 
(Die Muſik geht fort, und die Fräulein befolgen ſeine Vorſchrift. Er ſtellt den 


Prinzen vor; bald korrigiert er ſie, bald nimmt er die Perſon des Prinzen wieder 
an; endlich hört man eine Trompete in der Ferne.) 


| Audraſon. Aha! 
85 Lato. Es wird aufgetragen. 
i Andrafon. Es heißt zu Pferde und zu Tische! Beides eine 
ſchöne Einladung. Kommt! dieſe Empfindſamkeit zuletzt hat 
mich hungriger gemacht als meine Reiſen bisher. 


1 Vergeiſtigten. 


156 Der Triumph ber Empfinbfamteit. = 


Zweiter Alt. 


Saal, in chineſiſchem Geſchmacke, der Grund gelb mit 
bunten Figuren. 


Mana und Sora. | 
Mana. Nun, das heiß’ ich ein Gepäcke! Der ganze Hof iſt 5 
voll Kiſten, Kaſten, Mantelſäcke und ungeheurer Verſchläge. Br 
Sora (läuft ans Fenſter). Wir werden ihm den ganzen Flügel 
des Palaſtes geben müſſen, nur ſeine Sachen unterzubringen. 
Mana. Es iſt abſcheulich, wenn Mannsperſonen reiſen, als 
wenn ſie Wöchnerinnen wären. Über uns halten ſie ſich auf, daß, 10 
wenn wir doch auf vier Wochen ins Bad gehen, der Schachteln, 
Käſtchen, Pappen und Wachstücher kein Ende werden will; und 
ſich erlauben ſie's! 8 
Sora. Wie mehr Sachen, liebes Kind, die ſie uns übel⸗ 


„ 
nehmen. Ein Bedienter kommt. 


Der Kavalier des Prinzen läßt ſich melden 

Mana. Führt ihn herein. (Bedienter ab) Sieh zu, es hat 
ſich doch nichts an meinem Kopfputze verſchoben? 

„Sora. Halte! — Die Locke hier — Er kommt. 20 
Merkulo tritt herein. 

Vollkommene Damen! Es ſind nicht viel Augenblicke meines 
Lebens, worin ich mich ſo glücklich fühlte als in dem gegen⸗ 
wärtigen. Sonſt werden wir armen Diener meiſtenteils bei ver⸗ 
drießlichen Angelegenheiten vorgeſchoben, bei angenehmen Ereig⸗ 25 
niſſen ſtehen wir zurück; aber diesmal erhebt mich mein Prinz 
über ſich ſelbſt, indem er mich voraus in die Wohnung des Ver⸗ 
gnügens und der Reize ſendet. 

Mana. Sie ſind ſehr gütig. 


delle a | De, 157 


= Som. Und recht e Wir he fo viel Gutes 
von dem Prinzen gehört, daß wir vor Neugierde brennen, ihn 
zu ſehen. | 
Merkulo. Mein Fürſt ift glücklich, daß er ſchon in der 
5 Entfernung Ihre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen können; und 
wenn er, wie ich nicht anders hoffe, durch ſeine Gegenwart Ihre 
Gunſt erhalten ſollte, ſo kann er ſich als den glücklichſten der 
Menſchen preiſen. Dürfte ich nicht indes Ihrer Prinzeſſin auf⸗ 
warten, an die er mir eine Unzahl Verbindlichkeiten aufge⸗ 
10 tragen hat? 
Mana, Sie werden ihr bald vorgeſtellt werden können. 
Sie hat uns befohlen, Ihnen dieſe und die anſtoßenden Zimmer 
anzuweiſen. Bedienen Sie ſich davon, ſoviel und wie Sie's 
nötig finden. 
1 Merkulo. Wollen Sie mir erlauben, daß ich unſere Gerät⸗ 
ſchaften, deren freilich nicht wenige ſind, herein und in Ordnung 
bringen laſſe? 
Mana. Nach Ihrer Bequemlichkeit. 


(Merkulo mit einer Verbeugung ab.) 
20 Sora. Wir wollen bleiben. Ich bin gar zu neugierig, was 
ſie alles mitbringen. 


Es läßt ſich ein lebhafter Marſch hören, und es kommt ein Zug. Merkulo voraus, 

der Oberſte, die Wache, ſodann Trabanten, welche Kaſten von verſchiedener Größe 

8 tragen, vier Mohren, die eine Laube bringen, und Gefolge. Sie umgehen das 

25 Theater. Die Kaſten werden auf beiden Seiten, die Laube in den Grund und ein 

großer Kaſten auf die Laube geſetzt. Die ſtummen Perſonen gehn alle ab, der 
Marſch hört auf. Es bleiben 


{ Sora. Mana. Merkulo. 
5 Sora. Wer ſind denn die hübſchen bewaffneten jungen 
30 Leute, und wer iſt der Herr, der uns ſalutierte? 
i Merkulo. Das iſt der Oberſte über des Prinzen Kriegsvolk, 
und die andern ſind junge Edelleute, militäriſche Edelknaben 
meines gnädigſten Herrn und loſe Vögel. 
: Mana. Wir erſtaunen, mein Herr! Sie führen Dekorationen 
s mit ſich! Wollen Sie etwa eine Komödie ſpielen? Vermutlich 
= iſt die Theatergarderobe in dieſen Kaſten? 
Merkulo. Verzeihen Sie, meine Damen! — Eigentlich 
ſollte ich den Finger auf den Mund legen und Sie mit guter 
Art bitten, dieſen Saal, der von nun an ein Platz der Geheim⸗ 


158 Der Triumph der Empfindfamteit. 


niſſe wird, zu verlaſſen; allein wie vermag ich das gegen Ihre 


Güte und gegen Ihre Reize! Nur vor unheiligen fremden Augen 


bewahren wir unſere heiligen Empfindungen, nicht vor ſo an⸗ 
genehmen Seelen, deren Teilnehmung wir wünſchen. 

Sora. Sagen Sie uns ums Himmels willen, was ſoll 
die Laube! 

Merkulo. An dieſem Zug, meine ſchönen Kinder, können 
Sie einen großen Teil des Charakters meines liebenswürdigen 
Prinzen erkennen. Er, der empfindſamſte Mann von allen 
Männern, der für die Schönheiten der Natur ein gefühlvolles 
Herz trägt, der Rang und Hoheit nicht ſo ſehr ſchätzt als 1 
zärtlichen Umgang mit der Natur — 

Sora. Ach, das iſt ein Mann für uns! Wir gehn auch 5 
zu gern im Mondſchein ſpazieren und hören die Nachtigallen 
lieber als alles. 

Merkulo. Da iſt eins zu bedauern, meine vortrefflichen 
Damen! Mein Prinz iſt von ſo zärtlichen, äußerſt empfind⸗ 
ſamen Nerven, daß er ſich gar ſehr vor der Luft und vor ſchnellen 
Abwechſelungen der Tageszeiten hüten muß. Freilich unter freiem 
Himmel kann man's nicht immer ſo temperiert haben, wie man 
wünſcht. Die Feuchtigkeit des Morgen- und Abendtaues halten 
die Leibärzte für höchſt ſchädlich, den Duft des Mooſes und der 
Quellen bei heißen Sommertagen für nicht minder gefährlich! Die 
Ausdünſtungen der Täler, wie leicht geben die einen Schnupfen! 
Und in den ſchönſten, wärmſten Mondnächten ſind die Mücken 


5 


10: 


15 


20 


25 


juſt am unerträglichſten. Hat man ſich auf dem Raſen ſeinen Ge- 


danken überlaſſen, gleich ſind die Kleider voll Ameiſen, und die 
zärtlichſte Empfindung in einer Laube wird oft durch eine herab⸗ 
fahrende Spinne geſtört. Der Prinz hat durch ſeine Akademien 


Preiſe ausgeſetzt, um zu erfahren, ob dieſen Beſchwerden zum 30 


Beſten der zärtlichen Welt nicht abgeholfen werden könne. Es 
ſind auch verſchiedene Abhandlungen gekrönt worden; die Sache 
aber iſt bis jetzo noch um kein Haar weiter. 

Sora. O, wenn je ein Mittel gegen die Mücken und 


Spinnen erfunden werden ſollte, machen Sie es doch ja ge⸗ 38 


meinnützig! Denn wenn man oft in himmliſchen Entzückungen 
aufgefahren iſt, erinnert einen das leidige Geziefer mit ſeinen 


Breiter Att. N en, 159 


5 radeln und krabbligen Fißen gleich wieder an die Sterb⸗ 
lichkeit. a 

Merkulo. Inzwiſchen, meine ſchönen Damen, hat der Prinz, 
der ſeinen Genuß weder verſchoben noch unterbrochen haben will, 
den Entſchluß gefaßt, durch tüchtige Künſtler ſich eine Welt in 
der Stube zu verſchaffen. Sein Schloß iſt daher auf die an⸗ 
genehmſte Weiſe ausgeziert, ſeine Zimmer gleichen Lauben, ſeine 
Säle Wäldern, ſeine Kabinette Grotten, ſo ſchön und ſchöner 
als in der Natur; und dabei alle Bequemlichkeiten, die Stahl⸗ 
10 federn und Reſſorts! nur geben können. 

Sora. Das muß ſcharmant ſein! 

Merkulo, Und weil der Prinz fo ſehr dran gewöhnt iſt, 
wie er denn in jedem Luſtſchloß ſeine Natur hat, ſo haben wir 
auch eine Reiſenatur, die wir auf unſern Zügen überall mit 
herumführen. Unſer Hofetat iſt mit einem ſehr geſchickten Manne 
vermehrt worden, dem wir den Titel als Naturmeiſter, Direc⸗ 
teur de la nature, gegeben haben. Er hat eine große Anzahl 
von Künſtlern unter ſich. Ein würdiger Schüler von ihm iſt 


5 


den ich die Ehre habe, Ihnen in dieſer Qualität zu präſentieren. 

Was uns allein noch abgeht, das ſind die kühlen Lüftchen. Die 

Verſuche davon ſind immer noch unvollkommen; wir hoffen 

aber, aus Frankreich? auch dieſem Mangel nächſtens abgeholfen 
zu ſehen. 

25 Sora. Um Vergebung, was iſt in den Kaſten da? Darf 

man's wiſſen? 

Merkulo. Geheimniſſe, meine ſchönen Fräulein, Geheim⸗ 
niſſe! Aber Sie haben das Geheimnis gefunden, die Geheimniſſe 
meines Herzens aufzulöſen, ſo daß Ihnen eben weiter nichts ver⸗ 
borgen bleibt. Hier führen wir die vorzüglichſten Glückſeligkeiten 
empfindſamer Seelen bei uns. In dieſem Kaſten ſind ſprudelnde 
Quellen. 

Mana. O! 
| Merkulo. Hier in dieſem ift der Belang, der lieblichſte Ge⸗ 
995 fang der Vögel . 


Be 
- 
Bi: 
Br 
# 
= 
=, 


8 


O 


I Sprungfedern. — 2 Vgl. S. 145, 8.9 


dieſer Mann hier, der unſere Natur auf der Reife beſorgt und 


160 


Der Triumph der € ' 


Mana. Warum nicht 9 5 d TEE 
Merkulo. Und hier in dieſem größern it wong ei eins 
gepackt. e 
Sora. Es iſt nicht möglich! Laſſen Sie's uns doch er 1 
Merkulo. Es ſteht nicht in meiner Gewalt. Der Prinz 5 
allein weiß dieſe Herrlichkeiten in Bewegung und Leben zu ſetzen. 
Er ganz allein darf ſie fühlen; ich könnte Ihnen nur den groben 
Stoff ſichtbar machen. Fr 
Mana. O, wir müſſen den Prinzen bitten, daß er uns die l 
Maſchinen einmal ſpielen läßt. Wo: 
Merkulo. Ums Himmels willen, laſſen Sie ſich nichts 
merken! Und beſonders unter dem Titel von Spielen würde 
der Prinz ſeine Liebhabereien nicht erkennen. Jeder Menſch, 
meine ſchönen Fräulein, treibt ſeine Liebhabereien ſehr ernſthaft, 
meiſtens ernſthafter als ſeine Geſchäfte. Indeſſen halte ich für 
Schuldigkeit, Ihr Vergnügen, ſoviel an mir iſt, zu befördern, 
und wollte Ihnen gern unſre Raritäten, wenngleich nur leb⸗ 
los, vorzeigen, wäre nur die Dekoration des Saales einiger⸗ 
maßen mit dieſer eingeſchloßnen Natur übereinſtimmend. i 
Mana. So vollkommen muß man die Illuſion nicht ver⸗ 20 
langen. ir 
Sora. Dem iſt leicht abzuhelfen. Wir haben ja die ge⸗ 
wirkten Tapeten, die nichts als Wälder und Gegenden vorſtellen. 
Merkulo. Das wird allerliebſt ſein. 
Sora. He! (ein Bedienter kommt.) Sagt dem Hoftapezier, er 25 
ſoll die gewirkte Waldtapete gleich herunterlaſſen! 2 
Merkulo. An mir ſoll's auch nicht fehlen. 5 
(Muſil.) 


(Er gibt ein Zeichen, und in dem Augenblicke, als ſich die Szene in Wald verwandelt 

verwandeln ſich die Kaſten in Raſenbänke, Felſen, Gebüſche und ſo weiter. Der 

Kaſten Über der Laube in Wolken. Der Dekorateur wird ſorgen, daß das Ganze 

übereinſtimmend und reizend ſei und mit der verſchwindenden Dekoration einen 
recht fühlbaren Kontraſt mache.) 


Merkulo. Bravo! Bravo! 
Sora. O wie ſchön! 

(Sie beſehen alles auf das emſigſte, ſolange die Muſik fortdauert.) 
Mana. Die Dekoration iſt allerliebſt. 6 
Merkulo. Um Vergebung, nicht Dekoration, ſondern künſt⸗ \ 


— 


161 


liche Natur nennen wir das; 2 8 das Wort Rh, merken 
Sie wohl, muß überall dabei ſein. 
Sora. Scharmant! Allerliebſt! 
Merkulo. Da muß ich Sie noch ein Kunſtwort lehren, mit 
* s dem weit zu reichen iſt. Scharmant! Allerliebſt! das könnten 
Sie allenfalls auch von einer Florſchürze, von einem Häubchen 
ſagen. Nein, wenn Sie etwas erblicken, es ſei, was es wolle, 
ſehn Sie es ſteif an und rufen: „Ach, was das für einen Effekt 
auf mich macht!“ — Es weiß zwar kein Menſch, was Sie eigent⸗ 
1 lich ſagen wollen; denn Sonne, Mond, Fels und Waſſer, Ge⸗ 
ſtalten und Geſichter, Himmel und Erde und ein Stück Glanz⸗ 
leinewand, jedes macht ſeinen eignen Effekt; was für einen, das 
iſt ein bißchen ſchwerer auszudrücken. Halten Sie ſich aber nur 
gans Allgemeine: Ach! was das für einen beſondern Effekt auf 
55 mich macht! — Jeder, der dabeiſteht, ſieht auch hin und ſtimmt 
in den beſondern Effekt mit ein; und dann iſt's ausgemacht — 
daß die Sache einen beſondern Effekt macht. 

Fe: Mana. Mit allem dem ſcheint mir Ihr Prinz Liebhaber 
vom Theater. | 
20 Merkulo. Sehr! ſehr! Das Theater und unſere Natur 
2 find freilich nahe miteinander verwandt. Dabei iſt er ein treff- 
licher Schauſpieler. Wenn Sie ihn bereden könnten, etwas vor 

Ihnen aufzuführen! 
Sora. Haben Sie denn eine Truppe bei ſich? 

Merkulo. Das nicht! Wir ſind aber alle eine Art von 
Komödianten. Und dann agiert der Prinz, wenn's dazu kommt, 
meiſtenteils allein. 

Sora. Ach! davon haben wir ſchon gehört. 
es Merkulo. Ei! — Sehen Sie, meine Damen, das tft 
30 eine Erfindung oder vielmehr eine Wiederauffindung, die 
unſern erleuchteten Zeiten aufbehalten war. Denn in den 
alten Zeiten, ſchon auf dem römiſchen Theater, waren die 
Monodramen vorzüglich eingeführt. So leſen wir zum Exem⸗ 
pel vom Nero — 

35 Mana. Das war der böſe Kaiſer? 

Merkulo. Es iſt wahr, er taugte von Haus aus nichts, 
war aber drum doch ein exzellenter Schauspieler. Er ſpielte 
Goethe. XVIII. e 11 


162 Der Triumph ber Simofinbfamteit. 


bloß Mondran n Denn erſtlich ſagt Sunne Nun, pi | 


werden Sie alles in der trefflich gelehrten Schrift eines unſerer 
Akademiſten über dieſe Schauſpielart leſen! Sie wird auf Be⸗ 
fehl unſers Prinzen geſchrieben und auf ſeine Koſten gedruckt. 
Wir führen aber auch die neuſten Werke auf, wie man ſie von 
der Meſſe kriegt: Monodramen zu zwei Perſonen, Duodra⸗ 
men zu dreien, und ſo weiter. 

Sora. Wird denn auch drin geſungen? 


Merkulo. Ei, geſungen und geſprochen! Eigentlich weder | 


gejungen noch geſprochen. Es iſt weder Melodie noch Geſang 
drin, deswegen es auch manchmal Melodram genannt wird. 
Sora. Wie iſt das? 
Merkulo. Gelegentlich, meine Fräulein! Gelegentlich! 
Sora. Nun, wir hoffen, der Prinz ſoll gut Freund mit 
uns werden. Wir hoffen, Sie ſollen recht lange bei uns bleiben. 
Sie bleiben doch recht lange bei uns? a 
Merkulo. Gar zu gütig! — Ach! wer glauben könnte, daß 
ſo eine Einladung aus einem ſo ſchönen Herzen käme! Es iſt aber 


leider eins der gewöhnlichen Hofkomplimente, womit man einen 


Fremden bewillkommt, nur um ſich zu verſichern, daß er bald 
wieder weggehen werde. 

Mana. Warten Sie nur, wir haben dem Prinzen ſchon 
allerlei Scherze von unſrer Art zugedacht, die ihn gewiß unter⸗ 
halten ſollen. 

Merkulo. Meine Fräulein, ich wünſche Ihnen Glück und 
uns allen! Möchten Sie ſein Herz, ſein zärtlich Herz gewinnen 
und ihn durch Ihren Liebreiz aus der ſanften Traurigkeit ziehen, 
in der er verſchmachtet! 

Sora. Ach! Wir haben auch zärtliche Herzen, das iſt juſt 
recht unſre Sache. 

Mana. Bringen Sie uns nicht auch neue Liedchen mit? 

Sora. Ja, wir haben’ s in der Art, wenn wir eine hübſche 
Melodie finden, ſingen wir ſie meiſt tot, „ daß ſie kein Menſch 
mehr hören mag. 


1 C. Suetonius Tranquillus (75 — 160 n. Chr.) berichtet in feinem 


„Leben Neros“, Kap. 52, von dieſem, daß er gern dichtete und die Gedichte ſelbſt 


daheim wie im Theater vortrug. 


— 


5 


30 


+ 5 5 % 7 5 * x * 
TTT. a 1 


; Merkulo. O, deren haben wir e 3 kin glei 
mit einem aufwarten. 
Sora. Tun Sie's, ja! 
Merkulo (fngb. 
Du gedrechſelte Laterne 
Überleuchteſt alle Sterne, 
Und an deiner kühlen Schnuppe 
Trägſt du der Sonne mildeſten Glanz. 
Sora. O pfui! das iſt gar nichts Empfindſames! 
Merkulo. Schönes Kind, ums Himmels willen, es iſt aus 
dem Griechiſchen! ! „ 
Mana. Es gefällt mir ganz und gar nicht. . 
= Merkulo. Daran iſt wohl die Melodie ſchuld, ich hab' es 
1 immer gedacht. Das Lied an ſich ſelbſt iſt gewiß vortrefflich, 
hören Sie nur! 
Er ſingt's auf die Melodie: Monseigneur, voyez nos larmes 2, und die Fräulein 
fangen an mitzufingen.) ’ 
Bediente. Der Prinz kommt! man eilt ihm entgegen! 
9 (Merkulo und die Fräulein gehn ſingend ab.) 


1⁰ 


1 Aus Ariſtophanes ' „Ekkleſiazuſen“, V. Su — 2 „Mein Herr, ſehn Sie 
unſre Tränen.“ J 8 


41 


5 : 164 ER Der Triumph ber Empfindſamtet. 


Dritter Akt. 


Wald, die Laube im Grunde wie zu Ende des vorigen Akts. 


Die vier Fräulein führen den Prinzen unter einer ſanften Muſik herein. Mer⸗ 
kulo folgt ihnen. Die Frauenzimmer bemühen ſich in einem gefälligen Tanze 
um den nachdenklichen und in ſich ſelbſt verſunkenen Ankömmling; er antwortet 
ihren Freundlichkeiten nur gezwungen. Da die Muſik einen Augenblick pauſiert, 
ſpricht 

Merkulo (fur ſich. Das find recht homeriſche Sitten, wo 
die ſchönen Töchter des Hauſes ſich um die Fremden bemühen. 
Ich hätte wohl Luſt, mich ins Bad zu ſetzen und mich abreiben 
zu laſſen. 


(Die Muſik geht fort, endlich, da die Fräulein ihre Bemühungen ganz vergeblich 


ſehn, eilen ſie verdrießlich davon, und es bleiben Prinz und Merkulo.) 


Prinz. Geſegnet ſeiſt du, liebe Einſamkeit! Wie erbärm⸗ 


lich habe ich mich ſeit dem Eintritt in dieſes Haus zwingen 


müſſen! 


Merkulo. Das muß ich Eurer Durchlaucht bekennen, daß 


mir's manchmal unbegreiflich geweſen iſt, wie Sie ſich an einer 
wohlbeſetzten Tafel und zwiſchen liebenswürdigen Frauen en⸗ 
nuyieren können? 

Prinz. Es iſt nicht Langeweile, es iſt die Gefälligkeit dieſer 
angenehmen Geſchöpfe, die mich ängſtet. Ach! warum muß ich 
dem weiblichen Geſchlechte zur Qual geſchaffen ſein? Denn nur 
eine kann mein Herz beſitzen, und die übrigen — Ach! — — 

Merkulo. Die hab' ich ſchon oft bedauert! und ich hab' 
ihnen auch gelegentlich mein Mitleiden auf eine ſo überzeugende 
Art zu verſtehn gegeben, daß ich wirklich ſagen kann: ich habe 
das Glück gehabt, einigen das Leben zu friſten, die auf dem 
Sprunge ſtanden, durch Ihre Grauſamkeit in die elyſiſchen Fel⸗ 
der vertrieben zu werden. 


Prinz. Rede davon nicht! vermehre nicht meinen Kummer! 


30 


Dee , = 0168 


ER Merkulo, Ich ſage nichts! denn wenn man Ihren hohen 
Stand und Ihre trefflichen Qualitäten zuſammennimmt, ſo 
iſt's evident, daß einer Ihrer Blicke ganz unglaubliche Be⸗ 
wegungen in einem ſchönen Herzen hervorbringen muß. 
5 Prinz. Meinen Stand erwähnſt du, Unglücklicher? Was 
iſt mein Stand gegen dieſes Herz? 
5 Merkulo. Halten Sie mir's zu Gnaden! Wir wollen der 
Sache ihr Recht antun. Eine wahre Liebe iſt z. E. was Vor⸗ 
treffliches; aber eine wahre Liebe mit einem wohlgeſpickten Beu⸗ 
10 tel, darüber geht gar nichts. So auch, was den Stand betrifft — 
5 Prinz. Rede nur nicht immer! nicht ſolche Dinge! 

Merkulo. Nein, ich müßte undankbar ſein, wenn ich es 
nicht geſtände, nicht bekennte. In Ihrer Nähe, mein Gebieter, 
| bin ich ohnehin ſicher. Ihre fürſtliche Gegenwart zieht wie ein 
0 Gewitterableiter alle Elektrizität zärtlicher Herzen an ſich, daß 

| wir andern vorm Einſchlagen ganz geſichert find. 

Prinz. Iſt es bald eilfe? 

Merkulo. Es wird gleich ſein, und ich gehe, um Sie Ihren 
Ernmpfindungen in der feierlichen Stunde der Mitternacht allein 
20 zu überlaſſen. Es iſt eine vortreffliche neuere Erfindung, daß 
jeder Stunde, jeder Tagszeit ihre eignen Gefühle gewidmet ſind. 
Darin waren die Alten rechte Tröpfe. In ihren Schauſpielen 
konnte das Feierlichſte, Schrecklichſte bei hellem Tage und unter 
freiem Himmel vorgehn; unter eilfe und zwölfe tun wir's aber 
25 gar nicht, und ohne Särge, Kirchhöfe und ſchwarze Tücher läßt 

ſſich nichts Rechts ausrichten. 

Prinz. Sind meine Piſtolen geladen? 


5 Sie um Gottes willen, erſchießen Sie ſich nicht einmal! 
80 Prinz. Sei ruhig! Es ſchlägt eilfe) Es ſchlägt! 

Merkulo. Sie haben hier eine Glocke, die gar keinen feier⸗ 
lichen Ton hat. Es klingt, als wenn man auf Blech hämmerte; 
mich könnte nun ſo etwas gleich vollkommen aus meiner zärt⸗ 
lichſten Faſſung bringen. 

35 (Die Muſik gibt einige Laute und entfernte Melodien zum Folgenden an.) 
Prinz. Schweig', Unheiliger! und entflieh! 
Merkulo. Ab! (ub. 


Merkulo. Auf Ihren Befehl, wie immer. Aber ich bitte 


166 Der Triumph der Empfindfamteit. 8 | 


Prinz. Vergebens ſucht ihr mich durch eure Schönheit, 
durch euer einſchmeichelndes Weſen abzuziehen, von den Ge⸗ 
danken wegzuwenden, die ich immer mit den Armen meiner Seele 
umſchlungen halte. Fahrt wohl, ihr ſterblichen Mädchen! Das 
Unſterbliche umſchwebt meine Stirne, und die Geiſter ſteigen 5 
herab, meine Wohnung zu beleben und mein Herz zu beſeligen. 
(Die feierliche Muſik geht fort, die Waſſerfälle fangen an zu rauſchen, die Vögel 

zu ſingen, der Mond zu ſcheinen.) 


Prinz. 


Dich ehr ich, heiliges Licht, f 10 


Reiner, hoher Gefühle Freund! 
Du, der du mir 
Der Liebe ſtockende Schmerzen 
Im Buſen auf zu ſanften Tränen löſeſt! 
Ach, welche Seligkeiten ſäuſelſt du mir | 15 
Ins tiefe Heiligtum der Nacht 
Und deuteſt mir 
Auf der geheimnisvollen Liebe Ruheſtätte! 
Ach verzeih! Ach, mein Herz 
Fühlt nicht immer gleich! 20 
Verzeih dem trüben Blick auf deine eee 
Verzeih dem flüchtigen! 
(Nach der Laube gekehrt.) 
Hier, hier wohnt meine Gottheit, 
Die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht! 25 
Dies Pochen und dies Zittern! 
Ha! es ſchlägt dem Augenblick entgegen, 
Wo die Zauberei 
Die Seligkeit des Wahren überflügelt! 
O den Genuß, ihr Götter, gabt ihr mir! 30 
O den Genuß bewahret mir, ihr Götter! 
(Die Laube tut ſich auf, man ſieht ein Frauenzimmer darin ſitzen; ſie muß voll⸗ 
kommen an Geſtalt und Kleidung der Schauſpielerin gleichen, die nachher als 
Mandandane auftritt.) 
Prinz. Ä 85 
Himmel, fie iſt's! Himmel, ſie iſt's! 
Seligkeit tauet herab. — — 
Deine Hand an dieſes Herz, 


Dritter al. i 167 


Geliebte, ſüße Freundin! 

Du ganz für mich geſchaffne, 2 

Ganz durch Sympathie gefundene, 

Gewählte! i 

8 In dieſer ſchönen Stimmung unſrer Herzen 

. Wird mir ein Glück, das nur die Götter kennen. 


Ach, in hohen Himmelsfreuden 

Fühl' ich ſchaudernd mich verſchweben! 

Ex Ha! vor Wonne ſtockt mein Leben, 
10 Stockt der Atem in der Bruſt! 


Ach, umweht mich, Seligkeiten! 
Lindert dieſes heiße Streben 
Und in wonnevolles Leben 
Löſet auf die ſchöne Luſt! 

15 (Während der letzten Kadenz, da die Inſtrumente die Stimme zu lange nachahmen, 
ſetzt ſich der Prinz auf eine Raſenbank und ſchläft endlich ein. Man gibt ihm ver⸗ 
ſchiednemal den Ton an, damit er einfallen und ſchließen möge; allein er rührt 
ſich nicht, und es entſteht eine Verlegenheit im Orcheſter; endlich ſieht ſich die erſte 
Violine genötigt, die Kadenz zu ſchließen, die Inſtrumente fallen ein, die Laube 

20 geht zu, der mittlere Vorhang fällt nieder, und es zeigt ſich) 


Ein Vorſaal. 
Feria und die vier Fräulein. 

Feria. Mich dünkt, der Prinz pflegt ſeiner Ruhe ziemlich 
lange. Es ſoll nicht geſagt ſein, daß ein Mann in unſerm Schloſſe 
25 ungeſtraft die Morgenröte herbeigeſchlafen habe! Sind die Klap⸗ 
pern bei der Hand und die Raſſeln? Wir wollen ihm ein Chari⸗ 
vari! machen und die fatale Schläfrigkeit, unſre verhaßte Neben⸗ 

buhlerin, von ſeinen Augen peitſchen. 

Lebhafter Tanz zu fünfen mit Kaſtagnetten und Metallbecken; mitunter tanzt 
80 Feria ſolo. Der Oberſte kommt, die Prinzeſſin zu bitten, daß fie des Prinzen 
8 Ruhe nicht ſtören möge, indem die Wache die Fräulein aufhalten will. Dieſe 
Br machen immer ärgern Lärm. Der hintere Vorhang geht auf; das Theater iſt wie⸗ 


der wie zu Anfang des Akts; Merkulo tritt zu gleicher Zeit herein, der Prinz 
fährt bewegt von ſeiner Raſenbank in die Höhe, ergrimmt und ſingt:) 


35 Ja, ihr ſeid's, Erinnyen, Mänaden! 
Ohne Gefühl für Liebe, 
Ohne Gefühl für Schmerz! 


1 eine Katzenmuſik. 


BB: ® Der Triumph ler eben, 


30 hofft', im Arm der er zu mn u 5 8 
Und ihr zerreißt mein Herzili „ 
Mein Herz! mein Herz! 
Zerreißt mein leidend Herz! 


(Während der Arie begibt ſich Feria, die Fräulein und die Wache, eins nach dem 1 755 
andern, auf die Seite; es bleiben allein Prinz und Merkulo.) a 


Merkulo. Mein Prinz, faſſen Sie ſich! 

Prinz. Mein Freund, welche tödliche Wunde! 

Merkulo. Gnädiger Herr, nur Charivari! 

Prinz. Ich will weg! dieſen Augenblick mich in die Ein⸗ 10 
ſamkeit des Gebirgs verlieren! ; 
Merkulo. Was wird die Prinzeſſin, was werden die Da⸗ 

men denken? 

Prinz. Denken ſie doch auch nicht, wen ſie vor ſich haben. 
Ohne das mindeſte Gefühl für das Hohe, Überirdiſche meiner 15 
Stimmung raſſeln ſie mit knirſchenden Tönen der Vorhölle 
drein. Ach, ihr goldnen Morgenträume, wo ſeid ihr hin? auf 
ewig! auf ewig! 

Merkulo. Es war nicht böſe gemeint. Schon vor Sonnen⸗ 
aufgang waren die Mädchen geſchäftig, ein Dejeuner im Garten 20 
zurechtzumachen; wir haben auch wirklich den Morgenſtern 
mit Bratwürſten in der Hand und einem vortrefflichen Glas 
Cyperwein bewillkommt. Man fürchtete, es möchte alles kalt 


werden, verderben, und wir wollten Ihr angenehmes Geſicht m 


Glanz der erſten Morgenſonne genießen. 25 
Prinz. Ja, mit Schellen und Klapperblechen genießt man 
den Morgen! — Fort! — Leb' wohl! 
Merkulo. Gnädiger Herr! 
Prinz. Du weißt, meine Entſchließungen ſind raſch und feſt. 
Merkulo (fur fig). Leider! 30 
| Prinz. Ich gehe nach dem Orakel! Laß aufs ſchärfſte dieſes 
Heiligtum bewachen, daß unter keinem Vorwand eine lebendige 
Seele einen Fuß hereinſetze! 
Merkulo. Bleiben Sie beruhigt. 5 
Prinz. Leb' wohl. (b.) 5 Be 


ritter und vierter Ak. 1869 


en ARE. 


Androfons Schloß, eine rauhe und felfige Gegend, Höhle 
im Grunde. 

Manbandanens Kammerdiener als Askalaphus! tritt auf mit einem Reverenz 
und ſpricht den Prologus. 

Herrn und Frauen allzugleich, 

Merkt wohl, das hier iſt Plutos Reich, 

Und ich, wie ich mich vor euch ſtelle, 

Das ich zuerſt bedeuten muß, 

Ich nenne mich Askalaphus 

Und bin Hofgärtner in der Hölle. 


Die Charge iſt hier unten neu; 
Denn ehmals war Elyſium dadrüben, 
Die rauhen Wohnungen dahüben, 
Man ließ es eben ſo dabei. 


Nun aber kam ein Lord herunter, 
Der fand die Hölle gar nicht munter, 
Und eine Lady fand Elyſium zu ſchön. 
Man ſprach ſo lang', bis daß der ſeltne Guſto ſegte 
Und Pluto ſelbſt den hohen Einfall kriegte, 
Sein altes Reich als einen Park zu ſehn. 


Da ſchleppen nun Titanen ohne Zahl, 
Dien alten Siſyphus mit eingeſchloſſen, 
Raſtlos geſchunden und verdroſſen, 
. 8 manches ſchöne Berg und Tal 


— 1 Nach Ovids „Metamorphoſen“ derjenige, der verriet, daß Proſerpina von 
mi gegeſſen hatte, und der dafür in die Eule verwandelt wurde. 


Be 


le Der Triumph der Empfindſamket. 


Zuſammen. 

Aus den flutenden Flammen 

Des Acherons herauf 

Müſſen die ewigen Felſen jetzt! 
Und gält's tauſend Hände, 

Sie werden an irgend einem Ende 
Als point de vue! zurechtgeſetzt. 


Um eins nur iſt es jammerſchade, 

Ums ſchöne Erdreich in Elyſium! 

Aber es iſt keine Gnade, 

Wir gehn damit ganz ſündlich um. 

Sonſt dankt man Gott, wenn man die Steine 
Vom Acker hat; 

Aber hier! ſechs Meilen herum ſind keine 


Zu finden mehr, und wir haben es noch nicht ſatt; 


Damit verſchütten wir den Boden, 

Wo das weichſte Gras, 5 
Die liebſten Blümchen blühen, und warum das? 
Alles um des Mannigfaltigen willen. 

Ein friſcher Wald, eine feine Wieſe, 

Das iſt uns alles alt und klein; 

Es müſſen in unſerm Paradieſe 

Dorn und Diſteln ſein. 


Dafür aber auch graben wir in den Hainen 
Elyſiums die ſchönſten Bäume aus 

Und ſetzen ſie, wo wir es eben meinen, 

An manche leere Stelle 

Herüber in die Hölle 

Um des Cerberus Hundehaus 

Und formieren das zu einer Kapelle. 


Denn, Notabene! in einem Park 
Muß alles Ideal ſein, 

Und, Salva Venia?, jeden Quark 
Wickeln wir in eine ſchöne Schal' ein. 


1 Ausſichtspunkt. — 2 Mit Verlaub. 


10 


Vierter Aft. ; 424 


So verſtecken wir zum Exempel 
Einen Schweinſtall hinter einen Tempel; 
Und wieder ein Stall, verſteht mich ſchon, 
f Wird geradeswegs ein Pantheon. 
5 Die Sad iſt, wenn ein Fremder drin ſpaziert, 
Daß alles wohl ſich präſentiert; 
Wenn's dem denn hyperboliſch dünkt, 
Poſaunt er's hyperboliſch weiter aus. 
Freilich der Herr vom Haus 
10 Weiß meiſtens, wo es ſtinkt. 


Wie ich alſo ſagte: unſre elyſiſchen Bäume 
Schwinden wie elyſiſche Träume, 
Wenn man ſie verpflanzen will. 
f Ich bin zu allen Sachen ſtill; 
5 Denn in einem Park iſt alles Prunk; 
Verdorrt ein Baum und wird ein Strunk, 
Ha! ſagen ſie, da ſeht die Spur, 
Wie die Kunſt auch hinterdrein der Natur 
= Im Dürren iſt. — Ja, leider ſtark! 
20 Mas ich jagen wollte! Zum vollkommnen Park 
a Wird uns wenig mehr abgehn. 
Wir haben Tiefen und Höhn, 
Eine Muſterkarte von allem Geſträuche, 
Krumme Gänge, Waſſerfälle, Teiche, 

25 Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felſen und Klüfte, 
Eine Menge Reſeda und andres Gedüfte, 
Weimutsfichten, babyloniſche Weiden, Ruinen, 

Einſiedler in Löchern, Schäfer im Grünen, 
Moſcheen und Türme mit Kabinetten, 

80 Von Moos ſehr unbequeme Betten, 

Obelisken, Labyrinthe, Triumphbogen, Arkaden, 
Fiſcherhütten, Pavillons zum Baden, 
Chineſiſch⸗gotiſche Grotten, Kiosken, Tings !, 
Mauriſche Tempel und Monumente, 


1 Fur chineſiſch ting, d. h. Pavillon. 


FRE, 


. Der Stun ber er Omfbfane 


Gräber, ob wir gleich niemand hehren 15 
Man muß es alles zum Ganzen Haben. 


Ein einziges iſt noch zurückel, 

Und drauf iſt jeder Lord ſo ſtolz: V 
Das iſt eine ungeheure Brücke e 
Von Holz „„ 
Und einem Bogen von Hängewerk, 

Das iſt unſer ganzes Augenmerk. 

Denn erſtlich kann kein Park beſtehn a 20 
Ohne ſie, wie wir auf jedem Kupfer ſehn. 10 
Auch in unſern toleranten Tagen 5 
Wird immer mehr drauf angetragen, 

Auf Kommunikation, wie bekannt, 

Dem man ſich auch gleichſtellen muß; a 8 
Elyſium und Erebus? 15 
Werden vice versa tolerant. 


Wir freuten uns der Brücke ſchon; 

Doch leider, Acheron und Pyriphlegethon 

Speien ewige Flammen, | . 
Da fehlt's uns an geſcheiten Leuten; 20 
Und bringen wir die Brücke nicht zuſammen, . 
So will der ganze Park nichts bedeuten; 

Das Koſtüm leidet weder Erz noch Stein, 

Von Holz muß ſo eine Brücke ſein. 


Aber warum ich komme! ohne Zeit zu verlieren: 25 
Pluios ſchönes, junges Weib 

Geht gewöhnlich hierher ſpazieren, 
Denn drin iſt nicht viel Zeitvertreib. 
Da ſucht ſie bei den armen Toten 
So ſchöne Gegenden wie auf Siziliens Boden; 30 
Wir haben's aber nur in Gedichten. : 


nung der Unterwelt. — 3 Die griechiſche Mythe ſetzt die Entführung ber Pos 
lerpina in die Nähe von Henna im mittleren Sizilien. 


1 V. 3 — 24 enthalten wohl Anſpielungen auf Gegnerſchaft gegen eine Holz 
brücke über die Ilm, die in Goethes Parkplan vorgeſehen war. — 2 Andre Bezeich⸗ 


Dann fragt fe täglich 1 Pane 1 
Wir haben aber keine zu reichen: 
Pfirſchen, Trauben, darnach liefen wir weit; 
Holzbirn', Schlehen, rote Beerchen und dergleichen 
Iſt alles, was bei uns gedeiht. 


23wei hölliſche Geiſter dringen einen Granatenbaum in einem Kübel.) 
Drum hab' ich zu einem Treibhaus geraten 
Und brüte zum Exempel dieſe Granaten 
In einem froſtbedeckten Haus 
10 Mit unterirdiſchem Feuer aus; 
x Den will ich in die Erde kleben, 


(Er macht alles zurecht, wie er's ſagt.) 

Mit Felſen, Raſen, Moos umgeben, 
Daß meine Königin vermeine, 

Es wüchſe alles aus dem Steine, 

Und wenn ſie den Betrug verſpürt, 


Den Künſtler lobe, wie ſich's gebührt. 
(Ab.) 


(Vorbereitende Muſik, ahnend ſeltne Gefühle.) 
Mandandane als Proſerpina. 


Halte! halt' einmal, Unſelige! Vergebens 

Irrſt du in dieſen rauhen Wüſten hin und her! 
Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, 

Und was du ſuchſt, liegt immer hinter dir. 


25 Nicht vorwärts, 

n Aufwärts auch Toll dieſer Blick nicht ſteigen! 
Die ſchwarze Höhle des Tartarus 
Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, 
In die ich ſonſt 

80 Nach meines Ahnherrn froher Wohnung 
Mit Liebesblick hinaufſah! 

Ach! Tochter du des Jupiters, 

Wie tief biſt du verloren! — 


= | Geſpielinnen! 
5 5 Als jene blumenreichen Täler 


174 Der Triumph der Sede . 8 


Für uns geſamt noch blühten, 6 1 

Als an dem himmelklaren Strom des age 

Wir plätjchernd noch im Abendſtrahle ſcherzten, 

Einander Kränze wanden 

Und heimlich an den Jüngling dachten, es 
Deſſen Haupt unſer Herz fie widmete, | 

Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen, 

Keine Zeit zu lang, 5 

Um freundliche Geſchichten zu wiederholen, 

Und die Sonne 10 
Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette 

Sich auf, als wir, voll Luſt zu leben, 

Früh im Tau die Roſenfüße badeten. — 


O Mädchen! Mädchen! | 
Die ihr, einſam nun, 15 
Zerſtreut an jenen Quellen ſchleicht, en 
Die Blumen aufleſt, 

Die ich, ach, Entführte! 

Aus meinem Schoße fallen ließ, f 
Ihr ſteht und ſeht mir nach, wohin ich verſchwand! 20 


Weggeriſſen haben ſie mich, 

Die raſchen Pferde des Orkus; 

Mit feſten Armen 

Hielt mich der unerbittliche Gott! 

Amor! ach, Amor floh lachend auf zum Olymp — 25 
Haft du nicht, Mutwilliger, 

Genug an Himmel und Erde? 

Mußt du die Flammen der Hölle 

Durch deine Flammen vermehren? — 


Heruntergeriſſen 30 
In dieſe endloſen Tiefen! 
Königin hier! b 


1 Goethe macht irrtümlich aus der Quelle Arethuſa, die der ihre Tochter 
ſuchenden Ceres Auskunft gab und in Ovids „Metamorphoſen“, Buch 5, V. 487, in⸗ 
folge ihres angeblichen Zuſammenhanges mit dem peloponneſiſchen Ra Alpheus 
Alpheias heißt, einen ſiziliſchen Fluß dieſes Namens. 


. 
. 1 
C 


175 


8 König in? N 0 
Vor er nur Schatten ſich gen 


Hoffnungslos iſt ihr Schmerz! 
Hoffnungslos der Abgeſchiedenen Glück, 
5 Und ich wend' es nicht. 

Den ernſten Gerichten 

Hat das Schickſal fie übergeben; 
Und unter ihnen wandl' ich umher, 
Göttin! Königin! 

Selbſt Sklavin des Schickſals! 


Ach, das fliehende Waſſer! 

Möcht' ich dem Tantalus ſchöpfen, 

Mit lieblichen Früchten ihn ſättigen! 

Armer Alter! 

Für gereiztes Verlangen geſtraft! — 

In Ixions Rad möcht' ich greifen, 

Einhalten ſeinen Schmerz! N 

Aber was vermögen wir Götter 

Über die ewigen Qualen! 

Troſtlos für mich und für ſie, 

Wohn' ich unter ihnen und ſchaue 

Der armen Danaiden Geſchäftigkeit! 

Leer und immer leer! 

Wie ſie ſchöpfen und füllen! 

Leer und immer leer! 

Nicht einen Tropfen Waſſers zum Munde, 

* Nicht einen Tropfen Waſſers in ihre Wannen! 
Leer und immer leer! 

Ach, ſo iſt's mit dir auch, mein Herz! 

30 Woher willſt du ſchöpfen? — und wohin? — 


Euer ruhiges Wandeln, Selige, 
Streicht nur vor mir vorüber; 


8 1 V. 12 — 30 enthalten drei Typen großer Verbrecher der griechiſchen Unter⸗ 

welt: Tantalus, der Götterſpeiſe entwendet hatte, Jrion, der Hera nachgeſtellt 
hatte, die fünfzig Danaiden, die Töchter des Danaos, die bis auf eine ihre 
widerwillig als Männer angenommenen Vettern ermordet hatten. 


178 der Trlumph ber . 
Mein Weg iſt nicht mit euch! 85 3 
In euern leichten Tänzen. n 
In euern tiefen Hainen, 

In eurer liſpelnden Wohnung | V 
Rauſcht's nicht von Leben wie droben, VVV“; 
Schwankt nicht von Schmerz zu Luſt BER 
Der Seligkeit Fülle. — 


Iſt's auf ſeinen düſtern Augenbraunen, 
Im verſchloſſenen Blicke? ae 
Magſt du ihn Gemahl nennen? 10 
Und darfſt du ihn anders nennen? 5 i 
Liebe! Liebe! 

Warum öffneteſt du fein Herz 
Auf einen Augenblick? 5 
Und warum nach mir, i . 
Da du wußteſt, | 
Es werde ſich wieder auf ewig berichlien? 
Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen 
Und ſetzte ſie neben fich en 
Auf ſeinen kläglichen Thron? 20 
Warum mich, die Tochter der Ceres? 3 


O Mutter! Mutter! 

Wie dich deine Gottheit verläßt 

Im Verluſt deiner Tochter, —— 
Die du glücklich glaubteſt, REN 
Hinſpielend, hintändelnd ihre Jugend! | 


Ach, du kamſt gewiß 
Und fragteſt nach mir, 
Was ich bedürfte, 


Etwa ein neues Kleid 30 
Oder goldene Schuhe? a 
Und du fandeſt die Mädchen | we 
An ihre Weiden gefeſſelt, ©. 
Wo ſie mich verloren, | ee 


Nicht wieder fanden, 


lere am. ER 


1 80 Locken e 8 
Erbärmlich klagten, 
Meine lieben Mädchen! — 


Wohin iſt ſie? Wohin? rufſt du. 

5 Welchen Weg nahm der Verruchte? 

Soll er ungeſtraft Jupiters Stamm entweihen? 
Wohin geht der Pfad ſeiner Roſſe? 

Fackeln her! 

Durch die Nacht will ich ihn verfolgen! 

Will keine Stunde ruhen, bis ich ſie finde, 
Will keinen Gang ſcheuen 

Hierhin und dorthin. 


Dir blinken deine Drachen mit klugen Wg zu, 
Aller Pfade gewohnt, folgen ſie deinem Lenken: 
In der unbewohnten Wüſte treibt dich's irre — 


Ach, nur hierher, hierher nicht! 

Nicht in die Tiefe der Nacht, 
Unbetreten den Ewiglebenden, 

Wo, bedeckt von beſchwerendem Graus, 
Deine Tochter ermattet! 


Wende aufwärts, 

Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad, 
Aufwärts nach Jupiters Wohnung! 
Der weiß es, 

Der weiß es allein, der Erhabene, 

Wo deine Tochter iſt! — 


Vater der Götter und Menſchen! 


Ruhſt du noch oben auf deinem goldenen Stuhle, 


Zu dem du mich Kleine 

So oft mit Freundlichkeit aufhobſt, 

In deinen Händen mich ſcherzend 

Gegen den endloſen Himmel ſchwenkteſt, 

Daß ich kindiſch droben zu verſchweben bebte? 
> Biſt du's noch, Vater? — 

Goethe. XVIII. 12 


177 


178 


Der Triumph ber Empfindſamkeit. 5 5 e 


Nicht zu deinem Haupte 

In dem ewigen Blau 

Des feuerdurchwebten Himmels, 
Hier! Hier! — — 

Leite ſie her! 

Daß ich auf mit ihr 

Aus dieſem Kerker fahre! 


Daß mir Phöbus wieder 


Seine lieben Strahlen bringe, 
Luna wieder 
Aus den Silberlocken lächle! 


O, du hörſt mich, 

Freundlichlieber Vater, 

Wirſt mich wieder, 

Wieder aufwärts heben; 

Daß, befreit von langer, ſchwerer Plage, 
Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze! 


Letze dich, verzagtes Herz! 

Ach! Hoffnung! 

Hoffnung gießt 

In Sturmnacht Morgenröte! 
Dieſer Boden 

Iſt nicht Fels, nicht Moos mehr; 
Dieſe Berge 

Nicht voll ſchwarzen Grauſes! 
Ach, hier find' ich wieder eine Blume! 
Dieſes welke Blatt, 

Es lebt noch, 


Harrt noch, 
Daß ich ſeiner mich erfreue! 


Seltſam! ſeltſam! 

Find' ich dieſe Frucht hier? 
Die mir in den Gärten droben 
Ach! ſo lieb war — 


(Sie bricht den Granatapfel ab.) 


10 


1 


20 


25 


2 5 
er 


in. 5 


Laß dich genießen, 
Freundliche Frucht! 
Laß mich vergeſſen 
Alle den Harm! 
5 Wieder mich wähnen 
Droben in Jugend, 
In der vertaumelten 
Lieblichen Zeit, 
5. In den umduftenden 
10 Himmliſchen Blüten, 
8 In den Gerüchen 
Seeliger Wonne, 
Die der Entzückten, 
S Der Schmachtenden ward! 
8 (Sie ißt einige Körner.) 
E Labend! labend! 
Wie greift's auf einmal 
Durch dieſe Freuden, 
Diurch dieſe offne Wonne 
20 Mit entſetzlichen Schmerzen, 
Mit eiſernen Händen 8 
Der Hölle durch! — — 
Was hab' ich verbrochen, 
Daß ich genoß? 
Ach, warum ſchafft 
Die erſte Freude hier mir Qual? 
Was iſt's? was iſt's? — 
Ihr Felſen ſcheint hier ſchrecklicher herabzuwinken, 
1 Mich feſter zu umfaſſen! 
80 Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! 
; Im fernen Schoße des Abgrunds 
Dumpfe Gewitter toſend ſich zu erzeugen! 
Und ihr weiten Reiche der Parzen 
5 Mir zuzurufen: 
ws Du biſt unſer! 
Die Parzen (unſichtbar). 
Du biſt unſer! 


12 * 


180 


De Triumph der Sipfasfantei 


Ist der Ratſchluß deines Ahnherrn: | 
Nüchtern ſollteſt du wiederkehren; 3 
Und der Biß des Apfels macht dich Be . 
Königin, wir ehren dich! sr 


Proſerpina. rt 5 
Halt du's geſprochen, Vater? | 
Warum? warum? 
Was tat ich, daß du mich verſtießeſt? 
Warum rufſt du mich nicht f 
Zu deinem lichten Thron auf! 10 
Warum den Apfel? : 
O, verflucht die Früchte! 
Warum ſind Früchte ſchön, 
Wenn ſie verdammen? 
Biſt nun unſer! . 2 
Warum trauerſt du? 
Sieh, wir ehren dich, 
Unſre Königin! 

Proſerpina. 20 
O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung, 
Daß ich euch hin verwünſchen könnte! 
O wäre der Cocyt nicht euer ewig Bad, 
Daß ich für euch 
Noch Flammen übrig hätte! 25 

Ich Königin, 

Und kann euch nicht vernichten! 
In ewigem Haß ſei ich mit euch webe 
So ſchöpfet, Danaiden! | 
Spinnt, Parzen! wütet, Furien! : 20 
In ewig gleich elendem Schickſal. N 
Ich beherrſche euch 


Und bin darum elender als ihr alle. 


en. 3 
Du biſt unſer! 15 „ 


Wir neigen uns dir! 


Biſt er 1 | 
’ Hohe Königin! ee ferpinn. 


Fern! weg von mir 
Sei eure Treu' und eure Herrlichkeit! 
Wie haſſ' ich euch! 
Und dich, wie zehnfach haſß ich dich — 
Weh mir! ich fühle ſchon 
Die verhaßten Umarmungen! 
7 Parzen. 
Be "Unter! Unſre Königin! 
Proſerpina. 

Warum reckſt du ſie nach mir? 

Recke ſie nach dem Avernus!! 

Rufe die Qualen aus ſtygiſchen Nächten empor! 
Sie ſteigen deinem Wink entgegen, 

Nicht meine Liebe. 

Wie haſſ' ich dich, 

Abſcheu und Gemahl, 
O Pluto! Pluto! 

Gib mir das Schickſal deiner Verdammten! 
Nenn’ es nicht Liebe! — 

Wirf mich mit dieſen Armen 
In die zerſtörende Qual! 


Parzen. 
8 Piſert unſer! hohe Königin! 
8 Anbraſon erſcheint bei den Worten: Abſcheu und Gemahl 2. Mandandane 
e die Woſtrophe an ihn und flieht vor ihm mit Entſetzen. Er erstaunt ſieht 
ſich um und folgt ihr voller Verwunderung. 


1 So viel wie Unterwelt; der vulkaniſche See dieſes Namens bei aun 
in Kampanien galt als einer der Eingänge zu ihr. 


182 Der Triumph ber Empfindſamkeit. 


Fünfker ARE. 


Vorſaal. 
Mana. Sora. Lato. Mela. 


Sora. Liebe Schweſtern, es koſte, was es wolle, wir müſſen 
in des Prinzen Zimmer. 

Mana. Aber die Wache? 

Sora. Die hindert uns nicht; es ſind Männer. Wir wollen 
ihnen ſchön tun und Wein geben; damit führen wir ſie, wie wir 
wollen. 

Lato. Laß ſehn! 

Sora. Ich habe vom ſüßen Wein genommen und ihn mit 
Schlaftrunk gemiſcht. Denn, ihr Kinder, es liegt viel dran. 

Mela. Wieſo? 

Sora. Wer nicht neugierig iſt, erfährt nichts. Mir brannt' 
es auf dem Herzen, zu wiſſen, wie's im Zimmer wohl ſein 
möchte, wenn die ſchönen Sachen alle ſpielten. Gegen Mitter⸗ 
nacht ſchlich ich mich an und guckte durch einen Ritz in der Tür, 
den ich von alters her wohl kenne. 

Mana. Was ſahſt du? 

Sora. Was ihr nicht denkt! Nun glaub' ich wohl, daß 
der Prinz gegen uns ſo unempfindlich blieb, ſo verachtend von 
uns wegging! 

Lato. Ach! er iſt ein ſchöner Geiſt von der neuen Sorte, 
die ſind alle grob. 

5 Sora. Das nicht allein. Er führt ſeine Geliebte mit ſich 
herum. 

Mana. Nicht möglich! 

Lato. Ei wie? 


10 


28 


Funſter At. 1:83 


Sora. Wenn ich euch nichts aufſpürte! In dem verfluch⸗ 
ten Kaſten, in der geheimnisvollen Laube ſitzt ſie. Mich wun⸗ 
= dert nur, wie fie ſich mag jo herumſchleppen laſſen, ſo ſtille 
ſimtzen! | 

= Mana. Drum wurde das Ding von Mauleſeln getragen! 

Mela. Wie ſieht ſie aus? 

Sora. Ich habe nur einen Zipfel vom Kleide ſehen können, 
und daß der Prinz ihre Hand nahm und küßte. Gar nichts 
weiter. Hernach entſtand ein Geräuſche; da ruſcht'! ich fort. 
10 Lato. O laßt uns jehen! 

Mana. Wenn ſich's nur ſchickte! 

Sora. Es iſt ja Nacht, kein Menſch wird es erfahren. Ich 
habe ſchon den Hauptſchlüſſel. Nun ſpielt mit der Wache hübſch 
die Mädchen.? muff) 

(Die Frauenzimmer ſpielen unter ſich kleine Spiele. Die von der Wache kommen 
einzeln herein und ſehen zu; ſie rufen einander herbei, endlich miſchen ſie ſich in 
die Spiele. Die Fräulein tun erſt fremd, dann freundlich, endlich bringen ſie Wein 
und Früchte; die Jünglinge laſſen ſich's wohl ſchmecken, Tanz und Scherz geht fort, 


20 bis die Wache anfängt, ſchläfrig zu werden; ſie taumeln hin und her, zuletzt in 
l die Kuliſſen, und die Mädchen behalten das Feld.) 


Sora. Nun friſch ohne Zeitverluſt ins Zimmer! Laßt uns 
die Verwegene aus ihrer Dunkelheit reißen, ihre Schande zu 


unſerm Triumph offenbaren! 
2⁵ Alle ab.) 


Der hintere Vorhang geht auf, das Theater verändert ſich in die Waldſzene. 

Nacht ohne Mondſchein. Um die Laube iſt alles düſter und ſtille. Die vier Fräu⸗ 

lein kommen mit Fackeln: Pantomime und Tanz, worin ſie Neugierde und Ver⸗ 

druß ausdrücken. Sie eröffnen die Laube, leuchten ſtarrend hinein und fahren 
30 zurück. 


Sora. Was iſt das? Mandandane! 
Lato. Ein Geſpenſt oder Andraſons Gemahlin! 
Mela. Eine Maske. Was ſteckt darunter? 
(Sie nähern fi wieder allmählich.) 
35 Mana. Wir wollen ſie anrufen. 
Lato. Heda, junge Dame! 
Sora. Sie rührt ſich nicht. 


we. 


1 Bewegte mich raſch fort, entfernte mich raſch. — 2 Stellt euch, als ob 
ihr der Wache Liebſten wäret. 


184 Der e der npfubfonteit 


Mela. Ich dächte, wir blieben aus dem en, is bar N 


es ſteckt Zauberei dahinter. 
Sora. Ich muß es doch näher beſehn. e 
Mana. Nimm dich in acht! wenn's auffährt 
Lato. Sie wird dich nicht beißen. 
Mela. Ich gehe meiner Wege. 
Sora (vie es anrührt und zurückfährb . Ha! 
Mana. Was gibt's? 


Mela. Es iſt wahrlich lebendig! Sollt' es denn Mandan⸗ 


dane ſelbſt ſein? Es iſt nicht möglich! 

Lato (indem ſie ſich immer weiter entfernt). Wir müſſen's doch 
heraus haben. 

Mela. So redet es doch an! 


10 


Sora (vie ſich furchtſam näher). Wer du auch ſeiſt, ſeltſame, N 


unbekannte Geſtalt, rede! rühre dich! und gib uns Rechenſchaft 
von deinem abenteuerlichen Hierſein! 

Mana. Es will ſich nicht rühren. 

Lato. Geh' eins hin und nehm’ ihr die Maske ab. 


Sora. Ich will einen Anlauf nehmen! Kommt alle mit! 


(Sie halten ſich aneinander, und es zerrt eine die andre nach ſich bis zur Laube) 
Mana. Wir wollen am Seſſel ziehen, ob's leicht oder 
ſchwer iſt. 


(Sie ziehen am Seſſel und bringen ihn mit leichter Mühe bis ganz hervor ans 
Theater; ſie gehen drum herum, machen allerlei Verſuche, die Maske fällt herunter, 
und ſie tun einen allgemeinen Schrei.) 


Mana. Eine Puppe! 

Sora. Eine ausgeſtopfte Nebenbuhlerin! 

Lato. O, ein ſchönes Gehirn! 

Sora. Wenn ſie ebenſo ein Herz hat? 

Mana. Die ſoll uns nicht umſonſt vexiert haben! Ausklei⸗ 
den ſoll man ſie und in den Garten ſtellen, die Vögel damit zu 
ſcheuchen. 

Lato. So was iſt mir in meinem Leben nicht vorgekommen. 

Mela. Es iſt doch ein ſchönes Kleid. 

Mana. Man ſollte ſchwören, es gehöre Mandandanen. 

Mela. Ich begreife nicht, was der Prinz mit der Puppe will. 


(Sie verſuchen an der Puppe verſchiednes, endlich bringen ſie aus der Bruſt einen 
Sack hervor und erheben ein lautes Geſchrei.) 


20 


25 


le Fine u. 185 
; nn. Was iſt in dem Sad? Laßt ſehn, was iſt in dem 
5 Sack? 
Mana. Häckerling iſt drin, wie ſich's anfühlen läßt. 
= Sora. Es iſt doch zu ſchwer — 
8 Lato. Es iſt auch etwas Feſtes drin. 
8 Mela. Bindet ihn auf; laßt ſehn! 
= Andraſon kommt. 
Ihr Kinder, wo ſeid ihr? Ich ſuch' euch überall, ihr Kinder. 
= Mana. Du kommſt eben zur gelegenen Zeit! Da fieh! 
% Andraſon. Was Teufel ift das? meiner Frauen Kleider? 
meiner Frauen Geſtalt? 
f Mana aim den Sack zeigend). Mit Häckerling ausgeſtopft. 
i Sora. Sieh dich um; das iſt die Natur, worin der Prinz 
lebt, und das iſt feine Geliebte. 
1 Andraſon (auffahrend). Ihr großen Götter! 
Sora. Mach nur den Sack auf! 
Andraſon (aus tiefen Gedanken). Halt! 
Mana. Was iſt dir, Andraſon? 
N Andraſon. Mir iſt, als wenn mir in dieſer Finſternis ein 
20 Licht vom Himmel käme. 
3 Sora. Du biſt verzückt. 
Andraſon. Seht ihr nichts, ihr Mädchen? Begreift ihr 
nichts? 
Mana. Ja, ja! das Geſpenſt, das uns geängſtet hat, iſt 
25 begreiflich genug, und der Sack, den ich in meinen Armen 
habe, dazu. 
Andraſon. Verehre die Götter! 
Sora. Du machjt mich mit deinem Ernſt zu lachen. 
f Andrafon. Seht ihr nicht die Hälfte des mir Glück weis⸗ 
so ſagenden Orakels erfüllt? — 
Mana. Daß wir nicht darauf gefallen ſind! 
Andraſon. Wenn wird ein greiflich Geſpenſt von 
ſchönen Händen entgeiſtert, — 
Sora. Nichts kann klärer ſein! 
Andraſon. Und der leinene Sack feine Geweide 
f verleiht — 


= 


186 Der Triumph ber Gnyfibfantet 


Nun aufgemacht, ihr Kinder! laßt uns vor allen fein, was fe 


enthält! 


(Sie binden ihn auf, und wie fie ihn umſchütteln, fällt eine ganze Partie Bücher, 
mit Häckerling vermiſcht, heraus.) 


Andraſon. Gebt acht, das werden Zauberbücher fein. (er 
hebt eins auf.) Empfindſamkeitenl! 

Mana. O gebt's her! 

(Die andern haben indeſſen die übrigen Bücher aufgehoben.) 

Andraſon. Was haſt du? Siegwart, eine Kloſterge⸗ 
ſchichte in drei Bänden.? 

Mana. O, das muß ſcharmant ſein! Gib her, das muß 
ich leſen. Der gute Jünglingls 

Lato. Den müſſen wir kennen lernen! 

Sora. Da iſt ja auch ein Kupfer dabei! 

Mela. Das iſt gut, da weiß man doch, wie er ausge⸗ 
ſehen hat. 

Lato. Er hat wohl recht traurig, recht intereſſant ausgeſehn. 


(Es bleibt den Schauſpielern überlaſſen, ſich hier auf gute Art über ähnliche 
Schriften! luſtig zu machen.) 


Andraſon. Eine ſchöne Geſellſchaft unter einem Herzen! 

Mela. Wie kommen die Bücher nur da herein? 

Andraſon. Laßt ſehn! Iſt das alles? (er wendet den Sack 
völlig um, es fallen noch einige Bücher und viel Häckerling heraus.) Da kommt 
erſt die Grundſuppe! 

Sora. O laßt ſehn! 

Andraſon. Die neue Heloiſel — weiter! — Die Lei⸗ 
den des jungen Werthers! — Armer Werther! 

Sora. O gebt's! das muß ja wohl traurig ſein. 

Andraſon. Ihr Kinder, da ſei Gott vor, daß ihr in das 


Zeug nur einen Blick tun ſolltet! Gebt her! cer packt die Bucher 
wieder in den Sack zuſammen, tut den Häckerling dazu und bindet's ein.) 


1 Wohl kein Einzeltitel, ſondern eine Bezeichnung der im folgenden genannten 
Werke, auf deren Weſen Andraſon aus dem erſten Bande ſchließt. — 2 Des Ulmer 
Geiſtlichen Martin Miller „Siegwart. Eine Kloſtergeſchichte“, erſchien 1776. — 
3 Wohl Lorenz von Weſtenrieders „Leben des guten Jünglings Engel⸗ 
hof“, vom Jahre 1781. — ! In der älteren Bearbeitung nannte Goethe ſelbſt 
noch ſeine eigene „Stella“, Friedrich Heinrich Jacobis Romane: „Aus Eduard All⸗ 
wills Papieren“ (1775) und „Woldemar“ (1776), das Trauerſpiel mit Gefang: 
„Adelſtan und Röschen“ von Schink (1776), „Selkows Briefe an Welmar“, „Thomas 
Imgarten, eine wahre Geſchichte“ (1777) und „Freundſchaft und Liebe, Geſchichte 
der Miß Luiſe Byron, aus dem Engliſchen“ (1779). 


10 


Fünfter Att. 5 187 
. Mana. Es iſt nicht artig von Euch, daß Ihr uns den Spaß 
3 verderben wollt! wir hätten da manche ſchöne Nacht leſen können, 
; wo wir ohnedem nicht ſchlafen. 
Andraſon. Es iſt zu euerm Beſten, ihr Kinder! Ihr glaubt's 
s nicht, aber es iſt wahrlich zu euerm Beſten. Nur ins Feuer 
damit! 
Mana. Laßt ſie nur erſt die Prinzeſſin ſehn. 
Andraſon. Ohne Barmherzigkeit! ach einer Paufe) Aber 
was erſcheinen mir für neue Lichter auf dem dunkeln Pfade der 
10 Hoffnung! Ich ſeh', ich ſeh'! die Götter nehmen ſich meiner an. 
Sora. Was habt Ihr für Erſcheinungen? 
Audraſon. Hört mich! Dieſe Bücher ſollen nicht ins Feuer! 
Mana. Das iſt mir ſehr lieb. 
Andraſon. Und ihr ſollt fie auch nicht haben! 
15 Sora. Warum? 
* Andraſon. Hört, was das Orakel ferner geſagt hat: 
. Wird die geflickte Braut mit dem Verliebten 
9 vereinet: 
. Dann kommt Ruhe und Glück, Fragender, über 
eo» dein Haus. 
3 Daß von dieſer lieblichen Braut die Rede ſei, das iſt wohl keine 
Frage mehr. Wie wir ſie aber mit dem lieben Prinzen vereinen 
ſollen, das ſeh' ich noch nicht ein. Ich will auch nicht darüber 
nachdenken: das iſt der Götter Sache! Aber geflickt muß ſie zu⸗ 
25 erſt werden, das iſt klar, und das iſt unſere Sache! 


ü (Er tut den Sad wieber an den vorigen Ort, die Mädchen helfen dazu, und man 
ER bittet, daß alles mit der größten Dezenz geſchehe. Darauf wird die Maske wieder 
N vorgebunden und die Puppe in gehörige Poſitur geſetzt.) 


Sora. Ich verſtehe noch von allem dem kein Wort; und 
30 das, was mir an dem Orakel nicht gefällt, iſt, daß es von jo 
gemeinen Sachen und in ſo niedrigen Ausdrücken ſpricht. 
Andraſon. Liebes Kind, die gemeinen Sachen haben auch 
ihr hohes Intereſſe, und ich verzeihe dir, daß du den tiefen Sinn 
5 des Orakels nicht einſiehſt. 
85 Mana. Nun, ſo ſeid nicht ſo geheimnisvoll, erklärt einem was. 
Andraſon. Iſt es nicht deutlich, meine ſchönen Kinder, daß 
in dieſen Papieren eine Art von Talisman ſteckt, daß in ihnen 
dieſe magiſche Gewalt liegt, die den Prinzen an eine abge⸗ 


188 Der Trium der ebe. 5 1 5 


ſchmackte, ausgeſtopfte Puppe feſſelt, wozu er he As 0 


eines ehrlichen Mannes Frau geborgt hat? Seht ihr nicht, daß, 


wenn wir dieſe Papiere verbrennten, der Zauber aufhören und 


er ſeine Geliebte als ein hohles Bild der Phantaſie gleich er⸗ 


kennen würde? Die Götter haben mir dieſen Wink ge 


und ich danke ihnen, daß ich fie nicht mißverſtanden habe. O 


du liebliche, holde, geflickte Braut, möge die Kraft aller lügen⸗ . 


haften Träume auf dich herabſteigen! möge dein papiernes Herz, 
deine leinenen Gedärme ſo viel Kraft haben, den hoch und fein 


empfindenden Prinzen an ſich zu ziehen, wie ſonſt magiſche Zei⸗ 10 


chen, geweihte Kerzen, Alraune und Totenköpfe Geiſter und 


Schätze an ſich zu ziehen pflegen! — Die Laube war wohl der 


Aufenthalt dieſer himmliſchen Nymphe? Kommt! wir wollen 
ſie verwahren, alles in Ordnung bringen, niemand etwas davon 
entdecken und der Mitwirkung der Götter fürs Folgende ge⸗ 
wiß ſein. 

Mana. Andraſon, nun kommt mir's erſt wunderbar vor, 
daß Ihr da ſeid! 

Andraſou. Ein Seltſames verdrängt die Empfindung des 
andern. 


Sora. Wie kommt Ihr ſo ſchnell wieder und in tiefer Nacht 


bei uns an? 

Andraſon. Laßt's euch ſagen und klagen, meine lieben Kin⸗ 
der. Als ich von euch wegging, eilte ich gerade nach Hauſe. Ich 
machte den Weg in ziemlich kurzer Zeit; das Verlangen, mein 
Haus, meine liebe Frau wieder zu ſehen, wurde immer größer 
bei mir. Ich fühlte mich ſchon in ihren Armen und letzte mich 
für die lange Abweſenheit recht herzlich. Wie ich in meinen 


Schloßhof hineintrete, ihr Kinder, höre ich oben ein Gebrauſe, 


ein Getöne, Rufen, hohles Anſchlagen und eine Wirtſchaft durch⸗ 
einander, daß ich nicht anders dachte, als der wilde Jäger ſei 
bei mir eingezogen. Ich gehe hinauf; es wird immer ärger; die 


Stimmen werden unvernehmlicher und hohler, je näher ich 5 


komme; nur meine Frau höre ich ſchreien und rufen, als wenn 
ſie unſinnig geworden wäre. Ganz verwundert tret' ich in den 


Saal. Ich finde ihn finſter wie eine Höhle, ganz zur Hölle de⸗ 5 


koriert, und mein Weib fährt mir in ungeheurer Leidenſchaft 


6? 10 


und mit en d Suchen auf den Hels, traktiert mich als 
uto, als Scheuſal und flieht endlich vor mir, daß ich eben 
wie verſteint daſtehe und kein Wort hervorzubringen weiß. 
Mana. Aber um Gottes willen, was war ihr denn? 
Andraſon. Wie ich's beim Licht beſah, war's ein Mono⸗ 
kt 
Mela. Das muß doch ganz kurios ſein. + 
Andraſon. Nun muß ich euch noch eine Neuigkeit jagen: 
5 ag iſt mit hier. 
| Mana. Mit hier? 
Sora. O laßt uns gleich zu ihr gehen! Wir haben ſie doch 
alle recht lieb. 
Mana. Wie kommt's denn aber, daß Ihr ſie mit hierher 
bringt, da Ihr wißt, der Prinz wird wieder durchkommen? | 
1 Audraſon. Ihr kennt ja, lieben Kinder, meine alte Gut⸗ 
mütigkeit. Wie ſie ſich aus ihrer poetiſch⸗theatraliſchen Wut 
ein bißchen erholt hatte, war ſie wieder gefällig und gut gegen 
mich. Ich erzählte ihr allerlei, um ſie zu zerſtreuen, erzählte ihr 
allerhand von euch und meiner Schweſter; ſie ſagte, ſie hätte 
20 längſt gewünſcht, euch wieder einmal zu ſehn; ich ſagte ihr, daß 
eine Reife ihr ſehr gut ſein würde, und weil die ſchnellſten Ent⸗ 
ſchlüſſe die beſten ſeien, ſollte ſie ſich gleich in den Wagen ſetzen. 
Sie nahm's an, und erſt hinterdrein fiel mir ein, daß ich einen 
dummen Streich gemacht hatte, ſie, ehe es nötig war, mit dem 
25 Prinzen wieder zuſammenzubringen. Doch war's gleich mein 
Troſt, wie gewöhnlich, daß ich dachte, es entſteht vielleicht etwas 
Gutes daraus. Und wie ihr ſeht, gelegner hätten wir nicht 
kommen können. 
ER. Mandandane, Feria kommen. 
30 Mana. Sei uns willkommen, Mandandane! 
Mandandane. Willkommen, meine Freundinnen! 
Feria. Das war eine recht unvermutete Freude! — Was 
macht ihr in des Prinzen Zimmer? 
en. Mandandane. Iſt das fein Zimmer? 
38356 Feria. Was gibt's denn da? was iſt das? 
Mandandane. Wie? Meine Geſtalt? Meine Kleider? 
Andraſon (fur ſich. Wie wird das ausgehn? 


190 . Der Triumph der Gmpfinbfamteit, 


Mana. Wir haben dieſe ausgeſtopfte 1100 75 det 1 


gefunden, die der Prinz mit ſich herumſchleppt. 5 
Sora. Dies iſt die Göttin, die ſeine vollkommene An⸗ 
betung hat. 


Mandandane. Es iſt Verleumdung! Der Mann, deſſen 


Liebe ganz in geiſtigen Empfindungen ſchwebt, ſollte ſich mit 
ſo einem ſchalen Puppenwerk abgeben? Ich weiß, daß er mich 
liebt; aber es iſt meine Geſellſchaft, die Unterhaltung, die er für 
ſeinen Geiſt bei mir findet. — Ihn mit fo einem kindiſchen Spiel 
im Verdacht haben, heißt ihn und mich beleidigen! 

Sora. Man könnte ſagen, daß er Euer Andenken ſo wert 
hält und Euer Bild überall mit ſich herumträgt, um ſich mit 
ihm wie mit Euch ſelbſt zu unterhalten. | 

Andraſon deife zu ihr). Halte dein verwünſchtes Maul! 

Feria. Ich weiß nicht, was ich dazu ſagen ſoll. 

Mandandane. Nein! Sollte ſein Andenken ſo eine erlogene, 
abgeſchmackte Nahrung brauchen, ſo müßte ſeine Liebe ſelbſt von 
dieſer kindiſchen Art ſein; er würde nicht mich, ſondern eine 
Wolke lieben, die er nur nach meiner Geſtalt zu modeln Be⸗ 
lieben trüge. 

Andraſon. Wenn du wüßteſt, womit ſie ausgeſtopft iſt. 

Mandandane. Es iſt nicht wahr! 

Mana. Wir beteuern's. Wo ſollten wir denn die Puppe 
hernehmen? Sieh hier noch den Platz, wo ſie geſteckt hat. 

Andraſon. Wenn du es nicht glauben willſt, ſo iſt das beſte 
Mittel: wenn wir merken, daß der Prinz wiederkommt, nimm 
die Maske vor, ſetze dich ſelbſt in die Laube, tue, als ſeiſt du mit 
Häckerling ausgeſtopft, und ſieh alsdann zu, ob wir wahr reden. 

(Die Mädchen ſetzen indes die Puppe wieder in die Laube.) 

Mandandane. Das iſt ein ſeltſamer Vorſchlag. 

Feria. Laßt uns gehen, eh' der Tag und jemand von ſeinen 
Leuten uns überraſcht. 

(Alle ab bis auf Andraſon, der Sora zurückhält.) 

Andraſon. Sora! 

Sora. Herr! 

Andraſon. Ich bin in der größten Verlegenheit. 

Sora. Wie? 


10 


2⁵ 


90 


191 


ns 3 fünf aut 58 5 zu Ende, und wir find af 
recht verwickelt! 

Sora. So laßt den ſechſten ſpielen! 

Andraſon. Das iſt außer aller Art. 

Sora. Ihr ſeid ein Deutſcher, und auf Dre Dan | 
| Theater geht alles an. 
Andraſon. Das Publikum dauert mich nur; es h ac | 
Hein Menſch, woran er iſt. 

Sora. Das geſchieht ihnen oft. 
Andraſon. Sie könnten denken, wir wollten f zum beften 
= 2 | 
Sora. Würden ſie ſich ſehr irren? 

Andrafon, Freilich! denn eigentlich ſpielen wir uns ſelber. 
Sora. Ich habe ſo etwas gemerkt. 

Andraſon. Mut gefaßt! — O ihr Götter! Seht, wie ihr 
euerm Orakel Erfüllung, dem Zuſchauer Geduld und diejem 
Stück eine Entwicklung gebt! denn ohne ein Wunder weiß ich 
nicht, wie wir auf gute Art auseinander kommen ſollen. 


ER ! 192 Der Triumph ber Smpfnbfamteit. “ 


Sechſter ARE. 


Wald und Laube. 

Prinz und Merkulo. 
Prinz auf dem Raſen liegend. 
Merkulo (fur ſich. Der Beſuch beim Orakel iſt meinem 5 

Prinzen nicht wohl bekommen. War er vorher betrübt, ſo iſt 

er jetzt außer ſich. Könnt' ich ſeinen Schmerz nur zu Worten 

bringen! (Zum Prinzen.) Teuerſter Herr! Hat die kurze Abweſen⸗ 
heit Ihr Herz ſo gegen mich zugeſchloſſen, daß Sie mich nicht N 

würdigen, der Vertraute Ihres Schmerzes zu ſein, da ich jo oft 10 

der Vertraute Ihres Entzückens geweſen bin? | 8 
Prinz. Ich verſtehe nicht, was ſie jagen — und doch iſt 

mir's, als wenn die Götter etwas Großes über mich verhängten. 

Mein Gemüt iſt von unbekannten Empfindungen durchdrungen. 
Merkulo. Wie lautet der Ausſpruch des Orakels? W 
Prinz. Seine Worte ſind zweideutig, und was mich am 

meiſten verdrießt, ihnen fehlt der Stempel der Ehrfurcht, den 

meine Fragen und mein Zuſtand ſelbſt den Göttern einflößen 
ſollten. Ich bat ſie mit gerührtem Herzen, mir zu entwickeln: 

Wann denn dieſe ſtürmiſche Bewegung meines Herzens endlich 20 

aufhören, wann dieſes tantaliſche Streben nach ewig fliehendem 

Genuß endlich erſättiget werden würde? wann ich, für meine 

Mühſeligkeiten und Leiden endlich belohnt, die Entzückungen mit 

der Ruhe und dieſe holde Traurigkeit mit einem betätigten! 

Herzen würde verbinden können? Und was gaben fie mir für 25 

eine Antwort! Ich mag fie meinem Gedächtnis nicht wider 

zurückrufen! Nimm und lies! . 

(Er gibt ihm eine Rolle.) a 


a e DE 8 
. 


1 Beruhigten, ſteten. 


Merkulo tie. Wird nicht ein kindiſches Spiel vom 
Leernſten Spiele vertrieben, 
Wird dir lieb nicht und wert, was du beſitzend 
nicht haſt, 
Gibſt entſchloſſen dafür, was du nicht habend be⸗ 
ſitzeſt: 
Schwebt in ewigem Traum, Armer, dein Leben 
dahin. 
5 En witziges Orakel! ein antithetiſches Orakel! 
10 (Er lieſt weiter.) a 
Was du töricht geraubt, gib du dem Eigener 
wieder; ö 
Eigen werde dir dann, was du jo ängſtlich er» 
borgſt. 
15 Oder fürchte den Zorn der überſchwebenden 
5 Götter! 
Hier und über dem Fluß! fürchte des Tantalus 


Los. 


(Merkulo kann nach Belieben den Orakelſpruch wiederholen, Anmerkungen 
machen ꝛc., bis er glaubt, das Publikum habe die Worte genugſam gehört.) 


Prinz. Warum mußt' ich Törichter fragen, da ich nun⸗ 

mehr wider meinen Willen folgen oder der Götter Zorn auf 

mich laden muß! 

5 Merkulo. Bei dieſer Gelegenheit, dächt' ich, könnten Sie 
5 ſich immer mit der Unwiſſenheit entſchuldigen; denn ich ſehe 

wenigſtens nicht, wie das Orakel prätendieren kann, daß man's 

: gehen ſoll. f 

Prinz. Ich verſteh' es nur zu wohl! Nicht die Worte, 

aber den Sinn. (Gegen die Laube gekehrt.) Dich ſoll ich weggeben! 

50 Dich ſoll ich aufopfern! Als wenn ich Ruhe der Seele und Glück 

erwerben könnte, wenn ich mich ganz zugrunde richte! 8 

Merkulo. Freilich laſſen ſich allenfalls die Worte des 

Orakels dahin deuten. 

Prinz. Es iſt allzu grauſam! 

Wegzugeben, was ich habe, 

Götter, ach! iſt allzuviel. 


Dem Styx; alſo fo viel wie: Im Leben und im Tode. 
Gioethe. XVII. 13 


194 Are Triumph ber Empfinbfamteit. 


Merkulo. N 
Nennen doch die hohe Gabe 
Götter ſelbſt ein Kinderſpiel! 


Prinz. 
Ich verlieren dieſe Freuden! 5 
Mir verſchwinden dieſes Licht! 
Merkulo Gür ſich. 
O wahrhaftig! zu beneiden 
Sind die Seligkeiten nicht. 


Prinz. 10 
Götter neiden dies Entzücken, 
Und ſie nennen es ein Spiel. 


Merkulo. 
Uns weit beſſer zu erquicken, 
Gibt's noch andrer Sachen viel. 15 


Prinz. Es iſt ein entſetzlicher Entſchluß, der in meiner Seele 
ſich hin und her bewegt, und was für Empfindungen auf⸗ und 
abſteigen, die mir dieſen Entſchluß bald zu erleichtern, bald zu 
erſchweren ſcheinen! — Laß mich allein und ſei bereit, auf meinen 
Wink alle meine Leute, alle Bewohner dieſes Hauſes zuſammen⸗ 20 
zurufen; denn was ich tun will, iſt eine große und männliche 
Tat und leidet den Anblick vieler Zeugen. 

Merkulo. Beſter Herr, Sie machen mir bange. 

Prinz. Erfülle deine Pflicht. 

Merkulo Gm Weggehen umkehrend). Noch eins! Andraſon iſt 25 
wieder hier; wollen Sie den auch zum Zeugen haben? 

Prinz. Himmel! Andraſon! 

Merkulo. Er ſelbſt. Ich hab' ihn, wie ich aufſtand, mit 
ſeiner Schweſter am Fenſter geſehen. f 

Prinz. Laß mich allein! — Meine Sinnen verwirren ſich; 30 
ich muß Luft haben, um die tauſend Gedanken, die in mir durch⸗ 
einander gehn, zurechtzulegen. 

(Merkulo ab.) 


Prinz (allein nach einer Pauſe). Faſſe dich! Entſchließe dich: | 


denn du mußt! — Weggeben ſollſt du das, was dein ganzes 5 


* 


Sechſter Akt. . 195 


Glück macht; aufgeben, was die Götter wohl Spiel nennen dürfen, 
wieil ihnen die ganze Menſchheit ein Spiel zu fein ſcheint. Dich 

m weggeben! (Er macht die Laube auf. Mandandane mit einer Maske vor dem 
Geſicht figt drin) Es iſt ganz unmöglich! Es iſt, als griff ich nach 
5 meinem eignen Herzen, um es herauszureißen! und doch! — 
(er fährt zuſammen und von der Laube weg) Was iſt das in mir? wie un⸗ 
begreiflich! Wollen mir die Götter meinen Entſchluß erleichtern? 
Soll ich mir's leugnen oder geſtehn? Zum erſtenmal fühl' ich 
den Zug, der mich nach dieſer himmliſchen Geſtalt zieht, ſich 
10 verringern! Dieſe Gegenwart umfängt mich nicht mehr mit dem 
unendlichen Zauber, der mich ſonſt vor ihr mit himmliſchen 
Nebeln bedeckte! Iſt's möglich? In meinem Herzen entwickelt, 
beſtimmt ſich das Gefühl: du kannſt, du willſt fie weggeben! — 
4 Es iſt mir unbegreiflich! (er geht auf fie los) Geliebteſte! (er 
. 15 wendet kurz wieder um.) Nein, ich belüge mich! Mein Herz iſt nicht 
bier! In fremden Gegenden ſchwärmt's herum und ſucht nach 
voriger Seligkeit. — Mir iſt's, als wenn du es nicht mehr wäreſt, 
als wenn eine Fremde mir untergeſchoben wäre. O ihr Götter! 
die ihr ſo grauſam ſeid, welche ſeltſame Gnade erzeigt ihr mir 
20 wieder, daß ihr mir das ſo erleichtert, was ich auf euern Befehl 
tue! — Ja, lebe wohl! Von ungefähr iſt Andraſon nicht hier. 
Ich hatte ihm die beſte Hälfte ſeines Eigentums geraubt; hier 
nehme er ſie wieder! Und ihr, himmliſche Geiſter, gebt euerm 
folgſamen Sohn aus den Weiten der Welt neues, unbekanntes 
25 Glück! (er ruft.) Merkulo! 

Merkulo kommt. 

Prinz. Bringe ſie zuſammen, die Meinigen, das Haus: 
könnt' ich die Welt zuſammenrufen, ſie ſollte Zeuge der wunder⸗ 


vollen Tat ſein! 
30 (Merkulo ab.) 


Der Prinz verſchließt die Laube. Unter einer feierlichen Muſik kommen: der Oberſte, 
die Wache, das ganze Gefolge, nach ihnen die Fräulein, alles ſtellt ſich zu beiden 
Seiten, wie ſie ſtehen müſſen, um das Schlußballett anzufangen. Zuletzt kommen 
N Feria und Andraſon mit Merkulo. Die Muſik hört auf. 

88 Prinz. Tritt näher, Andraſon, und höre mich einen Augen⸗ 
blick geruhig an. Bisher ſind wir nicht die beſten Freunde ge⸗ 
weſen: nunmehr haben die Götter mir die Augen geöffnet. Das 
Unrecht, ſeh' ich, war auf meiner Seite; ich raubte dir die beſte 
i 18 * 


196 FD Triumph * Ensfnsfantet. z 


Hälfte des Weibes, das du liebſt. Auf Befehl vr r Unfterbtihen 


geb' ich dir fie zurück. Nimm als ein Heiligtum wieder, was 
ich als ein Heiligtum bewahrt habe; und verzeih das Vergangne 


meiner Not, meinem Irrtum, meiner Jugend und meiner Liebe! 


Andraſon (laub. Was ſoll das heißen? (Fur ſich) Was wird 


das geben? 
Prinz (eröffnet die Laube, man ſieht Mandandane figen). Hier, erkenne 
das Geheimnis und empfange ſie zurück! 


Andraſon. Meine Frau! Du entführſt mir meine Frau? 


ſchleppſt fie mit dir herum? beſchimpfeſt mich öffentlich, da du 
ſie mir vor den Augen aller Welt zurückgibſt? 

Prinz. Dies ſei dir ein Beweis der Heiligkeit meiner Ge⸗ 
ſinnungen, daß ich jetzt das Licht nicht ſcheue! 


Andraſon. Himmel und Hölle! Ich will es rächen. (er greift 


nach dem Schwert, Feria hält ihn, er ſpricht leiſe zu ihr.) Laß ſein! Ich 
muß ja ſo tun. 

Prinz. Entrüſte dich nicht! Mein Schwert hat auch eine 
Schärfe. Sei ſtille, gib der Vernunft Gehör! Du kannſt e 
ſagen: Es iſt mein Weib; und es iſt doch dein Weib. 

Andraſon. Ich haſſe die Rätſel! (Nach einem Augenblick ſtille für ji.) 
Ich erſtaune! Wieder entbindet ſich in meiner Seele ein neuer 
Verſtand, eine Erklärung der letzten Worte des Orakels. Wär' es 
möglich? O helft mir, gütige Götter! @aut) Verzeih! ich fühle, 
daß ich dir unrecht tue. Hierin iſt Zauberei oder eine andere ge⸗ 
heime Kraft, die der Menſchen Sinne zwieſpaltig mit ſich ſelbſten 
macht. Was ſoll ich mit zwei Weibern tun? Ich verehre den 
Wink des Himmels und deinen Schwur. Dieſe nehm' ich wieder 
an; aber gern geb' ich dir jene dagegen, die ich gegenwärtig beſitze. 

Prinz. Wie? 

Andraſon. Bringt ſie her! 

(Die Sklaven ab.) 

Prinz. Sollte ich nach ſo viel Leiden noch glücklich werden 
können? 

Andraſon. Vielleicht tun hier die Himmliſchen ein Wunder, 
um uns beide zur Ruhe zu bringen. Laß uns dieſe beiden als 3 
Schweſtern betrachten, jeder darf eine beſitzen, und exe: bie 
ſeinige ganz. 


— 


0 


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— 


20 


19 
7 


8 Kl * 
. UFER 
J 


Sr 35 vergech = ort | 
Andraſon. Komm du auf mein Teil, i immer gleich Geliebte! 


Mohren heben den Seſſel aus der Laube und ſetzen ihn an die ei Seite 
des Grundes.) 


“ Mandandane (im Begriff, die Maske b an Andraſons Hals). 
O Andraſon! 
Be Andraſon (der ſie nicht aufſtehn noch die Maske abnehmen lußd . 
€ Still, Püppchen! Stille, en Es naht der entſcheidende 
Augenblick! 
10 (Die Sklaven bringen die Puppe, ber Prinz auf fie los und fällt vor ihr nieder 
Prinz. Himmel, he iſt's! Himmel, ſie iſt's! ee 
tauet herab! 


(Die Puppe wird an die andere Seite des Theaters Mandandanen gegenübergeſetzt. 
Hier muß die Ahnlichkeit beider dem Zuſchauer noch Illuſion machen, wie es übers 
15 haupt durchs ganze Stück e angeſehen iſt.) f 


Andraſon. Komm und gib mir deine Hand! Aller Groll 

höre unter uns auf, und feierlich entſag' ich hier dieſer zweiten 
Mandandane und vereine fie mit dir auf ewig! (Er legt ihre Hände 

zuſammen.) Sei glücklich! (Fur fig) mit deiner geflickten Braut! 
Prinz. Ich weiß nicht, wo mich die Trunkenheit der Wonne 

hinführt. Dieſe iſt's, ich fühl ihre Nähe, die mich jo lang’ an 

ſich zog, die jo lang’ das Glück meines Lebens machte! Ich fühl s, 

ich bin wieder in dem Zauberſtrudel fortgeriſſen, der unaufhörlich 

von ihr ausfließt. (Zu Mandandanen.) Verzeih und leb' wohl! Auf 

25 die Puppe deutend.) Hier, hier iſt meine Gottheit, die ganz mein 
Herz nach ihrem Herzen zieht! 

5 Mandandane ; 

| (die die Maske abwirft, zu Andraſon). 

Laß uns den Bund erneuen, 

Gib wieder deine Hand! 

Verzeih, daß ich den Treuen, 

So töricht dich verkannt. 


Prinz (zur Puppe). 
Was Menſchen zu erfreuen 

Die Götter je geſandt, 

Das Leben zu erneuen, 

Fühl' ich an deiner Hand! 


198 Der Triumph ber Empfinbfamtelt. 


Merkulo. 
Wie mir's iſt, ſag' ich nicht! 
Als zögen uns die Wände ein Frazengefthtl 
Himmel und Erde ſcheint uns Eſel zu bohren“, 
Wir find unwiederbringlich verloren. . 


Mandandane (zu Andrafon). 
Laß uns den Bund erneuen, 
Gib wieder deine Hand! 
Verzeih, daß ich den Treuen, 
So töricht dich verkannt. 10 


Prinz (zur Puppe). 

Was Menſchen zu erfreuen 

Die Götter je geſandt, 

Das Leben zu erneuen, 

Fühl' ich an deiner Hand! 15 

Andrajon. Wenn je ein ſeltſam Orakel buchſtäblich erfüllt 
worden, jo iſt's dieſes, und alle meine Wünſche ſind befriedigt, 
da ich dich ſo wieder in meinen Armen halte. Auf, Schweſter, 
Kinder, Freunde! Laßt's nun an Luſtbarkeiten nicht fehlen. Wir 
wollen unſers Glücks genießen, über die wunderbare Geſchichte 0 
unſere ſtillen Betrachtungen anſtellen, (mehr hervortretend gegen die 
Zuſchauer) und von hundert Lehren, die wir daraus ziehen könnten, 
uns beſonders dieſe merken: daß ein Tor erſt dann recht angeführt 
iſt, wenn er ſich einbildet, er ſolge gutem Rat oder gehorche den 
Göttern. 25 
(Ein großes Ballett zum Schluſſe.) 


1 Durch Gebärde andeuten, daß wir Eſel ſeien. 9 


J 
8 

7 
1 
3 
4 
: 


Nach dem Ariſtophanes. 


2 


Einleitung des Herausgebers, 


Don älteſte Zeugnis über Goethes Arbeit an einem Luſtſpiele „Die 
Vögel“ iſt ſeine ſchon oben, S. 43 erwähnte eigene Außerung 
gegenüber Knebel, die dieſer freilich erſt im September 1780 in Pempel⸗ 
fort an Fritz Jacobi weitergab. Im Mai 1780, vor Knebels Abreiſe um 
5 den 17. dieſes Monats, muß danach Goethe noch an eine Bearbeitung 
gedacht haben, worin der hofmeiſternde Klopſtock und ſein Nachbeter 
Cramer die Hauptkoſten der Unterhaltung tragen ſollten. Auch der 
Herzog wußte von ſolcher Beſchäftigung mit den „Vögeln“ des Ariſto⸗ 
phanes, deſſen Studium bei Goethe ſogar bis 1778 zurückverfolgt wer⸗ 
10 den kann. Als er von einem Ausflug nach Deſſau am 12. Juni 1780 
; den Maler Oeſer von Leipzig mitgebracht hatte, um von ihm eine De- 
koration für das Ettersburger Theater malen zu laſſen, zu der Goethe 
ein Stück liefern ſollte, ſchrieb er daher am 15. eben an Knebel, der 
Dichter werde „die angefangenen Ariſtophaniſchen ‚Vögel! dazu 
15 nehmen“. Am 18. Juni begann Goethe, wie nun immer Sonntags, 
in Ettersburg Fräulein von Göchhauſen das Stück zu diktieren. Am 
23. Juli, wieder einem Sonntag, war der vorerſt nur in Ausſicht ge⸗ 
ommene erſte Akt fertig; der Dichter aber zeigte dieſes Stück, das dann 
am 18. Auguſt aufgeführt wurde, dem noch auf Reifen befindlichen 
20 Knebel mit den Worten an: „Den erſten Akt der Vögel,, aber ganz 
neu, werden wir ehſtens in Ettersburg geben ... er iſt voller Mut⸗ 
willen, Ausgelaſſenheit und Torheit.“ 
Was die wichtigſte Neuerung war, kann nicht zweifelhaft ſein. 
Die Beziehung ausſchließlich oder auch nur vornehmlich auf Klopſtock, 
2 der dann dafür mitſamt Cramer feinen Platz im „Neueſten von Plun⸗ 
dersweilern“ erhielt, wurde aufgegeben; und gewiß nicht am wenig⸗ 
ſten dadurch wurde die Stimmung echter, von aller Erdenſchwere ge⸗ 
löſter Narretei und reiner, ſich ſelbſt überſchlagender Laune erreicht, um 


202 Die Vögel. 


derentwillen ſich der Scherz jahrelang die Neigung ebenſo des Dichters 


wie des Weimarer Publikums bewahrte und z. B. auch 1782, 1783 und 
1785 wiederholt werden mußte; gern las es Goethe auch vor, und 
Friedrich Leopold Stolberg hörte es in Weimar mit ebenſolchem Ge⸗ 


nuß, wie noch am 21. Auguſt 1786 der Karlsbader Kreis, in dem es 


„unſägliches Glück“ machte. 

Als ein „Luſtſpiel nach dem Griechiſchen und nicht nach dem Grie⸗ 
chiſchen“ kündigt Goethe das Stück Freund Merck an. Nach des Ariſto⸗ 
phanes „Vögeln“, V. 1—675, iſt die Einkleidung geſtaltet. Ihrer 
Vaterſtadt überdrüſſig, haben ſich bei Ariſtophanes Piſthetairos und 
Euelpides, bei Goethe Treufreund und Hoffegut, wie er überſetzt, auf⸗ 
gemacht, um auf den mühſam zugänglichen Höhen des Gebirges einen 
weiſen Vogel nach einer wohligeren, genußreicheren Stadt zu fragen. 
Ein Strandläufer führt jene zu ſeinem eben Mittagsruhe haltenden 
Herrn, dem Wiedehopf, wie hier der Papagei zu dem ſeinen, dem nacht⸗ 
freudigen Schuhu. Nur bleibt bei Ariſtophanes der Wiedehopf länger 
auf der Bühne und läßt nicht nur ſeinerſeits die beſchwingten Genoſſen 
durch der Nachtigall ſchmetternden Geſang zur Ratsverſammlung locken, 
ſondern er ſpielt auch ſelber den Vermittler zwiſchen den ergrimmten 
Vögeln und den vermeintlichen Vogelſtellern, bis ſie Piſthetairos von 
ihrem urälteſten Daſein vor Göttern und Menſchen und von ihrem 


Rechte zur Gründung einer Stadt, der beide zinſen müſſen, überzeugt 


hat und die Vögel, die bald ſelber, der neuen Lehre voll, davon zu 
ſingen anheben, ihm die Einrichtung und Herrſchaft des neuen „Wolken⸗ 
kuckucksheim“ übergeben. Auch mancher einzelne Gedanke und mancher 
Zug noch aus der auf V. 675 folgenden Parabaſe, mit dem das Alter der 
Vögel bewieſen werden ſoll, ſind faſt wörtlich herübergenommen, nur 
in — Proſa, ſtatt der unvergleichlichen Verſe des Griechen. Die andere 
wichtigſte Anderung, die Goethes Scherz eben zu etwas ganz anderem 
als einer bloßen Bearbeitung macht, iſt die, daß ein einzelnes Motiv 
aus dem weiteren Verlaufe der Ariſtophaniſchen „Vögel“ das Weſen 
der ganzen Nachdichtung beſtimmt hat: der Dichter, der ſich bei Ariſto⸗ 
phanes V. 904—951 durch ſein Preislied auf die neue Stadt einen 
Mantel erſingt, hat ſein Gewerbe an die beiden Auswanderer abgegeben; 
und aus dem leibhaftigen Tereus⸗Wiedehopf iſt der Schuhu⸗Kritikus 
mit ſeinem Gehilfen geworden, kurz, aus der weltweiten politiſchen 


Satire des Ariſtophanes mit der welterobernden Verwegenbeit der 


20 


Die Vögel: Einleitung bes Herausgebers se 203 


Re dbb Ochlokratie und ihrem ſtziliſchen Eroberungszug im Hinter⸗ 
grunde, einer Satire, der doch die verklärende poetiſch⸗phantaſtiſche 
Form alle Bitterkeit abſtreift, iſt in dem unpolitiſ chen Deutſchland des 
Jahres 1780 weſentlich eine — Literaturkomödie geworden, mag auch 
i unter der Nachwirkung mißbehaglicher Berliner Reiſeeindrücke mancher 
5 Stich auf Berlin und Preußentum hineingekommen ſein. — „Mut⸗ 
2 willig und ausgelaſſen“ genug ift nach Goethes eigenem Urteile die 
Dichtung jedenfalls auch ſo. 

Man bedenke, daß Goethe den Treufreund nicht nur ſelber ſpielte, 
10 ſondern in der Schwärmerei für ſchöne Ausſichten und in dem auf 
Mooſe und Flechten gerichteten Sammeleifer auch dauernd mit eigenen 
Zügen ausgeſtattet hat. Goethe alſo iſt es, der in Treufreunds Maske 
= die Dichter und Schriftſteller gegen die Benörgelung ihres Schaffens 
. wie Lebens durch eine mißgünſtige, tages⸗ und lebensſcheue Kritik von 
1ᷣ5g5 Profeſſion vertritt; zu der griesgrämigen Geſtalt des Schuhus haben 
wohl die kritiſchen Wortführer der alten Generation alle, viel mehr 
als Klopſtock und Bodmer aber die kalt großſprecheriſchen Preußen, 
voran Ramler und Aug. Ludwig von Schlözer, auch Nicolai, viel⸗ 
leicht gar Friedrich der Große Modell geſeſſen. Und gleichzeitig kann 
der Dichter dem in Briefwechſeln und Schriften umgetragenen Gerede 
von ſeinem tollen, unſittlichen Treiben an der Seite Hoffeguts, ſeines 
vertrauensvollen Fürſten, nicht jovialer begegnen, als wenn er ſte 
beide als Auswanderer einführt, die — von ihrem Dorado Weimar, 
nach deſſen vermeintlich aller Arbeit überhebenden Genüſſen Freund 
und Feind lüſterten — nach einem Schlaraffenlande ausziehen, in dem 
ſie erſt ſuchen, was ſie in Überfluß längſt genießen ſollen. Ja noch 
mehr: Goethe⸗Treufreund macht ſich zum windbeutelnden Schön⸗ 
redner, und doch zieht vor dieſem nicht nur der Schuhu mit frömmeln⸗ 
dem Entſetzen faſt wortlos ab, ſondern auch die ganze aufgehetzte 
Vögel⸗, d. i. Leſerwelt, ſenkt vor ſeinen Wortkünſten die Schnäbel 
und hebt ihn auf den Thron. Konnte das leicht zu blendende Publi⸗ 
kum köſtlicher als mit ſolcher Selbſtironiſierung perſifliert und zugleich 
die Zuverſicht, daß der angeblich windbeutelnden, genußfrohen Jugend 
Gegenwart und Zukunft gehöre, launiger ausgedrückt werden? 

Daß die launige Satire dem begründeten Selbſtbewußtſein ernſte⸗ 
ſten Strebens erwuchs, zeigen am deutlichſten Goethes Worte an Frau 

von Stein: „Wir wollen ſehen, ob wir die Leute betrügen können, daß 


0 3 


Vä 


ſie glauben, als ſäh' es bei uns ſcapiniſch aus.“ der l te A 5 
erinnert zugleich daran, daß der Dichter für Treufreund und Hoffegut 1 
ausdrücklich die Charaktermasken des franzöſiſchen Luſtſpiels vorſchreibt, 5 1 
die des Scapin, des geriebenen, immer getroſten Schelmen für j inen, 
die des Pierrot, des naiven gutmütigen Tölpels für dieſen. Der Zweck 5 
dabei war wohl ein doppelter: der ungewohnte literariſche Luſtſpielſtoff 2 
ſollte in ein vertrauteres Außere gehüllt, die italieniſch⸗franzöſiſche 
Komödie, um deren Nachbildung man ſich gleichzeitig bemühte, zu 
ihrer Weiterbildung mit neuem Stoff erfüllt werden. 3 
In der Form, die das Luſtſpiel zwiſchen Ende Januar und Sep⸗ 10 
tember 1786 für die „Schriften“ bekam und dann behielt, iſt namentlich 
der mutwilligſte Teil, die letzten drei ausgedehnten Reden Treufreunds 
und Hoffeguts vor dem Schuhu, durch zahlreichere kürzere Wechſelreden 
(S. 211f.) erſetzt und das Ganze dadurch zwar etwas weniger witzig 
und vollends rein literariſch, dafür aber auch ſittſamer geworden. 15 
Während Goethe im Frühjahr 1781 noch für möglich hielt, daß „die 
nächſte Jahreszeit des Gefieders“ auch die übrigen Akte „hervorlocke“, 
hat er nach dieſer Umarbeitung gewiß nicht mehr an eine Fortſetzung 
gedacht. So kam auch das im Namen der „Vögel“ am 28. Auguſt 1786 
an ihn gerichtete Geburtstagsgedicht zu ſpät, „wo eine an Treufreund 20 
geſendete Deputation dieſer munteren Geſchöpfe inſtändig bat, er möchte 
doch das ihnen zugeſagte Reich nunmehr auch gründen und einrichten“ 
(„Italieniſche Reife“, auf dem Brenner, den 8. September abends). 
Nicht mehr in ſcherzendem Spiel, ſondern mit den Taten der „Iphi⸗ 
genie“, des „Egmont“ und des „Taſſo“ bewies er jetzt, wem die Herr⸗ 25 
ſchaft auf dem deutſchen Parnaß gebühre. Der beſcheidene Zweck, 
Intereſſe für Ariſtophanes zu wecken, zunächſt im engern Weimarer 
Kreiſe, war auch ſo erreicht worden. Anna Amalia lernte griechiſch und 
las die „Fröſche“ ſchon 1782 unter Wielands Leitung, der in Tiefurt 
ebenſo die „Ritter“ vorlas und im „Attiſchen Muſeum“ 1797 und 90 
1798 Überſetzungen der letzteren und der „Wolken“ veröffentlichte. 7 
Auch bei Goethe ſelbſt blieb die Teilnahme für den „ungezogenen Lieb⸗ 
ling der Grazien“ und ihn betreffende Veröffentlichungen, wie Reiſigs 
„Kommentar zu den Wolken“ (1821) oder Johann Heinrich Voß“ 
vollſtändige Überſetzung des Dichters (1821), dauernd rege. 85 
Im Jahre 1892 hat Eduard von Laſſen eine Muſik au dem 
„Vögeln“ geſchrieben. 


Watdiges, felſiges Tal auf einem hohen Berggipfel, im 
Grunde eine Ruine. 


Be. Hoffegut (von der einen Seite oben auf dem Felſen). O gefährlicher 
Stieg! o unglückſeliger Weg! 

a Treufreund (auf der andern Seite in der Höhe, ungeſehn). Still! ich i 

a bar ihn wieder. — Houp! 

Hoffegut (antwortend). Houp! 

Treufreund. Auf welche Klippe haſt du dich verirrt? 

Hoffegut. Weh mir! o weh! 

Treufreund. Geduldig, mein Freund! 

Hoffegut. Ich ſtecke in Dornen. 

Treufreund. Nur gelaſſen! 

Hoffegut. Auf dem feuchten, betriegriſchen Moos ſchwindl' 

3 ich am Abhang des Felſens! — 

15 Treufreund. Immer ruhig! — Mach' dich herunter! Oi 

feh' ich ein Wieschen! f 

Hoffegut. Ich fall', ich falle! 

Treufreund. Nur ſachte! ich komme gleich! 

Hoffegut. Au, au, ich liege ſchon unten! 

Treufreund. Warb, ich will dich aufheben! 
Hoffegut (auf der Erde liegend). O, daß den böſen Verführer, 

Syn landſtreicheriſchen Geſellen, den wagehalſigen Kletterer die 

Götter verderblich verdürben! 

Treufreund. Was ſchreiſt du? 

25 Hoffegut. Ich verwünſche dich! 

. Treufreund (den man oben auf dem Felſen auf allen vieren erblickt). 

Hier iſt der Muscus cyperoides polytrichocarpomanidoides.! 

Hoffegut. Er bringt mich um. 


1 Scherzhafte Nachbildungen botaniſcher Namen, von denen die erſte in ariſto⸗ 
phanierender Form etwa bedeutet: „gewuͤrzartiges, vielhaarig⸗fruchtwutartiges 
e ein zweite: „ergrauende, oberfaule Flechte“. 


206 Die Vögel. 


Treufreund. Hier iſt der Lichen canescens pigerrimus, 
welch eine traurige Figur! 

Hoffegut. Mir ſind alle Gebeine zerſchellt. 

Treufreund. Siehſt du, was die Wiſſenſchaft für ein Not⸗ 


anker iſt! In den höchſten Lüften, auf den rauhſten Felſen findet 5 | 


der unterrichtete Menſch Unterhaltung. 

Hoffegut. Ich wollte, du müßteſt im tiefſten Meergrund 
ein Konchylienkabinett zuſammenleſen, und ich wäre, wo ich 
herkomme! 

Treufreund. Iſt dir's nicht wohl? Es iſt ſo eine reine Luft 10 
da oben. 

Hoffegut. Ich ſpür's am Atem! 

Treufreund. Haſt du dich umgeſehen? Welche treffliche 
Ausſicht! 


Hoffegut. Die kann mir nichts helfen. 15 ; | 


Treufreund. Du biſt wie ein Stein — 

Hoffegut. Wenn die Kälte ausſchlägt: ich ſchwitze über 
und über. 

Treufreund (herunterkommend). Das iſt heilſam; und ich ver⸗ 


ſichere dich, wir find am rechten Ort — 3 


Hoffegut. Ich wollte, wir wären wieder unten — 
Treufreund. Und ſind den nächſten Weg gegangen. 
Hoffegut. Ja, grad auf, aber ein paar Stunden länger. 

Ich kann kein Glied rühren, von der Müh' und vom Fall. Weh! 

o weh! 25 
Treufreund chebt ihn auf. Nu, nu, du hängſt ja noch zuſammen. 
Hoffegut. O, müſſ' es allen denen ſo ergehen, die zu Hauſe 

unzufrieden ſind! 

Treufreund. Faß dich, faß dich! 


Hoffegut. Wir hatten wenigſtens zu eſſen und zu trinken — 30 


Treufreund. Wenn uns jemand borgte, oder es was zu 

ſchmarutzen gab. * 
Hoffegut. Warm im Winter — 1 
Treufreund. Solange wir im Bette lagen. 


Hoffegut. Keine Strapazen; und es waren gewiß Leute 8 


ſchlimmer dran als wir, die wir wie unſinnig in die Welt hinein⸗ 
rennen und was Tolles auf die tollſte Art aufſuchen. 


Die Vögel. 207 


5 N Treufreund (gegen die Zuſchauer). Unſere Geſchichte iſt mit we⸗ 
nigen Worten dieſe: Wir konnten's in der Stadt nicht mehr 
aushalten. Denn, ob wir gleich nicht viel verlangten, ſo kriegten 
wir doch immer weniger, als wir hofften; was wir taten, wurde 
B 8gut bezahlt, und wir hatten immer weniger, als wir brauchten; 
wir ſchränkten uns auf alle mögliche Weiſe ein, und konnten nie⸗ 
mals auskommen. Wir lebten gern auf unſere Weiſe, und konnten 
ſelten eine Geſellſchaft finden, die für uns paßte. Kurz, wir 
ſehnten uns nach einem neuen Lande, wo's eben anders zuginge. 

Hoffegut. Und haben uns auf dem Wege vortrefflich ver⸗ 
eſſert. 

Treufreund. Der Ausgang gibt den Taten ihre Titel. — 
Große Verdienſte bleiben in den neuern Zeiten ſelten verborgen; 
es gibt Journale, wo man jede edle Handlung gleich verewigt. 
Wir haben gehört, daß auf dem Gipfel dieſes überhohen Berges 
ein Schuhu wohnt, der mit nichts zufrieden iſt, und dem wir 
deswegen große Kenntniſſe zuſchreiben. Sie nennen ihn im ganzen 
Lande den Kritikus. Er ſitzt den Tag über zu Hauſe und denkt 
alles durch, was die Leute geſtern getan haben, und iſt immer 
noch einmal ſo geſcheit als einer, der vom Rathaus kommt. Wir 
vermuten, daß er alle Städte, obwohl nur bei Nacht, wie der 
hinkende Teufel !, wird geſehen haben, und daß er uns wird einen 
Ort anzeigen können, wo wir mit Vergnügen unſer Leben zu⸗ 
bringen mögen. Sieh doch, ſieh, das ſchöne Gemäuer? dahinten! 
25 Iſt's doch, als wenn die Feen es hingehext hätten. f 
* Hoffegut. Entzückſt du dich wieder über die alten Steine? 

Treufreund. Gewiß, dahinten wohnt er. Heda, he! Schuhu! 
hel he! Herr Schuhu! Iſt niemand zu Hauſe? 

Papagei (tritt auf und ſpricht ſchnarrend). Herren, meine Herren! 
Wie haben wir die Ehre? Wo kommen Sie her? Welch eine 
angenehme Überraſchung! 

Treufreund. Wir kommen, den Herrn Schuhu hier oben 
aufzuſuchen. 


. 1 In Leſages (1668 — 1747) „Hinkendem Teufel“ läßt dieſer, namens 
Asmodeus, einen Studenten der hohen Schule von Alcala bei nächtlicher Luftfahrt 
in die Geheimniſſe des menſchlichen Lebens blicken. — 2 Wohl Anſpielung auf 
Berlin, den Wohnſitz Ramlers. 


208 Die Wk. 


Hoffegut. Und haben faſt die Gale eben um de chr jenes 


zu haben, ihm aufzuwarten. 
Papagei. Was tut man nicht, um bie Betanntfehaft eines 
großen Mannes zu gewinnen! Sie werden meinem Herrn will⸗ 


kommen ſein. Wenn er gleich kein freundlich Geficht macht, jo 


ſieht er's doch gern, wenn man ihn beſucht. 

Treufreund. Sind Sie ſein Diener? 

Papagei. Ja, ſolang' als mir's denkt. 

Hoffegut. Wie iſt denn Ihr Name? 

Papagei. Man heißt mich den Leſer. 

Treufreund. Den Leſer! 

Papagei. Und von Geſchlecht bin ich ein Papagei. 

Hoffegut. Das hätt' ich Ihnen eher angeſehen. N 

Treufreund. Seid Ihr denn mit Euerm Herrn zufrieden? 

Papagei. Ach ja, ja. Wir ſchicken uns recht füreinander. 
Er denkt den ganzen Tag, und ich denke gar nichts; er urteilt 
über alles, und das iſt mir ſehr recht, da brauch' ich's nicht 
zu tun. Wenn mir ſo was recht in der Seele wohl tut, wenn 
ich's auswendig gelernt habe, ich mich den ganzen Tag mit 
trage, da geh' ich eben des Abends hin und frage ihn, ob's auch 
was taugt? 

Treufreund. Ihr müßt aber hier jämmerliche Langeweile 
haben. 

Papagei. Glaubt das nicht; wir ſind von allem unterrichtet. 

Hoffegut. Was tut und treibt Ihr aber den ganzen Tag? 

Papagei. Je nun, wir warten eben, bis der Abend kommt. 

Treufreund. Ihr habt aber wahrſcheinlich noch beſondre 
Liebhabereien? 

Papagei. Ich bin ein erklärter Freund von Nachtigallen, 
Lerchen und andern dergleichen Singvögeln. Ganze Stunden 
lang bei Tag und Nacht kann ich ſtehen und ihnen zuhören und 
ſo entzückt ſein, ſo ſelig ſein, daß ich manchmal meine, die Federn 
müßten mir vom Leibe fließen. Zum Unglück iſt mein Herr auch 
ſehr auf dieſe Tierchen geſtellt, nur von einer andern Seite; wo 


er eins habhaft werden kann, ſchnaps! hat er's beim Kopfe und 35 5 


rupft's. Kaum ein paar hat er auf mein inſtändiges Bitten hier 
oben leben laſſen, und juſt nicht die beſten. 


10 


read. Ihr ſoltet ihm e 
Papagei. Das hilft nichts, wenn er hungrig iſt. 
Hoffegut. Ihr ſolltet ihm ander Futter unterſchieben. 
e Papagei. Das geſchieht auch, ſolang's möglich iſt, und 
5 das iſt eben mein Leidweſen. Wenn's nur immer Mäuſe gäbe! 
Denn Mäuſe find't er jo delizibs wie Lerchen, und die ſchönſte 
Lerche ſchnabeliert er wie eine Maus. 
Hoffegut. Warum dient Ihr ihm denn aber? 
Papagei. Er iſt nun einmal Herr. 
10 Hoffegut. Ich ließ' ihn hier oben in ſeiner Wüſte und ſuchte 
mir dort unten jo ein ſchönes, allerliebſtes, dichtes, feuchtliches 
Hölzchen, das voller Nachtigallen wäre, und wo die Lerchen über 
dem Felde dran zu Hunderten in der Luft herum ſängen: da 
wollte ich mir's recht wohl werden laſſen! 
Papagei. Ach, wenn's nur ſchon ſo wäre! 
Treufreund. Nun ſo macht, daß Ihr von ihm loskommt. 
Papagei. Wie ſoll ich's anfangen? 
Hoffegut. Gibt er Euch denn fo gute Nahrung, daß Ihr's 
wo anders nicht beſſer haben könnt? 
g Papagei. Behüte Gott! Ich muß mir mein bißchen ſelbſt 
Suchen. Ja, wenn ich Gebeine und Gerippe freſſen könnte; das 
it alles, was er von ſeinen Mahlzeiten übrigläßt. 
Treufreund. Das heiße ich ein Attachement! Macht doch, 
daß wir einen Herrn kennen lernen, der ſo einen treuen Diener 
25 verdient. 
| Papagei. Nur ſtille, ſtille, daß ihr ihn nicht aufweckt! 
Denn wenn man ihn aus den Träumen ſtört, da iſt er ſo unartig 
wie ein Kind; ſonſt iſt er ein recht geſetzter Mann. Doch ich höre, 
daß er eben von ſeinem Mittagsſchläfchen erwacht, ſich ſchüttelt! 
30 da iſt er am freundlichſten; ich will euch melden. — Mein teurer 
Herr, ich bitte Euch, hier ſind ein paar liebenswürdige Fremde! 


Der Himmel iſt bedeckt, es wird Euern Augen nichts ſchaden. 
Schuhu tritt auf. 


Über was verlangen die Herrn mein Urteil? 
Treufreund. Nicht ſowohl Urteil als guten Rat. 


1 1 Widerſprechen, entgegentreten. 
Goethe. XVIII. 14 


210 : Die Vögel. 


Papagei. Das ift jo eben recht feine Sache. Ich habe noch 
nicht geſehen, daß einer etwas gemacht hat, den er nicht hinter⸗ 
drein mit der Naſe aufs Beßre geſtoßen hätte. 

Schuhu. Einen guten Rat, meine Herren? | 

Hoffegut. Oder auch eine Nachricht, wie Sie's nehmen 5 
wollen. ; | 

Papagei. Damit wird er Ihnen auch dienen können; denn 
er iſt von allem unterrichtet. 

Schuhu. Ja, ich habe Korreſpondenz mit allen Malkon⸗ 
tenten in der ganzen Welt; da erhalte ich die geheimſten Nach⸗ 10 
richten, Papiere und Dokumente; und wenn man mit Leuten 
ſpricht, die unzufrieden ſind, da erfährt man recht die Wahrheit. 

Treufreund. Ganz natürlich! 

Hoffegut. Ohne Zweifel. 

Papagei. O gewiß! 15 

Schuhu. Ich habe meine rechte Freude, allen Vögeln bange 
zu machen. Es wird keinem wohl, wenn er mich nur von weitem 
wittert. Sie führen ein Gekreiſche und Gekrächze und Gekrakſe 
und können wie ein ſchimpfendes altes Weib gar von dem 
Orte nicht wegkommen, wo man ſie ärgert. Es iſt aber auch 20 
einer oder der andere ſich bewußt, daß ich ihm ſeine Jungen 
anatomiert habe, um ihm zu zeigen, wie er ihnen hätte ſollen 
ſchärfere Flügel, rüſtigere Schnäbel und wohlgebautere Beine 
anſchaffen. 

Treufreund. Wir haben uns alſo an die rechte Schmiede 25 
gewendet; denn wir ſuchen eine Stadt, einen Staat, wo wir 
uns beſſer befänden als da, wo wir herkommen. 

Schuhu. Wenn Sie Nachricht haben wollten von einem, 
wo's ſchlimmer hergeht, damit könnt' ich eher dienen. Seien Sie 
verſichert, kein Volk in der Welt weiß ſich aufzuführen und kein 30 
König zu regieren. 

Hoffegut. Und ſie leben doch alle. 

Schuhu. Das iſt eben das Schlimmſte. Aber was treibt 
Sie aus Ihrem Vaterlande? 


Treufreund. Die ganz unerträgliche Einrichtung. Bedenken 38 


Sie, wenn wir zu Hauſe ſaßen und ein Pfeifchen Tabak rauchten 
oder ins Wirtshaus gingen und uns ein Gläschen alten Wein 


u * «en, 5 
Be se. ee 


Die Bögel 211 


Ihnen ließen, wollte uns kein Menſch für unſere Mühe be⸗ 

zahlen. Was wir am liebſten taten, war am ſtrengſten verboten, 

und wenn wir es ja einmal doch probierten, wurden wir für 
unſere gute Meinung noch dazu geſtraft. 

5 Schuhn. Sie ſcheinen ſeltſame Begriffe zu haben. 
Hoffegut. O nein, unſere meiſten Freunde ſind ſo geſinnt. 
Schuhu. Allein, was für eine Stadt ſuchen Sie eigentlich? 
Treufreund. O, eine ganz unvergleichliche! ſo eine weiche, 

„wo's einem immer wohl wäre. 

10 Schuhu. Es gibt verſchiedene Arten von Wohlſein. 
Treufreund. Eine Stadt, wo es einem nicht fehlen könnte, 

alle Tage an eine wohlbeſetzte Tafel geladen zu werden. 
Schuhu. Hm! 
Hoffegut. So eine Stadt, wo vornehme Leute die Vorteile 

15 ihres Standes mit uns Geringern zu teilen bereit wären. 
Schuhu. He! 

Treufreund. Eben eine Stadt, wo die Regenten fühlten, 
wie es dem Volk, wie es einem armen Teufel zumute iſt. 
Schuhu. Gut! 
20 Hoffegut. Ja, eine Stadt, wo reiche Leute Zinſen gäben, 
damit man ihnen nur das Geld abnähme und verwahrte. 
Schuhu. So! 
Treufreund. Eine Stadt, wo Enthuſiasmus lebte, wo ein 
Mann der eine edle Tat getan, der ein gutes Buch geſchrieben 

25 hätte, gleich auf zeitlebens in allem freigehalten würde. 
Schuhu. Sind Sie ein Schriftſteller? 

Treufreund. Ei wohl! 
Schuhu. Sie auch? 

. Hoffegut. Freilich! wie alle meine Landsleute. 

30 Schuhu. Da gehören Sie vor meinen Stuhl. 

N Hoffegut. Wenn Sie was dazu beitragen können, ſo ſorgen 

Sie, daß wir beſſer bezahlt werden. 

Schuhn. Das bekümmert mich nicht. 
Treufreund. Daß wir nicht nachgedruckt werden. 

Schuhu. Das geht mich nichts an. 

Hoffegut. Eine Stadt, wo Vater und Mutter nicht gleich 

14 * 


= 212 u die wer. 


3 


ſo gräßliche Geſichter ſchnitten, wenn ı man nf went les. 
würdigen Töchtern nähert. 

Schuhu. Wie? 8 

Treufreund. So eine Stadt, wo Ehemänner einen u Begriff 
von dem bedrängten Zuſtande eines unverheirateten e 5 
ſinnten Jünglings hätten. 5 

Schuhu. Was? 

Hoffegut. Eine Stadt, wo ein glücklicher Autor weder 
Schuſter noch Schneider, weder Fleiſcher noch Wirt zu bezahlen 
brauchte, da, wo mir ſelbſt ein niedliches Schätzchen ihre An⸗ 
nehmlichkeiten gratis aufdränge, weil ich einmal gewußt 9 
ihr Herz zu rühren. 

Schuhe. Zu wem, denkt ihr, daß ihr gekommen ſeid? 

Treufreund. Wieſo⸗ 

Schuhu. Wie finde ich Worte, die eure Ungezogenheit aus⸗ 
drücken? : 

Hoffegut. Sonſt habt Ihr deren doch einen guten Vorrat. 

Schuhn. Schändlich! und, was ſchlimmer iſt, abſcheulich! 
und, was ſchlimmer iſt, gottlos! und, was ſchlimmer iſt, ab⸗ 
geſchmackt! 60 

Trenfreund. Er hat die Leiter erſtiegen. 1 

Schuhu. Für euch iſt kein Weg als ins Zucht⸗ oder ins 
Tollhaus. (ab.) 

Papagei. Aber um Gottes willen! was macht ihr, ihr 
Herren? Ihr ſcheint ja jo vernünftige Leute, und mein Herr iſt es 
ſo ein vernünftiger Herr! a 

Treufreund. Das macht, daß juſt vernünftige Leute ſich 
untereinander am wenigſten vertragen können. 

Papagei. So einen ernſthaften Mann, den Vogel der Vögel“ 

Treufreund. O ja! er gleicht dem Wiedehopf, denn er macht 0 
ſein Neſt aus Quark. a 

Hoffegut. Oder dem Kuckuck, denn er legt ſeine Eier in 
fremde Neſter. 

Papagei. Meine Herren, ich leide ganz erbärmlich! 1 

Treufreund. Wir auch — an Hunger und Durſt. 2s 

Papagei. Ach, meine Leiden ſind viel grauſamer! es ſind 
Seelenleiden. Iſt's denn nicht möglich, daß treffliche, mit jo 


0 F 


— 


— 


5 


Een Gaben ange und ee Männer aufeinen 
Zweck wirken und vereint das Gute, das Vollkommene erſchaffen 
können? 

Hoffegut. Es wird ſich ſchon finden. Ich dächte, Ihr rettetet 

s indes die Hausehre und gäbt uns was zum beiten. 

| Papagei. Die Herren ſcheinen ſonderliche Kenner zu fein. 

Erlauben Sie nicht, daß ich Ihnen meine Nachtigallen und meine 

Lerchen produziere? 

0 Hoffegut. Schaum und Wind! c 
10 Papagei. Nun ſollt ihr ſie hören, meine lieblichen, aller⸗ 
= liebſten, unſere Stunden mit ewiger Freude umkränzenden Sänge⸗ 

rinnen. 

Treufreund. Leſer, lieber Leſer! 

Papagei. O du kleine, leichtbewegliche, aufſpringende, 

15 ſchwirrende, ſchmetternde, hellklingende Lerche, du Gaſt der 

friſchgepflügten Erde, laß deine Stimme hören und ſchaffe neue 

Bewunderung und Freude! 

Treufreund. Der wäre vortrefflich, eine Ode auf eine 

mittelmäßige Aktrice zu machen. | 


20 (die Lerche hinter der Szene ſingt, während der Zeit der Papagei fein eee 
5 Entzücken und die Zuhörer ihre Verwunderung äußern.) 


Papagei. Dank dir, heißen Dank! 
Treufreund. Hunger, heißen Hunger! 
. Hoffegut. Durſt, heißen Durſt! Iſt nicht irgend eine 
25 Quelle hier in der Nachbarſchaft? 
Treufreund. Gibt's keine Heidelbeeren, Himbeeren, Mehl⸗ 
beeren, Brombeeren hier oben, daß ich dem Scheidewaſſer meines 
Magens nur etwas zur Nahrung einfüllen könnte? 
3 Papagei. Ihr ſollt meine Nachtigall hören, die ſanft⸗ 
80 zaubernde Huldin, die Beſeelerin der Nächte! — Wecke, rufe 
hervor jedes ſchlummernde Gefühlchen! belebe mit Wolluſt jeden 
Flaum und mache mich von der Kralle bis zum Schnabel ganz 
zur Empfindung! 
Hoffegut. Wenn ſie ſich nur kurz faßt! 
35 Treufreund. Das iſt gar ihre Art nicht. Wenn jo eine 
Nachtigall einmal ins Schlagen kommt, da muß man ihr den 
Hals umdrehen, wenn ſie aufhören ſoll. 
15 Nachtigall hinter der Szene, eine lange zärtliche Arie nach Belieben.) 


914 Die Vögel. 


Papagei. Brav! brav! Das iſt ein Ausdruckl eine Won 
faltigkeit! 

Treufreund. Mir iſt's, als wär' ich in der deutſchen Ko⸗ 
mödie, es will gar kein Ende nehmen. 

Hoffegut. Sie hat eine hübſche Stimme; ich möchte ſie doch 
in der Nähe ſehen. 

Papagei. Nun noch zu guter Letzt ein Rondeau von der 
allerliebſten Lerche; ſie hat ſo was Humoriſtiſches in ihrem 
Geſange. 


Rondeau von der Lerche, währenddeſſen Treufreund den Takt tritt und zuletzt 
Bewegungen macht wie einer, der tanzen will.) 


Papagei. Um Gottes willen, wer wird den Takt treten? 
Merkt doch auf den Ausdruck! 
Treufreund. Der Takt iſt das einzige, was ich von der 
Muſik höre; da fährt's einem ſo recht in die Beine. 
(Das Rondeau geht fort. Treufreund fängt an, für ſich zu tanzen.) 
Treufreund. Ich glaube, ich werde toll vor Hunger. 
(Hoffegut wird auch angeſteckt. Der Schuhu kommt und ruft.) 


Schuhu. Soll denn des Gelärms noch kein Ende werden? 
(Treufreund kriegt den Schuhu und Hoffegut den Papagei zu faſſen und nötigen 
ſie zu tanzen. Wie das Rondeau zu Ende iſt, klatſchen Treufreund und Hoffegut 
in die Hände und rufen: Bravo! bravo! — Hinter der Szene entſteht ein Getümmel.) 


Hoffegut. Was hör' ich! welch ein Geſchrei! welch ein 
Geräuſch! 

Treufreund. Die Aſte werden lebendig. 

Hoffegut. Ich höre piepſen und krakſen und ſehe eine Ver⸗ 


ſammlung unzähliger Vögel. 
Die Vögel kommen nach und nach herein. 


Treufreund. Welch ein buntes, abgeſchmacktes Gefieder! 
Lauter Tagvögel! Sie ſpüren ihren nächtlichen Feind, den mäch⸗ 
tigen Kritikus. 

Hoffegut. Welch ein abenteuerlicher Kamm! Wie das 
Tier ſich verwundert! 

Treufreund. Dieſer hat ſich noch ärger ausgeputzt und 
ſieht noch alberner aus. 

Hoffegut. Sieh den dritten, wie er wichtig tut! Sie be⸗ 
ratſchlagen ſich untereinander. 

Treufreund. Bis ſie einig werden, haben wir gute Zeit. 

Hoffegut. O weh mir! Der Haufe vermehrt ſich. Sieh 


10 


15 


20 


25 


Die Vögel. | 215 


dieſe kleine Brut, dieſen gefährlichen Anflug! Wie's trippelt, 

wiess ſtutzt, wie's hüpft, ſcheut und wiederkommt! Weh uns! 
weh! — O welche Wolke von ſcheußlichen Kreaturen! Welch 
ein ſchändlicher Tod droht uns von abſcheulichen Feinden! 

5 Treufreund. Warum nicht gar! Ich habe Appetit, ſie 
zu freſſen! 

Hoffegut. Ein Wagehals nimmt kein gutes Ende; davon 
haben wir die Exempel in der Hiſtorie. Du wirſt umkommen, 
und ich werde umkommen, und ich werde nicht das mindeſte 

10 Vergnügen davon gehabt haben. 

Treufreund. Haſt du die Geſchichte des Regulus geleſen? 

Hoffegut. Leider! | 

Treufreund. Des Cicero? 

i Hoffegut. Nun ja! 
31 Treufreund. Kein großer Mann muß eines natürlichen 
Todes ſterben.! 5 

Hoffegut. Hätteſt du mir das eher geſagt! 

Treufreund. Es iſt noch immer Zeit. 

Hoffegut. Haſt du mir darum ſolche Lehren gegeben? mir 

20 immer vorgeſagt, daß ein Menſch leben müſſe, als wenn er 
hundert Jahre alt werden wollte; daß er ſich ordentlich, mäßig, 
keuſch und in allen Dingen ſparſam erzeigen müſſe? Haſt du 
mir nicht eine brave, niedliche Frau verſprochen, wenn ich mich 
aufführte, wie ſich unſere jungen Leute nicht aufführen? — und 

25, nun ſoll ich jo ſchändlich untergehen! Hätt' ich das eher ge⸗ 
wußt, ich hätte mir wollen mein bißchen junges Leben zunutze 
machen. 

Treufreund. Laß dich deine Tugend nicht gereuen! 

Hoffegut. Sie ſchmieden einen Anſchlag, ſie wetzen ihre 

30 Schnäbel, ſie ſchließen ſich in Reihen, ſie fallen uns an! 

Treufreund. Halte den Rücken frei, drücke den Schlapp⸗ 
hut ins Geſicht und wehre dich mit dem Armel! Jedem Tier 


1 C. Attilius Regulus, ein römiſcher Feldherr, der im erſten Puniſchen 
Kriege die Karthager anfangs beſiegte, 255 aber von ihnen gefangen worden war, 
wurde der römiſchen Legende nach unter qualvollen Martern in Karthago hinge⸗ 
richtet. Marcus Tullius Cicero (106 — 43 v. Chr.) wurde von dem Trium⸗ 
virn Antonius geächtet und auf der Flucht in ſeiner Sänfte getötet. 


216 Dis 2 Bine 


und jedem Narren haben die Götter eine deen 
gegeben. | 

Erſter Vogel. Verſäumt keinen Augenblick Sie finds! 
unſere gefährlichſten Feinde! Es find Menſchen! 

Zweiter Vogel. Vogelſteller? Verſchont keinen! Fallet 35 
ſie an mit vereinten Kräften, mit ſchneller Gewalt! 


Chor der Vögel. 
Pickt und kratzt und krammt und hacket, 
Bohrt und krallet den Verwegnen, 
Den verfluchten Vogelſtellern 10 
Ungeſäumt die Augen aus! 5 


Schlagt und klatſcht dann mit den Flügeln 

Ihre Wangen, ihre Lippen, 

Die uns zum Verderben pfeifen, 1 
Ihre mordgeſinnten Schläfe, f 16 
Daß fie taumelnd niederſtürzen! a 


Und dann zerrt und reißt euch gierig, x 
Keiner fie dem andern gönnend, | 2 
Um die vielgeliebten Augen! a. 
Schlänkert die geliebten Biſſen, — 
Sie gemächlich zu verſchlucken! = 
Jagt euch um die Leckerbiſſen! = 1 
Selig, wer den Fraß verſchlingt! 
Hoffegut. Wer wird ſich der Menge entgegenſetzen! 
Treufreund. Freilich nicht allein mit zehn Fingern. Die 25 
größten Generale loben die Verſchanzungen. Hier, mein Freund, 
iſt das Rüſt⸗ und Zeughaus unſers alten, großglasäugigen 
Kritikus. Dieſe Gerätſchaften und Waffen ſind uns gerade 


willkommen. Hier iſt ein Ballen, noch einer, und noch einer. 


(Die Ballen und Bücher werden nach und nach von beiden Freunden herausgeſchafft 30 
und eine Art von Feſtung aufgebaut. An den Ballen kann außen angeſchrieben 
ſtehn, aus welchem Fache die Bücher ſind.) 


Lauter neue Bücher, die er nach dem Geruche rezenſiert Hat! 
Hier ſind die großen Lexika, die großen Krambuden der Literatur, 
wo jeder einzeln ſein Bedürfnis pfennigweiſe nach dem Alphabet 35 
abholen kann! — Nun wären wir von unten auf geſichert, denn 


8 


Bares Nas re 


ene verfluchten Heinen Kröten (einen uns von gefährlichen 
Seiten angreifen zu wollen. Halt hier! halt feſt! 
Hoffegut. Was ſoll ich weiter holen? Es geht verflucht 
llangſam mit unſerer Verſchanzung im Angeſicht der Feinde. 
Treufreund. Sei nur ſtill, das iſt homeriſch. 


(Die nachbenannten Gerätſchaften müſſen koloſſaliſch und in die Augen fallend ſein, 
beſonders die Feder und das Tintenfaß.) 


Nimm zuerſt dieſen knotigen Prügel, womit der Kritikus alles 

junge Geziefer auf der Stelle breitzuſchlagen pflegt! Nimm dieſe 
10 Peitſchen, mit denen er, ſich gegen den Mutwillen waffnend, die 
AUngezogenheit noch ungezogener macht! Nimm dieſe Blasröhre, 
womit er ehrwürdigen Leuten, die er nicht erreichen kann, Letten⸗ 
kugeln in die Perücken ſchießt — und ſo wehre dich gegen jeden 
in ſeiner Art! Hier, nimm das Tintenfaß und die große Feder 
1 und beſchmiere damit dem erſten, der mit buntem Gefieder heran⸗ 
kommt, die Flügel! denn wer die Gefahr nicht ſcheut, fürchtet 
doch, verunziert zu werden. Halte dich wohl! Fürchte nichts! 
und wenn du Schläge kriegſt, ſo denke, daß ſie dem Tapfern wie 
dem Feigen von den Göttern zugemeſſen find, 

20 Hoffegut. Ich bin ein lebendiges Herz. 

en Chor. 

Pickt und kratzt und krammt und hackt, 

Bohrt und krallet den Verwegnen, 

Den verfluchten Vogelſtellern 

Ungeſäumt die Augen aus! 

Papagei. Bedenkt, meine Freunde! hört das Wort der 
Vernunft! 
85 Erſter Vogel. Sit du auch hier? Zerreißt den Verräter 
zuerſt! 

80 Zweiter Vogel. Er hat fie eingeführt, er muß mit ihnen 
ſterben. 3 
Dritter Vogel. Du verfluchter Sprecher! 

(Sie hacken auf den Papagei und treiben ihn fort.) 
Treufreund. Sie ſcheinen geteilt. Man muß ſie nicht zu 
85 Atem kommen laſſen. 

5 Hoffegut. Nur immer zu! 
Treufreund. Dieſe Nation iſt in ihrer Kindheit. Ich habe 
von den Seefahrern gehört, daß man dergleichen Völker durch 


218 Die Vögel. 


Honnettetät am erſten beben kann. Ich were die Stöcke 


wegwerfen, wirf die Peitſche aus der Hand! Siehſt du, wie ſie 


achtgeben und ſich verwundern? 

Hoffegut. Ich ſehe, wie ſie ihre Schnäbel auf uns richten 
und uns grimmig zu zerhacken drohen. 

Treufreund. Ich entäußere mich dieſer Feder, ich ſetze das 
Tintenfaß beiſeite, ich demoliere die Feſtung. 

Hoffegut. Biſt du raſend? 

Treufreund. Ich glaube an Menſchheit! 

Hoffegut. Unter den Vögeln? 

Treufreund. Am erſten. 

Hoffegut. Was wird das werden! 

Treufreund. Weißt du nicht, daß die Gegenwart eines 
großen Mannes ihm alle ſeine Feinde verſöhnt? 

Hoffegut. Wenn fie Narren find. 
Treufreund. Das iſt eben, was wir verſuchen wollen. 
Hoffegut. Nun, ſo mach' deine Sache! 


eh (ritt vor). Nur einen Augenblick euern raſchen, 


auf unſer Verderben gerichteten Entſchluß mit Überlegung zu⸗ 
rückzuhalten, wird euch zum ewigen Ruhm gereichen, geflügelte 
Völker! die ihr vor andern euers Geſchlechts ſo ausgezeichnet 
ſeid, daß ihr nicht bloß mit Gekrakſe und Geſchrei in den Lüften 
hin und her fahret, ſondern durch die himmliſche Gabe der Rede 
und vernehmlicher Worte euch zu verſammeln und gemeinſchaft⸗ 
lich zu handeln vermögt! Großes Geſchenk der alten Parze! 
Etwas zum Schaden Bekannter oder Unbekannter vornehmen, 
kann uns der größte Vorwurf werden; dagegen es immer lobens⸗ 
würdig iſt, auch wenn wir etwas für gut erkennen, die Erinne⸗ 
rungen derer anzuhören, die, bekannter mit uns verborgenen 
Umſtänden, unſerm raſch gefaßten Entſchluß eine beſſere Rich⸗ 
tung zu geben wiſſen. 

Erſter Vogel. Er ſpricht gut 

Zweiter Vogel. Ganz allerliebſt! 

Dritter Vogel. Ich wollte, ihr hörtet die Sache, nicht die 
Worte. 

Hoffegut. Es iſt, als wenn ein Franzos unter die Deutſchen 
kommt. 


10 


15 


25 


30 


D T. = 8 


DD 


Die Vögel. 219 


Treufreund. Oder ein Virtuos unter Liebhaber. 
Dritter Vogel. Laßt ſie nicht reden! Folgt euerm Ent⸗ 
ſchluß! wer Gründe anhört, kommt in Gefahr, nachzugeben. 

2 Hoffegut Gu Treufreund). Es wird dir nichts helfen. 

„ Treufreund. Gib nur acht, wie ich pfeife. (zu den Vögeln) 
. Ihr ſeid in Gefahr, euch ſelbſt einen großen Schaden zu tun, 
2 indem ihr eure nächſten Verwandten und beiten Freunde aus 
f Mißverſtändnis zu töten bereit ſeid. 

N Erſter Vogel. Mit keinem Menſchen ſind wir verwandt 
0 noch freund. Ihr ſollt umkommen, wir haben's wohl überlegt. 
| Treufreund. Und irrt euch doch. Denn freilich, das ganz 

Unwahrſcheinliche vorauszuſehn und zu bedenken, kann man von 

keinem Rate erwarten. Wir ſcheinen euch feindſelig hier zu ſein 

und find die beſten, edelſten, uneigennützigſten von euern Freun⸗ 
15 den, ſind keine Menſchen, ſind Vögel! 
Zweiter Vogel. Ihr! — Vögel? Welch eine unverſchämte 
Lüge! Wo habt ihr eure Federn? 
Treufreund. Wir ſind in der Mauſe; wir haben ſie alle 
verloren. | 
20 Vierter Vogel. Zu welchem Geſchlecht wagt ihr euch zu 
rechnen? 
Treufreund. Die Seefahrer haben uns vom Südpole mit⸗ 
gebracht. Dieſes iſt der otahitiſche Miſtfinke, nach dem Linne 
5 Monedula ryparocaudula; und ich bin von den Freundsinſeln 
25 der große Hoſenkackerling, Epops maximus polycacaromerdicus; 
Rees gibt auch einen kleinen, der iſt aber nicht jo rar. 
Erſter Vogel (u den andern). Was haltet ihr davon? 
Dritter Vogel. Es ſieht völlig aus wie eine Lüge. 
Vierter Vogel. Es kann aber doch auch wahr ſein. 

30 Treufreund. Von Menſchen unſerer Freiheit beraubt, in 
der wir ſo angenehm auf den Zweigen ſaßen, uns wiegten, 
Kirſchkerne aufknackten, Ananas beſchnupperten, Piſangs! naſch⸗ 
ten, Hanfſamen knuſperten — 

Erſter Vogel. Ach, das muß gut geſchmeckt haben! 

Treufreund. In böſe Käfige geſteckt, auf dem langweiligen 


1 So viel wie Bananen. 


220 


Schiffe! Umgang eines werden Kites und ie FR 
Matroſen! ſchlechte Koſt, ein trübſeliges und e u 7 
nährendes Leben! ae 

Zweiter Vogel. Sie ſind zu beklagen. x 
Treufreund. Angekommen in Europa; wie Scheuſale 115 5 
geſtaunt, von Standsperſonen nach Belieben, von Bürgern um 
vier Groſchen, von Kindern um ſechs Pfennige und von Gelehr⸗ ER 
ten und Künſtlern gratis. N 
Dritter Vogel. Sie haben mich auch einmal ſo dran gehabt. 
Treufreund. Sie glaubten, uns zahm gemacht zu haben, 10 
weil wir, durch den Hunger gebändigt, nicht mehr wie anfang 
hackten und krallten, ſondern Mandelkerne und Nüſſe aus den 
Händen ſchöner Damen annahmen und uns hinter den Ohren 5 
krauen ließen. Se 
Vierter Vogel. Das muß doch auch wohltun. 2 
Treufreund. Aber vergebens! Wir, im Herzen wie Hanni⸗ i 
bal oder ein Rachſüchtiger auf dem engliſchen Theater, unge⸗ 
beugt durch die Not, ohne Dank gegen tyranniſche Wohltäter, 
ſchmiedeten einen doppelten, heimlichen, großen Anſchlag 
unſerer Freiheit und ihres Verderbens. — Iſt es der Beſchei⸗ 20 
denheit erlaubt, Aufmerkſamkeit auf ihre Taten zu lenken: o! 
ſo laßt mich euch bemerklich machen, daß ſonſt jeder geflügelte 
Gefangene ſchon ſich ſelig fühlt, wenn das Türchen ſeines Ker⸗ 
kers ſich eröffnet, der Faden, der ihn hält, zerreißt und er ſich 
mit einem ſchnellen Schwung aus dem Angeſichte ſeiner Feinde 5 
entfernen kann. Aber wir, ganz anders gefinnt, verachteten oft 
eine leichte Gelegenheit zur Freiheit; andere Plane wechſelten 
wir im Buſen und ſaßen lauſchend und getroſt indes auf dem 
Stängelchen. 5 
Hoffegut. Die Federn fangen mir an zu wachſen, ich werde 0 
zum Vogel, wenn du ſo fortfährſt. 3 
Treufreund. Wer lügen will, ſagt man, muß ſich erſt ſelbſt 
überreden. (Zu den Vögeln.) Was uns täglich in die Augen fiel, 
war ihre Einbildung und ihre Albernheit, ihre Untüchtigkei, 
etwas vorzunehmen, ihr Müßiggang, ihre plumpe Gewalttätig⸗ as 
keit und ihr ungeſchickter Betrug. Ach! — ſeufzeten wir ſo oft 
in der Stille — ſoll dies Volk, ſo unwürdig, von der Erde 


; 221 


gen; zu der die el durch der hat des h 
theus verräteriſch zugewandte Herrſchaft ſo mißbrauchen und 
fie den urälteſten Herren, dem erſten Volke, vorenthalten! 

| Erjter Vogel. Wer iſt das erſte Volk? 

5 Treufreund. Ihr ſeid's! Die Vögel ſind das erſte, ur⸗ 
älteſte Geſchlecht, vom Schickſale beſtimmt, Herren zu fein des 
Himmels — 

Vögel. Des Himmels? 

Treufreund. Und der Erde! 

Vögel. Und der Erde? 

Treufreund. Nicht anders! 

Vögel. Aber wie? 

Treufreund. Denn nicht allein die Menſchen, ſondern auch 
die Götter vorenthalten euch euer rechtmäßiges Erbteil. Sie 
15 ſitzen auf euern väterlichen Thronen; und ihr indes, wie arm⸗ 
fſelige Vertriebene, einzelne Ausſchößlinge einer alten Wurzel, 
werdet auf euerm eignen Boden wie in einem fremden Garten 
als Unkraut behandelt. 

5 Zweiter Vogel. Er rührt mich! 

20 Treufreund. Die Tränen kommen mir in die Augen, wenn 
ich euch anſehe. Ein Prinz, deſſen Eltern von Reich und Krone 
vertrieben worden, der ſeiner Sicherheit wegen in armſeligen 
Hütten bei Fiſchern ſein Leben zubringen muß — wird durch 
den Zufall einem Freunde vom Hauſe, einem würdigen General, 
25 entdeckt; dieſer eilt, ihn aufzuſuchen, und wirft ſich ihm zu Füßen 
— Nein, ich würde nicht mit mehr Rührung die Knie des ent⸗ 
ſtellten Erhabenen umfaſſen, nicht mit mehr wahrer Inbrunſt 
ihm mein Leben, meine Treue, mein Vermögen anbieten, als ich 
mich euch nähere und zum erſtenmal ſeit langer Zeit einen 

so hoffnungsvollen Schmerz genieße. 

Hoffegut. Sie ſchweigen. Wahrhaftig, ſie ſchluchzen, ſie 
trocknen ſich die Augen. Sie ſind doch noch zu rühren! So ein 
Publikum möcht' ich küſſen. 
| Erſter Vogel. Du bringſt uns ein unerwartetes Licht vor 
35 die Augen. 

Hoffegut. Sie gebärden ſich wie Faſanen, die man bei der 


222 Die Vögel. 


Laterne ſchießt. Wie willſt du auskommen? Du ie dich in 
einen ſchlimmen Handel gemijcht. 

Treufreund. Mer auf und lern’ was! (gu den Vögeln) Es 
wird euch bekannt ſein, ihr werdet geleſen haben — 

Vögel. Wir haben nichts geleſen. | 

Treufreund (der den Perioden in eben dem Tone wieder aufnimmt). 
Ihr werdet nicht geleſen haben, es wird euch nicht bekannt ſein, 
daß nach dem uralten Schicksal die Vögel das Alteſte find. 

Vögel. Wie beweiſt Ihr das? 

Hoffegut. Ich bin ſelbſt neugierig. 

Treufreund. Ganz leicht. Es ſagt der Dichter Periplekto⸗ 
menes!, da er vom Anfang der Anfänge ſpricht: 


„Und in der Urwelt Schoß, voll ruhender innrer Geburten, 
Lag das Ei des Anfangs, erwartend Leben und Regung.“ ? 


Nun, wo will das Ei hergekommen ſein, wenn es kein Vogel ge⸗ 
legt hat? 
| Dritter Vogel. Es muß ein groß Ei geweſen fein! 
Hoffegut. Allenfalls vom Vogel Rocks oder einem Lind⸗ 
wurm. 
Treufreund. Das iſt lange noch nicht alles; hört weiter; 
er fährt fort: 


„Und auf die ſtockende Nat ſenkt warm die urſprüngliche 
Liebe 
Sich mit den Fittichen her und brütet über den Weſen.“ 


Ihr ſeht alſo deutlich, wo will die Liebe Fittiche hergenommen 
haben, wenn nicht von den Vögeln? und wie von den Vögeln, 
wenn keine geweſen ſind? und wenn ihrer geweſen ſind, ſind ſie 
nicht älter als die Liebe? Ja, ſogar ſind verſchiedene der Mei⸗ 
nung, daß die Liebe ſelbſt ein Vogel geweſen jei. — Nun, was 
ſagt ihr dazu? — Die uralten Götter und Göttinnen, die Nacht, 
der Erebus!, die Erde, werden bei den Dichtern alle mit Flü⸗ 
geln eingeführt; und werden ſie's nicht, ſo iſt's ein Verſehn; denn 


1 So viel wie der „Vielgewundene“, erdichteter Name. — 2 Dieſe wie die 


nächſten zwei Verſe frei nach Ariſtophanes' „Vögeln“, V. 694—699. — 9 In ara⸗ 
biſchen Märchen ein zauberhafter Vogel von rieſiger Stärke und Größe. — ! Unterwelt. 


10 


15 


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Die Vögel. 8 223 


wenn ſie, wie ich eben bewieſen habe, von den Vögeln herkom⸗ 
men, ſo müſſen ſie Flügel haben. 
Hoffegut. Deutlich und zuſammenhängend. 
Vögel. O anſchauliche Lehre, o ehrenvolles Denkmal! 
Treufreund. Die Zeit hat Flügel! das iſt Saturnus! Das 
zweite Geſchlecht der herrſchenden Götter war von euerm Stamme 
geſetzt; ſeine Frau aber hatte wohl keine gehabt; da entſtanden 
1 die letzten Baſtarde, Jupiter und ſeine Geſchwiſter und Kinder 
3 — ihnen waren die Flügel verſagt, das Schickſal und die Vögel 
10 ihnen gram! Sie legten ſich aufs Schmeicheln und nahmen 
3 Vögel zu ihren Günſtlingen, um ihnen das Recht auf die Herr⸗ 
ſchaft vergeſſen zu machen; Jupiter den Adler, Juno den Pfau, 
den Raben Apollo und Venus die Taube. Seinem geliebten 

Sohn und Kuppelboten Merkur negotiierte! Jupiter ſelbſt zwei 
1 Paar Flügel. Dem Siege? wußten ſie Fittiche zu verſchaffen, 
den Horen, dem Schlaf. 

Hoffegut. Es iſt wahr, ich hab' ſie alle ſo gemalt geſehn. 
Treufreund. Und was ſag' ich? Amorn, den loſeſten aller 

Vögel, zierten ein Paar regenbogenfarbene Schwingen. Er, der 
20 Herr iſt der Götter und Menſchen, iſt unſtreitig ein Vogel! Er 

ſetzte die erſte uralte Gewalt eures Geſchlechts fort. Und ſo hat 

die Liebe bloß von den Vögeln ihre Macht. Und was noch merk⸗ 
würdiger iſt, will ich euch auch ſagen. 
Dritter Vogel. Rede weiter, laß uns nicht in Ungewißheit. 
25 Hoffegut. Das heiß' ich einen Kinderſinn! Hätt' ich nur 
ein Netz! die wären mein. 

Treufreund. Hätte Prometheus als ein weiſer, vorſichtiger 
Vater ſtatt des ſo ſehr beneideten Flämmchens? ſeinen Men⸗ 
ſchen Flügel gegeben: weit einen größern Schaden hätt' er ſeinen 
Göttern getan; aber auch euch, meine Freunde! Drum dankt 
dem Schickſal und euern Ahnherrn, die ihm ſeine klugen Sinne 
verdunkelten; denn in ſo mannigfaltiger Kunſt, als die Men⸗ 
ſchen ſich geübt haben, iſt doch immer noch das Fliegen ein ver⸗ 
geblicher Wunſch, eine eitle Bemühung geweſen. Sie ſcheinen 


S 


R . SEE JE re ie 


1 Erhandelte, verſchaffte. — 2 Nike oder Viktoria, bie Siegesgöttin, wurde 
beflügelt dargeſtellt. — 3 Das Feuer, das Prometheus nach griechiſcher Sage für 
die Menſchen vom Olymp entwendet hat. 


| el 


ihre eigenen Vorzüge darüber zu 198 fm mit ehe u 
Mäulern da und beneiden euch, wenn ihr von den hohen Felſen 


über die undurchdringlichen Wälder dahinfahrt. Kein Waſſer 


hält einen Verliebten auf; mit den Fiſchen eifern ſie in die Wette; 


aber euer Reich iſt unzugänglich und zu euern Künſten ein 


Sterblicher zu plump. Im Traume finden fie die höchſte Selig. 
keit, wenn ſie zu fliegen wähnen, und man hört die Zärtlichen 


an allen Ecken ſeufzen: „Wenn ich ein Vögle wär' und auch zwei 
Flügel hätt' —“, aber vergebens! 

Vierter Vogel. Unſere Feinde beneiden uns. 

Hoffegut. Neider find Feinde. 

Treufreund. Aber im tiefſten Herzen iſt eurer brille 
Übermacht ihnen eingeprägt; und von Geſchlecht zu Geſchlechten 
beugen ſie ſich, ohn' es zu wiſſen, vor dem uralten Recht eurer 
Herrſchaft, wenigſtens im Bilde. 

Zweiter Vogel. Sag' uns keine Rätſel! Wir lieben die 
Deutlichkeit; wir lieben nicht nachzudenken noch zu raten. 

Treufreund. Ja, übereinſtimmend geben alle Völker euch 
göttliche und königliche Ehre. Sie bilden ſich ein, ſehr viel Ima⸗ 
gination! zu haben; und wenn ſie den Vortrefflichſten unter 
ihnen mit etwas Rechtem vergleichen wollen, ſo können ſie nicht 


weiter als bis zum Adler. Ihr ſeid ſo weit herumgekommen in 


der Welt, ihr ſolltet wiſſen — 

Vögel. Wir wiſſen nichts. 

Treufreund. Habt ihr niemals von jener mächtigen Stadt 
gehört? — Sie unterjochte die bewohnte Welt, und es waren 
ſo vortreffliche Leute darin, daß nachher kein Held und kein 
großer Mann entſtanden iſt, der nicht gewünſcht hätte, einem 
ihrer Bürgermeiſter oder Stadtwachtmeiſter ähnlich zu ſehen — 
Rom, ſag' ich, das freie Rom, das keinen König über ſich leiden 
konnte, ſetzte den Adler auf die Stange und den Senat mit dem 
Volk in einem demütigen Monogramm zu ſeinen Füßen! So 
ließen ſie ihn dem Heer vortragen und folgten mit Ehrfurcht 
und Mut als ſeine Söhne, als ſeine Knechte. So ehrenvoll be⸗ 
handelt man euch, indes ihr, gleich jungen Prinzen, gar nicht 


1 Vorſtellungs⸗, Einbildungskraft. 


8 


15 


85 Ä 


BL. Die vogel. 5 Sinn, ae 225 


zu de Kein was für Vorzüge die Götter euch angeboren 
haben. Erlaubt, daß ich euch mit der Naſe darauf ſtoße. 
Vögel. Wie es dir beliebt. 
Treufreund. Es iſt ſchon lange, daß von der Macht Roms 
5 und feiner Herrlichkeit kaum einige Backſteine mehr übrig find. 
Aber andere Völkerſchaften haben ſich zu der Ehrfurcht bekannt, 
die euch niemals entgehen kann. Im Norden iſt jetzt das Bild 
des Adlers in der größten Verehrung: überall ſeht ihr's aufge⸗ 
ſtellt, und wie vor einem Heiligen neigen ſich alle Völker, wenn 
10 er auch von dem ſchlechteſten Sudler gemalt oder geſchnitzt 
worden iſt. Schwarz, die Krone auf dem Haupt, ſperrt er ſeinen 
Schnabel auseinander, ſtreckt eine rote Zunge heraus und zeigt 
ein Paar immer bereitwillige Krallen.“ So bewahrt er die 
Liandſtraßen, iſt das Entſetzen aller Schleichhändler, Tabaks⸗ 
15 krämer und Deſerteure. Es wird niemanden recht wohl, der ihn 
= anfieht — Und was ſoll ich von dem zweiköpfigen jagen? 
EUrſter Vogel. Wir wollten, Ihr tätet dem Adler weniger 
Ehre an; wir können ihn ſelbſt nicht wohl leiden. a 
ER Treufreund. Dieſe Ehre iſt euch allen gemein. Denn wenn 
20 Fürſten und Könige ſich und die Ihrigen vor andern geringen 
Menſchen recht auszeichnen wollen, wählen ſie irgend einen Vogel 
und tragen ihn mit Gold und Silber geſtickt auf der Bruſt. Ja, 
ſie ſchlagen euch an vergoldete und diamantene Kreuze (die größte 
. Ehre, die jemand widerfahren kann!) und tragen euch in Knopf⸗ 
25 löchern ſchwebend am Buſen.? | 
Zweiter Vogel. Was hilft uns dieſe zeitliche Ehre, dieſe 
leere Achtung, wodurch ſie ſich mehr untereinander ſelbſt ir 
Auunſere Vorzüge preiſen? Götter und Menſchen beſitzen unſer 
Reich, und wir irren als Fremdlinge zwiſchen Himmel und Erde. 
Treufreund. Mitnichten, meine Kinder! Die Gewalt habt 
ihr ihnen gelaſſen; euer Vaterland, euer Reich ſind ſie untüchtig 
einzunehmen. Noch iſt es frei wie vom Anfang her. 
Vögel. Zeig' es uns! 


5 1 Anspielung auf das preußiſche Wappentier. — 2 Anſpielung auf den preu⸗ 
ßiſchen Schwarzen Adlerorden; der Rote wurde erſt 1792 von dem 1791 erwor⸗ 
benen Ansbach Bayreuth für die ganze Monarchie übernommen; in Weimar war 
11732 der Falkenorden geftiftet worden. 


Goethe. XVIII. 15 


226 „Die wget. 


Hoffegut. Ich gehe mit. 
Vögel. Führ' uns hin! 
Dritter Vogel. Gibt's Wicken, gibt's Mandelkerne drin? 
Vierter Vogel. Es wird doch an Würmchen nicht en 5 
Alle. 5 
Führ' uns hin! 
Daß wir da trippeln, 
Daß wir uns freuen, 
Naſchen und flattern — 
Rühmliche Wonne! 10 
Mandeln zu knuſpern! 
Erbſen zu ſchlucken! 
Würmchen zu leſen! 
Preisliches Glück! | 
Führ' uns Hin! 15 
Treufreund. Ihr ſeid drin. 
Vögel. Du ſtellſt uns auf den Kopf. 
Treufreund. Tretet näher! — Hierher! Nun ſeht euch um! 
Hier in die Höhe! Was ſeht ihr da oben? 
Erſter Vogel. Die Wolken und den uralten ausgeſpannten 20 
Himmel. 
Dritter Vogel. Er ſteht wohl ſchon eine Weile? 
Hoffegut. Ich denk's! Es iſt mir auch noch gar nicht bange 
für ihn. 
Treufreund. Da droben wohnen, wie jedermann bekannt s 
iſt, ſeit vielen Jahrtauſenden die Götter. Nun ſeht hinunter, a 
was ſeht ihr da? l 


Vierter Vogel. Berge und Flüſſe, Wälder und Seen, 
Wohnungen der verderblichen Menſchen. | 3 


Treufreund. Nun merkt auf und ſchaut auf! Und zwichen 30 
dieſen beiden, was ſeht ihr? 5 
Zweiter Vogel. Zwiſchen Himmel und Erde? 
Treufreund. Ja, dazwiſchen. 
Vögel. Nun, nun, da ſehen wir — nichts. 
Treufreund. Nichts? O, ihr ſeid ja faſt jo blind wie die 35 
Menſchen! Seht ihr nicht den ungeheuern Raum, ausgebreiteter 
als das Oben und Unten, das unermeßliche Land, das an alles 


Die bel. 227 


5 . biefen luftig wäſſrigen See, der alles umgibt, dieſen 
ütheriſchen Wohnplatz, dieſes mittelweltiſche Reich? 
Vogel. Was meinſt du damit? 5 

Treufreund. Die Luft mein' ich. Wer bewohnt ſie als ihr? 
5 wer beſchifft fie, wer begibt ſich darin von einem Orte zum an⸗ 
dern? wem gehört ſie zu als euch? | 

Vögel. Daran haben wir gar nicht gedacht. 

Treufreund. Und fliegt drin herum! 
. Erſter Vogel. Aber wie ſollen wir's anfangen? 
10 Treufreund. Hier iſt mit vereinten Kräften das große Werk 
= zu beginnen; eine Stadt zu gründen; mit einer feſten Mauer 
den ganzen Ather zu umgeben; eine regulierte Miliz einzurichten; 
die Grenzen wohl zu beſetzen; eine Acciſer anzulegen und fo den' 
Göttern und Menſchen die Nahrung zu erſchweren! 

15 Hoffegut. Da gibt's Amter zu vergeben! Ich werde alle 

meine Freunde und Verwandte anbringen. 

Zweiter Vogel. Aber Jupiter wird donnern. 
Treufreund. Wir laſſen ihm keine Blitze aus dem Atna? 
ohne ſchweren Impoſts verabfolgen und legen ſelbſt uns einen 

20 Donnerturm an. Die Adler ſind ja ohnehin gewohnt, damit 

umzugehn. Wir laſſen keine Opfergerüche hinauf, ohne daß ſie 
Tranſito“ bezahlen. 
Dritter Vogel. Werden ſie ſo zuſehen? 
* Treufreund. Ihr wißt nicht, wie's droben ausſieht. Sicher 

25 in ihren alten, lang' unangetaſteten Rechten, ſitzen ſie ſchläfrig 

auf ihren Stühlen, ſind aller Mühe, find alles Widerſtands ent⸗ 
wohnt, ſind leicht zu überraſchen und zu überwinden. 
Vierter Vogel. Aber die Menſchen, das Pulver und Blei 
und die Netze? 
30 Treufreund. Die find übel dran. Sie haben unter ſich fo 
. viel zu kriegen, zu ſcharmuzieren und zu ſchikanieren; keiner 
8 denkt weiter als heute; und wenn einer ihrer Nachbarn gut haus⸗ 
hält oder ſich rüſtet, haben ſie nicht leicht ein Mages dran. 


- 1 Anſpielung auf Friedrichs des Großen fo genannte Verbrauchſteuer. — 
2 Im Atna war nach antiker Vorſtellung die Werkſtätte des Götterſchmiedes Vulkan, 
aus der auch die Blitze Jupiters hervorgingen. — 3 Auflage, Steuer. — 4 Durch⸗ 
gangszoll. 


15 * 


228 Die Bine 


Widerſetzen fie fich, fo find wir Kan Aberfojen; er 1 5 fe ſich = 
ſo ſollen ſie's wohl haben; beſſer als jetzt! Wir wollen's machen 
wie alle Eroberer, die Leute totſchlagen, um es mit ihrer Nach⸗ 
kommenſchaft gut zu meinen. | 

Vierter Vogel. Werden ſie's geſchehen laſſen? 5 

Treufreund. Wir haben ſie in Händen. Wir handeln den 
Göttern den Regen ab, legen große Ziſternen an und vereinzeln 
ihn an die Irdiſchen, wenn's Dürrung gibt, ſoviel jeder für 
ſeinen Acker und Garten braucht. Sie ſollen alle zufriedner ſein 
als jetzt. Ich geb' euch nur eine Skizze von meinem großen Plan; 
denn das Detail iſt unüberſehbar. Kurz, ihr werdet Herren! 
Die Götter traktieren wir als alte Verwandte, die aber zurück⸗ 
gekommen ſind; die Menſchen als überwundene Provinzen, die 
Tiere, beſonders die Inſekten, die in unſerm Reich doch leben 
müſſen, als kaiſerliche Kammerknechte, ungefähr wie die Juden 16 
im Römiſchen Reich.“ 

Vögel. Nur gleich, nur gleich! Wir können's nicht er⸗ 
warten. 

Treufreund. Gleich, gleich! Das geht ſo geſchwind nicht. 
Überlegt's wohl! Wählt ein Dutzend, oder wie viel ihr wollt, 0 
aus euern Mitteln, die das große Werk mit geſamten BAUR 4 
unternehmen. = 

Vögel. Mitnichten! Du haſt's erfunden, führ' es aus! 
Sei du unſer Ratgeber, unſer Leiter, unſer Heerführer! a 

Treufreund. Ihr beſchämt mich! 23 

Hoffegut. Du bedenkſt wich “ 3 

Treufreund. Sei ruhig, unſer Glück iſt gemacht. 0 

Vögel (auf Hoffegut zeigen). Und dieſer? Was ſoll der? Darf 
er hier bleiben? Zu was iſt er nütze? 1 

Treufreund. Er iſt uns unentbehrlich. 30 

Vögel. Was kannſt du? Worin übertriffſt m das Volt 

Hoffegut. Ich kann pfeifen! 

Vögel. Schön! o ſchön! o, ein köſtlicher, ein notwendiger 


0 


— 


1 Die Juden ſtanden im Römiſchen Reich deutſcher Nation des Mittelalters 
als „Kammerknechte der Kaiſer“ in deren perſönlichem Schutz, der aber willkür⸗ 
lich gehandhabt und erſt von Karl V. 1530 und 1541 in Reichsſchutz verwandelt 
wurde. 7 


Sorge noch a9 


Treufreund neigt ſich. 


m 


Treufreund (seigämd. Soll es fo fein? 15 | 8 
Vögel. Du nimmſt's an? 8 


Vögel. 

Halte Wort! 
Wir geben dir die Herrſchaft, 
Verleihen dir das Reich! 
Mach' uns den ſtolzen Göttern, 
Den ſtolzern Menſchen gleich! 


Epilog. 


Der erſte, der den Inhalt dieſes Stücks 


Nach ſeiner Weiſe aufs 3 brachte, 
War Ariſtophanes, der ungezogne 


Liebling der Grazien. 
Wenn unſer Dichter, dem nichts angelegner iſt, 


Als euch ein Stündchen Luſt 

Und einen Augenblick Beherzigung 

Nach ſeiner Weiſe zu verſchaffen, 

In ein⸗ und anderem geſündigt hat, 

So bittet er durch meinen Mund 

Euch allſeits um Verzeihung. 

Denn wie ihr billig ſeid, ſo werdet ihr erwägen, 


Daß von Athen nach Ettersburg 


Mit einem Salto mortale 

Nur zu gelangen war. 

Auch iſt er ſich bewußt, 

Mit ſo viel Gutmütigkeit und Ehrbarkeit 
Des alten deklarierten Böſewichts 
Verrufene Späße 

Hier eingeführt zu haben, 

Daß er ſich euers Beifalls ſchmeicheln darf. 


Dann bitten wir euch, zu bedenken, 


EN Er 
er 
#2 


230 Die Vögel. 


Und etwas Denken iſt dem Menſchen immer nütze; 
Daß mit dem Scherz es wie mit Wunden iſt, 
Die niemals nach ſo ganz gemeßnem Maß F 
Und reinlich abgezogenem Gewicht geſchlagen werden. 
Wir haben, nur gar kurz gefaßt, 5 
Des ganzen Werkes Eingang 
Zur Probe hier demütig vorgeſtellt; 
Sind aber auch erbötig, 
Wenn es gefallen hat, 
Den weiteren weitläufigen Erfolg 10 
Von dieſer wunderbaren, doch wahrhaftigen Geſchichte 
Nach unſern beſten Kräften vorzutragen. 


ur 


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— 


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2 
2 
5 5 
9 8 
a u 


g ruchſtu de) 


1 


Die Aufgeregten. 


Politiſches Drama in fünf Akten. 


er = Perſonen. 

Die Gräfin. Luiſe, Bremens Nichte. 
Friederike, ihre Tochter. Der Magiſter, Hofmeiſter des 
Karl, ihr Söhnchen. jungen Grafen. 

Der Baron, ein Vetter. Der Amtmann. Re 
Der Hofrat. Jakob, junger Landmann u. Jäger. 
Breme von Bremenfeld, Chi⸗ Martin 

kurgus. Albert Landleute. 

Koxokine, Bremens Tochter. Peter 


Georg, Bedienter der Gräfin. 


Einleitung des Herausgebers. 7 


u den Revolutionsdramen, die Goethe im Jahre 1793 geschaffen 
5 hat, gehörte nach dem Zeugnis ſeiner „Tag- und Jahreshefte“ 
auch das Schaufpiel „Die Aufgeregten“. Dem „Groß-Cophta“, der 
in der Verneinung ſtecken bleibt, wie dem „Bürgergeneral“, der mit 
s einer gewaltigen Bewegung doch gar zu tändelnd ſpielt, an Vielſeitig⸗ 
keit und Tiefe der Auffaſſung bedeutend überlegen, würde es auch 
unterhaltſamer als beide geworden fein, wenn es nicht gerade in den 


lung“ im dritten und der lächerlichen Abführung des maulenden Haupt 
10 helden im fünften Aufzug, unausgeführt geblieben wäre. Vor allem 
aber iſt es das bedeutendſte Zeugnis für Goethes perſönliche Stellung 
zu den Forderungen der franzöſiſchen Revolution; ja in den „Geſprächen 
mit Eckermann“ (4. Januar 1824) hat er es nicht nur geradezu „ſein 


komiſchen Szenengruppen, der genial konzipierten „Nationalverſamm⸗ = 


234 Neoofutionsbramen. 


der Untertanen bedachte Berater der Gräfin iſt der Hofrat u wer 
die Andeutungen über die Entſchiedenheit beachtet, mit der dieſer auch 
gegenüber lockenden Ausſichten auf eine höhere Verbindung an ſeiner 
Neigung zu einem Mädchen aus geſcheitertem bürgerlichem Hauſe feſt⸗ 
hält, wird dabei unwillkürlich an den Miniſter Goethe und ſeine Haus⸗ 
genoſſin Chriſtiane denken. Vielleicht hat der Dichter ebendieſer perſön⸗ 


lichen Beziehungen halber im dritten Aufzuge gerade bei dem Auftritte 


zwiſchen Gräfin, Luiſe und Hofrat abgebrochen, der „Gelegenheit geben 


ſollte, drei ſchöne Charaktere näher kennen zu lernen“. — „Ein jeder 
kann nur ſeinen eignen Stand beurteilen und tadeln“, vertreten und 
ausfüllen, predigt der Hofrat, und ahnungsvoll erklärt Goethe durch 
deſſen Mund, ſo gut wie andere Vorzüge auch den adliger Geburt an⸗ 
erkennen zu wollen, wenn man ihm „ſchon den verhaßten Namen eines 


Ariſtokraten zueigne“. Es entſpricht dieſem ſchon auf „Hermann und 


Dorothea“ hinweiſenden Grundgedanken von der ſicheren Gründung, 
die gegen alle Fährlichkeit Haus und Stand bedeuten, wenn bei der 
ſchließlichen Verſöhnung der adligen Herrſchaft und der bürgerlich⸗ 
bäuerlichen Bevölkerung wegen des „unangenehmen Eindrucks, den ſie 


machen“ könnten, nur die Perſonen im Hintergrunde bleiben, denen 


ſolche Beſcheidung innerhalb der Schranken ihres Standes fehlt: die 
in den adligen Herrn vernarrte Karoline und der dem Bürgermädchen 


20 


nachſtellende Baron, der windige theologiſche Hofmeiſter, der bei 


andern auf die Heiligkeit der Bande des Blutes und des Eides ſpeku⸗ 
liert, an die er ſelbſt nicht glaubt, und der Amtmann, der, vor der 
Herrſchaft katzbuckelnd, die leibhaftige Adelshoffart gegen die Unter⸗ 
gebenen iſt. Auch das iſt kein Zufall, daß die poſitiven Standestypen, 
wie ſechs Jahre ſpäter noch ausgedehnter in der „Natürlichen Tochter“ 
nur Standestitel, keine Eigennamen tragen. 

Wie ernſt es Goethe mit dieſer Stellungnahme zu den Zeitereig⸗ 
niſſen meinte, verrät der Titel, der 1815 bei der Durchſicht für die Heraus⸗ 
gabe in Ausſicht genommen war und mit Beziehung auf Matthäus, Kap. 
16, V. 3, „die Zeichen der Zeit“ lauten ſollte. Der andere Titel „Breme 
von Bremenfeld“, den es noch am 17. Juli 1814 in den „Tagebüchern“ 
trägt, führt auf die literariſchen Anregungen zurück, denen es ent⸗ 


ſprungen iſt. Dieſen Namen legt ſich in Holbergs „Politiſchem Kanne⸗ 


gießer“ der Kannegießer Hermann von Bremen in dem ihm künſtlich 


beigebrachten Wahne bei, regierender Bürgermeiſter geworden zu ſein; 


25 


88 


5 . 
F 225 


8 Die Aufgeregten: Einleitung des Herausgebers. 235 


ja, der Name kehrt als typiſch auch ſonſt bei Holberg wieder, fo in der 
5 Hexerei“. In dieſem Stücke ſteht außerdem neben ihm ein Chirurg, 
Meiſter Hermann, der mit klaſſiſchen Brocken und Beziehungen um 
ſich wirft trotz unſerm Breme. Man beachte noch folgende bei Goethe 
E 5 wiederkehrende Züge an Holbergs Hermann von Bremen. Er ver- 
dankt ſeine politiſche Weisheit zwei Staatsſchriften und zwei Romanen, 
ſinnt auf eine vorteilhafte Verheiratung ſeiner Tochter, und ehe man 
ihn unterm Tiſche hervorholt, um ihn vollends von dem Wahne ſeines 
* eingebildeten Bürgermeiſtertums zu kurieren, muß er ſich von ſeinem 
. 10 Lehrburſchen durch die Forderung, „von Heinrich“ genannt zu werden, 
1 verſpotten laſſen. Es reizte alſo Goethe offenbar, die Maske aus dem 
3 Jahre 1722, die am 17. März 1792 auch einmal über die weimariſche 
. Bühne gegangen war, dieſer in zeitgenöſſiſcher Färbung wieder⸗ 
znugewinnen, den Kleinbürger, der den Patrizier und Bürgermeiſter 
35 von Hamburg ſpielen will, zum Wortführer für die Abſchaffung des 
Adels weiterzubilden. Auch der Holbergſche Gedanke, daß die Gefähr⸗ 
lichkeit eines ſolchen Kannegießers in der Unfähigkeit des gemeinen 
Mannes liege, die Ungereimtheiten ſeines Redens zu durchſchauen, war 
. Goethen aus der Seele geſprochen; und für ſeine ironiſche Behandlung 
20 der Revolution mochte es ihm wie ehrwürdige literariſche Sanktion 
klingen, wenn er die launigen Ratsherren zu dem Schluſſe kommen 
hörte: „Solche Leute beſtrafen oder arretieren, errege nur Unzufrieden⸗ 
heit im Publikum und verhelfe ſolchen Narren noch zu größerm An⸗ 
ſehen; ſie wollten daher lieber eine Komödie mit ihm ſpielen, die größere 
25 Wirkung haben würde“ (Aufz. 3, Auftr. 1). 

Hinter Holbergs unwiderſtehlicher Komik, die unter einem ge⸗ 
ſicherten Patrizierregiment die nach deſſen Außerlichkeiten lüſternen Bier⸗ 
bankpolitiker mit toller Laune verſpotten konnte, iſt Goethes politiſches 
Drama immerhin weit zurückgeblieben. Die Zeit war zu ernſt und 

80 der Dichter zu beſorgt und zu gewiſſenhaft, als daß nicht aus dem 
. launigen Spiel hätte Satire werden und davon im Baron und im 
5 Amtmann, der übrigens eine auf der deutſchen Bühne jahrzehntealte 
* Rolle war, auch der Adel etwas abbekommen müſſen. Immerhin iſt 
es ſehr zu bedauern, daß gerade dieſe umſichtigſte dramatiſche Behand⸗ 
lung des Revolutionsſtoffes bei Goethe Bruchſtück geblieben iſt. Eine 
ergänzende Bearbeitung, die Felix von Stenglin dieſem hat ange⸗ 
deihen laſſen, gibt jedoch einigermaßen eine Vorſtellung von dem, was 


O 


Goethe beabſichtigt hatte, und eine Aufführung dieſer 


Sollte meine Vermutung gegründet ſein? Sollte der Baron in 


Nevolutionsbramen. 


dürfte ſich wohl lohnen und beweiſen, daß der Verfaſſer ee ei: 
geregten“ auch unſrer Zeit mit einem wieder ſtark verbreiteten Bremen- 
feldiſchen Wortheldentum noch manches zu ſagen al und in manchen f 


Zuge ſich recht modern erweiſen würde. a 


Erſter Aufzug. 
Erſter Auftritt. i 
Ein gemeines Wohnzimmer, an der Wand zwei Bilder eines bürgerlichen 
Mannes und ſeiner Frau in der Tracht, wie ſie vor funfzig oder ſechzig 
Jahren zu ſein pflegte. 10 
Nacht. 

Luiſe (an einem Tiſche, worauf ein Licht ſteht, ſtrickend). et 

Karoline Gin einem Großvaterſeſſel gegenüber, ſchlafend). f 8 4 

Luiſe (einen eben vollendeten geſtrickten Strumpf in die Höhe haltend). = 
Wieder ein Strumpf! Nun wollt' ich, der Onkel käme nach ı5 
Hauſe; denn ich habe nicht Luſt, einen andern anzufangen. (Sie 
ſteht auf und geht ans Fenſter.) Er bleibt heut ungewöhnlich lange 
weg, ſonſt kommt er doch gegen eilf Uhr, und es iſt jetzt ſchon 
Mitternacht. Sie tritt wieder an den Tiſch) Was die franzöſiſche 
Revolution Gutes oder Böſes ſtiftet, kann ich nicht beurteilen; 20 
ſo viel weiß ich, daß ſie mir dieſen Winter einige Paar Strümpfe 
mehr einbringt. Die Stunden, die ich jetzt wachen und warten 
muß, bis Herr Breme nach Hauſe kommt, hätt' ich verſchlafen, 
wie ich ſie jetzt verſtricke, und er verplaudert ſie, wie er ſie ſonſt 
verſchlief. 25 

Karoline Gm Schlafe redend). Nein, nein! mein Vater — 

Luiſe (ſich dem Seffel nähernd). Was gibt's? liebe Muhme! — 
Sie antwortet nicht! — Was nur dem guten Mädchen ſein mag! 
Sie iſt ſtill und unruhig; des Nachts ſchläft ſie nicht, und jetzt, 
da ſie vor Müdigkeit eingeſchlafen iſt, ſpricht fie im Traume. 30 8 


dieſen wenigen Tagen einen ſolchen Eindruck auf ſie gemacht 5 
haben, fo ſchnell und ſtark? (Hervortretend.) Wunderſt du dich, 

Luiſe, und haft du nicht ſelbſt erfahren, wie die Liebe wirkt! wie 
ſchnell und wie ſtark! 35 


| Sfr un. Site und derer uke 237 


Iwelter Auftritt. 
8 Die Vorigen. Georg. 

Georg cheftig und ängitlig). Liebes Mamſellchen, Be Sie 
mir geſchwinde, geſchwinde — 

s Luiſe. Was denn, Georg? f 
Georg. Geben Sie mir die Flaſche. 
Luiſe. Was für eine Flaſche? 
Georg. Ihr Herr Onkel ſagte, Sie ſollen mir bie ie Flasch 
geſchwinde geben, fie ſteht in der Kammer, oben auf dem Brette 
10 rechterhand. 
Quiſe. Da stehen viele Flaſchen, was ſoll denn drinne ſein? 
Georg. Spiritus. 
Luiſe. Es gibt allerlei Spiritus; hat er ſich nicht deutlicher | 
2 erklärte wozu ſoll's denn? 5 
. 15 Georg. Er jagt’ es wohl, ich war aber jo erſchrocken. Ach, 
der junge Herr — 
Karoline (die aus dem Schlaf auffährth. Was gibt's? — Der 
Baron? 
Luiſe. Der junge Graf. 
Georg. Leider, der junge Graf! 
Karoline. Was iſt ihm begegnet? 
Georg. Geben Sie mir den Spiritus. 
Luiſe. Sage nur, was dem j jungen Grafen begegnet iſt, ſo 
weiß ich wohl, was der Onkel für eine Flaſche braucht. 
25 Georg. Ach, das gute Kind! was wird die Frau Gräfin 
ſagen, wenn ſie morgen kommt! wie wird ſie uns ausſchelten! 
Karoline. So red' Er doch! 
| Georg. Er iſt gefallen, mit dem Kopfe vor eine Tiſchecke, 
das Geſicht iſt ganz in Blut; wer weiß, ob nicht gar das Anger 
- 30 gelitten hat. 
Luiſ e (indem ſie einen Wachsſtock anzündet und in die Kammer geht). Nun 
weiß ich, was ſie brauchen. 
Karoline. So ſpät! wie ging das zu? 
Georg. Liebes Mamſellchen, ich dachte lange, es würde 
35 nichts Gutes werden. Da ſitzt Ihr Vater und der Hofmeiſter 
aalle Abend beim alten Pfarrer und leſen die Zeitungen und 
Monatsſchriften, und jo disputieren fie und können nicht fertig 


238 Revolutionsdramen. 


werden, und das arme Kind ie dabei 1 da druckt sichs 
denn in eine Ecke, wenn's ſpät wird, und ſchläft ein, und wenn 
ſie aufbrechen, da taumelt das Kind ſchlaftrunken mit, und heute 
— nun ſehen Sie — da ſchlägt's eben zwölfe — heute bleiben 


ſie über alle Gebühr aus, und ich ſitze zu Hauſe und habe Licht 


brennen, und dabei ſtehen die andern Lichter für den Hofmeiſter 
und den j jungen Herrn, und Ihr Vater und der Magiſter bleiben 
vor der Schloßbrücke ſtehen und können auch nicht fertig werden — 

Luiſe (kommt mit einem Glaſe zurück). 

Georg (fährt ford. Und das Kind kommt in den Saal getappt 
und ruft mich, und ich fahre auf und will die Lichter anzünden, 
wie ich immer tue, und wie ich ſchlaftrunken bin, löſche ich das 
Licht aus. Indeſſen tappt das Kind die Treppe hinauf, und auf 
dem Vorſaal ſtehen die Stühle und Tiſche, die wir morgen früh 
in die Zimmer verteilen wollen; das Kind weiß es nicht, geht 
geradezu, ſtößt ſich, fällt, wir hören es ſchreien, ich mache Lärm, 
ich mache Licht, und wie wir hinaufkommen, liegt's da und weiß 
kaum von ſich ſelbſt. Das ganze Geſicht iſt blutig. Wenn es 
ein Auge verloren hat, wenn es gefährlich wird, geh' ich morgen 
früh auf und davon, eh' die Frau Gräfin ankommt; mag's ver⸗ 
antworten, wer will! 

Luiſe (die indeſſen einige Bündelchen Leinwand aus der Schublade ge⸗ 
nommen, gibt ihm die Flaſche). Hier! geſchwind! trage das hinüber 
und nimm die Läppchen dazu, ich komme gleich ſelbſt. Der 


5 


Himmel verhüte, daß es ſo übel ſei! Geſchwind, Georg, geſchwind! 25 


Georg (ab). 

Luiſe. Halte warmes Waſſer bereit, ie der Onkel nach 
Hauſe kommt und Kaffee verlangt. Ich will geſchwind hinüber. 
Es wäre entſetzlich, wenn wir unſere gute Gräfin ſo empfangen 


müßten. Wie empfahl ſie nicht dem Magiſter, wie empfahl ſie 30 


nicht mir das Kind bei ihrer Abreiſe! Leider habe ich ſehen 
müſſen, daß es die Zeit über ſehr verſäumt worden iſt. Daß 
man doch gewöhnlich ſeine nächſte Pflicht verſäumt! (ab.) 


Dritter Auftritt. 


Karoline. Hernach der Baron. 
Karoline (nachdem ſie einigemal nachdenkend auf und ab gegangen). Er ver⸗ 


Die Aulgeregten: Erſter Aufzug. gweiter und dritter Auftritt. 239 


. "ut mich keinen Augenblick, auch im Traume ſelbſt war er mir 
gegenwärtig. O wenn ich glauben könnte, daß ſein Herz, ſeine 
Abſichten ſo redlich find, als ſeine Blicke, ſein Betragen reizend 
und einnehmend iſt! Ach, und die Art, mit der er alles zu ſagen 
5 weiß, wie edel er ſich ausdrückt! Man ſage, was man will, 
welche Vorzüge gibt einem Menſchen von edler Geburt eine 
ſtandesmäßige Erziehung! Ach, daß ich doch ſeinesgleichen wäre! 
Der Baron (an der Türe). Sind Sie allein, beſte Karoline? 
. Karoline. Herr Baron, wo kommen Sie her? Entfernen 
10 Sie ſich! wenn mein Vater käme! Es iſt nicht ſchön, mich ſo 
zu überfallen. 
Baron. Die Liebe, die mich hieher führt, wird auch mein 
Fürſprecher bei Ihnen ſein, angebetete Karoline. cer win ſie umarmen. 
Karoline. Zurück, Herr Baron! Sie ſind ſehr verwegen. 
15 Wo kommen Sie her? 

Baron. Ein Geſchrei weckt mich, ich ſpringe herunter und 
finde, daß mein Neffe ſich eine Brauſche gefallen hat. Ich finde 
Ihren Vater um das Kind beſchäftigt, nun kommt auch Ihre 
Muhme, ich ſehe, daß es keine Gefahr hat, es fällt mir ein: 

20 Karoline iſt allein, und was kann mir bei jeder Gelegenheit 
anders einfallen als Karoline? Die Augenblicke ſind koſtbar, 
ſchönes, angenehmes Kind! Geſtehen Sie mir, ſagen Sie mir, 
daß Sie mich lieben (win fie umarmen). 

Karoline. Noch einmal, Herr Baron! laſſen Sie mich und 

25 verlaſſen Sie dieſes Haus. 

Baron. Sie haben verſprochen, mich ſo bald als möglich 
zu ſehen, und wollen mich nun entfernen? 

Karoline. Ich habe verſprochen, morgen früh mit Sonnen⸗ 
aufgang in dem Garten zu ſein, mit Ihnen ſpazieren zu gehen, 

so mich Ihrer Geſellſchaft zu freuen. Hieher hab' ich Sie nicht ein⸗ 
geladen. 

Baron. Aber die Gelegenheit — 

Karoline. Hab' ich nicht gemacht. 

Baron. Aber ich benutze ſie; können Sie mir es verdenken? 

35 Karoline. Ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken ſoll. 

Baron. Auch Sie — laſſen Sie es mich frei geſtehen — 

auch Sie erkenne ich nicht. 


0 2 Nevotionäh 


Karoline. Und worin bin ich mir denn je ſo 
Baron. Können Sie noch fragen? a 
Karoline. Ich muß wohl, ich begreife er ni es 
Baron. Ich ſoll reden? ae, 8 u 
Karoline. Wenn ich Sie verjtehen soll. N 
Baron. Nun gut. Haben Sie nicht ſeit den drei an „ 
die ich Sie kenne, jede Gelegenheit geſucht, mich zu 1 und zuuu 
1 2 
Karoline. Ich leugne es nicht. „ 
Baron. Haben Sie mir nicht, jo oft ich Sie anſah, mit 10 
Blicken geantwortet? und mit was für Blicken! . 
Karoline (verlegen). Ich kann meine eignen Blicke nicht ſehen. | 
Baron. Aber fühlen, was fie bedeuten — Haben Sie mir, 
wenn ich Ihnen im Tanze die Hand drückte, die a bi „ 
wieder gedrückt? ; 1 
Karoline. Ich erinnere mich's nicht. 5 
Baron. Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Karoline. Als 
wir unter der Linde drehten und ich Sie zärtlich an mich ſchloß, 
damals ſtieß mich Karoline nicht zurück. 1 
Karoline. Herr Baron, Sie haben ſich falſch ausgelegt, 2 ee. 
was ein gutherziges, unerfahrnes Mädchen — 
Baron. Liebſt du mich? e 
Karoline. Noch einmal, verlaſſen Sie mich! Morgen 8 
frühe — = 
Baron, Werde ich ausf ſchlafen. 
Karoline. Ich werde Ihnen ſagen — 
Baron. Ich werde nichts hören. 
Karoline. So verlaſſen Sie mich. | 
Baron (fig entfernend). O, es iſt mir leid, daß ich gekom⸗ 
men bin. | 30 
Karoline (allein, nach einer Bewegung, als wenn ſie ihn aufhalten wollte) . 
Er geht, ich muß ihn fortſchicken, ich darf ihn nicht halten. Ich 
liebe ihn und muß ihn verſcheuchen. Ich war unvorſichtig 
und bin unglücklich. Weg ſind meine Hoffnungen auf den 
ſchönen Morgen, weg die goldnen Träume, die ich zu nähren 35 
wagte. O, wie wenig Zeit dei es, unſer ganzes ene 
umzukehren! 


€! Wege- Eifer ae Deitter mb. vierte Auf a 1 


Vierter Auftritt 

= Karoline. Breme. 5 

5 earolıe Lieber Vater, wie geht's? Was macht der junge 
raf? | 

Breme. Es iſt eine ſtarke Kontuſion!, doch ich hoffe, die 

Läſion? ſoll nicht gefährlich ſein. Ich werde eine vortreffliche 

Kur machen, und der Herr Graf wird ſich künftig, ſo oft er ſich 

im Spiegel beſieht, bei der Schmarre ſeines geſchickten Chirurgi, 

ſeines Breme von Bremenfeld, erinnern. 

10 Karoline. Die arme Gräfin! wenn ſie nur nicht ſchon 

morgen käme. 

Breme. Deſto beſſer! und wenn ſie den übeln Zuſtand des 

Patienten mit Augen ſieht, wird ſie, wenn die Kur vollbracht 

iſt, deſto mehr Ehrfurcht für meine Kunſt empfinden. Standes⸗ 


würdig ein Mann iſt, der ihnen in ihren Nöten beiſteht, denen ſie 
wie alle Kinder Adams unterworfen ſind, beſonders ein Chirur⸗ 
gqus. Ich ſage dir, mein Kind, ein Chirurgus iſt der verehrungs⸗ 
20 würdigſte Mann auf dem ganzen Erdboden. Der Theolog be 
freit dich von der Sünde, die er ſelbſt erfunden hat; der Juriſt 
gewinnt dir deinen Prozeß und bringt deinen Gegner, der gleiches 
Recht hat, an den Bettelſtab; der Medikus kuriert dir eine Krank⸗ 
heit weg, die andere herbei, und du kannſt nie recht wiſſen, ob 
25 er dir genutzt oder geſchadet hat; der Chirurgus aber befreit dich 
von einem reellen \bel, das du dir ſelbſt zugezogen haft oder 
das dir zufällig und unverſchuldet über den Hals kommt; er 
nutzt dir, ſchadet keinem Menſchen, und du kannſt dich unwider⸗ a 
ſprechlich überzeugen, daß ſeine Kur gelungen iſt. | 
80 Karoline. Freilich auch, wenn fie nicht gelungen ift. 
Breme. Das lehrt dich den Pfuſcher vom Meiſter unter⸗ 
ſcheiden. Freue dich, meine Tochter, daß du einen ſolchen Meiſter 
zum Vater haſt; für ein wohldenkendes Kind iſt nichts ergetz⸗ 
licher, als ſich ſeiner Eltern und Großeltern zu freuen. a 
Karoline (mit traurigem Ton wie bisher). Das tu' ich, mein Vater. 


l Quetſchung. — 2 Verletzung. . 
Goethe. XVIII. 16 


10 perſonen müſſen auch wiſſen, daß fie und ihre Kinder Menſchen = 
find; man kann fie nicht genug empfinden machen, wie verehrungs⸗ 


242 Revolutions dramen. 


Breme (fe nachahmend). Das tuſt du, mein Töchterchen, mit 
einem betrübten Geſichtchen und weinerlichen Tone. — Das ſoll 
doch wohl keine Freude vorſtellen? 

Karoline. Ach, mein Vater! 

Breme. Was haſt du, mein Kind? 

Karoline. Ich muß es Ihnen gleich ſagen. 

Breme. Was haſt du? 

Karoline. Sie wiſſen, der Baron hat dieſe Tage her ſehr 
freundlich, ſehr zärtlich mit mir getan, ich jagt’ es Ihnen gleich 
und fragte Sie um Rat. 

Breme. Du biſt ein vortreffliches Mädchen! wert, als eine 
Prinzeſſin, eine Königin aufzutreten. 

Karoline. Sie rieten mir, auf meiner Hut zu ſein, auf mich 
wohl acht zu haben, aber auch auf ihn; mir nichts zu vergeben, 
aber auch ein Glück, wenn es mich aufſuchen ſollte, nicht von 
mir zu ſtoßen. Ich habe mich gegen ihn betragen, daß ich mir 
keine Vorwürfe zu machen habe; aber er — 

Breme. Rede, mein Kind, rede! 

Karoline. O, es iſt abſcheulich. Wie frech, wie verwegen! — 

Breme. Wie? (Mac einer Paufe) Sage mir nichts, meine 
Tochter, du kennſt mich, ich bin eines hitzigen Temperaments, 
ein alter Soldat, ich würde mich nicht faſſen können, ich würde 
einen tollen Streich machen. 

Karoline. Sie können es hören, mein Vater, ohne zu zürnen, 
ich darf es ſagen, ohne rot zu werden. Er hat meine Freundlich⸗ 
keit übel ausgelegt, er hat ſich in Ihrer Abweſenheit, nachdem 
Luiſe auf das Schloß geeilt war, hier ins Haus geſchlichen. Er 
war verwegen, aber ich wies ihn zurechte. Ich trieb ihn fort, 
und ich darf wohl ſagen, ſeit dieſem Augenblicke haben ſich meine 
Geſinnungen gegen ihn geändert. Er ſchien mir liebenswürdig, 
als er gut war, als ich glauben konnte, daß er es gut mit mir 
meine; jetzt kommt er mir vor ſchlimmer als jeder andere. Ich 
werde Ihnen alles, wie bisher, erzählen, alles geſtehen und mich 
Ihrem Rat ganz allein überlaſſen. 

Breme. Welch ein Mädchen! welch ein vortreffliches Mäd⸗ 
chen! O ich beneidenswerter Vater! Wartet nur, Herr Baron, 
wartet nur! Die Hunde werden von der Kette loskommen und 


10 


1 


20 


5 


8 f Sie Kufocegiän: Sıfter Aufzug. vierter Auftritt. 243 


den Fuchſen den Weg zum Taubenſchlag verrennen. Ich will 
nicht Breme heißen, nicht den Namen Bremenfeld verdienen, 
wenn in kurzem nicht alles anders werden ſoll. 

Karoline. Erzürnt Euch nicht, mein Vater. 

5 Breme. Du gibſt mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, 
fahre fort, deinen Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche 
in allem deiner vortrefflichen Urgroßmutter, der ſeligen Burge⸗ 
meiſterin! von Bremenfeld. Dieſe würdige Frau war durch 
Sittſamkeit die Ehre ihres Geſchlechts und durch Verſtand die 
10 Stütze ihres Gemahls. Betrachte dieſes Bild jeden Tag, jede 
Stunde, ahme ſie nach und werde verehrungswürdig wie ſie. 
Karoline (ſieht das Bild an und lacht). 

Breme. Was lachſt du, meine Tochter? 
Karoline. Ich will meiner Urgroßmutter gern in allem 
6 Guten folgen, wenn ich mich nur nicht anziehen ſoll wie fie. 
Ha, ha, ha! Sehn Sie nur, jo oft ich das Bild anſehe, muß ich 
lachen, ob ich es gleich alle Tage vor Augen habe, ha, ha, ha! 
Sehn Sie nur das Häubchen, das wie Fledermausflügel vom 
Kopfe losſteht. 

20 Breme. Nun, nun! zu ihrer Zeit lachte niemand darüber, 
und wer weiß, wer über euch künftig lacht, wenn er euch ge⸗ 
malt ſieht; denn ihr ſeid ſehr ſelten angezogen und aufgeputzt, 
daß ich jagen möchte, ob du gleich meine hübſche Tochter biſt, 
ſſie gefällt mir! Gleiche dieſer vortrefflichen Frau an Tugenden 
25 und kleide dich mit beſſerm Geſchmack, ſo hab' ich nichts dagegen, 
vorausgeſetzt, daß, wie fie jagen, der gute Geſchmack nicht teurer 
iſt als der ſchlechte. Übrigens dächt ich, du gingſt zu Bette, 
denn es iſt ſpät. 

Karoline. Wollen Sie nicht noch Kaffee trinken? Das 
so Waſſer ſiedet, er iſt gleich gemacht. 

Breme. Setze nur alles zurechte, ſchütte den gemahlenen 
Kaffee in die Kanne, das heiße Waſſer will ich ſelbſt darüber 
gießen. 


1 Schalkhafte Anſpielung auf Geſke, die Frau feines literariſchen Modells zu 
Breme in Holbergs „Politiſchem Kannegießer“ (vgl. S. 234 f.); dort iſt die Frau 
freilich noch eingebildeter als der Mann und möchte die Burgemeiſterin ernſtlich 
weiterſpielen. 


16 * 


155 244 _Benotutionsbramen 55 a 


Karoline. Gute Nacht, mein Vater! wa w . Bi er 


Breme. Schlaf wohl, mein Kind. 
Fünfter Auftritt. 


Breme (aleind. Daß auch das Unglück juſt dieſe nacht 45 
ſchehen mußte! Ich hatte alles klüglich eingerichtet, meine Ein⸗ 


teilung der Zeit als ein echter Praktikus gemacht. Bis gegen 
Mitternacht hatten wir zuſammen geſchwatzt, da war alles 
ruhig, nachher wollte ich meine Taſſe Kaffee trinken, meine be⸗ 
ſtellten Freunde ſollten kommen zu der geheimnisvollen Über- 
legung. Nun hat's der Henker! Alles iſt in Unruhe. Sie wachen 
im Schloß, dem Kinde Umſchläge aufzulegen. Wer weiß, wo 
ſich der Baron herumdrückt, um meiner Tochter aufzupaſſen. 
Beim Amtmann ſeh' ich Licht, bei dem verwünſchten Kerl, den 
ich am meiſten ſcheue. Wenn wir entdeckt werden, ſo kann der 
größte, ſchönſte, erhabenſte Gedanke, der auf mein ganzes Vater⸗ 
land Einfluß haben ſoll, in der Geburt erſtickt werden. (er geht 
ans Fenſter) Ich höre jemand kommen; die Würfel find geworfen, 


wir müſſen nun die Steine ſetzen; ein alter Soldat darf ſich vor 


nichts fürchten. Bin ich denn nicht bei dem großen, unüber⸗ 


windlichen Fritz in die Schule gegangen! 
Sechſter Auftritt. 


Breme. Martin. 


Breme. Seid Ihr's, Gevatter Martin? 


20 


Martin. Ja, lieber Gevatter Breme, das bin ich. Ich babe . 


mich ganz ſtille aufgemacht, wie die Glocke zwölfe ſchlug, und 


bin hergekommen; aber ich habe noch Lärm gehört und Hin⸗ 
und Wiedergehen, und da bin ich im Garten einigemal auf und 
abgeſchlichen, bis alles ruhig war. Sagt mir nur, was Ihr 
wollt, Gevatter Breme, daß wir ſo ſpät bei Euch zuſammen⸗ 
kommen in der Nacht; könnten wir's denn nicht bei Tage ab⸗ 
machen? 

Breme. Ihr ſollt alles erfahren, nur müßt Ihr Geduld 
haben, bis die andern alle beiſammen ſind. 

Martin. Wer ſoll denn noch alles kommen? 


Breme. Alle unſere guten e alle denne Leute. 36 ä 


20 


Kufgeigten: eder ur Fine 8 ehe Auftritt, 245 


Außer Euch, der Ihr Schulze von dem Ort hier Teib, kommt 
noch Peter, der Schulze von Roſenhahn, und Albert, der Schulze 
von Wieſengruben; ich hoffe, auch Jakob wird kommen, der das 
hübſche Freigut beſitzt. Dann ſind recht ordentliche und ver⸗ 
nünftige Leute beiſammen, die ſchon was ausmachen können. 
Martin. Gevatter Breme, Ihr ſeid ein wunderlicher Mann, 
es iſt Euch alles eins, Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer 
und Winter. 
Breme. Ja, wenn das auch nicht ſo wäre, könnte nichts 
o Rechts werden. Wachen oder Schlafen, das iſt mir auch ganz 
gleich. Es war nach der Schlacht bei Leuthen“, wo unſere Laza⸗ 
5 t fi in ſchlechtem Zuſtande befanden und ſich wahrhaftig 
noch in ſchlechterem Zuſtande befunden hätten, wäre Breme nicht 
damals ein junger, rüſtiger Burſche geweſen. Da lagen viele 
15 Bleſſierte, viele Kranke, und alle Feldſcherer waren alt und 
verdroſſen, aber Breme, ein junger, tüchtiger Kerl, Tag und 
Nacht parat. Ich ſag' Euch, Gevatter, daß ich acht Nächte 
nacheinander weg gewacht und am Tage nicht geſchlafen habe. 
Das merkte ſich aber auch der alte Fritz, der alles wußte, was 
er wiſſen wollte. „Höre Er, Breme“, ſagte er einmal, als er in 
eigner Perſon das Lazarett viſitierte: „Höre Er, Breme, man 
ſagt mir, daß Er an der Schlafloſigkeit krank liege.“ — Ich 
merkte, wo das hinaus wollte, denn die andern ſtunden alle da⸗ 
bei; ich faßte mich und ſagte: „Ihro Majeſtät, das iſt eine 
Krankheit, wie ich ſie allen Ihren Dienern wünſche, und da ſie 
keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch brauch⸗ 
bar bin, ſo hoffe ich, daß Seine Majeſtät deswegen keine Un⸗ 
gnade auf mich werfen werden.“ 5 
Martin. Ei, eil wie nahm denn das der König au? 
Breme. Er ſah ganz ernſthaft aus, aber ich ſah ihm wohl 
an, daß es ihm wohlgefiel. „Breme“, ſagte er, „womit vertreibt 
Er ſich denn die Zeit?“ Da faßt' ich mir wieder ein Herz und 
ſagte: „Ich denke an das, was Ihro Majeſtät getan haben und 
noch tun werden, und da könnt' ich Methuſalems Jahre er⸗ 


a 1 Nach der Schlacht bei Leuthen am 5. Dezember 1757 mußten die preußiſchen 
Truppen tatſächlich noch mehrere Tage im Freien kampieren. 


246 Revolutionsdbramen. 


reichen und immer fortwachen und könnt's doch nicht ausdenken.“ 


Da tat er, als hört' er's nicht, und ging vorbei. Nun war's 


wohl acht Jahre darnach, da faßt' er mich bei der Revue wieder 
ins Auge. „Wacht Er noch immer, Breme?“ rief er. „Ihro 
Majeſtät“, verſetzt' ich, „laſſen einem ja im Frieden ſo wenig 
Ruh als im Kriege. Sie tun immer jo große Sachen, daß ſich 
ein geſcheiter Kerl daran zuſchanden denkt.“ 

Martin. So habt Ihr mit dem König geſprochen, Ge⸗ 
vatter? Durfte man ſo mit ihm reden? 

Breme. Freilich durfte man ſo und noch ganz anders, denn 
er wußte alles beſſer. Es war ihm einer wie der andere, und 
der Bauer lag ihm am mehrſten am Herzen. „Ich weiß wohl“, 
ſagte er zu ſeinen Miniſtern, wenn ſie ihm das und jenes ein⸗ 
reden wollten, „die Reichen haben viele Advokaten, aber die 
Dürftigen haben nur einen, und das bin ich.“ 

Martin. Wenn ich ihn doch nur auch geſehen hätte! 

Breme. Stille, ich höre was! es werden unſere Freunde 
ſein. Sieh da! Peter und Albert. 


Siebenter Auftritt. 
Peter. Albert. Die Vorigen. 
Breme. Willkommen! — Iſt Jakob nicht bei euch? 
Peter. Wir haben uns bei den drei Linden beſtellt; aber 
er blieb uns zu lang' aus, nun ſind wir allein da. 
Albert. Was habt Ihr uns Neues zu ſagen, Meiſter Breme? 
Iſt was von Wetzlar! gekommen, geht der Prozeß vorwärts? 
Breme. Eben weil nichts gekommen iſt und weil, wenn 


10 


15 


20 


was gekommen wäre, es auch nicht viel heißen würde, ſo wollt' 


ich euch eben einmal meine Gedanken ſagen; denn ihr wißt wohl, 
ich nehme mich der Sachen aller, aber nicht öffentlich an, bis 
jetzt nicht öffentlich, denn ich darf's mit der gnädigen Herrſchaft 
nicht ganz verderben. 

Peter. Ja, wir verdürben's auch nicht gern mit ihr, wenn 
ſie's nur halbweg leidlich machte. 


1 In Wetzlar war von 1690 —1806 der Sitz des Reichskammergerichts, deſſen 
ſäumigen Geſchäftsgang Goethe im Sommer 1772 ſelber aus eigner Anſchauung 
kennen gelernt hatte. Vgl. „Dichtung und Wahrheit“, Buch 12. a 


= Die Aufgeregten: Erſter Aufzug. Sechſter und fiebenter Auftritt. 247 


Breme. Ich wollte euch ſagen — wenn nur Jakob da 
wäre, daß wir alle zuſammen wären, und daß ich nichts wieder⸗ 
holen müßte und wir einig würden. 

Albert. Jakob? Es iſt faſt beſſer, daß er nicht dabei iſt. 

5 Ich traue ihm nicht recht; er hat das Freigütchen, und wenn er 
; auch wegen der Zinſen mit uns gleiches Intereſſe hat, ſo geht 
4 ihn doch die Straße nichts an, und er hat fich im ganzen Pro⸗ 
3 zeß gar zu läſſig bewieſen. 
Breme. Nun, ſo laßt's gut ſein. Setzt euch und hört mich an. 
10 Sie ſetzen ſich.) 
Martin. Ich bin recht neugierig, zu hören. 
4 Breme. Ihr wißt, daß die Gemeinden ſchon vierzig Jahre 
lang mit der Herrſchaft einen Prozeß führen, der auf langen 
. Umwegen endlich nach Wetzlar gelangt iſt und von dort den 
15 Weg nicht zurückfinden kann. Der Gutsherr verlangt Fronen 
und andere Dienſte, die ihr verweigert und mit Recht verweigert; 
denn es iſt ein Rezeß! geſchloſſen worden mit dem Großvater 
unſers jungen Grafen — Gott erhalt' ihn! — der ſich dieſe 
Nacht eine erſchreckliche Brauſche gefallen hat. 
20 Martin. Eine Brauſche? 
Peter. Gerade dieſe Nacht? 
2 Albert. Wie iſt das zugegangen! 
5 Martin. Das arme, liebe Kind! 
Breme. Das will ich euch nachher erzählen. Nun hört 
25 mich weiter an. Nach dieſem geſchloſſenen Rezeß überließen die 
Gemeinden an die Herrſchaft ein paar Fleckchen Holz, einige 
Wieſen, einige Triften und ſonſt noch Kleinigkeiten, die euch 
von keiner Bedeutung waren und der Herrſchaft viel nutzten; 
denn man ſieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber auch 
80 ein guter Herr. Leben und leben laſſen, war ſein Spruch. Er 
erließ den Gemeinden dagegen einige zu entbehrende Fronen 
und — 
Albert. Und das ſind die, die wir noch immer leiſten 
müſſen. 
35 Breme. Und machte ihnen einige Konvenienzen? — 


1 Vertrag, Vergleich. — 2 Zugeſtändniſſe. 


EL Bevolntionsbramen, EN 


Martin. Die wir noch nicht genieheh iR | 

Breme. Richtig, weil der Graf ſtarb, die ae fs 
in Beſitz deſſen ſetzte, was ihr zugeſtanden war, der Krieg ein- 
fiel und die Untertanen noch mehr tun mußten, als ſie vorher 
getan hatten. 

Peter. Es iſt akkurat ſo, ſo hab' ich's mehr als einmal 
aus der Advokaten Munde gehört. 


Breme. Und ich weiß es beſſer als der Advokat, denn ich 


ſehe weiter. Der Sohn des Grafen, der verſtorbene gnädige Herr, 
wurde eben um die Zeit volljährig. Das war, bei Gott! ein 


wilder, böſer Teufel, der wollte nichts herausgeben und miß⸗ 
handelte euch ganz erbärmlich. Er war im Beſitz, der Rezeß 


war fort und nirgends zu finden. 
Albert. Wäre nicht noch die Abſchrift da, die unſer ver⸗ 
ſtorbener Pfarrer gemacht hat, wir wüßten kaum etwas davon. 
Breme. Dieſe Abſchrift iſt euer Glück und euer Unglück. 
Dieſe Abſchrift gilt alles vor jedem billigen Menſchen, vor Ge⸗ 
richt gilt ſie nichts. Hättet ihr dieſe Abſchrift nicht, ſo wäret 
ihr ungewiß in dieſer Sache. Hätte man dieſe Abſchrift der 


Herrſchaft nicht vorgelegt, ſo wüßte man nicht, wie ungerecht 


ſie denkt. 

Martin. Da müßt Ihr auch wieder billig ſein. Die Gräfin 
leugnet nicht, daß vieles für uns ſpricht; nur weigert ſie ſich, den 
Vergleich einzugehen, weil ſie in Vormundſchaft ihres Sohnes 
ſich nicht getraut, ſo etwas abzuſchließen. 

Albert. In Vormundſchaft ihres Sohnes! Hat ſie nicht 
den neuen Schloßflügel bauen laſſen, den er vielleicht ſein Leb⸗ 
tage nicht bewohnt? denn er iſt nicht gern in dieſer Gegend. 


Peter. Und beſonders da er nun eine Brauſche gefallen hat. 


Albert. Hat ſie nicht den großen Garten und die Waſſer⸗ 
fälle anlegen laſſen, worüber ein paar Mühlen haben müſſen 
weggekauft werden? Das getraut ſie ſich alles in Vormund⸗ 
ſchaft zu tun, aber das Rechte, das Billige, das getraut 8 


ſich nicht. 


gern reden, und ich geſtehe wohl, wenn ich von unſerer gnädigen 


Gräfin manches Gute genieße und deshalb mich für ihren unter⸗ 


Breme. Albert, du biſt ein wackerer Mann, ſo hör' ich 35 | 


2 ar Aufgreen: a erte ahi. Siehener ie 5 249 f 


Hänigen Diener Getenite; 0 möcht ich doch Br darin meinen 
2 3 nachahmen und euer Sachwalter ſein. 
= Peter. Das wäre recht ſchön. Macht nur, daß unfer Pins 
u bald aus wird. 
5 Breme. Das kann ich nicht, daß müßt ihr. 
Peter. Wie wäre denn das anzugreifen? 
Breme. Ihr guten Leute wißt nicht, daß alles in der Welt 
vorwärts geht, daß heute möglich iſt, was vor zehn Jahren 
nicht möglich war. Ihr wißt nicht, was jetzt alles unternommen, 
10 was alles ausgeführt wird. 
. Martin. O ja, wir wiſſen, daß in Frankreich jetzt wunder⸗ 
. liches Zeug geſchieht. c 
Peter. Wunderliches und abſcheuliches! 

Albert. Wunderliches und gutes. 
Breme. So recht, Albert, man muß das Beſte wählen! 
Da ſag' ich nun, was man in Güte nicht haben kann, ſoll man 
mit Gewalt nehmen. 
Martin. Sollte das gerade das Beſte ſein? 
Albert. Ohne Zweifel. 
Peter. Ich dächte nicht. 
Breme. Ich muß euch ſagen, Kinder, jetzt oder niemals. 
Albert. Da dürft Ihr uns in Wieſengruben nicht viel vor⸗ 
ſchwatzen; dazu ſind wir fix und fertig. Unſere Leute wollten 
längſt rebellern; ich habe nur immer abgewehrt, weil mir Herr 
25 Breme immer ſagte, es ſei noch nicht Zeit, und das iſt ein ge⸗ 
ſcheiter Mann, auf den ich Vertrauen habe. 
Breme. Gratias, Gevatter, und ich ſage euch: jetzt iſt es Zeit. 
Albert. Ich glaub's auch. 
1 Peter. Nehmt mir's nicht übel, das kann ich nicht einſehen; 
0 denn wenn's gut Aderlaſſen iſt, gut Purgieren, gut Schröpfen, 

das ſteht im Kalender, und darnach weiß ich mich zu richten; 
aber wenn's juſt gut rebellern ſei, das, glaub' ich, iſt viel 
ſchwerer zu ſagen. 
4 Breme. Das muß unſereiner verſtehen. 
35 Albert. Freilich verſteht Ihr's. 
Peter. Aber ſagt mir nur, woher's eigentlich kommt, 5 N 
a als beſſer verſteht als andere geſcheite Leute? 


250 Revolutionsdramen. 


Breme (gravitätiſch. Erſtlich, mein Freund, weil ſchon vom 
Großvater an meine Familie die größten politiſchen Einſichten 
erwieſen. Hier dieſes Bildnis zeigt euch meinen Großvater Her⸗ 
mann Breme von Bremenfeld, der, wegen großer und vorzüg⸗ 


licher Verdienſte zum Burgemeiſter ſeiner Vaterſtadt erhoben, ihr 8 


die größten und wichtigſten Dienſte geleiſtet hat. Dort ſchwebt 
ſein Andenken noch in Ehren und Segen, wenngleich boshafte, 
pasquillantiſche Schauſpieldichter! ſeine großen Talente und, 
gewiſſe Eigenheiten, die er an ſich haben mochte, nicht ſehr 
glimpflich behandelten. Seine tiefe Einſicht in die ganze politiſche 
und militäriſche Lage von Europa wird ihm ſelbſt von ſeinen 
Feinden nicht abgeſprochen. 

Peter. Es war ein hübſcher Mann, er ſieht recht wohl⸗ 
genährt aus. 

Breme. Freilich genoß er ruhigere Tage als ſein Enkel. 

Martin. Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters? 

Breme. Leider nein! Doch muß ich euch ſagen: die Natur, 
indem ſie meinen Vater Joſt Breme von Bremenfeld hervor⸗ 
brachte, hielt ihre Kräfte zuſammen, um euren Freund mit 
ſolchen Gaben auszurüſten, durch die er euch nützlich zu werden 
wünſcht.? Doch behüte der Himmel, daß ich mich über meine 
Vorfahren erheben ſollte; es wird uns jetzt viel leichter gemacht, 
und wir können mit geringern natürlichen Vorzügen eine große 
Rolle ſpielen. 

Martin. Nicht zu beſcheiden, Gevatter! 


10 


15 


20 


25 
Breme. Es iſt lauter Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zei⸗ 


tungen, der Monatsſchriften, der fliegenden Blätter ſo viel, aus 
denen wir uns unterrichten, an denen wir unſern Verſtand üben 
können! Hätte mein ſeliger Großvater nur den tauſendſten Teil 


dieſer Hülfsmittels gehabt, er wäre ein ganz anderer Mann 30 


1 Ludwig Holberg; vgl. S. 234 f. Goethe bezeichnet launig das Verhältnis feines 
Breme zu Holbergs Hermann von Bremen dadurch, daß er ihm dieſen eingebildeten 
Burgemeiſter zum leibhaftigen Ahnen gibt. — 2 Schalkhafte Anſpielung auf das 
zweite literariſche Modell (vgl. S. 235) zur Rolle des Breme. — 3 Holbergs „Polis 
tiſcher Kannegießer“ belehrt ſich aus den Staatsromanen „Herkules“ und „Her⸗ 
kuliskus“ von Andreas Heinrich Buchholz (Braunſchweig 1659 und 1665), aus dem 
galanten Romane „Der politiſche Stockfiſch“ von Joh. Riemer (Merſeburg 1681), 
den Staatsſchriften „Der Europäiſche Herold“ von Friedrich Leuthoff (Dresden 


Bi 


— 


e 
Beh La 


Die Aufgeregten: Erfter Aufzug. Siebenter Auftritt. 251 


geht, und ich fürchte, der Tag bricht an. Der Hahn macht uns 
aufmerkſam, daß wir uns kurz faſſen ſollen. Habt ihr Mut? 
| Albert. An mir und den Meinigen ſoll's nicht fehlen. 

5 Peter. Unter den Meinigen findet ſich wohl einer, der ſich 

4 an die Spitze ſtellt; ich verbitte mir den Auftrag. 

2 Martin. Seit den paar letzten Predigten, die der Magiſter 

g hielt, weil der alte Pfarrer ſo krank liegt, iſt das ganze große 

2 Dorf hier in Bewegung. 

10 Breme. Gut! jo kann was werden. Ich habe ausgerechnet, 
daß wir über ſechshundert Mann ſtellen können. Wollt ihr, ſo 
it in der nächſten Nacht alles getan. 

Martin. In der nächſten Nacht? 
Breme. Es ſoll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr 

15 ſollt wieder haben alles, was euch gebührt und mehr dazu. 

Peter. So geſchwind? wie wäre das möglich? 

Albert. Geſchwind oder gar nicht. i 

Breme. Die Gräfin kommt heute an, ſie darf ſich kaum 
beſinnen. Rückt nur bei einbrechender Nacht vor das Schloß 

20 und fordert eure Rechte, fordert eine neue Ausfertigung des alten 
Reverſes, macht euch noch einige kleine Bedingungen, die ich 
euch ſchon angeben will, laßt ſie unterſchreiben, laßt ſie ſchwören, 
und ſo iſt alles getan. 

Peter. Vor einer ſolchen Gewalttätigkeit zittern mir Arm' 

25 und Beine. 

Albert. Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern. 
Martin. Wie leicht können ſie uns aber ein Regiment 
Dragoner über den Hals ziehen. So arg dürfen wir's doch nicht 
machen. Das Militär, der Fürſt, die Regierung würden uns 
so ſchön zuſammenarbeiten. 

R Breme. Gerade umgekehrt. Das iſt's eben, worauf ich 

8 fuße. Der Fürſt iſt unterrichtet, wie ſehr das Volk bedruckt ſei. 

Er hat ſich über die Unbilligkeit des Adels, über die Langweilig⸗ 

keit! der Prozeſſe, über die Schikane der Gerichtshalter und 


\ 2 geworden. Doch Kinder, was rede ich von mir! Die Zeit ver⸗ 
a 
. 
. 


* 
1 0 
. 


1688) und „Der politiſche Nachtiſch“ (1695) und aus mehreren unter dem Namen 
„Staatskabinett“ verbreiteten Flugſchriften. — 1 Langwierigkeit. 


252 f pi _Revofutiontbramen 


Advokaten oft genug deutlich und ſtark erklärt, To daß man vor⸗ a 

ausſetzen kann, er wird nicht zürnen, wenn man fid arg ver 

ſchafft, da er es ſelbſt zu tun gehindert iſt. N 
Peter. Sollte das gewiß ſein? n 
Albert. Es wird im ganzen Lande davon geſprochen. 8 
Peter. Da wäre noch allenfalls was zu wagen. 5 
Breme. Wie ihr zu Werke gehen müßt, wie vor allen 

Dingen der abſcheuliche Gerichtshalter beiſeite muß, und auf 

wen noch mehr genau zu ſehen iſt, das ſollt ihr alles noch vor 

Abend erfahren. Bereitet eure Sachen vor, regt eure Leute an 10 

und ſeid mir heute abend um ſechſe beim Herrenbrunnen. Daß 

Jakob nicht kommt, macht ihn verdächtig, ja es iſt beſſer, daß 

er nicht gekommen iſt. Gebt auf ihn acht, daß er uns wenigſtens 

nicht ſchade; an dem Vorteil, den wir uns erwerben, wird er 

ſchon teilnehmen wollen. Es wird Tag, lebt wohl und bedenkt 18 

nur, daß, was geſchehen joll, ſchon geſchehen iſt. Die Gräfin 

kommt eben erſt von Paris zurück, wo ſie das alles geſehn und 

gehört hat, was wir mit ſo vieler Verwunderung leſen; vielleicht 

bringt fie ſchon ſelbſt mildere Geſinnungen mit, wenn ſie gelernt 4 

hat, was Menſchen, die zu ſehr gedruckt werden, endlich für ihre s 

Rechte tun können und müſſen. 5 
Martin. Lebt wohl, Gevatter, lebt wohl! Punkt ſechſe 

bin ich am Herrenbrunnen. 
Albert. Ihr ſeid ein tüchtiger Mann! Lebt wohl. 
Peter. Ich will Euch recht loben, wenn's gut abläuft. 5 
Martin. Wir wiſſen nicht, wie wir's Euch danken ſollen. 3 
Breme (mit Würde). Ihr habt Gelegenheit genug, mich zu 2 

verbinden. Das kleine Kapital z. E. von zweihundert Talern, 

das ich der Kirche ſchuldig bin, erlaßt ihr mir ja wohl. 
Martin. Das ſoll uns nicht reuen. Ä 30 
Albert. Unſere Gemeine iſt wohlhabend und wird auch gern 

was für Euch tun. N 

Breme. Das wird ſich finden. Das ſchöne Fleck, das Ge⸗ 

meindegut war und das der Gerichtshalter zum Garten ein⸗ 

zäunen und umarbeiten laſſen, das nehmt ihr wieder in Weft 25 

und überlaßt mir's. 5 


0 fer Butt, RS, 253 5 


Albert. | Das wökel wir 1 anſchen, das iſt ſchon ver⸗ 
5 . 

en Peter. Wir wollen auch nicht zurückbleiben. . 
Er Breme. Ihr habt ſelbſt einen hübſchen Sohn und ein 

Sb ſchönes Gut, dem könnt' ich meine Tochter geben. Ich bin nicht 

r ſtolz, glaubt mir, ich bin nicht ſtolz. Ich will Euch gern meinen 

Schwäher heißen. 

Peter. Das Mamſellchen iſt hübſch genug; nur iſt ſie ſchon | 

zu vornehm erzogen. 

10 Breme. Nicht vornehm, aber geſcheit. Sie wird ſich in 

jeden Stand zu finden wiſſen. Doch darüber läßt ſich noch vieles 
reden. Lebt jetzt wohl, meine Freunde, lebt wohl! 

Alle. So lebt denn wohl! 


| Zweiter Aufzug. 

Hs Erler Auftritt 

| Vorzimmer der Gräfin. Sowohl im Fond als an den Seiten hängen adlige 
Familienbilder in mannigfaltigen geiſtlichen und weltlichen Koſtümen. 


Der Amtmann tritt herein, und indem er ſich umſieht, ob niemand da iſt, kommt 
Luiſe von der andern Seite. 


20 Amtmann. Guten Morgen, Demoiſelle! Sind Ihro Ex⸗ 
zFbꝛellenz zu ſprechen? Kann ich meine untertänigſte Devotion zu 

Füßen legen? 

| Luiſe. Verziehen Sie einigen Augenblick, Herr Amtmann. 

Die Frau Gräfin wird gleich herauskommen. Die Bei ſchwerlich⸗ 

25 keiten der Reiſe und das Schrecken bei der Ankunft haben einige 

NRNuhe nötig gemacht. 

Amtmann. Ich bedaure von ganzem Herzen! Nach einer 

ſo langen Abweſenheit, nach einer ſo beſchwerlichen Reiſe ihren 

einzig geliebten Sohn in einem ſo ſchrecklichen Zuſtande zu fin⸗ 

20 den! Ich muß geſtehen, es ſchaudert mich, wenn ich nur daran 

denke. Ihro Exzellenz waren wohl ſehr alteriert? 

8 Luiſe. Sie können ſich leicht vorſtellen, was eine zärtliche, 
ſorgſame Mutter empfinden mußte, als fie ausſtieg, ins Haus 

trat und da die Verwirrung fand, nach ihrem Sohne fragte und 


954 Revolutionsdramen. 


aus ihrem Stocken und Stottern leicht schließe a ba em 
ein Unglück begegnet ſei. ö 
Amtmann. Ich bedaure von Herzen. Was fingen Sie an? 
Luiſe. Wir mußten nur geſchwind alles erzählen, damit 
ſie nicht etwas Schlimmeres beſorgte; wir mußten ſie zu dem 
Kinde führen, das mit verbundenem Kopf und blutigen Kleidern 


dalag. Wir hatten nur für Umſchläge geſorgt und ihn nicht 


ausziehen können. 


Amtmann. Es muß ein ſchrecklicher Anblick geweſen ſein. 


Luiſe. Sie blickte hin, tat einen lauten Schrei und fiel mir 
ohnmächtig in die Arme. Sie war untröſtlich, als fie wieder 
zu ſich kam, und wir hatten alle Mühe, ſie zu überführen, daß 
das Kind ſich nur eine ſtarke Beule gefallen, daß es aus der Naſe 
geblutet und daß keine Gefahr ſei. 

Amtmann. Ich möcht' es mit dem Hofmeiſter nicht teilen, 
der das gute Kind ſo vernachläſſigt. 

Luiſe. Ich wunderte mich über die Gelaſſenheit der Gräfin, 
beſonders da er den Vorfall leichter behandelte, als es ihm in 
dem Augenblick geziemte. 

Amtmann. Sie iſt gar zu gnädig, gar zu nachſichtig. 

Luiſe. Aber ſie kennt ihre Leute und merkt ſich alles. Sie 
weiß, wer ihr redlich und treu dient, ſie weiß, wer nur dem 
Schein nach ihr untertäniger Knecht ift, Sie kennt die Nach⸗ 
läſſigen ſo gut als die Falſchen, die Unklugen ſowohl 5 die 
Bösartigen. 

Amtmann. Sie ſagen nicht zu viel, es iſt eine vortreffliche 
Dame, aber eben deswegen! Der Hofmeiſter verdiente doch, daß 
ſie ihn geradezu wegſchickte. 

Luiſe. In allem, was das Schiefjal des Menſchen betrifft, 
geht ſie langſam zu Werke, wie es einem Großen geziemt. Es 
iſt nichts ſchrecklicher als Macht und Übereilung. 

Amtmann. Aber Macht und Schwäche ſind auch ein trau⸗ 
riges Paar. 


Luiſe. Sie werden der gnädigen Gräfin nicht nachſagen, 


daß ſie ſchwach ſei. 
Amtmann. Behüte Gott, daß ein ſolcher Gedanke einem 
alten, treuen Diener einfallen ſollte! Aber es iſt denn doch 


10 


15 


20 


25 


Se e Zweiter Aufzug. Erſter und 9 Auftritt. 255 


erlaubt, zum Vorteil ſeiner gnädigen Herrſchaft zu wünſchen, 
daß man manchmal mit mehr Strenge gegen Leute zu Werke 
4 gehe, die mit Strenge behandelt ſein wollen. 
3 5 Luiſe. Die Frau Gräfin! Guiſe tritt ab) 


* Zweiter Auftritt. 
Die Gräfin im Neglige. Der Amtmann. 

Amtmann. Euer Exzellenz haben zwar auf eine angenehme 
Weiſe, doch unvermutet, Ihre Dienerſchaft überraſcht, und wir 
bedauern nur, daß Dieſelben bei Ihrer Ankunft durch einen ſo 
10 traurigen Anblick erſchreckt worden. Wir hatten alle Anſtalten 
2 zu Dero Empfang gemacht: das Tannenreiſig zu einer Ehren⸗ 

pforte liegt wirklich ſchon im Hofe; die ſämtlichen Gemeinden 

wollten reihenweis an dem Wege ſtehen und Hochdieſelben mit 
einem lauten Vivat empfangen, und jeder freute ſich ſchon, bei 
I ꝗ45j5f einer fo feierlichen Gelegenheit ſeinen Feſttagsrock anzuziehen 
Auund ſich und feine Kinder zu putzen. 
3 Gräfin. Es iſt mir lieb, daß die guten Leute fich nicht zu 
* beiden Seiten des Wegs geſtellt haben, ich hätte ihnen unmög⸗ 
lich ein freundlich Geſicht machen können und Ihnen am we⸗ 
20 nigſten, Herr Amtmann! 
Amtmann. Wieſo? Wodurch haben wir Ew. Exzellenz 
Ungnade verdient? 
Gräfin. Ich kann nicht leugnen, ich war ſehr verdrießlich, 
5 als ich geſtern auf den abſcheulichen Weg kam, der gerade da 
295 anfängt, wo meine Beſitzungen angehen. Die große Reiſe hab' 
i ich fait auf lauter guten Wegen vollbracht, und eben, da ich 
wieder in das Meinige zurückkomme, find' ich ſie nicht nur 
ſchlechter wie vorm Jahr, ſondern ſo abſcheulich, daß ſie alle 
Übel einer ſchlechten Chauſſee verbinden. Bald tief ausgefahrne 
20 Löcher, in die der Wagen umzuſtürzen droht, aus denen die 
Pferde mit aller Gewalt ihn kaum herausreißen, bald Steine 
ohne Ordnung übereinander geworfen, daß man eine Viertel⸗ 
ſtunde lang ſelbſt in dem bequemſten Wagen aufs unerträglichſte 
| zuſammengeſchüttelt wird. Es ſollte mich wundern, wenn nichts 
35 daran beſchädigt wäre. 
3 Amtmann. Ew. Exzellenz werden mich nicht ungehört ver⸗ 


s Mn 


dammen; nur mein eifriges Beſtreben, Yin: n w Exzellenz Ge 
rechtſamen nicht das mindeſte zu vergeben, iſt N an ren 
üblen Zuſtande des Wegs. 8 
Gräfin. Ich verſtehe — | | = 
Amtmann. Sie erlauben, Ihrer tiefen Einficht m nur anheim⸗ * 
zuſtellen, wie wenig es mir hätte ziemen wollen, den wider⸗ 
ſpenſtigen Bauern auch nur ein Haar breit nachzugeben. Sie 
ſind ſchuldig, die Wege zu beſſern, und da Ew. Exzellenz Chauſſee 
befehlen, ſind ſie auch ſchuldig, die Chauſſee zu machen. 
Gräfin. Einige Gemeinden waren ja willig. 10 
Amtmann. Das iſt eben das Unglück. Sie fuhren die Steine 
an; als aber die übrigen widerſpenſtigen ſich weigerten und auch 
jene widerſpenſtig machten, blieben die Steine liegen und wur⸗ 
den nach und nach teils aus Notwendigkeit, teils aus Mutwillen 
in die Gleiſe geworfen, und da iſt nun der Weg freilich ein 8 15 
chen holprig geworden. 
Gräfin. Sie nennen das ein wenig holprig! 
Amtmann. Verzeihen Ew. Exzellenz, wenn ich ſogar ſage, 
daß ich dieſen Weg öfters mit vieler Zufriedenheit zurücklege. | 
Es iſt ein vortreffliches Mittel gegen die Hypochondrie, ſich der⸗ 0 
geſtalt zuſammenſchütteln zu laſſen. 
Gräfin. Das, geſteh' ich, iſt eine eigne Kurmethode. N 
Amtmann. Und freilich, da nun eben wegen dieſes Streites, 
welcher vor dem Kaiſerlichen Reichskammergericht auf das eif⸗ 
rigſte betrieben wird, ſeit einem Jahre an keine Wegbeſſerung 25 
zu denken geweſen und überdies die Holzfuhren ſtark gehen, in 
dieſen letztern Tagen auch anhaltendes Regenwetter eingefallen, 
ſo möchte denn freilich jemanden, der gute Chauſſeen gewohnt 
iſt, unſere Straße gewiſſermaßen impraktikabel vorkommen. = 
Gräfin. Gewiſſermaßen? Ich dächte ganz und gar. 9 
Amtmann. Ew. Exzellenz belieben zu ſcherzen. Mann 
kommt doch noch immer fort — 1 
Gräfin, Wenn man nicht liegen bleibt. Und doch hab’ ich 3 
an der Meile ſechs Stunden zugebracht. = 
Amtmann. Ich vor einigen Tagen noch länger. Zweimal 35 
wurd' ich glücklich herausgewunden, das dritte Mal brach ein Rad, 
und ich mußte mich noch nur ſo hereinſchleppen laſſen. Aber . 7 


allen biete ernten © war 1 ich era a gutes Muts; denn 
ich bedachte, daß Ew. Exzellenz und Ihres Herrn Sohnes Ge⸗ 
rechtſame jalviert! find. Aufrichtig geſtanden, ich wollte auf 
ſolchen Wegen lieber von hier nach Paris fahren, als nur einen 
5 Finger breit nachgeben, wenn die Rechte und Befugniſſe meiner 
gnädigen Herrſchaft beſtritten werden. Ich wollte daher, Ew. 
Exzellenz dächten auch ſo, und Sie würden gewiß dieſen Weg 
nicht mit ſo viel Unzufriedenheit zurückgelegt haben. 
Gräfin. Ich muß ſagen, darin bin ich anderer Meinung, 
10 und gehörten dieſe Beſitztümer mir eigen, müßte ich mich nicht 
bloß als Verwalterin anſehen, ſo würde ich über manche Be⸗ 
denklichkeit hinausgehen, ich würde mein Herz hören, das mir 
BilÜligkeit gebietet, und meinen Verſtand, der mich einen wahren 
Vorteil von einem ſcheinbaren unterſcheiden lehrt. Ich würde 
15 großmütig ſein, wie es dem gar wohl anſteht, der Macht hat. 

Ich würde mich hüten, unter dem Scheine des Rechts auf For⸗ 
derungen zu beharren, die ich durchzuſetzen kaum wünſchen müßte, 
und die, indem ich Widerſtand finde, mir auf lebenslang den 

völligen Genuß eines Beſitzes rauben, den ich auf billige Weiſe 
20 verbeſſern könnte. Ein leidlicher Vergleich und der unmittelbare 
Gebrauch ſind beſſer als eine wohlgegründete Rechtsſache, die 
mir Verdruß macht, und von der ich nicht einmal den Vorteil 
für meine Nachkommen einſehe. 
5 Amtmann. Ew. Exzellenz erlauben, daß ich darin der ent⸗ 
25 gegengeſetzten Meinung ſein darf. Ein Prozeß iſt eine ſo reizende 
Sache, daß, wenn ich reich wäre, ich eher einige kaufen würde, 
um nicht ganz ohne dieſes Vergnügen zu leben. (ritt ab.) 
Gräfin. Es ſcheint, daß er ſeine Luft an unſern Beſitz⸗ 
tümern büßen will. 
20 Dritter Auftritt. 
; Gräfin. Magiſter. 
Magiſter. Darf ich fragen, gnädige Gräfin, wie Sie ſich 

befinden? 

| Gräfin. Wie Sie denken können, nach der Alteration, die 
55 mich bei meinem Eintritt überfiel. 


Sicher geſtellt, erhalten, gerettet. 
Goethe. XVIII. 17 


258 b tante eden. 


Magiſter. Es tat mir herzlich leid, doch hoff ic Jol es 5 


von keinen Folgen ſein. Überhaupt aber kann Ihnen ſchwerlich 
der Aufenthalt hier ſo bald angenehm werden, wenn Sie ihn 
mit dem vergleichen, den Sie vor kurzem genoſſen haben. 
Gräfin. Es hat auch große Reize, wieder zu Hauſe bei den 
Seinigen zu wohnen. 


5 


Magiſter. Wie oftmals hab' ich Sie um das Glück beneidet, i 


gegenwärtig zu ſein, als die größten Handlungen geſchahen, die 
je die Welt geſehen hat, Zeuge zu ſein des ſeligen Taumels, der 
eine große Nation in dem Augenblick ergriff, als ſie ſich zum 
erſtenmal frei und von den Ketten entbunden fühlte, die ſie ſo 
lange getragen hatte, daß dieſe ſchwere, fremde Laſt gleichſam 
ein Glied ihres elenden, kranken Körpers geworden. 

Gräfin. Ich habe wunderbare Begebenheiten geſehen, aber 
wenig Erfreuliches. 

Magiſter. Wenngleich nicht für die Sinne, doch für den 
Geiſt. Wer aus großen Abſichten fehlgreift, handelt immer 
lobenswürdiger, als wer dasjenige tut, was nur kleinen Ab⸗ 
ſichten gemäß iſt. Man kann auf dem rechten Wege irren und 
auf dem falſchen recht gehen — — | 


Vierter Auftritt. 


Die Vorigen. Luiſe. 


(Durch die Ankunft dieſes vorzüglichen Frauenzimmers wird die Lebhaftigkeit des 

Geſprächs erſt gemildert und ſodann die Unterredung von dem Gegenſtande gänz⸗ 

lich abgelenkt. Der Magiſter, der nun weiter kein Intereſſe findet, entfernt ſich, 
und das Geſpräch unter den beiden Frauenzimmern ſetzt ſich fort, wie folgt.) 


Gräfin. Was macht mein Sohn? Ich war eben im Begriff, 
zu ihm zu gehen. 

Luiſe. Er ſchläft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald 
wieder herumſpringen und in kurzer Zeit keine Spur der Be⸗ 
ſchädigung mehr übrig ſein. 


Gräfin. Das Wetter iſt gar zu übel, ſonſt ging' ich in den 5 


Garten. Ich bin recht neugierig, zu ſehen, wie alles gewachſen 
iſt und wie der Waſſerfall, wie die Brücke und die Felſenkluft 
ſich jetzt ausnehmen. 

Luiſe. Es iſt alles vortrefflich 990% die Wildniſſe, 


die Sie angelegt haben, ſcheinen natürlich zu ſein, ſie bezaubern 


15 


20 


Di Aufgeregten: Beier abe. Dritter und vierter Auftritt. 259 


eden, der ſie zum erftenmal ſieht, 925 auch mir bet ſie in 
einer ſtillen Stunde einen angenehmen Aufenthalt. Doch muß 
ich geſtehen, daß ich in der Baumſchule unter den fruchtbaren 

Bäumen lieber bin. Der Gedanke des Nutzens führt mich aus 
zb mir ſelbſt heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich ſonſt 
nicht empfinde. Ich kann ſäen, pfropfen, okulieren, und wenn⸗ 
gleich mein Auge keine maleriſche Wirkung empfindet, ſo iſt mir 
doch der Gedanke von Früchten höchſt reizend, die einmal, und 
wohl bald, jemanden erquicken werden. 

Gräfin. Ich ſchätze Ihre guten häuslichen Geſinnungen. 

Luiſe. Die einzigen, die ſich für den Stand ſchicken, der 
ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Willkür erlaubt iſt. 

Gräfin. Haben Sie den Antrag überlegt, den ich Ihnen 
in meinem letzten Briefe tat? Können Sie ſich entſchließen, 
i meiner Tochter Ihre Zeit zu widmen, als Freundin, als Ge⸗ 
fſellſchafterin mit ihr zu leben? 

Luiſe. Ich habe kein Bedenken, gnädige Gräfin. 

* Gräfin. Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu 
tmeunn. Die wilde und unbändige Gemütsart meiner Tochter macht 
20 ihren Umgang unangenehm und oft ſehr verdrießlich. So leicht 

mein Sohn zu behandeln iſt, ſo ſchwer iſt es meine Tochter. 

Luiſe. Dagegen iſt ihr edles Herz, ihre Art zu handeln 
aller Achtung wert. Sie iſt heftig, aber bald zu beſänftigen, 
Auunbillig, aber gerecht, ſtolz, aber menſchlich. 
25 Gräfin. Hierin iſt fie ihrem Vater — — 

Luiſe. Außerſt ähnlich. Auf eine ſehr ſonderbare Weiſe 
ſcheint die Natur in der Tochter den rauhen Vater, in dem 
Sohne die zärtliche Mutter wieder hervorgebracht zu haben. 
Grüfin. Verſuchen Sie, Luiſe, dieſes wilde, aber edle Feuer 
30 zu dämpfen. Sie beſitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In 
Ihrer Nähe, durch Ihr Beiſpiel wird ſie gereizt werden, ſich 
nach einem Muſter zu bilden, das ſo liebenswürdig iſt. 
Quͤiſe. Sie beſchämen mich, gnädige Gräfin. Ich kenne an 

mir keine Tugend als die, daß ich mich bisher in mein Schickſal 
85 zu finden wußte, und ſelbſt dieſe hat kein Verdienſt mehr, ſeit⸗ 
dem Sie, gnädige Gräfin, ſo viel getan haben, um es zu erleich⸗ 
tern. Sie tun jetzt noch mehr, da Sie mich näher an ſich heran⸗ 
2 88 


2 Revetutionsbeomen. 


260 


ziehen. Nach dem Tode mene Vaters 95 Sr Um turz meiner 
Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht geftteten 
und verſtändigen Umgang. 
Gräfin. Bei Ihrem Onkel müſſen Sie von dieser Seite viel 8 
ausſtehen. ä 
Luiſe. Es iſt ein guter Mann, aber ſeine Einbildung macht x 
ihn oft höchſt albern, beſonders feit der letzten Zeit, da jeder ein 
Recht zu haben glaubt, nicht nur über die großen Welthändel 
zu reden, ſondern auch darin mitzuwirken. = 
Gräfin. Es geht ihm wie ſehr vielen. 10 
Luiſe. Ich habe manchmal meine Bemerkungen im ſtillen 
darüber gemacht. Wer die Menſchen nicht kennte, würde ſie jetzt 
leicht kennen lernen. So viele nehmen ſich der Sache der Frei⸗ 
heit, der allgemeinen Gleichheit an, nur um für ſich eine Aus⸗ 
nahme zu machen, nur um zu wirken, es ſei, auf welche Art 
es wolle. 
5 Gräfin, Sie hätten nichts mehr erfahren können, und wenn 
Sie mit mir in Paris geweſen wären. 


Fünfter Auftritt. i 
Friederike. Der Baron. Die Vorigen. 20 
Friederike. Hier, liebe Mutter, ein Haſe und zwei Feld⸗ 
hühner! Ich habe die drei Stücke geſchoſſen, der Vetter hat 
immer gepudelt. | 
Gräfin. Du ſiehſt wild aus, Friederike; wie du durch⸗ 
näßt biſt! 25 
Friederike (das Waſſer vom Hute abſchwingend). Der erſte glück⸗ = 
liche Morgen, den ich ſeit langer Zeit gehabt habe. 3 
Baron. Sie jagt mich nun ſchon vier Stunden im Felde 1 
herum. J 
Friederike. Es war eine rechte Luſt. Gleich nach Tiſche g 
wollen wir wieder hinaus. | 
Gräfin. Wenn du's jo heftig treibt, wirſt du es bald über⸗ 
drüſſig werden. 
Friederike. Geben Sie mir das Zeugnis, liebe Mama! wie 
oft hab' ich mich aus Paris wieder nach unſern Revieren ge⸗ 38 
ſehnt. Die Opern, die Schauſpiele, die Geſellſchaften, die 


m 


3% 


. 8 8 
5 S e f 
c a ee 


| na 5 5 wo wir nt und 0 ſind. — 
Wir müſſen eheſter Tags hetzen, Vetter. N 
5 Baron. Sie werden noch warten müſſen, die Frucht iſt 
noch nicht aus dem Felde. 
Friederike. Was will das viel ſchaden, es iſt faſt von gar 
Feiner Bedeutung. Sobald es ein bißchen aufgetrocknet, wollen 

wir hetzen. 

I: Gräfin. Geh, zieh dich um! Ich vermute, daß wir zu Tiſche 
noch einen Gaſt haben, der ſich nur kurze Zeit bei uns aufhal⸗ 
ten kann. 

Baron. Wird der Hofrat kommen? 5 
Gräfin, Er verſprach mir, heute wenigſtens auf ein Stünd⸗ 

15 chen einzuſprechen. Er geht auf Kom miſſion. 
. Baron. Es ſind einige Unruhen im Lande. 
| Gräfin. Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man ſich 
nur vernünftig gegen die Menſchen beträgt und ihnen ihren 

wahren Vorteil zeigt. 

20 Friederike. Unruhen? Wer will Unruhen anfangen? 
f Baron. Mißvergnügte Bauern, die von ihren Herrichaften 
gedruckt werden, und die leicht Anführer finden. 

Friederike. Die muß man auf den Kopf ſchießen. (Sie macht 
Bewegungen mit der Flinte.) Sehen Sie, gnädige Mama, wie mir 
25 der Magiſter die Flinte verwahrlost hat! Ich wollte ſie doch 
mitnehmen, und da Sie es nicht erlaubten, wollte ich fie dem 
Jager aufzuheben geben. Da bat mich der Graurock ſo inſtän⸗ 
dig, ſie ihm zu laſſen; ſie ſei ſo leicht, ſagt' er, ſo bequem, er 

wolle ſie ſo gut halten, er wolle ſo oft auf die Jagd gehen. Ich 
30 ward ihm wirklich gut, weil er jo oft auf die Jagd gehen wollte, 
und nun, ſehen Sie, find' ich fie heute in der Geſindeſtube hin⸗ 

term Ofen. Wie das ausſieht! Sie wird in meinem Leben 
nicht wieder rein. 
Baron. Er hatte die Zeit her mehr zu tun; er arbeitet mit 
an der allgemeinen Gleichheit, und da hält er wahrſcheinlich die 
Haſen auch mit für RN und ſcheut fich, ihnen was zu⸗ 
leide zu tun. 


262 Revolutionsbramen. 0 5 


Gräfin. Zieht euch an, Kinder, damit wir nicht zu warten 


brauchen. Sobald der Hofrat kommt, wollen wir eſſen. (ub. 

Friederike ihre Zlinte beſehend). Ich habe die franzöſiſche Re⸗ 
volution ſchon ſo oft verwünſcht, und jetzt tu' ich's doppelt und 
dreifach. Wie kann mir nun der Schaden erſetzt werden, daß 
meine Flinte roſtig iſt? 


Dritter Außzug. 
Erſter Auftritt. 


Saal im Schloſſe. 
f Gräfin. Hofrat, 

Gräfin. Ich geb' es Ihnen recht aufs Gewiſſen, teurer 
Freund. Denken Sie nach, wie wir dieſem unangenehmen Pro⸗ 
zeſſe ein Ende machen. Ihre große Kenntnis der Geſetze, Ihr 
Verſtand und Ihre Menſchlichkeit helfen gewiß ein Mittel finden, 
wie wir aus dieſer widerlichen Sache ſcheiden können. Ich habe 
es ſonſt leichter genommen, wenn man unrecht hatte und im 
Beſitz war; je nun, dacht' ich, es geht ja wohl ſo hin, und wer 
hat, iſt am beſten dran. Seitdem ich aber bemerkt habe, wie 
ſich Unbilligkeit von Geſchlecht zu Geſchlecht ſo leicht aufhäuft, 
wie großmütige Handlungen meiſtenteils nur perſönlich ſind und 
der Eigennutz allein gleichſam erblich wird; ſeitdem ich mit Augen 


geſehen habe, daß die menſchliche Natur auf einen unglaublichen 


Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und ver⸗ 
nichtet werden kann: ſo habe ich mir feſt vorgenommen, jede 
einzelne Handlung, die mir unbillig ſcheint, ſelbſt ſtreng zu ver⸗ 
meiden und unter den Meinigen, in Geſellſchaft, bei Hofe, in 
der Stadt über ſolche Handlungen meine Meinung laut zu ſagen. 


10 


2 


5 


Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr ſchweigen, keine Kleinheit 


unter einem großen Scheine ertragen, und wenn ich auch unter 
dem verhaßten Namen einer Demokratin verſchrieen werden ſollte. 

Hofrat. Es iſt ſchön, gnädige Gräfin, und ich freue mich, 
Sie wiederzufinden, wie ich Abſchied von Ihnen genommen, 


und noch ausgebildeter. Sie waren eine Schülerin der großen 


Männer, die uns durch ihre Schriften in Freiheit geſetzt haben, 


und nun finde ich in Ihnen einen Zögling der großen Begeben⸗ 


Die Aufgeregten: Dritter Aufzug. Erſter Auftritt. 263 


heiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von allem, was 
der wohldenkende Staatsbürger wünſchen und verabſcheuen muß. 
Es ziemt Ihnen, Ihrem eignen Stande Widerpart zu halten. 
Ein jeder kann nur ſeinen eignen Stand beurteilen und tadeln. 
Aller Tadel heraufwärts oder hinabwärts iſt mit Nebenbegriffen 
und Kleinheiten vermiſcht, man kann nur durch ſeinesgleichen 
gerichtet werden. Aber ebendeswegen, weil ich ein Bürger bin, 
der es zu bleiben denkt, der das große Gewicht des höheren 
Standes im Staate anerkennt und zu ſchätzen Urſache hat, bin 
ich auch unverſöhnlich gegen die kleinlichen neidiſchen Neckereien, 
gegen den blinden Haß, der nur aus eigner Selbſtigkeit erzeugt 
wird, prätentios Prätentionen bekämpft, ſich über Formalitäten 
formaliſiert und, ohne ſelbſt Realität zu haben, da nur Schein 
ſieht, wo er Glück und Folge ſehen könnte. Wahrlich! Wenn alle 
Vorzüge gelten ſollen, Geſundheit, Schönheit, Jugend, Reich⸗ 
tum, Verſtand, Talente, Klima, warum ſoll der Vorzug nicht 
auch irgend eine Art von Gültigkeit haben, daß ich von einer 
Reihe tapferer, bekannter, ehrenvoller Väter entſprungen bin! 
Das will ich ſagen da, wo ich eine Stimme habe, und wenn 
man mir auch den verhaßten Namen eines Ariſtokraten zueignete. 

(Hier findet ſich eine Lücke, welche wir durch Erzählung ausfüllen. 
Der trockne Ernſt dieſer Szene wird dadurch gemildert, daß der Hofrat 
ſeine Neigung zu Luiſen bekennt, indem er ſich bereit zeigt, ihr ſeine 
Hand zu geben. Ihre frühern Verhältniſſe, vor dem Umſturz, den 
Luiſens Familie erlitt, kommen zur Sprache ſowie die ſtillen Be⸗ 
mühungen des vorzüglichen Mannes, ſich und zugleich Luiſen eine 
Exiſtenz zu verſchaffen. 

Eine Szene zwiſchen der Gräfin, Luiſen und dem Hofrat gibt Ge⸗ 
legenheit, drei ſchöne Charaktere näher kennen zu lernen und uns für 
das, was wir in den nächſten Auftritten erdulden ſollen, vorläufig 
einigermaßen zu entſchädigen. Denn nun verſammelt ſich um den Tee⸗ 
tiſch, wo Luiſe einſchenkt, nach und nach das ganze Perſonal des Stücks, 
ſo daß zuletzt auch die Bauern eingeführt werden. Da man ſich nun 
x nicht enthalten kann, von Politik zu ſprechen, fo tut der Baron, welcher 
35 Leichtſinn, Frevel und Spott nicht verbergen kann, den Vorſchlag, ſo⸗ 
gleich eine Nationalverſammlung vorzuſtellen. Der Hofrat wird zum 
Präſidenten erwählt, und die Charaktere der Mitſpielenden, wie man 

ſie ſchon kennt, entwickeln ſich freier und heftiger. Die Gräfin, das 
Söhnchen mit verbundenem Kopfe neben ſich, ſtellt die Fürſtin vor, 


Geſinnungen 1 geneigt iſt. Der Hofrat, verjtänt 9 d ge⸗ 
mäüßigt, ſucht ein Gleichgewicht zu erhalten, ein Bemühen, das jeden 


Augenblick ſchwieriger wird. Der Baron ſpielt die Rolle des Edelmanns, 
der von ſeinem Stande abfällt und zum Volke übergeht. Durch ſeine 


ſchelmiſche Verſtellung werden die andern gelockt, ihr Innerſtes hervor 


zukehren. Auch Herzensangelegenheiten miſchen ſich mit ins Spiel. 


Der Baron verfehlt nicht, Karolinen die ſchmeichelhafteſten Sachen zu 


ſagen, die ſie zu ihren ſchönſten Gunſten auslegen kann. An der Heftig⸗ 


keit, womit Jakob die Gerechtſame des gräflichen Hauſes verteidigt, 
läßt ſich eine ſtille, unbewußte Neigung zu der jungen Gräfin nicht 


verkennen. Luiſe ſieht in allem dieſem nur die Erſchütterung des häus⸗ 


lichen Glücks, dem ſie ſich ſo nahe glaubt, und wenn die Bauern mit⸗ 


unter ſchwerfällig werden, ſo erheitert Bremenfeld die Szene durch 
ſeinen Dünkel, durch Geſchichtchen und guten Humor. Der Magiſter, 
wie wir ihn ſchon kennen, überſchreitet vollkommen die Grenze, und 
da der Baron immerfort hetzt, läuft es endlich auf Perſönlichkeiten 
hinaus, und als nun vollends die Brauſche des Erbgrafen als unbe⸗ 
deutend, ja lächerlich behandelt wird, ſo bricht die Gräfin los, und die 
Sache kommt ſo weit, daß dem Magiſter aufgekündigt wird. Der Baron 
verſchlimmert das Übel, und er bedient ſich, da der Lärm immer ſtärker 
wird, der Gelegenheit, mehr in Karolinen zu dringen und ſie zu einer 
heimlichen Zuſammenkunft für die Nacht zu bereden. Bei allem dieſem 
zeigt ſich die junge Gräfin entſchieden heftig, parteiiſch auf ihren Stand, 
hartnäckig auf ihren Beſitz, welche Härte jedoch durch ein unbefangenes, 
rein natürliches und im tiefſten Grunde rechtliches weibliches Weſen 
bis zur Liebenswürdigkeit gemildert wird. Und ſo läßt ſich einſehen, 
daß der Akt ziemlich tumultuariſch und, inſofern es der bedenkliche 
Gegenſtand erlaubt, für das Gefühl nicht ganz unerträglich geendigt 
wird. Vielleicht bedauert man, daß der Verfaſſer die Schwierigkeiten 
einer ſolchen Szene nicht zur rechten Zeit zu überwinden bemüht war.) 


Vierter Außug. 
Erſter Auftritt. 


Bremens Wohnung. 
Breme. Martin. Albert. 


Breme. Sind eure Leute alle an ihren Poſten? Habt ihr 


ſie wohl unterrichtet? Sind ſie gutes Muts? 


10 


0 


Me da fe 

8 Breme. So iſt's recht! Wenn im Schloſſe die Lichter alle 

8 aus find, wenn es Mitternacht iſt, ſoll es gleich angehen. Unſer 

5 Glück iſt's, daß der Hofrat fortgeht. Ich fürchtete ſehr, er möchte | 

bleiben und uns den ganzen Spaß verderben. 15 

| Albert. Ich fürchte jo noch immer, es geht nicht gut ab. 

Es iſt mir ſchon zum voraus bange, die Glocke zu hören. 

Breme. Seid nur ruhig. Habt ihr nicht heute ſelbſt gehört, 
10 wie übel es jetzt mit den vornehmen Leuten ſteht? Habt ihr 

5 gehört, was wir der Gräfin alles unters Geſicht geſagt haben? 
Martin. Es war ja aber nur zum Spaß. 

Albert. Es war ſchon zum Spaße grob genug. 


5 weiß? Wenn's Ernſt gilt, will ich jo vor den Kaiſer treten. Und 
was ſagt ihr zum Herrn Magiſter, hat ſich der nicht auch wacker 
gehalten? 
Albert. Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich 
dachte zuletzt, es würde Schläge ſetzen; und unſere gnädige Kon- 
20 teß, war's doch, als wenn ihr ſeliger Herr Vater leibhaftig 
daſtünde. | 
Breme. Laßt mir das Gnädige weg, es wird fich bald 
nichts mehr zu gnädigen haben. Seht, hier hab' ich die Briefe 
ſchon fertig, die ſchick' ich in die benachbarten Gerichtsdörfer. 
25 Sobald's hier losgeht, ſollen die auch ſtürmen und rebellieren 
85 und auch ihre Nachbarn auffordern. 
Martin. Das kann was werden. 
= Breme. Freilich! Und alsdann Ehre, dem Ehre gebührt! 
Euch, meine lieben Kinder. Ihr werdet als die Befreier des 
30 Landes angeſehn. 5 
Martin. Ihr, Herr Breme, werdet das größte Lob davon⸗ 
tragen. 
Breme. Nein, das gehört ſich nicht; es muß jetzt alles ge⸗ 
mein ſein. 
Martin. Indeſſen habt Ihr's doch angefangen. 
Breme. Gebt mir die Hände, brave Männer! So ſtanden 
einſt die drei großen Schweizer, Wilhelm Tell, Walter Staub⸗ 


Breme. Habt ihr gehört, wie ich eure Sache zu verfechten | 


266 Revolutionsdramen. 


bach, Fürſt von Uri, die ſtanden 1 dent Gl bel 
ſammen und ſchwuren den Tyrannen ew'gen Haß und ihren Mit⸗ 
genoſſen ewige Freiheit. Wie oft hat man dieſe wackern Helden 
gemalt und in Kupfer geſtochen! Auch uns wird dieſe Ehre 
widerfahren. In dieſer Poſitur werden wir auf die Nachwelt 5 
kommen. 

Martin. Wie Ihr Euch das alles ſo denken könnt. 

Albert. Ich fürchte nur, daß wir im Karrn eine böſe Figur 
machen können. Horcht! Es klingelt jemand. Mir zittert das 
Herz im Leibe, wenn ſich nur was bewegt. 10 

Breme. Schämt Euch! Ich will aufziehen. Es wird der 
Magiſter ſein, ich habe ihn herüberbeſtellt. Die Gräfin hat ihm 
den Dienſt aufgeſagt; die Konteß hat ihn ſehr beleidigt. Wir 
werden ihn leicht in unſere Partei ziehen. Wenn wir einen Geiſt⸗ 
lichen unter uns haben, find wir unſerer Sache deſto gewiſſer. 15 

Martin. Einen Geiſtlichen und Gelehrten. 

Breme. Was die Gelehrſamkeit betrifft, geb ich ihm nichts 
nach, und beſonders hat er weit weniger politiſche Lektüre als 
ich. Alle die Chroniken, die ich von meinem ſeligen Großvater | 
geerbt habe?, waren in meiner Jugend ſchon durchgeleſen, und 0 
das „Theatrum Europaeum“3 kenn' ich in⸗ und auswendig. Wer 
recht verſteht, was geſchehen iſt, der weiß auch, was geſchieht 
und geſchehen wird. Es iſt immer einerlei; es paſſiert in der 
Welt nichts Neues. Der Magiſter kommt. Halt! wir müſſen 
ihn feierlich empfangen. Er muß Reſpekt vor uns kriegen. Wir 25 
ſtellen jetzt die Repräſentanten der ganzen Nation gleichſam in 
nuce! vor. Setzt euch. 

Er ſetzt drei Stühle auf die eine Seite des Theaters, auf die andere einen Stuhl. f 


Die beiden Schulzen ſetzen ſich, und wie der Magiſter hereintritt, ſetzt ſich Breme 1 
geſchwind in ihre Mitte und nimmt ein gravitätiſches Weſen an.) 830 
1 Die (abfichtlihen) Entſtellungen der Ortsbezeichnung wie der Perſonen⸗ 1 


namen ſollen die Unbildung Bremes kennzeichnen, ein Mittel, das ebenſo Holberg 
anwendet. Vgl. auch Bd. 7, S. 158, Anm. 1 dieſer Ausgabe. — 2 Vgl. S. 250, Z. 1 ff. — 
3 Ein chronikenartiges Sammelwerk zur Zeitgeſchichte, das, von J. Ph. Abelin und 
anderen herausgegeben, 1635 ff. in Frankfurt a. M. erſchien. Bei Holberg, Auf⸗ 
zug 1, Auftritt 4, ſagt Hermann: „Den politiſchen Nachtiſch kann ich ſchon an den 
Fingern.“ — ! Im kleinen, klein, aber fein; wörtlich: „in der Nuß“, fo genannt 8 
von den feinen, in Nüſſe gefaßten Nachbildungen in Elfenbein. 


Die Aufgeregten: Vierter Aufzug. Erſter und zweiter Auftritt. 267 


Zweiter Auftritt. 
> Die Vorigen. Der Magiſter. 

5 Magifter, Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? 
Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, ſagten Sie. 

5 Breme. Etwas ſehr Wichtiges, gewiß! Setzen Sie ſich. 
Magiſter (will den einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen rücken). 
Breme. Nein, bleiben Sie dort, ſitzen Sie dort nieder! 

Wir wiſſen noch nicht, ob Sie an unſerer Seite niederſitzen wollen. 
Magiſter. Eine wunderbare Vorbereitung. 

0 Breme. Sie ſind ein Mann, ein freigeborner, ein freidenken⸗ 
der, ein geiſtlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie ſind ehrwürdig, 
weil Sie geiſtlich ſindi, und noch ehrwürdiger, weil Sie frei 
ſind. Sie find frei, weil Sie edel find, und find ſchätzbar, weil 
Sie frei find. Und nun! Was haben wir erleben müſſen! Wir 
15 ſahen Sie verachtet, wir ſahen Sie beleidigt; aber wir haben 
zugleich Ihren edlen Zorn geſehen, einen edlen Zorn, aber ohne 
Wirkung. Glauben Sie, daß wir Ihre Freunde ſind, ſo glauben 
Sie auch, daß ſich unſer Herz im Buſen umkehrt, wenn wir Sie 
verkehrt behandelt ſehen. Ein edler Mann und verhöhnt, ein 
20 freier Mann und bedroht, ein geiſtlicher Mann und verachtet, 
ein treuer Diener und verſtoßen! Zwar verhöhnt von Leuten, 
die ſelbſt Hohn verdienen, verachtet von Menſchen, die keiner 
Achtung wert find, verſtoßen von Undankbaren, deren Wohl⸗ 
taten man nicht genießen möchte, bedroht von einem Kinde, von 
25 einem Mädchen, — das ſcheint freilich nicht viel zu bedeuten; 
aber wenn Ihr bedenkt, daß dieſes Mädchen kein Mädchen, ſon⸗ 
dern ein eingefleiſchter Satan iſt, daß man ſie Legion nennen 
ſollte, denn es ſind viele tauſend ariſtokratiſche Geiſter in ſie 
gefahren, ſo ſeht Ihr deutlich, was uns von allen Ariſtokraten 
so bevorſteht, Ihr ſeht es, und wenn Ihr klug ſeid, jo nehmt Ihr 
Eure Maßregeln. 
Magiſter. Wozu ſoll diese ſonderbare Rede? Wohin wird 
Euch der ſeltſame Eingang führen? Sagt Ihr das, um meinen 
Zorn gegen dieſe verdammte Brut noch mehr zu erhitzen, um 


A; 
— 


1 Freie Nachbildung der Redeweiſe des Brutus in Shakeſpeares „Julius 
FCäſar“, Aufzug 3, Auftritt 2, Anfang der Proſarede. 


4 werber amen. 


2208 


meine aufs äußerſte getriebene Empfindlichkeit oe mehr anzeigen? 
Schweigt ſtille! Wahrhaftig, ich wüßte nicht, wozu mein ge⸗ 
kränktes Herz jetzt nicht alles fähig wäre. Was! Nach ſo vielen 
Dienſten, nach ſo vielen Aufopferungen mir ſo zu begegnen, 
mich vor die Türe zu ſetzen! Und warum? Wegen einer elenden 5 SS. 
Beule, wegen einer gequetſchten Naſe, mit der jo viele hundert 
Kinder auf⸗ und davonſpringen. Aber es kommt eben recht, eben 

recht! Sie wiſſen nicht, die Großen, wen ſie in uns beleidigen, 

die wir Zungen, die wir Federn haben. f 

Breme. Dieſer edle Zorn ergetzt mich, und fo frage ich 0 
Euch denn im Namen aller edlen, freigebornen, der Freiheit 
werten Menſchen, ob Ihr dieſe Zunge, dieſe Feder von nun an 
dem Dienſte der Freiheit völlig widmen wollt? 

Magiſter. O ja, ich will, ich werde! 

Breme. Daß Ihr keine Gelegenheit verſäumen wollt, zu 1⁵ 
dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menſch⸗ 
heit emporſtrebt? 

Magiſter. Ich gebe Euch mein Wort. 

Breme. So gebt mir Eure Hand, mir und dieſen Männern. 5 

Magiſter. Einem jeden; aber was haben dieſe armen Leute, 0 
die wie Sklaven behandelt werden, mit der Freiheit zu tun? 8 

Breme. Sie find nur noch eine Spanne davon, nur jo breit, 
als die Schwelle des Gefängniſſes iſt, an deſſen eröffneter Tre 
ſie ſtehen. “ 

Magiſter. Wie? 25 

Breme. Euer Ehrenwort, daß Ihr ſchweigen werdet! a 

Magiſter. Ich gebe es. 

Breme. Der Augenblick iſt nahe, bie Gemeinden find ver⸗ 
ſammelt, in einer Stunde find fie hier. Wir überfallen das 
Schloß, nötigen die Gräfin zur Unterſchrift des Rezeſſes und 30 
zu einer eidlichen Verſicherung, daß künftighin alle drückenden 
Laſten aufgehoben ſein ſollen. 

Magiſter. Ich erſtaune! 

Breme. Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. 
Die vornehmen Leute glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid 5 
ſchwören und ſich davon entbinden laſſen. Man wird ihr bes- 
weiſen, daß ein gezwungener Eid nichts gelte. 8 


Magiſter. Dafür will ih: Rat fan Diele Menschen, | 
die fich über alles wegſetzen, ihresgleichen behandeln wie das 

Vieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag 
hineinleben, ſolange ſie mit Menſchen zu tun haben, die ſie 
s nicht ſchätzen, ſolange fie von einem Gott ſprechen, den fie nicht 


geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendigen Kräfte 
der Natur durchſchwebt, kann die Verbindung ſich nicht leugnen, 
in der Worte und Wirkung, Tat und Folge ewig miteinander 
10 bleiben. Laßt ſie einen feierlichen Eid tun. 

Martin. Sie ſoll in der Kirche ſchwören. 

Breme. Nein, unter freiem Himmel. b 
Magiſter. Das iſt nichts. Dieſe feierlichen Szenen rühren 
nur die Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Um 
15 gebt fie, laßt fie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes 
Haupt legen, bei dieſem geliebten Haupte ihr Verſprechen be⸗ 
teuern und alles Übel, was einen Menſchen betreffen kann, auf 
dieſes kleine Gefäß herabrufen, wenn ſie unter irgend einem Vor⸗ 
wande ihr Verſprechen zurücknähme oder zugäbe, daß es ver⸗ 
2⁰ eitelt würde. | 

Breme. Herrlich! 

Martin. Schrecklich! 

Albert. Entſetzlich! 

Magiſter. Glaubt mir, ſie iſt auf ewig gebunden. 

25 Breme. Ihr ſollt zu ihr i in den Kreis treten und ihr das 
Gewiſſen ſchärfen. 

8 Magiſter. An allem, was ihr tun wollt, nehm' ich Anteil, 
nur ſagt mir, wie wird man es in der Reſidenz anſehen? Wenn 
ſie euch Dragoner ſchicken, ſo ſeid ihr alle gleich verloren. 

50 Martin. Da weiß Herr Breme ſchon Rat. : 

Albert. Ja, was das für ein Kopf ift! 

Magiſter. Klärt mich auf. 

Breme. Ja, ja, das iſt's nun eben, was man hinter Her⸗ 
mann Breme dem Zweiten nicht ſucht. Er hat Konnexionen, 
35 Verbindungen da, wo man glaubt, er habe nur Kunden. So 
viel kann ich Euch nur ſagen, und es wiſſen's dieſe Leute, daß 
der Fürſt ſelbſt eine Revolution wünſcht. 


erkennen: dieſes übermütige Geſchlecht kann ſich doch von dm 


270 | Revolutionsdramen. 5 


Magiſter. Der Fürſt? 

Breme. Er hat die Geſinnungen Friedrichs und Josephs 
der beiden Monarchen, welche alle wahre Demokraten als ihre 
Heiligen anbeten ſollten. Er iſt erzürnt, zu ſehen, wie der Bürger⸗ 
und Bauernſtand unterm Druck des Adels ſeufzt, und leider kann 


er ſelbſt nicht wirken, da er von lauter Ariſtokraten umgeben iſt. 


Haben wir uns nur aber erſt legitimiert, dann ſetzt er ſich an 


unſere Spitze, und ſeine Truppen ſind zu unſern Dienſten, und 


Breme und alle braven Männer ſind an ſeiner Seite. 

Magiſter. Wie habt Ihr das alles erforſcht und getan und 
habt Euch nichts merken laſſen? 

Breme. Man muß im ſtillen viel tun, um die Welt zu 
überraſchen. (Gr geht ans Zenfter) Wenn nur erſt der Hofrat fort 
wäre, dann ſolltet Ihr Wunder ſehen. 

Martin (auf Bremen deutend). Nicht wahr, das iſt ein Mann! 

Albert. Er kann einem recht Herz machen. 

Breme. Und, lieber Magiſter, die Verdienſte, die Ihr Euch 
dieſe Nacht erwerbt, dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten 
heute fürs ganze Vaterland. Von unſerm Dorfe wird die Sonne 
der Freiheit aufgehen. Wer hätte das gedacht! 

Magiſter. Befürchtet Ihr keinen Widerſtand? 

Breme. Dafür iſt ſchon geſorgt. Der Amtmann und die 
Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrat 
geht weg, die paar Bedienten wollen nichts ſagen, und der Baron 
iſt nur der einzige Mann im Schloſſe, den locke ich durch meine 
Tochter herüber ins Haus und ſperre ihn ein, bis alles vorbei iſt. 

Martin. Wohl ausgedacht. 

Magiſter. Ich verwundere mich über Eure Klugheit. 

Breme. Nu, nu! wenn es Gelegenheit gibt, ſie zu zeigen, 
ſollt Ihr noch mehr ſehen, beſonders was die auswärtigen An⸗ 
gelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts über einen 
guten Chirurgus, beſonders wenn er dabei ein geſchickter Barbier 
iſt. Das unverſtändige Volk ſpricht viel von Bartkratzern und 
bedenkt nicht, wie viel dazu gehört, jemanden zu barbieren, eben 
daß es nicht kratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr 
Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen dieſe 
garſtigen barbariſchen Exkremente der Natur, dieſe Barthaare, 


— 


0 


— 


5 


20 


88 


m 


Die Aufgeregten: Vierter Aufzug. Zweiter Auftritt. 271 


womit ſie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinwegzu⸗ 
nehmen und den Mann dadurch an Geſtalt und Sitten einer 
glattwangigen Frau, einem zarten, liebenswürdigen Jüngling 
ähnlich zu machen. Komme ich dereinſt dazu, mein Leben und 
5 Meinungen aufzuſetzen, ſo ſoll man über die Theorie der Barbier⸗ 
kunſt erſtaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheits⸗ 
regeln herleiten will. a 
Magiſter. Ihr ſeid ein originaler Kopf. 5 
Breme. Ja, ja, das weiß ich wohl, und deswegen habe 
10 ich auch den Leuten verziehen, wenn ſie mich oft nicht begreifen 
konnten, und wenn ſie, albern genug, glaubten, mich zum beſten 
zu haben. Aber ich will ihnen zeigen, daß, wer einen rechten 
Seifenſchaum zu ſchlagen weiß, wer mit Leichtigkeit, Bequemlich⸗ 
keieit und Gewandtheit der Finger einzuſeifen, den ſprödeſten Bart 
15 zahm zu machen verſteht, wer da weiß, daß ein friſch abgezognes 
Meſſer ebenſogut rauft als ein ſtumpfes, wer mit dem Strich 
oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als wären ſie gar 
nicht dageweſen, wer dem warmen Waſſer zum Abwaſchen die 
gehörige Temperatur verleiht und ſelbſt das Abtrocknen mit Ge⸗ 
20 fälligkeit verrichtet und in ſeinem ganzen Benehmen etwas Zier⸗ 
liches darſtellt, das iſt kein gemeiner Menſch, ſondern er muß 
alle Eigenſchaften beſitzen, die einem Miniſter Ehre machen. 
5 Albert. Ja, ja, es iſt ein Unterſchied zwiſchen Barbier und 
Barbier. 
25 Martin. Und Herr Breme beſonders, das iſt dir eine ordent⸗ 
liche Luſt. 5 
Breme. Nu, nu, es wird ſich zeigen. Es iſt bei der 
ganzen Kunſt nichts Unbedeutendes. Die Art, den Scherſack 
aus- und einzukramen, die Art, die Gerätſchaften zu halten, 
o ihn unterm Arm zu tragen, — ihr ſollt Wunder hören und 
ſehen. Nun wird's aber Zeit, daß ich meine Tochter vorkriege. 
Ihr Leute, geht an eure Poſten. Herr Magiſter, halten Sie ſich 
in der Nähe. 
Magiſter. Ich gehe in den Gaſthof, wohin ich gleich meine 
25 Sachen habe bringen laſſen, als man mir im Schloffe übel be⸗ 
gegnete. 
Breme. Wenn Sie ſtürmen hören, jo ſoll's Ihnen frei 


| woran ich gar nicht zweifele. f 
Magiſter. Ich werde nicht fehlen. at Er 
Breme. So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen 00 


Dritter Auftritt. . 
Breme (allein. Wie würde mein ſel'ger Großvater ſich freuen, 
wenn er ſehen könnte, wie gut ich mich in das neue Handwerk 
ſchicke. Glaubt doch der Magiſter ſchon, daß ich große Kon⸗ 
nexionen bei Hofe habe. Da ſieht man, was es tut, wenn man 
ſich Kredit zu machen weiß. Nun muß Karoline kommen. Sie 10 
hat das Kind ſo lange gewartet, ihre Schweſter! wird ſie ab⸗ 
löſen. Da iſt ſie. 
Vierter Auftritt. 
Breme. Karoline. 
Breme. Wie befindet ſich der junge Graf? 15 
Karoline. Recht leidlich. Ich habe ihm Märchen erzählt, 
bis er eingeſchlafen iſt. 
Breme. Was gibt's ſonſt im Schloſſe? 
Karoline. Nichts Merkwürdiges. an 
Breme. Der Hofrat ift noch nicht weg? 20 
Karoline. Er ſcheint Anſtalt zu machen. Sie binden BR = 
den Mantelſack auf. 
Breme. Haft du den Baron nicht gejehen? 
Karoline. Nein, mein Vater. 
Breme. Er hat dir heute in der Nationalverſammlung 25 
allerlei in die Ohren geraunt? 
Karoline. Ja, mein Vater. 
Breme. Das eben nicht die ganze Nation, ſondern meine 
Tochter Karoline betraf? — 
Karoline. Freilich, mein Vater. 30 
Breme. Du haſt dich doch klug gegen ihn zu benehmen Be 
gewußt? 
Karoline. O gewiß. 


1 Gegenüber S. 239, Z. 18 f., eine Ungenauigkeit ſtatt: ROTES bie aber 
vielleicht erheuchelte Zärtlichkeit bezeichnen ſoll. Ya 


| er Und du 5 ahn ee = 
Karoline. Wie ſich's ziemt. 
Breme. Wie ich es von meiner trefflichen Tochter erwarten 


5 ihre Tugend reichlich belohnt ſehen werde. 

Karoline. Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen. 
Breme. Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff, einen 
10 großen Anſchlag auszuführen, wozu ich deine Hülfe brauche. 
Karoline. Was meinen Sie, mein Vater? 


gang gedroht. 

= Karoline. Was jagen Sie? | 

Breme. Setze dich nieder und ſchreib'. 

Karoline. Was? 

Breme. Ein Billett an den Baron, daß er kommen ſoll. 


20 Leids widerfahren, ich ſperre ihn nur ein. 

Karoline. O Himmel! 

Breme. Was gibt's? 

Karoline. Soll ich mich einer ſolchen Verräterei ſchuldig 
* 

Breme. Nur geſchwind. 

Karoline. Wer ſoll es denn hinüberbringen? 

Breme. Dafür laß mich ſorgen. 

Karoline. Ich kann nicht. 

Breme. Zuerſt eine Kriegsliſt. ber zündet eine Blendlaterne an 
90 und löſcht das Licht aus) Geſchwind, nun ſchreib', ich will dir leuchten. 
ü Karoline gur ſich. Wie ſoll das werden? Der Baron wird 
ſehen, daß das Licht ausgelöſcht iſt, er wird auf das Zeichen 
kommen. 

Breme (wwingt ſie zum Sigen. Schreib'! „Luiſe bleibt im Schloſſe, 
8s mein Vater ſchläft. Ich löſche das Licht aus, kommen Sie.“ 
Karoline (widerſtrebend). Ich ſchreibe nicht. 

= r XVIII. i 18 


Breme. Es iſt dieſer verwegenen Menſchenraſſe der unten 


| N die ich aber auch mit Ehre und Glück überhäuft und für en & 


3 Karoline. Aber wozu? 5 ee 
Breme. Das will ich dir ſchon jagen. Es ſoll ihm Vl 


274 Revolutionsdramen. 


Fünfter Auftritt. i 
Die Vorigen. Der Baron am Fenſter. 
Baron. Karoline! 


Breme. Was iſt das? (er ſchiebt die Blendlaterne zu und hält 
Karolinen feſt, die aufſtehen will.) 


Baron (wie ober). Karoline! Sind Sie nicht hier? (Er fteigt 


5 


herein) Stille! Wo bin ich? Daß ich nicht fehlgehe. Gleich dem 


Fenſter gegenüber iſt des Vaters Schlafzimmer und hier rechts 
an der Wand die Türe in der Mädchen Kammer. (er tappt an der 
Seite hin und trifft die Tür.) Hier iſt ſie, nur angelehnt. O, wie 
gut ſich der blinde Kupido im Dunkeln zu finden weiß! (er 


geht hinein.) 


Breme. In die Falle! Er ſchiebt die Blendlaterne auf, eilt nach 


der Kammertüre und ſtößt den Riegel vor.) So recht, und das Vorlege⸗ 
ſchloß iſt auch ſchon in Bereitſchaft. (er legt ein Schloß vor) Und 
du Nichtswürdige! So verrätſt du mich? 

Karoline. Mein Vater! 

Breme. So heuchelſt du mir Vertrauen vor? 

Baron (inwendid. Karoline! Was heißt das? 

Karoline. Ich bin das unglücklichſte Mädchen unter der 
Sonne. 

Breme (laut an der Türe). Das heißt: daß Sie hier ſchlafen 
werden, aber allein. 

Baron (inmendig. Nichtswürdiger! Machen Sie auf, Herr 
Breme, der Spaß wird Ihnen teuer zu ſtehen kommen. 

Breme (laub. Es iſt mehr als Spaß, es iſt bitterer Ernſt. 

Karoline (an der Türe). Ich bin unſchuldig an dem Verrat! 

Breme. Unſchuldig? Verrat? 

Karoline (an der Türe knieend). O, wenn du ſehen könnteſt, 
mein Geliebter, wie ich hier vor dieſer Schwelle liege, wie ich 
untröſtlich meine Hände ringe, wie ich meinen grauſamen Vater 
bitte! — Machen Sie auf, mein Vater! — Er hört nicht, er 
ſieht mich nicht an. — O mein Geliebter, habe mich nicht im 
Verdacht, ich bin unſchuldig! 

Breme. Du unſchuldig? Niederträchtige, feile Dirne! 
Schande deines Vaters! Ewiger ſchändender Flecken in dem 


Ehrenkleid, das er eben in dieſem Augenblicke angezogen hat. f 


10 


e Kufgeregten: Vierter Mufsug. Sünfter und ſegſter Auftritt. 275 


Steh auf, hör' auf zu weinen, daß ich dich nicht an den Haaren 
von der Schwelle wegziehe, die du, ohne zu erröten, nicht wieder 
betreten ſollteſt. Wie! In dem Augenblick, da Breme ſich den 
größten Männern des Erdbodens gleichſetzt, erniedrigt ſich ſeine 
A Tochter jo ſehr! | 
Karoline. Verſtoßt mich nicht, verwerft mich nicht, mein 
Vater! Er tat mir die heiligſten Verſprechungen. 
Breme. Rede mir nicht davon, ich bin außer mir! Was! 
ein Mädchen, das ſich wie eine Prinzeſſin, wie eine Königin auf⸗ 
10 führen ſollte, vergißt ſich jo ganz und gar? Ich halte mich 
kaum, daß ich dich nicht mit Fäuſten ſchlage, nicht mit Füßen 
trete. Hier hinein! (er ftößt fie in fein Schlafzimmer.) Dies franzö⸗ 
ſiſche Schloß wird dich wohl verwahren. Von welcher Wut 
flühl' ich mich hingeriſſen! Das wäre die rechte Stimmung, um 
2 ꝗ4ꝗdie Glocke zu ziehen. — Doch nein, faſſe dich, Breme! — Be⸗ 
ö denke, daß die größten Menſchen in ihrer Familie manchen Ver⸗ 
druß gehabt haben. Schäme dich nicht einer frechen Tochter und 
bedenke, daß Kaiſer Auguſtus in ebendem Augenblick mit Ver⸗ 
fſtand und Macht die Welt regierte, da er über die Vergehungen 
20 ſeiner Julie! bittere Tränen vergoß. Schäme dich nicht zu 
g weinen, daß eine ſolche Tochter dich hintergangen hat; aber be⸗ 
denke auch zugleich, daß der Endzweck erreicht iſt, daß der Wider⸗ 
ſacher eingeſperrt verzweifelt, und daß deiner Unternehmung ein 
glückliches Ende bevorſteht. i 


185 Sechſter Auftritt. 
Saal im Schloſſe, erleuchtet. 

Friederike mit einer gezogenen Büchſe. Jakob mit einer Flinte. 
a Friederike. So iſt's recht, Jakob, du biſt ein braver 
5 Burſche. Wenn du mir die Flinte zurechtbringſt, daß mir der 
230 Schulfuchs nicht gleich einfällt, wenn ich ſie anſehe, ſollſt du ein 

gut Trinkgeld haben. 

Jakob. Ich nehme ſie mit, gnädige Gräfin, und will mein 


** 


1 Auguſtus' Tochter Julia von ſeiner zweiten Gemahlin Seribonia wurde 
wegen Untreue und offener Feindſeligkeit gegen ihren zweiten Gemahl Tiberius, 
. u fpäteren Kaiſer, auf die Inſel Pandataria im Tyrrheniſchen Meere verwieſen. 


18 * 


276 = Nevofutiondbramen. 


Beſtes tun. Ein Trinkgeld brauchts nicht, 0 bin Ir Biene 8 


für ewig. 
und regnicht, bleibe doch beim Jäger. 


Jakob. Ich weiß nicht, wie mir iſt; es treibt mic aas 


fort. Ich habe eine Art von Ahnung. 
Friederike. Du ſiehſt doch ſonſt nicht Geſpenſter. 
Jakob. Es iſt auch nicht Ahnung, es iſt Vermutung. 
Mehrere Bauern ſind beim Chirurgus in der Nacht zuſammen⸗ 
gekommen; ſie hatten mich auch eingeladen, ich ging aber nicht 
hin; ich will keine Händel mit der gräflichen Familie. Und jetzt 
wollt' ich doch, ich wäre hingegangen, damit ich wüßte, was ſie 
vorhaben. 
Friederike. Nun, was wird's ſein, es iſt die alte Prozeß⸗ 
geſchichte. 
Jakob. Nein, nein, es iſt mehr, laſſen Sie mir meine Grille; 
es iſt für Sie, es iſt für die Ihrigen, daß ich beſorgt bin. 


Siebenter Auftritt. 
Friederike. Nachher die Gräfin und der Hofrat. 
Friederike. Die Büchſe iſt noch, wie ich ſie verlaſſen habe, 


die hat mir der Jäger recht gut verſorgt. Ja, das iſt auch ein 
Jäger, und über die geht nichts. Ich will ſie gleich laden und 


morgen früh bei guter Tageszeit einen Hirſch ſchießen. (Sie be⸗ 
ſchäftigt ſich an einem Tiſche, worauf ein Armleuchter ſteht, mit Pulverhorn, Lade⸗ 


maß, Pflafter, Kugel, Hammer und lädt die Büchſe ganz langſam und methodiſch.) 


Gräfin. Da haſt du ſchon wieder das Pulverhorn beim 


Licht, wie leicht kann eine Schnuppe herunterfallen. Sei doch 


vernünftig, du kannſt dich unglücklich machen! 


Friederike. Laſſen Sie mich, liebe Mutter, ich bin ſchon 


vorſichtig. Wer ſich vor dem Pulver fürchtet, muß nicht mit 
Pulver umgehen. 

Gräfin. Sagen Sie mir, lieber Hofrat, ich habe es recht 
auf dem Herzen: könnten wir nicht einen Schritt tun, wenigſtens 
bis Sie zurückkommen? 

Hofrat. Ich verehre in Ihnen dieſe Heftigkeit, das Gute 
zu wirken und nicht einen Augenblick zu zaudern. 


Friederike. Du willſt in der Nacht noch For s it dunkel 


15 


20 


BR 


‚gleich wi Free Das Leben nit jo kurz, und das Oh wirkt 
. is langjam. 

Hofrat. Wie meinen Sie denn? | 

Gräfin. Sie find moralifch überzeugt, daß der Amtmann 
in dem Kriege das Dokument beifeite gebracht hat — 
Friederike (seftid. Sind Sie's? 8 
85 Hofrat. Nach allen Anzeigen kann ich wohl ſagen, es if 
mehr als Vermutung. 

10 Gräfin. Sie glauben, daß er es noch zu irgend einer Ab⸗ 
ſicht verwahre? 

Friederike (wie oben. Glauben Sie? 

Hofrat. Bei der Verworrenheit ſeiner Rechnungen, bei der 
Unordnung des Archivs, bei der ganzen Art, wie er dieſen 
15 Rechtshandel benutzt hat, kann ich vermuten, daß er ſich einen 
Rückzug vorbehält, daß er vielleicht, wenn man ihn von dieſer 
Seite drängt, ſich auf die andere zu retten und das Dokument 
dem Gegenteile für eine anſehnliche Summe zu verhandeln denkt. 
E Gräfin. Wie wär' es, man fuchte ihn durch Gewinſt zu 
20 locken? Er wünſcht, ſeinen Neffen ſubſtituiert! zu haben; wie 
wär' es, wir verſprächen dieſem jungen Menſchen eine Beloh⸗ 
nung, wenn er zur Probe das Archiv in Ordnung brächte, be⸗ 
ſonders eine anſehnliche, wenn er das Dokument ausfindig 
machte? Man gäbe ihm Hoffnung zur Subſtitution. Sprechen 
25 Sie ihn noch, ehe Sie fortgehen; indes, bis Sie wiederkommen, 
richtet ſich's ein. 

2 Hofrat. Es iſt zu ſpät, der Mann iſt gewiß ſchon zu 
=. Selle, 

de Gräfin. Glauben Sie das nicht. So alt er iſt, paßt er 
30 Ihnen auf, bis Sie in den Wagen ſteigen. Er macht Ihnen 
noch in völliger Kleidung ſeinen Scharrfuß und verſäumt gewiß 
nicht, ſich Ihnen zu empfehlen. Laſſen wir ihn rufen. 
Friederike. Laſſen Sie ihn rufen; man muß doch ſehen, wie 
er ſich gebärdet. 

5 Hofrat. Ich bin's zufrieden. 


I Zum Gehilfen (Subſtitut) beigegeben. 


278 eh een 3 ; 


Friederike elingelt und fagt zum Bedienten, ber . Der 


Amtmann möchte doch noch einen Augenblick herüberkommen! 


Gräfin. Die Augenblicke ſind koſtbar. Wollen Sie nicht 


indes noch einen Blick auf die Papiere werfen, die ſich auf dieſe 


Sache beziehen? (Zufammen ab.) 


Achter Auftritt. 


Friederike allein. Nachher der Amtmann. 


Friederike. Das will mir nicht gefallen. Sie ſind über⸗ 


zeugt, daß er ein Schelm iſt, und wollen ihm nicht zu Leibe. 
Sie ſind überzeugt, daß er ſie betrogen, ihnen geſchadet hat, und 
wollen ihn belohnen. Das taugt nun ganz und gar nichts. Es 
wäre beſſer, daß man ein . ſtatuierte. — Da kommt er 
eben recht. 

Amtmann. Ich höre, daß des Herrn Hofrats Wohlgeboren 
noch vor ihrer Abreiſe mir etwas zu ſagen haben. Ich komme, 
deſſen Befehle zu vernehmen. 

Friederike (indem. fie die Büchſe nimmt). Verziehen Sie einen 
Augenblick, er wird gleich wieder hier fein. Sie ſchuttet Pulver auf 
die Pfanne.) 

Amtmann. Was machen Sie da, gnädige Gräfin? 

Friederike. Ich habe die Büchſe auf morgen früh geladen, 
da ſoll ein alter Hirſch fallen. 

Amtmann. Ei, ei! Schon heute geladen und Pulver auf 
die Pfanne, das iſt verwegen! Wie leicht kann da ein Unglück 
geſchehen. 

Friederike. Ei was! Ich bin gern fix und fertig. (Sie hebt 
das Gewehr auf und hält es, gleichſam zufällig, gegen ihn.) 

Amtmann. Ei, gnädige Gräfin, kein geladen Gewehr je⸗ 
mals auf einen Men ſchen gehalten! Da kann der Böſe ſein 
Spiel haben. 

Friederike (in der vorigen Stellung. Hören Sie, Herr Amt⸗ 
mann, ich muß Ihnen ein Wort im Vertrauen ſagen: — daß 
Sie ein erzinfamer Spitzbube ſind. 


Amtmann. Welche Ausdrücke, meine Gnädige! — Tun 85 1 


Sie die Büchſe weg. 


Friederike. Rühre dich nicht vom Platz, verdammter Kerl! 0 


10 


— 


20 


ei 
ni 

30 gi 
E 


* 


Die Aufgeregten: Vierter Aufzug. Achter und neunter Auftritt. 279 


Siehſt du, ich ſpanne, ſiehſt du, ich lege an! Du haſt ein Do⸗ 
kiument geſtohlen — 
Amtmann. Ein Dokument? Ich weiß von keinem Do⸗ 
. kumente. 
5 Friederike. Siehſt du, ich ſteche, es geht alles in der Ord⸗ 
nung, und wenn du nicht auf der Stelle das Dokument heraus⸗ 
. gibſt oder mir anzeigſt, wo es ſich befindet, oder was mit ihm 
3 vorgefallen, ſo rühr' ich dieſe kleine Nadel, und du biſt auf der 
. Stelle mauſetot. 
10 Amtmann. Um Gottes willen! 
| Friederike. Wo iſt das Dokument? 
. Amtmann. Ich weiß nicht — Tun Sie die Büchſe weg — 
* Sie könnten aus Verſehen — | 
= Friederike (wie obe. Aus Verſehen oder mit Willen bit 
15 du tot. Rede, wo iſt das Dokument? 
Amtmann. Es iſt — verſchloſſen. 


3 Neunter Auftritt. 
Gräfin, Hofrat. Die Vorigen. 
Gräfin. Was gibt's hier? 
20 Hofrat. Was machen Sie? 
Friederike ammer zum Amtmann). Rühren Sie ſich nicht, oder 
3 Sie find des Todes! Wo verſchloſſen? 
5 Amtmann. In meinem Pulte. 
Friederike. Und in dem Pulte! wo? 
25 Amtmann. Zwiſchen einem Doppelboden. 
Friederike. Wo iſt der Schlüſſel? 
Amtmann. In meiner Taſche. 
Friederike. Und wie geht der doppelte Boden auf? 
Amtmann. Durch einen Druck an der rechten Seite. 
80 Friederike. Heraus den Schlüſſel! 
Amtmann. Hier iſt er. 
Friederike. Hingeworfen! 
Amtmann (wirft ihn auf die Erde). 
Friederike. Und die Stube? 
35 Amtmann. Iſt offen. 
Friederike. Wer iſt drinnen? 


e 


3 


5 
En, 
5 
. 
5 
* 
* 
. 
= 

2 
5 1 
3 


EN 


ee 280 enotuionsbeamen, | 


Amtmann. Meine Magd und mein In Schrel g . 

Friederike. Sie haben alles gehört, Herr Hofrat. Ich 
habe Ihnen ein umſtändliches Geſpräch erſpart. Nehmen „ 
den Schlüſſel und holen Sie das Dokument. Bringen Sie es 
nicht zurück, ſo hat er gelogen, und ich ſchieße ihn darum tot. s 5 8 

Hofrat. Laſſen Sie ihn mitgehen, bedenken Sie, was Sie tun. 

Friederike. Ich weiß, was ich tue. Machen Sie mich nicht 
wild und gehen Sie. 

Hofrat (ab). N 
Gräfin. Meine Tochter, du erſchreckſt mich. Tu das Ge 10 5 
wehr weg! a 

Friederike. Gewiß nicht eher, als bis ich das Dokument 
ſehe. ae 

Gräfin. Hörſt du nicht? Deine Mutter befiehlt's. „ 

Friederike. Und wenn mein Vater aus dem Grabe auf⸗ 15 
ſtünde, ich gehorchte nicht. 

Gräfin. Wenn es losginge! 

Friederike. Welch Unglück wäre das? 

Amtmann. Es würde Sie gereuen. 

Friederike. Gewiß nicht. Erinnerſt du dich noch, Nichts⸗ 20 ä 
würdiger, als ich vorm Jahr im Zorn nach dem Jägerburſchen 
ſchoß, der meinen Hund prügelte; erinnerſt du dich noch, da ich 
ausgeſcholten wurde und alle Menſchen den glücklichen Zufall 
prieſen, der mich hatte fehlen laſſen: da warſt du's allein, der 
hämiſch lächelte und ſagte: was wär' es denn geweſen? Ein 25 
Kind aus einem vornehmen Hauſe! Das wäre mit Geld abzu⸗ 
tun. Ich bin noch immer ein Kind, ich bin noch immer aus 
einem vornehmen Hauſe, ſo müßte das auch wohl mit Geld 
abzutun ſein. 

Hofrat (kommt zurüch. Hier iſt das Dokument. 

Friederike. Iſt es? Sie bringt das Gewehr in Ruh’) 

Gräfin. Iſt's möglich? 

Amtmann. O ich Unglücklicher! % 

Friederike. Geh, Elender, daß deine Gegenwart meine 
Freude nicht vergälle! ö 

Hofrat. Es iſt das Original. 


F 


gten Vierter u. 3 nam Vale aufs. 281 | 


Friederike. Geben Sie ae. Nr will ich's den Ge⸗ 
meinden ſelbſt zeigen und ſagen, daß ich's ihnen erobert habe. 
Grüfin (ſe umarmen). Meine Tochter! 

8 Friederike. Wenn mir der Spaß nur die Luſt an der 
V Jagd nicht verdirbt. Solch ein Wildbret ſchieß' ich nie wieder! 


Fünfter Aufzug. 
Nacht, trüber Mondſchein. 


= Das Theater ſtellt einen Teil des Parks vor, der früher beſchrieben 
worden. Rauhe, ſteile Felſenbänke, auf denen ein verfallenes Schloß. 

10 Natur und Mauerwerk ineinander verſchränkt. Die Ruine ſowie die 
N Felſen mit Bäumen und Büſchen bewachſen. Eine dunkle Kluft deutet 
auf Höhlen, wo nicht gar unterirdiſche Gänge. 

5 Friederike, fackeltragend, die Büchſe unterm Arm, Piſtolen im 
Gürtel, tritt aus der Höhle, umherſpürend. Ihr folgt die Gräfin, 
b den Sohn an der Hand. Auch Luiſe. Sodann der Bediente, mit 
Käſtchen beſchwert. Man erfährt, daß von hier ein unterirdiſcher Gang 

zu den Gewölben des Schloſſes reicht, daß man die Schloßpforten ges 
; gen die andringenden Bauern verriegelt, daß die Gräfin verlangt 
habe, man ſolle ihnen aus dem Fenſter das Dokument ankündigen und 
20 zeigen und ſo alles beilegen. Friederike jedoch ſei nicht zu bewegen 
geweſen, ſich in irgend eine Kapitulation einzulaſſen, noch ſich einer 
Gewalt, ſelbſt nach eigenen Abſichten, zu fügen. Sie habe vielmehr 
die Ihrigen zur Flucht genötigt, um auf dieſem geheimen Wege ins 
Freie zu gelangen und den benachbarten Sitz eines Anverwandten zu 

25 erreichen. Eben will man ſich auf den Weg machen, als man oben 
in der Ruine Licht ſieht, ein Geräuſch hört. Man zieht ſich in die 
Höhle zurück. 

Herunter kommen Jakob, der Hofrat und eine Partei Bauern. 
Jakob hatte ſie unterwegs angetroffen und ſie zugunſten der Herrſchaft 
80 zu bereden geſucht. Der Wagen des wegfahrenden Hofrats war unter 
ſie gekommen. Dieſer würdige Mann verbindet ſich mit Jakob und 
kann das Hauptargument, daß der Originalrezeß gefunden ſei, allen 
übrigen Beweggründen hinzufügen. Die aufgeregte Schar wird be⸗ 
kuhigt, ja fie entſchließt ſich, den Damen zu Hülfe zu kommen. 

88 Friederike, die gelauſcht hat, nun von allem unterrichtet, 
tritt unter fie, dem Hofrat und dem jungen Landmann ſehr will⸗ 
kommen, auch den übrigen durch die Vorzeigung des Dokuments 


höchſt erwünſcht. 


282 RMevolutionsdramen. 


Eine früher ausgeſendete Patrouille dieſes “es PR zu⸗ 
rück und meldet, daß ein Teil der Aufgeregten vom Schloſſe her im 


Anmarſche ſei. Alles verbirgt ſich, teils in die Höhle, teils in Felſen 


und Gemäuer. 

Breme mit einer Anzahl bewaffneter Bauern tritt auf, ſchilt 
auf den Magiſter, daß er außen geblieben, und erklärt die Urſache, 
warum er einen Teil der Mannſchaft in den Gewölben des Schloſſes 


gelaſſen und mit dem andern ſich hieher verfügt. Er weiß das Geheim⸗ 


nis des unterirdiſchen Ganges und iſt überzeugt, daß die Familie ſich 
darein verſteckt, und dies gibt die Gewißheit, ihrer habhaft zu werden. 
Sie zünden Fackeln an und ſind im Begriff, in die Höhle zu treten. 
Friederike, Jakob, der Hofrat erſcheinen in dem eee be⸗ 
waffnet ſowie die übrige Menge. 


Breme ſucht der Sache eine Wendung durch Beiſpiele aus der 


alten Geſchichte zu geben und tut ſich auf ſeine Einfälle viel zugute, 


da man ſie gelten läßt, und als nun das Dokument auch hier ſeine 
Wirkung nicht verfehlt, ſo ſchließt das Stück zu allgemeiner Zufrieden⸗ 
heit. Die vier Perſonen, deren Gegenwart einen unangenehmen Ein⸗ 
druck machen könnte: Karoline, der Baron, der Magiſter und 
der Amtmann, kommen nicht mehr zum Vorſchein. 


15 


20 


5 Das Mädchen von Oberkirch: Einleitung des Herausgebers. 283 


Das Mädchen von Oberkirch. 


Ein Trauerſpiel in fünf Aufzügen. 


Perſonen. 
Die Gräfin. Marie. 8 
Der Baron. Der Maire von Straßburg. 
Manner, ein Geiſtlicher. Glieder der Munizipalität. 


Peter Handfeſt, ein Fleiſcher. Sansculotten u. ſ. w. 
Die Handlung geht in Straßburg vor. 


Einleitung des Herausgebers. 


as den Titel „Das Mädchen von Oberkirch“ führende Fragment 
iſt erſt 1895 im 18. Bande der weimariſchen Ausgabe von Guſtav 
Roethe aus einer eigenhändigen Goethiſchen Niederſchrift des Goethe⸗ 
und Schiller⸗ Archivs veröffentlicht worden. Denn Eckermann hatte 
unter den Titel der Handſchrift die Bemerkung geſchrieben: „Soll nicht 
mitgeteilt werden“; und ſo iſt es wohl das „Revolutionsſtück“, deſſen 
* Vollendung oder Veröffentlichung nach Tagebucheinträgen unterm 
= 24. Februar 1806 und 6. Januar 1808 bei der Vorbereitung der 
erſten Cottaſchen Ausgabe der Werke erwogen wurde, das aber aus⸗ 
10 geſchloſſen blieb. Das kleine Bruchſtück, das am Ende der letzten Seite 
des fünften Bogens mit einem unvollendeten Satze abbricht, alſo auf 
verlorenen weiteren Blättern vielleicht noch fortgeführt worden war, 
iſt gleichwohl ein wichtiges Zeugnis über Goethes ernſte Stellung⸗ 
| nahme zur franzöſiſchen Revolution. 
3 15 Des Dichters Grauſen ſchon bei den Vorwehen der Revolution 
85 ſprach aus dem „Groß⸗Cophta“; „Der Bürgergeneral“ und „Die Auf⸗ 
geregten“ ſollten, jener lediglich durch leichtgeſchürzten Spott, dieſe 
3 ſchon durch gleichmäßigere Verteilung der Satire auf Adel und Bür⸗ 
. gertum, die Fernwirkung der Pariſer Ereigniſſe auf deutſchem Boden 


* 
* 


Benottensbramen. Be 


veranſchaulichen; ſämtliche drei Dramen aber blieben be elegen⸗ 
lichen Rhetorik und bei Anſätzen zu lebendigerer Charakteri tik in einer 
ziemlich einförmigen Proſa und einer verdrießlichen Grundſtimmung 1 
ſtecken, dieſes, weil Goethe beängſtigt mehr die zerſtörenden, gewalt⸗ 
tätigen Elemente der Bewegung ſah, jenes, weil er die Mitglieder der 5 
eben feiner Leitung unterſtellten weimariſchen Bühne damals noch 
ausſchließlich zu naturaliſtiſcher Darſtellung des mittleren Geſell⸗ 
ſchaftsſtückes fähig fand. N 
Ebendaher hat auch unſer Fragment feine Form, wie es dnnn 
nicht nur nach der Anſpielung auf die Hinrichtung Philipp Egalites, 1 
ſondern auch nach eingehender Stilbeobachtung nahe zu den „Aufge⸗ 
regten“ gehört und vor der abgeklärteren Darſtellung der Revolution 
in „Hermann und Dorothea“ und noch viel mehr vor der „Natürlichen 
Tochter“ mit ihrem hohen, typenſchaffenden Stil entſtanden fein muß. 
Stofflich dagegen bedeutet es einen entſchiedenen Schritt nach dieſem 15 
Expoſitionsſtück der geplanten großen Revolutionstrilogie hin: es 
ſpielt auf Straßburgs franzöſiſchem Boden, und als hiſtoriſches 
Trauerſpiel ſollte es das Geſchick darſtellen, das einem adligen 
Hauſe und mit ihm empfindenden Mitgliedern edel denkender Bürger⸗ N 
kreiſe durch die Straßburger Revolutionsereigniſſe etwa des 18. bis 0 
20. Novembers 1793 bereitet wurde. Denn wenn auch die Einzel⸗ 
heiten der geplanten Ausführung dunkel bleiben, ſo läßt ſich doch aus 
dem erhaltenen knappen Schema zu allen fünf Aufzügen ſo viel er⸗ 
kennen: bei der für den zweiten in Ausſicht genommenen Sitzung der 
„Munizipalität“ war an die Sitzung des 17. Novembers 1793 gedacht, 25 
in welcher der Maire Monet den Tag der Straßburger Vernunftfeier 
beſtimmte; und die für den vierten Aufzug angeſetzte Feier im Mün⸗ 
ſter, bei der die Heldin als Göttin der Vernunft mitwirken, dann aber 
durch ſchließlichen Widerſpruch gegen die ihr zugemutete Vermählung 
mit einem ungeliebten Freunde des Umſturzes ihre Einkerkerung und 
Hinrichtung heraufbeſchwören ſollte, hätte den Vorgängen des 20. No⸗ 
vembers entſprochen, an welchem das Straßburger Münſter in einen 
Tempel der Vernunft umgewandelt wurde. Denn es ſcheinen nicht 
nur Motive und Vorgänge zeitgetreu verwendet, die ſich ähnlich an 
anderen Orten des Elſaß, in Rappoltsweiler, Barr, Kolmar, abgeſpielt 35 
haben; ſondern Goethe hat gewiß auch geleſen und gehört, was im 
„Reichardtſchen Revolutions⸗ Almanach“ von 1795 von der Einrich⸗ 


5 


— 


— 


von ut: eber webe. i er Alle 285 


Sr nen das fo viel Fische Vernunft hatte, ſich zu weigern, 
die franzöſiſche vorzuſtellen, auf Befehl der Nationalkommiſſarien 
5 guillotiniert.“ Weitere Kenntnis dieſer Verhältniſſe wie der Name des 
Stückes aber mag wohl auf perſönliche Beziehungen zurückzuführen 
ſein: die weimariſche Hofdame Adelaide v. Waldner war die Couſine 
der ihm ſchon aus der Straßburger Zeit bekannten Henriette von Wald⸗ 
ner, damaligen Frau von Oberkirch, deren Haus in der Sitzung 
1o0b vom 15. Oktober 1793 unter der Bezeichnung als „Familie Ober⸗ 
keirch“ aus Straßburg verbannt wurde. Die ſchöne und edle Frau, 
= der Goethe noch am 12. Mai 1776 mit einem herzlichen franzöſiſchen 
Begleitſchreiben ſeine „Claudine“ überſandt hatte, beſaß eine liebens⸗ 
würdige Tochter Maria und hat ſelber zwei Bände bis nahe an die 

15 Straßburger Umwälzungen heranführender „Memoiren“ hinterlaſſen. 
Ohne jede Kenntnis des Goethiſchen Verſuches hat Paul Heyſe 


aber, wie er dem erſten Herausgeber des Fragmentes mitgeteilt hat, 
Lin ganz freier Erfindung“ in feiner „Göttin der Vernunft“ vom 
20 Jahre 1869 einen ziemlich gleichen Stoff der Goethiſchen Weiſe, dem 
Schema nach zu urteilen, merkwürdig ähnlich geſtaltet. 


Erſter Außug. 
Erſter Auftritt. 


Er Die Gräfin, mit Stricken beſchäftigt. Dazu der Baron. 
25 Baron. Wie iſt Ihr Befinden, gnädige Gräfin? Womit 
f unterhalten Sie ſich? 

Gräfin. Wie Sie ſehen, lieber Vetter, mit einer Arbeit, die 
= mich allenfalls nähren könnte. 
. Baron. Wie ungewohnt muß es Ihnen jetzt bei uns ſein, 
30 wie traurig iſt Ihre Lage! 
Gräfin. Ich habe ſchon harte Fälle erlebt, freilich dieſe 
waren die härteſten. 
Baron. Auf Ihren Gütern ſieht es übel aus. 


auf Grund von Studien über die gleichen Straßburger Verhältniſſe, 


286 5 Neoofutionsbramen. 5 „ | 


Gräfin. Ich habe mir nichts Gutes werdet. 

Baron. Man hat geraubt, zerſtört. 

Gräfin. Das iſt der Geiſt der Zeit. 

Baron. Der ehrliche Verwalter, die wohlgeſinnten Ihren 
Untertanen haben, was möglich war, gerettet. „ 

Gräfin. Darauf konnte ich mich verlaſſen. Lieber Vetter, 
da ich Troſtes bedarf, bringen Sie mir dann etwa gute Nach⸗ 
richt von meinen Söhnen, von meinen Töchtern? Ich weiß noch 
nicht, ſoll ich fie loben, jo ich ſie tadeln, ſoll ich fie glücklich 
preiſen oder für elend erklären, daß ſie ſo bald aus dieſem Lande 10 
der Greuel geflohen ſind. 

Baron. Nachrichten bringe ich, und wenn Sie wollen, gute 
Nachrichten. Sie leben — 

Gräfin. Das nackte Leben iſt ſchon in unſern Zeiten eine 
Wohltat. 135 

Baron. Die Männer ſind bei der Armee angeſtelt 

Gräfin. Sie ſind an ihrem Platze. 

Baron. Die Frauen haben wenigſtens einen ruhigen Zu⸗ 
fluchtsort gefunden. 

Gräfin. Für Flüchtlinge alles Dankes wert. O, was für 20 
Philoſophen ſind wir geworden! ya Sie mich die Briefe 
ſehen. 

Baron. Recht gern. Sie 1 ſich freuen, inſofern ein 
Herz der Freude fähig ſein kann, wie dieſe gute Seelen ſo feſt, 
ſo wacker ſich in dem traurigen Zuſtande befinden. 25 

Gräfin. Schön. 

Baron. Sie ſparen das Geld, das wir ihnen zuſchicken, 
und arbeiten. 

Gräfin. Ich lobe ſie darum. 

Baron. Karoline ſtickt. 1 

Gräfin. Das gute Kind. 

Baron. Friedrike näht. 

Gräfin. Das kann ſie ſehr ſchön. | 

Baron. Sie haben noch einige brave Männer um fich, die 
auch arbeiten, ſich auch bemühen und von allen Menſchen ge⸗ 85 
achtet werden; aber leider betrüben ſie ſich alle zuſammen über 


f Das Mädchen von Oberkirch: Erſter Aufzug. Erſter Auftritt. 287 


die Unart, die Frechheit, womit ſo viele Emigrierte ſich in 
Deutſchland verächtlich machen. 

Gräfin. Die Guten werden ſich auszeichnen und geachtet 
werden. Laſſen Sie mich die Briefe ſehen! Karoline ſchreibt 
5 gewiß viele Details — 

Baron. Nach ihrer Art. 

Gräfin. Schildert die Leute gut — 

Baron. Gewiß. 

Gräfin. Und ſchont niemand. 
10 Baron. Wie in den glücklichſten Zeiten. 

Gräfin. Nun, ſo iſt mir's auch nicht bange für ſie. Lieber 
Vetter, haben Sie die Briefe nicht zu ſich geſteckt? 

Baron. Ja, gnädige Tante, hier ſind ſie. 

Gräfin. Warum ſo von ferne? 

15 Baron. Ich muß vorher — 

Gräfin. Was? Etwa mich vorbereiten? O Gott! Iſt's 
möglich! Haben Sie mich nur getäuſcht, Vetter! Konnten Sie 
ſo grauſam ſein! So freundlich mir ſagen, die Meinigen ſeien 
wohl, in leidlichen Umſtänden! Sie konnten ſcherzen, und haben 

20 mir eine traurige Botſchaft zu bringen! 

Baron. Nein! Tante, nein! Legen Sie meine Verlegenheit, 
mein Zaudern nicht unrecht aus! Keine traurige Botſchaft. 
Faſſen Sie ſich, erheitern Sie ſich! Nur etwas Sonderbares hab' 
ich Ihnen vorzutragen. 

25 Gräfin. Nun? 

Baron. Etwas Sonderbares, worauf ich Sie vorbereiten 
muß, ehe Sie aus dieſen Briefen die Meinung der Ihrigen dar⸗ 
über vernehmen. 

Gräfin. Laſſen Sie mich nicht länger in Ungewißheit! 

80 Baron. Wie ſoll ich anfangen? Wie alles jagen und doch 
kurz ſein? 

Gräfin. Was Ihren lebhaften Geiſt intereſſierte, konnten 
Sie immer ſehr leicht vortragen. 

Baron. O wüßten Sie, was mich diesmal ſtumpf macht! 

85 Gräfin. Was könnte das fein? 

Baron. Ach! was unſre Geiſteskräfte nur zu oft mit 

Wolken umzieht. 


ar 288 ö 10 Revotuonsbremen. 


Gräfin, Mir werden 6 immer 1 3 

Baron. Ich will es geſtehen. 

Gräfin. Nur heraus! 

Baron. Die Liebe! | u a 

Gräfin. Von dieſer Leidenſchaft erwartet? ich am wenigſten 8 
Einfluß auf Sie in dieſen Augenblicken. 17 

Baron. Wann ſind wir vor ihr ſicher? 

Gräfin. Sie lieben alſo? 

Baron. Ja! Schon lange lieb' ich! Und bin nun glück! 
lich, daß mein Verſtand mir keine Hinderniſſe mehr in den 10 
Weg legt. N 

Gräfin. Ohne Umſchweife! 

Baron. Wie ſoll ich — 

Gräfin. Den Namen! Nur kurz. i 

Baron. Mit dem Namen anzufangen, würden wir erſt in 1s 
unendliche Umſchweife geraten. | 

Gräfin. Nun zur Sache! Sie machen mich ungeduldig. 

Baron. Auch die Sache wiſſen Sie. Da unſre Verwand⸗ 
ten emigrierten, hielt ich mich als Bürger der Stadt, als fran; 
zöſiſcher Bürger ſtill und ſchien die neue Wendung der Revolu⸗ 20 
tion zu begünſtigen. 2 

Gräfin. Und begünftigten fie wirklich! Nun, dafür m 
Sie ſchon geſtraft. Weiter! 

Baron. Durch meinen Einfluß rettete ich viele von Ihren, | 
von meiner Vettern Vermögen.“ 25 

Gräfin. Dafür wir Ihnen ewig verbunden ſind. 7 

Baron. Die Umſtände fangen an, gefährlicher zu werden. 

Gräfin. Ich leugn' es nicht. 

Baron. Die Maſſe des Volks, nicht des Volks, des Pöbels, 
gewinnt das Übergewicht. Jeder geht verloren, der ſich ihm nicht 2 
gleichſtellt. Von Paris haben wir die ſchrecklichſten, die ſonder⸗ 
barſten Nachrichten.? 

Gräfin. Hernach! hernach von dieſen Nachrichten! Wollen 
Sie meine Ungeduld — 


1 Vermögen iſt hier Mehrzahl, die auch zu dem vorhergehenden Fürwort x 
Ihren zu ergänzen iſt. — ? Anſpielung auf bie Einführung des Pariſer Ber 
nunftkultes, deſſen erſtes Feſt am 10. November 1793 begangen wurde. i ® 


Re 1 | | | 
2 22 von Bei; erſter Aufzug. rler 5 Ele Auftritt. 289 


N Baron. So hören Sie doch! O, warum ni ich Ihnen 
N nicht, beſte Tante, mit mehr Ruhe, mehr Zuſammenhang vor⸗ 
tragen, was Sie doch wiſſen müſſen. Sag' ich zu wenig voraus, 
ſo werden Sie viel einzuwenden haben. Sag' ich zu viel, io 

5 willen Sie nicht, wo ich hinaus will. 

Gräfin. Wenn ich Ihnen raten ſollte, lieber Vetter, ſo 
gingen Sie — — hinaus und eine Viertelſtunde ſpazieren, 
kämen dann wieder und ſprächen mit Ihrer guten alten Tante 

wieder die alte verſtändliche Sprache. 

10 Baron. Sie werden empfindlich! O zürnen Sie nur nicht, 
wenn ich ausgeredet habe. Genötigt, der Menge, der Maſſe, halb 
Volk, halb Pöbel, zu ſchmeicheln, halte ich für ratſam, unter 
meinem Stande, ich darf wohl ſagen, unter meinem vorigen 

| Stande, zu heiraten. 

2 Gräfin, Better! 

Baron. Von dieſer Seite wäre die Heirat politiſch, und ich 
hätte mich ihrer zu ſchämen. Aber mein Herz gebietet mir noch 
lebhafter als das Intereſſe. Meine Abſichten ſind auf ein Mäd⸗ 
chen gerichtet, die einzige in ihrer Art. 

20 Gräfin. Macht der Marter ein Ende und erklärt Euch 
oder geht! 

Baron. Liebe Tante, ich gehe! Ich ſehe wohl, ich muß gehen, 
aber — zürnen Sie nicht — vorher muß ich ſagen, ich heirate 

ö — Ihre Marie — geben Sie mir Ihre Einwilligung! 

28 Gräfin. Meine Aufwärterin. 

5 Baron. Ihre Tochter, Ihren Zögling, das Schönſte, was 
Ihnen die Natur überlieferte, das Beſte, was Ihrer Erleben 
geraten iſt. 

er Gräfin. Vetter, laßt mich einen Augenblick allein. 

30 Baron. Soll ich gehen! Soll ich bleiben! — Tante! 
Mutter, ich gehe, ich laſſe Sie allein, denken Sie an mich! 
unſer Scidjal! Marien! — Warum ſoll ich Ihre Marie 9 1 
auch die meinige nennen dürfen? 


a Zweiter Auftritt. 

35 Die Vorigen. Manner. 

Mauner. Gnädige Gräfin, verzeihen Sie! Ich finde ni nie⸗ 
mand im Vorzimmer. 


Goethe. XVIII. 19 


290 . Er desde even 


| Gräfin, Nur immer Nen ae And uns wilttom- 1 
men, wenn wir auch keine Diener haben, ſie zu e Wie “a 
gehts Ihnen, lieber Manner? Setzen Sie ſich! 

Manner. Herr Baron. ER, 

Baron. Sie kommen erwünſcht, mich nreltzußaften, 506 8 
ich in einer ſchmerzlichen Gemütsbewegung von hinnen ging. 
Sie kommen wie ein Engel mir zu Hülfe, ich brauche einen Br 
ſprecher bei meiner Tante. Einen Vorſprecher wie Sie. 

Manner. Sie ſcherzen! Wäre es möglich, daß Karl, der 
geliebte Karl, ſeine Tante beleidigen könnte? — Ein kleines Miß⸗ 10 
verſtändnis! Und auch das iſt ſchon viel, zu viel zwiſchen 0 
edlen Menſchen, zwiſchen ſo nahen Verwandten. Darf ich mir 
eine Erklärung ausbitten? 

Gräfin. Laſſen Sie ihn reden! 

Manner. Nun, Herr Baron! = 

Baron. Nicht Baron! Karl! wenn Sie wollen, da ich 5 
keinen Namen habe als von Gütern, die ſchon meinen Vätern 
nicht mehr gehörten. Manner! Ich habe Sie handeln ſehen, 
ich habe in jener Zeit, da wir alle noch hofften, Ihre Geſin (g? 
nungen kennen lernen. Sie haben mein Vertrauen gewonnen, 20 a 
ja, in Ihrer Gegenwart will ich ein abgebrochenes Geſpräch 
wieder anknüpfen. Wir hatten uns entzweit. Nicht entzweit, 
aber mißverſtanden; nicht mißverſtanden, aber übereilt. Ich 
ging, Sie kommen, und ich bleibe. 

Manner. In welcher heftigen Gemütsbewegung finde ich Sie! 28 b 

Gräfin. Ich werde noch ſtatt ſeiner reden müſſen. 2 

Baron. O tun Sie es! Reden Sie, wie es Ihnen Ihr 
Herz eingibt! 

Manner. Ich bitte. Er 

Gräfin. Er, der ſich im Anfang freute, an der allgemeinen 30 
Herrſchaft teilzunehmen — 

Baron. Tante! Schonen Sie uns beide! Erinnern Sie 
ſich, daß Manner auch von denen war, die — hofften. 

Gräfin. Wir leben in einer Zeit, wo wir einander viel ver⸗ i 
zeihen müſſen. Unterbrecht mich nicht, Vetter! Er fängt an, as 
ſich vor der allgemeinen Herrſchaft zu fürchten. Das Voll, ee 
das er mit auffordern half, wird ihm zu ſtark, zu mächtig, zu 


chen von Oberkirch: Crfter Aufzug. gweiter Auftritt. 291 


gewaltſam; er will, da er es nicht wie bisher leiten kann, ſich 
auf eine andre Weiſe mit ihm verbinden. 

Manner. Ich bitte um Aufſchluß. 

8 Gräfin. Den ſollen Sie haben. Er heiratet! Denn ſo hat 
s er geſagt. Er fragt nicht um Rat, er will nicht unſre Meinung. 
Er heiratet. 

Manner. Wen denn? 

Baron. Manner, die Zeit iſt edel. Mit drei Worten. Ich 
heirate Marien. 

10 Manner. Marien? 
Baron. Und meine Tante verkennt mich. 

Manner. Marien. eifeite) Ich Unglücklicher! 
Baron. Daß es denn doch zu einem Geſtändnis komme. 
Unter allen weiblichen Geſchöpfen, welche die Natur unſrer Fa⸗ 
z milie geſchenkt, welche die Geſellſchaft zu uns gebracht, war 
Marie immer und immer die ſchönſte und die beſte. Wer liebte 
ſie nicht, und wie liebe ich fie nicht! 

Manner ſſich faſſend). Marie ward immer von jedem geſchätzt. 
| Baron. Und warum? Weil fie alle Tugenden beſitzt, die 
20 uns andern — — eine Revolution wünſchen ließen. Sie war 
ſchön ohne Anmaßung, liebenswürdig ohne Sucht zu gefallen, 
Dienerin ohne Niedrigkeit, Geſellſchafterin, ohne vorlaut zu ſein. 


2 2 Gräfin. Lobe Marien, ſoviel du willſt, und ich werde dir 
beiſtimmen. Nicht das geringſte Verdienſt habe ich darin ge⸗ 
25 ſucht — — zu erziehen. Und fie hat meine Wünſche am beſten 
be.. . „ aber mußt du fie denn darum heiraten? 

5 8 Baron. Tante! Soll ich's Ihnen geſtehen? Noch in den 
Zeiten unſeres blühenden Glücks ſuchte ich Marien unter — 


Bedingungen zu der meinigen zu machen, es gelang mir nicht. 
30 Gräfin. Eine ſchöne Konfeſſion. 

Manner. Marie iſt ein edles Mädchen, ich habe ſie immer 
für ſtark genug gehalten, jeder Verführung zu widerſtehen. 
Gräfin. Und alſo, Vetter? 

“= Baron. Laſſen Sie uns nicht in einen kalten, ſpitzen Ton 

85 fallen! Ich will nur jagen, daß ich Marien liebte und ſie nicht 
beiten konnte, daß ich fie beſitzen kann und noch liebe. Warum 
jſllt' ich nicht daran denken? 


19* 


292 Revolutionsbramen. Bi 


Gräfin. Ich ſehe die Folge noch nichl. i 
Manner. Und es läßt ſich noch manches barer — 
Baron. Und ich werde am Ende doch auf das Argument 


| dringen müſſen, das ich im Anfange zu verwerfen jchien. Iſt 


nicht eine ſolche Verbindung jetzt für unſereinen ſo nützlich, ſo 


erwünſcht und notwendig, als ehmals die Verbindung mit den 


größten und reichſten Häusern fein konnte? | 

Gräfin. Die Liebe ſpielt deiner Klugheit einen Streich. 

Manner. Sie hoffen, weil Sie wünſchen. 

Baron. Iſt nicht Marie auf Ihren Gütern, iſt ſie nicht in 
der Gegend, ja ich darf faſt ſagen, im ganzen Elſaß als ein 
gutes, als ein fürtreffliches Mädchen bekannt? Wird ſie nicht 
von allen geachtet, die ihres Standes ſind, und darf ich nicht 


hoffen, indem ich ihr meine Hand biete, mich mit dem Volke, 


das jetzt die Gewalt in Händen hat, zu verſchwägern und für 
mich und die Meinigen den ſchönſten Vorteil aus dieſer Ver⸗ 
bindung zu ziehen? 

Manner. Nein, Baron! Hier darf ich Ihnen gradezu 
widerſprechen. Glauben Sie, daß der ungeheure Tyrann, der 
Pöbel, oder vielmehr dieſer und jener Tyrann, der das Unge⸗ 
heuer führt und leitet, irgend eine Rückſicht nehmen werden? Ver⸗ 


gebens erniedrigen Sie ſich, man wird Ihnen auch die Erniedri⸗ 


gung zum Verbrechen machen. 
Baron. Die Verbindung mit Marien iſt keine Erniedrigung. 
Manner. Das wollte ich nicht ſagen. Ich rede im allge⸗ 
meinen. Was half dem unglücklichen, dem ſchnöden Fürſten vom 


Geblüte, ſich den Namen Gleichheit zu geben? Suchte man nicht 


ſeine Plane unter dem Namen Gleichheit auf?! 

Baron. Meine Plane ſind nicht ſchändlich. 
Manner. Aber ſie ſind gegen den Sinn des Ganzen, den 
wir leider nur zu wohl kennen. 

Gräfin. Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. 


Mauner. Sie wollen erhalten und die Maſſen wollen zer⸗ Sg 
ſtören. Setzen Sie nicht zu ſchwache Mittel der entgegenſtröbz 


1 Louis Philipp Joſeph, Herzog von Orléans, der ſich als Revolutionär : 3 


— 


0 


— 


8 


.. ˙ A . 


Citoyen Egalité nannte, wurde am 7. April 1793 verhaftet und am 6. November 1 


desſelben Jahres hingerichtet. 


Das Mädchen von Oberkirch: Erſter Aufzug. Zweiter Auftritt. 293 


menden Gewalt entgegen! Verwicklen Sie nicht eine unſchuldige 
Perſon mit in das Schickſal, das Ihnen bevorſteht! 
Baron. Wie? f 
Manner. Marie wird Sie nicht vom Verdachte befreien, 

5 und Sie werden Marien verdächtig machen. 

Gräfin. Du wirſt die Augen auf dich ziehen, und dies iſt 

jetzt auf jede Weiſe gefährlich. 

Manner. Die fürchterlichen Jakobiner ſind nicht zu be⸗ 

trügen, ſie wittern die Spur jedes rechtlichen Menſchen und dür⸗ 
10“ ſten nach dem Blute eines jeden. 
8 Gräfin. Ich ſehe den Augenblick, in welchem wir alle wün⸗ 
4 ſchen, bei unſern vertriebnen Verwandten zu fein. 

Manner. Ach, und ich ſehe den Augenblick, wo ich mit 
meinen Verwandten gleichfalls aus — — ſehen werde. 
Gräfin. O Manner, Sie und Ihresgleichen haben uns den 
bitteren Kelch eingeſchenkt, Sie werden, fürchte ich, die Hefe ſehr 
bitter finden. 

Baron. Wer kann in gegenwärtigem Augenblick, wo alles 
Durcheinander geht, ratſchlagen? Jeder müßte tun, was er das 
20 Zuträglichſte für ſich hielte. 

Gräfin. Wenn er ohne Leidenſchaft ſeinen Vorteil unter⸗ 
ſcheiden könnte. 
Manner. O daß wir wieder auf uns ſelbſt zurückgebracht 
ſind! O daß wir nicht mehr ans Ganze denken dürfen! 
25 Baron. Ihr habt mich aus einem ſchönen Traum aufge⸗ 
ſchreckt. Ich war ſo gewiß, als ich kam, ich bin es noch und 
weiß doch nicht, was ich tun ſoll. 

Manner. Aber — Vergönnen Sie mir ein Wort, ein 
Wort, das ſehr viele andere unnütz gemacht hätte! 

30 Baron. Das wäre. 
Manner. Sind Sie mit Marie einig? 

| Baron. Die Frage iſt wunderlich, aber ich muß jagen: 

Nein. Marie weiß nichts von meinem Vorhaben. Sie ahndet 
nichts davon. 

385 Gräfin. Und du biſt ihrer Einwilligung gewiß? 
3 Baron. Das würde ſich finden. 
Gräfin. Ich muß geſtehn, daß ich Sie nicht verſtehe. 


| ö ich begehre Wenn es gu 
1 wenn es ſchicklich iſt, werden Sie es gewähren 
1 . . erkenne ich meinen Vetter. 8 


nd 


Na 


= 
0 
— 
er 
ER 


erreden. 


Einleitung des Herausgebers. 


enn Goethe ſonſt die Bezeichnung „Gelegenheitsgedicht“ für ſeine 
Schöpfungen in einem höchſten Sinne in Anſpruch genommen 

hat, fo ſind es die folgenden Vor⸗ und Nachſpiele und Theaterreden 

in dem gewöhnlicheren; auch ſo aber ſind ſie die liebenswürdigſten 

5 Zeugniſſe dafür, wie Goethe neben ſo viel anderen Geſchäften über 
ein Vierteljahrhundert, von 1791 — 1817, die Leitung der weima⸗ 
riſchen Hofbühne geführt hat, ganz zu ſchweigen von dem Liebhaber⸗ 
theater, deſſen Seele er während ſeines ganzen Beſtandes von 1776 
bis 1784 als Dichter, Darſteller und Leiter ebenfalls geweſen war. 


Mutter am 28. Oktober 1800, bei welcher von einer jüngeren Lieb⸗ 
habergruppe erſt Gotters „Vaſthi“ und ein Nachſpiel dazu, ein in Mas⸗ 
ken geſprochener Dialog zwiſchen Prologus und Epilogus, aufgeführt 

wurde. Zum Schluß ließ Goethe durch den Mund des Fräuleins Hen⸗ 
15 riette von Wolfskehl, die auch in dem wenige Tage ſpäter aufgeführten 

Maskenfeſtſpiel „Paläophron und Neoterpe“ die letztere ſpielte, die 

ſchönen Stanzen der glückwünſchenden Huldigung „An die Her⸗ 

zogin Amalia“ ſprechen. 
Goethe wußte am beſten, daß es die Opferwilligkeit des Herzogs 
20 und das ſeit ihrer italieniſchen Reiſe im Jahre 1790 geſteigerte Kunſt⸗ 
bedürfnis der Herzogin⸗Mutter Anna Amalia waren, denen die Um⸗ 
wandlung des 1784—90 von Bellomo geleiteten Privatunterneh⸗ 
mens in eine Hofbühne verdankt wurde. Der Hof, deſſen Einkünfte 
durch die harten Zeitläufte in der verſchiedenſten Art geſchmälert und 
25 beanſprucht wurden, iſt nur ſelten mit einem halbjährigen Zuſchuß von 

1000 Talern weggekommen, einmal hat ſich ein ſolcher gar auf 7570 

Taler geſteigert, und im ganzen hat die von ihm gewährte Unter⸗ 

ſtützung in den ſechsundzwanzig Jahren der Goethiſchen Leitung 
150,778 Taler betragen, d. i. etwa ein Drittel der Geſamtkoſten. 


10 An dieſe Zeiten gemahnt noch die Aufführung bei der Herzogin⸗ = 


2098 Prologe, agb und bee ik 


nicht! 5 

baden Lane für das 52 benutzte, wie in der 5 
Rolle des Edelmanns im „Bürgergeneral“ (vgl. Bd. 7, S. 454 dieſer 
Ausgabe), ſondern gelegentlich von ihren Brettern herab in Vor⸗ und 
Nachſpielen Fürbitte und Glückwunſch hat ausſprechen laſſen. Solche s 
Abſicht hatte er z. B. mit dem „Finale zu Johann von Paris“ 
verfolgt. Am 8. Juni 1815 nämlich war Karl Auguſt vom Wiener Kon⸗ 
greſſe heimgekehrt und hatte von dort eine Erweiterung des Landes 
um 31 Quadratmeilen ſowie ſeine Erhebung zum Großherzogtum mit⸗ 
gebracht. Daß er ſich jeden Empfang verbat, vereitelte freilich bei der 10 
nächſten Aufführung der Oper, am 13. Juni, die Verwendung des 
Epiloges. — Ahnlich hatte ſchon der „Prolog zu dem Luſtſpiel 
„Der Krieg‘, von Goldoni“, am 15. Oktober 1793 dem Herzoge, 
während er noch als preußiſcher Generalmajor vor Mainz und in der 
Pfalz im Felde ſtand, innige Wünſche für ſeine Erhaltung und ſehn⸗ 

ſüchtiges Verlangen nach ſeiner Rückkehr ausgedrückt. \ 
Überhaupt hat Goethe, als er fein Urteil über die Erhebung gegen 
Napoleon durch die Ereigniſſe widerlegt ſah, deren Förderung auch 
die Bühne dienſtbar gemacht. Es ſind unwahre Züge in dem Bilde > 
Goethes bei Goedeke, wenn es dort heißt: „Die Freunde, das Theater, 0 
weiter ging fein Blick in die Nähe damals kaum. An dem Tage, als 
die Völkerſchlacht bei Leipzig geſchlagen wurde, vollendete er den 
Epilog zu dem Trauerfpiele ‚Ejfer‘. Die ungeheure Bewe⸗ 
gung, die der Schlacht vorhergegangen war, hatte ihn kaum berührt.“ 
Es war Johann Gottfried Dyks mit dieſem Epilog dann am 13. No⸗ 25 
vember 1813 zuerſt wieder aufgeführtes Trauerſpiel „Graf von Eſſex“, 
das die bekannte unglückliche Verſchwörung des Grafen gegen die 
Königin Eliſabeth behandelt, und wenn der Epilog dem Mitgefühl 
für die Vereinſamung der Großen Ausdruck gibt, ſo iſt ein ſtilles Ge⸗ 
denken an den ſinkenden Napoleon um ſo ſicherer vorauszuſetzen, als e 
eben über dieſer Arbeit deſſen Bild von der Wand fiel und Goethe 
ſolche Vorfälle gern bedeutungsvoll auslegte. Ein erſtes, rüdhal- 
loſes Bekenntnis zur ſiegreichen deutſchen Sache iſt vollends die Ein 
lage Zu Wallenſteins Lager, als die weimarſchen Frei⸗ 
willigen ausmarſchierten, mit der dieſes Stück ſeit der Auf⸗ 88 
führung vom 10. März 1814 in Weimar noch jahrelang gegeben 
wurde. Die letzte vorhergehende Aufführung des „Lagers“ auf dem 


— 


— 


5 


eine de N war; wahrſchenlich it alfo die Ein⸗ 


5 Veranſtaltung benützt worden, wie fie überhaupt noch eine Zeitlang i in 
geſellſchaftlichen Unterhaltungen beliebt war. 
Die Opfer des Hofes für ſeine Bühne waren groß; daß ſie nicht 


lage zum erſten Male nicht im Theater, ſondern in einer privaten | 


größer wurden, war das Verdienſt der wohlgeordneten und geſchäfts⸗ | 


klugen Leitung Goethes. Vor allem ließ er, als die erſte weimariſche 
10 Spielzeit die geringe Einträglichkeit dieſes Bodens erwieſen hatte, als⸗ 
bald ſein Perſonal auf den Spuren Bellomos das Sommertheater 
des damaligen Luxusbades Lauchſtädt, etwa halbwegs Merſeburg und 
2 Halle, beziehen, wie er denn das Lauchſtädter Haus für 300 Taler an⸗ 
fklaufte und dort für 12,000 Taler ein neues Haus errichtete, das am 
; 15 26. Juni 1802 mit dem im 19. Bande dieſer Ausgabe abgedruckten 
Feſtſpiele „Was wir bringen“ eröffnet ward. Bis 1811 hat er regel- 
mäßig von Ende Juni bis Mitte Auguſt dort ſpielen laſſen. Auch 
die Zeit vom Schluß dieſer Sommerbühne bis zu Anfang Oktober, dem 
Beginn der weimariſchen Winterſpielzeit, wußte Goethe ſeine Bühnen⸗ 
20 kräfte wohl auszunützen, bis 1794 durch ein Gaſtſpiel in Erfurt, dann 
nach einem Verſuch, die Kräfte zwiſchen hier und Rudolſtadt zu teilen, 
1796—1803 im letzteren Orte; dazwiſchen wurde es 1799 noch ein- 
mal mit Naumburg verſucht. Die größten Verluſte brachten durch 
vollſtändige Unterbrechung der weimariſchen Winterſpielzeit die Jahre 
25 1806 und 1807, aber auch dieſe Schwierigkeiten wurden von Goethe 
überwunden, und zwar namentlich dadurch, daß er 1807 trotz er⸗ 
ſchwerendſten Bedingungen zwei Gaſtſpiele in Leipzig, vom 24. Mai 
bis Anfang Juli und vom 4. bis 31. Auguſt 1807, einträglich zu ge⸗ 


Goethe ſeine Schauſpieler auch wöchentlich einmal von Lauchſtädt nach 
dem als Badeort aufblühenden Halle gehen laſſen, und 1811—14 
war dieſes ſogar ſeine einträglichſte Sommerbühne; 1815 wurde auch 
Erfurt noch einmal aufgeſucht. 

35 Die Prologe vom 1. Oktober 1791, 11. Juni 1792, 6. Ok⸗ 
tober 1794, 24. Mai 1807 und 6. Auguſt 1811 ſind die poetiſchen 
Aktenſtücke über dieſe Wanderſchaft der Goethiſchen Bühne. Sie find 


. ſtalten wußte, namentlich durch forgfältige Vorführung dort unbe- . 
20 kannter eigener und Schillerſcher Stücke höheren Stils. Längſt hatte 


300 Prologe, . 10 Thenterzeben. 


aber zugleich auch ebenſo ſchöne Zeugniſſe für Goethes Pflege 225 
Beziehungen zum Publikum, zumal Weimars, dem er z. B. letzten 
Dezember 1794 Neujahrswünſche ausſprechen läßt, wie zu den Dar⸗ 
ſtellern, ſo namentlich der vom 6. Oktober 1794, der mit ſchalkhafter 
Liebenswürdigkeit einem ſeiner Lieblinge, der mit vierzehneinhalb 5 
Jahren an den Schauſpieler Becker verheirateten Chriſtiane Neumann, 
auf den Leib geſchrieben iſt, derſelben, die er bei ihrem frühen Hin⸗ 
ſcheiden im Jahre 1797 durch die herrliche Totenklage, Euphroſyne“ 
geehrt hat. 

Vor allem aber zeugen dieſe Dichtungen auch von dem künſtleriſchen 10 
Standpunkt des Theaterleiters Goethe. Schaffung eines harmoniſchen 
Zuſammenſpieles, wohl abgeſtimmte Zuſammenfaſſung aller Kräfte 
in einem einheitlichen Rahmen des Bühnenbildes bezeichnete er von 
vornherein bei der Eröffnung am 7. Mai 1791 gegenüber der ihn 
lange hemmenden Gewöhnung der Schauſpieler an naturaliſtiſche Will⸗ 15 
kür als ſeinen erſten Grundſatz. Bekannt iſt die Erzählung von der 
Schauſpielerin, die ihre wenigen Worte bei der Probe an die fünfzig⸗ 
mal wiederholen mußte und durch Argerlichkeit und Tränen nichts er⸗ 
reichte als die Weiſung: „Nun, mein liebes Kind, gehen Sie jetzt nach 
Hauſe und überdenken Sie ſich das; dann kommen Sie morgen 20 
wieder, da wollen wir es noch ebenſovielmal wiederholen. Da ſoll es 
wohl gehen.“ Das poetiſche Selbſtbekenntnis zu ſolchen Bemühungen 
um die Hebung der namentlich im damaligen Deutſchland noch ziem⸗ 
lich wildwachſenen Schauſpielkunſt iſt der Prolog vom 1. Oktober 
1791. Das letzte Ziel ſolches Mühens und Strebens, die Schaffung 25 

eines hohen Idealſtils nicht nach der Manier, aber nach dem Muſter 
der Franzoſen und damit die Gewöhnung der Schauſpieler an das 
Versſpiel, iſt ihm beſonders ſeit dem durchſchlagenden Erfolge des 
Schillerſchen „Wallenſtein“ geglückt und in Dichtungen denn auch mehr 
durch Schillerſche als Goethiſche Programmſtücke, wie den Prolog zu 30 
dieſer Trilogie oder die Stanzen „An Goethe, als er den ‚Mahontet‘ 
von Voltaire auf die Bühne brachte“ (1800), bezeugt worden. Goethe 
hat in manchem Prologe Erhebung und Erheiterung, allgemeinere 
Bildung des Kunſturteils als die Aufgabe ſeiner Bühne bezeichnet, 
aber als Menſch wie als Theaterleiter, der an die Füllung der Kaſſe 
zu denken genötigt war, blieb er ſich bewußt, daß er vieles bringen 
mußte, um allen etwas zu bringen, und ſo hat er nicht nur der Oper, 


Eh A > 


* 5 = 5 Einleitung des Ferausgebers. 3 ; | ; 801 


er und niederer, ſondern auch launigen und modiſchen Schau⸗ 
und Luſtſpielnichtigkeiten einen breiten Raum gegönnt. 
Dass ſinnigſte Bekenntnis zu dieſer Notwendigkeit iſt das „Nach⸗ 
ſpiel zu Ifflands, Hageſtolzen“, das freilich vom Regierungsrat 
Friedrich Peucer verfaßt, aber durch eine überall gleich ſtarke Über⸗ 
arbeitung Goethes, zu einem Drittel auch ſtofflich, deſſen Eigentum 
geworden iſt. Zwar war Goethe 1796 in der Hoffnung, den großen 
Darſteller für Weimar zu gewinnen, getäuſcht worden; zwei Muſter⸗ 
gaſtſpiele desſelben, im April 1796 und April 1798, ſind trotzdem für 
20 ihn neben Schillers Meiſterdramen ein Hauptmittel zur Begründung 
des idealen weimariſchen Bühnenſtiles geworden. Die verehrungsvolle 
Freundſchaft, die ſeitdem dauernd zwiſchen ihnen beſtanden hat, konnte 
Goethe nicht ſchöner betätigen, als durch die Art, wie er am 10. Mai 
1815, nicht viel über ein halbes Jahr nach Ifflands Tode, deſſen Ge⸗ 
dächtnis feierte. Nachdem durch eine Aufführung der „Glocke“ mit 
Goethes „Epilog“ das Andenken Schillers geehrt worden war, wurden 
die letzten beiden Aufzüge von Ifflands „Hageſtolzen“ aufgeführt. 
So ſchied ein unſchönes Gemälde aus, das die erſten drei Aufzüge von 
koketter Eitelkeit, hageſtolzender Genußſucht und dem Mißbrauch gut⸗ 
mütiger Bruderliebe durch eine mit einem dummdreiſten Bedienten 
verbündete hartherzige und herrſchſüchtige Betſchweſter entwerfen. 
Die letzten zwei Aufzüge, worin der der Vormundſchaft der Schweſter 
entlaufene Hofrat Reinhold zu Fallendal bei ſeinem Pächter Linde 
und deſſen Frau Thereſe findet, was er in allem Reichtum vermißt: 
Familienglück und in darbender Arbeitſamkeit gewonnene Zufrieden⸗ 
heit, und wo er dieſes häusliche Glück durch Werbung um deſſen 
Schwägerin Margarete ſich ſelber zu erwerben anſchickt, erhielten dafür 
eine gefällige Ergänzung im echteſten Ifflandſchen Tone tränenſeliger 
Lebensfreude und Selbſtgenügſamkeit. Die Sorge, die ſich Linde und 
so ſein Weib um die Dauer der Empfindungen Reinholds machen, wird 
durch eine verſtändige Ausſprache zwiſchen den Liebenden beſchwich⸗ 
tigt; der Geheimrat Sternberg, der jenen vor der Werbung um die 
eigene kokette Couſine ſelber gewarnt hatte, beglückwünſcht den Hofrat 
zu dieſem ſo ganz anderen Herzensbunde und findet die innere Befrie⸗ 
35 digung, die ihm die eigene Häuslichkeit nicht gewährt, in ſeinem 
5 richterlichen Amte, worin er das auf Lindes Pachtgut geſchaute Glück 
ſo oft friedlich ſchiedlich ſtiften kann; ſelbſt des Hofrats ſonſt fo ſelbſt⸗ 


in den Dienft der die Verlobung feiernden Pächterfamilie i 


aber bleibt wie als Epilogus die glückliche Braut auf der Bühne und 5 


preiſt neben der eben an einem Beiſpiel veranſchaulichten milden 


Wahrheit und bunten Mannigfaltigkeit der Dichtungen Ifflands auch 


die Kunſt ſeines ehedem in Weimar ſo laut bewunderten Spiels. 


Vor allem durch Iffland war auch Goethes Intereſſe für das ala 


Berliner Theater lebhafter geworden. Der Begründer des Weimarer 


Idealſtils war ſo doppelt der Mann, bei der Wiedereröffnung des er⸗ 


neuerten Königlichen Schauſpielhauſes, die am 26. Mai 1821 mit ſeiner 
„Iphigenie auf Tauris“ ſtattfand, auch den Prolog (S. 303) zu liefern, 
wie er denn dem Intendanten derſelben Bühne, Graf Brühl, noch zum 
13. Februar 1828, der erſten Aufführung der Künſtlergeſchichte „Hans 
Sachs“ von Deinhardſtein, dem Leiter der „Wiener Jahrbücher“, 
ſtatt der bloßen erbetenen Erlaubnis, „Hans Sachſens poetiſche Sen⸗ 


dung“ voranzuſchicken, gleich einen beſonderen neugedichteten „Pro⸗ 


log“ (S. 353 f.) überſandte. Während ihn in dieſem die Liebe zu einem 
ehedem von ihm ſelbſt behandelten Stoffe zum Lobredner eines ſchwachen 
Machwerkes werden ließ, ſo war an jenem Tage der vielſeitige und 
doch immer edelgerichtete weiland Oberleiter der Weimarer Hofbühne 


der berufene Prologiſt; über der Tiefe und dem Reichtum des Schau⸗ a 
ſpiels vergißt er nicht, den Reiz der Oper mit ihrem Reichtum an Br 
wandlungen und ihren Balletts zu preiſen, und überzeugt dankt er 
den Schöpfern des Hauſes für die Gründung einer Stätte heiterer 


RE 


Erhebung und veredelnder Erziehung, und auch für die Ausſtattung 28 a = 


und Anordnung hatte er genaue Anweiſungen mitgegeben. 


Prolog zu Gröſſnung des Berliner Theaters 
im Mai 1821. 


a Saal im antiken Stil. Ausſicht aufs weite 
8 Meer. N 
L 
Die Mufe des Dramas 
(herrlich gekleidet, tritt auf im Sintergrunde). 


> & war es recht! So wollt' es meine Macht! — 
(Sie ſcheint einen Augenblick zu ſtutzen, Theater und Saal betrachtend.) 


Und doch erſchreck' ich vor der eignen Pracht; 
Was ich gewollt, gefordert und befahl, 

Es ſteht und übertrifft mein Wollen hundertmal. 
Ich dachte mir's, doch mit beſcheidnem Hoffen, 
Verwandte Kunſt, ſie hat mich übertroffen. — 
Mit Unbehagen fühl' ich mich allein, 

Der ganze Hofſtaat muß verſammelt ſein. 


Wo bleibt ihr denn? die, wenn ich nicht beſchränkte, 

Zudringlich eins das andere gern verdrängte: 

Der frühſte Heldenſinn, des Mittelalters Kraft, 

Die heitre Tagswelt, ſittſam, poſſenhaft? 

Ihr Wechſelbilder, ihr des Dichters Träume, 
Herein mit euch und füllt mir dieſe Räume! 


Nun faſſe dich! dem Ort gemäß, der Zeit: 
Beſchleunigen iſt Ungerechtigkeit. 
In buntem Schmuck durchzieht ſchon manches eur 
Sich vorbereitend Säulengang und Tor, 

Zu Gleichem Gleiches reihenhaft geſellt, 

20 Weil jedes rein geſondert mehr gefällt. 


304 Prologe, Nachſpiele und Were. EN = 2 . 


Nichts übereilt! Ich lob' euch, die ich sche 
Mit Sparſamkeit gebrauchet Kunſtgewalt 

Und tretet nächtlich, in der Jahre Lauf, 

Den Sternenhimmel überbietend auf; 1 
So daß ein Herz, auch an Natur gewöhnt, 25 
Nach eurem Kreis, dem leuchtenden, ſich ſehnt. : 


Sie rüſten ſich, den hehren Raum zu ſchmücken, 

Ihr ſollt ſie alle wohlgereiht erblicken; 

Doch gebt mir zu, daß ich, was ich entwarf, 

Was alle wollen, gleich verkünden darf. 80 


Vom tragiſch Reinen ſtellen wir euch dar 

Des düſtern Wollens traurige Gefahr; 

Der kräftige Mann, voll Trieb und willevoll, 

Er kennt ſich nicht, er weiß nicht, was er ſoll, 

Er ſcheint ſich unbezwinglich wie ſein Mut 85 
Und wütet hin, erreget fremde Wut 

Und wird zuletzt verderblich überrennt 

Von einem Schickſal, das er auch nicht kennt. 


Unmaß in der Beſchränkung hat zuletzt 

Die Herrlichſten dem Übel ausgeſetzt, 40 
Und ohne Zeus und Fatum, ſpricht mein Mund, 

Ging Agamemnon, ging Achill zugrund.! 

Ein ſolches Drama, wer es je getan, 

Es ſtand dem Griechenvolk am beſten an; 

Sie haben, großen Sinns und geiſtiger Macht, 45 
Mit wenigen Figuren das vollbracht.? 


Nach Jahren ſtürmt's auf wogem Wellenmeere; 

Wir führen euch zum Schauplatz ganze Heere. 

Die Mittelzeit? gebieret Mann für Mann, 

Der Tüchtige hilft ſich, wie er helfen kann, 50 


1 D. h. nicht Zeus und das Schickſal, ſondern die eigenen Leidenſchaften haben 
den Tod Agamemnons und Achills herbeigeführt. — 2 Im griechiſchen Trauerſpiel * 
traten, abgeſchen vom Chor, nur wenig Perſonen auf, weil es nur drei Schau⸗ 3 
ſpieler zur Verfügung hatte. — 3 Das Mittelalter, dem der Inhalt der V. 47 5 
bis 56 geſchilderten Ritterſtücke angehört. 


Preotog zu et des Berfiner zit, e 


und wenn zuletzt ihm Fehl zu Fehle ſchlägt, 
Ergibt er ſich dem Kreuze, das er trägt. 
Was Dulden ſei, erſcheint ihm nur gering, 
Weil er im Handeln an zu dulden fing; 
Entſagung heiligt Kriegs- und Pilgerſchritt, 
Sie treibt's zu leiden, weil der Höchſte litt. 


Nun aber zwiſchen beiden liegt ſo zart 

Ein Mittelglied von eigner holder Art.! 
Schickſal und Glaube finden keinen Teil, 

In reiner Bruſt allein ruht alles Heil; 
Denn immerfort, bei allem, was geſchah, 
Blieb uns ein Gott im Innerſten ſo nah; 

Wo Erd' und Himmel ſich zum Gruße ſegnen, 

Dem Staunenden als Herrlichſtes begegnen. 


Wenn obere Regionen ſo ſich halten, 

Wo Fürſt und Fürſtin überſchwenglich walten, 

So mag darauf Gewöhnliches geſchehn!? — 

Ein Bürger kommt, auch der iſt gern geſehn, 

Mit Frau und Kindern häuslich eingezwängt, 

Von Grillenqual, von Gläubigern gedrängt, 

Sonſt wackrer Mann, wohltätig und gerecht, 

Nach Freiheit lechzend, der Gewohnheit Knecht; 

Die Tochter liebt, ſie liebt nicht, den ſie ſoll, 

Ein muntrer Sohn, gar mancher Schwänke voll, 

Und was an Oheim, Tanten, dienſtbaren Alten 

Sich Charaktere ſeltſamlich entfalten; 

Das alles macht uns heiter, macht uns froh, 

Denn ohngefähr geht es zu Hauſe ſo. 

Und was die Bühne künſtlich vorgeſtellt, 

Erträgt man leichter in der Werkelwelt; 

Die Toren läßt man durcheinander rennen, 

Weil wir ſie ſchon genau im Bilde kennen. 

Jetzt liegt uns nah, was wir auch nicht verſchmähn, 
Das Poſſenhafte gleichfalls gern geſehn; 

Er 1 Seelengemälde in der Art von Goethes „Iphigenie“ oder „Taſſo“. — 2 Im 
5 Luſtſpiel. 
i Goethe. XVIII. | 20 


seh 306 | ee eie und nr 


Doch niemand wünſcht ſichs in das eigne 
Die Sittlichkeit wies es zur Tür hinaus; mer. 
Von Markt und Straßen ſelbſt Hinweg . 
Hat ſich's getroſt der Bühne zugewandt, 

Weil dort die Kunſt, zu ihrem höchſten Preis, 5 
Gemeine Roheit klug zu mildern weiß, . „ 
Daß der Gebildete zuletzt erſchrickt, Bet 
Wenn ihn Abſurdes feſſelt und entzückt. 


Dies darf ich heute nur mit Worten ſchildern, 

Doch ſeht ihr alles in belebten Bildern e 
Vor eurem Blick zunächſt vorübergehn. 95 
Wir zaubern euch zu heiligem Tempelfeſte, ie, 
Zur Krönungsfeier ſchmücken wir Paläſte; 

Was alt' und neue Zeit gebäulich wies, 

Nach düſtrer Burgen ſtolzem Ritterſaale 2 
Erblickt ihr Türme, kirchliche Portale, 100 
Kreuzgang, Kapelle, Keller und Verlies. 


Und innerhalb der Räume ſeht ihr walten 

Der Zeit, dem Ort gewidmete Geſtalten, 

Tagtäglich führt man euch zu andrer Welt. a 
Und wie bequem iſt's doch, mit uns zu reiſen! 105 
Die beſten Pfade wird man jedem weiſen, 
Der ſich der Muſe treulich zugeſellt. 

(Sie tritt begeiſtert zurück, als wenn ſie etwas in den Lüften hörte.) 5 
Was ruft! — Ein Dämon! — Helfet mir bedenken! 1 
Ich ſoll den Schritt nach andrer Seite lenken. 8 
Ja! was ich ſagte, ſagt' ich offenbar, 110 
Dem Menſchenſinn gemäß, wahrhaft und klar; 0 
Nach Wunderbarem aber treibt mich's, will 8 faſſen. 

Nun folgt mir gern, ſonſt müßt ich euch verlaſſen. 
(Sie eilt hinweg.) 


ine duenne woe der Kuliſe unterhalten die feat und 5 1 
leiten das Folgende ein. 8 


Die Muſe 


bee b „den Thyrſus! in der Hand, ein Pantherfell um die Schultern, das de 1 
mit Efeu bekränzt). 


Tauſend, abertauſend Stimmen 
Hör' ich durch die Lüfte ſchwimmen, 
Wie ſie wogen, wie ſie ſchwellen! 
Mich umgeben ihre Wellen, 

Die ſich ſondern, die ſich einen, 
Sie, die ewig ſchönen, reinen. 
Wie ſie mir ins Ohr gedrungen, 
Wie ſie ſich ins Herz geſchlungen, 
Stürmen ſie nach allen Seiten, 
Von der Nähe zu den Weiten, 
Berghinan und talhernieder, 
Arnd das Echo ſchickt fie wieder. 

05 5 (Das Theater verfinſtert ſich.) „ 

Und von den niedern zu den höchſten Stufen „ 

Sind Kräfte der Natur hervorgerufen. N 
Die Atmoſphäre trübt ſich, iſt erregt, 

Der Donner rollt, ein Blitz, der praſſelnd ſchlägt 
30 Zerſplittert Wald und Fels, die moofigen Alten. 
Dr Die Rinde gar des Bodens wird geſpalten. 

a (Ein roter Schein Aberzieht das Theater.) 

; Erdſchlünde tun ſich auf, ein Feuerqualm 5 
Zuckt flammend übers Feld, verſengt den Halm, 
Verſengt der Bäume lieblich Blütenreich; 

Nun herrſcht die Nacht, das Leben ſtockt ſogleich, 
And aus den Grüften hebt ſich leis heran 
Das Gnomenvolk und wittert? alles an 


f = Den Bacchantenſtab mit der Weintraube als Knopf; die ganze Ausſtattung 
kennzeichnet die Muſe als Dienerin des Bacchus oder Dionyſos, des Vaters des 
iſchen Bühnenſpiels. — 2 Unterſucht ſchnobernd. 


20* 


308 Prologe, Nachſpiele — Theat erreden. IR 


Und wittert alles aus und ſpürt den daa, 

Und forſcht und gräbt, da glitzert mancher Seb. 

Das altverborgene Gold bringt keinem Heil, 140 
Der Finſternis Genoſſe will ſein Teil. 2 | 
Im Innern ſiedet's, ſchäumt und ſchleudert wilder 

Durchs Feuermeer furchtbare Schreckensbilder; 

Wie Salamander lebt es in der Glut! 

Und ſtreitet häßlich mit vulkaniſcher Wut. 145 


Schon hüben und drüben ſind Berge verſunken, 

Schon gähnet der Abgrund, ſchon ſprühen die Funken. 

Was iſt mir? was leuchtet ein wunderlich Licht? 

So leuchtet der Furie Feuergeſicht. 

Und unter dem Kopfſchmuck phosphoriſcher Schlangen 150, 
Weiß glühen die Augen und rotbraun die Wangen. 

Der Schrecken ergreift mich, wo rett' ich mich hin! 

Noch kracht es entſetzlicher, Felſen erglühn, 

Sie berſten, fie ſtürzen, fie öffnen mir ſchon 

Der grauſeſten Tiefe Plutoniſchen Thron! 155 


(Das Theater verwandelt ſich in einen hellen, erfreulichen Ziergarten) 


Kehrſt du wieder, Himmelshelle! 

Iris mit gewohnter Schnelle 

Trennt die grauſen Wolken ſchon, 

Augenfunkelnd für Entzücken, 5 | 
Den Geliebten zu erblicken 160 
Auf dem goldnen Wagenthron. 


Phöbus glänzt ihr hold entgegen; 

Himmliſcher Vermählung Segen 

Fühlt der Erde weiter Kranz. | 
Um des Bogens bunten Frieden 165 
Schlingen lieblichſte Sylphiden?, t 2 
Schillernd zierlich, Kettentanz. 


Und da unten Silberwellen, 
Grünlich⸗purpurn, wogen, ſchwellen 


1 Elementargeiſter im Feuer; vgl. „Fauſt“, V. 1273, Bd. 5, S. 67 dieſer ii 
gabe. — 2 Weibliche Elementargeiſter der Luft. . 


7 
2 2 
A 
8 


258 
de 755 


uch pb in 1 e 5: 
Schalkiſch locken gleich chin, 
Blauen Augs, verſchämter Mienen, 
Sich den Himmel in die Flut. 
Blüht's am Ufer, wogt's in Saaten, 
5 Alles iſt dem Gott geraten, 

Alles iſt am Ende gut! 


(Tanz von 35 und Undinen.) 


Die 2 Muſe 


bonn in anmutiger Kleidung, und nachdem ſie einigen Anteil am a ge⸗ 
i nommen, wendet fie ſich zu den Zuſchauern). 


Viel iſt, gar viel mit Worten auszurichten, 
Wir zeigen dies im Reden wie im Dichten; 
Doch liebliche Bewegung, wie geſehn, | 
Darf man zu ſchildern ſich nicht unterſtehn, 
Nur der Geſamtblick läßt den Wert empfinden, 
Der holde Tanz, er muß ſich ſelbſt verkünden. 


An ihm gewahrt man gleich der Muſe Gunſt, 
Das höchſte Ziel, den ſchönſten Lohn der Kunſt. 
O möge den Geſchwiſtern ſämtlich glücken 

Solch allgemeiner Beifall, ſolch Entzücken! 


Denn das iſt der Kunſt Beſtreben, 
Jeden aus ſich ſelbſt zu heben, 

Ihn dem Boden zu entführen; 
Link und recht muß er verlieren 
Ohne zauderndes Entſagen; 

N Aufw' ärts fühlt er ſich getragen! 
Und in dieſen höhern Sphären 
Kann das Ohr viel feiner hören, 
Kann das Auge weiter tragen, 
Können Herzen freier ſchlagen. 


Und ſo geht's den Lieben allen, 
Die im Elemente wallen, 
Welches bildend wir beleben; 

0 Wer empfing, der möchte geben. 


310 


= Pesto, * 


He der Himmelsluft der Musen 5 
ffnet Buſen ſich dem Buſen, 
Freund begegnet neuem Freunde, 
Schließen ſich zur Allgemeinde, 

Dort verſöhnt ſich Feind dem Feinde. 


So herrlich fruchtet, was die Muſe gönnt! 
Die ihr's genießt, es dankbar anerkennt, 

Preiſt ihn mit mir, den Gott, der es gegeben. 
Was heute fröhlich macht, was heute rührt, e 
Nicht etwa flüchtig wird's vorbeigeführt; x te 
Was heute wirkt, es wirkt aufs ganze Leben. . 


Die Kunſt verſöhnt der Sitten Widerſtreit, 
In ihren Kreiſen waltet Einigkeit. 

Was auch ſich ſucht und flieht, ſich liebt und haßt, 9 
Eins wird vom andern ſchicklich angefaßt: 215 
Wie Masken, grell gemiſcht, bei Fackelglanz 5 
Vereinigt ſchlingen Reih- und Wechſeltanz. 

Vor ſolchen Bildern wird euch wohl zumute! 
Empfangt das Schöne, fühlt zugleich das Gute, 
Eins mit dem andern wird euch einverleibt; 
Das Schöne flieht vielleicht, das Gute bleibt. 
So nach und nach erblühet leiſe, leiſe 

Gefühl und Urteil, wirkend wechſelweiſe; 

In eurem Innern ſchlichtet ſich der Streit, 
Und der Geſchmack erzeugt Gerechtigkeit. 


Und ſo in euch verehr' ich meine Richter! 

In gleichem Sinne huldigt euch der Dichter, 
Der, wär' er noch ſo ſtolz auf ſein Talent, 
Doch eures Beifalls höchſten Wert erkennt. 
Erweiſt euch nun, wir anerkennen's willig, 
Aufmerkſam offnen Sinns, gerecht und billig. 
So ſchmücket ſittlich nun geweihten Saal 

Und fühlt euch groß im herrlichſten Lokal. 


Denn euretwegen hat der Architekt 
Mit hohem Geiſt ſo edlen Raum bezweckt, 


Daß ihr euch ſelbſt 1 fühlen ol 
Wie's dem Senat geziemt, den eine 3 77 
| Auf jeinen Spruch zu harren würdig hält 


o Denn auch der Bildner ſchmückt das edle Sci 
E Vom Sockel bis zum Giebel reichlich aus. 
Hier muß euch ernſt im Heiligtume ſein, 
Denn Götterformen winkten euch herein; 
Wo ringsumher der Maler ſich bemüht 

Und euren Blick von Bild zu Bilde zieht, 
Da, was euch einzeln ſonſt gefeſſelt hielt, 
In einem Kreiſe hundertfältig ſpielt. 


Das iſt nun offenbar; doch was verhüllt 
Geheimnisvoll die innern Räume füllt, 

Erſt harrend ruhig, magiſch dann behende, 
Im Augenblick, wie ich die Finger wende, 
Wird mannigfaltig, ſo nun Jahre walten, 
Sich nach und nach vor eurem Blick entfalten. A 
Und weſſen Wollen dies uns zugedacht, „ 
Auf weſſen Wink die Meiſter das vollbracht, a 1 
Wer wüßt' es nicht zu deuten, nicht zu nennen; 

Doch ihm genügt, daß wir es anerkennen. 


In dieſer Schöpfung, dieſem Kunſtverein, 

Wie muß es mir denn erſt zumute ſein! 
So großes Leiſten fordert Großes an, 
Viel iſt zu tun da, wo ſo viel getan. 
Was wäre nicht zu denken, nicht zu ſagen! 
Doch will ich's jetzt mir aus dem Sinne ſchlagen. 
(Sie wendet ſich, lebhaft⸗ anmutig weiter vortretend, an die Zuſchauer.) 
Erſcheinen die Freunde ſo oft und ſo viel, 
Sie heißen willkommen! 
Wir andern, wir wechſeln, wir ſteigern das Spiel, 
Und jedermann hat ſich das Seine genommen. 
Eröffnen die Räume, die heiteren, hellen, 
Sich als ein Gemeingut wie heilende Quellen 


312 Prologe, Nachſpiele und Sbeslensden. 


Dem Nächſten, dem Fernſten, dem Höchſten zur auf, 227⁰ 
Beleben der Menge bewegliche Bruſt; 2 

So Alte, ſo Junge ſind alle geladen, 

In unſerem Ather ſich munter zu baden. 

Ein Traurender komme, da fühlt er ſich froh, 

Erheitert ein Sorgender; jeglicher ſo, „ 
Wie's immer dem einen, dem andern entſpricht, | 
Zum Streben, zum Handeln, zum Wirken, zur Pflicht. 


So ſind wir am Ziel nun; er hat es gewollt, 

Daß freudig geſchehe, was alle geſollt. 

Des Vaterlands Mitte verſammelt uns hier, 280 
Nun iſt es ein Tempel, und Prieſter ſind wir; 

Wo alles zum Höchſten, zum Beſten gemeint, 

Um unſeren Herrſcher entzückt ſich vereint. 


| er Rückkehr Ihre Nönigl. Hoheit des Groß. 
herzogs von Wien. 
Finale zu „Johann von Paris“. 


Iſabella. 

Warum vor mir die Knie beugen? 

Und wenn ich ſelbſt Navarras Fürſtin wärel; 
Nur Ihm, nur Ihm gebühret Preis und Ehre! 
in Euch, fie Ihm zu bezeugen. 


Johann (aufſtehend). 

Wie gern entäußr' ich mich des Fürſtenſtandes, 

Worin ich mir zum Scherze wohlgefiel. 

Die ernſte Rührung folgt dem Spiel, 

Begrüßt den Vater dieſes Landes! 

Iſabella und Johann. 
Iſabella. 

Ja, wir flehten, wenn Gefahren 

Du dich kräftig ausgeſetzt: 

Wirk' er unter ſeinen Scharen 

Hochverehrt und unverletzt. 

Johann. 

Wenn das Meer dich trug und trennte, 

Dringend auch die Andacht war; 

Denn der Kampf der Elemente 

Bringt dem Edelſten Gefahr. 

Iſabella und Johann. 

Mitten in dem Weltgewirre 

Blieben wir in deinem Rat; 

Klugheit ſelbſt wird ſchwankend irre, 

Zeigt die Liebe nicht den Pfad. 


1 Inſofern die Schauſpielerin dieſe nur ſpielte. 


Ja, wir beben das s erſlcht. 
| Chor. 
Und ſo mögen Millonen 
Uns beneiden: 

Wir umwohnen 

Den Gelobten, 

Den Erprobten! 

Teil' er fröhlich dieſe Feſte 
Seiner Kinder, ſeiner Gäſte. 


i Seneſchall. | 
Zum Gaſtmahl des Herrn Johann da 
Wir ungern uns geſchickt, 
Nun aber iſt der rechte Mann da, 
Der ſchützet und nährt und beglückt. 
Der Seneſchall vor allen 
Stellt ſich dem Fürſten dar 
Und hinter den Masken allen 


5 Verehrung treuer Schar. 


& Chor. : 
Und aus den Herzen allen 
Verehrung treuer Schar. 


Pedrigo. 
Und da, wo die Herzen weit ſind, 
Da iſt das Haus nicht zu eng. 


| Lorezza. 
Und da, wo die Wege breit find, 
Geht jeder die Quer' und die Läng'. 


Beide. 
Und ſo nach dieſem Feſte 
Der Weg, der iſt munter und weit, 
Und wir für alle Gäſte 
Sind tätig und bereit. 


ee Wir tätig und bereit. 


Frei Wel alle Gäſte, 


Olivier. 
Ihm zu Ehren, ihm zu dienen, 
Laßt den Pagen auch herein. 


Lorezza und Pedrigo. 
Seht mir nur den Tollen, Kühnen, 
Er will wieder der erſte ſein. 
Olivier. 
Laßt mich nur, den Muntern, Kühnen, 
Sollt' ich auch der letzte ſein. 


Als ich mich im Singen übte, 
Fand ich hier und fand ich dort 
Gott und König und Geliebte 

Überall das Loſungswort. 


Chor. 
Gott und König und Geliebte 
Sei auch unſer Loſungswort. 


| Prinzeſſin. 
Doch wer hat für Gott geſtritten, 
Für der Seele höchſtes Heil 
Als mit allen, die gelitten, 
Unſer Herr an ſeinem Teil? 


Chor. 
Herrlich kommt er angeſchritten, 
Unfrer Seele ſelig Heil. 


Johann. 
Und wo ward denn je den Thronen 
Solch ein großer Kampf geweiht, 
Wo die Schar der Millionen 
Kaiſern förderte den Streit?! 


1 In der Schlacht bei Leipzig. 


916 


Prologe, Nachſpiele und Theaterreben. 
Chor. 
Nah und ferne, wie ſie wohnen, e 
Alle ſtürzten zu dem Streit. a 
Seneſchall. f „ 
Nun bemerk' ich untertänig, 
Denn zu ſehr betrifft es mich: 
Ehmals ſtritt man für den König; 
Nun ſie ſtritten ſelbſt für ſich. 
Chor. 
Streite jeder für den König, 80 
Und ſo ſtreitet er für ſich. | 
Olivier. 
Und vergebt mir, liebe Frauen, 
Gerne ſteht ihr nicht zurück; 
Sie, die Herrlichſte, zu ſchauen — 
Freiheit! — ſie macht unſer Glück. 85 
Chor. 
Sie, die Göttlichſte, zu ſchauen — 
Freiheit! — ſie macht unſer Glück. 
Pedrigo und Lorezza. 
Und ſo iſt denn unſerm Leben 
Und dem Unterſten im Land | 
Gott und König wiedergeben 90 
Als der Freiheit ſchönſtes Pfand. 
| Chor. 
Gotte! der uns gnädig erhört, 
Preis in Ewigkeit. 
Dem Fürſten, der ſich und uns erhöht!, 
Heil zur längſten Lebenszeit. 
Beide verehrt in allen Landen! 
Freiheit iſt auf ewig erſtanden. 


1 Pgl. S. 298, 8. 7ff. 


15 


Euer Tumult, was will denn das? 

Seid höflich! denn ich ſing' euch was. 
Zweiter Jäger. 

Da werden wir was Neues hören; 

Doch hütet Euch, ihn nicht zu ſtören! 
Erſter Jäger. 

Nichts Neues! Alten Leierton! 

Er iſt verliebt, ich ſeh' es ſchon. 

| Sänger (rezitativiſch). 

Wo ſo viel Völker ſich verſammeln, 

Da mag ein jeder ſingen und ſtammeln. 


Da dah! ta dah! 


Erſter Jäger. 
Ein närr'ſcher Wicht! 
Der Kerl, er ſingt ſchon, wenn er ſpricht. 


Zu „Wallenſteins Tager“. 
En Als die weimarſchen Freiwilligen ausmarſchierten. N 
after Holkiſcher Jäger. Zweiter Holkiſcher Jäger. Fremder Sänger. 
5 Erſter Jäger. 
Da kommt noch einer überquer, 
Der iſt gewiß aus Italien her. 
ss Zweiter Jäger. 
Was willſt du denn mit deiner Zither? 
Du ſiehſt aus wie ein Hochzeitbitter. 
Erſter Jäger. 
Der Narre, der iſt ſo bänderreich, 
Sein luſt'ges Land erkennt man gleich. 


Sänger. 


Intonierend.) 


0 5 
a 


3052 1 ins Few i will dich 
Wenn auch mein Herz mir wi ei bug 
Von deiner Nähe werd' ich ſcheiden, 


Von meiner Liebe kann ich nicht. 


Jus Feld hinaus! Das heißt nicht meiden; | 
Denn meine Seele ſcheidet nicht. 
Ja, mich erwarten hohe Freuden, 

Und ich erfülle meine Pflicht. 


Ich will ins Feld! Warum nicht ſcheiden? 
Dir ſei die Träne, mir die Pflicht. 3 
Nun Lebewohl! Es iſt kein Leiden: 

Ich bleibe dein! Vergiß mein nicht. 


Erſter Jäger. 
Vergiß mein nicht, das iſt ein ſchlehtes gen 
Wer will denn leben, kann er nicht vergeſſen? 
Vergeſſen! ja! ſich ſelbſt vergeſſen, 
Das iſt die Kunſt, ſo ſoll es ſein! 
Mit Feinden hab' ich mich gemeſſen, „ 
Mit Mädchen und mit Flaſchen Wein. 
Nr Zweiter Jäger. | 
88 ift nicht recht, den Gaſt zu ftören; 
Wir möchten das noch einmal hören. 
Den Feind zu ſchlagen, das iſt Scherz, 
Und wer noch lebt, wird immer naſchen, 
Da gibt es Mädchen, gibt es Flaſchen; 
Doch haben wir auch eine Art von Herz, 
Der Kleine ſoll uns ſingend rühren. 


Erſter Jäger. 
Ich 1 ſchon, laßt Euch verführen. 
Sänger (wiederholt ſein eie) 


Zweiter Jäger. 2 
Ganz recht! Der Abſchied iſt ein Spiel! 
Nun wird es ernſt und immer beſſer: 


Es ſei dein Lied ein ſcharfes Meſſer, 

Dem Feind die Spitze, mir den Stiel. 
Schlußchor. 

Und ſo hat denn der Dichter das Wahre geſagt, 

Wie wir es denn alle nun wiſſen. 

Ihr Jünglinge ſeid, ſowie es nun tagt, 

Zum Marſch und zum Streite befliſſen. 

Gedenket an uns in der blutigen Schlacht, 

Und habt ihr das Werk mit, das große, vollbracht, 

So bringt uns, was ihr uns genommen. 


Säuger (solo, quasi parlando). 
Eure Gegenwart 
So lieb und wert! 

Chor. 
So ſeid ihr uns herzlich willkommen. 


320 Prologe, Nachſpiele und Tpeaterveben. 


Nachſpiel zu Ifflands „Hageſtolzen“. 


Erſte Gruppe. 
Margrete, der Hofrat, Thereſe, die beiden Kinder. 


Margrete. 
Aus werter Hand hab' ich den Strauß empfangen, 
Und feſtlich prangt er mir im ſchlichten Haar; 
Als hohe Braut komm' ich einhergegangen, 
Die geſtern noch ein armes Mädchen war; 
Bald ſchmückt mich reicher Stoff! und goldne Spangen, 5 
Ein Diener reicht mir das Befohlne dar, 
Die niedre Kammer tauſch' ich um mit Zimmern, 
Wo Decken ſtrahlen, wo Tapeten ſchimmern. 


Und werd' ich dann mich ſelber noch erkennen? 8 
Bin ich dann auch ſo froh, ſo brav, ſo gut? 10 

(Zu Thereſen.) i 
Wirſt du mich dann auch noch Margrete nennen? 

(Zu den Kindern.) 
Und Bärbchen, Paul, — ſeid ihr mir dann noch gutt 
Soll ich es je, jemals Bi können, 
Daß ich aufs Feld ging mit dem Schnitterhut? 

(Zum Hofrat.) 
Dann haſt du dir die Rechte nicht erleſen, 
Dann bin ich — nein! Margrete nie geweſen! 

(Sie verbirgt ſich in die Arme des Hofrats.) 


Hofrat. 
So recht! In des Mannes Arme 
Flüchte ſich das bange Weib, 


auf ihre Frage: „Muß ich denn nun ſeidne Kleider tragen?“ vom Hofrat die Ant⸗ 


1 In den „Hageſtolzen“, Aufzug 5, Auftritt 16, erhält Margarete unter anderm 


wort: „Ja, mein Kind.“ 


gt zu Mfanse mbar ei Se 321 


5 Daß b ihr ſanft geſchmiegter Leib 
An der ſtarken Bruſt erwarme. 


Margrete Gum Softad. 

Und werd' ich deiner Hoffnung auch entſprechen? 
Sieh mich noch einmal an: Gefall' ich dir 
5 Mit dieſem Waſſerkrug, mit dieſem Rechen, 
= Mit dieſem Mieder ohne Putz und Zier? 

5 Und wirſt du dann auch freundlich zu mir ſprechen, 
Wenn es nun feſt iſt zwiſchen dir und mir? 

Bedenke dich! für mich ſei ohne Sorgen, 

Denn wie ich heute bin, ſo bin ich morgen. 


Wir kennen nicht der Städter leichte Sitte, 
Wir halten Wort auf unfrer ſtillen Flur; 
Die treue Liebe wohnt in unſrer Mitte, 
Sie weilet gern in ländlicher Natur. 
(Zu Thereſen.) 
Nicht wahr? — O Schweſter, auch in deiner Hütte 
Blüht ihrer Nähe ſegensvolle Spur? 
Das wunderſeltne Bild beglückter Ehen, 
Bei euch hier hab' ich's oder nie geſehen. 
O daß es mich — auch dorthin mich begleite, 
Wo ſich das Leben wilder nun bewegt; 
Wo Häuſer ſtreben in die Höh' und Weite, 
Wo ſich der Lärm auf lauten Märkten regt; — 
(Zum Hofrat.) 5 
5 Dann, Lieber, rette dich an meine Seite, 
AZ3au ihr, die dich im treuen Herzen trägt, 
Die ſich dir ganz und ewig hingegeben, — 
So gehn wir, feſt umſchlungen, durch das Leben. 
Thereſe. 
Ich weiß nicht, was mit dem Mädchen iſt! 
Auf einmal ſo anders! Margrete, du biſt — 
Hofrat. 
Gute Frau, laß ſie gewähren. 
Was ſie ſpricht, iſt Silberhall 
Aus der Harmonie der Sphären, 
Goethe. XVIII. 21 


| belege, Aegi und Wer en 


Die im N All 
Ihren hohen Meiſter loben. 


Ja, auch mich, den ernſten Mann, 1 


Drängt, was ich nicht nennen kann, 
Mächtig, wunderbar nach oben; 
Und wie man von Bergeshöhen 
Pflegt ins niedre Tal zu ſehen: — 
Hier das Dörfchen, dort die Au, 
Weiterhin die grünen Streifen, 
Die in braune Felder ſchweifen, 
Fern der Berge Nebelgrau, — 
Alſo trägt uns oft das Leben 
Über Menſchen⸗Tun und ⸗Weben 
Wie auf unſichtbaren Thron, 
Und wir ſchaun (uns hebt der Glaube), 
Haupt in Wolken, Fuß am Staube, 
In die tiefe Region. 

Vor mir ausgebreitet blühet 

Reiche, herrliche Natur; 

Das Unendliche durchglühet 

All' und jede Kreatur. 

Segen denen, die gefunden 

Früher Liebe Roſenſtunden! 

Früher Ehe Vaterglück 

Schaut ins Leben gern zurück. 

Aber auch in ſpäten Tagen, 

Wie wir ſelbſt es heute wagen, 
Wenn ſich's gattet, wenn's gerät, 
Immer iſt es nicht zu ſpät. 

Aber die, gebeugt durch Schmerzen, 
Abgeſagt dem holden Bund 

Und, von Schickſalsſchlägen wund, 
Ausgelöſcht der Hochzeit Kerzen, — 
Dieſen armen Pilgern Friede! 

Bis ſie einſt, der Wallfahrt müde, 
Eilen der geſell'gen Ruh' 

In verklärten Höhen zu. 


1 
0 


wi 


8 


% wer wird ſo traurig rede 5 
b e naß in die Augen treten. N 
| N Hofrat. 
Zenn Tränen in Aa Augen jtehn, 
en Erd' und Himmel doppelt ſchön. 


. geht langſam mit * nach dem Hintergrund.) 5 
5 . Paul. u Be 
te, was mag bei Fremden fehlen 
25 g Thereſe. 1 e 

@ e mat, er iſt Margreten ſo gut. Bear... 
® auf, „ 


8 5 85 Thereſe. ? 
ch wills euch ein andermal erzählen. va 
1 groß ſeid, wird es euch auch ſo gehn. 


(Sie ſpringen fort.) 
Zweite Gruppe. | 
Thereſe und Linde, Er 
en 5 


Linde. 


Thereſe. 
Die Heirat mit Margreten. 


Linde. ; 


5 
Soll ich reden? 
21 * 


nee 


8% Prologe, Nachſpiele und Theaterreden. 


Linde. 
Ei freilich, Thereſe, ich höre dich gern. 
Thereſe. 
Siehſt du, ich habe nichts wider den 9 
Er iſt ſo artig, ſo mild und gut, 
Vor jedem Bauer zieht er den Hut; 
Man kann mit ihm ſprechen, man kann ihn fragen; 105 
Bald bringt er den Paul, bald Bärbchen getragen; m 
Selbſt der in der Wiege, der kleine Dieb, 
Lacht, wenn er ihn ſieht und hat ihn lieb. 
Aber das laſſ' ich mir nun einmal nicht nehmen: x 
Das Dorf paßt nimmer zu der Stadt, 110 
Und wo reich und arm ſich geſellet hat, | 
Da will ſich's nicht ſchicken und bequemen. 


Linde (ihr die Hand reichend). 
Nun, nach Reichtum haben wir nicht gefreit. 


Thereſe leinſchlagend). 
Der größte Schatz iſt Genügſamkeit; 5 
Dann Geſundheit dazu und tüchtiges Streben, 5 15 
So hat man immer genug zu leben. 3 
Und kurz und gut, vornehm und gering 
Hat es von Anbeginn gegeben; 
Das iſt ein uralt weislich Ding: © 
Wer in die Sonne blickt, wird erblinden, | 120 
Und wer ein niedres Los empfing, 
Der ſoll ſich nicht Hohes unterwinden. 
Wie manchmal haſt du mir Geſchichten 
In Winterabenden erzählt, 3 
Wie Leute, die der Hochmut quält, 125 
Nach fernen Inſeln die Anker lichten, 1 
Um nicht zu Hauſe den Acker zu baun, 
Wie ſie all ihre Hoffnung und ſich dazu 
Den wilden Meeren anvertraun, 
Statt daheim zu bleiben in ſichrer Ruh’; — 
Sie find reich geworden und find — verdorben 
Und ſind zuletzt noch in Armut geſtorben. 


| des zu lands „Sageflolgen. .. 325 


en: Linde, 
und das alles fällt dir ein, 
Weil Margrete nach der Stadt will frein? 

er Thereſe. 

135 Unſre Hütte ſei unſer Hochzeitſaal. 
Wir, Fritz, wir bleiben in Fallendal!; 
Statt Prunkgemächer, ſtatt Samt und Seide 
Sind unſre Kinder unſre Freude. 


Linde. 
Wir ſtärken uns immer an unſern Lieben! 
140 Ach ja, das Leben iſt doch ſchön! 

5 Ich wollte, du wärſt nicht heimgeblieben, 
Du hätteſt ſollen mit mir gehn. 

Siehſt du, es iſt dir draußen ein Segen, 
. Wahrhaftig, es ſieht's ein Auge gern; 
145 Getreide, mannshoch allerwegen — 

5 Heuer, Thereſe, blinkt unſer Stern: 

Die Ahren ſo dicht, ſo reich und ſchwer, 
Es wallt und wogt wie ein Halmenmeer. 
Die Sicheln ſind doch ſämtlich im Stand? 


5 Thereſe. 

150 Schon vorige Woche. 

En‘. Linde. 
3 Willkommne Zeit! 
Und fröhliche Menſchen zum Wirken bereit. 


Als fie den Geheimerat und Hofrat kommen ſehen, gehen ſie ins Haus.) 


Dritte Gruppe. 
Der Geheimerat Sternberg und der Hofrat. 
Sternberg. 
Nein, teurer Freund, es iſt wohl bedacht, 
Ich bleibe bei Euch nicht über Nacht. 
Beruhigung mit heitern Mienen 
Iſt mir in freier Luft erſchienen: 


1 Bl. S. 301. 


Wie Langel 
ene, 


Ihr betrügt euch ums Reben. 


e 5 
Für Bitten — 


5 ten 
en der nf fehende Blicke — 


ofrat. 
. Fa Blind! 
und was habt ihr von euern Akten? 
Sternberg. 


= Staub! 
Doch wie aus Gartenſtaub hervor, 
Blüht uns auch hier ein ſchöner Flor. 
Mein Freund! ein ganzes langes Leben 
Hab' ich in Arbeit hingegeben 
Four Fürſt und Staat, für Recht und Pflicht, 
3 heute noch gereut mich's nicht. 
Nein, laß mir das Geſchäft in Ehren; 
Es ift ein Balſam für das Herz: 
Nicht töten will es und zerſtören; 
Es glänzt nicht, fliegt nicht ſonnenwärts, 
Diooch liegt, ich darf es wohl berühren, 
In Staub von Akten und Papieren 
Gar wunderbare Zauberkraft, 
Zu fänftigen die Leidenſchaft, 
Und was das blanke Schwert entrafft, 
Man muß den Aktenſtaub zitieren, 
Der es, ſtill wirkend, wiederſchafft. 


5 Hofrat 

(der ihm mit ſteigendem Vergnügen zugehört). 
Gi, fie doch! Schön! für deine Wunden 
Iſt die Arznei mit einmal gefunden. 
Wem Freundeshand, wem Dienerpflicht 
Mit Blumen den irdiſchen Pfad umflicht, 
Um den iſt's ſo traurig nicht beſtellt. 
Wir teilen uns alſo in die Welt: 
Auf dem Lande wie in der Stadt 
Jeder zu tun und Freude hat. 


328 


Und Rad und Achſe war nun frei. 


Prologe, Nachſpiele und Theaterreben. 


Vierte Gruppe. ee 
Geheimerat Sternberg, Hofrat und Margrete. . 
Hofrat. :p; u 
Du biſt nicht heiter, wie es ſcheint; Ve 
Ich glaube gar, du haft geweint? „ 
Wie iſt das möglich, liebes Kind, ’ 108,8: 
O ſag', erkläre dich geſchwind! | = 
Margrete. 
Ich möchte gern noch immer weinen! 
Gutherzig, wie ich Arme bin, 
Mir kommt's auf einmal in den Sinn, £ 1 
O, dacht' ich, könnt' ich ſie vereinen, 200 
Das wäre herrlicher Gewinn: e 
Daß die Geſchwiſter ſich verſöhnten | 2 
Und fo das Feſt mit Liebe krönten. . a: 
Ich lief und ſah, der ſchwere Wagen, 3 
Er war im Hohlweg umgeſchlagen. | 25 
Schon dacht' ich Arm und Bein zerbrochen, 1 
Daß mir's durch alle Glieder lief. 
Das Gleis, ich kenn' es, ſchief und tief! 
Nun kommt Mamſell herausgekrochen, 3 
Das war gewiß recht lächerlich! . 1 
Nun Mut gefaßt, nun eilſt du dich, a 
Und mir gelang's, fie zu erreichen. 
Das möglichſte, ſie zu erweichen, 
Tat ich gewiß. — Zurückzukehren 
Lud ich ſie ein, ich ſprach im Drang 
Zu deinem Lob und ihr zu Ehren, 
Wovon mir alles nichts gelang. 
Der Wagen war emporgehoben, 
Der Kutſcher Valentin dabei, 
Sie hatten ihn hinausgeſchoben, 


Da brach es los, ihr heftig Schelten, 
Ich ſollte nun für gar nichts gelten. 
Man ſah, ſie hatte nie geliebt! 


F 


= 7 Ladet, zu Vile betete. | en ; 329 f 


Mit 1 harter Stimme, herber Miene 

Hieß ſie zuletzt mich eine Trine. 

Das hat mich gar zu ſehr betrübt! 
Hofrat. 

Es ſcheint des Himmels eignes Wollen, 

Daß ſich nicht alle lieben ſollen; 

Deshalb denn immer Zank und Zwiſt 

Unter Großen und Kleinen iſt. 

Wenn zwiſchen leiblichen Geſchwiſtern 

Gar oft die ſchlimmſten Geiſter flüſtern, 

Wenn Väter, Mütter, Männer, Frauen 

Sich oft mit ſchelem Aug' beſchauen, 

Wenn zwiſchen Eltern gar und Kindern 

Unmöglich iſt Verdruß zu hindern, 

So können wir uns nur betrüben 

Und uns einander herzlich lieben. 


Sternberg. a 
Dann ſuchen wir in manchen Fällen 
Ein gut Vernehmen herzuſtellen, 
Und fühl' ich dieſen reinen Trieb, 
Dann ſind mir erſt die Akten lieb. 
Wenn, ſtatt zu ſchelten, ich belehre, 
Wenn, ſtatt zu ſtrafen, ich bekehre, 
Wenn, ſtatt zu ſcheiden, ich verſöhnt, 
Hab' ich den Himmel mir erfrönt. 

Margrete. 
Da's in der Welt nicht anders iſt, 
So muß ich's auch wohl leiden, 
Wenn du nur immer liebend biſt 
Und wir uns nimmer ſcheiden. 


Fünfte Gruppe. 
Die Vorigen. Bärbchen und Paul, ſodann Wachtel, Thereſe und Linde. 


Paul. 
Schweſter, haſt du ſo was geſehn? 
Der Herr da drin, der weiß zu kochen! 


Wie ſchön 955 es nit 1 Mon gerochen 5 


Wachtel (unter ber zu. 
Ihr Kinderchen, heran, heran! 9 55 
In Ordnung ſchnell, das Feſt geht an! 


(Die Kinder ins Haus. Margrete, Hofrat und Sternberg tret 
Seite; ländliche Muſik hinter der Szene. — Paul mit einem Braten, 9 he 
mit Salat, Thereſe trägt die Paſtete, alsdann folgt Wachtel mit der Kaſſero 
Linde ſchließt mit einem übermäßig großen Brot. Nach einem Umzug ſtehen ſie 

3 folgendermaßen: Wachtel. Bärbchen. Sternberg. Margrete. . 855 5 
5 Thereſe und Linde.) 


(Die Muſik ſchweigt.) 
Wachtel. 
Hier war ein ländlich Mahl zu bereiten. 
Paul. 


Ich trage Braten. 

Bärbchen. 
Ich Grünigkeiten. 
Thereſe. ö ER 
Es wird noch immer ſtädtiſch enden; 
Paſtete trag' ich auf den Händen. e er 
Linde. 8 . 
Sei's, wie ihm wolle, keine Not, . 
Hausbacken, tüchtig iſt mein Brot. 


Wachtel. f 
Doch wie zuletzt aus der Kaſſ'rolle 
Ein Sößchen ſich entwickeln ſolle, 
Das iſt mir nur allein bewußt; 
Das Kochen gibt mir Eſſensluſt. 
Auf die Kaſſerolle deutend.) 
Und hier verkältet ſich's bereits. 
Geſchwind, empfehlt euch allerſeits! 


(Sie verneigen ſich. Muſik; ſie ziehen in voriger Ordnung ab, Margrete z etzt 
woifgen Hofrat und Sternberg. Nahe an der Kuliſſe begrüßt fie dieſe, läßt 
ſie abgehen. Sie tritt hervor, die Muſik ſchweigt. ) e 


5 


NR en 5 5 
f ohne ens aus ln Charakter zu treten, mit ſalauger dels gegen das 
© Publikum gewendet). . 


70 5 Wohl jeder Kunſt, auch unſrer bleibt es eigen, 
Sich öffentlich mit Heiterkeit zu zeigen, 5% 
Indeſſen fie ein Ernſteres verſteckt, 
Das Herz bewegt und die Betrachtung weckt. 
Wenn ſelbſt aus leicht geſchlungnen Tänzen, 
Aus bunten, froh geſchwungnen Kränzen 
Die ernſtere Bedeutung ſpricht: ; 
Verehrte! jo entging euch nicht 
Die Dämmerung in unſerm Licht; 
Ja, durch das ganze heitre Spiel 
Hat ſich ein ſchmerzliches Gefühl 
Wie Nebelflor hindurchgeſchlungen. 
Noch ſind die Töne nicht verklungen, 
Die oftmals eure Huldigungen 
Zu lautem Beifall aufgeregt, 
Wenn unſer unerreichter Meiſter, 
Von ſeinem Genius bewegt, 
Vor euch und uns das Reich der Geiſter 
In ſeltner Kunſt zur Schau gelegt. 
Auch dieſe Bretter haben ihn getragen!, 
Auch dieſe Wände haben ihn geſehn. 
Hier ſchien, wie einſt in fabelhaften Tagen, 
Selbſt Erz und Marmor lebend zu erſtehn, 
Der Eichenwald, aufhorchend, mitzugehn, 
Wenn der bekränzte Liebling der Kamöne? 
Der innern Welt geweihte Glut ergoß 
Und jeder Zauber leicht berührter Töne 
Melodiſch ihm von Herz und Lippe floß. 
Denn mächtig iſt des Mimen heitre Kunſt! 
Nicht bloß dem eiteln Sonnenblick der Gunſt 
Will ſie die Blüten holder Schöpfung bringen, 
Zur höchſten Sphäre wagt ſie's aufzudringen! — 


1 Pgl. S. 301, Z. 5ff. — 2 Lateiniſcher Name für Muſe. 


332 Prologe, Nachſpiele und Theaterreden. 


Der gotterfüllten Pythia Entzücken . 
Umweht auch fie in ſchönern Augenblicken. 

Sie höret rauſchen in Dodonas! Hain, e 
Weiß Prieſterin, weiß Muſe ſelbſt zu ſein. 805 
Sie küßt den Genius mit heißer Lippe, 

Und ihren Durſt erquicket Aganippe ?. 


Auf ſtummer Leinwand atmet zart und mild 

In bunter Farben Glanz ein leblos Bild; 

Man ſieht gebundnen Geiſt und ſcheinbar Leben ‚810 
Des rohen Steines edle Form umgeben; 

Der Dichtung, ja des Tonreichs ſchöne Träume 

Entzücken uns in körperloſe Räume. 

Doch ſoll des Menſchen innres Tun und Walten RE 
Sich friſch und ganz lebendig ſich entfalten, 815 
Zum Worte ſich, zur kühnen Tat geſtalten; f 
Solch regſam Bild, ſolch täuſchungsvolles Sein . 
Lebt in des Mimen ernſtem Spiel allein. 3 
Die ganze Welt liegt ſeinem Tun zum Grunde, Be 
Die Künſte ſämtlich fordert er zum Bunde. 820 


Ihr ſaht ein reizendes Idyllenleben 

Vor eurer Phantaſie vorüberſchweben; 

So träumt man von arkadiſchen Gefilden, 
So pflegt man ſich ein Tempe? auszubilden, a 
Wo, von des Abends Düften lind umweht, 325 
Die Unſchuld ſich im heitern Licht ergeht 
Als nachbarlich den heil'gen Regionen, 
Wo fromme Seelen miteinander wohnen. 
Und in der Tat, des Abgeſchiednen Geiſt | 
Hat ſich in dem, was heut nur abgebrochen 350 
Hervortrat, rein und herrlich ausgeſprochen; RE 
Es iſt ein zierlich Malerſtück, das dreiſt 
Zur niederländ'ſchen Schule ſich geſellt, 


1 In dem älteſten griechiſchen Orakel zu Vodona wurde aus dem Rauſchen 2 
der heiligen Zeuseiche geweisſagt. — 2 Quell bei Thespiä in Böotien, der den 
daraus Trinkenden in dichteriſche Begeiſterung ſetzte. — 3 Das heilige Tal am Fuß 
des griechiſchen Götterberges Olympus. 


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Angie u lands bene 5 5 er 338 


. Wo ea ländlicher Natur gefällt, 

Wo kleiner Züge lebenvolle Klarheit ö 
Die höchſte Kunſt verbirgt in milder Wahrheit. 
Und doch war keins von uns dem andern gleich. 
Das Leben iſt ſo mannigfach, ſo reich, 

Der Menſch nimmt ſo verſchiedenart'ge Richtung, 
Daß auch im heitern Abendſpiel der Dichtung 
Sich der Gemüter Wettkampf wird entſpinnen. 
Wie aber alle Bäche, groß und klein, 

Doch in den Ozean am Ende rinnen, 

So faßt mit Glück der dicht'riſche Verein 

So Freund als Feind in ſeinen Plan hinein; 
Den Wieſenblumen ſind ſie zu vergleichen, 

Die ſich, zerſtreut, mit hundert Farben ſchmücken, 
Zum Strauß gebunden aber euern Blicken 

Sich erſt empfehlen und behaglich zeigen. 

So hielt er uns, ſo hält er uns zuſammen! 

So werd' er lange noch von euch verehrt, 

Er ſteigt, ein edler Phönix, aus den Flammen, 
Und ſeine Farben glänzen unverſehrt: 
Ol wie er hoch im reinen Ather ſchwebet 

Und ſeine Schwingen regt und mächtig kreiſt! 
Er iſt entſchwunden. — Huldigt ſeinem Geiſt, 
Der bei uns bleibt und kräftig wirkt und lebet. 


Cheaterreden. 


Prolog. 
Geſprochen den 7. Mai 1791. | DE 

Des Anfang iſt an allen Sachen ſchwer; FFF 

Bei vielen Werken fällt er nicht ins Auge. 5 
Der Landmann deckt den Samen mit der Egge, 
Und nur ein guter Sommer reift die Frucht; 
Der Meiſter eines Baues gräbt den Grund 
Nur deſto tiefer, als er hoch und höher 
Die Mauern führen will; der Maler gründet 
Sein aufgeſpanntes Tuch mit vieler Sorgfalt, 
Eh' er ſein Bild gedankenvoll entwirft, 
Und langſam nur entſteht, was jeder wollte. 


Nun, dächten wir, die wir verſammelt ſind, 
Euch manches Werk der Schauſpielkunſt zu zeigen, 
Nur an uns ſelbſt, ſo träten wir vielleicht 
Getroſt hervor, und jeder könnte hoffen, 3 
Sein weniges Talent euch zu empfehlen. 15 
Allein bedenken wir, daß Harmonie 

Des ganzen Spiels allein verdienen kann, 

Von euch gelobt zu werden, daß ein jeder | 
Mit jedem ſtimmen, alle miteinander Re 
Ein ſchönes Ganzes vor euch ſtellen ſollen: 20 
So reget ſich die Furcht in unfrer Bruſt. a : 
Von allen Enden Deutſchlands kommen wir 
Erſt jetzt zuſammen, find einander fremd! 
Und fangen erſt nach jenem ſchönen Ziel 


ze 


hörten den verſchiedenſten deutſchen Gegenden an. 


1 Die von Goethe bei Übernahme der Theaterleitung gewonnenen Kräfte ger 


Mit Se Neben es zu e 

Denn hier gilt nicht, daß einer atemlos 

Dem andern heftig vorzueilen ſtrebt, 

Am einen Kranz für ſich hinwegzuhaſchen. 
Wir treten vor euch auf, und jeder bringt 

Beſcheiden ſeine Blume, daß nur bald 

Ein ſchöner Kranz der Kunſt vollendet werde, 

Den wir zu eurer Freude knüpfen möchten. 


und ſo empfehlen wir mit beſtem Willen 
5 Uns eurer Billigkeit und eurer Strenge. 


Prolog. 
Geſprochen den 1. Oktober 1791. 


enn man von einem Orte ſich entfernt, 

en An dem man eine lange Zeit gelebt, 
An den Gefühl, Erinnerung, 

Verwandte, Freunde feſt uns binden, 

Dann reißt das Herz ſich ungern los, es fließen 

Die Tränen unaufhaltſam. Doch gedoppelt 

Ergreift uns dann die Freude, wenn wir je 

In die geliebten Mauern wiederkehren. 

Wir aber, die wir hier noch fremde ſind 

Und hier nur wenig Augenblicke weilten, 

Wir kehren freudig und entzückt zurück, 

Als wenn wir unſre Vaterſtadt begrüßten. 

Ihr zählt uns zu den Euern, und wir fühlen, 
Welch einen Vorzug uns dies Los gewährt. 


Seid überzeugt, der Wunſch, euch zu gefallen, 
Belebt die Bruſt von jedem, der vor euch 
Auf dieſe Bühne tritt. Und ſollt' es uns 
Nicht ſtets gelingen, ſo bedenkt doch ja, 
Daß unjre Kunſt mit großen Schwierigkeiten 
20 Zu kämpfen hat, BAR in Deutſchland mehr 
5 Als anderswo. 


336 Prologe, Nachſpiele und Theaterreden. 5 ER % 33 > 8 


Von dieſen Schwierigkeiten 
Euch hier zu unterhalten, iſt nicht Zeit; 
Ihr kennt ſie ſelbſt, und beſſer iſt's vielleicht, 
Ihr kennt ſie nicht. Mit deſto froherm Sinn . 
Kommt ihr in dieſes Haus und hört uns zu 8 25 
Und ſeht uns handeln. Alles geht natürlich, ; 
Als hätt' es keine Mühe, keinen Fleiß 
Gekoſtet. Aber dann, wenn eben das 
Gelingt, wenn alles geht, als müßt' es nur | 
So gehn: dann hatte mancher ſich vorher 30 
Den Kopf zerbrochen, und mit vieler Mühe 
War endlich kaum die Leichtigkeit erreicht. 


Der ſchönſte Lohn von allem, was wir tun, 

Iſt euer Beifall; denn er zeigt uns an, 95 

Daß unſer Wunſch erfüllt iſt, euch Vergnügen 85 
Zu machen; und nur eifriger beſtrebt ER 

Sich jeder, das zum zweitenmal zu leiten, 

Was einmal ihm gelang. O, ſeid nicht karg 

Mit eurem Beifall! denn es iſt ja nur Bu 
Ein Kapital, das ihr auf Zinſen legt. 2 


Epilog. 
Geſprochen von Demoiſelle Neumann in der Mitte von vielen Kindern 
den letzten Dezember 1791. 
Mie haben uns herausgeſchickt, die Jüngſten, 
Zum neuen Jahr ein freundlich Wort 
An euch zu bringen. „Kinder“, ſagen ſie, 
„Gefallen immer, rühren immer; geht, Na 
Gefallt und rührt!“ Das möchten denn die Alten, 33 
Die nun dahinten ſtehen, auch ſo gern d 
Und wollen hören, ob es uns gelingt. 


Wir haben euch bisher von Zeit zu Zeit 
Gefallen, und ihr habt es uns gezeigt; = 
Das hat uns ſehr gefreut und aufgemuntert. 0 
Doch haben leider wir von Zeit zu Zeit Be: 


Und . Denn man Po! 1 
Viliel ſtärker zu gefallen, wenn man einmal 
Mißfallen hat, als wenn man ſtets gefällt 
And endlich denkt, man müſſe nur gefallen. 
Drum bitten wir vor allen andern Dingen, 
Was ihr bisher ſo gütig uns gegönnt, 
Aufmerkſamkeit; dann euern Beifall öfter, 

Als wir ihn eben ganz verdienen mögen; 
Denn wenn ihr ſchweigt, das iſt das Allerſchlimmſte, 
Was uns begegnen kann. 

Und weil denn endlich hier nur von Vergnügen 
Die Rede wäre, wünſchen wir euch allen 

Zu Hauſe jedes Glück, das unſer Herz 

Aus ſeinen Banden löſt und es eröffnet: 
Die ſchöne Freude, die uns Häuslichkeit 
Und Liebe, Freundſchaft und Vertraulichkeit 
Gewähren mögen, hat uns auch das Glück 
Hoch oder tief geſtellt, viel oder wenig 
Begünſtigt; denn die allerhöchſte Freude 
Gewähren jene Güter, die uns allen 

Gemein find, die wir nicht veräußern, nicht 
Veertauſchen können, die uns niemand raubt, 
An die uns eine gütige Natur 

Ein gleiches Recht gegeben und dies Recht 
Mit ſtiller Macht und Allgewalt bewahrt. 


So ſeid denn alle zu Hauſe glücklich! 

Vater, Mütter, Töchter, Söhne, Freunde, 

40 Verwandte, Gäſte, Diener! Liebt euch, 

Veertragt euch! Einer ſorge für den andern! 
Dies ſchöne Glück, es raubt es kein Tyrann; 

Der beſte Fürſt vermag es nicht zu geben. 

Und jo gefinnt beſuchet dieſes Haus 

And ſehet wie vom Ufer manchem Sturm 

Der Welt und wilder Leidenſchaften zu. 

Genießt das Gute, was wir geben können, 

8 = Goethe. XVIII. 5 22 


338 Prologe, Nachſpiele und Theaterreden. ? : 


Und bringet Mut und Heiterkeit mit euch; 
Und richtet dann mit freiem, reinem Blick 
Uns und die Dichter. Beſſert ſie und uns; 
Und wir erinnern uns in ſpäten Jahren 
Mit Dank und Freude dieſer ſchönen Zeit. 


Epilog. 
Geſprochen den 11. Juni 1792. 

n dieſen letzten Stunden, die ihr uns, 

Verehrte, gönnet, tret' ich vor euch auf; 
Und ganz gewiß denkt ihr, ich ſtehe hier, 
Abſchied zu nehmen. — Nein! Verzeiht! mir iſt's 
Unmöglich! — — Schnell verjag' ich den 1 
Daß wir von euch uns trennen ſollen. 
Mit leichtem Geiſte flieg’. ich über Tage 
Und Wochen weg, die uns in fremder Gegend, 
Entfernt von euch, beſchäftigen. Wir denken 
Uns gar zu gern: ſchon find wir wieder da! — 
Schon grüß' ich euch aufs neue! Seht, der Herbſt 
Hat eure holden Bäume ſchon entlaubt! 
Es locket euch nicht mehr des Tales Reiz, 
Der Hügel Munterkeit lockt euch nicht mehr. 
Es brauſt der Winterſturm; es fliegt der Schnee! — 
Schon eilt ihr wieder gern vertraulich her; 
Ihr freut euch deſſen, was wir Neues bringen, 
Und das Bekannte beſſer und vollkommner 
Von uns zu hören, freut euch auch. Wir finden 
Euch immer freundlicher für uns geſinnt: 
Wir ſind nicht Fremde mehr, wir ſind die Euren; 
Ihr nehmet teil an uns, wie wir an euch. 
Ein günſtiges Geſchick gibt uns den Fürſten 
Zu unſerm Wohl, zu unſrer Luſt zurück!, 


1 Schon Anfang Mai 1792 wurde der Herzog, der beim preußiſchen Heer 
eingereiht war, zurückerwartet; Goethe ſchrieb damals an den Miniſter von 
Voigt: „Das gute Schickſal laſſe aus dem bevorſtehenden Feldzug keinen Krieg 


werden. Ich hoffe es. Wir haben in dieſen kalkulierenden Zeiten mehr ſolche 


Wetter vorübergehn ſehn.“ 


a. 


15 


20 


Theaterreden: Epilog. Prolog. „„ 


Und neue Friedensfreuden kränzen ſchön 

Die Tage ſeiner Gattin, ſeiner Mutter; 

Und wie ihr fie verehrt und ihres Glücks euch freut, 

73 So mög' euch allen eignes Glück erſcheinen! 
And dieſes laßt uns mit genießen. — Kommt! 

30 Was Deutſchland Neues gibt, ihr ſollt es ſehen, 

2 Das Gute wiederholt, das Fremde ſoll 

= Nicht ausgeſchloſſen ſein. Wir geben euch 

Von jeder Art; denn keine ſei verſchmäht! 

5 Nur eine meiden wir, wenn's möglich iſt: 

38 Die Art, die Langeweile macht! — — So kommt! — 
2 So kommt denn! — Ach! — — Wo bin ich Dura 
22 Um viele Stunden hab' ich dieſe Worte 

3 Zu früh geſprochen! mich mit ſüßen Bildern 

Getäuſcht! den Abſchied mir erleichtern wollen. — 
Geſchwind herunter mit dem Vorhang, daß 

Nicht eine Träne mir entwiſche! Nur 

Geſchwind herunter, daß von uns 

Ein heitres Bild in eurer Seele bleibe! 


Prolog 
zu dem Luſtſpiel „Der Krieg“ von Goldoni. 
Geſprochen von Madame Becker, geb. Neumann. 
Den 15. Oktober 179. 


en Gruß, den wir zum Anfang ſchuldig blieben, 
Mit frohem Herzen ſprech' ich heut ihn aus; 
Und die Gelegenheit gibt mir das Stück, 
Es heißt: „Der Krieg“, das wir euch heute geben. 
5 Zwar werdet ihr von tiefer Politik, 
Warum die Menſchen Kriege führen, was 
Der letzte Zweck von allen Schlachten ſei, 
Fürwahr in unſerm Luſtſpiel wenig hören. 
Dagegen bleibt ihr auch verſchont von allen 
Unangenehmen Bildern, wie das Schwert 
Die Menſchen, wie das Feuer Städte wegzehrt, 
Und wie im wilderregten Staubgetümmel 


22 * 


125 340 ee 1 deoled⸗ aud und urn. 


Die halbgereifte Saat kertreten ſinkt. e 
Ihr hört vielmehr, wie in dem Felde ſelbſt, | 

Wo die Gefahr von allen Seiten droht, 
Der Leichtſinn herrſcht und mit bequemer Sans 
Den kühnen Mann dem Ruhm entgegenführt; 
Ihr werdet ſehen, daß die Liebe ſich | 
So gut ins Zelt als in die Häufer ſchleicht e 

And, wie am Flötenton, ſich an der rauhe, 20 
Eintönigen Muſik des Kriegsgetümmels freut, „ 
Und daß der Eigennutz, der viel verderbt, 

Auch dort nur ſich und ſeinen Vorteil denkt. 
So wünſchen wir, daß dieſes ſchwache Bild . 
Euch einiges Vergnügen gebe, euch das Glück 2 
Der Ruhe fühlbar mache, die wir fern ee 
Von allem Elend hier genießen. 


Doch wir leiden 
Ein einziges durch jenen böſen Krieg; 
Und dieſes einzige drückt ſchwer genug! — 


Ach, warum muß der Eine fehlen!, der 

So wert uns allen und für unſer Glück a 
So unentbehrlich iſt! — Wir find in Sicherheit, 
Er in Gefahr; wir leben im Genuß, 

Und er entbehrt. — O, mög' ein guter Geiſt e 
Ihn ſchützen! — jedes edle Streben . 
Ihm würdig lohnen; ſeinen Kampf | 
Fürs Vaterland mit glücklichem Erfolge krönen! — 


Die Stunde naht heran; er kommt zurück, 
Verehrt, bewundert und geliebt von allen! — 
Er tritt auch hier herein. Es ſchlagen ihm 
Die treuen Herzen froh entgegen, 
„Willkommen!“ riefe jeder gern; 

„Er lebe!“ ſchwebt auf jeder Lippe. 

Doch die Lippe verſtummt. — 

Das volle Herz macht ſich durch Zeichen Luft; 


1 Bol. S. 298, 8. 11—16. 


€ rührt ſch sehe Handi abe Mat 
Die Freude von den Wänden wieder. 
Diaurchs Getümmel tönt der allgemeine Wunsch: 
Er lebe! lebe für uns, wie wir für ihn!“ 


. Prolog 

zum Luſtſpiel „Alte und neue Zeit“ von Iffland. a | 

Geſprochen von Madame Becker, geb. Neumann, im Charakter des Jakob. 

Den 6. Oktober 1794. 

„ hätt’ ich mich denn wieder angezogen, 
Mich abermals verkleidet, und nun joll 

Im vielgeliebten Weimar wieder zum erſtenmal 

Ein neues Stück gegeben werden, 

Das „Alt und neue Zeit“ zum Titel hat. 


Ja, alt' und neue Zeit, das ſind fürwahr 
Beſondre Worte. — Seh’ ich mich im Spiegel 
Als Knabe wieder angezogen, auf dem Zettel 
Als Jakob angekündigt, wird mir's wunderlich 
Zumute. — Jakob ſoll ich heißen? 

Ein Knabe ſein? — Das glaubt kein Menſch. 
Wie viele werden nicht mich ſehn und kennen, 
Beſonders die, die mich als kleine Chriſtel 
Mit ihrer Freundſchaft, ihrer Gunſt beglückt. 


Was ſoll das nun? Man zieht ſich aus und an; 

Der Vorhang hebt ſich, da iſt alles Licht 

And Luſt, und wenn er endlich wieder fällt, 
Da gehn die Lampen aus und riechen übel. — 
Erſt iſt man klein, wird größer, man gefällt, 

Man liebt — und endlich iſt die Frau, 

Die Mutter da, die ſelbſt nicht weiß, 

Was ſie zu ihren Kindern ſagen ſoll. — 

Und wenn nichts weiter wäre, möchte man 

So wenig hier agieren als da draußen leben. 

Sie blättert in den Büchern, ſchlägt ſie endlich zu und legt ſie hin.) 


1 Ifflands ſo betiteltes Schauſpiel in 5 Aufzügen vom Jahre 1794 kehrte 
d gegen die n Folgen des Luxus und der Modeſucht. 


342 Prologe, Nachſpiele und Thealerreden. eh 


Jakob — was fällt dir ein? W e 
Man ſieht doch recht, daß du ein Schüler bit. | 
Ein guter zwar, doch der zuviel allein 8 i 

In ſeinen Büchern ſteckt. — Hinweg die Grillen — 

Hervor mit dir! ä 


(Hervortretend.) 


8 Begrüße dieſe Stadt, 
Die alles Gute pflegt, die alles nützt, 30 
Wo ſicher und vergnügt ſich das Gewerbe 
An Wiſſenſchaft und Künſte ſchließt, wo der Geſchmack 
Die dumpfe Dummheit längſt vertrieb, 
Wo alles Gute wirkt, wo das Theater 
In dieſen Kreis des Guten mit gehört. 5 5 


Ja, gönnt uns dieſen Troſt, daß wir nicht ganz umſonſt 
Hier oben uns bemühn. Wenn Herz und Geiſt 

Sich euch erweitern, wenn ihr zu Geſchäften 

Euch wieder muntrer fühlt, 5 
Wenn der Geſchmack ſich allgemeiner zeigt, 40 
Wenn euer Urteil immer ſichrer wird, 5 
So denkt: auch jener kleine Jakob hat 
Dazu was beigetragen; und ſeid ihm, 
Seid allen, die hier oben mit ihm wirken, ö 
Zur neuen Zeit ſowie zur alten günſtig. 85 


An die Herzogin Amalia. 4 
Nach einer kleinen theatraliſchen Vorſtellung geſprochen. u 
Den 28. Oktober 1800. 

ie du der Muſen reinſte Koſt geſogen, 
Verzeihe dieſen bunten Augenſchmerz. 
Daß maskenhaft! wir heut uns angezogen, 
Iſt auf den Brettern ein erlaubter Scherz. 
Und billig biſt du dieſer Schar gewogen; 
Denn unter jeder Maske ſchlägt ein Herz. 


1 Bgl. S. 297, Z. 10—18. Die Aufführung des Nachſpiels zu Gotters „Vaſth! “? 
in Masken war eine Vorübung für das Maskenſpiel „Paläophron und Neoterpe“. 4 3 


* ar 


he ES a re 


15 


20 


10 


; 5 Shooters: Role An die Herzogin Amalia. leg 343 


x | 5 könnteſt du enthüllt das Innre 55 


Es würden Ideale vor dir ſtehen. 


Verehrung naht ſich mit durchdrungnen Mienen 
810 


Und Dankbarkeit mit frei erhobner Bruſt. 
Die Treue folgt. Mit Eifer dir zu dienen, 
Iſt unabläſſig ihre ſchönſte Luſt. 
Beſcheidenheit in zitterndem Erkühnen 
Iſt ſich der ſtummen Sprache wohl bewußt, 
Und Wünſche knieen an den goldnen Stufen, 
Dir tauſendfält'ges Glück herabzurufen. 


So ſcheint ein Tempel hier ſich zu erheben, 
Wo erſt der Torheit laute Schelle klang. 
Der Bretter Knarren und der Spieler Beben 
Erſcheinet nun in einem höhern Rang. 

Dir ſegnet dieſe Schar ein ſchönes Leben! 
Und lächelſt du der Muſe leichtem Sang, 
So höreſt du von hier in wenig Tagen 

Mit etwas Neuem! dir das Alte jagen. 


Prolog. 
Bei Eröffnung der Darſtellungen des weimariſchen 
Hoftheaters in Leipzig den 24. Mai 1807. 
; Geſprochen von Madame Wolff. 
Men ſich auf hoher Meeresflut ein Schiff 
Von grader Bahn abſeits getrieben ſieht, 
Vom Sturme wütend hin und her geſchleudert, 
Der vorgeſchriebnen Richtung Pfad verfehlt, 
Da trauert Volk und Steuermann, da ſchwanket 
Von Hoffnung zu Verzweiflung jedes Herz; 
Erſcheint jedoch in kaum entlegner Zone 
Bequemer neuer Küſte Landungsplatz, 
Erfreut ein wirtlicher Empfang die Gäſte, 
Behend verliſcht der Übel tief Gefühl. 


1 „Paläophron und Neoterpe“, das zum Geburtstage nicht fertig geworden 


war und nun zugleich der Feier der Jahrhundertwende dienſtbar gemacht wurde. 


Und abgelenkt von w Bahn, 
Zwar nicht als Fremde, doch als Neue tommen. | 85 
Wir ſind nicht fremd; denn manchen unter euch 
Begrüßen wir als Gönner unſrer Muſe. | 
O möge nun, was einige gegönnt, 

In dieſen Tagen uns von allen werden! 

Und wie man überhaupt das Wollen ſchätzt, 
Wenn das Vollbringen auch nicht alles leiſtet, 
So haben wir ein Recht an eure Gunſt; 
Denn keiner iſt von uns, der ſich vollendet, 
Der ſein Talent für abgeſchloſſen hielte; 

Ja, keiner iſt, der nicht mit jedem Tage 

Die Kunſt mehr zu gewinnen, ſich zu bilden, 
Was unſre Zeit und was ihr Geiſt verlangt, 
Sich klarer zu vergegenwärtigen ſtrebte. 

Drum ſchenkt uns freien Beifall, wo's gelingt, 
Und fördert unſer Streben durch Belehrung. 


Belehrung! ja, ſie kann uns hier nicht fehlen, 
Hier, wo ſich früh vor mancher deutſchen Stadt 
Geiſt und Geſchmack entfaltete, die Bühne 

Zu ordnen und zu regeln ſich begann.! 

Wer nennt nicht ſtill bei ſich die edlen Namen, 
Die ſchön und gut aufs Vaterland gewirkt, 
Durch Schrift und Rede, durch Talent und Beiſpiel? 
Auch jene ſind noch unvergeſſen, die 

Von dieſer Bühne ſchon ſeit langer Zeit, 
Natur und Kunſt verbindend, herrlich wirkten.? 
Gleicht jener Vorzeit nicht die Gegenwart? 
Von der ich ſchweige, daß die Wahrheit nicht 
Im Schein der Schmeichelei verhüllt ſich berge; 
Doch darf ich ſagen: tiefer, zarter Sinn, 


gipfelnde Beſtrebungen zur Schaffung eines regelmäßigen Kunſtdramas im Stile 


1 Anſpielung auf Gottſchebs äußerlich in der Verbannung des Harlekins 


der Franzoſen. — 2 Z. B. die Schauſpielerin und Theaterunternehmerin Friederike 8 


Karoline Neuberin, Gottſcheds Gehilfin bei feinen Bemühungen um die Ver⸗ 
edelung der Bühne, oder die bis 1771 in Leipzig ſpielende Seylerſche Truppe. 


eb teifet are der e schon 5 ER 
Der Künſtler mit dem Freund der Kunſt ſo gern? 8 


Wer ſich daher als Dichter, Künſtler, Kenner 
An unſerm Spiele freut, bezeug' es laut, c N 
Und unſer Geiſt ſoll ſich im tiefſten freuen; V“! 
Dann, wer als Menſch uns Beifall geben mag, N 
Er tu' es frei und froh, und unſer Herz e 
Wird neue Luſt in Dankbarkeit gewinnen. : Re 
Ihr gebt uns Mut, wir wollen Freude geben; 000.000 
Und ſo gewinnt in dieſes Raums Bezirk „ 

5 Gemüt und Geiſt und Sinn, befreit, erhöht, 

Was uns von außen fehlt, erwünſchten Frieden. 


Prolog. . 
er Halle, den 6. Auguſt 1811. „ 
4 ich mit bunten Kränzen reichlich ausgeſchmückt, 
Mit Blumenſtab! und ⸗krone, wie zum ſchönſten Be 
Vor euch erſcheine, drob verwundre niemand ſich! | 
Denn für den Guten bleibt es wohl das höchſte Felt, 
Wenn alte Schulden zu entrichten ihm gelingt n 
And wenn ihm dankbar ſich zu zeigen endlich glückt. 
Wie ſind wir fröhlich, gegenwärtig hier am Ort 
Vor euch zu treten, euch, die ihr ſo manches Mal 
An ferner Stätte günftig uns zu ſuchen kamt? 
Und nicht des Wegs Unbilden, nicht der Sonne Glut, e 
2 | Nicht drohender Gewitter Schrecknis achtetet. e 
Da haben wir, was immer wir vermocht, getan, an 
Um euer Zutraun zu erwidern, eures Geiſts N 
Gereiften Beifall, eurer Herzen Zartgefühl 
Uns zu gewinnen wie dem Dichter und der Kunſt. 


1 Nach einer eignen Bemerkung für die Aufführung hat Goethe damit einen 
Thyrſus gemeint. — 2 Die Bewohner Halles hatten feuer oft das Lauchſtädter 
5 Bee“ beſucht; vgl. S. 299, 8. 8 — 16. 


346 Prologe, decke 55 Sheer. Er 5 ER 


So kommen wir denn heute nicht als Vittede 8 

Mit bänglicher Erwartung in ein fremdes L 15 

Als Dankende begegnen wir Bekannten jhon = 
Und Gönnern, Freunden, längſt erprobter Neigung froh. . 

Auch was wir bringen“, iſt euch allen wohl bekannt: 20 

Das Mannigfalt'ge vorzutragen, iſt uns Pflicht, 5 

Damit ein jeder finden möge, was behagt, 

Was einfach, rein natürlich und gefällig wirkt, 

Was allgemein zu jedem frohen Herzen ſpricht; 

Doch auch das Poſſenhafte werde nicht verſchmäht: 25 

Der Haufe fordert, was der ernſte Mann verzeiht. 

Und dieſen zu vergnügen, ſind wir auch bedacht; 

Denn manches, was zu ſtiller Überlegung euch, 

Zu tiefrem Anteil rührend anlockt, bringen wir, Ä 

Entſproſſen vaterländ'ſchem Boden, fremdem auch: 30 

Anmutig Großes, dann das große Schreckliche. 

So ſchaffet Mannigfaltigkeit die höchſte Luſt, 

Beſchäftigt leicht den Geiſt und Sinn Gebildeter 

Und bildet jeden, den zum Urteil ſie erregt. 


Jedoch was ſprech' ich ſchon Bekanntes wieder aus! 35 
Verzeiht! So iſt es: Wenn wir mit Wohlwollenden 

Von Angeſicht zu Angeſicht uns finden, geht 

Das Herz uns auf, die Rede fließt vom Munde leicht, 

Und immer iſt's, als bliebe mehr zu ſagen noch. 1 5 
So möcht' ich auch der guten, längſt verehrten Stadt 40 
Und ihren wohlgeſinnten Bürgern Glück und Heil 
Von Herzen wünſchen, froh Gelingen jeder Tat 
Und jedes Unternehmens, daß zu neuer Luſt 

Des neuen Herrſchers? wohl gedeihe dieſes Volk! 3 
Zwar vom Verdienſt ſo manches weiſen, tätigen 8 
Und frommen Mannes, welcher ſtandhaft hier gewirkt, 
Von Tauſenden, die hier gebildet, Vaterland 

Und Ausland ſo durch Lehre wie durch Tat beglückt, 


1 Anſpielung auf das Vorſpiel „Was wir bringen“, mit dem am 26. Juni 
1802 das neue Lauchſtädter Theatergebäude eröffnet worden war; vgl. Bd. 19, 
S. 291 ff. dieſer Ausgabe. — 2 König Jerome, zu deſſen weſtfäliſchem eee 
Halle 1807 —13 gehörte. 


Theaterreden: Prolog. i 347 N 


* Und vom Gewerbſinn vieler rüſtig Schaffenden 


10 Will ich nicht reden; aber was zum nächſten uns 


. 55 


60 


70 


75 


80 


Und eigentlich berühret, ja hieher beruft, 
Das darf ich preiſen; denn ihr ſeid ja gleichen Sinns. 


Entwallet nicht der Erde dort ein Wunderquell? 

Und füllt geraume Becken mit erprobtem Naß, 

Das, bald verdampfend, werte Gaben hinterläßt: 

Die größte Gabe, ſag' ich wohl mit kühnem Wort, 

Die allergrößte, welche Mutter Tellus beut! 

Sie gibt uns Gold und Silber aus dem reichen Schoß, 
Das aller Menſchen Aug⸗ und Herzen an fich zieht; 
Sie reicht das Eiſen allgemeinem Kunſtgebrauch, 


Das ſo zerſtört als bauet, ſo verderbt als ſchützt; 


Sie reicht uns tauſend, abertauſend andres Gut; 
Doch über alles preiß ich den gekörnten Schnee, 
Die erſt' und letzte Würze jedes Wohlgeſchmacks, 
Das reine Salz, dem jede Tafel huldiget! 


Denn wohl vergebens hätte Ceres ausgeſtreut 
Zahlloſe Samen, endlos Frucht auf Frucht gehäuft; 
Vergebens nährte tief im finſtern Waldgebüſch 
Der Herden Zucht Diana wie im Blachgefild; 
Vergebens hegten Amphitritens Nymphen weit 
Im Ozean, in Flüſſen, Bächen bis zum Fels 
Hinauf Gewimmel leicht bewegter Wunderbrut; 
Vergeblich ſenkte Phöbus lebensreichen Blick 

Auf die Geſchwader, die in Lüften hin und her 
Und doch zuletzt dem Menſchen in die Netze ziehn, 
Dem klugen, allverzehrenden; denn wenig iſt, 
Was er dem Gaumen anzueignen nicht gelernt: 


Doch wäre ganz vergeblich aller Götter Gunſt, 


Umſonſt des Menſchen vielgewandtes Tun, umſonſt 
Des Feuers Kraft, das alle Speiſe zeitiget — 


Wenn jener Gabe Wohltat uns Natur verſagt, 


Die erſt mit Anmut würzet, was die Notdurft heiſcht. 
Und wie den Göttern wenig Weihrauch g'nügen mag 
Zum frommen Opfer, alſo bleibt beim Tafelfeſt 


348 ee webe un Welte. 


Zuletzt des Salzes Krume, die man prüfend 1 
Ein trefflich Sinnbild deſſen, was begeiſtend wirkt, x 
Geſelligkeit belebet, Freund und Freund bewährt. 3 


Doch ſoviel Gutes reichlich auch Natur verlieh, 
Des Menſchen Geiſt verbeſſert's immer und erhöht 's; 
Was alles nur genoſſen ward und was genutzt 90 
Zu größerm Nutzen ſteigert er's, zu höh'rem Stock 5 a 


Sit nicht Gef ſundheit allen uns das höchſte Gut? 
Und werden wir von tauſend Übeln nicht bedrängt, 
So daß nach allen Seiten wir um Rettung flehn? 
Drum Heil den Männern! deren tiefer, edler Sinn 
Zum Wohl des Kranken jenen Quell bereitete 

Und klug erwägend neue Kräfte künſtlich ſchafft, 
Dabei auch Sorge väterlich und wirtlich hegt, 
Notwend'gem gleich das Angenehme zugeſellt: 

Wie ihr an dieſem Saale mit Erheitrung ſeht, 

Der ſchön verziert und allen uns gemächlich iſt. 

O werde das, was ernſtlich ſie getan und tun, 

Von jedermann mit offnem, warmem Dank erkannt! 


Nun wend' ich mich an alle, die als Gäſte hier 
Mit Hoffnung ſich der neuen Segensquelle nahn, 
Und ſpreche nichts von allen frommen Wünſchen aus, 
Die ſich in unſrem Herzen, wie ihr ſicher ſeid, 
Für euch bewegen, jeglichem zu Glück und Heil; 
Dies aber zeig' ich euch vertraulich an, daß wir ee: 
Ganz eigentlich dem treuen Arzt zur Seite ſtehn; 110 
Denn Geiſt und Körper, innig ſind ſie ja verwandt; 
Iſt jener froh, gleich fühlt ſich dieſer frei und wohl, 
Und manches Übel flüchtet vor der Heiterkeit. 
Hier alſo, meine Freunde, hier an dieſen Platz 
Hat uns der Arzt zu ſeinem Beiſtand herbeſtellt, 
Daß, wer am Morgen badend ſeine Kur begann, 
Sie abends end'ge ſchauend hier nach Herzenslufſt. 
Dies alſo bleibt die Vorſchrift! Dieſe merkt euch wohl 
Und ſetzt nicht aus: das iſt Beding bei jeder Ku, 


Daß man Munterbtochen ermſtlich ſie 7 
And wißt! wir kennen alle wohl; wer außenbleibt, 
Der wird verklagt, der hat es mit dem Arzt zu tun! 
Nicht viele Worte mach' ich mehr! Ihr ſeht wohl ein: 
Um euer Heil aufs redlichſte ſind wir beſorgt. 


Den Männern uns empfehlen, die am Ruder ſtehn 
Und deren Leitung, deren Schutz wir uns vertraun! 


5 Epilog | 
zum Trauerſpiele „Eifer“, im Charakter der Königin. 


U Eſſex nicht? — Unſelige, kein Wort! 

Ihr tretet auf, den Edlen trägt man fort! 

Die Schwäche wird, die Liſt zu ſpät verbannt; 

Ich traut' euch noch, ob ich euch ſchon gekannt, 

5 Wie einer, der zu eigenem Gericht 

Die Schlange nährt und wähnt, ſie ſteche nicht. 

Kein Laut, kein Hauch beleidige mich hier! 

ne Eſſer verſtummt, und jo verſtummt auch ihr! 
Nun zeige ſich mein ungebeugter Sinn; 

Verſchwindet all'! Es bleibt die Königin. 

Re Alles entfernt ſich, fie tritt vor.) 

Sie bleibe! ja! an diefem Tag voll Graun, 

Mit ſchnellem Blick ihr Leben zu beſchaun; 
Denn ihr geziemt's, ſo hoch hinaufgeſtellt, 

Des Glücks Gebieterin, die Luſt der Welt, 

Sich immer ſelber gleich, da klar zu ſehn, 

Wo andre, dumpf gedrückt, im Traume gehn. 


Wer Mut ſich fühlt in königlicher Bruſt, 
Er zaudert keineswegs, betritt mit Luſt 
Des Stufenthrones untergrabne Bahn, 
Kennt die Gefahr und ſteigt getroſt hinan; 
Des goldnen Reifes ungeheure Laſt, 
Er wägt ſie nicht; entſchloſſen wie gefaßt 


ienterreben: Weber Sit. „„ en 


So me mich enden und zum Schluſſe, wie ſich zent. a 


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350 Prologe, Nachſpiele und Theaterreden. Re 5 5 Er i 


Drückt er ſie fröhlich auf das kühne Haupt „ 
Und trägt fie leicht als wie von Grün umlaulbt. 
So tateſt du. — Was noch ſo weit entfernt, 5 
Haſt du dir anzueignen ſtill gelernt; „ 
Und was auch Wildes dir den Weg verrannt, 

Du haſt's geſehn, betrachtet und erkannt. — 

Des Vaters Wut, der Mutter! Mißgeſchick, 
Der Schweſter? Haß, das alles blieb zurück, nr 
Blieb hinter dir, indeſſen du gebeugt 
Mit hohem Sinn dich in dir ſelbſt erzeugt 

Und, im Gefängnis hart behandelt, Friſt, 

Zu bilden dich, gewannſt, das, was du biſt. 

Ein froher Tag erſchien, er rief dich an, . 
Man rief dich aus, und ſo war es getan: 

„Die Königin, ſie lebe!“ Nun, du ſtandſt 

Und ſteheſt noch trotz dem, was du empfandſt, 

Und trotz der Feinde, die mit Krieg und Tod 5 
Von außen und von innen dich bedroht. | 40 
Des Papſtes heil'ger Grimm, des Spaniers Neid, 

So vieler Freier Unbeſcheidenheit, 

Der Großen tückiſch aufgeregter Sinn, 

Verräter viel, ſelbſt eine Königin, — 

Und dieſer denn zuletzt! — Das trag' ich hier! 45 
Die ſchnöde Welt, was weiß ſie denn von mir? 
Schauſpielerin! ſo nennen ſie mich all', 

Und Schau zu ſpielen, iſt ja unſer Fall. 

Die Völker gaffen, reden, wähnen viel, 

Was wollen ſie denn anders als ein Spiel? 50 
Verſtellt man ſich denn einzig auf dem Thron? 5 
Dort ſpielt ein Kind, und das verſtellt ſich ſchon. 


Doch mit dir ſelbſt, in Glück und in Gefahr, 

Eliſabeth, dir ſelbſt getreu und wahr, N 
Mit Recht verſchloſſen. — Welches zweite Herz 55 
Vermag zu teilen königlichen Schmerz? 


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1 König Heinrich VIII. (1509—47) und Anna Boleyn, die 1536 wegen angeb⸗ 
licher Untreue hingerichtet wurde. — 2 Maria die Blutige. 


351 


Um unſre Gunſt, ſogar um unſern Platz; 
Und machſt du je dir den Geliebten gleich, 

Nicht Liebe g'nügt, er will das Königreich. 

So war auch dieſer. — Und nun ſprich es aus: 
Dein Leben trugen ſie mit ihm hinaus. — 

Der Menſch erfährt, er ſei auch, wer er mag, 
Ein letztes Glück und einen letzten Tag. 

Dies gibt man zu; doch wer geſteht ſich frei, 
Daß dieſe Liebe nun die letzte ſei, 

Daß ſich kein Auge mehr mit froher Glut 

Zu unſerm wendet, kein erregtes Blut, 

Das überraſchtem Herzen leicht entquoll, 
Verrät'riſch mehr die Wange färben ſoll, 

Daß kein Begegnen möglich, das entzückt, 

Kein Wiederſehn zu hoffen, das beglückt, 

Daß von der Sonne klarſter Himmelspracht 
Nichts mehr erleuchtet wird? — Hier iſt es Nacht, — 
Und Nacht wird's bleiben in der hohlen Bruſt. 
Du blickſt umher und ſchaueſt ohne Luſt, 

Solang' die Parze deinen Faden zwirnt, 

Den Sternenhimmel, den du ſelbſt geſtirnt, 

Und ſuchſt vergebens um dein fürſtlich Haupt 
Den ſchönſten Stern, den du dir ſelbſt geraubt; 
Das andre ſcheint ein unbedeutend Heer, 

Geſteh dir's nur! denn Eſſex lebt nicht mehr. 


War er dir nicht der Mittelpunkt der Welt? 
Der liebſte Schmuck an allem, was gefällt? 
85 War nicht um ihn Saal, Garten und Gefild 
ne Als wie der Rahmen um ein koſtbar Bild? 
. Das holde Bild, es war ein eitler Traum; 
* Das Schnitzwerk bleibt und zeigt den leeren Raum. 


Wie ſchritt er nicht ſo frei, ſo muſterhaft! 
Des Jünglings Reize mit des Mannes Kraft; 
Wie lauſcht' ich gern dem wohlbedachten Rat! 
Erſt reine Klugheit, dann die raſche Tat, 


= 3352 . ver webe. nd ® eaterre 


Gemäßigt Fel erſt, Haun Hannngin 
Und königlich war ſelbſt fein Übermut. . 
Doch ach! zu lange haſt du dir's verhehlt: „ 
Was iſt das alles, wenn die Treue fehl . 
Und wenn der Günſtling, gegen uns ergrimmt, 
Das rauben will, was wir ihm frei beſtimmt, 
Wenn unſre Macht zu eigenem Verdruß, . 
Wo ſie belohnen wollte, ſtrafen muß! 8 2007. 


Er iſt geſtraft — ich bin es auch! wohlan, 

Hier iſt der Abſchluß! Alles iſt getan, 

Und nichts kann mehr geſchehn! Das Land, das Meer, 

Das Reich, die Kirche, das Gericht, das Heer, KRISE: 
Sie find verſchwunden, alles iſt nicht mehr! 4 105 


Und über dieſes Nichts du Herrſcherin! 

Hier zeige ſich zuletzt dein feſter Sinn; 
Regiere noch, weil es die Not gebeut, 

Regiere noch, da es dich nicht mehr freut. 
Im Purpurmantel und mit Glanz gekrönt, 
Dich ſo zu ſehen, iſt die Welt gewöhnt; 

So unerſchüttert zeige dich am Licht, 

Wenn dir's im Buſen morſch zuſammenbricht. 


Allein, wenn dich die nächtlich ſtille Zeit . 
Von jedem Auge, jedem Ohr befreit, 115 

In deiner Zimmer einſamſtem Gemach 3 
Entledige ſich dein gerechtes Ach! 3 
Du ſeufzeſt! — Fürchte nicht der Wände Spott, 7 
Und wenn du weinen kannſt, ſo danke Gott! 


Und immer mit dir ſelbſt und noch einmal 120 
Erneuet ſich die ungemeßne Qual. n 
Du wiederholſt die ungemeßne Pein: © 
Er iſt nicht mehr; auch du hörſt auf zu fein — 1 
So ſtirb, Eliſabeth, mit dir allein! 0 


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en Theaterreden: Epilog. Prolog. IR 353 


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; Prolog Ä 
zu dem dramatiſchen Gedicht „Hans Sachs“, von 
Deinhardſtein. 
Ein Meiſterſänger als Prologus, tritt auf. 
e: Da ſteh' ich in der Fremde ganz allein; 
2 Wer weiſt mich an? Wer führt mich ein? 
= Wer jagt mir, welch ein Geiſt hier waltet? 
. Seh' ich mich an, mein Kleid ſcheint mir veraltet, 
5 Und nirgends hör' ich den gewohnten Klang, 
@ Den alten, frommen, treuen Meiſterſang. 
Diooch ſeh' ich hier die weiten edlen Kreiſe 
= N (Weiter vortretend.) 

Verſammelt aufmerkſamer, ſtiller Weile; 

Ich höre kaum ein leiſes Atemholen, 
10 Und daß ihr daſeid, zeigt, ich bin empfohlen. 
Auch als ich kam, ward mir auf Straß⸗ und Plätzen 
Der alte Nam' zu tröſtlichem Ergötzen. 
So ſei es nun, ſo werde denn vertraut 
Vor neuem Ohr die alte Stimme laut! 


Den Deutſchen geſchah gar viel zulieb': 
Als man eintauſendfünfhundert ſchrieb, 
Ergab ſich manches zu Nutz und Ehren, 
Daß wir daran noch immer zehren. 
Und wer es einzeln ſagen wollte, 

Gar wenig Dank verdienen ſollte, 

Da ſich's dem Vaterland zulieb' 

Schon tief in Geiſt und Herzen ſchrieb. 
Doch weil auf unſern deutſchen Bühnen 
Man preiſt ein löbliches Erkühnen 

25 Und man bis auf den neuſten Tag 
Noch gern was Altes ſchauen mag: 
So führen wir vor Aug' und Ohr 
Euch heut einen alten Dichter vor; 
Derſelbe war nach ſeiner Art 

Mit ſo viel Tugenden gepaart, 

Daß er bis auf den heut'gen Tag 


Goethe. XVIII. 0 


354 


1 woc: und bes den. 


Roch für'n Poeten ellen mag, 
Wo deren doch unzählig viel 
Verderben einer des andern Spiel. 


Und wie, auch noch ſo lange getrennt, „ 
Ein Freund den andern wiedererkennt, 1 
Hat auch ein Frommer! neuerer Zeit i 
Sich an des Vorfahren Tugend erfreut e 
Und hingeſchrieben mit leichter Hand, 

Als ſtünd' es farbig an der Wand, i f 40 
Und zwar mit Worten ſo verſtändig, a 
Als würde Gemaltes wieder lebendig. 


Nun wünſch' ich, daß ihr freundlich wolltet 
Das hören, was ihr ſehen ſolltet, 5 8 
Bis das Gehörte vor euch ſteht, 8 45 
Daß ihr es klar in Gedanken ſeht. 5 = 
Drob kam ich her zu eurem Dienit; 
Doch folgt darnach ein neuer Gewinſt: 

Ihr nehmet beſſer dann in acht, es. 
Was uns ein Allerneuſter bracht', 50 
Der denn mit Hülfe von uns allen | 
Heut abend Hofft euch zu gefallen. 


1 Goethe ſelbſt, indem er „Hans Sachſens poetiſche Sendung“ schrieb. Vgl. 
S. 302, g. 9ff. 


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— 


Einleitung des Herausgebers. 


Das weit Zerſtreute ſammelt ſein Gemüt, 
Und ſein Gefühl belebt das Unbelebte. 
Oft adelt er, was uns gemein erſchien. 


5 W. in dieſen Worten Leonore an Taſſo rühmt, das könnte man 


auch von Goethes dichteriſcher Beiſteuer zu den Maskenver⸗ 
gnügungen der weimariſchen Hof⸗ und Stadtgeſellſchaft ſagen. 
Die von Goethe in Weimar angeregte Geſtaltung künſtleriſcher 
Maskenzüge wuchs aus einer ſchönen Sitte des Hofes heraus, nach 
welcher ſich dieſer, von beſonderen Fällen zu ſchweigen, an den 
regelmäßig vom letzten Freitag im Jahre bis zum erſten Freitag 
nach Faſtnacht ſtattfindenden Redouten der gebildeten und feinen Ge⸗ 
ſellſchaft beteiligte; wenigſtens löſte er immer Karten dazu, gewöhnlich 
um zwanzig, gelegentlich über dreißig. In dem Winter, in welchem 


Goethe nach Weimar kam, wurden ſie mit des Herzogs Erlaubnis in 


dem an der Eſplanade — jetzt Schillerſtraße — gelegenen Hauſe des 
Hofjägers, Bau⸗ Fuhr⸗ und Poſtunternehmers Hauptmann abgehalten; 
und wenn ſich Goethe erinnerte. daß der Hof dort außerdem gerade am 
Tage ſeiner Ankunft eine Freiredoute gegeben und ſchon zehn Tage 


ſpäter dort wieder ein bal en masque ſtattgefunden hatte, jo iſt es 
wohl verſtändlich, daß er bei der Zuſammenſtellung ſeiner Masken⸗ 
zug⸗Dichtungen für die Ausgabe von 1806 ſchrieb: „Die weimariſchen 
Redouten waren beſonders von 1776 an ſehr lebhaft.“ Freilich, wenn 


er fortfährt: „und erhielten oft durch Maskenerfindungen einen be⸗ 
ſondern Reiz“, ſo tut er damit gleich einen Sprung um fünf Jahre 
vorwärts. Denn anfangs erſchienen auf den Redouten nur vereinzelte 
Masken. Erſt ſeit dem Winter 1780/81 ergriff den Herzog lebhaftere 
Freude an der Maskenluſt, und da der Hof in den Redouten jetzt ein 
öffentliches Bildungsmittel erblickte, ſtellte auch der Dichter Geiſt und 
Mühe in den Dienſt dieſer Sache, zumal die auf oder um den 30. Ja⸗ 


nuar fallende Redoute ſich immer regelmäßiger ebenſo zu einer Hul⸗ 


858 wWastenge 


digung für die allbeliebte Herzogin Luiſe e 155 die a ” 


leitung ihm Gelegenheit zu ähnlichen Veranſtaltungen zu Ehren des 


Herzogs gab. Als 1782 an der Stelle des jetzigen Theaters für 


Theatervorſtellungen und Redouten ein zweckmäßigerer Neubau herr 
geſtellt wurde, bedang der Herzog auf Grund größerer Forderungen 


der Kammer an denſelben Grundbeſitzer Hauptmann geradezu allen 
anſtändigen Bürgern freien Eintritt zu den Redouten aus. Eine dritte 
Stätte, wo die Redouten abgehalten wurden, die erſte am 30. Januar 
1801, war der große Saal des ganz umgebauten Stadthauſes. 

Als Vorläufer zu den von Goethe arrangierten öffentlichen Mas⸗ 
kenzügen kann die kleine Dichtung „Epiphaniasfeſt“ gelten, die der Dich⸗ 
ter am Dreikönigsabend 1781 im Palais der Herzogin⸗Mutter an der 
Eſplanade vorführen ließ. Schon auf der Redoute vom 19. Januar 
erſchien dieſe dann mit ihrer Schwiegertochter in Theaterkoſtümen, auf 
der vom 26. bereitete man dem von einem Jagdausfluge heimgekehrten 
Herzoge einen freundlichen Empfang, und auf der nächſten, am 2. Fe⸗ 
bruar, an dem vom Herzog und drei Herren der Hofgeſellſchaft auch 
ein mauriſcher Tanz und von anderen in Erinnerung an die im Som⸗ 
mer vorher aufgeführten „Vögel“ ein Vögelballett vorgeführt wurde, 
konnte in einem Maskenzuge zu Ehren der Herzogin eine in Chören 
aufziehende Lappländergruppe zum Ausdruck ihrer Huldigung das 
erſte Maskenzugsgedicht Goethes überreichen. Schon auf der über⸗ 


— 


0 


— 


5 


nächſten Redoute, am 16. Februar, wirkte der Dichter im „Auf⸗ 


zuge des Winters“ ſogar ſelbſt mit, indem er zuſammen mit Frau 
von Stein das Paar Schlaf und Nacht ſtellte. Der Aufzug gefiel ſo, daß 
er ſchon am 2. März wiederholt werden mußte, eine Auszeichnung, die 
ſeitdem Goethes Maskenzügen faſt immer zuteil wurde. 1782 wurde 
der Geburtstag der Herzogin vom Dichter doppelt gefeiert: am 30. Ja⸗ 


nuar ſelbſt im Theater mit einem Aufwand von über 690 Talern durch 


ein großes pantomimiſches Ballett „Der Geiſt der Jugend“, an deſſen 
Schluß Amor das jetzt unter den „Maskenzügen“ abgedruckte Huldi⸗ 


gungsgedicht überreichte, und zwei Tage danach auf der Redoute durch 


einen Aufzug von neun „Die Weiblichen Tugenden“ darſtellen⸗ 
den Damen, in deren Namen Korona Schröter, die Darſtellerin der 
Beſcheidenheit, den poetiſchen Huldigungsgruß auf Atlasband ge⸗ 
druckt überreichte, wie denn überhaupt ſolche Verſe oft in Hunderten 
von Abdrucken verteilt wurden. Den „Aufzug der vier Welt⸗ 


35 


Einleitung des Cerausgebers. 359 


alter“ lieferte Goethe für die Faſtnachtsredoute vom 12. Februar 
vierzehn Mitgliedern der Hofgeſellſchaft, Herren und Damen, die zum 
Schluſſe wohl eine Quadrille aufführten. 
Im Jahr 1783 blieb der Hof der Redoute fern, da die Her⸗ 
5 zogin von einem Prinzen, dem am 2. Februar geborenen Erbprin⸗ 
5 zen Karl Friedrich, entbunden wurde, und Goethe hat infolgedeſſen 
3 auch keinen Maskenaufzug veranſtaltet. Um ſo ſinniger feierte er die 
Rückkehr der Herzogin in die Geſellſchaft in der Redoute vom 30. Ja⸗ 
nuar 1784, indem er die lebenfördernden Kräfte, vertreten durch die 
10 alle bindende Liebe, und die das Leben beeinfluſſenden Planeten mit 
* huldigenden Worten nahen und zum Schluſſe die Planeten ihren Tanz 
FR um die Sonne vorführen ließ. 
Daß acht Wochen darauf das eine der beiden Kinder der Herzogin, 
Prinzeß Luiſe, ſtarb, hat Goethe ſein Feſtdichteramt für lange Zeit 
15 verleidet. Erſt das Jahr 1796 zeigt wieder die erſte Spur einer Mit⸗ 
hilfe bei der Redoutenausſtattung. Gräfin Egloffſtein und Frau von 
Werthern als Sultan und Sultanin übergaben der Herrſcherin Skla⸗ 
vinnen, die ſie ihrem Händler zur Freilaſſung abgekauft, mit dem 
Goethiſchen Diſtichon: a 
-20 „Sklaven follten wir haben in deiner Gegenwart? Alles, 
Fürſtin, macheſt du frei, alle verbindeſt du dir.“ 
und ließen ſie vor ihr ein Ballett tanzen, das mit der Aufſtellung in 
einem „L“ endigte. 1798 gab der am 17. Oktober des Vorjahres ge⸗ 
ſchloſſene Friede von Campo Formio dem Dichter die Anregung zu 
25 einer wieder gehaltvolleren Gruppenſtellung. Durch Tracht und Bei⸗ 
gaben wohl kenntlich, zogen ſechs von ebenſoviel Genien begleitete 
ſchöne Frauengeſtalten vor der Herzogin auf, der Friede, Eintracht (zwei 
Perſonen), Überfluß, Kunſt und Ackerbau, und der Friede überreichte 
ihr in einer von der Kunſt dargebotenen Mappe die ſchönen Stanzen, 
30 in denen dieſe ſeine Segnungen geprieſen wurden. Von einer Schluß⸗ 
redoute des Jahres 1800 hören wir nur, daß ein „wohlgeordneter, 
von Goethe entworfener Aufzug“ ſtattfand, und eine ſechstägige Feier 
der Jahrhundertwende, die er gemeinſam mit Schiller beabſichtigt 
hatte, unterblieb infolge der Verſtimmung des Herzogs über Napo⸗ 
35 leons Siege im Kriege mit Oſterreich. Vollends eine Gattung der 
Maskenzüge, in der Goethe ſpäter die leuchtendſten Perlen dieſer Art 
ſchaffen ſollte, die literariſche, hielt 1801 infolge der ſchweren Er⸗ 


D 


360 Mastenzüge, 


1 


krankung Goethes ohne ihn ihren Einzug in den Reue Wi 
dichtende Hofdame Amalie von Imhoff wollte durch Vorführung der 
edelſten Geſtalten aus neueren deutſchen Dichtern die Herzogin ebenſo 
als die Beſchützerin echter Dichtkunſt feiern, wie dies auch der Verfaſſer 
des Gedichtes: „Die deutſche Dichtkunſt an Luiſen, den 30. Januar 5 
1801“ beabſichtigte, das gegen die Ausſchreitungen der Romantiker 
gerichtet war und beim Auftreten einer ſtreitſüchtigen Doppelgruppe 
der echten und der falſchen deutſchen Dichtung und des wahren und 
des falſchen Ruhmes überreicht wurde. Bei der nächſten Geburtstags⸗ 
redoute, in dem „Maskenzuge zum 30. Januar 1802, griff 10 
Goethe ſelbſt dieſes literariſche Motiv zu einem Weihegedichte auf: in 
vier Gruppen ließ er das Epos mit der Sage, die Muſe Erato mit 
dem Amor die Liebeselegie darſtellend, die Idylle mit der Naivität 
urſprünglicher Naturbeſeelung und endlich zur Verkörperung der Sa⸗ 
tire Momus, den Gott des Spottes, mit einem Satyr und hinter dieſem 15 
einen ganzen Schwarm neckiſcher Geſtalten auftreten, und zuletzt mußte 
der alle bändigende Amor der Fürſtin die den Zug deutenden N 
überreichen. 5 
Als nach dem Unglücksjahre 1806 und Weimars gezwungen 
Übertritt von Preußens an Napoleons Seite die Redouten wieder auf⸗ 20 
genommen wurden, beteiligte ſich Goethe am 3. Februar 1809 bei 
einem vor allem von dem Satiriker Johann Daniel Falk, auch von 
Dr. Riemer geſtellten, etwas zerflatternden Zuge nur mit wenigen 
Verſen: nach den vier Elementen und ebenſoviel ihnen entſprechenden 
Begleitern, einem Jäger, Vogelſteller, Fiſcher und Schmied, brachten, 25 
vom Genius Weimars eingeführt, antike Korbträgerinnen Oberons 
Lilie, Tells Apfel, Herders Palmblätter und Taſſos Kranz; dann 
wurden von demſelben Genius vier Pſychen angewieſen, der Herzogin 
zu huldigen und für die ihr verdankten Gaben der Dichtung noch 
am Altar der Nachwelt zu opfern; auch Sonne, Mond und Sterne 30 
erſchienen noch, und Goethe fügte den Sterndeuter und die Land⸗ 
leute, Gärtner und Hirten aus dem „Maskenzuge zum 30. Ja⸗ 
nuar 1809“ ein, um zur Schlußgruppe der Heiligen drei Könige mit 
dem Stern überzuleiten. Der naive Eindruck und alle Einheit wurden 
vollends dadurch geſtört, daß der damals in Weimar anweſende Zacha⸗ 
rias Werner nicht bloß als Knecht Ruprecht hinterdrein ſein Weſen 
trieb, ſondern auch ein „Lied der heiligen drei Könige aus der Nibe⸗ 


* 


* 


| Einleitung des Herausgebers. 8 1 


llungen Land“ austeilte, worin der Zug zum größten Teile in parodie⸗ 
renden Nibelungenſtrophen auf die Wormſer Könige gedeutet wurde. 
Goethe war überhaupt kein Freund ſolch zerſtörender Ironie, und 
im beſonderen hatte damals die mittelhochdeutſche Dichtung ſeine ganze 
Teilnahme. Das Nibelungenlied in von der Hagens Bearbeitung von 
ö 1807 und de la Motte⸗Fouques Behandlung der nordiſchen Über⸗ 
lllllieferung in dem Heldenſpiel „Sigurd, der Schlangentöter“ von 1808 
N feſſelten ihn ſo, daß er eine Karte zu jenem entwarf, Mittwoch morgens 
den Damen des Hofes daraus vorlas und Sage und Sitte erläuterte; 

10 aus eben dem Grunde behielt er den etwas ſonderbaren ſkandinaviſchen 
Altertumsforſcher Arendt längere Zeit in ſeinem Hauſe, und nach deſſen 
Weggang nahm er auch den „König Rother“ in Büſchings „Deutſchen 
Gedichten des Mittelalters“ vor. Sein Intereſſe für die altdeutſche 
Dichtung, das „Heldenbuch“ und die „Nibelungen“, übertrug er 
ſchließlich auf das ganze gebildete Weimar. Auch in den von ihm an 
die Brüder Grimm nach Kaſſel geſchickten, zugleich den „Wartburg⸗ 
krieg“ enthaltenden weimariſchen „Minneſängern“ hatte er wohl ge⸗ 
blättert. So konnte es ihm nur willkommen ſein, als aus Anlaß des 
vielen fürſtlichen Beſuches Anfang 1810 für die Huldigungsredoute 
vom 2. Februar nicht nur ſeine Mitwirkung erbeten, ſondern vom 
Hofmarſchall von Egloffſtein und Präſidenten von Fritſch auch gleich 
Wartburgkrieg, Minneſang, Nibelungen und König Rother als zu 
1 geſtaltender Stoff empfohlen wurden. Gewiß, ein einheitlicheres Bild 
3 des muſenfreundlichen Hofes von Weimar als eine Beſchwörung der 
® 25 früheren, Wolfram und die Minneſänger um ſich verſammelnden ehe- 
maligen Herren der Wartburg ließ ſich nicht leicht denken, und das Ge⸗ 
mälde konnte nicht meiſterhafter ausgeführt werden, als es von Goethe 
innerhalb der wenigen Tage in dem Maskenzuge „Die romantiſche 
Poeſie“ geſchehen iſt. Bald anderthalbhundert Aufführende, neben 
30 der am Schluſſe aufziehenden Menge nicht weniger als 31 namhaft⸗ 
gemachte Geſtalten, ſind ſtraff und doch nicht einförmig geordnet, in⸗ 
dem ein Herold ſie einführt und zwei Sprecher, der Minneſinger und 
der Heldendichter, ſie beſchreiben. Jener hatte dabei mit Ausnahme 
der dem Epiker zugewieſenen Jagdluſtigen die erſte Hälfte, mit dem 
35 Winter am Schluß, zu erklären, im weſentlichen die im Minneſang 
gefeierten Stoffe; dieſer in der Hauptſache die zweite Hälfte, die 
Geſtalten der Heldendichtung, nur daß hier wieder der Abwechſlung 


er 


362 | Dastenitge. | 


halber die Stanzen der Prin eſin und tier, se Biete und‘ | ven, 8 


des geiſtlichen Regiments und des Klerikus dem ie. vorbe- 


halten waren. 


Als dieſer Maskenzug vierzehn Tage ſpäter zur Feier des “ 


burtstages der Erbprinzeſſin Maria Paulowna im neuen Schloſſe — 


der günſtigeren Raumverhältniſſe halber mit erhöhter Wirkung — 


wiederholt wurde, erhielt er ein Seitenſtück in einem der Erbprinzeſſin 
im beſonderen huldigenden Zuge ruſſiſcher Nationen, der wieder 
ſechzig Perſonen zählte; Frau von Fritſch als tatariſche Wahrſagerin 
(Schamanka) führte ihn an, und Goethe dichtete die Geſänge dazu: 


10 


— 


das „Feſtlied“, deſſen ruſſiſche Weiſe beim Einziehen des Zuges von 


ſechsundzwanzig Tenoriſten und Baſſiſten des Theaters vorgetragen 
wurde, das „Gaſtlied“, das erſchallte, nachdem ein ruſſiſcher Kurier 
in einem Prachtexemplar auch die geſamten Widmungsgedichte der 


ruſſiſchen Völker überreicht hatte, und das „Brautlied“, das zum 1 


Schluſſe dem im Zuge dargeſtellten Brautpaare zu Ehren wieder von 
dem Theaterchor geſungen wurde. Aus Freundlichkeit gegen die da⸗ 


mals von ihm ſehr geſchätzte Hofmarſchallin von Egloffſtein hat Goethe 


außerdem zu demſelben Tage auch noch für eine beſondere Gruppe den 
Text zu einer „Quadrilleitalieniſcher Tänzer und Tänzerin⸗ 
nen“ geſchrieben. 


20 


Auch die lebenden Bilder hat Goethe in Weimar mit vorbildlicher 


Sorgfalt eingeführt: am 16. Februar 1813 ſtellte er zu Ehren der 
Erbprinzeſſin drei moderne franzöſiſche Gemälde und eine große Hul⸗ 
digungsgruppe „Arkadien“. Als am 15. März 1816 unter ſeiner und 
Heinrich Meyers Mitwirkung beim Freiherrn Karl Heinrich Anton 
von Helldorf Aufführungen dieſer Art ſtattfanden, ſchrieb er die 
1 dazu: 

„Ihr kommt, Gebildetes allhier zu ſchauen 

Gebildet ſcheinbar, doch ein lebend Bild; 

So weiß die Kunſt vielfältig anzubauen 

Der Fabel, der Geſchichte reich Gefild. 

Ihr ſehet tücht'ge Männer, wackre Frauen, 

Zu Taten mächtig, wie zur Hülfe mild; 

Und ſo entgegnen wir euch, ſtarr erſcheinend, 

Lebendig uns zu eurer Gunſt vereinend.“ 


Auch als am 2. Februar 1817 unter Meyers Leitung der Eintritt 
des Erbprinzen in das fünfunddreißigſte Lebensjahr durch lebende 


25 


F 
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863 


Be Stanze Sonſt überließ er das Gebiet der Feſtdichtung an- 
deren, namentlich feinem ehemaligen Gehilfen Riemer, der vor allem 
in der Stellung von Scharaden Geſchick entwickelte, und für Masken⸗ 
5 züge ſchien er höchſtens noch paſſiviſch den Gegenſtand abzugeben, teils 

zur Mitverherrlichung, wie in einem viele Goethiſche Geſtalten vor⸗ 
führenden Maskenzuge des Kanzlers Müller vom 18. Februar 1818 

zur Nachfeier des Geburtstags der Erbprinzeſſin, teils ſchon zu halber 
Verleugnung, wie an demſelben Tage in einem ganz unoriginellen 
10 Maskenzuge des von deren Gemahl gehätſchelten Kotzebue. Auch Teil⸗ 
nahme ſchien er für ſolche Veranſtaltungen wenig mehr zu haben. Auf 
eine beſondere Einladung zu jener Nachfeier antwortete er mit dem 
„Gruß aus der Ferne“: 


„So wandelt hin, lebendige Geſtalten, 
Bewegten Lebens reichliche Gebilde! 
Dem ſchönſten Tage laſſet Liebe walten, 
Zu Reihen ſchmückt elyſiſche Gefilde. 
Ergetzen ſollt ihr, geiſtreich unterhalten, 
Belehren auch und warnen freundlich milde. 
Der Dichter alle ſegnet euch zum Frieden, 
Abweſend ſei es oder abgeſchieden.“ 


Als er bei der von der Großfürſtin gewünſchten Wiederholung dieſer 
Nachfeier im Landſchaftshauſe am 20. unerwartet erſchien, erhielt e er 
die Antwort auf dieſen Gruß in folgenden Stanzen: 


„Dein Segensgruß, er hat uns ſüß geklungen, 
In tiefſter Bruſt der Sehnſucht Bild erregt, 
Dem bunten Kreiſe unſrer Huldigungen 
Der Weihe heil' ges Siegel aufgeprägt: 
Und wenn vielleicht das kühne Spiel gelungen, 
Dein iſt der Kranz, der du uns aufgeregt. 
Der hohe Meiſter braucht nur wenig Worte, 
Aus jedem Herzen tönen ihm Akkorde. 


„Wie vormals treuſten Wunſches Sinngebilde, 
Bald ätherklar, bald rätſelhaft geſtellt, 

Und Blütenſchmuck elyſiſcher Gefilde 

Um Hochgeſtalten frühſter Wunderwelt 

Dein Zauberruf zu würd'gem Feſtgebilde, ; 
Als Frühlingsglanz, den Januar erhellt: 
So ſegne freundlich noch uns heut zum Frieden, 
Abweſend nimmer, nie von uns geſchieden.“ 


3864 | Maskenzuge. 


Kotzebue wußte nun, wer die Herzen Weimars beſaß; Goethe fett 
aber ergriff die nächſte Gelegenheit, um ſolche Anerkennung feiner 
Meiſterſchaft auch auf dem Gebiete dieſer Feſtdichtung noch einmal zu 
verdienen, Die von ihm immer hoch geſchätzte Erbprinzeſſin, eine feinere 
Kunſtverſtändige als ihr Gemahl, hatte ihn im ſtillen um die Dichtung 
zu einem großen Feſtzuge gebeten, mit dem am 18. Dezember 1818, 
dem letzten Redoutentage vor der Abreiſe ihrer zu Beſuch erſchienenen 
Mutter, der ruſſiſchen Kaiſerin Maria Feodorowna, die 
lange Reihe dieſer zu Ehren veranſtalteter glänzender Feſte würdig 
abgeſchloſſen werden ſollte. Nach dem Wunſche der hohen Auftrag⸗ 
geberin ſollten einheimiſche Erzeugniſſe der Literatur vorgeführt 
werden; Goethe legte ſich die Idee bis ins einzelne in dem jetzt pro⸗ 
grammatiſch vorausgeſchickten Proſaentwurfe auseinander und voll⸗ 
endete dann die Dichtung bis auf geringe Anderungen und Zuſätze 


in raſchem Zuge vom 17. November bis 4. Dezember in der Einſam⸗ 


keit des lieblichen Berka, wohin er ſich zu dieſem Behufe zurückgezogen 
hatte. So klar der Gedanke ſich prägte, ſo wohllautend floß faſt aus⸗ 
nahmslos der Vers, der wie immer frei und mannigfaltig, wie der 
Inhalt es gebot, geſtaltet wurde. Nur der Epilog, der höchſt unorga⸗ 
niſch dem Prolog nur dem Namen nach, im Stoff dagegen dem „Feſt⸗ 
zuge“ ſelbſt entſpricht, ſcheint nach der Rückkehr nach Weimar ge⸗ 
ſchrieben zu ſein, als Goethe Frau von Fritſch noch für die Mitwir⸗ 


kung gewonnen und noch nachträglich die Kunſt und Wiſſenſchaft zu 


berückſichtigen beſchloſſen hatte. Seiner Idee hundertundvierzig Per⸗ 


ſonen, die zum Teil bis zum Abend vorher durch Riemers Feſtſpiele in 


Anſpruch genommen waren, dienſtbar zu machen, gelang nur infolge 
der umſichtigſten Vorbereitung; Maler Meyer und Oberbaudirektor 
Coudray ſowie Sohn und Schwiegertochter hatten nach Goethes Wei⸗ 
ſungen die Trachten gezeichnet und Ausſtattungsſtücke aller Art beſchafft, 
er ſelbſt aber vor allem die gewaltige Maſſe verhältnismäßig wenigen 
Sprecherrollen untergeordnet, drei Herren, die den Mephiſtopheles, 
Phanias und Altoum agierten, und zwölf Damen für den Tag, die 


Nacht und Aurora (beides die Gräfin von Egloffſtein), den Genius, a 


den Dezember, das Epos, die Tragödie, die Komödie, die Ilme, Terp⸗ 


ſichore, Aonis, die Zigeunertochter, die Marketenderin, dazu drei Kin⸗ 35 5 


dern, deren einem das Weihnachtskind zufiel, während ſich die zwei 
andern in die zur Oberongruppe gehörigen Verſe zu teilen hatten. 


10 


Einleitung des Herausgebers. 365 


- =. Überhaupt kann man ſich die Mühwaltung Goethes wenigſtens 
a bei vollſtändig von ihm entworfenen und geſtellten Zügen gar nicht 
umfaſſend genug denken; mehr als ſelbſt bei der Theaterleitung wurde 
hier ſeine Vielſeitigkeit in Anſpruch genommen: wenn er als Dichter 
Gedanken und Text lieferte, mußte er zugleich das Bild ſchauen und 
3 ſtellen, vom letzten Requiſiten⸗ und Gewandſtück bis zum Geſamt⸗ 
3 aufmarſch wenigſtens als Oberleiter die Koſtümierung beſtimmen und 
. die Regie führen, oft auch für Weiſen, Sänger und Kapelle ſorgen 
1 und zuletzt durch Vorzeichnung der Marſch⸗ und Tanzfiguren auf 
10 dem Saalparkett und Beſchaffung von Platzhaltern die Ordnung der 
Aufführenden und Zuſchauer regeln. Reichliche Belege für dieſe viel⸗ 
ſeitige Tätigkeit bieten unſere Anmerkungen am Schluſſe des Bandes. 
Es gibt kein beſſeres Zeugnis für die Bedeutung, die man auch in 
ſolcher Hinſicht den Goethiſchen Maskenzügen beilegte, als daß ihre 
Beſchreibung, oft mit Abbildungen, nicht bloß im weimariſchen „Jour⸗ 
nal des Luxus und der Moden“ erſchien, ſondern auch in Berliner 
Blättern, wie der „Literatur⸗ und Theaterzeitung“ en dent „Mor⸗ 
genblatt für gebildete Stände“. 

Rückhaltlos war denn auch jetzt wieder die Anerkennung: die 
hohen Gäſte ſprachen es bewundernd aus, daß man ſo reiche Bilder 
mit ſo tiefem Gehalt nur in Weimar ſtellen könne; der Hof war ſtolz, 
daß ſein genialſter Dichter der Ehre Weimars mit ſo warmherziger 
Hingabe gedient hatte; alle Verehrer des Dichters freuten ſich, daß noch 
der Siebzigjährige auch in der literariſchen Gattung der von ihm ein⸗ 

25 gebürgerten Feſtdichtung die Palme errungen hatte, und die Beſten 
dankten dem edel Großen die Beſcheidenheit, mit der er Mit⸗ und 
* Widerſtrebende aus ſeiner Umgebung gefeiert hatte. Die berufenſte 
Akrrteilerin, Schillers Witwe, äußerte ſich darüber: „Es [der Masken⸗ 
zug vom 18. Dezember 1818] hat mich gerührt. Es iſt als Kunſtwerk, 
als Poeſie ſchön und ergreifend. Die Charakteriſtik der Dichter, die 
hier lebten, wie ſeine eigene hat mein Gemüt innig bewegt. Was er 
über die Stücke ſagt, iſt wunderſchön. Über ſich ſelbſt iſt er eigentlich 
zu leiſe hingegangen; doch weiß ich es ſehr gut zu verſtehen, da ich 
ſeine Beſcheidenheit kenne, die nur diejenigen erkennen können, die ihn 
85 in den Momenten ſehen konnten, wenn er eben eine ſolche Dichtung 
vollendet hatte!“ 
Woher ſolche Wirkung dieſer Poeſie, die ſo vielen nur als be⸗ 


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366 0 Madkenglige. 


ſtellter Hofdienſt gilt? Weil Goethe auch ſie im Wee ar 
wenn er es aus ganzer Stimmung konnte, wenn ſich ein naheliegen⸗ 


der, wirklich beziehungsvoller Stoff bot, wenn zu der dauernden Er⸗ 


gebenheit gegen das Fürſtenhaus, die ſo männlich ſelbſtändig als tief 


innig war, perſönliche Mitfreude an Anläſſen und Zeitläufen kam, 


oft auch nur, wenn er liebenswürdiger fremder Verehrung der teuren 
Fürſtinnen gleichgeſtimmten Ausdruck verleihen konnte. Kurz, auch 


hier iſt der Dichter der ganze mit Freuenden ſich mitfreuende Menſch, 
der auch in äußere Formen ſchönen Inhalt zu legen bedacht war. 


Immerhin wurden ihm ſolche Sachen mehr und mehr zu „Eitelkeiten“, 


und dauernd ſtellte er jetzt nicht nur ſeine Mithülfe dabei, ſondern, 


immer mehr zum Einſiedler werdend, auch den Beſuch der Redouten 
ein, auf denen Riemer noch dritthalb Jahrzehnte in des Meiſters Bah⸗ 
nen Maskenzüge veranſtaltete und Goethes Sohn ein fleißiger Mitfeiern⸗ 
der war. Ihn ſandte denn auch der Dichter in Riemers Maskenzug 
zum Geburtstage des Erbprinzen, dem 2. Februar 1824, der aus Ge⸗ 


ſtalten italieniſcher, ſpaniſcher und engliſcher Dichtungen beſtand und 
aus deſſen Mitte Auguſt von Goethe, als Byrons Korſar verkleidet, 


dem Fürſten das letzte Maskengedicht des Vaters überreichte. = 
war die 97 5 


„Man iſt gewohnt, daß an den höchſten Tagen 

Zum Herrſcherthron ſich alle Völkerſchaften 

Nach eigner Weiſe zuverſichtlich wagen, 

Mag ſeltſam auch der Schmuck an ihnen haften. 

Wie denn das Nußre ſei von Pelz und Kragen, 
Man ſieht hindurch die innern Eigenſchaften. 

Hier bringt nun ein Korſar, zum Schein verwegen, 

Einſiedleriſcher Zelle ſtillen Segen.“ 


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5 


Cimteitung des Herausgebers. Bemerkungen. 367 


5 Goethe ſelbſt hat der Zuſammenſtellung feiner Maskenzug⸗ „Dichtungen 
für die Ausgabe von 1806 folgende Bemerkungen vorausgeſchickt: 
Die weimariſchen Redouten waren beſonders von 1776 an 
ſehr lebhaft und erhielten oft durch Maskenerfindungen einen 
b beſondern Reiz. Der Geburtstag der allverehrten und geliebten 
regierenden Herzogin fiel auf den 30ſten Januar und alſo in 
die Mitte der Wintervergnügungen. Mehrere Geſellſchaften 
ſchloſſen ſich daher teils aneinander, teils bildeten ſie einzelne 
fſinnreiche Gruppen, davon manches Angenehme zu erzählen ſein 
10 würde, wenn man ſich jenes weggeſchwundenen Jugendtraums 
8 wieder lebhaft erinnern könnte. 


RR 
ne ? 


Leider find die meiſten Programme ſowie die zu den Auf⸗ 
zügen beſtimmten und dieſelben gewiſſermaßen erklärenden Ge⸗ 
. dichte verloren gegangen, und nur wenige werden hier mitge⸗ 
1 teilt. Symbolik und Allegorie, Fabel, Gedicht, Hiſtorie und 
Scherz reichten gar mannigfaltigen Stoff und die verſchiedenſten 

Formen dar. Vielleicht läßt ſich künftig außer dem Vorliegenden 
noch einiges auffinden und zuſammenſtellen. 


368 * Maskenzüge. 


Ein Zug Tapplünder. 
Zum 30. Januar 1781. 7 


Mir kommen in vereinten Chören 
Vom fernen Pol in kalter Nacht 

Und hätten gerne dir zu Ehren 

Den ſchönſten Nordſchein! mitgebracht. 

Wir preiſen jene Lufterſcheinung; 

Sie weiht die Nacht zu Freuden ein 

Und muß nach unſrer aller Meinung 
Der Abglanz einer Gottheit ſein. 


Von Bergen ſtrömt ſie uns entgegen, 

Wo bange Finſternis erſt lag; 

Auf einmal wird vor unſern Wegen 
Die grauenvolle Nacht zum Tag. 

O ſtünd' es jetzt am hohen Himmel, 

Wir bäten dich: verlaß den Scherz, 

Sieh weg vom glänzenden Gewimmel, 

Sieh auf, ſo brennet unſer Herz! 


So führen Wünſche, licht wie Flammen, 
Für dich den ſchönſten Himmelslauf; 
Bald falten ſie ſich ſtill zuſammen 
Und lodern jauchzend wieder auf. 
Doch jenem hochverehrten Lichte 

Raubt deine Gegenwart die Pracht; 

Es glänzt von deinem Angeſichte 

Die Huld, die uns dir eigen macht. 


1 Das Nordlicht, deſſen Erſcheinung der weimariſchen Geſellſchaft damals 
aus Joh. Heinrich Lamberts „Kosmologiſchen Briefen über die Einrichtung des 
Weltbaues“ (Augsburg 1761) ſehr vertraut war. 


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Ein Zug Lappländer. 


Aufzug des Winters. 369 


8 


Außzug des Winters. 


Der Schlaf. 
in treuer Freund, der allen frommt, 
Gerufen oder nicht, er kommt. 
Gern mag er Elend, Sorge, Pein 
Mit ſeinem ſanften Schleier decken; 


Und ſelbſt das Glücke wiegt er ein, 


Zu neuen Freuden es zu wecken. 


8 Die Nacht. 
Der Menſchen Freund und Feind, 
Dem Traurigen betrübt, 
Dem Frohen froh, 
Gefürchtet und geliebt. 


Die Träume. 


Wir können eine ganze Welt, 
So klein wir ſind, betrügen 
Und jeden, wie es uns gefällt, 
Erſchrecken und vergnügen. 


Der Winter. 
Euch ſo zuſammen hier zu finden, 
Iſt mir die größte Luſt. 
Ich nur, ich weiß euch zu verbinden, 
Des bin ich mir bewußt. 
Vor meinen Stürmen fliehet ihr 
Und ſuchet euresgleichen; 
Und darin muß der Sommer mir 
Mit ſeiner Schönheit weichen. 


Goethe. XVIII. 24 


370 


eee. ef 


Das Spiel. 
Bei vielen gar gut angeſchrieben, 
Find' ich hier manch bekannt Geſicht; 


Doch einen, dem ich immer treu geblieben, = i 9 25 B 
Ten find’ ich nicht. a 
Der Wein. 


Zur Geſellſchaft kann nicht beſſer 
Je ein Gaſt gefunden ſein: 


Gerne geben meine Fäſſer, 


Nehmen gerne wieder ein. f Mr 


Die Liebe, 
In mancherlei Geſtalten 
Mach' ich euch bang. 
So jung ich bin, mich kennen doch die Alten 
Schon lang'. 

Die Tragödie. 

Mit nachgeahmten hohen Schmerzen 
Durchbohr' ich ſpielend jede Bruſt, 
Und euren tiefbewegten Herzen 
Sind Tränen Freude, Schmerzen Luſt. 


Die Komödie. 
Magſt ſie immer weinen machen, 
Das iſt, dünkt mich, gar nicht ſchwer; 
Doch ich mache ſie zu lachen, 
Das iſt beſſer und iſt mehr. 


Das Karneval. 
Mich ergetzen viele Lichter, 
Mehr noch fröhliche Geſichter; 
Mich ergetzen Tanz und Scherz, 
Mehr noch ein vergnügtes Herz; 
Pracht und buntes Leben ſehr, 
Aber eure Gunſt noch mehr. 


Zu den vier Temperamenten. 
Die vier Kleinen, die ich führe, 
Sind gar wunderliche Tiere, 


Aufzug des Winters. 871 


Sind auch nach der Menſchen Art 
Widerwärtiglich gepaart, 
Und mit Weinen oder Lachen 
Müſſen ſie Geſellſchaft machen. 
Chor der Masken. 
Spanier und Spanierin. 
Vor dem bunten Schwarme flieht 
Die Melancholei. 5 
Auch aus fremden Ländern zieht 
Uns die Luſt herbei. 


Scapin und Scapine.! 
Mit einer Mütze voller Liſt 
Bleibt Scapin euch zu Dienſten, 
Und auch Scapinens Köpfchen iſt 
Nicht leer von feinen Künſten. 


Pierrot und Pierrotte.? 
Wir beiden mögen treu und gut 
Uns gern geſellig zeigen 
Mit langen Armeln, frohem Mut 
Und wünſchen euch desgleichen. 


Eein Paar in Tabarros.s 
Wir zwei Tabarros wollen gar 
Uns auch hierzu geſellen, 

Um noch zuletzt mit einem Paar 
Die Menge vorzuſtellen. 


Das Studium. 
Mein Fleiß iſt immer etwas nütz, 
Auch hier iſt er's geblieben: 
Ich hab' euch allen unſern Witz 
Verſtändlich aufgeſchrieben. 
1 Schlauberger und Schlaubergerin, urſprünglich Charaktermasken der italie⸗ 


3 niſchen Stegreifkomödie. — 2 Tölpel und Tölpelin, franzöſiſche Charaktermasken. — 
8 Bloße Deckmaske (Überroch, die für feiner als der Domino galt. 


24 * 


872 | Maskenzuge. 


Außzug der vier Weltalter.“ 
Das goldne Alter 


(begleitet von der Freude und der Unſchuld). 


Sanft wie ein Morgentraum ſchreit' ich hervor, 
Mich kennt der Menſch nicht, eh' er mich verlor. 
Der Jugend Schöne und der Blüten Zeit, 
Des Herzens Erſtlinge ſind mir geweiht. 

Das ſilberne Alter 


(begleitet von der Fruchtbarkeit, den Gaben des Geiſtes und der geſelligen Fröh⸗ 
lichkeit). a 


Was tief verborgen ruht, ruf' ich hervor; 5 
Ich gebe zwiefach, was der Menſch verlor. 
Durch Kunſt gepflegt, wird nur in meinem Schoß 
Das Schöne prächtig und das Gute groß. 
Das eherne Alter 


(begleitet von der Sorge, dem Stolz und dem Geize). 
An Herrlichkeit bin ich den Göttern gleich, 3 
Das Große nur zu ehren, ſteht mein Reich; 10 
Das Treffliche drängt ſich zu meinem Thron, 1 
Und Ehr' und Reichtum ſpenden Glück und Lohn. 2 


Das eiſerne Alter 
(begleitet von der Gewalttätigkeit). 


Gewalt und Macht ſind mir allein verliehn; 
Ich ſchreite über hoch und niedrig hin! 
Unſchuld und Fröhlichkeit wird mir zum Raub, 
Reichtum und Gaben tret' ich in den Staub. 
Die Zeit. 
Ich führ' euch an. Mir leiſe nachzugehn, 
Kann auch das Mächtigſte nicht widerſtehn. 
Der Strom der Wut verſiegt in ſeinem Lauf, 
Und Freud' und Unſchuld führ' ich wieder auf. 


1 gl. die Anmerkung am Schluſſe des Bandes. 


Aufzug der vier Weltalter. Die weiblichen Tugenden. 373 


Die weiblichen Tugenden. 
Zum 30. Januar 1782. 


ir, die Deinen, 
Wir vereinen 

In der Mitte 
Vom Gedränge 

5 Vor der Menge 
Leiſe Schritte; 
Wir umgeben 
Stets dein Leben, 
Und dein Wille 

10 Heißt uns ſtille 
Wirkend ſchweigen. 
Ach verzeihe! 
Daß zur Weihe 
Dieſer Feier 

15 Wir uns freier 
Heute zeigen, 
Im Gedränge 
Vor der Menge 
Dir begegnen 

20 Und dich ſegnen. 


Amor. 
Zum 30. Januar 1782. 


mor, der den ſchönſten Segen 
Dir ſo vieler Herzen reicht, 
Iſt nicht jener, der verwegen 
Eitel iſt und immer leicht; 


Es iſt Amor, den die Treue 
Neugeboren zu ſich nahm, 
Als die ſchöne Welt, die neue, 
Aus der Götter Händen kam. 


Gierig horcht' ich ihren Lehren, 
Wie ein Knabe folgſam iſt, 
Und ſie lehrte mich verehren, 
Was verehrungswürdig iſt. 


Mit den Guten mich zu finden, 
War mein erſter Jugendtrieb; 
Mich den Edlen zu verbinden, 
Machte mir die Erde lieb. 


Aber ach! nur allzu ſelten 

Freut mein ernſter Gruß ein Herz; 
Meine falſchen Brüder gelten 
Mehr mit leichtem Wechſelſcherz. 


Einſam wohn' ich dann, verdroſſen, 
Allen Freuden abgeneigt, 

Wie in jenen Fels verſchloſſen, 
Den die Fabel! dir gezeigt. 


1 D. h. die Handlung des pantomimiſchen Balletts, an deſſen Schluffe der aus 
einem ſich öffnenden Felſen herausgeführte Amor dieſes Weihegedicht überreichte. 


Vgl. die Anmerkung am Schluſſe des Bandes. 


30 


Amor. 375 


Doch auf einmal bilden wieder 
Herzen ſich, dem meinen gleich; 
Ewig jung komm' ich hernieder 
Und befeſtige mein Reich. 


Jugendfreuden zu erhalten, 
Zeig' ich Lei? das wahre Glück, 
Und ich führe ſelbſt die Alten 
In die holde Zeit zurück. 


Was den Guten Gut's begegnet, 
Leiten Göttliche durch mich. 
Dieſer Amor grüßt und ſegnet 
Heute ſeine Freundin, dich! 


376 Mastenzge. 


Planetentanz. 
Zum 30. Januar 1784. 


n deinem Tage reget ſich 
Das ganze Firmament, 

Und was am Himmel Schönes brennt, 
Das kommt und grüßet dich.! 


Aufzug. 
Vier Winde machen Raum. Die zwölf Himmelszeichen treten hervor, ſie 
bringen Liebe, Leben und Wachstum mit ſich. Dieſe ſchönen Kinder eilen, 
die Fürſtin zu begrüßen; indes bildet ſich der Tierkreis. Die Planeten treten 5 
hinein. Merkur ruft ſie zur Feier des Tages; allein noch bezeigen ſie ihren 1 
Unmut, denn die Sonne verweilt zu kommen. Doch auch ſie naht ſich bald 3 
mit ihrem Gefolge, ſendet ihre wirkſamſten Strahlen der Fürſtin zum Ge⸗ je 
ſchenke, und der feierliche Tanz beginnt. „ 
Die Liebe, 9 
Leben und Wachstum mit ſich führend. 
Oft ſchon kam ich friſch und heiter, 5 
Freute deines Tags mich hier; 5 
Doch ich eilte flüchtig weiter, 
Denn zu einſam war es mir. 


Heut komm' ich aus fernen Reichen 3 
Wieder her zu dir geſchwind — 10 
Kinder lieben ihresgleichen, 1 
Und ich bin noch immer Kind. 
Darum hab' ich mir aus vielen 
Dieſe mit herbeigebracht, 5 
Finde gar auch den Geſpielen, 15 
Der uns friſch entgegenlacht. ER 


1 Dieſe nicht zum Maskenzuge ſelbſt gehörigen vier Verſe ſtanden als Wide I 
mung in dem der Herzogin überreichten Abdruck. 


Planetentang. RN | i i 377 


Gerne bleiben wir und wahren 
Mit der größten Sorgfalt ihn, 
Deinen Sohn!, der dir nach Jahren 
Doch zur rechten Stund' erſchien. 


Immer ſoll das reinſte Leben 

Mit ihm wachen, bei ihm ruhn 
Und der Wachstum mit ihm ſtreben, 
Edel einſt dir gleichzutun. 


Merkur. 
Munter? bin ich wie die Flammen, 
Daß mich alle Götter loben; 
Immer ruf' ich ſie zuſammen, 
Und gewöhnlich folgt man mir. 


Aber heute ſtand ich oben 
Müßig an des Himmels Stufen, 
Denn ſie kommen ungerufen 
Und verſammeln ſich vor dir. 


Venus. 
Nicht leer dacht' ich herabzuſteigen: 
„Ich mach' ihr jedes Herz zu eigen, 
Das wird an ihrem Tag die ſchönſte Gabe ſein; 
Es iſt der Himmelsgaben beſte.“ 
So ſprach ich, trat voll Zuverſicht herein; 
Allein ich ſeh', ſie ſind ſchon alle dein, 
Und ſo bin ich nur unnütz bei dem Feſte. 


ö Tellus. 
Mich ſchmückt ein tauſendfaches Leben, 
Das nur von mir das Leben nimmt; 
Nur ich kann allen alles geben: 
Genießet, was ich euch beſtimmt! 


1 Den Erbprinzen Karl Friedrich, der am 2. Februar 1783, achthalb Jahre nach 
der Vermählung, geboren wurde. — 2 D. h. behend, eine Bezeichnung, die zu⸗ 
gleich die flotte, zu Kapriolen geneigte Art des Darſtellers, des Leutnants von 
Schardt, traf, aber keine Beziehung zum Queckſilber enthält. 


75 aa will ich keinem € 

Auf ſo viel Güter ſtolz bin ich, 
Am ſtolzeſten auf Vena 
Und dich! 5 


Luna. 
Was im dichten Haine 
Oft bei meinem Scheine 
Deine Hoffnung war, 
Komm' auf lichten Wegen 
Lebend dir entgegen, 
Stell' erfüllt ſich dar. 


Meiner Ankunft Schauern 
Sollſt du nie mit Trauern 
Still entgegengehn; 

Im Genuß der Freuden 
Will zu allen Zeiten 

Ich dich wandeln ſehn. 


Mars. 

Von dem Meere, 
Wo die Heere 

5 Mutig ſtehn!, 

5 Von dem Orte, 

Wo der Pforte? 
Drohende Gefahren wehn, 
Aus der Ferne 
Wendet her ſich meine Kraft. 
Und ich weile gerne, | 
Wo dein Blick 
Häuslich Glück 
Täglich ſchafft. 


1 V. 60—62 deuten wohl auf den Seekrieg, der trotz des von = Ve . 
Staaten von Nordamerika und Frankreich mit England 1783 zu Verſail 
ſchloſſenen Friedens noch zwiſchen Holland und England fortgeführt zu wer 
drohte. — 2 Der Türkei, der Katharina II. von Rußland trotz des 1782 mit f 
geſchloſſenen Friedens von Jaſſy 1783 die Krim weggenommen hatte. 


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5 5 Jupiter. 98 
Ich bin der oberſte der Götter; 

Wer will ſich über mich erhöhn? 

Ich ſchleudre fürchterliche Wetter; 

Wer iſt's, wer kann mir widerſtehn? 

Wie würd' es meine Bruſt entzünden, 
Beſtritte mir ein Gott das Reich! 

Allein in dem, was ſie für dich empfinden, 
Weiß ich gern alle ſie mir gleich. 


Saturn. 
Grau und langſam, doch nicht älter 
Als ein andres Himmelslicht, 
Still und ernſthaft, doch nicht kälter 
Tret' ich vor dein Angeſicht. 


Glücklich wie im Götterſaale 
Find' ich dich auf deinem Thron, 
Dich beglückt in dem Gemahle, 
In der Tochter! und dem Sohn. 


Sieh, wir ſegnen dich, wir bringen 
Dir ein bleibendes Geſchick, 

Und auf himmliſch reinen Schwingen 

Ruhet über dir das Glück. 


Deine Tage ſo umkränzend, 
Immer licht und neu belebt, 

Wie der Ring, der ewig glänzend 
Mein erhabnes Haupt umſchwebt. 


Eybele.? 

Im fernen Raum, wohin kein menſchlich Auge drang, 
Wo ich der Sterne reine Bahn erblickte 

Und mich ihr lieblicher Geſang 

Zu höhern Himmeln aufentzückte, 


1 Die nicht volle acht Wochen nach dieſer Feier geſtorbene Prinzeſſin Luiſe (vgl. 
Si. 359). — 2 So nannte Poinſinet de Sivry den erſt 1781 von Herſchel entdeckten 
Planeten Uranus; Goethe wählte dieſen Göttinnamen, um eine Dame mehr ver⸗ 
wenden zu können. f 


380 Maskenzüge. 


Dort ſchwebt' ich einſam, ungenannt, h 
Seit vielen tauſend, tauſend Jahren, ENT 
Ich war der Erde unbekannt 

Und hatte nichts von ihr erfahren; 


Nun rufen mich verwandte Sphären: 

„O Schweſter, bleib allein nicht fern! 108 
Zum erſtenmal ein neuer Stern, 

Komm' auch herab, ſie zu verehren!“ — 


Bei deinem Feſte ſcheint mein ſtilles Licht; 

Zwar ſtieg ich halb mit Widerwillen nieder; 

Allein vor dir und deinem Angeſicht 110 
Find' ich den ganzen Himmel wieder. 


Sol. 
Von mir kommt Leben und Gewalt, 
Gedeihen, Wohltun, Macht; 
Und würd' ich finſter, ruhig, kalt, “a 
Stürzt' alles in die Nacht. 11s 
Man ehrt mich, weil ich herrlich bin, | 
Man liebt mich, weil ich mild. 
Des Bildes iſt ein edler Sinn, 
Du liebſt ein edles Bild. 


Die Welten führ' ich gleich und ſchnell 120 
Mit unverdroßnem Arm; 

Mein Licht iſt allen Erden hell 

Und meine Strahlen warm. 


Erfülle, Fürſtin, deine Pflicht, | 
Geſegnet tauſendmal; 1 
Und dein Verſtand ſei wie mein Licht, = 
Dein Wille wie mein Strahl. 5 


Planetentanz. Maskenzug zum 30. Januar 1798. 881 


Masklienzug.“ 


Zum 30. Januar 1798. 


er lang’ erſehnte Friede nahet wieder, 

Und alles ſcheint umkränzet und umlaubt: 
Hier legt die Wut die ſcharfen Waffen nieder, 
Ko Dem Sieger iſt ſogar der Helm geraubt; 

Rs Das nahe Glück erreget frohe Lieder, 

Und Scherz und laute Freuden ſind erlaubt; 
Und wir, als ein Gebild aus höhern Sphären, 
Erſcheinen heute, deinen Tag zu ehren. 


Die Palmen legen wir zu deinen Füßen, 
Und Blumen ſtreuen wir vor deinem Schritt. 
* Die Eintracht darf ſich wieder feſt umſchließen, 
“4 An ihrer Seite fommt die Hoffnung mit. 


| . In Sicherheit und Ruhe zu genießen 

. | Und zu vergeſſen alles, was es litt, 

4 Dies iſt der Wunſch, der jedes Herz belebet, 
Das wieder friſch ins neue Leben ſtrebet. 


Und Ceres wird verſöhnet und verehret, 
Die wieder froh die goldnen Ahren regt; 
Wenn dann die Fülle prächtig wiederkehret, 
20 Die aller Freuden reiche Kränze trägt, 
Wird auch der Kunſt der ſchönſte Wunſch gewähret, 
Daß ihr ein fühlend Herz entgegenſchlägt, 
Und in der Ferne ſehen wir aufs neue 
Der edlen Schweſtern? eine lange Reihe! 


% ee = 


1 Vgl. die Anmerkung am Schluſſe des Bandes. — 2 Der Künſte. 


382 Maskenzüge. 


Doch jeder blickt behende nach den Seinen 25 
Und teilt mit Freunden freudiges Gefühl; 

Man eilet, ſich harmoniſch zu vereinen, 

Und wir ſind hier an der Erſcheinung Ziel; 

Du zählſt mit Heiterkeit uns zu den Deinen, 

Verzeiheſt mild das bunte Maskenſpiel. 30 
O ſei beglückt! ſo wie du uns entzückeſt, 

Im Kreiſe, den du ſchaffeſt und beglückeſt. 


zekenzug zum 30. Januar 180%. 


WMaskenzug. 
Zum 30. Januar 1802. 


. Wes, von der Ruhm verkünderin! begleitet, 
; : Heroiſcher Geſang den Geiſt entzündet, 
Auf Tatenfeldern hin⸗ und wiederſchreitet, 

Mit Lorbeer ſich das eigne Haupt umwindet, 

Ein Denkmal über Wolken ſich bereitet, 

Auf Schwindendes die ſchönſte Dauer gründet, 
Von Göttern und von Menſchen unbezwungen, 
So ſcheint's, er hab' ein höchſtes Ziel errungen. 


Doch hat uns erſt der Muſe Blick getroffen, 
Die dem Gefährlichſten ſich zugeſellt, 

Dann ſtehet uns ein andrer Himmel offen, 
Dann leuchtet uns die neue, ſchön're Welt. 
Hier lernet man verlangen, lernet hoffen, 

Wo uns das Glück am zarten Faden hält, 
Und wo man mehr und immer mehr genießet, 
Je enger ſich der Kreis? im Kreiſe ſchließet. 


Bald fühlſt du dich von jener eingeladen, 
Der Holden, die mit Unſchuld ſich verband, 
Und Fels und Baum auf allen deinen Pfaden 
Erſcheint belebt durch ihre Götterhand; 
Dich grüßen kindlich des Gebirgs Najaden, 
Des Meeres Nymphen grüßen dich am Strand. 
Wer einſam durch ein ſtilles Tempe? ſchreitet, 
Der fühlt ſich recht umgeben und begleitet. 


2 Anm. 3; hier überhaupt = Tal. 


m 


1 Über dieſe und die folgenden Masken vgl. S. 360, Z. 13 ff. — 2 Als engſter 
der Kreis zweier ſich in Neigung erſchließender Herzen. — 3 Vgl. oben, S. 


332, 


384 


Maskenzüge. e 


Doch ſollen wir nicht allzu weichlich Füßen, 5 
Da trifft uns denn gar oft ein leichter Schlag. ee 
Wir fahren auf! Wer wagt's, mit uns zu wieter a 
Bald heimlich neckend, bald am offnen Tag! 5 

Iſt's Momus, der in ſtädtiſchen Gewühlen, 1 
Ein Satyr, der im Feld ſich üben mag? e 
Was uns geſchmerzt, ſind allgemeine Poſſen, 8 
Wir lachen bald, wo es uns erſt verdroſſen. 


Sie kommen an, vom wilden Schwarm umgeben, 

Den Phantaſie in ihrem Reiche hegt. 

Die Woge ſchwillt, die im verworrnen Streben 35 
Sich ungewiß nach allen Seiten trägt. 

Doch allen wird ein einzig Ziel gegeben, 

Und jeder fühlt und neigt ſich froh bewegt 

Der Sonne, die das bunte Feſt verguldet, 3 
Die alles ſchaut und kennt, belebt und duldet. 0 


Nastenzug. gum 30. Januar 1802. — Zum 30. Januar 1806. 385 5 


Zum 30. Januar 1806. 


erzlich und freudevoll 
Bringe der Treue Zoll, 
Singendes Chor! 
Raſch wie der Hände Klang 
Töne des Liedes Drang, 
Steige der Feſtgeſang 
Zu dir empor! 
Mitten in unſre Reihn 
Stürmet der Krieg herein, 
Umſtellt uns hier; 
Doch der nur Wildes denkt, 
Schreckend ſich vorwärts drängt, 
Selten die Fahne ſenkt, 
Er neigt ſich dir. 
Hören beim Friedensfeſt 
Auch ſich Trommete läßt, 
Schon iſt es nah. 
„Herrgott, dich loben wir! 
Herrgott, wir danken dir! 
Segneſt uns für und für!“ 
So klingt es da. 
Wunden ſchon heilen ſich, 
Wolken ſchon teilen ſich, 
Dein Tag erſcheint. 
Ehrfurcht uns all' durchdringt, 
Abſchied der Krieger bringt, 
Heil dir der Bürger ſingt, 
Alle vereint. 
1 Eigentlich kein Maskenzug, ſondern ein Lied, das mit Trompetenbegleitung 
vor der Aufführung des Corneille'ſchen „Cid“ in Niemeyers Bearbeitung am 30. Ja⸗ 


nuar 1806 im Weimarer Theater vom Chor geſungen wurde. Auf den „Cid“ 
ſpielen V. 8 — 10 an. 


Goethe. XVIII. 25 


Aus dem Maskenzuge 


zum 30. Januar 1809. 


Sterndeuter. 

Re find aus jenen Höhen 

Nicht allzu deutlich zu verſtehen; 
Ich aber beachte die Planeten, 
Weil dieſe ganz verſtändlich reden. 
Der neuen, der ſind ihrer vier, 
Bekrönt mit holder Namenszier: 
Juno, Veſta, Pallas, Ceres! genannt, 
Klein und vor kurzem noch nicht bekannt. 
Die tun ſich alle bei mir beklagen, 
Daß ſie am Himmel kaum zu erfragen: 
„Hätte uns in jener Schöpfungsnacht 
Ein mächt'ger Geiſt zuſammengebracht, 
So ſähen wir auch nach etwas aus, 
Verehrt am hohen Himmelshaus; 
Wir ſchwängen uns in einem Kreiſe 
Nach unſrer Mitgeſellen Weiſe. 
Die Namen, deren wir viere tragen, 
Denen wollten wir ſo gern entſagen; 
Damit uns Welt und Nachwelt prieſe, 
So nennten wir uns gleich Luiſe.“ 


Landleute, Gärtner, Hirten. 
Nun folgen die Erdenkinder nach, 
Zu horchen, was der Himmel ſprach; 


1 Ceres wurde am 1. Januar 1801 von Piazzi in Neapel entdeckt, Pallas 
am 28. März 1802 und Veſta am 29. März 1807 von Olbers in Bremen, 9 
am 1. September 1804 von Harding in Lilienthal bei Bremen. 5 


Und die nun ſchüchtern näher treten, 
Ihre jetzige Herrin anzubeten. 


ſeine diem Stellung des „Epiphanias“ bei der Gerten 
„V. 1 1 anſpielende Überleitung zu an folgenden Gruppe 9 
Könige. 


388 3 | Maskenzülge. 


Die romantiſche Poeſte.! 
Stanzen zu Erklärung eines Maskenzugs, 
aufgeführt den 30. Januar 1810. N 
Der Geburtstag der regierenden Herzogin von Weimar, der jedesmal als 

ein ausgezeichnetes Jahresfeſt begangen wird, rief in dieſem Jahre bei den 
glücklichſten Familienereigniſſen? in der Gegenwart hoher verehrter Gäſte zu 
beſonders lebhaften Feierlichkeiten auf. Für die demſelben gewidmete Masken⸗ 
luſt ſchien es ein angemeſſener Schmuck, die verſchiedenen Dichtungen, denen i 
unſre Vorfahren und auch die Ahnherrn jenes hohen Fürſtenhauſes eine vor⸗ 
zügliche Neigung ſchenkten, in bedeutenden, mannigfaltigen Geſtalten darzu⸗ 
ſtellen. Ein Herold zeigte ſich daher, anführend einen Minneſinger und Helden- 
dichter, welche, vor die hohen Herrſchaften zu beiden Seiten geſtellt, durch 
nachfolgende Strophen die vorüberziehenden teils allegoriſchen, teils indivi⸗ 
duellen Geſtalten der modernen Poeſie ankündigten und erklärten. 


Minneſinger. 

P* Wartburgs Höhn, wo vor ſo manchen Sonnen 

Uns eure Väter freundlich angehört, | 
Wohin, noch froh gedenk der alten Wonnen, A 
Der ewig rege Bardengeiſt ſich kehrt, . a 
Weil jede Krone, die er dort gewonnen, f ä 
Des Gebers Ruhm durch alle Zeiten mehrt:s ö 
Das Gute, das geſchehend uns ergetzet, 1 
Wird rühmlich, wenn die Zeit es trägt und ſchätzet — 3 


1 Pgl. die Anmerkung am Schluſſe des Bandes. — 2 Den Geburtstagen der 
regierenden Herzogin (30. Januar) und der Erbprinzeſſin (16. Februar) ging am 
14. Januar die Verlobung der Prinzeſſin Karoline mit dem Erbprinzen von Mecklen⸗ 
burg⸗Schwerin voran, und am 19. Januar gab aus dieſem Anlaß der Herzog der 
Bürgerſchaft einen glänzenden Freiball auf dem Stadthauſe. An fürſtlichen Gäſten 
waren z. B. gegenwärtig Prinz Guſtav von Mecklenburg, der auf der Redoute vom 
2. Februar als Phöbus erſchien, und der Prinz von Koburg. — 3 V. 1-6 ſpielen 
auf die Aufnahme an, die Sänger wie Wolfram von Eſchenbach und Walther von 
der Vogelweide um 1203 bei Hermann von Thüringen auf der Wartburg fanden, 
ſowie darauf, daß infolgedeſſen die Sage und Dichtung vom „Wartburgkriege“ 
dorthin verlegt iſt. f 


N, Die romantifce poeſe. e 389 


u Heldendichter. * 
Da ſangen wir an jedem Feiertage, 
Der eurem Stamm die friſche Knoſpe gab!; 

Den ſpatentrißnen Ahnherrn trug die Klage 

Melodiſch groß zum ſieggeſchmückten Grab; 

Dann kündeten wir jede Wunderjage?, 

Das Heldenſchwerts ſowie den Zauberſtab !; 

Und jauchzend folgten wir dem jungen Paare, 

Dem frohen, ſchönbekränzten, zum Altare. 
Herold. 

Nun tritt ein Herold auf zur guten Stunde, 

Der treu vor euch den goldnen Szepter bückt. 

Er bringt von jener Zeit gewiſſe Kunde, 

Daß Fürſten ſelbſt mit Liedern ſich geſchmückt, 

Und führet vor euch her froh in die Runde 

Der Bilder Schar, wie ſie uns dort entzückt; 

Und zweierlei vermag er anzumelden: 

Der Liebe Scherz, darauf den Ernſt der Helden. 
Frühling. 

Der Lenz tritt auf. Vom ſüßen Liebesmunde 

Ertönt durchaus ein holder Zauberſchall. 

Nun wird der Welt erſt recht die frohe Stunde! 

So ſingt und ſagt das Lied der Nachtigall. 

Ein Seufzer ſteigt aus regem Herzensgrunde, 

Und Wonn' und Sehnſucht walten überall. 

Und wer nicht liebt, wird ſich des ſchönen Maien, 

So gut er kann, doch leider halb nur freuen. 
Sommer. 

Der Sommer folgt. Es wachſen Tag und Hitze, 

Und von den Auen dränget uns die Glut; 


1 D. h. an Geburtstagen. — 2 3. B. die vom Roſenwunder oder die ver⸗ 
wandte, wonach ſich der von Eliſabeth an die Armen verſchenkte Mantel in ihrer 
Kemenate wiederfand. — 3 Gewaltſamer Ausdruck ſtatt: die Tatſache, daß die 
Sproſſen des Hauſes das Schwert heldenhaft führten. Vgl. die Anmerkungen am 
Schluſſe des Bandes. — ! Tannhäuſer erhielt von Papſt Urban II. Vergebung für 
den Fall, daß der von ihm in der Hand getragene dürre Stab binnen drei Mo⸗ 
naten ausſchlage und blühe, was geſchah. Auch an des Zauberers Klingſor Stab 
könnte gedacht ſein. 


Doch dort am Waſerſal, am e Bi 
Erquickt ein Trunk, erfriſcht ein Wort das Blut. 
Der Donner rollt, ſchon kreuzen ſich die Blitze, 5 
Die Höhle wölbt ſich auf zur ſichern Hut; . 
Dem Toſen nach kracht ſchnell ein knatternd Schmettern; 5 


Doch Liebe lächelt unter Sturm und Wettern. 


Minnepaar. 
Im goldnen Glanz, im bunten Farbenſcheine 
Der neuen Welt genießen ſie den Tag. 
Er ſagt's ihr klar, wie er es freundlich meine; 
Sie ſagt's ihm ſo, daß er es deuten mag. 
Er wagt es nun und nennet ſie die Seine, 
Er wiederholt's mit jedem Herzensſchlag; 
Und ſo beglückt, bald offen, bald verſtohlen, 
Des ſüßen Wortes ew'ges Wiederholen. 


Tanzende. 
Ein leichter Sinn erhebt ſie von der Erden; 
Das muntre Paar, es mag nicht ſtille ſtehn. 
An Worte Statt find liebliche Gebärden, 
Die zwar im Takt, jedoch von Herzen gehn, 
Und Schling' auf Schlinge Kettenzüge werden. 
Wie luſtig iſt's, ſich um ſich ſelbſt zu drehn! 
Mit leichtem Anſtand wechſeln ſie die Glieder; 
Doch kehrt zum Auge bald das Auge wieder. 


Jagdluſtige. 
Mit ernſtem Gang, zu ernſteren Geſchäften 
Zieht nach dem Wald ein friſches Jägerpaar, 
Getroſt in ſich, ſchlank gleich den edlen Schäften, 
Die ſich zur Luſt ein hoher Wald gebar. 
Sie lächeln ſtolz, vertrauend ihren Kräften; 
So trotzen ſie der Mühe, der Gefahr 
Und denken nicht der Macht, die uns gebietet, 
Wovor Diana ſelbſt nicht ſchützt noch hütet. 


1 V. 53—56 bezeichnet den engliſchen, als Contre bekannten Tanz, Kain 
V. 54 den deutſchen Walzer. 5 ER 


Den Fleiß Geloßnenb aber, tritt one | 
Miit reicher Gaben Fülle zu uns an. 5 
Mit Freuden ſehen wir den Kranz, die abb 
Und viel genießt, wer heuer viel getan. 


Aufs neue Jahr geht ſchon der neue Plan; 
Im Kreis der Gäſte waltet frohes Leben: 
Der Edle hat und will auch andern geben. 


s Spielende. 
Beſitz iſt gut, der jedem wohl behaget; 

Doch wer ihn hat, wär' ihn gern wieder los. 

Und wenn er wagend nun das Glück befraget, 

Faällt ihm vielleicht ſogar ein doppelt Los. 
Selbſt wenn Verluſt ihn hin und wieder plaget, 

Iſt doch das Glück der Ungewißheit groß. 


Mit Leidenſchaft genießen ſie des Lebens, 


And Amor ſelbſt belauſcht fie nur vergebens. 


Winter. N 

Wir dürfen kaum hier noch den Winter nennen; 

Denn iſt wohl Winter, wo die Sonne ſcheint? 

Die Augen glühn, die Herzen alle brennen, 

Und jeder ſpricht und handelt, wie er's meint. 

Von allen Jahreszeiten, die wir kennen, 

Sit ſie's, die eine, die uns jo vereint: 

Sie gab uns dich, belebt nun dieſe Feſte, 
Und ſo erſcheint ſie uns die allerbeſte. 


| Norden, 

Doch wendet nun von dieſem Blumengrünen 
Zu nord'ſchen Himmelsfeuern das Geſicht — 
Woher auch uns mit Jugendglanz erſchienen 
Die Majeſtät in ſterndurchwebtem Licht — 
Zum alten Volk unüberwundner Hünen, 
Das wandernd ſich durch alle Länder ficht. 


1 Die Göttin des Obſtes. 


Der Vater ſchafft, er freut ſich mit dem Sohne, 


5 


392 ; Mastenzüge. 


Mit welcher Kraft die Riefenfäufte cage 8 
Seht ihr am Schwert, vom Zwergenpaar e ; 


Brunehild. 
Dem Pol entſprießt die herrlichſte der Frauen, 
Ein Rieſenkind, ein kräftig Wunderbild. 
Stark und gewandt, mit hohem Selbſtvertrauen, | 
Dem Feinde grimm, dem Freunde ſüß und mild, 100 
So leuchtet, nie verſteckt vor unſerm Schauen, . 
Am Horizont der Dichtkunſt Brunehild 
Wie ihres Nordens ſtete Sommerſonne! 
Vom Eismeer bis zum Po, bis zur Garonne. 


Siegfried. ; 
Ihr ſchreitet kühn der gleiche Mann zur Seite, 105 
Der ihr beſtimmt war, den ſie doch verlor. 
Für ſeinen Freund erkämpft' er ſolche Beute, 
Durchſprengte kühn das Zauberflammentor. 
Wie ſchön das Hochzeitlager ſich auch breite, N 
Die Freundſchaft zieht er ſtreng der Minne vor: 110 
Dies Schwert, ein Werk zwergemſ'ger Schmiedehöhlen, 
Schied ihn und ſie! — O ſeltſames Vermählen! 


Prinzeſſin. 

Nun geht es auf, das Licht der Morgenländer, 
Die Tochter von Byzanz. Ihr ſeht ſie hier! En 
Als Kaiſerskind trägt fie die Goldgewänder, 115 
Und doch iſt fie des Schmuckes höchſte Zier. l 
Die goldnen Schuhe, jene teuren Pfänder, 

Die Liebesboten zwiſchen ihm und ihrs, 

Sie bringt der Zwerg, die frohſte Morgengabe: Er 
Ein Liebespfand iſt mehr als Gut und Habe 120 


1 Die Mitternachtsſonne. — 2 Goethe fest auch bei den Oſtgoten und Lango⸗ 
barden am Po und den Weſtgoten an der Garonne Bekanntſchaft mit der Walküre N 
Brunhild voraus. — 3 Als König Rother feinen vom Kaiſer in Konſtantinopel 
eingekerkerten Freiwerbern nachgezogen war und von deſſen Tochter, die keinen 
als ihn zum Gatten begehrt, heimlich in die Kemenate beſchieden wurde, ließ er 
eilend zwei ſilberne und zwei goldene Schuhe gießen und ihr von jedem Paare 
einen bringen, beide für denſelben Fuß; erſt als ſie nach dem andern Schug 
ſchickte, ging er ſelbſt zu ihr und ward nun von ihr erkannt. . 


N 
ee. 
2 
92 
5 
5 
en 
1 
= 


135 


140 


145 


Die romantiſche Poeſte. 393 


Rother. 


as 800 ſpreche nun fo heiter als bedächtig 


Von König Rothers unbezwungner Kraft; 
Und ob er gleich in Waffen groß und mächtig, 
Hat Liebe doch ihm ſolches Glück verſchafft. 
Als Pilger klug, als Gaſt freigebig, prächtig, 
Hat er als Held zuletzt ſie weggerafft 

Zum ſchönſten Glück, zum höchſten Mutterloſe: 
Von ihnen ſtammt Pipin und Karl der Große. ! 
Asprian. 


Den mächtigſten von allen Kampfgenoſſen 


Erblickt ihr nun, den Rieſen Asprian?. 

Ein Hagelwetter, aus der Wolk' ergoſſen, 

Trifft nicht ſo blind und breit als dieſer Mann. 
Die Freunde haben ſelbſt ihn angeſchloſſen;? 
Denn wenn er gleich nicht Feinde finden kann, 
So ſchlägt er doch, ſchlägt alles um ſich nieder 
Und ſchonet nicht die eignen Waffenbrüder. 


Recht und Ehre. 
Die Welt, ſie wäre nicht vor ihm zu retten, 
Wenn nicht auch hier die Weisheit vorgebaut: 
Ihn hält das Recht, ein hehres Weib, in Ketten, 
Der man getroſt ſo großes Amt vertraut; 
Die andre lockt und zieht mit goldnen Ketten, 
Indem ſie ſchmeichelnd nach dem Wilden ſchaut. 
Er geht bedächtig an dem frohen Tage, 
Er ſieht ſich um und ſchaut, wohin er ſchlage. 

Liebe. 

Dann folgen zwei. — Laßt dieſe mich erklären! — 
Sie ſind einander beide nah verwandt, 


1 Den Anlaß zu dieſer Schlußwendung der — ſpäter auch bei den ripuariſchen 
Franken lokaliſierten — Rother⸗Sage gab ihr Schluß, wonach ſich Rother zuletzt in 
ein Kloſter zurückzieht, nachdem er ſeinen Sohn Pipin zum Ritter geſchlagen hat. 
— 2 König Asprian, den kein Roß tragen kann, iſt mit zwölf gleich rieſenſtarken 
Mannen unter den Begleitern Rothers, als dieſer zur Befreiung ſeiner Braut⸗ 
werber nach Konſtantinopel zieht und dort den feigen Kaiſer durch ſeine Taten in 
Schrecken jest. — 3 Im Epos wird dieſer Zug von Asprians Gefolgsmann Widolt 
erzählt. 


394 ae, 


Mit Sonn' und Mondes Glanz von Be Spären 
Zu Wohl und Weh uns freundlich zugeſandt 
Doch will ſich dieſe nicht an jene kehren, 

Sie ſtreift allein, verdirbt, erquickt das Land; 
Und ſelten ſieht man beide Schweſter-Flammen, 
Wie heut, gepaart, in Einigkeit beiſammen. 


Treue. 
Und die Beſcheidne zeigt ſich frei und freier 
Und irrt ſich nicht am rauſchenden Getön; 
Sie ſteht vor euch, ſie öffnet ihren Schleier 
Und will getroſt ſo vor der Menge gehn; 
Ermutigt glänzet nun das ſtille Feuer, 
Dem Glühwurm gleich, ſo anſpruchlos als ſchön. 
Sie widmet euch den reinſten aller Triebe; 
Gern folgt ſie dem Verdienſt ſowie der Liebe. 


Otnit. 
Ein groß Verdienſt weiß dieſer zu erwerben, 
Entbrannt für Menſchenwohl von heil'ger Glut. 
Er ſchaut umher auf klägliches Verderben, 
Mann wider Mann, Volk wider Volk in Wut. 
Mit Drachenſchweiß! wird Berg und Wald ſich färben, 
Die Eb'ne färben ſich mit Räuberblut, 
So daß, weil Gute dankbar nun ihm dienen, 
Unholde nicht zu ſchaden ſich erkühnen. 


Weltlich Regiment. 
So kommt zuletzt das Herrlichſte zuſtande, 
Wonach die Welt im ganzen immer ſtrebt: 
Der Friede herrſcht im unbegrenzten Lande, 
Wo niemand mehr vor ſeinem Nachbar bebt; 


5 


1 Drachenblut. Nach dem mittelhochdeutſchen Heldengedicht von König 
Otnit führt dieſer mit Hilfe ſeines zauberſtarken Vaters Elberich gewaltſam die 
heidniſche Königstochter Sindrat nach Lamparden heim; als aber die von deren 
Vater heimlich in fein Land geſetzte Drachenbrut groß geworden iſt, fällt er im 


Kampfe gegen dieſe. Goethe übernahm nichts als Namen und den — ſymboliſch ge⸗ 5 
faßten — Drachenkampf, machte aber Otnit zu einem erfolgreichen, Ordnung ſchaffenden 


Herrſcher eines mittelalterlichen Wahlreiches (V. 175). Nach ſeiner Anweiſung ſollte 
er „mit Königskrone in kraftvoller Würde einhertreten und den Bit a6 
Drachen am Speere zeigen“. 


186 


160 


105 


j = - 
a. 
5 = 


r 
2 


die enen bete. = 5 | 395 


r liebt der b Mech der Ehrfurcht hehre Bande, 
Er fühlt ſich frei, wenn er gebändigt lebt; 

5 Nur will er ſelbſt, er will den Herrn erwählen, 
Diem aber ſoll's an Glück und Prunk nicht fehlen. 


Geiſtlich Regiment. 
Mit allem ſoll ſich auch die Schweſter ſchmücken, 
Doch Demut ſoll ihr höchſtes Kleinod ſein. 
Sie geht mit freundlich halbgeſenkten Blicken 
Und mit ſich ſelbſt ſo ruhig überein; 25 
Doch würde ſie der erſte Platz beglücken: 
Dem Hochſinn iſt die zweite Stelle Pein. 
Sie ſcheint der Schweſter Hoheit nachzuſinnen 
Und möchte gern den Schritt ihr abgewinnen. 


Kanzler und Klerikus. 
Auch klein're Weſen kommen mit zum Spiele: 
Gar manches wird durch ſie geheim erregt. 
Der eine, der gewandt mit ſpitzem Kiele 
Das Reich begrenzet, ja die Feinde ſchlägt; 
= Der andre, der entfernt vom Weltgewühle 
100 Das Wort, zum Buch erſtarrt, am Herzen trägt: 
| Sie, beide ruhig, willen zu begeiſtern, 
Sie gehen nach und oft vor ihren Meiſtern. 


Elberich!. Rätſel. 

Im ſtillen aber herrſchet über dieſe 

2 Und weit und breit ein wunderſames Haupt, 
105 Scheinbar ein Kind und nach der Kraft ein Rieſe, 

= Das jeder leugnet, jeder hofft und glaubt: 
Der Welt gehört's ſowie dem Paradieſe; 
Auch iſt ihm alles, iſt ihm nichts erlaubt. 
Verein' es nur in kindlichem Gemüte 
Die Weisheit mit der Klugheit und der Güte. 


1 Elberich iſt die durch die Otnit⸗Sage nahegelegte Maske für das 
Rätſel, welches der in allen Geſtalten des Maskenzuges waltenden Macht gilt. 
Düntzer ſchlägt die Löſung „Genie“ vor, Rudolf Seydel die treffendere: „Das 
fltromantiſche) Ideal“. 


896 Mastenziige. 


Minnejinger. | ea 
Und voller Zutraun ſchließt ſich an — die Menge; i 
Wir aber laſſen fie in Frieden ziehn. 
Ihr ſaht vor euch ein liebevoll Gedränge, 
Geſtalten vor'ger Zeit vorüberfliehn. 
Den bunten Staat, das blitzende Gepränge, 205 
Wir bitten, ſeht nicht flüchtig drüber hin; 
Inwendig waltet ehrfurchtsvolle Scheue, 
Der Liebe Flammen wie das Licht der Treue. 


Heldendichter. 
Ja ſelbſt das Große ſchwindet gleich den Schatten, 
Und öde wird der tatenvollſte Raum; 210 
Drum ſoll die Tat ſich mit dem Worte gatten: 
Ein ſolcher Zweig, gepflanzt, er wird zum Baum; 
Luſtwälder ziehn ſich über grüne Matten, 
So blüht er fort, der ſchöne Lebenstraum. 
Was eure hohen Väter, ihr nach ihnen 215 
An uns getan, es ſoll für ewig grünen! 


10 


15 


20 


er Die romantiſche Poeſie. Maskenzug ruſſiſcher Nationen. 


Maskenzug ruſſiſcher Nationen 


zum 16. Februar 1810. 
Feſtlied. 


Re herein und nicht gezaudert! 
Nicht getrotzt und nicht geſchaudert! 
Nicht gekoſt und nicht geplaudert! 

Hier iſt Ernſt bei Scherz. 

Tüchtig, feſt, mit ſtarkem Schritte 
Bringen wir zur Feſtesmitte 

Fremde Kleider, fremde Sitte, 
Wohlgekanntes Herz. 


So entlegen wir auch ſtammen, 
Kreiſend ziehen wir zuſammen, 

Wie das Chor von Sternenflammen 
Sich um eine dreht. 

In dem Glanze deines Wohles 
Freuen wir uns unſres Wohles, 
Wie der Feuerglanz des Poles! 
Sternenlicht erhöht. 


Hin und wieder und zur Seiten 
Sehn wir fremd Gebilde ſchreiten, 
Dir die Freude zu bereiten, 

Wie ſie jeder ſchafft. 

Wandelt fröhlich zwiſchen dieſen, 
Die des Feſtes mitgenießen, 
Zwiſchen Zwergen, zwiſchen Rieſen 
Und des Nordens Kraft. 


1 Das Nordlicht. 


397 


Nun ertönt it einem Schalle 
Lauter Wünſche Chor! 
Hier bedarf es keiner Sichtung, = 
= Alle zieht vereinte Richtung. 
. Trage Wahrheit, trage Dichtung 
| | Dielen Tag empor! 


Gaftlied. 
Zu erſcheinen 5 
Mit den Seinen | 
In dem lichten Be 
Alle Biedre, 
Hoh' und Niedre, 
Das iſt rechte Weise! 
Kommt gegangen, 
Ehrenvoll empfangen! 
Dieſen Tagen 
Ziemet froh Behagen. 
Wie wir ſollen „ 
d In dem vollen „ 
5 Lampenhellen Saale, 
Viele zeigen, 
Viele neigen 
Sich mit einem Male. 
Wenn es wären 
Alle, die dich ehren, 
Treu und munter, 
Wär' es noch viel bunter. 


Braut lied 

„ 
Kommt hervor aus euren Kemenaten, 5 
Brüder, ratet mir! ich möchte gerne frein.“ 
Fragſt du viel, ſo biſt du ſchlecht beraken ; | 


1 v a BE ae 
5 S ah san * N N 


CPC NT. Se Ban RS 


65 


70 


Maskenzug ruſſiſcher Nationen. a 399 


Findeſt du ſie ſtill zu Haus 
Und tätig und verſtändig, 

Richte nur den Hochzeitsſchmaus: 
Der Tanz iſt gleich lebendig. 


Sie. i 
„Kommt herein, ihr lieben Nachbarinnen, 


Schweſtern, ratet mir! man wirbt um meine Hand.“ 
Fragſt du viel, du wirſt nicht viel gewinnen; 


Um dich ſelbſt verſchlingt ſich ja das Band. 


Ob er dir gefallen kann? 

Die Augen mußt du fragen. 
Ob's ein braver, guter Mann? 
Das muß das Herz dir ſagen. 


Beide. 
„Einig ſind die zwei, die ſich gefunden! 


Lebt nun wohl! Ins Leben geht es fort.“ 


Fließen doch für euch nun andre Stunden; 
Euch gehört von nun an jeder Ort. 
Hand in Hand, wie dieſes Paar, 
Wollen wir das Feſt genießen; 
Fröhlich jauchze die ganze Schar 
Und ſtampfe mit den Füßen! 


400 


Quadrille italieniſcher Tünzer und Tänzerinnen 


Maskenzüge. 


zum 16. Februar 1810. 


ir kommen aus dem Sonnenland, 
Mit buntem Kleid und leichtem Band 


Geſchmückt nach unſrer Weiſe: 
Ein froher Sinn bot uns die Hand 
Zu dieſer Winterreiſe. 


Aus jener milderen Natur 

Beſtiegen wir die lange Schnur 
Der hohen Alpenrücken 

Und ſahn des rauhen Winters Spur 
Mit Schauder und Entzücken. 


Doch kamen wir behaglich an, 

Wo mancher Saal ſich aufgetan 
Voll ſchöner Pomeranzen, 

Und möchten wohl auf ſolchem Plan 
Die Tarantella tanzen. 


Und dieſe goldnen Früchte hier, 

Sie ſind nicht fremder Lande Zier, 
Sie wachſen in der Runde, 

Wie ehrfurchtsvolle Liebe dir 

Auf deiner Treuen Grunde. 


10 


15 


| Bei 
Allerhöchſter Anweſenheit Ihro Majeſtät der Kaiſerin⸗Mutter 


Maria Feodorowna 
in Weimar 


5 Maskenzug. 
Als Ihro Kaiſerliche Hoheit die Frau Erbgroßherzogin von Sachſen⸗ 
Weimar ⸗Eiſenach hiernächſt beſchriebenen Feſtzug gnädigſt anordneten, be⸗ 
fahlen Höchſtdieſelben: daß dabei einheimiſche Erzeugniſſe der Ein⸗ 
bildungskraft und des Nachdenkens vorgeführt und auf die vieljährig und 
10 mannigfaltig gelungenen Arbeiten beiſpielweiſe hingedeutet werden ſolle. Hier⸗ 
nach wäre denn der Inhalt des nunmehr ſummariſch verzeichneten Charakter⸗ 
zuges aufzunehmen und zu beurteilen. 


| Prolog. 

en ius in Pilgertracht eröffnet den Zug, Weg und Stege zu 
15 ſegnen. Zwei Knaben mit Reiſetafeln (Itinerarien), die 
j bisher vollbrachte Reife ſymboliſch anzudeuten und ſich derſelben 
® zu freuen. Drei Monate treten auf. Oktober, des Allerhöchſten 
5 Geburtsfeſtes ſich rühmend, in Geſtalt eines wein- und frucht⸗ 
bekränzten Genius. November in Jägergeſtalt; fröhlicher Ge⸗ 
20 leitsmann des bisherigen Zuges durch ſo manche Länder, Zeuge 
erfreulichſter Namensfeier. Dezember, hausmütterlich heran⸗ 
tretend, mit Kindern, die an den Weihnachtsgeſchenken, noch 
mehr aber an Allerhöchſter Gegenwart und Gunſt ſich ergetzen 
und ein herannahendes, der Welt ſegenreiches Geburtsfeſt an⸗ 
25 kündigen. | 
Die Nacht, ihrer Herrſchaft über die ganze gegenwärtige 
Jahreszeit ſowie über die Feſtſtunden ſich anmaßend, führt den 
Schlaf herein, von Träumen umgeben, deren Auslegung ſie 
. verſucht. Alle deuten auf die höchſten Glückſeligkeiten der Erde, 
. zo welche den meiſten Menſchen nur als Wunſch und Traum er⸗ 

* ſcheinen, Begünſtigten aber als Wirklichkeit verliehen ſind. 

Goethe. XVIII. 5 26 


403 1 Masten Er 


Drei Verſchwiſterte treten auf. Eyes 25 Hedend tung, | 
ſonſt nur Unheil unter den Großen befingend, erfreut ſich glück 2 85 


bringender Einigkeit der höchſten Herrſcher. 


Tragödie, gleichſam wie aus einem Traume N wird 5 Ei 


gewahr, daß das Ungeheure auch einmal heilbringend ſei. 
Komödie, fühlt ſich heiter in den übrigen, geht, ſich mit 


der Menge zu verbinden und des Tages zu genießen. Jene bei⸗ 125 
den andern aber, ohne ihren Charakter abzulegen, erbieten ſich, 


dem heutigen Feſte zu dienen und, was allenfalls einer Auf- 
e bedürfte, nachzuweiſen. 


Feſtzug. | 

Die Ilme tritt auf, in der Überzeugung, daß fie das Rätſel⸗ 

hafte dieſer Geſtaltenreihe am beſten zu deuten wiſſe. Wie⸗ 

lands Charakter, deſſen Denk- und Dichtweiſe wird von ihr 

umriſſen, das glückliche Verhältnis zu ſeiner Fürſtin berührt, 
des Tiefurter Aufenthaltes mit Anmut gedacht. 

Muſarion tritt auf, begleitet von Phanias und zwei 

philoſophiſchen Gegnern! Die Lehre von Mäßigung, 


Bengſamkeit, heiterm Genuß und ſtiller Duldung wird nach . 


des Dichters eigenſter Weiſe kürzlich ausgelegt. 
Oberon und Titania, mit Feen und Elfen erſcheinend, 


. 


83 


— 


geſtehen, wie ſie ihre Wiedervereinigung dieſem ſchönen Tage ver⸗ = 


danken, und bekennen ſich als Lehnsleute der Allerhöchſten Gäſte. 

Hüon und Amanda, durch der kleinen Geiſter Verſöh⸗ 
nung auch mit ihrem Schickſal ausgeſöhnt, bezeigen ſich dankbar 
für die ſegenreiche Wirkſamkeit. Scherasmin und Fatime? 
ſtimmen ein. 

Der Übergang zu Herders Leiſtungen führt uns auf deſſen 
ſchöne Eigenſchaft: die Stimmen aller Völker zu vernehmen und 
aus ihren heimiſchen Tönen auf die Eigenheiten ihrer Neigungen, 
Tugenden und Fehler zu ſchließen. Deshalb find Legende? 
und Barde vorgeführt. 5 


1 Phanias' Gäſte ſind bei Wieland der Stoiker Kleanth und der Pythagoreer 
Theophron. — 2 Jener iſt der biedere alte Diener Hüons, dieſe die treue Dienerin 


Rezias⸗Amandas im „Oberon“. — 3 Diefe Anſpielung auf Herders Abhandlung 


„über die Legende“ und ſeine eigenen Muſter dieſer Gattung in der ſechſten Samm⸗ 
lung der „Zerſtreuten Blätter“ von 1797 wurde nicht ausgeführt. Der Barde 
deutet auf ſeine Bemühungen um das Volkslied. 


u: 


0 


e 


eg 1818. 403 


Rn 5 356 gewöhnt a an x Yakeiofie Klagen, aber 
begleitet, ermuntert, im höheren Sinne hergeſtellt durch Adra⸗ 
ſteaz, die Allrichtende und Ausgleichende. 

Nun aber treten auf Aon und Aoniss. Er als alter Gries⸗ 
5 gram keineswegs erbaut von ſo viel Neuerungen des Tages; ſie 
aber, lebendig heiter, jung, der jungen Gegenwart gemäß, ver⸗ 

ſteht ihn zu beſchwichtigen, wozu das herzerhebende Feſt ihr die 
beſten Beweggründe darreicht. 

8 Erinnernd an die herrlichſte Epoche ſpaniſcher Rittertage 
10 zeugend vom Übergewicht chriſtlicher Heldenkraft über mahome⸗ 


ſie andeuten, bringt jene den Deutſchen ſo tüchtig als erfreulich 
überlieferte Romanzenreihe wieder zur Gegenwart. 


15 auf der Übergang. Die Ilme tritt abermals hervor, und 

indem ſie ihm die Beſtändigkeit ſeiner Neigung zu ihr zum 
Verdienſt macht, rechtfertigt ſie die ihrige. Ein Burrblic thea⸗ 
traliſcher Behandlung wichtiger Weltbegebenheiten wird gefor⸗ 
dert, da alle folgenden Glieder des Zuges dramatiſche Werke ſind. 
20 Mahomet erſcheint mit Palmyren und Seiden? Als 
Muſterbild dramatiſcher Beſchränkung in Anſehung der Hand⸗ 
lung, der Zeit und des Ortes, wie ſolche früher die Alten, ſpäter⸗ 
hin beſonders die Franzoſen beliebt, kann dieſe Darſtellung 
wohl gelten. 

25 Die Ausſicht auf eine freiere Dichtart wird gegeben. Götz 

von Berlichingen tritt auf, von den Seinigen begleitet, mit 
Gegnern ausgeſöhnt. Wir ſehen Gattin, Sohn und Schwe— 


1 In dem dreibändigen Werke dieſes Namens vom Jahre 1795, einer Über⸗ 
ſetzung der lateiniſchen Gedichte und einem Leben des Jeſuiten Jakob Balde aus 
dem Dreißigjährigen Kriege, ſuchte ſich Herder über ſeine Vereinſamung und die 
harten Kriegsläufte zu tröſten. — 2 Dieſe von Herder 1801 — 03 herausgegebene 
Sammelſchrift wollte laut Ankündigung die Geſchichte des vergangenen Jahrhun⸗ 
derts „nach den unentrinnbaren Adraſteen der Wahrheit und Gerechtigkeit wägen“. 
— 3 Eine liebenswürdige Auslegung dieſer grämlich moraliſierenden Allegorie Her⸗ 
ders von 1801, die doch eine Zurechtweiſung von Goethes zur Feier der Jahrhundert⸗ 
wende gedichtetem Feſtſpiel „Paläophron und Neoterpe“ hatte fein wollen. — Fer⸗ 
nandos des Großen Tochter in Herders „Cid“, die dieſer ſelber liebte. — 5 Pal⸗ 
myre iſt die Sklavin, Seide der Sklave Mahomets in Voltaires Trauerſpiel 
„Mahomet“, das Goethe 1799 überſetzte und am 30. Januar 1800 zur Feier des 
Geburtstages der Herzogin zum erſten Male aufführen ließ. 


26 * 


taniſchen Hochſinn, erſcheinen Cid, Ximene, Urafat. Was e 


Zu den Bemühungen eines lebenden Dichters folgt hier⸗ 1 8 = 


404 / Mastenzüge 


ſter, voran den treuen Georg. Weislingen, Adelheid 1 


Franz dürfen nicht fehlen. Landvolk zeigt ſich, den einfachen 
Lebensgenuß zur verworrenſten Zeit, Zigeuner dagegen, den 


geſetzlichen Zuſtand aufgelöſt anzudeuten. Doch wagt eine 


jüngere, durch ſinnvolle Sprüche die harten Vorwürfe von ſich 


und den Ihrigen abzulehnen und auch ſich und ihre Sippſchaft 
höchſter Gunſt würdig darzuſtellen. 


Das Perſonal von Fauſt gibt Anlaß zu einem umgekehrten 


Menächmenſpiel!. Hier find nicht zwei, die man für einen 
halten muß, ſondern ein Mann, der im zweiten nicht wieder⸗ 
zuerkennen iſt. Fauſt als Doktor, begleitet von Wagner; 
Fauſt als Ritter, Gretchen geleitend. Die Zauberin?, 
die das Wunder geleiſtet, mit glühendem Becher, tritt zwiſchen 
beiden Paaren auf. Mephiſtopheles verläßt Marthen, um 
ſeine Geſellſchaft ſelbſt zu exponieren. Er deutet auf eine zweite 
Erſcheinung. Zum Zeugnis, daß dies alles in heiterer, gewohnter 
Welt vorgehe, iſt noch friſche Jugend damaliger Zeiten vor⸗ 
geführt. 

Die Tragödie meldet ſich nun als an ihrer eigenſten Stelle, 
da ſie Muſterbilder von Schillers Werken vorzuführen hat. 

Braut von Meſſina tritt auf. Mutter und Tochter. 
Das verwaiſte Paar von Aurora eingeführt. Der Charakter 
dieſer Schickſalstragödie wird vorgetragen, derſelben Wert und 
Würde hervorgehoben. Indem aber das Bild einer ſolchen mit 
furchtbarer Konſequenz und doch zwecklos handelnden Macht 
von entſchiedener Meiſterhand ſich uns grauenvoll entgegenſtellt, 
ſind wir zum düſterſten Punkt des Ganzen gelangt, nur aus 
höheren Regionen zu erhellen. 

Wilhelm Tell, begleitet von allen Geſtalten, die ihm 
durch Legende und Dichtung vorlängſt zugegeben worden. Uns 
freut vor allem ſein glücklich erworbenes Kind. Walther Fürſt, 
Werner Stauffacher, Arnold Melchthal, ewig bund- und 
eidgenoſſene Namen! Auch die tüchtigen und gutgeſinnten 
Hausfrauen zieren die Geſellſchaft, ſowie die bisher abgeſon⸗ 


1 Verwechſlungsſpiel, fo genannt nach Plautus’ Luſtſpiel „Menaechmi“, 
deren luſtige Verwechſlungen durch die täuſchende Ahnlichkeit zweier Zwillings⸗ 
brüder herbeigeführt werden. — 2 Die Hexe der „Hexenküche“ im „Fauſt“. 


— 


0 


25 


30 


15 


20 


25 


3 


— 


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8 

Br 

u 35 


Maskenzug 1818. 405 


derten Geſchlechter Rudenz und Bruneck ſich gerne fügen. 
Mehrere Landsleute werden willkommen geheißen. Ja ſogar 


die Geſtalt Geßlers wagt es, verſöhnt, unter ſeinen Wider⸗ 
ſachern aufzutreten. 

Aber indem der Zug ernſt und mutig herantritt, findet er 
ſich faſt überraſcht, einen freieren Boden zu betreten als den, 
woher ſie gekommen. Sie preiſen die Gegend glücklich, wo der 
Fürſt ſich mit den Seinigen verbündet, damit das anerkannte 
Geſetz auch ſogleich zur entſchiedenen Ausführung gelange und 


Recht gegen Recht ſich nicht bloß durch Hinderungen dartue. 


Von dieſer ſich untereinander beſtärkenden Geſellſchaft wer⸗ 
den wir zur Betrachtung eines einzelnen Mannes geführt, der 
die Kräfte vieler Tauſende in ſich vereinigt fühlte. Wallenſtein 
tritt auf in ſeiner Kraft, die zarte, nachgiebige Gattin an ſeiner 
Seite. Dämoniſch begleitet ihn Gräfin Terzky an der andern. 
Max, Thekla und ihre vertraute Neubrunn ahnen die be⸗ 
vorſtehenden Schickſale nicht. Höchſte Selbſtſtändigkeit, gewaltige 
Einwirkung auf andere, ruhig durchgeführte Plane bezeichnen 
den außerordentlichen Mann. Aber ach! zu große Selbſtſucht, 
wankende Treue vergiften ſein hohes Gemüt. Zweifel am Gegen⸗ 
wärtigen, Furcht vor dem Zukünftigen beunruhigen, verwirren 
ihn ſogar. Der Sterndeuter will belehren, will töricht auf 
die Richtung hinweiſen, die der Mann ſeinem eignen e 
verdanken ſollte. 

Wallenſteins Lager verleiht uns eine Muſterkarte des 
ſeltſamen Heeres, welches der anziehende Name des weitbe⸗ 
rühmten Helden zuſammengerufen. Eingeführt werden ſie auf 
ihre eigene Weiſe, und wir treffen hier auf den heiterſten Punkt 
unſerer Darſtellungen. 

Tieferes Nachdenken erregt die folgende Abteilung, wo nach 
einem vielverſprechenden Fragmente Schillers der Wendepunkt 
ruſſiſcher Geſchichte angedeutet werden ſollte. Wir ſehen dieſes 
hohe, würdige Reich in beklagenswerter Verwirrung unter einem 
tüchtigen und untüchtigen Ujurpator: Boris und Demetrius. 
Schwer iſt ſolch ein Zuſtand zu ſchildern, der den Geiſt des Be⸗ 
obachters niederdrückt; herzerhebend hingegen die Ausſicht auf 
das Glück, das nachher aus einer reinen, ununterbrochenen Erb⸗ 


ae 5 elke, 


folge! entſpringt. Marina, Axinia, Obotwalaty 2 
die Gruppe. 5 
Möge nach ſo viel Ernſt ein leichtſinniges Märchen zum . 
Schluſſe gefallen. Altoum, fabelhafter Kaiſer von China, 
Turandot, feine rätſelliebende Tochter, ſtellen ſich vor. Ka⸗ 5 
laf, ein kühner Bewerber, Adelma, eine leidenſchaftliche Neben 
buhlerin, Zelima? und ein wunderliches Maskengefolge er⸗ 
bitten ſich wie dem Ganzen Geneigtheit und Nachſicht. 4 


Epilog. es 

Die Ilme kann ſich nicht verſagen, noch einmal zu er⸗ 10 
ſcheinen und ihren höchſten Stolz auf den heutigen Tag zu bes? 
kennen. Auf ihrer Spur tritt feſtlich froh, jedoch über das lange 
Verweilen der Nacht, über zudringliche Darſtellung allzu vieler 

poetiſcher Erzeugniſſe gleichſam ungeduldig, herein der Tag, be⸗ 
gleitet von Pallas Athene, welche den Bund mit ihrer jo 15 
lange begünſtigten getreuen Stadt feierlichſt erneuert, und von 2 
Klio, die ſich verpflichtet, deren Ruhm aufs neue, gegenwärtiges N 
Feſt verkündend, in aller Welt auszubreiten. Vorgeführt wer 
den ſodann: Künste und Wiſſenſchaften. Alle, bisher von 
dem Höchſten Hauſe für mannigfaltige Dienſte gepflegt und ge⸗ 0 
wartet, widmen und empfehlen ſich einer frohen, ka 19 3 
kommenſchaft. . 


1 Der Begründer des Hauſes Romanow, dem in einer Nebenlinie auch die 
gefeierte Großfürſtin entſtammte, wurde im Feſtzuge ſelbſt dargeſtellt, und zwar durch 
den Prinzen Paul von Mecklenburg. — 2 Im Perſonenverzeichnis werden noch 
genannt: Pantalon, Brighella und Truffaldin. 


— 


5 Feſtzug, dichteriſche Landeserzeugniſſe, 


Weimar, 18ter Dezember 1818. 


Prolog. 
Genius, als Pilgrim. 
Zwei Knaben mit Reiſetafeln. 


ure Pfade zu bereiten, 
Schreit' ich allen andern vor, 
Treuer Genius der Zeiten, 
Leicht gehüllt in Pilgerflor. 

Auf den Zwillings⸗Tafel⸗Flächen 
Seht ihr manchen heitern Raum, 
Grünend, blühend wie von Bächen 

Aufgeregten Frühlingstraum. 
Flüſſe blinken, Städte prunken, 
Wie das Licht den Ather ſchwellt, 
Kreiſ' auf Kreiſe, Funk⸗ aus Funken, 
Und die Welt iſt erſt die Welt. 


Sehen wir am Himmelsbogen 

5 Bilder glänzend ausgeſät, 

Räume haſt du nun durchzogen, 
En. Wo du Tochterglück erhöht. 

Sehn wir Enkel! dich umſchweben, . 

Reichlich wie Granate glüht, . 88 


Denn du biſt es, die erblüht. 


5 1 Die am 30. September 1811 geborene Prinzeſſin Auguſta, die ſpätere 
deutſche Kaiſerin, und der älteſte Sohn, der am 24. Juni 1818 geborene Karl 
Alexander, regierender Großherzog von 1853 — 1901. 


darauf aber Künſte und Wiſſenſchaften vorführend. 


Segnen wir das Blütenleben: „ 


#r 


408 Maskenzüge. . en a 


Nacht allein tritt auf. FT. 
So tret' ich vor mit nie gefühlter Wonne, 
Mein düſtrer Schleier hebt ſich vom Geſicht. 
Die Majeſtät iſt milder als die Sonne, 
Denn ihre Gegenwart vertreibt mich nicht. 
Doch wenn ich denke, daß ich alles fülle, 25 
Daß nur in mir die hellſte Sonne ſtrahlt, e 
Auf dunklem Grunde blinkend, lieblich, ſtille 
Sich Stern an Stern in ew'gen Bildern malt, 
Dann möcht' ich viel verkünden, viel erzählen; | 
Jedoch mein Mund, der unberedte, ſchweigt. 30 
Wo iſt ein Gold zu Faſſung der Juwelen? 
Wo iſt ein Schmuck, der dieſem ſich vergleicht? 

Drei Monate treten auf. 
Nacht fährt fort. 

Drei Monden ſind es, die mir Gunſt erweiſen, 
Stets länger, breiter dehnt mein Reich ſich aus; 
Ich kann ſie diesmal hoch und herrlich preiſen; 35 
Denn ſie verherrlichen das höchſte Haus. 

(Oktober als Weingott.) 
Wenn dieſer ſich mit Kranz auf Kranz bekränzt, 
So wird man ihm den Stolz vergeben; 
Wenn Übermut von Stirn und Auge glänzt, 
Er deutet hin aufs reichbegabte Leben. 40 
Wie er ſich auch mit Ranken freudig ziert, 
Wie honigſüß die Kelter fließen mag, 
Das iſt es nicht; denn ihm allein gebührt 
Des Feſtes Feſt, ein auserwählter Tag; 
Ein Tag ſo hehr im Zeitenkreis geſtellet, 3 
Der fünfundzwanzigſte bleibt ſeine Zahl, 8 

Der ſiel dem Licht, ein neues Licht, geſellet, 

Sich wiederhol' er überzähligmal. 

(November als Schütze.) 

Dieſer, der nach Jägerweiſe 5 
Wälder, Berg und Tal durchſtreift, Bun 


1 Die Kaiſerin Maria Feodorowna war am 25. Oktober 1759 geboren. 


Maskenzug i a 409 


Tritt herbei zu deinem Preiſe, 
Da er nicht im Weiten ſchweift, 
Nein, das ſchöne Glück ergreift, 
Zu begleiten deine Reiſe. 


Hinter Ceres' Flügelwagen, 

Wie ſich ſtill die Furche ſchließt 
Und nach mildvergangnen Tagen 
Sich das Erntefeſt ergießt: 
Wird er ſo auf grünen Höhen, 
Auf der goldnen Saaten Flur 
Immerfort geſegnet ſehen 
Deines Zuges reiche Spur. 


(Dezember als Mutter, mit zwei Kindern.) 

Der Weihnachtsbaum war mütterlich geſchmückt, 

Die Kinder harrten mit Verlangen, 

Und das Erſehnte wird herangerückt, 

Das holde Feſt wird glanzvoll früh begangen. 

Was Kinder fühlen, wiſſen wir nicht leicht! — 
(Zum Kinde.) 

Magſt du, mein Schatz, dich unterwinden 

Und, wie es dir im ſtillen Herzen deucht, 

Mit lauter Stimme ſelbſt verkünden? 


Weihnachtskind. 


Der Winter iſt den Kindern hold, 
Die jüngſten ſind's gewohnt. 

Ein Engel kommt, die Flüglein Gold, 
Der guten Kindern lohnt. 

Sie ſind geſchickt, ſie ſind bereit 

Zu mancher Jahre Lauf; 

Nun ſind wir fromm auf Lebenszeit, 
Der Himmel tat ſich auf. 

Sie kommen, bringen, groß wie mild, 
Ein einzig Weihnachtsfeſt; 

Auf Erden bleibet ihr ſein Bild, 
Auch uns im Herzen feſt. 


u MR 


410 2 Masfenzlge, 5 0 


Ich weiß, wir dürfen dir uns nahn, 2 
Uns gönnſt du jede Zeit, 
Wie ſelig iſt es zu empfahn, 
Und Dank iſt Seligkeit. 
Bedürfnis macht die Kinder gleich. 
Sie blickt und hilft geſchwind. 
Denn hoch und niedrig, arm und reich, . 
Das alles iſt ihr Kind. 0, 
Schlaf und Nacht. Letzte ſpricht. | | 
Er ſchwankt heran, er kann mich nicht entbehren, 
Der holde Knabe! Sanft auf mich gelehnt, 
Steht er geblendet! — 
(Zum Schlafe.) 
Kann dir nicht gewähren, 
Wonach du dich ſchon ſtundenlang geſehnt. 
Hier iſt nicht Ruh', hier ſind nicht weiche Mühle, 
Jedoch wie ſonſt vertraue mir. 
Ich ſchirme dich im glänzenden Gewühle, 
Was andre ſehn, im Traume zeig' ich's dir. 


(Sie fährt fort, die Träume auszulegen.) 


8 2 4 : F K 


Vier Träume, 

menſchliche Wünſche und Glückſeligkeiten vorſtellend. 
Erhaben ſtehn auf höchſter Stelle, 
Die Welt regieren ihr zum Heil, 100 
Am Steuer herrſchend über Sturm und Welle, 
Sei wenigen, den Würdigſten zuteil. 
Doch pflichtgemäß, befehlgemäß zu handeln, 
Befördern das gemeine Glück, ee 
Im lichten Abglanz ehrenvoll zu wandeln, 105 
Sei mehrerer, ſei des Verdienſts Geſchick. m 
Wem der Beſitz von Geld und Gut gelungen, 
Erhalte, was ihm angehört. 
Das haben viele ſich errungen; 8 
Genießen ſie es ungeſtört. 110 
Doch wieder jung in ſeinen Kindern werden, 
Auf ew'ge Tage ſich zu freun, 


— * 5 * 7 
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PF 3 I 
* n DT r 


Das iſt das höchſte Glüct auf Erden 
Und iſt der ganzen Welt gemein. 


So Mich zieht es weg, ich darf nicht Be lime 
Und ſage mit Beſonnenheit: 2 
Das alles kann ein jeder träumen; 

Euch ganz allein iſt's Wirklichkeit. 

Er träume fort und ſchaue geiſt'gen Blicks, Be 
Mas euch die Götter Günſt'ges zubereiten. ee 
Wir, wachend glücklich, Zeugen eures Glücks . 

Und hochgetroſt für ew'ge Zeiten. 


Drei Dichtarten. 
Epos, Tragödie, Komödie. 
a Epos. 
Mit Zuverſicht darf ich mich hier erheben, 
Dem Allergrößten war ich ſtets vertraut. 
5 Wenn andre ſtaunen, wenn verwirrt fie beben, 
Da fühl' ich mich von Grund aus auferbaut. 
Acachillen hegt' ich, hegt' Ulyſſen kräftig, 
Im tiefſten froh, an heitrer Lebensbruſt, n 
Und alles andre, was umher geſchäftig a 
Im Heldenleben rang zu Schmerz und Luft; En 
So zuverſichtlich trat ich hier herein, 
Nun ſchein' ich mir nur mein Geſpenſt zu ſein. 


Sonſt wiederholt' ich: wie die Herrn der Scharen, 

Achill und Agamemnon, ſich entzweit, 
Den Jammer um Patroklos', Hektors Bahren . 
Erhielt ich laut durch alle Folgezeit; Er 
Mitteilt' ich tauſend, aber tauſend Jahren he 

Der Griechen, der Trojaner Herzeleid. 
Das will nun alles abgetan erſcheinen, 
Die Großen ſehn ſich, einen ſich, vereinen. 


Tragödie. 


. | Das Ungeheure war mir anempfohlen, 
And ich behandelt’ es im höchſten Sinn, 


412 Maskenzüge. 


Wohin ich trat, erglühten mir die Sohlen 
Von Leidenſchaften, gräßlicher Gewinn! 
Heut aber muß ich eigens mich erholen, 
Indem ich Zeit und Ort entfremdet bin. 
Das Ungeheure ward nun! — Doch zum Beſten 
Verklärte ſich's, verklärte ſich zu Feſten. 

Komödie. 
Ich aber, Schweſtern, kann mich nicht verleugnen, 
Mit frohem Sinne blick' ich alles an. 
Hier kann ſich nichts als Freudiges ereignen, 
Ich brauche nichts zu tun, es iſt getan. 
So will ich mich in dieſes Band verweben, 
Und was mir ähnelt, führ' ich froh heran. 
Hier ſeh' und fühl' ich ein erregtes Leben, 
Ich teile, was ich ſonſt gegeben. 

(Entfernt ſich.) 

Epos. 

Die Wirkung dieſes Feſtes fühl' ich gleich; 
Ein neuer Sinn muß uns vereinen. ; 
Den Rücken kehr' ich meinem Schlachtenreich, 
Und du, enthalte dich von Klag' und Weinen. 
Wir ſind verändert! — Stolzes Tatgepränge 


Zu keinem Ziel und Zweck iſt uns ein Schaum; 


Verwirrtes Wogen unverſtänd'ger Menge, 

Von allen Träumen iſt's der ſchwerſte Traum. 

Notwendigkeit und Schickſal! herbe Strenge! 

Hervor, o Schweſter, frei im freiſten Raum! 

Nicht ſtörriſch darf ſich Leidenſchaft erkühnen; 

Die ſchönſte Leidenſchaft iſt, hier zu dienen. 
Tragödie. 

Den preiſe ſelig, der erfährt, 

Was Millionen ſich erflehen! 

Was jedes Kind, was jeder Greis begehrt: 

Von eurem Blick ermuntert hier zu ſtehen; 

Dies hohe Glück iſt uns gewährt. 

Wie Geiſt und Liebe dieſen Saal durchwehen, 


145 


150 


155 


160 


165 


185 


3 

N 
Ben 
Be: 
* 
Be: 

Er; 
2 
= 
= 


1090 


195 


200 


Maskenzug 1818. ger 413 


5 Dem Fühlenden Gefühl begegnet, 


Wie jeder ſich im Ganzen ſegnet, 
Gelinge, lieblich zu enthüllen 


Uns, eurem Dienſt entzündeten Sibyllen! 


Epos. 


Den Jubel hör' ich ſchon des muntern Zuges, 


Wie froh beſchleunigt jeder ſeinen Gang; 
Denn was ihm heut gewährt iſt raſchen Fluges, 
Bleibt würd' ger Schatz das ganze Leben lang. 


Nur augenblicks an dieſer Stelle halten, 


Von euch bemerkt, euch nah zu ſtehn, 

Iſt höchſte Gunſt, die ſämtliche Geſtalten 
Durch meinen Mund vorläufig anerflehn. 
Damit jedoch in ſolchem Luſtgetümmel 

Der Sinn erſcheine, der verſchleiert liegt, 
Geſtaltenreich ein überdrängt Gewimmel 
Dem innern Sinn ſowie dem äußern g'nügt, 
So melden wir: daß alles, was vorhanden, 
Durch Muſengunſt den Unfſrigen entſtanden. 


Tragödie. 
„Man hält mit jedem Stoffe ſich geſchmückt, 
Wenn er ein Landserzeugnis! — Mag der beſte 
Dem Ausland bleiben! — Eigner Fleiß beglückt 
Und eignet ſich dem Anſchaun höchſter Gäſte.“ 
So ſagte jenel, die uns angeregt, 
Selbſttätig weiß uns alle zu beſeelen; 
Geſchieht nunmehr, was ſie uns auferlegt, 
So können wir in keinem Sinne fehlen. 
Was von Erzeugniſſen dem Dichtergeiſt 
Im ſtillen Tal der Ilme längſt gelungen, 
Iſt mehrenteils, was dieſer Zug beweiſt. 
Er kommt, Geſtalt Geſtalten aufgedrungen. 


Und wenn die Guten — ſag' ich's nur gerührt —, 


Die uns der Welt Bedeutniſſe gegeben, 


1 Die Erbgroßherzogin. Vgl. S. 364, Z. 4ff. 


„Wenn vor deines ee Throne 
Oder vor der Vielgeliebten 

Je dein Name wird geſprochen, 
Sei es dir zum höchſten Lohne. 


„Solchen Augenblick verehre, ei 
Wenn das Glück dir ſolchen gönnte!“ 
Alſo klingt vom Oriente es 
Her des Dichters! weile Lehre. 


Glücklich preiſen wir die Guten, 
Die wir jetzt zu nennen wagen, 
Die in kurzvergangnen Tagen 

Weggeführt des Lebens Fluten. 


5 Die Ilme tritt auf. 


Wenn die Ilme, ſtill im Tale, 
Manchen goldnen Traum gegängelt, 75 . 
So erlaubt, daß hoch im Saale 
Sie den Feierzug durchſchlängelt. 


Denn ich muß am beſten wiſſen, 
Wie das Rätſel ſich entſiegelt; 
Die ſich ſolcher Kunſt befliſſen, 
Haben ſich in mir beſpiegelt. 


Droben hoch an meiner Quelle 
Iſt ſo manches Lied entſtanden, 
Das ich mit bedächt'ger Schnelle 
Hingeflößt nach allen Landen. 


1 Der Dichter iſt Goethe als Verfaſſer des im Juni dieſes ga AR 
gewordenen „Weftöftlihen Diwan“, wo die Verſe 209—212 im „Buch der 
die fünfte Strophe des letzten Liedes bilden, während V. 213 f. freier! chluß find, 


8 Lebensweisheit i. in ben Schranken 

Deer uns angewiesen Sphäre 
War des Mannes heitre Lehre, 
Dem wir manches Bild verdanken. 


Wieland hieß er! Selbſt durchdrungen 
Von dem Wort, das er gegeben, 

War ſein wohlgeführtes Leben 

Still, ein Kreis von Mäßigungen. 


Geiſtreich ſchaut' er und beweglich 
Immerfort aufs reine Ziel, 

Und bei ihm vernahm man täglich: 
Nicht zuwenig, nicht zuviel. 
Stets erwägend, gern entſchuld'gend, 
Oft getadelt, nie gehaßt; 

Ihr mit Lieb' und Treue huld'gend, 
Seiner Fürſtin! werter Gaſt. 


Muſarion 
u (ſpricht Phanias). 
Ein junger Mann von ſchönen Gaben, 
Von edlem Sinn und raſcher Lebensluſt, 
Um Anteil an der Welt zu haben, 
Eröffnet ihr die hoffnungsvolle Bruſt. 
Geſellen, Freunde, weibliche Geſtalten 
Von großer Schönheit kreiſen um den Tag. 
Bei Feſt und Sang, wo Freud' und Liebe walten, 
Gewährt das Glück, was es im Glanz vermag. 
Doch ſolch ein Rauſch reich überdrängter Stunden, 
Er dauert nicht, — und alles iſt verſchwunden. 
Er ſteht allein! Jetzt ſoll Philoſophie, 
Bald ernſt, bald ſchwärmeriſch, ihn heilen; 
Die eine? fordert ſtreng, die andres würdigt nie, 
Am Boden tätig zu verweilen, 
Dien ſie bebauen ſollte. Zweifelhaft 
Wird nun der Sinn, gelähmt iſt jede Kraft; 


1 Anna Amalias in Tiefurt. — 2 Die ſtoiſche. — 3 Die pythagoreiſche. 


416 Maskenzuüge. 


Verdüſtert Haupt, erfroſtet alle Glieder, | a ER 
So wirft er ſich am Scheidewege nieder. a 


Ein Mädchen kommt, die er geliebt, 

Aus falſchem Argwohn ſie verlaſſen. 

Sie iſt's, die ihm die beſten Lehren gibt: 7 
„Warum das Leben, das Lebend'ge haſſen? 270 
Beſchaue nur in mildem Licht SE 
Das Menſchenweſen, wiege zwiſchen Kälte 

Und Überſpannung dich im Gleichgewicht; 

Und wo der Dünkel hart ein Urteil fällte, ; 

So laß ihn fühlen, was ihm ſelbſt gebricht; 275 
Du, ſelbſt kein Engel, wohnſt nicht unter Engeln, 

Nachſicht erwirbt ſich Nachſicht, liebt geliebt. 

Die Menſchen ſind trotz allen ihren Mängeln 

Das Liebenswürdigſte, was es gibt; 

Fürwahr, es wechſelt Pein und Luſt. 280 
Genieße, wenn du kannſt, und leide, wenn du mußt, 

Vergiß den Schmerz, erfriſche das Vergnügen. 

Zu einer Freundin, einem Freund gelenkt, 

Mitteilend lerne, wie der andre denkt. 

Gelingt es dir, den Starrſinn zu beſiegen, 285 
Das Gute wird im ganzen überwiegen.“ 


Wer von dem höchſten Feſt nach Hauſe kehrt 

Und findet, was Muſarion gelehrt: 

Genügſamkeit und tägliches Behagen f 
Und guten Mut, das Übel zu verjagen, 200 
Mit einem Freund, an einer Liebſten froh — BR 
Der Größt' und Kleinſte wünſcht es immer jo. Ben. 
Geſteht, es war kein eitles Prangen, 5 1 
Mit dieſem Bild den Schauzug anzufangen. 9 


Oberon. 2 
Das kleine Volk, das hier vereint „ 
In luftigem Gewand erſcheint, > 
Sind Geiſter voller Sinn und Kraft, 
Doch wie der Menſch voll Leidenſchaft. 


Mosten 1618 e d 417 


a Bei: 1 die Königin, 
Titania, Oberon genannt, 
Entzweiten ſich aus Eigenfinn 
Und wirkten, ſchadenfroh entbrannt. 
Anheut jedoch im höchſten Flor 

Und Glanze treten ſie hervor. 

Längſt an Verdruß und Zorn gewöhnt, 
Sie haben heute ſich verſöhnt, 

Wohl wiſſend, wie vor eurem Blick 
Mißwollen bebt und Haß zurück. 


Denn daß die Weſen ſich entzwei'n, 
Das möchte ganz natürlich jein; 
Jedoch Natur, beherrſcht von euch, 
Gern unterwirft ſich eurem Reich, 
Und jedes Gute, das ihr tut, 
Kommt vielen andern auch zugut. 


So iſt es! Dieſer junge Held, 
Gar wohl gepaart vor euch geſtellt, 
Der Hüon heißt, Amanda ſie, 
Litt große Not und herbe Müh', 
8 Weil Zwiſt in dieſer Geiſter Schar, 
320 Auch Zwiſt in ſeinem Schickſal war. 
| Das alles habt ihr abgeſtellt, 
Den Himmel dieſem Kreis erhellt. 
Und Hüon hat's verdient! Die ſchwerſte Tat 
a Ward ihm geboten; dieſe ſchafften Rat. 
1 Mehr darf ich mich zu ſagen nicht erkühnen. 
= Doch es beweiſt ſich, daß es Wahrheit jet: 
Gott, ſeinem Kaiſer, einem Liebchen treu, 
Dem müſſen alle Geiſter dienen. 


1 


Eu 


e 


Die Ilme. 
Ein edler Mann, begierig zu ergründen, 
Wie überall des Menſchen Sinn erſprießt, 
Horcht in die Welt, ſo Ton als Wort zu finden, 
Das tauſendquellig durch die Länder fließt. 
Goethe. XVIII. 27 


418 Maskenzüge. | 


Die älteſten, die neuſten Regionen TR 
Dintmenbet er und lauſcht in allen 30 | 


Und fo von Volk zu Volke hört er fingen, . 
Was jeden in der Mutterluft gerührt, 5 ee, 
Er hört erzählen, was von guten Dingen 

Urvaters Wort dem Vater zugeführt. 

Das alles war Ergetzlichkeit und Lehre, = 

Gefühl und Tat, als wenn es eines wire. 840 


Was Leiden bringen mag und was Genüge, 
Behend verwirrt und ungehofft vereint, 
Das haben tauſend Sprach- und Redezüge 
Vom Paradies bis heute gleich gemeint. 
So ſingt der Barde, ſpricht Legend' und Sage, 345 
Wir fühlen mit, als wären's unſre Tage. 
Wenn ſchwarz der Fels, umhangen Atmoſphäre 
Zu Traumgebilden düſtrer Klage zwingt, 
Dort heiterm Sonnenglanz im offnen Meere 
Das hohe Lied entzückter Seele klingt: | 350 
Sie meinen's gut und fromm im Grund, ſie wollten 
Nur Menſchliches, was alle wollen ſollten. 
Wo ſich's verſteckte, wußt' er's aufzufinden, 
Ernſthaft verhüllt, verkleidet leicht als Spiel; 
Im höchſten Sinn der Zukunft zu begründen, 355 
Humanität ſei unſer ewig Ziel. 
O, warum ſchaut er nicht in dieſen Tagen 
Durch Menſchlichkeit geheilt die ſchwerſten Plagen! 
Terpſichore.! Adraſtea. 
Denn, ach, bisher das goldne Saitenſpiel 5 
Terpſichores ertönte nur zu Klagen, 1 
Ein Lied erklang aus ſchmerzlich tiefer Bruſt: | 
Die Welt umher, ſie lag zerriſſen, 
Entflohn die allgemeine Luſt! 
Das Leben ſelbſt, man konnt' es miſſen. 5 
Doch Adraſteg zeigte ſich, 365 
Des Glückes Ara war gegeben, 5 


1 Dieſe ſpricht. 


— 1818. 419 


e und Zukunft freuten ich 
Das Gegenwärt'ge ward zum Leben. 


Aon und Aonis. Letzte ſpricht. 
BER. Das Gegenwärt'ge kommt in doppelter Geſtalt, 
30 Ihr ſeht es jung, ihr ſeht es alt; 
RR Zuſammen gehen ſie noch eine kleine Strecke, 
Ungleicher Schritt befördert nie, 
Die Zeit verſchiebt nicht nur die Zwecke, 
ge Auch andre Mittel fordert fie. 
275 So weiſe, klug er auch gehandelt, 
> Ein halb Jahrhundert aufgeklärt, 
Auf einmal anders wird gewandelt, 
Und andre Weisheit wird gelehrt. 
ER Was galt, es ſoll nicht weiter gelten, 
3880 Nichts mehr von allem iſt erprobt; 
5 Das, was er ſchalt, darf er nicht ſchelten, 
Nicht loben, was er ſonſt gelobt; 
Sogar in ſeinen eignen Hallen 
5 Verkündet man ihm fremde Pflicht!, 
85 Man ſucht nicht mehr ihm zu gefallen, 
2 Wo er befiehlt, gehorcht man nicht. 


Er würde ſich das Leben ſelbſt verkürzen, 
Verzweifelnd ſich zum Orkus ſtürzen; 

Doch ſeine Tochter hält ihn feſt, 

Verſteht ihn lieblich zu erfreuen, 

Beweiſt mit tauſend Schmeicheleien, 

Daß er ſich ſelbſt weit hübſcher hinterläßt. 

Was ihm entging, ſie hat's gewonnen, 

Und ihr Gefolg' iſt ohne Zahl; 

Was ihn verließ, es kam ihr nachgeronnen, 

Was ihm nicht mehr gelingt, gelingt ihr tauſendmal. 
Zum Glücke laßt ihr uns herein; 

Denn ſolch ein Feſt konnt' er ſich nicht erwarten; 


2 Anfpielung auf Herders Ärger, daß auf der Landesuniverſität Jena ſelbſt 
die Theologen in die ihm verhaßte Kantiſche Philoſophie, die Lehre vom kate⸗ 
goriſchen Imperativ, dem unbedingten Pflichtgebote, eingeführt wurden. 


27 * 


420 Maskenzüge. 


Er ſieht, es blüht ein neuer Gatien = 4 RR 
Der blüht für mich; was mein ift, bleibt auch vi > 
Er fühlt fich beſſer als in beiten Zeiten 
Iſt neu belebt und wird mich froh begleiten. 


(Cid.) 
Wer iſt hier ſo jung an Jahren, 
Weltgeſchicht' und Dichtung fremde, | 
Der verehrend nicht erkennte 405 
Solcher Namen Hochgewicht? a 


Hier iſt Cid und hier Ximene, 

Muſter jedes Heldenpaares, 

Donna Uraka, die Infantin, 8 
Zarter Liebe Muſterbild. e 


Wie der Jüngling, faſt ein Knabe, 

Ehre ſeines Hauſes rettet; 

Aber ſie den Vatermörder 5 
Auf den Tod verfolgend liebt. 5 = 


Wie er Könige der Heiden 45 
Überwindet zu Vaſallen; 5 
Seinem Könige getreuſter, 

Bald erhoben, bald verbannt. 


Und Kimene Hauſesmutter, 3 
Rein beſchränkt auf ihre Töchter, 42⁰ 
Wenn Uraka ſtill im Herzen a 
Hegt ein frühgeliebtes Bild. 


Wer iſt hier ſo jung an Jahren, 
Weltgeſchicht' und Dichtung fremde, 


Der verehrend nicht gedächte | 2s 
Solcher Namen Hochgewicht? Ban. | 
Aber ach! die Jahre weichen, u 
Und es weicht auch das Gedächtnis. 
Kaum von allerhöchſten Taten Wr 


Schwebt ein Schattenbild uns vor. 


ostensu 1618. 


— 


Und 5 elle nun ein jeder, 

Wie ihm freie Zeit geworden, 
Friſch das Heldenlied zu hören, 
Wie es unſer Herder gab, 


Den wir nur mit Eile nennen, 

Den Verleiher vieles Guten, 

Daß nicht tiefgefühlte Trauer 
Dieſen Tag verdüſtere. 


Die Ilme. 


Da bin ich wieder, laſſe mir nicht nehmen, 

Den anzukünd'gen, der nun folgen ſoll. 

Er muß ſich jetzt zur Einſamkeit bequemen; 

Doch iſt ſein Herz euch treu und liebevoll. 

Er dankt mir viel, ich weiß, daß er nicht wanket, 
Ich will ihm wohl, weil er mir's treu verdanket. 
Die Bäume ſämtlich, die mich hoch umſchatten, 
Die Felſen rauh und ſeltſam angegraut, 

Der Hügel Grün, das Grünere der Matten, 
Sie haben ihm ein Paradies gebaut; 

Doch heute ließ er gern den Kreis der Erden 


Doch ſeid ihm gnädig, wohlgeſtimmt erduldet, 
Wenn Seltſames vielleicht vor euch erſcheint. 
Als Dichter hat er manches zwar verſchuldet, 
Im höhern Sinne war es gut gemeint. 

Ich ſehe mich allein, die andern fehlen, 

Da nehm' ich mir ein Herz und will's erzählen. 
Weltverwirrung zu betrachten, 

Herzensirrung zu beachten, 

Dazu war der Freund berufen, 

Schaute von den vielen Stufen 

Unſres Pyramidenlebens 

Viel umher und nicht vergebens; 

Denn von außen und von innen 

Iſt gar manches zu gewinnen. 


421 


Nur um das Glück, vor euch genannt zu werden. 


422 


Maskenzuge. 


Daß nun dies auch deutſche 975 

Bei Gelegenheit erfreute, 

Ließ er auf der Bühne ſchauen 

Heldenmänner, Heldenfrauen. 

Wenige zuerſt, dann viele 

Kamen zum belebten Spiele, 

Immer nach verſchiednen Formen, 

Strengen und befreiten Normen, 

Da denn unter dieſem Haufen 

Allerlei mag unterlaufen, 

Womit ich mich nicht befaſſe, 

Sondern bittend euch verlaſſe: 

Daß ihr's freundlich mögt beſchauen, 

Hohe Herrn und hohe Frauen. 
Mahomet.) 

Der Weltgeſchichte wichtiges Ereignis: 

Erſt Nationen angeregt, 

Dann unterjocht und mit Prophetenzeugnis 

Ein neu Geſetz den Völkern auferlegt, 

Die größten Taten, die geſchehen, 

Wo Leidenſchaft und Klugheit ſtreitend wirkt, 


Im kleinſten Raume dargeſtellt zu ſehen, 


In dieſem Sinn iſt ſolch ein Bild bezirkt. — 
Das einzig macht die Kunſt unſterblich 

Und bleibt der Bühne Glanz und Ruhm, 

Daß ſie, was groß und würdig, was verderblich, 
Von je betrachtet als ihr Eigentum. 

Doch mußte ſie bei Füll' und Reichtum denken, 
Sich Zeit und Ort und Handlung zu beſchränken. 


Der Gallier tat es, wie's der Grieche tat; 
Der Brite doch, mit wenigem Bemühen 
Gewohnt die Segel aufzuziehen, 

Erfand ſich einen andern Rat: 
Einbildungskraft verlangt er, die ſo gerne 
Geſchäftig ſchwärmt, den Tag im Tag vergißt, 
Von nächſter Nähe bis zur weitſten Ferne 


I 405 


475 


480 


485 


490 


495 


„ 


Maskenzug 1818. | 423 


% Die ſchnellſten Wege hin und wieder mißt, 
5 Der es beliebt, zu immer regem Leben 
Mit Handlungen die Handlung zu durchweben. 


Dort wird Verſtand gefordert, um zu richten, 
a Ob alles wohl und weislich ſei geſtellt; 
50s Hier fordert man euch auf zu eignem Dichten, 
5 Von euch verlangt man eine Welt zur Welt, 
Wo Dichter, Spieler, Schauer ſich verbinden, 
Sich wechſelſeits erwärmen und entzünden. 


(Götz von Berlichingen.) 
3 So auch der Deutſche gern. Auf dieſem Pfade 
510 Naht freientwickelt ſich ein reicht Gebild. 
Auch dieſes bittet: Schenkt ihm Gunſt und Gnade! 
Die bunten Züge muſtert freundlich mild, 
Alsdann vernehmt ganz zur gerechten Stunde, 
Was es verbirgt im tiefſten Hintergrunde. 


Die Schreckenstage, die ein Reich erfährt, 

Wo jeglicher befiehlt und keiner hört, 

Ss Wo das Geſetz verſtummt, der Fürſt entflieht 
Und niemand Rat und niemand Rettung ſieht, 

N Die ſchildr' ich nicht; denn ewig ungepaart 

520 Bleibt ſolchem Feſt Erinnrung ſolcher Art. 


5 Dioch dieſes Bild führt uns heran die Zeit, 
5 Wo Deutſchland, in und mit ſich ſelbſt entzweit, 
er Verworren wogte, Szepter, Krummſtab, Schwert 


Feindſelig eins dem andern zugekehrt; 

525 Der Bürger ſtill ſich hinter Mauern hielt, 
Des Landmanns Kräfte kriegriſch aufgewühlt; 
Wo auf der ſchönen Erde nur Gewalt, 
Verſchmitzte Habſucht, kühne Wagnis galt. 


5 Ein deutſches Ritterherz empfand mit Pein 
520 In dieſem Wuſt den Trieb, gerecht zu ſein. 


1 Der „Götz“ wurde durch nicht weniger als 25 Perſonen geſtellt. 


424 


ee 8 


Bei manchen Zügen, die er e | 
Er half und ſchadete, jo wie es kam, 


Bald gab er ſelbſt, bald brach er das Geleit, 1 


Tat Recht und Unrecht in Verworrenheit, 
So daß zuletzt die Woge, die ihn trug, 
Auf ſeinem Haupt verſchlingend überſchlug, 


Er, würdig⸗kräft'ger Mann, als Macht gering 


Im Zeitenſturm unwillig unterging. 


Ihm ſteht entgegen, ſelbſtgewiß, in Pracht, 

Des Pfaffenhofes liſtgeſinnte Macht, 

Gewandter Männer weltlicher Gewinn 

Und leidenſchaftlich wirkend Frauenſinn. 

Das wankt und wogt, ein ſtreitend Gleichgewicht, 
Die Ränke ſiegen, die Gewalt zerbricht. 

Zur Seite ſeht des Landmanns Heiterkeit, 

Der jeden Tags des Leidlichen ſich freut, 

Und fernerhin Zigeuner zeigen an, 

Es ſei um Ordnung in dem Reich getan. 


Denn wie die Schwalbe Sommer deutend ſchwebt, 


So melden ſie, daß man im Düſtern lebt, 
Sind räuberiſch, entführen oft zum Scherz, 
Wahrſagerinnen, Menſchen Geiſt und Herz. 


Zigeunertochter tritt vor. 
Schweſtern, wir wollen es nicht ertragen, 
Wir wollen auch ein Wörtchen ſagen. f 

(Zur Geſellſchaft.) 1 

Eure Gnade ſei zu uns gekehrt! 

Ihr verdammt uns nicht ungehört. 
Werde wahrzuſagen wiſſen, 
Nicht weil wir die Zukunft kennen; 
Aber unfre Augen brennen 
Lichterloh in Finſterniſſen 
Und erhellen uns die Nächte. 
So kann unſerem Geſchlechte 
Nur das Höchſte heilig deuchten, 
Gold und Perlen und Juwelen 


Din 


7 


Mustern isis „ 


Können ſolcher edlen Seelen 
Himmelglanz nicht überleuchten. 
Der allein iſt's, der uns blendet. 
Aber wenn wir abgewendet 

Stehn betroffen, lockt uns wieder 
Mutterlieb' ſo füß vom Throne 
Zu der Tochter, zu dem Sohne; 
Doch ſie ſteigt vom Throne nieder 
Und beſeligt niedre Hütte, 


Kennet Wunſch, Bedürfnis, Bitte 
Längſt, bevor ſie ausgeſprochen, 
Allem, allem tut ſie G'nüge. 
Dafür leuchtet aus der Wiege 
Ihr ein Knöſplein? aufgebrochen, 
Eine Gegengabe Gottes! 


Fauſt.) 
Ei Mephiſtopheles tritt vor. 
> 550 Wie wagꝰ ich's nur bei ſolcher Fackeln Schimmer! 
Man ſagt mir nach, ich ſei ein böſer Geiſt, 
Doch glaubt es nicht! Fürwahr, ich bin nicht ſchlimmer 
Als mancher, der ſich hochfürtrefflich preiſt. 
Verſtellung, ſagt man, ſei ein großes Laſter, 
58 Doch von Verſtellung leben wir; 
55 Drum bin ich hier, ich hoffe, nicht verhaßter 
Als andre jene, vor und hinter mir. 


Der kommt mit langem, der mit kurzem Barte, 
And drunter liegt ein glattes Kinn, 

550 Ein Sultan und ein Bauer, gleich von Arte, 
Verſtellen ſich zu herrlichſtem Gewinn, 

Euch zu gefallen. So, den Kreis zu füllen, 

. Komm' ich als böſer Geiſt mit beſtem Willen. 

* Denn böſer Wille, Widerſpenſtigkeit, Verwirrung — 
os Der beſten Sache fährdet nicht die Welt, 


25 1 Großfürſtin Maria Paulowna und deren Gemahl, Erbprinz Karl Friedrich. — 
2 Der am 24. Juni des Jahres geborene älteſte Sohn Karl Alexander. 


426 Mas kenzlige. i 55 5 . 


Wenn ſcharfes Aug' des Herrſchers die e deen 
Stets unter ſich in kräft'ger Leitung hält, 

Und wir beſonders können ſicher hauſen, | 
Wir ſpüren nichts; denn alles iſt da draußen. 


Nun hab' ich mancherlei zu ſagen, | Be 
Es klingt beinah wie ein Gedicht; 

Beteur' ich's auch, am Ende glaubt ihr's nicht, 

So muß ich's denn, wie vieles andre, wagen. 


Hier ſteht ein Mann, ihr ſeht's ihm an, 

In Wiſſenſchaften hat er g'nug getan, 605 
Wie dieſes Vieleck, das er trägt, 
Beweiſt, er habe ſich auf vielerlei gelegt. 
Doch da er Kenntnis g'nug erworben, 
Iſt er der Welt faſt abgeſtorben. | 
Auch iſt, um reſolut zu handeln, 610 
Mit heiterm Angeſicht zu wandeln, 

Sein Außres nicht von rechter Art, 

Zu lang der Rock, zu kraus der Bart; 

Und ſein Geſelle wohlbedächtig | | % 
Steckt in den Büchern übernächtig. A 61 
Das hat der gute Mann gefühlt F 
Und ſich in die Magie gewühlt. 

Mit Zirkeln und Fünfwinkelzeichen! 
Wollt' er Unendliches erreichen, * 
Er quälte ſich in Kreis und Ring, 11 
Da fühlt' er, daß es auch nicht ging. 8 


” 


Gequält wär' er fein lebelang; 

Da fand er mich auf ſeinem Gang. 

Ich macht' ihm deutlich, daß das Leben, 
Zum Leben eigentlich gegeben, | 
Nicht ſollt' in Grillen, Phantaſien 

Und Spintiſiererei entfliehen. 


1 Das Pentagramm N oder der Drudenfuß. 


655 


al 


Maskenzug 1818, a 427 


Solang' man lebt, ſei man lebendig! 
Das fand mein Doktor ganz verſtändig, 
Ließ alſobald ſich wohlgefallen, 

Mit mir den neuen Weg zu wallen. 


Der führt' uns nun zu andern Künſten, 


Die gute Dame war zu Dienſten. 

An einem Becher Feuerglut! 

Tat er ſich eilig was zugut. 

In einem Wink, eh' man's verſah, 
Stand er nun freilich anders da; 

Vom alten Herrn iſt keine Spur; 


Das iſt derſelbe, glaubt es nur. 


Und wenn euch dies ein Wunder deucht, 
Das übrige ward alles leicht. 
Ihr ſeht den Ritter, den Baron 
Mit einem ſchönen Kinde ſchon. 
Und ſo gefällt es meinem Sinn, 
Der Zauberin und der Nachbarin. 
Ich hoffe ſelbſt auf eure Gunſt! 
Im Alter Jugendkraft entzünden, 
Das ſchönſte Kind dem treuſten Freund verbinden, 
Das iſt gewiß nicht ſchwarze Kunſt. 

(Braut von Meſſina.) 

Aurora ſpricht. 

Bedrängtes Herz! umſtürmt von Hinderniſſen, 
Wo käme Rat und Hülfe mir heran! 
Gedankenlos, im Innerſten zerriſſen, 
Von allen Seiten greift die Welt mich an. 
Nur augenblicks möcht' ich den Jammer dämpfen, 
Der ſtechend ſchwer mir auf dem Buſen liegt. 
Ich ſoll mit mir, ich ſoll mit andern kämpfen; 
Beſieg' ich dieſen Feind, der andre ſiegt. 
So aus der Tiefe dieſer Schlucht der Peinen 
Blick ich hinauf zum ſchmalen Himmelsklar! 


1 Dem Trank in der Hexenküche. 


428 a Mastenjüge. \ 


Schon wird es beſſer! ach, ich durfte weinen, 
Ein Sonnenabglanz heilt und hebt mich gar. 
Und ſchon begegn' ich reiner Friedenstaubj̃. 
Die holde Zweige der Entſühnung bringt. e 
Ich irre noch, allein der Flug gelingt, „ 
Ich ſehe nicht, wohin, ich Hof und glaube. Br 


Doch wenn von dort, woher wir Heil erflehen, 

Ein Blitz, ein Donnerſchlag erſchreckt, 8 

Sich Fels und Wald und Umblick von den Höhen 

Mit ſchwer geſenkter Nebelſchichte deckt, 5 
Uns Nacht am Tag umgibt, der Himmel flammet, 60 
Seltſam geregelt, Strahl am Strahle ſtrahlt, 9 - 
In Schreckenszügen Feuerworte malt: 

Das Schickſal ſei's, das ohne Schuld verdanmet, 


So ſprech' ich's aus im Namen dieſer beiden; er 
Sie ſchauen ſtarr, fie finden ſich verwaiſt, „ 
Von unverhofften, unverdienten Leiden, 8 
Wie ſcheues Wild vom Jägergarn umkreiſt. er 
Vergebens willſt du dir's vernünftig deuten; r 
Was ſoll man ſagen, wo es bitter heißt: = 
Ganz gleich ergeht's dem Guten wie dem Böſen! 60 
Ein ſchwierig Rätſel, rätſelhaft zu löſen. 


Uns zum Erſtaunen wollte Schiller drängen, er 
Der Sinnende, der alles durchgeprobt. 1 
Gleich unſern Geiſt gebietet's anzuſtrengen, 

Das Werk, das herrlich ſeinen Meiſter lobt. — 
Wenn Felſenriffe Bahn und Fahrt verengen, 
Um den Geängſteten die Welle tobt, 

Alsdann vernimmt ein ſo bedrängtes Flehen 
Religion allein von ew'gen Höhen. 


(Tell.) 
Wie herrlich raſch tritt dieſer Zug hervor! 
Sie bringen von Elyſiums Geſtaden 
Das Nachgefühl erhabner Taten, 
Es lebt in ew'gem Jugendflor. 


er n. SE 7 Ss a wi 429 5 15 


Doch i immer e — Was fie gewonnen, 
5 Im Dunkeln war es ausgeſonnen, we 
Mit Grauſamkeit ward es getan. 
Verwirrung folgt! An innern Kämpfen 
Hat ſtille Weisheit jahrelang zu dämpfen, 
Stets mühevoll iſt ihre Bahn. 


Nun kommen ſie zu heitern Stunden: 
Am Schluß der Zeiten wird gefunden 
Der Freiheit aufgeklärter Blick. 

Was ſie entriſſen, wird gegeben, 
Und jeder wirkt im freien Leben 
Zu ſeinem und der andern Glück. 


Die mit dem Fürſten ſich beraten, 

Sie fühlen ſich zu großen Taten, 
Zu jedem Opfer fich bereit. 

Je einiger ſie ſich verbündet, 

Je ſichrer iſt das Glück gegründet 

Für jetzt und alle Folgezeit. 


(Wallenſtein.) 


- Ein Mann tritt vor im Glanz der höchſten Taten, 
Auf ihn gerichtet jeder Blick, 
Dem Schwieriges, Unmögliches geraten, 5 5 
Er dankt ſich ſelbſt das eigene Geſchick. 
Gewalt'ge Kraft, die Menſchen aufzurufen, 
Sie zu befeuern kühnſter Tat, a 
IJnm Plane ſicher, mit ſich ſelbſt zu Rat, 
Des Kaiſers Günſtling, nächſt an Thron und Stufen. 
Die zarte Gattin gern an feiner Seite, 
Der Terzky Hochſinn, Theklas Jugendlicht, 
Mar treugefinnt, jo wie er tut und ſpricht; 
Welch ehrenvoll, welch liebevoll Geleite! 
Doch wir empfinden heimlich Angſt und Grauen, 
Solch äußres Glück im hellſten Licht zu ſchauen. 


Woher denn aber dieſes innre Zagen, 
Das ahnungsvoll in enger Bruſt erbebt? 


430 Maskenzüuge. FR Mr u ie 


Wir wittern Wankelmut und Mißbehagen 
Des Manns, der hoch und immer höher ſtrebt. 
Und was kann gräßlicher dem Edlen heißen 70 
Als ein Entſchluß, der Pflicht ſich zu entreißen! BR 
Da ſoll nun Stern zum Sterne deutend winken, 
Ob dieſes oder jenes wohlgetan; 
Dem Irrtum leuchten zur verworrnen Bahn, + 
Geſtirne falſch, die noch jo herrlich blinken. 735 
Der Zug bewegt ſich, ſchwebt vorbei. 
Es war ein Bild. Das Herz iſt wieder frei. 


(Wallenſteins Lager.) 
Mephiſtopheles ſpricht. 

Gefährlich iſt's, mit Geiſtern ſich geſellen! 
Und wenn man ſie nicht ſtracks vertreibt, | 
Sie ziehen fort, ein und der andre bleibt „„ 
In irgend einem Winkel hängen, a 
Und hat er noch ſo ſtill getan, 
Er kommt hervor in wunderlichen Fällen — 
Mich zieht die Kameradſchaft an, 5 
In Reih' und Glied mit ihnen mich zu ſtellen. 
Ich kenn' euch wohl, ihr ſeid die Wallenſteiner, 5 85 
Ein löblich Volk, ſo brav wie unſereiner, 
Ihr kennt auch mich, wir ſprechen frei; 
Mit einem Wort, daß ich das Lob vollende: 8 
Da, wo nichts iſt, da habt ihr reine Hände. 750 
Doch das war damals, und ich war dabei. 
Seid ihr beiſammen? Ja! Wachtmeiſter? 


i Hier! 3 
Die Küraſſiere? ee 
dier! . 0. 

Die Holkſchen Jäger? Ber 

Hier! „ 

Kroaten? b 3 
Hier! f N 

Ulanen? 3 


Hier! 


Die Marketenderinnen? — 


770 


. 775 


Mastenug 1818. 


Ich ſehe ſie und ſpare meine Frage, f 
Die fehlen nicht am Sonn⸗ und Werkeltage. 
Wo viel verloren wird, iſt manches zu gewinnen. 
Ein Kind ſpringt hervor. 
Ich bin ein Marketenderkind, 
Und zwar von guten Sitten, 
Darum, wo hübſche Leute ſind, 
Beſtändig wohlgelitten. 
Soldaten lieb' ich, das iſt wahr! 
Wer ſollte ſie nicht lieben, 
Da ſie in jeglicher Gefahr 
Sich immer treu geblieben? 
Ich ziehe wieder mit ins Feld: 
Kein Weg im Feld iſt bitter. 
Es lebe St. Georg, der Held, 
Die Helden, ſeine Ritter! 
| Mephiſtopheles zu den Soldaten. 
Und ihr, verlauft euch nur nicht weit 
Und merkt es wohl, es iſt nun andre Zeit. 
Die Herrſcher wiſſen, was ſie wollen, 
Und iſt ein großer Zweck erreicht, 
So ſollt ihr nicht von Land zu Lande tollen. 


Parole bleibt: Subordination! 
Und Feldgeſchrei iſt: Mannszuchtl Nun davon! 


(Demetrius.) 
Tragödie ſpricht. 
Verſtummſt du, Schweſter, trittſt zurück verlegen, 


Als wärſt du hier ein fremder Neulingsgaſt? 


Epos. 
Gar vieles hat mir heut ſchon obgelegen, 
Dem mannigfalt'gen Wort erlieg' ich faſt, 
Nun kommt mir noch ein Schwierigſtes entgegen. 
Wie faſſ ich an, wie heb' ich dieſe Laſt? 
Wer gäbe mir in dieſer Zeiten Meere 


Zu ſchwimmen Kraft! O wenn's der Anfang wäre! 


431 


432 | Mastenyäge ie 


Ich ſeh' ein Reich vor meinem Blick he 5 785 
An Flüſſen raſch, an grünen Ebnen klar,. 8 ER 
Das immerfort ſich vor den Augen weitet, | 

Zum grenzenloſen Raum verliert ſich's gar. 

In Städten, auf dem Lande, wie bereitet N 
Ihr eigen Glück die wohlgenährte Schar! 70 
Das Feld ergrünt, der Handel wogt lebendig, 5 
Sobald ein Herrſcher mächtig und verſtändig. 


Doch ach! das Reich bis zu dem Fuß der Thronen 
Von eignem, bald von fremdem Blute rot, 8 
Denn wilde Horden, kluge Nationen, 795 
Heran ſich drängend, führen Qual und Not. 

Tartaren, Türken, Polen ohne Schonen, 

Auch Dänen, Schweden bringen, ſuchen Tod. 

So macht der Herrſchaft, ſo des Raubs Gelüſte 
Den Mittelpunkt des Reichs zu Graus und Wüſte. soo 


Da greift dann jeder, der ſich tüchtig nähme, 

Nach Schwert und Szepter, wer den Feind vertreibt, 

Wer gräßlich ſtraft, daß Unwill' ſich bequeme, 

Und dann zuletzt von allen übrigbleibt! Re 
Der Leichtſinn auch erringt ſich Diadem, 80 
Bis aufgebracht ein Gegner ihn entleibt. 
So Boris, ſo Demetrius, Marina, 5 

In wildem Wuſt bald Rex und bald Regina. 


So weder Liebe, Zutraun noch Gewiſſen 

Einheimiſchen und Fremden in der Bruſt, 810 
Bis nun erſcheint, was alle längſt vermiſſen, 

Ein Heldenſproß!, dem Land zu Glück und Luft. 

Er wird ſich ins Geſchick zu fügen wiſſen, 

Es fügt ſich ihm, daß alle, ſich bewußt 3 
Des eignen Heils, dem Herrſcherwort ſich fügen, 815 


Sich bildend adeln zu der Welt Vergnügen. e 
Nun klärt ſich's auf, es kehrt in ſeine Schranken 


Der Völker Schwall im ungemeßnen Land, ass ra 


1 Romanow. Vgl. S. 406, Anm. 1. 


2 nn wirzen ab ir Gedanken, 
20 Erweitert Grenze, tätig innrer Stand. 
Für Wiſſenſchaft und Kunſt und Handwerk danken 


Die Völker, ſonſt von allem abgewandt, 


Wetteifernd überträgt Bezirk Bezirken 
Kraft, Stärke, Reichtum, Schönheit, edles Wirken. 


(Turandot. ) 
Altoum ſpricht. 


Vom fernen Oſten, ja vom fernſten her 
Zeigt ſich Altoum, ein Monarch der Bühne; 
Die Fabel hat ihn auf den Thron geſetzt, 
5 Mit manchem Prunk und Herrlichkeit begabt; 


Doch herrlicher als Kron' und Szepter glänzt 


0 An ſeiner Seite Tochter Turandot. 


Zwar ſagt man von der Jungfraun ſchönem Chor, 


. f Die Herzen ſämtlich ſeien rätselhaft; 
Diooch dieſer hat ein höchſt ſubtiler Geiſt 
So viele Rätſel in den Kopf geſetzt, 


Daß mancher Freier ſcheiternd unterging. 


Auch hat ſie mich, das will ich gern geſtehen, 
Zur langen Reiſe eigentlich genötigt; 
Und weil ich ihr doch nichts verſagen kann, 


So führt' ich ſie in ihrem Stolz herein. 
Manch Rätſel hatte ſie ſich ausgedacht, 


Den Geiſt zu prüfen dieſes großen Hofs; 
Doch ſie verſtummt und raunt mir nur ins Ohr: 


Am Ende ſei ſie ihrer ganzen Kunſt. 


Denn wie ihr ſchon die Träume wahrgemacht!, 
So löſtet ihr auch jedes Rätſel auf. 

Und welches Wort ſie immer ſucht und wählt 
In Redeknoten liſtig zu verſtricken: 

Zum Beiſpiel Majeſtät und häuslich Wohl, 


Das alles findet ſie vor Augen klar. 


Vgl. S. 401, Z. 28 ff., und S. 410, B. 99ff. 
Goethe. XVIII. 28 


483 


Thron und Verdienſt und rein verbreitet Glück, 


434 Maskenzüge. 


Sie gibt ſich überwunden. Freundlich reicht 
Sie dem Bewerber Kalaf Herz und Hand, 
Befreundet mit Adelma, mir gehorſam. 

Und ſo iſt auch mein letzter Wunſch erfüllt, 
Wie tauſend Wünſche heut befriedigt wogen; 
Wir ziehen gern, wenn auch beſiegt, hinweg. 


Da ich denn aber, wie ich eben ſehe, 

Der letzte bin, laßt für die Vorderleute 

Ein freundlich Wort mich ſprechen! Wenn ich nämlich 
Dies kleine Volk als Masken präſentiere, 

So ſpricht ſich's aus: das war ein Maskenzug. 

Doch wie den Kleinen! unter Larvenmummung 

Ein kindlich Herz der lieben Mutter ſchlägt, 

So danken alle wir dem Tag des Glücks, 

Der uns vergönnte, dies Gefühl zu teilen. 


Die Tochter? mahnt mich, nicht zuviel zu reden, 
Und ſie hat recht! Das Alter hört ſich gern, 
Und wenn es auch nicht viel zu ſagen hat. 

Wie ſoll ich hier als nur gezwungen ſchweigen, 
Wo grenzenloſer Stoff die Rede nährt! 

Wo — Nun ich gehe ja! — Sie mag es büßen, 
Wenn ich weit eher, als ich wollte, ſchwieg. 


Epilog. 

Die Ilme. 
Wenn der Ilme Bach, beſcheiden 
Schlängelnd, ſtill im Tale fließt, 
Überdeckt von Zweig und Weiden, 
Halbverſteckt ſich weiter gießt, 
Hört er öftermal die Flöte 
Seiner Dichter treu und gut, 
Wenn der Glanz der Morgenröte 
Auf der ſanften Woge ruht. 


1 Das Märchen wurde vorwiegend von jungen Leuten geftellt. — 2 Turandot. 


855 


8600 


729888 


87⁰ 


875 


5 menen 18 435 


Vieles iſt a an mir entſprungen, 
Manches ward euch dargebracht, 
Und ſo iſt es mir gelungen, 

Daß man mich zum Fluſſe macht. 
Will ein Reiſender mich ſehen 
Wie die Donau, wie den Rhein, 
Ich verſteck' mich, laſſ ihn gehen, 
Denn ich bin doch gar zu klein. 
Heute doch von tauſend Flammen 
Glänzt die Fläche bis zum Grund, 
Heute nehm' ich mich zuſammen, 
Offne den verſchämten Mund, 
Sonne mich im Jubelſaale, 
Spiegle Bilder Blick für Blick, 
Und als Fluß zum erſten Male 
Geb' ich mich dem Tal zurück. 
Der Tag, in Begleitung von Pallas und Klio, führt Wiſſenſchaften 


und Künſte vor. 
Aurora, Epos und Tragödie empfangen ſie. 


Tag. 

Heil, o Schweſtern, dem Bemühen, 
Wie ihr eure Pflicht getan! 
Was die Dichtkunſt euch verliehen, 
Führtet ihr mit Luſt heran. 
Nun mag ſich Kunſt und Wiſſenſchaft erholen, 
Darſtellen, wie ſie ſich zum Bild entwarf. 
Die Dichtkunſt habt ihr wohl empfohlen, 
Die es doch weniger bedarf. 
Denn ſie bricht gleich einer Quelle 
Felſen durch, wo's ihr gefällt, 
Und verfendet ihre Welle 
Berghinab in alle Welt. 
Doch dieſe hier, kein wandelbar Ereignis, 
Der Pflege wollen ſie empfohlen ſein; 
Drum führ' ich ſie, ein gültig Zeugnis, 
Daß es vorlängſt geſchehn, mit mir herein. 

28˙ 


486 Mastenzuge. 


So ſprech' ich nun den ne, Namen 
Amalia mit Ehrfurcht aus. e 
Du winkteſt uns. Geräuſchlos kamen 1 25 
Wir eine nach der andern; das zerſtörte Haus, 
Den Flammenraub, erbauten wir im ftillen!, 
Mit neuer Landſchaft rings umzirkt.? 

So ward es denn nach unſers Fürſten Willen, 
Des hohen Sohns, der unabläſſig wirkt. 


Hier thronet er, der uns erheitert, 

Daß jede ſchnell das Beſte ſchafft, 

Der unſern Wirkungskreis erweitert 

Zu Tätigkeiten jeder Kraft. 

Hier thronet ſies, die uns verbunden 

In ſtillen Tugenden erbaut, 

Sie, die in ſchreckensvollen Stunden 

Auf uns als Retterin geſchaut. 

Nun aber feiern jie* im Glanze, 

Wo lebensfroh das Feſt ergrünt. — 

Ihr tretet vor aus eurem Kranze, 

Ich rühm' euch, wie ihr es verdient. 

Kommt her, geſchäft'ge Dienerinnen, 

Unſterblich, unermüdet, reich, 

Was ſchön und nützlich auszuſinnen, 

Den Göttern des Olympus gleich. 
(Sie 5 deutet auf eine nach der andern.) 

(Himmelskunde.) 
Die zeichnet rein den Gang der Sphäre, 
Ihr Griffel regelt Nacht und Tags; 


1 Das 1774 niedergebrannte herzogliche Schloß zu Weimar wurde infolge der 


ſchwierigen e in unterbrechungsreicher Bauzeit von 1791 1803 wieder aufs 
gebaut. — 2 Die Umgebung des Schloſſes wurde namentlich durch die Nieder⸗ 


legung der Wälle beim Neubau und die bei Karl Auguſts Regierungsantritt be⸗ 

gonnenen Neuanlagen jenſeits der Ilm ſowie durch Goethes Parkanlage eine ganz 
andere. — 3 Herzogin Luiſe, die am 14. Oktober 1806 Napoleons Zorn über Sachſen⸗ 
Weimars Kampf an der Seite Preußens entwaffnete, indem ſie auf ſeine Frage 
nach dem Aufenthalt des Gatten antwortete: „Wohin ſeine Pflicht ihn ruft.“ Noch 
am 14. Oktober 1806 wurde ihr eine Denkmünze mit der Aufſchrift: „Das ee 5 
Weimar 1806“ überreicht. — 4 Die ganze großherzogliche Familie. — 5 D. h. 
die Sprecherin der Rolle des Tages. — 6 Hindeutung auf den Bau der Jenaer 


1s 


9 


er 


Der e pe er „„ 
Dem Grillenwechfel forſcht fie nach. 
: (Erdkunde.) 
Und dieſe hier vom Erdenrunde 
Erweitert wandernd- Überficht, 
Erteilt von raſch erfahrner Kunde 
Dem Fürſtenpaare treu Bericht. 


(Botanik.) 
Und Fürſt und Fürſtin ſchmücken dieſe, 
Daß ſie ſich ſelber wohlgefällt; 
Die Gegend wird zum Paradieſe, 
Hier blüht die ganze weite Welt. 


(Feldbau. ) 
Auch jene, die in ihrem Kreiſe 
Sich immer kräftig ſtill bewegt, 
Nach alter, nach erneuter Weiſe? 
Der Erde Fruchtbarkeit erregt, | 
Den Menſchen lehrt fich ſelbſt genügen, 
Gefeſſelt gern am Boden bleibt, 
Indem ſie mit gewiſſen Zügen 
Die lange, reine Furche ſchreibt; 
Dagegen ſchaut ſie mit Entzücken, 
Wie grün der neue Halm ſich bläht 
Und auf der Berge feſtem Rücken 
Ein Stufenwuchs den Wald erhöht. 
Sie iſt's, an der wir uns erbauen, 
Die uns im Lebenskreis belehrt, 
Auf die wir alle kindlich ſchauen; 
Gefördert ſei ſie wie verehrt. 


Sternwarte 1782, deren Einrichtung Karl Auguſt zuſammen mit den Herzögen 
von Altenburg und Gotha geſchenkt hatte. Der Griffel zeichnet regelmäßig Tag 
wie Nacht die Beobachtungen auf. — 1 Auf Luke Howards meteorologiſche Be⸗ 
obachtungen aufmerkſam geworden, veranlaßte der Herzog Goethen Ende 1817, 

Andweiſungen für die Meteorologen des Ettersberges auszuarbeiten. — 2 Die er» 
neute Weiſe iſt die, welche Albrecht Thaer durch fein Werk „Grundſätze der 
rationellen Landwirtſchaft“ in den Jahren 1809 und 1810 begründete, die ſogenannte 
. 


438 Maskenzüge. 


(Die Künſte.) 2 
Was die Künſte ſich erkühnen, e 
Baukunſt, Bildkunſt, Malerei, 
Steht an Säulen, Mauern, Bühnen! 
Einem günſt'gen Blicke frei. 
Doch erregt durch euer? Kommen, 
Haben ſie es unternommen, f 97⁰ 
Manchen Abend, manche Nacht 
Muſterbilder dargebracht, 
Die ihr günſtig aufgenommen. 


(Tonkunſt.) 
Und dieſe, die ſich gern in Töne ſonſt verbreitet, 
Sie zog mit uns im ſtillen? fort; 975 


Im Takte hat fie uns geleitet 
Und gab uns manch melodiſch Wort. 


So ſtehn wir zuverſichtlich alle 

Und ſchämen uns des Eigenlobes nicht; 

Ruhmredigkeit wär' es im andern Falle, 950 
Jedoch in dieſem iſt es Pflicht. 

Noch manche Tugend ſchmückt ſich ungeduldig 

Und rüſtet ſich zur Tat geſchwind; 

Denn Rechenſchaft, wem wären wir fie ſchuldig 
Wenn wir es nicht der Allerhöchſten! find? 985 


Die Tochterd hat ſie uns gejendet, 

Der dienen wir und dem Gemahl; 

Wohin ſich Blick und Finger wendet, 

Dahin bewegt ſich unſre Zahl. | 
Und ſchon den lieben Enkeln darf's nicht fehlen; 900 
Was gut und ſchön, im frohen Chor a 


1 V. 967 deutet außer auf Bau und Ausſtattung des ſchon erwähnten Schloſſes 
beſonders auf das 1798 neu ausgeſchmückte Theater in Weimar und auf das neue 
Lauchſtädter Haus vom Jahre 1802. — 2 Der Kaiſerin⸗Mutter Maria Feodorowna, 
der zu Ehren außer dem vorliegenden Maskenzuge allein von Dr. Riemer drei Feſt⸗ 
ſpiele geliefert worden waren. — 3 Inſofern fie während dieſer Aufführung nur 
im Verstakt, Versmaß zur Geltung kam. — 1 Maria Feodorowna. — 5 Maria 
Paulowna; vgl. S. 364, Z. 4 ff. ö 


8 
* 


Maskenzug 1818. 439 


a Begegnet es den jungen Seelen, 
Und freudig blühen ſie empor. — 


Nun aber an die Wiege! dieſen Sprößling! 
Verehrend, der ſich ſchnell entwickelnd zeigt 
Und bald herauf als wohlgewachſner Schößling 
Der Welt zur Freude hoch und höher ſteigt. 
Sein erſter Blick begegnet unſerm Kreiſe, 

Er merkt ſich einer wie der andern Blick, 
Gewöhnet ſich an einer jeden Weiſe, 

Gewöhnt ſich an ſein eigen Glück. 


Er ſei ein Harfner, dem die Muſen 

Den Pſalter wohlgeſtimmt gereicht, 

Und ſo gelingt's dem freien Buſen, 

Denn alle Saiten ſchweben leicht, 

Be: Bereit zur Hand, bereit zum Klange, 

. Ein Lied erfolgt, man weiß nicht wie. — 
Ei Sein Leben ſei im Luſtgeſange 

5 Sich und den andern Melodie. 


5 Der pilgernde Genius. 
* Kinder mit leeren, aber geſchmückten Reiſetafeln. 
1 Tag. . 
1010 Ach, warum ſchon unterbrochen! 
Warum trübſt du unſern Blick? 
Schauen wir auf wenig Wochen, 
Wie auf jahrelanges Glück; 
= Wagen wir nicht auszuſprechen, 
1015 Wie uns dieſe Zeit ergetzt, 
Wo der Geiſt ohn' Unterbrechen 
Jegliche Sekunde ſchätzt; 
Soll uns das vorüberſchwinden, 
; Als wenn alles eitel jei? 
102⁰ Klagend wir uns wiederfinden: 
| Alles, alles iſt vorbei! 


N 


en D r . a ER a r 


1 Vgl. die Anmerkung zu V. 17. 


Wenn es ging. 
Mögen friſche Lafee | 
Glücklich zeichnen ihre Bahn! 
Wandle fie zum neuen Jahre a 
Neu den Ihrigen heran. 
Wir mit heitern Augenbramn 
Segnen ſie von Ort zu Ort; 
Das Verſtummen, das Erstaunen 
Bildet ſich als Liebe fort. | 


Anmerkungen des Herausgebers. 


Vorbemerkung. 


8 Dem vorliegenden Bande wurden zugrunde gelegt: 

0 2 Goethe's Werke. Vollſtändige Ausgabe letzter Hand. Stuttgart und Tübingen 
in der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1827 — 30 (40 Bde. 80). 

01 Dieselbe Ausgabe in klein 80. 

Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie 
von Sachsen (Weim. 1887 ff.). 

Zur Vergleichung herangezogen wurden: 


Fin D. Goethens Schriften. Dritter Theil. (Vignette) mit Kupfern. Berlin by 95 


Chriſtian Friedrich Himburg. 1776. 80. 

Goethes Schriften (Leipzig, bey Georg Joachim Göſchen, 1787-1790). 

5 = Goethe's Werke. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta'ſchen Buch⸗ 
handlung. 1815 — 19 (20 Bde. 80). 


bruſter. Stuttgart. In der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1816 — 22. 
Es stehen: 


Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern 

in; 1 0 Bd. 13, S. 1— 38 (1829). — , Bd. 16, S. 1— 39; Lesarten: S. 394 — 406. 

Das Neueſte von Plundersweilern 

m: 6, Bd. 13, S. 39—53 (1829). — , Bd. 16, S. 41—55; Lesarten: S. 407 — 411. 

Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey, dem falſchen Pro⸗ 
pheten u. ſ. w. 

m: 0, Bd. 13, S. 55 — 70 (1829). — W, Bd. 16, S. 57 — 73; Lesarten: S. 412 f. 

8 Satyros oder der vergötterte Waldteufel 5 

. 1 €, Bd. 13, S. 71—100 (1829). — W, Bd. 16, S. 75—104; Lesarten: S. 414—416. 


5 deutſcht durch Dr. Karl Friedrich Bahrdt 
= m; 0, Bd. 13, S. 101—106 (1829). — W, Bd. 16, S. 105—110; Lesarten: 8. 417-419. 
Künſtlers Erdewallen 

in: C, Bd. 13, S. 137—144 (1829). — W, Bd. 16, S. 141—148; Lesarten: S. 480 f 
Künſtlers Apotheoſe 
in: O, Bd. 13, S. 145—157 (1829). — , Bd. 16, S. 149 — 161; Lesarten: S. 481. 
Kunſtlers Vergötterung 
in: W, Bd. 38, S. 67 f.; Lesarten: S. 457 f. 
Götter, Helden und Wieland 
in: 0, Bd. 33, S. 257—282 (1830). — W, Bd. 38, S. 11— 104; Lesarten: S. 426 fl. 
Der Triumph der Empfindſamkeit 
in: G Bd. 14, S. 1— 76 (1829). — W, Bd. 17, S. 1— 73 (1894); Lesarten dazu 
8.311 — — 858, 


5 51 = Goethe's Werke. Original⸗Ausgabe. Wien. Bey Chr. Kaulfuß und C. Arm⸗ | 


Neu eröffnetes moraliſch⸗politiſches Puppenfpiel — . 


Prolog zu den neueſten Offenbarungen Gottes, ver: 


442 Anmerkungen des Herausgebers. 


2 


Die Vögel. Nach dem Ariſtophanes i 3 
, Bd. 14, S. 77 —118 (1829). — W, Bd. 17, S. 75 —115; die Do dazu Eu, 
8. 853 — 361. 
Die Aufgeregten 
in: C, Bd. 15, S. 1—78 (1829). — W, Bd. 18, S. 1-76; die Lesarten dazu S. 392408. 
Das Mädchen von Oberkirch 
in: W, Bd. 18, S. 77—92; die Lesarten dazu S. 409 — 412. 
Prologe un d Nachſpiele. Theaterreden 
in: C, Bd. 4 (1827), S. 195—207: Prolog zu Eröffnung des Berliner Theaters im 
May 1821; S. 208 — 213: Finale zu Johann von Paris; S. 216 — 219: Zu 
Wallenſteins Lager. Bd. 11 (1829), S. 335 — 346: Weimarische Prologe vom 
7. Mai 1791 bis 6. Oktober 1794; S. 347 — 359: Prolog . . . Leipzig 1807 — 
Prolog. Halle... 1811 — Epilog zum Trauerſpiele Eſſex. Im fünften Band 
der „Nachgelassenen Werke“ = C, Bd. 45, S. 86 — 96 (1834): Nachſpiel zu 
Ifflands Hageſtolzen. — In W stehen, in unserer Reihenfolge, die Prologe, 
Nachspiele und Theaterreden dieses Bandes: Bd. 13, Abt. 1, S. 115 —184; 
die Lesarten dazu Abt. 2, S. 178—244. 
Maskenzüge 
(nicht alle) in C, Bd. 4, S. 1— 75 (1828). Ferner in Bd. 13, S. 183—223 (1829). 
Endlich in Bd. 56 (= Bd. 16 der „Nachgelassenen Werke“), 8. 37 — 38 
(1842). — In Walle Maskenzüge zuerst vereinigt: Bd. 16, S. 185—307; die 
Lesarten dazu S. 438 — 488. 


— 


Es seien noch folgende Abkürzungen öfter angeführter Werke genannt: 
DW Goethes „Dichtung und Wahrheit“, Bd. 12 und 13 dieser Ausgabe. 
Scherer GFZ = Wilhelm Scherer, Aus Goethes Frühzeit. Bruchstücke eines 

Kommentars zum Jungen Goethe (Straßb. 1879). 
„Jahrbuch“ = Goethe-Jahrbuch. Herausgegeben von Ludwig Geiger (Frankf. a.M. 
1880 ff.). 
Düntzer Vd St = Heinrich Düntzer, Neue Goethestudien (Nürnb. 1861). 
WIV = W, 4. Abteilung, Goethes Briefe, 


Fastnachtsspiele und Verwandtes (S. 5—140). 
Das Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern (8. 7—42). 


Zuerst gedruckt in der älteren Fassung mit dem Prolog in: 

E = Neueröffnete moraliſch⸗politiſches Puppenſpiel. Leipzig und Frankfurt 1774. 
80. (S. 1-6 und S. 21— 60); 

in der in die Werke übergegangenen Bearbeitung von 1778 in 8. Diese liegt 

auch handschriftlich vor in: 

H!: Im Goethe- und Schiller-Archiv; 28 Blätter von Vogels Hand geschrieben. 

2; Auf der Großherzoglichen Bibliothek zu Weimar. 

H3: Im Goethe- und Schiller- Archiv: 26 Blätter von Vogels Hand. 
Wir verwenden im folgenden die Abkürzung: 

Herrmann = Max Herrmann, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern, Entstehungs- 
und Bühnengeschichte. Nebst einer kritischen Ausgabe des Spiels und un- 
gedruckten Versen Goethes sowie Bildern und Notenbeilagen (Berl. 1900). 


Einleitung des Herausgebers (8. 7—14). 


In der Auffassung des genialen Scherzspieles stehen einander besonders 
zwei Anschauungen gegenüber, die der extremen Modellphilologen, die jede 


rbemerkung. —Das Jahrmarktsfost u. s. W.: Einleitung d. I.; V.5—150. 443 


Rolle auf ein wirkliches Modell zu deuten weiß und besonders durch W. Wil- 
manns in den „Preußischen Jahrbüchern“, Bd. 42, S. 42 fl. (1878), und Scherer, 
6A, S. 25 — 42, vertreten wurde, und eine andere, die solche persönliche 
Beziehungen ganz unbeachtet ließ, wie H. Viehoff in Herrigs „Archiv für 
das Studium der neueren Sprachen und Literaturen“, Bd. 1, S. 349—358 (1846), 
oder schlechthin bestreitet, wie H. Düntzer, Abhandlungen zu Goethes Leben 
und Werken, Bd. 2, S. 141—196 (Leipz. 1885). Die neueste und umfassendste 
Behandlung des Stückes bei Herrmann hält ein im ganzen wohlabgewogenes 
mittleres Verfahren ein; ebenso Jakob Minor im Grunde schon früher, z. B. 
im „Anzeiger für Deutsches Altertum“, Bd. 13, S. 172 ff. (Berl. 1887), und wieder 
in der Besprechung von Herrmanns Buche in den „Studien zur vergleichen- 
den Literaturgeschichte“, herausg. von Max Koch, Bd. 3, S. 314—331 (1903), 
wo auch noch mancher Zug in den von Herrmann gezeichneten literar- und 
sittengeschichtlichen Hintergrund des Stückes eingetragen wird. 


Prolog, V. 5. herbei! ] So allein sinngemäß E, W noch die Flüchtigkeit 
der späteren Drucke herbei 

Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. V. 23f. Seitdem die Gegend in 
einer Nacht | Der Landkatechismus ſittlich gemacht. E mit Anspielung auf J. G. 
Schlossers „Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk“, der Frankfurt a. M. 
1771 bei J. L. Eschenbergs Erben anonym erschien und von dem am 8. Januar 
1773 in den „Frankfurter gelehrten Anzeigen“ eine neue Auflage und ein die 
eigentlichen Sittengebote enthaltender kürzerer Sonderabdruck angekündigt 
wurde. 

V. 27—76. Statt deren in E nur Der fonft im Intermezzo brav | Die Leute 
weckt aus'm Sittenſchlaf. 

V. 67. auch J die Lesart in HI, die flüssiger überleitet; NH2 Hs und 
die Drucke doch a 

V. 77. Ein Kompliment ] Viel Empfehl E. 

Nach V. 80. Über die Herkunft dieser wie aller folgenden szenischen 
Anweisungen vgl. die Einleitung des Herausgebers, S. 13, Z. 19 ff. 

V. 117—122 nebst szenischer Anweisung vor- und nachher fehlt E, vgl. 
S. 13, Z. 21— 23. 

V. 140 —159. Für die Deutung des Zigeunerhaupt und seines Bur- 
schen scheint mir E2 mit ihren Partiturvermerken noch nicht genug ausge- 
nützt, auch von Herrmann nicht, der uns H? sozusagen erst lesen gelehrt hat; 
er deutet beide, a. a. O. S. 148, auf Empfangende, auf Käufer, die nur „Verach- 
tung heuckeln, weil ihnen die Trauben zu hoch hängen“. Nun aber ist ihnen- 
in H2 durch den Vermerk Nr. 11 die elfte Gesangsnummer zugewiesen, wie 
sonst keiner der Käufertypen. Sie gehören also danach offenbar mit den 
Ausrufern zusammen, sowenig das zunächst scheint stimmen zu wollen. Sie 
sind eben auch von ihnen verschieden, das deutet Pantom, offenbar = Panto- 
mime, vor V. 140 an, und das will sagen: sie haben zwar nichts auszulegen, 
wie die anderen Zeitschriftenvertreter, weil sie nichts anpreisen mögen, aber 
sie sackten gern die anderen alle ein, weil sie es allein — besser brächten; 
nur aufweisen können sie es nicht mehr und müssen es daher nur panto- 
mimisch andeuten, weil sie keine Zeitschrift mehr haben. Wer aber hatte oft 
so absprethend, zugleich aber fast räubernd flüchtig geurteilt, wenn nicht 
Herder und ihm gleich und nach eine Zeitlang Goethe, der so gern mit Pi- 
stolen spielte? Und da ist es nun wohl eine Bestätigung unserer Vermutung, 
daß die Gruppe unabhängig davon, aus dem sicher persönlichst gefärbten alten 
Estherspiele und seinem Intermezzo heraus, von Wilmanns wie Scherer auf 
dieselben beiden gedeutet worden war. : 


Iſt Reu und Leid vergebens 
Zuerſt dies ſaubre Kloſterpaar 
Beſtimt zu Buß und Beten, f 
Die plagt der Böſe ganz und gar: 
Daß ſie ſich lieben thäten, 7 
Entſprangen aus dem Cloſter ſchön 

Dafür ſie izt verwandelt ſtehn 
Zwo Felſenſtein zu Dato. RE, 
Dies böſe Weib ihr Töchterlein 
Lebendig thät begraben; 
Damit fie ihrem [!] Liebſten fein, 
Zum Gatten möchte haben: 
Doch als der Hochzeitabend kam 
Erſchien ſtatt ihrem Bräutigam 
Der Satan der ſie holte. 


Dies Wunder⸗Weib aus Norden her 
Der falſchen Lehr ergeben 
Ward wüthend als ein wilder Bär 
In Wäldern thut ſie leben 
Bewuchs mit Mooſe ganz und gar 
Ihr Haupt ſtatt weichem Menſchenhaar 
Trug dornigtes Geniſte. 0 

In dieſem Brunnen tief und kalt 
Ein Kindlein ward erträncket 
Die Mutter nach der That als bald 
Aus Schwermuth fi erhencket: f 
Wen draus ein Jungfrau ſchöpfen ſoll 
So prüf ſie ihre Unſchuld wohl 
Sonſt zieht ſie leere Eymer 

Der alte Geitzhals ungerecht 
Viel Gut zuſammen ſcharrte 
Darum er feinen Nächſten brächt — 
Die Strafe feiner harrte. 
Ein Räuber nahm ihm Gold und Stein 
Schloß ihn im leeren Kaſten ein, 
Darinn mußt er verhungern 


Doch find euch die Phänomena 
Zu fern ihr Herrn und Frauen 
So könnt ihr in der Nähe da 
Zwo Wunder ſelber ſchauen: f 
Aus Mauerſtein quillt rothes Blut, 
Die Biene warnend ſingen thut: 
Ach eins iſt Noth, das Eine. 


Dafür in E: 
Kaiſer Ahasverus. S 


Haman. 
Gnädger König Herr und Fürſt 
Du mir es nicht verargen wirſt 
Wenn ich an deinem Geburtstag 
Dir beſchwerlich bin mit Verdruß und Klag. 
Es will mir aber das Herz abfreſſen 
Kann weder ſchlafen noch trinken noch eſſen. 
Du weißt wieviel es uns Mühe gemacht 
Bis wir es haben ſo weit gebracht 
An HE. Kriſtum nicht zu glauben mehr 
Wie's thut das groſe Pöbels Heer 7 
Wir haben endlich erfunden Klug 
Die Bibel ſey ein ſchlechtes Buch. 
Und ſey im grund nicht mehr daran 
Als an den Kindern Heyemann 
Drob Wir denn nun Jubiliren 
Und herzliches Mitleiden ſpüren 
Mit dem armen Schöpſenhaufen 
Die noch zu unſerm Herrn Gott laufen 
Aber wir wollen ſie bald belehren 
Und zum Unglauben ſie bekehren 
Und laſſen ſie ſich wa nicht weiſen 
So ſollen ſie alle Teufel zerreiſſen. 


Ahasverus 
In ſo fern iſt mirs einerley 
Doch brauchts all, dünkt mich, nicht 's Geſchrey 
Laßt ſie am Sonnenlicht ſich vergnügen 
Fleißig bey ihren Weibern liegen 
Damit wir tapfre Kinder kriegen. 


Haman 

Vehüte Gott, Ihre Majeſtät. 
Das leidt ſein Lebtag kein Prophet. 
Doch wären die noch zu bekehren 
Aber die leidigen Irrlehren 
Der Empfindſamen aus Judäa 
Sind mir zum theuren Arger da. 
Was hilfts daß wir Religion 
Geſtoßen vom Tyrannenthron 
Wenn die Kerls ihren neuen Götzen 
Oben auf die Trümmer ſetzen. 
Religion, Empfindſamkeit 

Iſt ein Dns iſt lang wie breit. 
Miüſſen das all exterminiren 
Nur die Vernunft, die ſoll uns führen. 
Ihr himliſch klares Angeſicht 


446 Anmerkungen des Herausgebers. 


Ahasverus at a 5 = 


Hat auch dafür keine Waden nicht. ST ' 
Wollen's ein andermal beſehen. : MEN 
Beliebt mir jetzt zu Bett zu gehen 
Haman 
Wünſch Euro Majeſtät geruhige Nacht 
Die Kinder Heyemann in V. 14 sind eins der von Goethe in seiner Jugend 
verschlungenen Volksbücher: „Die vier Haimonskinder“. Auch der Galgen 
der Estherszenerie ist eine Jugenderinnerung. In der dem jungen Goethe so 
wohlbekannten „Chronik Gottfrieds“ (Frankf. 1742) ist S. 114 dargestellt: Esther 
auf den Knien vor Xerxes, im Hintergrund ein Galgen. Vgl. A. Strack im 
„Jahrbuch“, Bd. 6, S. 334 (1885). 
V. 404. Lieben Fr. in alter formelhafter Weise ME; Liebe L. W mit den 
jüngeren Drucken. 


V. 404 — 432. Daß hierin persönliche Satire gegen den Gießener Professor 95 


Christian Heinrich Schmid steckt, haben Scherer, G FZ, S. 37 f., und R. M. Werner, 


„Jahrbuch“, Bd. 1 (1880), S. 181 f., gleich wahrscheinlich F In der Vor- 


rede zur „Anthologie der Deutschen“, Teil 1 (Frankf. u. Leipz. 1770) spricht 
Schmid von den vielen Mühen einer solchen Sammlung, von den vielen dabei 
zu schreibenden Briefen, überläßt aber ihre Rechtfertigung den Sachen selbst; 
in der Vorrede zu Teil 3 (Leipz. 1772) setzt er den größten Lohn für diese 
Mühen in die Bekanntschaften mit vortrefflichen Männern. V. 423 ff. erinnern 
mehr an desselben Schmid Leipziger „Almanach der deutschen Musen für das 
Jahr 1772“, wo S. 104 ähnliche „Knittelverse auf hundert und noch hundert 
Doctoren gleicher Art“ stehen. Außerdem aber rügt die Besprechung dieses 
Almanachs in den „Frankfurter gelehrten Anzeigen“ die Plattheit eines darin 
aufgenommenen Willamowschen Gedichtes „Auf das Emblem der goldnen 
Dose, womit Ihro Kayserliche Majestät den Dichter noch beschenken wollen“, 
und darin stehen die Verse: 
Wo find’t man denn in unsern Tagen 
Die Pallas? . . . Ich, ich will es sagen, 
Die wahre Pallas ist der Reußen Kaiserin. 
Nicht minder ist eine Ramlersche Verherrlichung Friedrichs des Großen aufge- 
nommen, und wenn der Besprecher das Sinngedicht „Auf eine hohe Frisur“: 
Der Alpen Spitze gleicht dein aufgetürmtes Haar; 
Dein Haupt ist weiß, wie sie, und auch so unfruchtbar, 
„überall“ — d. h. auch auf den von ihm kritisierten Herausgeber Schmid — 
„sehr applicabel“ nennt, so urteilt er gerade wie der Dichter in V. 410 — 413. 
Herrmann sollte diese Beziehung um so weniger anzweifeln, als er selbst, 
2.2. O. S. 51, auf Goethes Ärger über den überall geschäftig schnüffelnden 
Schmid in dem schon S. 12 erwähnten Briefe vom 25. Dezember 1772 hinweist. 
V. 434 — 438 fehlen E. 
V. 441 — 454. Dafür E: 
Gefällt ihr das, mein liebes Kind? 
Milchmädchen. 
Man ſieht ſich an den ſieben Sachen blind. 
V. 460. käm Hi; mit den jüngeren Drucken käme W. 
Vor V. 469. Muſik fehlt E. 
V. 469 — 554. Dafür in E: 
Die Königinn Eſther. Mardochai. 
Eſther 
Ich bitt' euch, laßt mich ungeplagt 


* 


Das J ahrmarktsfost u. s. w. (V. 404—90). — Das Neneste von Plundersw. 447 


Mardochai 
Hätt's gern zum leztenmal geſagt 
Wem aber am Herzen thut liegen 
Die Menſchen in einander zu fügen 
Wie Krebs und Kalbfleiſch in ein Ragu 
Und eine wohlſchmeckende Sauce dazu. 
Kann unmöglich gleichgültig ſeyn 
Zu ſehn die Heiden wie die Schwein 
Und unſer Lämmelein Häuflein zart 
Durcheinander lauffen nach ihrer Art. 
Möcht' all fie gern modiſiziren, 
Die Schwein zu Lämmern recktiſiziren 
Und ein ganzes draus combiniren. 
Daß die Gemeine zu Corinthus 
Und Rom, Coloß und Epheſus 1 
Und Herrenhut und Herrendag 
Davor beſtünde mit Schand und Schmach 
Da iſt es nun an dir o Frau! 
Dich zu machen an die Königsſau 
Und ſeiner Borſten harten Straus 
Zu kehren in Lämmleins Wolle kraus. 
Ich geh aber im Land auf und nieder 
Caper immer neue Schweſtern und Brüder 
And gläubige fie alle zuſammen 
Mit Hämmleins Lämmleins Liebesflammen. 
Geh dann davon in ſtiller Nacht 
Als hätt ich in das Bett gemacht 
Die Mägdlein haben mir immer Dank 
Iſts nicht Geruch, ſo iſts Geſtank. 
Eſther. 
Mein Gemahl iſt wohl ſchon eingeſchlaſſen 
Läg lieber mit einen von euren Schaaffen 
Indeſſen, kann's nicht anders ſeyn 
Iſts nicht ein Schaaf, ſo iſts ein Schwein. 
(ab) 
V. 488 — 490. Die einzigen Verse der Parodie, die auch im einzelnen 
an Racines „Esther“ (Akt 1, Sz. 3, V. 41 f.) anklingen. 


Das Neueſte von Plundersweilern (S. 43 — 58). 


Zuerst gedruckt 1817 in B und Bl; außerdem handschriftlich erhalten in: 
Il: von der Hand Louisens v. Göchhausen; im Goethe- und Schiller - Archiv. 
H?: aus dem Sammelheft derselben, im Besitz des Majors v. Göchhausen in 
Dresden. 

Hs: erst 1827, aber unter Goethes Aufsicht gefertigte Handschrift im Schlosse 
zu Tiefurt. 

Im folgenden verwenden wir die Abkürzung: 

Schöll, GHZ = Ad.Schöll, Goethe in Hauptzügen seines Lebens und Wir- 
kens (Berl. 1882). . 

Einleitung des Herausgebers (S. 43 — 45). 


Das von Melchior Kraus in Aquarellfarben ausgeführte Gemälde befindet 
sich in Tiefurt. Uber den noch 1800 von H. Crabb Robinson in Frankfurt ge- 


x 


448 \ / u nn N, 3 


sehenen ersten Entwurf dazu wird berichtet in: ur i . 


stille Gemeinde am 28. August 1871“. Gedruckt bei Breitkopf und Härtel 


Leipzig für 8. H. 2 8. 7. Ausführlicher haben von der Diehtung el Er 


Schöll: „Grenzboten“, 29. Jahrgang, 2. Vierteljahr, S. 344 — 355 (1870) = 
GiHZ, S. 517—532, und Paul Weizsäcker in der „Vierteljahrschrift für 
Literaturgeschichte®, 3 von B. Seuffert (Weim. 1888—96), Bd. 6, 8.67—78 
(1893). — Für die Zeit der Abfassung und Vorführung sind besonders maßgebend 
Goethes Brief Nr. 1268: WIP, Bd. 5, S. 242, Z. 4f., und der Brief von Goethes 
Mutter vom 26. Februar 1782 („Die Briefe der Frau Rat Goethe“, herausg. 
von Alb. Köster, Bd. 1, S. 111f. [Leipz. 1904)). 


V. 8. wilden — — — — — — die Drucke bis Ci aus Rücksicht auf den 


durch die ursprüngliche Lesart verletzten Kasseler Hof; die richtige Erklärung 
gab O. Gerland, „Grenzboten“, 30. Jahrgang, 3. Vierteljahr, 8. 488—491 (1871). 

V. 63 — 70. H. Henkel im „Jahrbuch“, Bd. 14, S. 274 (1893), weist dazu 
auf einen Stich Chodowieckis hin, auf dem Ramler in solcher Bemühung um 
den im Sarge liegenden Ewald v. Kleist dargestellt ist. 


V. 144. ein Dichter Hain [d. 1. Dichterhain] Hi Ha Dichter Hain. BI, ein 


deutlicher Beweis, daß auch die später von Goethe gebilligte Schreibart als 
Wortspiel auf den „Hain“ gemeint ist. a 

V. 187. Düntzer bezieht die Heftelfabrik, Heftel Nadel fassend, auf 
Klopstocks Sinngedichte in der „Gelehrtenrepublik“ und den Musenalmanachen 
von 1773—81, für die er selbst forderte: „Das Epigramm sei bald spitz wie 
ein Pfeil, bald scharf wie ein Schwert“. 

V. 197. Die von Schöll a. a. O. aufgewiesene Beziehung auf Herders und 
von Voigts Versteckspielen mit Wieland empfiehlt sich auch dadurch, daß 
dann Goethes Bemerkung vom kleinen Verdruß einiger Gegenwärtigen, die fi 
getroffen fühlen mochten (vgl. oben, S. 47, Z. 1f.) mehr Inhalt gewinnt. 

V. 203 f. Die richtige Erklärung dieser Verse gaben gleichzeitig zuerst 
H. Henkel, „Jahrbuch“, Bd. 14, S. 275 (1893), und Weizsäcker, „Vierteljahrschrift 
für Literaturgeschichte“, herausg. von B. Seuffert (Weim. 1888—93), Bd. 6, S. 76 
(1893). 

V. 208. Und kehrt betrübt zum Himmel wieder B. Die Änderung sollte 
den Gedanken der Huldigung für Wieland noch deutlicher hervortreten lassen, 
indem sie besagte, der Wielands Krönung vollziehende Engel sehe sich ver- 
gebens um, ob noch ein Genosse, einen anderen zu krönen, niederschwebe. 

V. 233 — 242. Der hier charakterisierte erste Nachahmer des „Götz“ soll 
vielleicht Maximilian Klinger sein. In dessen preisgekrönten „Zwillingen“ 
kommen z. B. folgende Motive vor: das Umschlingen der Eiche (4. Akt, 5. Szene), 
ein „viele unsrer herrlichen Bäume zersplitternder“ Sturm (4. Akt, 2. Szene), 


ein auf Grimaldi stürzender Berg ist von dem Gläubigen an der Wurzel gefaßt : 
und durch Unterschieben eines Sandkornes zum Stehen gebracht worden (I. Akt, 


1. Szene), und der junge Guelfo schüttelt an allen Fernando mit dem Erst- 
geburtsrecht zugefallenen „Gütern, Besitztümern, Schlössern und Herrschaften“, 
Endlich erschien von Klinger im selben Jahre 1776 wie die „Zwillinge“ ein 
Schauspiel „Simsone Grisaldo“. 

V. 244. Der dritte ist vielleicht Joh. Anton Leisewitz, in dessen „Julius 
von Tarent“ Guido (1. Akt, 4. Szene) den Oheim bittet: „lassen Sie mich 
wenigstens in die Stangen meines Käfigs beißen.“ 

V. 275. droht, W gegen den Sinn; vgl. die Anmerkung zu V. 276. 

V. 276. den Alten kann nicht mehr mißverstanden werden als von Schöll, 


GiHZ, S. 521, wenn er dem Alten, d. . dem Manne im Reifrock, vorschlägt, 5 


* 


— 


a ale Gravität des Reifrockmannes hindert doch N nicht in seinen Necke- 
reien, ja unterdes droht schon ein neuer Angriff den durch den Reifrockmann 
es verteidigten Alten, d. h. den alten französierenden und klassizistischen Dichtern, 


den Tod. Im Gegensatz dazu heißt die Rotte kürzlich angekommen, und die 
Knaben. Lenz warf in seinen „Anmerkungen übers Theater“ (1774) ja selbst 
den Aristoteles über Bord. 


Ein Faſtnachtsſpiel vom Pater Brey (8. 59 — 73). | 
Zuerst gedruckt in E. Neueröfnetes moraliſch⸗politiſches Puppenſpiel. Leipzig 


und Frankfurt 1774. 8. 61 — 96. 


Es ist für dieses Stück noch folgende Abkürzung eingeführt: 
„Aus Herders Nachlaß“ = Aus Herders Nachlaß. Herausg. von Heinr. Düntzer 
und Ferd. Gottfr. v. Herder, Bd. 3 (2. Aufl., Frankf. a. M. 1857). 


Einleitung des Herausgebers (S. 59 — 61). 


Über die Beziehung zu Herders und Leuchsenring vgl. besonders: R. Ha y m, 
Herder nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt, Bd. 1, S. 527—532 
(Berl. 1880), und W. Scherer, „Jahrbuch“, Bd. 1, besonders S. 86-89 u. S. 101 
bis 107 (1880); auch W. Wilmanns, „Jahrbuch“, Bd. 2, S. 164—167 (1881). 


Die Hauptquelle für das Verhältnis Herders zu Karoline Flachsland und dieser 


zu Leuchsenring, Merck und Goethe ist „Herders Briefwechsel mit seiner 
Braut“ in „Aus Herders Nachlaß“. Besonders lehrreich ist in derselben Samm- 


lung, Bd. 2, S. 62, Herders Urteil über Leuchsenring Lavatern gegenüber, 


V. 68. Es scheint, als hätte Goethe Jacobis briefliches Urteil gegenüber 


Frau v. Laroche vom 21. Juni 1771 gelesen: „Wahrscheinlicher Weise geht 


unser Lieber [Leuchsenring] jetzt zu Bergzabern an einem rosenfarbnen 
seidnen Bande hinter der elysischen Zieglerin und weidet, von ihrem Lämmchen 
angelächelt, neben ihm Charmillen und Rosenblätter“ („Auserlesener Brief- 
wechsel.“ Herausg. von Fr. Roth, Bd. 1, 8.44 [Leipz. 1825 — 27). 

% V. 71f. Über solche fleißige Lektüre Karolines mit Leuchsenring vgl. „Aus 
Herders Nachlaß“, Bd. 3, S. 488. 

V. 195. einzeln ] Die allein erklärbare und zur Stelle erklärte Lesart 
in 8 bis O; einzig W mit E xl. 

V. 226. „Heidenbekehrer“ wird Leuchsenring von Herder, „Aus Herders 
Nachlaß“, Bd. 3, S. 240, genannt; Bd. 2, S. 7, gegenüber Lavater bezeichnet er 
mn als „ ea müßigen Schäfer“. 

VP. 282. Die Abführung des Paters zu den Schweinen ist nach Scherer 
einer Novelle des Boccaccio, Decamerone, VIII, 9, frei nachgebildet. 

V. 319. Ähnlich urteilte Herder wirklich über die von Leuchsenring ver- 
abreichte süß empfindsame Speisung: „Ich fand schon damals [beim Bekannt- 
werden mit ihm in Holland 1770] alle die kränkliche Empfindsamkeit bei ihm, 
die ihn jetzt zu solchem Phantom der Menschheit macht.. Nur hatte er da- 
mals noch nichts weniger als die unleidliche, intolerante Denkart, die jetzt 


‚jeden, der nicht mit Jacobi schmähet, verachtet und in meinen Augen ebenso- 
viel Menschenhaß haben kann als der erbärmlichste Verfolgungsgeist.... Er 


erwartete mich, und machte sich ein Empfindungsbild, mit lauter Milehfarben 
gemalt, von mir; dafür kann ich nicht. Er reisete bei die Jacobis und über- 
lud sich den Magen da so sehr an ane e, daß jeder ihm jetzt un- 


BA. XVIII. 29 


7 


450 Anmerkungen des Bergen 


gelegen ist, der sie nicht aus seinem Munde verschincken a aer denn ih 5 


noch weniger.“ („Aus Herders Nachlaß“, Bd. 3, S. 32 f. 


8 Te} 


Satyros oder der vergötterte Waldteufel (8. 7498). 
Zuerst gedruckt in B (1817), Bd. 9, S. 307-336. Außerdem vorhanden in: Au 


‚Hl: alte Handschrift des Fräuleins v. Göchhausen, im Besitz des Majors 
v. Göchhausen in Dresden. 

H?: die Herbst 1774 an Fr. H. Jacobi überlassene, erst 3. November 1807 an 
Goethe zurückgelangte Handschrift; jetzt im Goethe- Archiv, 


Einleitung des Herausgebers (S. 74— 77). 


Von den Deutungen des „Satyros“ sind am entschiedensten und ein 
gehendsten folgende vertreten worden: die auf Basedow von Heinrich Viehoff, 


Goethes Leben, Bd. 2, S. 113 (4. Aufl, Stuttg. 1876); ferner namentlich von 
Woldemar Freiherrn v. Biedermann, Goethe-Forschungen, S. Off. (Frank- 
furt a. M. 1879), und Neue Folge, S. 13—84 (Leipz. 1886), und von G. v. Loeper, 
„Augsburger Allgemeine Zeitung“, Beilage vom 3. Dezember 1879; die auf 
d’Alembert von Wilmanns in „Schnorrs Archiv für Literaturgeschichte“, Bd. 8, 
S. 227 — 299 (1877); die auf hohle Menschen überhaupt, die anmaßende Ent- 
schiedenheit und glühende Wärme der Beredsamkeit zu pfiffigem Betruge der 
urteilslosen Menge ausnützen, von Düntzer, VG St, S. 33—61; Abhandlungen 
zu Goethes Leben und Werken, Bd. 2, S. 197—292 (Leipz. 1885); die auf Herder 
von Scherer, G V, S. 43—68, und „Jahrbuch“, Bd. 1, S. 81-118 (1880); von Pröhle, 
„Vossische Zeitung“, 1879, Beilage Nr. 45; „Im Neuen Reich“, Bd. 2, S. 440 (1879); 
von Schröer in Goethes „Werken“, 6. Teil, S. 321-329 (Berl. u. Stuttg. o. J. = 
„Deutsche National-Litteratur“, herausg. von Jos. Kürschner, Bd. 87); über die 
Bestätigung der Vermutung durch Parallelen aus den Horderschen Schriften 
vor 1773 vgl. Th. Matthias in der „Zeitschrift für den deutschen Unterricht“, 


Bd. 16, S. 110—128 (1902); und über ein zeitgenössisches Zeugnis J. G. v. 


8 für diese Beziehung Heinrich Funck im „Jahrbuch“, Bd. 25, 
S. 217 (1904). Über Parallelen des „Satyros“ mit dem „Faust“ vgl. Friedr. Meyer 
v. Waldeck im „Jahrbuch“, Bd. 7, S. 283 ff. (1886). — Die umfassendste Behand- 
lung bietet jetzt Gertrud nn Goethes Satyros (Leipz. 1906), die zugleich 
die literarische Entwickelung der Satyrmaske seit der Renaissance und die Be- 


ziehung der Dichtung zu Goethes ganzem Denken und Dichten behandelt. 


S. 74, Z. 3f. Zum Sprachgebrauch von „derb“ und „tüchtig“ vgl. die 
Nachweise bei Max Morris, Goethestudien, Bd. 2, S. 269 — 271 (2. Aufl., 
Berl. 1902). 


V. 19. Pläcklein 71. Die von W mit den Drucken aus H? übernommene 
Anderung Riemers Blättlein ist eine sinnlose Schlimmbesserung, die vielleicht 
auf Verwechselung von Placken, Pläcklein = Fleck, Flecklein mit Blecken = 
großes Blatt beruht. 

V. 84. Dieser aus Fabel 64 des Asop oder Hans Sachs’ „Satyros und 
Waldbruder“ herübergenommene Zug charakterisiert den Einsiedler als frostigen 
Alten und braucht nicht als auf flüchtigem Arbeiten beruhender Widerspruch 
zu V. 120 gefaßt zu werden. V. 120 spricht der weit gewanderte Satyros 
um Mittag, V. 84 der alte Einsiedler am Morgen. 

V. 109. Ei'm (= Einem) gemäß Ein 41; Einem W mit den Drucken, im 
Widerspruch mit V. 96 und 162. 

V. 186. geſchwind 7? bis W, EI mehr dem Verse gemäß: ſchwind. 


tyros. = Prol. z. Bahrdts Offenbarungen. — Künstlers Erdewallen u. s. w. 451 


- V. 192. Tugend⸗Wahrheits⸗Licht mit AZ1 gemäß Liebe - Himmels = Wonnes 
warm V. 197, Lebens⸗Liebens⸗Freud' V. 237, Großmut⸗Sanftmut⸗Schein V. 402 und 
zwei⸗ dreihundert V. 447. H bis ON Tugend, Wahrheits⸗Licht. 

V. 219. ein'm Z1H? entsprechend V. 96, 109, 162, einem BO N. 

V. 252—255. fangen — Bruſt — Natur, — blickten, ſangen, — Bruſt, — 
Natur, — blickten W ohne Rücksicht auf die Fügung. 

V. 290. Vernehmet, E, der von Satyros angenommenen Würde und V. 289 
entsprechend. Vernehmt N 2 bis O N. 
V. 321. Sinket A! Sinkt H2 bis O . Vgl. zu V. 290. 


Prolog zu den neuſten Offenbarungen Gottes, 
verdeutſcht durch Dr. Karl Friedrich Bahrdt (8. 99—103). 


Zuerst in zwei Einzeldrucken (EI und E 2), von denen aber wenigstens der 
von Nikolai gelesene von diesem als „in Darmstadt gedruckt“ bezeichnet wird; 
also bezeichnet Gießen 1774. auf dem Titel den Schauplatz. Dann zuerst in hi; 
außerdem vorhanden in H= Handschrift im Besitze von Herrn Georg Kestner 
in Dresden = „Jahrbuch“, Bd. 4, S. 341 ff. (1883). 


3 re. Künſtlers Erdewallen — Künſtlers Apotheoſe — Künſtlers 
a Vergötterung (S. 104 121). 


„Künstlers Erdewallen“ zuerst in 
E S Neueröfnetes moraliſch⸗politiſches . Leipzig und Frankfurt. Wey⸗ 
gand. 1774. S. 7 — 20. 
Auch erhalten in 
H = Jugendreinschrift aus dem Nachlaß Almas v. Goethe, auch „Künstlers 
Vergötterung“ enthaltend. Über die Entstehung dieser Niederschrift wie 
der Dichtung selbst vgl. jetzt Hans Gerhard Gräf, Die Entstehung von 
Künstlers Erdewallen und Künstlers Vergötterung, „Jahrbuch“, Bd. 27, 
: 8. 159 —165 (1906). 
3 „Künstlers Apotheose“ zuerst in 8, Bd. 8, S. 297 — 316. 
„Des Künstlers Vergötterung“ zuerst veröffentlicht in den „Briefen Goethes 
Br an Sophie von La Roche und Bettina Brentano nebst dichterischen Beilagen“, 
ES >; 5 herausg. von G. v. Loeper, S. 55—57 (Berl. 1879), nach einer von Maltzahn ge- 
En 3 ungenauen Abschrift von H (vgl. oben). 


V. 52. ein'n E bis hl ein’ H einen gegen den Vers und die Sprechweise 
5 der Familie unter sich W mit den Drucken seit 8. — 
1 Vor V. 58. von den andern 13 8 von andern W mit dem Versehen der 
Be späteren Drucke. 
- Über die drei gehörigen Kunstgedichte handelt ausführlich Jakob 
Minor in dem Aufsatze „Zu Goethes Kunstgedichten“ in den „Grenzboten“, 
Bd. 43, 2. Vierteljahr, S. 117—125 (1884), und über ihre Nachwirkung derselbe 
auf S. 225—231 des Aufsatzes „Classiker und Romantiker“ im „Jahrbuch“, 
Bd. 10, S. 212 ff. (1889). Wichtige Äußerungen Goethes über die Gedichte und 
die Penang, aus der sie entwachsen sind, finden sich , Bd. 37, S. 213 ff., 272; 
DW, Teil 3, Bd. 13, S. 139, Z. 18 bis S. 140, Z. 6; S. 156, Z. 13 bis 30; 8. 160, 
Z. 19 bis S. 162, Z. 26; S. 193, Z. 23 bis S. 195, Z. 4; S. 197, Z. 21 bis S. 198, 
2. 22; WIP, Bd. 2, S. 179, Nr. 235; S. 205; Bd. 8, S. 241, Z. 23 ff.; Bd. 9, S. 24, 


Sn 29* 


85 Brandes ebenda, Bd. 2, 8. 20 A 25 


452 . 5 Sete de. He a en 


Götter, Helden und Wieland (8. 121100. 


Zuerst gedruckt in Kehl 1774 durch Lenz in 
E = Götter | Helden | und | Wieland. || Eine Farce | Auf ulla air = 
zig 1774. Dreimal wiederholt. Außerdem 1775 in g 
Z Rheinischer Most Erster Herbst. S. 73 — 104, und in f 8 
hl = D. Goethens Schriften. Berlin, bey Chriſtian Friedrich Himburg. Aer 5 
Theil. 1775. Dann erst auf Eckermanns ene (29. Februar 1824) 
in © (vgl. Vorbemerkung). „„ 


Hier abgedruckt nach W aus : 
HI = Eigenhändige Niederschrift Goethes, jetzt im Besitz der Morckschen 
Familie in Darmstadt. 5 
Außerdem seien den schon oben angeführten noch folgende öfter benutzte 
Werke hinzugefügt: 2 
Grimm = Goethe-Vorlesungen, gehalten an der Kgl. Universität zu Berlin von — 
Hermann Grimm (Berl. 1877, 2 Bde.). vn 
„Merkur“ I—-IV = „Der Teutsche Merkur“. Weimar 1773. Bd. 124141. 
Morsch = Hans Mors ch, Goethe und die griechischen Bühnendichter (Berl. 1888). 
Seuffert = Bernhard Sen ffert, Der junge Goethe und Wieland; in der 2 
schrift für deutsches Altertum“, Bd. 26, S. 252 — 287 (1882). ü 


Einleitung des Herausgebers (S. 122 — 126). 


S. 122, Z. 15 17. Vgl. Seuffert, S. 256 — 259. 

S. 123, Z. 4—11. „Merkur“ III, S. [183 —]195. 

Z. 12 f. „Merkur“ II, S. 207. 

Z. 17—19. „Mere II, S. 55f. 

Z. 19 — 24. „Merkur“ IV, S. 257. 8 

Z. 26. „Merkur“ I, S. 34 — 725 223 — 243. 

Ss. 124, Z. 6— 9. „Merkur“ I, S. 46. 

Z. 1417. Redlich, Zum 29. Januar 1878, 8. VI. 

Z. 20 f. DW, Teil 3, Ba. 13, S. 220 f. Vgl. 1 den Brief Goethes vom 
4. Juni 1774 im Jabrbuch®, Bd. 25, S. 208 (1904). 29 5 

Z. 23 f. Vel. Erich Schmidt im „Jahrbuch, Bd. 1, S. 378 f. (1880); uber din Be 
Zusammenhang mit den Lucianischen Totengesprächen überhaupt vgl. Johannes 
Rentzsch, Lukianstudien, im „Jahresbericht des Gymnasiums zı zu Plauen 1. rn a 
(1895). 5 

Z. 27. Morsch, S. 1 — 15. ER 

Z. 31. Mündlich z. B. Schönborn FR schriftlich in einem Briefe 
eines unbekannten Empfängers; jetzt veröffentlicht von K. Drescher, „dür. 
buch“, Bd. 25, S. 208 (1904). 

Z. 32. Vgl. WIV, Bd. 2, Nr. 173, S. 111. 

S. 125, Z. I. „Merkur“ III, 8. 267 — 287. ’ 

2.2. "Zahrbacht, Bd. 2, 8. 381 (1881). D W, Teil 3, Bd. 13, S. 221, Z. 24 ff. 
Nur die Annahme dieser nachträglichen Einfügung ermöglicht es, die en : 
gaben Schönborns und die in WIV, Bd.2, 8.111, zu vereinigen. 

2.14—16. Gegen F. H. Jacobi. Ya. Ai F. H. Jacobis Nachlaß“, Ke 5 
von Rud. Zöppritz, Bd. 1, S. 41 (Leipz. 1869). Anders Georg Ellinger, . 
in der modernen Titärktur‘ S. 32 ff. (Halle 1885). 

Z. 16— 20. So Fr. Strohlke in der Hempelschen Ausgabe: G „Werke 


* 5 K ee er * 
85 r 1 * = BEN ar 8 2 „ 
ir ET 5 er 3 3 r a . 1 4 453 Sy 2 
&. 3 er f ; RUE 5 


Na 3 Quellen revidierte e Achter Tell Gerl. o. T. ), 
| ausführlich Seuffert, 8.269— 275. Vgl. aber schon ee 8. 6. 
S. 125, Z. 35 fl. „Jahrbuch“, Bd. 2, S. 382 (1881). 5 e 
8. 126, Z. 2— 4. „Jahrbuch“, Bd. 9, S. 132 (4888). „ 
2.5. „Jahrbuch“, Bd. 6, S. 88 (1885). 8 5 
f Z. 5 —12. Vgl. D , Teil 3, Bd, 13, S. 221, Z. 30 ff.; „Der junge Goethe. BE. 
5 Seine Briefe und Dichtungen 1764 — 76. Mit einer Einleitung von M. Ber- . 
nays, Bd. 3, S. 121 f., Nr. 111—118 (6. Aufl., Leipz. 1887). „F. H. Jacobis Aus. 
erlesener Briefwechsel, herausg. von Friedr. Roth, Bd. 1, S. 228 f. (Leipz. 2). Res 
2. 1218. Grimm, Bd. 2, 8.27#., und Seuffert, S. 276279. ren 
Z. 19 — 21. Jakob Minor im Jahrbuch®, Bd. 10, S. 225 (1889). 5 


S. 127, Z. 30. Daß der „Merkur“ sich mit der Aufnahme von Wielands a 
NE eigenen Briefen über „Aleeste“ „in den Briefträger eines Poeten verwandelt 3 
habe und nicht mehr bloß die Briefe deutscher Dichter (und warum nicht auch 
unsrer Aristarchen?) an das Publikum bestelle“, hatte Wieland im 5. Brief 
(Merkur I, S. 223 f.) mit der Überzeugung der Aoiden, Wie Orpheus, Amphion, 
Linus, 1 Göttersöhne zu sein, und mit Apollos Vorgange entschuldigt, 
sich auch über seine eigene Kunst auszulassen. EEE 
S8. 128, 2.1—5. „Merkur“ I, S. 62, stand z. B.: „Wenn die Verglelelung 8 
nicht immer zum Vorteile des e Dichters ausfallen sollte 
S. 66: „Sie verstehn mich also, wenn ich sage, daß ich genötigt gewesen sei, ER 
die Aleeste (auf Unkosten der Natur und Wahrheit) zu verschönen. Esist... 
a Opfer, das jeder Dichter dem Genius seiner Zeit darzubringen ge- 
zwungen ist... Die Form ist ihm vorgeschrieben.“ = 
S. 129, Z. 30 bis S8. 130, Z. 6. Anspielung auf die ihm nicht be . 
stehende Verdammung, die Wieland gegen Michaelis“ Gedicht „Gleim nd 
Pastor- Amor“ 1771 in den „Erfurter gelehrten Anzeigen“ ausgesprochen hatte 
 (Seuffert, S. 261): „. .. der leichtsinnige Ton seines Scherzes, der solche Dinge 
trifft, welche die Religion unter den Christen geheiligt hat, und über welche 
kein Mensch, der nur den mindesten Anspruch an die Sitten oder an die 
Achtung seiner Mitbürger macht, zu spotten fähig ist, wird von allen ehr- 
Uebenden Leuten mit Verdruß und Widerwillen REN werden.“ 
8. 135, Z. 4. „Merkur“ I, S. 48, bekannte Wieland: „Die Wiederbringung 
ER der Alceste, die zwoote Handlung, aus welcher dieses Stück (gegen die ge- 
wöhnlichen Regeln des Schauspiels, aber vermöge der Beschaffenheit des Sujets 
ir unvermeidlich) zusammengesetzt ist, hat mir allein mehr Mühe gemacht als die 
vier ersten Akte zusammen. Die größte Schwierigkeit war wohl nicht, besser . 
zu machen als Euripides ete. “ 8 
N S. 135, Z. 33 bis S. 136, Z. 3 sind freie Umschreibung der Verse 122—129 1 
5 iu Eoripides’ „Alkestis“, nur tritt bei diesem der Tod selbst auf. RUSS 
: S. 136, Z. 13. abgeweihet ] wird gegenüber abgeweidet in EZhl auch 
als die alleinige Goethische Schreibung erwiesen, daß es Nachbildung von 
&payvionra: bei Euripides, V. 1146, ist, wie der ganze Satz haft — Haare 

von V. Töf.: isoös ydg oöros rar H, xdovös Deov "Orov röö’ Eyyos zoarös 
üyvion roiga, und daß es von Goethe auch in den Spottversen auf den Nach- 
drucker Himburg in der Verbindung abgeweihter Haare wieder angewendet wird 
(DW, Teil 4, Bd. 13, S. 249, Z. 23). 

85 Z. 14 — 18 sind fast wörtlich nach Euripides, V. 844 - 849, gebildet. 
S. 187, Z. 15. In Wielands „Alceste“ die Verse aus dem Gesange des 
Hlerkules, Aufzug 3, Szene 1: 


454 Anmerkungen des Herausgebers. 


O du, für die ich weicher Ruh’ 

Und Amors süßem Scherz entsage, 

Du, deren Namen ich an meiner Stirne trage, 

Für die ich alles thu', 

Für die ich alles wage, 

O Tugend! i 
in Wielands Dichtung „Die Wahl des Herkules“ im „Merkur“ III, S. 127ff., die 
nach der Angabe eines Sonderdruckes von 1774 am Geburtstage des Erb- 
prinzen Karl August von Sachsen-Weimar und Eisenach, 4. September 1773, 
aufgeführt wurde, war S. 156f. zu lesen: „Die Tugend an den durch- 
lauchtigsten Herzog“. 


Der Triumph der Empfindſamkeit (S. 141— 198). 


Zur Vergleichung herangezogen wurden die Handschriften und ihre von 

Herders und Goethes Hand herrührenden Verbesserungen: 

H! = Handschrift der Großherzoglich Sächsischen Bibliothek zu Weimar, 
jetzt im Goethe- und Schiller-Archiv. Mit der Aufschrift: „Aus dem 
Nachlasse Fr. H. Jacobis“. ; 

H- 4 — Handschrift des Goethe- und Schiller- Archivs 59 a- . — Der erste 
Druck ist 

8 Goethe's Schriften. Vierter Band. Leipzig bey Georg Joachim Göſchen. 1787. 
Darin S. 103 — 220. 

Wir benutzen im folgenden außer den in der Vorbemerkung angeführten 
noch die Abkürzung: 

Roediger = Nachträgliche Berichtigungen und Vermutungen Max Roedigers, 
des Herausgebers in N. 


Einleitung des Herausgebers (S. 143 —147). 


Goethes eigene Zeugnisse zur Geschichte des Stückes stehen namentlich 
in den „Tag- und Jahreshefien“: W, Bd. 35, S. 6, 2.6—17; in den „Tage- 


büchern“: II, Bd. 1, S. 47, Z. 1 bis S. 51, Z. 6; S. 54, Z. 7; S. 61, 21-16, 


Z. 25 bis S. 62, Z. 2. — WIP, Bd. 3, S. 170, Z. 7—10; S. 173, Z. 19 bis S. 177, 
Z. 21; S. 203, Z. 16; S. 214, Z. 15—20. Bd. 7, S. 229, Z. 13—16; S. 230, 2. 22 
bis S. 231, Z. 2. 0 

Über die „Proserpina“ allein vgl. WIII, Bd. 1, S. 86, Z. 12 fl.; Bd. 5, 
S. 146 und 148, S. 160 ff. 

Eingehendere Einzelschriften über das Stück sind: Heinr. Düntzer, Eine 
ältere Gestalt des „Triumphs der Empfindsamkeit“, VG St, S. 69—87, und Herm. 
Köpert, Über Goethes Triumph der Empfindsamkeit, im „Jahresbericht über 
das königliche Gymnasium zu Eisleben“, S. 1— 38 (1871). 

S. 143, Z. 10—12. Vgl. D , Bd. 13, S. 157, Z.14—16, und S. 286, E. 5 f. 

Z. 23 f. Vgl. „Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi, Bern von 
Max Jacobi, S. 55—59 (Leipz. 1846); „Briefe an Joh. Heinr. Merck“. Herausg, 
von K. Wagner, S. 180 f. (Darmst. 1835); H. Düntzer, Freundesbilder aus 
Goethes Leben, S. 30 ff. und 130 ff, (Leipz. 1853). 

S. 144, Z. 14f. „Kampagne in Frankreich“, Bd. 15, S. 410, Z. 30 — 32 
dieser Ausgabe. 

Z. 27 f. Fr. W. Riemer, Mitteilungen über Goethe, Bd. 2, S. 626 (Berl. 1841). 

Z. 34. In den „Erinnerungen aus dem Leben Joh. Gottfrieds von Herder“. 
Gesammelt und beschrieben von Marie Carolina von Herder, Teil 25 S. 231 
(3 Teile, Stuttg. u. Tüb. 1830). 75 


AR EIER * EN 8 ee 85 


— 


Der We ger Einpfindsamkeit = uam), . "ABB 


8. ls, Z. 9—11. Duntzer, N 0 St, S. 87, dachte an eine noch hinter der 

5 Fassung von Hl und 2, die 1777½8 ee Werden; Eduard von der Hellen, in 
dem von ihm e IP, Bd. 7, S. 330 zu Brief 2327, denkt dagegen 
an eine mehr opernhafte Bearbeitung, die erst 1786 vor (Is und) HA, die Grund- 
lage für 8, fiele. Gegen diese Annahme vgl. Roediger, W, Bd. 17, S. 312 f. 
Dagegen Hd Schröers Vermutung in Goethes „Werken‘, 6. Teil, 8. 401 f. (Berl. 
u. Stuttg. o. J. = „Deutsche Nationallitteratur“, herausg. von Jon; Kürschner, 


Bd. 87), etwas für sich, daß sich auf die ursprünglichste — wohl aber nicht 


sg gewordene — 1 das folgende Gedicht beziehe: 
Was iſt der Himmel, was iſt die Welt 
Als das, wofür eben einer ſie hält? 
Was hilft uns alle Herrlichkeit 
Ohne Seelenbehaglichkeit 
Und ohne Leibes Liebesleben? 
Was hilft euch alles Streiten u. Streben? 


Von dieſer großen Lehre durchdrungen N wo 


Habt ihr ein Liedlein hier vorgefungen 
Vom Prinz, er heißt — ich weiß nicht wie, 
Mit dem Zunamen Radegiki. 


Dieses Gedicht trägt die Überschrift Eiſenach den 12. September, also den- 


selben Tag, an dem Goethe Frau v. Stein meldet, daß er eine komische 
Oper „Die Empfindsamen“ erfunden habe und schon daran diktiere, und an 
dem er auch ins Tagebuch eintrug: Früh allein. Diktiert am Radegiki. So 
scheint also ursprünglich der spätere Oronaro geheißen zu haben. 

Z. 11f. So vom Kammermusikus Kranz in dem Briefe vom 16. Februar 
1778: „Grenzboten“, Jahrgang 32, Nr. 27, S. 1 (1873). 

Z. 17f. Düntzer, VG St, S. 70 vgl. mit S. 72 *. 

S. 146, Z. 26 f. Ein Verzeichnis solcher Monodramen bietet Schröer, 
Goethes „Werkes, 6. Teil, S. 408 (Berl. u. Stuttg. o. J. = „Deutsche National- 
literatur“, herausg. von Jos Kürschner, Bd. 87). 

S. 147, Z.18ff. Die Beziehungen zu K. Schröter erörtert näher Schröer, 
a. a. O., S. 405 — 408. 


2. 24 f. Vgl. z. B. Aue. Wilh. Schlegel in den „Vorlesungen über drama- 


tische Kunst und Literatur“, Bd. 2, S. 415 (Leipz. 1846), und bei Erich Schmidt, 
Ein verschollner Aufsatz A. W. Schlegels über Goethes „Triumph der Empfind- 


8 samkeit“, Festschrift zur Begrüßung des fünften allgemeinen deutschen Neu- & 


> Piilologentagen S. 77 — 92 (Berl. ch 


S8. 148, Z. 18. bie Roediger; fehlt W. 
S. 154, Z. 5. fie Roediger; fehlt W. 
Z. 22. geſcheiteſte Roediger Geſcheidt'ſte y. — 
S. 156, Z. 20. Halte! Roediger Halt! W. 
S. 157, Z. 5. Aufmerkſamkeit hat auf ſich ziehn können O W; hat mit den 
älteren Drücken und den Handschriften zu streichen, empfiehlt der Sprache 
jener Zeit gemäß Roediger. 
S.159, Z. 25. Kaſten Roediger gemäß S. 157, Z. 23, 25, 36, und S. 160, Z. 30. 
S. 162, Z. 19. eins Roediger eines M. 
Z. 30. unſre von Roediger vermutet nach einer Anderung Goethes in 
Hs unſere W. 
S8. 164, Z. 29. Grauſamkeit in Vermutung Roedigers Grauſamkeit, in W. 
S. 170, Z. 9. in Roediger im W. 


8. 02 Z. 7. ein hier and öfter statt chen W. 


rung blumenreiche zu lesen, wie ee der sonstigen n 
gung der Eigenschaftswörter in O, vgl. dieſe endloſen Tiefen S. 174, Z. 
auch Roediger mit C unbeanstandet läßt trotz Goethes eigenhändiger Ände | derung 
von endloſen in endloſe s. „ 
S. 176, Z. 8. Augenbraunen, Roediger Augenbrauen, W. e 
S. 177, Z. 28. goldenen Roediger goldnen W. f 
S. 180, Z. 2. du auch in H aufgenommener Nachtrag von nerder in 
Hs, fehlt W mit den Drucken. 22 
Z. 8. verſtießeſt? Verbesserung Goethes in Hs verſtößeſt? W mit den Drucke a 
S. 183, Z. 2. Kaſten, Roediger Kaſten W. e 
Z. 29. eröffnen Roediger öffnen O W. 
S. 184, Z. 37. verſchiednes in EH aufgenommene Verbesserung Gomes 
statt verſchtedenes in H°; vgl. unſre und unſere S. 162, Z. 30. 8 
S. 185, Z. 36. verleiht — ] gibt her. W, aber die von Goethe auf Gotumgs 5 
Vorschlag S. 152, Z. 4 und Z. 14, vorgenommene Anderung von gibt her, wie er 
ursprünglich geschrieben hatte, Ara hier nur aus Versehen ue eee sein. 5 
S8. 186, Z. 31. ein Roediger um. W. 
S. 189, Z. 16. poetiſch⸗theatraliſchen Roediger poetiſch theatralischen m EN 
Z. 32. recht Roediger rechte C . . 
S. 194, Z. 5f. verlieren — verſchwinden 1 A2 nach Reed erte — 
verſchwindet C W. 3 
S. 196, Z. 12. dir Roediger; fehlt . 


Die Vögel 6 199 — 230). 


Es wurden zur Vergleichung herangezogen die wichtigsten Abweichungen. 
der Bearbeitung von 1780 in den Handschriften: l 
HI = Handschrift der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha, Chart. B. 1804. Ge- 
f schenk Goethes an den Prinzen August von Gotha. a; 
H = Handschrift des Goethe- und Schiller - Archivs; Geschenk Goethes En 
die Herzogin -Mutter Anna Amalie. 
Außerdem sei für Morsch auf S. 452 verwiesen. 
Die Zeugnisse, die in Briefen Goethes und seines Freundes 
Geschichte der „Vögel“ vorliegen, sind am vollständigsten vereinigt bei WI. 
helm Arndt, Die Vögel von Goethe. In der ursprünglichen Gestalt heraus- 
gegeben, S. III xXXXVI (Leipz. 1886); ebenda, S. 1-47, liest man (am bequen 
sten) einen glatten Abdruck von Hi. — Aus den Worten von Goethes Mutte: 
an Anna Amalie vom 14. Juli 1780: „Auf die Weimarer Vögel bin ich außer- 
ordentlich neugierig und mich verlangt mit Schmerzen den Dialog zu hören wi 
zwischen einem Spatzen und einem Zeisgen“, schließt Arndt S. XII, daß Goethe 
der Göchhausen 1780 schon mehr als den 1. Akt diktiert haben müsse, weil 
in diesem ein Auftritt mit diesen beiden Vögeln feble; kaum mit Recht. Goethe 
selbst redet nie von mehr als dem einen Akt, und jene Worte sind sicher bloß 
lebendige Individualisierung durch die Mutter; oder wußte sie gar von des 5 
Sohnes Zeichen für den Herzog 2 (Zeus - Jupiter) und e 21 Zen 
freund und Hoffegut auf Goethe und Karl August? 


Einleitung des Herausgebers (S. 201— 204). 
8. 201, 2.8—10. Morsch, S. 10. 


8. ie; 2. 7 bis 8. 2065 2 Z. 8. Iden e Vergleich. x zwischen 
Aristophanischen und dem Goethischen Stück bieten Morsch, S. 11—13, 
nd H. Köpert, Über Goethes „Vögel“, im Jahresbericht des- Filedrichs- 
ymnasiums zu Altenburg, Ostern 1873. Max Morris, Goethe-Studien, 
Bd. 1, S. 292—309 (2. Aufl., Berl. 1902), möchte in der endgültigen Fassung 
Ir sogar kast ausschließlich Satire gegen literarisches Berliner- und Keane 2% 
‚erweisen. : 
8. 203, Z. 15—19. Diese Auffassung als ein Typus zuerst in Julian 


testen bei Arndt, S. XV—XXV. | 
5 Z. 29 — 34. Diese Deutung der „Vögel“ auf das lesende Publikum gibt 


tember 1786, mit den Worten: Alsdann gehts an die „Zueignung“, und ich weis 


namentlich auf die in Frankreich erhobenen kommunistischen Forderungen 


Werke, S. 290 (Königsb. 1847), und J. W. Schäfer, Goethes Leben, Bd. 1, 
S8. 354 f. (8. Aufl., Leipz. 1877), vertraten. Auch der Vorwurf der mangelnden Ein- 


Köpert, a. a. O. S. 46, erheben, wird unserer wesentlich rar auch das 
Verstummen des Schuhu erklärenden Auslegung gegenüber nichtig erscheinen. 


8. 204, Z. 31— 35. Vgl. Morsch, S. 15f. 


8 S. 206, Z. 1. der — pigerrimus, ] das Lichen ejulans foliis acaciae sarsum 
protuberantibus apicibus inflewo reticulosis H. ee 
Z. 3. zerſchellert. HI mundartlich treffender = durch Aufschlagen wie 
gebrochen. ; 


es in diesen oder in der Umschrift 1786 nur übersehen worden zu sein. 

Z. 11. mit Leuten Arndt in den Lesarten von W mit den Leuten WB O. 

8. 210, Z. 9—12. Dafür Treufreund. Da können Sie ja ehſter Tage 

> einen Briefwechſel herausgeben? Papagei. Es wird ſich ſchon finden. A. Eine 

5 deutliche, 1780 von Goethe nicht mehr beliebte Beziehung von der ursprüng- 
lichen Anlage her. Sie ging entweder auf Karl Friedrich Cramer, der schon 

Veröffentlicht hatte: „Klopstock. In Fragmenten aus Briefen von Tellow an 

Elisa“ (Hamb. 1777), und von dem 1780 zu erscheinen begann: „Klopstock. 

Er und über ihn“ (bend). Oder — nach Morris a. a. O., S. 299 ff. — auf August 

Ludwig Schlözers „Briefwechsel meist historischen und en Inhalts“, den 

Goethe in dem Brief an Lavater vom 13. Oktober 1780 das Unternehmen eines 

ſchlechten Menſchen nennt, während er den Herausgeber später — zur Zeit des 
ersten Druckes, 1787 — hatte persönlich kennen und schätzen lernen. 

, . 1¹ bis S. 212, Z. 12. Dafür in H. 

5 N Hoffegut Nun eben eine Stadt, wo mir einer auf dem Marckte begegnete, 
und mich anführe und ſagte: Was, Herr, iſt das erlaubt, iſt das ein Freundſchaft⸗ 
ſtück, in acht Tagen ſich nicht einmal bey mir zu Gaſte zu laden? meine Capaunen 

nicht verzehren helfen? meinen alten Wein zu verſchmähen? Ich muß wahrhaftig 

bitten, mein Herr, daß ſie ihre Aufführung ändern, ſonſt kann's nicht gut gehen. 

Treufreund. So eine Stadt, wo mich ein alter würdiger Greis in der 
Allee beym Lippen kriegte, und mich zur Rede ſtellte und ſagte: Was, ihr belohnt 

meine Wohlthaten ſo! Habe ich euch darum einen Eintritt in mein Haus erlaubt? 


pl der Empfindsamkeit bed bn Vz N uam) 45 . 1 = “ © 


Sebmidts „Goetheana“: „Im Neuen Reich“, Nr. 24, S. 939 (1880); am e & = 


‚Goethe selbst untrüglich in einem Briefe an Karl August, wohl vom 18. Sep- 


ſelbſt noch nicht was ich denen Avibus jagen werde. Die Briefaufschlüsse vor. a 
allem machen auch die Beziehung des Stückes auf politische Verhältnisse, Er? 


hinfällig, wie sie ehedem namentlich K. Rosenkranz, Goethe und seine 


beit, den infolge halb literarischer, halb politischer Deutung H. Kurz, Geschichte a 
dier deutschen Literatur, Bd. 3, S. 409 (7. Aufl. 1876—82, 4 Bde.), und auch 


S. 210, Z. 1. fo fehlt W mit den Drucken; in H vorhanden, scheint 


458 \ Anmerkungen des — % a 5 
A x 75 1 Sees 1 Fe: 


da hab ich meine Tochter, das allerliebſte Mädchen! gabs ich euch nur barum 65 
ihr allein gelaſſen, daß ihr ihr ſo begegnen ſollt? Der arme Tropf kommt zu 
mir, weint und ſchluchzt und ſagt: ach lieber Herzenspapa, bedenkt nur, er hat 
mich nicht einmal geküßt, nicht einmal geherzt, nicht einmal — ach, daß das arme 
Kind vor weinen nicht fortreden kann! — Pfui, fährt der Alte in einem geſezten 
Tone fort, das hätte ich mir von euch nicht verſehn! beſchimpft mich nicht ſo zum 
zweitenmale, wenn wir gute Freunde bleiben ſollen, wie ich's von eurem ſeeligen 
Vater geweſen bin. 
Hoffegut. Und wo wider Vermuthen ein beſcheidner, ſauber gekleideter 
Mann in mein Zimmer träte und mich ſehr um Vergebung bäte. Ich bin ihnen 
doch nicht beſchwerlich? ſagt' er „Im geringſten nicht“, ſagt' ich. — Ich habe was 
vorzubringen, wenn fie mir's nicht übel aufnehmen, jagt’ er: „im geringſten nicht“, 
ſagt' ich. — Es iſt eine Kleinigkeit, ſagt' er: „Oh deſto beßer“, ſagt' ich. — Aber 
ich muß überzeugt ſeyn, daß ſie deswegen nicht ſchlimmer von mir denken werden. 
„Oh ganz und gar nicht.“ — Daß ſie nach wie vor mein Freund ſeyn wollen? — 
„Auf alle Weiſe.“ — Nun ſo wag' ich's. Ich habe hier 200 Stück Louisd'ors; 
ſie ſind warlich vollwichtig! darf ich ſie ihnen anbieten? Ich wüßte nicht bey wem 
ſie ſichrer wären. Ohne Hypothek! ohne Verſchreibung! ohne Wechſel! aber ich 
bitte ſie ums Himmelswillen, unter zehn zwanzig Jahren denken ſie mir an keine 
Rückzahlung. 
Treufreund. Und wenn mir nun irgend für ein Werk des Genies 5, 6, 
800 Louisd'ors geradeswegs vom unbekannten unaufgeforderten Publiko ins Haus 
geſchickt werden, und ich nicht mehr ein Schuldner des kleinen Bürgers ſeyn will, 
und zu ihm ſchicke: läßt er ſich verläugnen — Ich begegne ihm und er weicht mir 
aus — ich will ihn verklagen, daß er's annehmen ſoll und muß, und finde keinen 
Advokaten der ſich meiner ungerechten Sache annehmen mag — wenn ich zuletzt 
genöthiget bin, es ad pias causas anzubieten, fo einem hübſchen kleinen Mädchen, 
die gute Geſellſchaft aufnimmt, und, was mich zulezt ganz außer mich ſezt, auch 
die wirft mir's vor die Füſſe, ſchickt ein paar Meßfremde fort, und behält mich 5 
wahrhaftig vom Freytag in der Zahlwoche bis Sonntag bey ſich. WG 
8. 215, Z. 8. die Arndt in den Lesarten in Wein BO OI N. 3 
8. 218 Z. 12 — 16 fehlt H. 
S. 218, Z. 17. fo Arndt in den Lesarten in W aber B OO . er 
8. 219, Z. 2. euerm die nach Arndt sonst maßgebenden Drucke; eurem 
BCC!W, doch unſerm S. 218, Z. 30; vgl. auch euers S. 218, Z. 21; euern 8.218, 
Z. 17, S. 219, Z. 14, S. 221, Z. 15, 8. 228, Z. 31; euerm S. 219, Z. 2, 8. 221, 2175 
8. 229, Z. 6. 
8. 220, Z. 25. Angeſichte Arndt in den Lesarten in W Geſichte BOC!M. 
8. 223, Z. 17. geſehen W gegen H bis O1. 2 
8. 228, Z. 28 bis S. 229, Z. 4 fehlt H. u 
8. 229, Z. 13 ff. noch die Versabteilung in einem Briefe an Merch BR 1 
Bd. 4, S. 946 — 249. 1 


Revolutionsdramen (Bruchstücke; S. 231 — 294). 
Die Aufgeregten (S. 231 — 282). 


Es wurden noch berücksichtigt (nach den Lesarten in W): 
HI = Handschrift von Götzes Hand, im Goethe- und Schiller - Archiv. 
H? = Handschrift ebenda, die auf H 1 fußt und von Goethe durchkorrigiert ist. 
B, Bd, 10, S. 317 —395, und B!, Bd. 10, S. 351—436: Die Aufgeregten. Poli⸗ 0 
tiſches Drama in fünf Acten. 


— 


25 


Die A nn — Die 3 . 283 — 276). 459 


Wir benutzen im ee noch die Abkürzung: 


N Re = Nachträgliche Vermutungen und Berichtigungen Rudolf Koegels 


in den Lesarten W, Bd. 18. 


Einleitung des Herausgebers (S. 233 — 236). 


8. 233, Z. 2. W, Bd. 35, S. 24. 

3 234, Z. 29— 32. e einer neuen Ausgabe von Goethes Wer- 
ken“ im Intelligenz -Blatt zum „Morgenblatt“, 1816, Nr. 1 (im Goethe- Archiv). 
Bd. 25, S. 288 ff. dieser Ausgabe. 

2.33. WIr, Bd. 5, S. 119. 
8. 234, Z. 35 bis S. 235, Z. 11. „Der Politische Kannegießer“ und „Hexerei“ 


a: „Holbergs Ausgewählten Komödien“, aus dem Dänischen von Rob. Prutz 


(Leipz. o. J., 2 Bde.). Daß Goethe schon in Leipzig wahrscheinlich durch Gott- 


Sscheds „Deutsche Schaubühne“, Teil 3, mit Holberg bekannt geworden ist, 
zeigt L. Geiger im „Jahrbuch“, Bd. 7, S. 125 (1886); wenn dieser Goethes Be- 


kanntschaft mit der „Hexerei“ nachweist, so bezeugt C. A. H. Burkhardt, 
Das Repertoire des Weimarischen Theaters unter Goethes Leitung, S. 4 und 
S. 116 (Hamb. u. Leipz. 1891), den Versuch Goethes, auf der von ihm gelei- 
teten Bühne den „Politischen Kannegießer“ heimisch zu machen. 

. 8. 235, Z. 36 ff. „Goethe, Die Aufgeregten. Politisches Drama in fünf 


Akten.“ Ergänzende Bearbeitung von Felix v. Stenglin (Berl. 1897). Die An- 

gabe Prems, Goethe, S. 506, Anm. 144 (3. Aufl., Leipz. 1900), von einer tat- 
schlichen Aufführung am 16. Januar 1898 am Berliner Hoftheater scheint auf 
Irrtum zu beruhen. Auch Karl Braun- Wiesbaden, der in der „National-Zei- 


tung“, Nr. 303, 307 und 309 (1883), in einem Aufsatz „Goethe in Krieg und 
Politik 1791 und 1792“ das Drama analysiert, empfiehlt seine Aufführung. 


S. 243, Z. 31. zurechte, Koegel vgl. S. 242, Z. 28; zurecht ZI. 
S. 245, Z. 22. mir fehlt B bis W, Einfügung aus H empfiehlt Koegel. 
S. 248, Z. 3. in E151 01 Koegel im H2 W und die meisten Drucke. 
S. 250, Z. 5. Burgemeiſter empfiehlt Koegel aus H vgl. mit S. 243, Z. 7; 
Bürgermeiſter B bis W. 
5 8. 255, Z. 13. an dem Wege E, für das sinnlose an dem Wagen B bis 0 


vermutet Koegel Fehlerhaftigkeit der Vorlage. 


S. 258, Z. 20. Nach gehen mehrere Seiten frei HI, Lücke durch... an- 


i gedeutet 2. 


S. 261, Z. 4. eheſter Tags ] eigenhändige Verbesserung Goethes 4? B! 


eheſten Tags die anderen Drucke. 


8. 262, 2.6. Aufzug und Auftritt brechen hier unvollendet ade 
S. 262, 2.7—9, und S. 263, Z. 21 bis S. 264, Z. 31 fehlt HI, S. 262, 


4.10 bis 8. 263, Z. 20 steht in HI hinter Hirſch ſchießen (8. 276, 2. 28). 


S. 264, Z. 12. allem dieſem 72 allem dieſen 1 Wund die Drucke. 

Z. 23. allem dieſem 1 02 allem dieſen B allen dieſem 42 Wund die Drucke. 
8. 268, Z. 26 f. Vermutung Koegels aus Hl; fehlt sonst. 

S. 275, Z. 24. Nach bevorſteht H! Raum and Ausfüllung einer Lücke 


gelassen. 


S. 276, Z. 3— 17. Dafür H! folgendes: 
5 Friedr. Gehſt Du ſchon heute wieder zurück, Jacob? Du könnteſt wohl 
die Nacht hier bleiben. 

Jakob. Ich muß nach Hauſe, gnädige Gräfinn: ſo klein mein Haushalt iſt, 


ſo giebt er mir doch immer zu thun. 


Friedr. Es iſt aber recht böſer Weg, Jacob. 


Jako Wer von den 

8 ſeben wie ſie will. 5 . 
Friedr. Nun, ſo leb wohl. ö a 

g Jakob. Und wenn Sie mich einmal gnädig b 

kommen doch da immer am Bach her und gehen hernach leich die 

auf, wenn Sie nun rechts ein paar tauſend Schritte weiter gingen, a 
Ei in meinen Hof, und was da tft das ſteht zu Befehl. Es ift ſreylich | 

Friedr. Nun ich will kommen Jakob; leb wohl. 
ER 276, 2. 25. Danach H! S. 262, . 7 bis 8. 263, 2. 20 


Das haben Sie wahrhaftig recht hübsch gejagt. da haben Sie 00 0 e 
zum en Ben 


Schiller. Archiv. 
a des 1 (S. 283 — Lesch. 


ar 


Goethes „Mädchen von Oberkirch“, in den „Nachrichten von der Kön 
‚schaft der Wissenschaften zu Göttingen, philologisch-historische Kl: 
Jahre 1895, 8. 492—514. Er setzt für die Entstehung 1795 oder 1796 an; 
Schmidt, „Cosmopolis“, Bd. 1, S. 243 f. (Berl. 1896), ähnlich die Mit 
„00.0... „meunziger Jahre; L. Geiger, Gasthe und die französische Rev on 
re gemeine Zeitung“, 1895, Beilage 299 vom 28. Dezember), verlegt 
11793, Anfang 1794 RE sicher zu früh gegenüber der Wahrsche 
daß der Reichardtsche „Revolutions- -Almanach“ von 1795, 8. 329 ( it 
bey J oh. Christian Dieterich), zu Goethes literarischen Quellen gehört ha 


Balblellangigeschiche, Plan, Zeitbeziehungen bietet Ga Roet 


;  Ditersturen“, Bd. 111, 8. 170 f. (1908), der auch eine gewiß tige 
1 aus Immermanns 8 Pygmalion“ nachweist. : : 


1 8. 288, Z. 20. neue fehlt W. FR 
8. 289 ’ 2.8. wieder fehlt W. 


1 zu befriedigt. 
8. 292, Z. 21. werden? Z werde f W. 


Baroneſſ * Baron 


— Baron 

— — Manner 

Br — — Sansk. 
5 N 25 — x 0 ens 2. 5 


Baroneſſ. Marie. 
— Bar Manner. 


5 Barone Baron 15 
Marie. 


Hanke: 
Marie. 
Marie. mit dem Blat. 

Die Municipalität. 


Das Münſter. 


Anrede als Vernunft 0 0 


F mabetung 
Re Angeboten () Gemahl. 
Amwendung. 


Gefangennehmung 
Er 


Maire Bar. Manner 
Berathſchl ſie zu retten 
Sanc. dazu. 


a 165 Goethes Theaterleitung in Weimar ae 1863, 2 51 8 0. 
. Burkhardt, Das Repertoire des Weimarischen Theaters unter Goethes 
1791—1817 = t hichtliche Forschungen. Herausg. von B 
„Bd. 1 (Hamb. u. Leipz. 1891). Julius Wahle, Das Weimarer Hof- 
r unter Goethes Meng = Schriften der Goethe- e BU 6 m 


208, Z. 20. Karl Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen. 
„B 1 8. 558 2. Aufl., Dresd. 1891). 


rische Blätter, S. 609 fl. (1834), und: Intelligenzblatt zum ergebe, 
Härz ag 


462 Anmerkungen des Herausgebers. 5 15 2 


S. 302, Z. 12—17. Vgl. „Briefe von und an Goethe.“ Herausg. von, Fr 
W. Riemer, S. 155 —162 (Leipz. 1846). . 
Z. 22 f. In W. Bd. 13, Abt. 2, S. 202 — 206. Ähnliche Weisungen für a. Ri 
Darstellung anderer Vorspiele ebenda, S. 208 f., 231 — 233. 1 


S. 317, V. 15. närriſcher W, berichtigt in den Lesarten. 


S. 339, Überschrift, Luſtſpiel gemäß S. 339, V.8, und Erstdruck im „Journal des 725 ® 4 


Luxus und der Moden“ Nov. 1793, S. 581; ; Schauſpiel W mit den anderen Drucken. 


Maskenzüge (S. 355 —440). 


E = Maskenzug. Zum 30. Januar 1809. 16 unpaginierte Seiten im Goethe- 
und Schiller-Archiv. 8 

DM = Heinr. Düntzer, Goethes Maskenzüge: Erläuterungen zu deutschen 
Klassikern, Bd. 82 und 83 (Leipz. 1886). Hier S. 92 f.: Quadrille italieniſcher 
Tänzer und Tänzerinnen zum 16. Februar 1810. 5 5 


Aufzug des Winters (S. 369-371). Vor V. 71 ist in einem Druck hinter 
Studium beigefügt: In einem Großvaterſtuhl ſitzend von einer Eule gezogen. 

Aufzug der vier Weltalter (S. 372). Hierzu gibt es eine jetzt im Goethe- 
und Schiller-Archiv befindliche Anweisung von Knebels Hand (vgl. auch W IV, 
Bd. 5, S. 272, Z. 9 — 14): 


Aufzug der vier Zeitalter. 
Damen. 
Das goldne Alter. 


Weiß und Gold, ſimpel im griechiſchen Geſchmack. Sonne auf dem Haupte p. und 5 a 


Zwei Knaben 25 a) 
in weißen Kleidern mit goldnen Säumen und Gürteln, einer mit rothen, der en 
mit weißen Roſen bekränzt. 
Das ſilberne. 
Blau mit Silber, mannichfaltigere Tracht, zum Hauptſchmuck einen ſilbernen 
Mond. Begleitet von der 
Fruchtbarkeit, grün und gelb, mit einem Füllhorn. 
Zwei Knaben, 
einer wie ein kleiner Bacchus, der andere wie ein Apoll gekleidet. 


Herren. 
Das eherne Alter. 5 
Königliche Tracht. Roth mit Gold, Krone, Scepter begleitet von der 
Sorge, ein Alter, mit Ehrenzeichen und Maaßſtab. 


Zwei Knaben, 
der Ehrgeiz, mit goldnen Adlerflügeln, gezieret mit Pfauenfedern, 
der Geiz, ein Alter, mit Geldſack auf dem Rücken. 


Das eiſerne. 
Kriegeriſche Tracht. Begleitet von der 5 
Gewaltthätigkeit, mit Tigerfellen, eine Fackel, mit Schlangen umwunden 
und Ketten. 
Zwei Knaben, 
feuerfarb und ſchwarz, mit Schwertern und Fackeln. 
Die Zeit. i 1 


. den 1 geht in Fete ordnung 5 die Schranken: 
e Die Zeit. 
ER Zwei Knaben. 
Das goldne Alter mit der Freude. 
Zwei Knaben. 
Das ſilberne mit der Fruchtbarkeit. 
Zwei Knaben. 
Das ehrene mit der Sorge. 
Zwei Knaben. 
Das eiſerne mit der Gewaltthätigkeit. 


Ä Das Ballet. 

Die Knaben des goldnen Zeitalters fangen mit einem leichten, angenehmen, 
ſanften Tanz an. 

Die des ſilbernen geſellen ſich dazu, machen Freundſchaft und verleiten 5 
nach und nach bis zur ausgelaſſenen Luſtbarkeit. 

Die des ehrenen treten gebieteriſch auf, ſtören ihre Freude. 

N Der Ehrgeiz verlangt, daß ſie ihm folgen ſollen. Sie ſchlagen's ab. Er 
ruft den Geiz, der ſeinen Sack bringt. Die vier erſten ergeben ſich, nehmen Geld, 
es werden ihnen goldene Ketten umgehängt, ſie tanzen zu fünfen, den Ehrgeiz 
verehrend, nachher den Geiz liebkoſend. 

Die des eiſernen treten auf. Mit Furie zerſtreuen ſie die andern und über⸗ 
wältigen ſie. Alle werden ihrer Attribute beraubt. 

Die Zeit tritt auf, ſchlichtet den Streit, beſänftigt die Wütenden, giebt jedem 
das Seinige wieder u. heißt ſie einen gemeinſamen Tanz aufführen. Dies thun 
ſie; indeſſen geht ſie herum, die Hauptpaare aufzurufen, dieſe tanzen zuletzt eine 
Quadrille. — 

Die Abweichungen zwischen diesem Programm und dem Aufzug, S. 372, 
erklären sich wohl daraus, daß Goethe für die Ausführung zu vereinfachenden 
Änderungen genötigt worden war. Goethe war nach dem Briefe an Frau 
v. Stein vom 12. Februar 1782 des Karnevals damals besonders überdrüssig. 


Amor (S. 374f.). Anmerkung zu V. 24. Das Ballet, von Fräulein von Göch- 
hausen („Briefe von und an Joh. Heinr. Merck“, S. 199 [Darmst. 1838]), und 
Karl August („Karl Ludwig v. Knebels Literarischer Nachlaß und Briefwechsel“, 
Bd. 1, S. 133 [2. Aufl., Leipz. 1840, 3 Bde.), das „Comedie-Ballet“, von Goethe „Der 
Geist der Jugend“ genannt, an dessen Schluß der Amor aus einem sich öffnen- 
den Felsen heraustrat, ist am 30. Januar im Theater gegeben worden und nach 
folgendem, am 9. März 1782 (WIP, Bd. 5, S. 277) abschriftlich an Knebel 
geschickten Programm verlaufen: 


Pantomimiſches Ballet 
untermiſcht mit Geſang und Geſpräch. 
Erſter Akt. 

Wald, Nacht, im Grunde ein Berg. 


Vier Bauern mit Axten und Wellenbündeln kommen heraus, machen 
Pantomime von vollbrachter Arbeit, ergötzen ſich unter einander, eſſen, trinken 
und tanzen. 


464 f 0 5 Anmerkungen des derbe. 


Ein Zaubrer erſcheint =” 9000 Felſen und iſt me d 
finden. Er erregt ein Donnerwetter und ſie entfliehen. 4 5 5 

Eine Zauberin kommt auf einem Wagen durch die euft beben, 
begrüßt den Zaubrer. 

Zaubrer. 

Sei mir gegrüßt, die du zur guten Stunde von deinen fernen PT 
kommſt. Uns führt hier ein gemeinſam Werk zuſammen. Gar nöthig ift ben 
Menſchen, wie den Göttern, und uns, die wir zwiſchen beiden ſtehn, wenn die 
gerechte Zeit zu einem lang bereiteten und lang gehofften Werk herannaht, auf: 
zumerken. Drum laß uns heut vereint das unſre thun; wenn wir auch ſonſt 
auf Höhen und in Lüften uns zu vermeiden pflegen. Zwei mächtige Nachbarn FE 
find ſelten ruhig, keiner bringt dem andern Vortheil. Doch wenn fie auf Augen 
blicke zu einem großen guten Werke ſich verbinden, dann nützen ſie, gewaltſam a 
eilend, der Welt und ſich. Be 

Zauberin. „ 

Dies werd' ich nicht verkennen. Ich bin bereit, was auch von Altersher 
uns manchmal trennen mochte, in dieſem Augenblicke, als ſpülten Meereswellen 
drüber her, gern zu vergeſſen. Ich weiß es wohl, mir künden es der Sterne i 
geheimnißvoll verſchlungne Reihen an, die Stunde naht, wo wir für uns und 
viele ein feierliches Glück bereiten können. Was wir durch manche Zeiten, ferne 
Länder, auf hohen Felſen und in düſtern Thälern, aus Kräutern und aus Steinen 
an geheimen Kräften, ſondernd, zuſammenhäufen, iſt wenig, iſt ohnmächtig gegen 
das, was heute leicht ſich offenbaren ſoll. 
5 Zaubrer. 

Noch fürcht' ich, iſt der Zorn des hohen Geiſtes mit dem er uns verfolget, Si 
nicht getilgt. Kaum hoff ich, daß er uns vergönnt, das ſchöne Leben zu 8 BE 
das wir jo manch Jahrtauſend ſonſt genoſſen. ve 


Zauberin. 

Ach dieſer Strafe, mit der er uns belaſtet, gleichet keine. 85 rechte nicht, 
ob wir ſie wohl verdient, ob ſie zu hart war? Uns, die wir ſonſt mit ewigem 
Göttervorrecht, der Jugend ſchöne Zeit nie Überſchritten, die wir ein unverwelkend 
Reich bewohnten, uns ſehen wir verdammt zu altern, zu verfallen, und ohne 
daß der Tod, den Menſchen gnädig, uns ſeine Arme hülfreich bieten könnte. 
Entzückt gedenk ich jener Zeiten die vorüber ſind, und mit Entſetzen der Stunde, 7 
da er den Balſam der Unſterblichkeit aus allen Lüften, mit einem Wort, ge⸗ 
waltſam in ſich ſog, und in die tiefſte Gruft verſchloßner Steine den 2 . 
der ewgen Jugend bannte. 


Zaubrer. ei 8 
Den zu befreien uns gelingen wird; denn die Jahrhunderte des Ba 5 
ſind vorbei. Das Alter, das uns mit ohnmächtiger Stärke gefeſſelt hält, wird 
ſeinen Raub unwillig fahren laſſen, und, wiederkehrend, wird die a: mit 5 
der Freude, den leichten Tanz um unſre Häupter führen. 7 S 
Zauberin. 8 

So laß uns wohlbedächtig, an das Werk vereinte Geiſter rufen; denn, ver⸗ 
bunden, wird die Kraft mit jedem Schritte größer. Laß uns auch dem Geſchlecht 5 
der Gnomen, von dem wir ſeiner Unart wegen, uns ſonſt enthalten, heut gefällig 
ſeyn; denn ſie ſind Kerkermeiſter unſers Glückes. Ich ſpüre ſchon, ſie nahen emſig, 
die Armen mit uns gleich ins Alter eingekerkerten. Sie nahen ſchnell und N 5 

alle Kräfte, das längſt gehoffte Glück heut zu ereilen. 

(Von der Höhe des Felſens und noch ſonſt her aus dem Walde kommen 
alte Weibchen, die ſich nach und nach zu dem Zaubrer und der N 
geſellen und ſehr vergnügt ſich mit ihnen beſprechen.) 


Bang 3 N 
Rn vr ur e 27 er ſeh ich euch nach langer ande gut in abe ohe, wie 
ne ihr mir nie erſcheinen ſolltet! . 
8 Zauberin. 
. gift du's Arſinoe, die du fo jung und ſchön, dem baten Smet he 
geg. durch Wieſ' und Wälder irrteſt? biſt du es Lato, die ſo ſanft und ſchlank, 
der Geiſter Freude warſt, wenn du, Aurorens ſchöne Thränen ſammlend, wohl⸗ 
thätig, welkender Blumen lechzende Kippen erquickteſt? Wo iſt die Jugend hin, 
8 die euch und uns entzückte? 
Ne Zaubrer. 
D hartes Schicksal! allzuſtrenger Schluß. 


Zauberin. 
Sagt mir, bin ich denn auch ſo alt und ſo verfallen? 
Zaubrer. Sr 
Er Der Zaubertrank, durch den die Zeit verwandelt, ift aus der Quelle Lelhes 
5 ſanft gemiſcht. N 

. Zauberin. 


Gleich ich mir auch nicht mehr, ſo wenig ihr euch gleicht! 


Zaubrer. 
Doch trauert nicht! was alles wir gelitten, was wir erduldet. 


Zauberin. 


wir rufen. In dieſen Felſen liegt geheimnißvoll das Glück verſchloſſen, das uns 
allen fehlt. Den Gnomen ruf ich auf und bitt' euch, ſeid bereit, was unſer Vor⸗ 
theil euch gebietet, ſchnell zu thun. 5 
(Sie erfreuen ſich in einem Tanze dieſer Nachricht. Die Beſchwörungen 
gehen an. Es thut ſich ein Ende des Berges auf und der Gnome kommt her⸗ 
vor. Tanz des Gnomen, worinnen er den Zaubrer und die Feen bewill⸗ 
kommt und was ſie befehlen fragt.) 


8 Zaubrer. 
8 Es iſt genug! Statt deiner ſeltnen Sprünge, bezeige dich bereit zu thun 
was wir gebieten. 
8 Zauberin. 
= Wir kennen deine Höhlen, die wir nie betraten, und die verworrenen grauſe⸗ 
vollen Klüfte, ſo gut, als hätten wir den Schoß der Erde mit euch, ihr Gnomen, 
ängſtlich durchgeſpäht. Ich weiß, in einer Gruft wo Gold und Silber und edler 
Steine Säfte von den Wänden triefen, und die unholde Finſterniß mit heiligen 
W Himmelsfarben zieren, dort liegt ein Stein, der nie an dem Gebürg gehangen, den 
kein Eiſen je berührt, der undurchdringlich iſt, bis daß die Sterne, küfnimnen: 
treffend, ſelbſt den geheimen Knoten löſen. Wie ihn die Götter nennen, wag' ich 
nicht zu ſagen, wenn ihn ein Sterblicher erblicken dürfte, wie er, gleich einer 
glühenden Sonne Strahlen um ſich wirft, er würde, tief verehrend, was von Kar⸗ 
funkeln das Alterthum erzählt, mit ſeinen Augen anzuſchauen glauben. Zu dieſen 
Steinen öffne dieſen Frauen dein Geiſterchor die lang verſchloßne Höhle. Du 
weigerſt dich, du ſchwankſt? Du weißt, ich kann und darf in dieſem Augenblick 
befehlend ſprechen, du weißt ich kann dir drohn. Willſt du mich hindern, ſo ſag 
ſitch dir, die größte Pein mit der ein Gnome, deines Gleichen, je beladen ward, 
je ich auf dich. Statt ſich vor dir zu öffnen ſollen der Erde Höhlen fih auf 
dir knirſchend ſchließen und, zwiſchen zackigte Kriſtallen eingequetſcht, ſollſt du Jahr⸗ 
hunderte die morſchen Glieder zucken. Was gährend Beizendes von ſcharfen Säften 
der Erde ſtarre Adern durchquillt, will ich tropfend auf deinen Scheitel ſammlen 


Goethe. XVIII. 30 


Bereitet euch zu einem großen Werke und ſeid den Gnomen dees bie 


466 Anmerkungen des ä A 


und ftatt des Balſams deinen Wunden, ſoll ehrte Qual dich abend peinigen. 


Und wirft du je befreit, jo fol ein ſchlimmer Loos noch auf dich warten. Dem 25 
Menſchen, der an deinem Heiligthum begierig naſcht, den du verſcheuchſt und . 


dem Fliehenden ausweichſt, will ich zum Knecht dich übergeben; dort ſollſt du, in 


die Waſſerräder eingeſchlungen, die langbewahrten Schätze, unwillig ſelbſt zu Tage Bar 


fördern helfen — Erzittre du! doch nur vor meinem Zorne, denn biſt du willig 
und behülflich, ſo ſoll ein herrlich Mahl dir und den deinen bereitet werden, des 
Waldes ſchöne Nymphen, die vor euch fliehen, ſollen an euren Sitzen ſtehen, und 
euch aus goldnen Bechern ſüßen Wein mit einem ſüßern Kuſſe reichen, und eine 


dieſer Nymphen, die du wählen darfſt, ſoll dir als Gattin folgen, daß du drinnen 


jemand habeſt, der für dich ſorge, mit dem du deine Schätze theilen mögeſt, wenn 


fie der Liebe reichre Freuden mit dir theilt. Dies ſcheint dir zu gefallen. Geh! 


gebiete den deinigen, die Stunde naht, und fürchte das Verſäumniß! 
(Auf des Gnomen Wink öffnet ſich der Berg. Man ſiehet Berggeiſter, 

die mit ihren Lämpgen in einer Höhle vertheilt ſind, um blinkende Erzadern 
auszuhauen. Die Höhle iſt übrigens dunkel. Auf Befehl des Gnomen kom⸗ 
men fie hervor und halten mit ihren Grubenlichtern und Werkzeugen, welche 

ſie hernach den Feen überreichen, einen Tanz. Dieſe tanzen aldann wieder 
vor ſich, die Geiſter holen fi andere Lämpgen und Werkzeuge und tanzen mit 

den Feen zu achten. Hierauf ziehen ſie mit einer feierlichen Muſik mit den 
Gnomen in den Berg hinein.) 


Zweiter Akt. 


Zauberin. 
Ich irre nicht, er ruft mich zu ſich her. Hat er vollbracht, was unſre Wunsche 
ſind? Bedarf er mein? ich fühl' ihn in der Nähe. 2 


Zaubrer. 

Gedantenſchnelle Freundin, begonnen iſt's nun. Des Gnomen Widerwille war 
gar bald beſiegt und unſere Feen ſind mit ſeinen Geiſtern auf die geheimnißvollen 
Wege eingegangen. Nun bitte ich dich, um unſer Wort zu halten, befehle du den 
Nymphen dieſes Waldes, die dich verehren, deiner Stimme gerne gehorchen, daß 
ſie ein herrlich Mahl bereiten, und die Gnomen, die uns ſo große Dienſte fördern 
müſſen, nach dem vollbrachten Werke gern bedienen. Entfernt ſei jeder Fußtritt der 
Unheiligen! Iſt es gethan, ſo find ich dich bei unſern theuren geheimen Erlen wieder! 


Zauberin. 
Es ſoll geſchehn, was du von mir verlangſt, und bald! Drum lebe wohl! 
(Zaubrer ab.) 
(Auf ihren Wink ſteigen aus der Erde vier weibliche 1 in . 
ſchöner Nymphen.) 
Zauberin. 
Ich grüß euch Geſtalten 
Der nächtlichen Zeiten! 
Und heiß euch den Gnomen 
Ein Gaſtmahl bereiten. 
Erwartet Belohnung 
Und freundlichen Dank! 
Befehlet die Tafeln 
Den Geiſtern der Höhlen, 
Sie gehorchen euch gerne 
Und laſſet nichts fehlen 
An Speiſe und Trank. 


e 6.3) en e 


. Ihr föeint verwundert, daß ich euch zum Dienfte unholder Geiſter Tabe 

Doch wird euch ſelbſt Unangenehmes leidlich, da ihr mir's thut, der ihr gewogen 

ſeid. Was ich zu eurer Freude wieder kann, verſäum' ich nicht. Ich wende Blitz 

und Schlag von euren Eichen weg, ich ziehe der mächtigen Sonne gelinde Wolken 

vor, um eure zarte Pflanzen zu beſchützen und zwinge ſelbſt dem ehrnen Mittag 

wohlthätige Regenſchauer ab. Vielleicht vermag ich bald was ſchöners noch zu 

thun. Ihr ſeid zwar glücklich in geſelliger Jugend, doch leidet wohl die Stunde 
die ſich naht den Freundinnen auch 5 zu verſchaffen. 

(Ab 
(Tanz der Nymphen, worinnen Fi fih zu dem Werk aufmuntern. Sie 
ſchlagen an die Seite des Berges und es kommen acht Geiſter hervor. Sie 


ſteigen auf beiden Seiten zwei Schenktiſche herauf mit vier goldnen Kannen 
und Bechern. Die Geiſter bringen drei Tafeln aus beiden Seiten des Berges 
und ſtoßen ſie in der Mitte des Theaters zuſammen. Die Nymphen nehmen 
die Kannen und die Becher, tanzen um den Tiſch und zeigen ihre Willfährig⸗ 
keit der Fee zu dienen. Die vier Bauern kommen zurück und finden zu ihrer 
großen Verwundrung, daß es auf dieſem Platze Tag iſt, da in der ganzen 
übrigen Gegend, wie ſie pantomimiſch bezeichnen, Nacht ſei. Die Nymphen 
bleiben, da ſie dieſe Gäſte erblicken, unbeweglich, wie Statuen ſtehen. Die 
Bauern ergötzen ſich gar ſehr an dem Anblick der wohlbeſetzten Tafel und der 
Mädchen mit Trinkgeſchirren. Hier entſteht ein Spiel. Die Bauern ſuchen 
den Nymphen einige Bewegung abzuzwingen, da dieſes nicht geht, wollen ſie 
ihnen die Kannen aus den Händen nehmen; da auch dieſes vergeblich iſt, ver⸗ 
ſuchen ſie die Kannen, in den Händen der Nymphen, gegen die Becher zu be⸗ 
wegen, und ſich auf dieſe Weiſe einzuſchenken, welches auch wieder verſaget. 
Es kann auch noch dieſer Scherz angebracht werden, daß die Nymphen, wenn 
die Bauern unter ſich ſprechen, ſich umkehren, und wenn dieſe alsdann um ſie 
herumgehen, ſich wieder in ihre vorige Stellung ſetzen. Zuletzt zwingen doch 
die Bauern die Kannen in den Händen der Nymphen gegen die Becher, ſie 
werden aber dadurch nichts gebeſſert, indem die Nymphen ihnen den Wein in 
das Geſicht ſchütten, und, wie ſie darüber zuſammenfahren, ſich davon machen. 
Die Bauern erholen ſich und ſetzen ſich getroſt an den Tiſch. Hier geht der 
neue Scherz an, daß eine Paſtete nach der andern ſich eröffnet, eine Hand 
herausreicht, und den Bauern, die mit etwas andern beſchäftigt ſind, eine 
Ohrfeige giebt, oder ſie bei den Haaren zupft. Dieſe werden darüber uneins 
und fangen untereinander Händel an. Sie werfen die Stühle durcheinander. 
Der Zauberer erſcheint oben auf dem Felſen, er iſt erzürnt, und fordert die 
acht ſchwarzen Geiſter auf dieſe Bauern wegzujagen. Es entſteht ein Tanz, 
wo die Bauern den Geiſtern zu entfliehen ſuchen, die ſich ihnen immer in den 
Weg ſtellen, und ſie endlich, je zwei und zwei, bei dem Schopfe 1 hinweg⸗ 
ſchaffen.) 


Dritter Akt. 
Nacht. 
Der Zaubrer, die Zauberin, vier Nymphen. 
Zaubrer. 
ae Laß uns ehrerbietig hereintreten, die Erfüllung unferer Wünſche nähert fich. 
Ber Ich habe Geduld gelernt und doch brauſt meine Seele vor Erwartung. 
a: Zauberin. 
Ich ſeh ſie nicht ferne 
Die heilige Stunde, 
30 * 


zeigen ihnen, daß ſie für eine Tafel ſorgen ſollen. Auf Befehl der Nymphen 


468 Anmerkungen des Herausgebers, 


Es zeigt mir die Kunde 
Der eilenden Sterne 
Den feierlichen Blick! 
Sie kommen! Sie eilen! 
Sie bringen, ſie theilen 

Uns allen das Glück! Ä | 

(Die innere Höhle thut ſich auf, und man fieht fie ganz bunten von Gol 
und Edelſteinen. Aus der Tiefe kommt der Zug hervor: Die Feen und die 
Gnomen mit Lampen, hinter ihnen andre Gnomen die einen Wagen ziehen, 
worauf ein großer glänzender Stein lieget, es folgt ein großer Zug Berg⸗ 
geiſter. Sie machen die Tour vom Theater, laden endlich den Stein in ber 
Mitte ab und Alle nehmen ihre angewieſene Plätze. Der Zaubrer befiehlt 
den Gnomen den Stein eröffnen zu laſſen. Die Berggeiſter machen ſich mit 
ihren Werkzeugen an den Stein und trennen ihn von einander. Der Stein a 
ſpringt, man ſieht darinnen einen Amor figen, und im Augenblicke verwandelt 
ſich alles, das ganze Theater ſtellt einen prächtigen Saal vor, der Zaubrer 
und die Zauberin, alle tanzende Perſonen des Stücks werden verjüngt und 
verwandelt. Tänzer und Tänzerinnen find alle überein gekleidet, alles bezeigt 
ſeine Freude und Verehrung gegen Amorn. Die Schnelligkeit und „ 2 
womit dieſes alles geſchieht, giebt der Entwicklung ihren ganzen Werth) Ur; 


Zauberin. 

Dich freundlichen Knaben 

Dich zeugten und gaben 

Die ſeeligen Götter, 

Ein König zu ſeyn. 

Zaubrer. 

In himmliſchen Lüften 

In Tiefen und Grüften, 

In Meeren und Strudeln, 

Ein König zu ſeyn. 

Beide. 

Die Jungen erhalten, 

Verjüngen die Alten! 

Das Leben beleben 

Vermagſt du allein. BEER 

(Es entdecken ſich Stufen, die vom Theater in das Parterre führen, nb 

die bisher verborgen geweſen find. Ein angenehmer Marſch ſetzt die kleinſen 
Paare in Bewegung, fie neigen ſich vor Amorn, der im Grunde zwiſchen 
Zauberer und Zauberin ſteht, gehen ſachte das Theater hervor, die Treppe 
herunter, auf die Herzogin zu, die fünf erſten Paare ſtellen ſich im mittleren 
Gang des Parterres in Reihen, das ſechſte, welches Amorn zwiſchen ſich ge⸗ 
nommen hat, geht durch fie durch und bringt ihn bis vor die Herzogin, wel 
cher er ein Körbchen mit Herzen und Blumen überreicht. Dieſe enthalten das 
angefügte Gedicht auf Bänder gedruckt. Indeſſen tanzen die vier großen Paare 
nach derſelben Melodie einen graziöſen Tanz. Wenn die Kleinen mit Amorn 
wieder hinaufziehen, ſtellen ſich alle perſpektiviſch in zwei Reihen und a als) 


Chor. 
Die Jungen erhalten, 
Verjüngen die Alten! 
Das Leben beleben 
Vermagſt du allein. 5 


an 2 . erde min 469 


(Sierauf folgt das Schluballet, mit Kränzen, erſt ef sufanmen, dann einzeln, | 
NE m zweien und ſo weiter wie es hergebracht iſt.) 


f Mastenzug Zum 30. Januar 1798 (8. 381 f.). Eine Beschreibung des 
Aufazuges, bei dem diese Stanzen vorgetragen wurden, gibt außer Goethes 
Briefe an Schiller vom 26. Januar 1798 (WIV, Bd. 13, S. 35; „Briefwechsel 
wischen Schiller und Goethe“, Bd. 2, S. 24 [Stuttg. o. J.) der Archäolog K. Aug. 
Boöttiger auf einem Drucke der Dresdener Bibliothek: „Goethe ordnete und 
dekorierte zum Geburtstag unserer regierenden Herzogin Luise folgende alle- 
.  gorische Maskenprocession. Die Friedensgöttin (eine schöne Fräulein von 
WMolfskeel) mit Flügeln und einem Diadem auf dem Haupte hat zwei Genien 
Mädchen von 6 Jahren) vor sich her, wovon der eine einen vergoldeten Helm 
mit Früchten, der andere ein in seiner Scheide verschlossenes Schwert trägt. 
Hinter ihr kommen mit einer malerisch gehaltenen Rosenkette zusammen ver- 
_ „ schlungen die Eintracht und Hoffnung. Ihnen treten zwei größere Genien (Fräu- 
lein von Reizenstein 12 und 13 Jahre) voran, deren der eine den Anker, der 
andere eine Säule trägt. Nun kommt der Überfiuß (eine fast kolossale Frau, 
die Oberkammerherrin von Werther) mit dem Füllhorn u. s. w. Hinter ihr 
kommen noch die Kunst (mit einem Portefeuille, worin dies Gedicht war, und 
einer rosenbekränzten Lyra) und der Ackerbau (im Erndtekranz und mit der 
Sichel). Alle treten nun schön gruppirt in eine Reihe vor die Herzogin. Der 
Priede legt seinen Palmenzweig ihr zu Füßen, die Kunst bringt ihm das Porte- 
 fenille, und indem der Friede das darin ‚Hegende Gedicht der Ilerzogin über- 
gibt, verneigt sich die ganze Procession.“ 
Maskenzug. Zum 30. Januar 1802 (S. 383 f.). Goethe schien das Ge- 
dicht auf Bitten des Erbprinzen Karl Friedrich am 27. Januar 1802; auf der 
nächsten Redoute wurde es bei einem Aufzuge von einem Amor überreicht; 
Aus dem Maskenzuge zum 30. Januar 1809 (S. 386 f.). Diese Bezeich- 
nung rührt daher, daß die meisten bei diesem Redoutenaufzuge vom 2. Fe- 
bruar vorgetragenen Gedichte andere, vor allen den weimarischen Privat- 
gelehrten Johann Daniel Falk zum Verfasser hatten. Eine überhaupt für der- 
artige Veranstaltungen und Goethes Teilnahme daran bezeichnende Darstellung 
dieses Maskenzuges in einem Briefe von Johanna Schopenhauer an G. v. Kügelgen 
vom 4. Februar 1809 „Jahrbuch“, Bd. 24, S. 83 — 89 (1903). 
Die Romantiſche Poeſie (8. 388 — 396). Den Stoff dieser vorgetrage- 
nen Stanzen unterbreitete im wesentlichen der Präsident K. Wilh. v. Fritsch, 
dier dann bei der Redoute am 2. Februar im Stadthause auch den Minnesinger 
darstellte, in folgendem von Goethe aufbewahrten Schreiben: 
ER „Auf beykommende von Fr. v. Egloffstein mir mitgetheilte Anfrage er- 
halten Ew. Hochw. sogleich meine unmaasgeblichen Vorschläge. 
„Um kurz zu seyn, trete ich sogleich dem Gedanken bey, daß man die 
— 5 Landgrafen selbst nicht erscheinen lasse u. sodann nicht sowohl die Dichter 
als das gedichtete, wodurch eine größere Mannichfaltigkeit in die Sache ge- 
bracht wird. Hier eine Skizze, die man nach Belieben er weitern u. zusammen- 
ziehen könnte. 
Maskenzug 


zum 30. Jan 1810. 


1. Ein Herold, welcher besonders zu kostumiren u. zu characterisiren wäre. 
2. Ein Minne Sänger als Repräsentant der lyrischen Poesie, 

3. Ein Helden Dichter als Repräsentant und Einführer der epischen Poesie. 
(Für beyde fänden sich Namen unter den Wartburgern. Ihr Costüm 
müßte contrastirend seyn. Sie blieben gegen einander über vor der 


. 470 f Anmerkungen 2 nn rs 


u 


Herrschaft stehen u. präsentir vor die Abriss Brie jeder 
seinem Genre.) 
4. u. 5. Ein liebendes Paar, in heiterm bunten altdeutschen Festkosti 0 
6. 7. 8. 9. Vier Kinder, die Jahreszeiten vorstellen, aber in altdeutschen 
Holzschnittarten, welche zugleich Blumen, Vögel und was nur sonst als Haupt- 
Ingredienz der Minne Lieder vorkommt, auf eine lustige Weise tragen nd 
zeigen. Von Rechtswegen sollten sie 1 Laubwerk, Blumenketten mit ge- 
dachtem Paar verbunden seyn, wobey man noch allerley artig bedeutendes 8 
anbringen könnte. ER 
10. 11. Die Jagd bezüglich auf Thiere des Waldes und der Luft. Das THE 
alte Jägerkostüm hat noch manche weder auf dem Theater noch auf der Maske 
rade genüzte Eigenthümlichkeiten und Zierlichkeiten. Die Jägerin nähme viel- e 
leicht den Falken auf die Hand, für welchen zu sorgen ich mich erbiete. 
Hier könnte der e Theil schließen. Auf Erfordern könnte jedoch Dr 
noch manches angefügt werden. ee 
12. 13. Eine Parthie Zwerge, die jedoch nicht in der gewöhnlichen Un- 
form erscheinen dürften, machten, wie billig, den Anfang des Ritterwesens. 
Ihrer sechse könnten ein unendlich großes Schwerdt tragen, welches einen 
wunderlichen und lustigen Anblick geben müßte. Die übrigen brächten Kronen, 
goldene Ketten und Kostbarkeiten aus dem Schatze der Niebelungen. 
14. 15. Siegfried und Siegurd, nordische Ritterfiguren, die sich nicht g- 0 
rade zu harnischen brauchten, sondern wozu wundersame u. doch angenehme 
Waffenkleider zu erfinden wären. 
16. 17. König Rother und Herlinde!, Prinzessin von Constantinopel, jener 
mit den gegoßenen goldenen u. silbernen eee diese auf die Weise, 
wie das Gedicht angiebt, bezeichnet. Diesen müßte nothwendig N 
18. der Riese Asprian folgen, welcher von den seinigen selbst gefeßelt, mit- 
geführt und nicht eher losgelaßen würde als bis er auf die Feinde zuschlagen 
sollte. Daß es kein Gefangener sondern ein hochgeehrter Mann sey, anzu- 
deuten hat wohl einige Schwierigkeit. 2 
(Den Schluß würde man vielleicht noch ganz lustig ausdenken können. 
Besonders müssen einige subalterne Figuren mee den ern A 
verhindern.) 
„Für jede dieser Figuren, so wie fürs Ganze, müßte eine poetische Er- 
klärung gedruckt werden. Sollte alles ganz recht seyn, so müssten die Beiden 
welehe die Dichter repräsentiren, jede vorbeyziehende Gruppe einen Augen- 
blick anhalten und mit vernehmlicher Stimme die Stelle des Gedichts die ich 
auf sie bezieht, hersagen, weil in diesem Falle einem ganz lautlosen ER 
etwas fehlen würde, 
Weimar 22. Jan. 1810.“ 5 
In einem Einzeldrucke findet sich an Stelle des jetzigen prosaischen vor’ 
wortes auf der zweiten Seite folgendes, zugleich als Anweisung für die Auf- 
stellung gemeinte Verzeichnis, das Goethe zwei Tage nach der Aufführung, 
die den 2. Februar 1810 stattfand, in eigner Niederschrift einem Briefe an 
Herrn v. Fritsch beigefügt hatte: 


8. 
Herold. 

1. 2. 
Minneſinger. Heldendichter. 
4. N 5. 

Lenz. Sommer. 


1 Tatsächlich ist Herlinde in der Rother-Sage die Dienerin der Prinzessin, 


Maskenzüge (.889-309. 471 


a 
Minnepaar. 
8. 9. n 
Tanzende. 7 
10. 11. i 
Jagdluſtige. 
12. 14. 
Herbſt. Winter. 
13. x 
Spielende. 
15. 
Zwerge. 
16. 17 
Brunehild. Siegfried. 
18. 19. 
Herlinde. Rother. 
20. 
Asprian. 
21: 22, 
Recht. Ehre. 
23. 24. 
Liebe. Treue. 
25. 
n Ottnit. 
26. 21: 
Weltliches Regiment. Geiſtliches Regiment. 
28. 29. 
. Kanzler. a Clericus. 
3 30. 
IE Rätſel. 


Die Verse der Nummern 1, 3—9, 12 — 14, 18 u. 19, 23 u. 24, 27 u. 29 
sprach der Darsteller des Minnesingers, Herr v. Fritsch, die anderen der des 
Heldendichters, Goethes Sohn August. 

S8. 389, V. 13 f. lauten in einer handschriftlichen Korrektur Riemers (H 9): 

5 Dann ſangen wir die ſeltne Wunderkunde, 
8 Des Helden Kraft, ſo wie den Zaubertrug. 
S. 393, V. 142. wilden die Drucke einschließlich W. 

. 145. Laßt Vermutung in W gemäß eurem V. 10, euch V. 21; Laß Hand- 
schriften und Drucke. 

Maskenzug ruſſiſcher Nationen (S. 397 — 399). Eine „Völkerwande- 

rung aus den südrussischen Statthalterschaften“ (Karl Bertuch an Bötticher, 

19. Februar 1810: „Jahrbuch“, Bd. 10, S. 154 1889). Zu dem zusammen gegen 

200 Personen zählenden Zuge Hegt folgende von Riemer geschriebene An- 
weisung Goethes über Aufmarsch und Musik vor: 

1. Der Romantiſche Zug verſammelt ſich in den churfürſtlichen Zimmern. 

Dorthin werden alle Requiſiten gebracht. 
2.1 Er zieht durch die jenen Zimmern correſpondirende Thüre in den großen 
Saal, geht an der Fenſterſeite her, biegt ſich an der kürzeren Seite um, 
marſchirt vor den Marmorzimmern vorbey. 


1 Dazu am Rande: Muſik wie im Stabthauje. 


472 N . . = 


3. Die Verſe werben Wiedgeh und alles esche wie ba vo 

dann geht der Zug weiter und an der kurzen Seite hinauf. 

4. In dem Augenblicke, daß der Herold wieder gegen die Thüre kommt ritt 

der ruſſiſche Zug, der ſich in den Vorzimmern der Herzoginn verſammelt 
hat, auf jener Seite herein!, und beyde Züge marſchiren gegen einander 
an der Fenſterſeite her, doch ſo, daß der ruſſiſche Zug nach innen kommt. 

5. Sobald beyde Züge die ganze Fenſterſeite eingenommen, macht der roman⸗ 
tiſche Zug Front; der ruſſiſche hingegen zieht an der kurzen Seite hinunter, wu 
und vor der Herrſchaft vorbey. A 

Sobald die tete gegen die Thüre kommt, die nach der Treppe geht, macht die real 
ganze Colonne Halt und Front gegen die Herrſchaft, und fo bleibt fie ſtehen. 

In dieſem Augenblick changiren die Mitglieder des romantiſchen Zugs um 
Theil ihre Plätze, nach einem Schema, welches mitgetheilt wird, und kommen 
in einem halben Rund zu ſtehen, in welchem 6 Intervalle gelaſſen werden. 

. Der ruſſiſche Zug zieht nun [näher] hinter dieſem halben Monde weg, und 
theilt ſich dergeſtalt aus, daß je vier und vier — vielleicht einge mehr 
ſeiner Masken aus den Intervallen hervortreten; wodurch denn beyde Züge 
ein Ganzes ausmachen. Die gnädigſten Herrſchaften ſind alsdann wohl ſo 
freundlich Special Revue zu halten. Ba 

Quadrille italieniſcher Tänzer und Tänzerinnen (S. 400). Dichtung u 

einer besonderen Aufführung an demselben Tage mit dem vorigen Völker- 

zuge, die sich Caroline von Egloffstein von Goethe erbeten hatte (Brief Goethes 
an dieselbe vom 14. Februar 1810: zuerst in den „Grenzboten“, 1869, 3. Vier- 

toljahr, Nr. 32, S. 203). 

Bei Anweſenheit + der Kaiſerin Mutter, Maria Feodorowna (8. 401 — 
440). Für die Geschichte dieses Maskenzuges sehr lehrreich ist der ersts 
so viel weniger Gehalt versprechende Entwurf des Programms, den Goethe, 
nachdem ihn am 16. Oktober die Großfürstin durch ihren Wann um 
Mitwirkung hatte ersuchen lassen, tags darauf also niederschrieb: Sn 


{er} 


1 


Y 


= 


Redouten⸗Aufzug. Se a 


5 Der Winter mit ſeinem Gefolge. 

Die Monate: 

Oktober Geburtsmonat J. K. M. fruchtbar herbſtlich dargeſtellt, 
November als Schütze. 1 
December winterlich. 

Beide letztern als Monate der Ankunft und bes Verweilens. Ra 
Die Nacht. 
Der Schlaf. 5 co 2 

Zwei bedeutende wohl zu charakteriſirende Figuren, von bedeutenden be 
ſonen vorgeſtellt. Gefolg: Die Träume, von Kindern höchſt mannigfaltig dar ⸗ 5 
zuſtellen, alle Glückſeligkeiten der Höchſten Häuſer erfreulich andeutend. . 

Die böſen Träume bleiben zurück und ſchlagen ſich mit der Luſtigkeit 
herum, die unter einer veredelten Geſtalt der bekannten Schalksthoren weiblich er 
ſcheint. Sie führt einen Maskenzug an, wo alle Maskenarten zu brauchen ſind, da 
ſie mit Sinn regulirt, angenehme und bedeutende Unterſchiede hervorbringen können. 

Dieſen luſtigen Zug zu verdrängen tritt nun der Winter mit ſeinem u 
lichen Gefolge heran. 


1 Dazu am Rande: Ruſſiſche Muſik. 2 ’ 1 


473 
Hier hat man 5 ale Koſſſche Trachten in W Bann anzu⸗ 
. „indem man erſt die ſüdlichern Theile des Reichs ſymboliſirt, und nach und 

bis zu den nördlichſten hinanſtiege. Der Winter ſelbſt auf einem Gletſcher 
ragen, müßte den Nordpol mit Nordlichtern umgeben andeuten, man könnte ihn, 
an das neuſte heranzugehen mit zwei ausgerüſteten Schiffen im Arm vorſtellen. 
Daß die Ausführung dem Auge erfreulich wäre iſt ſorgfältig zu beachten. 
(Hier wäre noch ein Übergang zu erfinden.) 
5 Folgt nun das durch die Nacht begünſtigte Studium. 
Pallas, ihren Pagen die kriegeriſchen Attribute überlaſſend; fröhlich Ri 
ſinnt von 
Flio, der Muſe der Geſchichte begleitet. 
Die Wiſſenſchaften folgend, theils weiblich, theils männlich charakteriſirt. 
(Folge und Abſchluß noch erſt zu bezeichnen.) 


und Einzelnen allgemein faßlich ſey, daß kurze, heitere Verſe hinlänglich ſind um 
jeden Zweifel zu heben. Ferner kann Jedermann daran Theil nehmen; die 
Mannigfaltigkeit iſt groß und die Einzelnen haben in Kleidung und Coſtumirung 
vollkommene Freyheit. 

Auch laſſen ſich Bezüge auf die höchſten Gäſte ungezwungen, direct und in⸗ 

direct, anbringen, wie ſich denn, nach Belieben, manches einſchalten, ja ſelbſt eine 

zufällig eintretende Lücke leicht wieder ergänzen läßt. Ausführlicher kann man 
den Gegenſtand behandeln, ſobald er im Allgemeinen gebilligt iſt. f 
Weimar d. 17. Octbr. 1818. 
S. 440, V. 1033. Hiernach in O folgendes Verzeichnis, über dessen Be- 
deutung für die Geschichte des Wortes „Fräulein“ man vergleichen möge die 


in der „Zeitschrift für deutsche Wortforschung“, herausg. von Friedrich Kluge, 
Bd. 5, 8.57£. (1903): 


Perſonal. 
8 ö hei 
VV Frl. v. Grün. 
. . MUVMùB̈Reh bein. Ludecus. 
(iv. Poſeck. 
vv. Fritſch. 
December 2 ͤĩ 
Beipnagts- Rinder. ..... v. Münchhauſen. Huſchke. Gildemeiſter. 
Nacht. . Grfn. Jul. v. Egloffſtein. 
Frl. v. Schiller. f 
räume vv. Stromberg. v. Heimrodt. Stichling. 
. Vulpius. 
f r Frl. Schopenhauer. 
J einen ne v. Baumbach. 
SEE . Frl. v. Werther. 
Feſtzug. 
„Frl. v. Staff. 
Fr. Zwierlein. 
„ Pinther. 
J Wbt Spiegel. 
td ev Spiegel 


rennen cd, Fritſch. v. Fritſch. Dufour. 
Goethe. XVIII. 30 * 


Zu Gunſten vorſtehenden Aufzugs wollte ich erwähnen, daß er im Ganzen 


474 


Feen 
Hüon 
Amanda 
Fatime 


Barde 

Aon 

Aonis 1 
Terpſichore 
Adraſtea. 8 
. 
Ximene 

Uraka 


Mahom et 
Palmira. 8 
Seide. 

Georg eK 
Götz v. Berlichingen 
Götzens Kind . 
Götzens Frau. 
Franz 

Maria 

Weisling 

Adelheid. 
Brautführer 
Brautführerinnen 
Bräutigam 

Braut 


Zigeuner⸗ Hauptmann 


Hauptmännin . 
Zigeunerinnen. 
Zigeuner ⸗ Mädchen. 


Fauſt, als Doctor . 
Fauſt, als Ritter 
Wagner 8 
Mephiſtopheles 
Zauberin 

Gretchen 

Marthe. 
Student 
Bürgermädchen 


Fürſtin Mutter 
Beatrice. 
Aurora . 
Geßler 

U. v. Rudenz 
B. v. Brunek 
N 
Walther Fürſt 


Anmerkungen des Herausgebers. 


M. v. Spiegel. Gayl. 
v. Schenk. 

Frl. v. Milkau. 

Frl. v. Germar. 


v. Könnritz. 

v. Seebach. 
Frl. v. Seebach. 
Frl. v. Herder. 
Frl. v. Froriep. 
v. Tompſon. 
Fr. v. Werther. 
Frl. Rühlmann. 


v. Stromberg. 
Frl. v. Niebecker. 
v. Werther. 

v. Hagke. 

v. Schiller. 

v. Egloffſtein. 
Fr. v. Heimrodt. 
Brunquell. 

Frl. v. Hufeland. 
v. Gerſtenberg. 
Fr. Gille. 
Vulpius. 


Frl. v. Herder. Müller. Hirt. Asverus. 


Skell. 

Frl. v. Hering. 
Müller. 

Grfn. Beuſt. 

Fr. Vulpius. Melos. 


Frl. v. Stockhauſen. v. Schiller. v. Witze 
leben. L. Müller. Th. Kirſten. v. Stein. 


v. Buchwald. 

v. Comnenos. 

v. Mandelsloh. 

v. Goethe. 

Fr. v. Germar. 
Grfn. v. Beuſt. 
Fr. Schopenhauer. 
Schumann. 


Fr. Schütz. Frl. Kirſten. 


Fr. v. Münchhauſen. 
Frl. Ackermann. 


Grfn. Jul. v. Egloffſtein. 


v. Bülow. 
Zwierlein. 
Frl. v. Sinclair. 
v. Froriep. 
v. Struve. 


Werner Staufacher. 
Melchthal N 
Tells Frau g 
o 
Staufachers Frau 
Schweitzerinnen 
Wallenſtein 
Herzogin > 
2 
Gräfin Terzky 
ee 
Graf Teiy . . » 
Wachtmeiſter 
Trompeter 
Holkiſche Jäger 
Curaſſier 2 
Eroaten . ; 
Marketenderinnen 
Marketender⸗Kind 
Recrut . 
— 505 
Dragoner 

Czaar Boris. 
Axinia 
Demetrius 
Romanow 
Marina 
Odowalsky 
Turandot 

Kaiſer Altoum 
Adelma 

Kalaf. 0 
A 
Pantal n. 


Brrighella 


Trufaldin 8 5 


F 
Pallas 
Knaben > 
EN! 
Himmelsfunde. 5 
Erdkunde 
Ackerbau 
Botanik 8 
1 
Baukunſt 5 
Mahleren 


Maskenzüge (S. 440). 


Epil 


„v. Häßler. 


Riemer. 

v. Wegner. 

Fr. v. Seebach. 

Prinz Mertſchersky. 

Fr. Coudray. 

Frl. Czeitſch. Seidel. Kämpfer. 
v. Lyncker. 

Fr. v. Stein⸗Kochberg. 

Grfn. Carol. v. Egloffſtein. 

Fr. Wenig. 
Nikolovius. 

v. Seebach. 

v. Wangenheim. 
Grf. v. Keller. 

v. Bibra. 
Grf. v. Weſterhold. 
v. Groß. v. Struve. 
Frl. v. Münchhauſen. 
Frl. v. Münchhauſen. 
Leporides. 

v. Waldungen. Coudray. 
Sieber. 

v. Helldorf. 

Fr. Riemer. 

v. Gagern. 

Prinz Paul von Mecklenburg. 
Frl. v. Lyncker. 

Hagenbruch. 

Fr. v. Spiegel. 

v. Arnim. 

Fr. v. Goethe. 

v. Baumbach. 

Fr. Lungershauſen. 

v. Helldorf. 

v. Fritſch. 

v. Helldorf. 


og. 
Fr. v. Fritſch. 
Frl. v. Brawe. 
v. Heimrodt. 
Fr. v. Lyncker. 
Grfn. v. Fritſch. 
Frl. v. Harſtall. 
Frl. v. Buttlar. 
Frl. Weyland. 

Frl. Kämpfer. 

Frl. Salomon. 

Fr. v. Olechkaditſch. 


v. Buchwald. 


— e — 


30 ** 


v. Pogwiſch. 


475 


| 2 nh Ih 


 Baftnadiefpiete und Verwandtes N 
. moraliſch⸗politiſches Puppen 
Jahrmarktsfeſt zu Plunders weilen 
Einleitung des Herausgebers 
Das Neueſte von Plundersweilern 
Einleitung des Herausgebers 
en Faſtnachtsſpiel ... vom Pater Brey 
Einleitung des Herausgebers 
ene oder der vergötterte Waldteufel 
Einleitung des Herausgebers. 
wle zu den neuſten Offenbarungen Gottes 
ng des Herausgebers 


Einleitung des Heränsgeber g, 1 
Götter, Helden und Wieland 
CEi.inleitung des Herausgebers. 
der Triumph der i 
Einleitung des Herausgebers 
Die „ 5 
Einleitung des Se 
Revolutionsbromen er 
Die Aufgeregten 
Einleitung des Herausgebers 
Das Mädchen von Oberkirch. 
b Einleitung des Deranägebens 


— 


Wien 


Inhalt. 


Zu „Wallenſteins Lager ö 
Nachſpiel zu Ifflands dageaber. 


Theaterreden . 
Maskenzü ge. 


Einleitung des Herausgebers a 5 

Ein Zug Lappländer. Zum 30. damen 1781 . 
Aufzug des Winters ; 
Aufzug der vier Weltalter . 


Die weiblichen Tugenden. Zum 30. San 1782 


Amor. Zum 30. Januar 1782 . 
Planetentanz. Zum 30. Januar 1784 
Maskenzug. Zum 30. Januar 1798 
Maskenzug. Zum 30. Januar 1802 

Zum 30. Januar 1806 

Aus dem Maskenzuge zum 30. Hutu 1809 
Die romantiſche Poeſie . 
Maskenzug ruſſiſcher Nationen zum 16. Sr 1810 


Quadrille italieniſcher Tänzer und Tänzerinnen zum 16. 


Februar 1810. 


Bei Allerhöchſter Anweſ fenheit Ihro Majeſtät 1 dale. 


Mutter Maria Feodorowna in Weimar 
Anmerkungen des Herausgebers 


Goethe. XVIII. 


ee 


Bei Rückkehr Ihro Königl. oben des e von 


30 *. 


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388 
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400 


401 
441 


2 0 
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Goethe, Johann Wolfgang von 
Werke 


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