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Full text of "Wiener Medizinische Presse 31.1890"

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Wiener 

Medizinische Presse. 

ORGAN FÜR PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Redigirt 


von 


Dr. ANTON BUM. 


XXXI. JAHRGANG 1890. 


WIEN 1890. 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Maximilianstrasse Nr. 4. 


Druck von liolllii-b C) Intel & Coinp. in Wien, 1-, Aiijlu.lliiriKlrnsw 13. 


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Autoren-Verzeichniss.*) 


Adamkiewicz, Prof., Dr., in Krakau, 401, 448. 
AlbeTt Ed., Hofrath, Prof., Dr, in Wien, 219. 

Arndt Rndolf, Prof., Dr., in Greifewald, 529, 574. 
Axel Key, in Stockholm, 1307. 

Axmann J. G., Dr., in München, 1901. 

Basch, R. v., Prof., Dr., in Wien, 41, 85, 130, 168. 
Bäu ml er, Prof. Dr., in Freiburg i. Br., 974. 
Behring, Dr., in Berlin, 2026. 

Bergmann, v., Geh.-Rath, Prof., 1852. 

Bi ach Alois, Dr., Docent, in Wien, 489. 

Boll Franz, Dr., in Breslau, 752. 

Bouchard Ch., Prof., in Paris, 1329, 1377. 

Busch, Dr., Curarzt in Bad Hall (Oberösterreich) 1004. 


Hofmann K., v., Hofrath, Prof., in Wien, 1449, 1489. 
Horsley Victor, in London, 1453, 1496. 

Hu epp e, Prof., Dr., in Prag, 1889. 

Hyrtl Jos., in Wien, 2027- 


Iversen Axel, Prof., in Kopenhagen, 1574. 


Jak sch, R. v., Prof., in Prag, 267, 1929. 
Janovsky, Prof. Dr., in Prag, 1409, 1445. 
Jassinowsky Alex., Dr., in Odessa, 170. 
Jolles Adolf, Dr., in Wien, 825, 877, 2009. 
Jürgensen, Dr., in Berlin, 2035. 


Cant ani, Prof., Dr., in Neapel, 852, 1289, 1335- 
Casper E., Prof., Dr., in Berlin, 185. 

Danillo S. N., Dr., Docent, in St. Petersburg, 493, 540. 
Diamantopulos S., Dr., in Smyrna, 1113, 1149, 1214, 1342. 
Döderlein E., Dr., in Leipzig, 334. 

Dohm, Prof., in Königsberg, 1298. 

Dol6ris, Dr., in Paris, 1653. 

Dollinger J., Dr., Doc., in Budapest, 348. 

Duccin T., Dr., in Warschau, 450. 

Ehrmann S., Dr., Docent, in Wien, 366. 

Einhorn Max, Dr., in New-York, 53, 92. 

Eitelberg A., Dr., in Wien, 241, 1534. 

Eppinger H., Prof., Dr., in Graz, 894. 

Erb W., Prof., in Heidelberg,'2068. 


Kahler Otto, Prof., Dr., in Wien, 183, 281, 325, 370, 2032. 

Kapper Ferd., Dr., k. k. Rpgimentsarzt, in Doboj, 1073. 

Kaposi M., Prof., Dr., in Wien, 913, 956, 997, 1039, 1078, 1115, 1152. 
Karewski, Dr., in Berlin, 1902. 

Kisch Heinr. E., Prof., Dr., in Prag-Marienbad, 423, 785. 

Klemperer GuBt., Dr., Doc., in Berlin, 171, 213. 

Kliegl Ferd., v., Dr., in Wien, 201, 249, 1109, 1577. 

Kn oll Philipp, Prof., Dr., in Prag, 1769. 

Koch Robert, Geh.-R., Prof., Dr., in Berlin 1256. 

Köhler R., Dr., Oberstabsarzt, in Berlin, 1892, 1937, 1974, 2018. 

Körösi Dr., in Budapest, 1312. 

Kraske, Prof., Dr., in Freiburg i. Br., 937. 

Kraus E., Dr., in Wien, 926. 

Krause, Dr., in Halle, 807, 936. 

Kubasoff P. J., Dr., Privatdocent an der Universität Moskau, 1145, 1185, 
1211, 1300. 

Kurz Edgar, Dr., in Florenz, 1729. 


Palk Edmund, Dr., in Berlin. 55. 

Fagerlund L.^W., Dr., in Helsingfors (Finnland), 161. 

Feuer N., Dr., in Budapest, 28. 

Frank Thomas, Dr., in Torontal-Szegcsary, 1187. 

Fraenkel C., Prof., in Königsberg, 2026. 

Fräntzel Oscar, Prof., 1849. 

Frey Ludwig, Dr., in Wien, 1613. 

Frey M.. v., Dr., in Leipzig, 804. 

Friedrich Wilhelm, Dr., in Bndapest, 1609, 1658, 1695, 1738, 1815, 1899. 


Qarrö, Dr., in Tübingen, 936. 

Gärtner Gustav, Prof., Dr., in Wien, 11/7. 

Gerhardt, Geh.-R., Prof., Dr., in Berlin, 1935. 

Geller, Dr., in Sadagora, 837. 

Genser Th., v., Dr., in Wien, 713. 

Goldflam S., Dr., in Warschau, 1418, 1457, 1500, 1536. 
Groedel, Dr., in Nauheim, 467. 

Gussenbauer, Prof., in Prag, 68, 427. 

Güterbock F., Prof., Dr., in Berlin, 252. 


Habit Carl, Dr., in Wien, 1581. 

Hadra, Dr., in Berlin, 935. 

Haffter E., Dr., in Frauenfeld, 455. 

Hahn Eugen, Prof.. Dr., in Berlin, 499. 

Hajek M., Dr., in Wien, 1007. 

Hammerschlag Al., Dr., in Wien, 2032. 
Hammerschlag Gustav, Dr., in Kolin, 750. 
Hartleib Bernhard, Dr., in Greifswald, 286. 

Haupt, Dr., in Soden, 422. 

Heller Franz, Dr., in Wien, 133. 

Hillebrand, Dr., in Cöln-Sulz, 708. 

Hirschler A„ Dr., Assistent, in Budapest, 697, 745. 
Hochsinger C., Dr., in Wien, 9, 1569, 1617. 


*) Die Ziffern bedeuten die Seitenzahl. 


Eaker Carl, Dr., Docent, in Graz, 659, 700, 1375. 

Lannstein, Dr., in Hamburg, 935. 

Lehmann K. B., Dr., in Würzburg, 711. 

Lupine R., Prof., in Lyon, 1493. 

Leubuscher S., Prof., Dr., in Jena, 760. 

Lewandowski Rudolf, Dr., Regimentsarzt, k. k. Professor, in Wien, 661. 

704, 748, 787, 832, 919, 961, 1182. 

Lewin, Geh.-R., Prof., Dr., in Berlin, 1951. 

Leyden E., Prof., Dr., in Berlin, 137. 

Lindner, Medicinalr., Dr., in Berlin, 2036. 

Liste r, Sir Joseph, 1251. 

Loebel Arthur, Dr., Wien-Dorna, 335, 664, 707, 789, 829. 

Loeb M., Dr., in Frankfurt a. M., 98. 

Lohnstein H., Dr., Assistent, in Berlin, 138, 172. 

Lnblinski W., Dr, in Berlin, 1972. 

Lustgarten Sigm., Dr., in New-York, 1033, 1076, 1118. 


Madelung, Prof., Dr., in Rostock, 808. 

Mahnert, Dr., in Graz, 27. 

Marcus, Dr., in Pyrmont, 424. 

Meynert Th., Hofrath, Prof.. Dr., in Wien, 67. 

Mikulicz, Prof., Dr., in Königsberg, 896. 

Minauf Anton, Dr., in Seitenstetten, 453. 

Moder, Prof., Dr., in Greifswald, 931. 

Mosetig-Moorhof A., R. v., Prof., in Wien, 1. 

Heumann J., Dr., in Budapest, 386. 

Neumann J., Prof., in Wien, 105. 

Neu es er E., Prim., Dr., in Wien, 220, 263, 307, 343, 384. 
Nothnagel, Hofrath, Prof., Dr., in Wien, 25, 361, 406, 441, 609. 

Olshausen, Geh. R., Prof., Dr., in Berlin, 348, 387. 

Paltauf R., Dr., Docent, in Wien, 67. 

Peiper F., Dr., in Greifewald, 805. 


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Per d rix L., Dr, in Paris, 710. 

Pettenkofer, v., Prof., Dr., in München, 411. 
Podanowsky W. J., Dr., in St Petersburg, 2057. 
Politzer Adam, Prof., Dr., in Wien, 65. 

Popoff S. A., Dr., Doc., in St. Petersburg, 2057. 


Böczey Enterich, Prof., Dr., in Budapest, 963, 993, 1035. 
Röthi L., Dr, in Wien, 1693, 1735. 

Romich Oscar, Dr. in Wien, 536, 580. 

Römpler, Dr., in Görbersdorf, 423. 

Rona S, Dr., in Budapest, 28. 

Rosenbaum G., Dr., in Berlin, 467. 

Rosenbusch Leon, Dr., Secnndararzt, in Lemberg, 571. 
Rosenthal J., Prof., Dr., in Erlangen, 137, 1597. 
Rothziegel Alex., Dr., in Wien, 806. 


SchimmelbuBch Dr., Docent, in Berlin, 935. 

Schmid C., Dr., in Bruck a. M., 572. 

Schott, Prof., Dr., in Nauheim, 423, 761. 

Silbermann M., in Putilla (Bukowina), 332. 

Singer Gustav, Dr., in Wien, 1978. 

Staffel E., Dr., in Chemnitz, 753. 

Stern er Dr., Assistent, in Graz, 27. 

Sierk J., Dr., in Marienbad, 496, 923. 

Sternfeld Hugo, Dr., in München, 925. 

Stewart F., M. D., in Grainger, 1689, 1731. 

Stiller B., Prof., in Budapest, 6, 50, 1989, 2014. 

Stricker Moriz, Dr., in Budapest, 1609, 1658. 1695, 1738, 1815, 1899. 
Stricker Moriz, Dr. und Wilhelm Friedrich, Dr., 1609, 1658, 1695, 1738, 
1776, 1856, 2060. 

Szadek Carl, Dr., in Kiew, 329, 374. 


Talamon Cb., Dr., in Paris,' 838. 

Terray P., Dr., Assistent in Budapest, 697, 745. 

Thompson Henry, in London, 1629. 

Tienhoven G. P., van, Dr., Director des städtischen Krankenhauses im 
Haag, 1338. 

Tilkowsky Adalbert, Dr., in Klosterneuburg, 81, 126. 

Treymann Dr., in Riga, 57. 

Tymowski, v., Dr., in Schinznach (Schweiz) 505. 


Umpfenbach J., Dr., Assistent, in Andernach a. Rh., 245. 


Valenta, Regierungsrath, Prof., Dr., in Laibach, 165. 
Verneuil, Prof., Dr., in Paris, 1018. 

Virchow Rudolf, G.-R., Prof., 1241. 

Voit, Prof., Dr, in München,J839. 

VrajjasBy Wilh., v., Dr., in Pistyan, 841, 887. 


Weiß M., Dr., in Prag, 873, 917,?959,'.1000. 

Weiß Heinrich, Dr., in Wien, 99, 211. 

Wejatphal, Dr., Stabsarzt, in Berlin, 1892, 1937, 1974, 2018. 
Widowitz J., Dr., in Graz, 1774. 

Witzinger M., Dr., in Wien, 1905. 

Winternitz Wilh., Prof., Dr., in Wien, 105, 121, 424, 972. 
Wood Horatio, Prof, der Universität Pennsylvanien, 1369, 1413. 


Zuntz N., Dr., in Berlin, 466. 


I. Wissenschaftlicher Theil. 

Abortua, Aufhaltung eines drohenden ... 23. 
Abdominaltyphus, Die Rolle des Trinkwassers in 
der Aetiologie des ... 108- 
Abnorme Geschmacksempfindung, Ueber ... bei 
Neurasthenia sexualis, 803. 

Acidum trichloraceticum, Anwendung deB ... bei 
den Krankhei ten der Nase und des Rachens, 464 
Acne, Die Behpndlung der ... des Gesichtes mit 
Chrysophansäure, 1987. 

Actinomycose, Ein Beitrag zur Aetiologie der ... 

1091. 

Acute Darmerkrankungen, Arsenigsaures Kupfer 
bei ... 849. 

Adaptation im gesunden und kranken Auge, Ueber 

die... 1674. 

Aether, als Menstruum zur Behandlung durch die 
Haut, 2071. 

Aether bromat. puriss., Narcose mit .. . 178. 
Aethercly8tiere bei Darmverschluß, 449. 
Akromegalie, Arsenik gegen ... 1987. 

Alkalien, Ueber den Einfluß der ... auf den mensch¬ 
lichen Stoffwechsel, 676. 

Alkoholismus, Behandlung des ... mit Strychnin, 
632. 

Ammoniakclysmen, Ueber die physiologische Wirkung 
der ... 107. 

Ammonium aulfoighthyoHcum bei Gonorrhoe, 1866. 
Amputationsmethode am Fusse, Eine neue osteo¬ 
plastische ... (Amputatio talo-calcaneo osteo- 
plastica) 1304. 

Anämie, Ueber ... mit besonderer Berücksichtigung 
der Difierentialdiagnose, 220, 263, 307, 343. 

— Ueber perniciöse ... 384. 

Anästhesie, Ueber . .. 1369, 1413. 

Angina pectoris, Die systematische Behandlung 
der ... mit Nitroglycerin, 1949. 

Anilinfarbstoffe als Antiseptica und ihre Anwendung 
in der Praxis, 1660. 

— Ueber die Anwendung der ... als Antiseptica, 883. 

— Ueber die Wirkung der ... 1005, 1043, 1081, 

1216, 1503. 

Anosmie, 1543. 

Antifebrin als Hypnoiicum bei Kindern, 382. 
Antipyreticn, Zur Theorie der Wirkung der ... 2057. 
Antipyrin, An wendung des ... in der Dermatotherapie, 

1305. 


Sach-Register. 


Antipyrese, Ueber ... 1289, 1335. 

Antisepsis in der Geburtshilfe, Die ... 1513. 
Anomalie des Pankreas , Seltene ... ringförmige 
Umschliessung des Duodenum mit Verengerung 
desselben und consecutiver Magenerweiterung 

1353. 

Aorteninsufficienz, Pulsation des Gaumensegels und 
des Zäpfchens bei ... 610. 

Aortenstenose, Fall von congenitaler ... 9. 

Aphasie, Fall von ... und Seelentaubheit mit Sec- 
tionsbefnnd, 457 

Aristol, Anwendung des ... 1392- 

— bacteriologi8che Versuche mit dem . .. 1393. 

— Behandlung der Psoriasis mit ... 510- 

— Das ... als Antisepticum in der Zahnheilkunde, 

1829. 

— Die Behandlung der Fissuren der Brustwarzen 

mit ... 1987. 

— Erfahrungen über ... 1348. 

— Ueber ... 259, 794. 

— Ueber das ,.. 883. 

Arteriennaht, Die ... 170. 

Arthrodese, Ueber die ... 1868. 

Aryknorpcl, Ueber eine besondere Bewegung des . .. 

bei Recurrenslähmung 1354. 

Aseptisches Operiren mit sterilisirter Kochsalzlösung 
848. 

Asthma, Behandlung des ... 218. 

— Natrium nitrosum gegen ... 591. 

— Resorcin bei ... 24. 

Atropin, Ueber die Wirkung des ... auf den Darm¬ 
canal, in Hinsicht auf die Behandlung einge¬ 
klemmter Unterleibsbrüche mit Belladonna und 
Atropin, 1786. 

Augenhöhle, Verfahren zur Deckung der ... nach 
Ausräumung derselben, 178. 

Augenleiden, Hypnotische Suggestivlherapie bei 
464. 

Ausstellung, Die medicinisch-wissenschaftliche ... 
in Berlin, 1477, 1518. 

Auswaschung, Ueber ... des menschlichen Organis¬ 
mus und über den Werth und die Methoden der 
Wasserzufahr, 1779. 

Bacteriengifte, Untersuchungen über ... 584 
Baisamum copaivae als Diureticum, 1549. 
Bauchsarcom, Zwei Fälle von cystisoh orweichtem ... 

1989. 


Behandlung der chronischen Diarrhoe mittelst 
Ruhe und Massage, 1471. 

Behandlung der Lungentuberculose nach Robert 
Koch, Ueber die ... 1849. 

Behandlung der Tuberculose nach der Koch’schen 
Methode, Ueber die ... 1852. 

Behandlung des Abdominaltyphus mit a-Naphthol 
1469. 

Behandlung des chronischen Morbus Brightii, Ueber 

die ... 1689, 1731. 

Behandlung, Ueber die ... des Diabetes, 1716, 1753. 
Behandlungsmethode der Diphtherie 1549. 

Beitrag zur Behandlung des weichen Kropfes 
mittelst parenchymatöser Jodoforminjection 1613- 
Bergsteigen, Ueber die Wirkung des Gehens, ... 
und andererer Muskelbewegungen auf den Stoff¬ 
wechsel, 466. 

Bewegungsstörungen, Ueber Behandlung ataotischer 
... 1829. 

Blasenausspülung, Die ... beim Manne ohne 
Katheterismus, 929. 

Blasenscheidenfisteloperationen, Ueber ... und über 
Beckenhochlagerung bei Operationen in der 
Bauchhöhle, 1699. 

Blasentumoren, Ueber die Classification der ... 1529. 
Bleichsucht, Behandlung der ... 424. 

— und Aderlass, 13. 

Blepharitis squamosa, Behandlung der ... 972. 
Blutalkalescenz, Fieberbehandlung und ... 677. 
Blutdruck, Ueber ... und Blutgröße im lauen, be¬ 
ziehungsweise kohl’-nsauren Bade und dessen 
Bedeutung für das Herz, 851. 

Blutungen, Atropin zur Behandlung visceraler ... 

1830. 

— Behandlung der ... post partum, 136, 382. 

— Einfluß der ... der Mutter auf die Vitalität 

des Fötus, 24. 

— Ueber die Behandlung der ... post partum, 136. 
Blutuntersuchungsmethode, Ueber ein« neue ... 

(specifische Resistenz der rothen Blutkörperchen) 

1375. 

— Ueber eine neue ... zur Bestimmung des speci- 

flschen Gewichtes des Blutes, 2032. 

Bösartige Geschwülste, Ueber die Giftigkeit der ... 
1090. 

Breus’sche Zange, Zur Anwendung der ... 57. 
Bromdthylnarcose, Die ... 455. 

— Ueber ... 1629. 

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Bromäthyl, Ueber ... und seine Verwerthung in 
der ärztlichen Praxis, 925. 

— Wirkung des ... als Anästheticum, 1187. 
Bromoform bei Keuchhusten, 1223. 

Brustdrüse, Behandlung der acuten Erkrankungen 
der . .. 1018. 

Bürsten , Ueber Desinfection ärztlicher .. . 928. 
Cactus grandifloru8, Die Wirkung des ... bei 
manchen Formen von Herzkrankheiten, 383. 
Canabis indica, Anwendung der ... in der Behand¬ 
lung der gastrischen Neurosen und Dyspepsien, 

1542. 

Carbolsäure, Behandlung des Abdominaltyphus 
mit ... 1222. 

Carboiseifenlösungen, Ueber die Verwendung der ... 

zu Desinfectionszwecken, 377- 
Carcinomc, Ueber multiples Auftreten primärer . .. 

1623. 

Carie8 und Necrose des Schläfenbeines, Die Be¬ 
handlung der ... vermittelst Säuren, 1306. 
Casuistische Mittheilungen aus der I. chirurgischen 
Abtheilung des Prof. v. Mosetig-Moorhof im 
k. k. Krankenhause Wieden, Wien, 1209, 1577. 
Catgut, Experimentelle Untersuchungen über Des¬ 
infection des . .. 324. 

Cerium oxalicum gegen Husten, 260. 

Chalazion, Tuberculöse Natur des . . . 1163. 

Chancre, Der heutige Stand der Aetiologie des . . 28. 
Chininvergiftung, Ein Fall von acuter ... mit 
scharlachähnlichem Exanthem, 571. 

Chirurgie des Centralnervensystems, Ueber die ... 

1453, 1496. 

Chirurgie, Ueber das physiologische Ziel und die 
Nothwendigkeit einer conservativen ... in der 
Gynäkologie, 1653. 

Chloralamid, Die Anwendung des ... in subcutanen 
Injectionen, 671. 

Chloralhydrat, Die Anwendung des ... in der 
Chirurgie, 1590. 

Chlormethylspray, Zur Wirkung des ... 1706. 
Chlorodyne, Subcutane Injectionen von ... gegen 
profuse Diarrhoen bei acuten Infectionskrank- 
heiten, 591. 

Chloroform, Untersuchungen über die Einwirkung 
des ... auf Bacterien, 1584. 

— Ueber die Anwendung des ... in sehr kleinen 
Dosen zur Hervorrufung des hypnotischenSchlafes, 

1551. 

— bei Geisteskrankheiten, 1866. 

Chloroforminjectionen , Behandlung der Neuralgien 
mit ... 382. 

Cholera, Behandlung der ... mit Sublimatinjectionen, 

1163. 

— Schutzimpfung gegen ... 69. 

Cholerabacillus, Ueber die tödtliche Wirkung der 

Malzabfälle auf den .. 1512. 

Chorea, Behandlung der ... mit Natr. salicylicum, 
1013. 

— Sulfonal gegen ... 971. 

Chronisch circumscripte Entzündung und Polyp 
des äußeren Gehörganges, 1534. 

Cladothrix, Ueber eine neue pathogene ... und eine 
durch sie hervorg*-rufene Pseudotuberculose, 894. 
Cocainanwendung bei größeren Operationen, 22. 
Cocaxnintoxicationen, Schwarzer Kaffee bei ... 1866. 
Cocainintoxicationserscheinungen nach E nspritzung 
in die Paukenhöhle, 510. 

Coccillana, Wirkung des .. . bei Lungenkrankheiten, 
218. 

Coffein, Der Gebrauch von hypodermatischen Injec¬ 
tionen von ... in der Behandlung von Blutungen 
post partum 1221. 

— Ueber die Wirkung des ... auf die motorischen 
und respiratorischen Functionen, 449. 
Collodiumbehandlung, Ueber den Werth der ... bei 
erschlafftem Trommelfell, 364. 

Coma diabeticum, Behandlung des ... 62, 1468. 
Conjunctiva plastica, Eine radicale Heilmethode des 
chronischen Trachoms, 420. 

Creolin bei Angina lacunaris, 1668. 

— bei Erysipel und Eczem, 1431. 

— Die resorbirende und entzündungswidrige Eigen¬ 

schaft des ... 1306. 

— Ueber die Giftigkeit des ... und seinen Einfluß 

auf den Stoffwechsel, 340. 

— Zur therapeutischen Anwendung des .. . 716. 

— Ueber die antiseptische Wirkung des ... 2031. 


Cresotinsäure, Ueber die physiologische und thera¬ 
peutische Wirkung der ... 217. 

Cystitis, Therapie der ... beim Weibe, 179. 

Darm-Antisepsis, Ueber ... 852. 

Darmresorption, Beeinflussung der . .. durch Arznei¬ 
mittel, 760. 

Darmverschluß, geheilt durch Aetherclystiere, 449. 
Darmwandbrüche, Ueber ... 201, 249. 

Delirium tremens, Ueber ... 67. 

Demonstration eines Falles von tiefer Caries und 
eines solchen von Scheidendammincission, 1314. 
Denguefieber-Epidemie und die Infiuenza-Epidemie 
zu Smyrna, Notizen über die ... 1113, 1149, 
1214, J 302, 1342. 

Dermoidcyste in der Excavatio sacralis, 68. 
Desinfection, Zur ... der Hände, 752. 

Desinfectol, Ueber das . .. und dessen desinficirende 
Wirkung auf Fäcalien, 500. 

Diabetes mellitus, Heilung des ... mittelst subcutanen 
Injectionen von Ergotinin, 1987. 

— Ueber ... bei Kindern, 626. 

— Ueber das Verhalten der Magenfunction bei ... 

626. 

Diabetestheorie, Eine neue ... 97. 

Diagnostik der Schwangerschaft, Veränderungen der 
Phosphate im Harn in B*zug auf die ... 847. 
Diätetik, Die Grundsätze der ... bei Krankheiten 
der Verdauungsorgane, 468. 

Diazo-JReaction, Zur klinischen Bedeutung der ... 
Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 
von verschiedener Temperatur und Menge auf 
das gesunde und kranke Herz, 1776, 1856. 
Diphtherie, Anwendung des Eesorcin bei ... 1053. 

— Behandlung der . . . 1628. 

— Behandlung der ... mit Thymol, 717- 

— Eine neue Behandlung der . .. 338, 1188. 

— Immunisirungsversuche bei ... 2026. 
Diphtherie-Croup im Königreiche Preußen in den 

Jahren 1875—1882, 458. 

Diphtherie-Immunität bei Thieren, Untersuchungen 
über das Zustandekommen der ... 2026. 
Drüsenerkrankungen, Ueber die subcutanen ... im 
Fpätstadiura der Syphilis (Lymphoma oder Bubo 
gummös, s. tertiär.), 1118. 

Dysenterie, Behandlung der ... und der Oxyuris 
vermicul. mit Naphthalinclysmen-Suppositorien, 

971. 

— Behandlung der ... mit Salicylsäure, 631. 
Dyspepsie, Ueber die ... der Phthisiker, 213. 
Dysphagie, Ein Fall von ... mit Oesophagusdila- 

tation, 53, 92. 

Dyspnoische Anfälle, Quebracho gegen ... 591. 
Echinococcusblasen, Transplantation von ... vom 
Menschen auf Kaninchen, 449. 

E/ingewachsener Nagel, Behandlung des... 802,1052. 
Einfluß des Räucherns auf die Infectiosität perl¬ 
süchtiger Rinder, 1748 

Eiterung, Ein Beitrag zur Aetiologie der ... 1073. 
Eitrige Otitis, Behandlung der ... mit Naphtol- 
campher, 143. 

Eitrige Pleuritis, Behandlung der ... mit intra- 
pleuralen, antiseptischen Injectionen, 929. 
Eisen-Moorbäder, Die ... und deien Surrogate, 661, 

707, 789, 829, 880. 

Elektrische Beleuchtung, Gasbeleuchtung und ... 

vom hygienischen Standpunkte, 411. 
Elektricitüt, Lie ... in der Gynäkologie, 470. 
Empyeme, Die Behandlung der ... 613. 

Entropium senile, Einfaches Verfahren gegen Ptosis 
und ... 421. 

Enuresis nocturna bei Kindern, Behandlung der ... 
1338. 

— Ueber die Ursachen und Behandlung schwerer 

und hartnäckiger Fälle von ... beim männlicher. 
Geschlecht*, 669. 

Epilepsie, Anwendung von Borax bei ... 760. 

— Ueber die toxische Wirkung des Harnes bei ... 69. 
Epistaxis, Oedema pulmonum acutum, 923. 
Erbrechen, Menthol gegen ... 890. 

— Schwangerer, Menthol gegen ... 62. 

Ergotin bei Erysipel, 510. 

Ernährung der Säuglinge mit peptonisirter Milch, 

926. 

Ernährung per rectum bei Behandlung des Ulcus 
ventriculi, 1747. 

Ersatz der Oblaten, Japanisches Pflanzenfaserpapier 
als ... und Gelatinekapseln, 891. 

Erysipel, Ergotin bei ... 510- 


Erysipel, 

— Heilwirkung des ... bei malignen Tumoren, 421. 
—Antagonismus zwischen ... und Diphtherie, 421. 
Euphorine, Ueber die Wirkung des ... 1592. 
Exalgin, Die physiologische und therapeutische 

Wirkung des . .. 63. 

— Erfahrungen über ... 930. 

— Vergiftung mit ... 848. 

— Ueber ... 1830. 

Exstirpation beider Hoden, Nervöse und psychische 
Störungen nach ... 873. 

Extragenitalsclerosen, Ueber ... 105. 
Extrauterinschwangerschaft, Ueber ... 348, 387. 
Fettleibigkeit und Hämorrhagie, 423. 

Fiebergenese, Ueber Wärmeregulirung und ... 424. 
Fistula recti, Ein Vorschlag zur Behandlung der .. . 

und des periproctischen Abscesses, 1053. 
Fliegenlarven, Erbrechen von .. 889. 

Forschung, Ueber bacteriologische ... 1256. 
Fractures of the neck of the femur, The treatment 
of ... by immediate reduction and permanent 
flxation, 796. 

Frostbeulen, Mechanische Behandlung d» r ... an 
den Händen, 1129. 

Frühgeburt, Ueber künstliche ... 1298. 
Fußamputation, Die osteoplastische ... 1649. 
Fußgelenk, Ein einfacher Weg, das ... freizulegen, 935. 
Fußschweiße, Die Chromsänrebehandlung der ... in 
der Armee, 890. 

Gallensteine, Ueber eine zweckmäßige Methode der 
operativen Entfernung der ... 212. 
Galvanisation, Zertheilung von Geschwülsten durch 
percutane ... 1591. 

Galvanischer Strom, Ueber die keimtödtende Wirkung 
des ... 1154. 

Galvanotherapie des Gehirns, 1705. 

Gasaustausch, Ueber den respiratorischen ... im 
Fieber, 683 

Gastrische Neurasthenie, Ueber ... und ihre Be¬ 
handlung, 375. 

Gastro-Enterostomie, Ueber ... 935. 

Gastrostomie, Eine neue Methode der ... '99 
Gas • und elektrisches Licht, Bemerkungen über ... 

839 

Gebärmutter, Ueber die Annäherung der retroflectirten, 
aufgerichteten ... an die vordere Bauchwand, 

376. 

Gebärmutter-Schleimhaut, Beitrag zur Kenntniß 
der normalen ... 1272. 

Geburtsact, zur Kenntniss des ... älterer Erst¬ 
gebärender 1914. 

Geburtshilfliche Praxis, Aus der ... 1581. 
Geburt8hindemiß, bedingt durch die excessiv er¬ 
weiterte Harnblase des Fötus, 332. 
Gefäßreaction, Ueber eine eigentümliche ... der 
Haut, 972. 

Gelenke, Operationen an paralytischen ... 1902. 
Geschlechtsleben des Weibes nach der Castration, 
Ueber das ... 1352. 

Gesichtserysipel, Behandlung des ... mit Zerstäubung 
von Sublimatäther, 849. 

Gesundheitspflege, Vorlesungen über die öffentliche 
und private ... 137. 

Glaubersalzhältige Mineralwässer, Einige praktische 
Bemerkungen zur therapeutischen Verwerthung 
der ... 496. 

Glottisödem, Acutes ... nach Jodkaliurogebrauch, 542. 
Glycerin, Anwendung des ... 511. 

Gonorrhoe des Weibes, Endoskopische Beiträge zur 

. .. 1409. 

Gurpinöl als Expectorans, 1784. 

Hämoglobingehalt, Ueber den ... des Blutes bet 
chirurgischen Erkrankungen mit Rücksicht auf 
den Wiederersatz von Blutverlusten, 896. 
Hämorrhagie, Fettleibigkeit und ... 423. 

Harn, Ueber die pilztödtende Wirkung des frischen .. . 

des gesunden Menschen, 711. 

Harnsäure, Eine neue Reaction auf ... 671. 
Harnsaure Nierensteine, Zur Behandlung der, 970. 
Harnuntersuchung, Beiträge zur Methodik der ... 

825, 877. 

Herpes, Aboriivbehandlung des ... 1128. 

Herpes Zoster, Rolle der nervösen Belastung iu der 
Pathogenese des ... 23. 

Herz, Die Wirkung innerlich aufgenommenen WasRers 
von verschiedener Temperatur auf das gesunde 

und kranke ... 1609, 1658, 1695, 1738, 1815, 
1899, 2060. 


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Herzinnervation, Beiträge zur 674. 

Herzkrankheiten, Neurasthenie und ... 423 

— Ueber die Principien der Therapie der ... 41, 

85, 130, 168. 

— Ueber die Prognose der ... 137. 

Herzmusculatur, Veränderungen der ... bei Klappen¬ 
fehlern, 760. 

Herzneurosen, Ueber den Zusammenhang der ... 

mit Nasenleiden, 143. 

Herztöne, Die .. . und Gefäßtöne, 572. 

Hodenexstirpation, Nervöse and psychische Störungen 

nach beiderseitiger ... 917, 959, 1000. 
Hundsunith, Fall von ... 103. 

Hüßgelenksluxation, Ueber die operaiive Behandlung 
der angeborenen . .. 763. 

Hyderabad-Chloroform-Commission, Der Bericht der 
«weiten ... 964. 

Hydracetinintoxication, Netzhautblutung bei ... 548. 
Hydrargyrum oxydulat. nigrum purum, Behandlung 
der Syphilis mit Injectionen von ... 303. 
Hydra8tinin, Ueber ... und dessen Anwendung bei 
Uterusblutungen. 55. 

Hydroencephalocele, Zur Anatomie und Behandlung 
der ... 585 

Hydronaphtol, zur Behandlung der Diarrhoe, 1867. 
Hypnal, Die schlafmachende Wirkung des ... 597, 
1947. 

Hypnose, Ueber die therapeutische und gerichtliche 

461. 

— Versuch einer Anwendung der ... zur Auf¬ 
klärung einiger physiologischer Fragen 1591. 

— Bedeutung der ... 493, 540. 

Hypnotisirte, Ophthalmoskop»che Unten-uchnng des 
Augenhintergrundes bei ... 69. 

Hysterie, Ein merkwürdiger Fall von .. . 293. 
Hysterisch-religiöse Ekstase, Eine Epidemie von . .. 
969. 

Ichthyol, Anwendung des .. . bei Frauenkrankheiten, 
509, 1907. 

— Beitrag zur äußeren nnd inneren Anwendung 

des ... 550. 

Impfschutz, Neue Beiträge zur Frage des ... 1312. 
Impotenz, Behandlung der männlichen .. . mittelst 
Suspension, 632. 

Improvi8ation8kvnst, Die ... auf dem Verbandplätze, 

96. 

Indicanurie im Säuglingsalter, Ueber.. . 1569, 1617. 
Indicationen der Ovariotomie und der Myomotomie, 
Die ... 1505. 

Infectionskrankheiten, Ueber den Einfluß des Hungers 
auf die Empfänglichkeit für ... 1705. 
Influenza, DiscusHon über ... 146. 

— Die ... in Wien, 147. 

— Bacteriologische und pathologisch-anatomische 
Untersuchungen über die ... und ihre Compli- 
cationen, 181. 

— Bacteriologische Untersuchungen über ... 225, 

26, 27. 

— Prophylaxe der ... 303. 

— Ueber die ... 25, 106, 245, 974. 

— Ueber Obraffectionen bei ... 241. 

— Zur Aetiologie der ... 187. 

— Zur Pathologie und Therapie der ... 142. 
Influema-Exanthem, 453. 

Intermittens, Intravenöse Injectionen von Chininsalzen 

bei ... 143. 

Intraperitoneale Verletzungen, Ueber den Bauch¬ 
schnitt bei Behandlung ... 456. 

Ischias 8Coliotica, Ueber ... 427. 

Jodkali, Acutes Glottisödem nach ... 542. 

— gegen Urticaria, 1670. 

■— die innerliche Anwendung des ... gegen Höhlen¬ 
wunden 1949. 

Jodoform, Löslichkeit des ... in mit Kampher ge¬ 
sättigtem Olivenöl, 929. 

Jodoforminjectionen, Die Behandlung der tuber- 
culösen Gelenksaffectionen mit ... 807. 

— Ueber die Behandlung tuberculöser Gelenke und 

Senkungsabscesse mit ... 679. 

Jodol, Die therapeutische Verwendbarkeit des ... 

in der syphilidalogischen Praxis, 289, 329, 374. 
Kaffeevergißung, Ein Fall von ... 1092- 
Kamphersäure, Beiträge zur therapeutischen Ver- 
wertbung der ... 286. ■ 

Kehlkopßuberculose, Die Behandlung der ... 386. 
Keuchhusten, Behandlung des ... mit Uabain, 759. 

— Behandlung des ... mittelst Inhalationen von 

Fluorwasserstoffsäure, 1828. 

— Terpentinhydrat gegen ... 466. 


Keuchhusten, 

— Wirkung des Bromoform beim ... 1011. 

— Zur Therapie des .. . 803. 

Klinische Beobachtungen über die physiologische 
Wirkung der mehrfach äthylirten Sulfone des 
Trional und Tetronal, 1469. 

Knochenkerne, Ueber die Entwicklung der ... der 
Gliedmaßen im ersten Lebensjahre, 161, 206 
Koch, Behandlung der Tuberculose nach Robert ... 
1809, 1915. 

Koch'sches Heilverfahren, Mittheilungen über das ... 
gegen Tuberculose ... 1889, 1909, 1935, 1943, 
1950, 1953, 1972, 1980, 2022, 2036, 2064. 

— Das ... 1995, 2042. 

— Ueber die Wirkungen von ... 1929. 

— Ueber die Versuche mit ... 1892, 1937, 2018. 
Koch’s Mittel , Ueber die Versuche mit ... gegen 

Tuberculose, '909, 1974. 

Koch’sche Lupusbehandlung, Zur . .. 1978. 

Koch'sehe Verfahren, Sectionsresultate bei zwei 
Phthisisfällen nach dem .. . 2035. 

Krankheiten der Nebenhöhlen der Nase, Diagn-'se 
und Therapie der ... 1434. 

Krankheiten des uropoetischen Systems, Bericht 
über die Fortschritte in der Pathologie und 
Therapie der ... 138. 

.Krebse, Künstliche Ueberliäutung offener ... durch 
Hauttransplantation nach Thier,ch, 1592. 

Krebs der Gebärmutter, Ueber den ... 254. 
Kresalol als Wandbehandlungsmittel, 1828. 

Kropf, Behandlung des weichen ... mit parenchy¬ 
matösen Injectionen von Jodoform, 1, 1613. 
Kugelthromben, Zur Pathologie und Diagnose der 
sogenannten ... im Herzen, 626. 

Künstliche Frühgeburt, Eine neue Methode zur Ein- 
bituug d*r ... 1860. 

Laparotomien, Beckenhochlagernog bei ... 1865. 

— Resultate der aseptischen ... 1392. 

Larynxphthise, Kann bei ... durch endolaryngeale 
chiiurgische Behandlung eine radicale Ausheilung 
im Kehlkopf erlangt werden? 1671. 

Lavoisier, Ueber ... und seine Bedeutung für die 
Entwicklung unserer Vorstellungen der Lebens¬ 
vorgänge, 1597. 

Lebende Fliegenlarven im Magen eines 6 1 /* Monate 
alten Kindes, 889. 

Leberdbsces8e, Behandlung der ... mittelst Punctions- 
drainage, 718. 

— Zur Behandlung der ... 253. 

Lebercirrhose, Zur Lehre von der ... 187. 
Leberkoliken, Subcutane Aetherinjectionen gegen . .. 

1669. 

Ijeichenerschtinungen, Ueber einige ... 1449, 1489. 
Lepra, Ein geheilter Fall von ... 849. 

Lichen ruber acuminatus, Ueber ... 145. 
Lidspaltenerweiterung bei Hornhauterkrankungen, 

1473. 

Lithium, Zur Verordnung des ... bei Gicht, 419. 
Lues, Die ... des Herzens von der klinischen Seite 
betrachtet, 1217. 

Lungenbrand, Untersuchungen über die Aetiologie 

des ... 697, 745. 

Lungenentzündung, Ueber den Werth der antisep¬ 
tischen Behandlung der ... 1629. 
Lungenphthise, Antifebrinisation in refracta dosi 
beim Typhus abdominalis und bei der ... 1669. 

— IuhalaMonen von Perubalsam gegen ... 1011 
Lungenschwindsucht, Immunität der Bevölkerung 

und Ortschaften mit Kalkindustrid gegen die ... 

1127. 

— Ueber die Behandlung der ... besonders in den 

Ho-piiälern für Schwindsüchtige, 1394. 

— Wirkung der Borsäure auf die ... 1550. 
Lungentuberculose, Combinirte Behandlung der ... 

mit Creosot und Terpentinöl, 381. 

— Ein weiterer, durch Gesichtserysipel geheilter 

Fall von ... 1348. 

Lupus erythematodes, Verhalten des .. . zur Koch- 
Bchen Injection 1951. 

Lupus uteri, Ein Fall von ... 1947. 

Lysol, Ueber ... ein neues Desinfectionsmittel, 856. 
Mac Ewen, Ueber die Radicaloperation der Hernien 
nach ... 853. 

Magenkrankheiten, Uebor die Anwendung der Milch 
zur Diagnostik der ... 171. 

Magenkrebs, Ein Fäll von Entwicklung von .. . auf 
der Basis eines runden Magengeschwür» s, 489. 
Magensaft, Eine neue quantitative Methode zur Be¬ 
stimmung der freien Salzsäure im ... 2009. 


Magenverdauung, Der Einfluß des Pilocarpin, mur. 
nnd des Atropin, sulf. auf die ... 1092. 

— Ueber ... bei Nierenentzündung, 759. 

— Urber den Einfluß des Alkohols auf die ... 1704. 
Malaria, Behandlung der ... mit Kaliumnitrat, 1222. 

— Pikrinsaures Ammoniak gegen ... 104. 

— Zur Aetiologie der ... 762. 

Malariaplasmodien, Demonstration von ... 267. 
Massage bei der Behandlung Geisteskranker, 717. 

— beziehungsweise Vibration der Schleimhaut der 

Nase, des Nasenrachenraumes und des Rachens, 

1794. 

Mastdarmcarcinome, Die Operation hochsitzender .. • 
in zwei Zeiten, 939. 

Mastitis, Behandlung der parenchymatösen ... und 
der Phlegmone der Brust mit dem Gypsverbaude, 

179. 

Mechanismus der Infection und der Immunität, 
Ueber den ... 1377. 

— der Infection, Ceber den ... 1329. 
Mechanotherapie , Neuere Arbeiten über ... 1662, 

1701. 

M6nih'e’scher Schwindel, Die Behandlung des ... 339. 
Menstruation, Das balneotherapcutische Verfahren 
während der ... 335. 

Menthol gegen Erbrechen Schwangerer, 62. 

— und Eucalyptusöl, Zur localen Anwendung bei 

Affectioneu des Mittelohres, 1306. 
Mercurialstomatitis, Die ... und ihre Behandlung, 
628. 

Methacet'n, Ueber die Wirkung des ... 670. 
Mikroorganismen der Krebsneubildungen, Ueber die 

... 1145, 1185, 1211, 1300. 

Milchdrüsen, Ueber eine neue Krankheit der ... 935. 
Milchzucker, Ueber die diuretische Wirkung des ... 
802. 

Milzbrand, Dosirnng der Carbolsäure ■ bei Behand¬ 
lung des ... 420. 

Mitralinsufficienz, Experimentelle Untersuchungen 
über die künstlich erzeugte ... und ihren Ein¬ 
fluß auf Kreislauf und Lunge, 667. 
Mitralstenose, Ueber das Verhalten der linken Herz¬ 
kammer bei ... 850. 

Möglichkeit der Verabreichung von Medicamenten 
durch Trachealinjectionen, 1548. 

Monoplegia anaesthetica faciei 401, 448. 

Morbus Brightii, Ueber die Behandlung der chro¬ 
nischen ... 1493. 

Morrhuol, Das ... bei beginnender Tuberculose, 312. 
Morphinvergiftung, Behandlung der ... mit Atropin, 

508. 

Mouches volantes, Behandlung der 1988. 

Mussanin, ein neues Anthelmlnthicum. 303. 
Mutterrohr, Soll den Hebammen der Gebrauch des ... 
in der geburtshilflichen Praxis verboten werden V 

165. 

Myocarditis, Eine neue organische Herzkrankheit, 
die essentielle, chronische, segmentäre ... 470. 
Myofibrom, Ein ... des weichen Gaumens, 936. 
Myositis, Ein Fall von multipler, acuter, eitriger .. . 

ohne vorausgegangene Verletzung, 1004- 
Myxödem beim Kinde, 1122. 

— Ueber ... 1266. 

Naphtolcampher, Behandlung der eitrigen Otitis 
mit ... 143. 

Naregamiatinctur, ein neues Expectorans, 381. 
Nasenpolypen, Eine einfache Methode der Entfernung 

von ... 1729. 

Nasenscheidewand, Das perforirende Geschwür der ... 

1007. 

Natrium nitrosum gegen Asthma, 591. 

Natrium salicylicum, Behandlung der nervösen 
Pleuritis mit ... 1347. 

— bei Maseru und Scharlach, 1467. 

— Ueber einige Anwendungen des ... 6, 50. 
Nephritis, Ueber die Behandlung der chronischen .. . 

718. 

Nervöses Herzklopfen, Ueber ... und sonstige, auf 
Innervation beruhende Herzaffectionen, 467. 
Netzhautabhebung, Behandlung der ... 104. 
Netzhautablösung, Zur operativen Behandlung der . .. 

mittelst Jodinjection in den Bulbus, 940. 
Neuralgien, Behandlung der ... mit Chloroform- 
injectionen, 382. 

— Behandlung der rheumatischen . .. mit Aether¬ 

injectionen, 1012. 

— Die Anwendung des Crotonchloral bei ... 1988. 

— Zur Pathologie und Therapie der . .. 467. 


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Neurasthenie und Herzkrankheiten, 428. 

Neuritis multiplex, Ueber ... 281, 325, 370. 
Neurosen des Magens, Zur Therapie der ... 133. 
Nicotin, Speciflsche Wirkung des ... bei SiDgultns, 218. 
Nicotinpsychose, Ueber ... 1309. 

Nierentuberculose, Ueber die operative Behandlung 
der ... 808. 

Nona, Ein Pall von ... 750- 

— Zwei Fälle von sogenannter ... 1052. 
Oberschenkelbrüche, Eine neue Schiene zur Behand¬ 
lung von ... ohne dauernde Bettlage, 11. 

— Ueber Behandlung der ... im Umhergehen, 1819. 
Obstipation, Ueber habituelle ... 361, 441, 406. 

— Zur Behandlung der chronischen ... 1747. 

— Der galvanische Strom bei chronischer... 2072- 
Oesophagusstenosen, Ueber die Behandlung von... 937. 
Ohraffectionen, Ueber ... bei Influenza, 241. 
Ohrenkrankheiten, Ueber den Einfluß des Geschlechtes 

auf die Localisatiou der ... 1550. 

— Zur Statistik der ... 1354. 

Ohrmuschel, Die Form der ... bei Normalen, bei 
Geisteskranken und bei Verbrechern 1473. 
Ohrschmerz, Der . .. und seine Behandlung, 1045. 
O« the healing of aseptic bone cavities by implan- 
tation of antiseptic decalcifled hooe, 135. 
Operation großer alter Leistenbräche, Gefahr bei ... 
1704. 

Opiumextract, Subcutane Injectionen von ... bei ver¬ 
schiedenen Formen von Geisteskrankheiten, 716. 
Opiumvergiftung, Behandlung der . . . mit Atropin, 

508. 

Orchitis, Die neuen Behandlungsmethoden der ... 928. 
Oresinum muriaticum, Ueber die Wirkung des . .. 
als Stomachicum, 757. 

— Ueber ... muriaticnm, 1820. 

— muriaticum, Versuche mit ... 1622. 

Orexin, Zur Kenntniß des ... 1622. 

— Salzsaures ... ein echtes Stomachicum, 296- 

— Ueber die Anwendungsweise des ... 1223. 

— Wirkung des ... 692. 

Osteotomien, Ueber ... an den unteren Gliedmaßen, 
34 J . 

Oxyuris vermicularis, Behandlung der Dysenterie 
nnd des ... mit Naphtalinclysmen und -Suppo- 
sitorien, 971. 

Ozaena, Therapie der ... 1222. 

Pachymeningitis, Ueber den ... Proceß, 672. 
Paralyse, Ueber eine eigentümliche Form von 
periodischer, wahrscheinlich autointoxicatorischer 
... 1418, 1457, 1500, 1536. 

— Zur chirurgischen Behandlung der progressiven, 

260. 

Panbotano, Ersatzmittel für Chinin, 471. 

Pancreas, Die therapeutische Ve> wendung des ... 
1052. 

Pemphigus, Ueber ... 931. 

Perforationsperitonitis, Ueber die Diagnose und 
operative Behandlung der ... 295. 

Perspiration, Ueber di« insensible ... der Hant, 624. 
Perubalsam , Ueber den Einfluß des ... auf die 
Nieren, 340. 

Pes valgus und das biologische Grundgesetz, 529, 574. 
Pes varus und das biologische Grundgesetz, 529, 574. 
Phlegmone der Brust, Behandlung der ... mit dem 
Gyps verbände, 179. 

Phenacetin bei Behandlung des Typhus abdominalis, 

670. 

Pilocarpin, Anwendung des ... gegen Schwerhörig¬ 
keit, 5259. 

— gegen Laryngo-Bronchitis crouposa, 1194. 
Pitjecor gegen chronische Lnngenaffectionen bei 

Tuberculösen, 302. 

Placenta praevia centralis, Ueber einen mit einer 
Querlage complicirten Fall von ... 837. 

Plexus coeliacus, Experimentelle Studien über die 
Folgen der Ausrottung des ... 805. 

Plumbum causticum, Die Behandlung der spitzen 
Condylome mit .. . 339. 

Pneumonie, Fall von durch ein äußeres Trauma be¬ 
dingter acuter ... 1669. 

— Trachealinjectionen bei ... 108. 

Pneumothorax, Verfahren zur Beseitigung der acuten, 

nach Perforation der Brustwand entstandenen ... 

1430. 

Podagra, Ein Fall von, auf orthopädischem Wege 
geheilter ... 970. 

Pocken und Varicellen, Zur Identitätsfrage der ... 
1785. 


Positiver Pol, Ueber die Wirkung des ... des con- 
stanten galvanischen Stromes auf Mikroorga¬ 
nismen, 1154. 

Präperitoneale Lipome, Zur Casuistik der ... 785. 
Pseudomikroben des menschlichen Blutes, Ueber ... 

1470. 

Psoriasis, Behandlung der ... mit Aristol, 510. 
Pterygium, Heilung von . .. mit Quecksilberlanolin, 

1906. 

Ptosis, Einfaches Verfahren gegen . .. und Entropium 
senile ... 421. 

Pubertätsentwicklung und das Verhältnis derselben 
zu den KrankheitserBcheinungen der Jngend, 
Ueber die ... 1307. 

Pulsform und Klappenschluß, Ueber die Beziehungen 
zwischen ... 804. 

Pulsverlangsamung, Zwei Fälle von außergewöhn¬ 
licher, 1164. 

Pyocyankrgnkheit, Ein Fall von ... beim Menschen, 
1861. 

Pyothorax subphrenicus, Ueber ... 543. 

Quebracho gegen dyspnoische Anfälle, 591. 
Quecksilber in den Band Würmern, Das Vorkommen 
von ... eines mit Quecksilber behandelten 
Syphilitikers, 305. 

Quecksilbertherapie hydropischer Herz-, Lungen - 
und Nierenkranker, 27- 

Rectumcarcinom, Ueber die neuen Operationsmethoden 

des ... 1574. 

Resorcin und eine besondere Anwendung desselben 
bei Hautkrankheiten, Ueber . . 1461. 

—• gegen Leichengift 1948. 

— bei Asthma, 24. 

Retroflexio uteri, Operative Behandlung der ... 465. 
Retronasalaffection, Acute ... mit typhoiden Er¬ 
scheinungen, 659. 

— Acute ... mit typhoiden Erscheinungen, Local¬ 

therapie, rasche Heilung, 700. 

Rheostat, Der . .. von Dr. Gärtner, 144. 

Rheostate, Ueber ... und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie mit 
Demonstration eines neuen, für die Praxis be¬ 
stimmten Graphit-Qurcksilberrheostaten 661, 704, 
748, 787, 832, 919, 961. 

Rheostatfrage, Zur ... 1177. 

Rhinosclerombacillen, Ueber ... 67. 

Rotz, Heilung von ... mittelst Quecksilbereinrei¬ 
bungen, 1511. 

Rötheln, Ein Beitrag zur Frage der Selbstständig¬ 
keit der . ... 1774. 

Rissige Hände, Gegen ... 218. 

Rudolfsstiftung, Mitiheilungen aus der gynäkolo¬ 
gischen Abtheilung der k. k. Krankenanstalt... 
in Wien. 408. 

Saccharin, Ueber das .. . 339. 

— Zusammensetzung und Verwendbarkeit des käuf¬ 

lichen ... 1784. 

Salbenconstituens, Ein neues ... 1630. 

Salicylsäure alsProphylacticum gegen Scharlach, 550. 
Salipyrin, Die Wirkung des ... 1988. 

— Ueber die Wirkung des ... 1410. 

Salol als innerliches Antisepticum der Harnorgane, 
260- 

Samen, Beitrag zur Chemie des ... 1223. 

Santal, Ueber die Anwendung des ... 352. 
Santoninoxym als Ersatzmittel für Santonin 2030. 
Scabies, Behandlung der .. . mit Creolin, 1630. 
Scarlatina, Behandlung der ... mit essigsaurem 
Ammoniak, 1592. 

Schädeldefecte, Der knöcherne Ersatz großer ... 1585. 
Schnellhärtung, Ueber ... des Rückenmarkes mittelst 
des elektrischen Stromes, 1013. 

Schröpfkopf, Elektrischer ... ein Apparat zur Er¬ 
regung von Wehen, 1431. 

— Einige Versuche mit dem . .. 1901. 

Schuhdruck, Zur Therapie des ... und dessen Folge¬ 
übel, 536, 580. 

Schweißfüße, Behandlung der ... 102. 

Schwangerschaf tsdauer, Fall von abnorm langer ... 
261. 

Schwefelblumen, Die äußere Anwendung der ... 1051. 
Sclerodermie, Massage bei ... 1431. 

Scoliose, Ueber ... 219. 

Sectio caesarea post mortem, 413. 

Seekrankheit, Kolasamen gegen die .. . 890. 
Semilunarklappenschluß, Ueber den .. . 762. 
Sehnenreflexe, Ueber ... 678. 
Sehnenscheidentuberculose, Ueber primäre ... 936 
Sehnenverletzung, Einige Fälle von ... 144. 


Septicämie mit Berücksichtigung der atypischen. 

Typhusfälle, Ueber typhöse ... 1470. 
Seeicasser, Injectionen von ... gegeu Tripper, 218. 
Silbersalze, Ueber Injection löslicher ... bei Tabes, 
467. 

Simulo bei acuter und subacuter Salpingo-Oophoritis, 
1163. 

Sitzen mit gekreuzten Oberschenkeln und dessen 
mögliche Folgen, Das ... 1468. 

Spitze Condylome, Die Behandlung der ... mit 
Plumbum causticum, 339. 

Spondyliti8che Lähmung, Ueber die Trepanation 
des Wirbelcanales bei ... 937. 

Sputa, Zur Chemie der bronchiectatischen ... 142* 
Sterilitas virilis, Ueber ... 185. 

Sterilität, Heilung der ... wegen Cervicalcatarrhs 
durch Jod in statu nascenti, 1128. 

Stillen, Behandlung des Unvermögens zu ... 631. 
Stricturbehandlung, Ueber die ... durch die Ver- 
weilbougie, 252. 

Strophantus, Ueber ... 806. 

Strychnin, als Hirnmittel, 1012. 
Strychninvergiftung, Chloral bei ... 104. 
Subperiostale Resection des Ellbogengelenkes bei 
tuberculöser Osteoarthritis, Ueber die ... 1219. 
Sulfaminol, Ueber ... 1091. 

Sulfonal gegen Chorea ... 971. 

Sulfonalvergißung, Ein letaler Fall von . . . 1906. 
Sumpffieber, Sonnenblume (Helianthus annuus) 
gegen ... 1785. 

Suspensionsbehandlung bei Tabes und anderen Er¬ 
krankungen des Nervensystems, 1129. 
Suspensorium, Ein neues . .. 2030. 

Syphilis, Behandlung der ... mit Calomelpflaster 716. 

— Behandlung der ... mit Hydr. tannic. 14. 

— Bromkalium bei ... 1512. 

— Injectionen von Quecksilberoxydcyanid gegen ... 

1347. 

— Intramusculäre Einspritzungen von Hydrargyrum 

thymolo-aceticum bei . . • 1194. 

— Therapie der ... 913, 956, 997, 1039, 1078, 

1115, 1152. 

— Uebertragung der .. . 4 s / 4 Jahre nach Beginn 

der Primäraffection, 1391. 

— Ueber die Behandlung der ... mit salzsanrem 
Glutinpepton-Sublimat, 1742. 

— Ueber die subcntanen Drüsenerkrankungen im 

Spätstadium der ... 1033, 1076. 

Syphilitische Infection, Einfluß der ... auf den 
Fötus während der Schwangerschaft, 465. 
Syphilitische, Wann dürfen ... heiraten? 1084. 
Tabes dorsalis, Ein weiteres Initialsymptom der ... 
211. 

Tabes, Ueber die frühen Symptome der ... 183. 
Taenia solium , Methode der Abtreibung der ... 
1223. 

Temperatur der Lunge, Ueber den Einfluß der Ein- 
athmung heißer trockener Luft auf die ... 631. 
Terpentinöl, Wirkung des mit Kaliumhydroxyd be¬ 
handelten . . bei catarrhalischen Affectionen 
der Luftwege, 304. 

Tetanie bei Magenerweiterung, 98. 

— im Kindesalter, idiopathische ... 1471. 
Tetanisches Gift, Die Neutralisirung des ... 672. 
Tetanus, Präventivwirkung von Strychnin bei ... 

1670. 

— Urethan gegen ... 717. 

— Zur Behandlung des ... mit subcutanen Injec¬ 

tionen von Carbolsäure, 261. 

Thiol, Die äußerliche Anwendung des ... bei Haut¬ 
krankheiten, 671. 

Thränenschlauchatricturen, Behandlung der, 2071. 

— Therapeutische Versuche mit ... 963. 

Tinctura capsici, Anwendung der ... bei der 

Pneumonie der Alkoholiker, 303. 

Torticollis spastica, Durch große Dosen von Gel- 
semium geheilter Fall von ... 180. 

Trachom, Conjunctiva plastica, eine radicale Heil¬ 
methode des chronischen ... 420. 

— Gefahrlose Behandlung des ... mit Jequirity. 

— Ueber ... 1472. 

— Verfahren zur Heilung des ... 1668. 
Transplantation von Gehirnsubstanz, 1866. 

— der Schleimhäute, Experimentelle Unt«rsuchungen 

über ... 1906. 

Tribromophenol oder Bromol als neues Antisepticum, 
1748. 


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Trichloressigsäure und ihre Anwendung als Aetz- 
mittel bei den Krankheiten der Nase und des 
Rachens, 1693. 1735. 

Trinkerasyl, Zwangsarbeitsanstalt oder ... 126. 

' Tripper, Die Behandlung des frischen ... beim 
Weibe mit dem constanten Strome 1154. 
Trommelfell, Oollodiumbehandlnng bei erschlafftem ... 

304. 

Trommelhöhle, Pathologie und Therapie des äußeren 
Attious der ... 65. 

Trunksucht und ihre Abwehr, Die ... 1506. 
Tubeneäcke, Therapeutische Erfahrungen über ... 

1349. 

Tuberculoee, Bedeutung der Erblichkeit der ... im 
Vergleich au ihrer Verbreitung durch das 
Sputum, 422. 

, — Die peritoneale ... und ihre Heilung durch den 
Bauchschnitt, 1433. 

— Pathogenese und pathologische Anatomie der... 

183z. 

— Robert Koch’s Behandlung der ... 1870. 

. — Ueber die Contagiosität der ... und ihren Ein¬ 
fluß auf die Mortalität der Eingeborenen in den 
vorzugsweise von Phthisikern besuchten Cur- 
orten, 423. 

Tuberculosenfrage, Ueber den gegenwärtigen Stand 
der... 1631. 

Tuberculosis iridis, Fall von ... 28. 
Tuberkelbacillen, Praktische Methode ... zu färben, 
1411. 

— Verhalten der ... an der Eingangspforte der 

Infection 2031. 

— Verschwinden und Wiederauftreten der ... im 

Sputum, 121. 

Typhöse Knochenentzündungen, Zur Klinik der ... 
623. 

Typhus, Die Chloroformbehandlung des ... 1906. 
Typhusbacillen, Uebergang von ... von der Mutter 
auf den Fötus, 1989. 

’Uabain, Behandlung des Keuchhustens mit ...'769.' 
Ueberanstrengung des Herzens, Zur acuten ..., 
deren Behandlung, 761. 

Ueber die Steigerung des intracraniellen Druckes 
und deren Phänomene, 1269. 

Ueber schützende,- regelnde und ausgleichende Vor¬ 
gänge im Organismus, 1769. 

Ulcera mollia, Behandlung der ... mit Liquor ferri 
sesquichl. 64. 

Unna’scher Zinkleim, Ueber die Verwendbarkeit 
des ... in der Chirurgie, 758. 
Unter8chenkelgeschtoüre, Behandlung der ... mit 
Tricotschlauchbinden, 1305- 

— Die Heilung der ... nach der Unna'sehen Methode, 

708. 

Unwirksamkeit comprimirter Arzneimittel, 1748. 
Ural , Die scblafmachende Wirkung des ... bei 
Geisteskrankheiten, 889. 

Urethan gegen Tetanus, 717. 

Uricacidämie, Ueber ... 1630. 

Urobilinurie, Ueber den diagnostischen und pro¬ 
gnostischen Werth der ... 70. 

Uteruscarcinome, Die Aetzung mit Chlorzink als 
palliative Behandlung der inoperablen ... 1829. 
Uteruscarcinom, Ein frühzeitiges Symptom des ... 
1987. 

Vaccination antirabiques, Les ... 4 l’Institut Pasteur. 

Resultats statmtiques, 710. 

Vaginitis, Behandlung der . .. mit Retinol, 1432. 
Varices, Behandlung der ... mit coagulirenden In- 
jectionen, 592. 

Variolapusteln, Behandlung der ... des Gesichtes 
mit Sublimatzerstänbungen, 838. 

Verbandpaste, Antiseptische ... 511. 

Verbrennungen, Behandlung von ... 632. 

Verschluß des Mag endarm canales, Ueber Verenge¬ 
rung und ... in den verschiedenen Abschnitten 
und deren chirurgische Behandlung, 753. 
Warzige Gebilde, Ueber die Behandlung derselben 
mittelst Elektrolyse, 321, 366. 

Wärmeregulation und Fieber, Ueber ... 105. 

Was hat der Arzt bei Drohen und Herrschen der 
Cholera zu thun? 1317. 

Wasserstoffsuperoxyd, Ueber die Desinfectionskraft 
von ... auf Wasser, 1741. 

— Ueber Milchsterilisation durch ... 1741. 

Weil’sche Infectionskrankheit, Einige Bemerkungen 
Aber die sogenannte ... 450. 

Wochenbett, Die Physiologie und Pathologie des... 414. 


Wundbehandlung, Der gegenwärtige Stand der anti¬ 
septischen ... 1251. 

— in der Privatpraxis nebst Bemerkungen über 
das trockene Operiren, Zur... 1422. 

— Zur ... ohne Drainage, 953, 993, 1035. 
Wurmfortsatz-Peritonitis, Ueber ... und deren 

operative Behandlung, 809 
Wuthgift, Wann erscheint das ... im Speichel 
wuthkranker Thiere? 1123. 

Zin cum sulfurosum, als antiseptisches Wundbehand¬ 
lungsmittel, 2070. 

Zwangsarbeitsanstalt oder Trinkerasyl? 81, 126. 

II. Feuilleton . 

Berliner Briefe, 19, 213, 415. 

Brief aus Amerika, 1191. 

Briefe aus Böhmen, 335. 

Briefe ans England, 379, 1009. 

Brief aus Stockholm von Dr. Wilh. von 
Vragassy, 841, 887. 

Briefe aus Ungarn, 175, 885. 

Das Verhältniß des Badearztes zum 
Hausarzt, 505. 

Der Hypnotismus und — der französische 
Kriegsminister, 461. 

Der neue „Weltcurort“ Wörishofen in 
Bayern und die Kneipp’sche Wassercur 
(Reise brief), 1123, 1159. 

Die ärztliche Ueberwachung der Pariser 
Schulen, 1663. 

Die Frau auf dem Gebiete der Medicin, 755. 
Die gekreuzte Vererbung, 1587. 

Die Grundlagen der Bacteriologie, 545. 
Die Hygiene in den Curorten. 967. 

Die neue medicinische Klinik in Tübingen. 

(Ein Reise brief), 1625. 
DieKrankencassenunddieÄerzte, 1507,1545. 
Die ungarische balneologische Landes- 
Conferenz, 1746, 1781. 

1889 — Ein Rückblick,'29. 

Elektrolyse, Ueber, 99. 

Eine ärztliche Untersuchungsanstalt in 

Paris, 1743. 

Joseph Hyrtl’s Dankschreiben an das Wr. 

med. Doctoren-Collegium, 2027. 

Karl Friedrich Otto Westphalf, 188. 
Militärärztliche Plaudereien, II. Aus¬ 
zeichnungen, 417, 799. 

M. Rosenthal f, 30. 

Prostitution und Abolitionismus, 1823. 
Ueber Hinrichtung, 59. 

XXV. Wanderversammmlung der ungari¬ 
schen Aerzte und Naturforscher in 
Großwardein, 1389, 1427, 1465. 

Zur Impffrage. Von Dr. Th. v. Genserin 
Wien, 713. 

III. Literarische Anzeigen. 

Arnold Carl, Dr.: Kurze Anleitung zur qualitativen 
chemischen Analyse und medicinisch-chemischen 
Analyse. 1862. 

Baer A., Dr.: Die Trunksucht und ihre Abwehr. 

(Ref.: Doc. Dr. R. v. Pfungen) 1506. 
Baginsky Adolf, Dr., Docent: Lehrbuch der Kinder¬ 
krankheiten. 501. 

Board G. M.: Die Nervenschwäche (Neurasthenie). 

(Ref.: Dr. Freih. v. Pfungen.) 16. 

Behring und Kitasato: Ueber das Zustande¬ 
kommen der Diphtherie-Immunität und der 
Tetanus-Immunität bei Thieren. (Bespr. von Dr. 
Schni rer.) 1985. 

Burgerstein L.: Axel Key’s schulhygienische 
Untersuchungen, 58. 

Bing A., Dr.: Vorlesungen über Ohrenheilkunde. 

(Ref.: Dr. Eitelberg.) 1506- 
Bloch Emil, Dr., in Freiburg: Die Pathologie und 
Therapie der Mundathmung. (Ref.: Dr. Wilhelm 

Roth.) 1545. 

BumAnt., Dr.: Therapeutisches Lexikon für Aerzte. 

(Ref.: Prof. Dr. W. F. Loebisch.) 297. 

Bür kn er K., Prof.: Atlas von Beleuchtungsbildem 
des Trommelfelles. (Ref.: Prof. Dr. Urban- 
tschitsch.) 1008. 

CullereA., Dr.: Die Grenzen des Irreseins. Ueber- 
tragen von Dr. Otto Dornblüth. (Ref.: Doc. 
Dr. R. v. Pfungen.) 1686. 

E dinger Ludw., Dr.: 12 Vorlesungen über den 
Bau der nervösen Centralorgane. (Ref. Doc. Dr. 
R. v. Pfungen.) 1009. 




Eichhorst Herrn., Prof., Dr.: Handbuch der 
speciellen Pathologie und Therapie. 16, 501. 

Eichhorst Herrn., Prof. Dr.: Lehrbuch der physi¬ 
kalischen Untersucbungsmethoden innerer Krank¬ 
heiten. (Ref.: Dr. F. Kauders.) 586. 

Eulenburg A., Prof. Dr.: Real-Encyclopädie der 
gesummten Heilkunde. 2 Aufl. 2069. 

Ewald C. A., Prof.: Klinik der Verdauungskrai k- 
heiten. (Ref. Doc. Dr. R. v. Pfungen.) 1085. 

F1 a t a u Theodor S., Dr.: Laryngoskopie und Rhino- 
skopie mit Einschluß der allgemeinen Diagnostik 
und Therapie. (Ref.: Doc. Dr. Wilh. Roth.) 1189. 

Flügge C., Dr., in Breslau: Grundriß der Hygiene. 
(Ref.: Dr. Jo 11 es.) 1625. 

Fraenkel Alb., Prof., Dr. (Berlin): Pathologie und 
Therapie der Krankheiten des Respirationsappa¬ 
rates. I. (Ref. Doc. Dr. C. Laker.) 629. 

Fritsch H., Prof. Dr.: Die Krankheiten der Frauen. 
(Ref. Doc. Dr. Breus.) 885. 

Frommei R.: Jahresbericht über die Fortschritte 
auf dem Gebiete der Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie. (Ref. Prof. Kleinwächter.) 57. 

Haug R. Dr.: Das künstliche Trommelfell. (Ref.: 
Dr. A. Eitelberg.) 99- 

Haug R., Dr.: Ueber die Organisationsfähigkeit der 
Schalenhaut des Hühnereies und ihre Verwendung 
bei Transplantationen. (Ref. Dr. A. E i t e 1 b e r g.) 
630. 

Herzfeld C. A., Dr.: Ueber die Behandlung des 
nachfolgenden Kopfes mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Moriceau’schen Handgriffes. (Ref.: 
Doc. Dr. Breus.) 586. 

Hirschberg J., Prof., Dr.: Egypten. (Ref.: Doc. 
Dr. Königstein.) 884. 

Hochsinger Carl, Dr.: Die Auscultation des kind¬ 
lichen Herzens. (Ref.: Docent Dr. L. Unger.) 
1424. 

Hof mann Ed., Prof.: Lehrbuch der gerichtlichen 
Medicin. (Ref.: Prof. Blumenstok in Krakau.) 
1386. 

Jürgensen Th., v., Prof., Dr.: Lehrbuch der 
speciellen Pathologie und Therapie für Aerzte 
und Stndirende. 1586. 

Kirchner Wilh., Prof. Dr.: Handbuch der Ohren¬ 
heilkunde für Aerzte und Stndirende. (Ref.: 
Dr. A. Eitelberg.) 1047. 

Kleinwächter L., Prof., Dr.: Die künstliche 
Unterbrechung der Schwangerschaft. (Ref.: Doc. 
Dr. Breus.) 927. 

Klemperer G., Dr.: Grundriß der klinischen 
Diagnostik, 1124. 

Kohn Salo, Dr.: Uterus und Auge. (Ref.: Doc. 
Königstein.) 796. 

KönigJ., Dr.: Chemie der menschlichen Nahrungs¬ 
und Genußmittel. (Ref.: Doc. Dr. Nevinny.) 
379. 

Königstein C., Dr.: Die Behandlung der häufig¬ 
sten und wichtigsten Augenkrankheiten. 1863. 

K rafft -Ebing, R. v., Prof.: Der klinische Unter¬ 
richt in der Psychiatrie. (Ref: Dr. R. v. 
Pfungen.) 1700. 

Landois L., Dr.: Die Urämie. (Ref.: Doc. Dr. 
R. v. Pfungen.) 754. 

Leyden E., Prof., Dr.: Ueber die Prognose der 
Herzkrankheiten. (Ref.: Doc. Dr. Freih. v. 
Pfungen.) 137. 

Lindner S., Dr.: Studien über Malthusianismus. 
(Ref.. Dr. Jul. Donath.) 712. 

Löwenfeld: Die moderne Behandlung der Nerven¬ 
schwäche , Hysterie und verwandter Leiden. 
(Ref.: Doc. Dr. v. Pfungen.) 414. 

Miller W. D., Prof., Dr.: Die Mikroorganismen der 
Mundhöhle. (Ref.: Dr. Schni rer.) 966. 

Moos S., Prof., Dr., in Heidelberg: Histologische 
und bacterielle Untersuchungen über Mittelohr¬ 
erkrankungen bei den verschiedenen Formen 
der Diphtherie. 1464. 

Morris M. P.: Internationaler Atlas seltener Haut¬ 
krankheiten. 2070. 

Mosetig-Moorhof Albert, R. v., Dr.: Handbuch 
der chirurgischen Technik bei Operationen und 
Verbänden. 1743. 

Mosetig-Moorhof Alb., R. v., Prof., Dr.: Hand¬ 
buch der chirurgischen Technik bei Operationen 
und Verbänden. I. Allgemeine Chirurgie. 712. 

Nothnagel: Zur Diagnose der Sehhügelerkran¬ 
kungen. (Ref. Doc. Dr. v. Pfungen.) 586. 


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Pfeiffer L., Dr.: Die Verbreitung des Herpes Zoster 
längs der Hautgebiete der Arterien nnd dessen 
Slellong zu den acnten Exanthemen. 1626. 
Rfethi L., Dr.: Diagnostik und Therapie der Kehl¬ 
kopfkrankheiten. (Bef.: Doc. Dr. Roth.) 1986. 
R i c h e t Ch.: La chaleur animale. (Ref.: Doc. Dr- 
R. v. Pfunge n.) 100. 

Rosenthal J., Prof., Dr.: Vorlesungen über die 
öffentliche und private Gesundheitspflege. (Ref. : 
Dr. M. Jolles.) 137. 

Rothe C. G., Dr.: Frauenkrankheiten. (Ref. Doc. 
Ür. Breus.) 214. 

Scheeh Philipp, Dr.: Die Krankheiten der Mund¬ 
höhle, des Rachens und der Nase. (Ref.: Doc. 
Dr. Wilh. Roth.). 225. 

Schmaus Hans, Dr.: Die Compressionsmyelitis bei 
Caries der Wirbelsäule. (Ref.: Doc. Dr. v. 
Pfungen.) 840. 

Steffen A, Dr.: Klinik der Kinderkrankheiten. 

(Ref.: Doc. Dr. L. Unger.) 545. 

Sti6non L.: Le suc gastrique et les ph6nom£nes 
chimiques de la digestion Jans les maladies de 
l’estomac. (Ref.: Doc. Dr. v. Pfungen.) 796. 
S tili in g J., Dr.: Pseudo-isochromatische Tafeln 
für die Prüfung des Farbensinnes. (Ref.: Doc. 
Dr. Königstein.) 842. 

Tappeiner H., Prof., Dr.: Anleitung zu chemisch¬ 
diagnostischen Untersuchungen am Krankenbette. 

380. 

Ultzmann Rob., Prof., Dr.: Die Krankheiten der, 
Harnblase. 336. 

Unger Ludwig, Dr.: Lehrbuch der Kinderkrank¬ 
heiten. (Ref.: Dr. Hochsinger.) 1780. 
Urbantschitsch Victor, Prof., Dr., in Wien: ( 
Lehrbuch der Ohrenheilkunde. (Ref.: Prof. Carl 
Bürkner in Göttingen.) 1424. 

VanHaren Noman, Prof.: Casuistique et diagnostic 
photographique des • maladies de peau. (Ref.: 
Doc. Dr. Finger.) 1047. 


V ogel Alfred, Prof., Dr.: Lehrbuch der Kinder¬ 
krankheiten. Umgearbeitet von Dr. Philipp 
Biedert. (Ref.: Dr. Hochsinger.) 1780. 
Voltolini, Prof., Dr.: Die Krankheiten der Nase 
und des Nasenrachenraumes. (Ref.: Doc. Dr. 
Wilh. Roth) 501. 

Winternitz Wilhelm, Prof., Dr.: Die Hydrotherapie 
auf physiologischer uud klinischer Grundlage. 

1463. 

IV. Zeitungsschau. 

Bericht üb er dieFortscliritteinderPatho» 
logie nnd Therapie der Krankheiten 
des uropoötischen Systems. (Ref.: Dr. 
H. Lohnstein in Berlin.) 138. 172, 255, 299, 
503, 587, 797. 

Denguefieber und Influenza. (Ref.: Dr. M. 
T. S c h n i r e r.) 17, 58. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. (Ref.: Prof. 
Dr. Ludwig Kleinwächter.) 1047, 1087, 
1157, 1190, 1387, 14*5. 

Zahnärztliche Literatur. (Ref.: Dr. M. 
Witzin ger.) 1903. 

V. Verhandlungen ärztlicher Vereine und 

Congresse. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, 25, 
65, 105, 144, 180. 219, 262, 305, 341, 425. 
611, 682, 7*6, 855, 897. 975, 1014, 1054, 
1670, 1706, 1787, 1950, 1908, 2032. 

Wiener medicinisches Doctoren - Col¬ 
legium, 183, 220, 263, 307, 343, 384. 
Verein deutscher Aerzte in Prag, 267, 345, 
427, 514, 767, 899, 938, 976, 1056, 1094, 1708, 
1790. 

Centralverein de utscherAerzte in Böhmen, 

68 . 

Verein der Aerzte in Steiermark, 27, 223, 
266, 427, 512, 552, 765, 809, 857, 1016, 1093, 
1749, 1904, 2033. 


Kön igl. Gesell Schaft der Aerzte in Buda¬ 
pest, 28, 145, 224, 268, 3C9, 347, 386, 469, 
515, 552, 593, 768, 801, 977, 1058, 1096, 
1330, 1224, 1792. 

Verein für innere Medicin zu Berlin, 106, 
146, 185, 2034. 

Berliner medicinische Gesellschaft, 348, 
940, 1059, 1131, 1195, 1226, 1017. 

Pariser Gesellschaften, 69, 107, 225, 470, 
553, 595, 636, 1018, 1097, 1197, 1227, 1830. 

Wiener dermatologische Gesellschaft, 
551, 727, 938, 1015. 

Balneolo gen-Congreß, 422, 460. 

19. Congreß der deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie (gehalten zu Berlin 9. bis 
12. April 1890), 633, 679, 724, 763, 807, 853, 
895, 934. 

IX. Congreß für innere Medicin (gehalten 
zu Wien 15 —18. April 1890), 89. 672, 718, 
760. 804, 850, 931. 972. 

X. internationaler medicinischer Congreß 

in Berlin (gehalten vom 4.—9. Aognst 1890). 
1266, 1307, 1349, 1394, 1433, 1470, 1513, 
1551, 1593, 1631, 1710, 1763, 1794, 1832, 
1868, 1994, 2073. 

63. Versammlung der Gesellsch. deutscher 
Naturforscher und Aerzte (gehalten zu 
Bremen 15.—19. September 1890), 1554, 1597* 

Dermatologische Vereinigung zu Berlin. 
1993, 1951. 

Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. 
1991. 

Die ungarische balneologische Landes- 
Conferenz, 1826. 

Deutsche Gesellschaft für öffentliche 
Gesundheitspflege zu Berlin, 1909, 
2036. 

Verein de r Charite-Aerzte ln Berlin, 1913. 




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Nr. 1. 


Sonntag den 5. Jannar 1890. 


* 

/ 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 his 8 Bogen Gross-^uart-Pormat Btark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
anfträge sind an die Administration der „Media. Presse“ 
in Wien, I„ Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
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Wiener 


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der „wiener Medlz. Presse“ in Wien,!., Mäximllianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--eie«- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Die Behandlung des weichen Kropfes mit parenchymatösen Injectionen von Jodoform. Von Prof. Dr. R. v. 

Mosetig-Moorhof. — Ueber einige Anwendungen des Natrium salicylicum. Von Prof. Dr. B. Stiller in Budapest. — Ein Fall von congenitaler 
Aortenstenose. Von Dr. Carl Hochsinger in Wien. — Nene Instrumente nnd Apparate. Eine neue Schiene znr Behandlung von Oberschenkel¬ 
brachen ohne dauernde Bettlage. — Referate nnd literarische Anzeigen. A. Wilhelmi: Bleichsucht nnd Aderlaß. — Pktrini (Galatz): Le 
traitement de la Syphilis par le tannate de mercuie. — Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie für Aerzte und Studirende. Von Dr. 
Hermann Eichhorst, o. ö. Professor der speciellen Pathologie nnd Therapie nnd Director der medicinischen Universitäts-Klinik in Zürich. — Die 
Nervenschwäche (Neurasthenie), ihre Symptome, Natur, Folgezustände nnd Behandlung. Mit einem Anhang: Die Seekrankheit und der Gebrauch 
. der Brommittel. Von Georg M. Beard. Uebersetzt und bearbeitet von Geh. San.-Rath Dr. M. Neisser in Breslau, Badearzt in Charlottenbrnnn. Ange¬ 
zeigt von Docent Dr. R. v. Pfungkn in Wien. — Zeitungsschau. Denguefieber und Influenza. Ref.: Dr. M. T. Schnirkb in Wien. — Feuilleton. 
Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) I. Neujahrbetrachtungen. — Kleine Mittheilungen. Coca'inanwendung bei größeren Operationen. — Aufhaltung 
eines drohenden Abortus. — Apfelwasser bei Influenza. — Rolle der nervösen Belastung in der Pathogenese des Herpes zoster. — Ueber den Einfluß 
von Blutungen der Mutter auf die Vitalität des Fötus. — Resorcin bei Asthma. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. 1889; Ein Rückblick. — M. Rosenthal f. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Die Behandlung des weichen Kropfes 

mit parenchymatösen Injectionen von Jodoform. 

Von Frof. Dr. R. v. Mosetig-Moorhof. 

Seitdem in -der Haupt- und Residenzstadt Wien die 
Hochquellen -Wasserleitung die Trinkwasserbedürihisse der 
Bevölkerung zum größten Theile deckt, haben sich auch die 
Fälle von Kropfbildung verhältnißmäßig stark vermehrt. Es 
sind namentlich in der Entwicklung begriffene Mädchen 
zwischen 15 und 20 Jahren und junge Frauen, welche wegen 
Blähhals Hilfe suchen, doch kommen oft genug auch bejahrtere 
Individuen beiderlei Geschlechtes zur Beobachtung. Wenn 
das weibliche Geschlecht relativ mehr Kropfexemplare bietet 
als das männliche, so mag dies vielleicht der Umstand erklären, 
daß Frauen und Mädchen in der Regel viel mehr Wasser ge¬ 
nießen, als die mehr geistigen Getränken zugethane männliche 
Bevölkerung. 

Die häufigere Kropfform betrifft den sogenannten weichen 
Kropf — Struma parenchymatosa, Struma follicularis mollis. 
Gewöhnlich sind beide seitlichen Drüsenlappen gleichmäßig ge¬ 
schwellt, manchmal tritt eine stärkere Prominenz des mittleren 
Lappens hervor. Die Geschwulst fühlt sich mehr minder weich 
an, gleichmäßig teigig, constituirt durch die Umfangszunahme 
des Halses einen cosmetischen Fehler, gibt manchmal auch zu 
Athembesch werden bei schwerer Arbeit Veranlassung, oder 
ina Schlafe bei tiefer Kopflage. Letzteres kommt insbesondere 
bei retrosternalen Kröpfen vor, wobei gewöhnlich die cosme- 
tische Verunstaltung weit hinter den functionellen Störungen 
zurückzustehen pflegt. 

Ich will in Folgendem nur die Behandlung des weichen 
Kropfes in Betracht ziehen nnd von jener der anderen Kropf¬ 
formen, als Struma cystica, fibrosa, vascularis etc., gänzlich 
ahsehen. 

Sind die Träger jung und die Strumae recent, so mag 
eine gleichzeitig innerliche und äußerliche Anwendung von 
Jodpräparaten immerhin versucht werden: innerlich pflegt 


man bekanntlich 1—2 Grm. Jodkali oder Jodnatrium pro die 
zu verordnen, nebstbei äußerlich eine stärkere Jodolsalbe 
1 : 10, mit der Weisung, die gut bestrichene und eingeriebene 
Halshaut nachträglich mit Gummipapier zu decken. Ist mit 
dieser, durch einige Zeit fortzusetzenden Behandlung kein 
wesentlicher Erfolg zu erzielen, dann muß zu energischer 
wirkenden Verfahren gegriffen werden. 

Bekanntlich hat man in jüngster Zeit begonnen, die 
Elektrolyse zur Bekämpfung des Leidens anzuwenden. Man 
will mit gut isolirten Nadeln, damit die Haut an den Stich¬ 
stellen nicht verschorft werde, in das Gewebe der Struma 
eindringen und durch die zersetzende Wirkung des elektrischen 
Stromes sowie durch die dadurch bedingte Entziehung der er¬ 
nährenden Gewebsflüssigkeit eine Atrophirung der Drüse 
herbeiführen. Dieses Verfahren ist noch zu wenig erprobt 
worden, um darüber ein definitives Urtheil sprechen zu können 
— immerhin kann man jetzt schon sagen, daß es mehr minder 
kostspielige Apparate erfordert und daher kaum allgemeinere 
Verwerthung finden dürfte, wenigstens insolange nicht, als 
man auf einfachere Weise gleich gute, wenn nicht gar bessere 
Endresultate zu erzwingen vermag. 

Dieser einfachere Weg ist die parenchymatöse Injection. 

Wie bekannt ist dieser Weg zuerst von Lücke einge¬ 
schlagen worden, welcher mittelst PßAVAz’seher Spritze Jod- 
tinctqf in das Gewebe der Struma einzuspritzen lehrte. Es 
ist nicht zu leugnen, daß auf diese Weise so manche Struma 
redueirt wurde, allein die Methode ist nicht ohne Gefahr, und 
wenn sie auch bezüglich des Enderfolges jeweilig als gelungen 
zu bezeichnen ist, nicht immer ohne bleibende Folgen in Ge¬ 
stalt localer Verhärtungen, welche, in Knotengestalt zurück¬ 
bleibend, ihrerseits in cosmetischer oder gar functioneller Rück¬ 
sicht stören. Die Gefahren, welche die Injeotionen von Jod- 
tipctur begleiten können, sind zweierlei Art: einmal kann 
post injectionem starke Schwellung der Drüse einlegen; 
trachte nun schon die nicht acut geschwellte Drüse Athmungs- 
beschwerden mit sich, so können sich letztere auf drohende 
Weise steigern. Weiters kann es in den Injectionsherden zur 
Eiterung kommen. Obalinsky beschrieb einen ähnlichen Fall. 
Es wurden zur Beseitigung einer ursprünglich kleinen paren- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 1. 


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chymatösen Struma mehrere Injectionen von Jodtinctur ver¬ 
sucht; da sich aber die Dyspnoe steigerte, so wurde schlie߬ 
lich zur Strumectomie geschritten. Das Präparat zeigte auf 
der Schnittfläche mehrere kreuzergroße puriforme Herde. 

Diese nicht immer controlirbaren, höchst unangenehmen 
Möglichkeiten haben der Injection von Jodtinctur nicht jene 
Sympathien der praktischen Aerzte zugewendet, welche zu 
ihrer Verallgemeinerung nöthig gewesen wären. 

Ich selbst habe unter den wenigen Strumafällen, die ich 
nach der LüCKR’schen Methode behandelte, einmal Eiterung 
bekommen und fand mich gezwungen, den tiefen Absceß mit 
dem G-lühmesser zu eröffnen. Es ging wohl Alles glatt ab, allein 
die Kranke, ein 20jähriges Mädchen, hatte viel gelitten und 
behielt eine in cosmetischer Beziehung recht fatale, breite, ein- 
gezogene Narbe. Seit jener Zeit, 1879, habe ich mit der Jod¬ 
tinctur bei Struma nichts mehr zu schaffen gehabt, griff aber 
als Ersatz zum Jodoform. Es war gerade in der Zeit, als 
ich mit die?em herrlichsten Mittel allerlei Versuche anstellte; 
warum sollte es nicht als Resorbens bei Struma dienen 
können.? Die ersten, Ende des Jahres 1880 begonnenen Ver¬ 
suche gelangen auf das Glänzendste; seit jener Zeit, also 
beinahe ein Decennium, behandelte ich alle weichen Kröpfe 
nach dieser Methode and hatte nie ein übles Ereigniß zu be¬ 
klagen, wohl aber bei parenchymatösen Kröpfen stets und 
ohne Ausnahme schöne Erfolge — Reduction des Halsumfanges 
um 2—4 Cm. — ohne daß die Kranken auch nur für einige 
Stunden ihre gewohnte Lebensweise hätten unterbrechen 
müssen. 

Die Injectionen werden stets ambulatorisch unter Ein¬ 
haltung antiseptischer Cautelen ausgeführt. Die Haut des 
Halses wird mit Seife und lauem Wasser abgebürstet und 
mit Carbolwasser desinficirt, die Injectionsspritze ebenfalls 
mit 5°/ 0 Carbolwasser desinficirt, die Canüle, wenn nicht sehr 
verläßlich, über einer Spiritusflamme sterilisirt. 

Zur Injection dient eine Jodoformlösung folgender Formel: 


Rp. Jodoformii.l’OO 

Aetheris.500 

Olei olivarum.9'00 

oder 

Rp. Jodoformii.P00 

Aetheris 

Olei olivar.äa 7'00 


Die Flüssigkeit muß , frisch bereitet, ganz lichtgelb, 
durchsichtig sein — sowie sie eine bräunliche Färbung an¬ 
nimmt, darf sie keine Verwendung mehr finden. Die bräun¬ 
liche Farbe deutet auf freies Jod, welches durch Zersetzung 
des Jodoforms unter dem Einflüsse des Lichtes entsteht. Man 
verschreibe daher die Lösung stets ad vitrum carta nigra 
obductum, leere unmittelbar vor der Injection die hiefür ge¬ 
nügende Menge aus der Flasche und bewahre letztere, gut 
verkorkt, sofort wieder im dunklen Raume. 

Die Injection wird technisch so gemacht, daß man die 
Canüle senkrecht durch die Haut in den Tumor sticht, 2, ja 
8 Cm. tief, je nach der Stelle, wo man eingeht, worauf man 
den Patienten bittet, eine Schlingbewegung auszuführen, bei 
der die Canüle der locker gehaltenen Spritze eine adäquate 
Bewegung nach oben und unten eingeht, als Beweis, daß man 
wirklich in das Gewebe der Drüse eingedrungen sei. Nach 
langsamer Entleerung des Inhaltes wird das Instrument rasch 
entfernt, die kleine Stichöffnung mit der Fingerspitze verdeckt 
und dann mit einem Stückchen Pflaster geschlossen. Wie viel 
man injiciren soll, hängt ganz vom speciellen Falle ab — das 
mindeste Quantum ist der Inhalt einer PßAVAz’schen Spritze, 
also 1 Grm.; ich habe auch 2grammige Spritzen in Verwen¬ 
dung gehabt, glaabe aber, daß es besser sei, mit lgrammigen 
Spritzen zu operiren und dafür eventuell an mehreren Stellen 
nach einander einzudringen; das Medicament wird dadurch 
wohl besser vertheilt. 4 Grm. der Lösung war das größte 
Quantum, das ich in einer Sitzung parenchymatös an zwei 
verschiedenen Stellen injicirt habe. Drangt der Fall nicht 


kann man sich wohl damit begnügen, in jeder Sitzung je 
einen PitAVAz’scken Spritzeninhalt einzuverleiben und dafür 
die Sitzungen öfters in kurzen Intervallen zu wiederholen. 
Die Dauer eines jeden Intervalles ist im vorhinein nicht zu 
bestimmen, sie hängt vom Individuum ab. Ich pflege 8 bis 
8 Tage zwischen den einzelnen Sitzungen verstreichen zu 
lassen, würde aber auf Verlangen ohne jedwedes Bedenken 
auch alle Tage eine Injection machen. Da ich gefunden habe, 
daß je nach der Größe der Struma 5—10 Injectionen noth- 
wendig sind, so kann sich jeder Patient die Dauer der Be¬ 
handlung beiläufig selbst feststellen. Ich erinnere mich einer 
jungen Dame, deren Verlobter nach zweijähriger Abwesenheit 
zurückkehren sollte, eine inzwischen acquirirte weiche Struma 
in 10 Tagen mittelst täglicher einfacher Injectionen auf das 
Normale reducirt zu haben. 

Die Reaction post injectionem ist in der Regel ganz 
minimal: die Patienten klag )n über locales Brennen, hin und 
wieder auch über ausstrahlende Schmerzen gegen Kopf oder 
Arm. Manche bekommen einen spastischen, nicht zu bekämpfen¬ 
den Hustenanfall — aber alle diese Erscheinungen sind 
längstens innerhalb einer Stunde vorüber — nachhaltiger habe 
ich sie selten gesehen. 

Der Enderfolg ist mit der letzten Injection noch nicht 
gegeben — die resorbirende Nachwirkung des Jodoforms bleibt 
eine zeitlang weiter activ — die Umfangsreduction des Halses 
nimmt also nach dem Aufhören der Cur noch zu. Die Um- 
fangsreductionen meiner Fälle schwankten zwischen 2 und 
4 Cm. — fruchtlos war bei weichen Kröpfen die Behandlung 
nie. Man wählt stets solche Injectionsstellen, wo keine 
sichtbaren Venenstämme liegen, und wo die Struma am 
deutlichsten palpirbar ist. Oft injicirt man vor dem Kopf¬ 
nickerrande, manchmal hinter ihm, manchmal in der Mediane 
des Halses, je nach dem Lappen, welcher vergrößert 
erscheint. Empfehlenswerth ist es, jedesmal an einer an¬ 
deren Stelle, aber stets nur in die vergrößerten Lappen zu 
injiciren. 

Die Besorgniß, bei der kleinen Operation in eine Vene 
zu gelangen, ist sicher unbegründet, wenn man in die Sub¬ 
stanz des Lappens hineinsticht, da letztere ja bei weicher 
Struma wenig gefäßreich ist und größere Venen überhaupt 
gar nie birgt. Subcutane Injectionen sind diesbezüglich viel 
gefährlicher. In Fällen, wo es sich um' die retrosternale Form 
handelt, ist es nicht immer nothwendig, gerade in den retro¬ 
sternalen Abschnitt hinein zu injiciren, obwohl dies mit ge¬ 
krümmten Nadeln leicht zu bewerkstelligen und absolut ge¬ 
fahrlos wäre; meiner Erfahrung nach genügt es, nur den 
suprasternalen Knoten zu injiciren, wobei auch eine Reduction 
des vom Brustblatte gedeckten Antheiles einzutreten pflegt. 
Diese Reduction ohne directe Einverleibung des Medicamentes 
habe ich wiederholt beobachtet; ein recht interessanter 
diesbezüglicher Fall möge ausführlichere Erwähnung finden. 

Ludwig N., 44 Jahre alt, Comptoirist, stellte sich Ende Juli 
1889 im Ambulatorium ein mit der Klage über stets zunehmende 
Athembeschwerden, die sich in den letzten Wochen nächtlicherweise 
bis zu Erstickungsanfällen gesteigert haben sollen. Wir fanden an 
dem sonst vollends gesunden, kräftigen, kurzhalsigen Manne von 
gedrungenem Körperbaue zwei, die seitlichen Halsregionen ein¬ 
nehmende, gänseeigroße, die Schlingbewegungen mitmachende Tumoren 
von gleichmäßig derbteigiger Consistenz, welche in der Medianlinie 
des Halses bei scheinbarem Fehlen eines mittleren Lappens in 
gegenseitige Berührung kamen. 

Da diese zwei Lappen an und für sich die ziemlich intensiven 
functioneilen Störungen kaum zu erklären vermochten, mußte auf 
das Vorhandensein eines anderen, die Luftwege direct comprimirendon 
Tumors geschlossen werden, umsomehr, als der Kranke noch fol¬ 
genden merkwürdigen Befund darbot. Man konnte auf dem Sternum 
und den zunächst gelegenen Partien der Thoraxfläche eine polster¬ 
artige, flachhandgroße, das normale Hautniveau um 2 Cm. über¬ 
ragende Geschwulst wahrnehmen, welche ohne nachweisbare Grenzen 
uz allmälig in die gesunde Gegend überging und von ectasirten 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Hautvenen, capitis medusae ad instar, bedeckt erschien. Die flache 
Geschwulst fühlte sich weich, flaumig, schwammartig an, zeigte Er¬ 
scheinungen der Sch well bar keit nebst Rauschen und Sausen beim Aus- 
cultiren, war demnach ein Tumor vascularis. Die Anamnese ergab, 
daß Patient erst vor 2 Jahren den Beginn eines stärkeren Hals¬ 
umfanges bemerkt habe, erst in den letzten Wochen traten Athem- 
beschwerden in stärkerem Maße auf, die oberflächlichen Venenectasien 
sollen vor Jahresfrist zuerst sichtbar geworden sein, über den Tumor 
vascularis ist nichts zu ermitteln. Patient spricht mit etwas heiserer 
Stimme und dem charakteristischen hörbaren prolongirten Inspirium, 
die Athmung ist beschleunigt, die Nasenflügel spielen dabei mit, die 
Gesichtsfarbe ist etwas cyanotisch. 

Daß wir es hier mit einem die Trachea etwas comprimirenden 
und den Rückfluß des venösen Blutes hindernden Tumor zu thun 
hatten, war uns sofort klar; es frug sich nur um das Quäle des 
Tumor, ob eine benigne oder vielmehr eine maligne Form einer 
supra- et retrosternalen Struma vorlag, dcun daß etwas die Ein¬ 
mündung der oberflächlichen und vielleicht auch der tiefen Thorax¬ 
venen in den Stamm der Cava superior comprimiren mußte, war 
sicher. Um aus diesem diagnostischen Dilemma den Weg zu finden, 
beschlossen wir, ex juvantibus et nocentibus die Erkenntniß zu 
stellen und vorderhand anzunehmen, der comprimirende Tumor sei 
eine Struma parenchymatosa. Es wurden dementsprechend am säumigen 
Patienten zwischen 1. August und 22. October nur sechs einfache In- 
jectionen an verschiedenen Stellen der suprasternalen Strumatheile 
vorgenommen, demnach 6 Grm. der Jodoformlösung einverloibt. Das 
Resultat war folgendes: Die Halsmaße betrugen vor Beginn dor 
Injcctionscur 

39 Cm. im oberen Halsumfang 

43 „ „ mittleren „ 

44 „ „ unteren „ 

am 22. October fanden wir an den gleichen Stellen 
37, 40 und 39 Cm. 

Im December sahen wir den Kranken wieder. 

Die Maße erwiesen noch eine stärkere Verringerung des Hals¬ 
umfanges, nämlich 

37, 39*/* and 38*/> Cm. 

Die Respiration ist, selbst beim Stiegen steigen, vollständig 
frei, die Stimme hat den heiseren Beiklang verloren, klingt normal, 
beim Sprechen keine Inspirationen hörbar. Die Venenzeichhung am 
Sternum ist wohl noch kenntlich, die Ectasien aber bedeutend redu- 
cirt, ebenso die polsterartige Schwellung weniger ausgeprägt. Sub- 
jectiv fühlt sich der Patient ganz wohl, angeblich so wohl wie 
lange nicht vorher. Die Therapie lieferte den Beweis, daß keine 
maligne Form Vorgelegen hatte. 

Ich habe die Protokolle des Ambulatoriums meiner chirur¬ 
gischen Abtheilung im k. k. Krankenhause Wieden nachsehen 
lassen und 65 mit Jodoformlösung parenchymatös injieirte 
Strumafälle verzeichnet gefunden, glaube indeß, daß mehr 
Fälle vorgekommen sein mögen, die aber zufällig nicht regi- 
strirt worden sind. Die 65 notirten Fälle betreffen 48 weib¬ 
liche und 17 männliche Individuen. Dazu kommen noch 
14 Mädchen und junge Frauen, welche ich privatim behandelt 
habe, in Summa demnach zum mindesten 79 Fälle. Rechnen 
wir durchschnittlich für jeden Fall ein Minimum von 5 Injec- 
tionen, so ergeben sich 370 Injeetionen, welche stets ohne 
jedwede Störung oder gar Unfall in parenchymatöse Struma¬ 
knoten gemacht worden sind, eine Summe, die wohl für die 
technische Sicherheit der Methode sprechen dürfte. Die 
Erfolge waren in manchen Fällen ganz ideale, in allen 
recht zufriedenstellend. Die Reduction des Halsumfanges um 
2 —4 Cm. genügte der Cosmetik, die Athembeschwerden ver¬ 
schwanden und auch die Kropfstimme besserte sich , wo sie 
bestanden hatte. 

Ich möchte daher dieses Verfahren bei parenchymatösen 
Kröpfen, welche so sehr häufig Vorkommen, den Herren Collegen 
warm empfehlen. Jeder, im Besitze einer PßAVAz’schen Spritze, 
kann sie ausüben — die Technik ist ja wahrlich nicht schwer. 
Bei Struma fibrosa, Struma cystica etc. und bei den malignen 
Formen wird der Jodoformäther nicht besondere Erfolge zu 


verzeichnen haben — bei diesen Formen ist das Messer am 
Platze, nicht etwa behufs Vornahme der Strumectomie, die 
nur mehr bei malignen Tumoren noch zu Recht bestehen dürfte, als 
vielmehr zur Ausschälung der fibrösen Knoten oder Cysten, 
oder zur Anämisirung des Kropfes durch die Ligatur der 
4 Hauptaderstämme zum Zwecke consecutiver Atrophirung. 


Ueber einige Anwendungen des Natrium 
salicylicum. 

Von Prof. Dr. B. Stiller in Budapest. 

Die Salicylsäure und ihr Natriumsalz wurden durch 
Boss und Stricker in die Praxis eingeführt. Vielleicht kommt 
einst die Zeit des Humanismus, wo solchen Wohlthätern 
der Menschheit Bildsäulen errichtet werden. Vorläufig kennt 
die Welt nicht einmal ihre Namen; selbst in der ärztlichen 
klingen nur bei Einzelnen ihre unvergänglichen Verdienste 
bei dem Klange ihrer Namen an. 

Erinnern wir uns nur an die vorsalicylische Zeit, und 
wir werden gestehen, daß die Polyarthritis unter dem Ein¬ 
flüsse des Mittels eine ganz andere Krankheit geworden. Ich 
sehe sie noch vor mir, jene elenden Kranken, in fortwährend 
hohem Fieber, von Schmerzen in einer Weise gequält, daß 
jede Annäherung an’s Bett Angstrufe erweckt, in schwei߬ 
triefender Bett- und Leibwäsche, die wegen Immobilität nicht 
gewechselt werden konnte; und sehe sie in diesem Jarnmer- 
zustände unter Behandlung der ersten Kliniker 6—10 Wochen 
sich fortquälen. Ich erinnere mich genau aus den ersten 
Jahren meiner praktischen Thätigkeit, daß Polyarthritiker mir 
immer bedauernswerther erschienen, als Typhuskranke, obzwar 
auch diese damals ein ungleich schwereres Leidensbild dar¬ 
boten, als heute. Und was sehen wir jetzt? Nach einigen 
ergiebigen Salicyldosen ist Fieber und Schmerz und damit der 
ganze Emst des Krankheitsbildes geschwunden. Und was die 
so wichtige Herzcomplication betrifft, so steht mir kein genug 
brauchbares statistisches Material zu Gebote, um den Unter¬ 
schied zwischen Einst und Jetzt abzumessen; doch kann es 
schon a priori keinem Zweifel unterliegen, daß die Complication 
einer Krankheit seltener werden muß, wenn sowohl die Inten¬ 
sität als die Dauer dieser Krankheit durch ein specifisches 
Mittel, gelinde gesagt, um zwei Drittel herabgemindert wurden. 

Doch nicht darüber will ich sprechen. Ist doch der Ge¬ 
brauch des Salicylates bei acutem Gelenksrheumatismus heut¬ 
zutage Gemeingut nicht blos der Aerzte, sondern sogar des 
gebildeten Publicums geworden. Auch auf die übrigen, weniger 
durchschlagenden Anwendungen des Mittels: als Antipyreticum, 
Antineuralgicum, Antisepticum u. s. w. will ich hier keines¬ 
wegs eingehen. Meine Absicht ist es, auf andere werthvolle 
Anwendungen des Salicylsalzes hinzuweisen, welche wohl 
nicht ganz unbekannt, - aber in die weitesten Kreise der 
Aerzte, wie sie es verdienen, noch nicht gedrungen, ja noch 
mehr, selbst in den neuesten Lehrbüchern der Arzneimittel¬ 
lehre nicht gewürdigt, nicht einmal erwähnt sind. Und doch 
möchte ich behaupten, daß sie nach der Polyarthritis die er¬ 
folgreichsten Benützungen des Mittels repräsentiren. 

Englischen Beobachtern verdanken wir die Anwendung 
des Salicylates bei Leberkrankheiten. Es hat sich nämlich 
herausgestellt, daß sowohl die Säure als ihre Salze zu den 
kräftigsten Cholagogis zu zählen sind. Am glänzendsten zeigt 
sich ihr Erfolg bei Gallensteinen. Ich wende das Mittel 
seit fünf Jahren an und wage die Behauptung, daß es an 
Sicherheit und Schnelligkeit der Wirkung von keinem andern 
erreicht wird, wovon ich nicht blos meine seitherigen Assistenz¬ 
ärzte und Hörer, sondern auch viele Collegen überzeugen 
konnte, mit denen ich Gallensteinkranke behandelte. 

In einzelnen Fällen ist die Cur geradezu eine glänzende 
zu nennen. Ich will nur kurz als Paradigma der gelungenen 
Ctiren zwei Fälle erwähnen. Ein etwa ftOjähriger Mann aus 
der Provinz leidet seit 3 — 4 Monaten fast täglich an den 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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heftigsten Gallencoliken, ist seit 3 Monaten stark icterisch; 
in den letzten Wochen traten abwechselnd mit den Coliken 
oft mehrmals täglich heftige Frostanfälle mit folgender Tem- J 
peratursteigerung bis 40° auf. Der Kranke ist durch die 
Schmerzen, das Fieber, das zeitweilige Erbrechen während der 
Anfälle und die hochgradige Dyspepsie aufs Aeußerste herab¬ 
gekommen, so daß er ganz das Bild der Krebscachexie dar¬ 
bietet. Die Leber ist um 3 Querfinger vergrößert und resistent, 
aber durchaus glatt; die Gallenblase ist nicht auszutasten, j 
Ich schloß trotz der Fieberanfälle die Lebereiterung aus, nicht 
blos weil ich als Aequivalent der Gallencolik wiederholt die 
heftigsten Fieberanfälle gesehen habe — in einem Falle vier 
Frostanfälle an einem Tage mit Temperaturanstiegen bis über 
41° — sondern auch deshalb, weil die Leber eine gleichmäßige 
Resistenz und keine Druckempfindlichkeit zeigte. 

Ich begann die Salicylbehandlung, und nach einer Woche 
waren die Schmerz- und Fieberanfälle beseitigt, bald fing der 
dunkle Icterus an abzunehmen, das Erbrechen kehrte nicht 
wieder, der Kranke begann zu essen und nach einem Aufent¬ 
halte von 4 Wochen verließ er mit normaler Hautfarbe, gutem 
Appetit und in unglaublich gebessertem Aussehen die Haupt¬ 
stadt. 

Erst in den letzten Wochen behandelte ich mit einem 
Collegen eine jüngere Frau, welche seit 13 Wochen zu Bette 
lag, geschwächt durch heftigste Schmerzen und unvollkommene 
Ernährung; die Diagnose der Cholelithiasis war unzweifelhaft, 
und sie war auch demgemäß von mehreren Collegen, aber 
nicht mit Salicyl behandelt worden. Auf Salicylbehandlung 
hörten nach 2 Tagen die Schmerzen auf und nach 8 Tagen 
konnte sie bei gutem Appetit das Bett verlassen. 

Meine Behandlungsweise ist sehr mild und einfach. Ich 
gebe selten mehr als täglich 4mal 0 50 des Salicylatesund 
zwar nie in Oblaten, wodurch die vorhandene Magenreizung 
stets gesteigert wird, sondern in einem halben Glase Soda¬ 
wassers oder eines alkalischen Säuerlings aufgelöst; meist 
verbinde ich jede Dose mit 0 - 01 Extr. Belladonnae, als einem 
nicht verstopfenden Anodynum. Der Kranke wird immer bis 
zur eintretenden Besserung im Bett gehalten, auf die Leber¬ 
gegend werden täglich einige Stunden warme Leinsamenmehl- 
cataplasmen applicirt; die Kost bleibt mindesten einige Tage 
eine sehr strenge, vorwiegend flüssige, als Getränk ein eisen¬ 
freier alkalischer Säuerling: Bilin, Gießhübel, Deutsch-Kreuz, 
Krondorf etc. Gegen intercurrirende Anfälle wende ich aus¬ 
schließlich Morphininjectionen an, deren Nothwendigkeit jedoch 
sehr bald entfällt, oft gar nicht eintritt. Nach der meist auf¬ 
fällig raschen Besserung lasse ich, sobald der Kranke schmerzlos 
und eßlustig, das Bett verlassen, die altbewährten Quellen von 
Carlsbad oder Vichy als Nachcur fortbrauchen. 

Der Erfolg des Salicylates bei Gallensteinen beruht auf 
dessen gallentreibender Wirkung, welche auch am Thierexperi- 
mente nachgewiesen ist; die in größerer Menge und dünnerer 
Qualität abgesonderte Galle ist das geeignetste Mittel, die 
eingekeilten Steine zu mobilisiren, theils durch zarte und 
langsame Dilatation des um den Stein krampfhaft contrahirten 
Gallenganges, theils durch den erhöhten Secretionsdruck oder 
die erhöhte vis a tergo, theils durch die Erweichung geballter 
Gallengriesmassen, welche ebenfalls Coliken und Obstruction 
der Gänge erzeugen können. 

Wirken doch, trotz mancher gegnerischen Ansichten, ganz 
in demselben Sinne die von jeher angewandten und bewährten 
alkalischen Wässer, in erster Reihe die alkalisch-salinischen 
Thermalquellen Carlsbads. Neuestens wurde von den früher 
berühmten, später vernachlässigten DüRANDE’schen Tropfen, 
die aus Aether und Terpentinöl bestehen, experimentell 
nachgewiesen, daß ihr Heilwerth ebenfalls auf der 
cholagogen Wirkung ihrer Bestandtheile, besonders des Ter¬ 
pentins, beruht. Ja, das jüngste Gallensteinmittel, das Olivenöl, 
soll nach neuesten Angaben ebenfalls durch seinen bedeuten¬ 


den gallentreibenden Einfluß . durch Vermehrung und Ver¬ 
flüssigung der Galle seine schönen Erfolge geben. Ich habe 
letzteres noch nicht ausgiebig genug versucht, um ein sicheres 
Urtheil darüber zu fällen; wenn ich aber die oft überraschen¬ 
den Erfolge des Salicylates und dabei seine leichte angenehme 
Anwendung im Vergleiche zu dem nauseosen Olivenöl in großen 
Dosen in Anschlag bringe, so stehe ich nicht an, der Salicyl¬ 
behandlung der Gallensteine vor allen übrigen Methoden den 
Vorzug zu geben; und dies um so eher, als ich überzeugt 
bin, daß das Salicylsalz hier nebst seiner eminent gallen¬ 
treibenden Wirkung noch eine andere sehr werthvolle Eigen¬ 
schaft direct gegen die Schmerzanfälle entfaltet, nämlich seine 
antineuralgische, gleich den neueren Nervinis, mit denen es 
auch die antithermische Wirkung gemein hat. 

Nach dieser Analyse seiner Wirkungsart wird es leicht 
verständlich sein, daß es immer noch einzelne Fälle geben 
wird, wo das Mittel versagen muß. Wenn z. B. ein eckiges 
oder relativ zu großes Concrement stark in die Wände des 
Gallenganges eingekeilt ist, so wird die erwünschte und beab¬ 
sichtigte Steigerung des secretorischen Druckes vergebens gegen 
das Hindemiß ankämpfen, ja sie kann den Reflexkrampf des 
Gallenganges und damit den neuralgischen Sturm seiner sen¬ 
sitiven Nerven vielleicht noch erhöhen. Das sind aber Fälle, 
wo auch alle übrigen Mittel versagen, die ja alle in gleichem 
Sinne wirken, und wo die ultima ratio das neuestens auch bis 
zu diesen internsten Gebieten gedrungene Operationsmesser 
bleibt. Doch kann ich aus reicher Erfahrung sagen, daß solche 
Fälle zu den Seltenheiten gehören. Ferner ist es verständlich, 
daß der gesteigerte Gallenstrom das Object seiner Wirksamkeit 
verliert, wenn der Stein nicht im Choledochus, oder was ja 
seltener vorkommt, im Hepaticus, sondern, was sehr oft der 
Fall, im Cysticus festgerannt ist, wo dann freilich auch die 
Diagnose in Ermangelung des Icterus eine schwierigere wird; 
hier wird die durch das Salicylat gesteigerte Gallenfluth das 
Concrement gar nicht erreichen. Möglich aber, daß hier 
mindestens die antineuralgische Wirkung des Mittels zur Gel¬ 
tung kommt, indem es jenen Circulus vitiosus entzweischneidet, 
welcher aus den einander steigernden Factoren des Gallen- 
colikanfalles, dem Muskelkrampf und der Neuralgie, sich zu¬ 
sammensetzt. 

Endlich ist es für mich nicht zweifelhaft, daß das Sali¬ 
cylat durch die erhöhte Gallenabsonderung nicht blos die in 
den Gallengängen sitzenden Steine mobilisirt, sondern durch 
die stärkere Strömung des dünneren Secretes auch die in der 
Gallenblase ruhenden Concremente austreibt, freilich häufig um 
den schweren Preis erneuter Coliken. Gilt doch dasselbe auch 
von Carlsbad, wo nach der Erfahrung der dortigen Aerzte bei 
notorisch Gallensteinkranken, die vielleicht schon lange von 
ihren Krämpfen frei waren, während der Cur Anfälle auf- 
treten, offenbar dadurch, daß in der Gallenblase noch vor¬ 
handene, bisher inoffensive Steine durch die geförderte Gallen¬ 
strömung in die Gallengänge hineingeschwemmt werden. 

Ich nehme mir vor, von nun ab auch bei catarrhalischem 
Icterus das Salicylsalz zu versuchen, welches als mächtigstes 
Cholagogum hier gewiß als rationelles Mittel sich anbietet, 
und jedenfalls ein naturgemäßeres ist, als die von manchen 
bedeutenden Klinikern empfohlenen grobmechanischen Atten¬ 
tate auf die volle Gallenblase. Nur daß hier auch der primäre 
Magencatarrh insoferne Berücksichtigung heischt, daß er eine 
selbstständige Behandlung verlangt, und daß das Salicylat 
in kleinen getheilten Dosen zu verabreichen wäre. 

(Schluß folgt.) 


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1890 . 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


10 


Ein Fall von congenitaler Aortenstenose. 

Von Dt. Carl Hochsinger in Wien.*) 

Wir sind nur sehr selten in der Lage, das Vorhandensein 
von Affectionen des Aortenostiums und der Aorta selbst bei 
kleinen Kindern klinisch nachzuweisen, da erworbene ent¬ 
zündliche ebenso wie angeborene Veränderungen an diesen 
Abschnitten des Circulationsapparates in den ersten Kinder¬ 
jahren zu den größten Seltenheiten gehören. Es dürfte aber 
kaum je ein Fall zur Beobachtung gelangt sein, wo bei einem 
6j ährigen Knaben intravitam dieDiagnose einer 
congenitalen Aortenstenose an der Einmün¬ 
dungsstelle des Ductus Botalli möglich gewesen 
wäre. Alle intra vitam diagnosticirten Fälle dieser Bil¬ 
dungshemmung betreffen erwachsene Individuen, bei welchen 
ein mächtig entwickelter Collateralkreislauf an äußerlich 
sichtbaren, oberflächlichen Arterien (A. mammariae int., 
dorsales scapul., subscapulares, thoracicae longae, inter- 
costales u. s. w.) auf das Vorhandensein eines Strömungs¬ 
hindernisses zwischen Aortenbogen und absteigendem Theile 
der Aorta hingewiesen hat. 

Dieses Symptom fehlt jedoch im Kindesalter gänzlich. 

Das Kind, welches ich mir hier vorzustellen erlaube, 
kenne ich seit ungefähr einem Jahre. Es steht im I. öffentl. 
Kinderkrankeninstitute in ambulatorischer Behandlung. Die 
ersten Symptome eines angeborenen Herzleidens wurden 
schon in den ersten Lebenswochen entdeckt, indem die deutlich 
sichtbare, heftige Herzaction der Umgebung des Kindes auffiel. 
Mehrmals wurde das Kind in den ersten Lebensmonaten von 
Cyanoseanfällen heimgesucht. Zu 9 Monaten constatirte ein Arzt 
in Mähren, welcher das Kind untersuchte, einen angeborenen 
Herzfehler. Das Kind entwickelte sich schlecht, litt wiederholt 
an Lungenentzündungen, blieb immer klein, blaß und mager, 
kurzathmig und zeigte besondere Neigung zu langdauemden 
Bronchialcatarrhen. 

Ich will nun den Befund an den Circulationsorganen 
kurz skizziren: Hebender, weithin sichtbarer, verbreiteter 
Spitzenstoß im 7. Intercostalraume in der vorderen Axillar¬ 
linie. Stark ausgebildete Voussure mit sichtbaren Herz¬ 
bewegungen im 3.—7. Intercostalraume — also mächtige 
excentrische Hypertrophie des linken Ventrikels. Fühlbares, 
sehr kräftiges, rauhes systolisches Fremissement vom 4. Inter¬ 
costalraume nach aufwärts zu beiden Seiten des Sternums und 
über dem Sternum selber, welches Fremissement sich direct 
in das kräftige systolische Schwirren der mächtig dilatirten 
Carotiden und Subclavien nach dem Halse zu fortsetzt. 

Der Bogen der Aorta ragt über der Incisura jugularis 
des Sternums auf x /a Cm. hervor und ist daselbst als schwirren¬ 
des, beträchtlich dilatirtes Gefäßrohr zu fühlen. DerPuls der 
Cruralarterien kommt deutlich später als der der 
Carotiden und Brachiales. Die Cruralarterien selbst sind 
im Gegensätze zu den Carotiden nicht erweitert. Ihr Puls ist 
zwar hüpfend, doch leicht zu unterdrücken. Auffallend ist 
die Beschaffenheit der Radialpulse. Dieselben sind kaum 
fühlbar, trotzdem die Brachialarterien in den Cubitalbeugen 
große, schnellende und harte Pulse zeigen. Es besteht offenbar 
auch hier eine angeborene Anomalie, wahrscheinlich eine sehr 
enge oberflächliche und eine größere, weitere, tiefliegende 
Radialarterie. 

Ueber der ganzen Präcordialgegend oder besser über dem 
ganzen Thorax vorne ist ein langgedehntes, rauhes, ungemein 
lautes, nahezu dröhnendes systolisches Geräusch zu hören, 
dessen Intensitätsmaximum am oberen Drittel des Manubrium 
sterni und über dem Aortenbogen gelegen ist. An dieses 
systolische Geräusch schließt sich nur im Bereiche der Um¬ 
gebung des Manubrium sterni ein kurzes diastolisches Ge¬ 
räusch, während über dem Corpus sterni und an allen Herz- 
ostien der zweite Ton rein ist. 

*) Vorgegtellt in der Sitzung des Wiener medicinischen Doctoren- 
Collegiums am 16. December 1889. 


An erstbezeichneten Stellen hört man manchmal auch 
ein continuirliches, beide Herzphasen occupirendes Geräusch ; 
ab und zu einmal ist auch der zweite Ton dazwischen durch 
zu percipiren. 

Dasselbe Geräusch hört man in den Halsarterien, dann 
weithin über den ganzen Rücken fortgeleitet. Nach dem Ab¬ 
domen zu, vom Corpus sterni nach abwärts, fehlt jedoch die 
Fortleitung. 

Zur Diagnose gelangen wir auf folgende Weise: 

1. Das Vorhandensein einer Aortenstenose steht fest. Dafür 
spricht die Localisation und Zeitphase der Geräusche und die 
Fortleitung derselben nach den Halsarterien im Gegensätze zur 
einfachen Pulmonalstenose, bei welcher keine Geräusche in den 
Carotiden und Subclavien wahrnehmbar sind. Auch eine mit 
Offenbleiben des Ductus Botalli complicirte Pulmonalstenose, 
bei welcher eine Fortleitung des Schwirrens in die Halsar¬ 
terien stattfinden könnte, ist wegen Fehlens ausgesprochener 
Hypertrophie und Dilatationserscheinungen von Seite des 
rechtnn Herzens und wegen des Mangels einer deutlichen 
Verstärkung des zweiten Pulmonaltones sicher auszuschließen. 

2. Die Affection muß eine congenitale sein. Dies geht 
vor Allem aus der Anamnese hervor. Weiters aber auch aus 
dem gleichzeitigen Bestände sonstiger Mißbildungen. Der Knabe 
hat nebst dem Herzleiden eine Hypospadie und bilateralen 
completen Kryptorchismus. Es ist eine bekannte Sache, daß 
angeborene Herzfehler häufig mit anderweitigen Hemmungs¬ 
bildungen combinirt Vorkommen, ein Umstand, welcher in 
differentialdiagnostischer Hinsicht bei Entscheidung der Frage, 
ob bei einem Kinde gegebenen Falles eine erworbene oder eine 
angeborene Herzanomalie vorliegt, von größter Bedeutung ist. 

3. Die Stenose kann jedoch nicht am Ostium aorti- 
cum sitzen, sonst könnte nie und nimmer die excessive Dila¬ 
tation des Aortenbogens und der Halsgefäße erklärlich sein. 
Ueberdies führt die angeborene endocarditische Stenose des 
Aortenostiums nicht zur Hypertrophie, sondern zur Atrophie 
und Verkümmerung des linken Ventrikels und gestattet nu 
ein nach Stunden zählendes Extrauterinleben. Folglich mul 
die Stenose im Verlaufe des Gefäßrohres, und zwar 
frühestens am Ende des Aortenbogens, sitzen, unterhalb 
des Abganges der linken Subclavia von. demselben. Dies 
ist aber die Prädilectionsstelle der congenitalen Aorten¬ 
stenosen. Hier, an der Einmündungsstelle des BoTALLl’schen 
Ganges, besteht imFötalleben der sogenannte Isthmus aortae, 
eine verengte Stelle, welche erst im Extrauterinleben gleich¬ 
zeitig mit der Obliteration des BoTALLl’schen Ganges sich 
vollends erweitert, so daß normalerweise kein Unterschied im 
Lumen zwischen diesem Aortenstücke und der übrigen Aorta 
bestehen bleibt. Ein Stehenbleiben auf dem Fötalzustande, 
vielleicht auch ein Uebergreifen der Bindegewebswucherung 
des verödenden arteriellen Ganges auf die Aortenwand führen 
zur Stenose, resp. zur Atresie der Aorta. 

Die unmittelbaren Folgen der Stenose werden sich im 
Extrauterinleben durch Dilatation der aufsteigenden Aorta 
und ihres Bogens und durch excentrische Hypertrophie des 
linken Ventrikels zu erkennen geben. Die übermäßige Dehnung 
und Zerrung der Aorten wand und des Klappenapparates führt 
später nahezu immer zu entzündlichen Vorgängen an den 
bezeichneten Organabschitten. Demzufolge findet man häufig 
secundäre Aortitis, welche sicherlich in geringem Grade auch 
in unserem Falle besteht. Die besondere Dilatation der Arterien 
der oberen Körperhälfte im Vergleiche zu den normal weiten 
oder gar abnorm engen der unteren ist ohneweiters ver¬ 
ständlich, ebenso die Verspätung der Cruralpulse. 

Es fehlt somit in unserem Falle nur ein einziges Symptom 
zum classischen Bilde der Stenosis Isthmi aortae der Er¬ 
wachsenen: der entwickelte Collateralkreislauf. 
Ein solcher ist aber im Kindesalter auch niemals noch klinisch 
nachgewiesen worden und selbst anatomisch nur in der Minder¬ 
zahl der obducirten Fälle. 


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11 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


Derselbe entwickelt sich erst im höheren Alter, dem 
Körperwachsthum entsprechend, wenn bei gleichbleibender 
Aortenstenose die Anforderungen an die Blutcirculation durch 
Zunahme der Blutmenge, durch Massenzunahme des Körpers 
und Wachsthum des Gefäßbaumes größer und größer werden. 
So lange dies nicht der Fall, genügt die Hypertrophie des 
linken Herzens, das stenosirende Hinderniß durch die gewöhn¬ 
lichen Gefäßbahnen zu bewältigen. Immer aber entwickelt 
sich zuerst ein Collateralkreislauf durch Dilatation visceraler 
Arterienäste, welche sich der klinischen Untersuchung völlig 
entziehen, und erst zuletzt, wenn auch diese nicht mehr aus¬ 
reichen, kommt es zur Eröffnung collateraler oberflächlicher 
Gefäßbahnen. 

Diesem Umstande ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, 
daß meines Wissens die angeborene Stenose der Aorta an der 
Insertionsstelle des BoTALLi’schen Ganges im Kindesalter noch 
nie diagnosticirt wurde. Alle bis nun mitgetheilten Fälle 
aus dem Kindesalter (10 an der Zahl nach Rauchfuss) wurden 
in ihrer Wesenheit erst auf dem Obductionstische erkannt. 
Einzelne darunter boten während des Lebens nicht einmal 
das Bild herzkranker Individuen. 

Daß es unter gewissen günstigen Umständen doch möglich 
ist, selbst bei kleinen Kindern dieses eigentümliche Leiden zn 
erkennen, glaube ich an dem vorgeführten Falle ad oculos de- 
monstrirt zu haben, dessen Diagnose ich für vollkommen 
sicher halte. Die Prognose quoad durationem vitae ist ab¬ 
solut unbestimmbar. In einem Falle von Regnauld wurde 
ein Alter von 92 Jahren erreicht. Wahrscheinlich ist die 
Lebensdauer eine ungleich kürzere in Fällen, welche schon 
frühzeitig zu hochgradiger flerzhypertrophie führen, wie der 
vorgeführte, weil es anzunehmen ist, daß dann die Verengerung 
eine beträchtlichere ist, als in jenen Fällen, welche, wie dies 
häufig vorgekommen ist, in der Jugend vollkommen latent 
verlaufen. 


Neue Instrumente und Apparate. 

Eine neue Schiene zur Behandlung von 
Oberschenkelhrüchen 

ohne dauernde Bettlage. 

Angeregt durch eine Krankendemonstration auf der Casseler 
Naturforscherversammlung, welcher Hessing in Göttingen einen 
Patienten vorstellte, der 17 Tage vorher den rechten Oberschenkel 
am Ende des oberen Dritttheiles gebrochen hatte und mit Hilfe 
„eines mit eisernen Spangen verstärkten dreitheiligen Hülsenver¬ 
bandes“ im Stande war, zu sitzen und an zwei Stöcken zu gehen, 
construirte Dr. Harbordt, Chef-Chirurg des Heiligengeist-Hospitals 
in Frankfurt a/M. folgende verstellbare, beiden Seiten und jeder Größe 
anpaßbare Schiene: 

Auf ein zweischenkeliges, durch ein Charnier, welches mittelst 
Flügelschraube in gestreckter und mehr weniger gebeugter Stellung 
festgestellt werden kann, verbundenes starkes eisernes Mittelstück 
(Fig. 1), wird für Ober- und Unterschenkel je eine hölzerne Hohl¬ 
schiene gesteckt und in den darauf befestigten Hülsen in beliebiger 
Höhe mittelst kleiner Schrauben festgehalten. In gleicher Weise 
wird in der unteren Hohlschiene das untere Fußstück angebracht, 
welches in leichter Biegung über die Knöchelgegend reicht und 
jenseits der Fußsohle wie am TAYLOR’schen Apparate in der Weise 
rechtwinklig abgebogen ist, daß die Fußplatte daran gesteckt werden 
kann. Drei Einkerbungen beiderseits an dieser eisernen Platte 
dienen zur Aufnahme der von der Extensionsschlinge am Fuße aus¬ 
gehenden Schnüre, mit welchen der Fuß und damit die ganze bis 
zur Bruchstelle reichende Extremität gegen die Platte gezogen 
und durch Zusammenknöpfen über derselben fixirt wird. Die Eisen- 
theile sind zum Schutz gegen Rost verzinnt. Das Gewicht der 
größten Schiene für Erwachsene beträgt nur 1200 Gramm. Die 
Schiene wird in zwei Größen angefertigt, für Kinder und für 


12 

Erwachsene mit je vier Holzschienen für kleinere und größere 
Patienten. Nebenstehende Abbildung der Schiene, Fußplatte und 
Extensionsschiingen wird die Beschreibung genügend ergänzen. 

Die Anlegung des Apparates geschieht in folgender Weise; 
Der Patient wird mit der Kreuzbeingegend auf ein festes Kissen 

oder eine Beckenatütze gelagert. 
Zwischen die Schenkel um die 
Basis der gebrochenen Extremität 
kommt die Contraextensions- 
schlinge, welche aus einem durch 
ein Stück dicken Gummischlauch 
gezogenen und an dem Ende des¬ 
selben vernähten Gurt besteht, 
und wird an einem am oberon 
Bettrand cingeschraubten Haken 
oder sonst einem passenden fixen 
Punkt der Art befestigt, daß 
der Patient darauf reitet. Nun 
wird der Fuß mit einer schmalen 
Flancllbinde gut eingewickelt und 
darüber um das Fußgelenk dicht 
unterhalb der Knöchel die Ex¬ 
tensionsschlinge befestigt. Die¬ 
selbe besteht aus zwei mit Filz 
unterfütterten Pelotten für die 
Ferse und die Zehen, welche 
durch einen Lederriemen, der 
Schnalle befestigt wird, verbun¬ 
den werden. Mittelst der an dieser Extensionsschlinge angebrachten 
und provisorisch zusammengeknoteten sechs Schnüre wird nun — 
H benützt dazu einen kleinen Flaschenzug — so stark extendirt, 
daß die Extremität die normale Länge, oder besser noch etwas 
mehr als diese, hat. Wird dieser Zug durch Einhängen der Zug¬ 
kordel an einem cingeschraubten Haken oder Befestigung an einem 
sonst vorhandenen festen Punkt (Thürklinke etc.) constant erhalten, 
so hat der Patient gar keine Schmerzen, und man kann in der be¬ 
quemsten Weise die Schiene anpassen und anlegon. 

Zunächst wird nun die ganze Extremität von der Extensions¬ 
schlinge an aufwärts mit einer geeigneten Binde gleichmäßig, aber 
nicht zu stark comprimirend eingewickelt. An die innere Seite 
kommt nun die Schiene zu liegen, welche sich mit der Oberschenkel¬ 
hohlschiene, deren oberer, flach concaver Rand mit einer genügend 
dicken Lage geleimter Watte gepolstert wird, gegen das Becken 
stützen soll. Nachdem die beiden Hohlschienen aufgesteckt und in 
genau angepaßter Länge — das Charnier muß der Gelenklinie, 
also dem unteren Rand der Patella, entsprechen — mittelst der 
Schräubchen festgestellt sind, wird das Fußstück au der Unter- 
schcnkclhohlschiene so befestigt, daß die Fußsohle die darauf ge¬ 
steckte Platte nahezu berührt. Wo es nöthig erscheint, namentlich 
an den etwas concaven Rändern der Holzschienen und oberhalb des 
Knöchels wird mit Watte gut gepolstert. Nach Entfernung des 
Contraextensionsgurtes wird nun die Schiene mit einer breiten, 
feuchten, appretirten Gazebinde befestigt, welche theils unter den 
hervorragenden Eisenbestandtheilen durch, theils über dieselben und 
die Schräubchen, zur besseren Fixation mitfassend geführt wird und 
deren letzte Touren als Spica das Becken umgeben. Zuletzt werden 
die ExtcnsionsschnUro paarweise um die zu diesem Zwecke mit Ein¬ 
kerbungen versehene Fußplatte geführt und über derselben unter 
kräftigem Zug mittelst Schleifen geknüpft. 

Sobald die gestärkte Binde getrocknet ist, darf die Extension 
so weit gelockert werden, daß der Druck der Schlinge ohne Nach¬ 
theil ertragen werden kann, denn eine nachträgliche Verkürzung 
der Extremität ist dann nicht mehr zu befürchten, weil die sich an 
die Conturen des Beines einerseits anschmiegende und an den Holz¬ 
schienen mit ihren vorstehenden Schräubchen etc. andererseits haf¬ 
tende Binde vollständig genügend fixirt. Patient kann nun tagüber 
außer Bett sein, auf einem Sessel oder Fahrstuhl sitzen und nach 
Belieben mit Krücken umhergehen. Da das geschiente Bein etwas 
länger ist als das andere, so muß darauf geachtet werden, daß die 
Differenz durch den Stiefel des letzteren ausgeglichen wird. Beim 



Fig. 1. 

über der vorderen Pelotte mittelst 


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ts 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


Auftreten mit der Schiene darf die Fußsohle, resp. Ferse des Pat. 
die Platte nicht berühren; er goht mit in Extension schwebendem 
B^in. An den Druck am Becken müssen sich manche Patienten 
erst etwas gewöhnen; er ist nicht größer als beim Tragen eines 
künstlichen Beins. Wenn dieser Druck beim Liegen im Bett un¬ 
angenehm wird, dann ist dadurch leicht zu helfen, daß man das 
Bein in Abduction lagert. 

Wenn die Schiene nach einiger Zeit in Folge Abschwellung 
und Abmagerung nicht mehr gut genug liegen sollte, so wird die 
ganze eben beschriebene Procedur wiederholt, wobei man die er¬ 
wünschte Gelegenheit hat, die Fracturstelle zu besichtigen. Da man 
nnn unbedenklich das Charnier am Kniegelenke durch Aufdrehen 
der Flügelschraube für passive und active Bewegungen nach Be¬ 
lieben frei machen kann, so muß man bei der Anlegung — das 
Einwickeln des Beiues ist jetzt unter Umständen ganz entbehrlich — 
darauf achten, daß die Binde die beabsichtigten Bewegungen 
nicht zu sehr behindert. Ist die Consolidation der Bruchstelle so 
weit vorgeschritten, daß es auf eine genaue Coaptation und Exten¬ 
sion nicht mehr ankommt, so bleibt zwar die Schiene zur Sicherung 
noch liegen, doch sind schon ausgiebige Bewegungen im Kniegelenk 
gestattet, und das Gehen erfolgt mit Leichtigkeit auch ohne Stock 
und selbst auf Treppen. 

Die Schiene kann auch bei anderen Affectionen versucht 
werden (bei gewissen Formen von Coxitis statt des TAYLOR’schen 
Apparates, bei Schenkelhalsfracturen, bei entzündlichen und trauma¬ 
tischen Affectionen (Schußfracturen) des Kniegelenks, vielleicht auch 
bei gewissen Unterschenkelbrüchen. 

Nach dem gleichen Princip, jedoch ohne Extensionsvorriohtnng, 
hat H. für Brüche im oder nahe am Ellbogengelenk eine Schiene 
construirt, welche sich bereits in mehreren Fällen sehr gut bewährt 
hat. Sie ist mittelst ihres Charniers durch eine Flügelschraube in 
beliebiger Stellung zu fixiren (Fig. 2). Eine hölzerne Hohlschiene 
für den Oberarm und eine für Vorderarm und Hand werden an 



Fig. 2. 


dem eisernen Gelenkstück in der gewünschten Länge mittelst 
Schräubchen in den darauf befestigten eisernen Hülsen fixirt und auf 
der Beugeseite des Armes angelegt. 


Referate und literarische Anzeigen. 

A. Wilhelm : Bleichsucht und Aderlass. 

Nach der in Nr. 48 (1889) der „Wiener Med. Presse“ kurz 
besprochenen Mittheilung des Verf. über die Behandlung der Bleich¬ 
sucht mit Aderlaß veröffentlicht Verf. seine ausführliche Mittheilung 
über dieses Thema und kommt auf Grundlage von 30 Kranken¬ 
geschichten zum Schlüsse, daß der Aderlaß ein Heilmittel ersten 
Ranges darstellt: je hochgradiger die Krankheitserscheinungen, je 
geringer der Farbstoffgehalt des Blutes, je ausgesprochener das 
Darniederliegen des Digestionsapparates, um so mehr ist der Aderlaß 
angezeigt, der nicht allein sicher, sondern vor Allem auch mit auf¬ 
fallender Schnelligkeit seine unverkennbar günstige Wirkung ent¬ 
faltet, die um so bemerkenswerther ist, als in solchen Fällen die 
vorher gereichten Eisenpräparate und andere therapeutische Ma߬ 
nahmen entweder absolut nutzlos oder doch nur von ganz vorüber- ; 
gehendem Erfolge waren. 

Im Allgemeinen tritt sofort nach dem Aderlaß eine angenehme 
Wärme ein; die bis dabin kalten Füße und Hände werden schnell , 
warm, der Appetit, in manchen Fällen ein wahrer Hunger, stellt 
sich bald ein, der Schlaf wird ruhig, ohne beängstigende Träume, 
nach einiger Zeit zeigt sich eine erhebliche Zunahme des Körper¬ 
gewichtes, normale oder doch annähernd normale Leistungsfähigkeit 


Der Puls wird gleich nach der Blutentziehung weit kräftiger als 
vorher, auf die Frequenz des Herzschlages scheint die Blutentziehung 
weniger zu wirken. Der Farbstoffgehalt des Blutes wurde nach der 
Blutentziehung wesentlich höher gefunden, doch bedarf es zu dieser 
Vermehrung des Blutfarbstoffes längerer Zeit. Eine Erklärung der 
Wirkung des Aderlasses vermag W. bis nun nicht zu geben. 

Verf. faßt seine Erfahrungen in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Es gibt eine große Zahl von „Bleichsüchtigen“, bei denen 
die Anwendung der verschiedensten Stahlpräparate nutzlos sich 
erweist. 

2. Für mindestens eine ganz beträchtliche Anzahl dieser 
Kranken haben wir in kleinen Blutentziehungen durch Aderlaß ein 
schnelles und sicheres Heilmittel. 

3. Die günstige Wirkung dieser Blutentziehungen ist in den 
meisten Fällen eine geradezu plötzliche, in anderen eine mehr 
allmälige; nicht selten erweist sich eine Wiederholung des 
Eingriffes nöthig. 

4. Auch bei solchen „Bleichsüchtigen“, die bisher kein Ferrum 
genommen hatten, empfiehlt sich bei besonders hochgradigen Be¬ 
schwerden und bei erheblicher Herabsetzung des Hämoglobingehaltes 
die Vornahme eines Aderlasses. 

5. Ueber die Häufigkeit etwaiger Recidive läßt sich mit Sicher¬ 
heit bisher noch Nichts sagen, da eine über mehr als ein Jahr be¬ 
tragende Beobachtungszeit nur bei den allerersten Fällen vorliegt. 
Hier hat allerdings die Heilwirkung des Aderlasses als eine dauernde 
sich erwiesen. 

6. Bei hysterischen und symptomatischen Anämien ist die 
Wirkung des Aderlasses, wie es scheint, entweder nur vorübergehend 
oder gleich Null. 

7. Die Veuaesection muß an den im Bette liegenden Kranken 
vorgenomraen und der nachfolgende Schweiß abgewartet, resp. durch 
stärkere Bedeckung und Zufuhr warmen Getränkes unterstützt werden. 

8. In der Regel wird die Entnahme eines Blutquantums von 
80—100 Grm. genügen. 

9. Vielleicht wird der Aderlaß am besten um die Zeit der 
Periode ausgeführt, und zwar bei starken Blutungen zwei bis drei 
Tage vor dem zu erwartenden Eintritt, bei schwächeren Blutungen 
zwei Tage nach Aufhören derselben. Bei unregelmäßigen Menstrual¬ 
blutungen , oder wenn solche überhaupt noch nicht stattgefunden 
haben, "kann selbstverständlich zu jeder beliebigen Zeit zur Blut¬ 
entziehung geschritten werden. 

10. Etwaige Wiederholungen wird man in Zwischenräumen 
von 4 oder 8 Wochen vornehmen. 

11. Eine ähnliche günstige Wirkung wie bei „Bleichsucht“ 
entfaltet der Aderlaß auch bei gewissen Formen des Kopfschmerzes. 

__ M. 


Petrini (Gaiatz): Le traitement de la Syphilis par le 
tannate de mercure. 

Am letzten internationalen Congresse der Dermatologie und 
Syphiligraphie hielt obengenannter Bukarester Universitätsprofessor 
und Spitalschef drei Vorträge: Ueber Pityriasis rubra, über 
einen Fall von „Sarcome alvöolaire melanique de la 
peau“ und über das obenerwähnte Thema, welch letzterer Vortrag, 
als die praktischen Aerzte am meisten interessirend, hier kurz skizzirt 
werden dürfte. 

Das beste unter allen bis jetzt empfohlenen antiluetischen 
Mitteln — sagt Prof. Petrini — bleibt das Quecksilber. Da aber 
die meisten Präparate des Mercurs, abgesehen von einer Intoleranz 
bei gewissen Personen, häufig Störungen des Verdauungsapparates 
hervorrufen, welche Erfahrung Verf. schon vor 20 Jahren als 
Interne Dr. Dümontpallier’s in Paris machte, suchte er ein Queck- 
silberpräparat, welches, ohne die schädlichen Nebenwirkungen zu 
haben, ein mächtiges Mittel zur Bekämpfung der Lustseuche sei. 
Nach einer langen Reihe von Beobachtungen glaubt Veif. in 
dem Tanninquecksilber ein Mittel gefunden zu haben, welches unter 
allen Quecksilbersalzen am intensivsten wirkt und nur ausnahms¬ 
weise bei Verabreichung sehr großer Dosen stomatitische Erschei¬ 
nungen verursacht. 


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1890. 


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— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


Nur wenig Aerzte haben das Mittel versucht. Der Erste, der 
das Tanninquecksilber bei Syphilis in Anwendung brachte, war der 
Moskauer Arzt Dr. Casanow. Nach ihm brachte der Pariser Apo¬ 
theker Castbelaz ein Präparat in den Handel, welches unter dem 
Namen „Pilules moscovites“ auch von Professor Fournier und 
Dr. Leblond mit Erfolg versucht, ebenfalls Tannin-Mercur mit 
Opium enthält. Verfasser sah die Anwendung des Präparates zum 
ersten Male im Jahre 1886 in der klinischen Abtheilung Professors 
Kaposi in Wien. 

Wenn man mit lOCgrm. täglich beginnt und erst nach mehreren 
Tagen auf die doppelte Dosis übergeht, kann das Medicament einen 
Monat lang ohne üble Folgen für den Mund genommen werden. 
Verfasser hat diese Behandlungsmethode auch in seiner Privatpraxis 
mit bestem Erfolge eingeführt. 

Mit der Einleitung dieser antisyphilitischen Therapie z u- 
glei eh wurden auch Gargarismen mit Chlorkalilösung empfohlen, 
ohne erst den Speichelfluß abzuwarten. Nach einem Monate werden 
gewöhnlich alle Kranken entlassen, nicht ohne ihnen eine weitere 
zeitweilige Einnahme der Pillen einzuschärfen. 

Was die Aufnahme und die nachherigo Ausscheidung des 
Quecksilbertannins betrifft, wurden Analysen unternommen, welche 
von dem Director des chemischen Institutes in Bukarest, Dr. Bernad, 
nach L. Schneider’s Verfahren ausgeführt, das Resultat gaben, wo¬ 
nach die Ausscheidung am meisten durch den Speichel, weniger 
durch den Harn und absolut nicht durch den Schweiß stattfindet. 
Bemerkenswerth ist, daß selbst bei Kranken, denen längere Zeit zu 
20 Cgrm. täglich aus" dem Versuchsmedicament verabreicht wurden 
und wo die Analyse 340 Mgrm. auf 1000 Grm. (d. i. 34 Cgrm.) im 
Harn und eine bedeutend größere Proportion im Speichel entdeckte, 
nicht die geringsten Spuren einer Stomatitis mercurialis wahrge¬ 
nommen werden konnten! 

Speichel und Schweiß wurden von den Kranken nach einer 
Pilocarpininjection gesammelt. 

Nachdem Verfasser alle Methoden der Syphilisbehandlung kritisch 
auseinandergelegt und besonders die hypodermatische Injectionsmethode 
als unsicher und umständlich verworfen hat, polemisirt er gegen 
Dr. Langlebert, der am Congresse selbst die Meinung äußerte, 
man solle das Quecksilber nur im Stadium der Secundärerschei- 
nungen der Haut und Schleimhäute anwenden, weder früher, noch 
später. Dieser Methode wird in der Brochure scharf entgegengetreten. 
„Wenn es constatirt ist,“ sagt Prof. Petrini, „daß das Quecksilber 
ein souveränes Mittel in der Syphilistherapie ist, und wenn andererseits 
angenommen wird, daß es einen Syphilisbacillus gibt, welcher nur 
auf einem Terrain gedeiht, wo kein Mercur im Organismus 
existirt, warum soll man nicht gleich im Anfang diesem Feinde zu 
Leibe gehen, indem man die Behandlung der sicher diagnosticirten 
Syphilis mit dem Specificum beginnt und mit demselben in gehörigen 
Zeiträumen fortfährt ?“ 

Die aus 22 ausgewählten, klar dargestellten verschiedenartigen 
Syphilisfällen bestehende Casuistik trägt viel bei zur Rechtfertigung 
der angestrebten Methode. 

Referent bedauert nur. von den Schwefelthermen als eines mäch¬ 
tigen Agens bei Bekämpfung der Syphilis und des Mercurialismus 
keine Erwähnung in der Brochure gefunden zu haben. Dies umso¬ 
mehr, da Prof. Petrini unsere Schwefelthermen von Herkulesbad 
seinen Kranken oft empfiehlt. 

Die vom Verfasser selbst in seiner Abtheilung des Spitales 
„Colentina“ in Bukarest versuchte Behandlungsmethode ist die 
folgende : 

Man bedient sich eines französischen Präparates, des Tannas 
Mcrcurii mit Gentianextract ohne andere Beimischung. Sobald 
die sichere Diagnosis auf Syphilis gestellt ist, verabreicht man 
während der Mahlzeit einem jeden Kranken anfangs eine Pille, ent¬ 
haltend 010 Cgrm. per Tag. Nach zehn, fünfzehn Tagen wird 
die Dose verdoppelt. Auf diese Art werden die Kranken 25 
bis 30 Tage lang behandelt, bis die Krankheitserscheinungen 
gänzlich verschwunden sind 

In sämmtlichen Uber 200 derart behandelten Syphilisfällen 
verschiedener Formen hat sich die eingeschlagene Curmethode vor¬ 
trefflich bewährt. Die Kranken vertrugen das Quecksilbertannin sehr 


gut, mit Ausnahme einiger blutarmer Frauen mit schlechten Zähnen, 
die unbefugter Weise 20 Cgrm. per Tag schon von Anfang ange¬ 
nommen hatten. Dr. Vota (Herkulesbad). 


Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie 
für Aerzte und Studirende. Von Dr. Hermann Eich- 
hor8t, o. ö. Professor der speciellen Pathologie und Therapie 
und Director der medicinischen Universitäts-Klinik in Zürich. 
I. Band: Krankheiten des Circulations- und Respirations- 
Apparates. Mit 166 Holzschnitten. Vierte, umgearbeitete 
und vermehrte Auflage. Wien und Leipzig 1890. Urban 
und Schwarzenberg. 

Die Einmüthigkeit, mit welcher das Erscheinen der ersten 
Auflage des vorliegenden Werkes im Jahre 1882 von der Kritik 
begrüßt wurde, das Interesse, welches die seither erschienenen Aus¬ 
gaben desselben begleitete, die ungewöhnliche Raschheit, mit welcher 
diese Ausgaben einander gefolgt sind, alle diese Momente entheben 
uns wohl der Aufgabe einer neuerlichen Anpreisung — denn nur 
eine solche ist Eichhorst’s Buche gegenüber geboten — dieses 
Werkes. Heute, beim Erscheinen der vierten Auflage des ersten 
Bandes, können wir uns wohl darauf beschränken, die Aufmerksam¬ 
keit unserer Leser neuerdings für das Meisterwerk des berühmten 
Klinikers zu erbitten, welcher, den Fortschritten der Wissenschaft 
achtsam folgend, ihre Errungenschaften getreulich verzeichnet und 
damit sein Werk stets jugendfrisch zu erhalten versteht. 

Die deutschen Aerzte, welche Eichhorst’s Pathologie und 
Therapie längst einen Ehrenplatz in ihrer Bücherei angewiesen 
haben, wie nicht minder unsere Collegen in England, Frankreich, 
Italien, Rußland und Spanien, welchen gute Uebersetzungen derselben 
zur Verfügung stehen, werden bei der Lecture der neuesten Auflage 
abermals neue, werthvolle Ergänzungen des stets übersichtlich ge¬ 
haltenen, theoretischen Auseinandersetzungen und Hypothesen aus¬ 
weichenden Textes finden. Wir heben aus dem ersten Bande nur 
die Neubearbeitung der Krankheiten des Endocards und der Sensi¬ 
bilitätsstörungen der Kehlkopfschleimhaut, sowie die Einfügung des 
Heufiebers hervor, ohne damit die Zusätze und Umarbeitungen dieses 
Bandes erschöpft zu haben. 

Von besonderem Werthe für die Studirenden sowohl, wie für 
die praktischen Aerzte, welchen Eichhorst’s Buch gewidmet ist, 
erscheint die stete Berücksichtigung der Praxis, welche zumal bei 
Besprechung der Therapie der einzelnen Erkrankungen hervor¬ 
sticht. Neben den anderen Vorzügen des Werkes scheint auch dieser 
Umstand zu dessen ungewöhnlicher Verbreitung nicht wenig beige¬ 
tragen zu haben. J. L. 


DieNervensohwäche (Neurasthenia), ihre Symptome, 
Natur, Folgezustände und Behandlung. Mit einem 
Anhang: Die Seekrankheit und der Gebrauch der Brommittel. 
Von Georg M. Board. Uebersetzt und bearbeitet von Geh. 
San.-Rath Dr. M. Neisser in Breslau, Badearzt in Charlotten¬ 
brunn. Dritte, vermehrte Auflage. Leipzig 1889. F. C. W. 
Vogel. 

Angezeigt von Docent Dr. R. t. Pfungen in Wien. 

Das unzweifelhafte Verdienst Beard’s, ein wichtiges Prototyp 
functioneller Nervenstörungen seiner ätiologischen Stellung nach 
hervorgehoben zu haben, und seine werthvollen Anregungen einer 
in neue Bahnen lenkenden Therapie, sein Geschick, in einfließenden 
kurzen Absätzen und Erörterungen auch einer wissenschaftlichen 
Abhandlung die Frische eines anziehenden Feuilletons zu geben, 
sind noch heute gewichtige Gründe, die Lecture des Buches zu 
empfehlen, nachdem es, 1881 in deutscher Uebersetzung und 
Bearbeitung von Dr. Neisser zuerst erschienen, eben die dritte 
Auflage erlebt hat. Umsomehr darf es berechtigt erscheinen, für 
eine neue Bearbeitung dieses Werkes, an dem Neisser gewiß 
manches Verdienst zuzuschreiben ist, aus einem allzu wortreichen 
Geplauder eines erfahrungsreichen Praktikers ein mehr dem deutschen 
Geschmack zusagendes Werk zu bilden, einige ernste Wünsche zu 
knüpfen. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 1. 


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Eine Anzahl eingeschobener, sorgfältig ausgearbeiteter Kranken¬ 
geschichten würde noch dem Werke eine werthvolle Bereicherung 
sein. Die Schilderungen könnten zugleich zur Grundlage doch etwas 
präciserer Angaben über alle jene antihygienischen Mißgriffe dienen, 
die im Lebm in jeder Richtung outrirt Vorkommen, weiter sowohl 
für die Feststellung: was ist erfahrungsgemäß als schädlich für 
mittlere Resistenz des Nervensystems zu bezeichnen, und was ist als 
in der Regel zweckmäßig Gesunden oder nervös Uebcranstrengten 
zu empfehlen ? Mit Allgemeinheiten, Phrasen, wie sie Beabd liebt, 
ist dem lernenden Arzte und dem Patienten nicht geholfen. Dieselbe 
Präcision mangelt den therapeutischen Bemerkungen, welche weder 
eine irgend präcise Indicatiousstellung, noch auch ein irgend an¬ 
schauliches Bild geben, wie Beahd sich in seinen erfolgreichen Curen 
den einzelnen Fällen gegenüber benommen hat. Beahd ist todt, 
aber sein Bearbeiter lebt und bat in seiner persönlichen Erfahrung 
eine werthvolle Grundlage, solche unzweifelhafte Lücken des Brakd- 
schen Werkes wenigstens mit Erfahrungen aus seiner G'lientel zu 
füllen und damit dessen Werth in hohem Maße zu erhöhen. 


Zeitungsschau. 

Denguefieber und Influenza. 

Ref.: Dt. M. T. Sohnirer in Wien. 

Literatur: 1. Prof. H. de Brun: Fifevre dengue („La semaine ni6d. u , 
Nr. 10, 1889). — 2- De la dengue att6nu6e („La semsiue m6d.“, Nr. 54, 
1889). — 3. Ueber Influenza. (Discussion im Vereine für innere Medicin in 
Berlin.) — 4. La fifevre dengue et l’6pid6mie d’inflnenza. (Discussioo in der 
Pariser Acad6mie de mddecine.) — 5. Prof. Kokänyi : lieber Influenza. („Pester 
lued.-chir Presse“, Nr. 51, 1889.) — 6. Ghaeskr: Vorschläge zur Verhütung 
der Influenza. („Kerl. klin. Wochenschr.“, Nr. 51, 1889.) —7. Cu. Fiessingkr: 
De la i ongestion pulmonaire < hronique consecutive & Ja grippe. („Gaz. med. 
de Paris“, Nr. 50, 1889.) — 8. Cu. Fikssinger: La grippe infect euse 4 

Oyounax. (Paris 188J, 0. Doin). 

In Beyruth, woselbst das Denguefieber fast die halbe Be¬ 
völkerung betroffen hatte, hielt Prof, de Brun (1) eine sehr inter¬ 
essante Vorlesung über diese Erkrankung. Nach ihm zeigen die 
Kranken vom Beginne an einen Zustand von Schwäche, der sie schon 
vom ersten Tage an an’s Bett fesselt und in gar keinem Verhält¬ 
nisse zu den vorhandenen gastrischen Erscheinungen steht; dazu 
gesellt sich ein Gefühl von Mattigkeit in den Gliedern und uner¬ 
trägliche Schmerzen, die gleichzeitig oder nacheinander hauptsäch¬ 
lich an 3 Stellen auftreten: 1. im Kopfe, woselbst der Schmerz 
vorwiegend in der Stimgegcnd sitzt und mit einem Gefühle von 
außerordentlicher Spannung des Auges vergesellschaftet ist, so daß 
dio Pat. das Licht fliehen und jedes Geräusch, selbst die mensch¬ 
liche Stimme, perhorresciren ; 2. in der Leudengegcnd; 3. und 

vorwiegend in den Knien. Dieses letztere Symptom, der Knie- 
schmorz, ist so hervorstechend, daß dio Araber in Syrien das 
Denguefieber als Abu-Rekabe (Vater der Kuice) bezeichnen. Der 
Schmerz sitzt nur in der Muskel Substanz, und zwar hauptsächlich 
in den Waden. 

Eines der charakteristischeren Symptome des Denguefiebers ist 
das Exanthem, welches aber nicht in allen Fällen vorhanden ist. 
Viele Kranke zeigen sogar 2 Exantheme, ein gewissermaßen pro¬ 
dromales und eines, welches im Laufe oder sogar während des 
Abfalles der Erkrankung auftritt. Das erstere ist gewöhnlich vor¬ 
übergehend und dauert kaum mehr als 24 —36 Stunden, sitzt mit 
Vorliebe im Gesichto und verleiht demselben ein eigenthümliches 
Aussehen. Dasselbe ist purpurroth und zeigt ein diffuses Erythem 
im unteren Theile der Stirne, der Wangen und um dio Augen 
herum. Letztero sind stark glänzend und thräneu zuweilen, dabei 
ist häufig die Nasensccretion vermehrt, nicht selten treten Nason- 
blutungen auf, und manche Kranke klagen auch über ein Gefühl 
von Trockenheit und Schmerzhaftigkeit im Rachen, Symptome, die 
auf das Auftreten des Exanthems auf den Schleimhäuten des Auges, 
der Nase und des Rachens hin weisen. Boi anderen Kranken ist das 
Exanthem weniger ausgesprochen, und das Bild wird von einem 
Oedcm des Gesichtes mit erhöhter Temperatur der Wangen be¬ 
herrscht, ohne daß im Urin auch nur die geringste Spur von Eiweiß 
vorhanden wäre. 


Viel häufiger, heftiger und länger dauernd ist das secundäre 
Exanthem, welches mit Vorliebe an den Händen, Vorderarmen, Armen, 
Hals und Rumpf, seltener an den unteren Extremitäten auftritt. Es 
besteht aus kleinen rosafarbigen, von einander getrennten Flecken 
mit unregelmäßigen Rändern, ähnlich der Roseola. In manchen 
Fällen ist das Exanthem ähnlich dem bei Scharlach oder Masern; 
in vielen Fällen lassen sich auch Papeln deutlich wahrnehmen. Das 
secundäre Exanthem hat eine verschiedene Dauer; im Allgemeinen 
hält es 3^-4 Tage an, kann aber auch mehr als eine Woche 
dauern und eudet mit Abschuppung. Das Exanthem beim Dengue¬ 
fieber hat ein Charakteristicum, welches es von allen anderen 
acuten Exanthemen unterscheidet, nämlich das heftige Jucken, das oft 
die alleinige Ursache für das Consultiren eines Arztes abgibt. 

Das Fieber ist eine constante Erscheinung; die Temperatur 
steigt rasch und erreicht in wenigen Stunden ihr Maximum, 39 bis 
40 und «elbst in manchen Fällen sogar 41° mit deutlichen Morgen¬ 
remissionen. Die Defervescenz tritt entweder in wenigen Stunden 
ein oder geht allmälig vor sich. 

In manchen Fällen complicirt sich da? Denguefieber mit 
Malaria, die aber den Verlauf des Denguefiebers nicht alterirt. Der 
Verlauf der Krankheit ist ein verschiedener. Bei einer Reihe von 
Kranken ist die Affection so leicht, daß die Patienten sich nicht zu 
Bette legen und höchstens wegen ihres Juckens ärztliche Hilfe 
aufsuohen. 

In anderen Fällen wieder müssen die Kranken das Bett vom 
ersten Tage an hüten. Für den Beginn der Erkrankung sind die 
gastrischen Symptome charakteristisch; die Zunge ist stark belegt, 
es besteht vollständige Appetitlosigkeit, Widerwillen gegen jede 
Nahrung und schlechter Geruch aus dem Munde. Die Dauer der 
Erkrankung schwankt zwischen 3—8 Tagen, die Reconvalescenz ist 
durch außerordentliche Schwäche oharakterisirt. Die Prognose ist 
eine günstige. Was die Therapie betrifft, so gibt B. im Beginne 
ein Emeto-catharticum, worauf dann die Kopfschmerzen, Schwindel 
und Appetitlosigkeit abnehmen. 

Gegen die Schmerzen im Kreuze und in den Knien kann man 
mit Erfolg Salicyl, noch besser Antipyrin anwenden. Das Chinin 
hat B. nichts genützt, außer in den Fällon, die mit Malaria com¬ 
plicirt waren. Das heftige Jucken wird mit Erfolg durch Application 
einer 2proc. Chlorallösung oder einer Cocalnsalbe bekämpft. 

In Egypten herrscht gegenwärtig, wie Dr. Cagniard aus 
Cairo berichtet (2), eine Dengue-Epidemie, deren Charakter ein 
bedeutend schwächerer ist. Zunächst sind die Temperatursteige- 
rungen geringer; die Temperatur erreicht höchst selten 40°, die 
gastrischen Erscheinungen sind außerordentlich gering und ver¬ 
schwinden oft schon am nächsten Tage. Die Schmerzen fehlen häufig 
gänzlich; das Exanthem tritt selten auf, in geringerem Grade und 
vergeht rasch. Die Abschuppung ist kaum merklich. Die in früheren 
Epidemien so lange dauernde Reconvalescenz ist gegenwärtig so 
kurz, daß die Patienten nach Ablauf der Erkrankung häufig wieder 
sofort hergestellt sind. 

Die gegenwärtig epidemisch auftretende Influenza ist, wie 
KorAnyi (5) in einem klinischen Vortrage ausfilhrt, durchaus keine 
neue Krankheit. Wir begegnen derselben, wenn auch nicht unter 
demselben Namen, schon im achten und neunten Jahrhundert. In 
den Jahren 1510, 1537 und 158<> herrschten in Europa große 
Influenza Epidemien; in den Jahren 1510, 1782 und 1838 wuchs 
diese Krankheit sogar zu einer Weltepidemie an. Dadurch, daß es 
seit 1874 keine größere Influenza-Epidemie gegeben hat, ist sie 
ganz iu Vergessenheit geratheu. Sio unterscheidet sich von den 
Catarrhen der Respirationsorgane durch die riesig rasche Verbreitung, 
sowie durch den Umstand, daß sie den Charakter oiner schweren 
Erkrankung besitzt. Die Krankheit verbreitet sich am häufigsten 
von Osten nach Westen Der Weg, welchen sie einschlägt, fällt oft 
mit dem der Cholera zusammen. Der gesellschaftliche Verkehr scheint 
in der Weiterverbreitung der Krankheit nur eine sehr untergeordnete 
Rolle zu spielen. 

Bei manchen Patienteu, namentlich bei Kindern, pflegt ein 
Prodromalstadium der Krankheit aufzutreten, welches sich durch 
Kopfschmerzen, Mattigkeit, Frösteln kundgibt. Bei Erwachsenen 
zeigen sich beim Auftreten der Influenza folgende Symptome: Reiz 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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zum Niessen in der Nasenschleimhaut, Kopfschmerzen, Austrocknen i 
des Rachens, Husten, 39- bis 40gradiges Fieber, welches in der 
Regel mit einem Schüttelfrost beginnt. Am besten sind die Symptome 
der Krankheit nach den ersten zwei Tagen der Erkrankung wahr¬ 
nehmbar. Am ausgesprochensten treten Hyperämie der Bindehaut, 
Thränenfluß, catarrhalischer Zustand der Nasenschleimhaut, wässerige, 
durchsichtige, wenig dichte Schleimabsonderung aus der Nase, 
und röthlich injicirter Rachen und Kehlkopf auf. Der Kranke wird 
heiser, es tritt ein schmerzvoller Husten bei ihm ein, er klagt 
über Brustschmerzen und Athembeschwerden, Brechreiz und Kopf¬ 
schmerzen in der Augen- und Stirnhöhle, wirft wenig aus, hat 
keinen Appetit, seine Haut ist trocken und es erscheinen auf der¬ 
selben kleine rothe Flecken (Roseola). 

Außer diesen Symptomen tritt manchmal auch Magen- und 
Darmcatarrh und Delirium auf. Am sechsten Tage der Krankheit 


tritt die Defervescenz ein, welche entweder mit einer Lysis oder 
mit einer Krisis endigt. Beim Eintritt der letzteren transspirirt der 
Kranke stark, Fieber, Schmerzen und Husten hören auf. Manchmal 
bleibt andauernde Nervenschwäche zurück und der Kranke bleibt 
auffallend lange reconvalescent. Man unterscheidet die Influenza 
thoracica, cephalica und abdominalis. Als Complicationen der In¬ 
fluenza treten zuweilen die verschiedenen Arten der Lungenentzündung, 
so auch Lungenödem oder Capillar-Bronchitis auf. In den meisten 
Fällen endigt die Influenza mit vollständiger Heilung; nur dort ist 
wirkliche Gefahr vorhanden, wo der Organismus durch Tuberculose 
oder ein größeres Emphysem angegriffen oder im Allgemeinen sehr 
geschwächt ist. In solchen Fällen kann die Influenza auch letalen 
Ausgang nehmen. 

(Schluß folgt.) 


F e u i 11 e t o n. 

Berliner Briefe. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Berlin, Neujahr 1890. 

NeujahrsbetrachlmiRen. 

„Die Tage vergehen, aber sie gleichen einander nicht“, und 
dem Himmel sei Dank, daß dem so ist, denn wenn ich Ihnen, ver¬ 
ehrter Herr Redacteur, und den Lesern der „Wiener Med. Presse“ 
heute eine kleine Neujahrsbetrachtung über die ärztlichen Verhält¬ 
nisse in Berlin während des verflossenen Jahres widmen will, so 
bin ich froh, daß mich das Schreckgespenst der letzten Monate nicht 
mehr in so arger Weise stört wie bisher, daß ich mit einer gewissen 
Ruhe mit Ihnen plaudern kann, ohne daß das fürchterliche Wort 
„Influenza“ unausgesetzt an mein Ohr tönt. Das waren ja ganz 
schreckliche Wochen, die ersten des Monats December, Wochen 
der höchsten Anstrengungen und Strapazen für den Berliner Arzt, wo 
seine Thätigkeit bis in die Nacht hinein unaufhörlich in Anspruch 
genommen wurde, wo auch die jüngsten Collegen auf einmal mit zu 
den beschäftigtsten Aerzte der Residenz gehörten, wo kein Neid und 
keine Mißgunst unter den Collegen mehr existirte, hinweggefegt 
durch die Zauberkraft der Influenza. An die Thüren der Armen 
wie der Reichen hat sie geklopft, diese sonderbare, noch ziemlich 
unerforschte Krankheit, in den Palast wie in die Hütte hat sie sich 
Eingang verschafft, Alt und Jung hat sie mehr oder minder heftig 
gepackt und geschüttelt. Es gab eine Anzahl Tage, wo hier in 
Berlin jedes andere Interesse geschwunden war, wo man in allen 
Kreisen nur noch das Wort „Influenza“ hörte und sie das einzige 
Gespräch des Tages bildete. Hat man doch die Zahl der erkrankten 
Personen auf 1 / 8 bis selbst auf die Hälfte der gesammten Bevölke¬ 
rung Berlins geschätzt, und wenn man bedenkt, daß alle Bevölke¬ 
rungsschichten von der Affection ergriffen waren, so liegt die richtige 
Schätzung zum Mindesten in der Mitte. Influenza hat der Kutscher 
gehabt, der mich täglich in die Praxis gefahren und eines schönen 
Tages mich plötzlich sitzen ließ; Influenza der Bursche, der mir 
morgens die Zeitung in’s Haus zu bringen pflegte und jetzt auf 
einmal mit großer Verspätung ankam, und so hatte fast Jeder, 
wenn nicht direct, so doch indirect unter den unangenehmen Folge¬ 
erscheinungen der Epidemie zu leiden. Was der Dichter von 
der Ubiquität der Liebe singt, ließ sich mit demselben Recht 
von der Influenza sagen: sie war überall, ganz Berlin war influenzirt. 
Es ist hier nicht die Stelle, um über das Wesen und Auftreten 
dieser Infectionskrankheit zu sprechen, nur das Eine möchte ich 
aber doch hervorheben, daß sie keineswegs so harmlos ist, wie man 
sie im Allgemeinen hingestellt hat, daß sie vielmehr im Stande ist, 
Menschen in der Fülle der Kraft plötzlich unter den heftigsten Be¬ 
schwerden auf das Krankenlager zu werfen und sie wochenlang an 
dasselbe zu fesseln, so daß sie sich nur schwer und langsam erholen, 
ja sie vermag sogar bei geschwächten Individuen durch Complicationen 
direct zum Tode zu führen. 


In einer solchen Zeit der Drangsal ist es übrigens als ein 
wahres Glück zu bezeichnen, daß im verflossenen Jahre zu der Zahl 
der Berliner Aerzte (circa ,1600) weit mehr als 100 junge Collegen 
hinzugekommen sind, denn wer hätte sonst wohl allen Influenza¬ 
kranken Hilfe und Trost in -ihrem Leiden bringen sollen! Inzwischen 
ist die Epidemie im Abnehmen und Verschwinden begriffen, und der 
Mensch vergißt sehr bald ausgestandenes Leid und wendet sich gern 
wieder Dingen von aetuellerem Interesse zu. 

In dieser Beziehung ist von nicht geringer Bedeutung für die 
hiesigen Aerzte der vor Kurzem von der Berliner Stadtverwaltung 
gefaßte Beschluß, die Desinfection der Wohnungen bei 
ansteckenden Krankheiten nach Maßgabe der in dieser Be¬ 
ziehung bestehenden polizeilichen Vorschriften in die städtische 
Verwaltung zu übernehmen und die Mittel zur Bestreitung der ent¬ 
stehenden Kosten in den Stadthaushaltsetat einzustellen. Allerdings 
bestand schon früher für eine Reibe von Infectionskraukheiten die 
Verpflichtung, alle mit dem Kranken in Berührung gekommenen 
Gegenstände, wie Wäsche, Betten etc., der städtischen Desinfections- 
anstalt zur Vernichtung der Krankheitskeime und zur Verhütung 
weiterer Krankheitsübertragung zu überweisen, allein der jetzige 
Beschluß bildet gewissermaßen das letzte Glied der Kette und ver¬ 
vollständigt die überaus werthvolle hygienische Einrichtung erst zu 
einem Ganzen. So lange nicht auch die Desinfection der Wohnungen 
durch geschultes Personal erfolgte, haftete der ganzen Einrichtung 
noch ein großer Mangel an; erst mit der gleichzeitigen Wohnungs- 
desinfection wird die Prophylaxis, diese edelste Aufgabe des Arztes, 
in Berlin der Erreichung ihres hohen Zieles um ein Bedeutendes 
näher gerückt sein. 

Ueber eine andere Angelegenheit, welche im verflossenen Jahre 
in Berliner ärztlichen Kreisen viel Staub aufgewirbelt hat, die Ge¬ 
währung von Geldentschädigungen an Hebammen 
behufs Zuweisung von poliklinischen Entbindungen als Lehrmaterial, 
ist inzwischen Gras gewachsen. Der Centralaussohuß, die corporative 
Vertretung der Berliner ärztlichen Bezirksvereine, ist allerdings 
seinerzeit über einen, das Verfahren für unstatthaft erklärenden 
Antrag mit 11 gegen 10 Stimmen zur Tagesordnung übergegangen; 
denn da es sich nicht um einen praktischen Arzt, sondern um einen 
Privatdocenten handelte, welcher das niedere Heilpersonal für die 
Ueberweisung von Patienten dotirte, so waren verschiedene Ver¬ 
treter der Meinung Al exander’s, „ja, Bauer, das ist ganz was 
anders!“ Seitdem aber haben sich die Anschauungen sehr geklärt, 
und eine erneute Abstimmung würde mit höchster Wahrscheinlichkeit 
ganz andere Resultate ergeben. Darüber kann jedenfalls kein Zweifel 
sein, daß, wie der Verein der Königstadt mit Recht in seinem gegen 
diesen Beschluß erhobenen Protest ausführt, jedes Vorgehen zu 
humanitären Zwecken, welches auch nur indirect den persönlichen 
; Vortheil des Einzelnen begünstigt, absolut verwerflich ist, sobald es 
I nur durch Gewährung von Gratificationen gefördert werden kann. 

Beim weiteren Rückblick auf diejenigen Verhältnisse des ver¬ 
gangenen Jahres, welche einen nachhaltigen Einfluß auf die Ge¬ 
staltung der Berliner ärztlichen Verhältnisse gewonnen haben, fällt 
j der Blick mit einer gewissen Genugthuung auf die Thätigkeit 
; der Aerztekammer der Provinz Brandenburg und des 
! Stadtkreises Berlin. Das zweite Jahr des Bestehens dieser 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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officiellen Aerztevertretung ist nicht ungenützt vorUbergegangen, und 
wenn nach die Erfolge bisher noch keine großartigen gewesen sind, 
so ist doch in diesem Jahre manche hochwichtige Frage, welche 
die Aerzte seit Jahren beschäftigt und das Ziel ihrer Hoffnungen 
und Wünsche gewesen ist, aufs Neue angeregt und in schnellere 
Bewegung gerathen. Vor Allem ist in dieser Beziehung die schon 
unendlich oft besprochene — aber eben nur besprochene — ärzt¬ 
liche Standesfrage der Taxe zu nennen, welche nach ein¬ 
gehender Vorberathung seitens einer Commission in der letzten Ver¬ 
sammlung der Brandenburgischen Aerztekammer zur Debatte ge¬ 
langte , und, ohne freilich zu definitivem Abschluß zu kommen, die 
ganze Sitzung ausfüllte. Erst die nächste Versammlung wird einzelne 
noch nicht spruchreife Punkte zur endgiltigen Beschlußfassung 
bringen, und alsdann wird es dieser staatlich anerkannten Standes- 
vertretnng hoffentlich auch gelingen, ihren Beschlüssen Anerkennung 
und Durchführung von Seiten der staatlichen Behörden zu ver¬ 
schaffen. Zu wünschen wär’s wahrlich sehr, weil die deutschen 
Aerzte in dieser Beziehung seit langer Zeit an einer alten, harten 
Speise kauen. 

Die bisherige ärztliche Honorarfestsetzung stammt noch aus 
der Zeit der Befreiungskriege, und obzwar sich seitdem die socialen 
Verhältnisse total geändert haben, der Werth des Geldes, der Preis 
der Lebensmittel und die Lebensansprüche durchaus andere geworden 
sind, die ärztliche Taxe ist dieselbe geblieben und gewährt z. B. 
für ein aus dem Hause des Arztes abgeholtes Recept ganze 38 bis 
75 Pfennige, für ein Nachtrecept 75 Pfg. bis 1*50 Mark etc. Und 
deshalb ein 5 Jahre langes Studium? Hier baldigst Wandel zu 
schaffen, wird eine verdienstvolle Aufgabe sein. 

In Folge der Taxberathnng ist ein nicht minder wichtiger 
Gegenstand, die Nothwendigkeit der Errichtung von 
Schwindsuchtsasyleu, auf die nächste Sitzung verschoben 
worden. Eine andere bedeutungsvolle Maßnahme, die B egrtlndung 
von Pflegestätten für unbemittelte Wöchnerinnen, 
eine strengere Auswahl dor Hebammenschülerinnen 
und eine schärfere Durchführung der Desinfection im 
Wochenbett, ist dagegen soweit vorbereitet, daß dieselbe dem 
Minister zur Prüfung und Berücksichtigung unterbreitet werden wird. 

Von der immerhin erfreulichen Thätigkeit der Brandenburgi¬ 
schen Aerztekammer schweift die forschende Ruckerinnerung gar 
leicht hinüber zu denjenigen Bestrebungen, welche nicht blos die 
Aerzte Berlins, sondern einen großen Theil aller Mediciner Deutsch¬ 
lands beseelten, die Begründung einer deutschen Aerzte- und 
Stand esordnung. 

Bekanntlich haben sich die deutschen Aerzte bisher keiner 
allzu großen Huld des gestrengen Herrn Reichskanzlers zu erfreuen 
gehabt, und so ist denn auch auf die Petition des deutschen Acrzte- 
vereinsbundes, betreffend den Erlaß einer umfassenden, die gesammte 
rechtliche Stellung der Aerzte regelnden Aerzteordnung, eine ab¬ 
lehnende Antwort erfolgt. Die deutschen Aerzte haben gelernt, 
sich zu bescheiden, sie werden ihr Ziel muthig im Auge behalten 
und auf eine bessere Zukunft vertrauen, die früher oder später, aber 
sicher kommen wirJ. 

Günstigere Resultate hat die Berathung der deutschen 
Standesordnung aufzuweisen gehabt, welche auf dem dies¬ 
jährigen deutschen Aerztetage zu Braunschweig stattgefunden 
hat. Mit großer Majorität sind dort bestimmte Normen festgestellt 
worden über die öffentlichen Ankündigungen der Aerzte, über die 
Grenzen des Specialistenthuras, über die Verhältnisse der Collegen 
zu einander (Vertretung, Consilien etc.), wie im Verkehr mit dem 
Publikum (Wechsel des Arztes, Aeußerungen, Honorar etc.). Wieder¬ 
holt wurde gegen die Feststellung solcher Bestimmungen der Einwand 
erhoben, daß sie überflüssig seien, da ihre Befolgung sich eigentlich 
von selbst verstände. Gewiß, wenn alle Aerzte denselben Tact und 
dasselbe Feingefühl für Anstand und Standeswürde besäßen! So 
lange dies aber nicht dor Fall ist, werden solche Bestimmungen 
dazu beitragen, dem Schwankenden und dem Irrenden den rechten 
Weg zu zeigen und ihn die Klippen, an denen seine Collegialität 
Schiffbruch leiden könnte, um so eher vermeiden lassen. „Collegialität, 
sagt Mencke, ist ein poetisches Band, gewebt aus der Liebe zu 
unser Wissenschaft und dem Bewußtsein einer gleichwertigen 


Bildung“, allein wir leben nun einmal in einer realistisch gesinnten 
Zeit, .wo man in der Wahl der Mittel nicht immer wählerisch ist. 
Bisher hat freilich medicinische Wissenschaft die Fahne des Idealismus 
noch immer hochgehalten und sie darf nicht müde werden, sie be¬ 
geistert zu entfalten, denn nur die ideale Gesinnung gibt ihren 
Jüngern denjenigen Geist uneigennütziger Hingebung, der in Stunden 
schwerer Arbeit erhebt und wahre Befriedigung verschafft. Wie 
heißt es doch in dem alten Liede vom Tannenbaum? 

„Die Hoffnung und Beständigkeit 
Gibt Muth und Kraft zu jeder Zeit.“ 

Die Hoffnung einer glücklichen Zukunft mag uns froh in’s 
neue Jahr hineinführen, die Beständigkeit einer idealen Lebens¬ 
anschauung mag unseren Beruf adeln und uns Muth und Kraft ver¬ 
leihen zu erneuerter Thätigkeit! In diesem Sinne rufe ich Ihnen, 
verehrter Herr Redacteur, und den Lesern der „Wr. Med. Presse“ 
ein „Glückauf zum neuen Jahre!“ zu. —r. 


Kleine Mitthellungen. 

— Oberstabsarzt Dr. Albers theilt in Nr. 99 der „Deutsch. 
Med.-Ztg.“ folgendes Verfahren der Cocainanwendung bei größeren 
Operationen mit: Er füllt eine desinficirte PRAVAZ’sche Spritze 
mit einer frischen öproc. Cocainlösung, die vorher tüchtig umge¬ 
schüttelt ist. Hierauf macht er mit Jodtinctnr einen Strich auf der 
Haut der zu operirenden Stelle in der Größe des vorzunehmenden 
Hautschnittes. Die Spitze der Spritze führt er theilweise bis unter 
die Haut und macht beim Zurflckziehen der Spritze noch 
einen kleinen Einstich in das Rete Malpighii. Hiebei entleert er 
im Ganzen etwa 1 / 6 des Inhaltes einer solchen Spritze. Nach der 
Injection sieht man die Oberhaut etwa 4 Cm. breit zu beiden Seiten 
des Einstiches sich weißlich aufblähen. 15 Cm. vou der Grenze 
der aufgeblähten Oberhaut macht er weitere Injectionen in derselben 
Weise, so daß er, um eine Incision von 8—10 Cm. Länge voll¬ 
ständig ausführen zu können, etwa 3—5 Injectionen, also im Ganzen 
höchstens die Füllung einer einzigen Spritze gebraucht. 3—4 Minuten 
nach der Einspritzung muß die Incision gemacht werden; verzögert 
sieh letztere um einige Minuten, so empfiehlt es sich, am Anfang 
und Ende derselben Hautstelle nochmals etwa 1 / 6 des Inhalts einer 
Injectionsspritze zu verwenden. Die sichere Wirkung des CocaYns 
reicht nur 1 —1*25 Cm. rings um den Einstich. Kommt man auf 
tiefere Gebilde, Aponeurosen, Muskeln, Gefäßscheiden, so muß in 
und unter dieselben ebenfalls eine Einspritzung in derselben Aus¬ 
dehnung, wie vorher in die Haut, gemacht werden. Sofort nach 
der Einspritzung jedoch ist durch den Druck des Fingers auf die 
Einstichstelle das CocaYn in dem unterliegenden Gewebe zurück¬ 
zuhalten. Zeigt sich nun die'geringste Empfindlichkeit bei Aus¬ 
führung weiterer nöthiger Gewebstrennungen, so ist ab und zu eine 
neue kleine Injection erforderlich. Die Wirkung des CocaYns, auf 
größere Wundflächen angewandt wozu man höchstens 1 1 / 2 —2 1 / 2 
Spritzen braucht, hält meistens 10—20 Minuten an, so daß A. 
z. B. bei einer Radicalo peration einer Hydrocele mit Excision des 
Hydrocelensackes nur 2 , / 4 Spritzen öproc. Lösung = 0*11 Grm. 
brauchte, um völlig schmerzlos die ganze, nicht unbedeutende Ope¬ 
ration zu vollenden. Die Einspritzungen müssen jedoch deshalb 
unter- und innerhalb der Gewebe gemacht werden, weil ein bloßes 
Bespritzen derselben keine nachhaltige Wirkung hat und man darauf 
sehen muß, daß das CocaYn nicht durch das abfließende Blut oder 
sonstige abfließende Flüssigkeiten zu rasch entfernt wird. Eine 
ganze Reihe selbst größerer Operationen, wie Herniotomien und 
Hydrocelenoperationen, Entfernung bis auf eine halbe Faust großer 
Drüsengeschwülste am Halse und in der Leistengegend, große 
Lipome uud Atherome etc. hat A. seit mehreren Jahren schmerz¬ 
los, ohne eine nachtheilige Wirkung zu bemerken, ausgeführt. Dies 
Verfahren wurde bestätigt bei Anwendung starker elektrischer Ströme. 
Wenn A. zu diesem Zwecke zwei CocaYniujectionen „nur unter die 
Haut“ an den Stellen machte, wo er einen starken faradischen oder 
galvanischen Strom anwenden wollte, so war die Schmerzhaftigkeit 
fast ganz dieselbe, als wenn er kein CocaYn gebraucht hätte. 
Wenn er aber nach der angegebenen Weise verfuhr, so wurde der 

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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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elektrische Strom fast gar nicht gefühlt, während die Wirkung des 
faradischen Stromes in Betreff der Zusammenstellung der Muskeln 
dieselbe blieb. Es ist hiedurch erwiesen, daß das CocaYn besonders 
auf die sensiblen Nervenendigungen lähmend wirkt, während die 
motorischen Nerven gar nicht, oder nur in ganz geringer Weise 
davon alterirt werden. Dies ist auch der Grund, weshalb das 
CocaYn erst seine richtige Wirkung zeigt, wenn es direct mit den 
feinen Nervenendigungen in Berührung tritt. Diese Wirkung reicht 
aber nur so weit, wie die aufgeblähte Stelle der CocaYneinspritzung 
zeigt. Sobald bei Anwendung eines elektrischen Stromes, sei es 
ein faradischer oder ein galvanischer, ein Pol nur 025 Cm. weit 
die Haut über die cocaYnisirte Stelle hiuaus berührt, treten sofort 
Brennen und Schmerzen ein und die CocaYnisirung ist erfolglos. 

— Zur Aufhaltung eines drohenden Abortus hat sich 
Richardson („The Medical Register“) wiederholt des Viburnum 
prunifolium mit bestem Erfolge bedient. Zuerst gibt er dasselbe in 
Verbindung mit Chloralhydrat, bis die Wehen cessiren, in folgender 
Formel: 

Rp. Chloralhydrat.0*6 

Flnid-Extr. viburn. gtt. X. 

DS. In einem Theelöffel Wasser alle halbe Stunde. 

Sobald die Wehen aufgehört haben, wird die gleiche Dosis in 
4stündigen Intervallen weiter gegeben. Ara nächsten Tage ver¬ 
schreibt der Verf. das Viburnum prunifol. mit Bromammon in fol¬ 


gender Formel: 

Rp. Ammon, bromat.15'0 

Extr. Viburn. prunif. .... 22*0 

Aq. destill.1200 

DS. 2mal tägl. 1 Theelöffel. 


Dr. C. H. Roberts hat bei einer Patientin, welche an habi¬ 
tuellem Abortus ohne nachweisbare Ursache litt, sich mit bestem 
Erfolge des Extr. Viburni prunifolii bedient, welches er während 
6—7 Schwangerschaftsmonaten täglich in 3 Pillen von 0’25 verab¬ 
reichte. Pat. hat unter dieser Verordnung 2mal regelrecht aus- 
getragen. 

— Apfelwasser bei Influenza empfiehlt Liebreich in 
der soeben ausgegebeuen Januar-Nummer der „Therap. Monatsh.“ 
als diätetisches Mittel. Dasselbe wird entweder als Apfel-Thee 
(Infus) dargestellt, indem (am besten Borstorfer) Aepfel in Scheiben 
geschnitten und mit heißem Wasser übergossen werden, welches man 
eine Zeit lang ziehen läßt und abgießt, oder, zweckmäßiger, als 
Decoct gereicht. Aepfel werden mit viel Wasser zerkocht, die 
Flüssigkeit durch ein Seihtuch gegossen und mit Candiszucker oder 
gewöhnlichem Zucker versüßt. Das warm zu genießende Getränk 
wird in großen Mengen gut vertragen, ohne den Magen zu be¬ 
lästigen. 

— Auf Grund dreier Beobachtungen glaubt Dreyfuss („Journ. 
de mödecine“, October 1889) schließen zu dürfen, daß die Rolle 
der nervösen Belastung in der Pathogenese des Herpes zoster 
eine bedeutende ist. Die erste dieser Beobachtungen betrifft eine 
Zona ira Gebiete des N. radialis, die sich in besonders typischer 
Weise an den Verlauf des qu. Nerven hielt. Für die Aetiologie 
konnte man weder Erkältung, noch Traumen irgend welcher 
Art, noch Dyspepsie in Anspruch nehmen. Dagegen ergab sich, 
daß die Mutter des Pat. längere Zeit an Tic douloureux gelitten 
hatte. — In dem 2. Falle handelte es sich um eine Dame mit 
Herpes zoster im Gebiete eines Intercostalnerven. Ihre Mutter litt 
an Hemiplegie; Pat. selbst war seit längerer Zeit an schwerer 
Hemicranie erkrankt. Zuweilen war die Hemicranie von leichten 
hysterischen Anfällen begleitet. — In dem 3. Falle handelte es 
sich um eine im Gebiete des Trigeminus aufgetretene Zona. Auch 
hier hatte die Mutter der Pat. an Dementia gelitten, einer der 
Brüder an Ischias. Abgesehen von diesen Beobachtungen, existiren 
noch Fälle, welche u. A. Verneuil beobachtet hat, die genau zu 
demselben Ergebnisse führten. Was nun die Pathogenese dieses Leidens 
anlangt, so läßt sich die Meinung Derjenigen, welche die Affection 
für infectiös halten, sehr gut mit der hereditär nervösen Pathogenese 
in der Weise vereinigen, daß man Folgendes annimmt: Eine In- 
fectiou bestehe in der That; prädisponirt seien solche Gebiete, die 
loci minoris resistentiae und vorzüglich Localisationen betreffen, 


welche zum gemeinsamen Vereinigungspunkt ein mehr central ge¬ 
legenes Ganglion haben, welches wahrscheinlich der eigentlich in- 
ficirte Ort ist. 

— Charpentier und Butte berichteten jüngst der „Pariser 
Soctetö de biologie“ über ihre Versuche Über den Einfluß von 
Blutungen der Mutter auf die Vitalität des Fötus. Die Versuche 
wurden in der Weise angeordnet, daß man Uterus und Nabelstrang 
freilegte, die Bauchhöhle, um Austrocknung zu verhüten, mit phy¬ 
siologischer Kochsalzlösung beständig benetzte und nunmehr stärkere 
oder schwächere Blutungen erzeugte. Es ergab sich aus diesen 
Versuchen, daß, wenn man die Mutter durch ziemlich intensive und 
profuse Blutungen tödtete, sich beim Fötus deutliche Zeichen von 
Ueberleben nachweisen ließen, wenn man ihn in dem Momente, in 
welchem bei der Mutter der Exitus letalis eintrat, extrahirte. War 
die Blutung, an welcher die Mutter verendete, langsam, so erfolgte 
der Toi des Fötus bereits vor dem der Mutter. Auch dann, wenn 
die Mutter an der Hämorrhagie nicht zu Grunde geht, sei es, weil 
sie sistirt wurde oder spontan stand, stirbt der Fötus kurze Zeit 
nach dem Beginne der Hämorrhagie ab. Dio Todesursache liegt in 
diesen Fällen wohl in dem Verschwinden eines Theiles des mütter¬ 
lichen Hämoglobins, wodurch auch eine erhebliche Verminderung 
des Gesammthämoglobins eintritt. Nächstdem kommt die Vermin¬ 
derung des Blutdruckes in Betracht, wodurch die Circulation im 
Nabelstrang vermindert und der Sauerstoff gehindert wird, in aus¬ 
giebiger Weise zu dem fötalen Gewebe zu gelangen. Weiterhin 
lassen sich aus den Untersuchungen auch praktische Resultate ent¬ 
nehmen: In der That werden in der Klinik nicht selten Fälle 
beobachtet, auf welche man die qu. Verhältnisse ohne Weiteres über¬ 
tragen kann. So kommt es nicht selten vor, daß eine schwangere 
Frau, welche an Hämatemesis, Hämoptysis etc. leidet, im 5.—6. 
Monate abortirt und dann eine macerirte Frucht zur Welt bringt, 
deren Tod vielleicht schon mehrere Wochen zuvor eingetreten ist. 
Aus den Versuchen resultirt, daß der Exitus letalis der Frucht un¬ 
mittelbar in Zusammenhang steht mit den mütterlichen Blutungen. 
Daraus ergibt sich in entsprechenden Verhältnissen die Indication, 
möglichst bald die Entbindung vorzunehraen, um zu verhindern, 
daß das Kind abstirbt. 

— Nachdem William Murreli, vom Westminster-Hospital 
in London in seinem berühmt gewordenen „Case of poisoning by 
Resorcin“ bei einem 19jährigon Mädchen nach Darreichung von 2'0 
bis 4’0 des Mittels den Symptomencomplex, den man mit dem Collectiv- 
namen „Asthma“ belegt, mit Erfolg und ohne Rückfall bekämpfte, 
hat Dr. Justus Andeer das Resorcin bei Asthma („Allg. Med. 
Centr.-Ztg.“, Nr. 98) mit nicht minder günstigem Erfolge wieder¬ 
holt. Seine Frau, welche 2 Tage lang an Krämpfen, an über¬ 
mäßiger Gasentwicklung des Magens, an consecutivem Druck des 
Zwerchfelles und sämmtlicher Brustorgane mit Dyspnoe litt, so daß 
bedeutende Anschwellung des Halses und Ausstrahlung von Schmerzen 
in der Schultergegend und überhaupt längs des ganzen Körpers 
empfunden wurden, nahm 1'0 Resorcin in Wasser gelöst. Hierauf 
trat alsbald vollständige Besserung ein. Lange Zeit hernach, bei 
Wiederholung eines noch stärkeren Anfalles, nahm Pat. Resorcin- 
lösung bis zum Auftreten leichten acuten Resorcinismus, dem ein 
langer, ruhiger, erquickender Schlaf nachfolgte. Nach dem Erwachen 
aus demselben war Pat. bis auf den heutigen Tag frei von derartigen 
Anfällen. — Ein emphysematischer Tapezierer in den besten Jahren, 
welcher periodisch von asthmatischen Anfällen der heftigsten Art 
geplagt wurde, fühlte sich immer viel sicherer und schneller nach 
Resorcingenuß erleichtert, als nach Einnahme anderer sogenannter 
antiasthmatischer Mittel mit ihren verschiedenen unangenehm er¬ 
regenden Nebenwirkungen, der Congestionen nach dem Kopfe, des 
Brechreizes, des wirklichen Erbrechens u. dgl. m. Uebereinstimmend 
mit dieser Behauptung äußerten sich gelegentlich auch junge asthma¬ 
tische Phthisiker, denen von A. versuchsweise Resorcin verabreicht 
wurde. Unter den vielen Fällen seiner diesbezüglichen Casuistik 
ist noch folgender, nicht unwichtige Fall erwähnenswerth: Ein 
robuster Kaufmann mittleren Alters, den sein Hausarzt wegen „ner¬ 
vösen Asthmas“ ex Rhinopathia zum Specialisten Dr. Hack nach 
Freiburg i. B. zum Zwecke einer Operation in der Nase geschickt 
hatte, der aber aus Angst vor einem chirurgischen Eingriffe zu dem- 


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1890 . 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 1. 


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selben durchaus nicht gehen wollte, bat A. um Behandlung seines 
Leidens. Aus besonderen Gründen gab ihm A. Resorcin in mäßigen 
Gaben, jedesmal mit befriedigendem Erfolge. Als nach Monaten 
wieder ein sogenannter „nervöser“ Asthma-Anfall den Kranken 
überraschte, versetzte A. den tobenden Patienten in acuten Resor- 
einismus, worauf langanhaltender, ruhiger, erquickender Schlaf folgte. 
Patient erwachte nach ein paar Stunden munter und wohl, ohne 
Rückfall bis heute. 


Verhandlungen Ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizin lechen Presse“.) 

Sitzung vom 3. Januar 1890. 

Vorsitzender: Hofr. Mrynert. — Schriftführer: Doc. Dr. Bbrgmbjster. 

Hofrath Prof. Nothnagel.* Ueber Influenza.*) 

Es ist mir von verschiedenen Seiten nahegelegt worden, die 
Frage der Influenza an dieser Stelle zur Sprache zu bringen, und 
ich will dies um so lieber thun, als gerade jetzt eine gewisse Be- 
sorgniß sich geltend macht. Ich will selbstverständlich auf die ganze 
Frage der Influenza hier nicht eingehen, sondern nur einzelne Ge¬ 
sichtspunkte in’s Auge fassen. 

Wir sind Alle davon überzeugt, daß die Influenza eine bacte- 
ri eIIe Erkrankung ist; der zwingende Beweis dafür ist wohl noch 
nicht geliefert, der betreffende Mikroorganismus noch nicht gefunden. 
Nichtsdestoweniger müssen wir nach der Analogie der That- 
saehen, nach der in der Medicin üblichen Logik zu dem Ergebnisse 
gelangen, daß der klinische Verlauf, sowie der epidemiologische 
Charakter die Influenza zu einer exquisiten Infectionskrankheit 
stempelt, die durch das Eindringen von Mikroorganismen hervor¬ 
gerufen wird. Bekanntlich gehen gegenwärtig unsere Anschauungen 
über die baoteriellen Erkrankungen dahin, daß nicht die Bacterien 
'als solche die Infectionskrankheiten hervorrufen, sondern daß durch 
die Bacterien Veränderungen bedingt werden, durch welche ein Gift, 
ein Ptomain, oder, nach Brieger’s Ausdruck, ein Toxin erzeugt 
wird, welches den Symptomencomplex der Infectionskrankheit 
hervorruft. 

Solche Toxine sind bereits bei einzelnen Infectionskrankheiten 
(Tetanus) rein dargestellt worden. Nach Analogie mit diesen Er¬ 
krankungen müssen wir auch für die Influenza ein specifisches 
Krankheitsgift annehmen, und wenn wir dies thun, so müssen 
wir auch hier das klinische Bild ähnlich wie bei Typhus und ana¬ 
logen Infectionskrankheiten auffassen und beurtheilen. 

Das klinische Bild der Influenza kann bekanntlich ein 
derart wechselndes sein, daß man zuweilen glauben könnte, es handle 
sich um verschiedene Erkrankungen. 

Das Gleiche sehen wir ja auch beim Typhus. Hier stechen 
in manchen Fällen die Hirnsymptome (cerebraler Typhus), in anderen 
die abdominalen, in wieder anderen die Lungenerscheinungen (Pneumo- 
typhus), in einer vierten Gruppe die Nierensymptome (Nephrotyphus) 
hervor. Es ist immer dasselbe Gift, welches alle diese verschiedenen 
Erscheinungen hervorruft. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese 
Verschiedenheit des Krankheitsbildes ist die Annahme, daß bei ein¬ 
zelnen Individuen die einzelnen Organe eine verschiedene Wider¬ 
standsfähigkeit bieten. Aehnlich wie beim Typhus verhält es sich 
bei der Influenza, und ich meine, daß das Influenzagift auf ver¬ 
schiedene Organe einwirkt und Erscheinungen hervorruft, die man 
sich ungefähr folgendermaßen schematisch reihen kann: 

In fast allen Fällen producirt das Influenzagift Fieber, 
welches seiner Dauer und seinem Charakter nach wohl wechselt, 
doch fast immer vorhanden ist. Meiner Erfahrung nach kommen 
wohl Influenzafälle ohne Fieber vor; es sind dies aber sehr seltene 
Ausnahmen. Nebst dem Fieber kommen in erster Reihe die Er¬ 
krankungen der Respirationsorgane (Nase, Larynx, Trachea, 
Bronchialverzweigungen) in Betracht. In einer zweiten Reihe von 
Fällen stechen besonders die Erscheinungen des Nervensystems 

*) Vom Vortragenden revidirtes Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


(Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Neuralgien, Muskelschmerzen) hervor. 
Ich habe mehrere Fälle gesehen, welche mit zwingender Beweiskraft 
für die Analogie mit anderen Infectionskrankheiten sprechen. Be¬ 
kanntlich beobachtet man nach verschiedenen Infectionskrankheiten 
motorische und sensible Reizungs- und Lähmungserscheinungen. Ich 
habe nun einige Fälle von Influenza gesehen, bei welchen nach Ab¬ 
lauf der Krankheit Neuralgien, besonders im Bereiche des Tri¬ 
geminus, zurückgeblieben sind. Ein drittes Organsystem, welches 
vom Influenzagifte relativ häutig betroffen wird, ist der Digestion s 
traot (Appetitlosigkeit, Erbrechen und Durchfälle). 

In vielen Fällen kommen noch andere Symptome zur Beob¬ 
achtung; so z. B. asthmatische Anfälle, die auf eine directe Ein¬ 
wirkung des Influenzatoxins auf den Phrenicus oder Vagus, oder 
auch auf die Nerven in der Lunge selbst zurückzuführon sind. 

Was mich wesentlich zu dieser heutigen Mittheilung bestimmt, 
ist die Frage, ob die Influenza eine gefährliche Er¬ 
krankung sei? 

In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist die Influenza 
eine gefahrlose Krankheit und afficirt den Organismus nicht wesent¬ 
lich, weil das Fieber in der Regel nur kurz dauert, und weil keine 
lebenswichtigen Organe gefährdet sind. Eine Gefahr liegt darin, 
daß sich capilläre Bronchitiden und catarrhalische Pneumonien ent¬ 
wickeln, welche besonders bei Kindern, alten und durch Krankheiten 
geschwächten Leuten den Exitus letalis herbeiführen können. 

In den letzten 8 Tagen ist die Frage des Verhältnisses 
der croupösen Pneumonie zur Influenza actuel geworden. 
Es kommen nämlich in den letzten Tagen sehr viele wirkliche croupöse 
Pneumonien mit allen charakteristischen Symptomen dieser Erkrankung 
zur Beobachtung, und es hat sich die Furcht der Gemüther bemächtigt, 
daß sich aus der Influenza croupöse Pneumonie entwickeln könne. Ich 
möchte meinen Standpunkt in dieser Frage dahin präcisiren, daß die 
croupöse Pneumonie eine Krankheit sui generis ist, welche mit der 
Influenza als solcher gar nichts zu thun hat, und es ist meine 
feste Ueberzeugung, daß aus der Influenza oder aus der an dieselbe 
sich anschließenden Bronchopneumonie niemals eine croupöse Pneumonie 
sich entwickelt. Wir haben um diese Jahreszeit immer eine größere 
Zahl von Pneumonien zu verzeichnen, und ich habe schon vor 
dem Auftreten der Influenza eine ansehnlichere Zahl von Pueumonie- 
fällen gesehen, als sonst. Es ist wohl nicht in Abrede zu stellen, 
daß die Zahl der Pneumonien — ich spreche stets von croupösen 
Pneumonien — gegenwärtig in auffälliger Weise zunimmt, und es 
drängt sieh daher die Vermuthung auf, daß diese Häufung der 
Pneumouien durch die Influenza bedingt sei. Ich glaube aber, daß 
ein innerer Zusammenhang zwischen Influenza und Pneumonie 
auch jetzt nicht besteht, sondern daß die Beziehungen zwischen 
diesen beiden Erkrankungen nur äußere sind. 

Wir wissen, daß die croupöse Pneumonie sehr häufig bei 
Personen auftritt, die an Catarrhen der Respirationsorgane leiden. 
Wenn nun auf einen gewöhnlichen Catarrh nicht selten eine Pneu¬ 
monie sich aufpflanzt, so ist dies ebenso verständlich beim Catarrhe 
der Influenza. Nur in diesem Siune kann man davon sprechen, daß 
die Influenza die Häufigkeit der Pneumonie dadurch befördert hat, 
daß sie den Boden für das Haften der Pneumonieooccen vorbereitet 
hat. Es handelt sich eben blos um ein zufälliges Zusammentreffen 
zweier Infectionskrankheiten. 

Ob die Influenza von Person zu Person übertragbar ist, 
bleibt bis nun unentschieden. Ich halte es nicht nur für möglich, 
sondern sogar für wahrscheinlich. In der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle kommt jedoch die Infection durch Einathmung des Keimes 
aus der Luft zu Stande. 

Betreffs dor Therapie können wir der Indicatio morbi nicht 
genügen, weil ein Spccificum gegen das Influeuzagift noch nicht 
gefunden wurde. Wir siud daher auf eine rein symptomatische 
Behandlung angewiesen. Das Fieber gibt bei Influenza kaum Ver¬ 
anlassung zu therapeutischem Eingreifen. Die Antipyrese ä tout 
prix und in jedem Falle, zumal mit chemischen Mitteln, ist, wie 
ich bereits früher an dieser Stelle ausgeführt habe, nicht nur nicht 
angezeigt, sondern sogar schädlich. Gegen die Schmerzen bewähren 
sich vorzüglich unsere neueren Mittel: Autipyrin, Antifobrin, Phena- 
i cetin, bald das eine, bald das andere mehr. Ueber die Bekämpfung 


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1890. — Wiener Medizinische Presse, 


Nr. 1 


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des Hustenreizes und anderer Symptome brauche ich hier nicht zu 
sprechen. Erwähnen muß ich nur, daß es von Wichtigkeit ist, die 
Kranken nicht zu früh ausgehen zu lassen; die Reconvalescenz ist 
eine protrahirtere, wenn die Kranken das Zimmer zu früh verlassen. 
Prophylactisch läßt sich nichts thun. Alte und schwache 

Leute sind im Zimmer zu halten und vor Catarrhen zu schützen. 

* * 

•* 

Ueber den nun folgenden Vortrag dos Prof. A. Politzer: 
„Zur Pathologie und Therapie des äußeren Atticus der Trommel¬ 
höhle“ werden wir in nächster Nummer berichten. s. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 23. December 1889 

Vorsitzender: Doc. Dr. Walser. — Schriftführer: Dr. Tobeitz. 

Assistent Dr. Steiner Stellt eine 50jährige Patientin vor, 
welche vor circa 4 Wochen von Prof. Wölfler wegen Cysten 
einer Wanderniere operirt worden war. Auf der linken Seite 
des Abdomens hatte sich eine etwa kindskopfgroße, elastische Ge¬ 
schwulst vorgefunden, mit undeutlicher Fluctuation, welche nach 
Ausschluß eines Milz- oder Ovarialtumors nach dem Ergebnisse der 
physikalischen Untersuchung als der Niere angehörig bezeichnet 
werden mußte. Da durch einen oberhalb des Nabels gelegenen, 
medianen Schnitt der Zugang zu der Geschwulst nicht gut erreicht 
werden konnte, so wurde an den ersten ein zweiter, ziemlich großer 
Schnitt, von der Mittellinie nach links hin verlaufend, angeschlosscn, 
durch welchen auch das Cavum retroperitoneale eröffnet worden 
war. Es fanden sich zwei Cysten vor, eine größere und eine kleinere. 
Die Wände derselben wurden zum großen Tbeile abgetragen, der 
Rest derselben, sowie ein Theil des Nierenparenchyms mit den 
Wundrändern vereinigt und die offene Wundbehandlung nach Ein¬ 
führung von Drainröhren und Jodoformgazestreifen eingeleitet. Die 
Heilung ging recht glatt vor sich und nur vorübergehend wurden 
eine kurze Zeit lang Albumen und nephritische Formelemente im 
Harne gefunden. Durch die Operation war zweierlei erzielt worden: 
Erstens die Entfernung der Cysten und zweitens die Fixation 
der Wanderniere. 

Dr. Mahnert : Klinische Studien über die Quecksilbertherapie 
hydropischer Herz-, Lungen- und Nierenkranker. 

Aus dem Studium der Schriften vergangener Jahrhunderte geht 
hervor, daß verschiedene Quecksilberpräparate schon längst gegen 
Hydrops aus mannigfaltigen Ursachen Anwendung gefunden hatten. 
Diese Thatsachen waren vergessen gewesen, bis die diuretische Wir¬ 
kung des Calomel von Jenprassik 1885 wieder entdeckt worden : 
war. Seither sind eine Unzahl klinischer Beobachtungen und experi¬ 
menteller Versuche gemacht worden, durch welche die Wirkung 
der Hg-Präparate unserem Verständnisse erschlossen und die Indi- 
catiouen und Contraindicationen für die Anwendung derselben am 
Krankenbette festgestellt wurden. Das über diesen Gegenstand in 
den verschiedenen Literaturen vorhandene Material ordnet der Vor¬ 
tragende in übersichtlicher Weise und bespricht die Erfolge und 
Ansichten verschiedener Autoren, um schließlich auf Grund derselben 
und zahlreicher eigener Beobachtungen seine Schlüsse zu formuliren. 
Was die Ausscheidungsorgane des Quecksilbers betrifft, so kommen 
in erster Linie die Nieren in Betracht. Es tritt Polyurie ein, wenn 
wenigstens 4 Mgrm. Hg pro die durch sie aus dem Organismus 
entfernt wurden. Da das Quecksilber im Kreisläufe als Oxydalbu- 
minatverbindung auftritt, so muß es natürlich indifferent sein, ob 
dieses oder jenes Präparat zur Erzielung der Wirkung gewählt 
wird. Daß man dem Calomel den Vorzug vor den anderen Präpa¬ 
raten gibt, hat seine guten Gründe in der geringen Reizwirkung, 
welche dieses Mittel auf die Organe des Digestionstractes ausübt. 
Die Diurese wird durch Einverleibung von 0*20—030, 2—3mal 
pro die, erzielt. 

Sind die Nieren durch pathologische Veränderungen nicht im 
Stande, die gehörige Menge Quecksilbers aus dem Organismus zu 
schaffen, dann treten an ihre Stelle vicariirend die verschiedenen 
Schleimhäute des Organismus, durch deren Mehrbelastung es jedoch 
sehr leicht zu schweren Störungen (Stomatitis, Enteritis) kommt. 


Gesunde Nieren sind daher die wichtigste Bedingung zur An¬ 
wendung des Calomel bei der Entwässerung des Körpers, und nie 
darf man es daher bei Hydrops renalen Ursprungs verwenden. 

Was die Art und Weise der Wirkung der Quecksilberpräparate 
betrifft, so steht fest, daß sie auf die Wirkung der Herzthätigkeit 
ohne Einfluß sind. Sie sind harnfähige Substanzen im Sinne Miink’s 
und reizen die secernirenden Nierenelemente, steigern local den Blut¬ 
druck in den Nieren, wirken in ähnlichem Sinne wie die Nitrite, 
der Harnstoff etc. Ihre Wirkung wird außerdem unterstützt durch 
entstehende Hyperglykämie bei Intactsein des Leberparenchyms. 

Die Quecksilberpräparate finden hauptsächlich Anwendung bei 
Hydrops cardialen Ursprungs. 3—4mal hatte Vortragender es erlebt, 
daß in solchen Fällen plötzlich Exitus eingetreten war, zu einer 
Zeit, wo die Entwässerung sehr energisch vor sich gegangen war 
und die Patienten in Kurzem sehr viel von ihrem Körpergewichte 
in Folge der Entwässerung verloren hatten. Da die Autopsie absolut 
keinen Grund für dieses Ereigniß aufdeckte, so ist man gezwungen, 
an eine Art Shok zu denken, sowie in Fällen, wo nach Punctionen 
bei Ascites und plötzlicher Entleerung der Flüssigkeit mitunter der 
gleiche Umstand zu verzeichnen ist. 

Bei pulmonalen und hepatogonen Hydrops formen sind im Wesen 
vom Vortragenden gleiche Beobachtungen gemacht worden, wie bei 
cardialen. Auf pleuritische Exsudate scheint das Einfuhren von Hg 
in den Organismus ohne Einfluß zu sein. Dieselben verlaufen ja 
stets mit Fieber, und dieses bildet eine Contraindication. 

Dr. Köppl interpellirt den Vortragenden darüber, wie es mit 
der Einverleibung der Flüssigkeitsmengen zur Zeit der Entwässerung 
gehalten worden sei, und meint, daß seinerzeit auf der Klinik weiland 
Prof. Kerner’s in Graz durch Entziehung der Flüssigkeitszufuhr 
ähnliche Resultate bei Hydrops in Folge von Herzfehlern erzielt 
worden seien, wie sie heute durch die Quecksilbertherapie herbei¬ 
geführt wurden. hs. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 30 November 1889. 

Dr. N. FEUER führt einen Fal\ von Tuberculosis iridis 
vor. Bei dem 3'/Jährigen Knaben, der im 8. Lebensmonate seine 
Mutter an Phthisis verloren hat, ist das rechte Auge in Folge von 
Leucoma adhaerens corneae cum ectasia bulbi blind. Das linke Auge 
ist seit einem halben Jahre erkrankt. Dasselbe zeigt Injection, punkt¬ 
förmige Trübungen der Mitte der Cornea, gesteigerten intraoeulären 
Druck. Im unteren Theile der Iris sitzt eine, deren ganze Breite 
einnehmende und selbst in das Pupillargebiet eindringende, linsen¬ 
große Geschwulst von speckigem Aussehen und gewölbten Rändern. 

Von der Umgebung ziehen einige Blutgefäße zu der Ge¬ 
schwulst, auf der sie sich verästeln. Zu beiden Seiten der Ge¬ 
schwulst, sowie auf den übrigen Theilen der Iris Tuberkelknötchen 
einzeln oder in Gruppen Augenhintergrund nicht sichtbar. Die 
ersten hieher gehörigen Fälle wurden erst Anfangs der 70er Jahre 
mitgetheilt. Vortr. hat 1874 einen Fall in Klausenburg beobachtet, 
der an Meningitis basilaris tuberculosa zu Grunde gegangen ist. 
Seither sind zahlreiche Fälle publicirt worden. Treitel und 
Schneller haben in einem Falle 2mal die Iridectomie vollzogen 
und die Recidive ist ausgeblieben. Diese Operation ist hier unaus¬ 
führbar, weil die Tuberkel über den größeren Theil der Iris aus¬ 
gebreitet , auch im Iriswinkel vorhanden sind und wahrscheinlich 
bereits das Corpus ciliare ergriffen haben. Zur Enucleation kann 
man sich wegen Erblindung des anderen Auges um so schwerer 
entschließen, als Schmerzen noch nicht vorhanden sind. 

Dr. N. Dubay stellt unter der Bezeichnung „Ataxia psy- 
c h i c a“ eine neuropathisch schwer belastete Hysterica vor, welche 
an Wahnvorstellungen leidet und in Anfällen Zwangsbewegungen 
zeigt, wobei sie sonst zweckmäßige Bewegungen wiederholt 
ausführt. 

Dr. S. Rona hält einen Vortrag: Der heutige Stand der 
Aetiologie de8 Chancres. Die Bezeichnung Chancre gebraucht 
Vortr. nur für bestimmte local, bleibende Geschwürsforraen; das 
harte Geschwür nennt er Selerom (Leloir) oder erste Mani- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 1. 


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festation der Syphilis, da letztere nicht als Geschwür, 
sondern als Geschwulst auftritt. Seit der Trennung des Cbancres 
vom Sclerom hat man für ersteren ein eigenes Virus: das Chancre- 
virus, supponirt. Dagegen erklärte Finger in den Jahren 1885 und 
1887 auf Grund seiner Impfversuche, daß der Chancre kein eigenes 
Gift besitzt, sondern daß derselbe das Impfproduct gewöhnlichen, 
aber ziemlich reizenden Eiters auf zarter Haut ist. Heute wissen 
wir aber, daß die Mikroorganismen des gewöhnlichen Eiters, der 
Staphylococcus und der Streptococcus, weder für sich, noch gleich¬ 
zeitig überpflanzt, das Chancregeschwür erzeugen können. Dies 
haben sowohl die klinischen Erfahrungen, als auch die mit Rein- 
culturen vorgenommenen Inoculationen erwiesen. In der That 
konnten die Finger’ sehen Versuche den Glauben an das specifische 
Chaneregift nicht erschüttern, zu dessen Anhängern heute die vor¬ 
nehmsten Syphilidologen zählen. Aber weder Ferrari’s, noch 
Masanius’ Bacillen, auch nicht de Ldcca’s Coccen haben sich als 
die specifischen Träger des Chancres bewährt, und DuPRfcs be¬ 
hauptet neuestens, daß dieser Mikroorganismus auf den gewöhnlichen 
Culturböden gar nicht fortkommt. Der Chancre mixte, dessen 
Existenz nicht zu bezweifeln, ist ein chancröses Sclerom. Aber 
Vortr. macht schon jetzt die vorläufige Mittheilung, daß es ge- 
schwürige Sclerome gibt, welche bis jetzt stets als gemischte 
Chancres aufgefaßt wurden, die aber nur mit Staphylococcen inficirte 
Sclerome sind. 

Prof. E. Schwimmer bemerkt, daß die von Rollet in Lyon 
beobachtete Entwicklung des Chancre mixte darin besteht, daß das 
durch Wochen bestehende weiche Geschwür nicht in Heilung über¬ 
geht, sondern an den Rändern sich infiltrirt und in wenigen Tagen 
in Induration übergebt. 

Dr. A. Havas erwähnt, daß Lang in seinem Lehrbuche nur 
solchen Eiter für Uberimpfbar hält, welcher fortpflanzungsfähige 
Mikroben enthält. n. 

Notizen. 

Wien, 4. Januar 1890. 

1889. 

(Ein Rückblick.) 

Wohl wie keines zuvor war das verflossene Jahr mit ärztlichen 
Congressen gesegnet, doch könnte man nicht behaupten, daß in 
demselben ein Fortschritt zu verzeichnen wäre, der mit einem kräf¬ 
tigen Rucke unsere Wissenschaft vorwärts gebracht hätte; auch aus 
der immer mächtiger anschwellenden Fülle medicinischer Publicationen 
wüßten wir keine zu nennen, die einstimmig als Markstein für die 
Weiterentwicklung der Medicin hingestellt werden könnte. 

Immerhin mag die Ueberfülle ärztlicher Versammlungen dazu 
beigetragen haben, das Interesse für dieselben herabzustimmen, und 
so mag es auch gekommen sein, daß der einzige Congreß, der heuer 
in den Mauern unserer Stadt tagte, die Versammlung der deutschen 
und österreichischen Anthropologen, unter vollkommener Theilnahms- 
losigkeit der ärztlichen Kreise verlief, trotzdem die Anthropologie 
im engsten Connexe zur Medicin steht. Auch die im Vorjahre zum 
Beschluß erhobene Neuorganisirung der deutschen Naturforscher¬ 
versammlungen dürfte leider dazu beitragen, den Besuch dieser 
Versammlungen aus unserem Vaterlande wesentlich einzuschränken. 
Hoffentlich wird sich in dieser Richtung das Jahr 1890 günstiger 
gestalten; sollen wir doch in wenigen Monaten den Congreß für 
innere Medicin in unseren Mauern tagen sehen, und wird allerorts 
in Deutschland für den internationalen medicinischen Congreß ge¬ 
rüstet, der sich, Dank dem Organisationstalente der Berliner ärzt¬ 
lichen Kreise, zu einem großartigen Feste der medicinischen Wissen¬ 
schaften gestalten wird. 

Wird auch im neuen Jahre die altehrwtirdige Stätte der medi¬ 
cinischen Wissenschaft, unsere Vaterstadt, von der kräftig auf¬ 
strebenden deutschen Metropole überflügelt werden, deren zahlreiche 
wissenschaftliche Vereine mit ihrer unermüdlichen Thätigkeit, mit 
ihren regen Discussionen nnsere ärztlichen Gesellschaften unleugbar 
in den Schatten stellten? Wir verzichten darauf, die Ursachen dieser 


bedauerlichen Thatsache hervorzuheben, weil es unseren Gefühlen 
widerspricht, am Ansehen von Institutionen und Personen zu rütteln, 
die uns und nnseren Lesern durch Tradition werth geblieben sind, 
ja, die zu den Idealen unserer Jugend zählen. — 

Mag der Mangel an epochalen Leistungen dem verflossenen 
Jahre die Signatur aufdrücken, so bleiben doch unzählige Einzel¬ 
leistungen übrig, die als Bausteine für das weite Gebäude der 
Medicin vielfach werthvoll erscheinen dürften, und die hier umso¬ 
weniger aufgezählt werden mögen, als sie allwöchentlich in diesen 
Blättern getreulich verzeichnet wurden. 

Zahlreich und tief sind auch im letzten Jahre die Lücken ge¬ 
wesen, die Krankheit und Tod in die Reihen der hervorragenden 
Aerzte gerissen, und sei hier nur nochmals auf den Hingang Volk- 
mann’ö, des allerorten verehrton Chirurgen, hingewiesen. 

Das Verhältuiß der Medicin zur Außenwelt, die Anerkennung 
der Bedeutung dieser Wissenschaft und ihrer Wichtigkeit für die 
gedeihliche Entwicklung des Menschengeschlechtes hat auch im ver¬ 
flossenen Jahre keine besonderen Fortschritte gemacht. Nur in 
wenigen Städten konnten Aerzte für die von ihuen angestrebten 
Reformen auf sanitärem und hygienischem Gebiete eine Förderung 
ihrer Vorschläge und Ideen finden, und zumeist blieben die großen 
Fragen auf diesen Gebieten weiter offen. Auch die wissenschaftliche 
Thätigkeit hat ira Allgemeinen nicht jene materielle und moralische 
Unterstützung gefunden, die sie verdient, und solche Fälle, wie die 
jüngst von dem Nizam von Hyderabad in so munifioenter Weise für 
die Lösung der Chloroformfrage zur Verfügung gestellte Unter¬ 
stützung, ereignen sich nur noch fern von europäischen Gestaden, 
in Indien. 

Einen entschiedenen Rückschritt haben wir aber auf dem Ge¬ 
biete des socialen Lebens der ärztlichen Kreise zu verzeichnen. 
Der erhebliche Zuwachs, den der ärztliche Stand von Jahr zu Jahr 
in erhöhtem Maße erhält, hat nicht in gleicher Weise zur Hebung 
des ärztlichen Standesbewußtseins beigetragen Während die Sklaven 
der Maschinen durch innige Vereinigung dazu gelangten, eine Ver¬ 
besserung ihrer Lebensbedingungen zu erzwingen, hat eine Neuerung 
des vergangenen Jahres, dieErrichtungder Krankencassen, 
das Existenzniveau der Aerzte durch Unterbietung auf ein Miuimum 
herabgedrückt. Und wie sollte es denn anders sein, wo die Aerzte 
keine Coalitionen, sondern nur einzelne Cliquen bilden, welche die 
Befriedigung ihrer Interessen durch gegenseitige Protection finden ? 
Der auf sich selbst gestellte Arzt ist im schweren Kampfe um’s 
Dasein nur zu oft genöthigt, seine Ideale zu verleugnen und ange¬ 
sichts der drohenden Noth seine eigenen Interessen auf Kosten der 
Gesammtheit zu verfolgen. Nicht den Einzelnen trifft die Schuld, 
sondern die mangelhafte Organisation unseres Standes, welche den¬ 
selben bei allen wichtigen Fragen bloßstellt. 

Möge das neue Jahr dem ärztlichen Stande günstiger sein! 
Möge die Erkenntniß in Stadt und Land sich Bahn brechen, daß 
nur durch gemeinsames Vorgehen gemeinsames Ziel erreichbar 
ist, daß den Boden untergräbt, wer Sonderinteressen auf Kosten 
des Standes verfolgt, dessen Hebung und Förderung die Pflicht 
jedes Arztes ist! 


M. Rosenthal f. 


Am Neujahrstage ward ein braver Mann zur Ruhe gebettet. 
Dr. Moriz Rosenthal, a. o. Professor für Nervenkrankheiten an 
der Wiener Universität, Leiter des Ambulatoriums für Elektrotherapie 
ira Allgemeinen Krankenhause, ist, nachdem er am Weihnachts¬ 
abende plötzlich apathisch geworden war, an Urämie in Folge 
chronischer Nephritis gestorben. Mit Rosenthal schied ein allgemein 
geachteter Arzt, ein beliebter Lehrer, ein ausgezeichneter Schrift¬ 
steller, den auch die „Wiener Medizinische Presse“ zu ihren treuesten 
Mitarbeitern zählte. 

Zu Großwardein in Ungarn 1833 geboren, besuchte Rosenthal 
die Wiener Universität, au welcher er zu Tuerck’s begeistertsten 


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1800. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Schülern zählte, promovirte 1858, hakilitirte sich 5 Jahre später 
als Doceut der Neuropathologie und wurde 1875 zum a. o. Professor 
dieses Faches ernannt. Außer zahlreichen kleineren Arbeiten pub- 
licirte Rosenthal zwei größere, mehrfach übersetzte Werke: eine 
„Klinik der Nervenkrankheiten“ und ein „Handbuch der Elektro¬ 
therapie“, ferner Monographien über Stottern, Hirntumoren, Scheintod, 
Hysterie, Diagnose und Therapie der Rückenmarkskrankheiten, 
Myelitis und Tabes nach Lues, Einfluß von Nervenkrankheiten auf 
Zeugung und Sterilität etc. 

N eben einer unermüdlichen literarischen, didactischen und ärzt¬ 
lichen Thätigkeit leitete Rosenthal seit Kurzem das von ihm ge¬ 
gründete Sanatorium für Nervenkrankheiten zu Hacking bei Wien, 
erkrankte jedoch bald nach dessen Eröffnung im Jahre 1887, seither 
nur mit Aufgebot seiner ganzen Willenskraft seinen zahlreichen 
Pflichten obliegend. In früherer Zeit einer der gesuchtesten Nerven¬ 
ärzte Wiens, hafte der Verstorbene in der Rüste seines Lebens mit 
Widerwärtigkeiten aller Art zu kämpfen, die ihm die letzten Jahre 
verbitterten. 

Anspruchslos, wie er gelebt, ward er bestattet. Nur ein kleines 
Häuflein seiner Coliegen hat ihm, dessen Herz so warm für seine 
Standesgenossen geschlagen, die letzte Ehre erwiesen. Weder das 
Professoren-Collegiura, noch die fach wissenschaftlichen Vereine, deren 
eifriges Mitglied Rosenthal gewesen, waren an seinem Sarge ver¬ 
treten, welchem eine treffliche Gattin, hoffnungsvolle Söhne und eine 
hochbetagte Mutter nachweinen. 

Dem selbstlosen, um die Pflege der Neuropathologie hochver¬ 
dienten Gelehrten, dem aufopfernden Arzte, dem trefflichen Menschen 
ist ein treues Gedenken gewiß. 

(Die In fl uen za) ist in der letzten Jahreswoche in Wien 
stationär geblieben. Der Andrang zu den Spitälern ist nach wie 
vor ein enormer, so daß zur Eröffnung des couimuualen Epi- 
demiespitales an der Triesterstraße geschritten werden muß, welches 
vou morgen ab den Strom der in den allgemeinen Kranken¬ 
häusern Hilfe Suchenden zum Theil äbleiteu wird. Dasselbe wird, 
als Expositur des Krankenhauses Wieden, von dem Primarärzte 
dieses Hauses, Dr. Lütkemüller, geleitet werden. — Auch in der 
wohlhabenderen Bevölkerung ist die Grippe nach wie vor in Per¬ 
manenz erklärt und geht nicht selten mit heftigen Neuralgien einher. 
Die Anzahl der catarrhalischen und croupösen Pneumonien nach In¬ 
fluenza ist eine bedeutende. Die Zahl der an Entzündungen der 
Respirationsorgane Verstorbenen betrug in dieser Woche 180, d. i. 
um 94 mehr als in der Vorwoche; die Gesammtzahl der in Wien 
Verstorbenen erreichte die abnorme Höhe von 717 Todesfällen, 
welche die Zahl der in der 51. Jahreswoche Verstorbenen um 253 
übertrafen. — Derzeit ist die Epidemie über ganz Europa ver¬ 
breitet. Während dieselbe in Rußland und dem östlichen Deutsch¬ 
land ihren Höhepunkt überschritten zu haben scheint, werden zahl¬ 
reiche Erkrankungen aus England, Frankreich und Spanien ge¬ 
meldet. Auch der mit der alten Welt durch regen Schiffsverkehr 
verbundene Norden Amerikas wurde, wie telegraphisch aus New- 
York berichtet wird, von der Influenza ergriffen. 

(Pharmaceutische Studienordnung.) Die „Wiener 
Zeitung“ vom 31. Dec. 1889 publicirt die angekündigte neue pharma¬ 
ceutische Studien- und Prüfungsordnung. Die Hauptbestimmung derselben 
betrifft die erhöhte Forderung an Vorbildung für die Hörer, welche an 
österreichische Universitäten zu pharmaceutischen Studien zugelassen 
werden und das Diplom als Magister der Pharmacie erlangen wollen; 
diesfalls bestimmt die neue Verordnung im §. 1, der betreffeude 
Aufnahmsbewerber müsse a) sich mit einem staalsgiltigon Zeugnisse 
über die mit Erfolg zurückgelegte sechste Classe (statt 
wie bisher der vierten Classe) eines Gymnasiums oder einer 
Realschule, im letzteren Falle auch mit einem Zeugnisse über 
die an einem öffentlichen Gymnasium mit genügendem Erfolge ab¬ 
gelegte Prüfung aus der lateinischen Sprache im Umfange der For 
derungen der ersten sechs Gymnasial Classon aus weisen, und b) die 
Pharmacie nach der bestehenden Gremialordnung erlernt haben. — 
Das Universitäts-Studium bat sich unmittelbar an die vorschrifts 
mäßige Lehrzeit anzuschlicßeu. Es bleibt jedoch dem Unterrichts- 
ministcr Vorbehalten, in rtlcksichtswürdigen Fällen die Aufnahme iu 
das pharmaceutische Studium auch dann zu bewilligen, wenn die 


Lehrzeit über die vorgeschriebene Dauer ausgedehnt wurde oder wenn 
zwischen den beiden Abschnitten des pharmaceutischen Bildungs¬ 
ganges eine Unterbrechung vorgekommen ist. — Das pharmaceutische 
Universitäts-Studium dauert zwei Jahre. Zur Erlangung des Diploms 
haben die Candidaten drei Vorprüfungen und ein Rigorosum zu be¬ 
stehen. — Die Erwerbung des Doctorates der Phar¬ 
macie (Chemie) in der bisher üblichen Weise findet nicht 
mehr statt. Jenen Magistern der Pharmacie, welche den Doctor- 
grad der Philosophie rite erworben haben, ist es gestattet, den 
Titel „Doctor der Pharmacie“ zu führen. v — Diese Studien- und 
Prüfungsordnung tritt mit dem Studienjahre 1890/91 in Wirksam¬ 
keit. Dieselbe findet jedoch auf diejenigen Candidaten, welche vor 
diesem Studienjahre ihre pharmaceutischen Universitäts Studien be¬ 
gonnen haben, keine Anwendung; dieselben sind vielmehr nach der 
bisher geltenden pharmaceutischen Studien- und Prüfungsordnung zu 
behandeln. 

(Auszeichnungen.) Prof. Dr. W. Wintebnitz in Wien 
ist zum Ehrenmitgliede der raedicinischen Gesellschaft für Hydro¬ 
logie und Klimatologie in Turin ernannt worden. — Der Stabsarzt 
Dr. Julius Ritter, des Garnisonsspitales Nr. 3 in Przemysl, hat in 
Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste als Erzieher, Lehrer 
und Arzt das Ritterkreuz des Franz Josef-Ordens erhalten. — Dem 
Hofarzte Dr. F. Ai.lmayer in Wien wurde der k. preuss. Kronen¬ 
orden III. CI. verliehen. 

(Universitäts-Nachrichten.) Die Privatdocenten an 
der Wiener Universität, DDr. Reg.-R. R. v. Frisch, Carl Maydl 
und Adolf Lorenz sind zu a. o. Professoren der Chirurgie er¬ 
nannt worden. — Dr. Paul Eisler hat sich als Privatdocent für 
Anatomie, Histologie und Entwicklungsgeschichte an der Universität 
Halle habilitirt. — Dr. Laptschinski ist zum o. Professor der Patholo¬ 
gie und Therapie an der Universität Wa r s c h a u ernannt worden. — 
Die Universität Helsingfors wird in diesem Jahre das Fest 
ihres 250jährigen Bestandes fe'ern. 

(Statistik.) Vom 22. bis inclusive 29. December 1889 wurden in den 
Civilspitäleru Wiens 613'5 Personen behandelt. Hievon wurden lÜjjB^ 
entlassen; 17y sind gestorben (14 38 < 0 des Abganges), ln diesem Zeitrauira- 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Stalthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 2"\ egyptischer Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 4. Dysenterie —, blättern 8, Varicellen 37. Scharlach 18, 
Masern 20y, Keuchhusten 19, Wundrothlauf 10, Wochenbettfieber 4. — In 
der 52. Jahreswocie sind in Wien 717 Personen gestorben (-(- 253 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) In Wien ist gestern der einstige Hofburg¬ 
theaterarzt Dr. Benedict Schulz, seinerzeit ein vielgesuchter Ncuro- 
patholog und Elektrotherapeut, 73 Jahre alt, gestorben. An demselben 
Tage erlag der städtische Arzt des I. Bezirkes, Dr. Josef Kohn, 
ein pflichttreuer, aufopfernder College, im 46. Lebensjahre einer 
Pneumonie. — Gestorben sind ferner: Iu Greifswald der Professor 
der Chemie, Dr. Ferdinand Baumstark; in Tübingen der berühmte 
Geologe und Mineraloge, Prof. F. A. v. Quexstadt, 81 Jahre alt. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensiona-Exemplare.) 

Raymond F., Maladies du Systeme nerveux. Avec 48 figures dans le texte. 
Paris 1889. Octave Do in. 

Jassinowsky A., Die Arleriennaht. Dorpat 1889. C. Mattiesen. 

WttlTviiigC F. W M Ärsberättelse Iran Sabbatsbergs Sjukbus i Stockholm lör 
188Stockholm ISsÜ. J. Marcus. 

Eingesendet. 

Benaohrlohtlgung. 

In Folge vielfacher Anfragen den geehrten Herren Coliegen zur Nach¬ 
richt, daß die Brehmer’sche Heilanstalt für Lungenkranke auch nach dem 
Tode des 1 egründers, des Herrn Dr. Brehmer, ganz im Sinne desselben 
unter den von ihm bestgeschulton Aerzten weitergeführt wird. Anfragen bitten 
daher nach wie vor zu richten an: Die Verwaltung der Dr. Brehmer’sehen 
Heilaustalt in Görbersdorf, (Reg.-Bez. Breslau, Preussisch-Schlesien). 

Carse rar Amte m Massap du Hnkjiuitik 

an klinischem Material. 

TheilnehmerzaU lescliränkt. — Dauer 3 Wochen. — Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, 1., Hegelgasse 21 (3—1). 

Verantwortlicher Kedacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


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Nr. 2. 


Sonntag den 12. Januar 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Gross-quart-Fonnat stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 

Ä Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
ge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., lialbj. 5 fl., viertelj. 2 fl. 50kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


-ese* 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von • 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT : Originalien nnd klinische Vorlesungen. Ueber die Principien der Therapie der Herzkrankheiten. Von Prof. Dr. R. v. Basch in Wien. — Ueber 
einige Anwendungen des Natrium salicylicum. Von Prof. Dr. B. Stiller jn Budapest. — Ein Fall von Dysphagie mit Oesophagus-Dilatation. Von 
Dr. Max Einhorn, Arzt am deutschen Dispensary in New-York. — Referate nnd literarische Anzeigen. Aus dem pharmakologischen Institute 
der Universität Berlin. Edmund Falk (Berlin): Ueber Hydrastinin und dessen Anwendung bei Uterusblutungen. — Treymann (Riga): Zur Anwendung 
der Breus 'sehen Zange. — Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gebiete der Geburtshilfe und Gynäkologie. Herausgegeben von Prof. Dr. Richard Frommel 
in Erlangen. — Axel Key’s schulhygienische Untersuchungen. In deutscher Bearbeitung herausgegeben von Dr. Leo Burgerstein. — Zeitungsschau. 
Denguefieber und Influenza. Ref.: Dr. M. T. Schnirer in Wien. — Feuilleton. Ueber Hinrichtung. — Kleine Mittheilungen. Memhol gegen 
Erbrechen Schwangerer. — Klinisches und Experimentelles Aber Coma diabeticum und seine Behandlung. — Die physiologische und therapeutische 
Wirkung des Exalgins. — Behandlung der Ulcera mollia mit Liquor fern sesquichlorati. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft 
der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Centralverein deutscher Aerzte in Böhmen. (Orig.-Ber.) — Aus den Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) 
Soci6t6 de biologie. — Acad6mie des Sciences. — Soci6t6 m6dicale des höpitaux. — Notizen. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die Principien der Therapie der 
Herzkrankheiten. 

Von Prof. Dr. R. v. Baach in Wien. 

Unter Behandeln verstehen wir das Bestreben , in den 
pathologischen Processen, die wir vor uns haben, Aenderungen 
herbeizuführen. In diesem Bestreben werden wir um so ziel¬ 
bewußter, um so sicherer Vorgehen können, je klarer wir im 
Stande sind, zu heurtheilen, was überhaupt in dem krank¬ 
haften Processe, der uns vor liegt, einer Abänderung fähig ist. 

Dies ist die Cardinal frage, um die es sich in jeder 
Therapie, also auch in der Therapie der Herzkrankheiten, die 
wir heute zum Ziele unserer Betrachtungen machen wollen, 
handelt. 

Es versteht sich von selbst, daß es sich bei dem Thema 
der Therapie der Krankheiten des Herzens nicht um das Herz 
allein handelt. Denn das Herz ist kein isolirtes Organ. 
Mitten in den Kreislauf des Blutes als ein mit besonderen 
Triebkräften und ingeniösen mechanischen Einrichtungen aus¬ 
gestattetes Werkzeug eingeschaltet, ist das Herz der vorzüg¬ 
lichste Motor für die Fortbewegung des Blutes, aber auch in 
dem Röhrensystem, in dem das Blut circulirt, gibt es Ein¬ 
richtungen, die zum Theile der Fortbewegung des Blutes, zum 
Theile der Vertheilung des Blutstromes dienen. Diese Ein¬ 
richtungen, auf welche näher einzugehen hier nicht der Ort, 
bedingen eine innige Abhängigkeit der Gefäße vom Herzen, 
sowie des Herzens von den Gefäßen. Diese Abhängigkeit, diese 
Wechselwirkung zwischen Herz und Gefäßen dürfen wir bei 
unserem Denken und Handeln am Krankenbette nie außer 
Acht lassen, und die Cardinalfrage, von der wir ausgehen 
wollen, die Frage von der Abänderlichkeit abnormer Vor¬ 
gänge bei Herzkrankheiten muß demnach auf das gesammte 
Kreislaufsystem bezogen werden. 


*) Vortrag, gehalten in den wissenschaftlichen Versammlungen des 
„Wiener med. Doctoren-Colleginm“ am 11. nnd 18. November 1889. — Manusmpt 
des Vortragenden. 


Das anatomische Substrat des Kreislaufes, das Herz und 
die Gefäße, unterliegt — darüber sind wir ja namentlich 
Dank der Forschungen der älteren Wiener Schule, der Schule 
Rokitansky, Skoda, hinreichend unterrichtet — bestimmten, 
bekannten Veränderungen. Es kann das Pericardium, der 
Herzmuskel, das Endocardium und der Klappenapparat, es 
können auch die Gefäße von entzündlichen, degenerativen und 
regenerativen Processen ergriffen werden. Der Ablauf dieser 
Processe ist auch hinlänglich bekannt. Wenn wir uns aber 
fragen, können wir in den Ablauf dieser Processe wirksam 
eingreifen, können wir eine Myocarditis, eine Endocarditis, 
eine Pericarditis, eine Endarteritis coupiren, können wir einen 
Klappenfehler so ausbessern, wie man etwa zerrissene Wäsche 
flickt, können wir eine Fettschicht, die das Herz umlagert, 
direct entfernen etc., so müssen wir uns gestehen, daß wir 
dies nicht im Stande sind. 

Wenn uns aber auch hier ein directes Eingreifen ver¬ 
sagt ist, so lassen wir uns doch nicht von dem Gefühl der 
Machtlosigkeit, das zum therapeutischen Nihilismus führt, ge¬ 
fangen nehmen, wir trachten vielmehr, so weit wir können 
und zu können glauben, auf indireetem Wege, d. i. indem wir 
unseren therapeutischen Angriff auf den Gesammtorganismus 
richten, den anatomischen Proceß in seinem Ablaufe zu hemmen 
oder zu beschleunigen, kurz wir versuchen die allgemeinen 
Verhältnisse des Gesammtorganismus so günstig als möglich 
zu gestalten. 

Außer dem anatomischen Substrate des Kreislaufes, das 
wir also vom therapeutischen Standpunkte aus als etwas Un¬ 
abänderliches auffassen müssen, haben wir noch das physio¬ 
logische Substrat desselben, die Function des Herzens und 
der Gefäße vom therapeutischen Standpunkte aus zu be¬ 
leuchten. 

Diesbezüglich sind wir nun durch eine große Reihe be¬ 
kannter physiologischer und pathologischer Erfahrungen schon 
längst mit dem Gedanken vertraut, daß diese Functionen v e r- 
änderliche Größen darstellen. Die Frequenz und Stärke 
des Herzschlages lassen sich im Thierversuche durch bekannte 
Eingriffe variiren, das Lumen der Gefäße läßt sich nach Be¬ 
lieben verengern und erweitern. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


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Von diesen Erfahrungen ausgehend, dürfen wir auch die 
Functionen eines Kreislaufapparatcs, wenn auch dessen anato¬ 
misches Gefüge zum Theile etwas lädirt ist, als etwas 
Veränderliches, als etwas der Abänderung Zugängliches be¬ 
trachten. 

Die gestörte Function des Herzens und der Gefäße dürfen 
wir demnach als directen Angriffspunkt für ein therapeutisches 
Einschreiten anschen, Functionsstörungen dürfen wir hoffen, 
direct behandeln zu können. 

Wir müssen also die indirecte Behandlung, welche 
sich vor Allem gegen die Gewebserkrankung richtet, unter¬ 
scheiden von einer directen Behandlung, durch welche wir 
eine Aen 'erung der Function beabsichtigen. 

In der Praxis ist dieser Unterschied nicht strenge auf¬ 
recht zu erhalten, denn die Grenzen zwischen directer und 
indirecter Behandlung verschieben sich nicht selten gegen¬ 
seitig. Nicht selten zeigt sich, daß die indirecte, auf das All¬ 
gemeinbefinden gerichtete Behandlungsweise das Herz speciell 
in günstiger Weise beeinflußt, und umgekehrt finden wir, daß 
die directe Behandlung nicht selten dem Gesammtorganismus 
zugute kommt. 

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen wollen wir zu 
unserem Thema, den Principien der Behandlung der Herz¬ 
krankheiten, übergehen. 

Damit unsere dahin gerichteten Betrachtungen sich nicht 
ungeordnet in kreuz und quer bewegen , damit sie nicht hin 
und her irrlichtern , wollen wir denselben einen bestimmten 
Weg vorsehreiben, d. h. wir wollen das Krankheitsmateriale, 
dem unsere therapeutischen Betrachtungen gewidmet sind, in 
einer Weise ordnen, die unserem Zweck am meisten entsprechen 
dürfte. 

Stellt man die Diagnostik, wie man sie bei uns ge¬ 
wöhnlich treibt, d. i. die anatomische Diagnostik, in den 
Vordergrund der Betrachtung, so ordnet man, wie man dies 
aus allen Lehrbüchern ersehen kann, die Herzkrankheiten 
nach dem anatomischen Substrate des Kreislaufsystems. Man 
spricht zuerst von Krankheiten • des Pericardium, dann von 
solchen des Myo-, Endocardium, von Krankheiten der Klappen, 
der Aorta etc. Das Princip dieser Eintheilung ist aber gerade 
das, was wir mit Rücksicht auf die Therapie als das Unab¬ 
änderliche bezeichnet haben, gegen das wir uns nur mit der 
indireeten Behandlungsmethode wenden. Die eigentliche The¬ 
rapie, ich möchte sagen die Therapie erster Ordnung, ist die 
directe Therapie,' und von dem Standpunkte der directen 
Therapie ausgehend, müssen wir unser Krankheitsmaterial nach 
der Function ordnen. Denn die Functionsstörung ist das Ab- 
änderliche, sie liefert die Angriffspunkte für eine directe 
Therapie. Die Fnnctionsstörung soll also der Leitfaden sein, 
dem wir bei Ordnung des Krankheitsmateriales folgen wollen. 

Von diesem Eintheilungsprincip ausgehend, müssen wir 
zunächst von Störungen sprechen, die einzelne Functionen des 
Herzens und der Gefäße erleiden, und zwar, wenn ich mich 
so ausdrücken darf, von reinen Functionsstörungen, und 
darunter möchte ich solche verstanden wissen, die nicht zu 
Kreislaufstörungen führen. Die wirkliche Kreislaufstörung, 
die Kreislaufstörung /.vx' e£o yty, charakterisirt sich nicht 
sowohl durch das, was im Herzen selbst, sondern durch das, 
was außerhalb des Herzens vorgeht, und das ist die abnorm 
veränderte Blutvertheilung. Aus dieser abnormen Blutver- 
theilung resultirt entweder eine Ansammlung von Blut in den 
Lungen, oder eine größere Ansammlung von Blut in den 
Venen. Die eine führt zur Dyspnoe, die andere zum Oedem. 
So lange nicht Dyspnoe oder Oedem auftreten, so lange, meine 
ich, sind wir nicht berechtigt, von ausgemachten Kreislauf¬ 
störungen zu sprechen, selbst dann nicht, wenn die anato¬ 
mische Diagnose auf einen exquisiten Klappenfehler lautet. 
Es kann der Rhythmus, es kann die Herzkraft, es kann selbst 
der Klappenmechanismus bis zu einem gewissen Grade ge¬ 
schädigt sein, aber ohne Dyspnoe und ohne Oedem sind die 
pathologischen Vorgänge, die sich hieran knüpfen, zum größten 


Theile rein interne Vorgänge, Vorgänge, die sich zumeist 
intra cameram abspielen. 

Zu den Functionsstörungen, die keine Kreislaufstörungen 
involviren, gehören die übermäßig vermehrte und übermäßig 
verminderte Schlagfolge des Herzens, die unregelmäßige Herz- 
thätigkeit. die gleichmäßige Herzschwäche und die gleichmäßig 
forcirte Herzarbeit, die Hypokinese und Hyperkinese des 
Herzens und zu den Functionsstörungen dieser Gattung gehört 
auch das Herzklopfen. 

Zur Orientirung möchte ich hier hervorheben, daß 
beschleunigte oder vermehrte Herzaction meiner Auffassung 
nach nicht mit dem, was man unter Herzklopfen verstehen 
soll, zusammenfallen. Das Herzklopfen ist als eine Erhöhung 
der Erregbarkeit des sensiblen Nervenapparates im Herzen 
aufzufassen , eine Störung also, die bewirkt, daß die Action 
des Herzens zum Bewußtsein gelangt. 

Es ist meiner Meinung nach ganz unrichtig und auch 
den klinischen Thatsachen widersprechend, beschleunigten Puls 
und verstärkten Herzschlag mit Herzklopfen zu identificiren, 
denn oft genug beobachtet man, daß weder die hochgradigste 
Pulsbeschleunigung, noch eine außergewöhnlich starke Herz¬ 
action das Gefühl des Herzklopfens veranlaßt, während gerade 
umgekehrt nicht selten die schwache Herzaction, das Zittern 
und Flattern des Herzens, der langsame Puls, ja selbst der 
aussetzende Puls, d. i. der Herzstillstand, zum Bewußtsein ge¬ 
langen und von den Kranken als deutliches subjectives Sym¬ 
ptom empfunden werden. 

Allerdings stehen die Schlagfolge des Herzens und die 
Stärke des Herzschlages mit dem Herzklopfen in Verbindung, 
aber nur insoferne, als deren Aenderungen die Reize für das 
sensible Herz darstellen, während das normal empfindliche 
Herz diese Aenderungen nicht als Reize empfindet. 

Nach welchen Grundsätzen sollen wir nun bei reinen 
Functionsstörungen des Herzens therapeutisch Vorgehen ? 

Da Störungen in der Frequenz und im Rhythmus von 
dem Zustande centraler oder peripherer regulatorischer Nerven¬ 
apparate abhängen, da die Stärke des Herzschlages von der 
Füllung, Arbeitsfähigkeit des Herzens und zumeist den Wider¬ 
ständen abhängt, gegen die es sich entleert, so wird man, 
ehe man therapeutisch einschreitet, sich wohl überlegen müssen, 
ob einerseits klinische Anhaltspunkte für den centralen oder 
peripheren oder reflectorischen Ursprung der Aenderungen des 
Rhythmus sprechen, ob ferner klinische Wahrnehmungen die 
starke oder schwächere Herzaction auf innere, im Herzen ge¬ 
legene Ursachen oder auf äußere, durch die Gefäße veranlaßten 
zurückführen lassen, ob toxische Einflüsse in’s Spiel kommen 
u. s. w. 

Mit anderen Worten, wir müssen nicht nur eine anato¬ 
mische Diagnose machen, die übrigens in solchen Fällen in 
der Regel eine negative ist, wir dürfen uns auch nicht blos 
mit einer, ich möchte sagen grob functioneilen Diagnose be¬ 
gnügen, die nur darin besteht, daß wir dem, was wir wahr¬ 
nehmen, einen Namen geben, d. h. daß wir von Tachycardie, 
Bradycardie, Arhythmie, Allarhythmie etc. sprechen, wir 
müssen bestrebt sein, den Versuch einer feineren functionellen 
Diagnose zu machen, die nicht blos die Erscheinungen bei 
ihrem Namen nennt, sondern bestrebt ist, den Ursachen dieser 
Erscheinungen nachzugehen. 

Dieser Versuch ist offenbar ein sehr schwieriger, weit 
schwieriger als der Versuch, eine anatomische Diagnose mittelst 
der physikalischen Untersuchungsmethoden zu machen. Wenn 
er aber gelingt, so ist er praktisch mindestens ebenso wichtig, 
ja ich möchte sagen noch wichtiger, als das Gelingen einer 
anatomischen Diagnose. Denn nur durch die Einsicht in die 
Natur und Ursachen der functionellen Störungen erfahren wir 
die Indicatio causalis der Behandlung, noch mehr, wir 
erfahren auch, ob sich dieser Indicatio causalis auf directem 
oder indirectem Wege begegnen läßt. 

Die Untersuchung, die zu einer solchen functionellen 
Diagnose führt, ist aber nicht so einfach wie jene, die zu 


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einer anatomischen Diagnose führt. Zu letzterer gelangt man 
durch Feststellung und Aneinanderreihung gewisser objeetiver 
Befunde, d. i. auf dem Wege der descriptiven und deductiven 
Methode, zu letztei er nur auf dem Wege der inductiven, d. i. 
der experimentellen Methode, die uns den Weg zeigt, wie 
man ans bekannten W rkungen unbekannte Ursachen, oder 
umgekehrt unbekannte Wirkungen nach bekannten Ursachen 
aufdeckt. 

Die Rolle, welche die experimentelle Methode am Kranken¬ 
bett spielt, ist demgemäß auch eine doppelte. 

Wir bedürfen derselben zunächst, um den Versuch, den 
uns die Natur in der Erkrankung und den Krankheitserschei¬ 
nungen vorlegt, genau zu analysiren, und zwar mittelst jener 
Methoden und Hilfsmittel, die das Experiment verlangt, und 
über welche die physiologische Methodik gebietet. So ge¬ 
winnen wir Einsicht in die Natur der krankhaften Erschei¬ 
nung, die uns als pathologisches Symptom, als die Wirkung 
einer schädlichen, krankmachenden Ursache vorliegt. Die 
Ursachen aufzudecken, ist auch das Ziel der experimentellen 
Untersuchung. 

Manchmal gelingt es, diese Ursachen durch die directe 
Untersuchung aufzudecken, oder man kann diesbezüglich sich 
bei Erfahrungen Rath erholen, die durch das Experiment am 
Tliiere in analogen Fällen gewonnen wurden, oft aber, und 
das ist jener Fall, auf den ich hier besonderes Gewicht lege, 
müssen wir, um die Natur der functioneilen Störungen aufzu¬ 
decken, am Krankenbette selbst experimentiren, und das Ex¬ 
periment, das wir machen, ist das therapeutische Experiment. 

Ein therapeutisches Experiment ist es, wenn wir 
den Tabak. Kaffee, Theo, Alkohol verbieten, denn durch einen 
solchen Versuch erfahren wir. ob die Unregelmäßigkeit in der 
Herzaction auf gewissen toxischen Einflüssen beruht oder nicht, 
auf experimentell-therapeutischem Wege können wir bestimmen 
oder ausschließen, ob die Functionsstörung, um die es sich 
handelt, durch Reize reflectorischer Natur bedingt ist, oder 
etwa von den Unterleibsorganen ausgeht. Durch das thera¬ 
peutische Experiment werden wir darüber orientirt, welchen 
Grad Aon Reactionsfähigkeit die motorischen und nervösen 
Apparate des Herzens besitzen, durch die therapeutische Me¬ 
thode endlich gelangen wir per exclusionem zu der Annahme, 
daß die fnnctionellen Störungen mit anatomischen Läsionen 
Zusammenhängen. Auf dem Wege der experimentellen Me¬ 
thode gelangen wir also auch zur anatomischen Diagnose. 

Erwägungen solcher Natur müssen, wie man leicht ein- 
sieht, jeder sogenannten exspeetativen, symptomatischen Be¬ 
handlung zu Grunde liegen. Unter Abwarten, Exspectare, darf 
man aber nicht bloßes Zuwarten verstehen, bei dem der Arzt 
die Rolle des müssigen Zuschauers spielt, und symptomatische 
Behandlung darf nicht in roh empirischem Sinne, dem die 
feinere physiologische Auslegung völlig fremd ist, ausgeübt 
werden. 

Abwarten heißt mit größter Aufmerksamkeit den Sym¬ 
ptomen folgen, und symptomatisch behandeln heißt, die Func¬ 
tionsstörungen, auf denen die Symptome beruhen, als Richt¬ 
schnur für das ärztliche Handeln benützen. Aber hiezu gehört 
nicht bloße Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und rein humane 
Theilnahme, sondern jene Art von Beobachtungskunst, wie sie 
nur durch das Verständniß für physiologische und pathologi¬ 
sche Vorgänge erreicht wird. 

Wir wollen nun den speciellcn Theil unserer Betrach¬ 
tungen aufnehmen und uns mit den Principien der Therapie 
der beschleunigten Herzactiun beschäftigen. 

Die beschleunigte Herzaction verdient auch dann, wenn 
sie keine besonderen Beschwerden veranlaßt, eine Berücksich¬ 
tigung, weil sie insoferne eine Schädlichkeit darstellt, als sie 
ja eine Luxusconsumption, einen unnützen Verbrauch von 
Stoff, eine Abnützung des Herzens bedeutet. 

Betrachten wir zunächst die beschleunigte Herzaction im 
Fieber, so ist wohl nicht zu leugnen, daß sie durch die Tem¬ 
peraturerhöhung des Blutes bedingt ist. 


Indem wir das Fieber behandeln, behandeln wir gleich¬ 
zeitig die erhöhte Pulsfrequenz, und unstreitig ist die Kalt¬ 
wasserbehandlung deshalb von so hohem anerkannten Werth, 
weil sie direct auf das Herz einwirkt, den Tonus desselben zu 
erhöhen scheint und die regulatorischen Apparate, welche dem 
Herzen in die Zügel greifen und ein Durchgehen desselben 
verhindern, in erhöhte Thätigkeit versetzt. 

Es ist ein längst bekannter therapeutischer Grundsatz, 
daß man beim Fieber nicht nur die Temperatur, sondern auch 
die Herzaction zu berücksichtigen hat, und daß bei einer 
Reihe von fieberhaften Erkrankungen, namentlich bei der Be¬ 
handlung der Pneumonie , das Herz noch größere Beachtung 
verdient, als die Temperatur. 

Diesen Grundsatz muß man sich namentlich da vor 
Augen halten, wo man Antipyretica anwendet, denn leicht 
kann man hier der Täuschung unterliegen, daß Wärmeabnahme 
identisch sei mit Besserung des Herzens, was durchaus nicht 
immer der Fall ist. 

Die beschleunigte Herzaction kommt auch bekanntlich 
ohne Fieber in Form der Tachycardie zur Beobachtung. Doch 
soll nicht jede Beschleunigung mäßigen Grades Grund zur Be¬ 
handlung abgeben. Es gibt sogar Fälle, wo man die mäßig 
beschleunigte Herzaction als ein günstiges Ereigniß anzusehen 
hat, in welches man nicht' störend eingreifen soll, und für ein 
günstiges, sozusagen compensatorisches Ereigniß halte ich die 
mäßig beschleunigte Herzaction bei Klappenfehlern, und zwar 
sowohl bei der Aorteninsufficienz, als bei der Mitralinsufficienz. 
Denn, wie ich dies schon vor einigen Jahren auseinandergesetzt 
habe, die Pulsbeschleunigung bei der Aorteninsufficienz bedeutet 
eine Art von Compensation. Sie verkürzt die Diastolendauer, 
und diese Verkürzung bedeutet, daß auch die Rückströmung 
des Blutes aus den Arterien in das linke Herz, und dies ist 
ja die Hauptschädlichkeit, welche die Aorteninsufficienz be¬ 
dingt, immer nur kurze Zeit zur Wirksamkeit gelangt. Die 
rasch auf einander folgenden Herzcontractionen, vorausgesetzt 
daß sie vollständig sind und die vollständige Austreibung 
des im linken Ventrikel vorhandenen Blutes bewirken, soll 
man also durchaus nicht zu verlangsamen suchen. 

Aehnliches gilt für die rasche Pulsfolge bei der Mitral¬ 
insufficienz. Denn Nichts begünstigt hier die durch mangel¬ 
haften Verschluß der Mitralis liervorgemfene Schädlichkeit mehr 
als eine langsame Systole. Bei einer sehr langsamen Systole 
kann es nämlich dazu kommen , daß überhaupt kein Blut in 
die Aorta abfließt und alles Blut in den linken Vorhof ge¬ 
langt. Solche langsame Contractionen, die vielleicht auch mit 
der abortiven Contraction, mit den sogenannten Faux pas des 
Herzens, wie die Franzosen sie nennen, identisch sind, sind 
wohl, wie man annehmen darf, Schuld an den Ohnmachts¬ 
fällen, die bekanntlich bei keinem Klappenfehler so häufig 
auftreten als bei der Mitralinsufficienz, namentlich dann, wenn 
sie mit einer Mitralstenose gepaart erscheint. Denn die mit 
Aorteninsufficienz behafteten Patienten leiden, wenn wir blos 
das Stadium der sogenannten Compensation in’s Auge fassen, 
häufiger an Congestionsersc.heinungen. 

Je rascher bei der Mitralinsufficienz die Systolo erfolgt, 
je größer mithin die Geschwindigkeit wird, mit der die linke 
Ventrikelseite entleert wird, um so größer wird, wie dies 
Strickku zuerst gelehrt hat, und wie ich dies in ausgezeich¬ 
neter Weise an einem von mir eonstruirten Kreis lauf mode 11 
demonstriren kann, der Antheil der Blutmenge, die sich in 
die Aorta entleert, um so vollständiger wird die Blutfüllung 
der Arterien und Capillaren. Das Ideal eines Contraetions- 
modus bei der Mitralinsufficienz, namentlich für den Fall einer 
gleichzeitigen Stenose des Ost. von. sin., wäre allerdings eine 
rasche Systole mit einer langsamen Diastole. Mangels eines 
derartigen Contractionsmodus ist aber eine mäßige Beschleu¬ 
nigung des Herzschlages bei der Mitralinsufficienz immer von 
großem Vortheile, weil mit derselben jedenfalls eine Verkürzung 
der Systolendaucr cinhcrgeht. 


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Von den Formen der Tachycardie, die ohne Fieber vor- i 
kommen, ist am bekanntesten die Tachycardie, welche den 
Morbus Basedowii begleitet. Daß diese Tachycardie nervösen \ 
Ursprunges ist, kann wohl als ausgemacht betrachtet werden. j 
Eine nähere Definition der eigentlichen Ursache zu geben, ist 
wohl dermalen unmöglich, denn wir können nur sagen, daß 
die Tachycardie einen Theil einer trophischen, vielleicht cen¬ 
tral bedingten Ernährungsstörung darstellt, die, wie es scheint, 
in ihrem Verlaufe zu einer Metamorphose der Herzganglien 
und der Herzfunction führt und außerdem Struma, Exophthal¬ 
mus und allgemeine Kachexie veranlaßt. 

Der Umstand, daß Morbus Basedowii erfahrungsgemäß 
sehr häufig nach heftigen Gemüthsbewegungen auftritt, muß 
bei der Behandlung besonders berücksichtigt werden. Nach ! 
dieser Richtung ist Schonung, namentlich gemüthliche und j 
geistige, von größter Wichtigkeit. 

Eine direete Behandlung — mit Ausnahme der Appli¬ 
cation von Kälte, die ja jedenfalls zu versuchen ist — durch 
Herzgifte hat so lange keinen Zweck, muß sogar, wie ich 
meine, sorgfältig vermieden werden, so lange die reine Func¬ 
tionsstörung der Tachycardie vorliegt und kein schwerer 
Athem die Ausbildung einer Kreislaufstörung anzeigt. 

Jedenfalls angezeigt ist die indirecte Behandlung, sei es, 
daß sie durch nervenherabstimmende Mittel, wie Brom , die 
Erregbarkeit herabsetzt, sei es, daß sie durch körperliche Ruhe 
mit allgemeiner Kräftigung den Ablauf des allgemeinen Pro- 
cesses begünstigt. 

Therapeutisch schwer angreifbar sind ferner jene Formen 
von Tachycardie. die man auf centralen Ursprung zurückführt 
und als auf einer Lähmung der Vaguscentren beruhend ansieht. 
Diese Meinung hat viel für sich in Fällen, wo zugleich mit 
der Tachycardie anderweitig sensible oder motorische Störungen 
im Bereiche des Vagus, Recurrens auftreten. Tachycardien 
mit Stimmbandlähmung, resp. Recurrens-Tachycardien mit 
Auftreibung des Magens, Erbrechen können sehr wohl in 
diesem Sinne gedeutet werden. 

Bei der Behandlung dieser Tachycardien wird man nach 
ähnlichen Principien verfahren, wie bei der Behandlung der 
Tachycardie bei Morbus Basedowii. 

Es gibt aber Tachycardien, die ebenfalls centralen Ur¬ 
sprunges sind, mit dem Unterschiede nur, daß die Natur dieses 
centralen Ursprunges etwas verständlicher ist. Ich meine 
hiemit jene Tachycardien, die durch Anämie bedingt sind. 

Wir wissen vom Experimente her, daß bei niedrigem 
Blutdruck, hervorgerufen durch Blutung, die Schlagfolge des 
Herzens beschleunigt wird. Diese experimentelle Thatsache 
stimmt auch mit der klinischen Erfahrung überein, denn man 
beobachtet nicht selten erhöhte Pulsfrequenz nach Menorrhagien 
und Hämorrhoidalblutungen. 

Diese Erfahrung muß als Aufforderung dienen, uns in 
jedem Falle von Tachycardie über die Höhe des Blutdruckes 
genau zu informiren, und selbstverständlich werden wir ihn 
da, wo wir ihn niedrig finden, zu erhöhen suchen, zunächst 
natürlich in der Weise. daß wir die Blutungen stillen und 
roborirend ernähren. Die Verabreichung des Strychnins als 
eines Mittels, das die Gefäße zur Contraction bringt und den 
Blutdruck hebt, ist gewiß des Versuches werth. 

Zeigt aber die Untersuchung, daß der Blutdruck ein 
hoher ist, so werden wir jedenfalls eine Anämie der centralen 
Organe, bedingt durch niedrigen Blutdruck, ausschließen. In 
solchem Falle muß aber immer noch an eine Anämie, mög¬ 
licherweise local vasomotorischen Ursprunges, gedacht werden. 
Um hierüber einige Klarheit zu gewinnen, könnte man den 
Versuch machen, durch Nitrite eine Erweiterung der Gefäße 
herbeizuführen und die vorhandene Ischämie zu beseitigen. 

Eine Pulsbeschleunigung könnte endlich auf reflectori- 
schem Wege entweder durch Reflexhemmung der Vagi oder 
durch refiectorische Reizung der Accelerantes zustande kommen. 

Hierüber kann der therapeutische Versuch möglicher¬ 
weise Aufschluß geben; die Aufgabe desselben muß darin be- i 


stehen, zu untersuchen, ob es möglich sei, durch Beeinflussung 
des Sympathicus-Gebietes, durch Regelung der Digestion, der 
Peristaltik, durch gynäkologische Behandlung den Puls irgend¬ 
wie zu beeinflussen. 

Daß man bei jeder Tachycardie das Vorhandensein eines 
toxischen Einflusses vermuthen und den Gebrauch von Tabak, 
Kaffee, Tliee, Alkohol verbieten, resp. einschränken muß, ist 
wohl selbstverständlich. 

Die außergewöhnliche Verlangsamung des Herz¬ 
schlages, die Bradycardie, kommt ziemlich selten vor. Auf einem 
viel citirten Fall von Stock ks fußend, wird gewöhnlich die Mei¬ 
nung ausgesprochen, die Bi adycardie beruhe auf Fettherz, 
oder, wenn wir uns physiologisch genauer ausdrücken wollen, 
auf einer durch fettige Degeneration bedingten Störung der 
reizbildenden Apparate im Herzen. Man kann auch an eine 
erhöhte Reizbarkeit der Vagusapparate, sowohl des cen¬ 
tralen, als des peripheren denken, aber es ist schwer denkbar, 
daß ein solcher Reizungszustand, wie dieser ja bei der Brady¬ 
cardie die Regel ist, Jahre lang anhält. Die jedenfalls plau¬ 
siblere Annahme, daß es sich um einen dauernden Zustand 
der verminderten Erregbarkeit handle, bietet uns aber, wie 
man leicht ersieht, keine Handhabe für die direete Behand¬ 
lung. Wir können höchstens da, wo die Bradycardie mit 
allgemeiner Polysarcie einhergeht, eine Entfettungscur ein¬ 
leiten. Praktisch wichtig aber für die Behandlung der Brady¬ 
cardie ist es, zu wissen, wie sich die Herzaction in Bezug auf 
ihre Stärke während der Bradycardie verhält. Es ist wichtig, 
hier zunächst die Frage zu beantworten: schlägt das Herz 
langsam und schwach, oder langsam und stark? 

Schlägt es langsam und schwach, was wir genau durch 
die Messung des Blutdruckes erfahren, und deuten gewisse 
Symptome, wie allgemeine Schwäche, Schwindel, Ohnmacht, 
auf eine ungenügende Herzaction, so müssen wir zunächst 
trachten, diese zu heben. Wie schon häufig betont wurde, sollen 
aber Herzmittel nicht zur Anwendung kommen, so lange keine 
Symptome von Kreislaufstörungen vorliegen. Die indirecte 
Behandlung ist aber hier sehr am Platze. Zunächst scheint 
mir hier die Muskelbewegung besonders indicirt, und zwar 
aus mehrfachen Gründen. 

Mit jeder Muskelbewegung überfließen, wie im Lüdwig- 
schen Laboratorium nachgewiesen wurde, durch Reizung der 
Muskelnerven Reflexe auf den Accelerans cordis, die, wie be¬ 
kannt, das Herz zur rascheren Arbeit veranlassen; diese dürften 
hier aller Wahrscheinlichkeit nach die Erregbarkeit jener Appa¬ 
rate, die bei der Bradycardie damiederzuliegen scheint, erhöhen. 
Die angestrengtere Muskelarbeit erhöht aber auch den Blut¬ 
druck und diese Erhöhung ist, wie mir scheint, für das 
Herz insofeme wohlthätig, als es zur kräftigeren Arbeit 
genöthigt und in Folge stärkerer Füllung der Coronar- 
arterien besser ernährt wird. Diese stärkere Füllung der 
Coronararterien hätte bei der Bradycardie besonderen Werth, 
weil es in der Regel ältere Individuen sind, die von dieser 
Affeetion ergriffen werden, Individuen, bei denen in der Regel 
auch der Verdacht auf Sclerose der Coronararterien erhoben 
werden muß. 

Eine günstige Bedeutung der Körperbewegung besteht 
auch darin, daß sie den Athem vertieft, in Folge dessen die 
Lungen vergrößert, und die Folge einer solchen Lungenauf¬ 
treibung besteht ja, laut dem bekannten Versuch von Hering, 
in einer Lähmung des Vagustonus, d. i. in einer Beschleuni¬ 
gung des Herzschlages. 

Außer der Bewegung kann man auch laue Bäder, nament¬ 
lich CO a -Bäder, zur Anwendung bringen. 

Zur directen Therapie wird man auch hier ohne Noth 
nicht greifen, d. i. keine eigentlichen Herzmittel, wie Digitalis 
etc., in Anwendung bringen. 

Nur Atropin kann, ja muß man versuchen, von der 
Voraussetzung ausgehend, daß durch dasselbe die hem¬ 
menden Apparate in und außerhalb des Herzens ausgeschaltet 
werden. 


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Nr. 2. 


Wo Neigung zu Ohnmacht und Schwindel besteht, soll 
man, wie ich glaube, zum Strychnin greifen. 

Die Bradycardie kann aber auch ohne gleichzeitige 
Schwächung der Herzarbeit bestehen. Es kommt, wie ich 
weiß, vor, daß bei der Bradycardie der Blutdruck sehr hoch 
ist. Ich kenne aus meiner Praxis einen Fall, wo der Blut¬ 
druck bei einem Puls von 28—30 in der Minute nahezu 
200 Mm. Hg betrug. 

In solchen Fällen die Herzkraft steigern zu wollen, hätte 
keinen therapeutischen Sinn. Wir werden es im Gegentheil 
dort, wo wir einer beträchtlichen Gefäßspannung begegnen, als 
eine unserer Hauptaufgaben ansehen müssen, den Blutdruck 
zu erniedrigen, und zwar werden wir da, wo Arteriosclerose 
als Ursache der hohen Blutspannung vermuthet wird, Jod 
verabreichen, auch Nitrate könnten versucht werden, wichtig 
ist aber jedenfalls der Gebrauch von Purgantien. 

Die körperliche Bewegung kann auch hier als ein Mittel, den 
Puls zu beschleunigen und die gangliösen Apparate im Herzen 
reichlich zu durchspülen, angewendet werden, man muß 
sie aber mit sehr großer Vorsicht üben lassen, denn eine 
weitere Blutdrucksteigerung ist hier nicht erwünscht. Auch 
Bäder, kalte sowohl als warme, möchte ich in solchen Fällen 
nicht anrathen. 

Die Entfettungsdiät ist, wie schon oben bemerkt, da, wo 
Polysarcie besteht, vollständig am Platze. Atropin kann eben¬ 
falls , und zwar aus demselben Grunde wie früher versucht 
werden. 

So lange die Störung des Herzrhythmus auf einer con- 
stant erhöhten oder constant verminderten Erregbarkeit größerer 
reizbildender oder reizhemmender Apparate beruht, kommt es 
zur Tachycardie oder Bradycardie. Wechseln aber Zustände 
von erhöhter und verminderter Erregbarkeit mit einander ab, 
dann ist der Rhythmus, d. i. die gleichmäßige Aufeinander¬ 
folge der Herzschläge, gestört, und eine solche Functions¬ 
störung nennen wir Arhythmie. 

So lange bei gestörtem Herzrhythmus die Contractionen 
gleichmäßig bleiben, so lange haben wir es in der Regel mit 
einer reinen Functionsstörung ohne Kreislaufstörung zu thun, 
sowie aber mit dem Rhythmus auch die Herzcontraction un¬ 
gleichmäßig wird, so daß starke und schwache Herzschläge 
abwechseln, ja sogar so schwache Herzcontractionen auftreten, 
daß sie nicht einmal einen deutlich fühlbaren Puls hervor- 
rufen, dann ist in der Regel die Functionsstörung auch von 
einer Kreislaufstörung begleitet. Die Behandlung derartiger 
Arhythmien wollen wir später bei der Kreislaufstörung be¬ 
sprechen , hier sei nur in Kürze erwähnt, daß die mildeste 
Form der Arhythmie, die Intermission, keine Behandlung be- 
nöthigt, so lange sie sich nicht durch unangenehme subjective 
Empfindungen dem Bewußtsein des Patienten aufdrängt. 

Nur an Eines darf man hier sowohl, als bei ausge¬ 
sprochener Arhythmie nicht vergessen, an die Möglichkeit 
einer Intoxication. 

In erster Reihe kommt hier die Tabakintoxication in 
Betracht. 

Wo immer Unregelmäßigkeiten des Pulses auftreten, muß 
man als Erstes den Tabak entziehen, an die Möglichkeit einer 
Tabakintoxication muß aber, wie ich nochmals ausdrück¬ 
lich bemerken will, weder bei der Tachycardie, noch bei der 
Bradycardie vergessen werden. Nur die längere Zeit durch¬ 
geführte vollständige Abstinenz von Tabak, Kaffee, Thee, 
Alkohol kann uns die Ueberzeugung beibringen, daß toxische 
Einflüsse nicht in Frage kommen. 

(Fortsetzung folgt.) 


50 

Ueber einige Anwendungen des Natrium 
salicylicum. 

Von Prof. Dr. B. Stiller in Budapest. 

(Schluß.) 

Eine andere, nicht minder wichtige und erfolgreiche An¬ 
wendung findet nach meiner Erfahrung das Salicylsalz bei 
der exsudativen Pleuritis. Ich wende das Mittel seit 
mehr als zwei Jahren bei dieser Krankheit an, nachdem ich 
bei einem mit Fieber einhergehenden Falle seinen mächtigen 
Einfluß auf die Resorption des Exsudates beobachtet hatte. 
Ob ich nicht früher oder später irgendwo eine Empfehlung 
des Mittels gefunden, ob mich daher nicht eine dunkle Remi- 
niscenz auf das Mittel geführt, könnte ich nicht angeben. Es 
ist mir auch gar nicht darum zu thun, ein Prioritätsrecht 
geltend zu machen, sondern nur die vortreffliche Heilmethode 
den Collegen dringend zu empfehlen. Ich kenne blos eine 
einschlägige Mittheilung von Dr. Herz („ Wr. med. Wochenschr. “, 
Juli 1889), der das Salicylat in 3 Fällen von Pleuritis sicca 
mit sehr gutem Erfolge angewendet; doch ist diese Mittheiiung 
nicht blos um 2 Jahre später erschienen, als meine dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen reichen, sondern betrifft auch gar 
nicht dasselbe Zielobject. Dort handelt es sich blos um die 
prompte schmerzstillende Wirkung des Mittels, die wir ja 
auch bei den Gallensteinen geltend machten, während ich den 
eigentlichen Werth desselben in der schnellen Resorption 
seröser pleuritischer Exsudate erblicke. 

Ich kann mich nicht blos auf meine Hilfsärzte im 
Krankenhause, sondern auch auf viele Collegen in der Privat¬ 
praxis berufen, welche von dem prompten Erfolge des Mittels 
förmlich überrascht waren. Ich halte die Salicylbehandlung 
der Pleuritis serosa für die beste, über die wir verfügen, 
da sie meist sofort einen Stillstand der Exsudation und oft 
binnen Tagen oder einer Woche die Aufsaugung selbst großer 
Exsudate bewirkt; ja, mein Vertrauen zu dem Mittel ist ein 
so unbedingtes, daß ich ihm einen fast sicheren differential- 
diagnostischen Werth beimesse zur Entscheidung der Frage, 
ob ein seröses oder eiteriges Exsudat vorliege, nachdem es' 
beim ersteren fast untrüglich wirkt, beim anderen gänzlich 
versagt. 

Ich gebe 30, höchstens 4 0 pro die in Lösung, stündlich 
1 Eßlöffel. Die primäre Wirkung betrifft offenbar die Nieren; 
die gesteigerte Diurese bedingt die Resorption. In Betreff der 
diuretischen Wirkung des Salicylsalzes beobachte ich jetzt 
eben einen sehr lehrreichen Fall im Spitale. Es handelt sich 
um einen jungen, kräftigen Mann, der einmal eine leichte 
Hämoptoe gehabt, bei dem aber vorläufig keine Lungenaffection 
nachweisbar ist. Vor 5—6 Monaten bekam er eine linksseitige 
Pleuritis. Bei der Aufnahme ist die betreffende Thoraxhälfte 
ad maximum durch Exsudat angefüllt; die Regio supra- 
clavicularis und supraspinata und der TitAUBE’sche Raum 
geben denselben dumpfleeren Schall, wie die übrige Brust¬ 
fläche; das Mediastinum ist über den rechten Sternalrand 
.hinaus verschoben, die Herzspitze schlägt in der rechten 
Mamillarlinie an; Herzdämpfung rechts deutlich zu umgrenzen. 
Das heller tönende Dreieck längs der Wirbelsäule, welches 
ein französischer Beobachter, dessen Name mir leider entfallen, 
als ein werthvolles Unterscheidungszeichen des pleuritischen 
Exsudates gegenüber Infiltraten und Tumoren angab, und 
welches ich auch in allen Fällen meinen Hörern demonstriren 
konnte, ist ganz charakteristisch erhalten. Das Fehlen des 
Fiebers, sowie die unter solchen Umständen auffallende Euphorie 
des Kranken führten mich trotz der langen Dauer zu der An¬ 
nahme eines serösen Exsudates, was auch die Probepunction 
bestätigte. Offenbar war dies ein Fall, wo von der Salicyl¬ 
behandlung nicht viel erwartet werden konnte; nach so langer 
Dauer des Exsudates mußte aller Erfahrung nach angenommen 
werden, daß ausgebreitete Schwartenbildung an den entzündeten 
Pleuren vorliege, welche die comprimirte Lunge fixire. Und 


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51 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


doch verleugnete auch hier das Mittel seine diuretische Wir¬ 
kung nicht, indem die Harnmenge von 650—700 Ccm. auf 
2000—2300 stieg. Trotzdem eine wesentliche resorbirende 
Wirkung kaum erwartet wurde, ward doch mindestens ein 
Freiwerden des Oberlappens, des TßAUBE’schen Raumes und 
des oberen Mediastinums erreicht, während das unverrückte 
Stehenbleiben des Spitzenstoßes in der Mamillarlinie die sup- 
ponirten Verwachsungen bestätigte. 

Es war mir sehr erwünscht, eine Mittheilung vonDujARDiN- 
Beaumetz zu finden, welche die diuretische Wirkung der 
Salicylsäure betrifft und bei kranken Nieren vor deren An¬ 
wendung warnt, da in diesem Falle die verhinderte Aus¬ 
scheidung eine schädliche Ansammlung des Salicylates im Blute 
bewirken könne. 

Endlich möchte ich in kurzen Worten auf eine weitere 
Anwendung des Mittels aufmerksam machen. Nach mehr¬ 
jähriger Erfahrung kenne ich bei frischer acuter Ischias 
kein rascher und sicherer wirkendes Mittel, als das salicyl- 
saure Natron. Wahrscheinlich gilt dies nur von der rein 
rheumatischen Form des Leidens. Ich reiche das Salz wie bei 
Polyarthritis in Grammdosen. 4 0 — 5'0 täglich. Ich sah einzelne 
Fälle, wo die quälenden Schmerzen wie mit einem Zauber¬ 
schlage behoben waren. 

Schließlich kann ich nhht unterlassen zu bemerken, daß 
ich auch in einzelnen Fällen ganz frischer peripherer 
FacialisläInnung sehr schöne Erfolge vom Salicylate ge¬ 
sehen habe. 

Wenn ich im Vorhergehenden auch nicht absolut Neues 
mitgetheilt habe, so basirt es doch auf so zahlreichen und 
sicheren Erfahrungen, daß es, ebenso wie die Anwendung des 
Mittels bei Polyarthritis, durchaus verdient, Gemeingut der 
Aerzte zu werden, und in den Lehrbüchern, welche die be¬ 
sprochenen Anwendungen bisher nicht kennen und erwähnen, 
seinem Verdienste nach gewürdigt zu werden. Davon bin ich 
überzeugt, daß die Collegen, die in geeigneten Fällen meinem 
Beispiele folgen, mir für meine nachdrückliche Empfehlung 
Dank wissen werden. 

* * 

* 

Nachtrag. Nach Redaction dieser Arbeit, welche in 
ungarischer Sprache schon vor Wochen dem „Orv. hetilap“ 
übergeben wurde, habe ich soeben mit größten Interesse den 
Vortrag Rosenbekg’s über die Behandlung der Cholelithiasis 
und die sich daran knüpfende Discussion in den December- 
nummern der „Berl. klin. Wochenschrift“ gelesen. Zum ersten 
Male finde ich hier das Salicylsalz von einem deutschen Beob¬ 
achter in seiner diesbezüglichen klinischen Bedeutung ge¬ 
würdigt, zugleich aber die Oelcur als das allerbeste Mittel in 
den Vordergrund gestellt. Ich frage mich nun, was ist vor¬ 
zuziehen, Oel oder Salicyl? Imponirend sind die Oelcuren 
Rosenbehg’s allerdings, und zwar nicht blos durch ihre prak¬ 
tisch glänzenden Erfolge, die ja auch vor ihm von Anderen 
erzielt wurden, sondern auch, was auf uns moderne Aerzte 
ja den größten Eindruck macht, durch den experimentellen 
Nachweis, daß große Oelgaben eine viel stärkere Gallenabson¬ 
derung geben, als alle bisher bekannten Mittel. 

Was nun die raschen und sicheren Erfolge betrifft, so 
könnte ich mindestens so viele und ebenso glänzende Fälle der 
Salicylbehandlung aus meiner eigenen Praxis in’s Feld führen, 
als Rosenberg insgesammt aus der ganzen Literatur Oelfälle 
angeführt hat. Und was die experimentell nachgewiesene 
höhere cholagoge Kraft des Oels betrifft, so müssen wir weitere 
Versuche von anderen Forschern um so eher ab warten, als 
gerade die bisherige Geschichte der Gallenmittel-Versuche ein 
ziemlich wüstes Pro und Contra der Experimentatoren dar¬ 
stellt, wo auf beiden Seiten gute Namen im Felde stehen, wo 
also die Schwierigkeit der Entscheidung offenbar im Gegen¬ 
stand selbst liegen muß. Aber selbst die größere Wirkung 
des Oels auf die Gallenabsonderung zugegeben, werde ich 
mich zu dom Mittel, welches in den nöthigen hohen Gaben selbst 


mit Mentholzusatz von den meisten Kranken mit der größten 
Aversion genommen wird, ja fast immer Dyspepsie und Er¬ 
brechen erregt, nur dann entschließen, wenn mich das Salicyl 
im Stiche läßt. Dies gibt ja übrigens Rosenberg selbst zu, 
und damit stehen wir auf demselben Boden. Nur haben mich 
meine bisher spärlichen Oelversuche nicht überzeugt, daß das 
Oel dort Erfolg habe, wo Salicyl versagt hat. Zu bemerken 
ist überdies von beiden, wie von allen anderen Mitteln, daß 
auch der glänzendste Erfolg, selbst der nachweisbare Abgang 
von Concrementen oder deren Trümmern, in den meisten Fällen 
noch lange keine definitive Heilung bedeutet. Deshalb finde 
ich es nöthig besonders hervorzuheben, daß neben den Erfolgen 
des Oeles gegen die acuten Manifestationen der Krankheit 
mir die Frage ebenso wichtig erscheint, ob die Fettdiät 
wirklich eine cholagoge und daher zur endgiltigen Cur für 
Gallensteinkranke die zuträglichste ist. Das ist ganz bestimmt 
noch zu beweisen. 

In der Discussion ist noch eine Frage aufgetaucht, die 
mich interessirt, ob nämlich bei Gallensteinen die Gallenblase 
abgetastet werden kann oder nicht. Der Vortragende hat 
dieselbe relativ oft zugänglich gefunden, während sie Mayer 
tiotz seines großen Carlsbader Materiales fast nie palpiren 
konnte. Ich glaube, daß diese Frage so grob statistisch über¬ 
haupt nicht abgehandelt werden kann; man muß auf die Be¬ 
dingungen der Tastbarkeit dieses Organes eingehen. 

Diese Bedingungen sind: vor Allem die genügende Fül¬ 
lung der Blase, damit sie weit genug über den Leberrand 
prominire; sodann eine genügende Spannung, um gefaßt werden 
zu können; endlich der Zustand der Bauchwandvon der 
letzten oder ersten Bedingung, der Geschicklichkeit und Uebung 
der tastenden Hand gar nicht zu reden. 

Bei Cholelithiasis kann eine starke Füllung und Spannung 
der Blase offenbar nur dann zu Stande kommen, wenn das 
Concrement im Choledochus steckt; das Hinderniß hemmt den 
Gallenstrom, welcher sich nun in der Blase und dann auf¬ 
wärts in den Verzweigungen der Gallengänge anstaut. Die 
Einkeilung eines Steines im Cysticus oder Hepaticus wird im 
Gegentheil die Galle von ihrem Reservoir absperren und dessen 
Tastbarkeit damit unmöglich machen. Der bei weitem häufigere 
Fall nun ist die Verschließung des Choledochus und somit die 
Möglichkeit der Palpation der Blase, deren Realisirung aber 
dann erst von der Beschaffenheit der Bauchdecken abhängt. 
Ich selbst habe bei Cholelithiasis oft genug die Blase abge¬ 
tastet und meinen Hörern demonstrirt, schließe mich daher 
dem Ausspruche Rosenbkrg’s an. 

Dies wäre aber gewiß in viel höherem Maße der Fall, 
wenn die Bauchwand nicht so oft eine unüberwindliche 
Barriere abgeben würde. Die Gallenblase nämlich ist, wie 
jede andere Bauchgeschwulst, nur unter der Bedingung tastbar, 
wenn ihre Resistenz größer ist, als die der Bauchwand; daher 
auch die normale Leber, trotzdem sie den Rippenrand über¬ 
ragt, bei ihrer normalen geringen Resistenz so selten gefühlt 
wird. (In einer Kranken- und Operationsgeschichte Billroth’s 
fand ich vor Jahren sein Erstaunen darüber ausgedrückt, 
wie auffallend weich und consistenzlos sich die lebende Leber 
tasten läßt.) 

Nun ist selbst die gut gefüllte Gallenblase nicht häufig 
so gespannt und straff, um sich durch eine normal gespannte und 
normal dicke Bauch wand dem Tastsinne deutlich zu projiciren. 
Dazu kommt, daß bekanntlich Obesität und Gallensteine sehr 
oft mit einander einhergehen, wahrscheinlich sogar in ätio¬ 
logischer Beziehung stehen. Endlich ist noch ein Umstand in 
Betracht zu ziehen, nämlich die große Mobilität selbst der 
prall gefüllten Blase, welche dem tastenden Finger leichter 
ausweicht. All diese Verhältnisse machen die Zugänglichkeit 
des Organes zu einer schwierigeren, als es sonst in der Natur 
der Sache läge. Trotzdem ist nach meiner Erfahrung, wie 
gesagt, die Tastbarkeit der Blase keine allzu seltene, natür¬ 
lich bei mageren, tractablen Bauchdecken. Häufiger schon ist 
eine mit Steinen gefüllte Gallenblase zu palpiren, da hier 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 2. 


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die Spannung der Bauchwand fast immer durch die Resistenz 
des Tumors überwogen wird. Ich war sogar wiederholt in 
der Lage, zu entscheiden, ob nur ein oder mehrere Steine sich 
in der Blase befinden. 

Was die Palpation der einfach gallengefüllten Blase bei 
Cholelithiasis betrifft, so wird sie immer ein sicheres Zeichen 
dafür sein, daß das Concrement im Choledochus steckt; der 
dabei fast immer bestehende Icterus wird dies nur bestätigen. 
Der negative Befund der Blase bei vorhandenem Icterus läßt 
entweder die Deutung zu, daß der Stein im Hepaticus sitzt, 
schließt aber auch eine Occlusion des Choledochus nicht aus, 
da die Nichttastbarkeit der Blase noch keineswegs das Vor¬ 
handensein ihrer Füllung excludirt, besonders bei strammen 
Bauchdecken. Deutliche Gallensteinsymptome ohne Nachweis 
der Blase und ohne Icterus werden mit aller Wahrscheinlich¬ 
keit einen Verschluß des Cysticus annehmen lassen. 

* * 

* 

Als letzten Nachtrag zu den verschiedenen Anwendungen 
des salicylsauren Natriums habe ich noch zu bemerken, daß 
ich nach der jüngsten Empfehlung Werth eimber’s dasselbe in 
einem Falle von einfachem Pruritus ohne Icterus und ohne 
Nierenaffection bei einem Manne mittleren Alters mit glän¬ 
zendem Erfolge angewendet habe. Das Leiden hatte etwa 
5 Wochen gedauert, war mit verschiedenen äußeren Mitteln 
ohne Nutzen behandelt worden und war nach einigen Dosen 
des Salicylates beseitigt. 


Ein Fall von Dysphagie mit Oesophagus- 
dilatation.*) 

Von Dr. M&X Einhorn, Arzt am deutschen Dispensary in New-York. 

Ich möchte mir erlauben, Ihnen heute, meine Herren, 
einen Fall von Dysphagie mit Oesopliagusdilatation vor¬ 
zuführen. 

Die Oesophagusdilatationen zerfallen in zwei Gruppen: 
1. in solche, wo als Grund für die Dilatation eine Stenose 
sich nachweisen läßt, sei es, daß dieselbe bedingt ist durch 
eine krebsige oder narbige Strictur, oder durch eine obtu- 
rirende Geschwulst, oder ferner durch von Außen auf den 
Oesophagus drückende Tumoren, 2. in solche, wo man keine 
materielle Stenose nachzuweisen im Stande ist. 

Letztere Gruppe bildet die bei weitem seltener vor¬ 
kommenden Fälle und ist in der Literatur sehr spärlich 
vertreten. Fast alle diese Fälle (im Ganzen 17 *) sind erst 
bei der Autopsie richtig erkannt und beschrieben worden. 
Man betrachtete sie bis vor Kurzem allgemein als Fälle pri¬ 
märer Oesophagusdilatationen. 

Erst Anfang des Jahres 1888 hatMELTZER 3 ) zum ersten 
Male in der „Berl. klin. Wochenschr.“ einen Fall von Dys¬ 
phagie mit Oesophagusdilatation ohne anatomische Stenose zu 
Lebzeiten des Patienten beschrieben; M. fuhrt die Dysphagie 
bei seinem Patienten auf eine bestehende spastische Con- 
tractur der Cardia zurück und faßt die Erweiterung des 
Oesophagus als Folgeerscheinung auf. M. stellt überhaupt 
das Vorkommen von primärer Oesophagusdilatation in Frage 
und meint, daß die meisten beschriebenen Fälle als Ursache 
der Dilatation eine andere Störung gehabt haben mögen, wie 
etwa spastische Contractur der Cardia. 

Der Fall, der uns eben beschäftigt, gehört nun gleich¬ 
falls in die Gruppe von Oesophagusdilatation ohne anatomische 
Stenose; man möchte ihn eher als primäre Oesophagus¬ 
dilatation bezeichnen, allein gleich Meltzer möchte ich auch 
in meinem Falle die Dilatation nur als Folgeerscheinung 
einer anderen primären Störung auffassen. 

*) Vorgetragen in der Versammlung deutscher Aerzte New-Yorks. 

‘) Ziemssen's Handbuch, VII, I, p. 40. 

2 ) pBerl. klin. Wochenschr.“ 


Bevor ich jedoch auf diesen Punkt näher eingehe, ge¬ 
statten Sie mir, meine Herren, Sie mit der Krankengeschichte 
meines Patienten bekannt zu machen. 

Anamnese: 

J. W., 45 J. alt, Bibliotheksaufseher, hatte vor 25 Jahren 
Typhus glücklich üherstanden und erfreute sich seitdem eines voll¬ 
kommenen Wohlseins. 

Anfang Mürz 1888 fiel Pat. auf der Straßo um und stieß mit 
dem Rücken gegen eine kleine Anhöhe. 

Pat. stand selber auf und ging seinem Geschäfte nach, ohne 
etwas Besonderes zu verspüren. Am folgenden Tage hatte Pat. 
Schmerzen in seinem Oberkörper und in den Armen, allein sic hielten 
nur einige Tage an, um bald ganz zu verschwinden. 

Etwa 14 Tilge später fiel es Pat. auf, daß er nach der Mahl¬ 
zeit das Gefühl des Vollseins und der Beklemmung oberhalb der 
Gastralgegend hatte. Nach ferneren 2—3 Wochen merkte Pat., 
daß ihm das Herunterbringen von Speisen schwer wurde und ver¬ 
suchte mit warmem Wasser der £ache nachzuhelfen; so gelang es 
ihm, noch eine ganze Mahlzeit zu genießen. 

Im Mai mußte Pat. wegen der Beklemmung mitten in der 
Mahlzeit aufstehen und bei tiefem Ein- und Ausatbmen durch das 
Zimmer gehen; er pflegte mit seinen Händen auf den vorderen 
unteren Theil des Brustkorbs zu drücken und dabei die vorher aus- 
geführte Inspiration durch Verschluß der Glottis innezuhalten. 

Pat. gibt an, daß diese Anfälle während der Mahlzeit das Bild 
von Erstickungsanfällen darboten. Die geschilderte Manipulation 
brachte Pat. gewöhnlich Ruhe nnd er konnte wieder etwas genießen, 
dann aber wiederholte sich das Spiel von Neuem. 

Morgens konnte Pat. leichter essen wie Mittags. 

Etwa seit Juni fing Pat. an, sehr schlecht nnd unruhig zu 
schlafen (höchstens 3 Stunden während der Nacht); er hatte das 
Gefühl, als ob etwas innen auf- und abrutschte; er mußte dabei 
öfter husten, ab und zu wacbte Pat. auf und hatte seinen Mund 
voll Flüssigkeit, allein auch während des Wachseins kam dies 
öfter vor, jedoch nur im Liegen; im Stehen kam es niemals vor, 
daß Pat. etwas aus seiner Kehle entleerte. 

Pat. magerte ab, fühlte sich schwach und elend und konnte 
bald nur noch flüssige Sachen genießen. 

Pat. wurde, wie er sagt, wenn er feste Speisen vor sich hatte, 
derart ärgerlich, daß er dieselben mit Wuth von sich warf. 

Auch die flüssigen Substanzen konnte Pat. nur mit Mühe 
hinunterbringen; er pflegte seiue Arme nach hinten zu nehmen und 
im Stehen, den Kopf nach hinten gelehnt, und bei tiefer Inspiration 
mit geschlossener Stimmritze zu pressen. 

Sein Zustand wurde immer schlechter und trauriger; er 
magerte in diesen wenigen Monaten um 41 Pfund ab und kam am 
23. October 1888 nach dem deutschen Dispensary. 

Status praesens vom 23. October 1888: Pat. von großer, 
schlanker Statur, sieht bräunlichblaß aus; die Haut läßt sich 
überall in weiten Falten abheben. 

Die physikalische Untersuchung des Brustkorbes und Abdomens 
weist nichts Abnormes auf. Herztöne rein. 

P. 70, R. 20, Temperatur, dem Gefühle nach, nicht erhöht. 
Kniephänomen vorhanden und Pat. kann mit geschlossenen Augen 
stehen. 

Urin frei von Zucker und Eiweiß. 

Pat. klagt über die Unmöglichkeit, feste Speisen und Uber 
die Schwierigkeit, flüssige Speisen zu genießen, er könne dieselben 
nicht herunterbringen; außerdem habe er fast immer das Gefühl 
der Beklemmung in der Brust und huste recht viel, ferner sei sein 
Schlaf sehr schlecht. 

Unt ersuchu n gen dos Magens und d er Speiseröh re: 

1. Den 25. October 1888, um 8 Uhr Morgens. Pat. hatte 
eine Stunde zuvor etwas Kaffee getrunken. 

Sobald ein Theil der Sonde eingeführt wurde, kam eine kaffee¬ 
braune Flüssigkeit im Strahle heraus; in derselben fanden sich 
Speisereste und epitheliale Zellen vor. 

Pat. trinkt hierauf 100 Ccm. Wasser; am Schwortfortsatz ist 
kein Schluckgeräusch zu hören. Beim Einfuhren eines Theilos der 


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Sonde kommt das Wasser wieder heraus — neutrale ßeaction; der 
Schlauch wird dann, ohne Widerstand zu finden, bis iu den Magen 
vorgeschoben; Pat. exprimirt nun etwa 70 Ccm. einer kaffee¬ 
braunen Flüssigkeit, R. sauer HCl 4-, Acid. = 40, kein Pepton, 
kein Propepton. 

2. Den 5. November 1888, um 9 Uhr Morgens. In Folge 
von Appetitlosigkeit hatte Pat. seit 2 Uhr Nachmittags des vorigen 
Tages Nichts genossen. 

Die Sonde wurde 46 Cm., von den Schneidezähnengerechnet, 
eingeführt; es kam eine breiige Masse (150 Ccm.) heraus, in 
welcher sich noch kleine Semmelstückchen befanden. R. schwach 
sauer, Milchsäure -f, HCl = 0, Acid. = 4, Zucker -f. 

Pat. trinkt 100 Ccm. Wasser; der Schlauch wurde nur 
45 Cm. eingeführt, das Wasser kam, etwas getrübt durch Schleim 
und einige Speisereste, wieder heraus. (R. neutral, mikroskopisch: 
viele Epithelien und Coccen.) Die Sonde wird hierauf weiter ein- 
geftihrt; man fühlt einen Widerstand, der aber leicht überwunden 
wird, worauf dann der Schlauch in den Magen gelangt. Pat. wird 
angewiesen zu exprimiren, allein es kommen nur einige Tropfen 
einer klaren Flüssigkeit heraus. Der Magen war also leer. 

3. Deu 8. November 1888. Pat. hatte gefrühstückt, dann 
Wasser getrunken; eine Stunde später wurde er untersucht. 

Die Sonde wurde 36 Cm. eingeführt, da kam schon eine 
Flüssigkeit (keine Salzsäure enthaltend) heraus, hierauf wurde der 
Schlauch weiter ohne Widerstand in den Magen eingeführt. Durch 
Expression kam feiner Speisebrei heraus, derselbe enthielt Salzsäure 
und Pepton. 

4. Den 13. November 1888. Pat. hatte Eier, Weißbrod und 
Kaffee zu sich genommen, dann das forcirte Hinunterbringen der 
Speisen ausgeübt; eine Stunde später übte Pat., kurz vor der Unter¬ 
suchung, wieder einige Prcßactionen aus. 

Die Sonde wird 48 Cm. tief eingeführt; bei der Exspiration 
kommen etwa 8 Ccm. trüber Flüssigkeit heraus; dieso Flüssigkeit 
enthält zahlreiche Epithelzellen und ganz feine Semmelstückchen — 
keine Salzsäure. Die Sonde wurde dann weiter ohne Widerstand 
in den Magen eingeführt, es kommt nur ein Speisebrei heraus, der 
Salzsäure enthält. 

Pat. trinkt 200 Ccm. Wasser, die Sonde wird etwa 40 Cm. 
eingeführt, das Wasser kommt im Strahle heraus. 

5. Den 16 November 1888. Pat. hatte zu Hause gefrüh¬ 
stückt, darauf das forcirte Hinunterbringen der Speisen aus¬ 
geführt. 

Eine Stunde später wurde die Speiseröhre untersucht und leer 
befunden. — Die hintere Pharynxwand des Pat. wird gekitzelt, 
um Erbrechen hervorzurufen, was jedoch nicht gelingt. Darauf 
wird der Schlauch in den Magen eiDgeführt; es wird ein feiner 
Speisebrei exprimirt, der Salzsäure enthält. 

Der Magen wird hierauf mit Luft aufgebläht, die Luft streicht 
nicht an der Sonde vorbei. Die Luft aus dem Magen wird durch 
Offenlassen des Schlauches wieder hinausgelassen, sodann wird der 
untere Theil der Speiseröhre aufgeblasen; man kann eine beträcht¬ 
liche Menge Luft hineinblasen, ohne daß dieselbe zurückweicht, erst 
später fängt dieselbe an, an dem Schlauche vorbei nach oben durch 
die Speiseröhro zu entweichen. Hinten kann man zur Zeit der Auf¬ 
blähung der Speiseröhre einen etwas helleren Schall zu beiden 
Seiten der Wirbelsäule unterhalb des unteren Randes der Scapulae 
wahrnehmen, jedoch nicht sehr deutlich. (Schluß folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 


Aus dem pharmakologischen Institute der Univer¬ 
sität lierlin. 

Edmund Falk (Berlin): Ueber Hydrastinin und dessen 
Anwendung bei Uterusblutungen. 

Gelegentlich einer Studie über die pharmakologische Wirkung 
des nydrastins hat Verf. auf Anregung Langgaard’s seine Unter¬ 
suchungen auch auf ein Oxydationsproduct des Hydrastins, auf das 
von Dr. Frkukd d arge stellte Hydrastinin ausgedehnt und fand, daß 
dieses in vollständigem Maße diejenigen pharmakologischen Wir¬ 


kungen zeigte, die wir bei einem Mittel zur Stillung innerer Blu¬ 
tungen erwarten. Das Hydrastinin entsteht nach der Mittheilung 
Falk’s in den „Thor. Mon.“ aus dem Hydrastin durch Oxydation, 
wobei sich dieses in die Base Hydrastinin und eine Säure, die 
Opiansäure, spaltet. Das Hydrastinin ist in reinem Zustande voll¬ 
kommen weiß, in Alkohol, Aether und Chloroform äußerst leicht, 
in warmem Wasser schwer löslich; mit den meisten Säuren bildet 
es in Wasser leicht lösliche Salze. 

Das gebräuchliche salzsaure Salz ist in Wasser leicht löslich, 
die Lösung zeigt schwache Fluorescenz, besitzt gleich der freien 
Base eineu sehr intensiven bitteren Geschmack und ist optisch in- 
activ. Bei Fröschen wirkt Hydrastinin lähmend. Die Lähmung ist 
eine rein centrale. Die Sensibilität bleibt erhalten, ohne daß eine 
Steigerung der Reflexe stattfindet. Locale Wirkung zeigt Hydra¬ 
stinin nicht. Auf das Herz wirkt das Hydrastinin erregend, es 
kommt jedoch selbst durch große Dosen nicht zu einem vollständigen 
Stillstände des Herzens. 

Auch bei Warmblütern zeigt sich als wesentliches Symptom 
der Hydrastininvergiftung Lähmung. Es ruft ferner eine starke 
Gefäßcontraction hervor, daher die Blutdrucksteigerung bei Hydra¬ 
stinin anhaltender und stärker ist, als bei Hydrastin. 

Die Unterschiede in der Wirkung des Hydrastins und Hydra - 
stinins gehen am besten aus folgender Gegenüberstellung hervor: 


Hydrastin. 

1. Bewirkt ein tetanisches Sta¬ 
dium, das mit Steigerung der Reflexe 
beginnt, ihm folgt bei Kaltblütern ein 
Stadium der completen Lähmung, be¬ 
dingt durch Lähmung der motorischen 
Sphäre des Rückenmarkes. Bei Warm¬ 
blütern geht gewöhnlich das Stadium 
der Lähmung dem tetanischen Stadium 
voraus. 

2. Erzeugt Herzlähmung, und zwar 
werden (bei Kaltblütern) zuerst die 
herzhemmenden Ganglien, alsdann das 
automatische Ganglion gelähmt. Auch 
bei Warmblütern ist es ein H e r z g i f t. 

3. Hat locale Einwirkung auf die 
Musculatur. 

4. Bewirkt durch Reizung des 
vasomotorischen Centrums zunehmende 
Gefäßspannung und Blutdrucksteige¬ 
rung; dieselbe ist jedoch verliältniß- 
mäßig gering, nicht andauernd, sondern 
durch tiefes Sinken des Blutdruckes and 
Gefäßerschlaffung (besonders während 
der tetanischen Anfälle) unterbrochen. 

5. Während des Tetanus findet 
Pulsverlangsamung durch centrale Va¬ 
gusreizung statt, desgleichen findet sich 
Pulsverlangsamung im vorgerückten 
Stadium der Vergiftung. 

6. Auf die Reizung des vasomoto¬ 
rischen Centrums folgt eine Lähmung 
desselben, in Folge davon bis zu dem 
Exitus zunehmende Gefäßerschlaffung 
und Sinken des Blutdruckes. 

7. Der Exitus letalis erfolgt durch 
Herzlähmung. 


Hydrastinin. 

•1. Erzeugt bei Warm- und Kalt¬ 
blütern Lähmung durch Eiuwirkung 
auf die motorische Sphäre des Rücken¬ 
markes. Ein tetanisches Stadium existirt 
nicht. 


2. Steigert die Contractilität des 
Herzmuskels. Ein Herzgift ist es n i c h t. 


3 Hat keine locale Einwirkung 
auf die Musculatur. 

4. Bewirkt Gefäßcontraction, vor 
Allem durch Einwirkung auf die Gefäße 
selbst, in Folge davon Blutdrucksteige¬ 
rung. Dieselbe tritt anfangs periodisch 
ein, ist sehr bedentend, andauernd, 
durch keine Erschlaffangszustände unter¬ 
brochen. 

5. Mit der Blutdrucksteigerung geht 
eine durch centrale Vagusreizung be¬ 
dingte Pulsverlangsamung einher. 


6. Die bei dem Exitus eintretende 
Blutdrucksenkung ist eine secundäre, 
nicht durch Gefäßerschlaffung bedingt, 
und durch künstliche Respiration zu 
heben. 

7. Der Exitus erfolgt durch Läh¬ 
mung des Respirationscentrums. 


Klinisch wurden 26 Patientinnen mit Hydrastinin behandelt, 
und zwar erhielten dieselben zusammen ca. 400 Injectionen des salz- 
sauren Salzes in 5-, resp. lOproc. Lösung. In keinem Falle traten 
nach diesen Injectionen heftigere Reizerscheinungen oder Abscedirung 
auf. Hingegen lassen sich Infiltrationen im Unterhautzellgewebe nicht 
immer vermeiden. 


Dieselben verschwinden aber nach wenigen Tagen und ver¬ 
ursachen außer bei directem Druck keine Schmerzen. 

Nach der Injection entsteht ein leichtes Brennen; sämmtliche 
Patientinnen zogen bezüglich der Schmerzhaftigkeit das Hydrastinin 
bei weitem dem Ergotin vor. Das Hydrastinin wurde bei Meno- 
und Metrorrhagien ohne localen Befund, ferner bei Blutungen, die 
durch Metritis und Endometritis, durch Pyosalpinx erzeugt waren, 
endlich bei einer Reihe von Myomen angewendet. Unter 7 Fällen 
von Metrorrhagien ohne localen Befund bewährte sich das Hydra¬ 
stinin sehr gut bei congcstiver Dysmenorrhoe. 


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Bei ovariellen Blutungen, wie sie bei schwerer Hysterie Vor¬ 
kommen, erzielte Falk in 2 Fällen mit Hydrastiuiu keiuen Erfolg. 
In 2 Fällen von Pyosalpinx leistete Hydrastinin gute Dienste; es 
verringerte die Congestionen und verminderte die starken Blutungen. 
In 5 Fällen, in welchen die Metrorrhagien durch einfache hyper- 
plastische Endometritis verursacht waren, trat unter Anwendung des 
Hydrastinins wesentliche Besserung ein, und zwar hielt dieselbe nicht 
nur so lange an, als die Injectionen gemacht wurden, sondern selbst 
Monate nach SistiruDg der Behandlung. Weniger günstig waren 
die Resultate bei chronischer Metritis. Sehr gute Resultate erzielte 
Falk bei Myomen; nach wenigen Injectionen steht die Blutung, 
die vorher zuweilen 4— 8 Wochen gedauert hatte und durch Ergotin 
nicht beeiuflußt wurde. Unter den 26 mit Hydrastinin behandelten 
Kranken war nur in 4 Fällen kein Erfolg zu verzeichnen. 

Was die Art der Anwendung betrifft, so begann Falk häufig 
die Behandlung während der Blutung und sah bisweilen bei Endo¬ 
metritis schon nach der ersten Injection, bei Myomen nach wenigen 
Injectionen Sistirung derselben. Die günstigsten Resultate erzielte 
er jedoch, wenn er bei congestiver Dysmenorrhoe oder bei zu pro¬ 
fusen menstruellen Blutungen die Behandlung 6—8 Tage vor der 
zu erwartenden Menstruation begann. Er injicirte von einer lOproc. 
Lösung eine halbe 8pritze, d. i. 0 05 Hydrastininum mur., sobald 
die Blutung eintrat, täglich eino ganze 8pritze, d. i. 0 10, bis zum 
Aufhören derselben. Bei unregelmäßiger Blutung injicirte Falk 
jeden 2. Tag, resp. jede Woche 2—3mal 0 - 05 Hydrastinin. Die 


Verschreibung ist folgende: 

Rp. Hydrastinin. hydrochlor. . . . 1*0 

Aq. dest.10 - 0 


8. Zur subeutanen Injection */a—1 Spritze zu in- 
jiciren. 

Der Nachtheil des ziemlich hohen Preises des Hydrastinins 
mindert sich wesentlich durch den Umstand, daß man sehr geringe 
Quantitäten braucht, etwa im Monate bei einer Patientin nicht über 
1 Grm. M. 


Treymann (Riga): Zur Anwendung der Breus’sehen 
Zange. 

Auf dem I. Aerztetage der Gesellschaft livländischer Aerzte 
hielt T. einen Vortrag („St. Petersb. med. Woch.“ Nr. 47, 1889) 
über seine Erfahrungen mit der Beckeneingangszango von Bkeus. 
Nicht Neuerungssucbt, sondern die Noth der Praxis erklärte T. als 
den Grund, der ihn bestimmte, seine Aufmerksamkeit den Versuchen 
mit dieser Zange zuzuwenden, welche ihm als das einfachste und 
passendste aller derartigen Instrumente erschien. 

T. berichtet über 29 mit dieser Zange bei Hochstand des 
Schädels meist nach langer, geduldiger Exspectative ausgeführte 
Operationen (27mal von ihm selbst). 24mal bei einer Geburtsdauer 
von 30 bis zu 96 Stunden und meist sehr spät nach dem Blasen¬ 
sprunge, z. B. 15mal erst über 24 Stunden nach demselben, griff 
T. zur Beckeneingangszange. Von 29 Wöchnerinnen starb eine 
einzige (nach Stägiger Geburtsdauer). Von 29 Kindern leben 25. 

Auf seine sehr günstigen Erfahrungen hin empfiehlt T. die 
BHEiis’sche Zange den Collegen für schwere Geburten, wo die 
Wendung nicht mehr möglich ist und das Kind der Craniotomie 
verfallen würde. L. 


Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gebiete 
der Geburtshilfe und Gynäkologie. Unter Mitwirkung 
von Dr. Ahlfeld (Marburg), Dr. Bumm (Würzburg), Dr. 
Ernst Cohn (Berlin), Dr. Döderlein (Leipzig), Dr. Felsen¬ 
reich (Wien), Dr. Frommel (Erlangen), Dr. Löhlein (Gießen), 
Dr. Rüge (Berlin), Dr. Sänger (Leipzig), Dr. Schwarz (Halle), 
Dr. Stumpf (München), Dr. Veit (Berlin), Dr. Wiedow (Freiburg). 
Herausgegeben von Prof. Dr. Richard Frommel in Erlangen. 
II. Jahrgang. Bericht über das Jahr 1888. 8°. VIII und 651 
Seiten. Wiesbaden 1889. J. F. Bergmann. 

Schon durch seinen ersten Jahrgang erwarb sich der Jahres¬ 
bericht flbcr Geburtshilfe und Gynäkologie das literarische Bürger¬ 
recht, so daß der II. Jahrgang überall geebnete Wego antrifft. Er 


kann höchstens nur dazu beitragen, diesem literarischen Unternehmen 
noch mehr Anhänger zu verschaffen, als es sich solche schon im 
ersten Jahre seines Bestehens erwarb. Der Fachmann, namentlich aber 
derjenige, der literarisch thätig ist, kann den Jahresbericht nicht 
mehr missen. Aber auch der Arzt, der nicht zu den Specialisten 
zählt, wird den Anschaffungspreis für dieses Buch nicht bedauern, 
da es ihm ermöglicht, sich über die Fortschritte, die unsere Disci- 
plinen im verflossenen Jahre machten, binnen kürzester Zeit sofort zu 
orientiren. Und diesen specicll sei vorliegendes Buch empfohlen. 

Kleinwächter. 

Axel Key’g sohulhygienisobe Untersuchungen. In 

deutscher Bearbeitung herausgegeben von Dr. Leo Burger- 

Stein. Mit 12 Curventafeln. Hamburg und Leipzig 1889. 

Leopold V o 8 s. 

Axel Key’s epochemachendes Werk wurde von unserem 
Landsmanne, dem strebsamen Pädagogen und Schulhygieniker 
Dr. L. Bdrgerstein, in dieser Bearbeitung dem deutschen Fach¬ 
publikum zugänglich gemacht. Einzelne Capitel, wie „Einfluß der 
Arbeitszeit auf den Gesundheitszustand der Schüler“, oder „Ver- 
hältniß zwischen der Länge der Schlafzeit und dem Gesundheits¬ 
zustand“, sind durch die originellen, zahlreichen statistischen Nach¬ 
weise außerordentlich interessant und von wichtiger scientifischer 
Bedeutung. Das Werk ist eine wahre Fundgrube für den Arzt 
und Schnlhygieniker und kann dessen Verbreitung nur auf s Wärmste 
empfohlen werden. K. 


Zeitungsschau. 


Denguefieber und Influenza. 

Ref.: Dr. M. T. Sohnirer in Wien. 

(Schluß.) 

Nach Renvers (3) unterscheidet man 3 Formen der In¬ 
fluenza: Bei der einen tritt die Krankheit plötzlich, blitzartig auf; 
mitten in blühender Gesundheit bekommen die Kranken plötzlich 
Kopfschmerzen, Schwindel, heftiges Fieber (40—41°), Appetit- und 
Schlaflosigkeit, Stuhlverstopfung. Nach 10— 12 Stunden tritt 
Schweiß ein, und nach 24 Stunden hat die Krankheit ihr Ende 
erreicht. Die Kranken bleiben einige Tage matt, klagen über 
8chmerzen in den Gliedern uud Gelenken, sind aber nach einigen 
Tagen vollständig wieder hergestellt. Boi der zweiten Form ist ein 
gewisses Incubationsstadium wahrzunohmen, welches sich durch 
Husteu, Erbrechen und allgemeines Unwohlseiu kundgibt. Aber 
auch hier sind die Kranken nach etwa 10 Tagen wieder hergestellt. 
Der 3. Typus kann als nervöser bezeichnet werden ; die Krankheit 
sieht einem Typhus ähnlich nnd auch das Fieber dauert länger als 
sonst. Als Complicationen der Influenza kat Renvers catarrhalische 
Pneumonien wiederholt beobachtet. Milz- oder Nierenschwellung hat 
er nie gesehen, ebensowenig Exantheme. 

Nach Fürbringer (3) ist die Krankheit nicht ansteckend. 
Auf seiner Abtheilung wurden 47 Influenzakranke jüngst aufge¬ 
nommen, keiner isolirt, und trotzdem bekam keiner von den bereits 
vorhandenen 1000 Kranken des Hospitals Influenza, ebenso kein 
Arzt. Die 3 von Renvers erwähnten Typen gehen sehr oft in¬ 
einander über. Die Diagnose läßt sich sehr leicht stellen. Die 
grosse Prostration, die in gar keinem Verhältnisse zu den localen 
Störungen steht, läßt keinen Zweifel über die Natur der Erkrankung 
zu. Auch Fürbringer hat 2 Mul Pneumonie als CompHcation der 
Influenza gesehen. Therapeutisch thut Fürbringer nichts. Keiner 
seiner 47 Kranken bekam irgend ein Mittel, und trotzdem trat am 
4. Tage die normale Temperatur wieder ein und die Kranken 
erholten sich bald, obwohl die Fälle zu den schwereren gezählt 
werdeu müssen. 

Nach Paul Guttmann (3) neigen Personen mit chronischem 
Bronchialcatarrh leicht zu Influenza. 

Eine interessante Beobachtung theilte Hirsch mit (3). In 
Charlottenburg besteht ein Frauenkloster, dessen Insassen sehr 
schwächliche, meist brustkranke Personen sind, welche die Schwelle 

2 


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59 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


60 


des Gebäudes nicht übertreten und mit der Außenwelt nur indirect, 
mittelst anderer Personen, in Contact stehen. Obwohl nun in Char¬ 
lottenburg die Influenza sehr verbreitet ist, bekam keine der In¬ 
sassen des Klosters diese Krankheit. Es scheint somit dieselbe vom 
Menschen zum Menschen übertragbar zu sein. 

Auch Leyden (3) hat wiederholt Bronchialcatarrhe und catar- 
rhalische Pneumonien als Complication der Influenza beobachtet. 
Therapeutisch hat sich ihm ebenfalls Antipyrin bewährt. Das von 
Manchem so warm empfohleno Chinin scheint nach L. bei Influenza 
nicht angezeigt zu sein, weil »s die gastrischen Störungen vermehrt. 
Bezüglich der Ursache der Krankheit nimmt L. an, daß es sich 
um eine miasmatische Infection handelt, weil er keinen wirklich 
überzeugenden Fall von directer Ansteckung kennt, und weil die 
Erkrankung eine enorme und fast gleichzeitige Ausdehnung in ganz 
Europa erlangt hatte. 

Eine seltene Complication der Influenza bat Fiessinger (7) 
beobachtet. F. bezeichnet sie als chronische Lungencongestion und 
hat dieselbe in 2 von 126 Fällen gesehen. Bei einem 7- und 
bei einem zweiten 5jährigen Kinde nahm die Influenza ihren nor¬ 
malen Verlauf, aber die Kinder erholten sich nicht, der Husten 
blieb bestehen, ebenso schwandeu die abendlichen Temperatur¬ 
steigerungen nicht. Ueber dem rechten unteren Lungenlappen 
kürzerer Schall und abgeschwächtes Atbmen, keine Rasselgeräusche, 
keine Egophonie, aber eine deutliche Verstärkung des Stimmfremitus. 
Chinin vermag das Fieber nicht herabzusetzen. Nach 7, resp. 
8 Wochen verschwand die geringe Dämpfung, die Athmung nahm 
normalen Charakter an, das Aussehen der Kinder besserte sich und 
es trat völlige Genesung ein. Der Sitz der Erkrankung an der 
Basis der Lunge, der Beginn nach Influenza, der Verlauf und die 
Anamnese unterscheiden die Krankheit von Tuberculose. Bei chro¬ 
nischer Pneumonie ist bronchiales Athmen vorhanden, die Dämpfung 
und die Bronchopbonie sind mehr ausgesprochen. Gegen Pleuritis 
spricht der Mangel der Egophonie und die Verstärkung des Stimm 
fremitus. Die Behandlung bestand in Anwendung von ableitenden 
Mitteln (Jodtinctur, Vesicantien) und Tonicis (Chinin, Arsen, Alkohol). 


F e u i 11 e t o n. 


Ueber Hinrichtung. 

In jüngster Zeit hat der Oberste Sanitätsrath aus Anlaß des 
Umstandes, daß der neue Strafgesetz-Entwurf die Todesstrafe beibehält 
und zugleich festsetzt, dieselbe möge mit dem Strange vollzogen werden, 
ein Votum über die Todesstrafe an das Justizministerium erstattet, welches 
in Folgendem gipfelt: „Die Hinrichtung mit dem Strange bewirkt, 
wenn sie correct ausgefiihrt wird, fast sofortige Bewußtlosigkeit und 
in wenigen Minuten den Tod. Sie entspricht daher gewiß ihrem 
Zwecke. Der Umstand jedoch, daß der Tod nicht gleichzeitig mit 
der Bewußtlosigkeit eintritt und noch durch einige Minuten Wieder¬ 
belebungsfähigkeit besteht, und daß andererseits außer einer even¬ 
tuellen Ungeschicklichkeit, Befangenheit oder geringen Uebung dos 
Henkers auch verschiedene, entweder in dem Deliquenten liegende 
oder äußerliche Zufälligkeiten den prompten Effect verhindern oder 
stören können, sowie die Thatsache, daß das Henken für eine be¬ 
sonders schändende Hinrichtungsart gilt, lassen den Wunsch berech¬ 
tigt erscheinen, daß das Henken durch das Köpfen ersetzt werden 
möge.“ 

So weit der Oberste Sanitätsrath. Wie verhält es sich nun 
mit den vielfach wahrnehmbaren Angaben, daß in dem abgetrennten 
Kopfe noch einige Zeit das Bewußtsein bestehe? Ist doch schon 
so häufig von den Zuschauern einer Hinrichtung durch Köpfen die 
Behauptung aufgestellt worden, in den Veränderungen der Physio¬ 
gnomie des Geköpften seien Beweise für das Fortdauern des Be 
wußtseins und des Willens vorhanden gewesen. Die Augen werden 
verdreht — ein Beweis für Schmerz; die Lippen bewegen sich — 
natürlich zum Sprechen; der Mund wird halb geöffnet — um aus 
Wuth zu beißen; kurz jede Veränderung des Gesichtes wird als 
Beweis für das Fortdauern des Bewußtseius ausgenützt. Und nicht 
nur Laien, selbst Gelehrte von großem Anseben haben einst dieser 


Vielfach wurde in neuerer Zeit dio Influenza mit Denguefieber 
identificirt. Gegen die Identität dieser beiden Erkrankungen spricht 
nach Proust und de Brun (4) die Thatsache, daß das Denguefieber 
nie die nördliche Breite von 45° und die südliche von 21° über¬ 
schritten bat, ferner der Mangel der schwer belegten Zunge, der 
charakteristischen Knieschmerzen, der lobhafton Nicreuschmor/.cn, 
der fötiden Schweiße, der Abschuppung und des unerträglichen Juckens 
bei Influenza. Außerdem ist beim Denguefieber der Rcspirationsapparat 
nicht mitbetroffen. Gegen die Identität mit Denguefieber sprechen 
sich auch Brouahdel, Rociiard und Le Roy de Mericoijrt aus. 
Ebenso sprechen die meisten Mitglieder der Akademie gegen 
die contagiöse Natur der Erkrankung und folglich auch gogon die 
Nothwendigkeit prophylactischer Maßnahmen. 

Zur Verhütung der Influenza empfiehlt Graeser(6), der in 
Ost-Asien das Malariafieber prophylactisch mit Erfolg mittelst Chinin 
bekämpft hat, dieses Mittel frühzeitig anzuwenden, und zwar soll 
man nach G. täglich 0*5 Chinin in Alkohol oder Kapseln verab¬ 
reichen. 

Schließlich sei einer gut beobachteten Influenza Epidemie gedacht, 
die Fiessinger (8) beschreibt. Oyonnax ist eine kleine Stadt mit 
4000 Einwohnern, am Fuße des Juragobirges, in einer Höho von 
540 Meter gelegen. Der Temperaturwechsel ist dort ein ziemlich 
brüsker. Influenza-Epidemien sind dort nicht selten. Im Februar 
1888 befiel die Epidemie mehrere Kinder. Im April nahm dio 
Epidemie ab, doch blieben einzelne Fälle bis zum August; September 
und October blieben frei; Ende November flackerte die Epidemie 
wieder auf, erreichte im December ihr Maximum und nahm im 
Januar wieder ab. Nach den genauen Beobachtungen Fiessingeu’s 
sind dio die Influenza begüustigendeu climatischen Verhältnisse iden¬ 
tisch mit jenen, welche das Auftreten von Pneumonien begleiten. 
Diese Pneumonien haben off einen infectiösen Charakter. Zur Zeit 
der Influenza-Epidemie kommen auch zahlreiche Fälle von Erysipel, 
Puerperalfieber, Masern und Diphtherie vor. 


Ansicht gehuldigt. Kein Geringerer als Sormmering war es, der 
in einem vom 20. Mai 1793 datirfen Briefe an Oelsner den 
Kampf gegen die Guillotine eröffnete und mit einer Reihe allerdings 
mehr sentimentaler als wissenschaftlich richtiger Argumente den 
Nachweis zu bringeu versuchte, daß in dem vom Rumpf getrennten 
Kopfe das Bewußtsein eine Zeit lang porsistirt. Besonders in 
Frankreich, wo die Hinrichtung durch die Guillotine üblich war und 
ist, bat es nicht an Stimmen gefehlt, die auf Gruudlage von wissen¬ 
schaftlichen Arbeiten die Persistenz des Bewußtseins in dem abge¬ 
trennten Kopfe vertheidigten. Um diese nicht nur iu socialer und 
moralischer Hinsicht, sondern auch in physiologischer und gerichtlich- 
medicinischer Beziehung wichtige Krage endgiltig zu lösen, hat 
Dr. Paul Lüye unter Leitung Brouardel’s eine ganze Reihe sehr 
sinnreicher und sorgfältig ausgeführter Versuche angestellt, ferner 
persönliche Beobachtungen bei Hinrichtungen durch die Guillotine 
gesammelt und seine Resultate in einem sehr leseuswerthen Buche *) 
niedergelegt. 

Nach Loye treten beim decapitirten Hunde Bewegungen im 
Kopfe und im Rumpfe auf, die 2 Minuten anhalten. Beim ent¬ 
haupteten Menschen hingegen tritt sofort nach der Enthauptung 
absolute Unbeweglichkeit im Kopfe und im Rumpfe ein. Woher 
dieser Unterschied? Von den zwei wichtigsten Todesursachen bei 
der Enthauptung, der Blutäng mit Asphyxio und der heftigen Rei¬ 
zung der Nervenceutreu, überwiegt beim Huude die erstere, und die 
wahrnehmbaren Bewegungen sind nichts anderes als asphyctischo 
Convulsionen. Das im Kopfe und im Rumpfe verbliebene Blut kann 
nicht oxydirt werden; dann fließt das Blut rasch ab, die Gewebe 
bleiben ohne Sauerstoff und mit Kohlensäure überladen, daher die 
Asphyxie und die asphyctischen Convulsionen. Beim Menschen be¬ 
stehen zwar auch dieselben Bedingungen für das Zustandekommen 
der Asphyxie, doch kommt hier noch ein anderer Factor in Be- 

') La mort par la decapifation, par lo Dr. Paul Loyk. Paris. Les- 
crosnier & Babe. 


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61 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2 


tracht, d. i. die Hemmung. Unter dem Einflüsse des durch das 
Messer hervorgerufenen Shoks, unter dem Einflüsse der heftigen Er¬ 
regung des Nervensystems, erfolgt ein plötzliches Aufheben des 
Reflexvermögens und der automotorischen Fähigkeit der Nerven- 
centrcn. Hat aber die Erregbarkeit dieser Centren aufgehört, so 
tritt keine Reaetion auf peripherische Reize raohr ein und das 
asphyctische Blut kann keine Convulsionen mehr hervorrufen. Es 
kommt also weder zu einer Agonie, noch zu Zuckungen oder Be¬ 
wegungen irgend welcher Art; der Tod ist ein ruhiger, Kopf und 
Rumpf bleiben absolut unbeweglich. Der geköpfte Hund stirbt an 
Asphyxie, der geköpfte Mensch an Hemmung. Um nun diese in 
der Physiologie nicht gut annehmbare Differenz zwischen Mensch 
und Thier zu erklären, hat Loye nach vielfachen Versuchen die 
Trennung des Kopfes vom Rumpfe bei Hunden in der Höhe des 
verlängerten Markes vorgenommen. Fällt das Messer der Guillotine 
auf eine gewisse Stelle des verlängerten Markes — den Noeud 
vital — so zeigt der Hund gar keine Bewegungen, sondern bleibt 
absolut unbeweglich. Die Nervencentren verlieren daun auch hier 
das Reflexvermögen und ihre automotorische Kraft, der Tod ist 
identisch mit dem des Menschen. 

Aus den Versuchen von Loye ergeht ferner mit Sicherheit, 
daß der vom Rumpf abgetrennte Kopf von dem Momente der Tren¬ 
nung jede Spur von psychischem Leben verliert. Zuweilen zeigt 
die Physiognomie noch nach 1 — 2 Minuten einzelne Bewegungen. 
Das sind aber keine willkürlichen Acte mehr, sondern dor Ausdruck 
einer geringen Wiederkehr des Reflexvermögens und der automoto¬ 
rischen Eigenschaft der Nervencentren. Sofort nach der Enthauptung 
befindet sich denn auch der Kopf in physiologischen Bedingungen, die 
eine geistige Function unmöglich machen. Die heftige Blutung, das 
rasche Sinken des arteriellen Blutdruckes heben jede psychische 
Function gänzlich auf und die heftige Reizung des Halsmarkes sistirt 
jedes bewußte Leben sofort. Die Aufhebung des psychischen 
Ich ist eine definitive und kann selbst bei sofortigen Wiederbelebungs¬ 
versuchen nicht bekämpft werden. Eine Bluttransfusion in den ab¬ 
getrennten Kopf vermag die geistigen Functionen nicht wieder her¬ 
zustellen. 

Die Todesstrafe , die am besten den Anforderungen der 
Humanität entspricht, muß zwei Garantien bieten: 1. die, daß der 
intellecluelle Tod, der Verlust des Bewußtseins sofort eintrete; 2. daß 
dieser Verlust ein definitiver sei. Von allen bekannten Hinrichtungs¬ 
methoden erfüllt, wie die Versuche Loye’s mit Sicherheit darthun, 
die Decapitatiou diese Bedingungen am besten. Mit Recht be¬ 
zeichnet daher der Obersto Sanitätsrath diese Tödtungsart als die 
wünschenswertheste. 

In Bezug auf die in neuester Zeit in New-York gesetzlich 
cingcführle Hinrichtung durch Elcktricität verhält sich der Oberste 
Sanitätsrath abwartend. In New York selbst wird die elektrische 
Hinrichtung von fast allen Elektrikern vcrurtheilt. Die Legislatur, 
welche das Gesetz creirte, handelte nach Empfehlungen des be¬ 
treffenden Ausschusses, und letzterer hatte sich durch den Elektriker 
B. Bicown von der absoluten Sicherheit, Schnelligkeit und Schmerz¬ 
losigkeit der Tödtuug durch einen künstlichen Blitz überzeugen 
lassen. B. hat dann auch den elektrischen Hinrichtungsapparat 
construirt. Die unparteiischen Einwendungon der Experten gegen 
die Anwenduug der Elektricität zur Hinrichtung im Allgemeinen 
und die Benutzung des B.’schen Apparates im Besonderen lassen 
sich dahin zusammenfassen, daß die Kenntniß des Wesens der 
Elektricität noch viel zu ungenügend ist, um so ernste Experimente 
vorzunehmen. Brown stellte seine Versuche mit Thieren, nament¬ 
lich mit Hunden an und fand dabei, wie er selbst zugibt, daß die 
Widerstandsfähigkeit von Tbieren gleichen Gewichts und an¬ 
scheinend gleicher Stärke sehr verschieden ist. Während der eine 
Hund unter einem Schlage, der einem Kinde nicht schaden würde, 
sofort verendete, konnte der andere erst mit einem nahezu lOOmal 
stärkeren Schlag getödtet werden. Für diese Erscheinung gibt es 
noch keine Erklärung. Bei dem Menschen ist der Unterschied in 
der Widerstandsfähigkeit bekanntermaßen noch viel größer, als bei 
den Thieren. Dies ist oft durch die Wirkung von Blitzen erwiesen, 
wo Menschen fast unversehrt blieben, während Pferde und Rinder 
auf der Stelle getödtet wurden Andererseits ist es oft constatirt 


62 


worden, daß elektrische Auslösungen gleichen Grades bei der Be¬ 
rührung von elektrischen Drähten oder Maschinen den einen Menschen 
vollständig zu lähmeo, dem anderen nur zum Thoil zu schaden und 
den dritten nicht im Geringsten zu beschädigen fähig waren. Dafür 
sind noch keine wissenschaftlichen Gründe entdeckt worden, viel¬ 
mehr besteht das Einzige, was bezüglich dor Wirksamkeit der 
Elektricität auf den menschlichen Körper wissenschaftlich festgestellt 
ist, eben nur in der absoluten Unberechonbarkeit. Aber viel stärker 
als alle diese theoretischen Einwendungen ist der lebendige Beweis, 
welchen ein Elektriker, Namens Stevens in Boston, erbringen 
konnte. Dieser Mann fiel jüngst so unglücklich in eine elektro¬ 
dynamische Maschine, daß er mit der einen Hand den negativen 
und mit der anderen den positiven Pol berührte, so daß die volle 
Ladung der Maschine, ein Strom von 50.000 Kerzenstärke, in 
seinen Körper eindrang. Er wurde natürlich für todt erachtet; doch 
nach 8stündigen ärztlichen Experimenten mit dem vermeintlichen 
Todten und nachdem man ihn auf den feuchten Erdboden gelegt 
hatte, um die Elektricität aus dem Körper abzuleiten, kehrte er 
zum Leben zurück, und nach einigen Wochen war er wieder ge¬ 
sund. Er ist gegenwärtig viel kräftiger als jemals und die einzige 
Folge, die zurückgeblieben ist, besteht in einer ungewöhnlichen 
Reizbarkeit, wenn ein Gewitter zu ontstebeu droht. Der elektrische 
Schlag, den dieser Mann überlebte, war kräftiger, oder wenigstens 
ebenso kräftig wie derjenige, welchen der BnowN’sche Hinrichtungs¬ 
apparat erzeugen soll. 

Der einzige Vortheil dor Elektricität gegenüber der Decapita 
tion wäre übrigens blos der Umstand, daß kein Blut vergossen 
wird, und daß die Integrität des Körpers des Verurtheilten erhalten 
bleibt. Allein dieses in den Augen des Moralisten als Vortheil er¬ 
scheinende Moment ist für deu Criminalisten ein Nachtheil. Für 
diesen ist die Trennung des Kopfes vom Rumpfe ein wichtiger Um¬ 
stand, weil er den öffentlichen und unumstößlichen Beweis für den 
eingetretenen Tod liefert. Mit Recht betont daher dor Oberste 
Sanitätsrath, daß die Decapitation die sicherste und schnellste 
Tödtungsart ist, weil sie, wenn sie mit einer zweckmäßig con- 
struirten Maschine (Guillotine) ausgeführt wird, ein Versagen 
absolut aussohließt. 


Kleine Mittheilungen. 

— Das von Gottschalk empfohlene Menthol gegen Er¬ 
brechen Schwangerer (s. „Wiener Med Presse“, 1889, Nr. 43) 
hat Dr. L. Weiss in Meinessen mit eclatantem Erfolge angewendet. 
Patientin, die 3 Wochen hindurch jede Speise bald nach dem Genüsse 
wieder erbrach, brach nach dem Mentholgebrauch nicht wieder. 
Weiss empfiehlt, das Menthol nicht in der von Gottschalk 
empfohlenen Form zu geben, da es sich beim Wasserzusatz wieder 
ausscheidet. Gelöst bleibt das Menthol in folgender, von Weiss in 
der Januar-Nummer der „Therap. Mon.“ angegebenen Mischung: 


Rp. Menthol.1*0 

solve in 

Spirit, vini.20’0 

Syr. 8accb.300 


MDS. Stündlich 1 Theolöffel voll. 

— Klinisches und Experimentelles über Coma diabeticum 
und seine Behandlung theilt E Stadelmann (Dorpat) in Nr. 46, 
1889, der „Deutsch, med. Woch.“ mit. Nach ihm tritt Coma diabe¬ 
ticum (als solches von dem accidentellen Coma aus anderen Gründen 
abgesehen) nur bei Diabetikern auf, welche Oxybuttersäure im Harne 
nachweisen lassen. Fast gleichwerthig mit dem Nachweise der Oxy¬ 
buttersäure ist die Ammoniakbestimmung im Harne, die viel leichter 
zu machen ist. Diabetiker mit einer Ammouiakausscheidung von 
mehr als 1*1 pro die sind in Gefahr, in den schweren Diabetes über¬ 
zugehen. Diabetiker mit einer hohen Ammoniakausscheidung von 
2—4— 6 und mehr Grm. in 24 Stunden bedürfen fortdauernder 
Bewachung von Seiten des Arztes und schweben stets in Gefahr, 
dem Coma diabeticum zu erliegen. Ist die Untersuchung auf Oxy¬ 
buttersäure oder die Ammoniakbestimmung uicht anzustellen, wie 
das ja in der Praxis meistens der Fall, so muß wenigstens dio 
Eisenchloridprobe ausgeführt werden. Gelingt dieselbe, so ist auch 

2* 


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Nr. 2. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — 


Oxybntteraäure im Harne vorhanden. Das Umgekehrte ist dagegen 
nicht immer der Fall, da es Fälle von Diabetes mellitus mit Oxy- 
buttersäure, ja von Coma diabeticum ohne Eisenchloridreaction im 
Harne gibt. Solche schwere Diabetiker, bei denen Ammoniak¬ 
vermehrung oder Oxybuttersflure, Eisenchloridreaction im Harne sich 
findet, sind nur mit großer Vorsicht, am sichersten unter gleich¬ 
zeitiger Beigabe von Alkalien in einer der folgenden Formen, einer 
strengen Fleischdiät zu unterziehen. Hat man Ursache, den Ausbruch 
des Coma bei einem Diabetiker zu befürchten, so sind Alkalien in 
größerer Menge zu geben, natürlich unter genauer Beaufsichtigung 
und Beobachtung des Kranken und in entsprechenden Pausen. 

1. Rp. Acid. citric .... 8*0 

Natr. oarbon.18*0 

Saccharini.01—0’2 

Aq. dest.150-0 

Spirit. Menth, piper. gutt. III. 

DS. 2—3raal in 24 Stunden diese Saturation zu ver¬ 
brauchen. 

2. Rp. Natr. acet.10.0 

Aqu. carbon.90"0 

Saccharini.01 

Essent. citri.2 - 5 

DS. 3—4mal in 24 Stunden diese Saturation zu ver- 


brauchen. 

3. Rp. Natr. tartar. . 

. . 30-0- 

Aqu. carbon. . 

. . 200-0—300-0 

Saccharini . . 

. . 0-2— 03 

Essent. citri . 

. . 5-0 


DS. 1—2—3mal in 24 Stunden zu verbrauchen. 

Ist das Coma diabeticum eingetreten, so sind möglichst rasch, 
ohne zu zögern oder abzuwarten, reichliche intravenöse Injectionen 
von l 1 / a fach kohlensaurem Natron in physiologischer Kochsalzlösung 
zu machen, und zwar 1—l'/ a Liter einer 7—lOproc. Lösung, eben¬ 
falls natürlich unter genauer Beobachtung des Kranken. Mit der 
Infusion ist aufzuhören, sobald irgend welche bedrohliche Erschei¬ 
nungen (Unregelmäßigkeit des Pulses, starke Verlangsamung des¬ 
selben, Krämpfe, Aussetzen der Respiration etc.) sich einstellen. Mit 
den Infusionen ist eventuell nach einiger Zeit von Neuem zu be¬ 
ginnen, bis der Urin alkalisch geworden ist. Subcutane' Injectionen 
von kohlensaurem Natron sind zu verwerfen, weil sie sehr schmerz¬ 
haft sind und tiefgreifende Phlegmonen verursachen. 

— In einer unter der Leitung Ddjardin-Beaumetz’s ausge¬ 
führten Arbeit bat Gaodinau die physiologische und therapeu¬ 
tische Wirkung de8 Exalgin studirt und theilt die Resultate seiner 
Studien in einer jüngst erschienenen Dissertation mit, der wir Fol¬ 
gendes entnehmen: Das Methylacetanilid übt eine locale Wirkung 
auf die organischen Elemente aus, bei kürzerer Einwirkung werden 
die Muskeln zeitweise, bei längerer dauernd gelähmt. Subcutane In- 
jection bewirkt beim Frosche Trägheit der Bewegungen, die auf 
Lähmung der peripheren Nerven und einer gewissen Erstarrung 
der Nervencentren beruht. Die Athmung hört auf; der Herz¬ 
schlag ist verlangsamt. Bei Warmblütern tritt eine Blutverände¬ 
rung ein. Das Blut wird schwarz durch Reduction des Oxy¬ 
hämoglobins; bei längerer Einwirkung nimmt es die für die An¬ 
wesenheit von Methämoglobin charakteristische braune Färbung an. 
Zahl und Form der rothen Blutkörperchen wird nicht wesentlich 
verändert. Die Veränderungen der Blutmischung und der Athmung 
sind die Hauptursacben des Todes bei Warmblütern. Arterieller 
Druck, Energie der Herzthätigkcit, Reizbarkeit des Vagus werden 
wenig beeinflußt. Herabsetzung der Temperatur findet in der Periode 
der Asphyxie statt und wird kurz vor dem Exitus sehr beträchtlich. 
Das Exalgin ruft bei den Thieren clonische epileptiforme Krämpfe 
mit Schreien und Speichelfluß hervor; diese Anfälle worden durch 
freie Intervalle unterbrochen, während welcher das Thier sich ängstlich 
bewegt. Bei tödtlicher Dosis tritt unter andauernden Krämpfen 
Collaps und Exitus ein. Eine gewisse Gewöhnung an das Exalgiu 
thut sich dadurch kund, daß Thiere, die schon das Mittel erhalten 
haben, in der Folge größere Mengen vertragen können. Der thera¬ 
peutische Werth des Exalgins liegt hauptsächlich in seiner Wirkung 


auf das Nervensystem. In Einzeldosen von 0*25—0*6 Grm. oder 
Tagesdosen von 0 - 4—0-8 Grm. verabreicht, führt das Exalgin im 
Zeiträume von 1 / 2 —1 Stunde in allen Fällen von Neuralgie 
ein Aufhören der Schmerzen herbei; ebenso werden bei rheu¬ 
matischen Gelenkschmerzen, sowie bei ausstrahlenden Schmerzen 
bei Organleiden vorzügliche Erfolge erzielt. Dabei sind un¬ 
günstige Nebenwirkungen, abgesehen vou bald weiter gehendem 
geringen Ohrensausen und leichtem Gefühl von Trunkenheit, nie zu 
verzeichnen gewesen. Die Quantität des Urins sowohl, wie die Zucker¬ 
ausscheidung wird durch Exalgin vermindert, oft sogar in beträcht¬ 
licher Weise. Alle Kranken haben das Exalgin gerne genommen; 
viele sogar nach einmaliger Verabreichung stürmisch darnach ver¬ 
langt. Verf. gibt sodann eine Uebersicht über die Erfolge, die er 
in 75 Fällen von Neuralgien, Gelenksschmerzen, Epilepsie, Tuber- 
culose,' Diabetes, Tabes, Gicht etc. durch Darreichung des Exalgins 
in Bezug auf Linderung der Schmerzen erzielt hat. Die interessante 
Arbeit schließt mit einigen pharmakologischen Bemerkungen: Das 
Exalgin ist wenig löslich in kaltem, bessor löslich in warmem 
Wasser, gut löslich in Alkohol und schon in Wasser, dem etwas 
Alkohol zugesetzt ist. Folgende Art der Darreichung ist zu empfehlen: 


Rp. Exalgin.2*5 

Alcohol. Menth.15*0 

Aq. dest.190 0 

Syr. simpl.30*0 


MDS. Eßlöffelweise zu nehmen (1 Eßlöffel enthält 0’2 
Grm. Exalgin). Außerdem kann man das geschmack¬ 
lose Exalgin auch in Pulverform verabfolgen. 

— In der Frauenklinik Winckel’s sah Dr. Georg Letz ei, 
häufig Puerpcralgeschwüre unter täglichen Aetzungen mit Liquor 
ferri sesquichlorati rasch heilen. Durch diesen frappanten Erfolg 
angeregt, versuchte er die Behandlung der Ulcera mollia mit 
Liquor ferri sesquichlorati. Der erste Kranke hatte 5 charakte¬ 
ristische Geschwüre mit ausgenagtem Geschwürsrande und festhaf¬ 
tendem, schmutzig-gelbem Belage, welche in sulco coronario links 
vom Frenulum dicht nebeneinander saßen und ineinander zu ver¬ 
schmelzen drohten. Auf der dem Sitze der Geschwüre entsprechenden 
Seite war eine haseluußgroße, auf Druck schmerzhafte Schwellung 
einer oberflächlich gelegenen Leistendrüse zu fühlen. Nachdem L. 
die 5 Geschwüre täglich einmal mit unverdünntem Liquor ferri 
sesquichlorati 4 Tage hindurch energisch eingepinselt hatte, zeigte 
sich am 5. Behandlungstage an Stelle der in einander geflossenen 
Geschwüre eine 2 Cm. lange und 5 Mm. breite, mit kräftigen 
Granulationen besetzte Fläche, die sich auf mehrmals täglich wieder¬ 
holte Einpuderungen mit Calorael vapore parat, innerhalb 5 weiterer 
Tage völlig überhäutete. Die Leistendrüsenschwellung war nach 
Umschlägen mit einer starken Lösung von Liquor plumbi subacetici 
(3 Eßlöffel auf */* Liter Wasser) in 4 Tagen zurückgegangen. Der 
Schmerz bei den Einpinselungen wurde verhältnißmäßig leicht er¬ 
tragen ; eine entzündliche Reaction in der Umgebung der geätzten 
Geschwüre war nur iu wenigen Fällen und in diesen auch nur in 
sehr mäßigem Grade, nachzuweisen, und auf die schon vor den 
Aetzungen bestandene Inflammation der Leistenlyraphdrüse fehlte 
auch jeder nachtheilige Einfluß der Einpinselungen. Dieser günstige 
Erfolg bewog L., die geschilderte Behandlungsweise von nun an bei 
allen frisch in seine Behandlung kommenden Ulcera mollia eintreten 
zu lassen, und in allen hier in Betracht zn ziehenden 16 Fällen hat 
er immer die gleiche, schnelle Umwandlung der Geschwüre iu reine 
Granulationen durch 3—5 Pinselungen erzielt, worauf dann in 
wenigen Tagen auf Calomelinspersion schnell die Ueberhäutung er¬ 
folgte. Zu einer Abscedirung der Lymphadenitis inguinalis kam es 
nur iu einem Falle, bei dem aber das sehr unzweckmäßige Verhalten 
des betreffenden Kranken hervorgehoben werden muß. Die Schmerzen 
bei der Application des Liquor ferri sesquichlorati waren nur in 
3 Fällen derart, daß der Anwendung des Mittels eine CocaYnisirung 
der Geschwflrsflächen mit öproc. CocaYnlösung vorausgeschickt werden 
mußte; von diesen drei Kranken waren 2 hochgradig nervöse In¬ 
dividuen. Der Schmerz schwand immer 2—3 Minuten nach der 
Aetzung und wurde von verständigen Patienten als ein mäßiger ge¬ 
schildert und von denselben gerne ertragen, weil sie den schnellen 
Verlauf ihrer Erkrankung freudig beobachteu konnten. Die Einpin- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


gelangen sind nie den Patienten zu überlassen, sondern immer selbst ! 
mit einem kleinen Wattepinsel vorzunehmen, den man längere ' 
Zeit auf der Gesellwürsfläche angedrückt hält und mit dom man 
alle Buchten des Geschwürs gründlich ausreibt. i 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 3. Januar 1890. 

(Schluß.) 

Prof. Dr. Adam Politzer : Pathologie und Therapie des äußeren 
Atticu8 der Trommelhöhle. 

In einem durch Lupenpräparate und Zeichnungen erläuterten 
Vortrage erörtert P. die pathologisch-anatomischen Veränderungen 
des äußeren Atticus der Trommelhöhle. Mit diesem Namen be¬ 
zeichnet der Vortragende jenen zwischen Hammer-Amboßkörper und 
äußerer Trommelhöhlenwand befindlichen Raum, welcher nach oben 
vom Ligamentum mallei superius, nach unten von der Sbrapnkll- 
schen Membran begrenzt wird. In diesem Raume etabliren sich 
entweder primär oder secundär Entzündungsprocesse, welche häufig 
mit Durchbohrung der SflRAPNBLL’scben Membran verbunden sind 
und durch ihre besondere Hartnäckigkeit gegen therapeutische Ein¬ 
griffe das Interesse des Otologen für sich in Anspruch nehmen. 

Der Vortragende gibt zunächst eine kurze anatomische Skizze 
des genannten äußeren Atticus. Er demonstrirt an einer Anzahl 
von Präparaten, daß dieser Raum beim Neugeborenen noch durch 
embryonales Bindegewebe ausgefüllt ist, welches im Laufe des ersten 
Lebensjahres sich zurückbildet. Beim Erwachsenen ist der äußore 
Atticus tbeils durch den Bandapparat des Hammer-Amboßkörpers, 
theils durch Schleimhautfalten vom übrigen Trommelhöhlenraume ab¬ 
gesondert, doch bestehen zwischen beiden inconstante Commuuications- 
öffnungen, welche durch pathologische Processe verlegt werden 
können. Daraus erklärt sich die Thatsache, daß nicht selten patho¬ 
logische Processe im äußeren Atticus sich localisiren, ohne daß 
hiebei der übrige Trommelhöhlenraum in Mitleidenschaft gezogen 
würde. 

Nachdem P. noch an einer Reihe von Durchschnitten des 
Atticus das Vorkommen von inconstanten Brücken und Schleimhaut¬ 
falten in dem genannten Raume demonstrirt hat, geht er zur 
Schilderung der pathologischen Veränderungen im äußeren 
Atticus über, von denen im Folgenden eine kurze Uebersicht ge¬ 
geben werden soll. 

1. Ansammlung von Serum und Schleimmassen im äußeren 
Atticus mit und ohne gleichzeitige catarrhalische Veränderungen im 
übrigen Trommelhöhlenraume. 

2. Bindegewebswucherung im äußeren Atticus mit partieller 
oder vollständiger Ausfüllung des PRCSSACK’schen Raumes und des 
oberen Theiles des Atticus externus. 

3. Verwachsung der Membrana Shrapnelli mit dem Hammer¬ 
halse bis zum vollständigen Verschwinden des PRUSSACK'schen 
Raumes. 

Die letztgenannten Veränderungen sind in Folge Fixirung des 
Hammers und Ambosses mit mehr oder weniger ausgeprägten Hör¬ 
störungen verbunden. 

4. Eitrige Exsudatpfröpfe in den Maschenräumen des äußeren 
Atticus und im PRüSSACK’schen Raume bei acuten Processen. 

5. Rundzellen Wucherung und freies eitriges Exsudat in den 
genannten Zeiträumen mit theilweiser oder gänzlicher Ausfüllung des 
Atticus durch Granulationsgewebe. 

6. Perforation der Membrana Shrapnelli mit theilweiser oder 
gänzlicher Zerstörung derselben. 

7. Polypenbildung im äußeren Atticus. Der Vortragende de¬ 
monstrirt ein sehr interessantes, hieher gehöriges Präparat, an 
welchem die Wurzel eines durch die perforirte Membrana Shrapnelli 
hervorwuchernden Polypen sich bis zum Hammerhalse verfolgen läßt. 


8. Cholesteatombildung im äußeren Atticus mit theilweiser 
oder gänzlicher Zerstörung des Hammer-Amboßkörpers. 

9. Cariöse Einschmelzung des Margo tymp. bei localisirter 
Eiterung in demselben, ohne gleichzeitige Veränderungen in den 
vorderen Partien der Trommelhöhle. 

10. Bildung eines Fistelganges vom äußeren Rande des Atticus 
zur oberen Wand des knöchernen Gehörganges. Nach P. ist diese 
Fistel als die Erweiterung eines bisher noch nicht beschriebenen, 
vom äußeren Atticus zum äußeren Gehörgange hinziehenden Spaltes 
zu betrachten, welchen P. an mehreren normalen Gehörpräparaten 
vorfand, und der einen Bindegewebsstrang und eines oder mehrere 
Blutgefäße einschließt. 

Der Vortragende geht nun zur Besprechung der Therapie der 
Erkrankungen des äußeren Atticus über, speciell zu jenen eitrigen 
Formen , welche mit Perforation der Membrana Shrapnelli ver¬ 
bunden sind. 

Bei den einfachen Perforationen der SHRAPNELL’schen Mem¬ 
bran ist in erster Roihe die Beseitiguug der Sepsis im äußeren 
Atticus anzustreben. Einfache Ausspritzungen erweisen sich als un¬ 
zulänglich, da der Wasserstrahl wegen der engen Oeffnung nicht in 
die tieferen Räume zu dringen vermag. P. empfiehlt zur Aus¬ 
spülung der Höhle des Atticus die HARTUANN’sche Canüle oder ein 
neues, von ihm ersonnenes, mit einem elastischen Röhrenansatz ver¬ 
sehenes Instrument. Als Spülflüssigkeit wird eine 3° 0 ige wässerigo 
Resorcinlösung und bei sehr üblem Gerüche des Ausflusses wässerige 
Sublimatlösungen (1 : 2000) empfohlen. 

Nach wiederholten antiseptischeu Ausspülungen werden zur 
Beseitigung dos Ohrenflusses mehrere Tropfen einer gesättigten 
alkoholischen Borsäurelösuug (1*05 : 20) oder des Jodolspiritus, 
seltener einer conceutrirten Lösung von Nitras argenti (1 : 10) 
mittelst eiues durch die perforirte Membrana Shrapnelli vorge¬ 
schobenen, elastischen Röhrchens in den Atticus injicirt. In manchen 
Fällen leistet die Einführung dünner Jodoformstäbcheu in die eiternde 
Höhle vorzügliche Dienste. 

Wo bei hartnäckig fortdauernder Eiterung der Verdacht auf 
Caries der Gehörknöchelchen besteht, empfiehlt P. eine genaue und 
sorgfältige Sondirung der Höhle des Atticus, durch welche allein 
eine Caries der Gehörkuöchelchen oder des Margo tymp. constatirt 
worden kaun. Der Vortragende demonstrirt einen von ihm er¬ 
sonnenen Griff, durch welchen eine zarte und biegsame Sonde um 
ihre Lflngsaxe gedreht werden kann, wodurch die Höhle des Atticus 
nach allen Richtungen hin genau betastet werden kann. 

P. hält die in neuerer Zeit vielfach geübte Extraction des 
Hammers nur dann für indicirt, wenn die Caries desselben bestimmt 
nachgewiesen wurde, oder wenn bei ausgedehnter Trommelfell- 
perforatiou nur ein stumpfer Rest desselben zurückgeblieben ist, 
welcher ohne Nutzen für die Hörfunction ist. 

Bei nachgewiesenen Rauhigkeiten am Margo tymp. empfiehlt 
P. das Auskratzen mittelst kleiner scharfer Löffel und demonstrirt 
eine Anzahl derselben von verschiedener Größe und Krümmung. 
Der Vortragende schildert einige Fälle, bei welchen durch Aus¬ 
kratzen des erkrankten Knochens am Margo tymp. rasche Heilung 
einer langwierigen Eiterung gefolgt war, ohne daß hiedurch eine 
Verschlimmerung des Gehörs eingetreten wäre. 

Ebenso gelang es dem Vortragenden, in einer Reihe von Fällen 
Polypen und Granulationen aus dem äußeren Atticus mittelst der 
erwähnten scharfeu Löffelchen zu ontfernen, und wird ein Polyp 
vorgezeigt, nach dessen Entfernung mit einer kleinen Curette die 
Eiterung schon nach zwei Tagen vollständig sistirte. Desgleichen 
gelingt es, kleine Cholesteatome theils mittelst scharfer Löffel, theils 
durch die Einführung elastischer Canülen durch die SBRAPNELL’sche 
Membran herauszubefördern und mit einem Schlage eine Reihe 
äußerst lästiger Symptome, Schmerz, Schwindel, Eingenommenheit 
des Kopfes, zu beseitigen. 

P. spricht zum Schlüsse die Ueberzeugung aus, daß durch 
fortgesetzte Untersuchungen die Pathologie und Therapie der Er¬ 
krankungen dieses Raumes noch eine ausgedehnte Bereicherung er¬ 
fahren wird. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


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Sitzung vom 10 Januar 1890. 

Vorsitzender: Prof. v. Mosetig. — Schriftführer: Doc. Dr. 
Hoch enegg. 

Der Vorsitzende macht der Gesellschaft Mittheilung von dem 
Ableben zweier Mitglieder, Dr. B. Schulz und Doc. Dr. Pankth, 
und fordert die Versammlung auf, das Andenken der Verblichenen 
durch Erheben von den Sitzen zu ehren. 

Dr. LlHOTZKY stellt eine 21jährige Frau vor, bei der im 
Octobcr 1888 wegen eines allgemein verengten Beckens die Sectio 
caesarea nacli Sänger gemacht wurde und die sich jetzt neuerdings 
im 8. Monate der Gravidität befindet. Es ist dies der 7. Fall, bei 
dem nach Ausführung des conservativen Kaiserschnittes Schwanger¬ 
schaft eingetreten ist. Um die Pat. nicht der Gefahr eines neuen 
Kaiserschnittes auszusetzen, wird an der Klinik Chrobak die künst¬ 
liche Frühgeburt eingeleitet werden. 

Doc. Dr. R. Paltauf: Ueber Rhinosclerombacillen. 

P. hat im Laufe der letzten 3 Jahre 14 Fälle von Rhino- 
sclerom bacteriologisch untersucht, und zwar 3 Fälle von der ge¬ 
wöhnlichen Form mit Veränderungen in der Nase, am Gaumen und 
Pharynx, 5 Fälle von primärer Stenose des Larynx und der Trachea, 
bei welchen entweder gar keine Veränderungen am Gaumen vor¬ 
handen waren oder wo dieselben erst später auftraten, 2 Fälle mit 
alten Narben und nachträglicher Knotenbildung im Kehlkopf, die 
für Lues gehalten wurden, und 4 Fälle, bei denen die Erkrankung 
auf die Nasengänge beschränkt war, ohne Betheiligung der äußeren 
Nase. In allen diesen Fällen konnte P. die Rhinosclerombacillen 
fast in Reincultur nachweisen und züchten. Dieses constante Vor¬ 
kommen der Rhinosclerombacillen bei dor als Sclerom beschriebenen 
Erkrankung verleiht denselben eine differential-diagnostische Bedeu¬ 
tung, und in der That konnte P. durch das negative Resultat der 
bacteriologischen Untersuchung in 3 für Rhiuosclerom gehaltenen Fällen 
diese Erkrankung ausschließen, was durch die histologische Unter¬ 
suchung, resp. den klinischen Verlauf bestätigt wurde. Aus dem coti- 
stanten Vorkommen der Bacillen und aus dem durch sie bedingten 
eigenthümlichen Charakter des Granulationsgewebes glaubt P. auf 
die ätiologische Bedeutung dieser Bacillen schließen zu dürfen. 

Was die Unterschiede zwischen den Rhinosclerombacillen und 
dem FRiEDLÄNDER’schen Pneumouiebacillus betrifft, so fand P., daß 
die Culturen des ersteren früher vertrocknen als die des letzteren. 
Auf Zucker findet bei letzterem Gasentwicklung statt, bei 
ersterem nicht, schließlich gedeiht der Pneumoniebacillus auf sauren 
Nährböden (Bierwürze) noch, während dies beim Rhinosclerombacillus 
nicht der Fall ist. 

Hofrath MeynerT: Ueber Delirium tremens. 

Das Delirium tremens muß als ein Zustand hallucinatorischer 
Verworrenheit, der innerhalb des chronischen Alkoholismus meist 
nach erschöpfenden Ursachen (Hämoptoe, Pneumonie, Pleuritis, Traumen 
des Schädels, Verletzungen, erschöpfende Gemüthseinflüsse, gastrische 
Erkrankungen) auftritt, angesehen werden. Es verläuft gewöhnlich 
in 5 Tagen und dauert sehr selten mehr als 7. Der Verlauf des¬ 
selben läßt deutlich zwei Stadien wahrnehmen: 1. ein Angststadium; 
2. ein hallucinatorisches Stadium, ein Halbtraumzustand mit Be¬ 
schäftigungsdelirien. 

Das Angststadium wird vom Verfolgungswahn beherrscht, der 
sich durch seine besondere Intensität von den anderen Formen des 
Verfolgungswahnes unterscheidet. Während der Kranke bei Paranoia 
die Gefahren in der Ferne sieht, sind diese bei Delirium tremens 
momentane, unmittelbar drohende. 

Die Hallucinationen bei Delirium tremens sind dadurch ebarak- 
terisirt, daß sie vorwiegend Tasthallucinationen sind, daß sie eine 
große Multiplicität zeigen, und daß sie nie ruhende, sondern stets 
bewegte sind. 

Das gehäufte Vorkommen kleiner Gegenstände in den Hallucina¬ 
tionen bei Delirium tremeus wurde von Skoda auf Scotome zurück- 
gefübrt, die in Körperchen umgedeutet werden. Die Multiplicität der 
Tasthallucinationen kann auf periphere Reize zurückgeführt werden. 
Die Beweglichkeit der Hallucinationen läßt sich dadurch erklären, 
daß der das Delirium tremens hervorrufende toxische Reiz im 
ganzen Blute vertheilt und mit demselben fortbewegt wird. 


Die Beschäftigungsdelirien lassen sich ganz gut dadurch er¬ 
klären, daß bei dem raschen, acuten Auftreten des Deliriums die 
gewohnte Situation und ihre Eindrücke noch nicht abgeklungeu sind. 

Prof. Exner bemerkt, daß der Mensch die subjectiven Er¬ 
scheinungen (Schatten der Blutgefäße, sämmtliche Nachbilder etc.) 
deshalb nicht wahrnimmt, weil dieselben unbewußt durch eine Art 
Hemmung beim Mitgeheu währeud der Augenbewegungen ignorirt 
werden. Denken wir uns aber diese Hemmung durch einen Schwäche¬ 
zustand herabgesetzt, so mischen sich alle subjectiveu Wahrneh¬ 
mungen in unsere Eindrücke, und daher die Hallucinationen. S. 

Centralvereia deutscher Aerzte iu Böhmen. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse - .) 

Wintei-Gener. Iversauim'ung vom 13. Dec-*mber 1889. 

Prof. GUSSENBAUER demonstrirt eine Frau, welcher eine Der- 
moideyste in der Excavatio sacralis mit günstigem Erfolge ex- 
stirpirt worden ist. 

Bei der 3G Jahre alten Frau bestand seit der Geburt in der 
Gegend des rechten Tuber isebii und der Steißbeinspitze eine Ge¬ 
schwulst, aus welcher durch eine Fistelöffnung anfangs eine breiige 
Masse, später eine blutig tingirte Flüssigkeit sich entleert hat. Mit 
dem im 24. Jahre erfolgten Eintritte der Mense9 schloß sich die Fistel. 
Im Alter von 35 Jahren wurde sie schwanger. Am 17. Mai, am 
normalen Ende der Gravidität, wurde sie nach zweitägiger Geburts¬ 
dauer und nach zahlreichen Forcepsversuchen nach Perforation des 
Schädels mit dem Kephalotriptor entbunden. Als Geburtshinderniß 
wurde \on dem behandelnden Arzte nebst einem mäßig allgemein 
verengton Becken ein extravaginaler, die Scheide stark veren¬ 
gender, weit in’s Becken hinaufragender Tumor constatirt. Im An¬ 
schlüsse an diese schwere Entbindung erkrankte Pat. an einem 
schweren puerperalen Processe; es entstand am Perineum eine zweite 
Fistel, aus welcher sich bis zur Aufnahme Eiter und Jauche ent¬ 
leerte. Dabei bestand hohes Fieber, welches die Pat. sehr herab¬ 
brachte. 

Bei der am 29. September v. J. erfolgten Aufnahme auf die 
Klinik fand sich nebcu der Vulva auf der rechten Seite eine gegen 
das Vagiualrobr führende, granulirende, Eiter und Jauche secer- 
nirende Fistel, am rechten Tuber isebii ein die Haut vorwölbender 
Tumor und 2 Cm. unterhalb der Steißbeinspilze eine zweite Fistel, 
aus welcher gleichfalls Eiter und Jauche floß. Die Vaginalunter¬ 
suchung ergab Vorlagerung der rechten Vaginalwand durch einen 
weit in’s Becken hinaufziehenden Tumor , so daß die obere Grenze 
desselben nicht erreicht werden konnte. Durch das Rectum tastete 
man hinter der rechten Rectalwand einen mit der Muscnlatur des 
Rectum zusammenhängenden, nach oben nicht abzugrenzenden, weichen, 
elastischen, comprossiblen Tumor. Bei Compression der Geschwulst 
wurde atheromatöscr Brei aus den Fisteln gepreßt, und demnach die 
Diagnose auf eine Dermoidcyste in der Excavatio sa¬ 
cralis gestellt. Operation am 3. October. Der Tumor wurde in 
der linken Seitenlage durch Entfernung des Steißbeinos und der 
zwei letzten Kreuzboinwirbel von hinten her bloßgelegt. Er reichte 
bis zum Promontorium, war mit dem Bindegewebe des Beckons und 
der hinteren Wand des Rectum innig verwachsen und konnte des¬ 
halb nur an einzelnen Stellen stumpf abgelöst werden. Die ziemlich 
bedeutende Blutung mußte durch zahlreiche Ligaturen, theilweise auch 
mit dem Thermocauter gestillt werden. Günstiger Heilungsverlauf. 
Auch die Defäcation ging bald nach der Operation regelmäßig vor 
sich. Die Geschwulst erwies sich als eiu multiloculäres Dermoid. — 
Der Fall bietet eiu besonderes Interesse nicht nur wegen des seltenen 
Sitzes und der operativen Schwierigkeit, sondern auch dadurch, daß 
derselbe ein selten vorkommendes Geburtshinderniß abgegeben hat. 

Den in derselben Versammlung von Prof. v. Jaksch gehaltenen 
Vortrag „Ueber Tetanie“ werden wir nach dem Stenogramme 
unseres Referenten demnächst veröffentlichen. —z. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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Aus den Pariser Gesellschaften. 

( Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Soeiötö de biologie. 

Sitzung vom 30- November 1889. 

lieber die toxische Wirkung des Harns bei Epilepsie. 

Deny umd Chouppe haben bei 13 Fällen von idiopathischer 
Epilepsie den während 24 Stunden gelassenen Harn gesammelt und 
nach vorausgegangener Filtration in eine Ohrvene von Kaninchen 
injicirt. Gleichzeitig wurde am Tage jedes Versuches Gewicht und 
Temperatur des Kranken, Zahl der Anfälle notirt. Diese Versuche 
haben ergeben, daß der Harn der Epileptiker, gleich dem des gesunden 
Menschen, außerordentlich toxische Wirkung besitzt. Die Versuchs- 
thiere zeigten Myosis, Beschleunigung der Respiration, Erhöhung 
der Harnsecretion, Herabsetzung der Temperatur, Somnolenz und 
Coma, worauf der Tod zuweilen unter tetanischen Zuckungen erfolgt. 
Ein Unterschied in der Toxicität des Harns, vor und nach dem 
Anfalle, ließ sich nicht feststellen. 

lieber die Schutzimpfung gegen Cholera. 

GamalEüa berichtet über die jetzt nach vielfachen Versuchen 
geübte Schutzimpfung gegen Cholera bei Thieren. Der Cholera¬ 
bacillus wird in Bouillon aus Kalbsfüßen geimpft und die Culturen 
2 Wochen auf 35—38° gehalten, wobei man mindestens 3 Mal 
täglich die Cultur durchschtittelt, um die auf der Oberfläche sich 
ansammelnde Schichte zu präcipitiren und den Zutritt des Sauer¬ 
stoffs zur Cultur zu ermöglichen. Nach 2 Wochen wird die über 
der im Grunde des Gefäßes liegenden Masse befindliche Flüssigkeit 
decantirt und die zurückgebliebenen Zoogleamassen während 20 Mi¬ 
nuten auf 120° erhitzt. Der nun fertige Impfstoff kann durch 
2 wöchentliches Stehenlassen bei gewöhnlicher Temperatur noch 
wirksamer gemacht werden. Die schützende Wirkung der Flüssigkeit 
steht in parallelem Verhältnisse zu ihrer toxischen Wirkung. Der 
frische Impfstoff tödtet, in Dosen von 4—8 Ccm. in die Muskeln 
von Meerschweinchen injicirt, die Thiere mit Sicherheit. Die zwei¬ 
wöchentliche Cultur hat eine doppelte und dreifache Giftigkeit. 
Diese tödtliche Dosis des Impfstoffes macht die Thiore immun, wenn 
sie in fractionirten Dosen durch mehrere Tage eingebracht wird. 
Die so geschützten Thiere sind selbst gegen Infection mit ver¬ 
stärktem Choleragifte mit Sicherheit refraetär. 

Acadämie des Sciences. 

Sitzung vom 14. December 1889. 

Ueber die ophthalmoskopische Untersuchung des Augenhinter¬ 
grundes bei Hypnotisirten. 

Luys und Bacchi haben eine Reihe von Untersuchungen bei 
hypnotisirten Individuen über den Zustand der Circulation im Augen- 
bintergrunde angestellt. Bekanntlich zeigen die Augen der Hypno¬ 
tisirten eine Reihe von Veränderungen, die wohl auf eine gewisse 
Störung der Circulation hindeuten; so sind im cataleptischen 
Stadium die Augäpfel unbeweglich und die gesteigerte Sehstärke 
dieser Individuen ist höchst wahrscheinlich der Ausdruck erhöhter 
Circulationsthätigkeit. Im somnambulen Stadium erlangen die Aug¬ 
äpfel wieder ihre Beweglichkeit, sie zeigen aber uoch immer einen 
ganz besonderen Glanz und eine functionelle Hyperactivität. Diese 
Individuen können Details wahrnehmen, die im normalen Zustande 
dem Auge entgehen. Die Veränderung der Circulation im Augen- 
hintergrunde von hypnotischen Individuen hat nebst dem rein 
wissenschaftlichen auch ein eminent praktisches Interesse, da damit 
ein sicheres und objectives Merkmal für die Beurtheilung der 
Hypnose in gerichtlich-medicinischen Fällen gegeben ist. 9 Individuen, 
6 Frauen und 3 Männer, wurden in verschiedenen Stadien der 
Hypnose der ophthalmoskopischen Untersuchung unterzogen, nachdem 
die Augen jeder einzelnen dieser Versuchspersonen isolirt im normalen 
Zustande ophthalmoskopisch untersucht worden waren. Es zeigte 
sich nun, daß bei cataleptischen Individuen die Bläße der Retina 
sich plötzlich veränderte, die Papillen zeigten eine Rosafärbung, 
die früher wahrnehmbaren 3 concentrischen Zonen verloren die 
Deutlichkeit ihrer Conturen, welche ineinander übergingen, die 
Veuen und die Arterien waren deutlich dilatirt. Dieser Zustand von 
Hyperämie hielt während des ganzen Stadiums der Catalepsie 
unverändert an, dabei war die Iris sehr erweitert und fast un¬ 


empfindlich auf Licht. Dieser specielle Zustand von Hyperämie der 
Retina zeigte sich mit denselben Charakteren im Stadium der 
Fascination. Im Stadium des Somnambulismus blieben die erwähnten 
Veränderungen mit dem bloßen Unterschiede bestehen, daß die 
Papille eine weniger intensive Färbung zeigte, die Iris leichter be¬ 
weglich uud empfindlicher gegen Licht war. 

Sociötö mädicale des höpitanx. 

Sitzung vom 13. December 1889. 

Hayem: Ueber den diagnostischen und prognostischen Werth 
der Urobilinurie. 

Bekanntlich sind die Krankheiten der Leber im ersten Stadium 
ihrer Entwicklung sehr häufig latent, und für diese frühzeitigen 
Stadien hat nach H. die Untersuchung des Harns dieselbe diagno¬ 
stische Bedeutung wie bei Nierenkrankheiten. 

Während man aber bei letzteren hauptsächlich auf den Gehalt 
des Harns an Eiweiß, Harnstoff und Harnsäure achtet, muß man 
bei den Leberkrauken das Augenmerk auf die Pigmente und haupt¬ 
sächlich auf das Urobilin richteu. Die Urobilinurie ist, wenn sie 
constant vorkommt, ein untrügliches Zeichen, daß die Leber ihre 
Normalfunction eingebüßt hat. 

H. hat das constante Vorkommen von Urobilinurie in fol¬ 
genden Fällen beobachtet: 1. Im Beginne der alkoholischen Leber - 
cirrhose, deren erstes Symptom sie überhaupt bildet. 2. Bei Herz¬ 
kranken, deren Leber nicht vergrößert ist; in besonderen Fällen 
ist die Urobilinurie an und für sich schon ein Symptom von be¬ 
ginnender Lebererkrankung. 3. In einer großen Anzahl von acuten 
Krankheiten bei Alkoholikern, so z. B. bei Abdominaltyphus, bei 
welcher Erkrankung eine bedeutende Menge von Urobilin im Harn 
die Prognose in erheblichem Maße trübt. 4. Bei Wöchnerinnen und 
Ammen. 5. In den meisten Fällen von Kachexie, bei Krebs, insbe¬ 
sondere bei Tuberculose des Pericardiums und bei mit Tuberculose 
verbundener Fettleber. K. 


Notizen. 

Wien, 11. Januar 1890. 

(Die Influenza.) Die gegenwärtig den größten Theil 
Europas, den Norden Amerikas und Afrikas beherrschende Pan¬ 
demie scheint in Mitteleuropa ihren Höhepunkt überschritten zu 
haben. In Wien ist ein deutlicher Rückgang der Erkrankungsziffer 
zu constatiren, während die Zahl der Complicationen eher in Zu¬ 
nahme begriffen ist. Außer catarrhalischen und croupösen Pneu¬ 
monien in großer Zahl gelangen Neuralgien, Otitis media und monin- 
geale Processe zur Beobachtung. Leider ist die Aufstellung einer 
verläßlichen Statistik über Morbidität und Mortalität der Grippe 
unmöglich, da eine Anzeigepflicht für die Aerzte nicht besteht; der 
Antrag des n.-ö. Sanitätsrathes, nach welchem die öffentlichen 
Humanitätsanstalten wöchentlich ein summarisches Verzeichniß der 
aufgenomraeneu, entlassenen und gestorbenen Influenza-Kranken vor¬ 
zulegen und die Aerzte sachgemäße Beobachtungen über den Verlauf 
der Krankheit beizuschließen haben, verbürgt, falls er überhaupt 
zur Durchführung gelangte, eine nur sehr beschränkte Uebersicht 
des enormen Krankenmateriales. — Nicht ohne Interesse ist die 
von Bertillon, dem Chef des statistischen Bureaus der Stadt Paris, 
im „Bulletin m6d.“ soeben veröffentlichte Studie über die Mortalität 
von Paris im Monate December 1889, da zu Ende dieses Monates 
die Seinestadt von der Influenza arg in Mitleidenschaft gezogen 
worden war. Während im December der letzten drei Jahre die 
Gesammtsterblichkeit regelmäßig an 4000 betrug, ist die Mortalität 
im December 1889 auf G200 angestiegen. Dieser Zuwachs betrifft 
ausschließlich die letzte Woche des December, in welcher die Grippe 
eine enorme Ausbreitung gefunden hat, und ist ausnahmslos auf 
die erhöhte Sterblichkeit nach Erkrankungen der Respi¬ 
rationsorgane zurückzuführeu, von welchen namentlich Pneu¬ 
monie und Lungenphthise hervorragen. Ohne das Kindesalter ganz 
zu verschonen, betrifft die Sterblichkeit zumal Jünglinge und Greise, 
also das männliche Geschlecht. Gegenwärtig ist die Zahl der an 
Influenza Erkrankten eine so bedeutende, daß die „Assistance 
publique“ in den Gärten des Hospital Bcaujon Ambulanzen er 


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Nr. 2. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


richten ließ. — In London soll die Influenza-Epidemie, welche 
gegenwärtig in allen Stadttheilen gleichmäßig herrscht, und zumal 
iu Fabriken und commerciellen Etablissements zahlreiche Opfer 
fordert, im Ansteigen begriffen sein. In Norfolk haben die Aerzte 
zahlreiche, mit heftigem Fieber und Halsschmerz einhergehende Fälle 
beobachtet, bei welchen es zu Eruption eiues scharlachartigen oder 
petechialen Exanthems kam, ohne daß Antipyrin gereicht worden wäre. 

(Militärärztliche Tagesfragen.) Das soeben abge¬ 
laufene Jahr hat den Militärärzten der gemeinsamen Armee wenig 
Neues gebracht, doch auch nichts Schlechtes. Die Avancements 
waren „gut mittelmäßig“, die Beförderung der Oberärzte zu Regi¬ 
mentsärzten II. und dieser zur I. Classe eine raschere als noch vor 
wenigen Jahren. Mit Erreichung der letztgenannten Charge tritt 
noch immer ein langer, oft Jahrzehnte^langer Stillstand ein; viel¬ 
leicht werden die nächsten Jahre eine Aenderung zum Besseren 
verzeichnen. Unsere strebsamen Militärärzte würden ein rascheres 
Aufsteigen auf der gegenwärtig noch allzu hochsprossigen Leiter 
verdienen, denn — es darf wohl offen ausgesprochen werden — 
die Militärärzte der Gegenwart leisten sowohl dienstlich als wissen¬ 
schaftlich weitaus Ersprießlicheres, als ihre Vorgänger. Damit geht 
wohl die stete Erhöhung des Ansehens der Militärärzte bei 
ihren combattanton Kameraden Hand in Hand, eine überaus erfreu¬ 
liche, die bisher bekanntlich nicht immer angenehme Stellung des 
Arztes im Truppenkörper wesentlich fördernde Erscheinung, welche 
durch zwei Momente erheblich gesteigert werden könnte: durch Ge¬ 
währung des dem Arzte noch immer fehlenden Strafrechtes und 
durch die von unseren wackeren Militärärzten begehrte Commandirung 
des Arztes in die Gefcchtslinie. Wohl steht der Arzt am Hilfsplatze 
nicht außerhalb des Bereiches der feindlichen Kugeln; allein er 
steht noch immer im Rücken seiner Truppe, es ist ihm versagt, 
dieselbe in die Gefahr zu geleiten. — Die Bestimmungen des 
im abgelaufenen Jahre activirten neuen Wehrgesetzes bezüglich 
der Dienstpflicht der einjährig-freiwilligen Mediciner, welche nun¬ 
mehr ihr erstes Halbjahr bei der Truppe, das zweite im Garnisons- 
spitale — als promovirte Assistenzarztstellvertreter — abzudienen 
haben, werden von den Militärärzten als billig und zweckdienlich 
bezeichnet. In der That kann die uur in der Caserne zu erwerbende 
genaue Kenntniß der Mannschaftsverhältnisse dem zukünftigen Militär¬ 
ärzte — auch dem Reservearzte — nnr förderlich sein und dazu 
beitragen, die immer enger werdende Kluft zwischen Combattanten 
und Aerzten zu überbrUcken. Der Militärarzt soll die Waffe kennen, 
deren Träger seiner Obhut anvertraut ist; er soll im Stande sein, 
die Bedürfnisse des Mannes, dessen Leben und Pflichtenkreis zu 
bcurthcilcu, dessen Arzt zu sein er berufen ist. Dieses Verständniß 
wird sicherlich dazu beitragen, die Pflege eines Zweiges unserer 
Wissenschaft zu fördern, welcher bisher nicht in gebührender Weise 
berücksichtigt wurde, der Militärhygiene. Unser strebsamer 
„Verein der Militärärzte“, über dessen Leistungen wir nur Erfreu¬ 
liches berichten konnten, ist auch in dieser Richtung thätig und hat 
sich der Unterstützung der maßgebendcu Factoren versichert. Mögen 
diese Bemühungen der Gesundheitspflege unserer Armee baldigst zu 
Gute kommen! 

(Der niederösterreichische Landes-Sanitätsrath) 
hat in seinen letzten Sitzungen unter anderen folgende Anträge und 
Referate entgegengenommen: Den Antrag des San.-R. Dr. Kämmerer, 
die sogenannten Carbon-Natronöfen als gefährlich zu verbieten, ihren 
Verkauf und ihre Benützung zu untersagou; den Antrag des Reg.-R. 
Dr. Gauster, eine zweckmäßige Verbesserung und Erweiterung der 
Jahresausweise der Irrenanstalten betreffend; ein Referat des Sau.-R. 
Prof. Oser, die Beseitigung der sanitären Uebelstände auf der Pferde¬ 
bahn betreffend, endlich ein an anderer Stelle dieser Nummer mit- 
gelheiltes Referat desselben Mitgliedes über Evidonzhaltung und 
Prophylaxe bei Influcnzakrankcn. 

(Deutsche Pharraacopöe.) Wie aus Berlin berichtet 
wird, hat der Bundesrath beschlossen, die neu herauszugebende 
Pharm. Germ, in deutscher Sprache erscheinen zu lassen. 

(Dr. Josef Paneth j\) Am 4. d. M. ist hier der Privat- 
docent für Physiologie an unserer Universität, Dr. Josef Paneth, 
33 Jahre alt, an Lungenphthise gestorben. Trotz seines langjährigen 
Leidens zählte Paneth zu den fleißigsten und tüchtigsten jungen 
Gelehrten der Wiener mcdicinischen Facultät. Aus der Schule 


Brücke’s hervorgegangen, waudte er sich, nachdem er mehrere 
Jahre chemischen und chirurgischen Studien obgelegen, der Physio¬ 
logie zu, habilitirte sich 1886 als Docent dieser Doctrin und ver¬ 
öffentlichte zahlreiche, zum Theile aus Heidenhain’s, zumeist aber 
aus Brücke’s Laboratorium stammende Arbeiten, von welchen wir 
uur jene über das Epithel der Harnblase, über den Einfluß venöser 
Stauungen auf die Menge des Harnes, über den Einfluß des Wasser¬ 
stoffhyperoxyds auf Infusorien und die zum Theile mit Exner aus- 
geführten Untersuchungen über die motorischen Felder des Hunde¬ 
hirns hervorheben wollen. Am offenen Grabe Paneth’s hielt Prof. 
Exner einen warmen Nachruf, welcher die Verdienste des so früh 
seiner Familie, seinen Freunden und der Wissenschaft Entrissenen 
hervorhob. Ehre seinem Andenken! 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der greise Homöopath 
Dr. Adolf Gerstel, im 85. Lebensjahre; in Linz einer der hervor¬ 
ragendsten Aerzte Oberösterreichs, Dr. Johann Paül Thaler, Pro¬ 
fessor der Geburtshilfe an der dortigen Hebammenschule, Primararzt 
der Landesgebäranstalt, Präsident des Landes-Sauitätsrathes und 
Obmann des Vereines der Aerzte Oberösterreichs, 58 Jahre alt, an 
Pneumonie; in Halle a. S. der San.-R. Dr. Carl Ferdinand 
Kunze, in den weitesten ärztlichen Kreisen durch sein 1863 er¬ 
schienenes, seither neunmal aufgelegtes „Compendium der prak¬ 
tischen Medicin“ bekannt, 64 Jahre alt. 

Wie alljährlich erfreute auch heuer wieder die rühmliehst bekannte 
Firma Heinrich Mattoni das ärztliche Publikum durch Uebersendung 
eines geschmackvoll ausgestatteten und mit praktischen Notizen über den 
Gies.-hübler Sauerbrunn, Mation i’sMoor-Extracte, Mat ton i's 
Ofner Königsbitterwasser und das natürliche arsen- und eisenhaltige 
Mineralwasser „Guberq uelle“ versehenen Blockkalender für das Jahr 1890, 
der zugleich einen hübschen Schmuck des Ordinationszimmers bildet. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abon¬ 
nenten der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das Januar- 
Heft der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Zur 
Prognose neuerlicher Schwangerschaft nach conservativem 
Kaiserschnitte.“ Von Dr. Franz Torggier in Innsbruck. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Kundmachung, 

betreffend die provisorische Besetzung der Districtsarztesstelle für den Sanitäts- 
district Ober bürg. Die Stelle eines Sanitätsdistrictsarztes wird vorläufig 
provisorisch auf ein Jahr besetzt. Der Sanitätsdistrict Oberburg umfaßt die 
Gemeinden: Ober bürg, Laufen, Leutsch, Neustift und Sulzbach. Die Subvention 
für diese Districtsarztesstelle besteht in der Jahressubvention des Landesfondes 
pro 400 fl- und in den Subventionen des Bezirksausschusses Oberburg pro 
200 ti. und mehreren Gemeinden pro 200 fl., zusammen pro 800 fl. ö. W. 
Bewerber um diese Stelle müssen auch der sloveuischen Sprache mächtig sein. 
Zu den Verpflichtungen des anzustellenden Arztes gehört, sich zur Behand¬ 
lung der Armen im Sanitätsdistricte dem Bezirke und den Gemeinden zur 
Verfügung zu stellen, unentgeltlich daselbst die Todtenbeschau vorzunehmen, 
beziehungsweise zu überwachen und jene sanitätspolizeilichen Dienste zu leisten, 
welche den Gemeinden in den §§. 3 uni 4 des Gesetzes vom 30. April 1870, 
R.-G.-Bl. Nr. 68, vorgezeichnet sind. Bewerber um diese Stelle wollen ihre 
entsprechend documentirten Gesuche bis 10. Februar 1890 an den gefertigten 
Landesausschuß überreichen. 502 

Graz, am 3. Januar 1890. 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 

Bei der Stadtgemeinde Rudig kommt die Stelle des 

Stadtarztes zur Besetzung. Mit derselben ist ein Jahresgehalt von 300 fl. ö. W., 
sowie die Ausübung einer Hausapotheke verbunden. Bedingungen sind: Be¬ 
werber müssen Üoctoren der gesaramten Heilkunde sein und die Behandlung 
der Stadtarmen, sowie die Todten- und Fleischbeschau unentgeltlich besorgen. 
Die bezüglichen Gesuche sind bis 30. Jannar bei dem gefertigten Bürger¬ 
meisteramte einzubriugen und der Dienst womöglich sofort anzutreten. Be¬ 
merkt wird, daß schon in nächster Zeit Rudig zum Sitze eines Districtsarztes wird 
und der Stadtarzt die nächste Anwartschaft auf diese Stelle hat. 499 
Bürgermeisteramt Rudig in Böhmen bei Saaz. 

Ein Arzt, welcher in der Hydropathie bereits thätig 

war, kann Stellung in einer Kaltwasserheilanstalt als Ordinarius finden. 
Gehalt 1200 fl. Gef. Anträge zu richten: An die Annoncen-Expedition 
A. V. Goldberger, Budapest, Waitznerstraße 9. 500 

Stelle eines polizeiärztlichen Fnnctionärs bei dem k. k. 

Bezirks-Polizei-Commissariate innere Stadt in Wien. Jahresremnneration: 
400 fl. Gesuche mit dem Nachweise über die abgelegte Physicatsprüfung bis 
20. Januar bei der k. k. I’olizeidirectinn, I., Scliottenring 11, 2. Stock, 
Tliiir 50, «inzubringen. 


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Nr. 3. 


Sonntag den 19. Januar 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonutag 
2 bis 5 Boge i Grosa-^nart-Formnt stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
auftrftge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 ti., linlbj. 5 fi., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk„ halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-*eie*- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton and klinische Vorlesungen. Zwangsarbeitsanstalt oder Trinkerasyl? Von Dr. Adalbert Tilkowsky, Leiter der n.-ö. Landes¬ 
irrenanstalt in Klosterneuburg. — lieber die Principien der Therapie dor Herzkrankheiten. Von Prof. Dr. R. v. Basch in Wien. — Ein Fall von 
Dysphagie mit Oesophagns-Dilatation. Von Dr.JÜAX Einhorn, Arzt am deutschen Dispensary in New-York. — Neue Instrumente und Apparate. 
Die Improvisationskunst auf dem Verbandplätze. — Referate und literarische Anzeigen. Löhne : Eine neue Diabetostheorie. — M. Lokb 
(F rankfurt a. M.): Tetanie bei Magenerweiterung. — Das künstliche Trommelfell und die zu seinem Ersätze vorgesclilageuen Methoden. Eine 
otologische Studie von Dr. Rudolf Haug, Assistent der chirurgischen Poliklinik zn München. Angezcigt von Dr. A. Eitklbf.ro in Wien. — La 
Chaleur animale par Ch. Richkt, Professenr de physiologie n la faculte de m6decine de Paris, Directeur de la Revue scieritifique. Angezeigt von 
Docent Dr. R. v. Pfungen in Wien. — Feuilleton. Ueber Elektrolyse. Eine kritische Studie. Von Dr. Heinrich Weis» in Wien. — Kleine 
Mitteilungen. Behandlung der Schweißfüße. — Fall von Hundswuth nach mehr als zweijähriger Incubation und nach Behandlung im Pasteur- 
schen Institut. — Behandlung der Netzhautabhebung. — Chloral bei Strychninvergiftung. — Pikritsaures Ammoniak gegen Malaria. — Verhand¬ 
lungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein für innere Medicin in Berlin. (Orig.-Ber.) — Aus 
den Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) Soci6te de biologie. — Soci6t6 medicale des höpitaux. — Notizen. — Literatur. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zwangsarbeitsanstalt oder Trinkerasyl? 

Von Dr. Adalbert Tilkowsky, Leiter der n.-ö. Bandes-Irren¬ 
anstalt in Klosterneuburg. 

Unter den Vorschlägen, welche der k. k. Oberste Sanitäts¬ 
rath auf die von Seite der Regierung, betreffend die Errichtung 
von Trinkerasylen und zwangsweise Anhaltung Trunksüchtiger 
gestellten 7 Fragen in seinem ausführlichen Gutachten ge¬ 
macht hat, ist wohl keiner von größerer Wichtigkeit, als der¬ 
jenige, welcher die Errichtung von öffentlichen Trinkerheil¬ 
anstalten perhorrescirt und die detentionsbedürftigen Trinker 
in Zwangsarbeitsanstalten untergebracht wissen will. Dieser 
Vorschlag wird in folgender Weise motivirt: „Die Errichtung 
von öffentlichen Trinkerheilanstalten und die Erlassung eines 
Gesetzes, wonach Trunksüchtige gegen ihren Willen in solchen 
Anstalten untergebracht und detenirt werden könnten, ist 
nicht zu empfehlen, denn die Heilbarkeit der Trunksucht ist 
überhaupt eine problematische Sache. Speciell die Wahrschein¬ 
lichkeit, Trinker dauernd zu heilen, die zu einem H- ilversuche 
erst gezwungen werden müssen, ist so gering, daß es nicht 
gerechtfertigt erscheint, zu diesem Zwecke ein eigenes Gesetz 
zu erlassen und eigene Anstalten zu errichten ....... Die 

Entscheidung, ob für die Trinker eigene Anstalten zu er¬ 
lichten wären, wird mit Vortheil der Zukunft Vorbehalten 
werden, da zwar die Kostspieligkeit, aber nicht die Zweck¬ 
mäßigkeit eigener Anstalten für Trinker feststeht und da keine 
Erfahrungen über die solchen Anstalten zu gebende Aus¬ 
dehnung vorliegen, da ferner die bereits bestehenden Zwangs¬ 
arbeitsanstalten den Anforderungen, welche an solche Trinker- 
detentionsanstalten zu stellen wären, vollständig entsprechen; 
nur sollten die Trinker, wenigstens die weniger depravirten, 
in eigenen Abtheilungen, getrennt von den übrigen Zwäng- 
lingen, untergebracht und beschäftigt werden.“ 

So also lautet der Vorschlag des k. k. Obersten Sanitäts- 
rathes in Betreff der Unterbringung detentionsbedürftiger 
Trinker, (las wäre das Endresultat jahrelangen Kämpfens und 


Strebens nach befriedigender Lösung der höchst actuell ge¬ 
wordenen Trinkerfrage! 

Es ist nicht zu leugnen, die Idee, die detentionsbedürf¬ 
tigen Trinker in Zwangsarbeitsanstalten nnterzubringen, hat 
auf den ersten Blick etwas Bestechendes; sie beseitigt spielend 
alle Schwierigkeiten und ist so einfach, daß .sie fast wie das 
Ei des Columbus erscheint. 

Und doch können wir, so große Anerkennung auch die 
sonstigen sehr sachgemäßen Ausführungen des Gutachtens ver¬ 
dienen , gerade diesen Vorschlag als keinen glücklichen be¬ 
zeichnen ; ja wir halten es für unsere Pflicht, die warnende Stimme 
dagegen zu erheben, bevor die Regierung die Entscheidung 
gefällt hat. 

Wir wollen indeß diesen Theil des Gutachtens, sowohl 
nach seiner negativen, als nach seiner positiven Seite hin 
einer unbefangenen Prüfung unterziehen. 

Als Hauptgrund, weshalb von der Errichtung von 
Trinkerheilanstalten Umgang genommen werden soll, wird die 
geringe Aussicht auf Heilung der Trunksucht in’s Feld ge¬ 
führt. Angenommen, daß diese These richtig sei, so ist da¬ 
mit noch keineswegs die absolute Unheilbarkeit der Trunksucht 
behauptet; ja das Gutachten spricht sich selbst zur Frage III 
folgendermaßen aus: „Die Frage, oh die Trunksucht überhaupt 
geheilt werden könne, muß im Allgemeinen, wenn auch mit 
großer Reserve, bejaht werden.“ Es können somit, wenn nur 
ein noch so geringer Procentsatz von Heilungen der Trunk¬ 
sucht vorkommt, aus dieser Thatsache nicht dieselben Con- 
sequenzen gezogen werden, wie wenn die Trunksucht absolut 
unheilbar wäre, und man muß es im therapeutischen Interesse 
der Alkoholiker lebhaft bedauern, daß gerade die oberste 
Sanitätsbehörde es ist, welche den Vorschlag, öffentliche Heil¬ 
anstalten für Trinker zu errichten, keiner ernsten Discussion 
für werth erachtet. Das Gutachten selbst citirt die Berichte 
der amerikanischen Trinkeranstalten, in welchen 34 Proc. 
Heilungen Vorkommen sollen, ferner die Berichte des Trinker¬ 
asyls in Lintorf mit 28 Proc. Heilungen und der Anstalt 
Heimdal in Norwegen mit sogar G0 Proc. Heilungen. Wenn 
auch das, was das Gutachten in der Anzweiflung dieser Ziffern 
vorbringt, zum Theil als begründet zugegeben werden mag, 


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83 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


■-i 


so kann man doch unmöglich der Anschauung bcipflichtcn, 
daß die früher oder später recidiv gewordenen Trinker nicht 
als wirklich, sondern nur als angeblich Geheilte aufgefaßt 
werden sollen. Unter diesem Gesichtspunkte gäbe es dann 
überhaupt keine Heilungen, sobald eine Recidive erfolgt. Eine 
Person, welche beispielsweise nach einem Jahre zum zweiten 
Male an einer Lungenentzündung erkrankt ist, darf nach 
dieser Theorie von ihrer ersten Krankheit nicht als genesen 
betrachtet werden, selbst wenn sie das ganze Jahr sich wohl 
befunden und ihre Geschäfte besorgt hatte. Das wären die 
Folgen einer solchen Auffassung. Die in Irrenanstalten aller¬ 
dings häufig gemachte traurige Erfahrung, daß geheilt ent¬ 
lassene Alkoholiker in kurzer Zeit wieder zur Aufnahme ge¬ 
langen, darf uns jedoch andererseits das befriedigende Gefühl 
darüber nicht verkümmern, daß in vielen Fällen der geheilt 
Entlassene entweder erst nach Jahren oder gar nicht wieder¬ 
kommt. 

Aber selbst gesetzt den Fall, es stände um die Heilungen 
der Trinker wirklich so schlimm, als das Gutachten annimmt, 
wären die Trinkeranstalten darum minder nothwendig, auch 
wenn sie nicht Trinkerheil an st alten im vollsten Sinne des 
Wortes sein könnten? Die Irren-Pflegeanstalten, die Siechen- 
anstalten weisen gewiß auch minimale Procente von Heilungen 
auf, und doch wird Niemand die Nothwendigkeit solcher An¬ 
stalten bestreiten wollen. 

Nachdem nun das Gutachten in Bezug auf die Errich¬ 
tung von Trinkerheilanstalten aus Heilungsrücksichten sich ab¬ 
lehnend verhält, entsteht die Frage, für welche Kategorie von 
Trinkern und unter welchem Rechtsgrunde die Detention der¬ 
selben in Zwangsarbeitsanstalten gefordert wird. Darüber er¬ 
halten wir wenig klare und noch weniger befriedigende Aus¬ 
kunft; ja wir stehen nicht an, diesen Theil des Gutachtens 
für dessen schwächste und anfechtbarste Seite zu erklären. 

Eine gewisse Schwierigkeit liegt allerdings in der stricten 
Beantwortung der Frage I, ob die Trunksucht als krankhafter 
Zustand oder als moralisches Gebrechen dos Individuums auf¬ 
zufassen sei. Selbstverständlich kommen hier all die Fälle, 
wo Alkoholmißbrauch zu eigentlichen Geistesstörungen geführt 
hat, ganz außer Betracht; diese Fälle sind wirkliche Psychosen 
auf alkoholischer Grundlage und gehören als solche in die 
Behandlung der Irrenanstalt. 

Hier handelt es sich um die noch nicht formell geistes¬ 
gestörten , resp. um die nach einer acuten Geistesstörung 
(Delirium tremens) wieder klar gewordenen Gewohnheits¬ 
trinker. 

In dieser Beziehung differenzirt das Gutachten die Trinker 
in 3 Kategorien: 

1. in die Dipsoraanen, periodisch Trunksüchtige oder 
Quartalsäufer; 

2. in jene Fälle von vorgeschrittener Trunksucht, in 
denen es durch die Giftwirkung des Alkohols schon zu einer 
gewissen ethisch-intellectuellen Depravation gekommen ist, 
oder wo heftige Abstinenzsymptome den Trinker zur Fort¬ 
setzung des Lasters nöthigen; und 

3. in jene Fälle von Trunksucht, wo diese Folgen noch 
nicht zu Tage treten. Das wären also die im Initialstadium 
der Trunksucht befindlichen, beziehungsweise die nach erfolgter 
Heilung recidiv gewordenen Trinker. 

Obwohl nun das Gutachten in erschöpfender Weise alle 
Beweismittel anführt, welche für den krankhaften Charakter 
der Trunksucht sprechen, obwohl es auf den Einfluß der Here¬ 
dität, auf die verschiedenen schädlichen Einwirkungen, wie 
ßchädelverletzungen, Insolation, heftige psychische Erschütte¬ 
rungen und wirkliche Hirnerkrankungen als ätiologische Mo¬ 
mente der Trunksucht hinweist, ja, indem das Gutachten aus 
der präsumirten Thatsache, daß die vollständige Heilung der 
Trunksucht ein seltenes Vorkommniß sei, die Möglichkeit der 
Annahme zuläßt, daß in der psychischen Organisation des 
Trinkers irgend etwas fehlerhaft, krankhaft sein müsse, obwohl 
dies Alles vorausgeschickt wird — kommt das Gutachten 


84 


dennoch zu dem überraschenden Schlüsse, „daß die theoretische 
Entscheidung des Streites, ob die Trunksucht ein Laster oder 
eine Krankheit sei, in suspenso bleiben kann; daß aber vom 
Standpunkte der Gesetzgebung aus und nach der im Sprach- 
gebrauche herrschenden Auffassung der Worte Krankheit und 
Laster die gewöhnliche nicht periodische Trunksucht als ein 
Laster und nicht als eine Krankheit zu bezeichnen ist“. 

Nachdem hier der 1. Kategorie als der periodischen und 
unbedingt als krankhaft bezeiclineten Form der Trunksucht 
die gewöhnliche nicht periodische Trunksucht als lasterhaft 
entgegengestellt wird, bleibt man darüber im Unklaren, ob 
mit dieser nicht periodischen Form die beiden anderen Kate¬ 
gorien zusammen, oder ob nur die 3. Kategorie allein gemeint 
sei. Aus der Fassung der Worte des Gutachtens muß man 
das erstere annehmen. Dieser Annahme steht jedoch die bei 
der Definirung der 2. Kategorie am Schlüsse hinzugefügte 
Bemerkung im Wege, wonach die vorgeschrittene Trunksucht, 
in welcher es schon zu der erwähnten ethisch-intellectuellen 
Depravation gekommen ist, gewiß als eine Krankheit, aber als 
eine selbstverschuldete, bezeichnet wird. 

Das Gutachten qualificirt also nur summarisch die nicht 
periodische Trunksucht als ein Laster, und zwar vom Stand¬ 
punkte der Gesetzgebung aus. Diese Einschränkung läßt 
durchschimmern, daß man die Trunksucht von einem anderen 
Standpunkte aus, z. B. vom medicinischen, anders beurtheilen 
könne, was an einer anderen Stelle noch näher angedeutet 
wird mit den Worten: die Frage I sei deswegen besonders 
schwierig zu beantworten, weil die Antwort verschieden ausfallen 
müsse je nach dem Standpunkte, auf den man sich dieser Frage 
gegenüber stelle. Heißt das nicht ungefähr mit anderen 
Worten: Nach unserer medicinischen Einsicht in das Wesen 
und die Entstehung der Trunksucht sprechen sehr viele Mo¬ 
mente für den krankhaften Charakter derselben; wir unter¬ 
ordnen jedoch unseren Standpunkt unter den der Gesetzgebung, 
welche die Detention der Trinker in Zwangsarbeitsanstalten 
beschließen mag! Damit aber eine solche Maßregel beschlossen 
werden könne, bleibt nichts Anderes übrig, als die Trunksucht 
nicht für eine Krankheit, sondern für ein Laster zu erklären. 
Die strengen Consequenzen, welche mit logischer Folgerichtig¬ 
keit aus dieser These gezogen werden, lassen deutlich er¬ 
kennen, daß sie wohl nur in usum delphini aufgestellt wurde. 

Und nun sind wir erst recht in ein Labyrinth von 
Schwierigkeiten gerathen. Wir wollen dieselben in Folgendem 
andeuten. 

Nach dem Gutachten ist die Detention nicht eine Ma߬ 
regel zur Heilung; ihr Hauptgrund ist die Gemeingefähr¬ 
lichkeit des Trinkers. Darauf hat ein Jurist in treffender 
Weise geantwortet. Im Novemberhefte 1889 der Zeitschrift 
des „Oesterreichischen Vereins gegen Trunksucht“ finden wir 
in der Kritik des Gutachtens von Seite des k. k. Gerichts- 
adjuncten Juliüs Giegl folgende bezeichnende Stelle: „End¬ 
lich ist aber auch die Gemeingefährlichkeit überhaupt kein 
Grund zur zwangsweisen Detention. Es wurde hier augen¬ 
scheinlich der Rechtsgrund der zwangsweisen Detention von 
Geisteskranken in den Irrenanstalten herangezogen, um die 
Detention von Trunksüchtigen in Zwangsarbeitsanstalten zu 
begründen. Der Rechtsgrund der zwangsweisen Detention 
in Irrenanstalten ist aber die zugleich von Zurechnungs¬ 
unfähigkeit begleitete Gemeingefährlichkeit der Kranken, 
während die .Anhaltung von Individuen in Zwangsarbeits¬ 
anstalten weder mit deren Gemeingefährlichkeit, noch mit 

ihrer Zurechnungsfähigkeit irgend etwas zu thun hat. 

Gemeingefährlich, und zwar in viel höherem Grade sind sehr 
viele andere Individuen, schnell rückläufige Verbrecher, excen¬ 
trisch veranlagte Personen u. dgl. Und doch wird daraus 
nicht die Berechtigung ihrer zwangsweisen Internirung ge¬ 
folgert. Der einzelne Act, in welchem sich die Gemeingefähr¬ 
lichkeit manifestirt, unterliegt der Repression durch die Strafe; 
zu weiteren gesetzlichen Vorkehrungen kann die Gemein- 
gefährliehkeit allein keinen Anlaß bieten, den einzigen Fall 


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1890 . 


Wiener Medizinische Presse. 


86 


. — Nr. 3. 


eben ausgenommen, daß sie begleitet ist von Zurechnungs- 
Unfähigkeit. “ 

Man könnte zu diesen trefflichen Ausführungen noch be¬ 
merken: Wenn schon die Detention der Trinker in Zwangs¬ 
arbeitsanstalten aus dem Grunde ihrer Gemeingefährlichkeit 
rechtlich zulässig wäre, wie lange müßte dann die Detention 
dauern, um ihren beabsichtigten Zweck zu erfüllen? In logi¬ 
scher Consequenz des Gutachtens wohl zeitlebens, da ja nach 
den Anschauungen des k. k. Obersten Sanitätsrathes die De- 
tention nicht zum Zwecke der Heilung, die ja eine problema¬ 
tische sei, sondern wegen Gemeingefährlichkeit des Trinkers 
erfolgen soll. Letztere hört jedoch nicht auf, wenn der 
Trinker beispielsweise nach 1 Jahre aus der Detention ent¬ 
lassen würde, weil er eben nicht als geheilt erscheint; folglich 
erfüllt die Detention nur einen temporären Zweck und ist in 
Bezug auf das spätere Verhalten des Trinkers nutzlos. 

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Auswahl der 
für die Detention in Zwangsarbeitsanstalten geeigneten Fälle. 
Das Gutachten bezeichnet die der 1. Kategorie angehörigen 
Trinker, die Dipsomanen oder Quartalsäufer, als entschieden 
krankhaft. Was soll nun mit diesen geschehen? In die Zwangs¬ 
arbeitsanstalt dürfen sie nicht, weil sie krank sind, und in die 
Irrenanstalt passen sie auch nicht, weil sie trotz der innigen 
Beziehungen ihrer Störung zu anderen periodischen Psychosen 
nicht direct geisteskrank sind. 

Aber auch hinsichtlich des Schicksals der 2. und 3. Kate¬ 
gorie, welche beide unter dem Begriffe der nicht periodischen 
oder continuirlichen Trunksucht zusammengefaßt werden, kommt 
man einigermaßen in Verlegenheit. Sollen sämmtliche nicht 
periodische Trunksüchtige in Zwangsarbeitsanstalten angehalten 
werden, so trifft diese Maßregel unbedingt auch die Fälle der 
2. Kategorie, in welchen es durch die Giftwirkung des Alkohols 
schon zu einer ethisch-intellectuellen Depravation gekommen 
ist, und bezüglich welcher das Gutachten selbst die Krank¬ 
haftigkeit anerkennt. Sind aber die ethisch - intellectuell de- 
pravirten Trinker zufolge ihr6s krankhaften Charakters von 
der Detention in Zwangsarbeitsanstalten ausgeschlossen, dann 
weiß man wieder nicht, was man mit ihnen anfangen soll. 
Und gerade diese Sorte von depravirten Trinkern ist es, 
welche zu den störendsten Elementen in den Irrenanstalten 
gehört und deren Beseitigung aus denselben im Interesse der 
eigentlichen Geisteskranken dringend geboten ist. 

(Schluß folgt.) 


lieber die Principien der Therapie der 
Herzkrankheiten. 

Von Prof. Dr. R. V. Basch in Wien. 

(Fortsetzung.) 

Als eine indirecte Behandlungsmethode kann man bei 
Arhythmie jedenfalls auch körperliche Bewegung versuchen. 
Ein solcher Versuch ist zum Theil auch durch die Erfahrung 
gerechtfertigt, die lehrt, daß Arhythmien bei stärkerer körper¬ 
licher Bewegung vorübergehend verschwinden, und es spricht 
hieftir auch die physiologische Betrachtung. Nehmen wir näm¬ 
lich an, daß die großen und kleinen Pausen, welche die regelmäßige 
Herzthätigkeit unterbrechen, auf einem Ueberwiegen der Vagus¬ 
apparate beruhen, so wäre es denkbar, daß, wenn durch 
körperliche Bewegung die Accelerantes cordis auf reflectori- 
schem Wege erregt werden, diese Erregung den Vagustonus 
nicht aufkommen läßt. Die Möglichkeit übrigens, Arhythmien 
durch Acceleransreizung zum Schwinden zu bringen, ist auch 
experimentell begründet. Es wurde nämlich in zwei ver¬ 
schiedenen Versuchsreihen in meinem Laboratorium gezeigt, 
daß die durch Muscarin und auch die durch Strophantin er¬ 
zeugte Arhythmie sich durch Acceleransreizung vorübergehend 
beseitigen läßt. 

Es wäre endlich auch denkbar, daß, so wie bei der Brady- 
cardie, durch das tiefere Athmen, welches die vermehrte 


Körperbewegung begleitet und die hiemit verbundene stärkere 
Ausdehnung der Lunge im Sinne des HKkiXü’schen Versuches, 
der Vagustonus schwächer wird, vielleicht sogar erlischt, und 
hiemit müßten die Intermissionen auf hören. 

Von einer ähnlichen Ueberlegung ausgehend, könnte man 
auch warme Bäder versuchen, nur nicht heiße, denn von diesen 
letzteren weiß ich aus Versuchen, die ich schon vor vielen 
Jahren zu meiner eigenen Belehrung angestellt habe, daß sie 
nicht nur den Puls beschleunigen, sondern daß sie auch 
Arhythmien hervorrufen können. Atropin muß aus denselben 
Gründen wie bei der Bradycardie versucht werden. Meiner 
Erfahrung nach pflegt unter dem Gebrauche von Atropin die 
Arhythmie, wenn auch nicht ganz zu schwinden, so doch sich 
wesentlich zu bessern. 

So viel über die Functionsstörungen, die den Herz¬ 
rhythmus betreffen. 

Wir kommen nun zu den Störungen der Herzarbeit, 
und zwar, wie ich nochmals wiederholen muß, zu jenen Stö¬ 
rungen, die nicht zur Kreislaufstörung führen. 

Es kann nämlich die Thätigkeit des Herzens im Ganzen 
darniederliegen, und sie kann auch im Ganzen über die Norm 
erhöht sein, ohne daß die Symptome, Dyspnoe und Oedem, 
sich vordrängen. 

Die darniederliegende Thätigkeit des Herzens wollen wir 
mit dem Namen Hypokinese, die gesteigerte Thätigkeit des 
Herzens als Hyperkinese des Herzens bezeichnen. 

Wodurch charakterisirt sich die Hypokinese klinisch ? 
Erstens durch die niedrige Pulsspannung und zweitens durch 
den Mangel der Symptome der Kreislaufstörung. 

Die niedrige Pulsspannung bedeutet jedenfalls, daß das 
Herz schwach arbeitet. Der Grund dieser schwachen Arbeit 
kann aber ein mehrfacher sein. Er kann im Herzen, er kann 
auch außerhalb des Herzens liegen. 

Im Herzen selbst liegt der Grund, wenn das Herz keine 
kräftige Contraction aufzubringen vermag; außerhalb des 
Herzens liegt derselbe, wenn die Widerstände, gegen welche 
das Herz arbeitet, sich bedeutend herabgesetzt haben, oder 
wenn der Zufluß des Venenblutes zum Herzen stellenweise 
durch mechanische Hindernisse beeinträchtigt wird. Das erstere 
tritt ein, wenn der Gefäßtonus der kleinen Arterien sich er¬ 
weitert, letzteres ereignet sich, wenn, sei es durch Exsudate, 
Verwachsungen im Brustraume, oder durch Geschwülste etc. 
im Bauch raume, das Lumen der Vena cava ascendens oder das 
der Vena portae verengt wird. 

Es ist außerordentlich schwierig, diese beiden Formen 
der Hypokinese, von denen ich die eine, als vom Herzen 
ausgehend, als primäre Hypokinese und die andere, als von 
außen herrührend, als secundäre Hypokinese bezeichnen 
möchte, von einander zu trennen. 

Wenn man sich den Unterschied auf Grund physiologi¬ 
scher Betrachtungsweise construirt, so muß man sich sagen, 
daß aller Wahrscheinlichkeit nach bei der primären Hypokinese 
beider Herzhälften die Arterien sowohl, als die Capillaren sehr 
schwach sein werden, daß aber in den Körpervenen, nament¬ 
lich in jenem Antheil derselben, in welchem das Fließen sehr 
erschwert ist, wo die Schwere und die vis a tergo als be¬ 
günstigende motorische Momente Wegfällen, und wo die Um¬ 
gebung der Ausdehnung der Venen keine Hindernisse bietet, 
Blut in größerer Menge stagniren wird. Da unter diesem Ver- 
hältniß dem rechten Herzen nur wenig Blut zuströmt, so wird 
auch das linke Herz nur in geringem Grade angefüllt werden. 
Bei einem derartigen Kreislaufmodus muß die Gesammternäh- 
rung eine schlechte sein, mit ihr muß die Leistungsfähigkeit 
des Gesammtorganismus derart leiden, daß schon die geringste 
körperliche oder geistige Arbeit zur Ermüdung führt. Wenn 
hier in den abschüssigen Körpertheilen, also am Knöchel, 
Oedeme auftreten, darf wegen des stagnirenden Venenblutes 
nicht Wunder nehmen; auch Ohnmachtserscheinungen sind 
leicht verständlich. 

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Nr. 3 


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Solche Zustände von primärer Hypokinese spielen gewiß 
bei Chlorose, Anämie, bei Folgezuständen erschöpfender acuter 
und chronischer Krankheiten eine wichtige Rolle. 

Die Behandlung muß hier einzig und allein auf Kräfti¬ 
gung des Gesammtorganismus bedacht sein. Körperbewegung 
scheint mir in solchen Fällen nicht angezeigt, denn man muß 
hier Alles vermeiden, was den O-Gehalt des Blutes vermindern 
oder seinen CCL-Gehalt steigern kann, und hiezu gehört die 
Muskelbewegung, wenn sie nicht durch kräftige Athmung 
unterstützt werden kann; das gilt namentlich für den Fall, 
als das hypokinetische Herz sich rascher als gewöhnlich contra- 
liirt. Denn bei ohnehin rascherer Schlagfrequenz droht sehr 
leicht bei Körperbewegung eine Ermüdung und in Folge der¬ 
selben eine Insufficienz des Herzens. 

Bei der secundären Hypokinese braucht das Herz gar 
nicht schwach zu sein, d. h. unfähig zu einer stärkeren Ar¬ 
beit. Auch seine Füllung kann eine genügende sein, selbst 
die Arterien und Capillaren größerer Gefäßgebiete können hin¬ 
reichende Blutmengen beherbergen, und zwar dann, wenn die 
schwache Herzarbeit, wie sie der niedrige Blutdruck in den 
Arterien anzeigt, durch ungewöhnlich geringe Widerstände 
gegen den Abfluß des Blutes aus dem Herzen bedingt ist. 

Eine Ansammlung von größeren Blutmengen in den 
Venen braucht hier nicht statt zu haben, ja im Gegentheil, 
wie Experimenente, die in meinem Laboratorium ausgeführt 
wurden, mit Sicherheit zeigten, wird der Venendruck niedrig, 
wenn ein Sinken des Aortendnickes durch Erweiterung der 
Gefäße herbeigeführt wird. Bei derartigen Kreislaufsvcrhält- 
nissen kann auch die Ernährung eine gute sein, nur kann sich 
zumeist die mangelhafte Blutfüllung des Gehirns durch die 
betreffenden Symptome geltend machen. 

Die Diagnose solcher Fälle von secundärer Hypo¬ 
kinese läßt sich eigentlich nur durch die Behandlung machen. 
Wenn es in solchen Fällen gelingt, durch Tonica, speciell 
Strychnin, den Blutdruck zu erhöhen, wenn hiemit gewisse Er¬ 
scheinungen der Blutleere des Gehirnes schwinden, so hat man 
das Recht, anzunehmen, daß vorher der Tonus der Gefäße 
darniederlag, und daß er durch die tonische Behandlung ge¬ 
hoben wurde. 

Außer der Behandlung durch Strychnin dürfte die syste¬ 
matisch durchgeführte Kaltwasserbehandlung zu Resultaten 
führen. Denn die Hydrotherapie gebietet nicht blos über 
Mittel, die oberflächlichen Hautgefäße zu verengern, sie kann 
auch Reflexe hervorrufen, durch welche die Verengerung der 
Gefäße des Unterleibes, die dem Splanchnicus gehorchen, be¬ 
wirkt wird. 

Körperbewegung ist in solchen Fällen schon deshalb in- 
dieirt, weil, wie schon erwähnt, Muskelbewegung den Blutdruck 
steigert. Hier entfallen übrigens jene Gründe, welche die Muskel¬ 
bewegung bei der primären Hypokinese als unräthlieh er¬ 
scheinen lassen. 

A m allerwichtigsten und zugleich am allerhäufigsten sind 
jene Fälle von secundärer Hypokinese des Herzens, die auf 
Erweiterung der Gefäße des Unterleibes beruhen, jene Fälle, 
die in der Praxis mit dem Namen Plethora abdominalis be¬ 
zeichnet werden. Welche große Li olle erfahrungsgemäß hier 
Körperbewegung, Regulirung des Stuhlganges, Kaltwasser- 
curen spielen, ist sattsam bekannt und brauche ich dies nicht 
besonders auseinander zu setzen. 

Die Hyperkinese des Herzens, die sich durch hohe 
Pulsspannung auszeichnet, ist in der Regel die Folge eines 
durch Veränderung der Gefäßwände erzeugten vermehrten 
Widerstandes. Diese Vermehrung bedingt eine Mehrleistung 
des Herzens, an welche sich eine Hypertrophie desselben an- 
sehließt. 

Die Ursache dieser Mehrleistung liegt dort klar zu Tage, 
wo cs sich um deutlich sichtbare, fühlbare, ausgesprochene 
Arteriensderose. und zwar eine Sclerose der oberflächlichen 
Arterien, wie der T< mporalis. der Radialis handelt. Aber auch 
da. w'o die Existenz einer solchen in vivo nicht nachgew iesen 


werden kann, wo aber die hohe Pulsspannung auf eine ver¬ 
stärkte Herzaction, auf eine Hyperkinese hindeutet, und zudem 
die Percussion eine Vermehrung des Herzvolumens vermuthen 
läßt, muß man, meiner Meinung nach, gleichfalls einen ver¬ 
mehrten Gefäß widerstand als Ursache derselben annehmen, d. i. 
man muß die Annahme machen, daß Veränderungen im Gefä߬ 
gebiete vorliegen, die der gewöhnlichen klinischen Untersuchung 
und selbst der groben anatomischen Untersuchung entgehen. 

Bei einer Hyperkinese des Herzens muß man allerdings 
noch an zwei andere Ursachen denken , an die beschleunigte 
Herzaction und die vermehrte Blutmenge. Nach bekannten 
physiologischen Erfahrungen hält aber die Blutdrucksteigerung, 
die sowohl durch beschleunigte Herzaction als durch Ver¬ 
mehrung der Blutmenge entsteht, nie dauernd an, und es liegt 
demnach keine Berechtigung vor, die beschleunigte Herzaction 
und die Vermehrung der Blutmenge als Ursache der Hyperkinese 
anzusehen. 

Ist aber kein Grund vorhanden, die Ursache für die 
Hyperkinese des Herzens in’s Herz selbst zu verlegen, dann 
fehlt auch die Berechtigung, hier diese Functionsstörung in 
zwei Formen zu trennen, nämlich eine primäre lind secundäre. 
Meiner Meinung nach kann man nur von einer secundären 
Hyperkinese sprechen. Da aber aus der Hyperkinese sich 
die Hypertrophie entwickelt, so hat man, wie mir scheint, 
auch kein Recht, von idiopathischer Hypertrophie zu sprechen, 
denn eine solche konnte ja nur von einer primären Hyperki¬ 
nese ihren Ausgang nehmen. Man kann höchstens als idio¬ 
pathische Herzhypertrophien solche bezeichnen, bei denen der 
Grund der Hypertrophie nicht genügend aufgedeckt ist. Hält 
man sich streng an die Bedeutung des Wortes „idiopathisch“, 
so kann man sich auch durchaus nicht dem jetzt (Frantzei.) 
gebräuchlichen Usus anschließen, alle Herzhypertrophien als 
idiopathisch zu bezeichnen, die nicht auf Klappenfehler 
zurückgeführt werden können. 

Die Behandlung der Hyperkinese wird sich vor Allem 
die Erniedrigung des Blutdruckes zur Aufgabe machen müssen. 
Die erste Rolle spielen hier die Laxantien, dann die Jod¬ 
präparate und ferner die Nitrite. Bäder und Kaltwasser- 
proceduren, möchte ich glauben, seien hier zu vermeiden, weil 
sie plötzliche Druckerhöhungen veranlassen und diese hier 
wegen der Gefahr drohender Gefäßzerreißungen als gefährlich 
anzusehen sind. 

Daß auch hier Herzmittel nicht indicirt sind, braucht 
keine weitere Auseinandersetzung. Dagegen muß die Polysarcie 
bei der Behandlung eine besondere Berücksichtigung erfahren, 
mit der Einschränkung nur, daß körperliche Bewegung, die 
ja einen integrirenden Bestandtheil jeder Entfettungscur bildet, 
viel vorsichtiger gehandhabt werden muß, als bei der Polysarcie, 
die mit hypokinetischen Herzen combinirt erscheint. 

Als eine reine Functionsstörung habe ich auch das Herz¬ 
klopfen bezeichnet. Ich habe dasselbe dahin definirt, daß es 
sich bei demselben um eine gesteigerte Erregbarkeit des sen¬ 
siblen Herznervenapparates handelt, welche die jeweilige Aen- 
derung der Herzthätigkeit zum Bewußtsein gelangen läßt. 

Dieser Auflassung entsprechend, wird die Behandlung 
zweierlei zu berücksichtigen haben: sie wird erstens bestrebt 
sein müssen, die gesteigerte Erregbarkeit herabzusetzen, und 
dann muß sie dafür sorgen, daß jene Aenderungen, welche 
Reize für das Entstehen des Herzklopfens abgeben, vermieden 
werden. 

Ersteres geschieht, indem man durch Brompräparate auf 
die Erregbarkeit ein wirkt Was die zweite Aufgabe betrifft, 
so verweise ich auf meine früheren Betrachtungen über die 
Behandlung der Tachycardie, Bradycardie, Arhythmie, Hypo- 
und Hyperkinese des Herzens, denn die besagten Functions¬ 
störungen liefern die Reize für’s Herzklopfen, und diese Reize 
müssen durch die Behandlung unterdrückt werden. 

Die zweite Gruppe der Functionsstörungen des Herzens 
j umfaßt, wie ich schon früher erwähnt habe, jene, die zugleich 
. mit Kreislaufstörung' n verknüpft, d. i. durch die Symptome 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


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Dyspnoe, Oedem oder auch durch das gleichzeitige Vor¬ 
kommen beider charakterisirt sind. 

Für diese Gruppe von Functionsstörungen bedient man 
sich in der Praxis mit großer Vorliebe des Ausdruckes Com- 
pensationsstörung. 

Ich bin kein Freund dieses Ausdruckes, und zwar aus 
mehrfachen Gründen. 

Der Begriff Compensationsstörung setzt voraus, daß der 
Zustand, welcher der Compensationsstörung vorausgeht, einen 
Compensationsvorgang bedeutet,-einen Vorgang, der den 
Zweck erfüllt, eine Schädlichkeit, die auf directcm Wege, d. i. 
durch Entfernung oder Unterdrückung derselben nicht zu be¬ 
seitigen ist, auf indirectem Wege in seiner Schädlichkeit zu 
mildern. Eine Compensation denken wir uns, um mich eines 
vergleichenden Bildes zu bedienen, ungefähr in der Weise, 
wie man den Druck, den ein schweres Gewicht ausübt, durch 
ein anderes Gewicht beseitigt oder abschwächt. 

Wie man bei einer solchen Auffassung von einer Com¬ 
pensationsstörung eines anatomisch normalen Herzens sprechen 
kann, begreife ich nicht. Worin sollte denn die Compensation, 
d. i. das, was der Compensationsstörung voransgeht, bestehen? 
Wo steckt die Schädlichkeit, die überhaupt compensirt 
werden soll? 

Mit demselben Rechte, als man von Compen¬ 
sationsstörung spricht, wenn Symptome gewisser 
Kreislaufstörungenbei Individuen auf treten, 
deren Herzen man als anatomisch normal aner¬ 
kennt, müßte man jede Krankheit als eine Com¬ 
pensationsstörung der Gesundheit bezeichnen. 

Warum spricht man aber doch von Compensationsstörungen 
des normalen, d. i. klappentüchtigen Herzens? Ganz einfach 
deshalb, weil man die Symptome Dyspnoe und Oedem, wenn 
sie bei Klappenfehlern auftreten, für Zeichen einer Compen¬ 
sationsstörung hält, weil man der Ansicht huldigt, daß in 
gewissen Stadien die Schädlichkeiten, welche die Insufficienz 
und Stenose der Klappen im Kreisläufe setzen, durch gewisse 
Einrichtungen vollständig compensirt werden. So lange diese 
compensirenden Einrichtungen ihren Dienst thun, sind die 
Schädlichkeiten, die vom Klappenfehler ausgehen, gewisser¬ 
maßen latent, wenn sie aber ihren Dienst versagen, dann 
offenbaren sich die schlummernden Schädlichkeiten in ihren 
beiden Hauptsymptomen, der Dyspnoe und dem Oedem. 
Weil nun Oedem und Dyspnoe als die charakteristischen 
Symptome der Compensationsstörung der Klappenfehler gelten, 
spricht man überall da von Compensationsstörung, wo diese 
Symptome überhaupt auftreten, ganz ohne Rücksicht darauf, 
ob dieser vermeintlichen Compensationsstörung eine Compensa¬ 
tion vorausging oder nicht. 

Hat man aber überhaupt ein Recht, selbst bei Herz¬ 
fehlern von Compensation zu sprechen, und in welchem Sinne 
darf man von Compensation sprechen? So lautet die Frage, 
die ich mir schon seit Jahren vorlege, und die ich mir er- 
erlauben werde, in dem Sinne zu beantworten, wie es sich 
mir nach reiflicher Ueberlegung und sorgfältiger Erwägung 
bestimmter experimenteller Tbatsachen ergab. Doch ist die 
Antwort, die ich an dieser Stelle gebe, nur eine sehr kurze, 
und behalte ich mir vor, mich mit derselben an anderer Stelle 
ausführlicher zu befassen. 

Bei einer Mitralinsufficienz, und nur diesen Fall will 
ich hier etwas näher würdigen, findet man bekanntlich in vivo 
und an der Leiche genügende Anhaltspunkte dafür, daß der 
rechte Ventrikel vergrößert ist. Diese Vergrößerung, die mit 
einer Hypertrophie der Ventrikelmusculatur einhergeht, ist 
nicht blos eine Folge der durch die Mitralinsufficienz bedingten 
Rückstauung des Blutes in den linken Vorhof, diese Hyper¬ 
trophie, sagt man, hat nicht nur die Bedeutung, daß die nöthig 
gewordene verstärkte Arbeit des rechten Herzens erhalten 
bleibe, sie hat noch außerdem die Bedeutung, daß sie dem linken 
Herzen die Einbuße ersetze, die es dadurch erfahrt, daß ja 
nur ein Theil seines Inhalts in die Aorta gelange. Noch ehe die 


Hypertrophie diese ihr zugedachte Rolle definitiv durchführt, 
übernimmt die Reservekraft provisorisch die Rolle der Hyper¬ 
trophie. 

Von all dem, was die Anhänger der Compensations- 
lehre (Tkadbe, Cohnheim, Rosenbach u. A.) aussagen, ist 
nur Folgendes richtig und unbestritten. Unbestritten 
ist es, daß es Kranke mit Mitralinsufficienzen gibt, welchen 
es ungefähr so gut geht, wie Leuten mit gesundem 
Herzen, und unbestiitten ist es, daß es im Verlaufe der Mitral¬ 
insufficienz zur Hypertrophie kommt. Es ist auch nichts dagegen 
zu bemerken, daß man von einer Reservekraft spricht, voraus¬ 
gesetzt, daß man darunter nur jene Eigenschaft versteht, die 
das klappentüchtige Herz ebenso besitzt, wie das mit Klappen¬ 
fehlern behaftete, nämlich das Vermögen, seine Arbeit der ihm 
auferlegten Leistung zu accommodiren, d i. das den Physio¬ 
logen wohlbekannte Accommodationsvermögen, ein Ausdruck, 
den ich, beiläufig bemerkt, dem Ausdruck Reservekraft des¬ 
halb vorziehe, weil er unverfänglich ist, und weil ihm -der 
ätiologische Beigeschmack fehlt, der dem Ausdruck Reserve¬ 
kraft anhaftet. Man kann es auch gelten lassen, daß die Hyper¬ 
trophie, die sich im Verlaufe der gesteigerten Herzarbeit ent¬ 
wickelt, in dem Sinne als compensatorisch betrachtet werde, 
daß sie die gesteigerte Herzarbeit für die Dauer erhält. Was 
ich negirc, ist, daß jemals der Beweis geführt wurde, daß die 
Reservekraft oder die Hypertrophie des rechten Herzens in 
dem Sinne compensirend wirke, daß sie unmittelbar dem linken 
Ventrikel und mittelbar dem Aortensystem mehr Blut zuführe. Im 
Gegentheil, durch Versuche, welche die Herren DDr. Bkttklhhm 
und Kaudkks in meinem Laboratorium ausgeführt haben, ist 
der Nachweis erbracht worden, daß das Steigen des Aorten¬ 
druckes, wie- man cs so häufig bei künstlich am Thier er¬ 
zeugten Mitralinsufficienzen beobachtet, keineswegs dem rechten 
Herzen seine Entstehung verdankt. Doch kann ich hierauf, 
sowie auf andere Beweise, die aus Studien an einem Kreis¬ 
laufmodell erfließen, mich nicht näher einlassen. 

Ich will mich hier nur noch auf die Bemerkung be¬ 
schränken, daß das, was die Anhänger der Compensationstheorie 
von dem rechten Ventrikel verlangen, wenn es zuträfe, keines¬ 
wegs von wohlthätiger Wirkung sein würde, keinesfalls als 
eine günstige, die Schädlichkeit des Klappenfehlers paralysi- 
rende Bedingung angesehen werden köfinte. Wenn nämlich 
nicht nur die Arbeit des rechten Herzens durch die freie 
Coramunication zwischen dem linken Vorhof und dem linken 
Ventrikel verstärkt würde, wie dem ja sein muß, weil der 
Druck im linken Vorhofe wächst, sondern wenn noch außerdem 
der rechte Ventrikel größere Blutmengen in die Lungen be¬ 
fördern würde, so bedeutete dies nur eine weitere Vermehrung 
jener ungünstigen Bedingungen, die zur Dyspnoe führen. Dem 
gegenüber erschiene der Vortheil der etwas größeren Blut¬ 
füllung der Aorta von ganz untergeordneter Bedeutung. Bei 
dieser Betrachtung sehe ich vollständig davon ab, daß gar 
nicht einzusehen ist, woher der rechte Ventrikel sich diese 
Blutmengen verschaffen sollte, da er ja doch keine anderen 
Einnahmen besitzt, als jene, die ihm von dem linken Ventrikel 
aus zukommen. 

Die Hypertrophie des rechten Herzens ist und bleibt 
also nichts, als der Folgezustand einer schädlichen Ursache, 
und vom teleologischen Standpunkte aus kann ihr nur die Be¬ 
deutung beigemessen werden, daß sie die ursprünglich gesetzten 
Schädlichkeiten zu dauernden macht, d. i. sie in ihrem Fort¬ 
schreiten verhindert. 

Will man das auch Compensation nennen, so läßt sich 
nichts hiegegen ein wenden. 

Wenn nun auch jeder Beweis fehlt, daß dieser Folge¬ 
zustand einen positiven Nutzen bedeute, so läßt sieb doch 
nicht in Abrede stellen, daß man von einem negativen 
Nutzen desselben insoferne sprechen dürfe, als ja nicht in Abrede 
gestellt werden kann, daß, wenn das rechte Herz nicht die Eigen¬ 
schaft der Accommodationsfähigkcit besäße, und wenn das rechte 
Herz nicht bei nothwendig gewordener erhöhter Arbeit hyper- 


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trophircn würde, es bei jeder Mitralinsufficienz gleich bei Ent¬ 
stehung derselben zu einer Kreislaufstörung außerhalb des 
rechten Herzens, zu einer Stauung des Blutes im Venensystem 
kommen müßte. 

Läßt man nun die Compensationslehre nicht oder wenig¬ 
stens nur in sehr beschränktem Sinne gelten, wie beantwortet 
man nun die Frage, weshalb Kranke, die an einer Mitral¬ 
insufficienz laboriren, sich relativ wohl befinden? 

Mich dünkt, diese Frage ist ohne jegliche Compensations- 
kliigelei in einfacher Weise dahin zu beantworten, daß eben 
in solchen Fällen die Schädlichkeit, die durch Mitralinsufficienz 
hervorgerufen wird, nur eine geringe ist, sei es, daß der 
Klappendefeet selbst ein sehr unerheblicher ist, sei es, daß die 
Herzaction kräftig und rasch erfolgt, und daß die Klappen¬ 
reste in Folge einer ausreichenden und gleichmäßigen Contrac- 
tion der Papillarmuskeln und bei gleichzeitiger systolischer 
Verengerung des Arterioventrieularringes einen eben hin¬ 
reichenden Verschluß des Ventrikels gegen den linken Vorhof 
zu Stande bringen, sei es, daß das Bestehen einer leichten 
Mitralstenose diesen Verschluß begünstigt. 

Wie also eine Mitralinsufficienz ohne sichtliche Sym¬ 
ptome einer Kreislaufstörung bestehen kann, ist, wie man 
sieht, auch ohne Compensation verständlich. Wer aber den 
Ausdruck Compensation nicht fahren lassen will, der kann 
auch die kräftige Herzaction etc. als Compensationsvorgänge 
deuten und den Schauplatz des CompensationsVorganges für die 
Mitralinsufficienz in den linken Ventrikel verlegen. 

Die Gründe, weshalb eine Mitralinsufficienz schlecht 
wird, wann sie zu den Symptomen der Kreislaufstörung führt, 
braucht man, wie leicht einzusehen, nicht weit herzuholen. 

Einen Theil derselben habe ich schon erörtert, nämlich 
das Versagen dos AccommodationsVermögens des Ventrikels 
und die hierauf beruhende Drucksteigerung im Venensystem 
mit allen ihren Consequenzen. Der zweite Theil derselben ber 
zieht sich auf das Symptom der Dyspnoe und ist dort zu 
suchen, wo der Klappenfehler sitzt, d. i. im linken Herzen. 
Bei vollständig gleicher Klappenläsion muß sich nämlich, wie 
die Ueberlegung, die in vollständigem Einklänge mit klinischen 
und experimentellen Thatsachen steht, ergibt, der Effect mit 
der Arbeit des linken Herzens ändern. Erfolgt die Aenderung 
in der Weise, daß die Papillarmuskeln sich nicht gleichförmig 
contrahiren, daß der Arterioventricularring sich nicht während 
der Systole erheblich verengert, und wird überhaupt die 
Contraction des linken Ventrikels unvollkommen, insuffi- 
cient, dann entsteht statt der früheren mangelhaften nun 
eine klaffende Communication zwischen linkem Ventrikel 
und linkem Vorhofe, dann ändert sich, entsprechend der 
vermehrten Stauung des Blutes in den Lungen und der Blut¬ 
leere in den Arterien und Capillaren, das klinische Bild, es 
entsteht hochgradige Dyspnoe. 

Ganz das Gleiche, was bei einer Mitralinsufficienz ein- 
tritt, wenn die Herzaction insufficient wird, zeigt sich auch bei 
Herzen, deren Klappen vollständig schließen, wenn deren Action 
insufficient wird; und ebensowenig als man hier von einer 
Störung einer vorangegangenen Compensation sprechen darf, 
braucht man dort von einer Compensationsstörung zu sprechen. 
Gestört wird einzig und allein die Herzaction, sei es vor¬ 
wiegend die des linken, sei es die des rechten Herzens. 

Die Aufgabe der functionellen Diagnose, in welcher vor¬ 
nehmlich die directe Therapie ihre Stütze suchen muß, ist es, 
die Natur der Ursache und die Folge dieser Arbeitsstörung 
des Herzens genau zu erfahren. Selbstverständlich ist es von 
hoher praktischer sowohl als theoretischer Bedeutung, zu 
wissen, ob diese Arbeitsstörung ein klappentüchtiges oder ein 
mit Klappenfehlern behaftetes Herz befallt, und hiemit ergibt 
sich die praktische Nothwendigkeit einer gründlichen anato¬ 
mischen Diagnose der Herzfehler. Zu dieser Diagnose gehört 
auch die Erkenntniß derjenigen Folgezustände, die man ge¬ 
wöhnlich im teleologischen Gewände als Compensationseinrich- 
tung vorführt. 


So lange, meineich, als die Ausdrücke „Compensation“ 
und „ Compensationsstörung“ nur die Bedeutung eines allgemeinen 
Verständigungsmittels besitzen, mit dem nichts mehr gesagt 
werden soll, als daß ein Herzzustand besteht, mit dem normalen 
Kreislaufverhältnisse bestehen, oder ein Herzzustand, der die 
Entstehung von Dyspnoe oder Oedem begünstigt, läßt sich 
nichts hiegegen ein wenden. Wogegen ich mich wende ist nur, 
daß man die Ausdrücke Compensation und Compensationsstörung 
mit wichtiger Gelehrtenmiene anwendet, die vermuthen lassen 
muß, daß das: große Geheimniß, das hinter demselben steckt, 
vollständig aufgedeckt sei. Da fallen mir die Worte des 
Meisters ein: „Wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur 
rechten Zeit sich ein.“ 

Die Functionsstörung des Herzens, die zur Kreislauf¬ 
störung und zu den Symptomen derselben führt, ist also die 
Insufficienz. 

Die Herzinsufficienz können wir am Thierexperiment uns 
direct vor Augen führen; am Menschen, am Krankenbette 
können wir sie nur aus den Symptomen erschließen, in denen 
sie zu Tage tritt. 

Wir dürfen auf eine Insufficienz des linken Ventrikels 
schließen, wenn Anzeichen dafür vorhanden sind, daß das Zu¬ 
strömen des Blutes aus dem linken Vorhof in den linken Ven¬ 
trikel auf ein besonderes Hinderniß stoßt. Wenn dies nämlich 
der Fall ist, dann muß der Druck im linken Vorhof und 
weiters im rechten Herzen ansteigen. Die objectiven klinischen 
Merkmale hiefiir wären der verstärkte zweite Pulmonarton, 
das sichere subjectivo klinische Merkmal hiefür ist aber die 
Neigung zur Dyspnoe. Die Dyspnoe ist der Ausdruck der 
stärkeren Füllung der Lungencapillaren und der durch sie be¬ 
dingten Lungen Schwellung und Lungenstarrheit. 

Eine Insufficienz des rechten Ventrikels dürfen wir er¬ 
schließen, wenn Anzeichen dafür bestehen, daß der rechte Vor¬ 
hof bei seiner Entleerung in den rechten Ventrikel Hinder¬ 
nisse vorfindet. Diese Anzeichen bestehen in der sichtbar 
ausgesprochenen Schwellung der großen Venen, die darauf 
hinweist, daß der Druck in den Venen stark angewachsen 
ist, weitere Anzeichen der Venenstauung sind die Vergrößerung 
der Leber, die Stauungscatarrhe der Digestionsorgane, die 
gleichfalls auf Venenstauung beruhende Oligurie und Albu¬ 
minurie und endlich das Oedem, sei es in Form von Hydrops 
oder des Ascites. 

Ob also eine Insufficienz im linken oder rechten Ventrikel 
besteht, das läßt sich leicht entscheiden. 

(Fortsetzung folgt.) 


Ein Fall von Dysphagie mit Oesophagus- 
dilatation. 

Von Dr. Max Einhorn, Arzt am deutschen Dispensary in New-York. 

(Schluß.) 

Aus der Krankengeschichte unseres Pat. geht hervor, 
daß die Beschwerden beim Hinunterbringen der Speisen 
nach dem Magen sich einige Zeit nach dem Falle langsam zu 
entwickeln angefangen und schließlich zur vollständigen Dys¬ 
phagie geführt haben. — Die Untersuchungen des Magen¬ 
inhaltes haben stets einen normalen Chemismus ergeben. 

Aus den Untersuchungen mit der Sonde (es war eine 
dicke NEOATON’sche) ist zu ersehen, daß erstens der Weg durch 
den Oesophagus nach dem Magen vollkommen frei ist, zweitens, 
daß die Speiseröhre in ihrem unteren Drittel buchtenförmig 
erweitert sein muß, denn die Entfernung von den Schneide¬ 
zähnen bis zur Cardia betrug, mit unserem Schlauch ge¬ 
messen, 48 Cm., während sie bei unserem Pat., selbst bei 
seiner großen Statur, nur 40—41 Cm. normaliter betragen 
sollte. In dieser Ausbuchtung mußte die Sonde, wenn sie 
etwa sich an die Oesophaguswand anlehnte, mit ihrem untersten 


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Ende die Form eines Halbkreises annehmen und so jene große 
Ziffer liefern. 

Daß nun Pat. wirklich nicht im Stande ist , beim 
Schlucken ohne die willkürliche Preßaction selbst Flüssigkeiten 
nach seinem Magen zu befördern, geht daraus hervor, daß 
wir immer das getrunkene Wasser aus dem Oesophagus wieder 
mit dem Schlauch entnehmen konnten, während wir gleich 
darauf bei weiterer Vorschiebung des Schlauches bis in den 
Magen Mageninhalt mit Salzsäure gewinnen konnten. 

Am deutlichsten ist dieses Experiment mit zwei ver¬ 
schieden gefärbten Flüssigkeiten anzustellen, und ich nehme 
mir die Freiheit, jenes Experiment, das ich oft in meiner 
Wohnung gemacht habe, hier wieder vorzuführen: 

Pat. hatte zu Hause, etwa vor einer Stunde, eine Tasse 
Kaffee und dazu etwas Zwieback genossen, darauf seine Preß- 
gymnastik ausgeführt. Ich führe nun den Schlauch in den 
Oesophagus bis zur Cardia ein, um nachzusehen, ob derselbe 
ganz leer ist. Es kommt nun, wie Sie sehen, eine kaffee¬ 
braun gefärbte Flüssigkeit (etwa 40 Ccm.) mit etwas 
fein zerkleinertem Weißbrod heraus; das Congopapier bleibt 
in dieser Flüssigkeit roth gefärbt. Die Speiseröhre war also 
nicht ganz leer. Jetzt, nachdem der Oesophagus durch den 
Schlauch leer gemacht worden ist, lasse ich Pat. ein Glas 
Wasser (250 Ccm.) hinuntertrinken. Sollte bei Pat. durch 
das Schlucken allein das Wasser nicht nach dem Magen ge¬ 
langen, so werden wir imStande sein, dasselbe Wasser wieder 
aus der Speiseröhre mit dem Schlauch herauf zu bekommen. Ich 
führe daher wieder den Schlauch ein und Sie sehen, meine 
Herren, wie das Wasser unverändert wieder heraus kommt; 
es schwimmen darin einige Flocken herum (etwas Brod und 
Epithelien), aber das Wasser ist sonst unverändert in der¬ 
selben Menge und ohne Spur von Kaffeefärbung wieder herausge¬ 
kommen, Congopapier verändert darin nicht seine Farbe. — 
Jetzt, meine Herren, führe ich den Schlauch weiter durch die 
Cardia und lasse Pat. exprimiren. Sie sehen, es kommt nun¬ 
mehr eine kaffeebraune Flüssigkeit mit fein zerkleinerten 
Brodstückchen heraus, das Congopapier wird darin tiefblau. 
Das ist also der Kaffee, den Pat. in seiner Wohnung durch 
die willkürlichen Preßactionen nach seinem Magen befördert 
hat. — Das Wasser, das Pat. eben getrunken hatte und 
welches ohne Kaffeefärbung wieder herausgeholt 
wurde, zeigt deutlich, daß dasselbe mit dem im Magen be¬ 
findlichen Kaffee nicht in Berührung kam, sondern als 
solches oberhalb des Magens im Oesophagus ver¬ 
weilte; es zeigt also, daß beim Schlucken des Pat. 
nichts nach dem Magen gelangt, sondern Alles 
sich im Oesophagus ansammelt und vor der Cardia 
liegen bleibt. 

Da der Oesophagus in seinem unteren Theile ziemliche 
Quantitäten Flüssigkeiten in sich fassen kann, so muß er 
dilatirt sein. Um annähernd zu wissen, bis wie weit die 
Dilatation des Oesophagus hinaufreicht, versuchte ich bei 
einem mäßigen Grade von Füllung der Speiseröhre mit Wasser 
zu bestimmen, bei welcher Längeneinfuhrung des Schlauches 
bei der Exspiration das Wasser wieder herauszulaufen begann; 
die geringste Zahl war 36 Cm. Bei sehr wenig Inhalt ober¬ 
halb der Cardia mußte der Schlauch 46—48 Cm. vorgeschoben 
werden, um die Flüssigkeit hinauszulassen. Die Haupt¬ 
erweiterung muß sich also im untersten Theile der Speise¬ 
röhre befinden. Ich versuchte ferner durch Einblasen von 
Luft den unteren Theil der Speiseröhre aufzublähen, und sah 
am Rücken nach, ob sich die percutorischen Verhältnisse ge¬ 
ändert hatten, doch war die Schall Veränderung eine so 
geringe und zweifelhafte, daß ich sie nicht in Betracht ziehen 
möchte. 

Nach dem Vorgänge von Mkltzer untersuchte ich, ob 
bei meinem Pat. die Fähigkeit zu brechen vorhanden war. 
Durch Kitzeln mit dem Finger an der hinteren Pharynxwand 
vermochte ich jedoch kein Brechen hervorzurufen. Bei An- 
fiillnng des Magens mit Luft strich die Luft nicht an der 


Sonde vorbei. Beide Umstände würden nach Mkltzer be¬ 
weisen, daß der Weg vom Magen nach dem Oesophagus ge¬ 
sperrt ist. 

Fassen wir die gefundenen Thatsachen zusammen, so 
haben wir es in unserem Falle mit einer Oesophagusdilatation 
ohne anatomische Stenose zu thun. 

Früher würde man diesen Fall als einen Fall von pri¬ 
märer Oesophagusdilatation betrachten. 

Allein bei der Schwierigkeit, eine primäre Oesophagus¬ 
dilatation anzunehmen, versuchte bereits Silvius Stkrn 3 ) für 
einen Theil der sogenannten primären Dilatation die Ursache 
in einer voraufgegangenen Oesophagitis zu sehen, für einen 
anderen Theil wieder eine Paralyse des Oesophagus als das 
Primäre anzunehmen. 

Meltzer 4 ) hat dann seine Bedenken gleichfalls gegen 
die primäre Oesophagusdilatation erhoben und für seinen Fall 
die spastische Contractur der Cardia angenommen. 

Auch ich möchte, gleich Meltzer, meinen Fall nicht als 
rimäre Oesophagusdilatation betrachten, sondern bin geneigt, 
ie Ursache der Dilatation in einer anderen vorausgegangenen 
Störung zu suchen. 

A priori sind drei Möglichkeiten vorhanden für eine Er¬ 
schwerung des Hinunterbeförderns von Speisesachen aus dem 
Oesophagus in den Magen ohne bestehende anatomische 
Stenose: 

1. Lähmung des Oesophagus; der hinuntergeschluckte 
Bissen würde, da die Contractionen des Oesophagus wegfallen, 
vor der Cardia, welche im normalen Zustande leicht geschlossen 
ist, liegen bleiben. 

2. Die spastische Contractur der Cardia, wie sie Mklt 2 er 
für seinen Fall annimmt; den Contractionen des Oesophagus 
gelingt es nicht, den verstärkten Verschluß der Cardia zu 
überwinden. 

3. Wegfall der reflectorischen Erschlaffung, resp. Er¬ 
öffnung der Cardia beim Schlucken. Durch Meltzer 6 ) ist es 
bekannt geworden, daß bei jedem Schluckact reflectorisch eine 
leichte Eröffnung der Cardia stattfindet. Nimmt man nun 
an, daß das Centrum oder die Leitung für diese reflectorisch 
ausgelöste Action irgendwie gestört ist, derart, daß die Cardia 
beim Schlucken nicht erschlafft, so wird dadurch eine leichte 
Erschwerung für die Beförderung des Bissens aus dem Oeso¬ 
phagus in den Magen entstehen. 

Fragen wir uns, welche von diesen drei Störungen in 
unserem Falle vorliegt, so müssen wir sagen, daß die Ent¬ 
scheidung darüber zwar eine recht schwere ist, daß jedoch die 
Störung Nr. 3 hier vorzuliegen scheint. 

Bei unserem Pat. hat sich die Dysphagie, wie aus der 
Krankengeschichte hervorgeht, nach einem Fall langsam ent¬ 
wickelt; die ersten 14 Tage hat Pat. überhaupt keine Be¬ 
schwerden beim Pissen verspürt, erst dann merkte er, daß er 
warmes Wasser nachtrinken mußte, um die Speisen hin¬ 
unterzubringen ; später wollte jedoch Pat. auch dieses nicht 
mehr gelingen und er mußte seine Preßgymnastik ausführen. 
Wäre nun nach dem Falle (durch ein Trauma, oder durch 
Erschütterung) der Oesophagus gelähmt worden, oder hätte 
sich die Cardia spastisch contrahirt, so würde sich sofort nach 
dem Falle eine Dysphagie eingestellt haben müssen; denn 
der gelähmte Oesophagus würde die Bissen nicht nach dem 
Magen befördern können; andererseits würde eine spastisch 
contrahirte Cardia die Bissen nach dem Magen nicht durch¬ 
lassen wollen. Anders würde sich die Sache verhalten bei 
der dritten Art der Störung, nämlich beim Wegfall der reflec¬ 
torischen Cardiaeröffnung beim Schlucken. Diese Störung, 
als die leichteste, würde sich in der ersten Zeit kaum kennt¬ 
lich machen; den Conlractionen des Oesophagus würde es 
gelingen, die Cardia zu öffnen und die Bissen durchzutreiben. 

a ) Silvius Stern, „Arcli. der Hcilkuude ', Bd. XVII, p. 443. 

4 ) Meltzer, „Berl. klm. "Wochensclir.“, lt-88, Nr. 8. 

s ) Kroneokkr und Meltzer, Verhandl. d. physiol. Gesellsch. du Bois 
Raymond’s Arcli., 1881. 


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Der Oesophagus hätte jedoch eine größere Aufgabe zu erfüllen, 
als dies normal duroh die Erschlaffung der Cardia beim 
Schlucken der Fall ist, es würden daher mit der Zeit bei Er¬ 
müdung des Oesophagus manche Speisereste oberhalb der 
Cardia Zurückbleiben; diese Reste könnten mit der Zeit den 
unteren Oesophagustheil ihrerseits wieder ausdehnen. Der 
dilatirte Oesophagus kann sich natürlich schwer contrahiren; 
so würde es allmälig, nachdem sich ein mäßiger Grad von 
Dilatation ausgebildet hat, zu jenem schweren dysphagischen 
Zustande kommen, wo beim Schlucken nichts mehr auf die 
natürliche Weise nach dem Magen gelangt. 

Wir haben bei unserem Pat. nur ein einziges Mal einen 
leichten Widerstand beim Einfuhren der Sonde an der Cardia 
verspürt, für gewöhnlich aber war kein Widerstand vor¬ 
handen ; das würde gegen spastische Contractur und für 
unsere Annahme sprechen. 

Wir haben unseren Pat. nicht zum Brechen zu bringen 
vermocht, und die durch die Sonde in den Magen ein geblasene 
Luft strich nicht an der Sonde vorbei. Nach Meltzer würden 
diese beide Umstände dafür sprechen, daß eine spastische Con¬ 
tractur der Cardia vorliegt. 

Es fragt sich, sind diese beiden Merkmale wirklich bin¬ 
dend ? Die Unfälligkeit, zu erbrechen, würde in der ersten 
Zeit der Krankheit wirklich als Beweis dienen können, daß 
die Cardia contrahirt ist, und daß es dem Magen nicht gelingt, 
den Verschluß zu überwinden; allein im vorgerückten Stadium 
der Krankheit, wo bereits eine erhebliche Dilatation des Oeso¬ 
phagus sich ausgebildet hat und derselbe entweder sich gar 
nicht contrahirt, oder durch seine Contractionen nichts nützen 
kann, wäre es doch ganz gut möglich, daß, sobald der 
Magen beim Beginne des Brechactes einen Theil seines Inhalts 
durch die Cardia nach dem Oesophagus sendet, dieser Inhalt 
nicht weiter hinaus befördert wird, weil der Oesophagus sich 
nicht contrahirt und weil der Inhalt, falls er nicht gleich 
durch die offen gewesene Cardia zurückgeflossen ist, Platz 

f enug zum Verweilen in dem dilatirten Oesophagus vorfindet. 

o würde die Unfähigkeit, zu erbrechen, vielleicht auch be¬ 
stehen können bei nicht spastischer Contractur der Cardia. 

Was nun den zweiten Punkt anlangt, daß nämlich die 
eingeblasene Luft nicht an der Sonde vorbeistrich, so findet man 
zuweilen auch gesunde Menschen, bei welchen bei Anfüllung 
des Magens mit Luft diese, sobald der Magen gespannt ist, durch 
den Pylorus weiter befördert wird, ohne daß die Luft an 
der Sonde vorbei durch die Cardia aus dem Magen tritt. 

Sind wir auch, was die ursprüngliche Störung bei unserem 
Pat. anlangt, mehr oder weniger auf Hypothesen angewiesen, 
so liegt doch der anatomische und klinische Zustand klar zu 
Tage. Es ist eine Dilatation des unteren Oesophagusabschnittes 
vorhanden ohne materielle Stenose der Cardia, und es ver¬ 
bleibt zunächst alles Hinuntergeschluckte im unteren er¬ 
weiterten Theile der Speiseröhre vor der Cardia; erst durch 
willkürliche Verkleinerung des Thorax bei gemachter tiefer 
Inspiration und geschlossener Stimmritze (Pressen) gelingt es 
Pat., durch den auf die gefüllte Speiseröhre ausgeübten Druck 
die an gesammelten Speisemassen aus dem Oesophagus in den 
Magen zu bringen. 

Meltzer 6 ) hat das Verdienst, zuerst in seiner Arbeit 
jene Verhältnisse geschildert und auseinandergesetzt zu haben 
Die Feststellung der Thatsache, daß die Speisen vor 
der Cardia verweilen, haben Strümpell und Meltzer dadurch 
nusgeführt, daß sie das Erbrochene untersuchten und stets 
neutrale Reaction fanden, während sie beim Eingehen mit der 
Sonde in den Magen den Inhalt der Sondenfenster sauer rea- 
girend fanden. Besser und anschaulicher läßt sich dieser Zu¬ 
stand durch das Kaffee- und "Wasserexperiment machen, wie 
ich dasselbe oben ausführlich beschrieben habe. 

Die Therapie anlangend, wäre in solchen Fällen stets 
das Richtigste, die Patienten lange Zeit hindurch mit der 

*) „Deutsch Areh. f. klm. Mol.“, Bl. 29, S. 211. 


Sonde zu ernähren. Dadurch würde man die Ausdehnung 
der Speiseröhre vielleicht theilweise zu verkleinern vermögen. 
Allein mein Pat. wollte nicht darauf eingehen, so mußte ich 
mich damit begnügen, nur folgende Vorschriften zu machen: 

1. Pat. darf nur Flüssiges und Halbflüssiges (d. h. zu 
einem Brei verarbeitete Speisen) genießen. 

2. Nach jeder Mahlzeit muß Pat. längere Zeit hindurch 
seine Preßgymnastik ausüben. 

3. Jeden Abend, bevor Pat. zu Bette geht, findet eine 
gründliche Entleerung und Ausspülung der Speiseröhre mit 
dem Schlauche statt. (Pat. kann dieses jetzt selbst machen.) 

4. Einmal am Tage führt Pat. den Schlauch in den 
Magen ein. 

* * 

* 

Nachdem Pat. durch 10 Tage nach diesen Vorschriften ge¬ 
lebt hat, hat er ein Pfund zugenommen, gut geschlafen, niemals 
gehustet und war im Stande, mehr Nahrung zu sich zu 
nehmen. Pat. sieht jetzt bei weitem besser aus und fühlt 
sich muthiger und lebensfroher. 


Neue Instrumente und Apparate. 

Die Improvisationskunst auf dem Verband¬ 
plätze. 

Von dem Grundsätze ausgehend, daß allen Verwundeten auf 
dem Verbandplätze möglichst rasche Hilfe zu leisten sei, spricht 
sich Port („Münch, med. W.“) gegen die Gewehr- und Säbel¬ 
scheidenverbände aus, welche auf dem Transporte ungenügenden 
Schutz gewähren und daher bald nach der Ankunft im Lazaretbe 
wieder abgenommen werden müssen, und empfiehlt auch zum Er¬ 
sätze der zu umständlichen ' und den Anforderungen der Antisepsis 
nicht recht entsprechenden Gypsverbände als einfach und rasch 
herzustelleude Schienen und Lagerungsapparate filr den Verband¬ 
platz: eine Lagerungsschieno für die untere Extremität, eine Lagc- 
ruugsvorrichtung für den ganzen Körper H 
bei Oberschenkelbruch und schmale | 

Blechschienen, die nach Aufkecht’s jj 
Rath zwischen feuchte Gazebinden des Hi 
antiseptischen Deckverbandes eingelegt 
werden. 

1. Die Lagerungsschiene 
für die untereExtr emität(Fig.l) 
besteht aus einem 70Cm. langen, obenl4, Fi S- !• 

unten 11 1 / a Cm. breiten Wadenbrett, am Fersenende schräg zugeschnitten, 
welches mit einem 11 Cm. breiten Fußbrett mittelst zweier seitlich gebo¬ 
gener Bandeisenstucke und mittelst eines Eisenblechs, welches über einem 
Modellbrettchen geformt 
wurde, verbuuden ist. Auf 
die gepolsterte Schiene wird 
das gebrochene Glied durch 
Cirkelbinde befestigt. Nagelt 
man an die untere Fläche 
des Wadenbrettes eine Leiste, 
so hat man eine dem schlei¬ 
fenden Fußbrett entspre¬ 
chende Vorrichtung. 

2.Das Oberschenkel¬ 
bruchbett (Fig. 2) besteht 
aus zwei je 2 >/ a Meter langen 
Seitenstangen, auf welche in 
120 Cm. Abstand zwei Quer- 
stangcnaufgenagelt sind,wäh¬ 
rend, f»0 Cm. von der unteren Fig. 2. 

dieser Querstangeu entfernt, eine dritte auf die untere Fläche der 
Seitenstange aufgeuagelt ist. Ein Stück Segeltuch von der Breite 
des Zwischenraumes zwischen den beiden Scitenstangou, 12—15 Cm. 
länger als der Abstand zwischen dem obersten und untersten Quer- 


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holz beträgt, wird auf diosen beiden Querstangen, nicht aber auf 
der mittelsten, auch nicht an den Seitenstangen, angenagelt. Dieses 
Bahrenlager bekommt an der Kopfseite einen rahmenartigen Fuß, 
dessen oberes Querholz mit den Seitenstangen durch zwei Blech¬ 
bänder charnierartig verbunden wird. Stellt man den Fuß auf und 
legt einen Mann auf die Bahre, so sinkt derselbe soweit ein, daß 
die mittelste Querstange die Kniekehle gut unterstützt. Dabei spannt 
sich die Leinwand so straff an, daß Ober- und Unterschenkel eine 
feste Unterlage bekommt. Unter den Kopf des Verwundeten wird 
eine Rolle gelegt. Zur völligen Fixirung der Bruchenden genügt 
das Anbinden des gebrechenen Gliedes an das gesunde. Eine De- 
fäcationsöffuuug läßt sich leicht von außen einschnciden. Durch 
Deeken, die mit ihron Rändern an die Seitenstangen befestigt und 
von unten her uuter dem Lager durchgezogen werden , kann man 
demselben die erforderliche Wärme geben. 

3. Die Blechschienen (Fig. 3) haben für den Fuß die Form I, 
für den Arm die von II, sind 4—5 Cm. breit und mit umgelegten Rän¬ 
dern versehen. Die Beinschiene besteht aus dem Fußstück a , dessen 



kolbenförmiger Theil, längs der punktirten Linie umgebogen, eine 
Stütze für dio Fußsohle abgibt, und dem Verlängerungsstück b. 
Behufs Verlängerung beider Stücke schiebt man sie so weit über¬ 
einander , daß sie sich mit den umgebogenen und niedergeklopften 
Querfortsätzen gegenseitig umklammern. — Die Armschiene besteht 
aus zwei durch cino Niete vereinigten Blechstreifen; die Feststellung 
des Gelenkes in beliebigem Winkel erfolgt durch Umbiegen der 
kurzen über das Gelenk hinausstehenden Fortsätze. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Lepine: Eine neue Diabetestheorie. 

Die verschiedenen Diabetestheorien lassen sich auf zwei redu- 
ciren: Nach der einen wird die Glycose des Blutes in geringerem 
Maße als normal consumirt; nach der zweiten rührt der größere 
Zuckergehalt des Blutes entweder von einer gesteigerten Zuckerzufuhr 
durch die Nahrung oder von einer erhöhten Zuckerbildung seitens 
der Leber her. 

Jede dieser Theorien entspricht der Wirklichkeit, doch sind 
sie beide ungenügend und erklären nicht alle Diabetesformen, so 
z. B. den Diabetes in Folge von Pancreaserkrankungen oder von 
Exstirpation des Pancreas. Merino und Minkowski haben nach 
vollständiger Exstirpation des Pancreas bei Hunden Diabetes auf- 
treten gesehen. Sobald aber ein Fragment des Pancreas, selbst 
ohne Ausführungsgang und nervöse Verbindung mit dem Plexus 
solaris, belassen wurde, blieb der Diabetes aus. 

Der Diabetes war also nicht dadurch bedingt, daß der Pan- 
creassaft nicht mehr in den Darm floß. Für das Zustandekommen 
dieses Diabetes können nach Lepine („Lyon m6dical“, 1889, Nr. 52) 
zwei Hypothesen herangezogen werden. 

Man kann zunächst annehmen, daß im normalen Zustande ein 
Theil des resorbirten Pancreasfermentes zur Zerstörung der Glycose 
beiträgt. 

Diese Hypothese wird durch folgendes Experiment gestützt: 
Zerreibt man ein Pancreas und bringt es in eine alkalische Glycose- 
lösung, so merkt man schon nach einigen Stunden eine Abnahme 
der TitrirflüS8igkeit Das Pancreasferment hat also eine gewisse 
Wirkung auf die Zerstörung des Zuckers, seine Abwesenheit kann 
also den Consum desselben verhindern. 

Eine zweite, minder wahrscheinliche Hypothese ist die, daß 
zur Verwandlung des Glycogons in Zucker ein complicirter Proceß 
nothwendig ist, zu dessen Zustandekommen der Pancreassaft nöthig 
ist. Fehlt dieser letztere, so wird der Zucker der Leber keine | 
reine Glycose mehr sein, sondern ein fremder Zucker, der, statt 
verbrannt zu werden, durch die Nieren ausgeschieden wird. 


Im normalen Zustande bilden demnach Leber und Pancreas 
die Erzeugungsstätte der normalen Glycose. Das Pancreas ist nicht 
nur eine Drüse, die ihr Secret in den Darm hineingießt, sondern 
eine Art Blutgefäßdrüse, die ihren Venen, welche einen Theil des 
Wurzelgebietes der Pfortader bilden, das der Leber nothwendige 
Ferment überläßt. 

Ob man nun die eine oder die andere Hypothese acceptirt, 
ist der Pancreas-Diabetes die Folge des Ferment mangels, und jeder 
Diabetes entsteht durch relativen Mangel von Ferment im Verhältniß 
zu der zu zerstörenden Menge von Kohlehydraten. Das Ferment 
kann ebenso ungenügend werden, wenn durch nervöse Einflüsse eine 
größere Menge , von Kohlehydraten zugeführt wird. Durch den Be¬ 
griff der relativen Insufficienz des Pancreasfermentes bei Diabetes 
glaubt Lepine die bestehenden Diabetestheorien zu vervollständigen 
und zu ergänzen. 

Die experimentellen Stützen für diese Theorie und die aus 
derselben ergehenden therapeutischen Schlußfolgerungen verspricht 
Lepine demnächst zu veröffentlichen. S. 


M. Loeb (Frankfurt a. M.) : Tetanie bei Magenerweiterung. 

Die im Anschlüsse an Magenerweiterung beobachteten Fälle 
von Tetanie zeichnen sich insgesammt durch die Schwere ihres Ver¬ 
laufes, durch die Eigenartigkeit ihres Krankheitsbildes und durch 
die schlechte Prognose aus. So verliefen von den von Fr. Müller 
veröffentlichten 8 Fällen 5 tödtlioh und in dem vom Autor im 
„Deutsch. Archiv f. klinische Mrdicin“, Bd. 46, Heft 1, publicirten 
Falle, der ebenfalls tödtlich endete, zeigte sieh eine Reihe schwerer 
Symptome, welche dem Verf. eine neue Erklärung für das Zu¬ 
standekommen der Tetanie bei Magendilatation nahelegen. 

Aus der vom Autor mitgetheilten Krankengeschichte ent¬ 
nehmen wir, daß der Pat., ein 63jähriger Mann, bereits seit Jahren 
in Folge eines Ulcus ventriculi (Obductionsbefund) an einer Magen- 
dilatation leidet, die nur ab und zu bei Diätfehlern sein sonst leid¬ 
liches Wohlbefinden stört. Der Beginn der vom Autor beobachteten 
Erkrankung setzt mit Frost und Erbrechen ein; allmälig treten die 
für Tetanie charakteristischen Symptome auf, jedoch ist außer den 
Extremitäten auch das Gesicht an den Krampfanfällen betheiligt. 
An den hochgradig verengten Papillen besteht reflectorische Starre, 
das Bewußtsein ist getrübt, der Kranke delirirt zeitweise. Iin Harne 
Eiweiß, die Ructus riechen intensiv nach Schwefelwasserstoff. 

Im Gegensatz zu Müller, der die Tetanie bei Magendilatation 
auf Reflexvorgänge zurückführt, erklärt Autor das Zustandekommen 
der Tetanie durch Resorption zersetzter Stoffe und 
deren toxische Wirkung auf das Centralnervensystem. 
Müller stützt seine Annahme unter Anderem auf die Beobachtung 
eines Falles, bei welchem unmittelbar nach der Percussion des Epi- 
gastrium der zum Tode führende Anfall auftrat, den er als einen 
durch den Reiz der Percussionsschläge ausgelösten Reflexvorgang 
auffaßt. Mit Recht tritt der Verf. dieser Erklärung entgegen; dieses 
Phänomen hat nur eine symptomatische Bedeutung und beweist nur 
die bei der Tetanie noch in einer Reihe anderer Symptome 
(Trousseaü, Chvostek etc.) zum Ausdruck kommende Reflex - 
erregbarkeit. (Ref.) Der tödtliche Ausgang wird nach Autor durch 
moleculare Veränderungen des Gehirns bedingt, wofür die Delirien 
und die reflectorische Pupillenstarre sprechen. Für die Annahme 
einer Intoxication und gegen einen Reflexvorgang spricht auch der 
Umstand, daß die Tetanie bisher ausschließlich nach Dilatation des 
Magens, nie aber bei anderen Magenaffectionen beobachtet wurde, 
worauf bereits Gerhardt aufmerksam gemacht hat. 

Ebenso führt Autor die Entstehung der Albuminurie auf eine 
Reizung der Niere durch toxische Stoffe zurück und erwähnt den 
von ihm häufig bei Icterus nebst hyalinen Cylindern (Nothnagel) 
beobachteten vorübergehenden Eiweißgehalt des Harnes, der durch 
den Reiz der Gallensäuren auf die Niere hervorgerufen wird. 

Die in mehreren casuistischen Mittheilungen erwähnte Tem¬ 
peratursteigerung läßt sich nach Autor kaum anders, als durch die 
Aufnahme zersetzter Producte von der Magenschleimhaut erklären, 
und das Auftreten von Tetanie durch Giftwirkung steht nicht ver¬ 
einzelt dar. So beobachtete Verf. eine rasch vorübergehende Tetanie 
nach einer Chloroformnarcose, und ein kürzlich von ihm mitgetheilter 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


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Fall, der sich im Anschlüsse an Scharlach entwickelte, gehört in 
dieselbe Kategorie. 

Verf. schreibt den bei Magendilatation sich bildenden Zer- 
setzungsproducten eine erhöhte Giftigkeit zu; denn nur dadurch 
könne man sich den ungünstigen Verlauf und die schweren Sym¬ 
ptome dieser Tetanieformen erklären, bei welchen neben den sonst 
bei der gewöhnlichen Tetanie ergriffenen Gehirnstellen noch benach¬ 
barte Partien in Mitleidenschaft gezogen würden. G. 


Das künstliche Trommelfell und die zn seinem Er¬ 
sätze vorgeschlagenen Methoden. Eine otologische 
Studie von Dr. Rudolf Haug, Assistent der chirurgischen Poli¬ 
klinik zu München. München 1889. Theodor Ackermann. 

Angezeigt von Dr. A. Eitelberg in Wien. 

Verf. hat alles über deu Gegenstand Wissenswerthe in einer 
auch für den Nichtspecialisten anregend gehaltenen Broschüre zu¬ 
sammengestellt und selbst den historischen Theil der Frage nicht 
unberücksichtigt gelassen. Wir entnehmen diesem letzteren Ab¬ 
schnitte die interessante Thatsache, daß bereits zur Zeit des dreißig¬ 
jährigen Krieges ein deutscher Arzt, Maucüs Banzer, behufs Ver¬ 
schlusses der persistenten Lücken im Trommelfelle ein an dem einen 
Endo mit einer Schweinsblase überzogenes Röhrchen aus Elendsklaue 
in den Gehörgang einzuführen anrietb. Der Praktiker erfährt weiters 
aus dem Werkchon, daß das künstliche Trommelfell ebenso wie 
mancher andere sehr wichtige therapeutische Behelf aus der reinen 
Empirie hervorgegangen ist, indem einige mit Perforation des 
Trommelfelles behaftete Patienten die Wahrnehmung machteu, daß 
sie auffallend besser hörten, so lange nach der Ausspritzung des 
Ohres ein paar Tropfen der zurückgebliebenen Flüssigkeit die 
Trommelfelllücke ausfüllten, oder ein tief in den Gehörgang einge¬ 
schobenes Wattekügclchen dieselbe verlegte. Dadurch wird aber 
das Verdienst der Beobachter Toynbkk und Yearsley, die mit 
raschem Forscherblicke die Wichtigkeit des Factums erkannten und 
es in der zweckmäßigsten Weise zu verwerthen wußten, keineswegs 
geschmälert. Denn eben in dem blitzartig schnellen und doch 
richtigen Erfassen von Dingen und Verhältnissen, an denen hundert 
Andere gleichgiltig vorübergehen, gibt sich das wahre Beobachtungs¬ 
talent kund. 

Wieso bewirkt aber eigentlich das künstliche Trommelfell die 
Gehörsverbesserung ? 

Toynbee glaubte noch diesen Effect dem Umstande zuschreiben 
zu müssen, daß durch die Prothese ein vollständiger Abschluß der 
Paukenhöhle zu Stande kam, welcher ihm unerläßlich schien, damit 
die hinter dem Trommelfelle befindliche, von allen Seiten einge- 
schloesene Luftscbichte die Schallwellen auf das Labyrinth con- 
centrire und es verhindert werde, daß ein Theil derselben durch 
die Trommelfelllücke in den Gehörgang retlectirt würde. 

Gegenwärtig herrscht die Ansicht vor, daß die Besserung der 
Gehörperception der wiederhergestellten Lcitungsfähigkeit der Gehör¬ 
knöchelchenkette zu danken ist, indem durch den Druck des künst¬ 
lichen Trommelfelles auf die, im Verlaufe einer langwierigen eitrigen 
Mittelohrentzündung dielocirten und von einander entfernten Gehör¬ 
knöchelchen diese in annähernd normaler Weise mit einander aber¬ 


F e u i 11 e t o n. 


Ueber Elektrolyse. 

Eine kritische Studie. 

Von Dr. Heinrich Weiss in Wien. 

Es ist eine schon oft dagewesene Erscheinung, daß irgend ein 
Zweig der Wissenschaft oder eine Methode durch eine unscheinbare 
Entdeckung in ungeahnter Weise vervollkommnet oder geradezu ge¬ 
schaffen wurde. Wem wäre cs beispielsweise eingefallen, in dem 
Spielzeuge des hessischen Lehrers Reiss, dessen Witwe noch heute 
einen Gnadengehalt vom deutschen Reiche erhält, den Vorläufer des 
EDifON’schen Telephons oder des erst herzustellenden Telephono- 
graphen zu erblicken ? Oder, um bei der Medicin zu bleiben, wer 


mals in Contact treten. Ueberdies wird noch die Steigerung des intra- 
auriculären Druckes und die Restitution der durch die Perforation 
herabgesetzten Schwingungsfähigkeit der Trommelfellfläche, bezw. 
die Schwingbarkeit des künstlichen Trommelfelles als Erklärungs- 
grund für die Amelioration des Gehörs herangezogen. 

Bezüglich der verschiedenen Formen des künstlichen Trommel¬ 
felles verweisen wir auf das Original. Hier sei nur noch der 
Myringoplastik, sowie des gleichfalls von Bbrthold vorgeschlagenen 
Ersatzes des Substanzverlustes im Trommelfelle durch die Schalen¬ 
haut des Hühnereies insoferne mit einigeu Worten Erwähnung gethan, 
als dies zur Anführung der von Haüg vorgeschlagenen Modi- 
ficationen — die Methoden selbst sind ja den Lesern dieses Blattes, 
in welchem wir des Oefteren Gelegenheit nahmen, über diesen Gegen¬ 
stand eingehend zu referiren, ohnedies geläufig — unbedingt er¬ 
forderlich ist. Die eine Modification betrifft die Myringoplastik und 
gipfelt darin, daß hiezu sehr dünne Hautstreifen, fast blosse 
Epidermis, genommen wird, während die andere in dem Implantiren 
der Schalenhaut des Hühnereies nicht mit <!er Eiweißseitc, wie 
von Berthold empfohlen wurde, sondern mit der Schalenseito, und 
zwar „in eine dem Einflüsse des thierischen Gewebes von allen 
Seiten zugängliche Tasche“ besteht. 

Wir können den praktischen Aerzten die Lectüre dieser „oto- 
jogischen Studie“ auf’s Beste empfehlen. 


La Chaleur animale par Ch. Richet, Profcsscur de Physio¬ 
logie k la facultß de mädecine de Paris, Directeur de la 
Revue scientifique. Bibliothöque scientifique iutornationale, 
publi6o sous la direction de M. ßm. Aglave. Paris 1889. 
Felix A 1 ca n. 

Angezeigt von Docent Dr. R. Y. Pfangen in Wien. 

Der verdienstvolle Schüler Claude Bernard’s hat hier zn- 
nächst in einem einleitenden Capitel den unsterblichen Verdiensten 
Lavoisier’s eine gebührende Anerkennung gezollt. Die weiteren 
vier Capitel über die Temperatur der Kaltblüter, Warmblüter und 
des Menschen bilden eine mit seltener Sorgfalt zusammengestellto 
Sammlung der verschiedenenMessungsmethoden und ihrer Resultate. 
Hier, wie in den folgenden zwei Capiteln über die Temperatur in 
Krankheiten und nach dem Tode wird der Physiologe wie der 
Kliniker manche ihm etwa entgangene Thatsache vorfinden. Das 
Capitel über die Wärmeproduction in den Muskeln streift nur dieses 
vielumstrittene Gebiet. Der Einfluß der Gifte auf die Körpertempe¬ 
ratur und die Wärmeproduction ist nur im ersten Thoile überhaupt 
ernst in Angriff genommen und bildet darum nur eine flüchtige 
Skizze. Die letzten vier Capitel über die Calorimetrie und die Wärme¬ 
production, das Nervensystem uud die thierische Wärme, die Wärme¬ 
regulation durch die Respiration und die Respiration bei verschie¬ 
denen Temperaturen bieten eine sehr schöne Zusammenfassung zahl¬ 
reicher Thierversuche Richet’s und seiner Schüler mit seinem 
calorimfetre k siphon und mit seinem Brutofen. Insbesondere zwei 
Fragen, die reflectorisch hervorgerufene Dyspnoo und die durch Er¬ 
wärmung der Nervencentren hervorgerufene Wärmedyspnoe, beide 
nach Richet richtiger als Polypnoe zu bezeichnen, werden mit 
zahlreichen interessanten Versuchen beleuchtet. 


hätte vor nicht gar zu langer Zeit das Streichen, Kneten und Quetschen 
einzelner Körpertheilo (Massage) als den Anfang einer Heilmethode 
angesehen, deren heute weder der Specialist, noch der Praktiker 
gern entrathen würde? 

Vom Hypnotismus nicht zu sprechen, sind Bolche Beispiele 
ebensowenig selten, wie ihr Gegentheil, daß geringwerthige oder 
unrichtige Wahrnehmungen mit großem Aplombe in die Welt ge¬ 
setzt wurden, um nach kurzer Zeit spurlos der Vergessenheit an¬ 
heimzufallen. Wer denkt heute etwa noch an den Natrium ben- 
zoicum-Rummel anders, als um einem neuen Verfahren skeptisch 
gegenüberstehen zu dürfen ? 

Auf dem Gebiete der Kosmetik, diesem Aschenbrödel der medi¬ 
cin ischen Therapie, welches zumeist egoistischen Reclamemachorn 
überlassen blieb, sind der medicinischen Wissenschaft noch wenige 
Bausteine zugeführt worden. Man liest wohl allen Ernstes von neu 


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Goosle 




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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


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erfundonen Lebenselexiren (Spermin, „Essence of youth“), einer 
Entdeckung, deren Tragweite in unserer schnelllebigen , neurasthe- 
nisehen Zeit nicht hoch genng anznschlagen wäre, aber vorläufig müssen 
wir, bis die Versuche abgeschlossen sind , nach wie vor alt und unsere 
Hant runzelig werden. Aber daß eine Dame nicht zeitlebens einen 
sie verunstaltenden Bart behalten müsse, dafür haben die ameri¬ 
kanischen Aerzte gesorgt. Das einfache Ausznpfen der Haare, sowie 
das Bestreichen der anormal behaarten Körperstellen mit unterschied¬ 
lichen Pasten führt bekanntlich nicht zum Ziele. Dr. Mich kl in 
St. Louis hatte nun, um einwärts gewachsene Wimpern bei Trichi- 
asig zu entfernen, die Elektrolyse angewendet. Seine guten Erfolge 
veränlaßten Dr. Hardaway in St. Louis, dieses Verfahren für die 
Epilation im Gesichte zu kosmetischen Zwecken zu benutzen. Seine 
ersten günstigen Berichte datiren aus dem Jahre 1878, wie dies 
Dr. Möller, der diese Methode im Jahre 1885 zuerst in Wien übte, 
in einem Aufsatze: „Ueber Radical-Epilation mittelst galvani¬ 
schen Stromes“ („Wiener Med. Presse“) beschreibt. In Deutschland 
war Dr. Michelsohn (1886) der Erste, der diese Epilationsmethode 
ausfflhrte. Alle Autoren nennen sie mühsam und eine harte Ge¬ 
duldprobe für Arzt und Pat., aber Keiner zweifelt, daß dieselbe 
Gemeingut aller Aerzte werden wird. 

In der That hat sich diese geistreiche therapeutische Spielerei 
nicht nur in Amerika, wo sie allenthalben geübt wird, sondern 
aweh auf dem Continente unter den Aerzten viele Freunde erworben. 
Sie ist aber auch zugleich zum Ausgangspunkte einer Bewegung 
geworden, welche bestrebt ist, der elektrolytischen Behandlung in 
der Chirurgie einen dauernden, um nicht zu sagen, einen hervor¬ 
ragenden Ehrenplatz einzuräumen. Trotz der großen Triumphe, welche 
die antiseptisehe Technik täglich und überall feiert, ward man auf 
die oft glänzenden Heilresultate, die man nicht blos beim Epiliren, 
sondern auch bei der Behandlung warziger Hautgebildo, Angiorae, 
Papillome, Naevi etc. erzielte, mit Recht aufmerksam. Die Elekto- 
lyse war doch Bchon imBeginno dieses Jahrhunderts in Europa 
bekannt und selbst zu therapeutischen Zwecken verwendet 
worden, wenngleich erst in den Dreißiger-Jahren Farad AY die noch 
heute giltigo Noraenclatur einführte und die chemischen Vorgänge bei 
der Galvanolyse unserem Verständnisse näher brachte. 

Anfangs dor Vierziger-Jahre machte Dr. Gustav Cküsell 
in Petersburg für die galvanochemische Operationsmethode lebhaft 
Propaganda. Er fand wohl Bewunderer, aber fast keine Nach¬ 
ahmer. 

Wohl hatte sich Nülaton fast ein Vierteljahrhundert darauf 
für dieselbe intoressirt und sie in einigen wenigen Fällen mit Erfolg 
praktisch verwerthet, aber eine Reihe hoebangesehener und objec- 
tiver Forscher verwarf die Elektrolyse als Operationsmethode. 
Speoiell in Wien konnte die Elektrolyse keinen Boden fassen. 
Billroth sprach sich über sie nicht günstig aus, ebenso Ultz- 
mann u. A. 

In Deutschland und England jedoch ging man in den letzten 
Jahren von Neuem an das Studium des elektrolytischen Verfahrens, 
und hier wie dort wächst mit jedem Tage die Zahl der Lobredner, 
v. Brüns und namentlich Voltolixi erprobten dasselbe. Die eng¬ 
lischen Gynäkologen, wie Apostoli, Steavknson, John Shaw und 
selbst Spencer Wells, also durchwegs Operateure von Rang, 
empfehlen es wärrastens. Wo die Meinungen so schroff gegenttber- 
stehen, da müssen Gründe obwalten, die zum Theile vielleicht nur 
äußerer Natur sind. Anders wäre ein solcher Widerspruch nicht zu 
erklären. Vor Allem kann nicht geleugnet werden, daß die Wir¬ 
kung des elektrischen Stromes auf das Protoplasma nicht vollends 
erforscht ist. Ob dieses blos in chemischer und nicht auch in 
mechanischer und thermischer Weise vor sich geht, ist nicht fest¬ 
gestellt. 

Das lebende Protoplasma wird in ein todtes umgewandelt, 
welches jedoch resorbirt werden kann. Für kleine Geschwülste und 
warzige Hautgebilde gilt die* als sicher. Ob dies in allen Fällen 
und bei intensiver Anwendung auch der Fall ist, darüber herrscht 
keine üebereinstiramung. 

Es können, und das soll nicht verschwiegen werden, trotz 
aller antisoptischen Cautelen Eiterungen in der Tiefe entstehen, die 
znlefzt doch das Messer heischen. Die Elektrolyse ist eben ein 


schonendes, mildes Verfahren und will auch so gehandhabt werden. 
Jedenfalls leidet bei der Zerstörung eines Gebildes in der Tiefe 
mittelst der Elektrolyse die Oberfläche nur selten und im geringsten 
Maße, so daß entstellende Narben geradezu ausgeschlossen sind. 

Aber noch zwei Factoren scheinen der häufigeren Anwendung 
dieses Verfahrens im Wege gewesen zu sein und das Urtheil über 
dasselbe getrübt zn haben. Bis in die neueste Zeit war man nicht 
gewohnt, die Elektrieität zn dosiren. Galvanometer und Rheostat 
kamen selten zur Anwendung, und die meisten Autoren gaben ge¬ 
wöhnlich nur annähernd die Zahl und Größe dor Elemento an, die 
zur Elektrolyse verwendet werden sollen, ohne dabei zu bedenken, 
daß selbst ein und dieselben Elemente, je nach ihrer Verwendungs¬ 
dauer, eine ganz variable Größe darstellen. Da, wo es auf dio 
chemische oder mechanische Wirksamkeit des galvanischen Stromes 
ankommt, fällt dies sehr in die Waagschale. 

Nächst der mangelhaften Dosirung der Ströme wurde auch 
die Beschaffenheit der Elektrode wenig berücksichtigt. Es ist merk¬ 
würdig, in einer Zeit, wo Jeder, der nur halbwegs ein Specialfach 
betreibt, zu verschiedenen Handgriffen sich oigene, mitunter nnr 
wenig von bereits bekannten abweichende Instrumente verfertigen 
läßt, gut isolirte, nicht oxydirbare, blog an der Spitze eine kurze Strecke 
weit wirksame Elektroden haben die Wenigsten angewendet. Und darauf, 
sowie auf die Form, Biegsamkeit oder Festigkeit der Elektroden 
kommt es hauptsächlich an. Will man an irgend einem Neugebilde 
der Uterushöhle elektrolytisch operiren, so muß dem Rechnung ge¬ 
tragen werden, daß der Cervixcanal durch dio Geschwulstmasse 
häufig verzerrt und gewunden sein kann. Bei Neubildungen im 
Kehlkopfe wird man besonders darauf bedacht sein müssen, sich 
nur an der Spitze wirksamer, gut isolirter Elektroden zn bedienen. 

Auf dieeem Gebiete scheint dio Elektrolyse besonders berufen 
zu sein, einen dauernden Platz einzunehmen. Fieber hat zwar 
wenig ermunternde Versuche nach dieser Richtung gemacht. Damals 
lagen aber die Verhältnisse ganz anders. Heutzutage, wo mit Hilfe 
des CocaYns ein Arzt auch mit minderer Dexterität im Kehlkopfe erfolg¬ 
reich operiren kann, wird dies mit einer gut gewählten Elektrode 
noch weit eher der Fall sein. Denn während man bei schneidenden 
Instrumenten sich oft hinterher überzeugen kann, ob man nicht zu 
viel oder zu wenig erfaßt hat, kann man im anästhesirten Kehl- 
kopfo unter Controle des Spiegels sich genau orientiren, ob die 
Elektrode richtig eingestochen ist und erst dann den Strom wirken 
lassen. Fast die gleichen Verhältnisse bietet dio Rhinologie. 

Aber auch bei Behandlung der Stricturen der Harnröhro, der 
Prostatahypertrophie, gewissen Formen der Struma, bei Neubildung 
im Gesichte etc. wird dio Elektrolyso den bisherigen Methoden oft 
vorgezogen werden können, und, wenngleich sie niemals souverän 
gelten wird, auf das onge Gebiet der Cosmetik allein wird sie kaum 
mehr beschränkt werden. Nicht blos Bücher haben ihre Schicksale, 
sondern auch wissenschaftliche Bestrebungen: der Korn einer Wahr¬ 
heit geht nie verloren. Die Verdienste Crusell’s bleiben unge¬ 
schmälert, obgleich seino Methode so spät und auf Umwegen sich 
Bahn gebrochen hat. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Behandlung der Schweißfuße bespricht Prof. Kobert 
(Dorpat) in einer in Nr. 1 der „Fortschr. d. Med.“ veröffentlichten 
kritischen Uebersicht. Von den verschiedenen Mitteln erwähnt 
Kobert zunächst das 20proc. Borvasclin, welches zwischen die 
sauber gewaschenen und abgetrockneten Zehen eingerieben wird. 
Unna empfiehlt zu gleichem* Zwecke eine Salbe aus 


Ungt. Zinci.10’0 

Ammon, sulfoichthyol 

Terebinthinae aa.5’0 


Dieselbe soll in die gereinigten und mit Campherspiritus abgeriebenen 
Füße eingestrichen werden. Wo auch diese nicht zum Ziele führt, 
applicirt man 2—3proc. Lösuugen von Salicylsäure in Spiritus 
mittelst des Sprays oder mittelst Pinsels. Auch 10—20proc. Wein- 
säurelösnngen, in gleicher Weiso angewandt, hat man empfohlen, 
obwohl nicht recht einznsehen ist, wie sie wirken sollen. Ja man 
hat selbst die Weinsäure in Substanz (Pulv. acidi tartarici) zum 

2 * 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


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Ein pudern anempfohlen; die Salicylsäure eignet sieh in Pulverform 
ebenfalls, muß aber stark mit indifferenten Substanzen, wie Speck¬ 
stein und Mehl, verdünnt werden. Eine derartige Mischung ist be¬ 
kanntlich das in Deutschland officinelle Fußstreupulver (Pulvis sali- 
cylicus cum talco), welches 3 Theile Salicylsäure, 10 Theile Weizen¬ 
stärke und 87 Theile Speckstein enthält. Der Bauer benutzt statt 
dessen feine Kleie, welche er mehrmals täglich zwischen die Zehen 
streut. — Eine andere in Frankreich empfohlene Talkcomposition 


lautet: 

Talcum.40*0 

Bismuth. subnitric.45 - 0 

Kali permanganicum.13'0 

Natri salicylici.2*0 


M. f. pulvis adspersorius. 

Dtr. in vitro ad adspergendum idon. 

Natürlich muß auch dieses Pulver durch Waschen mehrmals täglich 
entfernt und dann von Neuem in trockene, wollene Strümpfe und 
zwischen die Zehen gestreut werden. — In der Schweizer Armee 
hat sich folgendes Fußstreupulver eingebürgert: 

Taloi.1000 

Alumin. usti.20'0 

M. f. pulv. 

Dtr. ad vitr. 

Der Alaun nimmt zunächst, da er entwässert ist, viel Schwei߬ 
flüssigkeit in sich auf, zerfließt dann und wirkt stark adstringirend 
auf die weiche gelockerte Haut. Jedenfalls hat dieses Streupulver 
den Vorzug der Einfachheit und Ungefährlichkeit für sich. Das in 
den letzten 2 Jahren am meisten besprochene Mittel gegen Fu߬ 
schweiß ist die Chrom6äure. Durch einmalige Bestreichung der 
Fußsohle und der Haut zwischen den Zehen mit Verbandwatte, 
welcho mittelst Glaspincette (d. h. zwei nebeneinander gehaltene 
Glasstäbe) in eine lOproc. Chromsäurelösung getaucht worden ist, 
soll eine sofortige Heilwirkung erzielt werden; bei Schweißfüßen 
mittleren Grades sollen einige in Zwischenräumen von 6—8 Wochen 
zu wiederholende derartige Bestreichungen genügen, höhere Grade 
sollen in den ersten Monaten häufigere Anwendung des Mittels (etwa 
2—3 Wochen) erheischen. Bei wunden Füßen wird empfohlen, zu¬ 
nächst einige Tage hintereinander eine Öproc. Lösung zu benutzen 
und erst nach Wiederherstellung der Haut zu der stärkeren Lösung 
überzugehen. Auch sorgfältiges Abtrocknen wird empfohlen. Aus 
mehreren von Kobebt angeführten Beispielen geht aber hervor, daß 
chromsaure Salze binnen weniger Tage schwere Zer¬ 
störungen der Haut und der darunterliegenden Ge¬ 
bilde hervorrufen können. Dio freie Chromsäure wirkt aber 
viel stärker als ihre Salze und muß daher bei Soldaten mit kleinen 
Excoriationen zwischen den Zehen, bei welchen sie wiederholt an¬ 
gewandt wird, unter Umständen die schwersten fressenden Geschwüre 
der Schwimmhäute veranlassen können. Zu diesem sehr ernsten Be¬ 
decken kommt noch ein weiteres hinzu. Die Chromsäure kann näm¬ 
lich bei der Application auf die dünue defecte Haut der schweißigen 
Zehen theilweise als chromsaures Salz resorbirt werden und wird 
dann die von Kabiebskk, Pander u. A. beschriebene Chromat¬ 
entzündung der Nieren veranlassen, welche zu Hydrops und Tod 
führen kann. Vom pharmakologischen Standpunkte äußert sich daher 
Robert dahin, daß der momentane Nutzen der Chromsäurebehand¬ 
lung der Schweißfflße ein unbestreitbarer und im Kriege wohl durch 
nichts ersetzbarer ist, dagegen die länger dauernde Behandlung 
hochgradiger Fälle von Fußschweißen mit diesem Mittel in Friedens¬ 
zeiten eine nicht ungefährliche und wohl durch unschuldigere Mittel 
ersetzbare ist. 

— Desgüins beschreibt in „Archives möd. Beiges“ einen Fall 
von Hund8wuth nach mehr als zweijähriger Incubation und 
nach Behandlung im Rasteur’schen Institut. In der Nacht vom 
20. zum 21. Mai 1889 wurde Desgüins in Antwerpen zu einem 
Maler M. gerufen, welcher die classischen Zeichen der Wuthkrank- 
heit bot: Die Unmöglichkeit, anch nur das Geringste binunter- 
zuschlingen, Wasserscheu, Brustkrämpfe, allgemeine Hyperästhesie 
und hochgradige Erregtheit. Diese Erscheinungen steigerten sich 
in den folgenden Tagen, es kam starker Speichelfluß hinzu und der 
Kranke starb am 23. Mai unter Krämpfen. Die sehr sorgfältige 


Anamnese ergab Folgendes: Am 3. März 1887 war der Kranke 
von dem Hunde eines Freundes am Kinn und am Bein gebissen 
worden, ebenso dieser Freund selbst an einem Finger. Während 
dieser aber sich beeilte, das Blut aus der Wunde auszupressen, dieselbe 
mit Ammoniakwasser auszuwaschen und mit dem glühenden Eisen 
zu cauterisiren, that M. zunächst gar nichts, sondern ging erst am 
nächsten Tage zum Arzt, welcher die Wunden mit Höllenstein ätzto. 
Der Hund wurde getödtet, zwei Thierärzte gaben ihre Meinuug 
dahin ab, daß er an Tollwuth gelitten habe. Darauf reiste M. nach 
Paris, 3 Tage nach dem Bisse, und wurde 3 Wochen lang in dem 
PASTEUR’schen Institute behandelt. Seitdem hatte er sich mit dem 
Vorfälle nicht mehr beschäftigt. Der Besitzer des Hundes selbst 
hat sich stets des besten Wohlbefindens erfreut. 

— Bei der Behandlung der Netzhautabhebung handelt es 
sich nach Abadie darum: 1. eine Adhäsion der Retina an der 

Stelle, wo die Punction vorgenommen wird, zu erzielen; 2. die 
Ausdehnung des Bulbus zu vermeiden. Zu diesem Behufe macht 
Abadie zunächst eine Sclerotomie, wodurch der intraoeuläre Druck 
abnimmt. Um eine locale Reizung hervorzurufen, injicirt er fol¬ 
gende Lösung: 

Rp. Tinct. jod.5’0 


Kal. jodat.0'25 

Aq. dest.5*0 


Das Verfahren ist folgendes: Zunächst wird die Sclera etwa 8 bis 
10 Mm. hinter dem Limbus, ungefähr im Centrum der abgehobenen 
Netzhaut punctirt. Die Punction wird mit einem etwas breiteren 
GRAEFE’schen Messer ausgeführt. Nach Einstechen des Messers 
werden mittelst einer Vierteldrehung desselben die Wundränder 
leicht erweitert, um die subretinale Flüssigkeit ausfließen zu lassen. 
Nun wird das Messer herausgezogen und eino feine Canüle, die mit 
einer PRAVAZ’schen Spritze verbunden ist, eingefttbrt. Ist die Canüle 
3—4 Mm. ins Auge eingedrungen, wird ein Theilstrich der Pravaz- 
schen Spritze eingespritzt. Die folgende Reaction ist nicht sehr 
starb. Am nächsten Tage ist das Auge zusammengefallen, ähnlich 
wie bei acuter Ophtbalmomalacie. Allmälig aber nimmt die Spannung 
zu und der Bulbus erlangt sein früheres Volum. Was den Mechanismus 
der Heilung betrifft, so glaubt Abadie, daß die Entleerung der sub- 
retinalen Flüssigkeit und die intraoeuläre Injection der reizenden 
Flüssigkeit einen gewissen Grad von Atrophie des Bulbus erzeugen, 
die eine neuerliche Ausdehnung desselben und eine Abhebung der 
Netzhaut verhindert. Die Zahl der mittelst dieses Verfahrens ge¬ 
heilten Fälle ist eine sehr ansehnliche. 

— Herbert Jones hat — wie er im „Lancet“ mittheilt — 
Chloral bei Strychninvergiftung mit Erfolg angewendet. Ein 
30jähriger Mann hatte von einem strychninhältijren Präparate etwa 
6 Grm. zu sich genommen, so daß die damit verschluckte Strychnin- 
mengc 0*4 betrug. Nach 5 Minuten intensive Anfälle von Kiefer- 
starre und Starrkrampf. 10 Minuten später injicirte Jones J/25 
Chloralhydrat unter die Haut. Dadurch wurden die Intervalle 
zwischen den einzelnen Anfällen länger und es war nur noch eine 
weitere Injection von 0*6 erforderlich, um dem Pat. innerlich Medica- 
mente verabfolgen zu können, ohne daß darauf ein Krampfanfall eintrat. 
Nun erhielt Pat. noch innerlich 1*5 Chloralhydrat und es kam nicht 
wieder zu tetanischen Anfällen. Es wurde also die ganze Strychnin¬ 
menge durch das Chloral unschädlich gemacht. Nimmt man die 
tödtliche Dosis des Strychnins beim Erwachsenen — 0'045 an, so 
ist in diesem Falle eine zehnfach tödtliche Gabe im Körper durch 
Chloral überwunden. 

— A. Studenezki hat das von Clark empfohlene pikrin- 
saure Ammoniak gegen Malaria in 62 Fällen versucht und theilt 
in Nr. 17 der „Medicinskoje obosrenje“ die von ihm erzielten Re¬ 
sultate mit. Nach ihm ist das pikrinsaure Ammonium kein wahres 
Surrogat für das Chinin, stellt aber neben diesem und dem Arsen 
ein sehr wertbvolles Mittel gegen Malaria dar und steht in seiner 
Wirkung zwischen diesen beiden, wirktrasch wie Chinin, setzt aber, 
wie das Arsen, die Temperatur nicht herab und hat den Vorzug, 
daß es nicht nur keine gastrischen Störungen setzt, sondern solche 
etwa vorhandene beseitigt. Das Ammonium picronitricum ist am 
meisten bei denjenigen fieberlosen Formen der Malaria angezcigt, 
welche noch nicht zur Kachexie geführt haben, bei den fieberhaften 


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Fällen muß es an deü intervallären Tagen gegeben werden. Bis 
zu 6 Grm. in 24 Stunden steigende Gaben des Ammonium picro- 
nitricum haben keinerlei schädliche Nebenwirkung und reichen für 
gewöhnlich aus. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „ Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 17. Januar 1890. 

Vorsitzender: Generalstabsarzt Dr. Podratzky. — Schriftführer: 

Reg.-A. Dr. Fraenkel. 

Prof. Neumann: Ueber Extragenitalscierosen. 

Neumann polemisirt gegen die Ansicht mancher Autoren, daß 
die Extragenitaisclerose einen viel intensiveren syphilitischen Proceß 
bervorrufe als die anderen Sclerosen; nach seinen Erfahrungen 
bleibt die Syphilis dieselbe, ob die Sclerose ihren Sitz an den Geni¬ 
talien oder anderwärts hat. 

Die Veranlassung zur Infection gibt zunächst die Sclerose 
selbst; da aber diese bald überhäutet wird, so dauert ihre Infec- 
tiosität nicht lange. Die Sclerosen an den Lippen dauern längere 
Zeit, daher sind sie auch längere Zeit im Stande zu inficiren. Am 
häufigsten geben die breiten Condylome Veranlassung zur 
Infection, weil sie fortwährend Exsudat liefern, das zu inficiren 
vermag. Jeder Syphilitiker hat, namentlich im ersten Stadium, in 
allen seinen Geweben eine gewisse Virulenz, daher die Infection von 
jeder Exooriation ausgehen kann. Daß das Blut der Syphilitiker 
infectiös ist, ist bekannt. Der Schleim, Speichel, Harn, Sehweiß 
und die Milch können als Vermittler der Infection dienen, aber 
nicht selbst inficiren. Der Samen kann nur insoferne inficiren, 
als er schwängert. 

Die indirecten Ursachen der Infection sind: Instrumente, Wäsche, 
Kleider etc. 

Die verschiedenen Möglichkeiten der Infection bestehen in 
Kuß (und zwar nicht blos an den Lippen, sondern auch an anderen 
Körperstellen), Biß, Saugen, Untersuchung mit dem Finger, Trinken 
aus einem Gefäß, aus dom ein Syphilitischer mit einer syphilitischen 
Affection des Mundes getrunken hat etc. 

Der Grund, warum die Extragenitalscierosen als erschwerende 
Momente für den Verlauf der Syphilis angesehen werden, liegt 
darin, daß dieselben, wegen der Schwierigkeit der Diagnose, spät 
erkannt werden, daß sie oft bei Individuen mit perversem Geschlechts¬ 
trieb Vorkommen, die auch andere, für den Verlauf der Syphilis 
nachträgliche Perversitäten zeigen , schließlich daß sie bei ärmeren 
Leuten Vorkommen. 

Zum Schlüsse stellt Neumann einen Pat. vor, der 5 Sclerosen 
zeigt, und zwar 3 am Penis und eine an jeder Hand. Die 
Sclerosen am Penis hat er durch Cobabitation acquirirt, die an den 
Händen durch Berührung der an seiner Geliebten constatirten Papeln 
mit den vorher verbrannten Händen. 

Dr. Rabl theilt 2 Fälle mit, bei welchen plötzlich DrüSen- 
schwellungen auftraten, die anfänglich als sorophulöse imponirt 
hatten, die sich aber nachträglich als syphilitische herausgestellt 
haben. In dem einen Falle ist die Primäraffection am Mundwinkel 
durch Berührung einer vorher von einem syphilitischen Manne ge¬ 
rauchten Cigarette, im zweiten durch Küssen eines hereditär syphi¬ 
litischen Kindes entstanden. 

Prof. WINTERNITZ: lieber Wärmeregulation und Fieber. 

Winternitz führt Versuche von Maragliano , Speck und 
Lewy an, welche den von ihm schon vor 25 Jahren durch Versuche 
festgestellten Satz beweisen, daß die Regulation der Körperwärme 
nicht durch Steigerung der Wärmeproduction, sondern durch Ver¬ 
mehrung oder Verminderung der Wärmeabgabe zu Stande kommt. 

S. 


Verein für innere Medicin zu Berlin. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 6. Januar 1890. 

lieber die Influenza. 

Geh.-R. Leyden bezeichnet als das wichtigste medicinische 
Ereigniß, welches das vergangene Jahr beschlossen hat, die In¬ 
fluenzapandemie, welche sich allmälig über ganz Europa aus¬ 
gebreitet und selbst in Amerika eine beträchtliche Ausdehnung ge¬ 
wonnen hat. In Berlin hat sie eine ziemlich gleichmäßige Ver¬ 
breitung über sämmtliche Stadttheile gezeigt und wohl die Hälfte 
aller Bewohner ohne Rücksicht auf Stand, Geschlecht und Alters- 
classe befallen; selbst Kinder an der Mutterbrust sind nicht 
verschont geblieben. 

Bezüglich der Charaktere der Pandemie lassen sich mehr und 
mehr deutlich drei Formen unterscheiden: die gastrische, die 
catarrhalische und die nervöse Form. Als ein und dieselbe 
, Krankheit documentiren sich diese drei Formen durch ihr plötzliches 
Auftreten unter Frösteln und hohem Fieber, welches auf 40° und 
selbst darüber ansteigt, in der Regel 2—3 Tage auf dieser Höhe 
! bleibt und dann unter Crisis oder Lysis abfällt. Im Anfang wird 
j das Fieber häufig von Erbrechen und gastrischen Störungen, von 
: Schwellung der Augen und Conjunctivitis begleitet. Die Krankheit 
; endigt dann sehr bald, hinterläßt aber ein Gefühl von großer Pro- 
jstratiou und Schwäche, von der sich die Reconvalescenten nur sehr 

■ langsam erholen. Durch diese Intensität der Fälle unterscheidet 
sich die Epidemie von den sporadischen Fällen der Grippe. 

! In Bezug auf die Pathologie der Erkrankung hebt Leyden 

• einige charakteristische Symptome hervor. Was die catarrhali¬ 
sche Form anbetrifft, so kennzeichnet sie sich neben den allge- 

| meinen Erscheinungen durch eine Localisation in den Respirations- 

• wegen und geht mit Angina, Pharyngitis, Laryngitis und Stomatitis 
; einher. 

1 Es entwickeln sich Bronchialoatarrhe und endlich die gefähr¬ 
lichste Complication, die Pneumonie. Von weiteren Coroplicationen 

■ ist die des öfteren beobachtete Milzschwellung und ferner die große 
[ | Neigung zu Blutungen zu erwähnen. Diese Blutungen traten als 
I hämorrhagische Pharyngitis und Laryngitis, sowie in Form vou 
i Uterin- und Nierenblutungen auf. Bemerkenswerth sind ferner die 

als Complication der Influenza beobachteten Exantheme, wie Herpes, 

; Urticaria, Erythema, Ecthyma und endlich ausgedehnte, dem Schar- 
i lach ähnliche Exantheme, wie Leyden, selbst in einem Falle beob- 
j achtet hat. 

' Bei der gastrischen Form sind dio gewöhnlichen Syra- 
j ptome Erbrechen, belegte Zunge, Dyspepsie, Durchfälle oder Obsti- 
S pation; auch Cardialgien und Coliken hat Redner in auffallender 
: Weise beobachtet. Ganz charakteristisch ist die langdauernde 
; Anorexie, welche die Länge der Reconvalescenz bedingt. 

Die nervöse Form verdient ein besonderes Interesse, so- 
; wohl wegen ihrer verschiedenen Art wie ihrer variablen Intensität. 

; Sie entwickelt sich mit äußerst heftigen Kopfschmerzen, ferner mit 
Schmerzen einzelner Glieder oder Gelenke, wie im Knie, Arm oder 
im Kreuz, Erscheinungen, welche große Aehnlichkeit mit den beim 

■ Denguefieber beobachteten Symptomen haben. Im weiteren Verlauf 
der Influenza sind zuweilen mit großer Hartnäckigkeit auftretende 
Neuralgien constatirt, von denen Redner selbst zwei Fälle von Supra- 

: Orbitalneuralgie, sowie einen Fall von Ischias behandelt hat. Von 
anderen complicatorischen Symptomen hebt er namentlich cerebralo 
Erscheinungen hervor, die er in einem Falle als Meningitis und 
Otitis, in einem anderen als Genickstarre und Coma im Gefolge der 
Influenza beobachten konnte. Von anderer Seite ist Uber Influenza¬ 
fälle mit überaus schwerem Verlauf berichtet worden, welcho in 
wenigen Tagen unter Delirien und Coma letal ondigten. 

Die Eigenthumlichkeit der Influenza, auch kranke Personen, 
welche von anderen Leiden befallen sind, zu ergreifen, bietet ein 
besonderes Interesse in Bezug auf Herzkranke. Auf der dem Vor¬ 
tragenden unterstellten Abtheilung der Cbaritö sind auch verschiedene 
Herzkranke influenzirt worden, haben jedoch mit einer einzigen 
Ausnahme die Infection gut Überstunden. In einem Falle combinirto 
sich die Influenza mit Nephritis, in einem anderen mit Paraplegie 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


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des Rückenmarks. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die 
Combination der Influenza mit Tuberculose deshalb, weil sämmt- 
liohe Patienten mit florider Phthise trotz heftiger Influenzainfection 
genasen und keine Schädigung ihres Alfgemeinbefin dens gegen 
früher erkennen ließen. 

Ganz besonders wichtig erscheint die Complication der Influenza 
mit Pneumonie, welche namentlich in der zweiten Hälfte der 
Epidemie vielfach beobachtet worden ist und die meisten Todesfälle 
herbeigeführt hat. Diese Pneumonie bietet nach Leydbn’s Er¬ 
fahrungen manche eigenthümliche Erscheinungen dar. In erster 
Linie ist die mangelhafte Hepatisation zu erwähnen, dann das zeit¬ 
weise wieder verschwindende crepitirende Rasseln ohne reguläre 
Dämpfung. Trotzdem war der Verlauf ganz wie der einer typischen 
Pneumonie mit Crisis am 7. Tage. Der Auswurf war theils blutig, 
theils rostfarben. Der Verlauf war entsprechend der Localaffection 
und führte in einzelnen Fällen, ohne daß es zur Hepatisation ge¬ 
kommen war, zu letalem Ausgang, besonders bei geschwächten, 
alten Leuten, ln ätiologischer Beziehung möchte Leyden ver¬ 
schiedene Formen der Pneumonie, eine catarrhalische und eine 
genuine croupöse mit FRÄNKEL’schen Diplococcen unterscheiden. Die 
Untersuchung auf Diplococcen ist noch nicht beendet, läßt aber die 
Betheiligung des typischen Pneumoniecocous bei den Influenza¬ 
pneumonien als sehr wahrscheinlich erscheinen. 

Im Verlauf der Influenzaerkrankungen sind sowohl in Berlin 
wie in Petersburg wiederholt Rückfälle mit pneumonischen Affectionen 
eingetreten, namentlich in Fällen, wo die Patienten zu früh auf¬ 
standen oder sich Schädlichkeiten aussetzten. 

Bezüglich der Weiterverbreitung der Influenza hat Leyden 
aus seinen Beobachtungen in der Charit© nicht den Eindruck der 
contagiöBen Uebertragung gewonnen, wenigstens spricht z. B. die 
gleichzeitige Erkrankung von 5 Patienten in einem Winkel des 
Krankensaales mehr für eine miasmatische Ueberpflanzung von außen 
her. Für diese Aetiologio läßt sich auch die Verbreitung der 
Epidemie in der Stadt in Anspruch nehmen. Gute trockene Woh¬ 
nungen gewährten den Insassen einen gewissen Schutz gegen die 
Infection. Andererseits wurden gerade die Dienstboten und Portiers, 
überhaupt Personen, welche jedem Einfluß der Witterung ausgesetzt 
waren, am ehesten von der Influenza befallen. Allem Anschein nach 
werden diese Personen von dem in der Luft enthaltenen Krankheits¬ 
stoff inficirt. In Berlin hat die Affection im Allgemeinen einen mehr 
gutartigen Verlauf genomraon, die Mehrzahl der letalen Fälle ist 
durch Complicationen hervorgerufen. Die Krankheit an sich erscheint 
nicht als eine maligne und erzeugt nicht, wie etwa die schweren 
Infectionskrankheiten, immer neuen Krankheitsstoff aus sich selbst. 

In der Therapie hat das Antipyrin eine ausgedehnte An¬ 
wendung erfahren, größtenteils zum Nutze» der Apotheker, teil¬ 
weise auch zum Nutzen der Kranken und der sogenannten Influenza- 
phoben. 

Die Frage der Beziehung der Influenza zum Dengue¬ 
fieber vermag Redner nicht zu entscheiden; es liegt keine Ver¬ 
anlassung vor, sie für identisch zu erklären, doch ist eine gewisse 
Aehnlichkeit augenfällig. Bezüglich der Identität dor gegenwärtigen 
Influenza-Epidemie mit denen der früheren Jahre kann jedenfalls 
kein Zweifel bestehen. 

Ueber die diesem Vortrage gefolgte Discussion berichten 
wir in nächster Nummer. —r. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Socidt6 de biologie. 

Sitzung vom 14. December 1889. 

Ueber die physiologische Wirkung der Ammoniakclysmen. 

In einer der letzten Sitzungen der Berliner Gesellschaft hat 
Baginsky die Ansicht ausgesprochen, daß die Cholera infantum 
durch eine Intoxieation mit Ammoniak entsteht, welche im Darme 
durch das Wachsthum des Bacterium lactis und des Baoterium coli 
commune gebildet wird, lim diese Behauptung zu controliren, hat 
Combemalk in den Dickdarm mehrerer Hunde Ammoniak in einer 
größeren Menge, in Luft suspendirt, eingebracht. Sobald die erste 


Gasblase an dor Oberfläche der das Ammoniak liefernden Ammoniak- 
flffssigkeit aufgestiegen war, wurde die in den Darm hoch angeführte 
Sonde zurückgezogen. Das Thier litt heftige Schmerzen, schlug um 
sich herum, war sehr unruhig, keuchte, schäumte und trank viel 
Wasser. Nach diesen Reizungsersobeinungen von Seite des Muskel- 
Bystems, des Respirations- und Secretionsapparates trat wiederholtes 
Erbrechen, Stuhldrang und blutige Stuhlcntleeruhg, sowie Anurie 
ein. Das Thier magerte ab, hatte intensiven Durst, wies jede Nahrung 
zurück und zeigte noch einige Tage nach diesem Ammoniakclysma 
heftigen Stuhldrang; häufig gingen die Thicre nach 48 Stunden 
zu Grunde, und man fand bei der Section entzündliches Oedem und 
ausgedehnte Ulceration bn Rectum, sowie einen blutigen Erguß in’s 
Peritoneum; an der von der Sonde berührten Stelle war der Darm 
necrosirt. In der That zeigen diese Symptome große Analogie mit 
denen der Cholera infantum, ob aber aus dieser Analogie auf die 
Identität der Intoxicätion zu schließen ist, kann noch nicht mit Eüt- 
schiedenheit bestimmt werden. Bei den erwähnten Versuchen muß 
jedenfalls in Betracht gezogen werden, daß die Necrose der Zellen¬ 
elemente für die Resorption des Ammoniaks ein unüberwindliches 
Hinderniß bietet und daß auch die Reizung der Nervenenden in’s 
Gewicht fällt. 


Sitzung vom 4. Januar 1890 

TrachealinjecfIonen bei Pneumonie. 

Pignol hat in der medicinischen Klinik des Hotel Dieu drei 
Fälle von Pneumonie mit Injoctionen von Naphthol in die Trachea 
behandelt, und zwar benützte er eine Lösung von Naphthol 0'20 
auf 1000 Wasser; die während einer halbstündigen Sitzung injicirte 
Flüssigkeitsmenge betrug 200—350 Ccm. Eine tuberculöse Frau 
mit einer doppelseitigen Pneumonie erhielt 4 solche Injoctionen, die 
2 anderen blos je eine. Die Injection wird gut vertragen und ruft 
keinerlei unangenehme Zufälle hervor. Im Gegentheil behaupten die 
Kranken sofort eine Abnahme der Dyspnoe zu empfinden und man 
kann gleich nach der Injection Rasselgeräusche selbst an Stellen 
wahrnehmen, wo früher nur das bronchiale Athmen vorhanden war. 
In einem beginnenden Falle sank das Fieber sofort nach der In¬ 
jection. In 2 anderen trat eine merkliche Besserung ein. 

Die Beobachtungen sind noch nicht abgeschlossen, und wird 
Redner, der sich von dieser Behandlung viel verspricht, hierüber 
baldigst Weiteres mittheilen. 

Mathias Duval bemerkt hiezu, daß die Resorption durch die 
Luftwege bereits vor längerer Zeit benutzt wurde, um Chinin bei 
manchen Fällen von Malaria anzuwenden. In der That ist die Re¬ 
sorption an der Oberfläche der Bronchien eine ungemein rasche. 

Um trächtige Kaninchen behufs Untersuchung der Jungen zu 
tödten, brachte Duval die Nase derselben in’s Wasser, um dasselbe 
durch die Inspiration in die Luftwege gelangen zu lassen und so 
Asphyxie herbeizuführen. Er mußte aber von diesem Verfahren 
baldigst abkommen, da die resorbirte Wassermenge eine so enorme 
war, daß die rothen Blutkörperchen ungemein rasch verdünnt wurden. 
Er glaubt daher, daß die von Pignol injicirte Flüssigkeit schon in 
der Trachea resorbirt wird und kaum in die Bronchien gelangen 
kann, um dortselbst eine locale Wirkung zu entfalten. 

Soei 616 medical© des höpitaux. 

Sitzung vom 13. December 1889. 

Ueber die Rolle des Trinkwassers in der Aetiologie des 
Abdominaltyphus. 

Obgleich die Behauptung, daß das Trinkwasser in der Aetiologie 
des Abdominaltyphus eine bedeutende Rolle spielt, nicht neu ist, and 
dennoch* die Fälle, in welchen der positive Beweis hiefflr durch 
strenge bacteriologische Untersuchung sicher erbracht ist, noch immer 
spärlich. Es mag daher von Interesse sein, 5 sicher oonstatirte 
Fälle zu erwähnen, die Vaillard beobachtet und genau unter¬ 
sucht hat: 

1. Im März 1889 brach in einer Cavalleriecaserne in Melun 
eine Typhusepidomie aus, von der aber nur eine Schwadron be¬ 
troffen war; es wurden mehrere Trinkwasserproben dom Redner 
ohne jede Mittheilung zur Untersuchung zugeschickt, von denen nur 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


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eine sicher Typhusbacillen enthielt. Die nachträgliche Nachforschung 
zeigte, daß es gerade die erkrankte Schwadron war, welche das 
iaficirte Wasser benutzte. 

2. In Cherbourg herrscht der Typhus endemisch, doch ist 
von demselben die Marine mehr betroffen worden. Im September 1888 
wttthete die Epidemie besonders in einer Compagnie; die Unter¬ 
suchungen des von dieser Compagnie benützten Trinkwassers ergab 
zweifellos das Vorhandensein von Typhusbacillen. Die Infection 
dieses Trinkwassers konnte leicht festgestellt werden. Dasselbe 
wurde nämlich mittelst einer Pumpe aus dem Fluß gewonuen, der 
selbst dadurch iuficirt war, daß die Uferbewohner ihre Felder mit 
Wasser berieselten, das aus den Senkgruben der Stadt stammte. 

3. Im Mai 1868 trat eine starko Typhusepidemie in Miranda 
auf. Von 3 zu Untersuchungen geschickten Wasserproben fand 
Vaillard in einer Typhusbacilleu. Eine angestellte Untersuchung 
zeigte, daß das dieses Wasser liefernde Reservoir dadurch inficirt 
wurde, daß eine an Typhus im April erkrankt gewesene Frau die 
Entleerung in den das Reservoir mit Wasser versehenden Fluß 
hineinwerfen ließ. 

4. Im November 1888 trat in der bis dahin typhusfreien Stadt 
Bourg-en-Bresse plötzlich der Typhus auf. Eine angestellte En- 
quöte zeigte, daß diejenigen, welche das Trinkwasser der municipalen 
Canalisation von Lent benutzten, die Krankheit bekamen. Die Unter¬ 
suchung einer Wasserprobe der Canalisation ergab das Vorhandensein 
von Typhusbacillen. 

5. Das Auftreten einer Typhusepidemie in Chatöllerault, 
in einem absolut neuen und tadellosen Hofe, konnte mit Leichtigkeit 
dadurch erklärt werden, daß das von der Vienne herrührende Trink¬ 
wasser durch Entleerungen inficirt war. 

Daß das Trinkwasser nicht das einzige Vehikol für die Typhus- 
bacülen ist, braucht nicht besonders betont zu werden; jedenfalls 
ist es das häufigste. Bezüglich anderer Infectionsträger erwähnt 
Redner folgenden, von einem russischen Arzte, Dr. Choür, mitge- 
theilten Fall: Von 2 in der Stadt S c h i t o m i r einquartierten Regi¬ 
mentern, welche dasselbe Trinkwasser benutzten, wurde eines gauz 
besonders von Typhus h einiges acht. Man schritt zu einer gründ¬ 
lichen Desmfeotion der Looalitäten, der Kleidungsstücke, des Bett¬ 
zeuges, nnd als das Regiment die desinficirten Wohnungen bezog, 
verschwand die Krankheit vollständig, während sie unter den in 
nicht desinficirten Localen wohnenden Truppen weiter wttthete. Eine 
bacteriologische Untersuchung des Staubes der Fußböden und der 
Zwischenfüllung der inficirten Wohnungen eigab das Vorhandensein 
von Typhusbacillen. Die Epidemie erlosch definitiv erst, nachdem 
sämmtUohe Looalitäten gründlich desinficirt worden waren. Die aus 
diesen Thatsachen sich ergebenden prophylactisohen Folgerungen sind 
so in die Augen springend, daß sie keiner Erörterung bedürfen. 

K. 


Notizen. 

Wien, 18. Januar 1890. 

(Zum ßtrafgesetzentwurf.) Der Oberste Sanitätsrath 
hat sich der dankenswerthen Aufgabe unterzogen, jenen Bestimmungen 
des Strafgesetzentwurfes, welche medicinische Angelegenheiten be¬ 
rühren oder medicinische Beurtheilung erfordern, informative Be¬ 
merkungen beizufügen, welche, wie zu erwarten steht, die verdiente 
Beachtung der Gesetzgeber finden werden. Neben der Frage der 
Hinrichtung und der ärztlichen Kunstfehler, über deren Beurtheilung 
durah den Obersten Sanitätsrath wir bereits berichtet haben, beschäf¬ 
tigte sich das Referat besonders eingehend mit dem Delicte des 
Abortus artefioialis. Bekanntlich steht die Zahl der zur ge¬ 
richtlichen Beurtheilung kommenden Fälle dieses Verbrechens in 
auffallendem Mißverhältnisse zur Zahl der thatsächlich vorkommenden 
Fälle. Der Grund dieses Mißverhältnisses liegt einestheils in dem 
Umstande, daß in der Regel nur die schlecht abgelaufenen Fälle zur 
Kenntniß der Gerichte gelangen, vorzugsweise aber darin, daß 
sowohl die Schwangere als ihre Helfershelfer ein begreifliches Inter¬ 
esse daran haben, die Sache geheim zu halten, weil im Falle der 
Entdeckung nicht blos Letztere, sondern auch die Schwangere selbst 
einer schweren Strafe verfällt. Der Oberste Sanitätsrath beantragt 


daher, die Frage in Erwägung zu ziehen, ob es nicht im Interesse 
des Staates wäre, wenn in Fällen, in denen der Abort gegen Ent¬ 
gelt vorgenommen wurde, den betreffenden Schwangeren Straflosigkeit 
zugesichert würde, wenn sie selbst den stattgehabten Vorgang zur 
Anzeige bringen. Damit wäre dem gewerbsmäßig geübten Abortus 
der Boden entzogen. — Bezüglich der Frage des Versuc heg 
des genannten Verbrechens unterscheidet der Oberste Sanitätsrath 
den Versuoh mit unschädlichen Mitteln und jenen an Personen, 
welche sich irrthümlich für gravid hielten, und gibt der Ansicht 
Ausdruck, daß die Fälle ersterer Art in keiner Weise als Versuch 
im strafrechtlichen Sinne aufzufassen seien, daß jedoch der Umstand, 
daß das Object des Versuches nicht schwanger war, wohl für dieses 
selbst, nicht aber für die Helfer einen Strafausschließungsgrund bilden 
sollte, da Fälle bekannt sind, in welchen an Nichtschwangeren vor¬ 
genommene Fruchtabtreibungsvorsuche schwere Folgen, ja selbst 
den Tod nach sich gezogen haben. 

(Die Influenza), welche in Wien stetig abnimmt, 
herrscht in einzelnen Theilen des Reiches noch immer in unge- 
schwächter Intensität und soll in Budapest in Zunahme be¬ 
griffen sein. Auch der Süden und Südwesteu Europas, welche erst 
spät von der Epidemie betroffen wurden, stehen derzeit noch unter 
ihrer Herrschaft. Dasselbe gilt von Nordamerika, wo die Grippe 
durch ernste Comp’icationen zahlreiche Opfer fordert. Bei dem 
enormen Materiale, welches den Aerzten in den letzten Woohon zu 
Gebote stand, ist wohl nicht zu bezweifeln, daß zahlreiche Studien 
und Untersuchungen, zumal über die Pathogenese des Leidens, an¬ 
gestellt wurden, deren Ergebnisse das eingehende Studium der 
klinischen Erscheinungen zu ergänzen bestimmt sind. Sicherlich hat 
auch die Medicinalstatistik, soweit ihr dies gegönnt war, interessante 
Ergebnisse zu verzeichnen, deren einheitliche Zusammenstellung 
und Veröffentlichung als wünscheiiswerth bezeichnet werden muß. — Be¬ 
kanntlich wurden in Rußland ärztliche Stimmen laut, welche der 
Befürchtung Ausdruck gaben, der Influenza werde eine Cholera¬ 
epidemie folgen. Der Sanitätsrath der Stadt Petersburg hat, um 
diese die Bevölkerung aufregenden Gerüchte zu paralysiren, ein 
CommuniquÖ erlassen» in' welchem er die Grundlosigkeit dieser Be¬ 
fürchtungen darthut. — Einen interessanten Beitrag zu den Com- 
plicationen der Iufiuenza liefert Gottschalk (Berlin) in der soeben 
erschienenen Nummer des „Centralbl. f. Gyn.“ In Uebereinstimmung 
mit Bjermer hat Gottschalk an vier von ihm behandelten Frauen 
heftige, gleichzeitig mit der Influenza - Erkrankung aufgetretene 
Uterusblutungen mit Anschwellung der Gebärmutter uud Auf¬ 
lockerung ihrer Wandungen beobachtet. Bei dem Mangel entzünd¬ 
licher Schwellung der Anhänge, zumal der Ovarien, scheinen diese 
Metrorrhagien durch eine acute Anschwellung der Uterusschleimhaut 
bedingt zu werden. In zwei Fällen sah Gottschalk in Folge der 
Erkrankung Abortus auftreten, ein Beweis gegen die von anderer 
Seite behauptete Immunität der Schwangeren gegen die Grippe. 

(Der Congreß für innere Medicin in Wien.) In 
Nr. 47 (1889) unseres Blattes haben wir mitgetheilt, daß der Ge- 
Bchäftsaussohuß des Congresses für innere Medioin auf Anregung des 
Prof. Nothnagel den diesjährigen Congreß in Wien abzuhalten 
gedenkt, falls dieser Vorschlag die Zustimmung des GesamratauB- 
schusses finden werde. Wie uns nun aus Berliu berichtet wird, 
haben die Mitglieder des Ausschusses ihre Einwilligung zu diesem 
Antrago gegeben, wodurch die Abhaltung des Congresses in unserer 
Stadt zu Ostern d. J. gesichert erscheint. Wiederholt begrüßen 
wir Anregung und Beschluß und hoffen, daß Beteiligung und Verlauf 
des Congresses den Erwartungen vollständig entsprechen und die 
Beziehungen zwischen österreichischen und deutschen Aerzten 
kräftigen werden. 

(Militärärztliches.) Das k. und k. Kriegsministerium 
hat verfügt, daß — mit Ausnahme der Stipendisten — nur jene 
Doctoren der gesammten Heilkunde zum activen Militärdienste zu- 
gelaSsen werden, welche ihren einjährig - freiwilligen Dienstverpflich¬ 
tungen nachgekomraen sind. 

(Auszeichnung.) Der Privatdocent Dr. Ebnest Finger 
in Wien ist zum correspondireuden Mitgliede der Sociötö frangaise de 
Dermatologie in Paris und der k. Gesellschaft der Aerzte in War¬ 
schau gewählt worden. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 3. 


111 


112 


(A. F. Tköltsch f.) Am 9. d. M. ist der berühmte 
Würzburger Otiater, Hofrath I)r. Anton Friedrich Freib. v. Tköltsch, 
einem langjährigen Siechthum erlegen. Am 3. April 1829 zu 
Schwabach bei Würzburg geboren, promovirte Tköltsch, nachdem 
er die hervorragendsten Universitäten Deutschlands besucht hatte, 
im Jahre 1853 und wirkte seit 1860 als Lehrer der Ohrenheil¬ 
kunde an der Würzburger Universität. Sein erstes, im Jahre 1860 
erschienenes Werk: „Die angewandte Anatomie des Ohres“ be¬ 
gründete seineu Ruf als hervorragenden Forscher auf otiatrischem 
Gebiete, sein zwei Jahre später herausgegebenes und seither sieben¬ 
mal aufgelegtes „Lehrbuch der Ohrenheilkunde“ war grundlegend 
für den Aufbau dieser Disciplin. Außerdem bearbeitete Tröltsch 
die in sein Fach einschlagcnden Capitel in Pitha-Billroth’s Hand¬ 
buch der Chirurgie und in Gerhardt’s Handbuch der Kinderheil¬ 
kunde. Tköltch hat die Otiatrie aus den breiten Geleisen der 
Empirie in streng wissenschaftliche Bahnen gelenkt, und zahl¬ 
reiche, seither selbst lehrende Schüler verdanken ihm die Er¬ 
schließung ihres Faches. In Tröltsch verliert die Würzburger 
Hochschule einen ihrer gefeiertsten Lehrer, die Wissenschaft einen 
ihrer treuesten Söhne. 

(Statistik.) Vom 5. bis inclusive 11 Januar 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 5029 l'ersonen behandelt. Hievon wurden 880 
entlassen; 134 sind gestorben (;5'24"/o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Staithalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 31, egyptischer Angenentzündung—.Cholera—, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphns 5 Dysenterie 1. Blattern 6, Varicellen 24, Scharlach 20, 
Maseru 2"5, Keuchhusten 30. Wundro.thlauf 22, Wochenbettfieber 3. — Iu 
der 2. .lalireswoclie sind in Wien 544 Personen gestorben (— 125 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Budapest der Kinderarzt 
Dr. L. Fejeu, 45 Jahre alt; in Heidelberg der Professor der 
Pädiatrie, Dr. Frh. v. Dusch, im 66. Lebensjahre ? in Minden der 
Reg.- und Geh. Med.-R. Dr. Schultz-Mencke , 69 Jahre alt; in 
Lille der ordentl. Professor der Chirurgie an dortiger Facultät, 
Dr. Paquet. 


(Dr. Kalla y’s ärztlicher Almanach), dessen innerer und 
äußerer Vorzüge wir im Vorjahre Erwähnung machten, ist uns auch heuer 
zugekommen. Gleich seinen Vorgängern ist der jüngste, neunte Jahrgang 
des von dem bekannten Carlsbader Brunnenarzte herausgegebenen eleganten 
Büchleins recht praktisch zusammengestelit. Zumal der Personalnachweis der 
Docenten aller medicinischen Facultäten Europas wird vielen Lesern will¬ 
kommen sein. 


Aus Bad Ems berichtet man, daß dortige Versendungs-Directionen, 
fiscalische sowohl, als die der Victoriaquelle, Tag und Nacht zu arbeiten 
haben, um die zahlreicher als sonst einlaifenden Aufträge auf Emser 
Wasser, Emser Pastillen u s. w. auszuführen. Thatsache ist daß die 
Intiuenza-Epidemie außer durch Chinin, Antipyrin etc. wesentlich duich An¬ 
wendung des Emser Thermalwassers etc. wirksam bekämpft wird. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensiona-Exemplare.) 

Dornblüth 0., Hygiene der geistigen Arbeit. Ber in 1890. A. H. Fried 
und Co. 

Caudler C., The prevention of measles. London 1889. Kegan, Paul, 
Trench & Co. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect der 
Verlagsbuchhandlung Urban & Schwarzenberg über das 

Therapeutische Lexikon f. prakt. Aerzte 

unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen 

herausgegeben von Dr. Anton Bum 

welchen wir der geneigten Beachtung unserer Leser ange¬ 
legentlich empfehlen. 


Das Morrhuol. 

Heutzutage ist es allgemein bekannt — und alle Aerzte wissen 
es aus Erfahrung — daß ein großer Theil der Kranken eine 
unbesiegbare Abneigung gegen den Leberthran empfindet. Bei Vielen 
unter ihnen wird dieses Arzneimittel schlecht vertragen und verdaut; 
es bietet Veranlassung zu Uebelkeiton, besonders zum Erbrechen und 
endigt gewöhnlich damit, daß es Verdauungsstörungen hervorrnft. 

Weil man in der Praxis aber doch auf die therapeutische 
Verwendung des Leberthranes nicht verzichten konnte, wurden ver¬ 
schiedene Versuche gemacht, den schlechten Geschmack durch Ver¬ 
bindung mit andern Arzneimitteln, wie z. B. mit Jod oder Phosphor, 
zu verdecken, dachte feruer auch an eine extraetförmige Darstellung 
und auf andre , minder naheliegende Combinationen. Allein diese 
verschiedenen Versuche haben sich in der Praxis nicht bewährt. 

Der durch Beino fachwissenschaftlichen Mittheilungen an die 
Akademie der Wissenschaften rühmlichst bekannte Herr Apotheker 
Chapoteaut in Paris hat nun den trefflichen Gedanken gehabt, 
die Bestandtheile des Leberthranes zu sondern und die fettigen 
Massen auszusoheiden. Das dadurch gewonnene neue Präparat, 
„Morrhuol“ genannt, ist ätzender Natur, bitter und sehr aroma¬ 
tisch; cs krystallisirt sich theilweise bei gewöhnlicher Temperatur. 
Das verbleibende Oel hat keinen therapeutischen Werth mehr, was 
jedenfalls zu beweisen scheint, daß nur in dem Morrhuol der wir¬ 
kende, arzneiartige Theil des Leberthranes enthalten ist. 

Mehrere mcdicinische Journale publicirten bereits interessante 
Ergebnisse der therapeutischen Anwendung des Morrhuols von 
Chapoteaut und weisen besonders eclatante Heilerfolge bei 
chronischem Lungencatarrh und Tuberculose nach. 

Der verstorbene Dr. Gay, a. o. Professor an der medicini¬ 
schen Facultät zu Paris, schrieb noch kurz vor seinem Tode über 
seine Versuche mit Morrhuol hei zwei im Hospital Laennec krank 
gelegenen Aerzten: „Die gewonnenen Erfahrungen bestätigen, daß 
das Morrhuol wirklich neben dem nährenden auch den specifisohen 
Bestandtheil des Leberthranes in sich schließt und bewirkt, daß sich 
der allgemeine Zustand der Kranken schnell verändert und besonders 
die Eßlust in auffallendem Maße steigert. Die Tuberculosen empfindon 
ein Gefühl des Wohlseins, sie essen und verdauen leicht, sie schlafen 
gut, husten weniger nnd haben auch weniger Auswurf.“ 

Vor Kurzem war Herr Dr. Pernod bei der Behandlung von 
Sträflingen in der Lage, die bemerkenswerthen antiscrophulösen 
Eigenschaften des Morrhuols festzustellen. 

Um sich von den Wirkungen, die denjenigen gegenübergestellt 
werden, die mit dem Leberthran erzielt worden sind, zu überzeugen, 
theilte er seine Scrophulösen in zwei Abtheilungen ein; bei der einen 
fuhr er mit dem Gebrauch des Leberthraues fort, bei der anderen hin¬ 
gegen verordnete er nach und nach bis zu 6 Morrhuolkapselu täglich. 

Nach 3 Monaten strenger Vergleiche spricht Herr Pernod 
seine Ueberzeugung dahin aus, daß das Morrhuol schnell und mit 
überraschender Sicherheit wirkt. 

„Ich hege großes Vertrauen zu der mildernden und die Gesund¬ 
heit wieder herstellenden Heilkraft der specifischen Bestandtbeilo des 
durch Chapoteaut’s Verfahren aus dem Leberthrane gewonnenen 
Morrhuols und würde mich glücklich schätzen, wenn die von mir 
erzielten günstigen Resultate die Herren Collegen zu weiterer An¬ 
wendung dieses Präparates in ihrer Praxis veranlassen würde. Das 
Morrhuol ist ein Specificum, welches in der therapeutischen Rüst¬ 
kammer einen hervorragenden Platz einzunehmen bestimmt ist.“ 

Das Morrhuol ist der Extract des braunen Leberthranes, der 
als der wirksamste bekannt ist. Herr Chapoteaut wählte als 
Verschluß die Perlenkapselform, von denen eine jede 0'20 Centigrm. 
enthält, was 25mal seinem Lebcrthrangewicht gleichkommt. Jede 
Kapsel entspricht daher 5 Grm. Leberthran. Die gewöhnliche Gabe 
beträgt für Kinder 2—4 Kapseln, für Erwachsene 4—6. 


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Nr. 4. 


Sonntag den 26. Januar 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse' erscheint jeden äouuiag 
9 bis S Bogen Gross-t^aart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonncuieutspreiae: „Mediz. Presse' und „Wiener Klini k“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Beich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland : jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslände 
bei allen Buchhändlern uud Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


•Q8B- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Verschwinden und Wiederanftreten der Tuberkelbacillen im Sputum. Von Prof. Dr. Wilhelm TVinternitz 
in Wien. — Zwangsarbeitsanstalt oder Trinkerasyl? Von Dr. Adalbert Tilkowsky, Leiter der n.-ö. Landes-Irrenanstalt in Klosterneuburg. — 
Ueber die Principien der Therapie der Herzkrankheiten. Von Prof. Dr. R. v. Basch in Wien. — Mittheilungen ans der Praxis. Zur Therapie 
der Neurosen des Magens. Von Dr. Franz Heller in WieD. — Referate nnd literarische Anzeigen. N. Senn: On the healing of aseptic bone 
cavities by implantation of antiseptic decalcified bone. — Dühkssen: Ueber die Behandlungen der Blutungen post partnm. — Ueber die Prognose 
der Herzkrankheiten. Von Prof. Dr. E. Leyden. — Vorlesungen über die öffentliche und private Gesundheitspflege. Von Dr. J. Rosenthal, o. ö. 
Professor der Physiologie und Gesundheitspflege an der Universität Erlangen. — Zeitungsscliau. Bericht über die Fortschritte in der Pathologie 
und Therapie der Krankheiten des uropoetischen Systems. Ref.: Dr. H. Lohnstein, Assistent des poliklinischen Institutes von Prof. Zuelzer zu 
Berlin. — Kleine Mittbeilnngea. Zur Pathologie und Therapie der Influenza. — Zur Chemie der bronchiectatischen Sputa. — Behandlung 
der eitrigen Otitis mit Naphtolcampher. — Intravenöse Injectionen von Chininsalzen bei Intermittens. — Ueber den Zusammenhang zwischen 
Herzneurosen mit Nasenleiden. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft 
der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Verein für innere Medicin in Berlin. (Orig.-Ber.) — Notizen. Die Influenza in Wien. — Literatur. — 
Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Verschwinden nnd Wiederauftreten der 
~ Tuberkribacillen im Sputum.. . . 

Von Prof. Dr. Wilhelm Winternit* in Wien. 

Es unterliegt heute keinem Zweifel mehr, daß in allen 
Fällen, welche drrrch Verlauf, Gewebsuntersuchung und 
infectiöse Eigenschaften sich als Tuberculose kennzeichnen, 
Tuberkelbacillen gefunden werden können. 

Seit diese Erkenntniß sich Bahn gebrochen, hat die Frage 
nach der semiotischen Bedeutung des Bacillus im Vordergründe 
der Discnssion gestanden. 

Ein Ableugnen der Virulenz und der specifischen Infec- 
tiosität des Bacillus darf wohl heute nur mehr ein histori¬ 
sches Interesse beanspruchen. Eine kaum mehr zu beherr¬ 
schende Literatur hat diese Thatsache mit überraschender 
Einigkeit festgestellt nnd alle Gegnerschaft in sensu stricto 
besiegt. 

Weniger vollkommene Uebereinstimmung herrscht darüber, 
ob ans Qualität und Quantität des Bacillenbefundes, aus 
Veränderungen desselben, die Klinik zuverlässige Schlüsse 
über Verlauf nnd Prognose der Erkrankung ableiten könne. 

„Das Erscheinen der Bacillen bezeichnet den Beginn des 
tuberculösen Processes“, sagt Koch, „und ihr Vorhandensein und 
ihre Zahl stehen mit dem Fortschreiten des Processes in 
innigem Zusammenhänge. Bei raschem Fortschreiten finden 
sich zahlreiche, bei langsamem spärliche , bei Stillstand oder 
Heilung keine.“ J ) 

Biedert 2 ) spricht sich in dieser Beziehung weniger ab¬ 
solut aus, indem er sagt: „Besserung und Verschlimmerung 
gehen oft genau zusammen mit der steigenden und fallenden 
Zahl der Bacillen im Auswurf, doch nicht immer.“ 


') Koch R., Die Aetiologie der Tuberculose. Mitthcilungen aus dem 
kaiserl. Grsundheitsamte, 1884. 

*) Biedert und Siegt., Chron. Lungenentzündung, Phthise und miliare 
Tuberculose. „Arch. f. path. Anat. u. Physiol.“, 98. Bd. 


Mat *) kam zu dem Resultate, daß Zunahme des Körper¬ 
gewichtes und Besserung des Allgemeinbefindens eintreten 
können, bevor eine Abnahme der Bacillen im Auswurfe zu 
bemerken ist. 2. Die rasche Zunahme der Bacillen im Sputum 
bedeutet ebensowenig eine Verschlimmerung des Zustandes, 
wie aus der raschen Abnahme' oder dem plötzlichen Ver¬ 
schwinden derselben unbedingt auf eine Besserung der Krank¬ 
heit geschlossen werden kann. 3. Nur die allmälige, wenn 
auch durch jeweilige Steigerung unterbrochene, aber im Ver¬ 
laufe von Monaten doch sicher fortschreitende Abnahme der 
Bacillen im Sputum bei gleichzeitiger stetiger Zunahme des 
Körpergewichtes und Besserung des Allgemeinbefindens gibt 
Berechtigung zur Annahme, daß die Propagationsenergie der 
Bacillen in der Lunge nachgelassen hat. 

Von echt klinischen Gesichtspunkten ausgehend, auf 
ein reiches und genau bis auf den Obductionstisch verfolgtes 
Krankenmaterial gestütztes Gutachten hat Heitler 4 ) schon 
im Jahre 1883 über unsere Frage abgegeben. 

Hkitleb sagt: „Wenn ich nun mein Urtheil über den 
Werth des Bacillenbefundes im Sputum kurz zusammenfassen 
soll, so muß ich gestehen, daß durch den Kocü’schen Bacillus 
die Diagnostik der Tuberculose eine sehr bedeutende Bereiche¬ 
rung erfahren hat, und daß man im Stande sein wird, in 
vielen zweifelhaften Fällen, in welchen unsere bisherigen Be¬ 
helfe keine sichere Diagnose oder Differenzirung gestatten, 
durch den positiven oder negativen Bacillenbefund die Ent¬ 
scheidung zu trefFen.“ 

„In prognostischer Beziehung muß man wohl den Bacillen, 
gegenüber den Anhaltspunkten, welche die Percussion und 
Auscultation, der Ernährungszustand des Kranken, die Waage 
und überhaupt der Verlauf der Krankheit bieten, nur eine 
untergeordnete Bedeutung zuerkennen.“ 

„Allerdings können die Erfahrungen in dieser Richtung 
keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden; eine ausge- 

*) May, Beitrag zum quantitativen Vorkommen der Tuberkelbacillen im 
Spntnm nnd dessen Bedentnng für die Prognose. „Münchener med. Wochen¬ 
schrift“, 1886. 

4 ) Ueber die diagnostische nnd prognostische Bedeutung der Tuberkel* 
bacillen im Auswurfe. „Wiener med. Wochonschr.“, 1883. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 4. 


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123 


dehntere Erfahrung über den Verlauf derjenigen Fälle, bei 
welchen trotz Besserung aller Verhältnisse die Bacillen 
in den Sputis persistiren, kann denselben mög¬ 
licherweise einen höheren prognostischen Werth 
verleihen.“ 

„Zur Sammlung derartiger Erfahrungen ist die Privat¬ 
praxis selbstverständlich besser geeignet, als das Krankenhaus.“ 

Außerdem haben positive prognostische Schlüsse aus der 
Anwesenheit, Größe, Entwicklung, Menge, Sporenhaltigkeit 
und Anordnung der Bacillen im Sputum gezogen, um nur 
eine Anzahl hier anzuführen, Balmer und Fraentzel 6 ), 
Williams 6 ), Whipham 7 ), Müller 8 ), Heron 9 ), Humphry 10 ), 
Harold 11 ), Pfeiffer 12 ), v. Frisch 13 ), Chiari 14 ), Dettweiler 
und Meissen 18 ), Leyden 16 ), Gaffky 17 ), Mackenzie 18 ), Fraenkel 19 ), 
Zahn 20 ), See 21 ), Black 22 ). 

Nur einen bedingten oder selbst zweifelhaften Werth für 
die Prognose wird dem Bacillenbefunde unter Anderen zuge¬ 
standen von Debove 23 ), Dreschfeld 24 ), Cochez 26 ), Gkssler 26 ), 
Prddden 27 ), Ziehl 28 ), Gabbert 29 ), Rütimeyer 80 ), Troup S1 ), 
Kidd und Taylor 32 ). 

Es dürfte daher wohl immer noch erlaubt sein, auf 
eigene, wenn auch nicht überwältigend zahlreiche, darum aber 
doch beweiskräftige Erfahrung hinzuweisen. 

Schon im Jahre 1887 habe ich in dem 1. Hefte meiner 
klinischen Studien Folgendes geschrieben 33 ): 


J ) Balmer und Fraentzel, Ueber das Verhalten der Tuberkelbacillen 
im Auswurf während des Verlaufes der Lungenschwindsucht. „Berl. klin. 
Wochenschr.“, Nr. 45, 1882. 

") Wi lliams Th- , Eemarks on the relation of the Tuberkel-Bacillus to 
Phthis. „Lancet“, 1883. 

; ) Whipham Th., „Lancet“, 1884. 

8 ) Müller, Ueber d. diagn. Bedeutung des Tuberkel-Bacillus. „Veih. 
d. phys.-med. Ges. zu Würzburg“, Nr. 1, 1883. 

9 ) Heron, „Glasgow med. Journ.“, 1883- 

10 ) Humphry L., Some observ. on the tubercle-bacill. in Lung. „Diseases 
St. Bartholm. Hosp. Rep.“, XVIII, 1883. 

u ) HaroldE., A contribution to the study of the tuberc.-bacill.„ Boston 
med. and surg. Journ.“, 1883. 

'*) Pfeiffer, Regelmäßigkeit des Vorkommens von Tuberkel-Bacillen im 
Auswurf Schwindsüchtiger. „Beil. klin. Wochenschr.“, 1883. 

,3 ) v. Frisch, Vork. d. Tuberkelbacillen in den Sputis. „Wiener med. 
Presse“, 1883. 

* 4 ) Chiari, Bacillen der Tnberculose. „Pr. med. Wochenschr.“, 18V7. 
n ) Dettweiler und Meissen, D. Tuberkclbacill. und die chron. Lungen- 
schwinds. „Berl. klin. Wochenschr.“, 1883. 

,6 ) Leyden E., Klinisches über den Tnberkelbacillus. „Zeitschr. f. klin. 
Med.“, 1884. 

lT ) Gaffky, Ein Beitr. z. Vork. des Tuberkelbac. im Sputum. „Mit¬ 
theilungen aus dem k. Gesundheitsamt“, 1884. 

“*) Mackenzie, G. Hunter, The diagn. and progn. value of the tubercle- 
bacill. „Edinb. med. Journ.“, 1884. 

lv ) Fraenkel, Ueber Färbuug und semiot. Bedeutung. „Berl. klin. 
Wochenschr. ■*, 1884- 

20 ) Zahn G., Beitr. z. Lehre v. d. diagn. Bedeutung d. Tuberkelbacillen. 
„Medic. Correspbl. d. württemb. Aerzte“, 1884- 

S1 ) Säe G., Consid6rat. generales. „Bullet, gen. de Therap.“, 1884. 

’*) Black A., Notes on the clinical value of the bacillus-tubercul. 
„Lancet“, 1882. 

* 8 ) Debove, Le^ons sur la Tuberc. parasitaire recueil. par Faisans. 
„Progr6s med.“, 1883. 

*') Dreschfeld, On the Diagn. valuo of tuberc.-bacill. „Brit. med. 
Journ.“, 1883. 

8i ) Cochez, De la recherche du bacille de la tuberc. dans le produits 
de la expect. etc. „L’Union med.“, 1883. 

*'’) Gessler, Die Bedeutung des KocH'schen Bacillus f. d. klin. Diagn. 
„D. med. Wochenschr.“, 1883. 

* 7 ) Prüdden, On the occurence of the bacill. tuberc. etc. „The New 
York med. Record“, 1833. 

98 ) Ziehl, Zur Lehre von den Tuberkelbacillen, insbes. über deren Be¬ 
deutung f. Diagn. u. Progn. „D. med. Wochenschr.“, 1883. 

") Gabbert, The diagnost. value of the discovery of Koch’s Bacilli in 
sputum. „The Brit. med. Journ.“, 1884. 

8Ü ) Rütimeyer, Zur diagn. Bedeutung d. Tuberkel-Bacillen. „Correspbl. 
f. Schweizer Aerzte“, 1883. 

S1 ) Troup, The diagnos. of early phthis. by the microscope. „Edinburgh 
Journ.“, 1888. 

8S ) Kidd and Taylor, On the value of the tuberc. bacill. in clinic. 
diagnos. 

8ä ) Winternitz, Zur Pathologie und Hydrotherapie der Cholera. I. Zur 
Pathogenese der Infectionskrankheiten, pag. 5 ff. 


„Vor mehr als zwei Jahren habe ich auf meiner Ab¬ 
theilung an der allgemeinen Poliklinik die folgende Beobach¬ 
tung gemacht, die ich seither mehrmals zu wiederholen Ge¬ 
legenheit hatte. Es lag auf meiner Abtheilung eine phthisi- 
sche Patientin mit einer den oberen und einen Theil des 
Mittellappens der linken Lunge einnehmenden Infiltration. 
Alle klinischen Zeichen eines rapid fortschreitenden tuber- 
culösen Processes waren zugegen: Hohes, abendlich exacer- 
birendes Fieber, Nachtschweiße, rapide Abmagerung. Das sehr 
reichliche, purulent mucöse, confluirende Sputum wurde Herrn 
Prof. v. Frisch zur Untersuchung auf Bacillen übersendet. 
Die Antwort lautete: 

Tuberkelbacillen in übergroßer Menge — 
wahrscheinlich ein fortschreitender tuberculöser 
Proceß. 

Nach etwa zwei Monaten schwanden die Fieberbewegnngen, 
Appetit und Aussehen besserten sich, die Kranke nahm an 
Körpergewicht zu, der Husten mäßigte sich, die Menge des 
Expectorates. das nunmehr die Charaktere eines eatarrhalischen 
Bronchialsecretes angenommen hatte, war eine wesentlich ge¬ 
ringere. 

Bei einer neuerlichen Untersuchung, die von 
Herrn Prof. v. Fiusch vorgenommen wurde. konnten 
Tuberkelbacillen nicht aufgefunden werden. Die 
Patientin wurde in wesentlich gebessertem Zustande entlassen. 
Schon nach 6 Wochen jedoch kehrte sie wieder zu mir zurück, 
neuerdings mit allen Erscheinungen eines floriden phthisischen 
Processes. Dem entsprach auch die klinische Untersuchung. 

Die mikroskopische Untersuchung des Spu¬ 
tums, die nun wieder von Prof. v. Frisch erbeten wurde, 
ergab eine reiche Menge von Tuberkelbacillen. 

Wir haben also einen Fall beobachtet, bei welchem 
reichlich Tuberkelbacillen im Sputum vorkamen. Diese ver¬ 
schwanden, als das Fieber, die Erscheinungen eines Fortscheitens 
des Processes aufhörten und die Ernährung sich besserte. 
Sie wurden wieder aufgefunden, nachdem der Proceß neuer¬ 
dings exacerbirte. “ 

Seither habe ich das Zusammentreffen der 
klinischen Zeichen von Besserung und Heilung 
mit dem Verschwinden oder der Abnahme der 
Zahl der Bacillen im Sputum, das neuerliche Auftreten 
derselben mit den klinischen Zeichen der Verschlimmerung 
häufig beobachten können. 

Möge auch die folgende Beobachtung hier Raum finden. 
Gewiß verdient auch die bei mir geübte und nun schon in 
sehr zahlreichen Fällen bewährte therapeutische Methode eine 
Reminiscenz. 

Beobachtung, 

zusammengestellt von Dr. E. Löwy, Assistent der Wasser¬ 
heilanstalt in Kaltenleutgeben. 

J. K., 33 J. alt, Privatsecretär, Croatien. Pat., der bis daliin 
keinerlei nennenswerthe Erkrankungen durchgemacht hat und von 
gesunden Eltern abstammt — weiter reicht sein Wissen über seine 
Gesundheitsantecendetien nicht zurück — zog sich vor circa zwei 
Jahren „eine heftige Erkältung“ zu. Letztere, mit einem Schnupfen 
beginnend, ging nach einigen Tagen in heftige Heiserkeit und 
leichte Fieberbewegungen in den Nachmittagsstunden über; Pat. 
verließ seinen Wohnort (Fiume), ging nach Agram; das Fieber dauerte 
fort. Nach ungefähr zwei Monaten seit Beginn der Erkrankung 
gesellte sich quälender Husten mit Nachtschweißen zu den geschil¬ 
derten Symptomen. 

Den Winter 1887—88 verbrachte Pat. in Wien unter wech¬ 
selnder Intensität der genannten Zustände. 

Im Januar 1888 constatirte Prof. v. Schrötter eine Infiltration 
der hinteren Larynxwand und empfahl dem Pat., Wien möglichst 
bald zu verlassen, eine zweckentsprechende Lebensweise zu führen, 
endlich ordinirte Prof. v. Schrötter eine Inhalation sowie Pulver 
gegen das Fieber. 

Den Sommer 1888 verbrachte Pat. auf dem Lande und er¬ 
holte sich wesentlich nach seinem subjcctiven Gefühl. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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Im Winter 1888—89 lebte Pat. mit seinem Chef abermals 
in Wien und bald traten all die geschilderten Erscheinungen wieder 
auf: Husten, abendliches Fieber, Nachtschweiße, Abmagerung. Im 
Februar 1889 wurde das Sputum streifig mit Blut untermischt, und 
es quälte den Patienten hartnäckige Schlaflosigkeit. 

Alle Krankheitserscheinungen dauerten nun auch während der 
folgenden Frühjahrsmonate an und steigerten sich zu Beginn des 
Sommers in Graz zu einer den Pat. beängstigenden Intensität. 

Am 28. Juli 1889 suchte Pat. Hilfe in unserer Anstalt und 
bot folgenden S t a t. p r a e s.: 

Pat. ist schlecht genährt, sichtbare Schleimhäute blaß. 

RVO kürzerer Schall als L. Zwerchfell etwas tiefer stehend. 
Herzdämpfung in normalen Grenzen. RVO bronchiales Inspiriuro, 
einzelne kleinblasige, consonirende Rasselgeräusche, hörbares Exspirium. 

LVO rauhes, saccadirtes Inspirium. Sehr beschleunigte Herz¬ 
action, Töne rein. 

Leber und Milz vergrößert, HLO Verkürzung, jedoch auch 
HRO wenig Schall. 

HLO unbestimmtes Inspirium, hörbares saccadirtes Exspirium, 
einzelne kleinblasige Rasselgeräusche. 

HRO bronchiales Exspirium, weiter nach unten bronchiales 
In- und Exspirium bis zur Schultergräte. 

Hautmusculatur sehr erregbar, Abendtemperatur 39 4 (Rectum), 
Puls 108. 

Das Sputum (streifig, geballt) zahlreiche Tuberkelbacillen 
und elastische Fasern enthaltend. 

Körpergewicht: 54'5 KilOQntT. 

Pat. wird vorerst durch 14 Tage jm Bette gehalten unter 
4 — östflndlich gewechselten Kreuzbinden; bevor die letztere Morgens 
erneuert wird , erhält Pat. eine allgemeine Abreibung im nassen 
I4gradigen Laken. Reichliche Milchzufuhr, etwas Alkohol, sonst 
gemischte Kost, exacte Ventilation des Zimmers bei Tag und Nacht, 
Solutio Fowleri sind die übrigen diätetischen und therapeutischen 
Maßnahmen. 

Pat. erholte sich unter dem angedeuteten Regime relativ rasch. 
Die Temperatur sank bald zur Norm und blieben auch die Tages¬ 
schwankungen normale. Interessant war in der ersten Zeit der 
Apyrexie die Beobachtung, daß ohne bestimmte Veranlassung plötz- 
lioh, meist in den ersten Nachmittagstunden, unter Erscheinungen der 
Wärmestauung — kalter Haut — Gänsehaut, Schauergefühl, die 
Temperatur öfter in die Höhe schnellte, bis 39° und darüber, um 
alsbald wieder unter allgemeinem Wärmegefühl rasch abzufallen. 
In 2 Stunden, ja selbst in einer Stunde, sahen wir mehrmals ohne 
Schweiß einen solchen Acceß ablaufen, auch ohne therapeutischen 
Eingriff. Pat. konnte nach zwei Wochen mehrere Stunden des Tages 
außer Bette zubringen und methodische Spaziergänge machen. 

Wir versuchten nach circa vierwöchentlichem Aufenthalte eine 
Inhalation von heißer Luft mit dem WFIGKRT’schen Apparat, doch 
bekam Pat. nach einer einzigen, kaum 6 Minuten dauernden Sitzung 
eine Hämoptoe, die durch mehrere Tage anhielt und den Pat. aber¬ 
mals an das Bett fesselte. 

Von da ab besserte sich das ganze Krankheitsbild constant 
unter den geschilderten hydriatischen, therapeutischen und diätetischen 
Maßnahmen. 

Subjectiv und objectiv wurden die Erscheinungen besser. 

Der Husten wurde geringer, das Sputum spärlicher; das 
Körpergewicht nahm zu, die Bacillen an Zahl ab, bis letztere 
am 18. October ganz verschwunden waren. Eine durch 
14 Tage täglich fortgesetzte Untersuchung auf Bacillen hatte stets 
ein negatives Ergcbniß. 

Status praesens am 10. November: Körpergewicht: 
59’6 Kilogrm. (Zunahme von 5*2 Kilogrm.) Bacillen: feh¬ 
lend. L Spitze tympanitischen Klang bis 2 Querfinger unter die 
Clavicula, an der 2. Rippe etwas gedämpfter, nicht tympanitischer 
Schall. Herzdämpfung etwas kleiner als normal. Zwerchfell etwas 
tiefer stehend. 

RVO unbestimmtes Inspirium mit einzelnen Rasselgeräuschen 
an einer circumscripteu Stelle unter der Clavicula, cavernöses 
Athmen; tiefer unten fast Vesiculärathraen. 


LVO cavernöses Athmen ohne Rasselgeräusche, tiefer unten 
unbestimmtes und tiefes vesiculäres Athmen. 

HLO heller, voller, etwas tympanitischer Ton, cavernöses 
Athmen, etwas entfernter, unbestimmt, ohne Rasselgeräusche; an der 
Schultergräte unbestimmt, weiter unten Vesiculärathmen. 

HRO unbestimmtes Athmen, an der Spitze bronchial, an der 
Schultergräte rauhes Athmen, mit einzelnen nicht consonirenden 
Rasselgeräuschen. Von der Schultergräte nach abwärts Flüsterathmen. 

Den klinischen Zeichen eines ausgeheilten Destructionsprocesses 
in beiden Spitzen entsprach auch ein vollständiges Verschwinden 
der Bacillen aus dem Sputum. 

In dem 2. Hefte meiner klinischen Studien 84 ) „Zur 
Pathologie und Hydrotherapie der Lungen¬ 
phthise“ sind in den statistischen Tabellen 23 Fälle ver¬ 
zeichnet, welche die Anschauung stützen, daß der semiotische 
Werth des Bacillenbefundes oft mit den klinischen Zeichen 
genau übereinstimmt, öfters aber auch nicht. 

Trotz völligem und durch längere Zeit bei wiederholten 
Untersuchungen constatirtem Fehlen der Bacillen im Sputum 
sah ich in einzelnen Fällen nach kürzerer oder längerer Zeit 
Reeidiven und neuerliches Auftreten von Bacillen im Sputum. 

Die prognostische Bedeutung des Bacillenbefundes läßt 
sich demnach mit Sicherheit nur so formuliren, daß ein nicht 
völliges Fehlen der Bacillen im Sputum, trotz 
der sonst günstigsten klinischen Zeichen, ein 
neuerliches Exacerbiren des Processes wahr¬ 
scheinlich macht, während auch bei vollständigem Fehlen 
der Bacillen eine neuerliche Erkrankung nicht ausgeschlossen ist. 

Es geht daraus hervor, daß den klinischen Zeichen 
immer noch der größte Werth beizulegen sei und posi¬ 
tiver oder negativer Bacillenbefund diesen auch in progno¬ 
stischer Beziehung nur zu erhöhen vermöchte. 


Zwangsarbeitsanstalt oder Trinkerasyl? 

Von Dr. Adalbert Tilkowsky, Leiter der n.-ö. Landes-Irren- 
anatalt in Klosterneuburg. 

(Schluß.) 

Nun kommt aber das Hauptbedenken. Die Internirung 
der Trinker in Zwangsarbeitsanstalten erscheint als eine Ma߬ 
regel, welche mit den humanen Anschauungen der Gegenwart 
schlechterdings nicht in Einklang zu bringen ist. 

Schon die Bezeichnung „Zwangsarbeitsanstalt“ paßt am 
allerwenigsten für eine Gruppe von Individuen, die wohl zur 
Abstinenz von Spirituosen, nicht aber zur Arbeit gezwungen 
werden müssen. Es ist eine Erfahrungssache, daß die Trinker 
in den Irrenanstalten nicht nur die fleißigsten und brauch¬ 
barsten Arbeiter sind, sondern daß dieselben im beruhigten 
Zustande selbst um Arbeit bitten. Während somit die Arbeit 
in den Irrenanstalten von ihnen freiwillig und mit Lust ver¬ 
richtet wird, trägt sie in den Zwangsarbeitsanstalten den 
Stempel des Zwanges , erscheint demnach als etwas Aufge- 
nöthigtes, als eine odiose Last, mit welcher man weder Arbeits¬ 
freude erregen, noch das moralische Gefühl der Trinker 
bessern wird. 

Das Gutachten betrachtet die Nothwendigkeit der De- 
tention der Trinker in Zwangsarbeitsanstalten fast ausschlie߬ 
lich vom Standpunkte ihrer Gemeingefährlichkeit, also im 
Interesse der gesellschaftlichen Ordnung; auf das Interesse 
der Trinker nimmt dasselbe nur insoweit Rücksicht, als hinzu¬ 
gefügt wird, daß, obgleich die Detention keine Maßregel der 
Heilung sei, dieser Erfolg nebenbei angestrebt werden könne. 

Handelte es sich nicht um eine überaus ernste Sache, 
so wäre man fürwahr geneigt, aus dieser letzten Bemerkung 

34 ) II. Statistisches und Casuistisches zur Hydrotherapie der Lungen - 
phthise. Von Dr. K. Pick und Dr. E. Löwt, Assistenzärzten der Wasserheil¬ 
anstalt in KaDenlentgeben. pag. ßfi ff. 

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die bitterste Ironie herauszulesen. Der k. k. Oberste Sanitäts- | 
rath konnte wohl zur Erhärtung seiner These, die Heilung 
der Trunksucht sei eine problematische Sache, kein passenderes 
Beweismittel wählen als den Vorschlag, die Trinker in Zwangs¬ 
arbeitsanstalten zu deteniren. 

Wie ist es denn denkbar, auf eine Besserung oder gar 
Heilung durch eine solche Maßregel zu hoffen? Muß nicht 
im Gegentheile der letzte Rest des ethischen Gefühles beim 
Trinker verloren gehen, wenn er sich mit moralisch ver¬ 
kommenen , abgestraften und arbeitsscheuen Individuen auf 
eine gleiche Linie gestellt sieht? Und wird ihn nicht, sobald 
er die Schwelle der Zwangsarbeitsanstalt verlassen hat, ge¬ 
rade der Gedanke an den bemakelten Aufenthaltsort neuer¬ 
dings dem Trünke entgegenführen, damit er im Taumel des 
lang entbehrten Genusses die böse Erinnerung schnellstens 
wieder loswerde? 

Der Vorschlag, die minder depravirten Trinker in eigenen 
Abtheilungen der Zwangsarbeitsanstalt unterzubringen, hilft 
wenig; denn erstens ist eine strenge Separirung der Trinker 
und Zwänglinge zufolge der mannigfachen Berührungspunkte 
in der Anstalt, beispielsweise bei der Arbeit im Freien, kaum 
durchführbar; zweitens müßte die Behandlung der Trinker, 
deren Organisation, was immer man dagegen auch Vorbringen 
möge, dennoch keine normale Beschaffenheit zeigt, wenn schon 
keine prineipiell verschiedene, so doch in mancher Hinsicht 
abweichende sein, ein Punkt, welcher die Einheitlichkeit der 
Leitung sehr in Frage stellen würde; und endlich tilgt auch 
die separate Abtheilung das Brandmal nicht weg, welches den 
Insassen der Zwangsarbeitsanstalt überhaupt anhaftet. 

So wäre es in Bezug auf die Verpflegung eine sehr mi߬ 
liche Sache, wollte man den aus der Irrenanstalt geheilt ent¬ 
lassenen und in die Zwangsarbeitsanstalt aufgenommenen 
Trinkern dieselbe Kost verabreichen, wie den übrigen Zwäng- 
lingen. In der Irrenanstalt hatten sie, gleich den anderen 
Kranken, die Wohlthat einer ihnen entsprechenden und von 
Fall zu Fall angepaßten Diät genossen; sie bekamen reichlich 
Fleisch, Kaffee, Milch, Eier, kurz eine Nahrung, die ihnen 
zur Kräftigung ihres durch den Alkohol so sehr zerrütteten 
Körpers und demgemäß auch zur Wiederherstellung ihrer 
psychischen Gesundheit so noth wendig war. Und nun müssen 
sie auf all das in der Zwangsarbeitsanstalt verzichten, denn 
hier gibt es ordnungsgemäß Brod, Einbrennsuppe oder Speck, 
Hülsenfrüchte oder anderes Gemüse und nur einmal in der 
Woche, am Sonntag, eine Fleischspeise. Es ist nun nicht zu 
leugnen, daß eine solche Kost, in der nöthigen Menge zuge¬ 
messen, einen gesunden und kräftigen Organismus ausreichend 
ernähren kann; ob sie aber für Reconvalescenten überhaupt, 
für Trinker insbesondere paßt, wo die mannigfachsten Organ- 
und Verdauungsstörungen an der Tagesordnung sind, muß 
vom hygienischen Standpunkte sehr bezweifelt werden. 

Und wie in der Kost, müßten auch in manchen anderen 
Paragraphen der Hausordnung Aenderungen platzgreifen, 
welche ein schärferes Individualisiren der Fälle hauptsächlich 
nach der medicinischen Richtung nothwendig machen würde. 
Ein solches Vorgehen führt aber unbedingt zum Dualismus in 
der Anstalt, zum Schaden für beide Theile. Die Zwangs¬ 
arbeitsanstalt verliert ihre Einheitlichkeit, die Administration 
wird complicirter und kostspieliger. Die Trinker andererseits 
haben zwar ihre separate Abtheilung und vielleicht auch ihre 
Ausnahmsstellung; sie stehen jedoch unter der gleichen Firma 
wie die übrigen Zwänglinge, sie Sind und bleiben moralisch 
gebrandmarkt. 

Namentlich ist es der letzte Punkt, der besonders schwer 
in’s Gewicht fällt. 

Zur Frage VII wird von dem Gutachten das Stadium 
erörtert, in welchem die Trinker in einer Detentionsanstalt 
untergebracht werden können. Darnach wäre die Detention 
unter folgenden Bedingungen zulässig: 

1. wenn ein durch Alkoholmißbrauch psychisch erkranktes 
und in eine Irrenanstalt aufgenommenes Individuum seine 
Gesundheit wieder erlangt hat, 


2. wenn Jemand wegen öffentlicher Trunkenheit in einer 
bestimmten Frist mehrmals verurtheilt wurde, und 

3. wenn die Angehörigen eines gemeingefährlichen 
Trinkers dessen Detention verlangen. 

Zugegeben, daß die Durchführung der durch ein Gesetz 
bestimmten zwangsweisen Detention in den sub 1 und 2 be¬ 
zeichnten Fällen ohne besondere Schwierigkeit erfolgen könne, 
so bleibt es doch mehr als fraglich, ob sich irgend Jemand 
finden wird, der es über sich brächte, die Detention eines 
seiner Angehörigen in einer Zwangsarbeitsanstalt wegen Trunk¬ 
sucht freiwillig zu verlangen. Wahrscheinlicher ist, daß die 
Familie in Ermangelung eines passenden Asyls vorziehen 
wird, es auf das Aeußerste, auf die Vergeudung des Ver¬ 
mögens, ja auf die psychische Zerrüttung des Trinkers an¬ 
kommen zu lassen, als daß sie von einem so compromittirenden 
und gefährlichen Mittel Gebrauch machen sollte. Die Ab¬ 
gabe des Trinkers an die Zwangsarbeitsanstalt würde nicht 
nur die Bloßstellung des Namens der Familie bedeuten; es 
stünde noch anderes auf dem Spiele: der Erwerb, die bürger¬ 
liche Existenz, kurz die ganze Zukunft des Trinkers. 

Und dennoch wäre gerade in jenem Stadium der Trunk¬ 
sucht, wo es noch nicht zu tieferen psychischen Störungen ge¬ 
kommen ist, wo aber die Gefährlichkeit des Trinkers in ver¬ 
mögensrechtlicher und strafrechtlicher Beziehung feststeht, 
dessen Unterbringung in einem geeigneten Asyle dringend 
nothwendig. Wie viele Familien möchten ein solches Asyl 
als eine Wohlthat begrüßen, wie sehr würden sich aber auch 
die Aufnahmen von Alkoholikern in den Irrenanstalten ver¬ 
ringern, da man ja* ein Mittel hätte, dem in’s Verderben 
rollenden Treiben der Säufer Einhalt zu thun, bevor sie für das 
Irrenhaus reif geworden sind! Nur müßte ein solches Asyl 
den Charakter einer Trinkerheilanstalt, nicht aber den einer 
Zwangsarbeitsanstalt haben. 

Wenn in der weiteren Begründung des Gutachtens ge¬ 
sagt wird, daß die Errichtung eigener Trinkeranstalten mit 
Vortheil der Zukunft Vorbehalten werden möge, da zwar die 
Kostspieligkeit, aber nicht die Zweckmäßigkeit solcher An¬ 
stalten feststehe, so gewinnt man leicht den Eindruck, als 
hätte der k. k. Oberste Sanitätsrath einer principiellen Ent¬ 
scheidung dieser Frage aus Opportunitätsrücksicnten derzeit 
aus dem Wege gehen wollen, und als hätte er die Zwangs¬ 
arbeitsanstalten gleichsam nur als ein Experiment vorge¬ 
schlagen. 

Darf denn aber bei einer Principienfrage überhaupt der 
Kostenpunkt in Betracht kommen? Und weshalb soll die Ent¬ 
scheidung über diese Frage mit Vortheil erst der Zukunft 
Vorbehalten bleiben, da doch die unerquicklichen Verhältnisse 
der Gegenwart zur Entscheidung drängen? Wie will man 
endlich beweisen, daß zwar die Kostspieligkeit, aber nicht die 
Zweckmäßigkeit eigener Trinkeranstalten feststeht? Wir 
halten gerade das Umgekehrte für richtig. Die Zweckmäßig¬ 
keit, ja Noth Wendigkeit dieser Anstalten geht aus dem Voran¬ 
stehenden unwiderleglich hervor; und was die Kostspieligkeit 
betrifft, so dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß die Ver¬ 
pflegung in der Irrenanstalt schon zufolge der baulichen An¬ 
lage und inneren Einrichtung, dann zufolge der großen Zahl 
von Aerzten und Wartpersonen, zufolge des starken Ver¬ 
brauches von Medicamenten, Kleidung, Wäsche, Bettzeug und 
vielen anderen Dingen bei weitem höher zu stehen kommt, 
als in einem Trinkerasyle, wo sich diese Bedürfnisse auf ein 
geringeres Maß reduciren lassen, und wo Alles viel einfacher 
und mit weniger Kosten eingerichtet werden kann. Wenn 
also Jahr für Jahr in Folge der stetigen Vermehrung der 
Geisteskranken auf eine Erweiterung der vorhandenen Räum¬ 
lichkeiten in den Irrenanstalten, sei es durch Neu- oder Zu¬ 
bauten, Bedacht genommen werden muß, so ist doch evident, 
daß man schon vom ökonomischen Standpunkte viel besser 
wegkäme. wenn man einmal statt einer kostspieligen Irren¬ 
anstalt eine minder kostspielige Trinkerheilanstalt errichten 
und sämmtliche detentionsbedürftige Trinker aus den Irren- 
i anstalten dahin abgeben würde. 


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Auch der Einwand des Gutachtens, daß keine Erfahrungen 
über die solchen Anstalten zu gebende Ausdehnung vorliegen, 
ist belanglos. Bei jedem neuen Unternehmen stößt man an¬ 
fangs auf Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen. 
Theorie und Praxis stimmen bekanntlich nicht immer überein. 
Oft kann sich erst aus der Summe der Erfahrungen die Cor- 
rectur an der theoretischen Construction ergeben. Das darf 
jedoch nicht hindern, daß man einmal den Anfang, selbst den 
Anfang mit Fehlem mache. Und ist denn die Gefahr, Fehler 
zu begehen, wirklich so groß? 

Befragen wir doch die Statistik! Nach der durch¬ 
schnittlichen Berechnung aus einer langen Reibe von Jahren 
sind 25 Procent sämmtlicher männlicher Pfleglinge in den 
Irrenanstalten ausschließlich durch Alkoholmißbrauch erkrankt. 
Nehmen wir erfahrungsgemäß an, daß von den an Alkoholismus 
Erkrankten nur die Hälfte Gewohnheitstrinker seien, so würden 
wir beispielsweise in den jetzt bestehenden 4 Landes-Irren- 
anstalten Niederösterreichs bei einem Gesammtstande von 
rund 1000 männlichen Kranken mindestens 125 eliminirbare 
Trinker verzeichnen. In Wirklichkeit käme jedoch eine höhere 
Ziffer heraus, da die Berichte der Wiener Landes-Irrenanstalt 
in den letzten Jahren viel höhere Procente der Alkoholiker, 
45, ja sogar 52 Procent der Aufnahmen ausweisen. Im Jahres¬ 
berichte pro 1888 lesen wir, daß in der Wiener Anstalt allein 
02 Gewohnheitstrinker in Verpflegung standen. 

Wenn diese Ziffern auch schwankend sind, so steht doch 
fest, daß wir durch die Statistik ermitteln können, wie viel 
eliminirbare Trinker sich ungefähr in den Landes-Irrenanstalten 
befinden. In Niederösterreich wäre, wie gesagt, diesbezüglich 
auf mindestens 125 Trinker zu rechnen. Wie .viele jedoch 
in der Freiheit zum Schaden der Familie und der Gesellschaft 
leben, und wie viele von diesen detentionsbedürftig sind, das 
zu bestimmen, fehlt vorderhand jede Basis; das kann nur die 
Erfahrung lehren. Wenn also bei einer etwa in Niederöster¬ 
reich zu errichtenden Trinkerheilanstalt die concrete Frage 
gestellt würde, in welcher Ausdehnung dieselbe zu errichten 
wäre, so hat man einerseits an der oben statistisch ermittelten 
Minimalzahl der Gewohnheitstrinker einen Anhaltspunkt, 
andererseits wird man gewiß nicht fehl gehen, eine solche 
Anstalt mit Rücksicht auf den von außen zu gewärtigenden 
Zufluß von Trinkern von vornherein größer, zum mindesten 
für 200 Personen herzustellen, und zwar mit der Bedingung, 
daß im Plane die Möglichkeit einer successiven, durch den 
Bedarf geregelten Erweiterung derselben gegeben sei. 

So sind wir denn nach Erörterung aller sachlichen Mo¬ 
mente zu einem wesentlich anderen Resultate gelangt, als das 
Gutachten des k. k. Obersten Sanitätsrathes. 

Darüber zwar, daß die Trinker aus den Irrenanstalten 
als nicht dahin gehörig deplacirt werden müssen, herrscht 
kein Zweifel und keine Meinungsverschiedenheit. Allein mit 
dem Vorschläge, keine Trinkerheilanstalten zu errichten, 
sondern die Trinker in den Zwangsarbeitsanstalten unterzu¬ 
bringen, hat sich der k. k. Oberste Sanitätsrath im Gegen¬ 
sätze zu dem allgemeinen Petitum der Irrenärzte auf einen 
ganz aparten Standpunkt gestellt. In allen psychiatrischen 
Vereinen des In- und Auslandes, bei allen Enqueten und Con- 
gressen, wo immer nur die Trinkerfrage auf der Tagesordnung 
stand, überall wurde in Wort und Schrift für die Errichtung 
von Trinkerasylen plaidirt. 

Um so überraschender wirkt dieser isolirte Vorschlag, 
welcher im Falle seiner Annahme viel eher einer Verwicklung 
als einer Lösung der Trinkerfrage gleichkäme. Er läßt sich 
weder aus inneren, noch aus äußeren Gründen rechtfertigen; 
er gereicht weder den Irrenanstalten, noch den Zwangsarbeits¬ 
anstalten, und am wenigsten den Trinkern zum Nutzen; er 
setzt ein gefährliches Experiment, welches den Keim des Mi߬ 
lingens schon in sich trägt. 

Hier hilft kein opportunistisches Auskunftsmittel. Die 
Trinkerfrage bedarf einer ebenso gründlichen, als humanen 


und alle Theile befriedigenden Lösung. Eine solche kann aber 
nur in der Errichtung von selbstständigen Trinkerheilanstalten 
bestehen. 


Ueber die Priocipien der Therapie der 
Herzkrankheiten. 

Von Prof. Dr. &. V. Basch in Wien. 

(Fortsetzung.) 

Hiemit ist aber die functioneile Diagnose noch nicht er¬ 
schöpft. Man muß außerdem trachten, zu eruiren, ob die In- 
sufficienz ein hypokinetisches oder ein hyperkinetisches Herz 
befällt, und in welcher Form die Insufficienz auftritt. Vom 
Thierexperimente her kennen wir zwei verschiedene Formen 
der Insufficienz, eine paretischc und eine spastische, und die 
Klinik hat meiner Meinung nach die wichtige Aufgabe zu 
lösen, ob diese zwei Formen sich auch am kranken Menschen 
diagnosticiren lassen. 

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich das Eintheilungs- 
prineip der mit Kreislaufstörungen einhergehenden Functions¬ 
störungen des Herzens. 

Beginnen wir mit der Insufficienz des linken Ventrikels, 
so müssen wir hier zw r ei Formen von einander unterscheiden: 
Die Insufficienz bei gleichzeitiger Hypokinese und die Insuf¬ 
ficienz bei gleichzeitiger Hyperkinese des Herzens. Hypo¬ 
kinese, d. i. allgemeine Herzschwäche, darf nicht mit der 
Insufficienz idcntificirt werden. Aber die Hypokinese, nament¬ 
lich wenn sie eine primäre ist, wenn sie auf degenerativer 
Metamorphose des Herzfleisches beruht, prädisponirt jedenfalls 
zur Insufficienz und in der That finden wir sehr häufig Athem- 
beschwerden bei anämischen, durch acute Krankheiten herab¬ 
gekommenen Individuen nach Typhus, Diphtheritis und auch 
die Dyspnoe der Tuberculösen ist gewiß oft genug mit durch 
die Insufficienz des linken Ventrikels bedingt, eine Annahme, 
die in der Thatsache, daß bei Tuberculose das Herz häufig 
fettig degenerirt erscheint, ihre Stütze findet. 

Als besonders disponirt zur Insufficienz des linken Ven¬ 
trikels erscheint aber das Herz, das mit einer Mitralinsufficienz 
oder einer Mitralstenose, oder mit beiden gleichzeitig behaftet 
ist. Denn die Mitralinsufficienz und die Hypokinese des 
Herzens ohne Klappenfehler haben ja mit einander gemein, daß 
in beiden der arterielle Blutdruck ein niedriger ist. Sie 
unterscheiden sich nur dadurch von einander, daß bei der 
Hypokinese eine Anhäufung von Blut in den Venen, bei der 
Mitralinsufficienz aber eine solche in den Lungengefäßen statt¬ 
findet. 

Eine noch so geringe Muskelinsufficienz, wenn sie sich 
zu einer Mitralinsufficienz hinzugesellt, muß sich schon im 
hohen Grade durch das klinische Symptom der Dyspnoe be¬ 
merkbar machen, weil beide sich in ihren gleichartigen Wir¬ 
kungen summiren. Die Muskelinsufficienz dagegen, wenn 
sie bei hypokinetischen, aber klappentüchtigen Herzen denselben 
klinischen Effect hervorruft, wird schon zu einem viel höheren 
Grade gediehen sein müssen. 

Die Prädisposition der Mitralinsufficienz zur Herzinsuf- 
ficienz wird übrigens auch dadurch erhöht, daß hier in der 
Regel der Herzmuskel entzündliche Processe durchgemacht hat 
und zu Recidiven derselben hinneigt. 

Auch das hyperkinetische Herz kann, wie schon erwähnt, 
von der Muskelinsufficienz ergriffen werden, und zwar sowohl 
in dem Stadium, wo blos die Herzarbeit vermehrt ist, als in 
dem Stadium, wo sich in Folge ihrer vermehrten Herzarbeit 
eine deutliche Hypertrophie des, linken Ventrikels ausge¬ 
bildet hat. 

Solche Insufficienzen sind in der Praxis außerordentlich 
häufig. Die anatomische Grundlage derselben bildet die Arterio- 
sclerose. 


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Zu der Gruppe der Insufficienzen des hyperkinetischen 
Herzens möchte ich auch jene Klappenfehler des linken Herz- 
ostiums rechnen, die auf sclerotischer Basis sich entwickeln, und 
dazu gehört ja die Mehrzahl der Aorteninsufficienzen und der 
Aortenstenosen. 

Folgegerecht müßten wir auch die Insufficienzen des 
rechten Ventrikels in solche trennen, die sich an eine Hypo- 
kinese und solche, die sich an eine Hyperkinese des rechten 
Herzens anschließen. Aber für die Hypokinese und Hyper¬ 
kinese des rechten Herzens haben wir keine so sicheren und 
directen Anhaltspunkte, wie für die Hypo- und Hyperkinese 
des linken Ventrikels, denn über diese belehrt uns ja der 
Puls. Aus diesem Grunde und auch deshalb, weil das Ver¬ 
halten des Pulses den Plan, nach dem wir unsere Therapie ein - 
richten, am meisten beeinflussen soll, scheint es mir zweckmäßiger, 
die Insufficienzen des rechten Ventrikels in solche einzutheilcn, 
die mit einer Hypokinese und in solche, die mit einer Hyper¬ 
kinese des linken Ventrikels einhergehen. 

Selbstverständlich findet man am Krankenbette nicht 
immer reine Insufficienzen des linken Ventrikels, noch seltener 
reine Insufficienzen des rechten Ventrikels, sondern Mischformen, 
bei welchen bald die eine, bald die andere Insufticienz überwiegt, 
d. i. Formen, wo beide Symptome, die Dyspnoe sowohl, als 
das Oedem, zum Vorschein gelangen, wo aber bald das eine, 
bald das andere Symptom als deletärer, als für die Behandlung 
wichtiger erscheint. 

Die Behandlung der Herzinsufficienz zerfällt wie früher 
in eine directe und eine indirecte. 

Beginnen wir mit der directen, d. i. der mcdicamentösen 
Behandlung durch Herzgifte. 

Obenan steht nach ihrem Alter und nach der großen 
Summe von klinischen und experimentellen Erfahrungen die 
Digitalis. Derselben an die Seite zu stellen ist Strophantus, 
und es soll nicht unterlassen werden, hier zu betonen, daß es ein 
Verdienst Drasch r’s war, dass er auf diese. Drogue in Wien 
zuerst aufm* rksam gemacht und durch klinisch-therapeutische 
Versuche die Bedeutsamkeit und Brauchbarkeit derselben ge¬ 
lehrt hat. 

Was leistet nun Digitalis und Strophantus? Dieser 
Frage muß man von mehreren Seiten näher treten. Die klini¬ 
sche Beobachtung muß lehren, ob, wann und unter welchen 
Verhältnissen das Mittel reizt, resp. schadet; das Experiment 
am Thiere muß uns über die Wirkungsweise der Mittel auf¬ 
klären, es muß uns lehren, die günstige und schädliche Wir¬ 
kung beurtheilen, kurz es muß uns eine Einsicht in die Mechanik 
der Gifte verschaffen. 

Die Wirkungen der Digitalis und des Strophantus 
stimmen nun, und ich spreche hier aus eigenen Erfahrungen, 
resp. aus Erfahrungen, die in meinem Laboratorium von den 
Herren DDr. Schweinbürg und Popper gesammelt wurden, mit 
einander überein. Der Schwerpunkt der Wirkung beider Mittel 
liegt nicht, wie bisher gelehrt wird, in der Steigerung des 
Arteriendruckes, er liegt in folgenden zwei durch das Experi¬ 
ment aufgedeckten Erscheinungen. Mit der Steigerung des 
Druckes in der Aorta sinkt der Venendruck, und der Aorten¬ 
druck steigt verhältnißmäßig viel mehr als der Druck an der 
Pulmonararterie. Was bedeuten nun diese beiden Thatsachen? 
Sie bedeuten, daß das Gefälle im großen Kreisläufe größer ge¬ 
worden, sie bedeuten, daß auch das Verhältniß zwischen dem 
Drucke in der Aorta und dem der Arteria pulmonalis ge¬ 
wachsen ist. In’s Praktische, Klinische übersetzt, will das 
sagen, daß durch D i g i ta lis sowohl als Strophantus der 
Blutstrom sowohl im großen als im kleinen Kreisläufe be¬ 
schleunigt, daß das Abfließen des Venenblutes gegen das rechte 
Herz, und ebenso das Abfließen des Blutes aus den Lungen¬ 
venen gegen das linke Herz erleichtert worden ist. 

Hierin liegt, wie leicht einzusehen, der Schlüssel zur 
Erklärung aller günstigen Erscheinungen, die wir nach Digi¬ 
talis und Strophantus am Krankenbette beobachten. 


Wenn nach Digitalis und Strophantus die Athemnoth 
verschwindet, so haben wir dies dahin zu deuten, daß die In- 
sufficienz der Herzarbeit, welche derselben zu Grunde lag, und 
die das Ausströmen des Blutes aus dem linken Vorhof ver¬ 
hinderte, einer günstigeren Herzarbeit Platz machte. 

Es ist absolut irrig, anzunehmen, und es ist dies einer 
der Fundamentalfehler, in welche Oertel bei seinen Betrach¬ 
tungen verfallen ist, daß die Insuffieienz des rechten Ventrikels 
etwas mit Dyspnoe zu schaffen habe. Im Gegentheil, die 
Insuffieienz des rechten Ventrikels kann, wenn man ein Freund 
teleologischer Auffassungsweise ist, weit eher in compensato- 
rischem Sinne gedeutet werden. Denn die Insuffieienz des 
rechten Ventrikels, wenn sie sich zu der des linken gesellt, 
kann das Sj'mptom der Dyspnoe beseitigen helfen, und zwar 
dadurch , daß sie die Anfiillung der Lunge mit Blut ver¬ 
hindert, daß sie ähnlich wirkt, wie etwa eine Tricuspidal- 
insufficienz, die sich im Laufe einer Mitralinsufficienz aus¬ 
bildet. 

Wenn Sie Ihre Erfahrungen aus der Praxis vor Ihrem 
Gedächtnisse Revue passiren lassen, so werden Sie gewiß auf 
Fälle stoßen, wo bei Herzkranken, die an starker Dyspnoe, 
häufigen asthmatischen Anfällen litten, der Athem besser 
wurde, die asthmatischen Beschwerden sistirten, sobald stärkere 
Oedeme auftraten. 

Nur Freunden teleologischer Auffassung kann indeß eine 
solche Aenderung des klinischen Bildes als eine Compensation 
erscheinen, diese Aenderung bedeutet in der That nur eine Ver¬ 
schlimmerung , sie bedeutet, daß nun auch das rechte Herz 
insufficient geworden. 

Auch in solchen Fällen pflegt noch Digitalis oder Stro¬ 
phantus zu wirken, und die Art und Wei-:e, auf welche sie 
in solchen Fällen Hilfe bringen, ist auch durch das Experi¬ 
ment aufgeklärt, es ist die Aufhebung der Venenstauung, die 
Beseitigung der Stauung im Gebiete des Nierenkreislaufes, 
welche günstig wirkt, indem sie einestheils der weiteren Trans¬ 
sudation in die Gewebe Schranken setzt, und anderentheils die 
Entfernung des Transsudates durch die nun frei gewordene 
Nierensecretion begünstigt. 

Im Ganzen und Großen sind die Chancen bei der Be¬ 
handlung mit Digitalis und Strophantus weit günstiger, wenn 
blos Dyspnoe vorhanden ist, als wenn auch Hydrops erscheint, 
begreiflicher Weise deshalb, weil Dyspnoe, d. i. die Insuffieienz 
des linken Ventrikels in der Regel das Anfangsstadium der 
Herzerkrankung darstellt, ein Stadium, in dem die Reactions- 
fahigkeit des Herzens noch eine günstige ist. 

Die Insuffieienz des rechten Ventrikels deutet an und für 
sich schon darauf hin, daß der Proeeß im Herzen fortschreitet, 
und in der That sind es diese vorgerückten Stadien, wo man 
der Wirkung der Herzgifte durch Diuretica, Calomel an der 
Spitze, unterstützend beispringen muß, wo man versuchen 
muß, ob das Herz, das auf Digitalis, Strophantus, Adonis nicht 
reagirt, nicht etwa gegen Coffein eine Reactionsfähigkeit 
bewahrt hat. Beim Coffein hat man vielleicht noch dazu den 
Vortheil, daß man mit der Wirkung eines Herzgiftes noch die 
eines Diureticum verbindet. 

Welches sind die Anzeichen für eine günstige Wirkungs¬ 
weise eines Herzmittels? In erster Reihe selbstverständlich 
das subjective Befinden, resp. das Schwinden jener Symptome, 
die von der Insuffieienz des Herzens herrührten. Ein zweites 
Anzeichen gibt die Qualität und Quantität der seeernirten 
Harnmenge, und endlich hält man den Puls als einen der 
wichtigsten Werthmesser für die Wirkungsweise der Herz¬ 
mittel. Das ist, insoweit es sich um die wuchtigste Qualität, 
um die Spannung des Pulses handelt, mit großer Vorsicht 
aufzunehmen, Aus meinen Messungen mittelst des Sphygmo¬ 
manometers, der allein verläßliche Angaben über das Verhalten 
der Pulsspannung gibt, weiß ich schon seit Jahren, daß die 
entschieden günstige Wirkungsweise der Herzmittel nicht 
immer von einer Erhöhung des Blutdruckes, die man ja als 
Haupteffect der Digitalis-Wirkung ansah und ansieht, gefolgt 


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wird. Ja, ich kenne Fälle genng, wo mit auffälliger Besse¬ 
rung, mit deutlichem Schwinden der Dyspnoe ein Sinken des 
Blutdruckes einherging. 

Wie erklärt man sich diese gegenteilige Wirkung der 
Digitalis bei sonst günstigem Erfolge derselben. Diese Er¬ 
klärung fällt nicht schwer, wenn man weiß, daß dieses Sinken 
des arteriellen Druckes in der Regel dort beobachtet wird, 
wo es sich zumeist um eine hochgradige Dyspnoe bei der 
hyperkinetischen Form der Insufficienz handelt. In solchen 
Fällen darf es nicht Wunder nehmen, wenn in Folge der 
Digitalisbehandlung der Blutdruck sinkt. Denn das Steigen 
war hier großenteils durch die Dyspnoe bedingt. Wegen 
der dyspnoetischen Gefäßcontraction stieg der Blutdruck 
an, und wenn nun nach Einwirkung der Digitalis die 
Lunge freier, das Atmen besser wurde, und eupnoisches 
Blut in vorher von dyspnoischem Blute durchströmte Gefäße 
einfließt, dann tritt, bekannten physiologischen Versuchen ent¬ 
sprechend, die Mosso an der Niere angestellt hatte, eine starke 
Erweiterung in den Gefäßen ein, und auf diese Erweiterung, nicht 
auf eine alterirte Wirkung der Digitalis, ist diese Erniedri¬ 
gung des Blutdruckes zu beziehen. Bei hypokinetischen 
Herzen ist eine solche Drucksenkung nach Digitalis in der 
Regel nicht zu beobachten. 

Ziehen wir in Betracht, welche Fälle von Insuf¬ 
ficienz sich für die Digitalis-, resp. Strophantusbehandlung am 
meisten eignen, so müssen wir sagen, daß dies Fälle sind, 
die mit Hypokinese einhergehen, also auch die Fälle von 
Mitralinsufficienz. Das begreift sich auch leicht, wenn man 
bedenkt, daß von der Hypokinese und der Mitralinsufficienz 
nur ein kleiner Schritt fehlt bis zur Muskelinsufficienz, und 
daß es demnach den Herzmitteln nicht schwer fallen kann, 
diesen kleinen Schritt wieder zurückzumachen. 

(Schluß folgt.) 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Zur Therapie der Neurosen des Magens. 

Von Dr. Franz Heller in Wien. 

Der mitzntheilende Fall betraf einen in Folge seiner aufregenden 
Berufstbätigkeit sehr nervös erregten Mann in mittleren Jahren, der 
über heftiges, zu verschiedenen Zeiten des Tages auftretendes, anfalls¬ 
weises Aufstoßen und darauffolgendes Sodbrennen klagte und mir 
erzählte, daß zwei ärztliche Capacitäten als Ursache dieses Zustandes 
allzu rasches Essen und dadurch bedingtes Verschlucken von Luft be- 
zeichneten, daß aber diese Erscheinungen trotz des befolgten lang¬ 
samen Essens ganz unverändert fortbestünden. 

Diesen wiewohl gleichlautenden Sentenzen bedeutender Autori¬ 
täten konnte ich aber doch keinen Glauben entgegenbringen und 
theilte dem Kranken meine auf an mir selbst gemachter Erfahrung 
gestützte Ueberzeugung mit, daß sein uervöses Magenleiden auf 
einige leichte Morphiumdosen unter gleichzeitiger Verzichtleistung 
auf den Genuß von Thee, nebst Gebrauch von Rohitscher Sauer¬ 
brunn, zum Zwecke der Hintanhaltung einer etwaigen Obstipation, 
verschwinden werde. Thatsächlich verschwanden alle diese so lästigen 
Erscheinungen gleich nach dem ersten Morphiumpulver und kehrten 
auch nicht wieder, da Pat. den Thee hinweggelassen und 3 Morphium¬ 
pulver (zu 0*003) täglich genommen hat, welche Dosis er nach 
einigen Tagen schon auf zwei Pulver pro die verringern durfte, um 
einige Tage später das Morphium ganz weglassen zu können. 

Auffallend ist, daß kein anderes Nervinum diese wohlthätige 
Wirkung äußert; ich selbst habe früher von Zeit zu Zeit Natron 
bromatum, hin und wieder auch Kalium bromatum oder auch Chloral- 
hydrat genommen, ohne diese oben beschriebene, so wohlthätige 
Wirkung auf den Magen davon bemerkt zu haben. 

•Da nun Morphium gerade ein Mittel ist, welches leicht Ob¬ 
stipation bewirkt, so ist es rathsam, nebstbei den Gebrauch des 
Rohitscher oder Biliner Sauerbrunnens zu verordnen, wodurch auch 
die Verdauung angeregt wird, oder dem Morphium etwas Aloe zu¬ 


zusetzen. In jenen Fällen aber, wo, wie dies besonders beim weib¬ 
lichen Geschlechte häufig der Fall ist, das Morphium sehr schlecht 
vertragen wird und leicht Uebelkeiten und Schwindel erzeugt, muß 
man versuchen, allenfalls mit noch schwächeren, dafür, wenn thun- 
lich, öfter zu verabreichenden Dosen die gewünschte Wirkung zu 
erstreben. 

Vor zwei Jahren machte ich aber die höchst sonderbare Ent¬ 
deckung, daß das beste und einzige Mittel gegen chronische Dyspepsie 
das Sauerkraut sei. 

So paradox dies klingen mag, da es doch der bisherigen allge¬ 
meinen Anschauung geradezu widerspricht, so habe ich mich doch 
durch die sowohl an mir selbst, als auch an meinen Patienten 
wiederholt gemachte Erfahrung von der Richtigkeit dieser Thatsache 
zur Genüge überzeugt. 

Ich hatte nämlich schon seit vielen Jahren das Sauerkraut 
theils wegen seiner Säure, noch mehr aber wegen seiner blähenden 
Eigenschaft streng gemieden. Als ich aber einmal im Winter des 
Jahres 1888 bei zufällig besserer Stimmung meines Magens mich 
verleiten ließ, des Mittags zum Schweinsbraten Sauerkraut zu 
nehmen, wunderte ich mich, daß Abends weder die gefürchteten 
Blähungen, noch auch sonst irgend welche Verdauungsstörung ein¬ 
trat, ja im Gegentheil, an diesem Tage das so lästige Aufstoßen 
und Sodbrennen ausblieb und ich sogar des Abends Appetit ver¬ 
spürte, was doch sonst nie der Fall war. 

Deshalb wagte ich nach einigen Tagen wieder Mittags Sauer¬ 
kraut zu essen, und wieder büeben die so lästigen Magenerscheinungen 
an diesem Tage aus, und es stellte sich wieder wie das erste Mal 
Abends ziemlicher Appetit ein. 

Diese so unerwartete Wirkung des Sauerkrautes überraschte 
mich begreiflicher Weise, und ich beschloß, diese frappante Wirkung 
desselben zu erproben und auszunützen und nahm mir vor, von nuu 
an täglich zu Mittag Sauerkraut zu essen; von dieser Zeit an 
war ich vom Aufstoßen und Sodbrennen bei Tag und Nacht befreit, 
ja der Appetit steigerte sich zusehends. 

Da man aber nicht immerwährend Sauerkraut genießen kann, 
andererseits dasselbe im Sommer nicht mehr gut war und ich über¬ 
dies bald in’s Gebirge verreiste, wo ich kein gutes Sauerkraut be¬ 
kommen konnte, so mußte ich den ferneren Genuß desselben sistiren. 

Allein, obgleich ich mich in einer guten Gebirgsluft befand und 
täglich milde Seebäder gebrauchte, so ließ doch der Appetit bald 
nach und ich mußte oft, um die unangenehmen Sensationen im Magen 
zu verscheuchen und mir einigen Appetit zu machen, vor dem Mit¬ 
tagmahl, wie vordem Abendmahl Preblauer Sauerbrunnen trinken. 

Als ich nun im Herbste nach Wien zurückkehrte, wurde es 
mit meinem Magen immer ärger und es stellte sich bald wieder der 
frühere Zustand ein mit dem Appetitmangel und lästigen Aufstoßen 
und Sodbrennen, bis ich endlich, dieser Qual überdrüßig, im März 
dieses Jahres wieder zum Sauerkraut meine Zuflucht nahm. 

Und sonderbar, seit dem Tage, wo ich wieder Sauerkraut zu 
essen begann, haben Aufstoßen und Sodbrennen gänzlich aufgehört 
und Appetit und Wohlbehagen stellten sich bald wieder ein. 
Ich konnte nun nebstbei auch alle anderen Speisen, die ich sonst 
strenge meiden mußte, Linsen, Bohnen etc. genießen und sogar 
zwei Glas Bier zu den Mahlzeiten trinken, ohne dadurch die er¬ 
wähnten lästigen Erscheinungen hervorzurufen oder den Appetit 
zu verscheuchen. 

Es ist höchst sonderbar, daß ich das Sauerkraut, und zwar 
je saurer, desto besser vertrage, während mir doch jede andere 
Säure schadet, weshalb ich schon seit vielen Jahren Wein und selbst 
Obst meiden mußte. 

Ich versuchte im vorigen Jahre, als mir nämlich das Sauer¬ 
kraut in Folge des durch längere Zeit täglich fortgesetzten Genusses 
desselben zu widerstehen begann, in der Meinung, daß nur die 
Säure desselben diese sonderbare Wirkung hervorgerufen, dasselbe 
durch Acid. mur. dil. zu ersetzen, von welchem ich gleich nach dom 
Mittagmahl 4 Tropfen in einem halben Glas Wasser genommen. 
Aber der Erfolg war durchaus nicht der Erwartung entsprechend, 
indem sich am Abende dieses Tages wieder Aufstoßen und Sodbrennen 
in hohem Grade cinstellten, so daß ich zu der Ueberzeugung gelangte, 
daß sich das Sauerkraut durch nichts ersetzen lasse, nicht einmal 


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durch das gedünstete Kraut, auch nicht durch das sogenannte Roth- 
kraut, welches keine natürliche Säure enthält, sondern mit Essig 
und Zucker aufgedünstet wird. 

Wie sich das rohe Kraut in dieser Beziehung verhält, habe 
ich noch nicht erfahren ; vermuthlich wird es aber ebenso wie das 
gekochte gut wirken. 

Im Herbste 1888 verordnete ich einem jungen Manne wegen 
seiner Anämie, nachdem er mich versicherte, guten Appetit zu 
haben, das Roncegno-Eiseuwasser, welches er aber nicht vertragen 
konnte, weshalb ich ihm vorerst zur Kräftigung der Verdauung 
Tct. nuc. vom. mit Tct. gentiana verordnete. Nach einiger Zeit 
versuchte er abermals das Roncegno-Wasser, ohne es wieder ver¬ 
tragen zu können, worauf ich ihm dann den Genuß des Sauerkrautes 
empfahl. 

Nach 4 Monaten berichtete mir Pat., daß er während der 
ganzen Zeit täglich Sauerkraut genossen und während dieser Zeit 
um 6 Kilo an Gewicht zugenommen habe. Als er nun wieder das 
Eisenwasser versuchte, machte ihm dasselbe keine Beschwerden mehr. 


Referate und literarische Anzeigen. 


N. Senn: On the healing of aseptic bone cavitiea by 
implantation of antiseptic decalcified bone. 

Verf. hat versucht, Knochenhöhlen durch Uebertragung von 
decalcinirtom und mittelst Sublimatlösung (l : 500) antiseptisch ge¬ 
machtem Knochen zur Heilung zu bringen. Die Resultate seiner 
Studien und Erfahrungen legt der berühmte amerikanische Chirurg 
in einer sehr interessanten, in Nr. 209 des „Amer. Journ. of the 
med. Sciences“ veröffentlichten Arbeit nieder. Nachdem S. die Frage 
experimentell untersucht und günstige Resultate erhalten hatte, wendete 
er das Verfahren an 10 Fällen seiner Klinik an. Am besten be¬ 
nützt man die frische Tibia von Ochsen, die in verdünnter Salz¬ 
säure decalcinirt wird. Man schneidet dann den Knochen parallel 
der Längsachse in Stücke von ca. 1 Mm. Dicke, neutralisirt die 
Säure mittelst Kalilauge und bringt die Knochenschnitte in ein mit 
einer alkoholischen Sublimatlösung (1 : 500) gefülltes Gefäß, das 
hermetisch geschlossen wird. Vor der Benützung werden die 
Knochenstücke in eine 5% Carbollösung oder in eine schwache 
Sublimatlösung gebracht, der Form der auszufüllenden Knochenhöhle 
angepaßt und mit mehreren kleinen Löchern versehen, um das 
Durchdringen der Granulationen und somit die Fixation des Knochens 
zu erleichtern. Vor der Uebertragung der Knochenstücke wird die 
auszufüllende Knochenhöhle gründlich desinficirt, wobei jede Blutung 
möglichst vermieden wird, oder, wenn eine solche erfolgt, sorgfältig 
gestillt werden muß. Nun wird die Knochenhöhle mit den präparirten 
Knochenstücken vollständig ausgefüllt, das Periost wird mit Catgut 
darüber vernäht, ebenso werden — wenn möglich — die Weich- 
theile und schließlich die Haut vernäht. Um eine übermäßige 
Spannung in der Höhle durch Blutextravasation zu vermeiden, wird 
in den unteren Wundwinkel ein resorbirbares capillares Drainrohr 
eingeführt. Hierauf Verband mit Jodoformgaze und Subliraatholz- 
wolle. Die Extremität wird in erhöhte Stellung gebracht, der Ver¬ 
band erst nach 2 Wochen gewechselt, zu welcher Zeit die Wunde 
geheilt ist. 

Senn gelaugt in seiner Arbeit zu folgenden Schlüssen: 

1. Antiseptischer, decalcinirter Knochen ist das beste Ersatz¬ 
mittel des lebenden Knochens, um Substanzverluste im Knochen zu 
decken. 

2. In der Behandlung der Knochenhöhlen ist der decalcinirte 
Knochen den Blutgerinnseln Schede’s vorzuziehen, nicht nur weil 
er vollkommen aseptisch, sondern gleichzeitig auch eine antiseptische 
Substanz ist. 

3. Die Einpflanzung eines decalcinirten antiseptischen Knochen- 
stückes in einen Knochendefect des Sehädels kann als ein wirk¬ 
sames Mittel angesehen werden, um Blutungen aus den Gefäßen der 
Diploe zu stillen, liefert einen guten Ersatz für das verloren ge¬ 
gangene Stück des Schädeldaches, verhindert eine directe Vereinigung 
des Gehirns oder seiner Hüllen mit dem Pericranium und liefert 


die günstigste Gelegenheit zur Bildung von neuem Knochen von den 
Rändern aus und zur Schließung der Höhle. 

4. Der Verschluß einer aseptischen Knochenhöhle mit decal¬ 
cinirten antiseptischen Knochenstückchen schützt gegen gefährliche 
Blutungen und verhütet die Infection mit pyogenen Mikroorganismen, 
die an der Oberfläche der Wunde oder in den Geweben geblieben 
sein konnten. 

5. Die capilläre Drainage der Höhle mit einem resorbirbaren 
Drainrohr hat den Zweck, die Ansammlung einer größeren Blut¬ 
menge zu verhüten, als zum Aneinanderkitten der Knochenstückchen 
an das umgebende Gewebe nothwendig ist. 

6. Die Occlusion mit decalcinirten Knochen spielt die Rolle 
eines antiseptischen Tampons und liefert das beste Mittel zur Bil¬ 
dung und Entwicklung des aus dem durch das Trauma angeregten 
Regenerationsprocesse resultirenden Gewebes. 

7. Die secundäre Knochenimplantation kann mit Erfolg vor¬ 
genommen werden, nachdem die Eiterung aufgehört hat; die Höhle 
kann in dieselben günstigen Heilungsbedingungen gebracht werden, 
in welchen sich eine aseptische Wunde befindet. 

Im Anschluß daran sei ein von Gill im „Lancot“, XVII., 
Vol. II, 1889, mitgetheilter Fall von unvollkommener Heilung einer 
Radiusfractur erwähnt, bei welchen durch Anfrischung der Fractur- 
enden und Implantation von frischen Kaninchen¬ 
knochenstücken nachträgliche feste Consolidation erzielt wurde. 
Der Fall war kurz der folgende: 20jähriger Kranker hat Februar 
1888 complicirte Unterarmfractur acquirirt. Die Ulna heilt alsbald; 
am Radius bleibt Heilung aus; 3 Monate später werden die Frag¬ 
mentenden des Radius angefrischt und genäht; doch auch jetzt bleibt 
die Vereinigung aus. Im März 1889 wird nun nochmals Uber dem 
Radius incidirt, die Fragmentenden freigelegt; diese zeigen 
keine Spur einer Vereinigung; sie sind vielmehr von dicken, 
periostähnlichen Membranen umwuchert. Die Knochenenden werden 
nun zunächst abgeschabt, bis das Knochengewebe frei zu Tage 
liegt; es ergibt sich dann ein Intervall beider Fragmentenden von 
*/ 4 Zoll. Nun werden vom Femur eines 6 Wochen alten, frisch 
getödteten Kaninchens kleine, 1—2 Linien lange Knochensplitterchen 
abgestemmt und im Ganzen 13 davon in das Radiusintervall ge¬ 
bracht. Darauf Naht der Hautwunde, keine Drainage; fester 
Verband und Fixation auf Schiene. Ende April feste Consolidation; 
im August eine Functionsstörung des Armes überhaupt nicht mehr 
bemerkbar. M. 


Dührssen : Ueber die Behandlung der Blutungen post 
partum. 

Bei Blutungen in Folge von Atonie des Uterus oder von 
Cervixrissen bezeichnet D. (Volkmann’b Samml. klinischer Vortr., 
Nr. 347) die Tamponade des Uterovaginalschlauches als die am 
schnellsten auszuführende, ungefährlichste und sicherste Methode der 
Blutstillung. 

Die Technik des Verfahrens ist nach D. folgende: Bei einer 
Blutung nach Abgang der Placenta wird auf dem Querbette, sobald 
auf Reiben, Ergotininjectionen der Uterus sich nicht contrahirt oder 
trotz Contraction dennoch blutet, die Säuberung der äußeren Geni¬ 
talien mit Seife und 3 °/ 0 Carbollösung vorgenommen, catheterisirt, 
die Scheide mit mindestens 1 Liter 3% Carbollösung desinficirt 
und der Uterus ebenfalls mit 1 Liter 3°/ 0 Carbollösung (50° C. heiß) 
ausgespült. Blutet es trotzdem weiter, so geht man mit 2 Fingern 
in das Uteruscavum und überzeugt sich, ob dasselbe leer ist. Um 
die Diagnose eines etwaigen Cervixrisses braucht man sich nicht 
zu kümmern, sondern man zieht den Muttermund mit in eine oder 
beide Muttermundslippen eingesetzten Kngelzangen bis zur Vulva 
herab. Gelingt dies nicht, so nimmt man ein Rinnenspeculum zu 
Hilfe, oder man setzt 2 Finger der linken Hand an den Muttermund 
und führt unter ihrer Leitung mit einer 30 Cm. langen anatomischen 
Pincette das Ende eines Jodoformgazestreifens in den Uterus ein. 
Die nun frei gewordene linke Hand umfaßt den Fundus uteri, zu 
welchem die Pincette hinaufgeführt und deutlich durchgefühlt 
werden muß. Dann faßt die Pincette ein tieferes Stück des Gaze¬ 
streifens und bringt auch dieses in den Fundus; auf diese Weise 
stopft man den ganzen Uterus allmälig aus. Daran schließt man 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 4. 


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eine losere oder festere Tamponade der Scheide. Ein handbreiter, 
aus 4 Lagen bestehender, 5 Meter langer Streifen reicht in jedem 
Fall für die Uterovaginaltamponade aus. 

Iu Fällen schwerer Blutung empfiehlt D., um die Ausfüllung 
des Uterus möglichst fest durchführen zu können, die Narcose (!). 
(Dieser Vorschlag läßt annehmen, daß D. unter schwerer Blutung 
nicht dasselbe versteht, was sonst allgemein darunter verstanden 
wird. Ref.) Breüs. 


Ueber die Prognose der Herzkrankheiten. Von Prof. 
Dr. E. Leyden. S.-A. aus der „Deutschen med. Wochenschr.“ 
Leipzig und Berlin 1889. Georg Thieme. 

Eine Frage von tiefstem allgemeinem Interesse wird hier in 
geistvollen Ausführungen nach reichen eigenen Erfahrungen und einer 
genauen Kenntniß der Literatur besprochen, von einem Meister des 
Wortes und einem so tiefen klinischen Denker wie Leyden. Nach 
dem Umfange der kleinen Schrift, welche nur einen Vortrag, ge¬ 
halten im Verein für innere Medicin in Berlin, umfaßt, kann eben 
nur eine allgemeine Skizzirung dieses weiten Gebietes gegeben 
werden, welche mit markigen Strichen die leitenden Gedanken, die 
charakteristischen Grundzüge der Beurtheilung hervorhebt, einzelne 
kurze Bemerkungen über die Therapie einflicht. Wenn etwas an 
dieser Schrift Widerspruch findet, so kann es nur die Thatsache 
sein, daß der Autor diesem schönen letzten Capitel der Bespre¬ 
chung der Herzkrankheiten eine monographische Behandlung des 
gesammten Gebietes bis heute nicht folgen ließ. 

Die mitgegebene, daran geknüpfte Discussion, an der sich 
Ewald , Fräntzkl , Openchowsky , Fürbringer , P. Güttmann, 
Oldendorf*', Perl, Jastrowitz und der Vortragende betheiligten, 
bedeutet einen sehr werthvollen Beitrag. Pfungen. 


Vorlesungen über die öffentliche und private Ge¬ 
sundheitspflege. Von Dr. J. Rosenthal, O. ö. Professor 
der Physiologie und Gesundheitspflege an der Universität Er¬ 
langen. Erlangen 1889. Eduard Besold. 

Schneller als bei den meisten dieses Gebiet behandelnden 
Werken ist eine Auflage der anderen gefolgt, und dieser Umstand, 
gepaart mit der anerkannten Autorität, welche Vcrf. auf diesem 
Gebiete in mediciuischen Kreisen genießt, würde schon genügen, den 
Werth dieses Werkes zu kennzeichnen. Schon der äußere Anblick 
dieses jetzt in zweiter Auflage erscheinenden Buches überzeugt uns, 
daß dasselbe eine namhafte Vermehrung seines Inhaltes gefunden 
habe. Und in der Tbat wird Jeder, der die Literatur der Hygiene 
in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, finden, daß die 
zahlreichen festgestellten Resultate derselben, soweit sie auf allge¬ 
meine Giltigkeit und Anerkennung Anspruch erheben dürfen, mit 
verständnißvoller Auswahl dem Werke einverleibt worden sind. Insbe¬ 
sondere seien hier diesbezüglich die beiden Anhänge hervorgehoben, von 
denen der eine die auf das Gesundheitswesen bezüglichen Gesetze und 
bundcsräthlichen Verordnungen enthält, während der andere eine 
unter Mitwirkung seines Assistenten Dr. Schulz ausgearbeitete An¬ 
leitung zur Vornahme hygienischer Untersuchungen zum Gegenstände 
hat Wiewohl der erstere wohl mehr für unsere Collegen in Deutsch¬ 
land bestimmt und von Interesse ist, so wird jedoch auch der hier¬ 
ländische Hygieniker aus diesen allgemein gütigen Gesichtspunkten 
schöpfen können, von denen aus er sein gutachtliches Urtheil äußern 
könnte. Der Umstand, daß in den zweiten Anhang unter ge¬ 
bührender Rücksichtnahme auf die dem Arzte zur Verfügung stehen¬ 
den Hilfsmittel und chemischen Vorkenntnisse nur das für die Beur¬ 
theilung Wissenswertheste und mit wenigen Hilfsmitteln Ausführbare 
aufgenommen worden ist, wird ihn insbesondere Demjenigen höchst will¬ 
kommen machen, der mitunter berufen ist, hygienische Untersuchungen 
selbst auszuführen und dieseu keinen großen Zeitaufwand zu widmen 
in der Lage ist.. — Den überreichen Stoff vertheilt der Verf. auf 
einzelne Vorlesungen, welche für sich als abgerundetes Ganzes er¬ 
scheinen. In wissenschaftlich gehaltener Form und in gedrängter 
Kürze führt der Verf. in denselben alle wissenswerthen Thatsachen 


vor, und ist diese Eintheilung auch insofern von nicht zu verkennen¬ 
der praktischer Bedeutung, als es hiedurch dem Studirenden ermög¬ 
licht ist, sich in kurzer Zeit das über die einzelnen Disciplinen 
bis jetzt Bekannte anzueignen und, ausgerüstet mit dem nöthigen 
Wissen, es auch zu positiven Kenntnissen günstig zu verarbeiten. 
Der Verfasser bespricht in der Einleitung das Allgemeine und die 
Begriffsbestimmung der öffentlichen und privaten Gesundheitspflege, 
behandelt dann in mehreren Vorlesungen die Hygiene der Atmo¬ 
sphäre, erörtert fernerhin in eingehender Weise die Zusammensetzung 
und Verdaulichkeit der Nahrungsstoffe und betrachtet in den letzteren 
Vorlesungen das Wesen der Infectionskrankheiten und die Schutz¬ 
maßregeln gegen dieselben. Die lichtvolle Darstellung, unterstützt 
durch klar verständliche schematische Zeichnungen und durch einen 
schönen Druck, sowie die erschöpfende Ausführlichkeit sind Vorzüge, 
welche auch bei dieser neuen Auflage dazu beitragen werden, daß 
sich dieselbe einer ebenso schnellen und günstigen Aufnahme er¬ 
freue , wie die ihr vorangegangene. Wir können dieses gediegene 
Werk allen Betheiligten wärmstens empfehlen. M. Jolles. 


Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

Ref. Dr. H. Lohnstein, Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Zuelzer zu Berlin. 

Der nachfolgende Bericht sucht in gedrängtester Dar¬ 
stellung eine möglichst vollständige Uebersicht der im ver¬ 
flossenen Semester (incl. April 1889) publicirten Arbeiten zu 
geben. Bei dem Aufschwung, den unser Specialfach in neuester 
Zeit genommen, ist es allerdings schwer, die alljährlich er¬ 
scheinende Menge von neuen Publicationen in lückenloser 
Darstellung zusammenzufassen, und so mag auch in dem fol¬ 
genden Berichte die eine oder andere Arbeit übersehen worden 
sein, weshalb ich an dieser Stelle um Nachsicht bitte. 

Der Bericht ist so angeordnet, daß die einzelnen Organe 
des uropoetischen Systems als Grundlage für die Disposition 
dienen. Es werden somit nach einander die neueren Arbeiten 
über die Erkrankungen des Penis, der Urethra, Blase, Harn¬ 
leiter und Nieren etc. abgehandelt werden. 

I. Genitalien. 

Literatur: 1. Tuberculo.se des Penis. (Verhandl. d. 61. Naturforscher- 
versammlung.j — 2. Pacific. Record, 15-, XI., 1888. — 3. Int. Centralbl. für 
Path. u. Therap. d. Harn- u. Sexualorgane. — 4. ibid. — 5. Verhandl. d. 2. 
Congresses d. amerikanischen Specialärzte für Krankheiten d. Uro-Genital- 
systems zu Washington, 18.—2 )., IX., 1888- — 6. ibid. — 7. Societö nationale 
de medeeine de Lyon. — 8. ibid. — 9. Kgl. Gesellsch. d. Aerzte in Budapest. 

— 10. Nach Sein. m6d. — 11. Nach Sem. med. — lla. Lancet, 1. Sept. 1888. 

— 12. Nach Therapeutic Gazette. — 13. A new method of treatment of 
Diseases of the urethra, bladder, uterus and rectum — dry medication, dry 
syringe. (Read in the Sect. on Surg. and Anat. at the 39. Annual meeting 
of the Am. Med. Assoc., May 1888 — 14. Der Fortschritt, Nr. 13, 1888. — 

15. Behandl. d. infectiösen Urethritis mittelst der Thallinantrophore, 1888. — 

16. Lancet, 1. Sept. 1888. — 17. The use of Thallin in Gonorrhoea, 1888. 

— 18. Ueber den Gebrauch des Sublimats bei Gonorrhoe, 1888. — 19. Journ. 
de medeeine de Paris, 1888, Bd. II, Nr. 2. — 20. 2. Urologen-Congreß zu 
Washington, 18.—20. Sept. 1888. — 21. Gazette des Höpitaux, 1., XI., 1888. 

— 22. Societe de Biologie, 8., XII., 1888. — 23. Monatsh. f. prakt. Dermat., 
10., 1888. — 24. Journ. of Americ. Medical Association, 1888. — 25. Monatsh. 
f. prakt. Dermat., Nr. 14, 1888. — 26. cf. Int. Centralbl. f. Pathol. u. Therap. 
d. Harn- u. Sexual-Orgaue, Nr. J u. 2, i889. — 27. Connection between 
Masturbation and Stricture of the Urethra. Philadelphia, 1888. — 28. cf. 
Int. Centralbl. f. Pathol. u. Therap. d. Harn- u. Sexualorgane, Nr. 3, 1889. — 
29. Verhandl. d. 56. Congresses d. British Medical Association, 7. —10. Aug. 

1888. — 30. cf. Int. Centralbl. f. Path. u. Therap. d. Harn- u. Sexual-Organe, 
1. 1889. — 31. New York medical Journal, 1888. — 32. Treatment of the 
male stricture by Electrolysis, 1888. — 33. Med. and Surgical Reporter, 27., 
X., 1889. — 34. Med. Record., 16., VI., 1888. — 35. Journal de m6d. de 
Paris, 2., III., 1889. — 36. The Post-Graduate, 1888. — 37. cf Int. Central¬ 
blatt. etc., Nr. 1, 1889. — 38. ibid. — 39. New-York Med. Record, 9., VI., 

1889. — 39 a. Centralbl. f. Chirurgie, 1889, pg. 55. — 40. ibid. — 41. SocietA 
clinique zu Paris, 25., X., 18S8 — 42. ibid., 25., X., 1888. — 43., 44., 

2 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


140 


45. Therapeutic. Gazette, 1888. — 46. Med. News, 21. Juli 1888. — 47. u. 
48. Lancet, 24., IX., 1888. — 49. The Journ. of the American. Medical Asso¬ 
ciation, 13., X., 1888 u. 17., XI., 1888. — 50. Soci6t6 de Chirurgie zu Paris, 
1888. — 51. cf. Int. Centralbl., Nr. 1, 1888. — 51a. ibid — 52. American 
Association of Genito-Urinary Surgeons zu Washington, 18. - 20. Sept. 1889. 

— 53. Int. Centralbl., Nr. 1, 1888- — 54. ibid. — 55. American Association 
of Genito-Urinary Snrgeons zu Washington, 18.—20. Sept. 1889. — 56. Medical 
Association zu London, 4. März 1889. — 57. Heilung d. Prostatahypertrophie 
mittelst. Irrigationen von Jodoformäther, 1888 — 58. Revue med. de la Suisse 
Romande, 1888 Heft 3. — 59. Nach Allg. med. Central-Ztg., 1889. — 60. 
Berl. klin. Wochenschrift, 1888. — 61. cf. Int. Centralbl. etc., Nr. 2, 1889. — 
62. ibid. — 63. Münchener Med. Wochenschrift, 1888. — 64. Therapeutic 
Gazette, 15., IX., 1888. — 65. Med.-Chirurg. Rundschau, Febr. 1888. — 
66. Berl. klin. Wochenschrift, 1889. — 67. Przeglad Lekarski, DSS. — 68 
Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 27, Heft 1 u. 2. — 69. Monatsh. f. prakt. 
Dermat , 1888. — 70. American Association of Genito-Urinary Surgeons, 
18 - 20. IX., 1888 zu Washington. — 71. Journ. de med. de Paris, 1888, Bd. II. 

— 72. cf. Int. Centralbl., Nr. 1, 1889. — 73. ibid. — 74- Bulletin de la 
Societe de Chirurgie, Tome XIII. — 75. ibid. — 76. cf. Int. Centralbl. etc., 
Nr. J, 1889- — 77. Nach Sem. med., 1889. — 78 cf. Int. Centralbl. etc., 
Nr. 1, 1889. — 79. ibid. — 80. Operative Behandlung der Hydrocele. Bei¬ 
träge zur Chirurgie, 1888. — 81. Carbolsäure-Injection bei Hydrocele, 1888 

Ueber äußere Erkrankungen desPenis liegen mehrere 
Beobachtungen vor. 2 Fälle von Tuberculose erwähnt Kraske (1), und 
MOORE (2) theilt im Ganzen 4 Beobachtungen von Penistubercu- 
lose mit, welche durchweg zur Infection de8 Weibes der qu. Patienten 
führten. In den Kfaskr : 8c1icu Fällen fand eine Infection nicht 
statt. Endlich noch eine von Eve (3) mitgetheilte Beobachtung, 
in welcher die Tuberculose durch das Aussaugen der Wunde nach 
ritueller Circumcision seitens des tuberculösen Rabbiners dem Kinde 
eingeimpft wurde. 

Erwähuenswerth ist auch ein von Griffiths (4) mitgetheilter 
Fall von primärem Epitheliom des Penis. 

Ueber die Aetiologie und den Verlauf des acuten 
Trippers haben Bryson (5) und Burnett (5) interessante Erhebungen 
angestellt. Unter 1394 Fällen fanden sie, abgesehen von 2—3 Beob¬ 
achtungen, in dem Eiter der Blennorrhoe stets Gonococcen. Leider 
konnten dieselben auch constatiren, daß trotz allen neueren Me¬ 
thoden in der weitaus größten Anzahl der beobachteten Fälle die 
Affection chronisch wird. 

Von seltenen Complicationen der acuten Gonnorrhoe sind in 
jo einem Falle Pyämie und Endocarditis beobachtet worden. 

In der ersten, von Roswell Park (6) mitgetheilten Beobachtung 
trat zuerst eine linksseitige eitrige Kniegelenksaffection auf. Nach 
mehreren Tagen unter intermittirenden Schüttelfrösten Exitus letalis. 
Die Section ergab eitrige Entzündung des Sternoclavicular-Gelenkes. 
Auf den Gonococcengehalt des im Gelenk befindlichen Eiters konnte 
nicht untersucht werden. Im zweiten Falle handelte es sich um 
einen 28jährigen Patienten. Bei der Autopsie fand man zahlreiche 
endocarditische Vegetationen auf der Mitralklappe, außerdem Milz- 
und Niereninfarcte. Der Eiter enthielt überall Gonococcen. 

Ueber die Sy mp toma toi ogi e und die Behandlung der 
Blennorrhagie beim Weibe entspann sich eine interessante Discussion 
zwischen Horand (7) und Eraud (8). Aus den Beobachtungen H.'s, 
die sich auf ein statistisches Material von 5090 Frauen und 200 
kleinen Mädchen beziehen, ergab sich bezüglich des Antheils der 
verschiedenen Theile des Genitaltractus Folgendes; Unter 185 Fällen 
handelte es sich 140mal um Betheiligung der Urethra, 20mal der 
Scheide, 15mal der BARTHOLix’schen Drüsen, Omal des Uterus und 
4mal des Anus; 114mal lag isolirte Erkrankung der Harnröhre, 
7mal der Scheide, 3mal der BARTHOLiN’schen Drüse und je lmal 
des Uterus und Anus vor. Unter 85 an profusem Ausfluß leidenden 
kleineren, noch nicht geschlechtsreifen Mädchen erwies sich bei 65 
das Secret als gonococcenhältig. lliebei handelte es sich 33mal um 
Betheiligung der Scheide, 1 lmal der Augen, 9mal der Urethra, 8mal 
der Vulva, 4raal des Anus. 

Während also beim erwachsenen Weibe meist die Harn¬ 
röhre Sitz der Infection ist, handelt es sich beim noch nicht 
geschlechtsreifen Mädchen meist um Betheiliguug der Scheide. Für 
die Behandlung hat sich bei Erwachsenen O’Sproc. Höllensteinlösuug, 
beim Kinde Iproc. Borsäuresolution am besten bewährt. In der 
sich anschließenden Discussion bestritt Eraud die Thatsache einer 
specifischen, primären Vaginitis bleunorrhoica. Auf dem epidermidoi- 
dalen Ueberzuge der Vagina kann sich der Gonococcus nicht ent¬ 


wickeln. Uebrigens findet man in dem reinen Secret der Vagina 
auch niemals Gonococcen. Dieselben stammen vielmehr aus der Uterus¬ 
schleimhaut, die in 50% aller Fälle von Gonorrhoe primär erkrankt. 
Für die Diagnose der Metr. blennorrhoica ist es nothwendig, in den 
Auskratzungsproducten der Schleimhaut nach Gonococcen 
zu suchen. In dem Secret sind dieselben nicht immer zu finden. 
E. unterscheidet 3 Arteu von Metritis: a) hyperaemica, Dauer circa 
3 Wochen; b) ulcerosa, mit vorwiegender Betheiligung der Gegend 
der unteren Lippe der P. vaginalis; c) hypertrophica, gewöhn¬ 
lich ein Folgezustand der sub b) erwähnten Affection. Für die 
Behandlung empfehlen sich Auskratzungen, jedoch sind letztere 
bei Erkrankung der Urethralschleimhaut contraindicirt. Die beim 
Manne so häufige Cystitis mit Albuminurie ist bei der Blennorrhoea 
feminalis unverhältnißmäßig seltener. 

PajUR (9) theilt einen seltenen Fall von Urethritis membrana- 
cea mit. Hier wurde ein 0 5 breiter und 9‘5 Cm. langer Schleim¬ 
hautfetzen ausgestoßen. 

Eine große Reihe von Arbeiten liegt über neue Behand¬ 
lungsmethoden der acuten Gonorrhoe vor. Hier mögen nur 
die wichtigeren erwähnt sein. 

Neudörfer (10) behandelt die Urethroblennorrhoe mit Anästhe- 
ticis (CocaYn, Antipyrin, Morphin), um zunächst den Reizzustaud der 
Mncosa zu mildern. Abwechselnd damit werden dünne Sublimat¬ 
lösungen (1 : 10.000) oder Creolin-, resp. Zinksulfatinjectionen 
(1 : 1000) applicirt. Um dem Eiter Abfluß zu verschaffen, werden 
weitcalibrige Metallröhren, in deren Wand hie und da Oeffnungen 
eingeschnitten sind, in die Urethra eingeführt, wo sie möglichst 
lange liegen bleiben. Dieselben wirken nicht nur als Drains, sondern 
auch durch Compression der Schleimhaut entzündungswidrig. 

Huguet(H) sucht die specifischo Entzündung durch Aus¬ 
kratzung der afficirten Schleimhaut (nach vorheriger Anästhesirung 
mittelst CocaYn) zu coupiren. Hierauf werden mit lauwarmen 
(1 : 1000) Sublimatlösungen Injectionen gemacht. In späteren 
Stadien braucht H. diluirte (1 : 10.000) Sublimatlösungen. In zwei 
Fällen wurde nach 7 (resp. 8) Tagen vollkommene Heilung erzielt. 
Smith (11a) empfiehlt medicamentöse Salben, die im Endoskop auf 
die erkrankten Partien gebracht werden. Zeisler (12) behandelt 
die acute Gonorrhoe mittelst eines aus 12 Theilen Acid. boricum 
und 2 Theilen Bismuth. subcarbon. bestehenden Pulvers, das in 
eigens construirten, mit Obturator versehenen Metallröhren an die 
erkrankten Stellen gebracht wird. 

Aehnlich ist die von Elmer Lee (13) empfohlene Behandlung 
der blennorrhagischen Affectioncn der Harnröhre. 

Eine Reihe neuerer Arbeiten liegt vor über die Behandlung 
der Gonorrhoe mittelst Tballinantrophoren. 

Irminger (14) hat einige eclatante Erfolge nach Anwendung 
2- und öproc. Thallinantrophore zu verzeichnen, Islamanoff (15) 
bestätigt die Beobachtungen von Lohnstein und Fenwick. Von 
29 acuten Trippern wurden 28 innerhalb 10—28 Tagen, von 24 
chronischen Gonorrhoen 21 innerhalb 3—5, Wochen geheilt. 

Auch die Application von Thallinlösungen hat sich nach Carlo 
Teixeiha (16) vortrefflich bewährt; er gebraucht Thallin. sulf. in 
1—5° o Lösung. 

Von anderen Autoren wird die Wirkung 1—2% Lösungen 
von Thallin. tartaricum, 3mal täglich eine Spritze zu injiciren, 
gerühmt. Niir Brewer (17) beobachtete vielfach Recidive und 
selbst Exacerbationen des Processes nach Injection dünner 1 : 10.000 
bis 1 : 2000 Thallinlösungen. Innerlich gibt B. Kali aceticum zur 
Beförderung der Diurese. 

Von anderen Medicamenten sind neuerdings Versuche ins¬ 
besondere mit dem Sublimat, Jod, Arg. nitricum und Resorcin ge¬ 
macht worden. Brewer (18) ist nach seinen Beobachtungen über 
die Wirksamkeit des Sublimats zu folgenden Schlüssen gelangt: 

1. Mittelst der Sublimatinjectionen kann man bei einem acuten 
Tripper binnen 14 Tagen Heilung erzielen. 

2. Angewandt werden heiße Lösungen von einer Coucentration 
von 1 : 60.000 bis 1 : 10.000 mittelst Gummicatheters. 

3. Bei chronischer Urethritis ist das Medicament ebenso wirksam. 

Iu denjenigen Fällen, in welchen in späteren Stadien der 

i Blennorrhoe der Ausfluß nicht weichen will, sah Hamonie (19) gute 


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141 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 142 


Wirkung durch Application von Joddämpfen, die in einem kleinen 
Apparat erwärmt und mittelst eines Sprayapparates in einen Gummi- 
catheter geleitet werden ; von hier strömt das Jod in den Zwischen¬ 
raum zwischen äußerer Catheterwand und Harnröhre zurück. Gewöhn¬ 
lich sind zur vollständigen Heilung nicht mehr als acht Sitzungen 
nothweudig. Sturges (20) rühmt die Wirkung concentrirter (15°/ 0 ) 
Arg. nitric.-Lösungen. Allerdings müssen sie im Endoskop genau 
den afficirten Stellen entsprechend applicirt werden. Die Beitzung 
gesunder Stellen ist durchaus zu vermeiden. 

Dü Castel (21) wendet im Beginne Resorcinlösungen an; in 
späteren Stadien des Trippers sind dieselben weniger wirksam. Die 
Wirksamkeit beruht nach Verf. auf der desinficirenden Wirkung 
des Medicamentes. 

Gegen die interne Anwendung des Naphthol wendet Critz- 
mann (22) ein, daß die mit demselben erzielten Erfolge nur vor¬ 
übergehend seien; die Gonococcen vermag das Naphtol wohl zu 
vermindern, nicht aber zu vernichten; von Nutzen sei das Medica- 
ment nur bei eitriger Balanitis und Balano-Posthitis. 

Szadek (23) empfiehlt bei subacutcr und acuter Urethritis 
2*5proc. Lösungen von Quecksilbersalicylat. 

Auf Grund eigener Erfahrungen warnt Maürtac (24) vor 
einer allzu ausgedehnten Anwendung der sogenannten Abortiv-Be- 
bandlung der Gonorrhoe. Dieselbe hat eventuelle Chancen nur in 
den ersten Stunden des Trippers vor dem Beginne der Eiterung. 
Später kann nur eine antiphlogistische Therapie in Frage kommen, 
mit der man sogar die Behandlung der chronischen Gonorrhoe 
zu beginnen habe. 

Ueber das Wesen dieser letzteren hat Oberländer (25), dem 
wir bereits eine große Reihe werthvoller Untersuchungen verdanken, 
neue Beobachtungen veröffentlicht. Gleichzeitig bat Neelsen durch 
systematische Untersuchung der Harnröhre sämmtlicher Leichen am 
Dresdener Krankenhause die von 0. größtenteils am Lebenden ge¬ 
machten Beobachtungen durch Autopsie controlirt. 

Oberländer gelangt zu folgenden Ergebnissen: Je nach der 
Imbibitionsfähigkeit der Schleimhaut kommt es im acuten Stadium 
des Trippers zu mehr weniger intensiver und dichter Infiltration 
der Schleimhaut und des submucösen Gewebes, mitsammt des in 
ihnen enthaltenen Drüsenapparates. Je nachdem die eigentliche 
Schleimhaut oder die in derselben enthaltenen Drüsen vorwiegend 
betheiligt sind, wechselt der Charakter der Harnröhrenaffection. So 
unterscheidet 0.: a) Wenig dichte Infiltration der Schleimhaut mit 
geringer Betheiligung des Drüsenapparates: Urethritis mucosae 
(kleinzellige Infiltration der Schleimhaut), b) Dichte Infiltration der 
Schleimhaut mit Drüsenaffectionen. Dieser letztere Proceß kann nun 
in den mannigfachsten Variationen auftreten. Bald handelt es sich 
um umschriebene Läsionen, bald um Betheiligung großer 
Flächen des Harnröhrenlumens, um diffuse Processe. In einigen 
Fällen findet man hypertrophische Veränderungen an den Drüsen, 
deren Ausführungsgänge hie und da hämorrhagisch tingirt sind, 
regp. in späteren Stadien als bindegewebig entartet erscheinen; in 
anderen Fällen beobachtet man als Folge der Verstopfung des 
Drüsengewebes Entstehung sogenannter Follikel, die zur Verödung 
des Drüsengewebes führen, falls es nicht zu Freilegung der Drüsen 
ausführungsgänge kommt. Diese Processe verleihen der Harnröhre 
ein mattes, trockenes Aussehen; bei den hypertrophischen Ent¬ 
zündungsformen dagegen erscheint sie feucht und glänzend. Wesentlich 
beeinflußt wird der Proceß durch die Tiefe, in welcher die Schleim¬ 
haut afficirt erscheint. 

Stets ist der Ausgang eine bindegewebige Entartung mit Stric- 
turenbildung. Bei der folliculären Form kann es außerdem noch 
zu Verklebung benachbarter Flächen kommen. Bei der Behandlung 
hat man vor Allem darauf zu sehen, durch jene Epithelwucherungen 
und Secretstauungen an den eigentlichen Krankheitsherd zu ge¬ 
langen. Man erreicht letzteres durch Application der vom Verf. 
verbesserten Schraubendilatatorien und Irrigation der Schleimhaut 
mit leichten Antisepticis. (Fortsetzung folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Als Nachtrag zu der in Nr. 1 und 2 der „Wiener Med. Presse“ 
veröffentlichten Uebersicht über Influenza mögen noch einige Beiträge 
zur Pathologie und Therapie der Influenza hier ihren Platz finden. 
Auf Grund von Beobachtungen an 50 uncomplicirten Fällen von 
Influenza, die gar kein Antipyreticum erhielten, theilt Dr. Frentzel 
aus der Abtheilung Fürbringer’s (Berlin) in Nr. 2 des „Cbl. f. 
kl. Med.“ Folgendes über den Fiebergang bei Influenza 
mit: Der Temperaturanstieg tritt in 2 Formen auf. Bei der einen 
ist er ein sehr rapider, die Temperatur geht stetig in die Höhe, 
und zwar so schnell, daß zwischen zwei Messungen, die 12 Stunden 
auseinander liegen, meist eine Differenz von 2° liegt. Bei der 
zweiten Form steigt die Temperatur stufenweise, etwa 1° pro 
24 Stunden, dazwischen Remissionen, meist am Morgen oder Vor¬ 
mittag von O’ö 0 . Daneben kommen auch Uebergangsformen vor. 
Auch bei der Entfieberung sind 2 Typen zu unterscheiden. Die 
eine ist als Febris intermittens eharakterisirt, die in mehrtägigem 
Verlauf stufenweise von der Acme der Temperaturerhöhung zur 
vollkommenen Entfieberung führt; beim zweiten kommt diese Ent¬ 
fieberung nach Art einer Krise zu Stande. — Auf Augen erschei¬ 
nungen als Complication der Influenza macht Landolt 
in Nr. 3, 1890, der „Semaine medic.“ aufmerksam. Die häufigste 
ist eine Conjunctivitis bulbi und palpebrarum, die von 
starker Lichtscheu, Thränenfluß, zuweilen einer schleimig-eitrigen 
Absonderung begleitet ist. In schweren Fällen kommt es sogar 
zu tiefer Scleralinjection und zu heftigen ausstrahlenden Schmerzen. 
Eine zweite Erscheinung ist ein schon während der Reconvalescenz 
plötzlich über Nacht auftretendes Oedera der Lider. In manchen 
Fällen wurden auchAbscesse des Oberlides beobachtet. Alle 
diese Complicationen haben einen gutartigen Verlauf. Gegen die* 
Conjunctivitis genügen Waschungen mit warmen Borlösungen, gegen 
das Oedem Dunstumschläge; die Abscesse müssen rechtzeitig eröffnet 
und drainirt werden. — Dr. Loewexberg in Paris hat — wie er 
in Nr. 3 des „Bull, möd.“ mittheilt — als Complication der In¬ 
fluenza vielfach Otitis media acuta beobachtet, die in fast allen 
Fällen rasch verlief und in vollständige Heilung ausging. — Was 
die Behandlung betrifft, so hat Maclagan vom Sali ein in 
großen Dosen sehr günstige Erfolge gosehon. Er berichtet im „Lanect“ 
vom 11. Januar über eine Reihe so behandelter Fälle. Bei allen 
war der Verlauf ein rascher, die Temperatur sank rasch zur Norm 
und die Reconvalescenz trat schon 12—24 Stunden nach Beginn 
der Behandlung ein. Ergibt das Salicin iu Dosen von 1 —1*5 Gr. 
stündlich durch 4—6 Stunden, dann alle 2 Stunden und seltener. 
Prophylactisch glaubt er vom Salicin in Dosen von 1 Gr., 
3mal täglich genommen, Erfolg gesehen zu haben. — Lennox 
Browne („Medical Press“) hat mit Menthol gute Resultate er¬ 
zielt. Er läßt eine 10—20proc. Lösung in Süßmandelöl oder in 
flüssigem Vaselin inhaliren. — Von der Ansicht ausgehend, daß die 
Einwanderung des Influenzakeimes durch die Verdauungsorgane 
stattfindet, empfiehlt Dr. Schuster (Aachen) in Nr. 3 der „Deutsch, 
med. Woch.“ Calomel als Abortivmittel gegen Influenza. 
Er gibt in allen Fällen Calomel in 1—2maliger, nach 6—8 Stunden 
abführend wirkender Dosis sowohl bei Kindern wie Erwachsenen 
(0*15—0'60). Weun in genannter Zeit kein Stuhl erfolgt, wird 
Ricinusöl in einmaliger Dosis verabreicht. Noch ehe die abführende 
Wirkung eintrat, ließen Fieber und Kopfschmerzen auch in schweren 
Fällen jedesmal nach, viele scheinbar schwer Erkrankte standen 
anderen Tages wieder auf und gingen am 3. Tage wieder an ihre 
Beschäftigung. Auch der heftige Husten wird meist sehr rasch günstig 
beeinflußt und bleibt selten längere Zeit bestehen. Auch in den 
fieberlosen Fällen bewirkt das Calomel mit der abführenden Wirkung 
einen völligen Nachlaß des Kopfschmerzes, während die Mattigkeit 
nicht so rasch vergeht. 

— Unter der Aufschrift „Zur Chemie der bronchiectatischen 
Sputa“ veröffentlichen die Proff. W. F. Loebisch und P. Freih. v. 
Rokitansky in Nr. 1, 1890 des „Ctbl. f. kl. Mod.“ eine vorläufige 
Mittheilung, iu der sie die Resultate der chemischen Untersuchung 
der Sputa eines an Bronchiectasie Leidenden niederlegen. Mit Hilfe 
der von Adränsky und Baumann zur Isolirung der von Brieger 
entdeckten Ptomaine aus der Gruppe der Diamine angewandten 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


Methode konnten, die Verff. im bronchiectatischen Sputum Cada- 
verin und ein zweites, noch nicht näher bestimmbares Diamin nach- 
weisen. Seitdem Brieger das Entstehen von Diaminen bei be¬ 
stimmten Fäulnißprocessen, außerdem in den Culturen der Cholera¬ 
bacillen und des Finkler- PRiOR’schen Vibrio nachgewiesen hatte, 
wurde das Auftreten solcher Diamine, namentlich des Cadaverins 
und Putrescins im lebenden menschlichen Organismus bisher nur in 
3 Fällen von Cystinurie, und zwar sowohl im Urin, wie auch in 
den Darmentleerungen, constatirt. In dem in Rede stehenden Falle 
von Bronchiectasie war die Frist zwischen der Expectoration der 
Sputa und deren Uebertragung in Alkohol eine so kurze, daß das 
im Sputum aufgefundene Cadaverin als ein Product eines innerhalb 
der Bronchien verlaufenden eigenartigen Fäulnißprocesses betrachtet 
werden kann. 

— Dr. Dümont empfiehlt in Nr. 2 der „Sem. m6d.“ die 

Behandlung der eitrigen Otitis mit Naphtolcampher. Man ge¬ 


braucht eine Mischung yon: 

Rp. Naphtol-ß.lOO'O 

Camphor. trit. ;. 200 0 


Die Mischung wird gut verrieben, bis zur vollständigen Schmelzung 
erhitzt und filtrirt. Man arrairt einen winkelig gebogenen Ohren¬ 
stiel mit einem Wattetampon, der den Stiel um 1 / 2 Cm. überragen 
muß, taucht den Tampon in die genannte Lösung und führt ihn, 
nachdem man ihn etwas ausgedrückt hat, mit Hilfe des Toynbee- 
schen Speculums in die Trommelhöhle. Der Verband wird alle 
2 Tage erneuert, nachdem man vorher eine Auswaschung mit Bor¬ 
säure vorgenommen hat. 

— Von der Thatsache ausgehend, daß die Malariaparasiten 
direct auf die Blutkörperchen ein wirken, hat Prof. Baccelli in 
Rom intravenöse Injectionen von Chininsalzen bei Intermittens 
versucht und berichtet in Nr. 3 der „Riforma med.“ über die von 
ihm erzielten Resultate. Nachdem er sich durch Thierversuche über¬ 
zeugt hatte, daß saure Lösungen oft sehr schädlich sind (Kaninchen 
gingen nach intravenöser Injection von 0*25 Chinin, sulf. oder 
bisulf. zu Grunde), bediente er sich ausschließlich neutraler Lösungen, 
die ganz unschädlich sind. Die von ihm angeweudete Formel 


lautet: 

Rp. Chinin, hydrochlor.1‘0 

Natr. chlorat.0’075 

Aq. destill.10*0 


Nach Anlegung einer Ligatur oberhalb des Ellbogengelenkes 
wird die Nadel der 5 Ccm. fassenden Spritze in eine strotzende 
Vene (an der Beugeseite des Vorderarmes) eingestochen. Die In- 
jectionsflüssigkeit muß vorher sorgfältig filtrirt und ausgekocht, 
die Injection sehr langsam ausgeführt werden. Nachdem sich 
Dosen von 10—30 Centigrm. unwirksam gezeigt hatten, wurde zu 
größeren Dosen, bis zu 1 Grm., geschritten, die sich bei größerer 
Wirksamkeit als unschädlich erwiesen. Die Resultate der Versuche 
Baccelli’s lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen: 1. Das 
Chinin vermag, selbst in Dosen von 1 Grm., den Fieberanfall nicht 
zu coupiren, selbst wenn es im Beginne desselben oder 3 Stunden 
früher intravenös injicirt wird. 2. Während der Acme injicirt, vermag 
das Chinin den Eintritt der Krise nicht zu beschleunigen. 3. Gibt 
man das Chinin während des Fieberabfalles oder nach dem Anfall, 
so kann der nächste Anfall verhütet oder in seiner Intensität 
ganz bedeutend vermindert werden. 4. Bei der Febris subcontinua, 
die gewöhnlich die hartnäckigste ist, ist es vortheilhaft, das Chinin 
während des Temperaturabfalls zu injiciren; es gelingt so, in 
Kürze die Subcontinua in eine Intermittens mit abnehmenden An¬ 
fällen und rasch eintretender Krise umzuwandeln. 

— Auf Grundlage einer größeren Anzahl von Beobachtungen 
gelangt Stanislaus v. Stein (Moskau) in einer in Nr. 10 der 
„Monatsschr. f. Ohrenheilk.“ veröffentlichten Arbeit über den Zu¬ 
sammenhang zwischen Herzneurosen mit Nasenleiden zu fol¬ 
genden Schlüssen: Mehr oder weniger stark ausgeprägte Hyper¬ 
plasie, meistentheils ausschließlich der unteren beiden Muscheln, ohne 
Reizstellen und Hyperämie, aber bei vollständiger oder zeitweiliger 
Verstopfung der Nase verursacht in der Herzgegend ein Gefühl von 
Schwere, von Zusammenziehen und Angst. Wenn sich zu dem oben 
geschilderten pathologischen Befunde eine flüchtige, schnell vorüber¬ 


144 


gehende Gefäßinjection der Augcncoujuuctiva und der Nasenspitze, 
welche sich leicht durch zartes Berühren der Nasenschleimhaut 
hervorrufen läßt, hinzugesellt, so wird man mit Herzklopfen, welches 
sehr oft von Schwindel, Luftmangel und Schwere begleitet wird, zu 
thun haben. In vielen Fällen sind die Nasenschleimhaut und die 
unteren Muscheln geröthet. Wenn aber die geschilderten patho¬ 
logischen Veränderungen sich mit einer öfters auftretendon oder per¬ 
manenten Gefäßinjection der Augenconjunctiva, der Nasenspitze und 
der Nasenschleimhaut combiniren, so erhält man den oben ange¬ 
führten Symptomencomplex. Sehr oft begegnet man in diesen (ver¬ 
alteten) Fällen einer mehr oder weniger ausgeprägten Dilatation 
der Hautcapillaren der Nasenspitze, des Nasenrückens und der 
Wangen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

f Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 24. Januar 1890. 

Vorsitzender: Prof. Weichselbaum — Schriftführer: Dr. v. Eisels- 

BERG. 

Dr. SCHÜSSLER demonstrirt einige Fälle von Sehnenver¬ 
letzung, die auf der BiLLROTH’schen Klinik behandelt wurden: 

1. einen Fall von vollständiger Durchtrennuug aller Beuger 
der Hand, Sehnennaht, vollständige Wiederherstellung der Function. 

2. Zwei Fälle von Durchtrennung je einer Sehne einei Fingers, voll¬ 
kommene Herstelluug der Function. 3. Einen Fall von querer 
Durchtrennung sämmtlicher Strecker, des Abductor und des Ulnaris 
externus, Eröffnung des Handgelenkes an der Dorsalseite, Sehnen¬ 
naht, vollständige Integrität der Function. 4. Redner selbst erlitt 
durch eine Verwundung eine Durchtrennung der Strecker der Hand, 
Sehnennaht, ungestörte Function. Auf der BiLLROTH’schen Klinik 
wurden in der letzten Zeit 30 Fälle von Sehncnverletzungen mittelst 
Nervennaht behandelt, und zwar wurde die seitliche Umschlingung 
und die quere Naht in verschiedenen Modificationen angewendet. 
Erstere hält am besten und kann mit weniger Assistenz ausgeführt 
werden. 

Nach den Erfahrungen an genannter Klinik glaubt Redner, 
daß mit den activen und passiven Bewegungen bei Verletzungen 
der Strecksehnen in der 3. Woche, bei solchen der Beugesehnen 
am Ende der 4. Woche begonnen werden kann. 

Bei Anwendung der activen und passiven Bewegungen und 
der Massage erfolgt die Heilung in einigen Monaten. Behufs Auf¬ 
suchung der retrahirten Sehnen empfiehlt es sich, seitliche Schnitte 
und nicht solche über den Sehnen anzulegen, da sonst eine Ad¬ 
häsion an die Hautnarbe eintreten könnte. 

Prof. v. Dittel constatirt, daß die Sehnennaht kein neues 
Verfahren sei; schon in einem alten Werke von Heister aus dem 
Jahre 1750 befindet sich ein ausführliches Capitel über Sehnennaht. 

Hofr. Billroth bemerkt, daß ihm die Erfolge der Sehueu- 
naht in neuerer Zeit außerordentlich imponiren. Zur Zeit, als er 
Assistent war, fürchtete man eine Wunde mit durchschnittenen 
Sehnen und eröfl'neten Sehnenscheiden, wegen der nicht selten vor¬ 
gekommenen Sepsis. Die Heiluugsresultate waren dicke callüse 
Narben, mit kaum erhaltener grober Beweglichkeit. Es mußte die 
ganze Asepsis, das Auffinden eines einheilbaren Nahtmaterials hinzu¬ 
kommen, um diese schönen Resultate zu ermöglichen. Billroth 
selbst hat selten die Sehnennaht ausgeführt, die Operation erfordert 
mindestens 3—4 Stunden; die Ausbildung dieser Methoden ist dem¬ 
nach das Verdienst seiner Schüler. 

Docent Dr. GÄRTNER demonstrirt einen von ihm construirten 
Rheostaten, dessen Widerstände aus linsengroßen Porzellan¬ 
plättchen bestehen, die mit einer kohlenhaltigen Masse getränkt und 
bei Luftabschluß carbonisirt sind. Jedes Plättchen trägt einen Metall¬ 
fortsatz, die sog. Metallnase. 

Der Rheostat besteht nun aus einer Reihe solcher durch 
MetallstUcke von einander getrennten Plättchen, die, säulenförmig 
über einander gethtlrmt, in einer Hülse stecken, aus der nur die 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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Metallnasen hervorragen, über welchen ein Schieber hin- und her¬ 
geschoben werden kann, um die Widerstände geringer oder stärker 
zu machen. 

Dr. KRETZ demonstrirt einen Fall voü Syringomyelie 
aus der Abtheilung des Prim. Neü'SSER. Es handelt sich um einen 
39jährigen Mann, bei dem dogenerative Muskelatrophie, Paresen 
und Paralysen im Gebiete beider oberer Extremitäten, einzelner 
vom XI. und Facialis versorgter Gebiete, tactile Hypästhesie in 
großer Ausdehnung bei guter Localisation der empfundenen Reize, 
ausgebreitete Analgesie und colossale Herabsetzung des Temperatur¬ 
sinnes am ganzen Körper, ferner trophische Störungen verschiedener 
Art (Spontangangrän der Endphalange des linken Daumens, Paua- 
ritien, Narben nach Eiterungsprocessen), alles links ausgesprochener 
als rechts, Nystagmus und leichte Schwerhörigkeit vorhanden sind. 
Es fehlt jede wesentliche Herabsetzung der psychischen Functionen. 
Diese Erscheinungen haben sich sehr langsam , seit mehr als 14 Jahren 
herausgebildet und zeigen einen progressiven Charakter; sensible 
und trophische Störungen waren offenbar die ersten Symptome. 

Ein functioneller, sowie ein cerebraler Sitz der Erkrankung 
kann sofort ausgeschlossen werden. Gegen eine periphere Affection 
spricht das schmerzlose Auftreten der Sensibilitätsstörungen, das 
relative Erhaltensein der tactilen Empfindungen und der Nystagmus. 
Von Rückenmarksaffectionen wäre blos die multiple inselförmige 
Sclerose in Betracht zu ziehen, dagegen spricht aber das Fehlen 
des Intentionszitterns und der scandirenden Sprache, sowie der ganze 
Verlauf. Es kommt somit nur noch eine Erkrankung des Rücken¬ 
markes in Betracht, und das ist die Syringomyelie, und in der 
Tbat sprechen dafür: die lange Dauer, die langsame, aber sichere 
Progression, die allgemeine körperliche Imbecilität, die Muskelatrophie, 
die ausgebreitete Hypalgesie, die enorme Herabsetzung des Tempe¬ 
ratursinnes und die trophischen Störungen. 

Es muß nach dem klinischen Bilde afficirt sein, in der Medulla 
oblongata und am Boden des IV. Ventrikels: der linke Facialiskern, 
beide Accessoriuskerne und der sensible Kern des Trigeminus; 
wahrscheinlich secundär haben auch die Bahn des linken Facialis 
und des linken Vagus gelitten, ferner dürfte in dieser Gegend die 
Ursache für den Nystagmus und für die Erscheinungen seitens des 
Gehörorganes zu suchen sein. Im Cervicalmark müssen die Vorder- 
und Hinterhörner beiderseits zerstört sein, ferner muß die linke 
Regio oculospinalis afficirt sein; im Dorsalmark ist links ein größerer, 
rechts ein geringerer Untergang der Hinterhörner, rechts außerdem 
noch eine geringe absteigende Pyramidenstrang-Degeneration zu 
erwarten. 

Prof. Kahler schließt sich in Bezug auf die Diagnose dieses 
Falles ganz den Ausführungen des Redners an. Der Nystagmus 
weist mit Sicherheit auf eine Betheiligung der Medulla oblongata 
hin. Wenn die Erkrankung vor Allem das Cervicalmark betrifft, 
so findet man, wie auch im vorgestellten Falle (Verengerung der 
Pupille links) oculo-pupilläre Symptome, die auf eine B'theiligung 
des oculo-pupillären Centrums hinweisen. K. macht auf eine gewisse 
Art von Hautveränderung aufmerksam, die für die Syringomyelio 
charakteristisch ist, es ist das eine ganz umschriebene Keloident- 
wicklung im Bereiche der oberen Extremitäten und der Schulter. 
Schließlich weist K. auf den ursächlichen Zusammenhang hin, der 
oft zwischen der Syringomyelie und den häufigen traumatischen Ein¬ 
wirkungen, denen diese Kranken ausgesetzt sind, besteht. Durch die 
Herabsetzung, respective Verlust der Temperaturempfindung ver¬ 
brennen sie sich häufig, woraus oft trophische Störungen entstehen. 

DOC. Dr. HüCHSTETTER demonstrirt einige Blutgefä߬ 
varietäten an Injectionspräparaten. S. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 11. Januar 1890. 

Dr. A. HavaS: Ueber Lichen ruber acuminatus. 

Nach einer geschichtlichen Einleitung stellt Vortr. den als 
Grundlage dienenden Krankheitsfall vor. Das seit 7 Jahren be¬ 
stehende Leiden nimmt fast die ganze Hautdecke des 11jährigen 
Knaben ein. Die hirse- bis mohnkorngroßen, harten, das Haut¬ 


niveau überragenden, an der Spitze mit Schüppchen bedeckten, in 
ihrer Axe von einer Lanugo durchbohrten Knötchen verleihen der 
Haut durch ihr stellenweise dichtes Aneinandergedrängtsein eine mehr 
starre, infiltrirte Beschaffenheit; an diesen Stellen ist auch eine 
mäßige Abschilferung vorhanden. Die Haut fühlt sich rauh wie ein 
Reibeisen an. Die Gesichtshaut ist trocken, die unteren Lider sind 
ectropionirt, die Lymphdrüsen etwas geschwellt. 

Nach Schilderung der Erscheinungen von Lichen ruber Hebrae 
und von Pityriasis rubra pilaris Besnieri und nach Vergleichung 
mit 3 HEBRA’schen Originalzeichnungen von Lichen ruber acuminatus 
erklärt Vortr. den Fall für letztgenannte Erkrankung. 

Hiezu’ bemerkt Prof. E. Schwimmer : Die Frage das Lichen 
ruber ist auch heute nach dem Pariser Congreß so wenig geklärt, 
wie sie vor demselben war. Thatsache ist, daß der Lichen ruber 
acuminatus eine sehr seltene Krankheit ist, welche früher auch in 
New-York geleugnet wurde, bis im Jahre 1888 dort ein solcher 
Fall zur Behandlung kam. Jedoch sind Lichen ruber planus und 
L. r. acuminatus nicht als scharf gesonderte Fälle zu betrachten, 
weil beide Formen mit einander combinirt Vorkommen können. Von 
14 Fällen von L. r. acuminatus, welche Hebra gesehen, hat Sprecher 
1863 6 Fälle aus dessen Klinik publicirt. Eine Differeutialdiagnose 
zwischen Lichen ruber exsudativus und Pityriasis rubra pilaris 
ergibt sich aus dem Verhalten der Handflächen, welche, da sie un¬ 
behaart sind, nur bei Lichen ergriffen sein können. n. 

Verein für innere Medicin zu Berlin. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 6. Januar 1890. 

(Schluß.)*) 

Discussion über Influenza. 

Prof. Fürbringer constatirt, daß die „harmlose Modekrank- 
keit“ in der letzten Zeit eine recht bösartige Physiognomie be¬ 
kommen habe. Im Krankenhause Friedrichshain hat die Influenza¬ 
bewegung namentlich seit der letzten Decemberwoehe nicht blos 
vielfach eine schwere Gestaltung nach Intensität und Dauer bei 
weniger Widerstandsfähigen angenommen, sondern selbst bei jungen 
kräftigen Personen einen tödtlichen Ausgang auf dem Wege 
schnell überhandnehmender und allen rationellen Mitteln trotzender 
Entzündungen der Lunge und Pleura gezeigt. Die Section in 
20 Fällen der letzten Woche ergab als gemeinsame Momente: 
Doppelseitige Bronchopneumonie neben diffuser Bronchiolitis und 
eine eigenthümliche „metapneumonischo“ Pleuritis mit meist copiösem, 
sehr fibrinreichem, seropurulentem, dünnem, lehmwasserartigem Ex¬ 
sudat; in einzelnen Fällen multipler eitriger Inhalt pneumonischer 
Herde ohne Spur septischer Processe. Diesen Complicationen, resp. 
Nachkrankheiten der Influenza ist eine größere Reihe selbstständiger 
Suffocativbronchitiden und Pneumonien gegenüberzustellen. 

Prof. Ewald berichtet über einige Beobachtungen von be¬ 
sonderem Interesse. Der eine im Augustahospital behandelte Fall 
betrifft einen Collegen, der nach Abfall des "Influenzafiebers über 
eine Affection im Trigeminusgebiet klagte. Nach einigen Tagen 
erneuertes Auftreten von Fieber. Diagnose: Empyem der Highmors¬ 
höhle. Eröffnung derselben und Entleerung einer Menge schlechten 
Eiters. Pat. blieb andauernd bewußtlos, collabirte und ging im 
Coma zu Grunde Section: Beschränkte eitrige Meningitis an der 
Basis und an den Gefäßscheiden. 

In einem anderen Falle entwickelte sich bei einer 40jährigen 
Frau im späteren Stadium der Influenza eine ausgedehnte Purpura 
haemorrhagica über Schultern und Bauchgegend, doppelseitige 
Pneumonie und Blutungen aus der Nase, und am 2. Tage der 
Erkrankung starb Pat. im Collaps. Verminderung der rothen Blut¬ 
körperchen auf die Hälfte. Section: Doppelseitige Pneumonie, be¬ 
schränkt auf die Unterlappen, mit schlaffer Hepatisation, Blutungen 
in die Magenschleimhaut und in die Nierenbecken. — Ein dritter 
Fall betraf einen 7jährigen Knaben, der in Folge der Influenza 
cerebrale Erscheinungen zeigte. Diese hielten unter Fieber einige 
Tage an und bildeten sich dann zurück. Exantheme und schmerzhafte 

*) S. Nr. 3. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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Milzanschwellung bei Influenza hat Ewald wiederholt beobachtet. 
Gegen einen Zusammenhang zwischen Influenza und Denguefieber 
sprechen das regelmäßige Exanthem bei letzterem, das ausnahms¬ 
weise Auftreten bei ersterer und ferner das Fehlen, beziehungsweise 
fast regelmäßige Vorkommen der catarrhalischen Erscheinungen. 

Geh.-R. Fraentzel : Bei einem Regiment Soldaten von etwa 
1000 Mann Kopfstärke sind im Ganzen 69 an Influenza erkrankt 
und in den Casernen behandelt worden. Die ganze Zahl der Er¬ 
krankungen ist beweiskräftig gegen die Annahme einer Uebertragung 
von Individuum zu Individuum. In 6 Fällen hat Redner scarlatinöse, 
resp. erythematöse Exantheme beobachtet. 

Dr. George Meyer hat eine Influenzaerkrankung einer 
stillenden Mutter und 2 Tage später ihres Säuglings gesehen. Der 
Zustand der influenzirten Phthisiker hat sich wesentlich verschlechtert, 
zwei Herzkranke gingen an Influenza zu Grunde. 

San.-R. Paul Guttmann sah unter 100 schweren Influenza¬ 
fällen 3mal Exanthem, keine fibrinöse, wohl aber Bronchopneumonie. 
Die Zahl der nicht im Anschluß an Influenza auftretenden fibrinösen 
Pneumonien ist in den letzten Wochen eine ganz ungeheure ge¬ 
wesen, nämlich von Anfang December v. J. bis jetzt 60 schwere 
Fälle, von denen 17 zur Section kamen. Als Complication der 
Influenza beobachtete er in 2 Fällen Pleuritis, während dieselbe 
im Anschluß an Influenza ebenfalls 2mal in seine Behandlung kam, 
der eine Fall mit tödtlichem Ausgang. Ein Beweis für die Contagion 
ist nicht erbracht und bei der Massenhaftigkeit der Erkrankungen 
kaum zu führen. 

Geh.-R. Henoch hat während des ganzen Verlaufes der Epi¬ 
demie auf der Kinderabtheilung der Charite keinen einzigen sicheren 
Fall von Influenza beobachtet, ebensowenig auf der Poliklinik, und 
betrachtet diesen Umstand als eine Stütze für die Annahme einer 
Contagiosität der Influenza. 

San.-R. S. Guttmann: Die jüngste Nummer der „Semaine 
mädicale“ enthält folgende Mittheilung: Im Hafen von Brest liegt 
das Schulschiff „Bretagne“ mit 850 Mann Besatzung, von der seit 
Mitte December v. J. bis jetzt 244 Mann an Influenza erkrankt 
sind, während die an der Seite dieses Schiffes liegenden beiden 
Schifte „Borda“ und „Austerlitz“ bis jetzt keinen einzigen Er¬ 
krankungsfall zeigen. Auf die „Bretagne“ wurde die Erkrankung 
durch einen Officier verschleppt, der in Brest einige Tage nach 
Empfang einer Sendung aus Paris erkrankte, nach ihm seine Frau 
und seine Dienstboten. Am 14. December ging er auf’s Schiff. 
Tags darauf erkrankte sein Adjutant und von nun 20—40 Mann 
der Schiffsbesatzung. Durch einige an’s Land gehende Schiffsofficiere 
wurde die Erkrankung dann nach Brest verpflanzt. —r. 


Notizen. 

Wien, 25. Januar 1890. 

Die Influenza in Wien. 

Als Epilog der nunmehr in starker Abnahme begriffenen Epi¬ 
demie reproduciren wir im Folgenden den vom Stadtphysicus Dr. 
Kämmerer der letzten Monatsversammlung der Amtsärzte vorge¬ 
legten, in der „Wiener Zeitung“ veröffentlichten Bericht über die 
Sanitätsverhältnisse Wiens im December des eben abgelaufenen 
Jahres, eines Monates, während dessen die Grippe die Residenz be¬ 
kanntlich in argo Mitleidenschaft gezogen hat. Der Bericht des 
Stadtphysikers gibt zumal über die Mortalität während des Epidemie¬ 
monates authentische Daten. 

Die schon seit einer Reihe von Jahren zu beobachtende, stetig 
fortschreitende Besserung der Gesundheitsverhältnisse der Stadt Wien 
wurde plötzlich im letzten Monate, und zwar von der ersten Woche 
des December angefangen, durch das massenhafte Auftreten der in 
ganz Europa, im Norden Amerikas und Afrikas pandemisch herr¬ 
schenden Influenza-Erkrankungen unterbrochen. 

Diese Aenderung der normalen Morbiditäts- und Mortalitäts¬ 
verhältnisse muß jedoch nur als eine rasch vorübergehende bezeichnet 
werden , da, abgesehen von der erwähnten Ursache, keine ander¬ 
weitigen ungünstigen localen Zustände bestehen, und muß schon 


hier ausdrücklich hervorgehoben werden, daß trotz der verhältnis¬ 
mäßig großen Steigerung der Sterblichkeit, die im Monate December 
1889 stattgefunden hat, die Gesammtsumme der Sterbefälle im Jahre 
1889 doch weit geringer ist, als in den vorangegangenen Jahren, 
wie aus nachstehender Tabelle ersichtlich ist. 

j a jj r Anzahl auf 1000 Einwohner 

der Verstorbenen') entfallen 

1885 21-976 28*54 

1886 20.864 26*75 

1887 20.549 26*00 

1888 20*349 25*41 

1889 20*106 24*78 


Wie überall, so haben auch hier die Erkrankungen an In¬ 
fluenza, welchen gegenüber keine wirksame allgemeine Prophylaxis 
wie bei manchen epidemischen Krankheitsformen ausgeftthrt werden 
konnte, eine so rapide Ausdehnung genommen, als ob das Krank¬ 
heitsgift mit einem Male über die ganze Stadt ausgeschüttet worden wäre. 

Bei dem Umstande, als die betreffenden Erkrankungen seitens 
der praktischen Aerzte nicht zur Anzeige gelangt sind, läßt sich eine 
ziffermäßige Darstellung der Verbreitung dieser Krankheitsform der¬ 
zeit nicht angeben, man wird jedoch, insoweit es aus privaten und 
amtlichen Mittheilungen zu entnehmen ist, wohl nicht weit fehlen, 
wenn das Erkrankungsprocent der Bevölkerung mit 30—40 ange¬ 
nommen wird, und es dürfte sich vielleicht eine noch höhere Ziffer 
ergeben, wenn die zahlreichen leichteren Fälle, in denen gar keine 
ärztliche Behandlung in Anspruch genommen wurde, in Betracht ge¬ 
zogen werden. 

Abgesehen von der erwähnten Ursache der erhöhten Morbidität 
im Allgemeinen erscheint diese auch noch speciell durch Entzün¬ 
dungen der Respirationsorgane, wie dies aus der Zahl der diesbe¬ 
züglichen Todesfälle hervorgeht, gesteigert. Ob alle diese zahlreichen 
entzündlichen Erkrankungen der Respirationsorgane im Gefolge der 
Influenza aufgetreten sind, mag dahingestellt bleiben. 

Immerhin verdient es jedoch hervorgehoben zu werden. daß die 
Zahl der im Berichtsmonate vorgekommenen Todesfälle in Folge von 
Entzündungen der Athmungsorgane, wenn auch die alljährlich um 
diese Zeit vorkommende Vermehrung derselben in Betracht gezogen 
wird, eine solche Höhe erreicht hat, daß ein großer Theil der¬ 
selben allem Anscheine nach entweder in Folge von Influenza- 
Erkrankungen oder bei solchen Individuen vorgekommen sein dürfte, 
die durch die vorausgegangene erwähnte Krankheit für das Zustande¬ 
kommen von Entzündungen der Athmungsorgane in höherem Grade 
disponirt waren. 

Eine Steigerung des entzündlichen Krankheitscharakters hat 
sich übrigens bereits vor dem Auftreten der Influenza bemerkbar 
gemacht; so sind beispielsweise die Todesfälle nach Entzündungen 
der Athmungsorgane in der 49. Woche des Jahres 1889 im Ver¬ 
gleiche zu demselben Zeiträume im Vorjahre mit 68 gegen 48, in 
der 50. Woche mit 73 gegen 45, in der 51. Woche mit 86 gegen 
50, in der 52. Woche mit 180 gegen 68 und in der 1. Woche 
1890 im Vergleiche zu derselben Zeit des Jahres 1889 mit 218 
gegen 73 verzeichnot. 

Aus der Vergleichung der letzterwähnten Zahlen kann somit 
immerhin auf einen Elinfluß der zur Zeit herrschenden Krankheits¬ 


form geschlossen werden, was auch aus dem Vergleiche der Durch¬ 
schnittszahl der Todesfälle in Folge von entzündlichen Krankheiten 
der Athmungsorgane im Monate December der Jahre 1879 bis incl. 
1888, nämlich 237, mit den diesbezüglichen Todesfällen im December 
des Jahres 1889, nämlich 494, hervorgeht, wobei jedoch ausdrück¬ 
lich bemerkt werden muß, daß die Jahressumme der Sterbefälle 
an Lungenentzündung im Jahre 1889 im Vergleiche mit der der voran- 
gegangenon Jahre sich auffallend niedrig darstellt. 

Es starben an Lungenentzündung im Jahre: 

1885 . 2064 

1886 . 1939 

1887 . 1855 

1888 . 1935 

1889 . 1878 


') Incl. der in den Spitälern aufgenommenen, in Wien nicht wohnhaft 
gewesenen Ortsfremden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


Auch die allgemeine Mortalität des Monats December 1889 
erscheint im Vergleiche zu der Durchschnittszahl der allgemeinen 
Sterblichkeit des Monats December in den 10 Jahren 1879 bis incl. 
1888 ungünstig beeinflußt. 

Die letzte Durchschnittszahl betrügt (mit Ausschluß der beim 
Ringtheaterbrande Verunglückten) 1(574, während die Zahl der 
Todesfälle im December des Jahres 1889 die Höhe von 2273 er¬ 
reichte, wobei hervorzuheben ist, daß die Steigerung sich (abge¬ 
sehen von den entzündlichen Erkrankungen der Athmungsorgane) 
insbesondere in Folge von Lebens-, Altersschwäche, organischen 
Herzfehlern und Lungentuberculose bemerkbar machte, somit bei 
Krankheiten, bei welchen ebenfalls wenigstens zum Theile ein 
nachtbeiliger Einfluß der herrschenden Krankheitsform angenommen 
werden kann. 

Die absolute Zahl der im Monate December vorgekoramenen 
Todesfälle, und zwar sowohl für den ganzen Monat als für jeden 
einzelnen Tag desselben, sowie auch die Summe der in diesem 
Monate und an den einzelnen Tagen desselben vorgekommenen 
Todesfälle an entzündlichen Krankheiten der Athmungsorgane dürfte 
auch eine Schlußfolgerung zulassen für die Beurtheilung des Ver¬ 
laufes dieser Krankheitsform und der von derselben abhängenden 
oder in indirecten Zusammenhang zu bringenden anderweitigen Er¬ 
krankungen. Aus der vorliegenden Tabelle ist zu entnehmen, daß 
die wöchentliche Durchschnittsziffer der gesammten Todesfälle für 
den Monat December von 53*4 in der ersten Decemberwoche auf 
59'3 (zweite Decemberwoche), 68’1 (dritte Decemberwoche), 103 6 
(vierte Decemberwoche) gestiegen ist. Dagegen ist in der Woche 
vom 29. December 1889 bis incl. 4. Januar 1890 ein Herabgehen 
dieser Durchschnittsziffer auf 95*6 und in der nächstfolgenden 
Woche vom 5. bis 11. Januar ein weiteres Sinken auf 77 - 7 zu 
constatiren. 

Nahezu dasselbe Verhältniß zeigt sich bei den Todesfällen 
nach entzündlichen Krankheiten der Respirationsorgane von 9*6 pro 
Tag in der ersten Monatswoche auf 10‘7 in der zweiten, 12‘3 in 
der dritten, 25 - 4 in der vierten Woohe des Monates December und 
in der Woche vom 29. December 1889 bis incl. 4. Januar 1890 
auf 31*1. Inder nächstfolgenden Woche vom 5. bis incl. 11. Januar 
ist dagegen ein entschiedener Abfall dieser Durchschnittsziffer, näm¬ 
lich auf 22‘8, eingetreten. Es ist somit die Abnahme der Sterblich¬ 
keit an entzündlichen Krankheiten der Athmungsorgane um eine 
Woche später als die Abnahme der gesammten Sterblichkeit — 
dafür aber in ganz entschiedener Weise — erfolgt. 

Was die täglich vorgekommene Zahl der Todesfälle anbelangt, 
ist insbesondere eine Steigerung seit 22.—30. December bemerkbar, 
und zwar von 80 am erstgenannten Tage bis zum Maximum 130 
am 25. December und von hier an in Schwankungen abnehmend; 
dementsprechend sind äuch die Todesfälle an Entzündungen der 
Athmungsorgane vom 22. an in steter Zunahme begriffen, und zwar 
von 18—36 am 30. December. 

Von diesem Tage angefangen ist aber eine entschiedene Besse¬ 
rung dieser Verhältnisse wahrzunehmen; denn während die Zahl 
sämmtlicher Todesfälle in der Woche vom 22. December bis incl. 
28. December 1889 noch 717 betrug, ist dieselbe in der Woche 
vom 5.—11. Januar bereits auf 544 gesunken und ist auch die 
Zahl der Todesfälle an entzündlichen Krankheiten der Athmungs¬ 
organe von 218 in der Woche vom 29. December 1889 bis incl. 
4. Januar 1890 auf 160 in der Woche vom 5.—11. Januar 1890 
herabgegangen. 

Es dürfte daher die Erwartung berechtigt sein, daß sich dem¬ 
nächst wieder die normalen günstigen Gesundheitsverhältnisse ein- 

stellen werden. 

Außer den entzündlichen Erkrankungen der Athmungsorgane, 
die — wie eben ausführlich geschildert wurde — einen nicht un¬ 
bedeutenden Einfluß auf die allgemeine Sterblichkeit ausübten, 
wurden als Complicationen dieser Krankheiten beobachtet: Neuralgien 
(besonders Supraorbitalneuralgien), Mittelohr-Entzündungen und eine 
eigentümliche Form von Hornhaut - Entzündung. Auch trat bei 
einigen influenzakranken Ammen in der Findelanstalt ein erythem¬ 
artiger Ausschlag ein. 

Bei den Kindern im schulpflichtigen Alter, so namentlich in 
den städtischen Waisenhäusern, war die sogenannte nervöse Form 


vorherrschend (plötzliches Auftreten von heftigem Kopfschmerz, 
Fieber, Hinfälligkeit, schmerzhafte Empfindungen in den Gliedern, 
Stechen in der Rückenmusculatur, mitunter Erbrechen). Die Genesung 
erfolgte in der Regel in 2 bis 3, längstens 4 Tagen, doch blieb 
das Gefühl der Mattigkeit oft noch längere Zeit zurück. Im 
Allgemeinen waren aber die Influenzafälle bei Kindern in dem er¬ 
wähnten Alter leichter Natur. Bei Kindern im ersten Lebensjahre 
dagegen trat nicht selten eine tödtlich verlaufende Bronchitis als 
Complication hinzu, und sind im Monate December 58 Kinder im 
ersten Lebensjahre an Bronchitis gestorben. Bei den Erwachsenen 
war die catarrhalische und entzündliche Form der Erkrankung der 
Rospirationsorgane vorherrschend. 

Die Gesundheitsverhältnisse in den städtischen Humanitäts¬ 
anstalten wurden durch die Influenza-Erkrankung in mäßigem Grade 
alterirt; unmittelbare Todesfälle an Influenza kamen nicht vor; fast 
ganz verschont blieben die Insassen des Bilrgerversorgungshauses 
in der Währingerstraße; in den vereinigten Versorgungshäusern am 
Aiserbache kamen 62 Fälle zur ärztlichen Behandlung. Außerdem 
wurde daselbst das häufige Auftreten von Lungenentzündung beob 
achtet. Ueber die genaueren diesbezüglichen Verhältnisse geben die 
vorliegenden Detailberichte Aufschluß. Es können im Allgemeinen 
die Ge8undheitsvcrbäitnis3e in säramtlichen Humanitätsanstaltcn der 
Stadt Wien als verhältnißmäßig günstige bezeichnet werden. Eigent¬ 
liche Krankheitsherde, wie z. B. in Paris unter den Bediensteten 
des Louvre, kamen in Wien nicht vor, es war hier das Krankheits- 
gift gleichmäßig über die ganze Stadt verbreitet. Es sei denn, daß 
man die ersten in Wien vorgekommenen Erkrankungsfälle im k. k. 
allgemeinen Krankenhause, und zwar unter den Aerzten und Wärte¬ 
rinnen dieser Anstalt, als einen Krankheitsherd auffaßt. 

Im Ganzen und Großen muß der Charakter der Krankheit 
als ein gutartiger bezeichnet werden. 

Im Allgemeinen mehr alarmirend als gefährlich, hat die Influenza 
allerdings eine größere Anzahl von Sterbefällen im Gefolge gehabt, 
jedoch ist die Zunahme nicht auf unmittelbare Influenza-Todesfälle 
zurückzufUhren, sondern darauf, daß bei solchen Pandemien eben 
eine große Anzahl Tuberculöser, Herzkranker, Marastischer etc , die 
bereits Todescandidaten waren, erliegen, oder der tödtliche Ausgang 
wurde durch eine dazugetretene Complication (in den meisten Fällen 
Lungenentzündung) herbeigeführt. 

Wie gleich anfangs in diesem Berichte bemerkt wurde, ist die 
große Erhöhung des Krankenstandes im Berichtsmonate lediglich 
durch das gehäufte Auftreten der Influenza-Erkrankungen und der 
catarrhalischen und entzündlichen Erkrankungen der Athmungs¬ 
organe bedingt gewesen; die übrigen Krankheitsformen bewegten 
sich alle innerhalb der normalen Grenzen, ja von den der Anzeige¬ 
pflicht unterliegenden Infectionskrankheiten sind im Vergleiche 
mit dem Vormonate um 411 Fälle weniger zur Anzeige gebracht 
worden. 

(Zum Strafgesetzentwurf.) Der nächste Paragraph des 
Entwurfes 1 ), dessen Amendirung der Oberste Sanitätsrath 
empfiehlt, ist §. 56. Derselbe lautet: 

„Eine Handlang ist nicht strafbar, wenn derjenige der sie begangen 
hat, zu dieser Zeit sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krank¬ 
hafter Hemmung oder Störung der Geistesthätigkeit befand, welcher es ihm 
unmöglich machte, seinen Willen fiei zu Instimmen, oder das Strafbare 
seiner Handlung einzuseheu.“ 

Hiezu bemerkt die Eingabe des Obersten Sanitätsrathes: „Aus 
der Fassung dieses Paragraphen ergibt sich, daß der Gesetzgeber, 
und zwar mit Recht, annimmt, daß es außer den Zuständen von Be¬ 
wußtseinsstörung oder krankhafter Hemmung oder Störung der Geistes¬ 
thätigkeit, welche es dem Thäter uumöglich machen, seinen Willen 
frei zu bestimmen oder das Strafbare seiner Handlungen einzusehen, 
auch solche gibt, welche diese „Unmöglichkeit“ nicht bedingen. Es 
wird aber nirgends gesagt, was in jenen Fällen, wo durch Bewußt¬ 
seinsstörung oder krankhafte Hemmung oder Störung der Geistes¬ 
thätigkeit die Willensfreiheit oder die Einsicht in die Strafbarkeit 
der Handlung zwar nicht aufgehoben, aber doch mehr oder weniger 
intensiv beeinträchtigt war, zu geschehen hat. Es unterliegt keinem 
| Zweifel, daß auf solche, die Zurechnungsfähigkeit vermindernde Zu 

*) S. „Wiener Med. Presse“, Nr. 3. 


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151 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


152 


stände, zu welchen namentlich gewisse, in fehlerhafter Organisation 
begründete Anomalien des physischen und geschlechtlichen Fühlens, 
Verstandesschwäche, pathologisch erhöhte Reizbarkeit, sowie die Be¬ 
rauschung ohne Bewußtlosigkeit gehören, vom Richter beim Straf¬ 
ausmaß , bezüglich dessen ihm ein weiter Spielraum eingeräumt 
wird, Rücksicht genommen werden wird. Der Oberste Sanitätsrath 
hält es jedoch für angezeigt, daß dieselben im Gesetze ausdrücklich 
als Milderungsumstände angeführt werden, eiuestheils weil solche 
Zustände ungemein häufig Vorkommen und bei der Begehung straf¬ 
barer Handlungen eine eingreifende Rolle spielen, andererseits weil 
sie meistens eine gerichtsärztliche Begutachtung indiciren, deren 
Stattfinden durch ausdrückliche Hervorhebung solcher Zustände im 
Gesetze mehr garautirt wäre, und drittens, weil durch eine be¬ 
sondere Erwähnung dieser Zustände als Strafmilderungsgrund sowohl 
dem Richter als den begutachtenden Aerzten ihre Aufgabe wesent¬ 
lich erleichtert und der allzuhäufigen Annahme einer vollständigen 
Unzurechnungsfähigkeit vorgebeugt werden würde“. — Der Aus¬ 
druck „unzüchtige Handlung“ in §. 185 des Entwurfes wird als 
höchst unbestimmt und dehnbar bezeichnet, da z. B. schon Ent¬ 
blößungen und selbst Betastungen bedeckter weiblicher Körpertheile 
unter Umständen hiehcr gerechnet werden könnten. Subjective Auf¬ 
fassungen sowohl der Objecte solcher angeblicher Attentate, als der 
eventuellen Zeugen und selbst der Richter einerseits und Ueber- 
treibungeu und Böswilligkeit andererseits können gerade bei solchen 
Anklagen leicht zur Geltung kommen. Ist cs ja schon geschehen, 
daß die von Aerzten nothwendig befundenen Entblößungen und 
Untersuchungen als „unzüchtige Handlungen“ aufgefaßt, resp. an¬ 
gezeigt wurden. Es empfiehlt sich daher, daß entweder näher zu 
bezeichnen wäre, was das Gesetz unter „unzüchtigen Handlungen“ 
verstanden wissen will, oder daß eine Bestimmung zu erlassen wäre, 
welche analog der des preußischen Obertribunals verfügt, daß die 
Frage, welche Handlungen als „unzüchtige“ zu betrachten, that- 
sächlicher Natur und durch die Geschworenen zu beantworten sei. 

(Universitäts-Nachrichten.i Die PrivatdocentenTitular- 

“ Professor und Primararzt Dr. Stanislaus Barknski und Dr. 

' Ladislaus Gluzinski sind zu a. o. Professoren für specielle medi- 
cinische Pathologie und Therapie, der Privatdocent Dr. Heinrich 
Jordan zum a. o. Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie, 
sämmtliche an der Universität Krakau, ernannt worden. — 
Der berühmte Ophthalmologe Prof. W. v. Zehender in Rostock 
beabsichtigt zu Ostern d. J. vom Lehramte zurückzutreten. — Der 
langjährige Assistent Becker’s in Heidelberg, Dr. Pinto da Gama 
ist zum ordentl. Professor der Augenheilkunde in Lissabon er¬ 
nannt worden. 

(Sammelforschung über die Influenza-Epidemie 
1889/90.) Ueber Anregung des Geh.-R. Prof. Leyden hat der 
Verein für innere Meiicin in Berlin die Berliner med. Gesellschaft 
eingeladen, sich an einer Sammelforschung Uber das „große medi- 
cinische Ereigniß“ zu betheiligen. Die Gesellschaft hat diese Auf¬ 
forderung angenommen und die Proff. Hirsch, Fürbringer, Senator 
und Zuelzer in den zu diesem Zwecke zusammengetreteuen Aus¬ 
schuß delegirt. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Nachdem die Influenza 
schon seit Wochen nicht nur in der Hauptstadt wütbet, sondern 
sich fast blitzschnell über das ganze Land ausgebreitet hat, be- 
quemt sich endlich das Oberphysicat auch zur öffentlichen Bericht¬ 
erstattung über dieselbe. Wegen Ueberfüllung der Krankenhäuser 
mußten Nothspitäler errichtet werden. — Im Untorrichtsausschusse 
des Abgeordnetenhauses erklärte Unterrichtsminister Csäky auf das 
Bestimmteste, an der Reform des Collegiengeldsystems festhalten zu 
wollen; doch hat er Näheres darüber noch nicht verlauten lassen. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Colleginm.) Programm der 
Montag den 27. Januar stattfindenden wissenschaftlichen Versamm¬ 
lung: Prof. Dr. Otto Kahlek : Ueber die frühen Symptome der 
Tabes dorsualis. 

(Todesfälle.) Gestorben siud: In Prag Dr. Ullrich, 
Assistent der Klinik des Prof. Eiselt, 28 Jahre alt, Dr. Leopold 
La£ansky, im 42. Lebensjahre und Reg.-Arzt Dr. Josef Muhr, 
49 Jahre alt; in Temesvar Dr. Paul Stefanowitz, im 35. Lebens¬ 
jahre; in Kronstadt der em. Stadtphysicus Dr. Jos. v. Greissing, 
92 Jahre alt; in Heidelberg der em. Professor der Anatomie und 
Physiologie Dr. Friedrich Arnold, im 87. Lebensjahre ; in Brüssel 


Dr. Wehendel, Director der Thierarzueischule und Honorar¬ 
professor an der Universität, 50 Jahre alt; in Besamjon der Pro¬ 
fessor der Physiologie, Dr. Bornier. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensiona-Exemplare.) 

Ost, Die Frage der Schulhygiene in der Stadt Bern. Bern 1889. Schmid, 
Franke&Co. 

Gottstein J., Die Krankheiten des Kehlkopfes. Mit 44 Abbildungen. III., 
verbesserte und vermehrt« Auflage. Leipzig und Wien 1890. F. D e u t i c k e. 
Smlrnoff 8., Etüde sur la Syphilis et son traitement. Paris 1890. G. 
Masson. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Kundmachang, 

betreffend die provisorische Besetzung der Districtsarztesstelle für deu Sanitäts- 
district Ober bürg. Die Stelle eines Sanitätsdistrictsarztes wird vorläufig 
provisorisch auf ein Jahr besetzt. Der Sanitätsdistrict Oberburg umfaßt die 
Gemeinden: Oberburg, Laufen, Lcutsch, Neustift und Sulzbach. Die Subvention 
für diese Districtsarztesstelle bestoht in der Jahressubvention des Landesfondes 
pro 4U0 fl- und in den Subventionen des Bezirksausschusses Oberburg pro 
200 fl. und mehreren Gemeinden pro 200 fl., zusammen pro 800 fl. ö. W. 
Bewerber um diese Stelle müssen auch der slovenischen Sprache mächtig sein. 
Zu den Verpflichtungen des anzustellenden Arztes gehört, sich zur Behand¬ 
lung der Armen im Sanitätsdistricte dem Bezirke und den Gemeinden zur 
Verfügung zu stellen, unentgeltlich daselbst die Todtenbescliau vorzunehmen, 
beziehungsweise zu überwachen und jene sanitätspolizeilichen Dienste zu leisten, 
welche den Gemeinden in den §§. 3 und 4 des Gesetzes vom 30. April 1S70, 
R.-G.-Bl. Nr. 69, vorgezeichnet sind. Bewerber um diese Stelle wollen ihre 
entsprechend documentirten Gesuche bis 10. Februar 1990 an deu gefertigten 
Landesausschuß überreichen. 502 

Graz, am 3. Januar 1890. 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 

An der n.-ö. Landes-Irrenanstalt zu Wien ist die Stelle 

eines Hilfsarztes mit der vorläufigen Dienstdauer von einem Jahre und 
der Verpflichtung der dreimonatlichen Kündigung im Falle des freiwilligen 
Dienstantrittes während dieser Zeit zu besetzen. Mit derselben ist ein in monat¬ 
lichen Antieipfctivfwteh fälliges Jahreshonorar von dreihntidertsechäMg Gulden, 
eine Natnralwohnung sammt Beheizuug und der Verpflegung nach der I. Ulasse 
des Anstaltstarifes verbunden. Bewerber um diese Stelle müssen den Nach¬ 
weis des erlangten Grades eines Docturs der Medicin und Chirurgie oder 
der gcsamuiten Heilkunde erbringen, die Absolvirung eines klinischen psychia¬ 
trischen Curses nach weisen oder sich zum Besuche eines solchten im nächsten 
Semester verpflichten nnd hierüber ein Colloquium mit gutem Erfolge ablegen. 
Die mit einer Stempelmarke ä 50 kr. zu versehenden Gesuche, in welchen 
auch die Zuständigkeit, das Alter und die bisherige Verwendung im ärzt¬ 
lichen Dienste nachzuweisen ist, sind an den n.-ö. Landesausschuss zu richten 
und bis längstens 20. Februar 1890, Nachmittags 2 Uhr, bei der Direction 
der n.-ö. Landes-Irrenanstalt iu Wieu, IX, Lazaietligasse 14, abzugeben. 

Wien, im Januar 1890. 

Der n.-ö. Lande.-ausschuß. 

Für die Krankencasse einer größeren Fabrik in einer in¬ 
dustriellen ausschließlich deutschen Stadt Nordbölimens wird ein tüchtigerArzt ge¬ 
sucht. Demselben würde eine lohnende l'rivatpraxis nicht fehlen und somit einem 
strebsamen Arzte Gelegenheit geboten sein, sich eine gute Exis cnz zu gründen, 
umsomehr, als derjenige Arzt, welcher im Orte die größte Praxis besaß und auch 
an verschiedenen Fabriken als Fabriksarzt fungirie, vor einigen Tagen mit 
dem Tode abgegangen und bis jetzt noch nicht ersetzt ist. Offerten mit An¬ 
gabe der persönlichen Verhältnisse, Referenzen etc. unter Chiffre „R. Nr. 518“ 
zur Weiterbeförderung an die Adrn. d. „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, 
I., Maximiliaustraße 4, erbeten. 518 

Suche Substituten, welcher gleichzeitig den Posten über¬ 
nehmen kann. Fixa 950 fl., Privatpraxis, Hausapotheke; für die Sub¬ 
stitution außerdem eine entsprechende Entschädigung. Markt in etwas ge¬ 
birgiger Gegend (circa 2500 Einwohner) mit Bezirksgericht, Fabriken. Mit 
3. Februar anzutreten. Dr. Adolf Schmidt. Kirchberg a. d. Pielach 
(südlich von St. Pölten). 517 


VACANZ. 

Die Stelle des Chefarztes der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt 
für Niederösterreich ist zu besetzen. Reflectanten, welche österreichische 
Staatsangehörige, sowie graduirte Aerzte sind, in Wien domiciliren und 
eine langjährige Praxis im Unfall- oder Lebens-, sowie auch im 
Krankenversicherungs-Medieinalwesen nachzuweisen vermögen, belieben 
sich unter Bekanntgabe der Gchaltsansprüche, welche erhoben werden, 
an die: Arbeiter-Unlällversicherungsaustalt für Niederösterreich in Wien, 
I., Renngnsse 8, schriftlich zu wenden. 51i 

Nachdruck wird nicht lionorirt.! 


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Nr. 5. 


Sonntag den 2. Februar 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Qnart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „WienerKlinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
auflräge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximllianstraase Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften Bind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 8 fl. 60 kr. Ausland! 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halhj. io Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrh„ halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien Maxlmilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

—-— 380 -- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban 4 Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen, lieber die Entwicklung der Knochenkerne der Gliedmaßen im ersten Lebensjahre. Von Dr. L. W. 

Fagerlusd in Helsingfors (Finnland). — Soll den Hebammen der Gebrauch des Mutterrohres in der geburtshilflichen Praxis verboten worden? Von 
Regierungsrath Prof. Dr. Alois Valkkta in Laibach. — Ueber die Principien der Therapie der Herzkrankheiten. Von Prof. Dr. R. v. Bascu 
in Wien. — Referate and literarische Anzeigen. Alkx. Jassihowsky (Odessa): Die Arteriennaht. — G. Klkmpf.rkr (Berlin): Ueber die Anwendung 
der Milch zur Diagnostik der Magenkrankheiten. — Zeitnngsschan. Bericht über die Fortschritte in der Pathologie and Therapie der Krankheiten 
des uropoetischen Systems. Ref.: Dr. H. Lohkstein, Assistent des poliklinischen Institutes von Prof. Zuklzer zu Berlin. — Feuilleton. Briefe 
aus Ungarn. (Orig.-Corresp.) I. — Kleine Mittheilnngen. Narcosen mit Aether bromat. puriss. — Verfahren zur Deckung der Augenhöhle 
nach Ausräumung derselben. — Therapie der Cystitis beim Weibe. — Behandlung der parenchymatösen Mastitis nnd der Phlegmone der Brust mit 
dem Gypsverbande. — Dnrch große Dosen von Gelsemium geheilter Fall von Torticollis spastica. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 
K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — Verein für innere Medicin in 
Berlin. (Orig.-Ber.)— Notizen. Zur Aetiologie der Influenza. — Karl Friedrich Otto Westphal f. — Eingesendet. — Literatur. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


' Originalien und klinische Vorlesungen. 

Aus dem gertehtlich-medicinischen Institute der 
Wiener Universität. 

Ueber die Entwicklung der Knochenkerne 
der Gliedmassen im ersten Lebensjahre. 

Von Dp. L. W. F&gerlund in Helsingfors (Finnland). 

Eine der Fragen, die dem Gerichtaarzte oft zur Beant¬ 
wortung vorgelegt werden, gilt dem Lebensalter einer ge¬ 
fundenen Kindesleiclie. Zunächst gilt es natürlich, zu ent¬ 
scheiden, ob das Kind ausgetragen war oder nicht nnd so das 
Vermögen eines selbstständigen Lebens besaß oder nicht; aber 
im Zusammenhang hiemit soll oft festgestellt werden, wie lange 
vor oder nach der erwähnten Zeit der Tod ein getreten ist. 
Unter den Zeichen der Reife eines Fötus ist das Vorkommen 
eines Knochenkernes im Knorpel der unteren Femurepiphyse 
eines der wichtigsten Der Umstand, daß während des intra¬ 
uterinen Lebens des Fötus ein Knochenkern in keiner anderen 
Epiphyse der langen Knochen des menschlichen Körpers, als 
in der unteren Femurepiphyse gebildet wird, eine Entwick¬ 
lung, die während der zweiten Hälfte des letzten Schwanger¬ 
schaftsmonates stattfindet, wurde zuerst von Meckel 1 ) (1816) 
erwähnt und 1819 von Bäclard 3 ) beobachtet, der dessen Be¬ 
deutung für die medicinisch-forensische Praxis hervorhob. 
Dieses Verhältniß wurde später von vielen Gerichtsärzten con- 
statirt worden, und hat Casper-Liman die Resultate der 
darüber gemachten Untersuchungen wörtlich in folgende Sätze 
zusammengefaßt s ): 


*) J. F. Meckel : Handbuch der menschlichen Anatomie. Bd. II, S. 255, 
Halle 1816. 

*) Th. Billard: „Nouveau jonrnal de m6d., chir. et pharm.“ Paris 

1819, Tom. IV, S. 107. 

*) J. L. Caspkr’s Handbnch der gerichtlichen Medicin. Heu bearbeitet 
und vermehrt von Carl Liman. Bd. II, S. 892, Berlin 1882. 


a) Wenn sich noch keine Spur eines Knochenkerns in 
der unteren Schenkel-Epiphyse findet, so kann man in der 
Regel annehmen, daß die Frucht höchstens ein Alter von 36 
bis 37 Wochen erreicht hatte. Doch habe ich unter 413 Fällen 
14mal (1 : 30) auch bei reifen Kindern noch keine Spur eines 
Knochenkernes gefunden, namentlich dann, wenn auch sonst 
Zeichen einer ungewöhnlich zurückgebliebenen Entwicklung 
und Ossificationsdefecte in den Schädel knochen wahrnehmbar 
waren. 4 ) 

b) Der Anfang eines Knochenkerns, der sich wie ein 
Hanfkom oder Stubenfliegenkopf groß zeigt (1 Mm., x / 2 Linie), 
deutet auf ein Fruchtalter von 37—38 Wochen, vorausgesetzt, 
daß das Kind todt geboren worden, oder bald nach der Ge¬ 
burt abgestorben war; im entgegengesetzten Falle konnte es 
vor dieser Zeit (und ohne Knochenkern) geboren worden sein, 
und dieser sich erst während des Lebens ausgebildet haben. 
In seltenen Fällen einer ungewöhnlich zurückgebliebenen all¬ 
gemeinen körperlichen Entwicklung kann jedoch auch ein 
Kind von 40 Wochen nur einen erst so geringfügigen Knochen¬ 
kern zeigen. 

c) Ein Durchmesser des Knochenkerns von 1*5—9 Mm. 
( s / 4 —4 Linien) deutet auf ein Alter von 40 Wochen, das die 
Frucht erreicht haben mußte, vorausgesetzt wieder, daß sie 
todt geboren worden, resp. bald nach der Geburt abge¬ 
storben war. 

d) Der Knochenkern hat in beiden Epiphysen stets den¬ 
selben Durchmesser, und genügt es daher, nur einen zu prüfen. 
Gegentheilige Behauptungen beruhen auf einem leicht erklär¬ 
baren Irrthum, indem nur eine Knorpel Schicht in einem Ansatz 
etwas dicker abgetrennt zu werden braucht, als in dem andern, 
um sogleich eine kleine Differenz im Durchmesser zu zeigen. 


4 ) Diese Beobachtung wurde schon von Hecker gemacht, der unter 91 
ausgetragenen Kindern 15mal den Knochenkern vermißt nnd ßmal nur ein¬ 
seitig und spurweise vorgefunden hatte. (Siehe Hecker nnd BOhl, Beiträge 
der Geburtskunde. Bd. I, S. 49—51, München 1861). Ebenso fand Hartmann 
(siehe Beiträge zur Osteologie der Neugeborenen. Diss. Tübingen 1869), daß 
unter 102 reifen Neugeborenen der Knochenkern 12mal vermißt wurde. Eine 
ähnliche Erfahrung hat auch v. Hoehann gemacht. 


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163 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


164 


c) Man kann in der Regel auf das Leben des Kindes 
nach der Geburt schließen, wenn der Knochenkern schon über 

9 Mm. (4 Linien) im Durchmesser zeigt. Ausnahmen von 
dieser Regel haben wir bisher nicht beobachtet. 

Casper-Liman hebt außerdem hervor, daß man bei Er¬ 
wägung dieses trefflichen Zeichens die übrigen Zeichen der 
Reife nicht vernachlässigen wird, und daß man auch die all¬ 
gemeine Ernährung des Kindes und individuelle Verschieden¬ 
heiten zu berücksichtigen hat, wobei er noch insofern den 
Werth dieses Zeichens betont, daß es durch Verwesung nicht 
verwischt wird und man dadurch in den Stand gesetzt ist, 
aus den bloßen aufgefundenen Oberschenkeln und noch lange 
Zeit nach dem Tode das Alter (die fragliche Reife) der Frucht 
zu bestimmen. 

Eine andere Sache jedoch ist es, ob man aus der Größe 
des Knochenkcrncs und dessen Entwicklung die Frage ent¬ 
scheiden kann, in welchem Alter nach der Geburt ein aufge¬ 
fundenes Kind gestorben ist. 

In dieser Hinsicht führt schon Ollivier 6 ) an, daß er 
bei 7 ausgetragenen Kindern, die 7 — 26 Tage gelebt hatten, 
den Querdurchmesser des Knochenkernes der unteren Femur¬ 
epiphyse gleich 6 Mm. gefunden hat, den antero-posterioren 
Diameter ebenfalls gleich 6 Mm. Bei einem 27 Tage alten 
Kinde war der Querdurchmesser 7 Mm.; bei einem 8 Monate 
alten Kinde gleich 18 Mm., der antero-posteriore 10 Mm. Bei 
einem 87a Monate alten Kinde war der Querdurchmesser 15 Mm., 
der antero posteriore 12 Mm. (alle Knochen dieses Kindes 
waren sehr groß). Bei einem 9 Monate 3 Tage alten Kinde 
fand er den Querdurchmesser gleich 10 Mm., den antero- 
posterioren Durchmesser gleich 8 Mm. (alle Knochen sehr 
schwächlich). Bei einem 11 Monate alten Kinde war der quere 
Durchmesser 15 Mm., der antero-posteriore Diameter 13 Mm. 
Bei einem 1 Jahr alten Kinde war der Querdurchmesser des 
Knochenkernes 15 Mm., der antero-posteriore 10 Mm. Bei 
einem 1 Jahr, 3 Monate und 21 Tage alten Kinde betrug der 
Querdurchmesser 15 Mm.., der antero-posteriore Durchmesser 

10 Mm.; dies Kind war jedoch stets kränklich gewesen, die 
Glieder waren dünn und abgemagert. 

Indem er betont, daß die Größe des Knochenkernes im 
Verhältniß zum Volumen des Knochens steht, daß, je kräftiger 
der Knochenbau des Kindes ist, desto größer der Knochenkern 
und umgekehrt, so behauptet er, daß man schließen könne, 
das Leben habe nach der Geburt durch einige Wochen ge¬ 
dauert, wenn der Querdurchmesser des Knochens über 8 Mm. 
beträgt. 

Mildner 6 ) fand bei einem 9 Tage nach der Geburt an 
Atrophie gestorbenen Mädchen einen Knochenkern von 2 Linien 
(=4*5 Mm.) im Querdurchmesser, bei einem 10 Tage alten 
Knaben. welcher an Lungenentzündung starb, wohlgenährt 
aussah, 2 3 / 4 Linien (= 6 Mm.), bei einem 12 Tage alten, durch 
einen Intestinal-Catarrh stark abgemagerten Knaben 2 Linien 
(— 4 5 Mm.), bei einem 14 Tage alten, ebenfalls stark abge- 
magerten Mädchen 27a Linien (= 5‘5 Mm.), bei einem 14 und 
einem 17 Tage alten abgemagerten Kinde 2 8 / 4 Linien (= 6 Mm.), 
bei einem 19 und 20 Tage nach der Geburt an Rothlauf ge¬ 
storbenen , jedoch noch gut genährt aussehenden Säuglinge 
3 Linien (= 6 5 Mm.), bei 3 Säuglingen von 21, 24 und 26 
Tagen, die längere Zeit an Intestinalcatarrh gelitten hatten 
und stark abgemagert waren, 2 3 /* Linien (= 6 Mm.), endlich 
bei einem 29 Tage alten, an Lungenentzündung gestorbenen 
Knaben, welcher gut genährt aussah, einen 3 Linien (= 6 5 Mm.) 
langen Knochenkern. 


*) Olli viKit: Dc9 indnetions qu’on peut tirer du seul examen des os da 
foclus. „Annales d’hygiöne publ. et de med. legale.“ Tom. 27 (1841), S. 343 
und 344. 

°) Em. Mildnkk : lieber die Benützung des Knochenkernes in der 
unteren Epiphyse des Schenkelbeius zu gerichtsärztlichen Zwecken. „Prager 
Vierteljahrschrift für die praktische Heilkunde“, Bd. 28, S. 41, Prag 1850. 


Hartmann 7 ) gibt folgende Tabelle: 


Alter 

der 

Kinder 

Knochenkern fehlt || 

Knochenkern spur¬ 
weise vorhanden | 

Knochenkern 1 Mm.| 
breit | 

a 

33 

S! 

■s- 6 

© 

o 

o 

ö 

w 

Knochenkern 3 Mm. 
breit | 

Knochenbern 4 Mm. j 
breit 

0 

5 

o 

© 

6 

© 

o 

w 

Knochenkern 6 Mm. { 
breit 

Knochenkern 7 Mm. 1 
breit | 

0 

33 

00 

If 

© 

© 

a 

W 

Knochenkern 9 Mm. 
breit i 

® 

0 

0 

P 

03 


Neugeborene 














bis 7 Tage 

12 

4 

— 

5 

16 

21 

17 

14 

10 

3 

— 

102 

— 

7—14 Tage 

1 

1 

— 

2 

3 

7 

8 

6 

1 

2 

1 

32 

© 

14-21 Tage 

1 

— 

— 

3 

4 

2 

5 

1 

1 

1 

— 

18 

Pi 

über 21 Tage 

— 

— 

— 

1 

2 

3 

4 

— 

2 

1 

— 

13 


Summe . . 

14 

5 

— 

11 

25 

33 

34 

21 

14 

7 

1 

165 


Den größten Knochenkern von etwas über 9 Mm. Breite 
bei leicht ovaler Form fand er bei einem am 8. Lebenstage 
gestorbenen Knaben, der bei der Geburt 9 l / a Pfd. gewogen 
und 54 Cm. gemessen hatte. 

Böhm 8 ) theilt mit, daß er bei zwei 3 Tage alten, an 
Pneumonie gestorbenen Kindern in der unteren Femurepiphyse 
einen Knochenkern von 3 rh. Linien (= 6 5 Mm.) und bei 
einem 8 Wochen alten, an Enteritis gestorbenen Kinde gleichfalls 
einen Knochenkem von 3 rh. Linien (= 6 5 Mm.) gefunden habe. 
Bei einem 2 1 /* Monate alten, durch Mangel an Nahrung, Pflege 
und Reinlichkeit gestorbenen 19V* rh. Zoll langen Kinde war 
der Knochenkern 37* rh. Linien (= 7 5 Mm.). Bei einem 
3 Monate alt gewordenen, reif geborenen, an Bronchitis gestor¬ 
benen Kinde war der Knochenkern 3 l / s rh. Linien (= 7*5 Mm.). 
Bei einem 9 Monate alt gewordenen, von Geburt an an Ge¬ 
schwüren krankenden und an Atrophie gestorbenen Mädchen 
betrug der Knochenkern 5 rh. Linien (= 11 Mm.). 

Böhm kommt zu folgenden Schlüssen: 

Der Knochenkern hat bei einem reifen, vollkommen aus- 
getragenen, gut genährten Kinde einen Durchmesser von 2 bis 
2 , / a rh. Linien (=4*5—5 5 Mm.). 

Die Größe däs Knochenkerns steht in geradem Verhältniß 
zu dem Ernährungs- und Ossifications-Proceß. 

Der Knochenkern, der über 3 rh. Linien Durchmesser zeigt, 
rechtfertigt den Schluß auf Leben des Kindes nach der Geburt. 

Die Größe des Knochenkerns nimmt zu,- je länger das 
Kind nach der Geburt bei Gesundheit und guter Ernährung 
fortlebt. ... 

In seinem Handbuch der gerichtlichen Medicin gibt 
Casper-Liman folgende Beobachtungen hierüber: , . - 


Alter 

Geschlecht 

Anzahl 

Obser¬ 

vationen 

Körperlänge 
in Cm. 

Diameter des 
Knochenkerns in 
Mm. 

1 Tag 

Knabe 

4 

52-54-6 

00 

1 

T 

1 * 

Mädchen 

1 

442 

2 

2 Tage 

Knabe 

1 

48'6 

4 

3 „ 


4 

494-54-6 

3-7 

4 „ 


l 

52 

6 

4 „ 

Mädchen 

5 

44-2-53-3 

rf». 

1 

00 

5 » 


2 

52 

6 

6 „ 

Knabe 

2 

46-8-54-6 

hirsekomgroß, 6 

7 „ 


1 

41-6 

0 ‘ 

7 „ 

Mädchen 

1 

— 

7 

8 „ 

Knabe 

8 

46-8—52 

4-7 

8 n 

Mädchen 

3 

46 8-533 

! 2-7 

9 n 

Knabe 

1 

46-8 

2 

9 * 

Mädchen 

2 

44-2 

1—3 

10 „ 


1 

494 

6 

12 „ 

Knabe 

1 

52 

. 

2 


7 G. Hartmans: Beiträge zur Osteologie der Neugeborenen. Diss. 
Tübingen 1869, S. 18. 

8 ) Böhm: Ueber die forensische Bedeutung des Knochenkernes in der 
unteren Epiphyse des Oberschenkels der Neugeborenen. „Vierteljahrsschrift 
für gerichtliche und öffentliche Medicm“, Bd. XIV (1858), S. 34 — 38. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


166 


165 


■a 

Alter 

Geschlecht 

Anzahl 

Obser- 

Körperlänge 
in Cm. 

Diameter des 
Knochenkerns in 





vationen 

Mm. 


13 

Tug* 

Mädchen 

2 

494 

1-4 


14 


Knabe 

5 

494-52 

1-7 


15 


Mädchen 

2 

412 

4-6 


16 


Knabe 

1 

— 

7 


19 



2 

468 

3-6 


20 



1 

455 

4 


20 


Mädchen 

3 

52 

2-7 


21 


Knabe 

5 

— 

3-8 


21 


Mädchen 

3 

— 

4-7 


4 Wochen 

Knabe 

6 

— 

4-9 


4 


Mädchen 

3 

— 

5-6 


5 


Knabe 

2 

— 

2-9 


5 


Mädchen 

2 

— 

7-9 


6 


Knabe 

2 

50-8-572 

5—8 


6 


Mädchen 

1 

50-7 

4 


7 


Knabe 

3 

— 

8-9 


7 


Mädchen 

1 

— 

7 


8 


Knabe 

2 

— 

7-9 


8 


Mädchen 

2 

— 

9 


10 


Knabe 

1 

52 

7 


10 


Mädchen 

1 

— 

8 


11 



1 

52 

11 


3 Monate 

Knabe 

1 

— 

11 


3 

- 

Mädchen 

1 

— 

11 

3 

Monat 5 Tage 


1 

— 

4 

3 


15 „ 


l 

— 

7 

4 


3 „ 


1 

— 

9 

4 


15 n 

Knabe 

1 

— 

11 

5 


5 „ 


1 

— 

11 


6 Monate 


1 

— 

8 


7 


Mädchea 

1 

— 

11 


9 


Knabe 

1 

— 

15 


9 


Mädchen 

2 

— 

7-11 

9 Monat 15 Tage 


1 

— 

9 


12 Monate 

Knabe 

1 

sehr abgezehrt 

17 


12 


Mädchen 

1 

- 

15 

12 Monat 4 Tage 

Knabe 

1 

| Syphilis und 

1 Lungentuberc. 

11 

1 

Jahr 

3 Monate 


1 

— 

12 

1 


3 „ 

Mädchen 

1 

— 

11 

1 


6 7) 

Knabe 

1 

— 

15 

1 

n 

10 „ 

Mädchen 

1 


13 


(Schluß folgt.) 


Soll den Hebammen der Gebrauch des Mutter¬ 
rohres in der geburtshilflichen Praxis ver¬ 
boten werden? 

Von Regierungsrath Prof. Br. Aloia Valenta 

in Laibach. 

In neuester Zeit wird vielseitig mit Recht und Unrecht 
gegen den Hobammonstand losgezogen. Alles Unheil komme 
von den Hebammen, heißt cs, und man müsse daher thunliehst 
hei diesen Personen der Möglichkeit, Unglück zu stiften, auf 
Schritt und Tritt entgegentreten, und von diesem Standpunkte 
wird sogar dafür plaidirt, den Hebammen den Gebrauch des 
Mutterrohres zu verbieten. J ) 

Ich muß mich offen dahin aussprechen, die Annahme 
eino solchen Verbotes wäre ein Rückschritt, nie und nimmer 
ein Fortschritt zu nennen; kurz und bündig gesagt — sine 
ira et studio — ein solcher Antrag beruht entweder zum 
Mindestens auf nicht ganz richtiger Erkenntniß oder Unter¬ 
schätzung der wirklichen Sachlage. 

In größeren Städten würde dieser Antrag möglicher¬ 
weise (?) durchführbar sein, keinesfalls jedoch am flachen 
Lande oder gar in Gebirgsgegenden, z. B. insbesondere in 
Tirol oder Kärnten, Krain u. s. w. 

Woher soll der Arzt am Lande die physische Zeit her¬ 
nehmen, eine außer seinem Standorte wohnende kranke Wöch- 


‘) Ehbendorfek : Ein Mittel zur Verhütung des Puerperalfiebers. „ Wr. 
klin. Wochenschrift“, 1888, Nr. 16. 


nerin 1-, 2-, 3 mal täglich auszuspritzen? Er erübrigt ja sehr 
oft nicht einmal die genügende Zeit zum einmaligen täglichen 
Besuche; soll also eine solche Wöchnerin, immerhin die 
heilbringende Noth Wendigkeit einer Ausspritzung vorausgesetzt, 
tagelang gar nicht ausgespritzt werden? Ehrendorfer hilft 
sich in solchen Fällen durch leihweise Ueberlassung eines 
reinen Mutterrohres an die Hebamme; — natürlich beim 
weiteren Gebrauche eines geliehenen Mutterrohres durch 
eine unreine, auch dann diesbezüglich ungeübte Hebamme kann 
keine Iufection eintreten! 

Was soll die Hebamme überhaupt, und die Landhebamme 
insbesondere, ohne Mutterrohr bei heftigen Blutungen thun, 
wenn ein Arzt absolut nicht, oder wenigstens nicht zu rechter 
Zeit zu erlangen ist? -- Die Thatsache, daß im äußersten 
Falle zweckmäßig ausgeführte intrauterine kalte oder heiße 
Injectionen von überraschendem Erfolge begleitet sind, steht 
wohl unangefochten da, und nun soll der Besitz des Instru¬ 
mentes zur Anwendung eines solchen lebensrettenden Ein¬ 
griffes, i. e. der Gebrauch des Mutterrohres, verboten sein oder 
werden, ja gar nicht gelehrt werden? Ehrendorfer leugnet 
derartige dringliche Blutungsfälle, behauptend, es sei stets 
möglich, einen Arzt rechtzeitig (sic!) zu rufen. 

Die Hebammen existiren einmal und sind ein nicht ab¬ 
zuleugnender, für den Sanitätsdienst wichtiger Factor, dessen 
man bei den jetzigen Verhältnissen überhaupt und bei der 
dermaligen allgemeinen Volksbildung insbesondere nicht ent¬ 
behren kann. Wir geplagten Hebammenlehrer kennen den 
Werth der Hebammen am besten; ich genieße heuer das be¬ 
sondere Vergnügen, bereits den 64. Hebammenlehrcurs durch¬ 
zumachen! Welche Frauen widmen sich diesem schwierigen 
Berufsstande ? Durchweg arme Frauen, um sich dadurch einen 
Nebenverdienst zu verschaffen, aus wirklicher Neigung nicht 
2—3°/o; vom Lande werden die ärmsten Bäuerinnen zum 
Hebammen lernen beredet, und zwar nur durch Verleihung 
von Staatsstipendien; unter circa 20 Schülerinnen alljährlich 
haben hierzulande 12 solche Stipendien, denn es kann ja über¬ 
haupt mit 25—30, höchstens 50 Gulden Jahresremuneration 
nur eine einheimische, dort ohnehin domicilirende Hebamme 
in einem Dorfe leben, nebenbei geburtshilfliche Praxis und 
diese in 90°, 0 unentgeltlich ausübend. 

Wie steht es mit der geistigen Tauglichkeit der meisten 
Hebammoncandidatinnen ? 

Gewöhnlich haben sie mindestens das 30. Lebensjahr 
überschritten und außer ihrem Gebetbuche niemals ein 
anderes Buch gelesen, es ist daher schon ein Wunder, wenn 
eine bäuerische Candidatin geläufig lesen kann. Die in neuerer 
Zeit geforderte sogenannte Kenntniß des Schreibens besteht 
darin, daß eine solche Person in der Regel zum unortho¬ 
graphischesten Einträgen einer Geburt in die vorgeschriebenen 
Tabellen stundenlang braucht, von dem Wie des Eingetragenen 
gar nicht zu reden! 2 ) 

Die Hebamnienlehreurse dauern bei uns in Oesterreich 
verschieden lang, in Prag z. B. nur 4 Monate, meistens 
5 Monate, jedoch auch G Monate. Ein Monat vergeht, bis die 
Candidatin das Gelesene im Lehrbuche nicht mehr mechanisch 
liest, ein zweiter Monat, bis ihr die technischen Ausdrücke 
mundgerecht verständlich werden, und in weiteren 2—3 Mo¬ 
naten soll sie schon fix und fertig so dastehen, daß man ihr 
das Leben von Müttern und Kindern anvertrauen kann ! 

Die Krainerinnen sind fürwahr von Haus aus intelligent, 
und es ist stets eine Freude für mich, wie richtig selbe g^gen 
den Schluß des ömonatlichen Lehreurses zu antworten be¬ 
ginnen, nachdem ihnen, wie man zu sagen pflegt, der Knopf 
aufgeht und sich allmälig eine Neigung zum Gegenstände in 
ihnen entwickelt; siehe da! — statt nun auf dieser Basis 
erst recht vortheilhaft weiterbauen zu können — werden 
sie mit dieser aufdämmernden fachlichen Bildung als voll- 


*) Thatsächlich sollten die liierländigen Hebaiumen-Schülerinnea einen 
Vorcnrs im Lesen nnd Schreiben nehmen müssen. 


1 * 


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167 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


168 


kommen ausgebildete Hebammen (sic!) zur Ausübung der 
Praxis entlassen! Was für Krain zutrifft, dürfte im großen 
Ganzen allüberall auch für die übrigen Hebammenschulen in 
Oesterreich-Ungarn zutreffen, wozu noch der immer greller zu 
Tage tretende Uebelstand kommt, daß seit Aufhebung der 
Findelanstalten das praktische Lehrmaterial, i. e. die Geburten¬ 
anzahl, colossal abgenommen hat und noch abnimmt; an meiner 
Anstalt kommen in den Winterlehrcursen kaum 5 Geburten 
auf eine Candidatin. 

Nicht im Verbieten des Gebrauches an und für sich 
zweckmäßiger Instrumente, z. B. des Mutterrohres, von Seite 
der Hebammen, weil dieselben möglicherweise Schaden an- 
richten können, sondern imGegentheil, im richtigen, zweck¬ 
dienlichen, vor Allem praktischen Erlernen der 
Hebammenkunst liegt das Heil — das an zu stre¬ 
bende Endresultat der Hebammenschulen! 

Wenn man den bisherigen Grad der Ausbildung der 
Hebammen nicht ausgiebig bessert, dann würde ich eher sogar 
weiter gehen und statt für das unlogische Verbieten einzelner 
Handlungen von Seite derselben, am einfachsten und sichersten 
für die gänzliche Aufhebung der jetzigen Heb¬ 
ammenlehranstalten plaidiren, nur die Ausbildung 
sogenannter Wickelfrauen mit einem sehr beschränkten Wir¬ 
kungskreise befürwortend. Da jedoch diese utopische Ma߬ 
regel schon einfach ob des ohnehin herrschenden Mangels an 
Landärzten nicht ausführbar ist, so bleibt uns schließlich doch 
nicht Anderes übrig, als ohne Rast und Ruhe energisch auf 
einen einheitlichen, den Anforderungen der Antiseptik 
anpassenden Hebammenunterricht zu dringen, i. e. durch 
eine Enquete die Hebammenlehranstalten ehethunlichst zweck¬ 
dienlicher zu gestalten und wirklich brauchbare theoretisch¬ 
praktische Hebammen heranzubilden. 

In dieser Richtung wäre in erster Linie der Hebammen¬ 
unterricht in- und extensiv radical umzuwandeln, vor Allem 
müßten die Lehrcurse auf mindestens 10 Monate 
verlängert und sogenannte periodischeUeberprüfungen 
der prakticirenden Hebammen eingeführt werden, dann 
wird das Mutterrohr in den Händen der Hebamme sicherlich 
keinen Schaden verursachen, sondern nur Nutzen bringen. 

Bis dieses Utopien derartiger Lehranstalten erreicht 
werden wird, dürfte immerhin noch einiges Wasser in’s Meer 
fließen, bis dahin heißt es mit dem Gegebenen rechnen, und 
nicht mit solchen Anträgen, so zu sagen „das Kind mit denn 
Bade ausgießen“. 

Ist eine Hebamme im wahren Sinne des Wortes reinlich, 
dann wird eine solche auch ihr Mutterrohr reinlich halten, 
wenn dasselbe noch überhaupt aseptisch rein zu halten ist; 
da liegt des Pudels Kern, es ist dies nämlich leider bei den 
bisher meistens in Gebrauch stehenden Mutterrohren, insbe¬ 
sondere bei den elastischen, nicht absolut möglich; selbe werden 
sowohl durch den Gebrauch allein, als auch durch das exacte 
Reinigen mit Carbolwasser in Bälde rauh und dadurch wahre 
Infectionsträger, somit wäre nicht der Gebrauch von Mutter¬ 
rohren überhaupt zu verbieten, sondern nur der Gebrauch von 
leicht untauglich werdenden, und ich würde den Antrag 
stellen, daß geeigneten Ortes, z. B. durch den obersten Sanitäts¬ 
rath, beantragt werden möge, „den Hebammen ist nur 
der Gebrauch von vorgeschriebenen gläsernen 
Mutterrohren gestattet“. 

Solche gläserne Mutterrohre müßten nämlich solid im 
Fleische sein und dürften, um leicht und exact gereinigt werden 
zu können, nur am Ende eine Oeffnung haben. 

Wenn man den Gebrauch der Mutterrohre als Infections¬ 
träger den Hebammen verbietet, dann wäre es naturgemäßer, 
denselben überhaupt die geburtshilfliche innere Untersuchung 
zu untersagen, denn eine unreinliche Hebamme bringt zweifel¬ 
los häufiger mit ihren schmierigen Händen, als durch das 
Mutterrohr jede sich ihr anvertrauende Gebärende in Gefahr 
— — daher die Hauptsache ist und bleibt, mit thunlichster 
Strenge durch die Amtsärzte darauf zu sehen, daß die Heb¬ 


ammen sich in jeder Beziehung der größten Reinlichkeit be¬ 
fleißen, und daß ihnen nach Bedarf auf öffentliche Kosten das 
Desinfectionsmaterial für die Praxis beigestellt werde 3 ), nicht 
aber wegen einzelner unreinlicher Hebammen allen übrigen 
den Gebrauch eines so segensreichen Instrumentes, nämlich 
des Mutterrohres, zu verbieten. 

In der ganzen Frage handelt es sich, meines Erachtens 
nochmals gesagt, um eine ungerechtfertigte Einschränkung 
der Wirksamkeit der Hebammen, welche sehr bedauerlich 
wäre im Interesse der Gebärenden — per parenthesim müßte 
auch logisch der Gebrauch des Katheters verboten werden 
u. s. f. Nicht einschränken soll man unter den jetzigen Ver¬ 
hältnissen die Thätigkeit der Hebammen, sondern dieselben 
durch einen ausgiebigeren Unterricht zu wirklich brauchbaren 
Sanitätspersonen heranbilden, und auf daß sich auch Frauen 
besseren Bildungsgrades diesem Stande widmen möchten, 
sollte staatlich für eine bessere Existenz der Hebammen ge¬ 
sorgt werden; die dermalen gebräuchliche staatliche sowohl, als 
private Entlohnung der Hebammendienste ist derartig, daß 
man sich höchlich wundern muß, daß es noch überhaupt Heb¬ 
ammen gibt! 


Ueber die Principien der Therapie der 
Herzkrankheiten. 

Von Prof. Dr. R. v. Basch in Wien. 

(Schluß.) 

Anders ist es bei den Insufficienzen, die mit Hyperkinese 
verbunden sind. Da arbeitet das insufficiente Herz unter 
hohem Druck, dem entsprechend ist der intrakardiale Druck 
sehr erhöht, und da kann es leicht Vorkommen, daß Digitalis 
eher ungünstig wirkt, weil es eben den intrakardialen Druck 
noch steigert und die Insufficienz, die sie beheben soll, gerade 
deshalb vermehrt. Es kann die Digitalis hier ähnlich wirken, 
wie die Ueberanstrengung durch körperliche Arbeit, die, wie 
es scheint, auch auf dem Wege der Steigerung des intra- 
cardialen Druckes eine Ueberdehnung des Herzens und als 
deren Folge eine Insufficienz herbeiführt. 

Es kann aber auch die ungünstige Wirkung der Digitalis 
bei solchen Fällen eine nur scheinbare sein, sie kann darauf 
beruhen, daß hyperkinetische Herzen, und dazu gehört auch 
die Aorteninsufficienz, dann, wenn sie insuffieient werden, 
schon anatomisch, d. i. in ihrem Gefüge hochgradig verändert 
sind, und daß sie deshalb ihre Reaetionsfähigkeit eingebüßt 
haben. 

Hieraus würde sich der sehr wichtige Satz ergeben, daß 
die Reactionslosigkeit des Herzens nicht immer mit der Stärke 
der Symptome wächst. Es gibt Herzen, die bei stärkster 
Dyspnoe und starkem Oedem verhältnißmäßig günstig auf die 
directe Behandlung reagiren. während umgekehrt bei schwacher 
Dyspnoe und schwachem Hydrops das Herz bei der Behandlung 
reactionslos erscheint. 

Als Regel für die Behandlung der hyperkinetischen 
Formen der Insufficienz möchte ich Folgendes aufstellen: Man 
reiche nicht Digitalis bei hohem steigenden, sondern bei 
hohem sinkenden Drucke und deutlicher Schwellung der 
Halsvenen. Die Regel, Digitalis nur bei hohem sinkenden 
Arteriendrucke zu reichen, deckt sich mit der von Traube 
besonders betonten Verordnung, dem Gebrauche von Digitalis 
Purgantien vorhergehen zu lassen. Bezüglich der Schwellung 
der Halsvenen möchte ich per parenthesin bemerken, daß man 
dieselbe nicht nothwendiger Weise auf eine Insufficienz des 
rechten Ventrikels beziehen muß, sondern daß dieselbe nament¬ 
lich dort, wo hochgradige Dyspnoe vorhanden ist, und wo 
die Untersuchung eine deutliche Vergrößerung der Lunge, 

a ) Valenta: Wie soll an den Hebammenschulen die Antiseptik gelehrt 
und deren Anwendung in der Praxis gefördert werden! 1 „Centralblatt für 
Gynäkologie“, 1888, Nr. 48. 


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169 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


Herabrücken der Leber constatirt, mit der Steigung des intra- 
thoracalen Druckes in Folge der Lungenschwellung Zusammen¬ 
hängen dürfte. 

Als Beweis, daß die Digitalis gewirkt hat, wird man 
in solchen Fällen mit der Abnahme der Dyspnoe auch ein 
Abschwellen der Venen beobachten. 

Ich kann die Herzmittel nicht verlassen, ohne mit einigen 
Worten des Morphiums zu gedenken. Die Erfahrung lehrt, 
daß Morphium gerade in den hyperkinetischen Fällen der In- 
sufficienz von wohlthätiger Wirkung begleitet ist. Es hilft die 
asthmatischen Anfälle, die besonders hier sehr oft auftreten, 
beseitigen, vermindert die Athemnoth und schafft dem Kranken 
eine erträgliche Existenz. Worauf die Wirkung des Morphiums 
beruht, läßt sich nach unseren bisherigen Kenntnissen nicht 
mit Bestimmtheit sagen. Nur so viel läßt sich meiner Meinung 
nach annehmen, daß die Wirkung aufs Herz wohl nicht 
identisch ist mit seiner narcotisirenden Wirkung, d. i. seiner 
Wirkung auf die Respirationscentra, wie Traube glaubte, 
aussprechen zu dürfen; es ist auch nicht als eigentliches 
Herzmittel in dem Sinne wie Digitalis, Strophantus aufzu¬ 
fassen. Wenn ich aber von den in meinem Laboratorium ge¬ 
machten Erfahrungen ausgehe, daß Morphium im Stande ist, 
den durch Muscarin geschaffenen spastischen Zustand des 
Herzens zu beseitigen, so will mir die Annahme als berech¬ 
tigt erscheinen, daß das Morphium vielleicht begünstigend auf 
die Diastole einwirke und in diesem Sinne die Insufficienz 
der hyperkinetischen Herzen, die vielleicht auf einer mangeln¬ 
den Erweiterungsfähigkeit derselben beruht, günstig beein¬ 
flußt. Ob diese Hypothese richtig ist, werden die weiteren 
klinischen Untersuchungen und der Versuch erweisen müssen. 

Zum Schlüsse meiner Betrachtungen, die ich durchaus 
nicht als Vollkommen hinstelle, will ich noch die indirecte 
Behandlung der Insufficienzen in Kürze besprechen. 

Die Methode der indirecten Behandlung trennt sich in 
zwei Theile. Den einen Theil bildet die diätetische, den 
anderen die mechanische. 

Die diätetische Methode dient zumeist dem Zwecke, der 
auf Fettanhäufung beruhenden Vermehrung des Körper¬ 
gewichtes entgegenzutreten. Der Vortheil, der durch Ver¬ 
minderung des Körpergewichtes indirect dem Herzen erwächst, 
ist so klar und einleuchtend, die Principien der Methode der 
Entfettung so bekannt, daß ich es für vollständig überflüssig 
halte, hier über dieselbe zu sprechen. 

Ich möchte nur erwähnen, daß meiner Meinung nach die 
Trinkeuren sowohl, als die reciproque Methode der Trink- 
curen, die Flüssigkeitsentziehung, einen Bestandtheil der diäte¬ 
tischen Cur ausmachen. 

Von der ersteren scheint mir dies sichergestellt. Was 
aber die Flüssigkeitsentziehungscur betrifft, so muß zunächst 
betont werden, daß man sich deren Wirkung unmöglich so 
vorstellen kann, wie Oertel sich dieselbe vorstellte, denn die 
Entlastung des rechten Herzens .spielt keine Rolle bei der 
Dyspnoe, die Vermehrung der Blutmenge macht keine venöse 
Stauung und endlich ist, wie v. Bambkrger und Lichtheim 
nachgewiesen haben, die Blutmenge bei Herzfehlern überhaupt 
nicht vermehrt. Deshalb bleibt nichts Anderes übrig, als der 
Flüssigkeitsentziehung einen diätetischen Werth zuzuschreiben; 
welchen, das ist vorläufig nicht mit Bestimmtheit zu sagen, 
und auf Hypothesen habe ich keine Veranlassung, mich 
da einzulassen, wo es sich um die Meinung eines Anderen 
handelt. 

Daß der Körperbewegung bei der Behandlung der Herz¬ 
erkrankungen eine wichtige Rolle zufällt, weiß man schon 
lange, jedenfalls viele Jahre, ehe Oertel hierauf die Auf¬ 
merksamkeit lenkte. 

Die günstige Beeinflussung der Insufficienz des Herzens 
durch die Körperbewegung ist aber in anderen als den von 
Oertel aufgestellten Gründen zu suchen. Auf einige derselben 
habe ich bereits aufmerksam gemacht, und zwar auf den ver¬ 
mehrte Arbeitsleistung des Herzens als Folge der Steigerung 


170 


des Blutdruckes und auf die bessere Durchfluthung des Her¬ 
zens oder, was dasselbe sagen will, auf die bessere Ernährung 
des Herzens. 

Damit das Herz besser ernährt werde, ist es aber nicht 
allein wichtig, daß das Nährmaterial reichlich, sondern auch, 
daß es von guter Beschaffenheit sei, und es scheint, als ob 
die Annahme, daß die Bewegung auch die Beschaffenheit dos 
Blutes verbessere, nicht ganz der Begründung entbehren 
würde. Wird nämlich jenes Maß der Körperbewegung geübt, 
das nach der Untersuchung von Zünt/. und Geppekt dazu 
führt, daß das Blut einen Ueberschuß von O erhält, d. i. er¬ 
scheint mit der Körperbewegung jener Athmungsmodus, den 
man mit Unrecht als einen dyspnoischen bezeichnet, und 
für den ich den Ausdruck Hyperpnoe vorgeschlagen habe, 
dann resultirt hieraus unstreitig eine Verbesserung der Blut¬ 
qualität, und wenn man bedenkt, wie schädlich bekannter¬ 
maßen eine Verschlechterung der Blutqualität das Herzfleisch 
und die nervösen Centra des Herzens beeinflußt, so läßt sich 
auch der Gedanke nicht zurück weisen, daß eine Verbesserung 
der Blutqualität der Erregbarkeit und Arbeitsfähigkeit des 
Herzens zu Gute kommen dürfte. 

In Verfolgung dieser Betrachtung kommt man aber zu 
der weiteren Ueberlegung, daß die Körperbewegung, die unter 
Umständen wohlthätig wirkt, so wie sie ein gewisses Maß 
überschreitet, großen Schaden stiften kann. 

Die Körperbewegung ist also unter Umständen eine sehr 
gefährliche Waffe, mit der man sehr vorsichtig umgehen muß. 

Daß es Einem nie beifallen darf, Fälle von Insufficienz, 
die auf Ueberanstrengung zurückzuführen sind, mit Körper¬ 
bewegung zu behandeln, sieht wohl Jeder ein. 

Besondere Vorsicht ist dort geboten, wo es sich um 
hyperkinetische Formen der Insufficienz handelt, und die 
besten Erfolge werden wohl dort anzutreffen sein, wo man 
hypokinetische Formen vor sich hat. 

Wahrscheinlich kommen hier noch andere Ursachen in 
Betracht, wie Uebung, Stärkung der Athemmunculatur, Ver¬ 
minderung der Erregbarkeit des Athmungs- und Gefä߬ 
centrums etc., doch will ich keine Wanderung in das weite 
Reich der Hypothesen unternehmen und meine Betrachtung 
über die Principien der Behandlung der Herzkrankheiten 
schließen. 

Ich werde mich vollständig zufrieden geben, wenn Sie 
aus derselben die Ueberzeugung geschöpft haben, daß die Lehre 
von den Herzkrankheiten mit der anatomischen Diagnostik 
nicht abgeschlossen betrachtet werden darf. Was einer weiteren 
Fortbildung bedarf, ist die functioneile Diagnostik, deren 
Förderung von der genauen klinischen Beobachtung, vom thera¬ 
peutischen Experimente und von dem Experimente am Thiere zu 
erwarten ist. Wir dürfen deshalb aber unsere therapeutischen 
Hoffnungen nicht zu hoch spannen, und müssen uns gegen¬ 
wärtig halten, daß die Grenze, über die wir nie hinüberkommen, 
die anatomische Läsion ist. Nichtsdestoweniger wollen wir 
uns damit zufrieden geben, wenn es im Laufe der Zeiten ge¬ 
lingt, die Vorgänge bei Kreislaufsstörungen auch ohne elek¬ 
trische Durchleuchtung unserem geistigen Auge, unserem Ver¬ 
ständnisse klar und durchsichtig vorzuführen. 


Referate und literarische Anzeigen. 


Alex. Jassinowsky (Odessa): Die Arterienn&ht. 

Verf., ein Schüler der Wiener Schule, hat im Laboratorium 
Alex. Schmidt’s in Dorpat unter Leitung des Doc. Dr. v. Zoege- 
Manteuffel eine Reihe von Thierexperimenten über das über- 
schriebene Thema ausgeführt, deren Resultate er in einer soeben 
erschienenen Inaugural-Dissertation niederlegt. 

Seine Untersuchungen stellte er vorwiegend an Pferden, 
Kälbern und Hunden an. Unter streng antiseptischen Cautelen 
wurde das zu untersuchende Gefäßsttick mittelst einer einfachen 
schieberartigen Vorrichtung abgeklemmt, die Arterienwand an der 


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Nahtstelle bloßgelegt und die Gpfäßscheide zurückgoschoben. Als 
Nähmaterial wurde ausschließlich Seide gebraucht. Die Nähte wurden 
blos durch die Adventitia und Media geführt, die Fäden wurden 
durch einen eiufachen Doppelknoten geknüpft und alle Fadenenden 
auf einmal abgeschnitten. Bei Abnahme der Klemme wurde gleich¬ 
zeitig die Gefäßwand comprimirt, hierauf wurden die Gefäßscheiden, 
die Fa'cien und die Haut mittelst Knopfnähten vereinigt und die 
ganze Wunde mit Photoxylin Uberstrichen. In keinem Falle trat 
eine Nachblutung aus der genähten Arterie auf. Der Heilungs¬ 
vorgang entspricht ziemlich genau den bis jetzt über die Verheilung 
von Arterienwunden gemachten Erfahrungen. 

Eine exact genähte Arterienwunde stellt sich, vom Lumen aus 
gesehen, als ein Riß in der Intima dar, der sich mit Blutelementen 
füllt, welche einen minimalen wandständigen Thrombus bilden, der 
die Rinnen in der Intima vollständig ausfüllt. Im späteren Verlaufe 
sieht man am Querschnitte die Rinne in der Intima als einen trichter¬ 
förmigen Raum, der mit einer homogenen körnigen Masse ausgefüllt 
ist. Die Endothclien sind stark gewuchert und verdrängen allmälig 
die in regressiver Metamorphose befindlichen Blutelemente. Nach 
einem längeren Zeitraum ist an der Nahtstelle eine mächtige Ver¬ 
dickung der Adventitia zu finden. An der Innenfläche befindet 
sich auf der Nahtstelle eine derbe, sehnige, glänzende Verdickung. 
Die Gefäßnarbe ist an älteren Präparaten sehr fest und unnach¬ 
giebig. Es fehlt zwar an der Nahtstelle die Membrana elastica, 
aber die eDormo Verdickung der Intima, die mächtige Media mit 
ncugcbildeten Muskelfasern und elastischen Elementen, sowie die 
stark bindegewebige Verdickung der Adventitia und der umgebenden 
Gewebe verleihen der Arterie genügenden Widerstand gegenüber 
dem Arterienblutdruck und vermögen einer Aneurysmabildung vor¬ 
zubeugen. 

Die Arteriennaht ist nach Verf. angezeigt: bei frischen, reinen 
Längs-Schräg-Lappen- und nur bis zur Hälfte die Circumferenz um¬ 
fassenden Querwunden der großen Gefäßstümme. Sie kann nur in 
den Fällen ausgeführt worden, wo man den antiseptischen Verlauf 
garantiren kann. Contraindicirt ist selbstverständlich die Naht bei 
tiefer verborgener Lago des Gefäßes, wo dann die technische 
Schwierigkeit der Naht unüberwindlich wird. Am günstigsten liegen 
also die Verhältnisse, wenn eine Arterienverletzung möglichst früh 
zur Behandlung kommt. Zur sicheren und möglichst frühzeitigen 
Erkennung solcher partieller Arterien Verletzungen empfiehlt Verf. 
die Heranziehung des von Wahl entdeckten Phänomens. W. hat 
nämlich gezeigt, daß bei allen partiellen Arterienverlotzungen, wenn 
nur die Continuität des Blutstromes nicht unterbrochen ist, constant 
ein hauchendes oder schabendes systolisches Geräusch im verletzten 
Gefäßrohr zu hören und ein Schwirren dabei zu fühlen sei. S. 


G. Klemperer (Berlin): Ueber die Anwendung der Milch 
zur Diagnostik der Magenkrankheiten. 

Die Kenntniß der mechanischen Leistung des Magens, sowie 
die Beschaffenheit der Secretionsthätigkeit desselben bieten uns un¬ 
erläßliche Anhaltspunkte für die Beurtheilung der Magenerkrankungen. 
Wir beurtheilen bekanntlich die Functionen des Magens nach dem 
ausgeheberten Inhalte desselben und nach den Veränderungen, die 
wir an der zu diagnostischen Zwecken verabreichten Probemahlzeit 
nachweisen können. Die 2 Methoden, die nach dieser Richtung von 
Leuije und v. Ewald angegeben wurden, haben sich bisher in 
der Regel als verwerthbar erwiesen. Klemperer findet jedoch, 
daß keine der beiden Probemablzeiten den an sie gestellten Aufor¬ 
derungen vollkommen genügen könne, und empfiehlt im I. Bande j 
der von Leyden herausgegebenen „Arbeiten aus der medicinischen ! 
Klinik zu Berlin (1888—89) u ein neues Verfahren zur Beurtheilung ^ 
der motorischen Secretionsthätigkeit des Magens. 

Das EwALD’sche Probefrühstück besteht aus Semmeln und 1 
Thee, und da es sehr wenig voluminös ist, stellt es an die 
mechanische Leistung des Magens sehr geringe Anforderungen und 
gestattet daher nach dieser Richtung keinen sicheren Einblick. Die 
LEUBE’sche Mahlzeit, welche namentlich von Riegel warm empfohlen 
wird, dehnt die ganze Untersuchung auf eine zu lange Zeit aus und 
läßt schwer ihre Ueberreste vollständig zurückgewinnen. I 


Deshalb empfiehlt Klemperer eine Probemahlzeit, bestehend 
aus 1 / a Liter Milch und 2 Weißbrödchen im Gewichte von 70 Grm. ; 
der Mageninhalt wird hierauf 2 Stunden nach dem Essen mit einer 
kleinen Saugflasche aspirirt. Aber auch bei dem Milchprobefrühstück 
wird die Beurtheilung des Salzsäuregehaltes mittelst der Farben- 
reactionen durch das Vorhandensein von Eiweißkörpern und organi¬ 
schen Basen erschwert. Doch bietet die Biuretreaction einen ge¬ 
nügenden Anhaltspunkt, um zu entscheiden, ob freie Salzsäure vor¬ 
liegt. Wenn die Probe auf Pepton entscheidend ausfällt, dann können 
wir sicher sein, daß genug freie Salzsäure eingewirkt hat, auch 
wenn sie schließlich gebunden worden ist. Aach die Milchsäure- 
reaction wird hier nach Uffelmann in sicherer Weise angestollt. 

Dieses Verfahren hat nun Verf. beim gesunden und kranken 
Magen erprobt und empfiehlt dasselbe zur Anwendung in der Dia¬ 
gnostik der Magenerkrankungen. G. 


Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

Ref.: Dr. H. Lohnstein , Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Zuelzer zu Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Zur AetiologiederStricturen liefert Fenwick (26) werth¬ 
volle Beiträge. Die Entstehung derselben erfolgt durch das plastische 
Exsudat, welches aus den Drüseu und Schleimhautläsionen abge¬ 
sondert wird. Wesentlich ist hiebei die Verunreinigung der Harn¬ 
röhrenläsion durch den Harn. Kann dieselbe durch Ausführung der 
Sectio perinealis verhindert worden, so würde man nach Ansicht des 
Verf. auch etwa in der Hälfte aller Fälle die Bildung einer' Strictur 
verhüten köuucn. 

Nach Gross (27) bildet die Masturbation ein wesentliches 
ätiologisches Moment für die Genese der Harnröhrenstricturen. Unter 
331 Masturbanten litten 291 (= 88° '„) an Strictur. Unter 82 dieser 
Stricturen saßen 65 am Orificium cutancum und 13 am Bulbus 
urethrao. Meist handelte es sich indessen nicht um enge Stricturen. 
Im Gegensatz zu Verf. leugnet Haurison die Bedeutung der Mastur¬ 
bation für die Entstehung der Stricturen. Letztere können nur im An¬ 
schluß an wirkliche Läsionen der Schleimhaut entstehen. WEISS will dem 
gegenüber sogar in ganz normaler Harnröhre Stricturen beobachtet 
haben. Gross erwidort, daß durch die Masturbation eine chronische 
Hyperämie entstehe, welche geeignot sei, organische Veränderungen 
des Gewebes zu veranlassen. Einen für die Actiologie der Strictur 
bemerkenswerthen Fall von Fissura ani erwähnt Bangs (28). Hier 
verschwand die (spastische) Strictur unmittelbar nach der Beseitigung 
der Fissur. Aus seinen reichen Erfahrungen theilt Fenwick (29) 
Beobachtungen über 550 Fälle von Harnröhrenstrictur mit. Die 
abweichende Beurtheilung der Stricturen erklärt sich aus der Ver¬ 
schiedenheit des Materials, wie es Leiter von Privatkliniken, Poli¬ 
kliniken und öffentlichen Krankenhäusern zu bearbeiten haben. 
Letztere beobachten gewöhnlich schwerere Fälle, zumal bei Personen 
niederer Stände, die erst dann in Behandlung sich begeben, wenn 
sie durch ihr Leiden arbeitsunfähig werden. Besser situirte Patienten 
dagegen suchen gewöhnlich schon in früheren Krankheitsphasen die 
Hilfe des Arztes. Am häufigsten saßen die Stricturen etwa 12 Cm. 
vom Orificium cutaneum entfernt. In 66 °/ 0 beobachtete man in der 
Harnröhre nur je eine, in 34°/ 0 mehrere Verengerungen in einer 
Harnröhre. Um impermeable Stricturen handelte es sich in 2 der beob¬ 
achteten Fälle. Was die Behandlung anbetrifft, so hat sich dem 
Verf. die Elektrolyse nur in frischen Fällen bewährt. In 10% 
der behandelten Fälle führte man die interne Urethrotomie (1 Todes¬ 
fall), in 73°/ 0 die langsame Dilatation, in 15% die schnelle 
Dilatation der Urethralstrictur aus. Schüttelfröste wurden in 40% (!) 
nach Ausführung der internen Urethrotomie und in 15% nach 
Dilatation der Urethra beobachtet. 


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Unter den einzelnen Folgeerscheinungen der Stricturon ist die 
Erscheinung der Unfähigkeit, den Harn vollständig zu entleeren, am 
eclatantesten. Nach Fenwick (30) findet sich der rückständige 
Harn in 93°/ 0 aller beobachteten Fälle meist in wechselnder Menge. 
Dieser Residualharn war in seiner Quantität im Allgemeinen propor¬ 
tional der Intensität der Strictur. In leichteren Fällen ist durch syste¬ 
matische Entleerung der Blase das Uebel wirksam zu bekämpfen. 

Was dieBehandlung der Stricturen anlangt, sind besonders 
über die Elektrolyse der Verengerungen viel neue Erfahrungen ge¬ 
sammelt, die indeß meist zu Ungunston der Methode ausgefallen 
sind. Erwähnenswerth sind die Arbeiten von Keyes (31), der 
durch schwache Ströme überhaupt keine, durch stärkere hingegen 
destructive Wirkungen beobachtet hat. Thomas (32) berichtet über 
einen Fall, der sich nach der Anwendung der Elektrolyse wesentlich 
verschlimmerte, und Ady (33) beobachtete sogar einen Todesfall 
nach Elektrolyse der Urethra. Dafür hat sich neuerdings 
Burchard (34) ausgesprochen, der zu folgenden Schlußfolgerungen 
gelangt: Die Methode ist in jedem Falle von Harnröhrenstrictur 
indicirt, denn: 1. Sie ist an jedem Punkte der Harnröhre ausführbar. 
2. Mittelst derselben kann man jede Strictur passiren. 3. Sie be 
reitet weder Schmerzen, noch Blutung. 4. Richtig ausgeführt, ver¬ 
ursacht Bie auch keinerlei locale Läsionen. 5. Sio ist ebenso wirk¬ 
sam wie ; irgend eine schneidende oder zerrende Operation. Auch 
die von J. A. Fort (35) mittelst des von ihm construirten Urethro- 
elektrolyseurs ansgeführte Erweiterung der Harnröhre soll nach 
Angabe des -Erfinders sogar in schweren Fällen wirksam sein. 
U. A. berichtet Fort über eine Serie von 6 Patienten (darunter 
3 Aerzten), die nach 2—3 Sitzungen von ihren Stricturen befreit 
wurden. Indeß sind sowohl die in den Londoner, wie in den 
Pariser Krankenhäusern mit dem Instrument angestellten Versuche 
zu seinen Ungunsten ausgefallen. 

Gardner (36) behandelt die Stricturen der Pars pendula 
mittelst fester Sonden und massirt, während die Sonde liegt, von 
außen die Strictur. In der Pars membranacea läßt sich das Ver¬ 
fahren nicht ausführen. Von Operationen bevorzugt er die externe 
Urethrotomie. Für interne Urethrotomie plaidirt Bruce Clarke (37). 
Bei Beobachtung strengster Antisepsis (mehrfaches Ausspülen der 
Harnröhre mittelst 1 : 3000 Sublimatlösungen) ist dies letztere 
Verfahren nach Verf. gefahrlos. Daß trotzdem Unglücksfälle nicht 
vermieden werden können, lehren 2 Beobachtungen Henry HunRich’s 
(38), bei denen nach der inneren Durchschneidung einer in der 
Pars membranacea urethrae liegende^ Strictur Tpd in Folge von 
Hämorrhagie erfolgte. In beiden Fällen handelte es sich um Ver¬ 
letzung des Plexus Santorini. 

Mayo Robson (39) endlich befürwortet schnelle Dilatation 
mittelst eingeführter Sonden in einer Sitzung. Angeblich gute Erfolge. 

Zur Verhütung von Stricturen in Folge traumatischer Harn 
röhrenaffectionen schlägt Meusel (39a) ebenso wie Woelfler vor, 
durch Ueberpflanzung des inneren Präputialblattes auf die zerrissene 
Partie der Harnröhre genügende Weite des Harnröhrenlumens zu 
erzielen. In einem Falle, in welchem bei einem 8jährigen Knaben nach 
Harnröhrenzerreißung eine impermeable Strictur entstanden war, hat sich 
dip Methode nach einer mißglückten Urethrotomia externa gut bewährt. 

Socin (40) erreicht gleich gute Resultate durch einfaches 
Nähen der zerrissenen Harnröhre. 

Ueber Prolaps der Harnröbrenschleimhaut beim weiblichen 
Geschlechte liegen eine Reihe von Arbeiten ^ or : 

Francis Villars (41) berichtet über die Pathogenese des H a r n- 
röhrenprolaps beim Weibe. Sie wird begünstigt durch das 
lockere Gefüge der Harnröhrenschleimhaut. Häufiger im jugendlichen, 
als im späteren Lebensalter vorkommend, erzeugt sie Incontinentia 
urinae, in anderen Fällen aber Dysurie. Zuweilen beobachtete man 
sie bei Lithiasis, sowie bei Masturbanten Ihre Behandlung besteht 
in Application von adstringirenden Medicamenten; sind dieselben 
nutzlos, so wird der Prolaps abgetragen und die Wunde eventuell 
genäht. In einem Falle Moraud’s und Richard’s (42) erfolgte 
Heilung, nachdem der abgebundene Prolaps abgestorben war. In 
einer Beobachtung Hermann’s (43,', in welcher der Vorfall auf 
einen heftigen Hustenstoß zurückgeführt wurde, genas die Patientin 
nach Cauterisation des Prolapses. , 


Bockhard (44) berichtet über nichtgonorrhoische, infectiöse 
Urethritiden; dieselben sind gleichfalls durch Vermittlung des Coitus 
entstanden, Heilung nach 5 —10 Tagen. Das Secret ist dünnflüssiger 
wie beim echten Tripper. Von Coccen fanden sich Staphylococcen. 
Der NEiSäER’sche Gonococcus wurde regelmäßig vermißt. 

Die Untersuchungen PniLip’s (45) ergeben eine geringe Ab¬ 
sorptionskraft der Urethra für injicirte Lösungen, geringer als die 
der Blase, welche ihrerseits am geeignetsten für Resorption von 
differenten Stoffen im Zustande der Dilatation sein soll. 

Dem scheint jedoch ein von Sims (46) beobachteter Fall von 
CocaYnintoxication mit tödtlichem Ausgange zu widersprechen. Der 
Tod konnte hier nur durch Resorption des CocaYns erklärt werden. 

Große, in der Harnröhre befindliche Steine beobachteten Bsown 
(47) und Harveymund (48). Die betreffenden Specimina wogen 15‘9, 
respective 16-9 Grm. 

Eine besonders große Anzahl vor Arbeiten liegt über die B e- 
handlung der Prostatahypertrophie vor. Hier zeigt sich immer 
mehr die Neigung, diese Affection auf operativem Wege zu beseitigen. 
So räth Mc Güire (49), nur in den leichteren Fällen das Uebel sympto¬ 
matisch durch Behandlung der fast stets affioirten Blase zu behan¬ 
deln, in denjenigen Fällen dagegen, in welchen die Miction ohne 
Katheter nicht möglich ist, die Sectio alta zu machen, dann 
von oben die Blase so lange zu drainiren, bis durch Adstringenden 
sich die Schwellung der Prostata so weit reducirt hat, daß in der 
Harnröhre keinerlei Hindernisse für die Miction vorhanden sind. In 
4 Fällen wurden gute Erfolge erzielt. Gleichfalls günstig lautet 
der Bericht Berger’s (50), der in 2 Fällen durch die Cystotomie 
wesentliche Besserung erzielte. Besonders genaue Indicationen für 
die Ausführung der qu. Operation gibt Mc Gill (51). Er empfiehlt 
die Operation, wenn einzelne Theile des Prostatagewebes hyper- 
trophirt sind. Besonders trifft letzteres für den Mittellappen der 
Drüse zu. Leider ist die Technik der Operation noch wenig aus¬ 
gebildet. Unter 5 beobachteten Fällen 4 Todesfälle! 

Dagegen liegen aus den letzten Monaten 2 günstige Berichte 
von Robson (51a) bei 67-, resp. 63jährigen Patienten vor. In beiden 
Fällen fand man Tumoren in der Blase, die gleichzeitig entfernt wurden. 

‘ Francis Watson (52) tritt für den Perinoalschnitt behufs 
Resection der vergrößerten Prostata ein, wenn sich die Prostata vom 
Perineum aus umgreifen läßt, d, h. wenn die Perinealdistanz (Distanz 
zwischen der Pars membranacea und Spitze der Prostata) nicht 
über 7 Cm. beträgt, der Tumor nicht gestielt und die Blase nicht 
ausdehnungsfähig ist. Unter 34 Fällen von Prostatahypertrophie wurde 
unter Beobachtung dieser Momente 21mal die Sectio alta ausgeführt. 
In den übrigen entweder Sectio alta oder palliative Behandlung. 

Den Perinealschnitt behufs Radicalbehandluug der Prostatahyper¬ 
trophie empfehlen ferner Cabot (53), Norton (54) und Alnes Post 
(55). Die hinteren Prostatapartien werden mittelst Messer und 
Scbeere abgetragen. Hierauf Drainage. Endlich berichtet noch 
Whitehead (56) Uber 3 Fälle, in denen nach der Operation die 
Blase durch Ausspülungen mit salzsaurem Wismuth behandelt wurde. 

Frey (57) bat durch submucöse Injectionen von Jodoforraäther 
vom Rectum aus erhebliche Abnahme der Prostatahypertrophie erzielt. 

Auch über die Behandlung der Prostatahypertrophie mittelst 
Elektrolyse liegt eine Reihe von Arbeiten vor. Roux (58) hat 
6 Fälle in dieser Weise behandelt. Die indifferente Elektrode (Anode) 
lag auf dem Abdomen, die Kathode wird 12—15 Mm. weit in’s 
Rectum eingeführt. 

Zur Elektrolyse benutzt Verf. einen allmälig bis 70 M.-A. an¬ 
wachsenden Strom, und zwar 2 1 / a —5 Minuten lang. Allmälig er¬ 
folgt alsdann eine Verminderung der Intensität des Stromes. Die 
bereits 1882 von Biedert (59) empfohlene Galvanopunctur der 
Prostata, mittelst der Verf. erst jüngst noch 5 Patienten mit Erfolg 
behandelt hat, ist auch von Casper (60) jüngst an 3 Patienten 
versucht worden. 

Mit einer Platin-Iridiumnadel wird in die Prostata vom Rectum 
aus eingestoßen und die erstere 5—15 Minuten hindurch liegen 
gelassen, während ein schwacher Strom hindurch geht. — Von 
geringer Wirksamkeit ist die Methode: 1. in Fällen von schwerer 
Hypertrophie, 2. bei übermäßiger Dilataflon der Blase, und endlich 
3. wenu der vordere mittlere Lappen vergrößert ist. 


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Ueber die Bedeutung der Prostata als Schlußapparat der 
Blase hat Reginald Harbison (61) interessante Untersuchungen 
an gestellt. 

Die trichterförmige Anordnung der Pröstatamusculatur er¬ 
leichtert diese Function der Prostata wesentlich. Bei Ectopia 
vesicae ist daher auch diese Drüse nur rudimentär entwickelt. Die 
Hypertrophie der Prostata entsteht durch Contraction ihrer Muscu- 
latur und dadurch bedingte Abschnürung des glandulären Antheils. 
Es entstehen so zuerst kleine Knötchen, die allmälig an Größe zu¬ 
nehmen und schließlich confluiren. Eine Restitution der Ela- 
sticität der Blase ist nicht möglich, so lange die Prostata noch 
weich und elastisch ist. Fühlt sich letztere hart an, besteht also 
bereits Bindegewebsneubildung, so ist gewöhnlich bereits ein Zustand 
secundärer Blasenlähmung eingetreten, den man nicht vollständig, 
selbst bei sorgsamster Behandlung, beseitigen kann. 

Ggyon (62) beschreibt unter dem Namen Prostatisme vösical 
ein der Prostatahypertrophie ähnliches, jedoch nicht identisches 
Krankheitsbild. Hier entsteht in Folge von Arteriosclerose fettige 
Degeneration der Blasen- und Pröstatamusculatur mit consecutiver 
Urinretention. Hauptsymptome: Blasendilatation, Polyurie und 
Hämaturie. Die Krankheit nimmt einen oft über Jahre sich hin¬ 
ziehenden Verlauf. Tod gewöhnlich durch profuse Hämaturie. 
Letztere durch vorsichtige Entleerung der Blase zu verhindern. 

Die Wirkung der Heißwasserklystiere beschränkt sich nach 
Höfler (63) nicht allein auf Abnahme des gesteigerten Harn¬ 
dranges (wohl im Zusammenhang mit einer Herabsetzung der Gefä߬ 
spannung und Abnahme des Tonus des vasomotorischen Centrums), 
sondern sie beeinflußt auch den Harn selbst. Seine Menge nimmt 
zu, während gleichzeitig der Stickstoffgebalt steigt. 

Einen einzelnen Fall von enorm schmerzhafter Cystitis in 
Folge von gonorrhoischer Prostatitis erwähnt Gindrun (64); von 
allen Medicamenten bewährte sich hier allein das Extract. Pini, 
alle 3 Stunden je 30 Tropfen. 

Unter den Folgeerkrankuugen nach Prostata-Affectionen spielen 
die sexuellen Neurosen, sowohl diejenigen motorischer, als 
auch sensibler Natur, eine wichtige Rolle.. ‘ 

Leider ist trotz aller Bemühungen ihre Behandlung immer 
noch eine Crux für den Praktiker, und so nimmt es nicht Wunder, 
wenn immerfort neue Mittel und Wege zur Restituirung der sexuellen 
Function gesucht werden, während andererseits auf das Fruchtlose 
derartiger Versuche hingewiesen wird. 

R. Wagner (65) behandelt Spermatorrhoe in Folge von Onanie 
mit faradischem Strome. Die Anode liegt auf den Lumbalwirbeln, 
die Kathode auf der Symphyse, resp. Perineum. Contraindicirt ist 
diese Behandlungsweise nur bei Spermatorrhoe entzündlichen Ur¬ 
sprungs (e prostatitide). Fürbringer (66) hält dagegen in den meisten 
Fällen sowohl der Aspermatorrhoe, wie des Aspermatismus eine 
wirksame Behandlung für unmöglich. 

Misiewicz (67) berichtet über Reflexneurosen des uropoetischen 
Systems, bedingt durch Krankheiten der Urethra. Das auslösende 
Organ ist beim Manne die Pars prostatica, beim Weibe die Clitoris. 
In Folge der sich hier abspielenden Processe kommt es beim Manne 
zur Impotenz, bei beiden Geschlechtern zu Albuminurie, Enuresis, 
Blasencatarrh etc. Die reflectircnde Leitung muß man sich durch die 
zahlreichen Bauchgeflechte des N. sympathicus vermittelt denken. 
Für die chronische Urethritis posterior empfiehlt Verf. Reizung 
mittelst l°/ 0 iger Chromsäure. 


F e u i 11 e t o n. 


Briefe aus Ungarn. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

= Die diesjährige Budgetdebatte des ungarischen Abgeordneten¬ 
hauses brachte zwei wichtige Momente, welche uns Aerzte vornehm¬ 
lich interessiren. Es sind dies die Reform des Collegi engeld- 
Systcms und der j ustizft rztliche Fachsenat. Unterrichts¬ 
minister CsAky hat unter anderen angekündigten Reformen, von 
denen wir die einheitliche Mittelschule mit gänzlicher 


Förster (68) erzielte in 2 Fällen von hartnäckigem Priapis¬ 
mus Heilung durch Incision in den Penis. In einem der Fälle 
hatte sich die Steifigkeit im Anschluß an eine Urethralblutung mit 
consecutivem Hämatom der Urethra ausgebildet. Es entstand hier 
Compression der Venen und dadurch Steifigkeit des Gliedes. In 
diesem Falle half die Uretbrotomia externa. 

Die Enuresis nocturna behandelt Unna (69) mittelst kleiner 
Gaben der Tinctura Rhuis aromatici. Daneben ist die Allgemein¬ 
behandlung nicht zu vernachlässigen. 

In seiner umfangreichen Arbeit über die entzündlichen Affec- 
tionen des Hodens hat Bangs (70) die Erfahrung gemacht, daß fast 
alle Hodenaffectionen Folge von irgend welchen Entzündungen sind. 
Filr die Behandlnng der Hodenentzündung sind die oonservativen 
Methoden den operativen vorzuziehen. Von neuen Medicamenten, 
die sich bei der häufigsten der Hodenaffectionen, der Epididymitis 
blennorrhagica, anwenden lassen, rühmt Hochard(71) die Anemone 
pulsatilis; von einer aus derselben bereiteten Tinctnr räth Verf. 
30 Tropfen 3stündlich zu geben. Die Symptome sollen bereits nach 
3 Tagen verschwinden. 

Ueber einzelne interessante Fälle von Hodenerkrankung be¬ 
richten Battle (72) '^Myxosarcom des rechten Hodens bei einem 
Sriajährigen Kinde), Bennet (73) (Fall von HodentuberculoBe; hier 
ist, um Allgemeininfectiou zu verhüten, sehr früh schon Castration 
auszuführen), sowie Le Dkntü (74) nnd Charcot (75) (Malaria 
als Ursache chronischer Veränderungen bei Orchitis). Le Dentu 
beobachtete unter anderen elephantiastische Veränderungen an chronisch 
degenerirten Hoden, die nach jedesmaligem Wechsel des Wohnortes 
der Patienten erheblich besser wurden; in derartigen Fällen empfiehlt 
Verf. vor Allem häufige Scarificationen des Scrotums. In den von 
Charcot beobachteten Fällen trat nach Chiningaben deutliche Ent¬ 
fieberung ein , wenn das vorangegangene, oft sehr heftige Fieber 
eine Exacerbation der Orchitis begleitet hatte; Rockwell (76) 
endlich erwähnt eines Falles, in welchem wegen recidivirenden 
Carcinoms beider Testikel dieselben entfernt werden mußten. 

In einem von Jamin (77) beobachteten Falle, in. welchem in 
Folge einer Varieocele Impotenz entstanden war, wurde letztere 
durch Beseitigung der erweiterten Venen, welche Erection ver¬ 
hindert hatten, geheilt. Einen ähnlichen Fall berichtet Bennet. 

Für die Beseitigung der Hydrocele scheint sich die totale 
Exstirpation der Tuoica vaginalis testis immer noch am besten zu 
bewähren, wie aus der Sibthrope’ sehen (78) Statistik hervorgeht. 
Nach Injectionen in die Tunica wurden Recidive beobachtet in 13 °/ 0 der 
315, nach Incision in 2 , 4°/ 0 der 245, nach theilweiser Excision der 
Tunica in 19 0 / 0 der 53 und nach totaler Excision in 0% der 
22 in dieser Weise behandelten Fälle. Uebrigens schützt auch diese 
letztere Operation nicht absolut vor Recidiven. Wenigstens berichtet 
Morris (79) über 2 Fälle, in denen trotz der Operation Recidiv 
eintrat. Hertzberg (80) stellt die Resultate der VoLKMANN’schen 
Klinik betreffs der bei Hydrocele erlangten Erfolge zusammen. Im 
Ganzen umfaßt seine Statistik 46 Fälle im Alter zwischen 12 und 
56 Jahren, darunter 6 doppelseitige. Totalexstirpationen wurden 
33 ausgeführt; im Durchschnitt erfolgte binnen 2 Wochen Heilung. 
Recidive 3% (nach Jodinjectionen 8%). Vor Ausführung der nicht 
ungefährlichen Carbolsäure-Einspritzungen warnt HeuFERICH (81). In 
einem derartigen Falle erfolgte heftige Blutung in die Tunica vagi¬ 
nalis, so daß man sich schließlich noch zu einer Exstirpation der¬ 
selben entschließen mußte. (Fortsetzung folgt.) 


Beseitigung des Griechischen, sowie die staatliche 
Beaufsichtigung der Kinderbewahranstalten erwähnen, 
dio feste Absicht kundgegeben, die Collegiengolder zunächst an der 
Budapester und dann später an der Klausenburger Universität durch 
ein fixes Schulgeld zu ersetzen. 

Der Minister ließ sich also durch die theils zaudernde, theils 
ablehnende oder entschieden gegnerische Haltung der einzelnen 
Facultäten nicht abhalten, auf das Ziel, die möglichste Beseitigung 
der durch die Collegiengelder geschaffenen Ungleichheit in der Be¬ 
soldung der Professoren, loszusteuern. Er ließ aber die ursprünglich 
beabsichtigte Verkeilung der Collegiengelder unter sämmtliche Pro¬ 
fessoren der Universität fallen und acceptirte zur moralischen Ge- 


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nugthuung Ihres Correspondentcn das, was in zwei vorjährigen Briefen 
als begründete Nothwendigkeit zuerst und allein urgirt wurde, das 
gleichmäßige fixe Schulgeld. 

Obgleich der Minister ein eigentliches Anrecht der Professoren 
auf Collegiengelder nicht anerkennen wollte, da diese Institution in 
unseren Gesetzen nicht begründet ist, so wollte er doch einen 
plötzlichen Uebcrgang zum Schnlgeldsystem vermeiden, um jene 
Professoren nicht zu sehr zu schädigen, welche sich auf Grund ihres 
bisherigen höheren Einkommens auf einen höheren Standard of life 
eingerichtet haben. Dieso sollen nach Maßgabe der „Wichtigkeit“ 
ihres Faches und der Anzahl der Dienstjahre am Schulgeld be- 
tbeiligt werden. Bisher wäre Alles ziemlich schön, nun soll aber 
— Wie verlautet — das bei jeder österreichischen, sowie ungari¬ 
schen Reform einmal unerläßliche Hinterpförtchen offen gelassen 
werden, nm das zum Thor hinausgeworfene Collegiengeld hier wieder 
einzuscbmuggeln. Es soll nämlich den ordentlichen Professoren ge¬ 
stattet werden, Nebencollegien zu lesen, für welche sie wieder be¬ 
liebig hohe Collegiengelder nehmen dürften. Die Bedenklichkeit einer 
solchen Einrichtung liegt auf der Hand. Der Ordinarius wird da¬ 
durch veranlaßt, seine Hauptthätigkcit nicht dem ordentlichen Colleg 
zuznwenden oder jedenfalls seine Kräfte zu zersplittern, ferner in 
der Eigenschaft als Examinator — sofern dieses Privileg zu unserem 
Bedauern noch aufrecht erhalten würde — eine gewisse „sanfte“ 
Pression auf seine Hörer ausznüben, daß sie außerordentliche 
Cellegien belegen, und endlich das Terrain der Extraordinarii und 
Privatdocenten einzuengen. Letztere klagen ja ohnehin schon, daß 
sie durch die Vorlesungen der Extraordinarii, welche die Wochen¬ 
tage oeenpiren, gezwungen sind, die Ruhetage in Anspruch zu 
nehmen. 

Von noch größerer Tragweite und einem wahrhaft brennenden 
Bedürfnisse abhelfend, ist der vom neuen Justizminiser Desider 
SztlAgti geschaffene justizärztliche Fachsenat, dessen Auf¬ 
gabe es ist, durch wissenschaftliche Gutachten dem Gerichte und 
dem JustiZtninisterinm zur Seite zu stehen. Die Gerichtshöfe werden 
sieh behufs geriehtsärztlicher Superarbitrien direct an diesen Senat 
wenden. Die besonderen Aufgaben desselben sind : I. Meimmgfi- 
abgaben in den, auf dem Gebiete der Justizverwaltung und der 
Rechtspflege auftauehenden Fragen, mit Ausschluß der in den Be¬ 
reich des öffentlichen Sanitätswesens gehörigen Angelegenheiten. 
2. Die Üeberprüfung jener ärztlichen Gutachten, welche den Justiz¬ 
behörden und den Gerichten unterbreitet werden. 3. Gutachten 
über ärztliche Mißgriffe, über ärztliche Gebührenrechnungen in ge¬ 
richtlich anhängigen Angelegenheiten nnd über Qualification der 
Candidaton für gerichts- und gefangenbausärztliche Stellen. 4. Er¬ 
stattung ton Vorschlägen bei Erledigung von gerichtsärztliehen An¬ 
gelegenheiten. 5. In besonders wichtigen Fällen der unmittelbare Vollzug 
der gerichtsärztliehen Untersuchung, beziehungsweise die Mitwirkung 
an derselben dureh Exmission eines oder mehrerer seiner Mitglieder. 
6. Superarbitrirung des Gesundheitszustandes der im Rahmen der 
JnStizorganisation angestellten Staatsbeamten und Diener bezüglich 
der Dienstfähigkeit derselben. — Den Präsidenten dieses Senates 
ernennt aäf Vorschlag des Justizministers der König, den Vice- 
präsidenten und die ordentlichen referirenden Mitglieder, deren Zahl 
höchstens 20 beträgt, ernennt der Justizminister. Auch außerhalb 
des Senates stehende Fachmänner können zu Berathungen berufen 
werden und über einzelne Angelegenheiten referiren. Die Function 
des Präsidenten und des Vicepräsidenten dauert G Jahre, nach deren 
Ablauf sie aber wieder ernannt werden können. Das Mandat der 
referirenden ordentlichen Mitglieder währt 3 Jahre, doch sind sie 
gleichfalls wieder wählbar. 

Im Motivenbericht zu diesem Gesetzentwürfe heißt es, 
daß das Verfahren unserer Rechtspflege gerade auf jenem Gebiete, 
auf welchem der schleunigste Fortgang am wünschenswertesten 
wäre, auf dem Gebiete der Strafrechtspflege, also in Angelegen¬ 
heiten, wo es sich häufig um Freiheit, Ehre, ja um das Leben der 
Person handelt, oft erst nach Jahren zu einem defini¬ 
tiven Urtheile führt. 

Der Grund dieses unhaltbaren Zustandes liegt darin, daß bei 
uns gerade jene strafbaren Handlungen am häufigsten Vorkommen, 
welche im Gerichtsverfahren ärztliche Gutachten und Interventionen 


erfordern, Handlungen gegen die Sicherheit des Lebens und der Ge¬ 
sundheit. Die Gerichte erster Instanz sind nicht in der Lage, sich 
in jeder Hinsicht beruhigende ärztliche Gutachten zu schaffen, und 
die Revision der, den erstinstanzlichen Gerichten abgegebenen ärzt¬ 
lichen Gutachten kann bisher nur durch zwei competente Stellen ge¬ 
schehen: durch den Landessanitätsrath und durch die medioinischen 
Facultäten. Diese beiden Fora vermögen indeß den gerichtlichen 
Anforderungen nur sehr langsam zu entsprechen, weil diese Aufgabe 
außerhalb ihres eigentlichen Fachberufes liegt. Sie haben nicht die 
Zeit, die zahllosen umfangreichen Processe zu studiren und recht¬ 
zeitig zu erledigen, nnd so hat der Angeklagte oft eine lange Unter¬ 
suchungshaft zu erleiden. Der Landessanitätsrath selbst hat die 
Unhaltbarkeit dieser Zustände in einer Eingabe an den Minister ge¬ 
kennzeichnet und dringend um Abhilfe gebeten. — Aus der Moti- 
virung geht weiters hervor, daß die Kosten für den in das Budget 
des Justizministeriums einzustellenden Senat jährlich 12.000 fl. nicht 
übersteigen sollen. 

Mit dieser Schöpfung hat sich der Unterrichtsminister ein 
bleibendes Verdienst erworben, und wir können ihm zu dieser glück¬ 
lichen Inaugurirnng seiner Thätigkeit nur Glück wünschen. Der 
Landessanitätsrath aber wird nun — allerdings mit Heranziehung 
frischer Kräfte — im Stande sein, seine volle Kraft seinem eigent¬ 
lichen Berufe, der Leitung des Öffentlichen Gesundheitswesens, zu¬ 
zuwenden. Die wissenschaftlich medicinischen, justizärztlichen und, 
hoffen wir anch, die öffentlichen Sanitätsangelegenheiten haben end¬ 
lieh bei uns jene Beherzigung seitens der maßgebenden Regierungs¬ 
kreise gefunden, für welche wir in diesem Blatte stets und unent¬ 
wegt eingetreten sind. 


Kleine Mittheflungen. 

— Auf der Klinik Nussbaum’s in München wurden in jüngster 
Zeit mehrere Nai*C08en mit Aether bromat. puriss. vorgenommen, 
über die Assistent Dr. Ffssler in Nr. 2 der „Münch, med. Woch.“ 
berichtet Nach ihm sind für das Gelingen der Narcose folgende 
Momente von Wichtigkeit: l. Das Präparat muß rein und frisch 
sein, daher solche, zu denen helles Licht oder Luft gekommen 
ist, nicht mehr zu brauchen sind. 2. Als Apparat zur Narcose dient 
am einfachsten ein dütenförmig mehrfach zusammen gelegtes, starkes, 
dickes Tuch, an dem man das Spitzenende der Düte noch durch 
Umschnüren mit einem Bindefaden dichter machen soll. 3. Vor der 
Narcose ist es vortheilhaft, den Kranken durch einige Worte zu 
beruhigen, worauf man ihn ersucht, tief und ruhig einzuathraen, 
und ihm die Maske, in die unmittelbar vorher der größte Theil 
oder der ganze Inhalt des eben entkorkten Fläschchens ge¬ 
gossen wurde, dicht vor die Nase und Mund hält. Im Beginn ist 
Ruhe in der Umgebung des Kranken nothwendig; derselbe soll nicht 
berührt, kein Cornealreflex geprüft werden. Nach wenigen Athem- 
zflgen tritt eine leichte Streckung der Extremitäten ein, und wenn 
diese nachznlassen beginnt, ist die vollkommene Anästhesie erreicht. 
Jetzt ist es die höchste Zeit, rasch zu operiren, denn in einigen 
Minuten tritt das Gefühl wieder ein; allerdings kann man durch 
weiteres Aufgießen von 30 Grm. Aetbylbroraid die Narcose um 
einige Minuten verlängern. 4. Ist vor einer Verwechslung mit 
Bromätbylen zu warnen, bei dem ein Todesfall vorgekommen sein 
soll. Die Vortheile des Aethyl sind erstens der rasche Eintritt der 
Narcose, zweitens ihr ruhiger Verlauf mit geringem Excitations- 
stadinm; das krampfhafte Anhalten des Athems, die Cyanose, die 
beim Chloroform vorhanden sind, fehlen; drittens die kurze Dauer der 
Narcose, die für kleine Operationen ausreichend ist; viertens fühlen 
sich die Kranken nachher ebenso wohl, wie vor der Narcose. 

— Prof. Küster theilt in Nr. 2 des „Ctrbl. für Chirurgie“ 
folgendes Verfahren zur Deckung der Augenhöhle nach Aus¬ 
räumung derselben mit: Die Lidspalte wird nach Außen hin etwas 
erweitert, die Lider weit auseinander gezogen, dann stößt er ein 
langes gerades, nicht zu schmales Messer an der Umschlagsfalte der 
Conjunctiva ein und führt es hart am Knochenrand in sägenden 
Zügen nm den Bulbus herum, wobei er sich möglichst in der Um- 
schlagsfalte hält, bis er zum Ausgange znrflckgekehrt ist. Zum 
Schlüsse führt er eino geschlossene krumme Scheere, beim linken 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 5. 


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Auge au der äußeren, beim rechten an der inneren Seite des Bulbus 
bis in die Gegend des Sehnerven ein, öffnet dort die Scheere und 
durchschneidet die Nerven mit einem einzigen Schlage. Nun wird 
die Gesammtgewebsmasse vorgezogen und der nooh haftende Theil 
derselben mit der Scbeere abgeschnitten. Eine kurze Compression 
der Höhle genügt, um die Blutung so zu mäßigen, daß die A. 
ophthalmica aufgesucht und unterbunden werden kann. Hat man 
die Lider erhalten können, so benutzt man sie zum Verschluß der 
Orbita. Vorher aber muß die Conjunctiva bis auf den letzten Rest 
ausgeschält und der wimperntragendo Lidrand in ganzer Länge 
abgetragen werden. Vcrnähung bis auf einen Wundwinkel, aus dem 
der Zipfel des Tampons aus Jodoformmull herausgeleitet wird, den 
man nach 2 Tagen durch ein kurzes Drain ersetzt. Unter einem 
leichten Druck verband erfolgt die Heilung in 14 Tagen. Bei Car- : 
cinomeu, welche ein oder gar beide Lider zerstört haben, ist das 
Verfahren etwas anders. Man umschneidet die Neubildung zunächst i 
möglichst weit und geht präparirend bis an den Orbitalrand vor; ! 
ist das eine, z. B. das obere Lid, frei, so führt man hier einen j 
Schnitt längs des Lidrandes und präparirt die Conjunctiva von 
vorne her so ab, daß dieselbe im Zusammenhänge mit dem Bulbus 
und der Geschwulst bleibt; erst wenn der Orbitalrand rund herum 
freigelegt ist, verfährt man ebenso, wie oben geschildert worden. 
Der Defect, der sich dann gewöhnlich durch Heranziehen der unter- 
minirten Haut nicht decken läßt, wird plastisch durch einen der 
Schläfengegend und der Stirne entnommenen Lappen geschlossen, 
der Stirndefect möglichst durch die Naht verkleinert. Man hat nur 
bei dem Ausschneiden des Lappens darauf Acht zu geben, daß 
nicht die Augenbraue nachträglich nach oben verzogen wird, da 
dies wiederum sehr entstellend wirkt. Auch hier pflegt die Heilung 
schnell und leicht zu erfolgen. 

— Th. M. Mahden empfiehlt im „Brit. med. Journ.“ folgende 
Therapie der Cystitis beim Weibe. Zunächst müsse man nach 
nachweisbaren Ursachen suchen, wie das Vorhandensein von Gono- 
coccen, Verlagerungen des Uterus, Fibrome, Blasensteine, und diese 
zu beseitigen trachten. Beim Fehlen dieser verordne man protrahirte 
warme Bäder, Ausspülungen der Blase mjt warmem Wasser oder 
Borglycerinlösung, daneben Bettrnhe, öfter DowER’sche Pulver, 
0*5—DO Borsäure innerlich, um ammoniakalische Zersetzung des 
Urins zu beseitigen. Bei sehr intensiver Cystitis hat Emmet ge- 
rathen, eine Blasenscheidenfistel anzulegen, welche der Urin passirt, 
so daß die Harnblase außer Function tritt. Madden verwirft diese 
Operation und ist der Ansicht, daß man sich dieselben Vortheile, 
und zwar leichter, verschaffen kann, indem man die Urethra so weit 
dilatirt, daß man den Zeigefinger in die Blase einführen kann, um 
dadurch eine Zusammenziehung des Schließmuskels zu vereiteln, und 
die Operation mit dem eigens angegebenen Dilatator eventuell öfter 
wiederholt. Nach der Erweiterung kann man die Blasenschleirahaut 
mit einer stumpfen Curette abschaben, zunächst aber Carboiglycerin 
auf die Schleimhaut applicireu. Man führt eine kleine Wattekugel, 
die mit der Lösung getränkt ist und auf einem Stilett befestigt 
wird, in die Blase ein, läßt sie dort 2—3 Minuten liegen, bis sich 
Uber ihr die Blasenwand zusammengezogen hat. Diese Operation, in 
der Woche 2—3mal wiederholt, genügt nach Madden meist, um 
die schweren Fälle von Cystitis beim Weibe zur Heilung zu bringen. 

— Die Resultate, die bei der Behandlung der Epididymitis 
mit Verbänden erzielt wurden, veranlaßten E. Meisel („Ctbl. für 
Gynäk.“, Nr. l, 1890) die Behandlung der parenchymatösen 
Mastitis und der Phlegmone der Brust mit dem Gypsverbande 
zu versuchen. Von 12 nach dieser Methode behandelten Fällen 
(7 Fälle von Mastitis parenchymatosa und 5 Fälle von Phlegmone 
mammae) hat sich der Absceß nur in 4 Fällen gebildet. Das ange¬ 
wandte Verfahren ist folgendes: Man wäscht die Brust, umgibt sie 
mit einem Stück Gaze, läßt für die Brustwarze eine Oeffnung, dann i 
bedeckt man die Brust mit einem neuen Stück Gaze, das man in 
gut gelösten und gut gemischten Gyps getaucht hat. Diese Gyps- 
presse soll die Brust von allen Seiten gut bedecken. Der Ver¬ 
band wird durch eine Binde gehalten, die 2mal täglich erneuert 
wird. Unter dem Einfluß dieses Verbandes verschwinden rasch die 
Schmerzen wie das Fieber. Dasselbe Verfahren würde in den Fällen 
ndicirt sein, wo man sich veranlaßt sieht, die Milchsecretion zu 


hemmen. Nach der Angabe des Verf. werden 24 Stundeu naeh 
dem Anlegen des Gypsverbandes die Brüste weich, und die Milch¬ 
absonderung hört auf. 

— Charles B. Williams berichtet in „Med. News“ vom 
16. November 1889 über einen durch große O086n von Gel 86 - 
mium geheilten Fall von Torticollis spastica. Es handelt sieh 
um einen hartnäckigen Fall von Torticollis spastica, der nach 
Myotomie des Musculus splenins eapitis sin. nicht besser wurde, und 
bei dem auf Anrathen von Weir Mitchell toxische Dosen von 
Extractum fluidum gelsemii verabreicht wurden. Im Beginn wurden 
2—3 Tropfen 3mal täglich gegeben und bis auf 20—23 Tropfen 
3mal täglich gestiegen, worauf baldige Besserung eintrat, die durch 
mehrere Monate stetig zunahm. Dr. Sax in New-York, der über 
erwähnten Fall im „Neurol. Ctrbl.“ Nr. 2 referirt, theilt bei dieser 
Gelegenheit mit, daß er schon seit längerer Zeit das Gelsemium auch 
bei schwerer Chorea minor mit Erfolg benützt. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 31. Januar 1890. 

Vorsitzender: Prof. v. Mosetig. —Schriftführer: Doc.Dr. Hochenbgg. 

Doc. Dr. HoCHENEGB stellt eine 58jährige Frau vor, die wegen 
vager Beschwerden seitens des Magens und Darmes und sehr hart¬ 
näckiger StuhlverstopfuDg auf die Klinik des Hofr. Albert kam, 
woselbst man unter dem rechten Rippenbogen einen die Respirations¬ 
bewegungen mitmachenden Tumor fand, der durch eine deutliche Zone 
tympauitischen Schalles von der Leberdärapfung getrennt war. Es 
wurde ein Carcinom, vom Pylorus oder vom Mastdarme ausgehend, 
diagnosticirt. Gleich bei der Incision zeigte sich aber, daß man es 
mit einem Gallenblasentumor zu thun hatte. Die Gallenblase 
war hart und mit Steinen gefüllt. II. exstirpirte dieselbe, ;• ihre 
Wandungen waren, sehr dick, derb und enthielten 47 Steine ; da 
auch die untere Fläche der Leber carcinomatös infiltrirt war, wurde 
auch ein Stück der Leber exstirpirt. Um den Blut- und Gallen¬ 
austritt in die Bauchhöhle zu vermeiden, wurde die Leberwunde 
extraperitoneal behandelt. Der Verlauf war ein günstiger, die Pat. 
verließ nach 1V 8 Monaten geheilt das Krankenhaus. Bis nun 
(6 Monate seit der Operation) ist keine Recidive eingetreten. Die 
mikroskopische Untersuchung des exstirpirten Tumors ergab Carcinom 
der Gallenblasenwand mit Uebergreifen auf die Leber, sowie, daß 
die Exstirpation im Gesundeu stattgefnnden habe. 

Dr. Hochknegg stellt ferner eine 55jährige Frau vor, die 
ein Carcinom des Rectums im Mittelstücke hatte, das er nach 
der Sacralmethode operirte. In diesem Falle wendete H.-eine neue 
Art der Vernähung des oberen Stückes mit der gesunden Anal¬ 
portion an. Nach Ausschneidung des Carcinoms wurde das. centrale 
Ende frei präparirt uni einfach durch die Analportion durchgezogen; 
die Wunde der Analportion verwächst ganz gut mit der Serosa. 
Die Vortheile dieser Methode bestehen in der Sicherung der Naht 
und der Möglichkeit einer sofortigen Entleerung der Kothmassen 
nach der Operation. 

Generalstabsarzt Dr. Neudörfer stellt eine Frau vor, die 
sich beim Holzsammeln einen Nagel in den Finger stieß. Beim Aus¬ 
ziehen des Nagels brach derselbe ab. N. fand am nächsten Tage eine 
kleine Wunde, der Finger konnte aber nicht gestreckt werden. 
N. extrahirte einen 26 Mm. langen Stift, der das Mediangelenk 
vernagelt hatte. Mit der Extraction des Nagels wurde die Beweglichkeit 
wieder hergestellt. 

N. stellt ferner einen Pat. vor mit Infiltration der rechten 
Wange und einem vom Mundwinkel ausgehenden Geschwüre, das sehr 
verdächtig aussah. Auf antiluetische Cur ging die Infiltration zum 
großen Theil zurück, doch glaubt N. nicht, daß es sich um ein 
Syphilom handelt. 

N. demonstrirt schließlich einen P atienten, der seit September eine 
kleine Härte in der Zunge hat, die immer größer wird, aber keine 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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Schmerzen verursachte. Die rechte Zungenhälfte war geschwellt, und 
entsprechend den Mahlzähnen fanden sich ulceröse Eindrücke von 
den Zähnen. Trotz der Entfernnng der Zähne änderte sich das 
Bild nicht. Eine antiluetische Cur half nichts. N. glaubt, daß man 
es mit einem T ub e r c u 1 o m bei dem sonst gesunden Pat. zu thun 
habe. Er verspricht, die Fälle noch vorzustellen. 

Dr. Hocheneqö hält die letzten 2 Fälle für Carcinom, die 
aü die Grenze der Operabilität gelangt sind. 

DOC. Dr. V. HACKER stellt einige Fälle vor, bei denen er die 
THiERSCH’sche Hauttransplantation vorgenommen hat. Diese 
wurde bis nnn vorwiegend bei traumatischen Wunden gemacht, 
weniger bei geschwürigen Processen, weil hier die überpflanzten 
Läppchen schwieriger anheilen. Hacker hat die THiKRSCH’sche 
Transplantation bei tuberculösen Geschwüren und bei Fußgeschwüren 
vorgenommen. 

Selbst bei großen Ulcera cruris heilen die überpflanzten Läppchen 
ganz gut ein. Von dem Momente der Transplantation der Läppchen 
hören die Schmerzen auf. Jedenfalls liefert keine Methode so gute 
Resultate bei Ulcus cruris, wie die TniERSCH’sche Transplantation. 

Prof. v. Mosetig fragt, ob sich dio transplantirte Haut ab¬ 
hebt, wie bei der REVEBDiN’scben Transplantation. 

v. Hacker kann diese Frage nicht beantworten, da seine 
ältesten Fälle seit 4 1 / 9 Monaten datiren. 

Dr. V. KLIEGL demonstrirt einen Fall von complicirter 
Schädel fr actur, bei dem Prof. v. Mosetig die Trep ana ti o n 
ausgeführt hat. Pat. erhielt am 19. v. M. einen Hieb in die rechte 
Schläfegegend mit einem stumpfen Werkzeuge. Als er nach 
36 Stunden auf die Abtheilung des Prof. v. Mosetig kam, fand 
Redner sämmtliche Weichtbeile zerquetscht und eine Depression der 
Schuppe. Am nächsten Tage Fieber (39’5). Es wurden daher die 
hervorragenden Ränder des Knochens abgestemmt und mit Ele- 
vatorium die einzelnen Fragmente herausgehoben, die Wundränder, so 
gut cs ging, aneinandergenäht, ein Drain eingeführt und ein Verband 
angelegt. Der Wundverlauf war ein glatter. Nach 3 Wochen traten 
Zuckungen in den rechten Extremitäten auf, die aber nach 2—3 
Tagen verschwanden. Die Deckung des Knochendefectes ist hier nicht 
möglich, da das Periost total zerquetscht ist. 

Prof. LEWANDOWSKI hält einen Vortrag: „Uebor Rheostate 
in der Elektrodiagnostik nnd Therapie mit Demon¬ 
stration eines neuen, für die Praxis bestimmten 
Rheostaten“, den wir im Originale veröffentlichen werden. 

Prof. ttEiCHSELBAUM : Bacteriologische ond pathologisch anato 
mische Untersuchungen über die Influenza und ihre Com- 
plicationen. 

Die Untersuchungen Weichselbaum’s beziehen sich auf das 
Blut und die catarrhalischen Secrete der Respirationsschleimhaut bei 
Kranken und auf die Krankheitsproducte bei Leichen. Die Unter¬ 
suchungen des durch Aderlaß gewonnenen Blutes von zwei 
Fällen von Influenza ergaben sowohl mikroskopisch, als auch mittelst 
Cultur ein negatives Resultat. Das Sputum wurde in 18 Fällen von In¬ 
fluenza untersucht. Darunter befand sich ein Fall, bei dem Verdacht 
auf Bronchopneumonie bestand, und zwei, bei denen sich später croupöse 
Pneumonie entwickelte ; dio übrigen Fälle waren ohne jede Complication. 
Die Entnahme des Sputums geschah am 2. Tag nach der Aufnahme 
der Kranken in’s Spital, während sie noch ficberteu. In der Regel 
konnte sowohl mikroskopisch als auch durch Cultur der Diplococcus 
pneumoniae nachgewiesen werden, oder wenigstens ein Kapsel- 
diplococcus, der sich von dem genaDnton außerordentlich wenig 
unterscheidet. Auch die Versuche an Tbieren bestätigten die Er¬ 
gebnisse der mikroskopischen und Culturuntersuchungen, wobei 
sich blos der eine Unterschied zeigte, daß nur in einem Drittel der 
Fälle jene Virulenz bestand, wie sie der Diplococcus pneumoniae 
gewöhnlich besitzt. Bei 6 Patienten wurde das Sputum nicht nur 
ira Beginne , sondern auch während der Reconvalescenz untersucht. 
Es fanden sich Diplococcen nur spärlich und zeigten nur eine sehr 
geringe Virulenz; nur ein Fünftel der geimpften Thiere ging zu 
Grunde. Den FRiEDLÄNDER’schen Bacillus fa n d Weichselhaum 
nie. In einem Falle, bei dem sich im Verlaufe der Influenza bei einem 
früher ganz gesunden Mädchen sehr viel Eiweiß im Harn zeigte, 
wurde dieser sedimentirt und das Sediment untersucht, wobei sowohl 


mikroskopisch, als auch durch Cultur der Diplococcus pneumoniae nach¬ 
gewiesen werden konnte. Es ist dies der erste Fall, bei dom im Urin 
dieser Mikroorganismus gefuuden wurde. Weichselbaum untersuchte 
ferner 10 Leichen, die im Beginne der Erkrankung Erscheinungen 
von Influenza zeigten und theils mit, theils ohne Complicationon zu 
Grunde gingen. Nahezu constant fand sich eine acute Entzündung 
der Nebenhöhlen der Nase; hauptsächlich waren die Stirn- und Kiefer¬ 
höhle mit Eiter strotzend gefüllt. Die mikroskopische Untersuchung 
des Eiters ergab auch hier den Diplococcus pneumoniae, der auch 
durch Cultur sicher constatirt wurde. Nur einmal fand sich auch 
der Streptococcus und einmal der Staphylococcus aureus. D<*r aus 
den Nebenhöhlen der Nase gezüchtete Coccus hatte eine außer¬ 
ordentliche Virulenz. 

Von den Complicationen unterschte Weichselbaum 3 Fälle 
von Otitis media und konnte sowohl durch Cultur, als auch durch 
den Thierversuch den genannten Pneumococcus nachweisen. In 
einem Falle, der einen jungen Mann betraf, trat 8 Tage nach Be¬ 
ginn der Influenza ein Absceß am oberen Augenlide auf, der inci- 
dirt wurde; am nächsten Tag trat aber Erbrechen, Kopfschmerzen, 
Delirieu, Bewußtlosigkeit und Tod ein. Bei der Section fand sich 
außer dem erwähnten Absceß Eiter in der Kiefer- und rechten Stirn¬ 
höhle , ferner zwischen der hinteren Wand des rechten Stirnbeins 
und der Dura, letztere infiltrirt. Am rechten Stirnlappen ein großer 
Absceß. Die Ventrikel mit Eiter gefüllt und eitrige Leptomeningitis. 
In dem Eiter fand sich zahlreich der Pneumococcus. 

Auch in den pneumonischen Processen fand sich dieser Coccus, 
nur im Absceß fand sich daneben auch der Staphylococcus aureus. 
Der Milztumor war in allen Fällen ein nur geringer, ebenso die 
trübe Schwellung der Leber und Niere. 

Schließlich erwähnt Weichselbaum folgenden Fall: Ein 
junges Mädchen, das 4 Tage vor ihrer Aufnahme in’s Krankenhaus 
Fieber hatte, zeigte Auftreibung de9 Unterleibes, Schmerzen im 
Magen, zu denen sich aber bald cerebrale Symptome, epileptiforme 
Anfälle, Schmerzen in der Ueocoecalgegeud und flüssige Stuhlent¬ 
leerung gesellten. Pat. starb, und bei der Section fand sich ein 
Hydrocephalus internus, Bronchitis, geringe bronchopneumonische 
Herde und eine acute Enteritis im unteren Theile des Ueum, die 
wahrscheinlich die eigentliche Todesursache war. Die aus dem In¬ 
halte des Darmes angefertigten Platteu zeigten ein so dichtes 
Wachsthum von Bacterien, daß eine Isolirung nicht möglich war. 
Mit einer Aufschwemmung des Darminhaltes inficlrte Kaninchen 
gingen binnen 3 Tagen an dem typischen Bilde der Sputumsepti- 
cämie zu Grunde und zeigten bei der Section überall Pneumoniecoccen. 

Welche Schlußfolgerungen können nun aus den be¬ 
schriebenen Untersuchungen gezogen werden? Zwei Möglichkeiten 
sind vorhanden: 1. Entweder ist der Pneumoniecoccus die Ursache 
der Influenza oder 2. Die Influenza wird durch andere, uns noch 
unbekannte Mikroorganismen erzeugt, und der Befund des Pnoumonie- 
coccus beruht auf einer sccundärcn Infection. 

Dio erste Ansicht könnte anfangs absurd erscheinen, doch 
sprechen dafür mehrere Momente: das constante und fast aus¬ 
schließliche Vorkommen bei Influenza, und zwar iu frühen Stadien, 
während in der Reconvalescenz die Zahl und Virulenz der Pneumo- 
coccen abnimmt. Auch mit der Vielgestaltigkeit des klinischen 
Bildes stimmt dio Fähigkeit des Pneumococcus, verschiedene Pro- 
ce88e nnzuregen. Auch der rasche Verlauf stimmt mit dem raschen 
Verlust der Virulenz des Pneumococcus überein. Nur die epidemische 
Ausbreitung der Influenza läßt sich mit der Annahme des Pneumo¬ 
coccus als Erreger der Influenza nicht in Uebcreinstimmung bringen. 

Für die Möglichkeit einer secundären Infection spricht dio bei 
acuten Exanthemen gemachte Erfahrung, bei denen Staphylococcen 
etc. als Erreger secundärer Infection cindringen. Die Ansicht, daß 
die Pneumoniecoccen durch die Influenza nur einen besseren Nähr¬ 
boden zu ihrer Entwicklung finden, ist durch die Thatsache ge¬ 
stützt, daß diese Mikroorganismen schon beim gesuuden Menschen 
vorhanden sind. W. neigt sich eher der 2. Ansicht zu. Damit 
wird auch das Zustandekommen der Complicationen, sowie das 
häufige Auftreten von Pneumonie erklärt. Jedenfalls liegt dies näher, 
als ein zufälliges Zusammentreffen zweier Infectionskrankheiten. 

S. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 5. 


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Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 27- Januar 1890- 

Vorsitzender: Hofr. v. Schmerling. 

DOC. Dr. SCHLESINGER Stellt einen 3jährigen Knaben vor, der 
eine Infeetionsblennorrhoe von seiner Mutter aequirirt hat. Im Se- 
crete ließen sieh zweifellos Gonococcen nacbweisen. Solche Blennor- 
rhoen kommen bei Mädchen häufig vor, bei Knaben sehr selten. 

Prof. Kahler: Ueber die frühen Symptome der Tabes. 

Die Kenntniß der frühen Symptome der Tabes ist deshalb 
von großer Wichtigkeit, weil sie die Stellung der Diagnose zu einer 
Zeit ermöglicht, wo der Kranke noch gesund zu sein scheint, und 
so die Therapie in die richtigen Bahnen lenkt. Die frühen Symptome 
unterscheiden sich von denen der späteren Perioden durch ihre Viel¬ 
gestaltigkeit. Einzelne feste Züge kommen auch dem Initialstadium 
zu, und es können während desselben Krankheitserscheinungen von 
einer Heftigkeit und Gewaltsamkeit auftreten, die das Krankheits¬ 
bild derart beherrschen, daß alle übrigen Erscheinungen in den Hinter¬ 
grund treten. 

Die Vielgestaltigkeit der frühen Symptome der Tabes erklärt 
sich aus den anatomischen Verhältnissen. Es ist nämlich durch 
vielfache Untersuchungen der Beweis erbracht worden, daß bei Tabes 
nicht allein die Hinterstränge, sondern auch verschiedene andere 
Theile des centralen und peripheren Nervensystems anatomische 
Veränderungen erleiden. Die peripheren Nerven Veränderungen be¬ 
stehen in einer degenerativen Neuritis. Die anatomischen Befunde 
der Veränderungen der peripheren Nerven bei Tabes müssen wir uns 
vorstellen als das Resultat des Kampfes der unter normalen Verhält¬ 
nissen stattfindenden stetigen Regeneration und der Degeneration. 
Dadurch erklärt sich der vorübergehende Charakter mancher tabe- 
tischer Erscheinungen, die Inconstanz der peripheren Nervenverände- 
rungen und das Nichtübereinstimmen der Veränderungen mit dem 
Stadium der Erkrankung. Im Gegensatz hiezu steht die Constanz der 
centralen Veränderungen, die sich durch die fehlende Regenerations¬ 
fähigkeit der centralen Nervenfasern erklärt. 

Von den Initialsymptomen der Tabes sind zunächst zu er¬ 
wähnen : 

1. Die Großhirnsymptome. 

Ohnmächten, Schwindel, apoplectische Anfälle mit oder ohne 
Herzsymptome, epileptiforme Anfälle. 

Wenn Ohnmachtsanfälle bei nervösen Personen oder nnter 
dem Einflüsse irgend welcher äüßerer Umstände auftreten, so wird 
dies die Aufmerksamkeit des Arztes nicht erregen, aber unmoti- 
virte Ohnmachtsanfälle bei ganz gesunden Personen erregen 
den Verdacht auf Tabes. 

Häufiger als die Ohnmächten werden im Beginne der Tabes 
Schwindelanfälle beobachtet, die oft so heftig sein können, 
daß der Pat. förmlich zu Boden geworfen wird, dabei ist aber die 
Motilität noch ganz intact. Mitunter werden schwere apoplecti- 
forme Anfälle beobachtet, die zuweilen von vollständiger Hemi¬ 
plegie und Aphasie gefolgt sind, die aber nach Stunden, Tagen, 
Wochen vollständig verschwinden. Im Beginne der Tabes stellt sich 
manchmal ein epileptiformer Anfall ein, der nimmer wieder¬ 
kehrt. Da als Theilerscheinung der Tabes auch Veränderungen in 
der Großhirnrinde Vorkommen, so ist vielleicht die anatomische 
Grundlage dieser Symptome in einem langsam ablaufenden Krank- 
heitsproceß in der Hirnrinde zu suchen. 

Als zu den Großbirnsymptomeu gehörig müssen noch Migräne- 
anfälle erwähnt werden. 

So hat. K. einen 35jährigen Mann beobachtet, der in diesem 
Alter schwere Migräneanfälle hatte und erst drei Jahre später 
Tabes bekam. 

Eine 33jährige Frau bekam 1 */ a Jahre vor dem Auftreten 
der Tabes heftige Migräneanfälle zur Zeit der Menses. 

2. Symptome seitens der höheren Sinnesnerven. 

Hieher gehört zunächst die progressive Atrophie des 
Opticus, auf die wir aufmerksam gemacht werden: durch das 
ungleichzeitige Befallensein (wodurch sie sich von der Intoxications- 
amblyopie unterscheidet) und das ungleichmäßige Betroffensein beider 


Augen. Zunächst nimmt das Sehen in die Ferne ab, sehr oft tritt 
dann Roth- und Grün-Blindsein auf, und eine eigenthümliche unregel¬ 
mäßige Einengung des Gesichtsfeldes. Niemals ist — zum Unter¬ 
schiede von den Intoxicationsamblyopien — das centrale Scotom 
nachzuweisen. Der Opticusatrophie eigenthümlich ist der langsame 
und progressive Verlauf, wodurch sie sich von der retrobulbären 
Neuritis und der multiplen Sclcrose unterscheidet. Es gibt indeß 
auch Fälle, wo es zu keiner Erblindung kommt, sondern der Proceß 
stehen bleibt, ja sogar sich zurückbildet. 

Der Olfaotorius ist an dem Symptomenbilde der initialen 
Tabes selten betheiligt. 

Wichtiger sind die Erscheinungen seitens des Acusticus. 
So treten oft ah erstes Symptom der Tabes subjective Ge¬ 
räusche auf, die den Pat. veranlassen, ärztliche Hilfe aufzusuchen, 
und zur Entdeckung der Tabes führen. Dieselben fallen durch 
ihre Intensität und Lautheit auf, können aber ganz verschwiuden. 
Weiters beobachtet man im Beginne der Tabes beiderseitige pro¬ 
gressive Schwerhörigkeit, die in absolute Taubheit übergehen kann. 
Schließlich kommt auch der MEMERE’sche Symptomencomplex in 
gewissem Grade vor. Die anatomische Grundlage dieser Erscheinung 
ist periphere degenerative Neuritis oder degenerative Neuritis im 
Bereiche der Oblongata. 

Von Seifender äußeren Angenmuskeln trittsehr häufig 
iin Beginne der Tabes Lähmung derselben auf. Dieselbe äußert 
sich in Doppolsehen mit der charakteristischen Kopfhaltung. Am 
häufigsten betheiligt ist der Oculomotorius und der Abducens. 
Charakteristisch für die Lähmung ist ihre vorübergehende Natur. 
Die anatomische Grundlage derselben ist eine Neuritis der Augeu- 
muskelnerven oder einzelner Zweige. Die bleibenden Augenmuskel¬ 
lähmungen sind nucleärer Natur. Was die inneren Augenmuskeln 
betrifft, so hat K. einmal eine Lähmung der Accommodation 
(plötzliche Weitsichtigkeit) im Beginne der Tabes beobachtet. 

Von großer Wichtigkeit für die Diagnose der initialen Tabes 
ist das isolirte Fehlen der Lichtreaotion der Pupillen (RubertsoN- 
sches Symptom). 

Kein cerebraler Nerv besitzt eine Immunität gegen das Be¬ 
troffensein im Initialstadium der Tabes. So beobachtet man seitens 
des Trigeminus: Schmerzen, partielle Anästhesie an umschriebenen 
Stellen, oft gepaart mit Parästhesien. Diese vorübergehende Er¬ 
scheinung beruht auf einer aufsteigenden Degeneration in der sen¬ 
siblen Trigeminuswurzel. In manchen Fällen wird im Zusammen¬ 
hang mit den Trigeminussymptomen frühzeitiger Ausfall der Zähne 
beobachtet. 

Seitens des Facialis: einseitige Facialisparalyse, die 
vorübergehend ist und auf eine neuritische Erkrankung des Nerven 
oder eine Betheiligung seiner Wurzel in ihrem intramedullären Vor¬ 
lauf zurückzuführen ist. 

Von großer Wichtigkeit sind die Störungen soiteus des 
Vagus, Accessorius und Glosso-Pharyngeus: laryngeale 
Erscheinungen, ähnlich der Pertussis, und jeder Therapie trotzend, 
Erstickungsanfälle mit Stridor und Cyanose, die rasch vorüber- 
gehen, aber auch zum Tode führen können, ein- oder beiderseitige 
Stimmbandlähmung von vorübergehendem Charakter (beiderseitige 
Posticuslähmung), Schlingbeschwerden , gesteigerte Pulsfrequenz und 
Anfälle von Angina pectoris. 

Die Erkrankung des Hypoglossus äußert sich als halb¬ 
seitige Zungenatrophie. 

Häufiger als die c e r e b r a 1 e n sind die spinalen Nerven 
befallen, deren Betheiligung sich äußert: durch trophische 
Störungen (Herpes zoster in Begleitung von Intercostal- 
neuralgien, Malum perforans pedis, Spontanfracturen und Rupturen 
einzelner Sehnen), durch Erkrankungen der Gelenke. Die 
Arthropathia tabioa tritt als benigne oder maligne auf. Im 
initialen Stadium der Tabes kommt nur die erstere vor: im An¬ 
schluß an ein leichtes Trauma tritt sehr intensive Sohwellung 
des Gelenkes mit ausgedehnter Iufiltration der Umgebung ein. Der 
ganze Proceß ist schmerzlos. Der Zustand kann vorübergehend 
sein, oft aber kommt es zur Lockerung und Deformation des 
Gelenkes. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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Von V i s c e r a 1 n e u r a 1 g i e n sind gastrische Symptome die häu¬ 
figsten: nervöse Dyspepsie, massenhaftes, eopiöses Erbrechen, Schmer¬ 
zen bis zu Crises gastriques, die seihst durch Morphium nicht gestillt 
werden können. Mitunter treten auch enterische Erscheinungen auf, 
wässerige Durchfälle, die durch viele Jahre dem Auftreten der Tabes 
vorangehen. Eine große Rolle spielen die vesicalen Symptome: 
Schwäche des Detrusor, latente Harnretention. 

Von der genitalen Sphäre sind es 2 Erscheinungen, die 
der Tabes eigentümlich sind: 1. rasches Eintreten von Impotentia 
coöundi und 2. vorübergehend gesteigerte Libido sexualis. Seitens 
des Reetums: häufiger Stuhldrang, Parästhesien im Mastdarm, 
Schmerzen im Anschluß an Stuhlentleerung. 

Erscheinungen seitens der Motilität machen sich zuweilen 
in Form von Lähmungen an einer oder der anderen Extremität, 
Paraplegie, geltend, die vorübergehend sind und in einer leichten 
degenerativen Neuritis der peripheren Nerven ihren Grund haben. 

Alle genannten Initialsymptome sind deshalb von enormer Be¬ 
deutung, weil ihr Auftreten den Verdacht auf Tabes weckt und zu 
näherer Untersuchung anregt, die oft zu der ungeahnten Diagnose 
der Tabes führt. S. 


Verein für innere Medicin zu Berlin. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 13. Januar 1890. 

Dr. E. Casper; Ueber Sterilitas virilis. 

In den neueren Arbeiten von UltzmaNN und FOrbbingeb, 
welche die männliche Sterilität erst in gebührender Weise würdigen, 
ist mit Recht hervorgehoben worden, daß die Potentia generandi 
die Fähigkeit, zu befruchten in sich schließt. Man hat in neuerer 
Zeit Werth darauf gelegt, bei bestehender Kinderlosigkeit nicht blos 
ausschließlich die Frau zu untersuchen und zu behandeln, sondern bei 
mangelndem Befunde auch den Mann zum Gegenstände der Unter¬ 
suchung zu machen. 

Man unterscheidet in Bezug auf die männliche Sterilität zwei 
große flauptgruppen, die Sterilitas ex Aspermatia, Aspermatis¬ 
mus und die Sterilitas ex Azoospermia, Azoospermie. 

Beim Aspermatismus wird der Coitus nicht mit einem 
8amenerguß beendet, sei es, daß überhaupt kein 8ame in die Harn¬ 
röhre ein tritt, sei es, daß der eingetretene Same am Austritt aus 
der Urethra durch irgend einen Umstand verhindert wird. Es sind 
vier Ursachen für diese mangelnde Emissio seminis bekannt: 
1. Defecte der Ductus ejaculatorii, und zwar entweder 
völliges Fehlen oder Obliteration derselben oder Deviation ihrer 
Mündungen nach hinten in die Blase, hochgradige Harnröhrenstric- 
turen oder Phimosen. 2. Atonischer Aspermatismus in 
Folge Unerregbarkeit des Ejaculationscentrums. Bei diesen Fällen 
besteht eine allgemeine Neurasthenie, und zwar sind die Zellen des 
Ejaculationscentrums derart angestrengt und erschöpft, daß sie ar¬ 
beitsunfähig sind. 8. Der anästhetische Aspermatismus, 
beruhend auf Verlust der Hautsensibilität des Penis, so daß wegen 
Mangels der peripheren Reflexbahn die Ejaculation nicht mehr zu 
8tande kommen kann. Die 4. Ursache der mangelnden Emissio 
seminis wird auf psychische Einflüsse zurückgeführt, indem 
man hypothetisch annimmt, daß eine Reizung des im Hirn suppo- 
nirten Hemmungscentrums die Auslösung der Ejaculation verhindert. 

Bei der zweiten Hauptgruppe, der Azoospermie, wird der 
Same zwar am Ende der Ejaculation emittirt, besitzt aber nicht die 
zur Befruchtung nothwendigen Eigenschaften, weil die Spermatozoon 
entweder gänzlich fehlen oder todt sind oder eine mangelhafte, eine 
Befruchtung ausschließende Vitalität zeigen (bei Cachexie, Anorchis¬ 
mus bilateralis, Degeneration der Testes durch Carcinome, Tuber- 
culose, Lues, Trauma; hochgradige Atrophie der Testikel). Es kann 
dem Samen aber auch das specifische Hodenproduct, die Spermato¬ 
zoon, fehlen, wenn beiderseits die Samenleitungsbahnen verschlossen 
sind, wie dies fast immer nach Epididymitis gonor¬ 
rhoica duplex der Fall ist. Endlich kann auch eine Samen¬ 
blasenentzündung ein Absterben der Spermatozoen unmittelbar 
naoh der Ejaculation bedingen. 


Die Wichtigkeit vorstehender Erörterungen beweist fol¬ 
gender Fall: 

Anfangs Februar 1888 kam in des Vortragenden Behandlung 
ein kräftiger, 32jähriger Mann, der ihn wegen Kinderlosigkeit con- 
sultirte, nachdem die Untersuchung seiner Gattin seitens eines 
Gynäkologen keinerlei Anhaltspunkte zur Erklärung der Sterilität 
ergeben hatte. Es galt also festzustellen, ob möglicherweise der 
Mann die Schuld trage. Pat. theilt mit, daß er vor 8 Jahren eine 
Gonorrhoe durchgemacht habe, welche Blaseocatarrh, linksseitige 
Nebenhodenentzündung und auch Stricturen der Urethra im Gefolge 
gehabt haben soll. Sonst ist Pat. stets gesuud gewesen, nament¬ 
lich erinnert er sich nicht, ein Gonitalgeschwür oder irgend welche 
Erscheinungen von Lues gehabt zu haben. In seiner zweijährigen 
Ehe übt Pat. den sexuellen Verkehr mit Regelmäßigkeit und zu 
voller Befriedigung aus, auch erfolgt am Ende der Cohabitation 
stets eine normale Ejaculatio seminis. Bisher ist jedoch noch nie¬ 
mals Schwangerschaft eingetreten. 

Bei der Untersuchung des Pat. finden sich die Genitalorgane, 
speciell die Hoden, gut entwickelt. Am linken Nebenhoden fühlt 
man eine bohnengroße, harte Stelle als Andeutung der voran¬ 
gegangenen Epididymitis, normale Prostata und Samenblasen. Keine 
Strictur der Urethra, Urin von normaler Zusammensetzung, Herz 
und Lnngen gesund. Dagegen sind sämmtliche Lymphdrüsen des 
KörperB, besonders aber die beiderseitigen Inguinaldrüsen stark ge¬ 
schwollen, die hintere Rachenwand ist stark geröthet, trocken und 
glänzend, auf der rechten Tonsille sitzt ein kleiues, zackig gerän¬ 
dertes Geschwür. Diagnose: recidivirende Lues. 

Die Untersuchung des unmittelbar nach dem Coitus in einem 
Condom überbrachten Spermas des Pat. ergab die Anwesenheit von 
molecularem Detritus, Epithelien und Rundzellen, jedoch war kein 
einziges Spermatozoon nachzuweisen. Die bisherige Sterilität war 
also durch Azoospermie zu erklären. 

Da nun die oben angeführten Gründe für das Vorhandensein 
einer Azoospermie nicht zutrafen, so konnte die Functionsuntüchtig¬ 
keit der Generationsdrüsen nur durch die Syphilis bedingt sein. Der 
Erfolg de,£ pingeleiteten Therapie bewies die Richtigkeit dieser 
Annahme. 

Pat. wurde einer energischen antisyphilitischen Cur unter¬ 
zogen; er mußte zunächst lfimal je 1 x / a Stunden schwitzen, alsdann 
30 Einreibungen von je 3 Grm. Ung. hydrarg. vornehmen und 
bekam hierauf längere Zeit Jodkali bei monatelanger Abstinenz. 

Im Mai 1888 waren die manifesten Lueserscheinungen größten¬ 
teils zurückgegangen; im untersuchten Sperma fand Redner zu 
seiner großen Ueberraschung 5 träge sich bewegende, normal ge¬ 
staltete Spermatozoen. Aus der Azoospermie war eine Oligozoo¬ 
spermie geworden. In Folge dessen wurde der Jodgebrauch fort¬ 
gesetzt. Eine im Juni vorgenommene Spermaprtifung zeigte unter dem 
Mikroskope einige 20 lebhaft undulirende, gutgestaltete Spermatozoen. 

Bald darauf trat bei der Frau des Pat. Gravidität ein und 
im Mai erfolgte ihre Niederkunft. Das Neugeborene, welches der 
Circumcision unterzogen werden sollte, wurde von Dr. Casper einer 
genauen Prüfung, namentlich in Bezug auf den Genitalbefund, unter¬ 
zogen und die Zeichen hereditärer Syphilis constatirt. Statt der Cir¬ 
cumcision empfahl er daher eine Schmiercur. 

Aus dem ganzen Verlaufe des Falles kommt der Vortragende 
zu dem Schlüsse, daß unter gewissen Umständen die Functionskraft 
der präsumptiv gesunden Testikel durch das syphilitische Gift auf¬ 
gehoben werden und Azoospermie ein treten kann. In welcher Weise 
man sich diese Einwirkung vorzustellen hat, weiß Redner nicht an¬ 
zugeben, doch verweist er auf den ähnlichen Effect des Morphium¬ 
gebrauches, nach dessen Entziehung wieder Spermatozoen im Samen 
au (treten. 

Nach den Angaben Lewin’s fehlten in 50 Proo. aller Fälle 
die Spermatozoen in den Hoden sonst kräftiger, aber syphilitisch 
gewesener Männer, und auch Zrissl bemerkt, daß viele früher 
syphilitische Männer trotz kräftiger Constitution selbst mit rüstigen 
Frauen keine Kinder zeugten. 

Vielleicht tragen weitere Beobachtungen dieser Art dazu bei, 
die Therapie der Sterilitas virilis in Zukunft etwas dankbarer als 
bisher zu gestalten. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr ; 5. 


DiscuBsion: Prof. Fürbringer hält den mitgetheilten Fall 
iu praktischer Beziehung für sehr wichtig, ebenso in Bezug auf 
die Seltenheit, da er selbst unter mehr als 200 untersuchten Azoo¬ 
spermien bisher keinen derartigen Fall gesehen hat, wohl aber 
konnte er bei einem kräftigen Manne mit hochgradiger Oligospermie 
in beiden Hoden leicht verschwommene Infiltrationen nach weisen. 
Redner ist geneigt, in dem CASPEu’schen Falle nicht die unbestimmte 
Wirkung des syphilitischen Virus verantwortlich zu machen, sondern 
eine Localaffection im Bereich eines oder beider Hoden anzunehmen, 
derart, daß etwa eine erst im Anfang begriffene gummöse Zellen¬ 
proliferation den Zoospermen den Ausweg aus den Hoden in die 
Epididymis verlegt hat. Eine solche gummöse Zellenproliferation 
kann selbstverständlich unter dem Einfluß einer Schmier- oder Jod- 
kalicur sehr bald zur Rückbildung gebracht werden. Im Uebrigen 
ist Azoospermio bei Syphilis äußerst selten. 

Prof. Litten-. Zur Lehre von der Lebercirrhose. 

Unter den klinischen Symptomen der atrophischen Leber¬ 
cirrhose finden sich bezüglich der wiederholt beobachteten Häraa- 
temesis nur sehr ungenügende Angaben, und doch ist namentlich 
die Frage nach der Ursache derselben von besonderer Wichtigkeit. 
In einer großen Zahl von Lebercarcinomen, bezw. Lebercirrhosen, 
welche durch Häraatemesis zum Tode geführt hatten, fand Redner 
bei der Section colossal ausgedehnte Varicen am untersten Theil 
des Oesophagus, von denen einer geborsten und dadurch die Ursache 
der tödtlichen Blutung geworden war. Diese Varicen werden dadurch 
hervorgerufen, daß der Plexus oesophageus nur zum kleinsten Theile 
in das Stromgebiet der Pfortader, zum größten Theile in die V. 
azygos tibergeht. Letztere aber ist bei Lebercirrhose derart ge¬ 
schwollen, daß sie das ihr massenhaft zuströmende Blut nicht mehr 
aufzunehmen vermag und in Folge dessen zur Bildung von Varices 
im unteren Theile des Oesophagus Veranlassung gibt. Erosionen am 
Magen hat Litten niemals gefunden. —r. 


Notizen. 

Wien, 1. Februar 1890. 

Zar Aetiologie der Influenza. 

Obgleich sich die jüngste Influenza-Epidemie an vielen Orten 
unter den Morbiditätsziffern früherer Epidemien hielt, so scheint 
doch andererseits die Intensität des Krankheitsprocesses der be¬ 
fallenen Individuen, im Vergleiche mit den Beschreibungen älterer 
Autoren, einen bei Weitem höheren Grad erreicht zu haben und 
die Schädigung der Gesundheitsverhältnisse der Bevölkerung eine 
nachhaltigere zu sein. Iu der Unterschätzung der Bedeutung dieser 
Infectionskrankbeit dürfte aber auch eine der Hauptursachen für 
den Umstand liegen, daß die Erforschung der Aetiologie dieser 
Erkrankung so spät von den Aerzten in Angriff genommen wurde, 
so daß wir bisher auf eine Klarstellung der die Krankheit erzeu¬ 
genden Factoren verzichten mußten. Bei dem regen Interesse, auf 
welches bacteriologische Untersuchungen jetzt allenthalben, auch in 
der Laienwelt, rechnen dürfen, haben wir zwar schon Publicationcn 
Uber Bacterienfunde bei der Influenza zu verzeichnen, aber eine 
wissenschaftliche Bedeutung kann man den meisten der bis vor 
wenigen Tagen erfolgten Mittheilungen nicht beimessen. 

Als in mehrfacher Hinsicht das wissenschaftliche Interesse be¬ 
anspruchend, muß aber eine Mittheilung von Prof. Klebs in Zürich 
(„Centralbl. f. Bact.“) über einen Blutbefund bei Influenza 
erscheinen. Die Mannigfaltigkeit der Symptome, die mit der Influenza 
in Causalnexus gebracht wurden, läßt sich wohl durch die An¬ 
nahme erklären, daß das die Krankheit erzeugende Contagium 
vivum entweder selbst oder wenigstens dessen giftige Umsetzungs- 
producte im Blute kreisen. 

Diesem Umstande Rechnung tragend, hat Klebs das Blut von 
Influenzakranken und von frischen Influenzaleichen untersucht und 
konnte bei Anwendung starker Linsen zahlreiche Monaden 
nachweisen, die zum Theil den Hämatozoen bei der pernieiösen 
Anämie ähnlich sahen, zum Theil den Charakter von Flagellaten 
hatten. Durch Färbung mit Methylenblau konnte auch der Nach¬ 
weis erbracht werden, daß diese Flagellaten sowohl frei im Blute 


188 


kreisen, als auch in die rothen Blutkörperchen eindringen, wodurch 
letztere bedeutend verändert werden. 

Klebs erinnert auch an die ähnlichen, im Blute von Malaria¬ 
kranken vorkommenden Protozoön Laveran’s, und die Aerzte,' 
die die Aehnlicbkeit des Krankheitsprocesses von Influenza und 
Malaria betonen, dürften in dem Befunde Klebs’ eine Unter¬ 
stützung ihrer Ansichten finden. 

Weitere Untersuchungen gerade des Blutes’ wären natürlich 
nothwendig, um diese Befunde zu bestätigen, und die Gelegenheit 
hiezu- dürfte sich für die Forscher umso eher finden, als ja das Auf¬ 
treten von Recidiven mancher Influenzasymptome bei vielen Kranken 
noch nach Woeben beobachtet wird. 

Zwei andere, fast gleichzeitig erschienene Publicationen, eine 
deutsche und eine französische, beschäftigen sich mit den in den 
Sputis Influenzakrankor aufgefundenen Mikroorganismen. Beide Ar¬ 
beiten betreffen den Streptococcus pyogenes, welchen Ribbert 
(„D. med. W.“) im Trachealschleim und im Gewebe dbr meist 
pneumonisch infiltrirten Lungen von 5 Leichen, ferner im eigenen 
Sputum fand, als er selbst an Iufluenza erkrankte, und für identisch 
mit dem seinerzeit von Seifekt bei Influenza beschriebenen Coccus 
erklärt. Mit echt wissenschaftlicher Zurückhaltuug weist Ribbert 
blos auf die Möglichkeit der ätiologischen Bedeutung des 
Streptococcus für die Influenza hin und läßt die Annahme offen, 
der Coccus finde bei der Influenza vielleicht nur einen besonders 
günstigen Nährboden, und das eigentliche Virus der Grippe sei ein 
anderes, noch unbekanntes. 

Einen dem Streptococcus ähnlichen Coccus fanden Vaillard 
und Vincent in allen untersuchten Fällen im Blute, der Milz, den 
Lungen, pleuritischen Exsudaten an Influenza Verstorbener, sowie 
im Sputum der Kranken, wollen aber die Entscheidung der Frage, 
ob dieser Coccus die primäre Ursache der Erkrankung:sei, späteren 
Untersuchungen Vorbehalten wissen. Die der Soctete mödicale doB 
höpitaux vorgelegte Mittbeilung der beiden französischen Forscher, 
die interessante Discussion, welche derselben folgte, sowie weitere, 
zumal in Frankreich sich häufende Publicationen über diesen Gegen¬ 
stand werden wir in nächster Nummer ausführlich wiedergeben. 

Soweit die auswärtigen Berichte. Daß auch in Wien ein¬ 
gehende Studien über diese, gegenwärtig im Vordergründe des wissen¬ 
schaftlichen Interesses stehende Frage vorgenommeü wurden, ent¬ 
nehmen unsere Leser aus dem an anderer Stelle der vorliegenden 
Nummer reproducirten Vortrage Weichselbaum’s, unseres hervor¬ 
ragendsten Bacteriologen. 


I Karl Friedrich Otto Westphal f- 

Nach mehrjährigem peinvollen Leiden ist einer der bedeutend¬ 
sten Forscher und Lehrer im Gebiete der Psychiatric und der 
Nervenpathologie am 27. Januar 1890 dahingeschieden. Am 
23. März 1833 als der Sohn eines hochangesehenen Arztes in Berlin 
geboren, studirte er von 1851 an in Berlin, Heidelberg und Zürich, 
wurde 1857 Civil-Assistent an der Pockenabtheilung der Charite, 
1858 Assistenzarzt der Irrenabtheilung unter Idelek, v. Horn und 
dem gleich seinem Schüler schöpferischen Forscher auf dem Ge- 
sammtgebiete der Erkrankungen des Nervensystems, Griesinger. 
1861 habilitirte er sich als Privatdocent der Psychiatrie an der 
Berliner Universität, wurde 1868 dirigirender Arzt des Pockenbauses 
und der Abtheilung für innerlich Krauke, 1869 außerordentlicher 
Professor, dirigirender Arzt und klinischer Lehrer der Abtheilungen 
für Geistes- und Nervenkranke, 1874 Professor Ordinarius. 

Wie sein großer Lehrer Griesinger durch Gründung seines 
Archivs für Psychiatrie und Nervenkrankheiten sich 1868 bestrebt hatte, 
diese Zweige wirklich zum Theil und Eigenthum der gesammten Medicin 
und aller ärztlichen Kreise zu machen, wie er im Vorwort zum 
ersten Bande an erster Stelle hervorhebt, so hat auch sein Schüler 
Westphal , den er mit Prof. L. Meyer sofort zum Mitredacteur 


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•erwählt hatte, mit Toller Begeisterung angestrebt, durch lebendige 
Darstellung, durch immer neuen Nachweis des innigen Zusammen- 
. hanges zwischen psychischer Störung und den Symptomenreihen der 
ganz ungerechtfertigt sich abseits haltenden Nervenpathologie die 
durch Vorurtbeil und Unkenntniß geschaffene Kluft zwischen beiden 
Gebieten zu überbrüeken. So hat er Schule gemacht, soweit der 
Klang seines berühmten Namens in die Ferne drang, aber die 
officielle Anerkennung der Psychiatrie als nöthigen obligaten Lehr¬ 
gegenstandes. in der Ausbildung jedes Arztes hat auch dieser be¬ 
geisterte Vertreter seines Faches nicht erreicht. 

Entgegen dem Streben Griesinger’s, umfassende Anschauungen 
zu begründen, dabei manche speculative Voraussetzungen mit in 
Kauf zu nehmen, war Westphal bemüht, in unsäglichem Fleiße 
Einzelthatsachen zu sammeln, einzelne Fragen durch mühsame Ex¬ 
perimente, durch das Entgegenhalten pathologisch-anatomischer That- 
sachen gegen klinische Symptome bis in die feinste Mechanik der 
Vorgänge zu verfolgen. Das sorgfältige Studium klinischer Erscheinungen 
und ihrer anatomischen oder psychischen Genese interessirte ihn weit 
mehr, als die mannigfachen Tagesfragen der Kämpfe um Namen und Defi¬ 
nitionen. So hat ein Mann von tiefster Durchdringung seiner Lehr¬ 
fächer, von profundester Kenntniß der Literatur es nicht über sich 
gebracht* ein Lehrbuch der Psychiatrie oder der Nervenpathologie 
zu schreiben. 

Wie sein College an der Klinik Griesinger’s , W. Sander, 
bat er es' verstanden, am Aufbau der Entwicklung natürlicher 
Krankheitsgruppen der Psychiatrie mitzuschaffen. Daneben hat er 
sich in die eben in rascher Entwicklung begriffene, feinere patho- 
. logisch-anatomische Forschung völlig eingelebt und unbestritten eine 
autoritäre Stellung errungen. Hier war es aber vor Allem, wo er 
die umfassendsten, Decennien hindurch fortgesetzten Studien, ins¬ 
besondere im Gebiete des Rückenmarkes, zur Hauptaufgabe seines 
Lebens zu machen schien, um endlich klare Vorstellungen von dem 
Zusammenhang zwischen klinischen Symptomen und pathologisch¬ 
anatomischen Befunden zu geben. Kaum zum Vorstande der Ab 
theilung für Geistes- und Nervenkranke ernannt, begann er schon 
grundlegende Untersuchungen über die pathologische Anatomie 
des Rückenmarkes der Paralytiker, Studien, die er immer wieder 
neu aufnahm und endlich zu einem vollen Verständniß jener längst 
im Rohen bekannten, von ihm auf das Sorgfältigste beschriebenen 
Bewegungsstörungen an den Extremitäten führte. 

Ein zweites umfassendes Werk sind seine reichen klinischen 
Studien über die Haut- und Sehnenreflexe, ihre Veränderungen 
durch Erkrankungen des Gehirns und gauz bestimmt localisirte De¬ 
generationen im Gebiete des Rückenmarkes, welche eine reiche 
Literatur von klinischen, experimentellen und pathologisch-ana¬ 
tomischen Arbeiten angeregt haben. Seine sorgfältigen klinischen 
Arbeiten und pathologisch-anatomischen Daten über die System¬ 
erkrankungen des Rückenmarkes, über multiple Sclerose, Syringo¬ 
myelie, seine experimentellen Studien über die strangförmigen Er¬ 
krankungen des Rückenmarkes, seine Experimente über traumatische 
Epilepsie, seine Befunde bei Bleilähmungen an peripheren Nerven 
bilden hochwichtige Bausteine in der Lehre von den spinalen Er¬ 
krankungen, der Epilepsie und der Neuritis. Seine Beobachtungen 
Über die apoplectiformen und epileptiformon Anfälle der Paralytiker, 
seine Studien über gewisse Zwangsvorstellungen, über Agoraphobie, 
seine nüchterne Auffassung der conträren Sexualempfindungen bilden 
wichtige Beiträge zur Psychiatrie. In beiden Gebieten, in der 
Psychiatrie, wie in der Nervenpathologie, sind aber noch reiche Ge¬ 
danken und Anregungen ohne Westphal’s Namen in die Welt 
hinausgegangen, es sind unter seiner Anleitung sowohl Psychiater, 
als pathologisch-anatomische Forscher des Rückenmarkes gebildet 
worden, die zu den besten Kräften der Neuropathologie und Psy¬ 
chiatrie in Deutschland und Oesterreich zählen. Westphal’s Schule 
schafft mächtig fort, wenn auch ihr Meister seit mehreren Jahren 
selbst nicht mehr zu lehren vermochte und nun Ruhe von seinen 
Leiden fand. Wie sein Lehrer Griesinger an den Folgen einer 
schweren Diphtheritis starb, die sich nach der Operation einer Peri¬ 
typhlitis eiugenistet hatte und den bis zum Ende muthigen und 
trotz aufsteigender Körperlähmung und endlicher Lähmung der 
Respirationsmuskoln geduldig tragenden Mann an jener Erkrankung 


hinraffte, über welche Griesinger seine Doctordissertation abgefaßt 
batte, so starb Westphal unter dem unerbittlichen Zehren der 
progressiven Paralyse, welcher er vom Beginn seiner akademi¬ 
schen Thätigkeit an das tiefste, wissenschaftliche Interesse gewidmet 
hatte. Docent Dr. R. v. Pfdngen. 


(Zur neuen Arzneitaxe.) Das Ministerium des Innern 
hat an alle politischen Landesbehörden einen Erlaß gerichtet, welcher 
den Zweck verfolgt, zwei vom Publicum und der Tagespresse mi߬ 
deutete Bestimmungen der neuen Arzneitaxe zu commentiren. Insbe¬ 
sondere wurde der Bestimmung des zweiten Absatzes des §. 5 J ), 
nach welcher der Apotheker die zum Arzneibezuge anf Grund ärzt¬ 
lichen Receptes berechtigte Partei auf dem Recepte vorzumerken hat, 
wenn dies nicht, wie üblich, vom Arzte geschehen sein sollte, die 
Auffassung gegeben, daß der Apotheker Namen und Wohnort der 
betreffenden Partei, falls ihm dieselben nicht freiwillig mitgetheilt 
werden, auszuforschen hätte, was selbstverständlich ganz unstatthaft 
ist. Der naheliegende Zweck der angeführten, lediglich den Apo¬ 
theker und keineswegs das Publicum verpflichtenden Bestimmung, 
welche die zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Receptur als 
nothwendig bewährte Uebung nunmehr zur Norm macht, ist, wie 
der Erlaß hervorhebt, Mißgriffen seitens des Apotheken-Persouales, 
Verwechslungen von Arzneien und anderweitigen, den Grundsätzen 
des Medicinulwesens zuwiderlaufenden Unzukömmlichkeiten thunliehst 
vorzubeugen. Insofern dem gleich dem Arzte zur vollständigen 
Verschwiegenheit in Bezug auf alle ihm etwa bekannt gewordenen 
Verhältnisse von Kranken verpflichteten Apotheker die Mitwirkung 
der arzneibeziehenden Partei zur Sicherung des gedachten Zweckes 
nicht gewährt wird, muß derselbe selbstverständlich auf dieselbe 
verzichten, hingegen mit um bo größerer Umsicht, Aufmerksamkeit 
und Gewissenhaftigkeit den verantwortungsvollen Pflichten seines 
Berufes nachzukommen trachten. Durch die bezogene Bestimmung 
der ArzneitaxVerordnung, ebenso wie durch die Bestimmung des §. 7, 
nach welcher die für eine bestimmte Partei ärztlich verschriebene 
Arznei nur für diese bezugsberechtigte Partei wiederholt auszu¬ 
folgen ist, dann durch die Bestimmung des §. 7, nach welcher 
Arzneien auf willkürlich und ohne unzureichende Begründung ange¬ 
fertigte Receptcopien nicht abgegeben werden dürfen, soll weiter¬ 
hin den zahlreichen, mit ärztlichen Recepten getriebenen Mißbräuchen 
ohne Beeinträchtigung der rechtmäßigen Befriedigung des Arznei¬ 
bedürfnisses des Publicums gesteuert und den aus diesen Mißbräuchen 
hervorgehenden sanitätspolizeilichen Unzukömmlichkeiten und even¬ 
tuellen Gesundheitsschädigungeu vorgebeugt werden. 

(Der Hypnotismus im neuen Strafgesetz.) In Nr. 43 
des letzten Jahrganges unseres Blattes haben wir den Wortlaut des 
Antrages gebracht, welchen der Abgeordnete und Advocat Dr. Ko pp 
zu §. 470 des Strafgesetz-Entwurfes gestellt hat, und welcher vom 
Ausschüsse einstimmig angenommen worden ist. Wir hielten uns 
schon damals für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß das in dem 
Anträge enthaltene Verbot der Anwendung von das Bewußtsein auf¬ 
hebenden Mitteln zur Heilung von Krankheiten, zur Verhütung oder 
Stillung von Schmerzeu, zum Unterricht, zu Versuchen etc. auf die 
Anwendung der Hypnose durch Aerzte nicht ausgedehnt werden 
dürfe, ohne gleichzeitig das Verbot anderer, das Bewußtsein auf- 
hebender Mittel, wie der Narcose, des Gebrauchs von Morphin etc. 
auszusprechen. In Uebereinstimmung mit dem Vorgebrachten er¬ 
klärt der Oberste Sanitätsrath nach Gutheißung dieses Beschlusses 
gegen die mißbräuchliche Anwendung der Hypnose in seiner wieder¬ 
holt citirten Eingabe an das Justizministerium: „Eigene Bestim¬ 
mungen aber, durch welche das Studium hypnotischer Vorgänge 
oder die Anwendung der Hypnose zu ärztlichen Zwecken eingeengt 
oder gar mit Strafe bedroht würde, hält der Oberste Sanitätsrath 
weder für gerechtfertigt, noch für nothwendig, da das Studium, 
resp. die medicinale Anwendung der Hypnose den Aerzten ebenso¬ 
wenig verboten oder eingeschränkt werden kann, wie die Anwen¬ 
dung anderer Narcotica uud anderer heroischer Mittel, z. B. der 
giftigen Arzneikörper, und da der Mißbrauch des Befugnisses der 
Anwendung der Hypnose oder die Außerachtlassung der dabei gebo¬ 
tenen Vorsichten nichts Specifisches an sich hat und unter dieselben 

') „Wiener Med Presse“, 1881», Nr. 51. 


e 






191 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


192 


Strafbestimmungen fällt, welche sich auf ärztliche Delicte, resp. 
Untersuchungen überhaupt beziehen.“ 

(Wissenschaftlicher Verein der Militärärzte der 
Wiener Garnison.) In der Sitzung vom 7. December 1889 
demonstrirte Stabsarzt Dr. v. Fillenbaum 2 Fälle von geheilter 
Laparotomie; in dem einen handelte es sich um eine nach einem 
Trauma entstandene Retroperitoneal-Cyste, in dem anderen bestand 
Phlegmone der Bauchdecken, bei deren Eröffnung Gas und Gewebs¬ 
trümmer entleert wurden; nach einigen Tagen trat durch die Wund¬ 
öffnung Darrainhalt aus, und bei der neuerlichen Eröffnung kam man 
auf eine gallertige Masse, die als Carcinom imponirte. Dieselbe 
wurde mit dem scharfen Löffel ausgeräumt, worauf sich die Function 
des Darmes wieder herstellte und der Kranke genas. Regimentsarzt 
Dr. Läska führte einen Recruten vor, welchem zufällig eine Nadel 
in das Auge gedrungen war, und als Folgezustand eine Trübung 
der Linse zu Stande kam. Regimentsarzt Dr. Tschudi demonstrirte 
einen Taubstummen mit auffallender Prominenz der Schädelnähte 
in Folge Einschaltung zahlreicher abnormer Schaltknochen in den¬ 
selben. Behufs Ausschließung einer Simulation wurde der Mann im 
Schlafe narcotisirt, und es zeigte sich, daß derselbe im Excitations- 
stadium der Narcose auch nur unarticulirte Laute von sich gab. 
Anknüpfend an diese Mittheilung, stellte Regimentsarzt Dr. Hababt 
die Frage zur Discussion, ob zur Entlarvung von Simulanten die 
Narcose statthaft sei. Die Frage wurde im bejahenden Sinne er¬ 
ledigt. Zum Schlüsse hielt Regimentsarzt Dr. Veszely den ange- 
ktindigten Vortrag „Ueber die Skiaskopie“, worin er das Wesen 
dieser Untersuchungsmethode eingehend erläuterte und dieselbe den 
Militärärzten zur Anwendung dringend empfahl. — In der Sitzung 
vom 21. December wurde, in Folge Resignation des General-Stabs¬ 
arztes Prof. Dr. Podbazky, Oberstabsarzt Dr. Rbssig zum Vor¬ 
sitzenden des Vereines gewählt. Regimentsarzt Dr. Veszely demon¬ 
strirte 2 Fälle, in welchen ein hochgradiges Trachom durch Excision 
der UebergaDgsfalten zur vollständigen Heilung gebracht wurde, 
ferner einen Fall von Cataracta perinuclearis bei einem Individuum 
mit Residuen von in der Kindheit überstandener Rachitis. Regi¬ 
mentsarzt Dr. Faulhabeb demonstrirte Präparate von Diplococoen 
innerhalb rother Blutkörperchen bei der epidemischen Hämoglobinurie 
des Rindes, ferner die gleichfalls innerhalb der rothen Blutkörperchen 
sich aufhaltenden Plasmodien der Malaria. Nach einigen Bemerkungen 
des Regimentsarztes Dr. Habart über seine Versuche über die 
Wirkungsweise der kleincalibrigen Geschosse hielt Regimentsarzt 
Dr. Wick den programmgemäßen Vortrag Uber den Einfluß von 
Heredität und Garnisonirung auf das Vorkommen von Scrophulose 
und Tuberculose in der Armee, in welchem er auf Grund statistischer 
Daten den Nachweis zu erbringen versuchte, daß die Auffassung der 
Tuberculose als Infectionskrankheit keineswegs hinreiche, um die 
Verbreitungsweise derselben zu erklären, sondern daß hiebei noch 
andere Momente, wie Disposition und CasernirUng, eine wesentliche 
Rolle spielen. — Auf dem Programme der Sitzung vom 4. Januar 
1890 stand die Discussion über den vorerwähnten Vortrag von 
Wick und über die Influenza. Nachdem vorerst Stabsarzt Dr. von 
Fillenbaum das Präparat eines kopfgroßen Aneurysma der Aorta 
thoracica demonstrirt und Dr. Haiiabt mit BezHg auf einen ähn¬ 
lichen Fall aus seiner Erfahrung die Gefahren der Einführung von 
Schlundsonden und Magenpumpen bei unerkannt bleibenden Aneu¬ 
rysmen der Aorta betont hatte, wurde die Discussion über die 
Tuberculose-Frage vom Regimentsarzte Dr. Myrdacz mit einigen 
Bemerkungen über die statistische Seite des Gegenstandes eröffnet. 
Hierauf ergriff Regimentsarzt Dr. Kowalski das Wort, um nach¬ 
drücklich zu betonen, es sei über jeden Zweifel erhaben, daß die 
Tuberculose eine Infectionskrankheit sei, dagegen müsse die Ansicht, 
daß die Influenza auf Infection beruhe, insolange als eine blos auf 
Analogieschlüssen gegründete Muthmaßuug betrachtet werden, bis der 
Bacillus dieser Krankheit entdeckt sei. Die Discussion über beide 
Fragen wurde hierauf vertagt. M. 

(Von der Wiener Universität.) Vom Professoren-Colle- 
gium der medicinischen Facultät sind die DDr. V. Eiselsberg, 
Fraenkel, Salzer u. Em. Ullmann zur Docentur für Chirurgie, 
Keg.-A. Dr. Pick für interne Medicin zugelassen worden. 

(Auszeichnungen.) Der Curarzt in Gräfenberg-Freiwaldau, 
Joseph Schindler, erhielt in Anerkennung seines 50jährigen, sehr 


ersprießlichen Wirkens das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens; 
der praktische Arzt AlbErt Skala in Stammersdorf das goldene 
Verdienstkreuz. Dem praktischen Arzte Dr. Carl WOlf in Steyr 
wurde der Titel eines kais. Rathes verliehen. 

(Wiener medicinisches Dootoren-Colleginm.) Programm der 
Montag den 3- Februar stattfindenden wissenschaftlichen Versamm¬ 
lung: Prim. Dr. Neussee: Ueber Anämien, mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Differential-Diagnose. 

(Statistik.) Vom 19. bis inclusive 25 Januar 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5063 Personen behandelt. Hievon wurden 960 
entlassen; 122 sind gestorben (!2'81% des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aas der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 25, egyptischer Augenentzdndung —, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 3 Dysenterie —, Blattern 13, Varicellen 29, Scharlach 28, 
Maseru 129, Keuchhusten 8, Wundrothlauf 20, Woohenbettfieber 9. — In 
der 4. Jahreswocbe sind in Wien 434 Personen gestorben (+ 21 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sied: In Spalato Dr. Vincenz 
Stalio, 52 Jahre alt; in Zürich der Professor der Anatomie, 
Dr. Heinrich Frey, bekannt durch seine wissenschaftlichen Arbeiten 
auf dem Gebiete der Histologie und vergleichenden Anatomie, im 
69. Lebensjahre; in Berlin der Geh. San.-R. Dr. Carl Hofmäier, 
68 Jahre alt; in Lyon Dr. Caüvet, Professor der Materia medica 
und Botanik; in Brüssel der Professor der pathologischen Anatomie, 
Dr. Wehenkel. 


(Maager’s Med i ein al-Dorsch-Lebert h ran.) Di« heilsame Wir¬ 
kung des Leberthranes, schreibt Prof. Hnsemann in Eulenburg’s Real- 
Encyclopädie der gesammten Heilkunde, scheint nicht von einem 
eigenthümlichen wirksamen Principe desselben abzuhängen sondern dem Ge¬ 
menge von Fetten, aus welchen die Hauptmasse des Thranes besteht, »«ge¬ 
schrieben werden zu müssen. Die allgemeine Einführung des durch Dampf¬ 
destillation bereiteten Leberthranes, welche schon seit 1866 angestrebt 
wird, hat namentlich dadurch Hindernisse erfahr n, daß derselbe leicht 
der Fälschung durch Beimenguhg fremder Fette unterliegt; man thut 
daher gnt sich an solche Fabrikanten zu halten, welche Garantie für 
die Authenticität ihres Productes leisten, wie soloh« bezüglich des 
natürlichen gereinigten Medicinal-Dorsch-Leberthranes von 
Wilhelm Maager in Wien III., Heumarkt 3, geleistet wird.Was 
die therapeutische Anwendung des Leberthrams anlangt, so ist es unzweifel¬ 
haft, daß derselbe, wenn zweckmäßig, d. h. zu richtiger Zeit gebraucht, 
nicht nur bei der P h t h i s i s, sondern überhaupt bei einer Reihe von 
Zehrkrankheiten von entschiedenem Nutzen sein kann; da demselben 
überdies ein fördernder Einfluß auf die Neubildung rother Blut¬ 
körperchen zugesprochen werden muß, erscheint dessen Anwendnng bei 
Anämie jeder Art gerechtfertigt. Entschieden günstige Effecte ruft der Ge¬ 
branch des Leberthranes bei scrophnlösen Drüsenanschwellungen 
hervor; nicht selten auch bei Hypertrophie und Induration der 
Brustdrüsen nnd Hoden, sowie bei Nenbildnngen, chronisc hen Krampf¬ 
krankheiten, wie Paralysis agitans, Epilepsie, Tremor mer- 
curialis und Chorea; bei all’ diesen Leiden wirkt der TTiran als Nutriern 
und ist deshalb besonders da indicirt, wo die Affection mit großer Schwäche 
verbunden ist; bei derartigen Neurosen im kindlichen Lebensalter weist 
speciell der physiologische Fettbedarf des Organismus auf die An¬ 
wendung des Leberthranes mit zwingender Nothwendigkeit hin. 


Eingesendet. 

Geehrter Herr Redacteur! 

Ihrer freundlichen Zuschrift vom 30. d. M. entnehme ich, daß 
mir in einer früheren Publieation und in einem von mir schlecht 
revidirten, in dem in Nr. 4 Ihres geschätzten Blattes publicirten 
Artikel enthaltenen Citate ans derselben, der sehr unliebsame Lapsus 
passirte, von einer Ausbreitung der tuberculösen Infiltration bis in 
den Mittellappen der linken Lunge zu sprechen. Ihre Leser werden 
zweifellos daraus ersehen haben,'"daß^ich in der nur summarisch 
mitgetheiiten Krankengeschichte die Ausbreitung der Infiltration 
bis fast zur Mitte der linken Lunge betonen wollte. Es ist dies 
deshalb von Wichtigkeit, da nach klinischer Erfahrung es bei so 
weit die Lungenspitzen überschreitender tuberculöser Infiltration nur 
selten mehr zum Stillstände des Processes kommt. 

Ich überlasse es der Oeflentlichkeit zu beurtheilen, ob ein 
solches Verschreiben auf grober Unkenntniß elementarster Thatsachen 
beruhen müsse, wie dies ein hiesiges medicinisches Journal seine 
Leser glauben machen will. 

Wien, am 31. Januar 1890. Ihr ergebenster 

Prof. W. Winternitz. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c b n i r e r. 




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Nr. 6. 


Sonntag den 9. Februar 1890. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximlllanstrasae Nr. 4, zu richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum. Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


XXXI. Jahrgang. 


Wiener 


Abouncmentsiireise: „Mediz. Fresse' und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halty. 5 fl., viertelj. 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Beich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse- 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wienj , Maximiltanstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte, 


•38B* 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aus der chirurgischen Abteilung des Prof. v. Mosetiq-Moorhof im k. k. Krankenhause Wieden 
- Ueber Darmwandbräche. Von ^r. Ferdinand v. Kurn, Secundararat I. Classe genannter Abtbeilnng. - Ans dem gerichtlich-medicinischen 
Institute der Wiener Universität. Ueber die Entwicklung der Knochenkerne der Gliedmaßen im ersten Lebensjahre. Von Dr. L. W. Fagerlund 
in Helsingfors (Finnland). — Mittbeil an gen aas der Praxis. Ein weiteres Initialsymptom der Tabes dorsnalis. Mitgetheilt von Dr Heinrich 
WEISS in Wien. - Referate nnd literarische Anzeigen. Emil Sknger: Ueber eine zweckmäßige Methode der operativen Entfernnng von Gallen¬ 
steinen. — G. Klkmpebkr (Berlin): Ueber die Dyspepsie der Phthisiker. — Frauenkrankheiten. Kurzes Lehrbuch für Studirende nnd Aerzte Von 
Hr , C - Altenb “': g 7" Feuilleton. Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) II. Ueber die Errichtnng von Sanatorien für Schwindsüchtige - 

Kleine MIttbellungen. Die physiologische nnd therapeutische Wirkung der Cresotinsäure. — Gegen rissige Hände — Die Wirkung'der 
Cocillana bei Lungenkrankheiten. — Behandlung des Asthma. — Die specifische Wirkung des Nicotins bei Singnltus. — Iniectionen von Seew^^r 
gegen Trippe, - Verhandlnngen ürztUcher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte £ Wien. (Orig,Ber.) 1 wiener Z doZZ- 

Collegium. (Ong.-Ber.) — Verein der Aerzte in Steiermark. (Ong.-Ber.) - Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest (Orig -Ber 1 - Aus den 
Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber., Soci6t6 mSdicale des hopitaüx. — Academie de m6decine. — Acadömie des Sciences 8 ’ — Notizen — 
Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus der Chirurg . Abtheilung des- JProf. v. Mosetig- 
Moorhof im k. k. Krankenhause Wieden . 

Ueber Darmwandbrüche. 

Von Dr. Ferdinand V. Kliegl, Secundararzt I. Classe 
genannter Abtheilnng. 

Durchblättert man die Geschichte der LiTTBE’schen 
Hernien, so findet man, daß dieser Art von Darmbrüchen, 
wenn ich mich so ausdrücken darf, ein Mißtrauen entgegen¬ 
gebracht wurde. 

Als Littbk im Jahre 1699 bei der Section eines Mannes 
zufällig ein Divertikel des Dünndarmes in einem Leisten¬ 
bruchsacke fand, nnd sich dieser Befund alsbald, ebenfalls zu¬ 
fällig, wiederholte, als Ruysh ein Jahr früher ein solches 
MECKEL’sches Divertikel frei in der Bauchhöhle fand und die 
Vermuthung aussprach , daß ein solches in einen Bruchsack 
eingeklemmt werden könnte, und sich diese Beobachtungen 
von Meby, Mkckel u. A. häuften, bedeutete der Begriff einer 
LiTTBE’schen Hernie einenBruch, weicherein an gehör e- 
nes Dünndarm divertikel zum Inhalt hat. Nach 
einigen Decennien wurde dieser Begriff weiter ausgedehnt, 
wozu Gottlieb August Ricbteb 1785 in einer Abhandlung 
„Von den kleinen Brüchen“ den ersten Anstoß gab. Ja die 
Verwirrung ging so weit, daß man ausgesprochene Schlingen- 
brüche, wenn sie klein waren, in den Rahmen der „Hernie 
Littre“ faßte. 

Erst mit Rieke (1841), der als Reformator der Nomen- 
clatur zu betrachten ist, trat eine Klärung ein. Er unter¬ 
scheidet die Darmanhangbrüche von den Darmwandbrüchen. 
Ferner unterscheidet er die angeborenen Divertikel, das 
MECKEL’sche, von den acquirirten, welche bei normalem 
Darmcanal durch die Bauchpresse unter Mitwirkung des 
Zwerchfelles an Stellen entstehen, wo überhaupt Brüche zu 
entstehen pflegen. Außerdem unterscheidet er die acut ent¬ 
stehenden Darmwandbrüche. Nichtsdestoweniger ‘ wurde der 


Name „Hernie Littre“ von Vielen als Sammelname beibehalten 
nnd wird heute noch von vielen Aerzten benützt. 

Von diesen eigentlichen LiTTBK’schen Hernien, d. h. 
von dem Vorfall eines angeborenen Dünndarmdivertikels 
(Meckel) sind wohl zu unterscheiden die sogenannten Darm¬ 
wandbrüche — Enterocele lateralis. 

Kommen derlei Brüche langsam zu Stande, nach Rieke, 
so hat man einen chronischen Darmwandbruch vor sieb. Ent¬ 
stehen sie aber acut, so spricht man von einer Enterocele lat 
acuta. 

Die erstere Form wird allgemein anerkannt, die letztere 
hingegen nicht, aus Gründen, die nicht stichhältig sind 
und lediglich auf Theorie und Speculation basiren Daß 
es aber acute Darmwandbrüche gibt, ist eine längst erwiesene 
Sache. Namen wie Cooper, Collins , Madelung und viele 
andere bürgen für genaue Beobachtungen, die von den 
Gegnern im Allgemeinen als fehlerhaft bezeichnet wurden. 

Vor kurzer Zeit kamen bei uns zwei eingeklemmte 
Darmwandbrüche zur Operation. Ueberzeugt von der Rich- 
^gkeit d e rBeobachtung^ erlaube ich mir, mein Schärflein zur 
Statistik dieser Brüche beizutragen. 

Antoni e Br-, 46 Jahre alt, Tischlersgattin, gibt an, gestern 
Abends einen Centner Coaks gehoben zu haben. Sofort danach 
hätte sie einen bedeutenden Schmerz und eine Anschwellung in der 
rechten Leistenbeuge wahrgeuoraraen. In der Nacht stellte sich bei 
Fortdauer der eben erwähnten Erscheinungen Erbrechen ein. Winde 
sollen jedoch abgegangen sein, und soll Patientin noch heute Früh 
einen Stuhlgang gehabt haben. Der herbeigeholte Arzt erkannte 
eine Schenkelhernie und veranlaßte nach erfolglosen Taxisversucben 
den Transport in’s Krankenhaus behufs Vornahme der blutigen 
Reposition. 

Patientin mittelgroß, mit gracilem Knochenbao, Puls 85 
Temperatur 37. In der rechten Schenkelbeuge findet man eine 
beiläufig wallnußgroße Geschwulst. Bei genauer Untersuchung fand 
der palpirende Finger eine tiefer gelegene, etwa kirschengroße, 
pralle, derbe, druckempfindliche Geschwulst, welcher ein längliches 
etwas weicheres, ebenfalls schmerzhaftes, leicht verschiebbares Ge¬ 
bilde aufsaß. Der Percussionsschall darüber leer, Haut normal. Da 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 6. 


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die Geschwulst mit ihrem größteu Autheil unter dem PouPART’schen 
Bande liegt, so dürfte es sich wahrscheinlich um eine Schenkel¬ 
hernie handeln, umsomehr als der Tumor genau dem Schenkelcanale 
entspricht. Nach diesem Befund wurde folgende Diagnose gestellt: 
Hernia cruralis incarcerata et Lymphadenitis inguinalis dextra. 
Patientin wird durch häufiges Erbrechen gequält, das Erbrochene 
besteht hauptsächlich aus grünlichem Schleim. Sofort wird der 
Patientin ein Glycerinclysma applicirt, worauf reichlicher Stuhlgang 
erfolgt. Da somit die Gründe keineswegs zwingend sind, wird 
vorderhand mit der Herniotomie gewartet. 

Nachmittags aber verschlimmerten sich die Erscheinungen 
insoferne, als keine Winde mehr abgehen und am nächsten Tage 
auf ein Clysma und nach Hegarisirung nur Schleim kommt. In 
Folge dessen wird am 2. Tage der Aufnahme zur Herniotomie 
geschritten. In gemischter Chloroforranarcose fand man nach 
Durchtrennung der Haut und Fascia superficialis, in’s lockere Zell¬ 
gewebe eingebettet, die bläulich roth verfärbte, intumescirte Lymph- 
drüse, die ohne Mühe entfernt wurde. Nun kam man auf den sehr 
verdünnten Bruchsack. Nach vorsichtiger Eröffnung und Spaltung 
desselben präsentirte sich der Darm als eine dunkelblau verfärbte, 
doch glänzende, suffundirte Blase. Diese war haselnußgroß, lag dem 
Bruchsacke allenthalben an, jedoch nirgends adhärent und unbe¬ 
weglich. Nach mühevoller Einführung des Herniotoms wurde der 
Einklemmungsring nach innen eingeschnitten und der Darm hervor¬ 
gezogen. Derselbe wurde mit Sublimat irrigirt und genau be¬ 
sichtigt. An der convexen Seite des vorliegenden Dünndarmes sah 
man eine kreisrunde, dunkelbau verfärbte Wandpartie vorgebuchtet, 
umgeben von einem weißlichen Einschnürungsring, die Mesenterial¬ 
seite vollkommen normal. Die Vorwölbung verlor sich alsbald, und 
da sich die Darmwand lebensfähig zeigte, wurde die Reposition vor¬ 
genommen. Der Bruchsack wird mit Sublimat-Catgut abgebunden 
und abgetragen und nach Einführung eines Drainrohres die Wunde 
mit 4 Seidennähten verschlossen. 

Nachmittags befindet sich Patientin sehr wohl, der Bauch ist 
weich, nicht schmerzhaft, Temperatur 37 5, Abgang von Winden, 
am nächsten Tage Stuhlcntleerung. Am 6. Tage Entfernung der 
Nähte und des Drains, vollkommen afebriler Verlauf — naeh 18 
Tagen per primam geheilt entlassen. 

Der zweite Fall, etwas complicirter, mit ungünstigem Aus¬ 
gange, betraf eine 56 Jahre alte Taglöbnerin, die von einer medi- 
cinischen Abtheilung zu uns transferirt wurde mit der Angabe, daß 
es sich um eine Incarceration des Darmes handle. Eine verläßliche 
Anamnese zu erhalten ist kaum möglich. Die Frage nach der Dauer 
des Bestandes der Hernie bleibt unbeantwortet, in gleicher Weise jene, 
die sich auf den Beginn der Incarcerationserscheinungea bezieht. 

Patientin mittelgroß, ziemlich herabgekommen, Puls frequent, 
Extremitäten kühl. In der rechten Schenkelbeuge eine etwa hühnerei¬ 
große, derbe Geschwulst, die unverschieblich über der Unterlage 
mit ihrem größeren Antheil unter dem PouPART’schen Bande liegt 
und tympanitischcn Schall zeigt. Bauchdecken darüber normal, die 
Consistenz überall elastisch. Der Bruch weich, nicht druckempfindlich. 
Patientin wird von Zeit zu Zeit von Brechreiz gequält, zum Er¬ 
brechen kommt es jedoch nicht. Es handelte sich somit in diesem 
Falle um eine Cruralhernie, bei der die Wegsamkeit des Intestinal- 
tractes wenigstens zum Theile unterbrochen ist. Da indeß keine be¬ 
sonders zwingenden Umstände vorhanden sind, wird einstweilen von 
einer Herniotomie abgesehen. Warme Umschläge auf die Geschwulst 
und Hegarisirung blieben erfolglos. Ueber Nacht trat im Befinden 
der Pat. eine wesentliche Verschlimmerung ein. Häufiges Erbrechen, 
Auftreibung des Bauches, lebhafter Schmerz an der Bruchpforte 
zwangen zur Herniotomie, die auch sofort vorgenommen wird. In 
gemischter Aether-Chloroformnarcose wird nach Durchtrennung der 
Haut der Bruchsack geöffnet. Als Inhalt erweist sich die dunkel 
verfärbte convexe Wandpartie des Dünndarms, die zwar etwas 
suffundirt, sonst aber ganz wohl erhalten, glänzend aussieht. Bruch¬ 
wasser keines vorhanden. Abspülung des Darmes mit Sublimat¬ 
lösung, Debridement gegen das Lig. Gimbernati, Entwicklung des 
Darmes mit nachfolgender Reposition. Abbinden des Bruchsackes 
mit C'atgut, hierauf Abtragung, Verschluß der Bauchwunde durch 
5 Seidennähte, Jodoformverband. Nachmittags Temperatur 37, 
keine Schmerzhaftigkeit. Mehrmaliges Erbrechen, welches der Nar- 


'■ cose zugeschrieben wird. Da aber am nächsten Tage weder eiu 
Abgang von Winden noch von Fäcalien erfolgt, auch Hegarisirungen 
keinen Erfolg haben und Incarcerationserscheinungeu in erneuerter 
Heftigkeit auftreten, so wird auf die Anwesenheit eines zweiten 
Hindernisses geschlossen und die Explorativ-Laparotomie beschlossen. 
Da nach innen von der operirten Schenkelhernie eine deutliche 
Resistenz zu tasten ist, wird in Narcose daselbst eiugegangen, 
der Peritonealraum eröffnet und alsbald eine fixirte Dünndarmschlinge 
gefunden, die, mit Vorsicht aus ihrer Verschnürung unter dem 
horizontalen Schambeinaste losgelöst, ganz deutlich zwei Schnür- 
furchen aufweist, im Uebrigen aber, als einer Erholung noch fähig, 
reponirt wird, worauf die Bauchdecken nach vorhergegangener Irri¬ 
gation geschlossen werden. 

Am nächsten Tage ist der Bauch weich, die Schmerzhaftigkeit 
geringer. Abgang von Winden und Fäcalien kann nicht constatirt werdeu. 

Am zweiten Tage nach der Operation tritt plötzlich vehementer 
Schmerz in abdomine bei gleichzeitiger bedeutender Auftreibung 
desselben auf. Extremitäten kalt, Gesicht verfallen, Haut sub- 
icterisch verfärbt, Augen tiefliegend, matt — Singultus und Er¬ 
brechen. Puls fadenförmig, frequent, 134 — Abends erfolgt der Tod. 

Sectionsbefund: Unterleib stark aufgetrieben. Durch die erste 
Operationswunde, deren Ränder schon verklebt sind, kommt man 
bis zur Abschnürung des Bruches, die den Abschluß von der Bauch¬ 
höhle vollkommen sichert. Das Bauchfell gcröthet, die Bärme stark 
gebläht, unter einander durch eitrige Auflagerungen verklebt, im 
kleinen Becken etwa 0 - 2 Liter eines dickflüssigen, schmierigen Eiters. 
Die eingeklemmt gewesene Darmwand, 12 Cm. von der Valvula 
ßauhini entfernt, war an der dunkelblauen Verfärbung deutlich zu 
erkennen. Dieser kreisrunde, mißfärbige Theil war von einem gelb¬ 
lichweißen Ring — Einklemmungsstelle — umgeben, in welchem 
zwei hirsekorngroße Perforationsstellen zu entdecken waren. Neben 
dem abgebundenen Bruchsacke des operirten Darmwandbruches ist 
ein© Ausstülpung des Peritoneums, ein zweiter Bruchsack, zu ent¬ 
decken, welcher nach unten inneu, unterhalb des horizontalen Scham¬ 
beinastes gegen das Foramen obturatum zog, im lockeren Zellgewebe 
zwischen Schambein und Beckenmusculatur eingebettet, eine Länge 
von 3 Cm. hatte. Die darin eingeklemmt gewesene Schlinge zeigte 
deutlich zwei Schnürfurchen. Eine schematische Zeichnung (Fig. 1) dürfte 

die Verhältnisse anschaulicher machen. 
Ob der Darmwandbruch das Primäre 
war oder der Schlingenbruch, läßt 
sich nicht entscheiden. Daß der erstere 
ein recenter war, geht aus dem Be¬ 
fund hervor. Der Bruchsaok war sehr 
dünn, keine Adhäsionen, kein Bruch- 
wasser. Der zweite hatte hingegen die 
Zeichen eines schon längere Zeit be¬ 
stehenden Bruchsackes, er war verdickt 
und pigmentirt. 

Ich bin vollkommen überzeugt, 
daß es sich in beiden Fällen um 
eine „Hernie Littre“, besser gesagt 
um eine Enterocele partialis seu 
lateralis acuta handelte. 

Jeder Skeptiker muß nach Ueber- 
zeugung in vivo die Theorie von 
Roser fallen lassen und für das 
eintreten, was er bei genauer Be¬ 
obachtung sieht. 

Roser leugnet die Darmwandbrüche, weil seine Experi¬ 
mente, am Cadaver angestellt, nicht dafür sprachen. Er er¬ 
klärte sie für einen Beobachtungsfehler, indem man im Bruch¬ 
sacke allerdings einen Theil des Darmes, eine Blase fand, 
während man die im Bruchsackhalse eingeklemmte Mesenterial¬ 
wand übersah. In beiden citirten Fällen konnte man diesen 
Beobachtungsfehler ausschließen, denn die Mesenterialseite war 
vollkommen normal, und die Zeichen der Einklemmung, Ver¬ 
färbung der Darmwand und der Einschnürungsring, waren blos 
an der convexen Seite des Darmes merklich. 

Weil eine seitliche Ligatur am Darme nicht hält, weil 
eine durch einen Ring gezogene Darmwandblase nicht stehen 



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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6 


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bleibt, die Existenz der Darmwandbrüche zu leugnen, ist un¬ 
richtig, ist eine theoretische Speculation. Das Experiment 
läßt sich durchaus nicht anzweifeln, doch ist es fraglich, ob 
cs sich auf die Verhältnisse in vivo beziehen läßt. 

Roser machte seine Versuche an der Leiche, wo die 
vitale Kraft, die Elasticität der Gewebe erloschen sind, wo 
von einem Festhalten einer vorgebuchteten Darmblase nicht die 
Rede sein kann. Wenn selbst der Darm noch einen gewissen 
Grad von Elasticität hätte, so muß man diese Eigenschaft 
dem Einklemmungsring einer Leiche total absprechen. 

Nehmen wir nun an, eine Darmschlinge befindet sich 
über dem Canalis cruralis oder dem Canalis obturatorius, wo 
man nach Weknhbr (Langenbeck’s Archiv, 1869), besonders 
bei abgemagerten Individuen, im Peritoneum kleine Grübchen 
findet, so kann unter der Bauchpresse die Darmwand das 
Peritoneum vor sich treiben, ausbuchten und die Darmblase 
der Einklemmung anheimfallen. Allerdings kann daraufhin 
erwidert werden , daß durch die Fortdauer der Bauchpresse 
die Vorstülpung des Darmes so weit gehen kann, daß eine 
ganze Schlinge mit dem Mesenterium vorgetrieben wird und 
erst dann die Einklemmung erfolgt. Wir wissen aber, daß das 
Mesenterium nicht immer lang genug ist, um diesen Vorgang 
zu gestatten. Ist daher das Mesenterium kurz, so wird es dem 
weiteren Vortreiben der Darmwand hinderlich entgegen wirken. 

Finden sich obgenannte Grübchen oder existirt ein prä- 
formirter Bruchsack, so kann die Bruchbildung und Einklem¬ 
mung in einem Acte vor sich/gehen. Fraglich ist es nur, ob 
in Fällen, wo man keinen präexistirenden Bruchsack annehmen 
kann, der Darm den Bruchsack bilden und in demselben sofort 
eingeklemmt werden kann. Ich glaube, die Möglichkeit ist 
vorhanden. Findet man Veränderungen am Bruchsack, sowie 
Schwielen, Pigmentirung, Verdickung u. s. w., so wird man 
darob nicht zweifeln, daß es sich um einen alten Bruehsack 
handelt. Schwieriger ist allerdings, zu behaupten, ob der Bruch¬ 
sack im Momente der Bruchbildung entsteht. Es gibt Fälle, wo 
man die Möglichkeit eines recenten Bruches annehmen kann. 

Ist einmal die Darmwand eingeklemmt, so ist dieselbe 
in Folge totaler Absperrung der Blutcirculation einer raschen 
Veränderung unterworfen. Es kommt zur serösen Transsudation 
in die verschiedenen Darmschichten, zur Auftreibung, An¬ 
schwellung, schließlich zur Gangrän. Nicht so verhält es sich bei 
den Schlingenbrüchen, wo die Gefäße, im Mesenterialfett einge¬ 
bettet, bei geringerem Grade von Einklemmung vor vollstän¬ 
diger Compression geschützt sind. Am besten illustrirt dies 
der Fall II, wo es am Einklemmungsringe des Darmwand- 
bruches zur Perforation kam und derselbe am Schlingenbruch 
zur Norm zurückkehrte. 

Daß es sich im ersten Falle um eine acute Enterocele 
lat. handelt, ist außer Zweifel. Patientin war immer gesund, 
hatte regelmäßigen Stuhlgang, acquirirte beim Heben einer 
schweren Last einen Bruch, der die stürmischesten Incarcera- 
tionserscheinungen hervorrief. Die Einklemmung war so 
scharf, daß man, mit dem dünnsten Hemiotom nur mühevoll 
debridiren konnte, es war gewissermaßen eine Abbindungs¬ 
ligatur (Roser). Der Bruchsack dünn, kein Bruchwasser, am 
Darm fehlt jedwede Veränderung außer der Suffusion des 
incarcerirten Theiles, das vorgebauchte Stück verstreicht nach 
der Entwicklung der Därme, keine Stenosirung oder Hyper¬ 
trophie am Magenrohr, der Bruchsack dünn. All dies spricht 
doch nur für eine acute Einklemmung. 

Es ist nicht nothwendig, daß die Darmwandung diver¬ 
tikelartig ausgebuchtet sei, damit sie eingeklemmt werde. 
Die Darmwandblase wird durch die Bauchpresse selbst durch 
sehr enge Bruchpforten hinausgetrieben, die Gebilde der 
Bruchpforte weichen diesem Druck, um sich wieder elastisch zu 
sammenzuziehen. Zieht sich die Bruchpforte so sehr zusammen, 
daß sich die Schleimhaut des Darmes in radiär angeordnete 
Falten legt, so ist der Bruch gewissermaßen außerhalb der 
Bauchhöhle und ein Zurückgleiten ist unmöglich. Selbst bei 
nicht allzu enger Bruchpforte kann die Darmblase nach 
Kocher durch fibrinöse Auflagerung oder durch den Reibungs¬ 


widerstand an der Bruchpforte fixirt sein. Es ist daher ganz 
unrichtig, daß der Darm mit dem Bruchsack Adhäsionen ein- 
gehen muß, um fixirt zu bleiben. 

Aus alldem geht hervor, daß ein freier, normal ge- 
stalteteter Darm eine sofortige partielle Einklemmung erfahren 
kann und nicht, wie behauptet wird, divertikelartig ausge¬ 
buchtet sein muß. (Schluß folgt.) 


Aus dem gerichtlich-medicinischen Institute der 
Wiener Universität, 

lieber die Entwicklung der Knochenkerne 
der Gliedmassen im ersten Lebensjahre. 

Von Dr. L. W. Fagerlund in Helsingfors (Finnland). 

(Schluß.) 

Von Prof. v. Hofmann in Wien aufgefordert, das Verhalten 
des Knochenkernes im Laufe des ersten Lebensjahres näher 
zu prüfen, führte ich während des Frühjahres 1888 in Prof, 
v. Hofmann’s medico-forensischem Institut eine Serie von Unter¬ 
suchungen ln dieser Hinsicht aus. Hiebei beschränkte ich meine 
Beobachtungen indessen nicht nur auf den Knochenkem der 
unteren Femurepiphyse, sondern untersuchte auch das Verhalten 
des Knochenkerns in sämmtlichen Knochen der Gliedmaßen. 

In folgenden Tabellen (pag. 205—208) wird eine Zu¬ 
sammenstellung derselben mitgetheilt. 

Prüfen wir nun diese Tabellen näher, so finden wir, daß 
der Knochenkern der unteren Femurepiphyse so große Schwan¬ 
kungen in der Größe darbietet, daß daraus keine sicheren 
Schlußsätze über das erreichte Alter der aufgefundenen Kinder 
gezogen werden können. 

Ebensowenig gibt der Knochenkern im Caput humeri 
bestimmte Anhaltspunkte in dieser Hinsicht, denn wenn er 
auch regelmäßig bei 11—12 Wochen alten Kindern gefunden 
wird, so kommt er doch in vielen Fällen viel früher vor; 
manchmal entsteht er sogar am Ende des letzten Monats der 
Schwangerschaft. Auch die Entwicklung der Knochenkeme 
in der oberen Tibiaepiphyse, im Talus, Calcaneus und Os 
cuboideum läßt uns bei der Beurtheilung des Lebensalters 
nach der Geburt im Stiche. Dagegen scheint das Auftreten 
eines Knochenkernes in der Eminentia capitata ossis humeri, 
im Os capitatum, Os hamatum, in der Epiphysis inf. tibiae 
und im Caput femoris zu gewissen Schlußfolgerungen über 
das vom Kinde erreichte Alter zu berechtigen. Aus den 
beigegebenen Tabellen scheint nämlich hervorzugehen, daß 
in der Eminentia capitata, im Os capitatum, Os hamatum und 
in der Epiphysis inf. tibiae ein Knochenkem nicht früher als 
drei Monate nach der Geburt entsteht und im Caput femoris 
nicht, bevor das Kind ein halbes Jahr gelebt hat. Diese 
Resultate scheinen auch recht gut mit früheren Angaben 
hierüber zu stimmen und diese zu vervollständigen. Toldt 9 ) 
führt nämlich an, daß um die Mitte des ersten Lebensjahres 
der Verknöcherungsproceß im Kopfe des Oberschenkelbeines 
entsteht, welche Angabe also in Uebereinstimmung mit dem 
steht, was unsere Untersuchungen ergeben. Dagegen ist seine 
Angabe darüber, daß die distale Epiphysis tibiae ihren Knochen¬ 
kern bald nach Ablauf des ersten Lebensjahres erhält, einer 
bedeutenden Berichtigung bedürftig, da, wie aus dem Obigen 
ersichtlich, ein solcher schon bei einem 3 1 /* Monate alten 
Knaben und einem 4 Monate alten Mädchen angetroffen wurde. 
Ueber das Auftreten eines Knochenkernes in der Eminentia 
capitata ossis humeri führt Toi. dt auch an, daß ein solcher 
erst in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres entstehe. 
Unsere Untersuchungen zeigen indessen, daß ein solcher schon 
in der Mitte der ersten Hälfte des ersten Lebensjahres vor¬ 
kommt. Dasselbe gilt auch von Toi.dt’s Angabe, daß um die 
Mitte des ersten Lebensjahres die Ossification in dem Kopf¬ 
beine (Os capitatum) und Hakenbeine (Os hamatum) eintrete. 

8 ) Toldt C., Die Knochen in gerichtsärztlicher Beziehung ; in Maschka’s 
Handbuch der gerichtlichen Medicin, Bd. 3, Tübingen 18 - ?2. 

1 * 


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2Q7 _1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 208 


u 


Caput hu- 
meri 

Eminent. 

capitata 

Os capi- 
taturn 

Os harna- 
tum 

Caput 

femoris 

Epiphys. 
inf. fern. 

Epiphys. 
sup. tibiae 


Talus 


Os cuboi- 

H 

Alter, Geschlecht und Körperlänge, 
Entwicklung, Todesursache 















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- 1 


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sagittal 

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senkrecht 

frontal 

senkrecht 

frontal 

senkrecht 

1 

Knabe, 24 Stunden alt, Körperlänge 
























50 Cm., kräftig gebaut, gut ge- 























2 

nährt, Snfl'ocatio ex hronchitide . 
Knabe, 2 Tage alt, Körperlänge 54Cm., 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

5 

6 

1 

1 

— 

— 

9 

7 

12 

85 

Begii 

_ 

u d. 


kräftig gebaut, gut genährt, sufto- 





















3 

catio ex bronchitide .... 

Knabe, 2‘/j Tage alt, Körperlänge 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

5 

5 

— 

— 

— 

— 

8 

5 

95 

85 

kalkung 


52 Cm., kräftig gebaut, gut ge- 























4 

nährt, Pneum. incipiens, broncliitis 
Knabe, 3 Tage alt, Kürperlänge 50 

15 

1-5 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

5 

6 

3 

3 

- 

— 

10 

5 

10 5 

8 

15 

15 


Cm., kräftig gebaut, gut genährt, 





















Ver¬ 

kalkung 

0 

Pneumonia incipiens . . . 

Knabe, 12 Tage alt, Körperlänge 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

7 

4 

10 

7 


49 Cm., zart gebaut, sehr mager, 
Arteriitis umbilical. 


















6 

8 

8 



E 

Knabe, 12 Tage alt, Körperlängc 





















51 Cm., kräftig gebaut, gut genährt 























1 

Arteriitis umbilical. Bronchitis 
Knabe, 3 Wochen alt, Körperlänge 

1-5 

15 

— 

— 

— 


— 

— 

— 

— 

4-5 

4 5 

— 

— 

— 

— 

7 

5 

9 

5 

— 

— 


51 Cm., kräftig gebaut, gut genährt, 























8 

Bronchitis. 

Knabe, 3 Wochen alt, Kürperiänge 

— 

— 

— 

— 

-- 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

3 

— 

— 

— 

— 

9 

5 

11 

9 

1 

1 


52 Cm., kräftig gebaut, gut genährt, 
Pneumonia lob. Catarrh. intcit. levis 











6 

6 

4 




8 


11 




9 

Knabe , 4 Wochen alt, Körperlänge 



















55 Cm., ziemlich kräftig gebaut, 























10 

gut genährt, Bronchitis acut. . . 
Knabe, 6 Wochen alt, Körperlänge 56 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

_ 

— 

— 

— 

8 

8 

5 

5 

— 

— 

11 

5 

12 

8 

2’5 

2'5 


Cm., dem Alter entsprechend gebaut, 






















11 

ziemlich gut genährt, Pneum. lob. 
Knabe, 7 Wochen alt, Körperlänge 

4 

4 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

8 

8 

8 

8 

— 

— 

11 

5 

12 

8 

kalk 

ung 


59 Cm., dem Alter entsprechend 
entwickelt, gut genährt, Bronchitis 











6 






9 


15 


1-5 

15 

12 

Knabe, 10 Wochen alt, körperlänge 

















8 


53 Cm., dem Alter entsprechend ge- 





















Beginn d. 


baut, sehr abgemagert, Catarrh. in- 





















Ver- 

13 

test. chron. 

Knabe, 11 Wochen alt, Körperlänge 

— 


— 

— 

— 


— 

— 

— 

— 

7 

7 

— 


— 

— 

7 

5 

12 

9 

kalkung 

14 

52’5 Cm., stark abgemagert, Gastro- 

entero-colitis. 

Knabe, 13 Wochen alt, Körperlänge 

3 

3 

— 

— 

— 


— 

— 

— 

— 

7 

8 

5 

6 

— 

— 

8 

6 

10 

7 


— 

55 Cm., dem Alter entsprechend ent¬ 
wickelt, etwas abgemagert, Bronch., 
























15 

Catarrh. ventr.^et intest, ehr. . . 
Knabe, 3 Monate alt, Körperlänge 

4 

4 

— 

— 

2 

2 

2 

2 

— 

- 

8 

8 

6 

6 

— 

— 

12 

6 

14 

9 

4 

4 


52 Cm., sehr abgemagert, Gastro- 
enterit. ehr., Pneumonia lobular. 























16 

Amyloidosis . 

Knabe, 3 Monate alt, Körperlänge 

- 

— 

— 


— 

— 

— 

- 

— 

— 

7 

6 

6 

6 

— 

— 

11 

9 

13 

8 

3 

o 


67 Cm., Alter entsprechend ent¬ 
wickelt, ziemlich gut genährt, Tnb. 
























miliaris. 

2 

2 

— 

_ 

3 

3 

_ 

_ 


_ 

9 

8 

7 

10 



14 

8 

16 

11 

8 

8 


Knabe, 3*/j Monate alt, Körperlänge 















| 7 

18 

63 Cm., kräftig gebaut, gut genährt, 
Bronchitis purulenta, Catarrh. in¬ 
test. chron. 

2 

3 

1 

3 

3 

3 

2 

2 



9 

12 

9 

12 

2 

2 

13 

7 

20 

11 

8 

8 

Knabe, 4 Monate alt, Körperlänge 





Beginn d. 











61 Cm., kräftig gebaut, gut genährt, 





Ver- 

















19 

Bronchitis acut., Catarrh. intest, ehr. 

4 

4 

— 

— 

kalkung 

_ 

— 

_ 

— 

10 

10 

5 

5 



12 

7 

15 

10 

4 

•1 

Knabe, 6 Monate alt, Körperlänge 



















61 Cm., ziemlich kräftig, sehr gut 
genährt, Morbilli, Pneum. lobular. 

4 

4 



1 

1 





8 

9 

7 

10 



12 

6 

12 

7 

5 

5 

20 

Knabe, 7 Monate alt, Körperlänge 



















67 Cm., recht kräftig, ziemlich gut 
genährt, Bronch. acut., Catarrh. 
intest, chron. levis. 

5 

6 

2 

2 

3 

3 

3 

3 

4 

4 

9 

16 

11 

14 

7 

7 

14 

7 

20 

9 

9 

9 

21 

Knabe, 8 Monate alt, Körperlänge 














67 Cm., kräftig gebaut, sehr gut 
genährt, Bronch. acut., Pneum. lob. 
Catarrh. intest, levis. Rhachitis . 

9 

9 

1 

2 

5 

4 

4 

3 

7 

7 

11 

18 

10 

15 

10 

10 

17 

9 

24 

12 

8 

8 


Knabe, 9 Monate alt, Körperlänge 













n 

67 Cm., kräftig gebaut, gut genährt, 
Tuberc. acuta universalis .... 

7 

7 

1-5 

4 

3 

3 

3 

3 

7 

10 

10 

13 

12 

14 

( 

10 

15 

9 

22 

11 

7 

7 


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209 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 6. 


210 




Caput hu- 

Eminent. 

capitata 

Os capi- 

Os liama- 

Caput 

Epiphys. 

Epiphys. 

Epiphys. 


m 

Os cuboi- ! 

f-4 


meri 

tatum 

tum 

femoris 

inf. 

fern. 

sup. tibiae 

inf. tibiae 


. 

mm 


deum i 

a 

Alter, Geschlecht und Körperlänge, 























a 

3 

Entwicklung, Todesursache 


3 




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23 

Knabe, 12 Monate alt, Körperlänge 
























67 Cm., leicht rhachitisch gebaut, 
ziemlich gut genährt, Hydroce- 
phalus chron. 

5 

4 

2 

4 

3 

3 



l 

1 

7 

10 

7 

6 

5 

5 

13 

8 

17 

8 

5 

5 1 

24 

Knabe, 12 Monate alt, Körperlängc 
























70 Cm., ziemlich kräftig gebaut, 
recht gut genährt, Bronch., Pneum. 
chron. dextr. 

5 

5 

2 

5 

3 

3 



5 

5 

8 

14 

8 

11 

5 

6 

14 

5 

k0 

12 

6 

6 1 

25 

Knabe, 14 Monate alt, Körperlänge 
























66 Cm., ziemlich gut gebaut, recht 
gut genährt, Pneum. lob. chron. . 

5 

7 

_ 

_ 

3 

3 

2 

2 



6 

12 

7 

10 

4 

7 

14 

7 

18 

12 

8 

8 ! 

26 

Mädchen, todt bei der Geburt. Körper- 
























länge 58 Cm., kräftig gebaut, gut 
genährt . 

1.5 

15 

_ 


_ 

_ 


_ 



8 

10 

5 

5 

_ 

_ 

7 

5 

12 

7 



27 

Mädchen, 10 Stunden alt, Körperlänge 
























52 Cm., kräftig gebaut, mäßig ge¬ 
nährt, Arteriitis umbilicalis . . . 


_ 



_ 






4 

4 





9 

6 

11 

7 

1 

1 ' 

28 

Mädchen, 22 Stunden alt, Körper- 
























länge 56 Cm., kräftig gebaut, gut 
genährt, Struma congenita, Suffo- 
catio ex compressione tracheae . . 











6 

ti 

4 

4 

— 


10 

7 

10 

7 

4 

4 ! 

29 

Mädchen, 25 Stunden alt, Körperlänge 
























52 Cm., kräftig gebaut, sehr gut 
genährt, Sutfocatio ex bronchitide . 

2 

2 









6 

6 

4 

4 

_ 


10 

6 

12 

7 


_ 

ir'O 

Mädchen, 2 Tage alt, Körperlänge 
























53 Cm., ziemlich kräftig gebaut, 
gut genährt, Bronchitis. 


_ 

_ 








45 

45 

4 

5 

_ 

_ 

10 

5 

12 

9 

4 

4 

31 

Mädchen, 3 Tage alt, Körperlänge 





















Beginn d. 

Ver¬ 

kalkung 


51 Cm., ziemlich kräftig gebaut, 
gut genährt, Bronchitis, Icterus ex 
catarrho duodenali et ventriculi . 

35 

35 









5 

5 

5 

5 



9 

5 

12 

7 

32 

Mädchen, 9 Tage alt, Körperlänge 
























51 Cm., kräftig gebaut, gut ge¬ 
nährt, Bronchitis, Arteriitis umbi- 
lical., Catarrh. ventr. et coli . . 











4 

45 





10 

5 

9 

6 

1-5 

1-5 

33 

Mädchen, 11 Tage alt, Körperlänge 
























51 Cm., kräftig gebaut, gut ge¬ 
nährt, Pneumonia. 











5 

6 



_ 


9 

7 

11 

8 



34 

Mädchen, 12 Tage alt, Körperlänge 
























50 Cm., kräftig gebaut, gut ge¬ 
nährt, Phlebitis umbilical., Pyle- 
phlebitis, Phleg. mesocoli descend., 
Colitis acut. 


_ 









3 

3 





8 

5 

11 

8 

2 5 

2‘o 

36 

Mädchen, 3 Wochen alt, Körperlänge 
























50 Cm., ziemlich kräftig gebaut, 
abgemagert, Catarrh. ventr. et intest. 









_ 


5 

5 

3 

3 

_ 


11 

6 

13 

9 


_ 

36 

Mädchen, 11 Wochen alt, Körperlänge 
























57 Cm., dem Alter entsprechend ge¬ 
baut, mäßig genährt, Bronchitis . 

3 

3 







_ 


8 

10 

9-5 

10 

— 

_ 

9 

6 

12 

8 

3 

3 

37 

Mädchen, 3 Monate alt Körperlänge 
























57 Cm., Alter entsprechend gebaut, 
mager, Catarrh. gastro - intestinal. 
Tuberculosis pulm. incipiens. . . 

4 

4 



3 

3 

2 

2 



8 

85 

7 

10 



11 

ü 

15 

8 

6 

6 

38 

Mädchen, 4 Monate alt, Körperlänge 
























61 Cm., kräftig gebaut , gut ge¬ 
nährt, Tuberc. pulm. et peritonei . 

6 

6 

1 

1 

4 

4 

3 

3 

_ 


10 

14 

9 

14 

6 

6 

14 

6 

20 

10 

7 

7 

39 

Mädchen, 6 Monate alt, kräftig ge- 
























baut, gut genährt, Bronchitis, 
Catarrh. intestinal. 

4 

2'5 

1 

2 




_ 



7 

11*5 

5'5 

7 

5 

5 

16 

65 

11 

7 

4 

4 1 

40 

Mädchen, 7‘/ a Monate alt, Körperlänge 























| 

64 Cm., ziemlich kräftig gebaut, 
gut genährt, Sutfocatio ex bronchitide 
Catarrh. gastroenter. Hydroceph. 
chron. 

7 

i 7 

3 

5 

4 

' 4 

3 

3 

— 


10 

16 

9 

13 

8 

8 

15 

9 

21 

11 

8 

8 


Unsere Untersuchungen sind also geeignet gewesen, die 
Z eit, in der ein Knochenkern in den oben erwähnten Knochen 
entsteht, näher zu begrenzen, und wird man wohl, ohne Gefahr 
sich zu irren, die gefundenen Resultate bei der Beantwortung 
der Frage berücksichtigen können, wie groß das von einem 


aufgefundenen Kinde erreichte Lebensalter sei. Daß man 
jedoch seine Schlußfolgerungen nicht allein auf das Vor¬ 
kommen oder Fehlen der genannten Knochenkerne stützen 
darf, ist selbstverständlich; es müssen auch außerdem alle 
Anhaltspunkte, die man sonst hiefür besitzt, geprüft werden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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Mittheilungen aus der Praxis. 

Ein weiteres Initial Symptom der Tabes 
dorsualis. 

Mitgetheilt von Dr. Heinrich Weise in Wien. 

Es fällt einem praktischen Arzte schwer, zu dem erschöpfenden 
Bilde der Initialsymptome der Tabes dorsualis, welches Prof. Dr. 
Kahler in dem interessanten und formvollendeten Vortrage in 
der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener medicinischen 
Doctoren-Collegiums x ) vom 27. Januar d. J. entworfen hat, noch 
etwas hinzuzufügen. Selbstverständlich liegt es mir auch vollkommen 
ferne, in irgend welcher Form Kritik zu üben. Nur eine nackte 
Thatsache will ich erwähnen und auf eine einmal gemachte Beobach¬ 
tung die Aufmerksamkeit bei Verdacht auf Tabes leuken. 

Im Januar v. J. hatte ich in der Familie des Herrn N. G. 
ärztlich zu thun. Bei dieser Gelegenheit kam derselbe auf die an¬ 
strengende Thätigkeit seines Berufes zu sprechen. Er war nämlich 
Buchhalter in einem Bankhause und batte, außer einigen Nebenbe¬ 
schäftigungen gleicher Art, auch seinen Chef an der Börse zu ver¬ 
treten. Ueber letzteren Theil seiner Beschäftigung beklagte er sich 
am meisten, weil er im Drange der Geschäfte oft gestoßen werde. 
Er finde niemals Zeit zum Ausweichen und carambolire sehr häufig. 
Ich legte der Sache keine besondere Bedeutung bei und dachte 
nicht weiter daran. 

Der Mann oblag seinen Pflichten mit minutiöser Genauigkeit 
und fühlte sich auch nicht veranlaßt, ärztliche Hilfe aufzusuchen. 
Wegen Hartleibigkeit trank er einige Zeit Marienbader Kreuzbrunnen 
und ging täglich des Morgens ein bis zwei Stunden spazieren, ohne 
dabei besonders zu ermüden. Mitte August desselben Jahres kam 
Patient in meine Ordination. Er klagte über Schwerhörigkeit und 
über Brummen und Sausen in den Ohren. In beiden Ohren war eine 
Menge Cerumen angehäuft, und als ich dasselbe entfernt hatte, gab 
Pat. an, etwas besser zu hören. Nach einigen Tagen ließ er mich 
zu sich bitten. Das Ohrensausen war wieder da und außerdem 
klagte er über lancinirende Schmerzen in den unteren Extremitäten. 
Pat. hatte nie Syphilis und war auch nicht hereditär belastet. 

Erst bei diesem Anlasse untersuchte ich den anämischen, 
schlecht genährten 53jährigen Mann genauer, weil ich Verdacht auf 
Tabes schöpfte. In der That waren die Sebnenreflexe am Knie 
sehr bedeutend herabgesetzt, später fehlten sie ganz. Dazu gesellten 
sich die übrigen manifesten Symptome der Tabes. Am rechten Auge 
bestand eine Myosis, etwas stärker ausgeprägt als am linken; eine 
Atrophia nervi optici war in einer später von einem Specialisten 
vorgenommenen Spiegel Untersuchung nicht zu constatiren. Impotenz 
trat nie ein. Es mag dieser letztere Umstand vielleicht darin be¬ 
gründet sein, daß sich fast gleichzeitig beim Pat. die Zeichen der 
progressiven Paralyse (die Tabes des Gehirnes mit vielem Rechte 
benannt) entwickelten. 

Beiläufig gesagt, ist die Verbindung beider Krankheiten an sich 
nichts Auffälliges und nach Westphal sehr häufig. Der Harn 
war eiweißfrei. 

Im weiteren Verlaufe wäre noch zu erwähnen, daß während 
der jüngsten Influenza Epidemie Pat. sowohl, wie seine sämmtlichen 
Hausgenossen (2 Erwachsene und 4 Kinder) von der Influenza be¬ 
fallen wurden und bei dieser Gelegenheit eine catarrhalische Pneu¬ 
monie mit hohem Fieber, heftigen Kopfschmerzen, Delirien und 
Hallucination sich einstellte. Das Fieber und die catarrhalischen 
Erscheinungen ließen nach, aber Pat. wurde sehr redeselig und 
sprach verworren. Zweimal in einer Zwischenpause von 8 Tagen 
traten Anfälle von jACKSON’scher Epilepsie auf und daran knüpften 
sich die Erscheinungen von Aphasie und Alalie. 

Gegenwärtig hat sich , wie das oft vorkommt, der Zustand 
wieder etwas gebessert. Pat. spricht ziemlich klar und deutlich, wenn 
auch scandirend. Den größten Theil des Tages verbringt er im 

') S. r Wiener Med. Presse“, 1890, Nr. 5. 


Bette, ist jedoch reinlich und verrichtet seine Leibesfunctionen 
wieder außer Bett. Gegen seine frühere Redseligkeit fällt seine 
derzeitige Ruhe auf, ohne daß er just wortkarg wäre. Schreibproben, 
die ich vornehmen ließ, fielen befriedigend aus. Impotenz scheint 
auch jetzt nicht vorhanden zu sein. Harn ist frei von Eiweiß. 

Ich habe hier die rudimentäre Krankengeschichte mitgetheilt, 
nicht um zu zeigen, daß in diesem Falle eine Tabes dorsualis un¬ 
bestreitbar vorliegt, sondern um das allererste Glied in der Kette 
der Erscheinuugen in diesem Falle hervorzuheben, nämlich das 
Unvermögen, nach rückwärts zu gehen. Denn nichts 
anderes war ,der Grund der Klage des Pat., daß er oft caram¬ 
bolire. Atactische Erscheinungen waren zu jener Zeit noch gar keine 
vorhanden. Pat. ging sonst rasch uud sicher, ohne besonders zu 
ermüden. Dieses Unvermögen, nach rückwärts zu schreiten, war das 
erste Frühsymptom des traurigen Processes, und der Umstand, daß 
weder Rademachkr noch Kahler desselben Erwähnung thun, ver- 
anlaßte mich, dasselbe hervorzuheben. 

Es ist aber keineswegs Eitelkeit im Spiele, denn ich habe 
ja, wie Eingangs erwähnt, dem Symptom keine Beachtung geschenkt 
und nicht die geringste Consequenz daraus gezogen. Es ist aber, 
wie ich noch hinzufügen will, nicht einmal neu. 

Denn daß das Unvermögen, nach rückwärts zu gehen, ein 
höchst beachtenswertes Frühsymptom der Tabes sei, hat schon J. 
AlthaüS („Brit. med. Journ.“, 1884) beobachtet, und zwar wurde 
er zuerst bei einem Maler auf diesen Mangel aufmerksam, welcher 
sich beklagte, daß er nicht im Stande sei, von seinem Bilde rückwärts 
zu schreiten, um das Gemalte aus größerer Entfernung zu beur¬ 
teilen. Althaus schildert den Zustand der Kranken beiläufig fol¬ 
gender Maßen: „Diese sind geradezu an den Boden gefesselt, denn 
ihre Haken wollen sich nicht vom Grunde erheben, sie straucheln 
sehr leicht bei dem Versuche und fürchten zu fallen.“ Gerade der 
Gegensatz zwischen dem leichten Vorwärtsschreiten und dem unbehol¬ 
fenen Rückwärtsgehen legt nach Alth^üs den Verdacht einer begin¬ 
nenden Tabes nahe. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Emil Senger: Ueber eine zweckmässige Methode der 
operativen Entfernung von Gallensteinen. 

Das von Verf. in Nr. 2 der „Berl. klin. Woch.“ vorge¬ 
schlagene Verfahren besteht in Folgendem: Er bringt unter Chloroform- 
narcose möglichst die ganze Gallenblase so vor die Bauchdecke, daß 
sie gänzlich extraperitoneal zu liegen kommt. Damit sie nicht zurück- 
schlüpfen kann, biegt oder knickt er sie nach der rechten Seite um, 
und befestigt ihre Wandungen an die Bauchhaut durch eine Seiden - 
naht. Jodoformgaze unterhalb und oberhalb der Blase und ein ent¬ 
sprechender Verband erhält die Blase in derselben Lage. 

Nach 1—2 Tagen, wenn ein plastischer Verschluß zwischen 
Blase und Bauchfell eingetreten, schneidet er den steinigen Inhalt 
aus und näht die Blase sofort wieder zu. 

Dieser, sowie der folgende Theil der Operation erfolgt ohne 
Chloroformnarcose, da er keine irgendwie bemerkenswerthe Schmerzen 
verursacht. Sollte ein Stich nicht geheilt haben, also Galle heraus¬ 
laufen, so ist absolut keine Gefahr, da die Bauchhöhle abgeschlossen 
ist und die Galle in die aufsaugenden Verbandstoffe dringt. Man 
kann dann zum zweiten, dritten und vierten Male die Gallen¬ 
blase nähen. 

Wenn die Naht fest ist und keine Galle den Verband gefärbt 
hat, so kann man jetzt 2 Wege einschlagen: man sprengt den 
plastischen Verschluß der Bauchhöhle, versenkt die Gallenblase und 
näht die Bauchdecken darüber; zweitens, wenn man die Blutung 
oder die Infection, oder sonst etwas dabei fürchtet, so überläßt man 
die vor den Bauchdecken liegende Gallenblase sich selbst. Sie zieht 
sich allmälig, aber stetig zurück, bis sie unter den Bauchdecken 
gelegen und fast normale Lage angenommen hat. Der Effect in 
dem letzten Falle ist dann so, als ob die Blase mit ihrer Kuppe 
an der Bauchwand angewachsen wäre. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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Wenn es im schlimmsten Falle nicht gelingen sollte, die Blase 
durch die Naht ganz zu schließen, so ist zunächst zu bedenken, 
daß bei der KüSTBR’schen Operation der Patient wahrscheinlich 
in Lebensgefahr wäre, und dann wird ja mit größter Wahrschein¬ 
lichkeit die punktförmige Fistel später beim Zurückgehen der 
Blase sich von selbst schließen. Jedenfalls hat man noch immer 
günstigere Verhältnisse als bei der sonst üblichen Cystotomie. Diese 
einfache Methode verbindet also das Ideal der KüSTEß’schen Ope¬ 
ration mit der Gefahrlosigkeit der gewöhnlichen Cystotomie. 

Senger hebt besonders die Gefahrlosigkeit und die große 
Bequemlichkeit, an der Blase zu operiren, hervor. Letztere liegt 
wie eine Extremität vor, und man kann mit Leichtigkeit ein 
Stück reseciren oder Naht anlegen. Natürlich ist es nicht in allen 
Fällen nöthig, die ganze Gallenblase aus der Bauchhöhle zu schaffen, 
sondern nur so viel, daß man den steinigen Inhalt bequem ent¬ 
fernen und nähen kann. Immer aber muß die Kuppe über dem 
Bauchfell liegen. 

Selbstverständlich ist das Verfahren contraindicirt, wenn die 
Gallenblase geschrumpft und so klein geworden ist, daß sie unter 
keinem Umstande aus der Bauchhöhle gebracht werden kann, auch 
nicht, wenn man die Leber etwas nach oben dreht. Für die meisten 
übrigen Fälle dürfte das obige Verfahren allen Anforderungen am 
besten entsprechen. M. 

G. Klemperer (Berlin): Ueber die Dyspepsie der Phthi¬ 
siker. 

Die dyspeptischen Beschwerden der Phthisiker gewinnen in 
dem Krankheitsbüde der Tuberculose sehr häufig eine dominirende 
Bedeutung; es sind ja bekanntlich nicht selten chronische Magen- 
oatarrhe, die, einen beginnenden Spitzenproceß verdeckend, der Be¬ 
handlung lange trotzen und erst später zur Diagnose des Grund¬ 
übels führen. Von hervorragender Wichtigkeit ist aber für die 
Therapie und Prognose der Lungenphthise der jeweilige Zustand 
des Magens, weil von der Ernährung und der roborirenden Diät 
wohl in erster Linie die Chancen für einen Stillstand oder eine 
Besserung des Processes abhängen. 

Im Hinblick auf die große praktische Bedeutung dieser Frage 
hat Klemperer die Verdauungsstörungen der Schwindsüchtigen nach 
den verbesserten diagnostischen Methoden untersucht und berichtet 
in den gesammelten „Arbeiten aus der ersten medicinischen Klinik 
zu Berlin, herausgegeben von E. Leyden“ (1888—89) über die 
hier gewonnenen Erfahrungen. 

Verf. hat auch hier sein bereits beschriebenes (s. „Wiener 
Med. Presse“, Nr. 5) Verfahren des Milchprobefrühstücks ver- 
werthet, und es genügte der qualitative’ Nachweis, um in den meisten 
Fällen hinreichend sichere Schlüsse auf die Secretionstüchtigkeit der 
Magenschleimhaut zu gestatten; nur in principiell wichtigen Fällen 
wurde die motorische Leistung durch Eingießung und Wieder¬ 
gewinnung einer bestimmten Menge von Olivenöl geprüft. 

Die untersuchten Fälle scheiden sich in 2 Kategorien, in die 
initiale und die terminale Dyspepsie. 

Die erstere Form ähnelt der nervösen Dyspepsie und der 
Hyperacidität des Magens; Sodbrennen, Aufstoßen, Ueblichkeit, Druck 
und Völle in der Magengegend sind ihre vorwaltenden Symptome. 
Die Secretionsthätigkeit in diesem Stadium ist meist normal, selten 


F e u i 11 e t o n. 

Berliner Briefe. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

Heber die Errichtung von Sanatorien für Schwindsüchtige. 

Die Frage bezüglich der Errichtung gesonderter Pflege- und Heil¬ 
anstalten für Lungenphthisiker ist in neuerer Zeit sowohl in England 
wie in Oesterreich und Frankreich auf’s lebhafteste discutirt worden, 
und auch in Deutschland hat man in den letzten Jahren angefangen, 
in Folge des durch neue Forschungen erweiterten Gesichtskreises 
dieser Frage eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es dürften 


214 


herabgesetzt; meist besteht eine geringe motorische Schwäche, be¬ 
gleitet von einem erhöhten Salzsäuregehalte. 

Die terminale Dyspepsie constituirt sich aus einer hochgradigen 
Herabsetzung der motorischen Kraft und der Secretionsthätigkeit, 
starken Gährungserscheinungen, sowie Erweiterung des Magens. Sie 
hat große Aehnlichkeit mit den Befunden bei Magencarcinom und 
atrophirenden Catarrhen. 

Diese Ergebnisse haben nichts für die phthisische Dyspepsie 
Charakteristisches; es verläuft vielmehr die Dyspepsie der Phthisiker 
unter dem Bilde eines chronischen Catarrhs, der mit motorischer 
Schwäche einsetzt, hierauf Hyperacidität darbietet und schließlich 
zu versiegender Secretion bei gleichzeitiger Ectasie führt. 

Das Hervorstechendste in den gefundenen Symptomen ist 
jedoch auch bei der initialen Form die motorische Schwäche, die 
dann in weiterer Consequenz zu den geschilderten Erscheinungen führt. 

Auf diese muß daher vor Allem die therapeutische Action ge¬ 
richtet sein. Man wird Salzsäure im Initialstadium strenge meiden, 
andererseits aber auch gerne von der Darreichung der Alkalien, welche 
Gährungsvorgänge begünstigen und die Schleimhaut reizen, abstehen. 
Am zweckmäßigsten bekämpft man nach dem Autor die motorische 
Schwäche durch Alkohol, Cognac und Bittermittel. Unter letzteren 
nimmt das Creosot einen hervorragenden Platz ein; es wirkt — 
und in diesem Sinne äußern sich ja viele Autoren — mehr als 
Bittermittel als durch seine antibacillären Eigenschaften Mau reicht 
es in Kapseln oder Pillen oder in alkoholischer Lösung eine Viertel¬ 
stunde nach der Mahlzeit 3 mal täglich in steigenden Dosen von 
0-05—02 Grm. oder in der von Fräntzbl angegebenen Form. 

Elektricität, Massage und Suggestionstherapie dürften sich 
auch hier in vielen Fällen bewähren. G. 


Frauenkrankheiten. Kurzes Lehrbuch für Studirende und 

Aerzte. Von Dl*. C G. Rothe in Altenburg. III. Auflage. 

Leipzig 1890. Abel. 

Ein Bild der Gynäkologie zu geben, wie es sich in dem engen 
ßahmen der Privatpraxis gestaltet, bezeichnet der Verfasser als den 
Zweck des Buches. Denn anders ist die Stellung des Arztes in 
seiner Privatpraxis am Krankenbette, als die des Leiters einer Klinik, 
geringer sind seine Hilfsmittel, unmittelbarer seine Verantwort¬ 
lichkeit. 

Diesem Zwecke entspricht das Werkchen in vollkommenem 
Maße. Trotz seiner gedrängten Kürze ist es vollständig in seinem 
Inhalte. Die einzelnen Capitel bringen alles Wissenswerthe über 
Pathologie, Aetiologie, Symptomo, Diagnose, Verlauf und Behand¬ 
lung. Nur durch geschickte Darstellung und Hinweglassung über¬ 
flüssiger Worte gelingt es dem Verfasser, in dem knappen Raume 
ohne sachliche Lücken ein so vollständiges Bild zu liefern und sogar 
reichliche Literaturangaben zu bieten, obwohl das ganze Buch kaum 
400 Seiten Taschenformat mit 46 Holzschnitten im Texte umfaßt. 

Dabei entwickelt der Verfasser neben den herrschenden An¬ 
schauungen auch seine eigenen und die Erfahrungen seiner Praxis. 

Die jüngsten Neuerungen, Lawson Tait’s Dammoperation, 
Teure Brandt’s Behandlungsmethode, Kraskk’s Methode, an¬ 
gewendet auf die Uterusexstirpation etc., sind in die neue Auflage 
bereits aufgenommen. Dr. Breus. 


daher die Mittheilungen von allgemeinerem Interesse sein, welche 
Geh.-R. Leyden in der letzten Januar-Sitzung des Vereins für innere 
Medicin zu Berlin über seine Stellung zu dieser Frage gemacht hat. 
Der Vortragende knüpfte seine Erörterungen an die Vorstellung 
zweier Patienten mit Pyopneumothorax tuberculosus an, 
welche Affection er durch frühzeitige Rippenresection und äußerst 
sorgfältige Behandlung der Phthisis nach den für dieselben gegen¬ 
wärtig maßgebenden Priucipien in Heilung übergeführt hat, während 
die Patienten früher als inoperabel und verloren angesehen wurden. 

Leyden wies zunächst darauf hin, daß, wenngleich sich in den 
letzten Jahren eine Reihe von specifischen Mitteln bei der Behand¬ 
lung der Lungenphthise eine Zeit lang eines großen Renommös er¬ 
freute, die Gesammtresultato im Großen und Ganzen doch wenig 
befriedigen konnten. Alle die neuerdings gerühmten Specifica, wie 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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die Einathmung der heißen Luft, die Schwefelwasserstoffklystiere etc. 
haben sich schließlich als wirkungslos erwiesen. Auch das von 
mancher Seite als Specificum sehr geschätzte Creosot kann Leyden 
nicht als solches anerkennen, obzwar er seine Anwendung bei der 
Tuberculose als ganz zweckmäßig zugesteht. Bei solchen Gefahren 
wird man zu der Ueberzeugung gedrängt, daß der Schwerpunkt der 
Therapie bei der Behandlung der Phthisis wie anderer Krank¬ 
heiten nicht in der specifischen Behandlung zu suchen ist, sondern in 
derjenigen Behandlungsweise, deren Bestreben unausgesetzt darauf 
gerichtet ist, den Organismus durch fortdauernde Kräftigung wider¬ 
standsfähiger zu machen und ihn zu befähigen, den Krankheits- 
prQceß allmälig zurück zudrängen und zu überwinden. 

Diese in neuerer Zeit mehr und mehr zur Geltung gekommene, 
hygienisch-diätetische Behandlungsmethode beruht im 
Wesentlichen auf einer methodischen, nach wissenschaftlichen Grund¬ 
sätzen geleiteten Ernährung. Den Anforderungen dieser Methode 
können aber die modernen Kliniken und Krankenhäuser nicht voll¬ 
kommen genügen. Wenn aber Finkelnburg von der bisherigen 
Behandlung und Pflege der allerdings nur in verhältnißmäßig geringer 
Zahl iu Krankenhäusern behandelten Schwindsüchtigen keinen Nutzen 
und nur Gefahren für andere sieht, so ist dieses Urtheil entschieden 
zu hart und nur bis zu einem gewissen Grade zu rechtfertigen. 
Gewiß hat die Behandlung der Schwindsüchtigen in allgemeinen 
Krankenhäusern viele Mängel, namentlich wenn dieselben nicht nach 
allen Seiten über die notbwendigen Mittel verfügen können, und 
daher hat sich mehr und mehr die Erkenntniß Bahn gebrochen, daß 
gerade die Tuberculose in den allgemeinen Krankenhäusern keines¬ 
wegs ihre völlig genügende Behandlung findet, da in ihnen weder 
alle Methoden, noch alle Concentrationen in der Behandlung gegeben 
werden können. Es wird sich daher die Nothwendigkeit heraus¬ 
steilen , daß sich, wie in der ärztlichen Praxis, so auch in Bezug 
auf Krankenhäuser gewisse Specialitäten entwickeln werden, und 
aus diesem Grund muß die Errichtung von Sanatorien für Schwind¬ 
süchtige als ein weiterer Fortschritt der Behandlung bezeichnet 
werden. 

In dieser Beziehung sind die Bestrebungen von Brehmer 
(Görbersdorf) als ein neuer Abschnitt in der Behandlungsweise der 
Lungenschwindsucht zu bezeichnen, indem derselbe mit praktischem 
Blick die Bedeutung der hygienisch-diätetischen Behandlung in ge¬ 
schlossenen Anstalten erkannt hatte und in glücklicher Durchführung 
dieser Ideen die Heilbarkeit der Phthisis durch therapeutische Ma߬ 
nahmen bewies. Dettweiler, Meissen u. A. haben dann diese 
Methode auch nach der wissenschaftlichen Seite hin weiter ausge¬ 
bildet und ihr große Anerkennung verschafft. Immerhin aber sind 
nur wenige solche Anstalten vorhanden, und auch diese wegen ihrer 
Kostspieligkeit nur für gewisse Classen der Gesellschaft zu benutzen. 

Die weitaus meisten Phthisiker dagegen aus allen Schichten 
der Bevölkerung genießen eine sehr unvollkommene Behandlung 
ihrer Krankheit, ein Umstand, der in hohem Maße beklagens- 
werth ist. 

Im Gefolge der Humanitätsbestrebimgen unserer heutigen Zeit 
sind nun namentlich in Berlin und am Rheine, Bewegungen auf¬ 
getreten , welche dahin zielen, die Errungenschaften der modernen 
Therapie der Phthise auch den ärmeren Bevölkerungsclassen zu 
Theil werden zu lassen. In der Berliner Stadtverwaltung hat man 
die Nothwendigkeit, resp. die Nützlichkeit der Errichtung besonderer 
städtischer Heil- und Pflegeanstalten für Phthisiker in ernste Erwägung 
gezogen. In der Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu 
Berlin hat sieb die größere Mehrzahl der Mitglieder bezüglich dieser 
Frage in bejahendem Sinne ausgesprochen, während die Charitö- 
gesellschaft sich dagegen erklärt, offenbar entsprechend den ver¬ 
schiedenen Gesichtspunkten, welche für die Erörterung der Frage 
maßgebend waren. In der ersteren Gesellschaft ist in erster Linie 
der Gesichtspunkt betont worden, daß die Phthisiker in den allge¬ 
meinen Krankenhäusern eine Ansteckungsgefahr für andere Kranke 
abgeben, in der Familie aber die Möglichkeit der Uobertragung der 
Krankheit noch vergrößern, so daß die Nothwendigkeit der Isolirung 
iu dringender Weise vorliege. Leyden kann diese Anschauungen 
vom ärztlichen Standpunkte aus nicht im gleichen Maße theilen. 


Man hat schon in früherer Zeit die Ansteckung der Lungenschwind¬ 
sucht als feststehend angesehen, wofür, wie von See kürzlich in 
der französischen Akademie hervorgehoben wurde, der Umstand 
spricht, daß schon im Jahre 1782 der König von Neapel ein Edict 
erlassen hat, wonach die Phthisiker als ansteckende Kranke aus der 
Gesellschaft entfernt und in besonderen Hospitälern untergebracht 
werden sollten. Auch waren die Aerzte verpflichtet, jeden neuen 
Fall von Phthisis zur Anzeige zu bringen. Dieses Edict, welches bis 
zum Jahre 1848 in Kraft geblieben ist, hat aber nicht den Effect 
gehabt, daß die Zahl der Phthisiker in Italien geringer geworden 
ist, sondern nur, daß sie geächtet und ein Schrecken der übrigen 
Bevölkerung waren. Nach Leyden’s Ansicht darf man eine Ma߬ 
regel nicht für gerechtfertigt erachten, welche, ohne daß sie einen 
evidenten Nutzen bringt, eine ganze Classe von Kranken aus der 
Bevölkerung ausschließt, nicht im Interesse der Heilung , sondern 
zum Schutze Anderer vor Ansteckung. Die letztere Gefahr ist 
keineswegs so groß, wie man früher vielfach angenommen hat. 
Nach den Untersuchungen von Cornet sind nur die phthisischen 
Sputa und Dejectionen zu fürchten, deren Bacillen, eingetrocknet, dem 
Staube sich beimischen und oingeathmet werden. In der Tbat ist 
ein großer Theil der phthisischen Erkrankungen auf Staubinhalationen 
zurückzuführen, doch gibt es gegen diese Art der Ansteckung keinen 
absoluten Schutz, und selbst wenn man den größten Theil der 
Phthisiker aus der Gesellschaft entfernte, würden doch ein paar 
Kranke noch genügenden Ansteckungsstoff produciren können. 

In ganz anderem Lichte dagegen erscheint die vorliegende 
Frage, wenn man in erster Linie das Interesse der tubereulös 
Kranken in’s Auge faßt und die zu errichtenden Krankenhäuser 
nicht als Isolir-, sondern als Heilanstalten betrachtet. Die Er¬ 
richtung solcher Heilanstalten in größerer Zahl werden die Aerzte 
gewiß mit großer Freude begrüßen, weil dadurch einer großen Zahl 
von Phthisikern die Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung ge¬ 
geben und ihnen theils Heilung, theils Verlängerung des Lebens 
gewährt wird. Diese Ideen sind auch in der Versammlung des 
niedorrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Düssel¬ 
dorf, namentlich in den Referaten von Finkelnburg und Zimmer¬ 
mann, zum Ausdruck gebracht worden. 

Im weiteren Verfolg dieses Gedankenganges darf wohl der 
Wunsch rege werden, daß auch für Berlin*) derartige Sanatorien 
geschaffen werden. Die Zahl der Tuberculösen in dieser beständig 
an Einwohnerzahl wachsenden Stadt ist eine außerordentlich große, 
und zwar gehören dieselben allen Ständen an, während nur ein 
kleiner Theil von ihnen in der Lage ist, sich die Vortheile einer 
klimatischen oder Anstaltsbehandlung zu verschaffen, denn zu einer 
derartigen Cur gehört nicht blos viel Geld, sondern auch viel Zeit. 
Außerdem wird man ohne Weiteres einräumen müssen, daß die Be¬ 
handlung der Phthisiker in den Familien und den allgemeinen 
Krankenhäusern durchaus nicht der Höhe der Leistung entspricht, 
welche die innere Medicin heute zu erreichen im Stande ist. In 
hohem Maße bedauerlich wäre es daher, wenn die von der Stadt¬ 
verwaltung Berlin angeregten Ideen bezüglich der Pflege der 
Schwindsüchtigen wieder in’s Stocken gerathen sollten, und es scheint 
daher Pflicht der Aerzte, die Frage aufs Neue anzuregen. Es 
handelt sich ja nicht blos um die Fürsorge für Tuberculose aus 
den Classen der Armen und der Arbeiter, sondern ganz wesentlich 
sind dabei auch diejenigen Gesellschaftsclassen zu berücksichtigen, 
welche auf ihren Erwerb angewiesen und daher nicht wohlhabend 
genug sind, um die entfernten Sanatorien genügend für sich aus¬ 
zunützen , während sie bei geringen Kosten in städtischen Heil¬ 
anstalten sich ihrer Familie erhalten könnten. Die Errichtung 
solcher Sanatorien in der Umgebung von Berlin für die weniger 
bemittelten Kranken würde daher als ein bedeutender Fortschritt 
in der Behandlung der Phthisiker angesehen werden müssen. 

—r. 

*) Für Wien wurde derselbe Wunsch neuerdings durch einen popu¬ 
lären Vortrag Schröttek’s propigirt. Die Red. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


Kleine Mittheitungen. 

— In dem 26. Berichte aus dem Berner Kinderspitale be¬ 
richtet Prof. Demmr Aber die Resultate seiner Versuche Uber die 

physiologische und therapeutische Wirkung der Cresotinsäure. 

Das verwendete paracresotinsaure Natrium ist ein fein krystallinisches 
Pulver von bitterem, jedoch nicht widerlichem Geschmack. Es löst 
sich in 24 Theilen erwärmten Wassers, ohne sich nach dem Erkalten 
desselben wieder auszuscheiden. Bei Versuchen an sich selbst empfand 
Demme nach Gaben von 3—4 Grm. keine bemerkenswerthen Er¬ 
scheinungen. Nach 2 in einer Stunde genommenen Gaben von je 3 Grm. 
bemerkte Demme des Gefühl einer größeren Füllung der arteriellen 
Hautgefäßc mit leichtem Klopfen der Schläfenarterien und manch 
mal rasch sich einstellendem wohlthuendem, nur mäßigem Schwei߬ 
ausbruch. Die Verdauungsfunctionen wurden dabei nicht gestört, 
ein Sinken der Körpertemperatur nicht bemerkbar. Schon 20—30 
Minuten nach der Einnahme des Medicaments trat im Harne bereits 
die Eisenchloridreaction auf, und noch nach 24 —36 Stunden ist 
eine Spur von Ansscheidung nachweisbar. Bei Kindern wurde es 
zunächst als Antipyreticum verwendet, und zwar sowohl in concen- 
trirten, als auch in verdünnten Lösungen unter Zusatz von Zucker 
mit einigen Tropfen Cognac oder Aqua foeniculi oder Succus liqui- 
ritiae. Das Präparat wnrde in dieser Form gerne genommen und 
gut vertragen. Das paracresotinsaure Natrium, in kleinen Dosen 
fortgereicht, scheint bei der Behandlung des Abdominaltyphus einen 
günstigen Einfluß auf die Zahl der Darmentleerungen auszuüben. — 
Die Fälle von fibrinöser, lobulärer Pneumonie verliefen unter der 
Darreichung des paracresotinsauren Natriums in der gewöhnlichen 
Weise. Bei der catarrhalischen lobulären Pneumonie hat es aller¬ 
dings den Anschein, als ob rechtzeitig beim Wiederansteigen des 
Fiebers gereichte und methodisch während mehrerer Tage fortgesetzte 
kleine Gaben des Medicamentes — bei 2—4 Jahre alten Kindern 
zweistündlich O'l Grm. — den Krankheitsverlauf abkürzen und die 
so leicht erfolgenden neuen Nachschübe, bezw. Recidiven des Pro- 
cesses verhindern. Bei tubercnlöser Phthise wirkte das Medicament hier 
eben symptomatisch antipyretisch, nicht besser und nicht schlechter wie 
jedes andere Antipyreticum. Die Herabsetzung der Temperatur erfolgt 
durch größere Einzelgaben — beispielsweise bei einem kräftigen, 
10—12 Jahre alten Kinde durch 3 stündlich gereichte Gaben 
von je l'O oder unter Umstäuden von Anfangs 1*5 und nachmals 
l'O oder 0'5 innerhalb 2—4 Stunden. Es beträgt der totale 
Temperatnrabfall wenigstens 0*5, häufiger 1*0— 1 *5, ausnahmsweise 
selbst noch mehr. Sollten sich ausnahmsweise Collapserscheinungen 
einstellen, so erweisen sich einige größere und wiederholt ge¬ 
reichte Gaben Cognac in Wasser am zweckmäßigsten. Wie bei 
einer Reihe anderer der aromatischen Reihe zugehörender Anti- 
pyretica, so selien wir in seltenen Fällen auch nach Einver¬ 
leibung des paracresotinsauren Natriums ein Arzneiexanthem auf- 
treten. Dasselbe wurde in der Form eines Erythema fugax bei 
zwei Patienten beobachtet. Neben der die Temperatur herabsetzenden 
Wirkung hat das paracresotinsaure Natrium ebenfalls einen, wenn 
auch nicht unbedeutenden Einfluß auf die Zahl der Herzcontractionen. 
Es setzt dieselben herab. Dabei nimmt im AnfaDg die Spannung 
der Gefäßwände zu, der Puls erscheint voller, die Systole voll¬ 
ständiger. Von der Schleimhaut des Magens und Darmrohres wurde 
das Medicament mit wenigen Ausnahmen gut vertragen. Fortge¬ 
setzte kleinere Gaben des paracresotinsauren Natriums wirken eher 
beschränkend auf die Zähl der Stuhlgänge ein. Die betreffende 


Formel lautet: 

Rp. Natrii paracresotinici . . . O'l—0-2 

Tinct. thebaic. gtt.2—4 

Cognac. l’O 

Syrupi gummosi. 5'0 

Aqu. dest.25’0 


MDS. 2stündlich 1 Kaffeelöffel. 

Das Allgemeinbefinden der Patienten wurde durch das Medi¬ 
cament, meist ähnlich der Wirkung des Antipyrins, günstig ver¬ 
ändert, jedenfalls nicht gestört. Vergleichen wir die Wirkung des 
paracresotinsauren Natriums mit derjenigen der uns bis jetzt bekannten 
Antipyretica, so würde dieses Medicament dem salicylsauren Natrium 


am nächsten stehen. Das Hauptfeld seiner Anwendung würde eben¬ 
falls die Polyartbritis rhcumatica acuta sein. 

— Gegen rissige Hände, wie sie häufig im Winter, nament¬ 
lich bei Landarbeitern, arg quäleud Vorkommen, hat sich folgendes, 
von Dr. Steffen (Regensdorf) in Nr. 2 des „Corresp.-Bl. für 
Schweizer Aerzte“ mitgetheilte Mittel gut bewährt: 


Rp. Menthol.1*50 

Salol.2-0 

01. olivar.2'0 

Lanolin.50'0 

M. f. llng. 


S. Täglich 2mal einzureiben. 

Die Schmerzen uehmen sofort ab, die borkige Haut wird 
weicher und die Risse heilen rasch aus. 

— D. Stewart theilt in Nr. 9 der „Medical News“ „(Fortschr. 
d. Med.“) seine Erfahrungen über die Wirkung des Cocillana bei 
Lungenkrankheiten mit. Cocillana ist die Rinde eines Baumes 
einer Guarea-Art, aus der Familie der Meliaeeen, in Bolivia ein¬ 
heimisch. Sie hat in ihrer Wirkung viel Aehnlichkeit mit der 
Ipeeacuanha und wird von Stewart auf Grund zahlreicher Beob¬ 
achtungen bei snbacuten und chronischen Formen von Bronchial- 
catarrh mit geringer oder mäßig profuser Secretion empfohlen. 
Unter ihrem Gebrauche wird die Expectoration erleichtert, gleich¬ 
zeitig auch das Bcdürfniß zum Husten herabgesetzt. In 2 Fällen 
beobachtete Stewart auch das Verschwinden vorher bestandener 
Nachtschweiße. Die angewandte Dosis betrug einen halben Thee- 
löffel der Tinctur in Zwischenräumen von mehreren Stunden. 

— Prof. Dieulafoy gibt in Nr. 2 des „Journ. de med. de 
Paris“ folgende Vorschriften für die Behandlung des Asthma: Im 
Beginne des Anfalles ist die Nase, und zwar möglichst tief, mit 


folgender Lösung auszupinseln: 

Rp. CocaYn. hydrochlorati .... l'O 
Aqu. dest.20*0. 


Statt dessen kann man auch Nase und Schlund mit warmem 
Wasser*, in welchem sich eine geringe Menge der Flüssigkeit befindet, 
besprayen und wird alsdann häufig den Anfall vollkommen coupiren 
können. Gelingt dies nicht, so befeuchte man ein Taschentuch mit 
etwa 6—12 Tropfen Pyridin und lasse diese tief einatbmen. Ist 
der Anfall, wenn man hinzugerufen wird, bereits in seinem Acrue- 
Stadium, so injicire man eine halbe Spritze einer lproc. Morphin- 
lösung. Genügt dies nicht, so folgt nach Verlauf einer Viertelstunde 
eine zweite Halbspritze. Das eigentlich specifische Medicament gegen 
Asthma ist das Kalium jodatum, welches in Tagesdosen von 1*5 
bis 2 Grm. verabreicht wird. Man boginut seine Application mit 
0*25 Grm. pro die und steigt allmälig, zumal in veralteten Fällen, 
bis auf die qn. Tagesmenge. — Um die Disposition für Asthma 
zu bekämpfen, hat man 3 Medicamente: Jodkali, Belladonna und 
Arsenik. Letztere werden folgendermaßen angewandt. 14 Tage lang 
werden pro Tag 1 Grm., ja selbst 2 Grm. Jodkali gegeben, hierauf 


gleichfalls 14 Tage hindurch: 

Rp. Fol. Belladonnae 

Extr. Belladonnae aa.0*2 

Pulv. Liquir. q. s. u. f. pillul. 20 
Täglich V 2 —1 Pille. 

Außerdem täglich: 

Rp. Natr. Arsenicos.0'05 

Aqu. dest.80'0 


Täglich 1 Kaffeelöffel zu nehmen. 

Bei emphysematösen Patienten außerdem Inhalation compri- 
mirter Luft. 

— Dr. Higginbotham rühmt in Nr. 1 der „St. Petersb. med. 
Woch.“ die specifische Wirkung des Nicotins bei Singultus. Er 

reicht das Nicotin in Pillenform mit einem indifferenten Extract in 
Dosen von 1 / 40 Grm. Bei 2 Männern von 40—50 Jahren war der¬ 
selbe als Nachkrankheit nach tiberstandener Influenza aufgetreten 
und wich schon nach der ersten Gabe, nachdem andere Mittel 
14 Tage hindurch vergeblich gereicht worden waren. In einem 
dritten Falle hatte der Singultus bei einem bejahrten Fräulein einen 
chronischen Verlauf gehabt. Die Dauer desselben war auf 5 Tage 
zurttckzuführen. W r interaufenthalt in Nizza und Meran hatte keine 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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Besserung gebracht. Das Scbnucken, welches zu jeder Tageszeit, 
auch Nachts, auftrat, war hier von einem höchst störenden, nicht 
allein in der Wohnung der I’atientin, sondern im ganzen Hause 
hörbaren Schrei im höchsten Discantton begleitet. Bei dieser Patientin 
hatte die Influenza auf den Singultus keinen Einfluß ausgeübt; hier 
mußte die Gabe öfters wiederholt werden, ehe das Uebel vollkommeu 
schwand. In allen 3 Fällen waren die Krampfschmerzen in den 
Brust- und Bauchmuskeln bis zur Unerträglichkeit gestiegen. 

— Dr. O’Bkien empfiehlt im „Brit. med. Journ.“ injectionen 
VOR Seewa8Ser gegen Tripper. Im Militärbospital zu Dover be¬ 
handelte er 32 Fälle von Blennorrhoe nach dieser Methode. Die 
durchschnittliche Heilungsdauer betrug 8’87 Tage. Die Kranken 
wurden noch 8 Tage nach vollständigem Aufhören des Ausflusses 
in Beobachtung gehalten Nur ein einziges Mal trat Recidive ein. 
Die Injectionen wurden mit reinem Seewasser 8mal in 24 Stunden 
vorgenommen und die Flüssigkeit einige Minuten in der Harnröhre 
behalteu. Am besten war die Wirkung, wenn das Wasser erwärmt 
wurde. Verf. schreibt die günstige Wirkung des Seewassers dem 
Einflüsse der alkalischen, antiseptischen und tonischen Eigenschaften 
desselben auf die Schleimhaut der Harnröhre zu. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 7. Februar 1890. 

Vorsitzender: Hofr. Billroth. —Schriftführer: Doc. Dr. Berg¬ 
meister. 

Dr. THOMAS AbARAZI (Chili) demonstrirt Photogramme mikro¬ 
skopischer Präparate des Ohres und der Nase. 

Assistent Dr. Herzfeld Stellt eine Frau vor, die gebärend 
mit subnormaler Temperatur (36 - 2°) und in collabirtem Zustande auf 
die Carl BRAUN’sche Klinik gebracht wurde. Der Arm der Frucht 
hing heraus, der leere Uteruskörper lag rechterseits, der Cervix w/ir 
sehr stark gedehnt, die sogenannte BANDL’sche Furche deutlich 
wahrnehmbar. Drei Tage nach dem Blasen sprang hat ein Arzt, 
der die Querlage erkannte, die Decapitation versucht, von der er 
aber bald abstehen mußte. Herzfeld machte die Decapitation; 
nach Extraction der Frucht und Ausstoßung der mißfärbigen Placenta 
fand Herzfeld an der linken Wand des Cervix einen mehr als 
handbreiten Riß. Da man eine vorbergegangene Infection annehmen 
mußte, in welchem Falle die Laparotomie aussichtslos ist, wurde 
die Tamponade des Uterus und der Rißwunde mit Jodoformgaze 
vorgenommen und ein Compressionsverband angelegt. Am 6. Tage 
hatte die Frau eine Temperatur von 38'2, worauf die Jodoformgaze 
entfernt wurde; es fanden sich einige diphtheritisch belegte Ge¬ 
schwüre, die offenbar von der Decapitation herrührten, in der Vagina. 
Die Scheide wurde mit Jodtinctur verätzt und die Tamponade 
wiederholt. Die Frau genas vollständig. Auch dieser Fall spricht 
dafür, daß die Jodoformgazetamponade in den Fällen, wo keino 
Infection stattgefunden hat, genügt, insbesondere wenn der Riß 
nicht durch das Peritoneum ging. 

Dr. KUMPF demonstrirt einen nach der Thdre BRANDT’schen 
Methode behandelten und binnen 6 Wochen geheilten Fall von Pro¬ 
lapsus uteri, bei dem die Heilung schon 6 Monate persistirt. Es 
ist dies der dritte publicirte Fall, bei welchem die Heilung mehr 
als ein halbes Jahr dauert. 

DOC. Dr. KÖNIGSTEIN Stellt einen Knaben vor, der beim 
Schießen mit Bolzen in’s Auge getroffen wurde. Königstein fand 
die Pupillen sehr verengt, sah den Eingang der Verletzung und fand 
zwischen Cornea und Linse einen fremden Körper, der einem Blut- 
coagulum ähnlich sah. Nach 2 Tagen hellte sich die Cornea auf 
und man konnte deutlich sehen, daß der zwischen Cornea und Linse 
gelegene Körper kein Blutcoagulum, sondern ein Stückchen Siegellack 
war, welches von dem am Ende des Bolzen befindlichen Siegellack 
herrührte. 

Hofr. Albert: Ueber Scoliose. 

A. exponirt die verschiedenen Theorien der Scoliose, die 
Rotationstheorie Mayer’s, die Torsionstheorie Lorenz’s und die 


Theorie der seitlichen Neigung NicOLADOXi’s und bespricht die 
von den verschiedenen Autoren pro und contra angeführten Argu¬ 
mente. Zu seinen eigenen Betrachtungen übergehend, bemerkt A., 
daß keine laterale Asymmetrie der Wirbel besteht, wie Nicoladoni 
annimmt, sondern eine Obliquität der Wirbelkörper. Sieht man das 
Emissarium als hinteren Mittelpunkt des Wirbelkörpers an — und 
dies muß man aus demselben Grunde, aus dem man die Symphyse 
des Unterkiefers als Mittelpunkt betrachtet — und verlegt mit 
Nicoladoni deu vorderen Mittelpunkt nach der concaven Seite hin, 
so ist die, diese zwei Punkte verbindende Gerade keine sagittale, 
sondern eine schräge Linie, und der Wirbelkörper zerfällt in eine 
vordere convexe und hintere concave Hälfte. 

Wenn man scoliotische Wirbel neben einander ansieht, so 
findet man, daß der Wirbelkörper nach der Seite der Concavität 
in die Breite wächst; was er an Höhe verliert, gewinnt er an 
Breite; es liegt eben hier dasselbe vor, was wir bei Druckatrophie 
an anderen Stellen sehen. Dazu kommt noch die von Nicoladoni 
constatirte Thatsache, daß die Compacta an der tragenden Seite, 
an der Concavität, zunimmt. Es findet also erst eine gewisse Um¬ 
wandlung der Form und dann eine functiouelle Veränderung statt. 

Eine bis nun nicht beobachtete Thatsache besteht darin, daß 
an der concaven Seite die Wirbelkörper an der hinteren Seite 
niedriger sind als an der vorderen. Ferner beobachtet man bei Be¬ 
trachtung scoliotischer Wirbel von der Seite, daß die Gelenkfortsätze 
steil stehen. An den Brustwirbeln zeigen die Basalflächen normaliter 
eine Convergenz nach vorne. Wenn bei der Scoliose die physio¬ 
logische Dorsalkrümmung verschwindet, so geht damit eine Auf¬ 
richtung der Wirbelsäule einher, die Convergenz nach vorne 
schwindet, und wenn wir sehen, daß die Körper hinten niedriger 
sind als vorne, so müssen wir sagen, daß in der sagittalen Projec- 
tion eine Umkrümmung der Wirbelsäule vor sich geht, ein Symptom, 
das A. als Reclination bezeichnet. Zu diesen Reclinationssymptomen 
gehört noch der Verlust der Neigung der Dornfortsätze, die horizontal 
werden. 

Wir haben daher bei der Scoliose folgende Symptomenreihe: 

1. Inclinations- oder Inflexionssymptome; die 
Wirbelkörper werden keilförmig, daher auch die Bogengebilde auf 
der einen Seite verkümmern. 

2. Torsionssymptome bei Ansicht von oben, Obliquität 
der Wirbelkörper, Abknickung der Bogenwurzel. 

3. Reclinationssymptome bei seitlicher Ansicht. 

Ein Rest von Torsion im alten Sinne bleibt doch noch übrig, 
indem die sagittale Linie auf der frontalen nicht mehr senkrecht 
steht. S. 


Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 3. Februar 1890- 

Prim. Neusser : Ueber Anämien mit besonderer Berücksichti 
gung der Differentialdiagnose. 

I. 

Eine eigentliche Anämie bedeutet Abnahme der gesammton 
Blutmenge. Solche wahrste Anämien treten in acuter Form unmittelbar 
nach Blutungen auf, können aber auch in chronischer Weise als 
Theilerscheinung der Abmagerung des gesammten Organismus ihre 
Entstehung und Entwickelung finden. Die wahre quantitative Anämie 
bietet als äußeres Zeichen das Symptom der Blässe dar, und trotz¬ 
dem ist der qualitative Befund ein normaler. Um so überraschender 
ist die Thatsache, daß es Formen quantitativ und qualitativ normalen 
Blutes gibt, die in gleicher Weise nach ihrem äußeren Merkmal, 
der Blässe, Anämie Vortäuschen. Wenn Jemand ohnmächtig wird, 
so wird er blaß, im gewöhnlichen Sprachgebrauch „hochgradig 
anämisch“; trotzdem hat dieses Individuum keinen Tropfen Blut ver¬ 
loren und jeder Tropfen ist normal. Das Individuum hat sich in 
seinen eigenen Bauch verblutet, indem die Hautgefäße sich ver¬ 
engert, die Darmgefäße sich erweitert haben. Ein ähnlicher Vor¬ 
gang spielt sich bei jenen acuten Formen des Abdominalshoks ab, 
die durch plötzliche Strangulation des Darmes entstehen, gleichgiltig, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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ob ein pseudomembranöser Strang oder ein Bruchring den acuten 
Darraverschluß bewirkt. Die Erwähnung dieser Ohnmachts- und 
Collapsformen als Prototyp der acuten Pseudoanämien, bei denen 
die Blutmischung unverändert ist, erscheint deshalb nicht über¬ 
flüssig, weil es auch ähnliche Formen chronischer Pseudoanämien 
gibt, die auf dieselbe Ursache ungleicher Blutvertheilung zurückzuführen 
sind, so z. B. die mit starker Pulsatio aortica einhergehende 
nervöse Anämie, ferner die Verhältnisse ungleicher Füllung in den 
Gebieten der A. subclavia und des Truncus thyreo-cephalicus bei 
Morbus Basedowii etc. Im Gegensatz zu diesen Pseudoanämien und 
zu den eingangs erwähnten wahren Anämien bespricht N. nur jene 
Form der Anämie, die durch qualitative Abnormität der Blut- 
Zusammensetzung in den einzelnen Bestandteilen desselben gekenn¬ 
zeichnet ist, und zwar zunächst die Chlorose. 

Charakteristisch für die gewöhnlichen Formen der Chlorose 
ist eine geringe Verminderung der rothen Blutkörperchen bei stark 
herabgesetzter Färbekraft. Die Erklärung dieses Phänomens beruht 
auf der Prävalenz der kleinen Mikrocyten vor den Normocyten und 
Makrocyteu. Für die Oligochromämie scheint nicht nur die Kleinheit 
der Elemente, sondern auch eine mangelhafte Imbibition der Zellen 
mit Hämoglobin von Belang zu sein. Als weitere wichtige Eigen¬ 
schaft ist die Ungleichheit der rothen Blutkörperchen in Volumen, 
Form und Farbe zu verzeichnen. Ausgesprochene Poikilocytose, wie 
sie bei schwereren Anämien vorkommt, gelangt hiebei nicht zur 
Beobachtung. Die Anhäufung der Hämatoblasten, vorzüglich im Be¬ 
ginne der Therapie, hat namentlich eine diagnostische Bedeutung in 
Fällen von Chlorose, in welchen die Zahl der Blutkörperchen unter 
das gesetzliche Minimum sinkt. Sie hat aber auch eine prognostische 
Bedeutung, weil sie die Wahrscheinlichkeit einer raschen Heilung 
verkündet. Es gibt ferner auch Fälle von Chlorose mit auffallendem 
Hämatoblastenmangcl. In solchen Fällen kann das Eisen zu einem 
bedeutenden diagnostischen Reagens werden. Nach Verabreichung 
desselben steigt nämlich bei echten Chlorosen rapid die Zahl der 
eisenbedürftigen Hämatoblasten. 

Die ausgesprochene Anämie der Schleimhäute und der Haut, welch 
letztere mitunter ein wechselndes elastisches Oedem zeigt, ist nicht 
ausschließlich pathognostisch für die Chlorose. Sie findet sich auch 
bei posthämorrhagischen Anämien. In Anbetracht des in beiden Fällen 
unter Umständen gleichen Blutbefundes wird uns oft die Differential¬ 
diagnose schwer zwischen einer Endometritis haeraorrhagica und 
einer menorrhagischen Chlorose. Vom therapeutischen Standpunkte 
erscheint aber diese Unterscheidung wichtig, weil die Behandlung 
in beiden Fällen eine verschiedene sein muß, und weil nach den 
Beobachtungen Trousseaü’s bei den Chlorosen mit übermäßig ge¬ 
steigerter Menstruation sich das Eisen ebenso wirksam erweist, wie 
bei der amenorrhoischen Form. In ähnlicher Weise bereiten die 
posthämorrhagischeu Anämien blutender Magengeschwüre in Fällen, 
wo die Blutung selbst vom Kranken übersehen wurde und daher 
anamnestisch nicht klar gestellt werden konnte, der Diagnose 
zuweilen große Schwierigkeiten. Und diese können umso eher 
eiutreten, als es Fälle von Ulcus gibt, bei welchen der Fett¬ 
polster erhalten bleibt, andererseits aber gastrische Formen von 
Chlorosen, bei welchen die Ernährung darniederliegt. Bereits 
Oppolzer hat in einer klinischen Vorlesung gepredigt, daß man, 
um sich vor einer Verwechslung von Chlorose mit Ulcus zu schützen, 
sehr genau die Reihenfolge, in welcher sich die Symptome ein- 
slelleu, zu eruiren trachten solle. Dabei ergibt sich, daß bei Chlorose 
gewöhnlich schon längere Zeit die Blässe, das Herzklopfen, die 
Mattigkeit, die Menstruationsanomalien und dergl. mehr zugegen 
waren und daß sich erst im Verlaufe Digestionsbeschwerden hinzu¬ 
gesellten. Bei Ulcus veutriculi hingegen verhält es sich meistens 
umgekehrt. Es kommen die Symptome der Magenkrankheit früher 
zum Vorschein als die anderen. 

Auf die größten Schwierigkeiten stößt die Diagnostik dort, 
wo es sich um Combinationen dieser Zustände handelt, Befunde, 
welche durchaus nicht selten sind. In solchen diagnostischen 
Zwangslagen lohnt sich manchmal die Ausnützung von anscheinend 
kleinlichen, unwesentlichen Symptomen. 

Die dyspeptischen Chlorosen sind dadurch ausge¬ 
zeichnet, daß nebst Anämie die gastrischen Störungen derart in den 


Vordergrund treten, daß die Krankheit unter der Maske eines selbst¬ 
ständigen Magenleidens sich äußern kann. 

In der Mehrzahl der Fälle von Chlorose hat man Magen¬ 
störungen zu verzeichnen. Diese können entweder den Chemismus 
oder den Mechanismus der Magenfunctionen betreffen. Was den 
Chemismus anlangt, so liegen darüber erst aus letzter Zeit einige 
Untersuchungen vor, woraus hervorzugehen scheint, daß secretorische 
Hyperacidität oder Hyperchlorie, wie auch das Fehlen der Salzsäure, 
die Achlorie, weitaus das Seltenere, die Herabsetzung des Salzsäure¬ 
gehaltes, Hypochlorie, das häufigere Vorkommniß darstellen. 

Was das Vorkommen der Fälle erster Kategorie, d. h. von 
Chlorosen mit Hyperacidität, betrifft, so ist zu bemerken, daß diese 
ihre Entstehung wohl kaum der Anämie als solcher, sondern viel¬ 
mehr deren Complicationen verdankt. Vor Allem ist die bei Chlorosen 
vorkommende Erweiterung des Magens durch Retention der Ingesta 
und consecutive Reizung der secretorischeu Organe in der Magen¬ 
schleimhaut im Stande, dieses Phänomen zu erzeugen, dann ist aber 
nicht die Chlorose, sondern die Magenerweiterung Ursache der Salz- 
säurehypersecretion. Darin liegen aber schon Anhaltspunkte für die 
Diagnose, im Gegensatz zu solchen Fällen von Ulcus, wo kerne Er¬ 
weiterung besteht. Ein anderes Mal sind vielleicht Combinationen 
mit Hysterie maßgebend, wie dies ein von N. beobachteter Fall zeigt: 

Eine typische anämische Hysterica, die mit Singultus und 
Paraplegie behaftet war, zeigte selbst nach Einführung des Probe¬ 
frühstückes bei der Ausheberung des Mageninhaltes noch nach einer 
halben Stunde nicht eine Spur von freier H CI, um dann plötzlich 
einem überfluthenden Erguß von Salzsäure Platz zu machen. 

Was nun die Fälle betrifft, bei denen vollständiger Mangel 
von Salzsäure im Mageninhalt besteht, so ist zu bemerken, daß 
gerade dieses Fehlen der Salzsäure als pathognomonisches Zeichen 
der Atrophie der Magendrttsen gilt. Es findet sich deshalb bei 
pernieiöser Anämie und ist fast ebenso eigentümlich für Carcinom 
des Magens. Wenn man bedenkt, daß es Chlorosen gibt, die an 
der Grenze derpernieiösen Anämie stehen, wenn man ferner bedenkt, daß 
Magenneubildungen mit chlorotischem Blutbefund auch bei jugend- 
I liehen Individuen Vorkommen können, so ist es einleuchtend, wie 
schwer uns in solchen complicirten Fällen die Differentialdiagnose 
falleu mag. Die Untersuchung des Mageninhaltes kann hier wohl 
helfen. Der Mageninhalt bei Carcinom unterscheidet sich trotz des 
Fehlens der freien Salzsäure namentlich bei stenosirenden Formen 
durch seine saure Reaction, bedingt durch die Gegenwart von Milch- 
und Buttersäure. Der Pepsiugehalt ist sehr stark herabgesetzt oder 
aufgehoben. Bei den dyspeptischen Formen der Chlorose hingegen 
findet man trotz des Fehlens der freien Salzsäure Pepsin und Pepton 
im Mageninhalt. Auch bei einfachen schleimigen Magencatarrhon 
findet sich dasselbe Verhältniß des Magensaftes, und gerade diese 
ähnlichen Befunde er.-chweren die Diagnose. Es ist bekannt, daß 
Dyspepsien zu hochgradigen Anämien führen, doch wohl nie zu 
Chlorosen. Die Blutbefunde bei Dyspepsien sind trotz hochgradiger 
Anämien der Haut und der Schleimhäute, trotz Nonnengeräusch fast 
normal, ln Fällen, in welchen Chlorose sich mit Catarrh vereinigt, 
ist das Vorhandensein von Schleim im Mageninhalt für bestehenden 
Magencatarrh ausschlaggebend. 

Was nun die Therapie betrifft, so gibt es Fälle, die bei ein¬ 
facher Eisenbehandlung geheilt werden. In anderen Fällen wird 
das Eisen nicht nur nicht vertragen, sondern steigert noch die 
Magenbeschwerden. Für solche Fälle empfehlen Girard und Hayem 
das Ferrum oxalicum oxydulatum in Dosen von 2 Grm. täglich. 

N. hat dieses Präparat nicht verwendet, dagegen hat er oxal- 
Baures Cerium vielfach bei tuberculösen Dyspepsien und Erbrechen 
aus verschiedenen Ursachen mitunter mit sehr gutem Erfolge an¬ 
gewendet. Da es möglich wäre, daß nicht dem Cerium allein, sondern 
der Oxalsäure als solcher oder ihrer Verbindung mit Metallen diese 
günstige Wirkung zukommt, so erscheint der Rath Hayem’s um so 
mehr der Berücksichtigung würdig. Die Intoleranz mancher dys- 
peptischer Chlorosen gegen Eisen kann mitunter durch gleichzeitige 
oder der Eisenbehandlung vorangehende Inhalation von Sauerstoff 
behoben werden, doch muß man zu diesem Behufe große Quantitäten 
einathmen lassen. N. fängt in der Regel mit 50 Liter täglich an, 
um schnell auf 100—200 Liter täglich anzusteigen. Vielleicht liegt 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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gerade in der Dosirung des Mittels der Schwerpunkt der Sauerstoff¬ 
behandlung und die Erklärung der Meinungsdifforenz über den Werth 
derselben bei Leukämie. Auch rohes oder getrocknetes defibrinirtes 
Blut wurde bei diesen Formen empfohlen. N. hat damit mehrere 
Versuche angestellt, mußte sie jedoch bald aufgeben, weil Diarrhoen 
aufgetreten sind. Ferner wurden von ganz verläßlicher Seite Beob¬ 
achtungen mitgetheilt, daß Chlorotische, die Eisenpräparate in keiner 
Form vertragen, durch Genuß von großen Quantitäten rohen Fleisches 
vollständig geheilt wurden. Diese Behandlungsmethode erscheint auch 
durchaus nicht irrationell, denn mit dem rohen Fleisch wird das 
Eisen dem Magen als Hämoglobin einverleibt und kann als häma¬ 
togenes Derivat desselben in den Kreislauf gelangen. Doch schon 
der Widerwillen der meisten Menschen gegen rohes Fleisch ist ein 
Hinderniß für diese Methode, welches sich noch verdoppelt, da die 
dabei mögliche Einbringung von Baudwürmern speciell für anämische 
Kranke keineswegs gleichgiltig erscheint. Man muß sich daher auf das 
am Herde zugerichtete Fleisch beschränken. Doch gibt es Fälle von 
Chlorosen, bei welchen die Fleischkost geradezu contraindicirt ist. 
Es sind dies die Fälle, bei denen ein sehr lästiger Foetor ex ore 
besteht, welcher bei Intactheit sämratlicher Theile des Respirations- 
tractes bei Chlorosen, häufig aber auch sonst bei blühenden Mädchen 
vorkommt und die Trägerinnen desselben gesellschaftlich unmöglich 
und daher unglücklich macht. Für solche Fälle ist der Vegetarianismus 
angezeigt, denn der Hauptrepräsentant der hier in Betracht kommen¬ 
den Riechstoffe ist das Scatol, welches nach Untersuchungen von 
Nencki und Salkowski gerade vom Fleischeiweiß geliefert wird, und 
gerade bei der Chlorose finden sich alle abnormen chemischen Vor¬ 
gänge, welche die Scatolbildung im Darm und seine Resorption 
steigern: die Fäulniß des Fleischeiweißes im Dünndarm, träge 
Peristaltik, herabgesetzte Oxydation, verlangsamter Stoffwechsel und 
Verminderung der Sulfate im Blute und in den Geweben. Die Grund¬ 
elemente einer rationellen Behandlung in solchen Fällen müssen daher 
därin bestehen, die FleUchfäulniß im Darm durch Antiseptik der¬ 
selben zu behindern, die Darmperistaltik anzuregen, den Stoffwechsel 
zu steigern und die Sulfate zu vermehren. Alle diese Bedin¬ 
gungen werden erfüllt oder zum großen Theile herbeigeführt, wenn 
die eigentliche, Scatol in großer Menge liefernde Muttersubstanz, 
also das Muskelfleisch, durch Pflanzenkost ersetzt wird. S. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 27. Januar 1890. 

Prof.WÖLFLER stellte einen Fall von Pneumatooele capitis 
vor. Der 29 Jahre alte Patient litt seit dem Jahre 1878 an einem 
Ausflusse aus der Nase, welcher zuerst schleimiger, später eiteriger 
Natur war. Nach einiger Zeit entwickelte sich ein Oedem des 
linken oberen Augenlides und eine Geschwulst, welche von 
der Nasenwurzel schief nach auswärts und abwärts zog. Die Ge¬ 
schwulst ist Zusammendrückbar und kann bei Compression der 
Nasenlöcher durch Exspiration von dem Patienten willkürlich auf¬ 
geblasen werden, in welchem Zustande sie sich auch durch die 
Percussion als ein mit Luft gefüllter Raum zu erkennen gibt. 
Es gibt eine Pneumatocele occipitalis und syncipitalis. Bei der 
ersteren ist es nothwendig, daß eine Communication zwischen den 
Zellen des Processus mastoideus und der Paukenhöhle bestehe. Denn 
nur so kann es geschehen, daß bei starken Exspirationen Luft aus 
der Paukenhöhle in die Zellen des Processus mastoideus eindringe 
und unter das Pericranium gelange. In Fällen von Caries des 
Proc. mastoid. entwickelt sich keine Pneumatocele. Mitunter spielen 
Verletzungen eine gewisse Rolle. Gewöhnlich handelt es sich um 
angeborene Defecte. Daß diese Geschwülste trotzdem erst bei Er¬ 
wachsenen auftreten, mag mit der mit den Jahren zunehmenden 
Exspirationskraft Zusammenhängen. Bei der syncipitalen Pneumato¬ 
cele gehen dem Auftreten Eiterungen voraus, die zur Zerstörung 
von Knochen (Muscheln und Nasenseptum) führen. Auch im vor¬ 
liegenden Falle gingen Knochensttickchen ab und gelangt die Sonde 
auf necrotischcn Knochen. 


Möglicherweise handelt es sich in dem vorliegenden Falle um 
eine Lues. 

Therapeutisch kann man Compression des Tumors versuchen, 
ferner Spaltung und eventuell Ausräumung der Höhle. 

Prof. v. Wagner: Ueber Osteomalacie und Geistesstörungen. 

Die Osteomalacie wird als eine in unseren Gegenden äußerst 
seltene Erkrankung angesehen, nach Ansicht des Vortragenden nicht 
ganz mit Recht. Vortragender batte im Ganzen 11 Fälle beob¬ 
achtet , darunter 6, welche vorher als verkannt in Behandlung 
anderer Aerzte gestanden wareu. Die Krankheiten, mit denen Ver¬ 
wechslungen Vorkommen, sind Myelitis und Ischias. Die wichtigsten 
Anfangssymptome sind Schmerzen, welche als bohrend oder reißend 
angegeben werden, ferner Druckempfiudlichkeit, besonders der 
Wirbelsäule. Dazu kommt noch eine sich bald emsteilende motori¬ 
sche Insufficienz. Die Patienten bekommen bald einen eigentüm¬ 
lichen Gang, den man als watschelnd bezeichnen könnte. Alle 
rein nervösen Störungen fehlen eigentlich. Auch die Knochen des 
Schädels nehmen an den osteomalacischen Veränderungen Theil, 
und zwar besonders bei den nicht puerperalen Formen derselben. 
Lucae hat diese Veränderungen beschrieben und abgebildet. Die 
Processus mastoidei um das Foramen occipitale nehmen eine andere 
Stellung ein und die hintere Schädelgrube ist sehr weit nach ab¬ 
wärts gesunken. Ferner betheiligt sich die Wölbung des Schädels 
an deu Veränderungen. Außerdem finden sich auch noch 
Erkrankungen der Muskel, und zwar Verfettung und entzündliche 
Veränderungen derselben vor. Vortragender fand nun, daß das 
Verhältniß der Osteomalacischen der Irrenanstalt zu den im Wiener 
allg. Krankenhause mit dieser Krankheit behafteten Aufgenommenen 
sich so gestaltet, daß die Krankheit sich in ersterer etwa 40mal so 
häufig findet. Schon aus diesem auffälligen Mißverhältnisse glaubt 
er einen Schluß auf einen Zusammenhang zwischeu Osteomalacie 
und Irresein ziehen zu dürfen. Alle Fälle mit Geistesstörungen 
boten das Bild chronischer Verrücktheit mit vereinzelten, auf Gehörs- 
ballucinationen beruhenden Wahnideen und Steigerung zu secundärer 
Verwirrtheit. Nach englischen Mittheilungen kommt hier auch Melan¬ 
cholie mit Selbstmordideen vor. Dieser Zusammenhang beider Krank¬ 
heiten macht auch die Thatsache verständlich, daß in Gegenden, 
wo Osteomalacie vorkommt (in den Rheinprovinzen), die im Puer¬ 
perium auftretenden Psychosen, welche ja bei uns zumeist eine 
sehr gute Prognose gestatten, viel ungünstigere Aussichten auf 
Heilung darbieten. — Hierauf theilt Prof. v. Wagneb 2 Kranken¬ 
geschichten von in Graz beobachteten Fällen mit. Bei der einen 
Patientin, einer 44jährigen Person, welche nie geboren hatte, waren 
alle Knochen ergriffen. Sie bot auch die typischen Schädel Verände¬ 
rungen dar und als Psychose den Beginn chronischer Verrücktheit. 
Im Laufe des Spitalsaufenthaltes hatte sich der Zustand gebessert, 
und auch in dem psychischen Verhalten trat insofern eine Aende- 
rung ein, als die frühere depressive Stimmung einer gereizten Platz 
gemacht hatte, und Größenwahnideen aufgetreten waren. Bei einer 
zweiten, einer 49jährigen Person, welche schon seit 2 Jahren krank 
ist, sind zwar keine psychischen Störungen aufgetreten, aber 
die Krankheit hat mit Symptomen eingesetzt, welche eventuell 
an eine multiple Neuritis denken lassen konnten. Im Harn dieser 
Pat. findet sich nach Angabe des Vortragenden stets ein reich¬ 
liches, aus Kalksalzen bestehendes Sediment vor. hs. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Orig.-Bericlit der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 25. Jannar 1890. 

Die Influenza-Epidemie in Budapest. 

I. 

Referent Dr. B. Angyän : Einzelne sporadische Fälle der 
Influenza traten um die Mitte des vorigen Monats auf; epidemischen 
Charakter nahm sie in der letzten Decemberwoche an, und es wurden, 
seiner Schätzung nach, 50 Proc. der Bevölkerung ergriffen. Ein 
Incubationsstadium läßt sich bei diesen Massen erkrank ungen nur 
schwer nachweisen, aber einzelne genaue Beobachtungen scheinen 
(loch dafür zu sprechen. Die Krankheit beginnt mit Schauer oder 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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Schüttelfrost, starker Abgeschlagenheit, Kopf-, Muskel- und Gelenks¬ 
schmerzen. Dieses Anfangsstadium dauert nur einige Stunden. Die 
sehr wechselnden Krankheitsbilder ließen auch bei uns drei Haupt¬ 
typen unterscheiden: die neuralgische, die catarrhalische 
und die apathische Form, welche selbstverständlich in zahlreichen 
Mischformen sich combiniren. 

Ganz anders gestaltet Bich das Bild der Influenza bei Com- 
plicationen, oder wenn bereits früher erkrankte Personen ergriffen 
werden. Dieleichtesten Complicationen sind Angina catarrhalis, 
Pharyngitis und Laryngitis. Die in einigen Fällen beob¬ 
achteten blntigen Sputa, ohne nachweisbare Veränderung in den 
Lungen, mögen, seiner Ansicht nach, durch hämorrhagische Infil¬ 
tration der Luftröhrenschleimhaut bedingt sein. Die schwerste Com- 
plication ist Pneumonie, welche in diesem, sowie im vergangenen 
Monate in weitaus größerer Zahl aufgetreten ist, als in dem 
entsprechenden Zeiträume des vergangenen Jahres. Die Pueumonie 
zeigt einen meist atypischen Verlauf. Auch Exantheme (Urti¬ 
caria, Herpes, Erythem u. s. w.), sowie Otitis media werden 
beobachtet. Für Tuberculöse ist die Influenza gefährlich , sonst 
erweist sich die Epidemie trotz Recidiven, und von den schweren 
Complicationen abgesehen, als gutartig. 

Da die Therapie eine symptomatische ist, so finden die 
fieber- und schmerzwidrigen Mittel (Antipyrin, Antifebrin, Phena¬ 
cetin) Verwendung. In einzelnen Fällen, wo diese Mittel Vortr. im 
Stiche gelassen haben, bewährte sich Chinin in größeren Dosen. 
Gegen den Husten wendete er Einathmungen von Wasserdämpfen 
mit Terpentinöl an. 

Ueber die Ausbreitung der Epidemie könnte man nur von der 
Gesammtheit der praktischen Aerzte verläßliche Daten erlangen, 
weshalb er beantragt, daß die Gesellschaft der Aerzte mit 
Unterstützung der Behörden und ihrer ärztlichen Organe eine über 
das ganze Land sich erstreckende Sammelforschung über die Influenza 
veranlassen möge. (Discussion in der nächsten Sitzung.) n. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Soclötö mädicale des höpituux. 

Sitzung vom 23. Januar 1890. 

Ueber baoteriologische Untersuchungen bei Influenza. 

Vaillard und Vincent haben die inneren Organe, das Blut 
und Exsudatflüssigkeit von Individuen, die an Influenza gestorben 
sind, ferner pleuritische Exsudate, die mit Bronchopneumonie nach 
Influenza verbunden waren , schließlich das Sputum von Influenza- 
kranken untersucht. In allen Fällen konnten sie sowohl mikro¬ 
skopisch , als auch mittelst Cultur das constante Vorhandensein eines 
Streptococcus nachweisen, der sowohl seinem Aussehen, als auch 
seinen biologischen Eigenschaften nach mit dem Erysipelstreptococcus 
identisch zu sein scheint. Bei Individuen, die an Influenza ge¬ 
storben sind, fand sich dieser Streptococcus im Blute, in der Milz, 
in den Lungen und in den Exsudaten. In 3 Fällen war er aus¬ 
schließlich vorhanden, in einem Falle enthielt die Milz auch den 
Staphylococcus aureus; bei Empyemen nach Influenza fand sich aus¬ 
schließlich der Streptococcus. Ebenso findet man denselben constant 
im Sputum der Influenzakranken. 

In Anbetracht des constanten Vorkommens dieses Streptococcus 
scheint derselbe eine wichtige Rolle in der Pathogenese der Influenza¬ 
erscheinungen zu spielen. Ob er die Ursache der Erkrankung ist, 
und ob er mit dem bekannten Streptococcus pyogenes identisch ist, 
müssen erst weitere Untersuchungen lehren. 

du Cazal hat den erwähnten Streptococcus constant im 
Sputum von 14 Kranken, die er zu behandeln Gelegenheit hatte, 
gefunden. 

Netter bat in mehreren Fällen von Influenza mit Complica¬ 
tionen bacteriologische Untersuchungen angestellt. In einem Falle 
von Pneumonie, der tödtlich ausging, fand sich der Pneumococcus 
im Vereine mit dem Streptococcus pyogenes. In einem anderen 
Falle von lobulärer Pneumonie war nur der Frieih ÄNDER’sche 
Kapselcoccus nachzuweisen. In einem Falle von Bronchopneumonie 


fand N. gleichzeitig den Pneumococcus und den Streptococcus. Von 
anderen Complicationen der Influenza hat Netter 3 Fälle von 
Otitis untersucht, von denen 2 durch Pneumococcen hervorgerufen 
waren. N. glaubt, daß man ebensowenig in dem Streptococcus, wie 
in dem Pneumococcus den Erreger der Influenza zu sehen hat. 
Beide befinden sich normaliter in der Mundhöhle gesunder Individuen 
und erlangen zweifellos im Laufe der Influenza eine besondere 
Virulenz, wodurch sie geeignet werden, die socundären Infectionen 
hervorzurufen. 

Chantemesse glaubt, daß die Gegenwart der Streptococcen 
auf eine secundäre Infection zurückzuführen ist, die bei der Ab¬ 
nahme der Influenza erfolgt; ist es doch eine der Haupteigenschaften 
der Influenza, das Eindringen und das Fortwuchern von Mikro¬ 
organismen zu begünstigen, die sonst entweder gar nicht in den 
Organismus eingedrungen oder rasch zu Grunde gegangen wären. 
Das häufige Vorkommen von Streptococcen bei Individuen, die an In¬ 
fluenza zu Grunde geheu, hat dieselbe Ursache, wie das Vorkommen 
dieser Mikroorganismen in den Organen von an Scharlach verstorbenen 
Individuen. Es sind dies secundäre Infectionen, welche zwar für 
die Schwere des Falles von großer Bedeutung sind, die aber mit 
der Aetiologie der Erkrankung Nichts zu thun haben. 

Untersuchungen, die Ch. und Widal mit dem Blute von 
Influenzakranken während des höchsten Fiebers im Beginn der Er¬ 
krankung angestellt haben, sind vollständig negativ ausgefallen. 
Nach einigen Tagen indeß können verschiedene Mikroorganismen, die 
mit der Ursache der Erkrankung Nichts zu thun haben, in das 
Blut eindringen. 

Bei einem Kranken, der seit mehreren Tagen an einer sehr 
heftigen Influenza litt und nachträglich genas, machten die erwähnten 
Autoren eine Punction der Milz und fanden in dem entnommenen 
Blute Mikrococcen und ein Stäbchen, aber keine Streptococcen. 

Düponchel wirft die Frage auf, ob die im Verlaufe der 
Influenza auftretende Pneumonie als eine der zahlreichen Erschei¬ 
nungen dieser Erkrankung oder als eine mit derselben zufällig zu- 
Bammentreffende Epidemie anzusehen ist. Drei von ihm jüngst 
beobachtete Fälle scheinen für die erste Ansicht zu sprechen. Die 
physikalische Untersuchung des Thorax schien mit Sicherheit für 
eine gewöhnliche croupöse Pneumonie zu sprechen, die Verschieden¬ 
heit von dieser bestand aber in dem Mangel der charakteristischen 
rostfarbenen Sputa, in dem Fehlen des charakteristischen initialen 
Schüttelfrostes, in dem von der croupösen Pneumonie verschiedenen 
Verlauf, in der langen Dauer. In keinem der 3 Fälle konnte D. 
den Diplococcus pneumoniae nachweisen. Eine von den Mäusen, 
denen er das Sputum solcher Kranken eingeimpft hat, ging zu 
Grunde. Im Blute und in den Organen derselben fanden sich aber 
keine Diplococcen. 

Laveran hat in den schweren Infectionen von Pneumonie 
nach Influenza selten den Pneumococcus, hingegen gewöhnlich 
Streptococcen im Sputum gefunden. Im Blute der Influenzakranken 
fand er aber nie diese Mikroorganismen. 

Huchard bespricht einige seltenere Formen von Influenza, 
und zwar macht er zunächst aufmerksam auf Bronchial- oder Lungen¬ 
lähmung, auf gewisse Formen von Lungencongestion und auf die 
Pleuritis bei Influenza. Im Verlaufe der Influenza treten nämlich, sei 
es primär oder in Folge von Lungencomplicationen, Bronchial- oder 
Lungenlähmungen ein, die von großer Bedeutung für die Prognose 
und Therapie sind. So sah H. jüngst eine 76jährige Frau, bei der 
die Dyspnoe rapid einen sehr hohen Grad erreicht hatte, und bei 
der die Athemnoth immer mehr zunahm, ohne daß je irgend welche 
Erscheinung von Bronchitis, Lungencongestion oder Fieber vor¬ 
handen gewesen wäre. Unter zunehmenden Erscheinungen von 
Asphyxie ging die Kranke zu Grunde. In solchen Fällen, von denen 
H. mehrere gesehen hat, sind die Expectorantien contraindicirt. 
Hier müssen die Kräfte des Kranken durch Alkohol, Chinin, In- 
jectionen von Coffein und Aether gehoben und die Contractilität 
der Bronchialmuskeln durch Nux vomica und subcutane Injectionen 
von Strychnin gefördert werden. 

Die Lungencongestion tritt hauptsächlich in zwei Formen auf, 
die active hämoptoischo und die passive atelcet.atische Form, Letztere 
ist besonders interessant, weil eie noch nicht genügend beschrieben 


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ist. Sie dauert gewöhnlich mehrere Wochen, sitzt auf beiden Seiten 
der Lungenbasis und gibt sich durch sehr zahlreiche feinblasige 
Rasselgeräusche kund. Dieser congestive Zustand ist durch eine 
Abnahme der Contractilität der Bronchialmusculatur und der Elasti- 
cität der Lungenalveolen bedingt. 

Eine zweite Form der Influenza, die noch nicht beschrieben 
wurde und von der H. mehrere Fälle beobachtet hat, ist die cardiale 
Form. Es handelt sich dabei nicht um die Erscheinungen bei den 
an Influenza leidenden Herzkranken, sondern um direct durch die 
Influenza hervorgerufene Erscheinungen bei Individuen mit ganz 
gesunden Herzen. Die cardiale Influenza äußert sich durch Ohn¬ 
mächten, die oft tödtlich werden können, durch Verlangsamung des 
Pulses, Anfälle von Arhythmie, durch schwere Erscheinungen von 
Herzschwäche und zuweilen auch durch Herzanfälle, ähnlich denen 
bei Angina pectoris. 

In einem Falle sah H. Erscheinungen, die einer Lähmung des 
Vagus zuzuschreiben sind (Schwäche, Unregelmäßigkeit des Pulses, 
CHEYNK-STOKEs’sckes Athmen etc.), die das unmittelbare Eintreten 
des Todes befürchten ließen, die aber durch Iujection von Aether 
und Coffein glücklich behoben wurden. H. macht ferner auf eine 
Erscheinung seitens des Pulses aufmerksam, die er als instabiler 
Puls bezeichnet, und die darin besteht, daß, wenn der Kranke von 
der horizontalen in di«* vcrticale Lage übergeht, der Puls sich 
plötzlich beschleunigt, etwa von 80 auf 120—130 und wieder 
seinen gewöhnlichen Rhythmus annimmt, sobald sich der Kranke 
niederlegt. Es ist dies ein Hinweis darauf, das geschwächte Herz 
zu kräftigen und die Gefäßspannung zu erhöhen. Diese Erscheinungen 
können entweder durch eine Myocarditis oder durch Störungen in 
der Innervation des Herzens bedingt sein. Letzteres ist das Wahr¬ 
scheinlichere. Schließlich weist H. auf eine Form der Influenza hin, 
die er als „Embarras gastiique iufectieux“ bezeichnet. Die Zunge bleibt 
dabei durch Wocheu und Monate von einem dicken Belag bedeckt, 
es besteht absolute Appetitlosigkeit, Milz und Leber sind geschwellt. 
Der spärliche Harn enthält zuweilen Eiweiß, die Stuhlentleerungen 
stinken aashaft. Dabei besteht enormer Kräfteverfall. In solchen 
Füllen ist cs von Wichtigkeit, das Herz vor Allem zu kräftigen, 
für gehörige Entleerung zu sorgen und gegen sccundäre Intoxica- 
tionen durch innere Antisepsis anzukämpfen. In allen diesen Fällen 
ist die Reconvalescenz sehr lange, und es zeigt sich dabei eine er¬ 
hebliche Abnahme der Phosphate im Harn. H. regt die Frage an, 
ob nicht gegen diese Pscudoanämie die Verabreichung von Phosphaten, 
selbst von Zinkphosphat am Platz wäre, welche am ehesten geeignet 
wären, die Nervenceutren zu kräftigen. 

Acadämle de mädecine. 

Sitzung vom 28. Januar 1890. 

Prof. Bouchard: Ueber bacteriologische Untersuchungen bei 
Influenza. 

B. hat bei seinen Untersuchungen drei pathogene Mikroorga¬ 
nismen gefunden. Im Inhalte der Herpesbläschen von Herpes labialis 
fand er den Staphylococcus pyogenes aureus, mittelst 
dessen er bei Thieren ausgedehnte Abscesse hervorrufen konnte. Bei 
den Influenzapneumonien konnte er den Pneumococcus nacb- 
weisen, der auch als die Ursache der die Influenza complicirenden 
Otitis ist. Schließlich fand er im Broncbialschleim den Streptococcus 
des Erysipels. Mit den Culturen desselben konnte er bei Kaninchen 
typischen Rothlauf erzeugen. Die Complicationen der Influenza 
haben nach B. mit der Influenza nichts zu thnn, diese öffnet nur 
die Pforte den die Complicationen bedingenden Mikroorganismen. 

Acad&nie des Sciences. 

Sitzung vom 27. Januar 1890. 

G. See und Bordas haben bacteriologische Untersuchungen 
Über die Influenzapneumonie angestellt und in allen Fällen in den 
Lungen der verstorbenen Individuen den Diplococcns lanceo- 
1 at us Pasteur (Fränkel-Weichselbaum’s Diplococcns pneumoniae), 
begleitet vom Streptococcus pyogenes und Staphylococcus aureus, 
gefunden. Mittelst Punction der Milz konnten sie Rcinculturen des 
genannten Diplococcus erhalten. Die mit diesen aus der Milz ge¬ 


wonnenen Reinculturen geimpften Kaninchen gingen unter dem 
Bilde der fibrinösen Pneumonie zu Grunde. Im Blute von Pneumonie- 
krauken fand sich der Diplococcus nie, mit Ausnahme eines Falles, 
in dem Pat. einer Allgemeininfection mit meningealen Erscheinungen 
unterlag. Die Pneumonie ist daher eine locale infectiöse Erkrankung, 
die auch andere Organe inficiren kann. K. 


Notizen. 

Wien, 8. Februar 1890. 

(Zur Statistik der Influenza Epidemie.) Die n.-ö. 
Statthaltern hat an den Wiener Magistrat folgenden Erlaß gerichtet: 
„Die Influenza-Epidemie, welche im Mouate December 1889 Wien 
und dessen Vororte heimgesucht und seither auch viele Theile des 
Erzherzogtums Oesterreich unter der Enns durchzogen hat, hat 
durch die Art ihres Auftretens, durch ihre bedeutende und daher 
so rapide Ausbreitung, durch die Verschiedenartigkeit der Krank¬ 
heitserscheinungen , wie endlich durch die unter gewissen Verhält¬ 
nissen angenommene Bösartigkeit des Verlaufes die Aufmerksamkeit 
der öffentlichen Verwaltung in einem Grade erregt, der es derselben 
zur Pflicht macht, die Ergebnisse der von den Aerzten hierüber ge¬ 
machten Wahrnehmungen zu sammeln und dazu anzuregen, daß das 
gesammelte Materiale wissenschaftlich und, so weit das angeht, auch 
für die Zwecko der Prophylaxis verwerthet werde. Die k. k. n.-ö. 
Statthalterci gibt sich der Erwartung hin, daß sie hiebei von den 
sämmtlichen Aerzten werkthätig unterstützt werde. Es soll dies 
damit geschehen, daß die statistischen Daten in der einfachsten 
Weise und weiterhin auch die von den Aerzten gemachten Wahr¬ 
nehmungen , nach den nun folgenden gegebenen Andeutungen ge¬ 
ordnet, nicdergelcgt und im Wege der politischen Behörde der 
1. Instanz innerhalb einer angemessenen Frist zur Verfügung ge¬ 
stellt werden. Für den statistischen Tbeil des Berichtes wäre an¬ 
zugeben : Die Zahl der in dio Behandlung des gefertigten Arztes 
gekommenen Influenzakranken, und zwar nach Wochen vom 14. De¬ 
cember bis 17. Januar, bei specieller Angabe der Erwachsenen und 
Kinder, wobei als „Kinder“ Individuen vor dem vollstreckten 
zwölften Lebensjahre zu zählen siud. Ferner die Angabe der Ge¬ 
storbenen , wieder mit Trennung der Erwachsenen und Kinder. 
Der wissenschaftliche Theil hätte sich auf Alles zu erstrecken, was 
den berichterstattenden Aerzten erwähnenswerth erscheint, insbesondere 
wären niederzulegen die Wahrnehmungen über das Auftreten und 
die Weiter Verbreitung der Krankheit im Individuum, dessen Haus¬ 
stand, wie im Großeu und Ganzon; über die Krankheitserscheinungen, 
resp. über die befallenen Organe, über die Complicationen und 
Nachkrankheiten, über die in therapeutischer Hinsicht gemachten 
Erfahrungen, in welcher Beziehung namentlich am Platze sein wird, 
die, wie bekannt, bei dieser Endemie in ausgedehntem Maße ange 
w’andten inneren Arzneimittel, wie Autipyrin, Antifebrin etc., deren 
gute, aber auch deren üble Wirkung rückhaltslos niederzulegen; 
und endlich über die Tilgnngsmaßregeln und deren Werth.“ Von 
dem Erlasse wurde sämmtlichen in Wien prakticirenden Aerzten 
durch eine Zuschrift des Magistrats Mittheilung gemacht, und 
dieselben eingeladen, den bezüglichen Bericht bis längstens 
15. Februar 1. J. bereit zu halten. — Zwei Momente sind es, 
welche nach unserem Dafürhalten den Werth dieser statistischen 
Erhebungen problematisch erscheinen lassen: Einmal die hochgradige 
Ueberbürdung der Aerzte während der Epidemie, welche selbst beim 
besten Willen genauere Aufzeichnungen kaum gestattete, anderer¬ 
seits der Umstand, daß eine sehr erhebliche Zahl von an Influenza 
Erkrankten ärztliche Hilfe überhaupt nicht aufsuchte. 

(Influenza und Sterblichkeit.) Die nachstehende, 
nach den Veröffentlichungen des k. Gesundheitsamtes zusamraen- 
gestellte Tabelle, welche wir der „Münch, med. Wochenschr.“ ent¬ 
nehmen, gibt eine üebersicht über das durch die Influenza-Epidemie 
bedingte Anwachsen der Sterblichkeit in einer Anzahl von Städten 
Deutschlands und des Auslandes. Die Zahlen sind auf 1000 Ein¬ 
wohner und das Jahr berechnet; zum Vergleiche ist die durch¬ 
schnittliche Sterblichkeit U dem Zeiträume 1878—87 beigefügt; zu 


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bemerken ist noch, daß im December 1888 und im Januar 1889 
die Sterblichkeit in keiner der nacbbenannten Städte 30*8°/ o0 über¬ 
schritt. Wie sich aus der Uebersicht der Todesursachen in den 
Tabellen des Gesundheitsamtes ergibt, ist die Zunahme der Sterb¬ 
lichkeit durchwegs durch „acute Erkrankungen der Athmungsorgane“ 
bedingt. 



1.—7. 

December 

• iS 

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1. ® 
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14.-21. 

December 

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29. Dec. 
bis 

4. Januar 

5.-11. 

Januar 

12.-18. 

Januar 

00 „ I> 

00 X> 00 

—* i-H 

Aachen. 

29 8; 33-8 

31-3 

30-3 

356 

554 

58*4 

26-8 

Augsburg .... 

23 3 27 8 

15-8 

27T 

356 

62*4 

53-5 

305 

Berlin. 

20-6 27-2 

32-4 

87*7 

32-1 

26-2 

23-4 

26-4 

Breslau. 

24'5 ! 27 9 

24T 

248 

28-4 

26-8 

88*0 

31-3 

Chemnitz .... 

17-5| 24 3 

19-2 

32-8 

37-8 

50*7 

399 

31*3 

Danzig. 

275 27-0 

47-5 

61*0 

52-2 

371 

35‘8 

28-4 

Darmstadt .... 

223| 16-5 

22-3 

17*5 

39-3 

68*1 

499 

210 

Dresden. 

1711 211 

19-3 

25-4 

32-4 

88*8 

34-4 

24 6 

Elberfeld .... 

1711210 

18-4 

24-9 

39-4 

60*8 

50 5 

233 

Frankfurt a. M. . 

221 

16-8 

19-6 

27-4 

41*4 

390 

24-7 

19 9 

Freiburg i. B. . . 

13 9:13 9 

_ 

31-3 

18-1 

59*0 

38-5 

254 

Hamburg .... 

20 6: 25T 

26-7 

269 

316 

32*1 

281 

26 3 

Karlsruhe .... 

25-0 

26 6 

188 

203 

260 

43-6 

46*7 

19-7 

Kiel. 

21-7 

33-5 

42-5 

69« 

361 

396 

299 

225 

Köln. 

247 

23-7 

245 

29-5 

51-0 

62*2 

366 

26-5 

Königsberg . . . 

25*3! 29-2 

272 

272 

41*1 

39-2 

33-7 

311 

Leipzig . 

19*5i 17-7 

17-8 

27T 

382 

41-7 

28*1 

227 

Magdeburg . . . 

22-51 25-2 

27-2 

27-8 

— 

58*4 

430 

28-1 

Mainz . 

20 Ol 23-7 

16-3 

20 0 

19-7 

44-5 

42 3 

233 

Mannheim .... 

17*1 21*8 

18-7 

21-8 

342 

42*6 

34-2 

218 

München .... 

22-5 28 8 

26-5 

28-8 

43 0 

48*6 

44-8 

31-6 

Nürnberg .... 

25-2 1 21*5 

22-3 

17-8 

35*1 

44*8 

40-7 

267 

Stettin. 

32 2 

30-2 

346 

351 

46*8 

42-4 

30-7 

26-1 

Straßburg .... 

18-6 

14-6 

18-2 

182 

27-6 

442 

52-5 

27-7 

Stuttgart .... 

21-8 

17 9 

15 7 

16-1 

28-4 

49*0 

387 

21*4 

Würzburg .... 

17-1 

28-8 

25-2 

32-3 

60-3 

55-8 

266 

26-8 

Wien. 

23-6 

265 

29-7 

45*9 

423 

34 4 

_ 

_ 

Stockholm .... 

182 

31*7 

41*2 

41-0 

27-3 

20-9 

— 

— 

Paris. 

251 

27-3 

31-2 

53-7 

61*7 

47-5 

343 

— 

London . 

20-2 

21-2 

21-8 

203 

28-0 

82*4 

321 

— 


In Petersburg wurde das Maximum der Sterblichkeit mit 39 0 
bereits in der letzten Novemberwoche erreicht. 


(Gegen die Anpreisung von Geheimmitteln.) Dem 
Handel mit medicinischen „Specialitäten“, welcher auch in Oester¬ 
reich schwungvoll betrieben wird und seit Jahren eine Erwerbsquelle 
überaus zahlreicher Personen bildet, droht ein abermaliger harter 
Schlag. Nachdem bereits im Verordnungswege gegen die Re- 
clame für Geheimmittel u. dgl. vorgegangen worden ist, dürfte 
sich binnen Kurzem auch die Legislative mit dieser Angelegen¬ 
heit beschäftigen, und zwar über Initiative des Obersten Sanitätsrathes, 
welcher anläßlich der Berathung über die Amendirung des dem 
Reichsrathe vorliegenden Strafgesetz-Entwurfes im Allgemeinen hervor¬ 
gehoben hat, daß es im öffentlichen sanitären Interesse gelegen und 
nothwendig sei, die gewissenlose Anlockung des in medicinischen 
Dingen unkundigen und leichtgläubigen Publikums sowohl seitens 
mancher sich öffentlich ankündigenden Aerzte, Heilpersonen und Cur- 
pfuscher, als seitens einzelner Apotheker und anderer Geschäftsleute, 
welche sogenannte pharmaceutische' Specialitäten oder Geheimmittel 
marktschreierisch ankündigen, durch einen Paragraph des Straf¬ 
gesetzes zu verpönen. Der Oberste Sanitätsrath ging hiebei 
von der Anschauung aus, daß diese Art förmlich gewerbsmäßigen 
Vertriebes ärztlicher Hilfeleistungen und arzneilicher Mittel zweifel¬ 
haftester Art, bei welchem der materielle Gewinn in erster Linie 
Zweck ist 7 nicht blos das gesammte Heil- und Arzneiwesen dis- 
creditirt, sondern in hohem Maße die Gesundheit des Einzelnen 
direct und indirect zu gefährden geeignet ist und eine vom Stand¬ 
punkte der öffentlichen Moral nicht zu gestattende besondere Form 
der Ausbeutung des Publikums bedeute, welcher durch bloße sanitäts 
polizeiliche Verordnungen schwerlich mit Erfolg entgegengewirkt werden 
könnte. Diese Auflassung hat auch von juridischer Seite anläßlich 
der Comitöberathungen im Justizministerium Beifall gefunden, und 
wurde in Aussicht genommen, eine den obgedachten Unfug treffende 
Gesetzesbestimmung in den Strafgesetz-Entwurf aufzunehuien, wenn 


es gelingt, derselben eine entsprechende Fassung zu geben. Der 
Oberste Sanitätsrath schlägt in dieser Beziehung folgenden Wort¬ 
laut vor: 

„Wer um seines Vortheils willen in Wort, Schrift oder Darstellungen 
Mittel oder Hilfeleistungen, als zur Herstellung der Gesundheit oder zur Be¬ 
seitigung körperlicher Mängel oder Gebrechen geeignet, in der Absicht fälsch¬ 
lich anpreist, um Andere anzureizen, sich diese Mittel zu verschaffen oder die 
Hilfeleistung in Anspruch zu nehmen, wird mit Haft bis zu . . . Wochen oder 
an Geld bis zu . . . bestraft. Sind die empfohlenen Mittel und Hilfeleistungen 
geeignet, die Gesundheit zu schädigen, oder ist die Anreizung in markt¬ 
schreierischer oder die Sittlichkeit verletzender Weise, oder unter Beifügung 
von Angaben, welche das Publicum über die Stellung und Vorbildung des An¬ 
bieters irrezuführen geeignet sind, erfolgt, so tritt Haft nicht unter . . ., oder 
Geldst-afe nicht unter .. . ein.“ 

Mit dieser Bestimmung soll sowohl die unreelle Reclame in Betreff 
irgend welcher, auf die Herstellung der Gesundheit oder auf die 
Beseitigung körperlicher Mängel oder Gebrechen bezüglicher Hilfe¬ 
leistungen oder hiezu als dienlich bezeichneter Mittel getroffen werden, 
sonach nicht blos die marktschreierischen Ankündigungen der Wunder- 
doctoren für Geschlechtskrankheiten, der Geheimmittel und gewissen 
sogenannten pharmaceutiscben Specialitäten, sondern auch der als 
Wundermittel hingestellten Cosmetica, Diätetica, gewisser schwindel¬ 
hafter Heilapparate, als Gichtketten u. 8. w. Der soliden An¬ 
kündigung wird jedoch nicht nahegetreten. Es dürften 
durch einen derartigen Strafparagraphen sonach wenigsten die hä߬ 
lichsten Auswüchse auf dem Gebiete der ärztlichen und pharma- 
ceutischen Geschäftsreclame • zum Verschwinden gebracht werden 
können. — Im Anschlüsse hieran hat der Oberste Sanitätsrath auch 
die Einschaltung von Strafbestimmungen gegen die öffentliche Re¬ 
clame für Artikel beantragt, welche den geschlechtlichen Beziehungen 
zu dienen bestimmt und welche nebst der Schamhaftigkeit und 
der öffentlichen Sittlichkeit auch indirect die Gesundheit zu schädigen 
geeignet sind. 

(Sand in die Augen.) In Nr. 28 (1889) unseres Blattes 
haben wir unter diesem Schlagworte mitgetheilt, daß bei der nieder- 
österreichischen Statthalterei bezüglich Führung unberechtigter Titel 
von Seite einzelner Aerzte Verhandlungen im Zuge sind. Nach den 
stattgehabten Erhebungen entschied nun die Statthalterei, daß es, 
da der Titel „Primararzt“ zugleich mit der Uebertragung bezüglicher 
Functionen von der competenten Behörde verliehen wird, unzulässig 
erscheint, daß sich ein Privatarzt die Führung dieses Titels, 
wenn auch mit gewissen Beisätzen, als: provisorischer, supplirender 
oder gewesener Primararzt, beilege. Ebensowenig sei es zulässig, 
daß dieser Titel von Privatspitälern verliehen werde, wenn 
nicht in den genehmigten Statuten derselben die bezügliche Berech¬ 
tigung ausdrücklich enthalten sei. 

(Wiener Dermatologische Gesellschaft.) Unter 
dem Vorsitze Kaposi’s fand am 6. d. M. die constituirende Ver¬ 
sammlung dieser Gesellschaft statt, welche die Dermatologen Wiens 
zweimal im Monate zu gemeinsamer wissenschaftlicher Thätigkeit 
vereinen soll. 

(Dr. Jacob Hock f.) Am 2. Februar starb hier nach langem, 
qualvollem Leiden Docent Dr. J. Hock im 59. Lebensjahre. Das 
Schicksal hatte Schlag auf Schlag gegen ihn geführt, so daß der 
Tod für den Schwergeprüften eine wahre Erlösung wurde. Hock 
habilitirte sich 1872, nachdem er 6 Jahre auf v. Jäger’s Klinik 
dem Studium der Augenheilkunde obgelegen, als Privatdocent und 
war einer der Gründer der Poliklinik, an welcher er bis zu seiner 
vor 4 Jahren erfolgten Erkrankung als Abtheilungsvorstand fungirte. 
Er bekleidete auch die Stelle des consultirenden Augenarztes am 
Rothschildspital und der Blindenanstalt in Döbling und wurde von 
seinen Collegen, die ihn, wie selten Jemanden, hochachteten, mit ver¬ 
schiedenen Ehren- und Vertrauensstellen bekleidet. Durch 20 Jahre 
entfaltete er eine reiche wissenschaftliche Thätigkeit, von welcher 
die „Wiener Med. Presse“, deren eifrigor Mitarbeiter er war, Zeugniß 
geben konnte. In seinem Auftreten schlicht und prunklos, den 
Collegen gegenüber bescheiden, gegen die Kranken voll zarten Mit¬ 
gefühls, in allen seinen Handlungsweisen wahr und ehrenhaft, in 
seinen Arbeiten gründlich, so steht sein Bild vor uns, so wird es 
in unserem Angedenken bleiben. 

(Prof. Becker f.) Unmittelbar vor Schluß des Blattes 
erhalten wir die Nachricht von dem gestern erfolgten Ilinscheiden 


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231 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


232 


des berühmten Heidelberger Ophthalmologen, Prof. Dr. Otto Becker, 
eines der hervorragendsten Schüler Arlt’s. Am 3. Mai 1828 zu 
Domhof bei Ratzeburg geboren, studirte Becker in Wien, woselbst 
er 1859 promovirte, um sich der Augenheilkunde zuzuwenden. Von 
eminenter operativer Begabung: war Becker sowohl als Assistent 
Arlt’s, wie als ordentlicher Professor der Ruprecht-Carl Universität, 
an welche er 1868 berufen worden war, theoretisch und praktisch 
thätig und erwarb sich zumal durch seine Arbeiten über die Ana¬ 
tomie Pathologie und Therapie der Linse internationalen Ruf. Sein 
Name ist mit der Geschichte der Augenheilkunde dauernd ver¬ 
bunden. 

(Wiener mediciniBches Doctoren-Colleginm.) Programm der 
Montag den 10- Februar atattflndenden wissenschaftlichen Versamm¬ 
lung: Prim. Dr. Eduard Nkdssek wird in Forsetzung seines Vortrages ü b e r 
Anämie das specielle Capitel: Herz und Chlorose besprechen. 

(Statistik.) Vom 26. Januar bis incl. 1 Februar 1890 wurden in[den 
Civilspitälern Wiens 50'3 Personen behandelt. Hievon wurden 871 
entlassen; 102 sind gestorben (11'59% dos Abgaugos). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in nnd 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei alserkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 43, egyptischer Augenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 7. Dysenterie —. Blattern 12, Varicellen 34, Scharlach 26, 
Masern 129, Keuchhusten 78, Wundrothlauf 16, Wochenbettfieber 7. — In 
der 5. Jahreswoche sind in Wien 360 Personen gestorben (—74 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Arco der Curarzt Dr. 
Rudolf Kohn, im 28. Lebensjahre; in Friedland der Bezirks- und 
Bahnarzt Dr. Eisknschiml, 60 Jahre alt; in Dux der Stadt- und 
Bezirksarzt Dr. Alexander Pelz, im 46. Lebensjahre; in Kron¬ 
stadt der emer. Kreisphysious, k. Rath Dr. Josef v. Gressing, 
92 Jahre alt; in Brod der Stadtphysicus Dr. Ignaz Kostjal ; in 
London Sir William Gull , Arzt an Guy’s Hospital, einer der 
hervorragendsten Nervenpathologen Englands, 74 Jahre alt; in 
Dorpat Prof. Eduard v. Wahl, einer der Herausgeber der „St. 
Petersburger med. Wochenschr.“ ; in Lyon Dr. Daniel Molliere, 
Professor der Chirurgie an der dortigen Facultät, bekannt durch 
sein ausgezeichnetes Werk über die Erkrankungen des Rectums. 

* ~ -.'S.;--. —■>- -y. "i» t- Tyr.. - », - *■* * •* ’o.tk ■ * 

(Heber den therapeutisch en Werth von Artmann's Creol in) 
hat vor Kurzem auch Dr. Reich wieder Versuche angestellt und gefunden, 
daß es sich in allen jenen Hautkrankheiten, bei denen Schmaiotzer zn 
bekämpfen sind, ganz vorzüglich bewähit ohne dem Patienten irgendwie nach¬ 
theilig zn werden. Gleich günstige . Erfolge erzielte der holländische Arzt 
Dr. van den Bergh, und auch Dr. Kern in Jena rühmt die prompte Wir¬ 
kung des A r t m a n u’schen Creolin in Form von lproc. Vollbädern bei 
Pyiiüie Und bei einer an Diphtheritis schwer erkrankten Frau, welche 
wegen eingetretener Septicämie schon verloren gegeben war. Nach Bepinse- 
lnng der diphthefitischen ’ Belege des Rachens und Ausspritzung der gleich¬ 
falls stark afficirten Nasenhöhle mit 6proc. Creolinlösung sank das Fieber in 
zwei Tagen von 41 3' 1 auf 37'8°. Nach der „Berliner thierärztl. Wochenschr.“, 
1889, Nr. 52 hat Lies in Braunschweig auch umfassende Versuche mit 
A r tman n’s C r eoli n zur Bese itignng thierischer Par asiten ge¬ 
macht; er bediente sich hiezu einer. 2—3-, in einigen Fällen sogar 5proc. 
Creolinmischnng und war der Heileffect in allen Fällen ein vollständiger. Die 
glänzenden Erfolge, welche Lies von diesem Präparate bezüglich der Ver¬ 
tilgung von Milben und Läusen wahrzunehmen Gelegenheit hatte, gaben ihm 
auch Anregung, den Einfluß desselben auf Wunden zu erproben. Nach Mit¬ 
theilung einiger Fälle erk ärte es Lies für eine unumstößliche Thatsache, 
daß das Artmann’sche Creolin eine desodorisi rende, die Eiterung 
beschränkende und die Bildung von Grannlationen beför¬ 
dernde Kraft besitzt 

Eingesendet. .. 

X. Internationaler medioinischer Congress, Berlin 1890. 

Statut und Programm. 

Art. I. Der X. internationale medicinische Congreß wird Montag, den 
4. August 1890 m Berlin eröffnet und am Sonnabend, den 9. August ge¬ 
schlossen werden. 

Art. II. Der Congreß besteht aus den approbirten Aerzten, welche 
sich als Mitglieder haben einschreiben lassen und ihre Mitgliedskarte gelöst 
haben. Andere Gelehrte, welche sich für die Arbeiten des Congresses inter- 
essiren, können als außerordentliche Mitglieder zugelassen werden. 

Die Theilnehmer zahlen bei der Einschreibung einen Beitrag von 20 Mark. 
Sic worden dafür je eio Exemplar der Verhandlungen erhalten, sobald die¬ 
selben erschienen sind. Dies wird auch vorher geschehen können durch Ein¬ 
sendung des Beitrages an dtn Schatzmeister 1 ) unter Angabe des Namens, der 
Stellung und des Wohnortes. 

Art. III. Der Zweck des Congresses ist ein ausscliließ'ich wissen¬ 
schaftlicher. 

’) Adresse: Dr. M. Bartels, Bureau des Hauses der Abgeordneten, 
Berlin SW., Leipzigerstraße 75. Es wird um Beifügung einer 
Visitenkarte gebeten. 


Art. IV. Die Arbeiten des Congresses werden in 18 Abtbeilungen 
(Sectionen) erledigt. Bei der Einschreibung haben die Mitglieder anzngeben, 
welcher oder welchen Abtheilnngen sie sich vorzugsweise anschließen wollen. 

Art. V. betrifft die Constituimng der Bureaux. 

Art. VI. Der Congreß versammelt sich täglich, theils für allgemeine 
Sitzungen, theils für die Arbeiten der Abtheilungen. 

Art VII. Die allgemeinen Sitzungen sind bestimmt: 

a) für Verhandlungen, betreffend die Arbeit und die allgemeinen Ver¬ 
hältnisse des Congresses; 

b) für Vorträge und Mittheilungen von allgemeinem Interesse. 

. Art. VIII. Vorträge in den allgemeinen, sowie etwa anzuordnenden 
ausseror lemlichen Sitzungen sind Denen Vorbehalten, welche von dem Organi- 
sations-Comit6 dazu ersucht worden sind. 

Vorschläge, welche die künftige Thätigkeit des Congresses betreffen, 
müssen vor dem 1. Jnli 1890 bei dem Orgauisations-Comit6 angemeldet werden. 
Letzteres entscheidet darüber, ob diese Vorschläge geeignet sind, auf die Tages¬ 
ordnung gesetzt zu werden. 

Art. IX. In den Sitzungen der Abtheilungen werden Fragen 
und Themnta, die von dem Organisations-Comit£ der Abtheilüng äufgestellt 
sind, zur Erörterung gebracht. Die Berichte der' durch das Comite 
ans gewählten Referenten, sowie die sonstigen zu dem Thema einge¬ 
gangenen Mittheilungen und Anträge bilden die Grundlage der Ver¬ 
handlung. Insoferne die Zeit es erlaubt, können auch andere, von Mit¬ 
gliedern angemcldete und von dem Abtheilnngs-Comit6 angenommene Mit¬ 
theilungen oder Themata zur Verhsndlung gelangen. 

Abstimmungen über wissenschaftliche Fragen finden nicht statt. 

Art. X. Einleitende Vorträge in den Abtheilungen sind in der Regel 
auf die Zeit von 20 Minuten zu beschränken. In der Discu'ssion sind 
jedem Redner nur 10 Minuten zugemessen. . 

Art. XI. Alle Vorträge und Mittheilungen in den allgemeinen und Ab- 
theilnngssitzUDgen müssen vor dem. Schlosse der Sitzung schriftlich an die 
Schriftführer übergeben werden. 

Art. XII. Die officiellen Sprächen aller Sitzungen sind 
deutsch, englisch und französisch. 

Ait XIII. Der fungirende Vorsitzende der Sitzungen leitet die Verhand¬ 
lungen nach den in derartigen Versammlungen allgemein angenommenen (par¬ 
lamentarischen) Regeln. 

Art'XIV. Studirende der Medicin und andere Personen, 
Herren und Damen, die nicht. Aerzte sind, sich aber für die Verhandlungen 
der betreffenden Sitzung besonders interessiren, können von dem Vorsitzenden 
der Sitzung eingeladen werden oder auf Ersuchen Erlaubniß erkalten, der ‘ 
Sitzung als Zuhörer beizuwohnen. 

Art XV. Mittheilungen oder Anfragen, bfltreffeod Gee'chjtfferaäoken ein- '< 
zelner Abtheilnngen, sind an die Vorsitzenden dieser Abtheilungen zu richtei». 
Alle übrigen Mittheilungen und Anfragen' sind' an den 
Generalsecretär Dr. Lass Ar, Berlin NW., Carlsstraße 19, zu adressiren. 

Das Verzeichniß der Abtheilungen nnd der geschäftfeführenden Mitglieder 
des Organisations-Comites derselben folgt in nächster Nummer. * _ 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Sch hi rer. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

An der n.-ö. Landes-Irrenanstalt zn Wien ist die Stelle 

eines Hilfsarztes mit der vorläufigen Dienstdauer von einem Jahre und 
der Verpflichtung der dreimonatlichen Kündigung im Falle des freiwilligen 
Dienstantrittes während dieser Zeit zn besetzen. Mit derselben ist ein in monat- . 
liehen Anticipativraten fälliges Jahresbonorar von dreihnndertsechzig Gulden, 
eine Natnralwohnung samrnt Beheizung und der Verpflegung nach der I. Classe 
des Anstaltstarifes verbunden. Bewerber um diese Stelle müssen den Nach¬ 
weis des erlangten Grades eines Doctors der Medicin und Chirurgie oder' 
der gesammten Heilkunde erbringen, die Absolvirung eines klinischen psychia¬ 
trischen Cnrses nachweisen oder sich zum Besuche eines solchen im nächsten 
Semester verpflichten und hierüber ein Colloquium mit gutem Erfolge ablegen. 

Die mit einer Stempelmarke 4 50 kr. zu versehenden Gesuche, in welchen 
auch die Zuständigkeit, das Alter und die bisherige Verwendung im ärzt¬ 
lichen Dienste nachzuweisen ist, sind an den n.-ö. Landesausschuss zu-richten, 
nnd bis längstens 20. Februar 1890, Nachmittags 2 Uhr, bei der Direction 
der n.-ö. Landes-Irrenanstalt in Wien, IX., Lazarethgasse 14, abzngeben. . 
Wien, im Januar 1890. 

Der n.-ö. Landesausschuß. 

Junger Med.-Doctor (Zahnarzt) sucht eine Anstellung als 

Assistent (auch für die Provinz), ist eventuell aueh geneigt, mit einem 
tüchtigen, erfahrenen Zahntechniker sich zu associiren. Gef. Anträge zur 
Weiterbeförderung sub „Zahnarzt, Nr. 495“ an die Administration der 
„Wiener Mediz. Presse“, Wien, I., Maximilianstraße 4, erbeten. 

__^_ 1__ 495 

Zar Besetzung der erledigten Gemeindearztesstelle für - 

die Gemeinden Vinica, Marusevec und Petrianec mit dem Sitze in Vinica 
und dem jährlichen Gehalte von 600 fl nnd fixirten Jahreshonorare der 
umliegenden Herrschaften von 595 fl., wird hiemit der öffentliche Concurs 
ausgeschrieben. Die Bewerber, Doctoreu der Medicin oder der gesammten 
Heilkunde, der croatischcn Sprache vollkommen mächtig, haben ihre Gesncho 
beim gefertigten königl. Bezirksamte bis 28. Februar 1890 einzureichen. Die 
näheren Bedingungen und Verpflichtungen, welche mit dieser Gemeindearztes¬ 
stelle verbunden sind, sind beim gefertigten königl. Bezirksamte zu erfragen. 

Königl. Bezirksamt in Warasdin, am 4. Februar 1890. 

495 Der königl. Bezirksvorstand. 


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Nr. 7. 


Sonntag den 16. Februar 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis S Bogen Grose-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Ale regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertiona- 
anfträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maadmlllanstraase Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 2L 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ and „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halhj. 6 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., vierteli. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslände 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1800, 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban dt Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber Ohraffectionen bei Influenza. Von Dr. A, Eitelbkrq in Wien. — Aus derProviozial-Irrenanstalt 
zu Andernach a. Rh. Ueber Influenza. Von Dr. Umpfenbacti, Assistenzarzt der Anstalt. — Ans der chirurgischen Abtheilang des Prof. v. Mosetig- 
Mookhof im k. k. Krankenhause Wieden'. Ueber Dannwandbrüche. Von Dr. Ferdinand v. Kliegl, Secundararzt I. Classe genannter Abtbeilnng. — 
Referate nnd literarische Anzeigen. F. Gukterbock : Ueber Stricturbehandlong durch die Verweilbougie. — V. Harlky : Zur Behandlung von 
Leberabgcessen. — Ueber den Krebs der Gebärmutter. Von John Williams, Professor der Gynäkologie nnd Geburtshilfe etc. in London. Deutsche 
autorisirte Uebersetzung von Dr. Carl Abel und Dr. Theodor Landau. — Die Krankheiten der Mundhöhle, des Rxchens und der Nase. Mit Einschluß 
der Rhinoskopie und der local-therapeutischen Technik. Von Dr. Pfhlipp Schech. — Zeitungsschau. Bericht über die Fortschritte in der Pathologie 
und Therapie der Krankheiten des uropoetischen Systems. Ref.: Dr. H. Lohnstkin, Assistent des poliklinischen Institutes von Prof. Zuelzer zu 
Berlin. — Kleine Mittheilnngen. Ueber Aristo!. — Die Anwendung des Pilocarpins gegen Schwerhörigkeit. — Zur chirurgischen Behandlung 
der progressiven Paralyse. — Oerium oxalicum gegen Hnsten. — Salol als innerliches Antisepticum der Harnorgaae. — Behandlung des Tetanus 
mit subcutanen Injectionen von Carbolsäure. — Fall von abnorm langer Dauer der Schwangerschaft. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 
K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. 
(Orig.-Ber.) — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Notizen. — 
Literatur. — Aerztliobe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


lieber Ohraffectionen bei Inflnenza. 

Von Dp. A. Eitelberg* in Wien. 

Durch die Influenza, welche jüngst fast ganz Europa durch¬ 
zog, und, den Ocean übersetzend, auch nach Amerika vor¬ 
drang, hat die Aetiologie der Erkrankungen des Gehörorganes 
eine unerwünschte Bereicherung erfahren. Glücklicherweise 
ist dieselbe keine fortdauernde, da erfahrungsgemäß die In¬ 
fluenza-Epidemien die Menschheit nur in großen Intervallen 
heimzusuchen pflegen. Nichtsdestoweniger empfiehlt es sich, 
die jetzt gemachten Beobachtungen zu fixiren, damit eine 
künftige Generation dem heimtückischen Feinde einst um so 
gewaffneter entgegentreten könne. 

In der That liegen bereits einige, während der letzten 
Influenza - Epidemie von Ohrenärzten gesammelte Wahr¬ 
nehmungen vor. So hat Dreyfuss *), Assistent der Poliklinik 
Baginsky’s in Berlin, seine Aufmerksamkeit diesem Gegen¬ 
stände zugewendet, und die von ihm diesbezüglich veröffent¬ 
lichten Erfahrungen gipfeln in Folgendem: Er begegnete 
wiederholt schweren hämorrhagischen Entzündungen, die sich 
auf das Trommelfell beschränkten — bei einfach serösen oder 
eitrigen Exsudatansammlungen in der Paukenhöhle — und 
die sich mitunter in linsen- nnd halberbsengroßen Blutblasen 
manifestirten, welche gewöhnlich in der Anzahl von 3—4 
an der Peripherie der Membrana tympani saßen. Eine stark 
schuppende Epidermisschicht bildete den äußeren Ueberzug 
der Blasen. Auffallend gering waren hiebei die subjectiven 
Beschwerden, welche sonst bei der Myringitis haemorrhagica 
bullosa in der Regel sehr heftige sind. 

Von viel müderem Charakter erwies sich die Entzün¬ 
dung des Mittelohres, bei der das Exsudat zumeist ein seröses 
oder ein serös-eiteriges war; einige Male kam es überhaupt 
zu keiner nachweisbaren Absonderung. Der Verlauf war stets 


‘) „Beri. klm. Wochenschr.“, 1890, Nr. 3. 


ein günstiger und zeigte selten die Tendenz, den Warzen¬ 
fortsatz in Mitleidenschaft zu ziehen. 

Interessant ist ferner die Thatsache, daß in dem einen 
Theile der Fälle die Ohraffection sofort am ersten oder zweiten 
Tage der Influenza, zugleich mit der catarrhalischen Affection 
der Nasen- und Rachenschleimbaut, aöftrat, in einem anderen 
Theile der Fälle aber die Otitis media 8, 10—14 Tage später, 
nach Ablauf der Influenza sich entwickelte, „zu einer Zeit, wo die 
acuten Symptome verschwunden waren und häufig noch ein 
starker Schimpfen bestand“. Die Influenza ähnelt somit den 
acuten Exanthemen, bei denen die Obrerkrankungen gleich¬ 
falls bald zu Beginn, bald erst im Desquamationsstadium ein- 
setzen. 

In derselben Nummer der „Berl. klin. Woch.“, in welcher 
die „Notiz“ von Dreyfuss (1. c.) erschienen ist, berichtet auch 
Schwabach über 62 Fälle von Otitis media acuta nach 
Influenza. 

Beiläufig ein Drittel hievon (19 Fälle) entfiel auf die 
Otitis media acuta simplex, wogegen mehr als zwei Drittel 
(43 Fälle) der Otitis media acuta purulenta angehörteu. Zu¬ 
meist wurde blos ein Ohr (54mal), und nur selten beide 
Ohren (8raal) befallen. Das Ueber wiegen der Erkrankungen 
rechterseits gegen die linkerseits war ein kaum nennenswerthes 
(29 gegen 25). 

Schwabach hebt nicht minder hervor, daß in einer 
verh ältnißmäßig großen Anzahl von Fällen (22) 
Blutungen in aas Gewebe des Trommelfelles 
constatirt werden konnten, und zwar entweder 
in der Form von stecknadelkopf - bis erbsengroßen, 
zuweilen multiplen Ecchymosen (8 Fälle), oder 
in der Form von mehr oder weniger großen, nicht 
selten die ganze Fläche des Tommelfelles ein¬ 
nehmenden hämorrhagischen Blasen (14 Fälle). 

Auch über den Verlauf der acuten eitrigen Mittelohr¬ 
entzündung äußert sich Schwabach in gleichem Sinne wie 
Dreyfuss, nur daß in seinen (Schwabach’s) Fällen das äußere 
Ohr verhältnißmäßig häufiger, als er dies sonst bei Otitis 
media acuta beobachtet hatte, mitafficirt erschien. 


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243 


.244 


1890. *— Wiener Medizinische Presse. —; Nr. 7. 


Am günstigsten verliefen jene Fälle, in denen die Para- 
rentese des Trommelfelles frühzeitig vorgenommen wurde. 
Auch in den Fällen, die mit bereits bestehender Perforation, 
resp. Eiterung in Behandlung kamen, sistirte die Otorrhoe 
oft schon nach einigen Tagen. Am längsten hielt die Eiterung 
in Fällen an, in denen die Lücke im hinteren oberen Quadranten 
sich befand. Für diese seine Fälle nimmt Schwabach , eine 
Erweiterung der Perforationsöffnung, resp. die Anlegung einer 
zweiten Oeffnung im hinteren unteren Quadranten in Aus¬ 
sicht, wovon er sich eine Beschleunigung der Heilung mit 
Recht verspricht. 

Wenn ich nun zur Mittheilung meiner Beobachtungen 
übergehe, so muß ich vor Allem erklären, daß ich die An¬ 
gaben der genannten Autoren vollinhaltlich bestätigen kann. 
Mir stand sowohl an der Ohrenabtheilung des Prof. Urban- 
tschitsch in der allgemeinen Poliklinik, als auch in meiner 
Privatpraxis ein ziemlich reiches Material zur Verfügung, und 
ich greife gewiß eher zu niedrig, indem ich dasselbe auf 100 
Fälle veranschlage. Blutaustritte an den verschiedensten Stellen 
des Trommelfelles von Stecknadelkopfgröße bis zu beträcht¬ 
licher Blasenbildung wurden vielfach angetroffen, und in der 
Privatpraxis ist es mir mehrmals passirt, daß mein Rath 
hauptsächlich „wegen der heftigen Blutung aus dem Ohre“ 
beansprucht wurde. Freilich lag nicht immer die Ursache 
der Blutung in einer bei der Reinigung des Ohres lädir.ten 
oder spontan geplatzten hämorrhagischen Blase, sondern diese 
Blutung hatte viel öfter ihren Grund in einem stark hyper- 
ämischen Trommelfelle und in der ebenso beschaffenen Pauken¬ 
höhlenschleimhaut. Geschah es mir doch zweimal, daß ich 
bei vorsichtiger Reinigung des Ohres mittelst Wattebäuschchen 
derartige Hämorrhagien zu bekämpfen hatte, wie man sie „in 
friedlichen Zeiten“ etwa bei der Abtragung größerer Polypen 
mitunter sieht, und zur Tamponade des Gehörganges geschritten 
werden mußte. Blasen am Trommelfelle waren aber in den 
hier gemeinten Fällen nicht vorhanden. In diesen häufigen 
und anhaltenden , Blutungen aus dem Ohre möchte ich fast 
ein charakteristisches Merkmal der Tympanitiden in Folge 
von Influenza erblicken, denn in einer ganz respektablen An¬ 
zahl von Fällen zeigten sich die in kurzen Zwischenräumen 
gewechselten Wattepfropfe einige Tage hintereinander mit 
Blut imbibirt. 

Es ist höchst merkwürdig, daß trötz der stürmischen 
Erscheinungen, unter denen sich die eitrige Mittelohrentzündung 
gerade bei der Influenza fast ausnahmslos angekündigt hatte 
— die Patienten konnten wegen der rasenden, gegen den 
Kopf und nicht selten auch gegen die Schulter ausstrahlenden 
Schmerzen Nächte hindurch kein Auge schließen — der 
Verlauf durchschnittlich ein äußerst günstiger war und der 
ganze Proceß bis zur Restitutio ad integrum in überraschend 
kürzer Zeit sich vollzog. 

Das besagen nicht allein die bereits citirten Arbeiten, 
mit deren Inhalt meine Erfahrungen vollkommen überein- 
stimmen, sonderri ich darf mich in diesem Punkte auch auf 
meinen verehrten Lehrer Urbantschitsch berufen, der mir aus 
der Fülle seines Materiales von schweren Complicationen nur 
anzngeben. wußte, daß in einem Falle Granulationswucherung 
auftrat, in zwei Fällen der Warzenfortsatz vorübergehend in 
Mitleidenschaft gezogen war, und in zwei anderen Fällen 
nach Ablauf der Entzündung die Schwerhörigkeit noch einige 
Zeit andauerte. 

Druckempfindlichkeit des Warzenfortsatzes bestand fast 
jedesmal, doch verlor sich dieselbe bald, ohne daß ich, mit 
Ausnahme eines Falle's, gezwungen war, die Warzenfortsatz- 
gegend einer directen Behandlung zu unterziehen. 

. Eine weit unangenehmere, weil sehr schmerzhafte Com- 
plication war die Otitis externa, gegen welche sich mit 
fiproc. Carboiglycerin getränkte Watteeinlagen gut bewährten. 

Zur Illustration der außerordentlich raschen Heilung 
der eitrigen Mittelohrentzündung bei Influenza seien nur ein 
paar Beispiele angeführt. 


Eine circa 40jährige, kräftige Frau erkrankt, nachdem sie 
die Influenza bis auf den Schnupfen uud einen geringfügigen 
Bronchialcatarrh tiberstanden hatte, am 2. Januar a. c. unter aber¬ 
maligem Anstieg des Fiebers und unter heftigen Schmerzen, welche, 
von den Ohren ausgehend, den ganzen Kopf einnahmen und sich 
bis in die Arme verbreiteten, an einer beiderseitigen eitrigen Mittelohr¬ 
entzündung. Ich sah die Kranke am 4. Januar zum ersten Male. 

Nach Ausspritzung der Gehörgänge mit einer lauwarmen 
schwachen Kochsalzlösung, wodurch die angehäuften Epidermismassen 
entfernt werden, und Abtrocknung mittelst Wattebäuschchen zeigt 
sich das Trommelfell beiderseits in toto geröthet und geschwollen, 
hinten oben hervorgewölbt. Eine Perforation konnte bei der ersten 
Untersuchung nicht nachgewiesen werden. Neben dem Ohren- und 
Kopfschmerz wurde auch Klopfen und Pulsiren in den Ohren an¬ 
gegeben; Sausen war nicht vorhanden. Tragus und Warzenfortsatz 
sehr druckempfindlich. Hochgradige Schwerhörigkeit. Ordination: 
Einlegen von zuvor in 5proc. Carbolglycerinlösung getauchten Watte- 
wieken in die äußeren Gehörgänge, eventuell Einträufeln einiger 
Tropfen der genannten Lösung, 5 Minuten im Ohre zu belassen. Prießnitz- 
Umschlag über beide Ohren. 

Bei der nächsten Morgenvisite konnte bereits eine Perforation 
der Trommelfelle constatirt werden, und zwar rechterscits i m 
hinteren oberen Quadranten, linkerseits eine solche vorne 
unten. Reichlicher schleimig-eitriger Ausfluß. Bei der Lufteintreibung 
naeh Politzer’ 8 Verfahren beiderseits deutliches Perforationsgeräusch. 
In der vorangegangenen Nacht waren die Schmerzen erträglicher, 
Pat. konnte daher zeitweilig des lange entbehrten Schlafes genießen. 
Die Behandlung bleibt dieselbe, doch wird nach jeder Ausspritzung 
auch eine 4proc. Borsäurelösung instillirt 

Schon nach 2 Tagen verminderte sich die Secretion, um am 
8. desselben Monates, also nach viertägiger Behandlung, vollständig 
zu sistiren. Man weiß ja, daß dem Laien, sobald das Schmerz- 
stadinm vorüber ist, die Eiterung viel weniger Sorge bereitet, als 
die herabgesetzte Gehörsperception. So auch in unserem Falle. 
Indessen wurdo diese Besorgniß binnen Kurzem zerstreut. Vier 
Tage später hörte Patientin beiderseits vollkommen normal. Zu der 
Zeit war die Stelle, wo die Perforation, sich befand, im linken Ohre 
nicht mehr deutlich zu erkennen, rechts allerdings war die Lücke 
noch steckna 8 delkopfgroß, dürfte aber zur Stunde höchstwahrschein¬ 
lich bereits ebenfalls geschlossen sein. 

Ein anderes Beispiel. 

Eine 27jährige, schwächlich gebaute Frau wird in der Recort- 
valescenz nach Influenza von einer beiderseitigen Mittelohrentzündung 
befallen, deren erste Anzeichen, heftige Schmerzen in den Öhren, 
unmittelbar nach einem Niesacte auftreten. (Ich betone 
dies ausdrücklich, weil viele Patienten. mit großer Bestimmtheit das 
Entstehen ihres Ohrenleidens mit einem vorausgegangenen Nies , 
bezw. Hustenanfalle in enge Causalverbindung brachten.) 

Bereits am nächsten Tage kam es auf beiden Seiten zunj 
Durchbruche des Trommelfelles. Beiderseits profuser Ausfluß, der 
linkerseits durch fünf Tage reichlich mit Blut untermengt war. 
Rechts bestand eine Perforation der Membrana Shrapnelli, links 
war der hintere obere Quadrant des Trommelfelles durchlöchert,' 
Nach achttägiger Behandlung sistirte die Otorrhoe und nach weiteren 
vier Tagen waren die Trommelfelllücken vernarbt, war das Gehör 
zur Norm zurückgekehrt. 

Bei einer 75jährigen Greisin nahm die nach überstandener 
Influenza mäßigen Grades aufgetretene sehr heftige linksseitige eitrige 
Mittelohrentzündung innerhalb 12 Tagen einen nicht minder guten 
Verlauf. 

Ich habe aus der Gesammtsumme der Fälle just diese 
drei herausgehoben, weil sie durch verschiedene, hier obwal¬ 
tende Umstände so ziemlich die schwersten Formen der in 
Rede stehenden Ohrerkrankung repräsentiren. 

Den zwei ersteren Fällen ist zunächst das immerhin in 
die Wagschale fallende Moment der Doppelseitigkeit gemein¬ 
sam, ferner aber auch die ungünstige Lage der Perforation, 
einmal im hinteren oberen Quadranten des Trommelfelles und 
das andere Mal auf der einen Seite gar in der Membrana 
Shrapnelli, an einer Stelle, die noch viel bedenklicher ist, als 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


246: 


— Nr, 7. 


die erstgenannte, was auch Schwab ach bemerkt Unter den 
35 Fällen, die ich aus meiner Privatpraxis notirt habe, be¬ 
fanden sich drei, in Welchen eine Durchlöcherung der 
Shrapnell’schen Membran vorlag. Indessen hat dieser Um¬ 
stand auf den Heilungsproceß, gleich wie in den zwei correspon- 
direnden Fällen Schwabach’s, keinen verzögernden Einfluß 
geübt. Die Durchschnittsdauer der Erkrankung für diese 
Fälle betrug, wie für die anderen, 8—10 Tage. Ueberdies 
muß im zweiten Falle noch berücksichtigt werden, daß wir 
es im linken Ohre mit einer hämorrhagischen Tympanitis zu 
thun hatten, ohne daß das Trommelfellbild von dem bei einer 
gewöhnlichen eiterigen Mittelohrentzündung ab wich. Der 
Ansicht,, daß die hämorrhagische Entzündung der Pauken¬ 
höhle in Folge von Influenza sehr häufig sei, pflichtet auch 
Hadg 2 ) bei, der 11 einschlägige Fälle mittheilt. 

Im dritten Falle kommt hauptsächlich das hohe Alter 
der Patientin als erschwerendes Moment in Betracht. Dieselbe ver¬ 
tritt überhaupt die äußerste Altersgrenze meiner Patienten 
dieser Kategorie, während nach der entgegengesetzten Seite 
ein ßjähriges Mädchen die Markscheide bildet. 

Ueber die einfachen Catarrhe der Tuben oder der Pauken¬ 
höhle bei Influenza ist nicht viel zu sagen, doch springt auch 
hier die Gutartigkeit der Erkrankung in die Augen. Ich habe 
mehrere Fälle verzeichnet, in denen eine 2—3malige Luft¬ 
eintreibung nach Politzer’s Verfahren hinreichte, um die 
Perception für Flüstersprache von 1 M. auf 6 — 8 M. und 
darüber zu heben. 

In 2 Fällen mit ausgesprochenen Symptomen einer acuten 
Tympanitis: Schwellung, Röthe und Hervorwölbung des 
Trommelfelles, gelang es, durch Lufteintreibungen und Ein¬ 
träufeln von Carboiglycerin (5°/ 0 ) den Proceß zu coupiren. 

Eine vorübergehende Verschlimmerung alter Otorrhoen 
durch Influenza hatte ich Gelegenheit, in 2 Fällen zu beob¬ 
achten. Ein lOjähriges Mädchen, das wegen einer rechtsseitigen 
Mittelohrentzündung mit Tötalzgrstörüng des Trommelfelles 
nach im 6. Jahre durchgemachten Masern seit 3 Monaten in 
meiner Behandlung steht, und bei dem mittlerweile der Ohren¬ 
fluß ein so geringer geworden ist, daß an dem Wattepfropf 
nach 24 Stunden kaum ein Tropfen Eiter zu sehen ist und 
ich mich daher auf die trockene Behandlung seit Wochen 
beschränken konnte, acquirirt eine kaum 2 Tage dauernde 
Influenza. Sofort war die Secretion eine so profuse wie zu 
Beginn der Beobachtung, doch nur 3 Tage lang. 

Der zweite Fall betrifft einen Collegen, der, seit 
mehreren ‘Monaten an einer eitrigen Mittelohrentzündung 
leidend, an sich selbst die üblen Folgen einer Influenza- 
Attaque erfahren mußte. Der bereits ganz versiegte Ohrenfluß 
stellte sich abermals ein, um allerdings schon nach einigen 
Tagen auf das in letzter Zeit bestehende Niveau zurück¬ 
zusinken. 

Alle bis jetzt vorliegenden Publicationen schildern den 
Verlauf der Ohrerkrankungen bei Influenza als einen milden. 
Doch muß man mit Loewenbebg 8 ) davor warnen, es deshalb 
etwa bei dieser Complication an der sorgfältigsten Aufmerk¬ 
samkeit fehlen zu lassen. - 

Aus der Provtnzial-Irrenanstalt zu Andernach a. Rh. 

(Director San.-Rath Dr. Nötel.) 

Ueber Influenza. 

Von Dr. Utiipfenbach, Assistenzarzt der Anstalt. 

Für die Frage, ob wir es bei der Influenza mit einem 
Miasma oder einem Contagium zu thun haben, ist das Frei¬ 
bleiben oder Inficirtwerden geschlossener Anstalten während 
einer allgemeinen Epidemie von Interesse. Diese letzte Frage 
ist zur Zeit auch noch nicht gelöst. Während Hirsch in einem 

*) „Münch. Med. Wochenschr.“, 1890, Nr. 3. 

8 ) „Hüll. m6d. a , 1890, Nr. 3- 


abgeschlossenen Kloster zu Charlottenburg keinen Fall von 
Influenza zu Gesicht bekam, und Henoch auf seiner Kinder¬ 
abtheilung in der Charitö keine Kinder, sondern nur einige 
Wärterinnen erkranken sah, wurde im Hafen von Brest das 
Schulschiff „La Bretagne“ derartig inficirt, daß der dritte 
Theil der Mannschaft erkrankte, während. zwei daneben 
liegende Schiffe ganz frei blieben. Weitere Beobachtungen sind 
also erwünscht, und führten diese Betrachtungen zu der fol¬ 
genden Zusammenstellung. 

Andernach liegt malerisch am Ausgange des sog. Wieder- 
Beckens und hat zur Zeit circa 5800 Bewohner. Es zeichnet 
sich nicht durch übermäßige Reinlichkeit aus, hat aber eine 
gute Wasserleitung. DeT Hauptwind kommt von Nordnord¬ 
ost. Der Gesundheitszustand der Stadt ist ein normaler; die 
Sterblichkeit schwankte in den letzten 5 Jahren zwischen 24 
und 25 pro mille. Gegen Cholera und Variola, die öfters in 
der Umgebung arg grassirten, war Andernach bisher immun. 
Dagegen ist die Diphtheritis in den letzten Jahren hier hei¬ 
misch. — Die Witterung im letzten December war trocken 
bei leichtem Frost, im Januar naß bei häufigen Stürmen. 

Die Influenza trat zuerst Mitte December in der Stadt 
in milder Form auf, um im Januar, durch Complication mit 
Pneumonie, einen mehr bösartigen Charakter anzunehmen. 
Während die Sterblichkeit des Decembers etwas geringer war 
als die der beiden letzten Jahre, stieg sie im Januar bis über 
das Doppelte 1 

Ueber die Hälfte der Einwohner war befallen; in den 
beiden ersten Jahreswochen sprach Alles nur von Influenza. 
Jeder war nur für seine Gesundheit besorgt und blieb, wenn 
irgend möglich, zu Hause. In der dritten Januarwoche ließ die 
Krankheit nach, und mit Ende des Monats konnte man die 
Epidemie in der Stadt für erloschen betrachten. Doch erholten 
sich die Meisten recht langsam; . viele hatten mit oder gegen 
ihren Willen an Körpergewicht arg abgenommen. Auffallend 
und lästig war bei einer großen Anzahl der Genesenen der 
zurückgebliebene Geschmacksmangel für Alkohol, für Wein 
und Bier, ein Mißstand, der bei Manchen 14 Tage anhielt. 

Die Provinzial - Irrenanstalt liegt in' südsüdwestlicher 
Richtung 2 Kilom. von der Stadt entfernt.;-Ihre Lage ist. 
eine durchaus freie; es besteht also reiöhliche und beständige 
Ventilation. Auf dem Anstaltsareal ist eine Quelle, die durch 
natürlichen Druck alle Gebäude mit Wasser reichlich versorgt. 
Die Anstalt ist vor 15 Jahren im Pavillonsystem erbaut worden 
und hygienisch correct eingerichtet. Die Sterblichkeit schwankt 
zwischen 8 und 8-5°/ 0 . Tubercutose und andere chronische 
Lungenleiden waren bisher nur sporadisch. Von Epidemien 
ist die Anstalt bisher- verschont geblieben. 

Die Anstalt ist zur Zeit von 400 Geisteskranken, frisch 
Erkrankten und Pfleglingen, bewohnt? letztere überwiegen. 
Wartepersonal und Beamte, incl. deren Familien, 1 belaufen 
sich auf 100. Die Kranken verlassen die Anstalt, resp. das 
Anstaltsterrain nicht; Wärter und Wärterinnen (zusammen 
circa 50) nur in seltenen Fällen^ die Beamten, resp. deren 
Familien nach Willkür. 

Mitte December trat der erste Influenza-Fall auf, der 
auch sogleich in Pneumonie überging; ihm folgten in den 
letzten beiden Wochen des genannten Monats einige wenige 
Fälle. Das Gros der Erkrankungen fiel auf die erste Hälfte 
des Januars; - in der dritten Jahreswoche kamen noch einige 
wenige Nachzügler. Jetzt (Anfang Februar) kann die Epi¬ 
demie als erloschen betrachtet werden. 

Es erkrankten im Ganzen 121 Personen (58 Männer und 
63 Frauen); auf den eigentlichen Krankenabtheilungen 05; 
der Rest fällt auf die Beamten, resp. deren Familie. Die 
letzteren mitgezählt, ist gerade der vierte Theil der Anstalts¬ 
insassen erkrankt gewesen; ohne dieselben würde die Infection 
nur den fünften Theil betroffen haben. Die Vertheilung auf 
die beiden Geschlechter scheint unparteiisch; das weibliche Ge¬ 
schlecht prävalirt überhaupt etwas unter den Anstaltsbewohnern. 

1 ° 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Nach dem Lebensalter sind erkrankt: unter 20 Jahren 
18 (darunter 4 Kinder von 2—7 Jahren); in den folgenden 
Altersklassen, von 10 : 10 Jahren getrennt: 33 — 14 — 21 
— 23 — 9 — 3. Die letzten Drei, die, nebenbei gesagt, 
die Krankheit gut überstanden, waren über 70 Jahre alt, die 
älteste 75 Jahre. 

Benützen wir die RENVEFts’sche Eintheilung, welche die ein¬ 
zelnen Fälle nach den Haupterscheinungen rubricirt, so fallen bei 
uns auf die Infi, eatarrhalis 77, die Infi, gastrica 26 und die 
Infi, nervosa 18. Ein deutlicher Unterschied, eine ausge¬ 
sprochene Vorliebe des männlichen oder weiblichen Geschlechtes 
zu einer dieser RENVEus’schen Formen wurde nicht constatirt. 

Die Krankheit nahm bei uns im Allgemeinen den be¬ 
kannten Verlauf. Ein eigentliches Prodromalstadium wurde 
nicht beobachtet. Wer sich seit Mitte December bis Mitte 
Januar unwohl fühlte, über oder unter dem Zwerchfell klagte 
und „influenzirt“ aussah, wurde in’s Bett gesteckt. Die dann 
bald vorgenommene Temperaturmessung wurde, auch wenn 
zuerst keine Steigerung vorhanden, noch mehrere Tage fort¬ 
gesetzt. Sie ergab bei 62 Kranken Fieber, bei 59 kein aus¬ 
gesprochenes Fieber. Die Männer fieberten häufiger als die 
Frauen (34 Männer gegen 26 Frauen). 

Was das Fieber betrifft, so bestand dasselbe, wenn 
wir 12 Patienten aus gleich zu erwähnenden Gründen ab- 
ziehen, bei den übrigen 50 Kranken 20mal 1 Tag, 18mal 

2 Tage, 4mal 3 Tage, in den übrigen Fällen bis zu 6 Tage. 
Die 12 hier in Wegfall gekommenen Fiebercurven betrafen 
Influenza mit schweren Complicationen. 8 Kranke litten im 
Anschluß an die primäre Erkrankung an sehr rasch auf¬ 
tretender Pneumonie. 4 hatten schon längere Zeit an Phthisis 
pulmon. gelitten, welch letztere übrigens in den Monaten 
vorher nicht sonderlich in die Erscheinung getreten, namentlich 
kein Fieber verursacht hatte. Die Phthisis pulmon. machte 
übrigens, um dies gleich an dieser Stelle zu erwähnen, in 

3 Fällen keine nachweisbaren Fortschritte im Anschluß an die 
Influenza; im 4. Falle, einer Spitzeninfiltration, schreitet der 
tuberculöse Proceß, der vorher stille zu stehen schien, nach 
dem Verschwinden der allgemeinen bronchitischen etc. Er¬ 
scheinungen langsam weiter; Patient leidet post oder propter 
influenzam an hektischem Fieber. 

Die höchste Temperatur bei einfacher, d. h. nicht com- 
licirter Influenza betrug, in axilla gemessen, 40*6, die näohst- 
öchsten 405 und 40 4. 6 Patienten erreichten 40 0, 18 Pa¬ 
tienten 39 0, die Uebrigen stiegen über 38 0. In den meisten 
Fällen erreichte das Fieber sofort am 1. Tage die Höhe 
(I. Form Fbentzrl). Der Fieberabfall erfolgte bei uns, wie 
oben bereits angedeutet, meist in 1 oder 2 Tagen; eine eigent¬ 
liche Lysis war selten. 

Auffällig war der Fieberverlauf in 3 Fällen: Nr. 1 
hatte am 1. Erkrankungsabend 39 6, war am folgenden Abend 
ohne Fieber, am 3. Tage abends 385, am folgenden Morgen 
ohne Fieber, am 4. Abend wieder 38 4; dann folgten 2 fieber¬ 
freie Tage und der folgende Abend mit 38'2. Seitdem fehlte 
das Fieber dauernd. — Nr. 2 stieg sofort bis 39*1, war dann 
3 Tage fieberfrei, stieg am 5. Tage auf 39-1, am folgenden 
Morgen 38 - 6, seitdem fieberfrei. — Nr. 3 war eine Misch¬ 
form (Frbntzel); sie hatte am 1. Tage sofort 39 5, war die 
beiden folgenden Tage fieberfrei, stieg am 4. Tage bis 38-5, 
am 5. Tage bis 39 - 7. Das Fieber ließ dann remittirend nach. 
Dieser Fall zeigte demnach die beiden von Frentzel aufge¬ 
stellten Typen für den Fieberanstieg nach einander; erst den 
rapiden Anstieg, dann, nach fieberfreiem Intervall, den lang¬ 
samen. Alle 3 Fälle waren auch an den fieberfreien Tagen 
zu Bette geblieben; besondere Complicationen waren nicht zu 
constatiren; mit der Entfieberung schienen auch jedesmal die 
Krankheitssymptome zu schwinden, um dann mit dem neuen 
Fieber wieder stärker heranzutreten. Man könnte demnach 
von Recidiven sprechen. Bei den 4 Phthisikern währte das 
Fieber 3, resp. 4 Tage und war anfangs sehr hoch. Indem einen 


Fall besteht es, wie schon oben erwähnt, bis heute noch, d. h. 
bereits 4 volle Wochen. 

Die Influenza hat das Eigenthümliche, daß sie die Be¬ 
fallenen sofort sich sehr krank fühlen läßt, und daß die Re- 
convalescenz, meist auch nach kurzem Kranksein, längere Zeit 
in Anspruch nimmt. Die Gewichtsabnahme unserer Kranken 
war beinahe regelmäßig und stellenweise groß; bei Leuten, 
die kaum das Bett gehütet hatten, 7 Pfund und mehr, bis zu 
14 Pfund! 

Von Complicationen wurden schon oben 8 Pneumonien 
erwähnt; dieselben hatten einen langsamen, nicht kritischen 
Verlauf, mit anfangs hohem, später mäßigem Fieber; der 
blutige Auswurf wurde nur in einem Fall bemerkt. Unter 
diesen 8 Pneumonien sind übrigens auch 3 aufgeführt, deren 
Zugehörigkeit zu Influenza zweifelhaft ist. Es handelte sich 
um Patienten, die keinerlei Auskunft gaben, gegen die Unter¬ 
suchung immer sehr widerstrebend waren. Dieselben, 2 schon 
länger sehr decrepide Paralytiker und 1 alter, erregter Blöd¬ 
sinniger, erkrankten während der Influenza-Epidemie an Pneu¬ 
monie, ohne den charakteristischen Auswurf, mit sehr hohem 
Fieber, raschem Verlauf und baldigem Exitus letalis. Der 
eine Paralytiker hatte nebenbei Durchfälle und allgemeine 
Convulsionen gehabt. Die Section ergab in 3 Fällen eine 
fibrinöse Infiltration verschiedener Lungenlappen, das Bild, 
das Ewald („Berl. klin. Woch.“, Nr. 3) für die Influenza¬ 
pneumonie gibt. Blutungen in andere Körperorgane fehlten. 

Von sonstigen Complicationen wurde beobachtet: 6mal 
Herpes labialis, 1 Herpes Zoster, 1 Erythem des Gesichtes. 
Je einmal klagten Patienten über sehr heftige Schmerzen im 
linken Auge und linken Ohre, ohne daß etwas objectiv nach¬ 
weisbar war. 2 Kranke (Cölibataire in mittleren Jahren) 
klagten über heftige Schmerzen in den Testikeln, anscheinend 
ebenfalls nervöser Natur. In einem Falle kam es zu mehr¬ 
tägigen blutigen Stühlen, ohne Auftreten von Fieber. Ein¬ 
tägige Hämaturie wurde in 2 Fällen constatirt. Ein Einfluß 
auf den Uterus wurde insofern beobachtet, daß in 8 Fällen 
die Katamenien zu früh eintraten und in einem anderen Fall 
profuse Menses da waren. 

Als Nachkrankheiten hatten wir außer den oben er¬ 
wähnten 8 Fällen von Pneumonie 1 Pleuritis, 3 Fälle von 
Schwerhörigkeit (chron. Otitis media), 1 Furunkel des Meat. 
acust. extern., 1 Blasencatarrh von 2—8 Tage Dauer und 
l Epididvmitis bei einem jüngeren Kranken, der vor Jahren 
an derselben Affection gelitten hatte. 

Albuminurie und Milzschwellung wurde hier nicht beob¬ 
achtet. Ein Fall von Gravidität befand sich zur Zeit der 
Epidemie nicht in der Anstalt. 

Die verschiedenen Kranken-Abtheilungen und Anstalts- 
wohnräume wurden gleichmäßig von der Influenza heimgesucht; 
keine Abtheilung blieb verschont. Sie befiel zuerst eine alte 
Person, einen Pflegling, der jetzt zur "Winterszeit immer im 
Hause geblieben war. Inficirt wurden dann ziemlich gleieh- 
mässig solche, die im Freien arbeiteten und solche, die sich 
im Zimmer beschäftigten. Auffallend ist, daß, während das 
ganze Küchenpersonal erkrankte, vom Waschpersonal Alles 
gesund blieb, bis auf eine Wäscherin, die sich in ihrem 
Heimatsdorfe angeblich inficirte und dort dann längere 
Zeit verblieb. Auch die 30 weiblichen Kranken, die ge¬ 
wöhnlich zur Waschküche gehen, erkrankten mit einer ein¬ 
zigen Ausnahme nicht! 

Als Curiosität mag noch erwähnt werden, daß, während 
die Influenza in den einzelnen Beamtenfamilien bald diese, 
bald jene Form wählte, in einer Familie plötzlich an Einem 
Tage alle 5 Mitglieder unter heftigen Kopfschmerzen er¬ 
krankten, so daß zwei davon das Bett hüten mußten. Fieber 
und sonstige Erscheinungen fehlten. Die Cephalea hielt 
theils 1, theils 2 Tage an. 

Therapeutisch wurde hier in der Anstalt wenig ein¬ 
gegriffen ; je nach den Erscheinungen wurde ein Expectorans, 
etwas Acid. muriat. oder Wein verabreicht, gegen nervöse 


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Schmerzen Antifebrin, weiches übrigens in den meisten Fällen 
Linderung verschaffte. 

Znm Schluß mag noch erwähnt sein, daß die Influenza 
auf den Verlauf der Psychose ohne weiteren Einfluß zu 
sein schien. 


Aus der Chirurg . Abtheilung des Prof. v. Mosetig- 

Moorhof im k. k. Krankenhause Wieden. 

Ueber Darmwandbrüche. 

Von Dr. Ferdinand V. Kliegl, Secundararzt I. Classe 
genannter Abtheilung. 

(Schluß.) 

Was das Vorkommen der Darmwandbrüche anbelangt, 
kann man ruhig die Behauptung aufstellen, daß in der Mehr¬ 
zahl der Fälle das weibliche Geschlecht davon befallen wird 
und der Canalis cruralis die Prädilectionsstelle ist; fernerhin 
findet man, daß sie am häufigsten im vorgerückten Alter Vor¬ 
kommen, was auch erklärlich ist. Stehen doch die Därme 
beim Geburtsact unter einem colossalen Druck. Da kann es 
nun leicht geschehen, daß das Peritoneum an Stellen, wo ein 
Locus minoris resistentiae ist, also am Canalis cruralis und 
obturatorius, vorgetrieben wird und die oben erwähnten Grüb¬ 
chen zu Stande kommen. Jm Alter wird das Gewebe laxer, 
nachgiebiger und kann unter Umständen zur Bruchbildung 
gewissermaßen prädisponirt sein. Matteyssen sah während 
der Geburt einen Lateralbruch des Dünndarms entstehen. 
Vor einigen Monaten kam mir ein analoger Fall, den ich 
richtig diagnosticirt zu haben glaube, bei einer 53 Jahre alten 
Frau vor, die behufs Exstirpation der carcinomatösen Portio 
das Krankenhaus aufsuchte. Patientin ist Mutter von sechs 
Kindern und hatte bisher regelmäßigen Stuhlgang. Drei Tage 
vor ihrer Entlassung acquirirte sie bei der Defäcation einen 
Bruch in der linken Schenkelbeuge. Daselbst fand man eine 
kirschgroße, prall gespannte, druckempfindliche Geschwulst, 
welche die heftigsten Incarcerationserscheinungen mit sich 
brachte. Nach heißen Umschlägen und einer Morphinminjection 
ging die Geschwulst unter meinen Fingern zurück und mit ihr 
die Folgeerscheinungen. 

Thatsache ist, daß die acuten Darmwandbrüche von den 
stürmischesten Einklemmungserscheinungen begleitet werden. 
Pitha spricht von Incarceratio acutissima. Es ist daher selbst¬ 
verständlich, daß man bei Fortbestand der Erscheinungen, 
nachdem Alles gethan wurde, was die unblutige Reposition 
ermöglicht, sofort zum Messer greifen wird. Durch die scharfe 
Einklemmung wird die Blutzufuhr unterbrochen und der Darm 
wird rasch gangränös, welcher Umstand den möglichst raschen 
Eingriff erfordert. Da die Schwere der Erscheinungen ohnehin 
eine baldige Hemiotomie erheischt, so soll man nie zu lang 
dauernde oder heftige Taxisversuche vornehmen, da man dabei 
nicht vorsichtig genug sein kann. 

Viel seltener als die Lateralbrüche des Dünndarms sind 
die des Dickdarms. Einen solchen, dem von Lorenz ganz 
analog, durch seinen langwierigen Verlauf ausgezeichneten, 
doch höchst interessanten Fall erlaube ich mir eingehend zu 
besprechen: 

Therese T., 59 Jahre alt, erlitt angeblich vor 12 Jahren 
einen rechtsseitigen Leistenbrnoh, welcher nach 24ständiger Incar- 
ceration operirt wurde. Patientin war nach 3 Wochen geheilt und 
vollkommen gesund. Am 15. November 1886 verspürte sie nach 
einem Hustenanfall, am Stuhl sitzend, einen heftigen stechenden 
Schmerz in der rechten Leistenbeuge. Sie tastete ihren Bruch ab 
und fand eine etwa nußgroße, harte, ziemlich schmerzhafte Ge¬ 
schwulst in der rechten Schenkelbeuge. Der herbeigeholte Arzt 
erkannte sofort eine Schenkelhernie und ordnete nach erfolglosen 
Taxisversuchen heiße Umschläge an. Es stellte sich Erbrechen einer 
dünnflüssigen, nicht ftculent riechenden Flüssigkeit ein, Kothleitung 
nicht unterbrochen. Am nächsten Tage war die Geschwulst bei 
Fortbestand der eben erwähnten Synptome, bedeutend größer, die 


Haut darüber bläulichroth verfärbt, deutliche Fluctuation. Am dritten 
Tage war eine kreuzergroße Durchbrucbstelle bemerkbar, aus 
welcher sich Koth entleerte. Patientin kam erst nach 2 Wochen 
iu einem höchst desolaten Zustande in’s Krankenhaus. 

Patientin klein, von ziemlich kräftigem Knochenbau, ist stark 
berabgekommen. Der Bauch weich, nicht druckempfindlich, Puls 
frequent, Temperatur 38'5, Zunge feucht. In der rechten Schenkel¬ 
beuge befindet sich ein handtellergroßer Substanzverlust. Nach Ab- 
spülung der beschmutzten Partie konnte man einen bosseren Ein¬ 
blick gewinnen und fand Folgendes: Die von callösen Rändern 
umgebene Wunde war von einem dicken röthlichen Wulst iu zwei 
Theile getheilt, so daß man nach der äußeren Besichtigung glauben 
konnte, der Wulst sei der Sporn und die zwei Öffnungen die 
Aperturen des Magen- und Darmrohres. Bei der Untersuchung mit 
den Fingern präsentirte sich der vermeintliche Sporn als ein runder, 
derber Strang, der sich weiter in’s Darmlumen nicht verfolgen läßt und 
den Defect gewissermaßen überbrückt. Durch diese zwei Öffnungen 
kommt man in einen größeren Raum, eine Art Vestibulum. Am 
Grunde dieses Raumes, etwa 4 Cm. oberhalb der äußeren Oeffnung 
gelangt man in eine von prolabirter Schleimhaut umsäumte Lücke, 
neben welcher sich eine zweite befindet. Durch beide Ocffnungen 
kommt der untersuchende Finger in das Darmrohr, außen oben in 
ein weites, nach inuen unten in eiu bedeutend dünneres, wobei man 
(im letzteren Fall) eine Art Zusammenschnürung des Fingers fühlt 
— Passiren der Valvula ileocoecalis. Führt man einen Finger in 
das zuführende eugere, deu zweiten in das abführende weitere Rohr, 
so fühlt man zwischen beiden Fingern eine ziemlich dicke Schichte, 
den Sporn, gebildet durch den Winkel, der normal an dem Ueber- 
gange des Dünndarmes in den Dickdarm zu Stande kommt. Der 
Scheitel dieses Winkels ist die Valvula Bauhini, die Schenkel das 
zu- und abführende Rohr. Nach gründlicher Reinigung wurde 
daran gegangen, den Anus praeternaturalis zum Verschluß zu 
bringen. 

In der Chloroformnarcose wird der runde Strang (Septum), 
der sich bei der Untersuchung als der Processus vermiformis erwies, 
abgetragen, der Darm in seiner ganzen Circumferenz lospräparirt 
und mittelst drei Etagenuähte, die inneren Knopf-, die äußere fort¬ 
laufende Catgutnaht, zum Verschluß gebracht. Die Haut wird 
von unten und oben über die vernähte Fistelöffnung gezogen und 
die Wunde nach gründlicher Irrigation und Jodoformirung mit 
starker Jodoformseide geschlossen. 

Schließlich wird die Hautwunde gründlich gereinigt, mit Jodo¬ 
formpulver bestreut und die Bauchdecke nach Anfrischung mit 
starker Jodoformseide vernäht und ein leichter Compressionsverband 
angelegt — innerlich Opium. 

Am vierten Tage war der Verband von einer fäculent riechen¬ 
den Flüssigkeit durchtränkt. Lüftung des Verbandes, Entfernung 
der Nähte. Der Kothabgang durch die Bauchwunde dauert fort, 
doch der größte Theil geht auf natürlichem Wege. Nach 3 Wochen 
war die Wunde durch üppige Granulationen um 3 / i ihrer früheren 


Größe verkleinert, Kothabgang siatirt. Sechs 
L Tage hindurch Stuhl regelmäßig per rectum, 

|p| die Oeffnung bis auf eine Haarfistel verheilt, 

| ... Touchirung mit Lapis und Paquelin. 

i wtismP Nach 20 Tagen wurden die Fistel- 

I jSklBMF ränder abermals angefrischt und eine fort- 

II ^ « laufende Catgutnaht angelegt. Nachdem die 

Kl Nähte wegen abnorm großer Spannung nicht 

I W '• gehalten haben und durch das Pressen der 


|v 9 Patientin die Fistel wieder klaffte, werden 

V, 1 durch Kreuzscbnitto die Fistelränder in der 

M 1 Narcose wieder angefrischt und in der Ent- 

lo | fernung von 2—3 Cm. Entspannungsschnitte 

% I gemacht, die Fistelöffnung mit Catgut zum 

\ , Verschluß gebracht. Die zwischen den zwei 

2 Bogenschnitten gelegenen Hautlappen von 

*' Fiateiöffnung, l Lappen, der Unterlage abpräparirt freigemacht und 
i. Ligatur. über der Fistel vereinigt. Nach fünf Tagen 

diastasirten die Hautlappen und sickert nun wieder Darminhalt 
heraus. Am 6. Tage wird ein Lappen, von der Inguinalgegend 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7.' ‘ 


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sich auf den Oberschenkel erstreckend (Fig. 2; schematisch), genom¬ 
men , abpräparirt, behufs Granulation jodoformirtes Papier unter¬ 
geschoben und ein Jodoformverband angelegt. Die untere 
kleine Hautbrücke wurde vorher mit der elastischen Ligatur 
abgeschnürt. ' 

Nach 8 Tagen wurde der Verband gelüftet, der vollständig 
abgesohnürte Lappen über die Fistel gedreht, auf eine ebenso große 
angefriscbte Stelle transplantirt, die Wundränder mit dem Lappen 
durch Seidennähte vereinigt und ein Jodoform-Compressivverband ange¬ 
legt. Leider hielt dieser Lappen auch nicht, denn nach 12 Tagen 
kam abermals fäculent riechende Flüssigkeit aus der Wunde. Die 
Ränder des Lappens werden wiederholt angefrischt, um die Adhärenz 
an die Fistelöffhung zu bewerkstelligen — leider vergebens —, man 
mußte wieder zum Paquelin greifen. Nach 25 Tagen wird der 
Fistelrand angefrischt und mit Catgut eine Schnürnaht angelegt. 
Trotz aller dieser Vorgänge entleert sich noch immer Koth, jedoch 
zeitweise in viel geringerem Maße. Pat. verließ nach 7monatlichem 
Aufenthalt auf Wunsch das Spital. 

Nach 6 Monaten kam Patientin abermals in’s Krankenhaus. 
Da sie zu Hause kein Bruchband trug, kam es nach heftigen 
Hustenanfällen zum Prolaps der Mucosa, der immer größer 
wurde und die Pat. zwang, das Spital aufzusuchen. In der 
rechten Inguinalgegend fand man eine faustgroße, rothe, sammt- 
artige Geschwulst, die sich als die Mucosa erwies. Auf der Höhe 
fand man zwei Einziehungen, zwei Oeffnungen. Durch die innere, 
engere kam man in’s Ileum, durch die äußere, weitere in’s Colon 
ascendens, zwischen beiden eingeführten Fingern spürte man eine 
Scheidewand, den Sporn. Die Ileococealklappe war evertirt. Nach¬ 
dem die Reposition nicht gelang und ein Druckverband fruchtlos 
war, wurde das Plaften-Enterotom angelegt, und zwar so, daß die 
eine Branche in’s Colon ascendens, die andere durch die Valvula 
Bauhini in’s Ileum eingeführt wurde, worauf die Platten 
einander auf 1*5 Cm. genähert wurden. Das Enterotom blieb fünf 
Tage liegen, während welcher Zeit ReizerBcheinungen, wie Er¬ 
brechen und Coliksch merzen auftraten, die nach einer Morphium- 
injection am zweiten Tage wichen. Am 6. Tage Entfernung des 
Enterotoms. Die untersuchenden Finger begegnen sich durch eine 
ziemlich enge Lücke. Da die Communication eine schlechte war 
und den Durchtritt fester Kothmassen nicht gestattete, wurde nach 
3 Wochen das Enterotom wieder oberhalb der gebildeten Lücke 
angesetzt. Nach kurz dauernden peritonealen Reizungen wurde das 
Instrument nach 6 Tagen entfernt. Somit waren im Sporne zwei 
Oeffnungen, dazwischen eine Brücke. 

Durch diese, für den Finger leicht passirbaren Oeffnungen 
gingen die Fäcalien, selbst die festgeformton, anstandslos durch, 
denn die Kothentleerung erfolgte nur per rectum. Der Prolaps 
wurde immer kleiner und kleiner. Nach einigen Wochen sickerte 
abermals dünnflüssiger Koth aus der Fistelöffnung, und der unter- 
die beiden Lücken bedeutend verengt. Es 
kam in Folge Narbenschrumpfung zu dieser 
unliebsamen Erscheinung. 

Nach 8 Tagen wird behufs Durch tren- 
nung des ganzeu Spornes die DüPUYTREN’sche 
Darmscheere applicirt. Es trat eine colos- 
sale Schwellung der Schleimhaut ein, so daß 
die Branchen gewissermaßen vergraben waren. 
Nachdem die Schraube täglich um eine halbe 
Umdrehung fester gezogen wurde, fiel die 
Scheere nach sechs Tagen ab. Es erfolgte 
die Defäcation regelmäßig per anum, nur 
bei dünnflüssigen Stühlen kommt Koth auch 
durch den widernatürlichen After. 

Noch wurde die Hoffnung, die Fistel 
zum Verschluß zu bringen, nicht aufgegeben. 
In der Chloroformnarcose wird ein gestielter 
Lappen aus der Bauchdecke von innen oben 
genommen und über die Fistelöffnung ge¬ 
dreht. Nach Anfrischung der Umgebung 
der Lappen mit Seidennähten fixirt und ein Druckverband angelegt. 
Nach 8 Tagen wurde der Verband gelüftet und man fand den 


Lappen vollkommen an' seine Unterlage geheilt. 3 Wochen nach; 
dieser Operation war der Verband etwas durchgeschlagen und man; 
sah am untersten Rande des transplantirten Lappens, eine steck- 
, nadelkopfgroße Oeffuüng, aus welcher abermals fäculent riechende ■ 
Flüssigkeit sickerte. Der Lappen hielt fest, doch die Darmfistel-; 
Öffnung wurde gewissermaßen nach unten innen verlegt (s. Fig. 3) 
und zu einer Haarfistel umgestaltet. 

Da die Umgebung der Fistel narbig, callös verdickt ist, ist 
jedwede Anfrischung und Transplantation oder Naht illusorisch ge¬ 
worden, weshalb sich auch die Therapie lediglich auf Lapisirung 
und Paquelin beschränkt, bei gleichzeitigem Tragen qines Bracheriums. 
Patientin wird nach 19monatlichem Spitalsaufenthalt mit" einer Haar¬ 
fistel entlassen. 

In unserem Falle handelt es sich also um einen Lateral¬ 
bruch des Coecums, was aus dem Befunde ersichtlich ist. 
Wahrscheinlich dürfte das Coecum in dem Bruchsack der vor 
12 Jahren operirten Cruralhernie eingeklemmt worden, der 
Gangrän anheiingefallen sein und zur Bildung eines Kothabscesses 
Veranlassung gegeben haben. Der spulrunde Strang, Septum, war 
der Processus vermiformis, der sich offenbar nach oben um¬ 
geschlagen und Verwachsungen eingegangen hat. > • 

Was die Symptome eines incarcerirten Darmwandbruches 
des Dickdarms anlangt, dürften dieselben weniger stürmisch 
sein, als die des Dünndarms. So findet man zwar Erbrechen 
in Folge der Peritonealreizung, doch selten nimmt dies einen 
fäculenten Charakter an; die Defäcation kann erfolgen und 
auch Winde abgehen, was man bei den Dünndarmwandbrüchen 
in der Regel vermißt. Obwohl hier wie dort nur eine Wand¬ 
partie eingeklemmt ist, so geht doch die Beobachtung im 
■ Allgemeinen dahin, daß bei Dünndarmwandbrüchen die Er¬ 
scheinungen des Ileus gewissermaßen mit einem Ruck ein- 
treten, was bei Dickdarmwandbrüchen nicht zu constatiren 
ist. Die anatomischen Verhältnisse und das Caliber des Dick¬ 
darms begünstigen nicht die vollständige Impermeabilität. • 

Die fixere Lage, daher keine Gefahr der Knickung, das 
große Caliber des Rohres, namentlich beim Coecum, sind Fac- 
toren, die gewichtig in die Waagschale fallen. 

Referate und literarische Anzeigen. 

- , 

F. Gueterbock: Ueber Stricturbehandlung durch die 
Verweilbougie. 

1 Die in „D. Zeitschr. f. Chir. w beschriebene Methode besteht 
in Einführung eiuer die Strictur nicht vollkommen ausfüllenden,. 

, feinen französischen Bougie ä demeure in die Harnröhre,- welche, 
dem zwischen Strictur und Sonde durch. Capillarwirkung nach außen 
sickernden Harn Raum gebend, 3 Tage lang liegen bleibt, worauf 
die Strictur fast ausnahmslos mittelst eines, der gewöhnlichen Weite 
• der Urethra entsprechenden Instrumentes passirt werden kann. Vor 
Einführung der wohl desinficirten Bougie muß die Harnröhre von 
Eiter, Schleim etc. befreit werden. Die physiologische Wirkung, 
dieses durchaus reizlosen Verfahrens besteht in Auflockerung und 
! Erweichung des Stricturgewebes. Dasselbe ist angezeigt: 

1. bei großer Reizbarkeit und 'Empfindlichkeit, 
gegenüber dem jedesmaligen Einführen eines Instrumentes, falls diese. 
nicht durch Narcotica aufgehoben werden kann oder mit Neigung 

; zu Blutungen verbunden ist; 

2. bei Katheterverletzungen im vorderen Th eil. 
der Harnröhre, speciell bei beginnenden falschen Wegen; 

3. bei schwierigem Entriren der Strictur in Folge 
excentrischer Lage oder klappenförmiger Beschaffenheit der Mündung: 

4. bei Nothwendigkeit, der Harnröhre in beschleunigtem 
Maße ein normales Caliber zu verschaffen, ohne zu den expe- 
ditiven Verfahren des Schnittes und der Devulsion greifen zu müssen. 

Contraindicirt ist die Dauersonden-Bebandlung bei Stricturen, 
deren Erweiterung stärkere Gewaltanwendung erheischt, ferner bei • 
Verengerungen mit mächtigem callösem Gewebe, endlich bei jauchiger 
Beschaffenheit des Harns, dessen Contact mit. der Urethralschleim- 
haut vermieden werden soll. B. 


suchende Finger fand 



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‘253 


V. HarleY: Zur Behandlung von Leberabscessen. 

In : diesem, im „Annual meeting of the British Medical 
Association“ zu Leeds gehaltenen Vortrage stellte H. folgende 
Sätze auf: 

1. Die Leberabscesse in den Tropenländem unterscheiden sich 
von denen der gemäßigten Zone in nichts Wesentlichem, sondern 
nur durch ihr häufiges Vorkommen! 

2. Das männliche Geschlecht neigt mehr als das weibliche zu 
Leber Vereiterungen. 

3. Leberabscesse kommen in jedem Lebensalter vor; allein 
am häufigsten treten sie zwischen dem 20. und 50. Lebensjahre auf. 

4. Lebervereiterung tritt, am häufigsten bei mit Struma be¬ 
hafteten Individuen auf.. ' ... 

- Die ungünstigsten Fälle sind solche, bei denen sich außer 
konstitutionellem -Struma- auch noch eine syphilitische Infection 
yorfindet. 

5. Struma und Alkohol (selbst wenn Alkoholgenuß nicht die 
Grenze der Mäßigkeit überschreitet) disponiren am meisten zu Leber¬ 
abscessen. 

6. Nach Sir William Moore wird der erste Grad zu Leber- 
absceß stets durch Erkältung gelegt (s. „Lancet“, 1885, pag. 738.) 

7. Alle Leberabscesse , suchen sich nach der Oberfläche des 
Orgaps eine freie Bahn zu brechen und sich durch die Bauchwan¬ 
dungen oder durch die Verdanungs- oder Athmungsorgane zu 
entleeren. 

8. Es ist nutzlos, einen Leberabsceß vermittelst eines Troicars 
zu entleeren, wenn man nicht eine Oeffnung läßt, durch welche der 
sich nachbildende Eiter abfließen kann. 

9. Durch Eiteransammlung in der Leber droht ebensowohl Zerfall 
des Lebergewebes, als Blutvergiftung; letztere findet zuweilen 
statt,' wenn Leberhydatiden, namentlich wenn solche Tochtercysten 
enthalten, vereitern. 

10. Carcinomatöse und tuberculöse Ablagerungen in der Leber 
erzeugen zuweilen Eiter. 

11. Als natürliche Schlußfolgerung dieser Sätze ergibt sich 
wohl von selbst’ daß, ist einmal Eiter in der Leber festgestellt, 
zur Entleerung geschritten werden muß, und je rascher solches 
geschieht, ' desto größer ist für den Patienten die Aussicht auf 
Genesung. 

Die von Dr. V. Harley geübte Therapie der Leberabscesse 
ist folgende: ’ - 

, . Wird, Eiter „In der Leber vermuthet, so explorirt man dier 
selbe . nach folgender Weise: Man führt einen 6 .englische Zolj 
(circa 15 Cm.) langen Troicar je nach der Lage, wo man den 
Absceß vermuthet, von rechts nach links oder umgekehrt, bis zum 
Griff ein und zieht - denselben allmälig wieder heraus, dabei dem 
etwa vorhandenen Eiter Zeit gewährend, sich an der Mündung des 
Instrumentes zu zeigen. Zeigt sich solcher, so merke man sich 
sorgfältig die Läge und Tiefe, wo man ihn gefunden, um sich den 
Ausfluß zu erleichtern. Erfolgt statt dessen Blutung, so fördere 
man dieselbe, da eine solche, in Folge der vom Leberabsceß be¬ 
dingten Congestion des Lebergewebes, stets vorteilhaft wirkt. Da 
Eiter,namentlich der dicke Lebereiter, nur schwer durch eine 
dünne Canüle abfließt, so muß, sobald der Abfluß stockt, der Troicar 
entfernt und durch einen Katheter Nr. 8 —10, englisches Caliber, 
ersetzt, und zwar in genau gleicher Richtung und Tiefe eingeführt 
und hierauf mit Beihilfe eines Aspirators der Absceß vollständig ent¬ 
leert werden. 

1 * Ist die Höhle geleert, so spüle man dieselbe mit einer lau¬ 
warmen Borlösung, 10 Grm. Borsäure auf eine Unze Wasser (engl. 
Gewicht), so lange aus, bis dieselbe klar und geruchlos durch den 
Katheter abläuft. ' ' 

Hierauf führe man einen seidenen elastischen Katheter, so 
groß, als er durch die eingelegte Canüle durchgedrängt werden kann, 
in die Wundhöhle ein, lasse denselben l 1 ,^ Zoll englisch (circa 
3 1 /.! Cm.) aus der Wunde hervorragen, entferne die erste Canüle, 
Schneide vom Katheter den Rest ab und befestige ihn sorgfältig an 
den Bauchwänden. Man, lege nun reine Leinsamenumschläge auf 
und -fahre damit fort, so lange der Eiterabfluß aus dem Absceß 
währt. Ferner muß die Absceßhöhle Abends und Morgens mit oben¬ 


254 


genannter Borlösung ausgespült werden. Füllt sich, was häufig 
geschieht, die Absceßhöhle wieder mit Eiter, so muß in kurzer 
Entfernung von der ersten Oeffnung eine Gegenöffnung ge¬ 
macht und eine zweite Drainage eingefflhrt werden. Durch letztere 
werden die Ausspülungen erleichtert und dadurch die Heilung 
befördert. 

Zum Schlüsse seines Vortrages hebt Redner die Vorzüge 
dieser Methode hervor, durch deren Anwendung bei zwei aus¬ 
sichtslosen Fällen günstige Erfolge erzielt wurden. Diese be¬ 
stehen’: 1. In Verwendung der Borsäure als Antisepticum, indem 
durch dieselbe weder die Coagulation der Albuminoiden im Eiter 
gefördert, noch die Instrumente geschwärzt würden. 2. Den täg¬ 
lichen Ausspülungen der Wundhöble, durch welche nicht nur die 
Heilung befördert, sondern auch besondere Vorsichtsmaßregeln gegen 
etwaigen Luftzutritt unnöthig werden. 3. In dem Umstande, daß 
durch die Ausspülungen aller Eiter, dick oder dünn, mit fortge¬ 
schwemmt und dadurch vermieden würde, daß zum Zwecke des Eiter¬ 
abflusses ein größerer Einschnitt in die Bauchdecken oder das Leber¬ 
gewebe gemacht werden muß. • 

Dr. Josef Schneer (Neapel). 


Ueber den Krebs der Gebärmutter. Von John Williams, 

Professor der Gynäkologie und Geburtshilfe etc. in London. 

Deutsche autorisirte Uebersetzung von Dr. Carl Abel und 

Dr. Theodor Landau. Mit 18 Tafeln und 1 Holzschnitt. 

Berlin 1890. August Hirschwald. 8°. VIII und 79 Seiten. 

An der Hand von einigen 30 Fällen von Carcinom der Vaginal¬ 
portion, der Cervix, sowie des Corpus, die er sowohl klinisch beob¬ 
achtete, als eingehend mikroskopisch untersuchte, unternimmt es 
Verf., die Lehre vom Carcinom des Uterus selbstständig aufzubauen, 
ohne sich hiebei von den Ergebnissen gleichartiger Forschungen 
Anderer irgendwie beeinflussen zu lassen. In Folge dessen erhält 
die Arbeit ein originelles Gepräge und wird für den Fachmann beson¬ 
ders lesenswerth. Die Schlußfolgerungen, die Verf. aus den Er 
gebnissen seiner Forschungen zieht, decken sich durchaus nicht 
dwt den allgemein verbreiteten Ansichten. Kurz nur wollen wir es 
skizziren, worin die Originalität der Anschauungen des Verf. liegt! 

Carcinom ist nur jene Neubildung, die ihren Ursprung aus 
den Epithelialzellen nimmt. Das Carcinom der Vaginalportion ist 
sehr selten. In Knotenform kommt es nicht vor, es verbreitet sich 
blos oberflächlich und greift nur spät in die Tiefe. Das Leiden 
findet sich seltener in der Menopause, häufiger früher. Die Prä¬ 
disposition einer bestimmten Muttermundslippe zur Erkrankung 
existirt nicht. Die Erosion unterscheidet sich vom Carcinome da¬ 
durch, daß bei ihr das Epithel an der Oberfläche, wie in den Drüsen 
nur aus einem Lager besteht, und daß es keine verirrten Keime in 
die Tiefe sendet, und vom Adenome namentlich dadurch, daß die 
Drüsen hier oberflächlich liegen. Das Cervixcarcinom kann an einer 
Stelle, ebenso gut aber auch gleichzeitig an mehreren zum Ausbruche 
gelangen. Zuweilen geht es von einem Schleimpolypen aus. Man 
trifft es häufiger in den climacterischeu Jahren, als früher. Das, 
was man als Metastasen bezeichnet, sind keine solchen, sondern 
selbstständige Neubildungen.- Das Lacerationsectropium gibt keine 
Prädilections8telle ab, ebensowenig der prolabirte Uterus. Das sehr 
Seltene CorpuBcarcinom erscheint diffus öder in Knotenform. Die 
Neubildung kann von einem Polypen ausgehen, ein vorhandenes 
Fibrom ergreifen, aber nie in letzterem entstehen, höchstens in der 
Mucosa des Fibromes. Bei Carcinom der Vaginalportion tritt die 
Recidive am Rande der Narbe und nicht in den tieferen Schichten 
ein, bei Cervixcarcinom im Parametrium und nicht im Stumpfe. 
Der Termin der Recidive währt nur 2 Jahre, später auftretende 
neuerliche Erkrankung ist keine Recidive, sondern eine unabhängige 
neue Affection. In Folge dieser Anschauungen plaidirt Verf. für 
die Amputation bei ergriffener Vaginalportion und für die hohe, 
Supravaginale Amputation, im Gegensätze zu Uterusexstirpation, bei 
Carcinom der Cervix. Die Uterusexstirpation ist nur bei Corpus- 
erkrankung angezeigt. Da bei Cervixerkrankung die Recidive in 
dem dem Uterus anliegenden Bindegewebe beginnt und die ersten 


1890! —Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7/ 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Stadien desselben nicht zu erkennen sind, so ist der Zeitpunkt der 
Operationsvornahme schwer zu bestimmen. Verf. schließt seine 
Arbeit mit dem Ausspruche ab, daß Untersuchungen im Labora¬ 
torium mehr Licht über das Wesen der Uteruscareinome verbreiten 
dürften, als klinische Forschungen. 

Sehr bestechend wirkt auf den Leser die Nüchternheit des 
Verf., welcher sich nie verleiten läßt, weiter zu gehen, als es 
die Schlußfolgerungen aus seinen Beobachtungen gestatten. 

Beigegeben sind dem Werke 18 Tafeln, die sich auf mikro- 
und makroskopische Präparate beziehen. Störend wirkt es, daß 
auf pag. 12 und 14 der Hinweis mit der Nummer der Tafel nicht 
überein stimmt. 

Die Ausstattung des Buches, sowie der Tafeln entspricht allen 
gestellten Anforderungen. Kleinwächter. 

Die Krankheiten der Mundhöhle, des Kaohens and 
der Nase. Mit Einschluß der Rhinoskopieund 
der local-therapeutischen Technik. Von Or. Philipp 
Schoch. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Wien 1890. 
Franz Den ticke. 

Wir batten bereits zweimal Veranlassung, genanntes Werk in 
diesem Blatte zu besprechen. Der Umstand, daß dasselbe seit vier 
Jahren bereits in dritter Auflage erscheint, spricht so deutlich für 
dessen Vorzüge, daß man von einer Wiederholung derselben ab- 
sehen kann. 

Das Buch ist hauptsächlich für den Anfänger geschrieben und 
kann dieser alles Wissenswerthe auf dem Gebiete der Mund-, 
Rachen- und Nasenkrankheiten, entsprechend der stets fortschreitenden 
Vervollkommnung dieser Disciplinen, in gedrängter Kürze und über¬ 
sichtlicher Darstellung in demselben vorfinden. Und damit dem 
Anfänger „durch einige allgemeine Fingerzeige die Erkenntniß der 
speciellen Affectionen noch mehr erleichtert werde“, hat der Autor 
ein Capitel über „Allgemeine Symptomatologie“ hinzugegeben. Aber 
auch der vorgeschrittene Specialist findet darin in compendiöser 
Form alles Neue, besonders in Bezug auf die in der jüngsten Zeit 
sich stets erweiternde Kenntniß der Erkrankungen der Nebenhöhlen 
der Nase. 

Zu den trefflichen Abbildungen der früheren Auflagen kommen, 
jetzt noch gute Nasenspiegelbilder hinzu; wir können daher dieses 
Buch noch einmal bestens empfehlen und wünschen demselben eine 
recht baldige vierte Auflage. Dr. Wilh. Roth. 


Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

Ref.: Dr. H. IaOhnstein, Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Züelzer zu Berlin. 

(Fortsetzung.*) 

II. Blase. 

L iteratur: 82. Annales of sargery. Hannany, 1888. — 83. 3. Congrfes 
de la soc. fnnnjaise de Chirurg., 1888. — 84. 17. Deutsch. Chirurgen-Congreß, 

1888. — 85. Arch. f. klin. Chirurgie, XXXVI., 1. — 85 a. Int. Centralbl. etc., 
Nr. 1, 1889. — 86. Congreß russischer Aerzte, 19. — 22., 1888. — 87. Int. Cen¬ 
tralbl., Nr. 1 u. 2, 1889, — 88. ibid. — 89. Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie, 
Bd. 38. — 90. SoctetA de Chirurgie zu Paris, 14., XI., 1888. — 91. Central¬ 
blatt f. Chirurgie, 1888. — 92. Wiener med. Wochenschrift, 1888. — 93. 
The Journal of the American Med. Association, 13., X., 1888. — 94. cf. Int. Cen¬ 
tralbl. etc., Nr. 1, 1889. — 95. ibid. — 96. ibid. — 97. Pacific. Medical and Surgical 
Journal, Juni 1888. — 98. Lancet, März 1889. — 99. cf. Int. Centralbl., 
Nr. 2, 1889. — luO. ibid., Nr. I., 1889. — 101. cf. Int. Centralbl. Nr. 1, 

1889. — 102. Int. Centralbl., Nr. 2, 1889. — 103. Archiv f. klin. Chirurgie, 
Bd. XXXVIII, pg. 628. — 104. Lehrb. d. Cystoskopie, Bergmann, 1889. — 
105. cf. Int. Centralbl. etc., Nr. 2, 1889. — 106. cf. Int Centralbl., Nr. 2, 
1889. — 107. Lancet, 26., I., i 889. — 108. Int. Centralbl. etc., Nr. 1, 
1889. — 109. British med. Journ., 30., VI., 1888. — 110. Meeting of the 

*) Siehe Nr. 5. 


Obstetrical Society of Boston, 14., VT., 1888. — 111. Journal de m6d*ci»e Ae 
Paris, II., 17., 1888. — 112. Philadelphia med. Times, 1. Febr., 1889. — 
112a. cf. Int. Centralbl., Nr. 1, 1889. — 1131 Journal de thörapeutique, 
Jahrg. 1888. — 114. Therap. Monatshefte, 1888. — 115. Gazette de Höpitanx, 
Jahrg. 1888. - 116. Journal de m6decine de Paris. 10. Febr. 1889. — 117. 
Union medical, 3. Nov. 1888. — 118. Int. Centralbl., Nr. 2, 1889, — 119, 
Americ. Journ. of Obstetrics, April 1888. — 120. cf. Int. Centralbl., Nr. 2, 
1889. — 121. AcadSmie des Sciences, 14.. III., 1889. — 122. cf. Int. Central¬ 
blatt, Nr. 2, 1889. — 123. The Journal of the Americ. med. Association, 1889. 
—124- Berl. klin. Wochenschr., 31/32., 1888. — 125. Allg. med. Central¬ 
zeitung, 1889. — 126. Archives g6n6rales de mödecine, Juli 1888. — 127. 
Sitzungsbericht der Clinical Society zu London, 11. Mai 1888. — 128. Int. 
Centralbl., Nr. 2, 1889. — 129. Bulletin de la Societö anatomique zu Paris, 
18F8. - 130. Int. Centralbl., Nr. 1, 1889. — 131. Int. Centralbl., Nr. 2, 1889. — 
132. Zeitschr. f. Heilk., Bd., VIII, Nr. 1. — 133. Arch. f. klin. Chirurgie, 
Bd. 36, 3., 1888. — 134. Centralbl. f. Chira-gie, Nr. 50, 1888. — 135. o£ 
Int. Centralbl., Nr. 2, 1889. — 136. Int. CentralbL, Nr. 2, 1889. — 137. ibid. 

Ein großer Theil der neueren Arbeiten behandelt die Frage 
der zweckmäßigsten Entfernung von Fremdkörpern aus der Blase. 

Insbesondere über die Ausführung der Operation (ob ober¬ 
halb oder unterhalb der 8ymphyse) herrscht noch die größte 
Meinungsverschiedenheit. Strong (82) ist durch seine anatomischen 
Untersuchungen im Wesentlichen zu einem mit den von Petersen 
etc. vertretenen Ansichten über die Verhältnisse des Peritoneums bei 
gefüllter und leerer Blase übereinstimmenden Resultate gelangt. Er 
empfiehlt vom Rectum aus mit Luft anzufüllende Colpeurynter ein- 
zuführen. Hiedurch erfolgt Höhersteigen der gesarnmten Blase. Wird 
diese nun mit etwa 300 Ccm. Flüssigkeit angefüllt, so entsteht ober¬ 
halb der Symphyse ein etwa 2 Cm. langer, vom Peritoneum freier 
Raum. Zu demselben Ergebniß gelangt Güyon (83). Er warnt 
dringend davor, das Peritoneum zu verletzen, da dann sehr leicht 
eine auf das Peritoneum üborgreifende Entzündung entstehen kann. 
Bis man die Blase erreicht hat, operire man möglichst stumpf. Die 
Blasenwunde schließe man durch Naht (nach Lembert); dieselbe 
hellt gewöhnlich per primam innerhalb 14 Tagen. 

Ein weniger großes Vertrauen auf die Sicherheit der Blasen¬ 
naht setzt Neober (84). Aus Furcht vor Urininfiltration rätb er 
zunächst, bis zur Bloßlegung der Blase zu operiren, nach 6 Tagen 
diese zu öffnen und nach Entfernung des Steines zunächst die 
Blasenwunde und erst einige (6) Tage darauf, die Bauchwunde zu 
nähen. Die Drainage der Blasenwunde wird von Assendelt (85) 
empfohlen. In 74 Fällen hat er niemals genäht, stets mit Jodoform¬ 
gaze drainirt. Von seinen Patienten waren 58 Kinder. Der Prter- 
SEN’sche Ballon kam selten zur Verwendung. Trotzdem niemals Ver¬ 
letzung des Bauchfells. Gewöhnlich ließ man die Drains 9—10 Tage 
liegen. Heilung gewöhnlich nach 4 Wochen. Zwei Todesfälle (an 
Bronchitis und Peritonitis). 

Gardner (85 a) hat in 10 Fällen die Sectio alta ausgeführt 
(6mal wegen Stein, lmal wegen Tumor, lmal wegen Fistelbildung, 
2mal zur Ausführung einer genügenden Drainage der Blase). 

Ueber Sectio alta bei Kindern berichtet Alkxandrow (86) 
einige interessante Einzelheiten. Die Entzündung des Bauchfells ist 
hier weit weniger wie bei Erwachsenen zu befürchten. Daher läßt 
sich in diesen Fällen die Wundnaht mit gutem Heilerfolge anwenden. 
Gewöhnlich schon nach 8—12 Tagen Heilung. Auch Pollard (87) 
hat bei Kindern von 7, 10 und 11 Jahren wegen Goncrementen 
(im Gewichte von 13, 18 und 12 Grm.) die Sectio alta mit gutem 
Erfolge ausgeführt, ebenso Collins (88) in 3 Fällen. 

Abweichend von den obengenannten Autoren führt" Eisenbrodt 
(89), den Anschauungen Trendelenbürg’s folgend, die Sectio alta 
ohne PETERSEN’schen Ballon mittelst einfachen j^-förmigen 
Schnittes aus. 

Später müssen die Patienten die Seitenlage innehalten. Ä Unter 
38 Operationen (15 wegen Blasenläsionen, 19 wegen Concrement- 
bildung, 4 behufs Ausführung des retrograden Katheterismus) wurden 
7 Todesfälle beobachtet. Gleichfalls behufs Ausführung des retro¬ 
graden Katbeteri8mu8 wegen impermeabler traumatischer Strictur 
schritt Defontaine (90) in einem glücklich verlaufenen Falle zur 
Sectio alta. Schließlich sind noch 2 Fälle von B. Schmidt (91) 
zu erwähnen, in denen bei zwei 67-, resp. 62jährigen Patienten 
der hohe Steinschnitt wegen Concrementbildung und Prostatahyper¬ 
trophie ausgeführt wurde. 


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257 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Nach Rydygier (92) bietet die Verletzung des Peritoneum 
keineswegs Gefahren, wenn man nur bei der Sectio alta selbst 
aseptisch oporirt. Außerdem schützen die meist bei Blasenaffectionen 
vorhandenen Adhäsionen das umgebende Peritoneum vor einer 
weiteren Ausbreitung etwaiger beginnender Entzündungserscheinungen. 

Beobachtungen, in welchen die Sectio alta wegen Extraction 
abgebrochener Katbetersttlcke ausgeführt wurde , theilte Jobn 
Packard (93) mit. In einem Falle handelte es sich um Incru- 
stirung des Katheterendes mit einem Steine von 34 Grm. Gewicht. 
In der sich an die Mittheilung schließenden Discussion sprach sich 
Bkiggs für die perineale Beseitigung derartiger Fremdkörper aus. 
Nur bei schweren Fällen ist die Sectio alta indicirt. Ihm stimmten 
die meisten Anderen bei. 

Von englischen Autoren befürwortet vornehmlich Harrison 
(94) die Sectio perinealis zur Entfernung von Concrementen der 
Blase. Gleichzeitig kann man dann eine wirksame Drainage der 
Blase ausführen. Unter 15 so behandelten Fällen erfolgte 12mal 
Heiluog. 

Von anderen Operationen wegen Concrementen in der Blase 
ist die von den amerikanischen Stabsärzten Keegen (95) und Gold- 
SCHNIDT (95) ausgeführte Litholapaxie bei Kindern erwähnenswerth. 
Sie läßt sich nach vorausgegangener Lithotripsie (mittelst schmaler 
Lithotriptoren Nr. 5—7 der englischen Scala) ausführen. Beobachtet 
wurde nur 0’9% Mortalität; Nachwirkungen, wie Incontinenz oder 
Impotenz, gelangten nicht zur Cognition. 

Allen (96) theilt gleichfalls 3 mittelst dieser Methode be¬ 
handelte Fälle mit. 

Bei Frauen lassen sich größere Steine durch vaginale Litho- 
tomie ohne Gefahr für die Patientin entfernen. Einen hieher ge¬ 
hörigen Fall berichtet Winterderg (97). Derselbe betrifft eine 
46jährige Frau, bei welcher sich die von der linken Niere aus¬ 
gehenden Beschwerden unmittelbar nach der Menopause einstellten; 
die Blase wurde nach der Operation mit 5 Liter einer 
1 : 8000 Sublimatlösung, ausgespült. Blasenscheidennaht. Heilung 
nach 18 Tagen. 

Einen ähnlichen Fall berichtet Jacobsohn (98). Hier bandelte 
es sich um eine Gravida im 4. Monat. Die Operation verlief günstig, 
auch die Schwangerschaft erlitt keine Unterbrechung. 

Ueber das Vorkommen von Concrementen im Allgemeinen hat 
Owen (99) für England und Schottland gefunden, daß hier vorzugs¬ 
weise an der Ostküste, vor Allem in Norfolk und Aberdeen, beson¬ 
ders häufig Steinaffectionen gefunden werden. Auf die enorm er¬ 
höhte Harnsäureausscheidung bei Milzaffectionen führt Williams 

(100) das Vorkommen von Uratooncrementen in der Blase derartiger 
Patienten zurück ein Fall wird beschrieben. 

Ueber die Tumoren der Harnblase hat E. Hubry Fenwick 

(101) eine Reihe von Arbeiten im Laufe des letzteu Jahres publi- 
cirt. Besonders bemerkenswerth sind hier die Ergebnisse einer mit 
dem JAKSON-Preis gekrönten Arbeit, in der ein enormes Material 
aus englischen, deutschen, amerikanischen, ungarischen, französischen 
und anderen Hospitälern verarbeitet ist. Vom anatomischen Stand¬ 
punkte unterscheidet Verf.: 

a) Zottenpapillome (Cropped villoid growths): Kurze, 
dicke Papillarfortsätze ragen aus der Mucosa hervor und verleihen 
derselben einen sammtartigen Charakter. 18*3°/ 0 der beobachteten 
Fälle zeigten diese Structur, die vielleicht schon durch bloße ent¬ 
zündliche Reizung hervorgerufen wird. 

b) Multiple Papillome: In 40% der gesammten beob¬ 
achteten Fälle gefunden. Hievon in 86° 0 positive einfache Papillome 
am Blasengrund, und zwar am Rande des Trigonum. Gewöhnlich 
bestand Stielbildung (in 63%), in 36% wurden letztere vermißt. 
Von den gestielten Tumoren saßen 43% am rechten, 26% am 
linken Ureter, 10% im Intraurethralraum. 

Von 50 Sarcomen wurden weitaus die meisten zwischen 
dem 5. und 50. Lebensjahre angetroffen, und zwar häufiger bei 
Männern. Bei Kindern tritt die Affection am Blasenhals auf, bei 
Erwachsenen dagegen häufiger im Intraurethralraum oder nur an der 
hinteren Blasenwand. Bei den letzteren findet man gewöhnlich 
einfache, bei ersteren multiple Tumoren. Von den malignen Tumoren 


werden die disseminirten (Contact ) Carcinome einer genauen Be¬ 
sprechung unterzogen. 

Für die Behandlung derartiger Tumoren wird von den meisten 
Autoren, unter Anderen auch von Sir H. Thompson (102), die Sectio 
alta, empfohlen.. 

Die Sectio perinealis ist nur dann indicirt, wenn die Natur 
des Tumors nicht mit Sicherheit vorher festgestellt werden kann. 
Mehr Chancen für die radicale Entfernung des Tumors bietet in jedem 
Falle die Sectio alta. Noch weiter geht Helferich (103), der für 
derartige Fälle die Resection der Symphyse e npfieblt, um einen 
größeren Theil des Blasenkörpers übersehen zu können. Die 
Miction wird hiedurch nicht beeinträchtigt. Die Operation ist indicirt 
bei malignen Tumoren, Prostatahypertrophie, sowie bei Anwesenheit 
großer BlaBensteine. Ausgeführt ist sie (mit gutem Erfolge) vom 
Verf. bisher in 3 Fällen, darunter 2 Carcinomen der Blase. 

Für die Diagnose der Blaseutumoren wie überhaupt der Fremd¬ 
körper im Blaseninnern gewinnt die Cysto sk opie um so mehr Be¬ 
deutung, je größer die Vervollkommnung des elektrischen Cystoskopes 
und je größer die Uebung wird, welche die einzelnen Beobachter 
in der Handhabung des Instrumentes gewinnen. Eine umfassende 
Darstellung der Entstehung und Entwicklung, sowie der Technik 
der elektrischen Cystoskopie gibt Nitzb (104) in seinem jüngst er¬ 
schienenen Lehrbuche, auf welches wir noch in einer besonderen 
Besprechung zurückzukommen haben werden. Von englischen Au¬ 
toren arbeitet E. Hurry Fenwick (105) unablässig an der Ver¬ 
vollkommnung der Technik der elektrischen Cystoskopie, deren Be¬ 
deutung für Diagnose und Prognose der Blasenaffectionen er in 
einer Reihe von Aufsätzen bespricht. Wenn das Instrument auch 
nicht die Bedeutung des Laryngoskops, Ophthalmoskops etc. habe, 
so werde es dennoch in vielen zweifelhaften Fällen die Diagnose 
sichern; Beispielsweise werde es die Entscheidung erleichtern, ob die 
Sectio alta oder perinealis bei Prostatatumoren, die nach der Blase 
hin wuchern, indicirt ist, oder ob ein Blasentumor operabel ist, 
resp. auf welchem Wege er beseitigt werden kann. 

Auch für die Operation der am Urethralconus liegenden Ge¬ 
wächse ist die Erkenntniß, ob dieselben gestielt oder ungestielt sind, 
von entscheidender Bedeutung für die Wahl der Operation. Durch 
die cystoskopische Untersuchung der Blase läßt sich dies fast stets 
entscheiden, so daß die Cystoskopie also auch für die Prognose der 
Blasentumoren von Bedeutung ist. 

Zusammenfassend äußert sich Horry Fenwick über die elek¬ 
trische Cystoskopie in einer Uebersicht der Resultate seiner Unter¬ 
suchungen. Verf. bespricht die Irrthtimer, zu denen das cysto¬ 
skopische Bild Veranlassung gebeu kann, zumal wenn es sich um 
leichten Prolaps des Urethralconus handelt, sowie die Erscheinungen, 
zu denen Röthung und Schwellung im cystoskopisehen Bilde führen 
können. Von den Blasenaffectionen ist vielleicht am schwierigsten 
zu diagnosticiren die Blasentuberculose, welche ihrem cystoskopischen 
Bilde nach nicht selten mit Blasenkrebs verwechselt wird. Unter 
43 zweifelhaften Fällen entschied die Cystoskopie 41mal die Diagnose, 
nur 2mal blieb sie zweifelhaft. 

Thompson erreichte in einer gleich großen Anzahl von Fällen 
nur 29mal eine sichere Entscheidung mittelst seiner Digitalexploration. 
Gewöhnlich wurde die Cystoskopie gut vertragen. Unter den vom 
Verf. untersuchten Patienten litten 15 an Blasentumor. Carcino- 
matöse Tumoren überwogen hier bei weitem die gutartigen Ge¬ 
schwülste. Sitz der Geschwülste meist im Interurethralraum oder 
an der hinteren Blasen wand. Das erste Symptom, welches die Tu¬ 
moren machten, bestand gewöhnlich in Hämaturie. Recidive nach 
den qu. Operationen recht häufig. Ucbrigens hat Verf. die Cysto¬ 
skopie auch zur Entfernung kleiner, in der Nähe des Blasenhalsos 
liegender gestielter Polypen benutzt. Nach gehöriger Ausmittelung 
des Sitzes der Tumoren werden dieselben mit dem Katheter ge¬ 
fangen und durch die Gewalt des ausströmenden Harns vom Stiel 
abgerissen. Auch andere Autoren bringen Arbeiten, in denen das 
Cystoskop für Diagnose gute Dienste leistete. Walter Withe- 
head (106) führte im Anschluß an die Boutonniere-Operation ein 
Cystoskop von 40 Charriere in die Operationswunde uud unter¬ 
suchte so in einem außerordentlich helleren und größeren Beob¬ 
achtungsfelde. 


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1890 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


260 


Er empfiehlt die Methode: l.Wenn man mittelst Digitalexploration 
nicht in die Blase dringen kann, 2. bei Papillomen, die man nicht 
per explorationem entdecken kann. 3. Um die Radicalexstirpation 
eines Gewächses zu controliren. 

Bebkf.ly Hill (107) beschreibt die neuen, mit Katheter 
armirten Cystoskope, die den Vortheil gewähron, während der Cysto- 
skopie eine Blasen spül ung vorzunehmen. Unter den einzelnen Con- 
structionen gibt er der NiTZE’schen den Vorzug. 

Uebrigens hat sich das Cystoskop auch in anderen Fällen als 
bei Concrementen und Tumoren bewährt. So beschreibt Geza 
v. Antal (108) einen Fall, in welchem man die Lage einer in die 
Harnblase einer Frau hineingerutschten Haarnadel auf’s Genaueste 
feststellen und danach die Operation einrichten konnte. Außerdem 
liegen noch Mittheilungen von Browne (109) und von Green (110) 
vor, die incrustirte Katheterstücke in der Harnblase fanden. 

(Fortsetzung folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Aristol , ein Jodsubstitutionsproduct des Thymols 
(Ditbymoldijodid), mit einem Jodgehalte von 45*8% und dessen Ver¬ 
wendung in der dermatologischen und syphilidologischen Praxis be¬ 
richtet Eichhoff in „Monatah. f. pr. Derra. u Das Präparat stellt 
ein röthlichbaunes, geruchloses, iu Wasser und Glycerin unlösliches, 
in Alkohol schwer, in Aethcr und fetten Oelen (iu der Kälte) leicht 
lösliches, durchWärme und Licht leicht zersetzliches Pulver dar. E. hat 
dasselbe in 10 Fällen, und zwar bei Ulcus varicosum mit Eczema 
parasitorium crurum, Lupus exulcerans faciei, Ulcus molle, Psoriasis 
vulgaris, Mycosis trichophytina capillitii, tertiären syphilitischen 
Ulccrationen in Form einer 3—10°/ 0 Salbe mit Vaselin angewendet 
und gelangt zu folgenden Schlüssen: 1. Das Aristol ist ein un¬ 
schädliches Medicament; es besitzt keine toxischen Eigenschaften 
und verbindet mit seiner Unschädlichkeit nur angenehme Vor¬ 
züge, z. B. Geruchlosigkeit. 2. Nur beim Ulcus molle wird es 
in seiner Wirkung vom Jodoform übertroffen. 3. Bei dem Psoriasis¬ 
falle wirkte es zwar etwas langsamer, als die bekannten souveränen 
Mittel (Chrysarobin, Pyrogallussäure etc.), dafür aber bat es den 
Vorzug der Ungiftigkeit und des Mangels schädlicher Neben¬ 
wirkungen. 4. Bei den Dermatomycosen wirkt Aristol ebenso 
günstig, schneller und reizloser als andere bekannte Mittel. 5. Bei 
Ulcus cruris und tertiär syphilitischen Ulcerationen ist mit ihm ein 
schnellerer Erfolg zu erzielen, als mit irgend einem der bisher an¬ 
gewendeten Medicamente. 6. Bei Lupus tibertrifft es alle anderen 
Mittel, sowohl in Bezug auf die Unschädlichkeit, als auch die 
Energie der Wirkung. Hier scheint es nicht nur eine specifische 
Wirkung gegen den Tuberkelbacillus zu besitzen, sondern auch zu 
üppiger Granulationsbildung anzuregen. — E. empfiehlt Versuche 
mit Arislol bei chirurgischen Erkrankungen der Knochen und Ge¬ 
lenke, bei gynäkologischen Leiden und als subcutane Injection der 
öligen Lösung bei allgemeiner und localer Tuberculoso und con- 
stitutioneller Lues, zumal niemals Intoxicationserscheinungen auf¬ 
traten, noch Jod im Harn nachgewiesen werden konnte. 

— Die Anwendung des Pilocarpins gegen Schwerhörigkeit 
wird von Prof. A. Bbonner im „Lancet“ vom 28. November 1889 
auf Grund seiner Versuche am Bradforder Augen- und Ohrenhospital 
warm empfohlen. Das Pilocarpin ist nicht im Stande, alle Fälle zu 
heilen, besonders nicht, wenn starke Verdickung und Verkalkung 
des Trommelfells oder der Fenestra ovalis und rotunda vorhanden, 
oder jenes adhärent ist, oder gänzlich fehlt, überhaupt erhebliche 
Destructionen der Gehörorgantheile eingetreten sind. Nach B. kann 
Pilocarpin nur in bestimmten Classen von Fällen, die genau aus¬ 
einander gehalten werden müssen, indicirt sein. So kann man bei 
einigen acuten und subacuten Fällen mit Berechtigung nicht nur 
auf einen Stillstand des Krankheitsprocesses, sondern auch die Her¬ 
stellung der normalen Gebörfunction hoffen; aber bei chronischen 
muß man sich bei dieser Behandlungsweise mit der Verhütung des 
Fortschreitens der Schwerhörigkeit begnügen. In allen Beobach¬ 
tungen von Taubheit, die nicht gänzlich auf Affectionen des inneren 
Ohres beruht, muß man außer der subcutanen Injection von Pilo¬ 
carpin auch den Katheterismus der Tuba Eustachii anwenden. Unter 


anderen erfolgreich behandelten Fällen erwähnt Verf. ein 12jähriges 
Mädchen, das er gegenwärtig wegen einer Erkrankung des mittleren 
und inneren Ohres behandelt. Nach 20 Injectionen kann die Kranke 
die Uhr mit dem rechten Ohr auf 20 Zoll, mit dem linken auf 
6 Zoll und Flüstern mit beiden auf mehr als 5 Meter Entfernung 
hören, während sie vor der Behandlung die Uhr nur dicht an’s Ohr 
gehalten und lautes Sprechen auf 2 Meter Entfernung zu vernehmen 
vermochte; es ist dies ein Fall von congenitaler Syphilis. Verf. 
glaubt, nach seinen Beobachtungen und Erfahrungen folgende Classen 
als für die Pilocarpinbehandlung am geeignetsten bezeichnen zu 
dürfen: 1. Taubheit in Folge von erworbener oder hereditärer 
Syphilis, die auf Veränderungen des mittleren oder inneren Ohres 
beruht; dies scheinen die günstigsten Fälle zu sein. 2. Die durch 
Blutungen oder Exsudation des inneren Ohres verursachte Taubheit. 

3. Fälle von chronischem Catarrh mit recurrirenden Exacerbationen. 

4. Fälle von Sclerose oder trockenem Catarrh, jedoch nur in den 
Anfangsstadien. In dieser Reihe wird sehr oft die normale Function 
erzielt, oder man kann häufig den Krankheitsproceß zum Stillstand 
bringen. 

— Einen weiteren Beitrag zur chirurgischen Behandlung 
der progressiven Paralyse liefert J. Batty Tuke im „Brit. med. 
Journ.“ vom 4. Januar d. J. Es handelt sich um einen Fall, bei 
dem sämmtliche Symptome der progressiven Paralyse vorhanden 
waren. Von der Ansicht geleitet, daß die bestehende intracranielle 
Drucksteigerung durch eine Operation behoben werden könnte, tre- 
panirte Verf. beiderseits ober und vor dem Tuber parietale. Gleich 
nach der Operation trat eine auffallende Veränderung im psychischen 
Verhalten des Kranken ein, er wurde ruhiger und erkannte zum 
ersten Male seit seiner Aufnahme, daß er sich im Krankenhause be¬ 
fand; die Kopfschmerzen und die Hallucinationen hörten auf; doch 
hielt die Besserung blos 5 Tage an, worauf sich die früheren Er¬ 
scheinungen wioder einstellten. Der Kranke wurde hierauf der 
weiteren Beobachtung des Verf. entzogen. Trotz des geringen Er¬ 
folges glaubt Tüke auf Grund dieses Falles und des von Shaw 
mitgethcilten (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 49, 1889) die Operation 
in frischen Fällen von Paralyse empfehlen zu können, 1. weil die 
Prognose ohnehin eine sehr trübe ist, 2. weil die Operation keine 
lebensgefährliche ist, 3. weil sie eine hinreichende wissenschaftliche 
Begründung hat und 4. weil die beiden bekannten Fälle von Verf. 
und Shaw zur Operation ermuthigen. 

— Cheesman hat bereits in früheren Jahren das Cerium 
OXaliCUlTI gegen Husten empfohlen und bringt jetzt eine neue 
Anzahl von Krankheitsfällen vor, in welchen er dasselbe mit gutem 
Erfolge angewandt hat; besonders angezeigt erscheint die Anwen¬ 
dung im ersten Stadium der Phthise, aber auch in späteren Stadien 
erwies es sich von guter Wirkung. Es wird am besten in Pulver¬ 
form, Morgens, nüchtern genommen, anfänglich 03, später steigend 
bis 0’6, mehrmals täglich; irgend welche üble Nachwirkungen hat 
Ch. selbst bei Dosen von 1*3, mehrmals täglich, niemals beobachtet; 
einzelne Patienten klagten über Trockenheit im Munde und auf 
der Brust, ein Uebelstand, welcher aber nach einigen Tagen ver¬ 
schwand, sobald das Mittel ausgesetzt war. Im Allgemeinen schliefen 
die Patienten besser und hatten mehr Ruhe während des Gebrauches 
des Mittels, als vorher. Bei längerem Gebrauche gewöhnen sie sich 
an das Mittel, weshalb Verf. die Dosis herabsetzt oder überhaupt 
das Mittel ganz aussetzt, sobald Besserung im Zustande des Patienten 
eingetreten ist. 

— Von der Ansicht ausgehend, daß das Salol bei seiner 
Ausscheidung durch den Harn eine antiseptische Wirkung auf die 
Harnorgane entfalten kann, hat Ferd. Dreyfous in Paris das 
Salol als innerliches Antisepticum der Harnorgane in 7 Fällen 
von Blennorrhoe der Urethra angewendet. Es zeigte sich dabei, 
daß das Salol, rechtzeitig angewendet, auf die Schmerzen und den 
Ausfluß eine bedeutende Wirkung übt. Letzterer verliert bald seinen 
eitrigen Charakter, wird weiß, dann rein serös und versiegt schlie߬ 
lich ganz, wobei die Wirkung des Salols von den balsamischen 
Mitteln, wie Copaiva, Cubeben etc., mächtig unterstützt wird. Das 
Salol wirkt, iudem es den Urin aseptisch und wahrscheinlich auch 
antiseptisch macht, ohne die Nachtheile einer Urethralinjection zu 
haben. Auf die Schmerzen hat das Salol einen ähnlichen Einfluß 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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wie das Salicyl beim Rheumatismus. Möglicherweise vermag das 
Salol auch das Auftreten von blennorrhoischem Rheumatismus zu ver¬ 
hindern. Auch für die Chirurgie der Harnorgane empfiehlt D. das 
Salol als sicheres und unschädliches Antisepticum. 

— Einen sehr interessanten Beitrag zur Behandlung de8 
Tetanus mit subcutanen Injectionen von Carbolsäure liefert 
Dr. Francesco Paolini in Nr. 9 der „Riforma medica“. Ein 
löjähriger Knabe bekam nach einer Rißquetschwunde an der Inter¬ 
digitalfalte zwischen der 4. und 5. Zehe des linken Fußes sehr 
heftige Telauusanfälle, die den ganzen Körper betrafen. Dabei be¬ 
stand vollständiger Trismus, Opisthotonus und sehr starke Spannung 
der Bauchmusculatur. Nachdem sowohl warme Bäder als auch 
hohe Chloraldosen auf die Häufigkeit und Intensität der Anfälle 
ohne Einfluß geblieben waren und die Temperatur zwischen 39 und 
40° schwankte, griff P. am 4. Tage nach dem Beginn der Er¬ 
krankung zu subcutanen Injectionen von l°/ 0 Carbolsäure. Die 
Injectionen wurden in den ersten 4 Tagen in Zwischenräumen von 
3 Stunden , also 8 in 24 Stunden, gemacht. Schon am 2. Tage 
sank die Temperatur und die Anfälle nahmen sowohl an Dauer als 
auch an Intensität und Zahl ab. Mit zunehmender Besserung wurde 
die Zahl der Injectionen allmälig herabgesetzt, doch wurde diese 
Behandlung nicht eher sistirt, bevor der Trismus und die Rigidität 
der Bauchmuskeln nicht vollständig geschwunden waren, was am 
27. Behandlungstage der Fall war. Pat. genas vollkommen. In 
jüngster Zeit wurde auf der Klinik Baccelli’s in Rom ein sehr 
schwerer Fall nach derselben Methode behandelt und geheilt. Bei 
der Wichtigkeit des Gegenstandes soll der Fall noch näher mitge- 
theilt werden. 

— Dr. Tri. Jaffe in Frankfurt a. M. beschreibt in Nr. 5 
des „Ctbl. f. Gynäk.“ einen sehr interessanten Fall von abnorm 
langer Dauer der Schwangerschaft. Derselbe betrifft eine 3ijährige 
Frau, die vor 7 Jahren zum ersten Male geboren hatte. Seitdem hat 
sie zweimal abortirt, das letzte Mal vor 2 Jahren. Die Menstruation 
war selten regelmäßig, im letzten Jahre bestanden öwöchentliche 
Pausen. Ende Januar v. J. hatte die Frau einen Cervicalcatarrh. Da 
die letzte Menstruation am 9. December 1888 aufgetreten war (Pat. 
hatte sich stets genaue Noti zen gemacht), stand J. von einer localen 
Behandlung ab, obwohl die Untersuchung keinen Verdacht des Be¬ 
stehens einer Gravidität ergab. Am 24. März 1889 sah J. die 
Pat, wieder. Die Menses waren nicht mehr eingetreten. Pat. glaubte 
den subjectlven Beschwerden nach schwanger zu sein. Die Unter- 
snehunng stellte mit Sicherheit das Bestehen einer 5 — 6 wöchentlichen 
Schwangerschaft fest. Die Schwangerschaft verlief normal. Anfangs 
Juli wurden Kindesbewegungen wabrgenommen. Der Termin der 
Niederkuuft wurde nach dem ersten Befunde und der Zeit des Auf¬ 
tretens von Kindesbewegnngen, da sich das Ausbleiben der Menses 
hier für die Berechnung der Schwangerschaftsdauer gewiß nicht 
verwenden ließ, für die 2. Woche des November berechnet. Die 
Niederkunft erfolgte jedoch erst am 9. December — also über 
drei Wochen nach dem erwarteten Termin. Die Entbindung er¬ 
folgte bei sehr kräftigen Wehen ohne jede Kuusthilfe. Die Maße 
des Neugeborenen tibertrafen, wenn auch nicht in hohem Grade, die 
normalen. Die Entbindung erfolgte genau am 365. Tage nach dem 
Eintritt der letzten Menstruation. Der Conceptionstermin ließ sich 
nicht feststellen. Nehmen wir an, daß die Conception erst 8 oder 
gar 9 Wochen nach Eintritt der letzten Menses erfolgte, so hatte die 
Schwangerschaft eine Dauer von mindestens 303—309 Tagen. Die 
stärkere Ausbildung des Kindes stützt auch diese Annahme. Der 
Fall hat in forensischem Sinne gewissermaßen ein actuelles Inter¬ 
esse. Der Entwurf zum neuen deutschen Civilgesetzbuch will eine 
Schwangerschaftsdauer gesetzlich statuirt wissen, indem er die Zeit eines 
lebensfähigen Kindes zwischen dem 180.—300. Tage nach dem be¬ 
wiesenen Coitus festsetzt. Endlich hat die Thatsache, daß die 
Niederkunft im beschriebenen Fall genau nach 365 Tagen — von 
der letzten Menstruation an gerechnet — erfolgte, ein weiteres Inter¬ 
esse, weil sie die immer mehr sich bahnbrechende Anschauung stützt, 
daß die Ovulation unabhängig von der Menstruation erfolgen kann. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


K. k, Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 14. Februar 1890. 

Vorsitzender: Prof. v. Mosetig. — Schriftführer: Doc. Dr. 
Hochenegg. 

Doc. Dr. Köniqstein stellt einen Fall von angeborener 
ThränendrÜ8enfistel vor. Bevor die Fistel zum Verschlüsse gebracht 
werden kann, muß ein Ausfflhrungsgang in die Conjunctiva her- 
gestellt werden. 

Dr. PlLZ demonstrirt einen auf der Abtheilung des Prof. 
Dittel operirten Fall von Hypospadie. 

Bacterio logische und pathologisch-anatomische Untersuchungen 

über Influenza. 

Prof. GRUBER berichtet über Untersuchungen, die er im 
Vereine mit Dr. Marmorek ausgeführt hat. Dieselben wurden an 
9 Fällen angestellt, worunter 7 von reiner Influenza, 1, bei dem 
eine Complication mit Broncho-Pneumonie bestand und einer, bei 
welchem nach der Untersuchung eine croupöse Pneumonie auftrat. 
Dreimal wurde das Blut auf der Höhe des Fiebers untersucht — 
stets mit negativem Resultate. In 8 Fällen wurde das Sputum 
untersucht. Es konnte dabei, sowohl mikroskopisch, als auch durch 
Cultur constant ein Diplocoocus nachgewiesen werden, der mit dem 
Diplococcus pneumoniae (Frankel-Weichselbaüm) die allergrößte 
Aehnlichkeit hat. Die Ueberimpfuug auf Thiere (Kaninchen), sowohl 
des Sputums, als auch der Culturen blieb erfolglos. Nur ein Thier 
ging unter dem bekannten Bilde zu Grunde (vielleicht, weil dem 
Sputum der echte Diplococcus pneumoniae beigemischt war). Es 
handelt sich also entweder um eine Varietät des Diplococcus 
pneumoniae oder um einen demselben ähnlichen Mikroorganismus. 

Bezüglich der ätiologischen Bedeutung des Befundes wagt 
Geuber keine Schlüsse zu ziehen, so lange nicht noch weitere Unter¬ 
suchungen bekannt sind. 

Prof. Kundrat theilt die während der Influenza - Epidemie 
gemachten anatomischen Befunde mit. Dieselben beziehen sich vor¬ 
wiegend auf die Erkrankungen der Respirationsorgane, die sich durch 
ihre Häufigkeit, Intensität und Eigenthümlichkeit des Verlaufes 
charakterisiren. 

Was zunächst die Häufigkeit betrifft, so wurde in den Monaten 
December und Januar eine größere Anzahl von Fällen verzeichnet, 
als selbst in den Zeiten, wo ähnliche Erkrankungen endemisch Vor¬ 
kommen. So waren nach den Protokollen des pathologisch-anato¬ 
mischen Institutes im April und Mai 1888 die Erkrankungen der 
Respirationsorgane am häufigsten vertreten (15 Fälle im April und 
21 im Mai). 

Im December 1889 hingegen konnten 52 und im Januar 1890 
20 Fälle verzeichnet werden. Nur zum geringsten Theile handelte 
es sich um croupöse Pneumonien. Meist fanden sich Bronchitiden 
ganz eigener Art, die nicht blos die feineren, sondern auch die 
Bronchien mittlerer Größe vollständig mit Schleimmassen verstopften 
und nicht allein in den hinteren, unteren, sondern auch in den 
oberen und vorderen Antheilen der Lungen saßen. In dem dick¬ 
lichen, klumpigen Secrete fand sich der Diplococcus pneumoniae in 
großer Menge. An solchen Bronchitiden starben meist Individuen, 
die schon an anderen Erkrankungen litten (Emphysem, Herz¬ 
leiden etc.). 

Viel häufiger war die Bronchitis complicirt mit lobulären 
Pneumonien, die sich dadurch von den gewöhnlichen lobulären Pneu¬ 
monien unterschieden, daß das Exsudat viel fibrinreicher war, daß 
sie nicht nur die hinteren, unteren, sondern auch die oberen und 
vorderen Antheile der Lunge betrafen, daß die lobulären Herde sehr 
groß waren, und daß häufig in den centralen Partien derselben 
eitrige Einschmelzung eintrat, die peribronchial weiterging. 

In einigen Fällen gingen die lobulären Herde in Abscedirung 
und anämische Necrose Uber, dabei waren auch Necrose der Pleura 
und reichliche pleuritische Exsudate vorhanden. Im Eiter fanden 
sich nebst dem Diplococcus pneumoniae auch Staphylococcen. 

2* 


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1890. 


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In einigen Fällen gesellten sich den einfachen Bronchitiden um¬ 
fängliche pleuritischo Exsudate, in 2 Fällen Pericarditis zu. Alle 
Fälle von Bronchitis, die mit Abscedirung oder Pleuritis combinirt 
waren, betrafen junge, bis dahin ganz gesunde Individuen im Alter 
vod 17—24 Jahren. 

In 5 Fällen gingen diese Entzündungsprocesse in Induration 
über, 4mal in Gangrän, 3mal fand sich neben intensiver Bronchitis 
Meningitis (mit Diplococcen im Exsudate), 2mal Pericarditis (Diplo- 
coccus pneum. und Staphylococcus im Exsudate). 

Wegen des Auftretens dieser eigenthümlichen Formen während 
der Influenza-Epidemie und ihres Verschwindens nach Aufhören der 
letzteren, glaubt Kündrat, daß dieselben mit der Influenza im Zu¬ 
sammenhänge stehen und daß es sich nicht blos um 2 neben einander 
stehende Infectionen handelt, wie Nothnagel annimmt. Kundbat 
sieht die beschriebenen Complicationen als secundäre Infectionen an, 
ähnlich wie die Infection mit Streptococcen nach Scharlach oder 
die secundären Infectionen nach Masern. 

Reg.-Arzt Dr. Kowalski hat im Blute von Influenzakranken 
ebenfalls keine Baetcrien gefunden; im Sputum fand er durchaus 
keinen constanten Befund ; Bacterien, die zum größten Theile schon be¬ 
kannt sind — Streptococcen, Staphylococcen etc. —■, die aber mit 
der Influenza nichts zu thun haben. Die Luft fand K. zur Zeit 
der Influenza nach den großen Schneefällen fast bacterienfrei. 
Redner findet vom bacteriellen Standpunkte keine genügende Er¬ 
klärung für die Aetiologie der Influenza und spricht die Vermuthung 
aus, daß man es vielleicht mit atmosphärischen Einflüssen zu 
thun bat. 

Hofr. NOTHNAGEL theilt aus einem Briefe des Prof. Babes 
in Bukarest mit, daß dieser in 8 Fällen von heftigen, im Anschluß an 
Influenza aufgetretenen Bronchitiden einen von ihm als „Schleimbacterie“ 
bezeiebneten Mikroorganismus, in den meisten Fällen aber den 
Diplococcus pneumoniae gefunden bat. Was den Zusammenhang der 
Pneumonie mit der Influenza betrifft, so betont Nothnagel, daß 
er an der von ihm ausgesprochenen Ansicht festhält, daß die echte 
croupöse Pneumonie, wie sie während der Influenza-Epidemie vor¬ 
kam, mit der Influenza nichts zu thun hat, daß hingegen die Fälle 
von Pneumonie mit den eigentümlichen physikalischen Erscheinungen 
(Fehlen des deutlichen Bronchialathmens, abgeschwächter Stinlmfremitus) 
mit der Influenza im Connex stehen mögen. S. 


Wiener medicinisches Doctoren-Collegimn. 

(OrigiDal-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 
Wissenscliaitliche Versammlung vom 10. Februar 1890- 

Vorsitzender: Hofr. v. Schmerling. 

Prof. BENEDIKT demonstrirt einige stigmatisirte Köpfe: 

1. Zunächst eine Patientin, die wegen Morbus Basedowii in 
Behandlung steht, bei der eine Aufstellung des Scheiteltheiles des 
Stirnbeines und eines Theiles des Parietalbeines vorhanden ist. Die 
Anamnese der Pat. ergibt, daß ihre Mutter epileptisch sei; sie selbst 
ist nicht epileptisch, aber ihre Descendenz kann es werden. 

2. Ein Kind mit einer eigentbümlichen Coordinationsstörung 
beim Gehen, die auf einer Insufficienz der Adductoren beruht, und 
Tremor der oberen Extremitäten. Bei diesem Kinde besteht ein 
Makrocephalus, Trigonocephalus und eine colossale Asymmetrie des 
Schädels. Die Intelligenz scheint intact zu sein, aber die Aufmerk¬ 
samkeit fehlt. 

3. Ein Kind mit einer Zuspitzung des Kopfes, Asymmetrie 
und Verkürzung des Parietalbogens. Letztere ist ominös, da ihre 
Folge Morbus convulsivus sein kann. 

4. Einen Fall von Prognathie mit asymmetrischer Stellung des 

Ohres. 

Prim. Neusser: Ueber Anämien mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der Differentialdiagnose. 

H. 

Herz und Chlorose. 

Eine besondere Berücksichtigung verdienen bei der Chlorose 
die Symptome von Seiten des Circulationsapparates. Abgesehen von 
dem so häufigen Symptom des Herzklopfens erwähnt N. die anämi¬ 


schen Geräusche, die Herzdilatation und hebt die in differential¬ 
diagnostischer Hinsicht wichtigen Punkte hervor. 

Ueber die Entstehung der Venengeräusche herrschen bisher 
mehrere differente. Ansichten. Die Mehrzahl der Kliniker hält an 
der Erklärung fest, daß die Beschleunigung der Stromgeschwindig¬ 
keit und das Mißverhältniß zwischen Venenstamm und Bulbus venae 
jugularis das Entstehen des Nonnensausens fördern. Erstere ge¬ 
schieht durch den Wasserreichthum des Blutes bei Chlorose, welches 
in Folge der verminderten Adhäsion an die Venen wand rascher 
strömt und auch sonst für die Bildung der Wirbelbewegungen ge¬ 
eigneter ist. 

Die Entstehung der sogenannten accidentellen Geräusche wird 
auf verschiedene Ursacheu zurückgeführt. 

Einmal beschuldigt man Innervationsstörungen, welche die 
tonartigen Schwingungen der Atrioventricularklappen des Myocards 
stören. In einem anderen Falle nimmt man zur sogenannten rela¬ 
tiven Klappeninsufficienz, also zur Erweiterung des Klappenostiums, 
in wieder einem anderen, wie dies Neukirch gethan hat, zur rela¬ 
tiven Stenose der Herzostien Zuflucht. Im Gegensätze zu diesen 
älteren Anschauungen stellt neuerdings Sehrwald au3 Jena eine 
beachtenswerthe, wenn auch nicht unangreifbare Theorie auf. Sehr¬ 
wald bringt die anämischen Herzgeräusche mit den Nonnen¬ 
geräuschen in Parallele und führt beide auf dieselbe Ursache zurück. 
Diese liegt für die anämischen Herzgeräusche nach seiner An¬ 
schauung in einer zu geringen Blutfüllung der offenen Vorhöfe in 
Analogie des offenen Bulbus jugularis für die Nonnengeräusche. 
Erstere werden daher durch Blutwirbel in Folge der Saugwirkung 
der Vorhöfe während ihrer Diastole erzeugt. Sie sind vorhofs¬ 
diastolisch, also kammersystolisch. Die Geräuschbildung ist im 
linken Vorhofe viel günstiger, weil die Abwärtsbewegung des linken 
Atrioventricularseptums eine stärkere ist und die Pulmonalvenen 
enger sind als die Cava. Aus diesem Grunde hört man dieses 
vorhofdiastolische Geräusch an dem anatomischen Orte des linken 
Vorhofs, der identisch ist mit der Auscultationsstelle der P'ulmonalis, 
und, fortgeleitet, an der Herzspitze. Die klinischen Erscheinungen 
stimmen damit überein. Denn es ist richtig, ■ daß bei Anämifen die 
Geräusche ihre größte Intensität an obigen Stellen zeigen. 

Wiewohl nun diese Theorie sehr verlockend ist und fast alle 
physikalischen Eigenschaften der Geräusche, als ihre Zunahme in 
der aufrechten Stellung und ihre Abhängigkeit von den intrathora- 
cischen Druckschwankungen, erklärt, tauchen doch einige Bedenken 
gegen dieselbe auf. Vor Allem ist es die relative Seltenheit der 
anämischen Geräusche bei hochgradig anämischer Tuberculose und 
Carcinose, resp. das Verschwinden vorhandener Geräusche mit zu¬ 
nehmender Kachexie und Anämie. Daraus scheint hervorzugehen, 
daß die absolute Verminderung der Blutmasse, welche doch eine 
geringe Füllung der offenen Venenbulbi und der Vorhöfe nach sich 
ziehen muß, die Geräuschbildung zum Mindesten nicht fördert. Be¬ 
steht aber gleichzeitig neben den erwähnten Erkrankungen eine 
Complication, die das Blut wässeriger macht, wie z. B. Amyloidose 
oder ein Morbus Brightii, dann findet man die erwähnten Geräusche 
meistens fortdauern oder frisch entstehen. Dies gibt einen weiteren 
Beweis dafür ab, daß jene ihren Ursprung weniger der Anämie als 
der Hydrämie verdanken. 

Viel eclatanter tritt der ursächliche Gegensatz zwischen Anämie 
und Hydrämie in den Auscultationsbefunden nach schweren Blutungen 
zu Tage. Unmittelbar nach Metrorrhagien findet man keine derartigen 
Geräusche, wohl aber nach einer bestimmten Zeit, wenn durch Re¬ 
sorption dos Serums aus den Geweben das Blut wasserreicher ge¬ 
worden ist. Gerade dieses Moment veranlaßte Bamberger, an der 
alten Theorie, daß die Geräusche hauptsächlich nur hydrämischen 
Ursprungs sind, festzuhalten. 

Duchek spricht sich diesbezüglich reservirter aus und führt 
das Entstehen der Venengeräusche auf die geringe Füllung und den 
geringen Druck im Venensystem zurück. In letzterem Momente 
lag für ihn der wichtige Grund für die Seltenheit der Nonnen¬ 
geräusche bei anämischen Herzfehlern, namentlich des Mitralostiums, 
bei welchen durch Rückwirkung auf das rechte Herz der Druck in 
der Cava erhöht war. Leider liegt eine directe Untersuchung 
venösen Blutes Chlorotischer nicht vor, und doch wären die Re- 


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sult&te solcher Untersuchungen geeignet, auf die noch schwankende 
Frage nach der Ursache der anämischen Geräusche Licht zu 
werfen. 

Die Herzdämpfung ist in vielen Fällen von Chlorose ver¬ 
größert, und eine Verbreiterung der Herzdämpfung beruht fast immer, 
wie auch Bambebger in seinen Vorlesungen hervorhob, auf Dila¬ 
tation des rechten Ventrikels, welche bei Chlorose in verschiedener 
Weise entstehen kann. Sie kann vor Allem in der Anämie selbst, 
im Sauerstoffmangel des chlorotischen Blutes und der durch diese 
Ernährungsstörung bedingten Insufficienz des Herzmuskels begründet 
sein. Sie kann aber auch bedingt werden durch mechanische Ur¬ 
sachen im Gefäßsystem, wie z. B. angeborene Enge desselben, wie 
Sie nach Rokitansky und Virchow häufig bei Chlorose gefunden 
wird. Mit dieser Hypoplasie des Gefäßsystems verbindet sich unter 
Umständen eine mangelhafte Entwicklung des übrigen Körpers. Sehr 
häufig ist auch der Geschlechtsapparat in seinem Wachsthum zurück¬ 
geblieben. Das Herz wird bald verkümmert, bald hypertrophisch 
gefunden. Aber nach Virchow ist die echte Hypertrophie des fechten 
Ventrikels bei Chlorose keineswegs eine seltene Erscheinung und 
erklärt sich durch den abnormen Widerstand, der dem Herzen 
durch die Enge der Aorta geboten wird. Eine solche Enge der Aorta 
ist ntin intra vitam oft sehr schwer zu diagnosticiren. 

Ausgesprochener infantiler Habitus, die Verkümmerung des 
Genitalapparates und der zu denselben in Beziehung stehenden 
Zeichen der Geschlechtsreife beheben freilich jede Schwierigkeit. Im 
Gegensätze dazu gibt es aber Fälle, wo nur der innere Geschlechts¬ 
apparat in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist, während 
sonst die Individuen normal kräftig gebaut sind. Endlich solche 
Fälle, wo der Geschlechtsapparat an der Hypoplasie gar nicht 
theildimmt. 

In solchen Fällen stößt die Diagnose auf große Schwierig¬ 
keiten. Für diese Fälle gibt es gewisse, scheinbar geringwertige 
Anhaltspunkte, welche die Diagnose erleichtern können. 

Derartige Anhaltspunkte finden sich gerade in den Contrasten, 
welche die einzelnen Theile des weiblichen Organismus in ihrer 
Wechselbeziehung zu einander betreffen. Die Diagnose der ange¬ 
borenen Enge der Aorta ist keineswegs nur ein diagnostischer Sport, 
denn das Bestehen dieser Gefäßanomalie ist von der größten Wich¬ 
tigkeit. Abgesehen von den seltenen Fällen von Ruptur der Aorta¬ 
häute , also der Bildung eines Aneurysma dissecans, kommt hier 
hauptsächlich die Vulnerabilität des Klappenendocards in Betracht, 
die nach Vibchow in der Disposition zu Endocarditis ihren Ausdruck 
findet. Dadurch werden auch die Gefahren des Puerperiums noch 
mehr gesteigert. 

Die bei der angeborenen Enge der Gefäße vorhandene Mikro- 
cardie oder Atrophie des Herzens läßt sich mitunter nicht schwer 
diagnosticiren. NeüSSER hat diese Diagnose in 2 Fällen gestellt, 
welche ziemlich hochgradige Emphysematiker betrafen, bei denen 
das obligate Symptom der Pulsatio epigastrica, als Ausdruck der 
tiefen Lage des Herzens und seiner rechtsseitigen Hypertrophie 
fehlte, die Pulse schwach und die Herztöne sehr dumpf waren. 
Dieser Mängel an Pulsatio epigastrica konnte nur auf hochgradige 
Verfettung oder Fixirung des Herzens, Verwachsung oder Verkalkung 
der Aorta, oder aber auf abnorme Beweglichkeit desselben, welches 
in dem geräumigen Mediastinum verborgen war, zurückgeführt 
werden. Da aber diese Mojnente ausgeschlossen werden konnten, , 
und auch im Sitzen des Patienten keine Pulsatio epigastrica auftrat, 
wodurch ein verborgenes Wanderherz außer Betracht kam, so wurde 
per exclusionem die Diagnose auf Herzatrophie gestellt. 

Anders stehen aber die Verhältnisse bei Chlorose, die zumeist 
junge Mädchen betrifft, bei denen kein Emphysem besteht. Ge¬ 
wöhnlich findet man in solchen Fällen normale Lage des Herzens, 
oder sogar Persistenz der infantilen Verhältnisse im Thorax, also 
was das Herz betrifft, einen Hochstand der Herzbasis und der 
Aorta. Die Diagnostik beschränkt sich auf die Lage und Beschaffen¬ 
heit des Spitzenstoßes, auf die Größe der Herzdämpfung und seiner 
Arbeitsleistung, endlich auf die geringe Intensität der diastolischen 
Herztöne. 

Viel leichter ist die Diagnose der Herzhypertrophie. Bei dieser 
kommen die bekannten Symptome, Tastbarkeit der Aorta im Ju- 


gulum und im Bauche, vergrößerte Herzdämpfung, erhöhte Herz- 
thätigkeit, Dislocation des Herzstoßes und Accentuirung der Töne 
über den großen Gefäßen in Betracht. 

Die Verstärkung des zweiten Aortentones gehört 
bei den gewöhnlichen Formen der Chlorose zu den seltenen Er¬ 
scheinungen und scheint mit der hydrämisehen Plethora in Zusammen¬ 
hang zu stehen, welche bei manchen Formen von Chlorose vielleicht 
in Folge von paralytischer Erweiterung der Gefäße zu Stande 
kommt; doch auch durch Complication mit anderen Erkrankungen 
kann eine Verstärkung des zweiten Aortentones herbeigeführt werden, 
wie dies in einem von Neusser beobachteten Falle von Nickel¬ 
vergiftung constatirt wurde. Viel häufiger kommt bei Chlorose 
die Accentuirung des zweiten Pulmonaltones vor. Diese könnte 
1. die Bedeutung einer relativen Insufficienz oder relativen Stenose 
der Mitralis haben, 2. aus Complicationen mit Krankheiten hervor¬ 
gehen, welche den Druck im Pulmonalsystem erhöhen, z. B. Bron¬ 
chitis. In vielen Fällen von Chlorose ist die Verstärkung des 
Pulmonaltones nur vorübergehend und steht mit der gleichfalls vor¬ 
übergehenden Dilatation des rechten Ventrikels im Zusammenhang. 
Schließlich kann dieselbe auch noch direct in der Hypoplasie des 
Aortensystems und des linken Herzventrikels begründet sein, wie 
dies in einem von Neusser beobachteten Fall geschah. 

(Schluß folgt.) 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 10. Februar 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: Doc. Dr. Fürst. 

Discusaion über Influenza. 

Nach einigen einleitenden Worten des Prof. Rembold, in 
. welchen derselbe auf die bisherigen, über diese Epidemie ge¬ 
sammelten Thatsaohen, welche in manchem Punkte noch Vieles zu 
wünschen übrig lassen, hinweist, demonstrirt der Stadtphysiker Dr. 
Eberstaller eine graphische Darstellung, welche ein anschauliches 
Bild über den zeitlichen Gang der Epidemie in Graz gibt. Es 
gelangten im Ganzen 7732 Fälle zur Anzeige. Von diesen betrafen 
4324 Männer, 2392 entfielen auf Frauen und nur 1016 auf Kinder 
bis zum 14. Lebensjahre. Die Kinder wurden nicht nur, was die 
Zahl anbelangt, sondern auch was die Intensität der Erkrankung 
betrifft, am wenigsten heftig ergriffen, welche Thatsache auch von 
einigen anwesenden Herren (DDr. Widowitz , Tobeitz u. A.) 
constatirt wurde, und mit den Erfahrungen, die in früheren 
Epidemien und mit denen, die während der jetzigen in anderen 
Städten (z. B. in Berlin) gemacht wurden, in Uebereinstimmung 
steht. 892 Fälle der Erkrankten betrafen Soldaten. Auch 
hier steigt und fällt die Curve parallel mit der Civilbovölke- 
rung. Eine Thatsache ist höchst bemerkenswerth. Die Curve steigt 
nicht und fällt nicht continuirlich, sondern wenigstens in ihrer Acme 
in Intervallen von 4 zu 4 Tagen. Möglicherweise ließe sich aus 
diesem Verhalten, welches in dem Verlaufe anderer Infectionskrank- 
heiten ein Analogon findet, ein Schluß auf die Incubationsdauer bei 
der Influenza ziehen. Die Sterblichkeit betreffend, constatirt Dr. 
Ebebstaller, daß dieselbe trotz stetem Anwachsen der Bevölke¬ 
rung in Graz nicht nur was die relativen, sondern auch was die 
absoluten Zahlen anbelangt, seit zwei Decennien in Graz in Abnahme 
begriffen ist. Dieses Verhältniß wurde trotz der herrschenden Epi¬ 
demie nicht geändert. Dagegen ist es auffällig, daß um die Hälfte 
mehr Todesfälle an „Marasmus“, 3mal so viel an Emphysem und 
ß'/ginal so viel an entzündlichen Aftectionen der Respirationsorgane 
vorkamen, als in den früheren Jahren im Monate Januar. Es ist 
natürlich nicht so leicht, diese Todesfälle so ohne weiters auf die 
Influenza zu beziehen. 

Dr. Schlangenhausen berichtet, daß in der Irrenanstalt (Feld¬ 
hof), die von der Epidemie stark heimgesucht wurde, auf keine der 
vorhandenen Psychosenformen die Influenza irgend einen Einfluß ge¬ 
nommen habe. 


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Dr. Nagy dagegen ist geneigt, 11 Fälle von nach Influenza 
aufgetretenen Psychosen (febriles Delirium, Delirium tremens und 
sogenanntes asthenisches Delirium), die auf der Beobachtungsstation 
des Prof. v. Wagner zur Aufnahme gelangten, mit dieser in ursäch¬ 
lichen Zusammenhang zu bringen. 

Prof. Börner constatirt das Auftreten von Genitalblutungen 
(verstärkten Menorrhagien und Metrorrhagien) im Gefolge der In¬ 
fluenza. Zu Unterbrechungen der Gravidität kam es in Folge dieser 
Affection nicht, wohl traten jedoch in einigen Fällen Contractionen 
des Uterus ohne schädliche Folgen ein. Ferner beobachtete er 
krampfartige Hustenanfftlle im Gefolge der Influenza bei Graviden. 
Er wie Andere bestätigen die Immunität von Säuglingen, die von 
den an Influenza erkrankten Ammen weiter gestillt wurden. 

Dr. Mahnert beobachtete in 2 Fällen Icterus und in mehreren 
Krampf des Sphincter vesicae und Unfähigkeit, den Harn zu ent¬ 
leeren, so daß Katheterismus nothwendig erschien. 

Die Discussion wird in der nächsten Sitzung fortgesetzt. 

hs. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 17. Januar 1890. 

Vorsitzender: Prof. Sattler. — Schriftführer: Dr. Sobotka. 

Prof. R. v. Jaksch: Demonstration von Malariaplasmodien. 

Im Jahre 1866 hat Salisbury eine Algenart, Palmella ge- 
miasma, als Krankheitsagens des Malariaprocesses beschrieben. Ihm 
folgte Balestra, der eine besondere specifische Algenart, Alga mi- 
asmatica, für das krankmachende Agens hielt. Keiner der genann¬ 
ten Organismen aber konnte auf die Dauer den ihm angewiesenen 
Platz in der Pathologie der Malariakrankheiten behaupten. 

Im Jahre 1879 fanden Klebs und Tomasi-Crudeli bestimmte 
Bacillen in dem Malariaboden auf, züchteten mittelst fractionirter 
Cultur auf Hausenblase dieselben rein und erzeugten bei Kaninohen 
durch Impfung mit solchen Bacillen ein dem Malariaprocesse ähn¬ 
liches Fieber. Die Frage nach den so lange gesuchten Malariaer¬ 
regern schien damit für eine Zeit lang gelöst. Auf das Vorkommen 
von eigentümlichen protoplasmaartigen Bildungen im Innern der 
rothen Blutzellen haben zuerst Laveran, dann Marchiafava 
und Celli, ferner Golgi und Guarnieri aufmerksam gemacht und 
immer dringender, immer positiver die Zusammengehörigkeit dieser 
Bildungen mit der Malaria urgirt. 

Redner stand allen diesen Blutbefunden skeptisch gegenüber, 
weil er in einigen, allerdings leichten Fällen von Febris intermittens 
keine derartigen Befunde, wie sie Marchiafava und Celli an- 
gebeu, constatiren konnte, und weil bei schweren Anämien bisweilen 
an den rothen Blutkörperchen Veränderungen auftreten, die an die 
Bilder, welche Marchiafava und Celli von den Malariaplasmodien 
gaben, erinnern. Aber nachdem er im Frühjahre 1889 Gelegenheit 
hatte, bei Marchiafava und Celli auf der BACELLi’sohen Klinik 
in Rom die Veränderungen des Blutes bei Malaria zu studiren, hat 
er seine Ansicht geändert und ist der festen Ueberzeugung, daß 
die Veränderungen nichts weiter sind als eine Art Vacuolenbildung 
der rothen Blutzellen, also eine besondere Art jener Veränderungen 
der rothen Blutzellen, welche als Poikilocytose bekannt sind, wobei 
aber die Gestalte Veränderung an den rothen Blutzellen nicht wie bei 
den bekannten Formen der Poikilocytose sich in der Peripherie der 
Zelle, sondern im Centrum derselben abspielt. Er glaubt, daß man 
sich vor der Verwechslung mit Malariaplasmodien leicht schützen 
kann. 

Die Plasmodien selbst sind ungemein polymorphe Organismen, 
und nach den äußerst interessanten Untersuchungen von Marchia¬ 
fava, Golgi, Celli und Guarnieri unterliegt es keinem Zweifel 
mehr, dass der Formkreis der Malariamikroben mit den klinischen 
Erscheinungen des Wechselfiebers, also der Febris intermittens ter¬ 
tiana und quotidiana im nächsten Connex steht, in dem Sinne, 
daß mit der Entwicklung einer neuen Generation der Plasmodien das 
Fieber einsetzt. Es braucht also in Fällen des Fiebers mit Tertian- 
typus der Mikroorganismus 3, in Fällen des Quartantypus 4 Tage, 


um den ganzen Formenkreis zu durchlaufen. Es haben diese Beob¬ 
achtungen auch klinisch große Wichtigkeit, indem sie durch ein¬ 
fache mikroskopische Untersuchung des Blutes die Diagnose gestatten : 
1. ob es sieh um ein Wechselfieber handelt, 2. um welche Form 
desselben es sich handelt. 

Vom klinischen Standpunkte haben jene Bildungen die größte 
Wichtigkeit, welche man während der Fieberanfälle regelmäßig 
beobachtet. Es sind dies die typischen intra-globulären nicht pig- 
mentirten Parasiten. 

Wenn man ein solches Blut in dünner Schichte mit einem 
guten Apochromatobjective mit Compensationsocular betrachtet, so 
sieht man in zahlreichen rothen Blutzellen, und gerade in solchen, 
welche durch ihre Blässe auffallen, oigenthümliehe farblose, con- 
tractile Gebilde, welche im frischen Präparate fortwährend ihre 
Gestalt verändern. Bald sieht man blos eine Sichelform, bald ein 
kugeliges Gebilde mit ein bis zwei Fortsätzen. In den späteren 
Stadien verschwindet in einer solchen Blutzelle der Blutfarbstoff 
immer mehr und mehr, statt dessen sieht man in den rothen Blut¬ 
zellen theils kerniges, theils stäbchenförmiges Pigment, die Zelle 
geht zu Grunde, das pigmentirte Plasmodium, allerdings in sehr 
verschiedenen Formen, wird frei, theilt sieh, bildet Sporen etc. Die 
Sporen dringen neuerdings in die rothen Blutzellen ein und der 
Proceß, das klinische Bild des Wechselfiebers, stellt sich von 
Neuem ein. 

Nach Celli’s und Guarnieri’s Ansicht lassen sich die Plas¬ 
modien vorläufig einer bestimmten Gruppe von Parasiten, als den 
Mycetozoen und Sporozoen nicht anreihen, so daß sie für diesen 
Parasiten den nichts präjudicirenden Namen Haematobium Malariae 
vorschlagen. Was Redners eigene Beobachtungen betrifft, si be¬ 
ziehen sie sich auf einen Fall von Febris intermittens quartana. 
Der Fieberanfall setzte am 17. Januar zeitlich Morgens ein. 
Während der Unterrichtsstunden konnte er den Hörern zahlreiche 
unpigmentirte, endoglobuläre Formen zeigen; Temperatur war zu 
dieser Zeit 40*3; später traten, wie stündlich fortgesetzte Blut¬ 
untersuchungen ergaben, auch rotlie Blutkörperchen auf, welche 
ungemein blass waren und mit theils peripher, theils radienförmig 
gestelltem schwarzen Pigment gefüllt waren. Während des Ablaufes 
des Fiebers (88* 1° C.) um I h 30“ fanden sich in den mit 
physiologischer Kochsalzlösung und Methylenblau gefärbten Prä¬ 
paraten die wiederholt beschriebenen freien, gänseblümchenartigen 
Formen. Nach Ablauf des Fiebers wurden auch zahlreiche freie, 
geißelntragende pigmentirte Plasmodien beobachtet. 

J. betont zum Schlüsse, daß die Kenntniß der endoglobulären 
Formen klinisch die größte Wichtigkeit hat. Der Nachweis dieser 
Formen hat, wie er sich durch eigene Studien in Rom überzeugte, 
schon heute eine solche Wichtigkeit erlangt, daß man mit absoluter 
Sicherheit die Diagnose Malaria zu stellen berechtigt ist, wenn 
man diese Bildungen während eines Fieberanfallee findet. —z. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 1. Februar 1890 

Die Influenza-Epidemie in Budapest. 

H. 

Prof. Koränyi (Discussion): Das Fieber, welches bei 
der Influenza nur ausnahmsweise gefehlt bat, zeigte einen sehr 
verschiedenen Ablauf, indem es bald nach 16—24stündiger Dauer 
unter Schweißausbruch gänzlich abfiel, bald auch 2—4 Tage hin¬ 
durch allabendlich auftrat, jedoch mit abnehmenden Temperatur¬ 
steigerungen. 

Seltener beobachtete er 2—3 Tage andauerndes Fieber, wo 
dann meist Milzvergrößerung nachgewiesen werden konnte. Die 
Defervescenz erfolgt fast stets mit subnormalen Temperaturen, selbst 
nach geringen Temperatursteigerungen. 

Unter den Localerscheinungen waren am häufigsten 
die catarrhalischen. Rachencatarrh war fast stets vorhanden, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Nasen catarrh war gerade nicht sehr häufig. Conjunctivae mäßig in- 
jioirt. Die Bronchitiden zeigten alle möglichen Grade. 

Auf Grund der genauen Aufzeichnungen des Stabsarztes Dr. 
Nuss an der Honved-Militärakademie (Ludoviceum) kann K. mit¬ 
theilen, daß von 141 Zöglingen daselbst binnen Kurzem 135 an 
der Influenza erkrankten, darunter kam Nasencatarrh in 105, Bron¬ 
chitis in 92, Pharyngitis in 32 und Nasenbluten in nicht weniger 
als 48 Fällen vor. Erkrankungen des Ohres beobachtete K. 3mal, 
stets mit heftigen Schmerzen, 2mal mit eitriger Otitis media. Im 
Ludoviceum wurden die Complicationen seitens des Gehörorgans 
8mal verzeichnet. 

Von Nervenerscheinungen sind außer den gewöhnlichen 
Symptomen der Abgeschlagenheit, der Glieder-, Gelenks-, Rücken-, 
Brust-, Kopfschmerzen u. b. w. Ocoipital- und Supraorbitalschmerz 
hervorzuheben, welche Vortr. in 2 Fällen während des Fiebers be¬ 
obachtet hat. In einem Falle bestand eine heftige Angina pectoris, 
welche nach 10—12 Stunden auf Antipyrin aufhörte. 

Die gastrischen Erscheinungen: Magenschmerz, Erbrechen, 
vollständige Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen mit Sodbrennen, 
Obstipation, Diarrhoe waren zuweilen sehr heftig, in einem Falle 
würde Schmerz im Oesophagus beim Schlingen beobachtet. 

Von großer Bedeutung sind selbstverständlich die Erkrankungen 
der Lunge. Catarrhalische Bronchopneumonien waren oft das erste 
Symptom der Influenza-Erkrankung; die Häufigkeit der oroupösen 
Pneumonien im Verlaufe der Influenza, sowie das örtliche und zeit¬ 
liche Zusammenfallen der Endemien von croupöser Pneumonie mit 
Influenza sprechen nach Vortr. für den Causalnexus bei den 
Erkrankungen, womit aber über die Verschiedenheit oder Nicht- 
Verschiedenheit der die beiden Erkrankungen bedingenden Mikroben 
nichts ausgesagt sein soll. Ob die Influenza miasmatisch oder con- 
tagiös ist, läßt sich nicht entscheiden; auf seiner Klinik, wo etwa 
15 Influenzakranke aufgenommen wurden, die zwischen den 
übrigen Kranken lagen, erkrankten davon weder die letzteren, 
noch das Wartepersonal und die Aerzte. Die Verbreitung erfolgt 
wahrscheinlich vorwiegend durch die Luft. Das Incubationsstadium, 
spricht, nach der Raschheit zu urtheilen, mit der die bei zusammen¬ 
lebenden Personen auftretende Epidemie sich unter denselben verbreitet, 
für eine höchstens 2tägige Dauer. 

Prof. Stiller unterscheidet bei der Influenza zwei Stadien: 
das der 2—3 Tage dauernden fieberhaften Invasion und das der 
nachfolgenden, oft viel qualvolleren Erscheinungen, welche 1—3 
Wochen dauern. Außer der catarrhalischen, der gastro¬ 
intestinalen und der neuralgischen Form unterscheidet er 
noch die adynamisohe, welche durch Herzschwäche und Hirn¬ 
anämie gekennzeichnet ist. 

Bei der catarrhalischen Form sah er oft ödematöse Pharyn¬ 
gitis, welche zuweilen auf den Kehlkopf überging, Bronchopneumonie 
schloß sich meist an Bronchitis an, doch beobachtete er manchmal 
lobuläre Pneumonie ohne Bronchitis. Er ist geneigt, manche selbst¬ 
ständig aufgetretenen atypischen Pneumonien, welche von keinen 
sonstigen Erscheinungen der Influenza begleitet waren, als durch 
letztere bedingt anzunehmen. Es gibt fieberlos verlaufende Influenza- 
fäUe. In 3 Fällen sah er im zweiten Stadium intermittirendes 
Fieber. Milzvergrößerung fand er nur selten. 

Prof. Böke beobachtete während der Epidemie zahlreiche 
Ohrenerkrankungen, oft vor dem Auftreten der catarrhalischen Er¬ 
scheinungen (Hämorrhagien, Otitis media purulenta mit Perforation 
des Trommelfells). Die Mittelohrentzündungen zeichneten sich durch 
eigenthümlichen Verlauf aus, indem sie nicht mit Schwerhörigkeit, 
sondern mit heftigen Schmerzen begannen. 

Sehr oft lief die Entzündung ohne Eiterung ab, und die 
Kranken hatten durch Wochen nur an Schwerhörigkeit zu leiden. 
Die Influenza-Otitis hätte somit eine Analogie mit der von Zadfal schon 
vor Jahren behaupteten Erregung der Mittelohrentzündung durch 
den Pneumoniecoccus. 

Dr. F. SzontAgh behauptet auf Grund der von ihm beob¬ 
achteten typischen Neuralgien, daß der Erreger der Influenza nahe 
dem der Malaria steht. 

Dr. S. Löw erhebt den Vorwurf, daß deil Aerzten die In¬ 
fluenza unbekannt war, weil sie sich mit der Geschichte der Medicin 


nicht befassen. Unter seinen 250 Kranken betraf die Hälfte 
Männer, die andere Frauen und Kinder. Unter den Complicationen 
sah er mehrere Pleuropneumonien und einen Fall von Pericarditis. 
Die große Mortalität in Folge von Pneumonie machte sich den 
Lebensversieherungs - Gesellschaften fühlbarer als eine Cholera- 
Epidemie, welche zumeist in den unteren Schichten ihre Verheerungen 
anrichtet. Die Ausfolgung des Antipyrins ohne ärztliche Anordnung 
erklärt er für unstatthaft, weil es Collaps erzeugen kann. Antipyrin, 
Antifebrin und Phenacetin erwiesen sich ihm da als gleichwertig. 
Salicylsaures Natron leistete treffliche Dienste bei Gelenksaffcctionen. 
Bei einer neuralgischen Form mußte er zum Morphium greifen. 
Schluß der Discussion in der nächsten Sitzung. n. 


Notizen. 

Wie n, 15. Februar 1890. 

(Congresse.) Der Congreß für innere Medicin, 
welcher vom 15.—18. April d. J. in Wien stattfindet, und für 
welchen, wie wir hören, bereits zahlreiche Vorträge angemeldet sind, 
wird zwei wichtige Themata discutiren: Die Behandlung der 
Brustempyeme (Ref.: ScHKDE-Hamburg und Immkbmann-B asel) 
und die Behandlung der chronischen Nephritis (Ref.: v. 
ZiEMSSEN-München und SENATOR-Berlin). — Der neunzehnte Congreß 
der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie findet während der 
Osterwoche, vom 9.—12. April d. J., in Berlin statt. Die Begrüßung 
der zum Congresse sich versammelnden Mitglieder geschieht am 
8. April, Abends von 8 Uhr ab, in den Rococo-Sälen des Central- 
Hötel. Ihr reiht sich eine Sitzung des Ausschusses zur Aufnahme 
neuer Mitglieder an. Die Nachmittagssitzungen werden am 9. April, 
Mittags von 12—4 Uhr, an den anderen Tagen von 2—4 Uhr in 
der Aula der königl. Universität, die für Demonstrationen von Prä¬ 
paraten und Krankenvorstellung bestimmten Morgensitzungen von 
10—1 Uhr im königl. Universitäts Klinikum abgehalten. In den 
Morgensitzungen vorzustellende, von auswärts kommende Kranke 
können im königl. Klinikum (Berlin, N., Ziegelstraße Nr. 5—9) 
Aufnahme finden, Präparate, Bandagen, Instrumente u s. w. ebendahin 
gesandt werden. Ankündigungen von Vorträgen und Demonstrationen 
sind so bald als möglich dem ständigen Schriftführer, Geh. Med.- 
Rath und Prof. Dr. Gurlt (W. Keithstraße Nr. 6) zugehen zu lassen und 
dabei anzugeben, ob -die Vorträge in den Vormittagssitzungen 
(Klinik), oder in den Nachmittagssitzungon (Aula) gehalten werden 
sollen. Am ersten 8itzungstage haben Referate übernommen die 
Herren: Kappeler (Mtinsterlingen): Ueber Aether- und Chloroform- 
Narcose. Bruns (Tübingen): Ueber die Behandlung von tuber- 
culösen Gelenk- und Senkungs-Abscessen mit Jodoform-Injectionen. 
— Die Baineologische Gesellschaft wird ihre diesjährige 
(2.) Versammlung unter Prof. Liebreich’s Vorsitz am 6., 7. und 
8. März in Berlin abhalten. 

(Gynäkologische Kliniken und Abtheilungen.) 
Die „Geburtshilflich-gynäkologische Gesellschaft in Wien“, welche sich 
über Antrag des Docenten Dr. Felsenrkich mit der Frage der 
Vermehrung der Wiener gynäkologischen Krankenstationen beschäf¬ 
tigte, hat den betreffenden Behörden eine wohl motivirte Denkschrift 
unterbreitet, welche in den Vorschlägen gipfelt: 1. Es mögen die 
bestehenden gynäkologischen Abtheilungen an der I. und H. geburts¬ 
hilflichen Klinik in entsprechender Weise eine Vergrößerung er¬ 
fahren ; ferner an der III. geburtshilflichen Klinik eine den obigen 
gleiche gynäkologische Abtheilung geschaffen werden. 2. Mögen 
selbstständige gynäkologische Stationen in den Krankenhäusern 
Wieden und Rudolfstiftung errichtet werden. Dieselben sollen außer 
einem, dem Bedürfnisse entsprechenden Belegraume (etwa 40—50 
Betten) noch die geeigneten Räume für Ordination und Ambulanz 
umfassen und einem Gynäkologen unterstellt werden. — Wir worden 
Veranlassung nehmen, die dem heutigen Standpunkte der Gynäko¬ 
logie vollauf Rechnung tragenden, sowohl in didactischer als auch 
in curativer Richtung durchaus empfehlenswerthen Anträge der Ge¬ 
sellschaft eingehend zu besprechen, können aber schon heute die 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Besorguiß nicht unterdrücken, daß zumal der zweite Tiieil dieser 
Vorschläge aus äußeren, zumal räumlichen Gründen der Realisirung 
kaum zugeführt werden dürfte. 

(Militär ärztliches.) Unseren wackeren Collegen des 
MiUtärstandes, den Militärärzten des Wiener Corpsbereiche3, ward 
kürzlich ein Wort der wärmsten dienstlichen Anerkennung zu Theil, 
welches, bei der notorischen Kargheit solcher Stellen mit Lob und 
Würdigung, erhöhte Bedeutung besitzt. Der jüngste Corpsbefehl 
verlautbart: „Die Militäräzte des Corpsbereiches, insbesondere jene 
der Garnison Wien, haben trotz ihrer geringen, kaum für normale 
Verhältnisse ausreichenden Anzahl den durch die in allen Stationen 
dieses Territorial-Bereiches aufgetretene Influenza-Epidemie 
außergewöhnlich gesteigerten Anforderungen an ihre Berufsthätigkeit 
mit an erkenn enswerther Pflichttreue und Hingebung Rechnung ge¬ 
tragen, zugleich die Durchführung der prophylactischen Maßnahmen 
ebenso thätig als umsichtig gefördert. In Würdigung dieser be¬ 
sonderen Leistungen sehe ich mich veranlaßt, sämmtlichen Militär¬ 
ärzten des Corpsbereicbes hiedurch die wohlverdiente Anerkennung 
öffentlich auszusprechen. Schönfeld, FZM. m. p.“ 

(Zurückweisung.) Eine hiesige Weingroßhandlung hatte 
kürzlich die Stirne, zahlreichen Aerzten für Zuweisung von Wein- 
consumentcn Provisionen zuzusichern. Der Verein der Acrzte des 
ersten Bezirkes handelte in voller Uebereinstimmung mit den Aerzten 
Wiens, indem er in seiner letzten Vollversammlung seine Entrüstung 
über diesos Anerbieten aussprach und die Veröffentlichung dieses 
Beschlusses vcranlaßte, um ähnlichen Insinuationen vorzubeugen. 

(Zahnärzte und Zahntechniker.) Der Verein der 
Zahnärzte Böhmens hat eine woblmotivirte Petition an das Abge¬ 
ordnetenhaus gerichtet, welche das Zustandekommen eingehender ge¬ 
setzlicher Bestimmungen behufs Regelung des Verhältnisses der Zahn¬ 
ärzte zu den Zahntechnikern urgirt und zunächst begehrt: 1. daß 
die fabriksmäßige Herstellung von Porzellan- und Emailzähnen als 
freies Gewerbe erklärt werde, w’omit jedoch niemals eine Herstellung 
von künstlichen Gebissen selbst verbunden sein kann , 2. daß das 

Anfertigen von künstlichen Gebissen behufs deren Anwendung im; 
Munde des Menschen, sowie die Vornahme aller Verrichtungen und 
Operationen im Munde des Menschen ausschließliche Befugniß der 
Aerzte, resp. der Specialärzte für Zahnheil- und Zahnersatzkunde 
(Zahnärzte) sei. 3. daß die sogenannten Zahntechniker lediglich 

nur als Hilfsarbeiter der Zahnärzte auf die mechanische Anfertigung 
von künstlichen Gebissen zu Händen oder auf Bestellung der Zahn¬ 
ärzte zu beschränken seien, und 4. daß jede Ueberschreitung dieser 
Bestimmungen seitens der sogenannten Zahntechniker als Curpfuscherei 
der gesetzlichen Strafe unterliege. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Unterrichtsminister 
Graf Csäky hat im Abgeordnetenhause erklärt, daß er hier nach 
dem Muster der PASTKDR’schen Anstalt ein Institut für Schutz¬ 
impfung gegen die Tollwutb errichten wolle. Der Minister hat 
hieftir bereits eine provisorische Localität an der medicinischen 
Facultät angewiesen und Prof. Andreas Högyes mit der Leitung 
des Instituts betraut, so daß in wenigen Monaten die Schutzimpfungen 
beginnen dürften. Der Minister des Innern Graf Teleki hat die 
Zusage gegeben, daß unbemittelte Kranke während der Dauer der 
Behandlung unentgeltliche Verpflegung in der Hauptstadt und die 
Begünstigung der freien Fahrt von und nach ihrem Heimatsorte 
erhalten sollen. 

(Aus Berlin) wird uns geschrieben: Dem Minister der Unter¬ 
richts- und Medicinal-Angelegenheiten ist seitens des kaiserlichen 
Reichsgesnndheitsamtes der Wunsch ausgesprochen worden, über die 
aus Anlaß des gegenwärtigen Auftretens der Influenza-Epidemie ge¬ 
sammelten Erfahrungen unterrichtet zu werden. Es kommen für 
denselben insbesondere folgende Punkte in Betracht: Die Zeit des 
ersten Auftretens iu den verschiedenen Theilen des Reiches (Gro߬ 
städte, Stadt und Land überhaupt); die Verbreitungsart, unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Hauptverkehrsstraßen (Eisenbahnen); 
die in verschiedenen Gegenden hauptsächlich beobachteten Krank¬ 
heitsformen, Heftigkeit und Dauer der Epidemie; etwaige Unter¬ 
schiede, welche in Bezug auf das Befallenwerden einzelner Berufs¬ 
und Altersclassen beobachtet worden sind; das Verschontbleiben 


gewisser Gegenden oder Orte oder bestimmter Berufsclassen unter 
Angabe etwaiger Gründe dafür, endlich die Angabe von Vorbeugungs-. 
mittein oder Heilverfahren, welche sich besonders wirksam erwiesen 
haben. Entsprechend diesem Wunsche sind die Präsidenten, der 
einzelnen Regierungsbezirke angewiesen worden, nach Ablauf der 
gegenwärtigen Epidemie die in ihrem Verwaltungsbezirk über die 
bezeichneteu Fragen gewonnenen Resultate in einem zusammenfassenden' 
Berichte einzureichen. 

(Universitäts-Nachrichten.) Der berühmte Physiologe, 
Geh. Hofr. Prof. Ludwig, feierte am 31. Januar das Jubiläum 
seiner 25jährigen Lehrthätigkeit an der Universität Leipzig. — 
Der Assistent der chirurgischen Klinik in Heidelberg, Dr. E. 
Herczbl, hat sich an dortiger Universität habilitirt. — An der 
Universität München hat sich der Assistenzarzt 1. CI., Dr. Ludwig 
Heim, als Docent für Hygiene habilitirt. 

(Auszeichnungen) Dem Professor der Geburtshilfe an 
der Hebammenlehranstalt in Klagenfurt, Dr. August Krassnig, 
wurde der Titel eines Regierungsrathes verliehen. — Der Reg.-Arzt 
Dr. Polikarp StarY erhielt den fürstl. montenegrinischen Danilo- 
Orden IV. CI., der praktische Arzt Dr. Johann Tinzl in Schlauders 
das goldene Verdienstkreuz mit der Krone. — Der Curarzt Dr. 
Schider in Gastein-Arco ist zum k. preussischen Sanitätsrath er¬ 
nannt worden. 

(Wodurch hört bei Winterschläfern der Schlaf 
auf?) Ueber diese Frage hat Dobois (Lyon) eine interessante 
Arbeit an die Acad6mie de m6decine gesandt, in welcher er, wie wir 
dem „Neurolog. Centralbl.“ entnehmen, von der Beobachtung aus¬ 
gehend, daß die Murmelthiere beim Erwachen stets uriniren, zu dem 
Schlüsse gelangt, es sei der von der gefüllten Blase ausgehende Reiz, 
welcher das Erwachen bewirke. Zur Erhärtung dieser Theorie legte 
D. zwei Murmelthieren Blasenfisteln an, um eine Füllung der Blase 
zu verhindern, und ließ die Thiere nach gut geheilter Operation 
überwintern. Dieselben sind nicht wieder erwacht. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Die nächste 
wissenschaftliche Versammlung findet am 24- Februar statt. 

(Statistik.) Vom 2.- bis incl. 8 Februar 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5017 Personen behandelt. Hievon wurden 910 
entlassen; 115 sind gestorbeu (12.63% des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 47, egyptischer Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus — 
Abdominaltyphus 5 Dysenterie —. Blattern 11, Varicellen 17, Scharlach 29, 
Masern 9 \ Keuchhusten 81, Wundrothlauf 20, Wochenbettfieber 6. — In 
der 6. Jahreswocbe sind in Wien 416 Personen gestorben (+56 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Brody der ehemalige 
langjährige Professor der descriptiven Anatomie an der Wiener 
Universität, Dr. Christian August Voigt, 81 Jahre alt; in Ober- 
Döbling bei Wien der Polizei- und Armenarzt Dr. Heinrich Wagner, 
im 75. Lebensjahre; in Graz der em. Primararzt Dr. Mathias 
Föbntratt, 63 Jahre alt; in Odessa Dr. J. Drey, 75 Jahre alt, 
durch eigene Hand. — Die Druckerei der „Wiener Med. Presse“ hat 
einen schweren Verlust erlitten. Der Leiter dieser trefflichen Officin, 
Herr Friedrich Gistel sen., ist am 10. d. M. gestorben, Auch 
wir bedauern den Hintritt dieses pflichteifrigen, rastlos thätigen 
Mannes, dessen Umsicht und Fachkenntniß wir nicht in letzter Linie 
die typographisch musterhafte Ausstattung und correcte Drucklegung 
unseres Blattes verdanken. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Hirsch A., Ueber die historische Entwicklung der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. Berlin 1889- Aug. Hirschwald. 

Geigel K., Oie Mechanik der Blutversorgung des Gehirns. Stuttgart 1890. 
Ferd. Enke. 

Bosworlh F. H., A Treatise on diseases of the nose and throat. I, Diseases 
of the nose and naso-pliarynx. With 2 colored plates and 182 wood-cuts. 
New-York 1889. W. Wood & Co. 

Hang R., Ueber die Organisationsfähigkeit der Schalenhaut des Hühnereies 
und ihre Verwendung bei Transplantationen. Mit 1 Tafel. München 1889, 
M. Rieger. 

Tappeiner H., Anleitung zu mechanisch-diagnostischen Untersuchungen am 
Krankenbette. Mit S Holzschnitten. IV., vermehrte und verbesserte Auf¬ 
lage. München 1890. M, Rieger. 


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Nr. 8. 


Sonntag den 23. Februar 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Gross-Onart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik", 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maxlmilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik" 
Inland: Jährl. 10 fl., halb]- 5 fl., viertelj, 2 fl: SO kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halb). 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maxlmillanstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--sie-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton und klinische Vorlesungen. Ueber Neuritis multiplex. Klinischer Vortrag von Prof. Kahler in Wien. — Aus der medicinischen 
Klinik des Geh. Medicinal-Rathes Prof. Dr. Mosler zu Greifswald. Beiträge zur therapeutischen Verwerthung der Kamphersäure. Von Dr. Bernhard 
Hartleib. — Die therapeutische Verwendbarkeit des Jodols in der syphilidologischen Praxis. Von Dr. Card Szadek, Specialarzt fßr Dermatologie 
und Syphilis in Kiew (Stid-Rnßland). — Mittheilnngen ans der Praxis. Ein merkwürdiger Anfall von Hysterie. Mitgetheilt von Dr. Alex. 
Schlesinger in Opponitz. — Referate and literarische Anzeigen. J. Mikulicz (Königsberg): Ueber die Diagnose und operative Behandlung der 
Perforationsperitonitis. — Penzoldt (Erlangen): Salzsaures Orexip, ein echtes Stomachicum. — Therapeutisches Lexikon für praktische Aerzte. 
Herausgegeben von Dr. Anton Buh, Redactear der „Wiener Mediz. Presse.“ Angezeigt von Prof. Dr. W. F. Loebisch in Innsbruck. — Zeitung»- 
schau. Bericht über die Fortschritte in der Pathologie und Therapie der Krankheiten des uropoetischen Systems. Ref.: Dr. H. Lohnstein, Assistent 
des poliklinischen Institutes von Prof. Zuelzer zu Berlin. — Kleine Mittheilnngen. Pitjecor gegen chronische Lnngenaffectionen, besonders der 
tnbercnlösen. — Prophylaxe der Influenza. — Die Anwendung der Tinctnra capsici annni bei der Pneumonie der Alkoholiker. — Ein neues 
Anthelminthicnm, Mussanin. — Behandlung der Syphilis mit Injectionen von Hydrargyrum oxydulatum nigrum purum. — Wirkung des mit 
Kaliumhydroxyd behandelten Terpentinöls bei catairbalischen Affectionen der Luftwege. — Ueber den Werth der Collodium-Behandlung bei 
erschlafftem Trommelfelle. — Das Vorkommen von Quecksilber in den Bandwürmern eines mit Quecksilber behandelten Syphilitikers. — Ver¬ 
handlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — 
Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ueber Neuritis multiplex. 

. Klinischer Vortrag von Profi Kahler in Wien.*) 

Die Anamnese unserer Patientin weist uns auf eine seit 
2 Monaten dauernde Erkrankung hin, denn einzelne Symptome, 
die bei ihr früher aufgetreten sein sollen, können wir nicht 
als mit der gegenwärtigen Erkrankung zusammenhängend an¬ 
nehmen. Beginn der Erscheinungen — Schmerzen an den 
unteren Extremitäten, welche als reißende geschildert werden 
— wird von der Patientin bestimmt vor 2 Monaten ange¬ 
geben. Zu diesen Schmerzen gesellen sich Parästhesien, und es 
dauert gar nicht lange, so treten motorische Lähmungen hinzu. 
Pat., welche der häuslichen Beschäftigung nachging, fühlt sich 
von dieser Zeit an arbeitsunfähig und nicht kräftig genug, 
untf sich auf den Füßen zu erhalten, wird in Folge dessen 
bettlägerig und ist gezwungen, das Spital aufzusuchen. 

In den letzten Tagen des Aufenthaltes der Pat. im 
Spitale bemerkt man bei ihr das Auftreten einer auffallenden 
Gedächtnißschwäche. Patientin pelbst ist nicht in der Lage, 
uns anamnestische Angaben zu machen, und wir mußten uns 
in dieser Richtung auf die Angaben ihres Mannes verlassen, 
dem wir die Anamnese verdanken. 

Wir haben hier also ein ganz ähnliches Bild, wie bei 
den spinalen Erkrankungen: progressiv sich einstellende 
Schwäche der unteren Extremitäten mit Parästhesien und 
reißenden Schmerzen, doch haben wir den einen Umstand 
in Betracht zu ziehen, der diesen Fall vor anderen Spinal¬ 
erkrankungen, die Sie bis nun kennen gelernt, besonders aus¬ 
zeichnet, nämlich, daß hier psychische Störungen, Gedächtni߬ 
schwäche und Schwäche der Intelligenz, das Krankheitsbild 
compliciren. Ein Umstand ist uns hier noch allerdings auf¬ 
fällig, nämlich die verhältnißmäßig rasche Entwicklung der 


*) Vom Vortragenden revidirtes Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


Erscheinungen im Laufe von 2 Monaten, wie unsere Pat in 
der Anamnese angegeben, ein Zeitraum, der unsere Annahme, 
daß wir. es hier mit einer spinalen Erkrankung zu thun haben, 
vielleicht allein schon zu widerlegen geeignet wäre. 

Bevor wir an die Untersuchung der Pat. gehen, 
möchte ich noch bemerken, daß sie sich erst seit acht 
Tagen bei uns befindet, und daß in dieser kurzen Zeit eine 
ganz entschiedene Verschlimmerung der Erkrankung zu consta- 
tiren ist, insofern als wir eine Zunahme aller in der Anamnese 
verzeichneten Krankheitserscheinungen beobachten konnten. 

Lassen Sie uns jetzt an die Aufnahme des Status prae¬ 
sens gehen. Daß wir es hier mit einer kleinen undziemlich schwäch¬ 
lichen Person zu thun haben, an der uns eine ziemlich allge¬ 
meine Blässe der Haut und der sichtbaren Schleimhäute ent¬ 
gegentritt, wird Jeder von Ihnen auf den ersten Blick sehen. 
Am Schädel, den wir wegen der psychischen Störungen zu 
untersuchen Veranlassung haben, ist nichts Abnormes, auch das 
Gesicht bietet in mimischer Beziehung keinerlei Anomalien; 
im ganzen Bereiche des Kopfes ist keinerlei Asymmetrie nachzu¬ 
weisen. Wenn wir Pat. auffordem, ihre Zähne zu zeigen, so 
tritt uns auch eine vollständige symmetrische Innervation 
beider Gesichtshälften entgegen. An den Pupillen finden wir 
keinerlei Anomalien, wir constatiren das Verhalten des Licht¬ 
reflexes in normaler Weise. Die Pupillen reagiren beide regel¬ 
mäßig, direct und consensuell auf Lichteinfall, wie auf Accom- 
modation. 

Die Zunge wird geradeherausgestreckt, zeigt keinerlei Ab¬ 
weichung von der geraden Richtung, ebensowenig ist ein Zittern 
an derselben zu bemerken. Die Bewegungen der Bulbi zeigen 
insoferne eine Anomalie, als bei Lateralblick l inks ein leichter 
Intentionsnystagmus eintritt; bei Bewegungen in allen anderen 
Richtungen fehlt jedoch dieser Nystagmus vollständig. 

Wir wollen nun daran gehen, die psychischen Fähig¬ 
keiten der Pat., namentlich die Gedächtnißfunction, zu prüfen. 

— Wie lange sind Sie im Krankenhause? 

= Seit gestern. 

— Erinnern Sie sich nicht, daß Sie Ihren Mann schon 
lange nicht gesehen? 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 8. 


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= 0 nein. 

— Heben Sie mich gestern gesehen ? 

= Nein. 

— Wer hat Sie hieher gebracht? 

= Ich selbst, ich bin hereingegangen. (Nicht richtig.) 

In diesen wenigen Worten macht sich sofort die in der 
Anamnese angegebene und von mir betonte Gedächtnißschwache 
geltend. Pat., welche bereits acht Tage sich hier im Kranken¬ 
hause befindet, welche täglich mit mir verkehrte, welche 
ich täglich untersucht habe, erklärt, daß sic erst seit gestern 
hier wäre, und daß sie mich noch niemals gesehen. Sie haben 
ferner gehört, wie Pat. unrichtigerweise angibt, ihren Mann, 
seitdem sie sich hier befindet, nicht gesehen zu haben, während 
er ihr, wie ich mich erkundigt, täglich Besuch abstattet, und 
daß sie feiner selbst in’s Spital gekommen. 

Ob eine vollständige Gedächtnißsch wache existirt, ob alle 
Ereignisse ihres bisherigen Lebens ihrem Gedächtnisse ent¬ 
schwunden, davon wollen wir uns überzeugen. 

— Wie lange sind Sie krank? 

= Kann nicht sagen. 

— Haben Sie Kinder? 

= Einen Buben, der 11 Jahre alt ist. (Richtig.) 

— Wie lange sind Sie verheiratet? 

= 13 Jahre. (Richtig.) 

Es fällt Ihnen nun die Differenz im Erinnerungsver¬ 
mögen auf, und das ist auch die Ursache, warum ich sie weiter 
fragte. Sie sehen, die Gedächtnißschwäehe der Pat. bezieht 
sich blos auf Dinge, die in den letzten Wochen sich abspielten; 
was aber ihr früheres Leben betrifft, erinnert sie sich an alle 
Verhältnisse sehr genau, sie erinnert sich, daß sie Mutter sei, 
daß sie ein Kind habe u. s. w. Kurz, diese Thatsachen sind 
ihr ganz geläufig; was aber in den letzten Tagen mit ihr ge¬ 
schehen, das hat keine Haftung in ihrer Hirnrinde gefunden, 
das ist sofort aus dem Gedächtniß ausgelöscht. 

Wir haben es also mit einer Gedächtnißschwäehe zu 
tlmn, die sich blos auf die letzten acht Tage erstreckt. Ps}'- 
chisclie Anomalien im Sinne von psychischen Alterationen, 
von allgemeiner Abnahme des Gedächtnisses sind nicht Vor¬ 
hand« n. 

Die weitere Untersuchung ergibt eine vollständig freie 
Beweglichkeit des Kopfes nach allen Richtungen; es besteht 
keine Lähmung der Halsmusculatur, keine Lähmung der 
Rückenmuskeln. Pat. ist in der Lage, vollständig frei zu 
sitzen. Es besteht keine Spur von Nackencontractur. Sich 
ganz allein aufzusetzen vermag sie allerdings nicht, sie braucht 
die Stütze der Extremitäten, und diese Schwäche der Rücken¬ 
muskeln tritt auch hervor, wenn sie sich niederlegen soll. 
Sie sehen, wie sie mit ziemlicher Gewalt in die liegende Lage 
wieder zurückfallt. 

Die Percussion ergibt normales Verhalten des Herzens 
und der Lunge. Bei der Auscultation fällt uns sofort eine 
außerordentlich beschleunigte Herzaction auf, wir constatiren 
eine Pulsfrequenz, welche 120 überschreiten dürfte; ich habe 
eben 120 Pulse gezählt, bei einer Person, welche durchaus nicht 
fiebert, welche Temperaturen von 36*5° und 36° aufweist und 
welche auch früher keinerlei Fiebertemperaturen zeigte, somit 
eine auffallend hohe Pulsfrequenz. Dieses Symptom der Beschleu¬ 
nigung der Herzaction auf 126 Schläge wird Ihnen noch bedeu¬ 
tungsvoller erscheinen, wenn ich Ihnen erzähle, daß wir stets, 
seitdem wir sie beobachten, sehr hohe Pulszahlen gefunden 


haben. Wir zählten am 

21. Morgens 120 

Pulse. 

Abends 

132 

• 22. „ 

124 

r) 

» 

132 

23. „ 

112 

V 

n 

120 

24. 

120 

n 

n 

132 

25. „ 

124 

n 

n 

132 

26. 

130 

w 

w 

138 . 

27. 

136 

r 

T, 

128 

2«. „ 

126 

n 

n 

— 


Wir sehen eine dauernde habituelle Pulsbeschleur.igung, 
die um so bemerkenswerther ist, als, wie erwähnt, kein Fieber 
bis nun beobachtet und keine Herzanomalie gefunden wurde. 

Gehen wir nun an die Untersuchung 1 der Extremitäten. 
Sie haben schon gesehen, daß bei unserer Pat., während wir 
Lageveränderungen Vornahmen und sie bestrebt war, sich 
dabei auf ihre Hände zu stützen, eine gewisse Schwäche, 
eine gewisse Ungeschicklichkeit, eine mangelhafte Innervations¬ 
fähigkeit der oberen Extremitäten sich bemerkbar machte. 
Diese Thatsache der motorischen Schwäche der oberen Extre¬ 
mitäten wollen wir nun durch weitere Prüfung der Functions¬ 
fähigkeit der Arme genauer bestimmen: Die Function des 
Deltoideus, die Function der Schultergürtelmuskeln sind bei 
unserer Pat., wie Sie sehen, vollständig normal; Biceps- 
function beiderseits sehr gut. Wir haben die intacte Function 
der Beuger am Vorderarm constatirt. Wenn wir nun die Streck 
muskeln auf ihre Leistungsfähigkeit vornehmen, so fallt uns 
sofort, wenn wir die Pat. auffordern, die Hände zu heben, 
ein Heruntersinken des Carpus und der Finger auf. Wir be¬ 
merken ferner, daß bei der Aufforderung, die Hände zu strecken, 
die Beugung gewisser Finger noch zunimmt, daß nament 
lieh das Verhalten des zweiten und fünften Fingers von dem 
der übrigen Finger nach dieser Richtung hin variirt. Während 
die letzteren bei aller Anstrengung der Pat., dieselben zu 
strecken, ganz unbeweglich bleiben, ist in den erstgenannten 
2 Fingern, im zweiten und im fünften Finger, noch eine Spur 
von Streckfähigkeit erhalten. Es kommt dies daher, daß die 
Extensores proprii indicis und digiti quinti (Sie wissen 
ja, daß der zweite und fünfte Finger neben dem gemeinschaft- • 
liehen Strecker eigene Extensoren besitzen) noch erhalten sind, 
während die übrigen Streckmuskeln bei unserer Pat. vollstän¬ 
dig gelähmt erscheinen. Ebenso müssen wir die geringe Be¬ 
weglichkeit des Carpus im Sinne einer Streckung darauf 
zurückführen, daß noch Spuren der Function des Extensor 
carpi radialis und ulnaris erhalten sind. 

Wir constatiren bei der weiteren Untersuchung, daß die 
Function des Musculus abductor pollicis longus erhalten ist, 
daß fernerhin die Function des Musculus extensor pollicis 
longus vollständig defect erscheint, indem der Streckversuch 
des Daumens erfolglos bleibt. Die Sehne des Extensor pollicis 
longus bleibt bei dem Streckversuche schlaff. 

Prüfen wir nun die Function der Binnenmuskeln der 
Hand. Sie sehen die Interossei, die Lumbricales vollständig 
frei, die Muskeln des Thenar und Antithenar vollständig frei. 
Der Druck der Hand erscheint ganz schwach, doch warne ich 
Sie, den schwachen Händedruck ohne weiteres für die Beur- 
theilung der Functionsfähigkeit der Flexoren der Hand zu 
verwerthen, weil Sie doch aus der Physiologie wissen, daß 
für die Prüfung dieser Function nothwendig die Iufactheit 
der Extensoren, welche die Wirkung der Beuger reguliren und 
nach Umständen unterstützen, vorhanden sein muß. Die 
W’irkung der Flexores digitorum communes sublimis und 
profundus, der Flexores carpi radialis und ulnaris, der 
Beuger der Hand, sind vollständig intact. 

Wenn wir nun resumiren, was wir bei der Prüfung der 
Muskeln der oberen Extremität gefunden, so werden Sie mir 
zugeben, daß eine Analogie der Erscheinungen mit dem 
Symptomencomplexe, wie wir ihn bei der Bleilähmung beob¬ 
achteten, besteht. 

Dort eine Lähmung der Extensoren der Finger, nament¬ 
lich des Extensor digitor. commun., der zuerst befallen wird, hier 
neben der Intactheit der übrigen Muskeln der Hand die exqui¬ 
siteste Lähmung der Muskeln im Radialisgebiete mit vorwie¬ 
gendem Befallensein des Extensor communis. Bei dieser Ge¬ 
legenheit will ich erwähnen, daß die genaueste Nachforschung 
keine Spur der Möglichkeit einer chronischen Bleivergiftung 
ergeben hat. 

Das Zahnfleisch zeigt keine Andeutung von bläulich-grauem 
Saume, der ja für die Bleivergiftung sehr charakteristisch ist, 
auch weiß Pat. von heftigen Koliken in letzter Zeit nicht 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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zu berichten, und auch die Anamnese hat nach dieser Richtung 
hin ganz negative Resultate ergeben. 

Die Untersuchung der linken oberen Extremität ergibt 
uns das ganz symmetrische Bestehen der Erscheinungen, wie 
an der rechten: Lähmung der Streckmuskeln mit Freibleiben 
der Extensores proprii, Intactheit der Beuger und der Binnen¬ 
muskeln der Hand. 

Die Untersuchung der Sehnenreflexe ergibt sowohl beim 
Beklopfen der Tricepssehne. als des unteren Endes des Radius 
und der Ulna nahezu normale, etwas abgeschwächte Reflexe. 

Die Untersuchung der Sensibilitätsstörungen der oberen 
Extremitäten wird eine etwas schwierige Aufgabe sein, weil 
die mangelhafte Intelligenz der Pat. eine genaue ^Aufnahme 
nicht ermöglicht. Leichter Stich der Vola manus wird 
empfunden und, wie Sie gesehen, hat Pat. auf diesen leichte» 
Stich heftig reagirt, der Effect war stärker als die Ursache; 
dieselbe Hyperalgesie ist am ganzen Arme der einen und der 
anderen Seite zu constatiren. 

Die Prüfung auf Temperaturempfindung ergibt Störungen 
derselben; eine warme Eprouvette wird als kalt angegeben, 
doch muß ich auch betonen, daß eine genaue Aufnahme der 
Empfindungen bei unserer Pat. durch die Störungen der 
Psyche, durch die Intelligenzschwäche wesentlich erschwert wird. 

Gehen wir nun an die Untersuchung der unteren Extre¬ 
mitäten. 

Was sehen wir an den unteren Extremitäten, wenn 
Patientin sich in der Rückenlage befindet? Wir sehen, daß 
beide Füße in der typischen Yaro equinus-Stellung (Plantar¬ 
flexion im Fußgelenke) sich befinden, und daß dabei der innere 
Fußrand der beiden Füße gehoben erscheint, ein Zeichen der 
hochgradigen Schwäche der Musculatur am Unterschenkel, 
namentlich der von den Peronei innervirten Muskeln. 

Die Prüfung der Leistungsfähigkeit der Muskeln der 
unteren Extremität ergibt Folgendes: Hebung im Hüftgelenke 
ist möglich -— links etwas besser als rechts —, allein die Art, 
wie Patientin diese Bewegung ausführt, ist eine solche, daß 
wir daraus direct die hochgradige Schwäche der Muskeln, 
welche das Hüftgelenk bewegen, erkennen können. 

Ebenso sind -die Muskeln, welche das Knie bewegen, 
nicht gelähmt, nur geschwächt. Was uns aber bei den Be¬ 
wegungen, welche wir die Patientin vornehmen ließen, auffällt, 
ist ein gewisses Schwanken und das Excessive der Bewegungen 
— es ist entschieden ein atactisches Schwanken neben der 
Schwäche der Musculatur nachzuweisen. 

Bewegungen des Fußes fehlen vollständig, ebenso fehlen 
die Bewegungen der Zehen bis auf leichte Flexionen — es 
besteht somit ein hochgradiger Lähmungszustand an den 
Muskeln des Unterschenkels und an den Binnenmuskeln des 
Fußes. Links können wir zwar einzelne Bewegungen der 
Muskeln hinter der Tibia nachweisen, ausgebreitete Bewegungen 
des Fußes fehlen aber vollständig, es fehlt die Möglichkeit der 
Bewegung des Fußes nach aufwärts, der Dorsalflexion und 
der Abduetion. 

Wenn wir nun die Muskeln auf ihr Volum prüfen, so be¬ 
merken wir, daß dieselben allerdings abgenommen haben, daß aber 
eine ausgesprochene Atrophie an denselben nicht besteht, was 
auf die kurze I lauer — Sic erinnern sich ja, daß die Krankheit 
angeblich nicht länger als 2 Monate dauern soll — der Er¬ 
krankung wohl zurückzuführen sein wird. Auch bemerken 
wir, daß Patientin auf leichten Druck der Musculatur sehr 
schmerzhafte Aeußerungen macht. 

Dieselben Erscheinungen constatiren wir auf der linken 
Seite — also außerordentliche Druckempfindlichkeit der von 
der Lähmung befallenen Muskeln. 

Zur vollständigen Untersuchung wollen wir nun das 
Vorhandensein des Kniephänomens prüfen. Dasselbe fehlt, wie 
Sie sehen, vollständig, auch das Achillessehnenphänomen fehlt 
vollständig, rechts sowohl als links. 


Wir wollen nun daran gehen, die Sensibilitätsprüfung 
der unteren Extremitäten vorzunehmen. Es ist dieser Umstand 
aus dem Grunde von Wichtigkeit, weil Patientin un3 ange¬ 
geben, daß Sensibilitätsstörungen der unteren Extremitäten, 
subjectiver und objeetiver Natur, zu den ersten Erscheinungen 
gehörten, welche sie beobachten konnte. 

Die Prüfung der unteren Extremitäten nach dieser Rich¬ 
tung hin ergibt kein sicheres Resultat; nur wenn man 
sich viel Muße gibt, ist man in der Lage, zu constatiren, daß 
an den unteren Extremitäten, gerade so wie an den oberen, 
feinere Tastempfindungen fehlen. 

Ich habe einen Stich, und zwar einen ziemlich kräftigen 
Stich in der Fußsohle angebracht und Sie haben gesehen, wie 
Patientin ganz ruhig dabei blieb und erst nach einiger Zeit, 
vielleicht nach 4 Sccunden, einen plötzlichen Schmerzensruf, 
eine willkürliche Abwehrbewegung gemacht hat. Ganz das¬ 
selbe sehen Sie an der linken Seite. 

Was wir nun hier nachweisen konnten, ist eine aus¬ 
gesprochene Verspätung der Schmerzempfindung, ein langsames 
Fortleiten der Nervenerregung, das sich uns in sehr typischer 
Weise präsentirte und in gleicher Weise sich uns darstellte, 
wie sonst bei Tabes, 

Wir sehen ferner, daß dieses Phänomen auch an anderen 
Stellen sich nachweisen läßt, an weiteren Stellen hingegen 
sehen wir cTen Stich ohne jedwede Reaction bleiben — wir 
haben es hier mit partieller Anästhesie zu thun. 

Die Rumpfmuskeln lassen sich gleichfalls als geschwächt 
nachweisen. Die willkürlichen Athmungsmuskeln functioniren 
normal. (Fortsetzung folgt.) 

f“';* 

Aus der medicinisch&n Klinik des Geh. Medicinal- 
Itathes Prof. Pr. Mosler zu Greifswald. 

Beiträge zur therapeutischen Verwerthuug 
der Kamphersäure. 

Von Dr. Bernhard Hartleib. 

In der Literatur finden sich nur wenige Versuche ver¬ 
zeichnet, die Kamphersäure in die medioinsche Praxis einzu- 
führen. Fürbringer, der ihrer als Therapeuticum zuerst 
Erwähnung thut, wandte sie, indem er von ihr gemäß ihrer 
Zugehörigkeit zu den aromatischen Säuren eine desinficirende 
Eigenschaft voraussetzte, bei Abdominaltyphus und bei 
Enteritis an, konnte aber trotz hoher Dosen einen Einfluß der 
Säure auf den Krankheitsproceß nicht constatiren. 

Ferner behandelte er eine Reihe von Patienten, die an 
Cystitis, besonders mit ammoniakalischer Gährung des Harns 
combinirt, erkrankt waren, mit der Säure und fand hier das 
Ergebniß, daß die Zersetzung des Urins sistirte, während der 
Eiterungsproceß ungestört fortbestand. Eine unerwartete 
Beobachtung machte er bei Versuchen, die er mit dem Mittel 
bei Tubereulösen anstellte. Er sah nämlich bei einer Ordi¬ 
nation von 1 Grm. 3—4mal täglich oder von 2—3 Grm. als 
Abenddose bei der Mehrzahl der Patienten die Nachtschweiße 
schwinden. 

Ganz unabhängig und ohne Kenntniß von Fürbringer’s 
Versuchen beschäftigte sich Reichert damit, die Wirkung der 
Kamphersäure bei acuten und chronischen Krankheiten der 
Schleimhaut des Respirationstraetus und hei einzelnen Affec- 
tionen der äußeren Haut kennen zu lernen. Da sich die 
Kamphersäure in Wasser von Zimmertemperatur höchstens zu 
0 9°/o löst, so bediente sich Reichert zur Herstellung mehr- 
procentiger Lösungen des Zusatzes von Alkohol, und zwar 
setzte er für je 1 % Kamphersäure 11 °/ 0 Spirit, vin. rectif. 
zu. Die 1 , 2 — 2°/o Lösungen benutzte er besonders bei den 
acuten Schleimhautcatarrhen und konnte hiebei einen durchaus 
günstigen Erfolg, eine wesentliche Beschränkung^ sowohl der 
Zeitdauer als auch der Intensität der Erkrankung constatiren. 
Von den 3—G°/ 0 Lösungen machte er bei den chronischen 

1 * 


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Catarrhen Gebrauch und fand auch hiebei vielfach eine gün¬ 
stige Wirkung des Medicamentes. 

Durch diese Heilerfolge angeregt, stellte Niesel im Auf¬ 
träge des Herrn Geheimratbs Prof. Dr. Moslkr in dem kgl. 
Universitäts-Krankenhause zu Greifswald eine Reihe von Ver¬ 
suchen mit der Kamphersäure an, die größtentheils mitzu¬ 
verfolgen mir durch die Güte des Herrn Geheimraths vergönnt 
war. Hiebei benutzte Niesel theils die nach Reichert’s Vor¬ 
schrift angefertigten Lösungen, theils versuchte er Lösungen zu 
verwerthen, die er durch Verdünnung mit Wasser aus einer 
reinen Kamphersäure-Glycerinlösung herstellte. Außer diesen 
Lösungsarten benutzte er noch eine dritte, nämlich die mittelst 
Zusatzes von Alkalien (etwa 3 Grm. Natrium bicarbonicum $uf 
4 Grm. Kamphersäure) hergestellte. Im Verlaufe der Versuche 
stellte sich aber heraus, daß in den Kamphersäure-Glycerin- 
lösungen und in den stärkeren alkalischen Lösungen nach 
mehreren Wochen eine reichliche Schimmelbildung eingetreten 
war, weshalb diese Lösungen nur frisch bereitet zur Medi- 
cation dienen können. 

Wir wandten die Kamphersäure an 

I. bei acuten und chronischen Catarrhen der Schleimhaut 
des Respirationstractus, 

II. bei acuten und chronischen Cystitiden und 

III. bei den Nachtschweißen der Phthisiker. 

I. 

Bei Angina und Pharyngitis catarrhalis bedienten 
wir uns als Gurgelwasser zuerst einer 1 / a —1 %, nach Reicheht’s 
Vorschrift angefertigten Lösung, später einer ebenso starken 
Glycerinlösung. Bei dieser Medication sahen wir, daß sich 
die Krankheitserscheinungen zurückbildeten; die Patienten 
waren mit dem Mittel ganz zufrieden. Doch lang fortgesetzte 
Versuche zeigten uns, daß die Kamphersäurelösungen in Hin¬ 
sicht ihres Heileffectes den sonst bei diesen Krankheiten ge¬ 
bräuchlichen Medicamenten zwar ebenbürtig an die Seite, aber 
nicht über sie gestellt zu werden verdienen. 

Ein gleiches Ergebniß fanden wir in 14 Fällen von 
Laryngitis, wo wir dieselben Lösungen als Pinselwasser und 
Spray applicirten. 

Die 18 an chronischer Bronchitis und Lungentuber- 
c u 1 o s e erkrankten Patienten, denen wir Kamphersäure-Lösungen 
zum Inhaliren verabreichten, zeigten, was die objectiven Symp¬ 
tome ihrer Krankheit anging, bei dieser Therapie durchaus keine 
wesentliche Besserung, während die subjectiven Symptome 
sich bedeutend günstiger gestalteten. Sämmtliche Patienten 
erklärten, daß sie nach den Inhalationen ein Gefühl der Er¬ 
leichterung auf der Brust hätten, daß ihnen das Athmen 
leichter vorkomme. Im Beginne dieser Versuche ließen wir 
1—4%, nach Reichert’s Vorschrift hergestellte Lösungen in¬ 
haliren, später verabreichten wir nur kurze Zeit lang schwächere, 
durch Glycerinzusatz angefertigte Lösungen und in der letzten 
Zeit fast durchweg 1 —2°/ 0 alkalische Lösungen. Einen Unter¬ 
schied in der Wirkung der verschiedenen Lösungen haben wir 
nicht bemerkt. 

n. 

Günstige Resultate erzielten wir mit der Kamphersäure- 
therapie bei 10 an Cystitis erkrankten Patienten. Von fünf 
chronisch verlaufenden Fällen gelangten 3 innerhalb 3 bis 
6 Wochen zur vollständigen Heilung. Der vierte Patient 
mußte leider äußerer Umstände halber das Krankenhaus ver¬ 
lassen, ehe vollständige Heilung eingetreten war; doch war 
hier nach einer fünfwöchentlichen Behandlung die Krankheit 
stark im Rückgänge begriffen. In dem fünften Falle, wo die 
Cystitis bei einem 68jährigen Manne bereits 4 Jahre bestand, 
sahen wir nach mehrwöchentlicher Behandlung das Leiden 
sich bedeutend mildern, es trat aber nach lOtägigem Aussetzen 
der Kampheraäure-Therapie wieder in der früheren Heftigkeit 
auf, und der Patient verließ das Krankenhaus in nur wenig 
gebessertem Zustande. 


Von den 5 acuten Cystitiden genasen 4 in der Anstalt; 
eine Patientin wurde nach 4wöchentlichem Aufenthalte auf 
ihren Wunsch entlassen, obgleich noch minimale Spuren von 
Eiter im Urin nachzuweisen waren. 

Die Erfahrung zeigte uns, daß es am besten ist, 
Blasenausspülungen mit einer 1 / a °/ 0 Kamphersäure-Lösung 2mal 
täglich vorzunehmen, um dann eventuell auf eine l 0, o Lösung 
nach einiger Zeit überzugehen. Entschieden müssen wir aber 
davon abrathen, eine stärkere Lösung zu benutzen, da hiedurch 
die Reizerscheinungen von Seiten der Blase und Urethra zu 
groß würden. 

Wir stellten die Ausspülungsflüssigkeit uns in der 
Weise her, daß wir von einer 20°/ 0 rein alkoholischen Kampher¬ 
säure-Lösung 10 Ccm. zu 400 Ccm. lauwarmen Wassers setzten. 
Hievon injieirten wir 2 Spritzen nach einander, von denen 
wir jede wieder auslaufen ließen. Die dritte Spritze mußte 
ungefähr eine Viertelstunde in der Blase verbleiben. 

Combinirt mit diesen Ausspülungen können wir auch die 
interne Verabreichung von Kamphersäure bei Cystitiden mit 
gleichzeitig bestehender Pyelitis empfehlen. Bei acuter Cystitis, 
wo Blasenausspülungen zu stark reizen würden, wäre die 
interne Verwendung allein angezeigt. Hiebei genügt eine 
Ordination von 0‘5 Grm. Kamphersäure 3mal täglich. Höhere 
Dosen haben wir nicht für nöthig befunden. 

Ueberblicken wir die bei dieser Therapie gewonnenen 
Resultate, so müssen wir im Gegensatz zu Fürbkinger, der 
bei seinen Versuchen nur die Zersetzlichkeit des Harns 
schwinden, die Blennorrhoe aber bestehen bleiben sah, der 
Kamphersäure entzündungswidrige Eigenschaften zusprechen. 
Freilich könnte man hier mit vollem Rechte einwenden, daß, 
da wir durch Alkoholzusatz angefertigte Kamphersäure- 
Lösungen verwandt haben, dem Alkohol wegen seiner fäulniß- 
widrigen Kraft die Hauptwirkung bei unseren Heilresultaten 
zukomme. Diesem Einwande können wir zur Zeit aus Mangel 
an Controlversuchen noch nicht vollkommen begegnen. Einmal 
versuchten wir bei einem Patienten mit chronischer' Cystitis 
statt der l°/ 0 alkoholischen eine gleich starke Glycerinlösung 
in Anwendung zu bringen, mußten es aber bei diesem einen 
Versuche bewenden lassen, da der Patient nach der Injec- 
tion lebhafte Schmerzensäußerungen laut werden ließ. Ferner 
konnten wir in einem Falle von Cystitis gonorrhoica, wo wir 
das Medicament nur intern verabreichten, eine fast vollständige 
Heilung constatiren, was dafür sprechen würde, daß der 
Kamphersäure die Haupt Wirkung bei unseren Heilresultaten 
zuzuschreiben sei. 

Daß die Alkoholwirkung weniger in Betracht kommt, 
zeigt uns auch der Umstand, daß in den 410 Ccm. Ausspülungs¬ 
flüssigkeit nur 10 Ccm. Spirit, vin. rectif. enthalten waren. 
Wenn wir demnach der Kamphersäure eine entzündungswidrige 
Wirkung bei catarrhaliscben Zuständen der Blase zuerkennen 
müssen, so läßt sich ein diese Wirkung unterstützender Effect 
des Alkohols wohl nicht leugnen. 

HL 

Die Versuche, welche wir mit der Kamphersäure bei den 
Nachtschweißen der Phthisiker machten, haben ein 
die Fürbring Aschen Angaben durchaus bestätigendes Resultat 
ergeben. Wir constatirten jedoch, daß in den meisten Fällen 
eine so hohe Abenddose von 2—3 Grm., wie Fürbrinheu sie em¬ 
pfiehlt, nicht nöthig ist. Wir verabreichten meist Abends 
1 Grm. und stiegen nur bei hartnäckigen Schweißen auf 2 Grm. 
So brachten wir bei einem Patienten, der während der Nacht 
oft derart schwitzte, daß sein Hemd morgens ganz durch¬ 
näßt war, die Schweiße durch 1 Grm. Kamphersäure einige Zeit 
zum Schwinden; traten dieselbe aber trotz dieser Medication 
auf, so waren sie so gering, daß sie dem Patienten wenigstens 
keinen Grund zum Klagen gaben. Von den übrigen 13 Patienten 
reagirten 12 in ähnlicher Weise auf eine Dosis von 1 Grm., 
während bei dem 13. Patienten, der auf der chirurgischen 


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Abtheil ang lag und neben einer tuberculosen Lungenaffec 
tion auch eine Knochentuberculose hatte, ein nennens¬ 
werter Erfolg nicht nachzuweisen war; eine höhere Dosis 
wurde hier nicht in Anwendung gebracht. Zur Controle ent¬ 
zogen wir hin und wieder den Patienten das Medicament und 
konnten nun fast regelmäßig constatiren, daß in den folgenden 
Nächten die Schweiße wieder in alter Stärke auftraten. 

Bezüglich der Frage nach den Nebenwirkungen und 
Contraindicationen der Kamphersäure können wir nach unseren 
Versuchen sagen, daß das Mittel ein relativ- unschädliches 
Medicament ist, und daß es in den angegebenen, lange Zeit 
fortgesetzten Dosen weder nennenswerthe Reizerscheinungen 
von Seiten des Magens und des Darmes, noch andere contra- 
indicirende Symptome hervorruft. Nur in einem Falle von 
Cystitis waren wir genötigt, die interne Verabreichung von 
3mal täglich l - 0 Kamphersäure auszusetzen, weil der Patient 
heftige Schmerzen in der Nierengegend bekam, die nach Aus¬ 
setzen des Medicamentes bald schwanden. Außerdem stellten 
sich bei 2 Patienten in Folge der Ausspülungen leichte 
Schwellungen der Glans ein, die bald zuriiektraten, nachdem 
das Mittel einige Tage ausgesetzt, bezw. Bleiwasseruraschläge 
in Anwendung gezogen waren. 

Bei den Phthisikern wurde das Medicament durchweg 
in einer Dosis von l Grm. vorzüglich vertragen. In einem 
Falle, wo 2 Grm. verabreicht wurden, trat Erbrechen auf, das 
bei einer Ordination von 1 Grm. ausblieb. In anderen Fällen 
wurden auch 2 Gr. gut vertragen. 

Dem Herrn Geheimrath Mosler statte ich für die freund¬ 
liche Unterstützung bei Anstellung der Versuche meinen 
tiefgefühlten Dank ab. Gern gedenke ich auch hier der viel¬ 
fachen Hilfe, die mir Herr Assistenzarzt Dr. Niesel zu Theil 
werden ließ. 

Literatur. Fürbrinqer, Zur Würdigung der Naphthalin- und Calomel- 
therapie des Unterleibstyphus und die Aboitivbehandlung dieser Kiankheit 
überhaupt. „Deutsche med. Wochenschrift“, 1887, Nr. 11-13. — Fürbrixoer, 
Verhandlungen der Berliner medic. Gesellschaft, Sitzung am 13. Juni 1838. — 
Niesel , lüeber Anwendung der Kamphorsfture bei Catarrben verschiedener 
Schleimhäute. „Deutsche med. Wochenschrift“, 1888, Ni*. 40. — Rkichkrt 
Ueber die locale Anwendung der Kamphersäure. „Deutsche med. Wochen¬ 
schrift“, 1888, Nr. 3i und 37. 


Die therapeutische Verwendbarkeit des Jodols 
in der syphilidologischen Praxis. 

Von Dr. Carl Szadok, Specialarzt für Dermatologie und 
Syphilis in Kiew (Süd-Rußland). 

Von den zahlreichen neueren Mitteln, welche in der letzten 
Zeit für die topische Behandlung der venerischen und syphiliti¬ 
schen Geschwüre empfohlen wurden, und von denen nur wenige 
den praktischen Anforderungen genügten, macht das Jodoform 
eine rühmenswerthe Ausnahme, da es als wirksamstes und 
energischestes Mittel befunden worden ist, welches eine unbedingt 
specifische Wirkung auf die Geschwüre ausübt und dieselben 
in kurzer Zeit zur Heilung bringt. Die zahlreichen Mit¬ 
theilungen verschiedener Autoren aus allen Welttheilen seit 
1868 bis zu unserer Zeit weisen alle auf die günstige Wirk¬ 
samkeit des Jodoforms bei venerischen Geschwüren hin. 

Im Laufe der letzten Zeit ist aber eine Anzahl von An¬ 
griffen gegen die Berechtigung des Jodoforms bei der Behand¬ 
lung der Wunden und Geschwüre laut geworden; Heyn und 
Rovsing, Tilanüs, Baümgarten und viele andere Autoren 
suchten nämlich auf Grund von experimentellen Versuchen 
dem Jodoform antiseptische und antibacterielle, resp. speci¬ 
fische Eigenschaften gänzlich abzusprechen. Ohne hier eine 
Uebersieht dieser Einwürfe und gegentheiligen Ansichten 
derjenigen Autoren, welche die antiseptischen und specifischen 
Eigenschaften des Jodoforms vertheidigten, zu geben, wird 
es genügen, zn betonen, daß die specifische Wirkung des 
Jodoforms bei verschiedenen venerischen Leiden von sämmt- 
lichen Fachmännern nach langjährigen Erfahrungen voll¬ 
kommen anerkannt wurde, und daß dieses Mittel unter den 
anderen antivenerischen Mitteln eine feste Stelle in der The¬ 


rapie der venerischen Geschwüre eingenommen hat. Bezüglich 
seiner therapeutischen Verwendbarkeit besitzt es aber einen 
Nachtheil, der bis heute seine Anwendung in der Praxis 
außerordentlich erschwert, so daß der Arzt nicht selten 
vollständig auf die Verordnung desselben verzichten muß; das 
ist der üble Geruch des Jodoforms, welcher die dicksten und 
scheinbar unpermeablen Bedeckungen rasch durchdringt, wo¬ 
durch der Verkehr der Kranken mit anderen Leuten auf lange 
Zeit unmöglich gemacht wird. Dieser specifische penetrante 
Gestank des Stoffes wird dem Kranken selbst oft binnen 
Kurzem geradezu unerträglich, erzeugt bei manchen Personen 
Kopfschmerz, Sc-bwindelgefühl und macht überdies auch 
im Freien die Umgebung der Patienten alsbald ununter¬ 
brochen auf den Zustand derselben aufmerksam, ein Umstand, 
der besonders Syphilitischen oder venerisch Erkrankten, welche 
ihr Leiden ängstlich zu verbergen suchen, höchst unangenehm 
werden muß. Es ist nach al' diesem wohl selbstverständ¬ 
lich , daß man sich seit Jahren vielfach bemühte. diesem so 
wesentlichen Ucbelstande entgegen zu wirken und mit wech¬ 
selndem Glücke bestrebt war, den intensiven Jodoformgeruch 
zu verdecken oder wenigstens bis zu einem nicht auffälligen 
Grade zu mildern. Die von zahlreichen Autoren zur Ver¬ 
deckung des Jodoformgeruches vorgesclilagencn Mittel — 
Kumarin, Ql. menthae, Ol. bergamotti, Bals. peruvianum, Öl. 
amygdal. amar., Muskatbalsam, pulverisirter Kaffee u. s. w. 
— vermindern oder verdecken den penetranten Geruch des 
Jodoforms nur auf kurze Zeit, sind aber nicht im Stande, 
eine thatsächliche und dauernde Desodoration des Mittels zu 
bewirken. 

Auf diese nachtheilige Eigenschaft des Jodoforms stützen 
sich die Gründe, welche viele Fachmänner bewogen, andere 
Mittel zu suchen, die im Stande sind, das Jodoform zu er¬ 
setzen, Gründe durchaus praktischer Natur. 

Unter den Mitteln, welche bei der localen Behandlung 
der venerischen Geschwüre von verschiedenen Seiten als Ersatz 
des Jodoform empfohlen wurden, hat sich das Jodol bald 
nach seiner Entdeckung und Einführung in die Therapie in 
höherem oder geringerem Grade eingebürgert, und zwar 
wesentlich wegen seiner negativen Vorzüge, der Abwesenheit 
des Jodoformgeruches. Da über die praktische Anwendung 
dieses Mittels immer noch spärliche Mittheilungen vorliegen, 
dieselben auch unter einander nicht übereinstimmen, so dürfte 
es nicht überflüssig sein, wenn ich im Folgenden die fremden 
Erfahrungen über die Anwendung dieses Mittels bei venerischen 
Krankheiten kurz zusammenstelle und auch meine spärlichen 
Beobachtungen hinzufüge. 

Das Jodol, oder besser Tetrajodpyrrol (C 4 J 4 NH), wurde 
zuerst im Laboratorium des Prof. Cannizaro in Rom durch die 
DDr. Silber und Ciamiciano j ) chemisch aus animalischen Oelen 
durch Ausfällen einer Lösung des Pyrrols durch Jodjodkalium 
dargestellt. Das Mittel bildet ein gelbbraunes, sich etwas 
klebrig anfüblendes amorphes Pulver von etwas grobkörniger 
Beschaffenheit, ohne Geschmack und von schwachem, thymol¬ 
artigem Gerüche. Es kann bis zu 100° C. erhitzt werden, 
ohne sich zu zersetzen; bei höheren Temperaturen entwickelt 
es Joddämpfe und ‘ verkohlt. Das Jodol ist in Wasser und 
Glycerin unlöslich, sehr leicht löslich dagegen in Aether, 
Chloroform und Alkohol, am besten in absolutem Alkohol. 
Zusatz von Wasser zu einer weingeistigen Jodollösung schlägt 
das Jodol nieder, was durch Beifügung von Glycerin zu einer 
alkoholischen Lösung verhütet werden kann. Diese wird durch 
HN0 3 und Erhitzen schön roth gefärbt, in H 2 S0 4 löst es sich 
unter Grünfärbung. Das Mittel zeigt eine schwach ausgeprägte 
saure Reaction und sein Jodgehalt ist 89 0 / 0 . 2 ) 


‘) Siehe Wolfp’s Mittheilung in der Sitzung der dermatologischen 
Section der 52. Versamml. deutscher Naturforscher und Aerzte vom Jahre 1885. 
Viertelj. f. Dermat. u. Syph., 1885, pag. 704. 

s ) Eine ausführliche Mittheilung über die pharmakodynamischen Eigen¬ 
schaften des Jodols lieferte unlängst Ciamicu.no (Sul tetrajodopirollo e sulle 
sua proprietä terapeutiche. Annali di chimia e di farmacologia, 1887, 3., 
pag. 132-138.) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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Gleich nach seiner Entdeckung wurde es ein Gegenstand 
zahlreicher therapeutischer Versuche, durch welche es sich 
erwies, daß es dem Jodoform im Bezug auf seine Eigenschaften 
sehr nahe stehe und auch in seiner Wirkung sehr ähnlich 
sei; das neue Mittel wurde in zweifacher Richtung in der 
syphilidologischen Praxis versucht, einmal als ein Surrogat 
des Jodoforms bei Behandlung des Ulcus molle, Bubo und 
verschiedener syphilitischer Ulcerationen, auch beim Tripper, 
ferner innerlich als Antisyphiliticum anstatt des Jodkali. 

Die ersten Versuche der äußerlichen Anwendung des 
Jodols wurden in der chirurgischen Klinik von Mazzoni 8 ) 
in Rom angestellt, wo es sich ergab, daß das Jodol den 
durchdringenden Geruch und die giftigen Eigenschaften des 
Jodoforms entbehre, ein mächtiges Antisepticum und locales 
Anästheticum sei und die Entwicklung gesunder, guter Granu¬ 
lationen befördere. Bei Ulcus molle und Drüsenabscessen hat 
Mazzoni das Jodol mit sehr befriedigendem Erfolge ohne 
Nachtheil angewandt; die Geschwüre gelangten sehr rasch 
in das Reparationsstadium, und schon nach 5- bis 6maliger 
Application des Mittels zeigte sich eine Neigung zur 
Uebernarbung; ebenso gelangten die Adenitiden und Peri- 
adenitiden ,auf Einpulverung mit dem Mittel rasch zur Hei¬ 
lung. In einigen Fällen von noch recenten Bubonen gelang 
cs ihm, eine abortive Behandlung durch eine Punction mit 
nachfolgender Injeotion einer Alkohol - Glycerinlösung von 
Jodol mit sehr günstigem Erfolge durchzuführen (Jodoli 1, 
Alcoholi 16, Glyeerini 34 Theile). Sehr günstig war auch 
die Wirkung des Jodols bei zerfallenden und atonischen 
Ulcerationen, die sehr rasch zu granuliren beginnen. 

Dem MAZzoxi’schen Beispiele folgend, wandten Czern'y, 
Bardelebkn, Glasneu, v. Hofkmann und andere Chirurgen das 
neue Mittel bei verschiedenen Wunden und Geschwüren an 
und waren mit den Erfolgen dieser Behandlung sehr zufrieden. 

Kurz darauf wurde das Mittel auch von manchen Syphi- 
lidologcn zur Behandlung der venerischen Uebcl angewandt. 
Das Urtheil der vei schiedenen. Beobachter über den Werth 
des neuen Mittels bei localer Behandlung der venerischen 
Krankheiten lautet, wie aus Folgendem zu ersehen ist, etwas 
verschieden. 

Peteksen 4 ) hat dieses Mittel in 12 Fällen von recentem 
Ulcus molle angewandt und nur in 3 Fällen Heilung des 
Geschwüres damit erzielt; in den übrigen Fällen mußte er 
doch wieder zum Jodoform greifen, welches also seiner Meinung 
nach vom Jodol nicht verdrängt werden kann. In den meisten 
Fällen bemerkte Peteksen am 3.—4. Tage nach Anwendung 
des Jodols, daß die Geschwüre bläßer wurden und die Granu¬ 
lationen ein schlaffes, glasiges Aussehen erhielten. Als einzigen 
Vorzug des Jodols betont er seine Geruchlosigkeit. 

Röna’s 6 ) Urtheil über das Jodol als Ersatzmittel des 
Jodoforms ist ebenfalls kein günstiges; er versuchte dieses 
Mittel in 24 Fällen bei weichen Geschwüren, ulcerösen Bala¬ 
nitiden und syphilitischen Ulcerationen und fand, daß das 
Jodol entsch'eden schwächer wirke, als das Jodoform und 
keine rasche Antisepsis ausübe, den Verlauf des Destructions- 
processes nicht behindere und nur die Epithelregeneration 
günstig beeinflusse. 

Andere Autoren sprechen sich über den therapeu¬ 
tischen Werth des Jodols günstiger aus: so ist z. B. Horovitz 6 ), 
der das Jodol in einigen Fällen angewandt, mit der Wir¬ 
kung des Mittels sehr zufrieden; nicht nur, daß es das Jodo¬ 
form vollkommen ersetzt, ist es auch noch frei von dem 
intensiven und daher verrätherischen Geruch des letzteren. 
Durch die Application der Jodolgaze gelang es ihm, ein über 
kreuzergroßes, gangränöses Geschwür der Glans penis und 
Vorhaut in 14 Tagen zur Reinigung und dann zur Ueber- 

a ) G. Mazzoni, Jodol nella practica chirurgica — Spallanzani, 1885, 
12., pag. 568—573; auch: Berl. klin Wochcuscli., 1885, 43. 

4 ) St. Petersburger medicinische Wochenschrift, 1886, 24. 

5 ) Pester medicinisch-cbirurgi-che Presse, 1886, 16. 

8 ) Vieltcl.j für Dermatologie und Syphilis, 1886, pag. 261. 


häutung zu bringen. Helm Scott 7 ) injieirt nach einer früh¬ 
zeitigen Punction des Bubo eine Emulsion von Jodol in 
Ol. ricini, und gelang es ihm auf diesem Wege, in 22 Fällen 
von venerischen Bubonen einen günstigen Erfolg zu erzielen. 

Auch von Boxo 8 ) wird dieses neue Mittel sehr gerühmt, 
nachdem er gleich nach der Entdeckung des Jodols eine Reihe 
von 35 Versuchen mit demselben angestellt hatte, der 32 andere 
Fälle gegenüberstanden, die mit anderen Mitteln behandelt 
wurden. Auf seine Erfahrungen sich stützend, konnte Verf. 
seine Ueberzeugung dahin aussprechen, daß das Jodol 
mehr als alle anderen Mittel die Dauer der Geschwüre ab¬ 
kürzt und für lange Zeit dem Secretc der Schanker die In- 
fectionsfähigkeit nimmt. 

Von deutschen Autoren hat auch Prof. Pick *) in einer 
sehr sorgfältigen und ausführlichen Arbeit auf die therapeu¬ 
tischen Vorzüge des Jodols bei der Behandlung des weichen 
Geschwüres, exulcerirten Bubonen und tertiären syphilitischen 
Ulcerationen aufmerksam gemacht. Auf eine Reihe günstiger 
Erfahrungen gestützt, bekennt er sich als einen eifrigen An 
hänger der JodolanWendung bei den venerischen Krankheiten. 
Er wandte das Jodol äußerlich bei weichem Schanker, vene¬ 
rischen Bubonen und syphilitischen Geschwüren an; das 
Mittel wurde in folgenden Formen gebraucht: Jodolpulver, 
Jodoläther (10—20° 0 Lösung als Spray), ferner Jodoläther- 
collodium (1:5: 10), Jodolsalbe (5—10°, 0 mit Lanolin) und 
Jodolgaze. Die Erfolge waren sehr zufriedenstellende, nicht 
nur bei weichen Geschwüren, sondern auch bei blennorrhagi- 
schen Processen beim Weibe, bei suppurirenden Bubonen und 
exulcerirten Gummen; im virulenten Stadium «ies weichen 
Geschwüres angewendet, übte das Jodol keine oder nur eine 
geringe Wirkung auf den Geschwürsproceß aus, wogegen cs 
jedoch nach Ablauf desselben oder auch schon gegen das Ende 
dieses Stadiums die Heilung wesentlich günstig beeinflußte; 
hieraus geht hervor, daß die Anwendung des Jodols dann 
Platz greifen soll, wenn die specifische Virulenz der Geschwüre 
durch vorangegangene Aetzung überwunden ist; besonders 
günstig aber war seine Wirkung auf den Verlauf der Wunde 
nach der Spaltung des Bubo: in 14 Bubonenfällen trat die 
Heilung der Wunde unter Anwendung des Jodols schon in 
12—36 Tagen (1—3 Verbände) auf. Auch bei gummösen Ge¬ 
schwüren wurde mit Jodol eine gute Wirkung erzielt, obgleich 
dieselbe durch gleichzeitige Anwendung des Empl. hydrargyri 
befördert wurde. 

Diese Angaben wurden auch von mehreren anderen 
Beobachtern bestätigt (Desmet 10 ), Assaky 11 ), R ibinsohn ia ), 
v. Schoeven 1S ), Wolkfendev 1 '), Seifert 16 ). Desmet hat das 
Jodol in 7 Fällen von hartnäckigen weichen und syphilitischen 
Geschwüren angewendet, und zwar mit vorzüglichem Erfolge; 
alte,- zerfallende luetische Ulcerationen, sowie auch phage¬ 
dänische langwierige Ulcera mollia reinigten sich sehr schnell 
unter der Anwendung dieses Mittels. Seifert wandte das 
Jodol bei syphilitischen Geschwüren des Nasenrachenraumes 
in 2 Fällen an und erzielte auch sehr günstige Resultate; das 
Mittel blieb längere Zeit auf dem Untergründe haften, ohne 
unangenehme Erscheinungen hervorzurufen; die Geschwüre 
reinigten sich und vernarbten rasch. Ferner machte derselbe 


’) Helm Scott, Siibcutaneous treatment of bnbones. Northwestern 
Lancet, October 1886, pag. 9. 

H ) G. B. Bono, 11 jodolo nella cura e prolilassi delle malattie venere. 
Gazzetta delle Cliniche. Torino 1886, XXIV., 17, 21, 22. 

‘) F. J. Pick, Ueber die therapeutische Verwendung des Jodols. Viertel¬ 
jahrschrift für Dermatologie und Syphilis. 1886, 4., pag. 593—617 

lu ) E. Desmet, De l’iodol et de sei applications. Clinique Bruxelles, 
I., 8., pag. 109—114. 

“) G. Assaky, De l’iodol. Archives roumaines de mGJecine et de 
Chirurgie, 1837, I., 3., pag. 177—193. 

**) D Robinsoun , Untersuchungen über Jodol und dessen Wirkungen. 
Inaug.-Dissert, 1837. 

1# ) v. Sciioeven, Ueber Jodol. Inaug.-Dissert., Würzburg 1887. 

,4 ) R. N. Wolffknden , Jodol; an efl'ective substitute for jodoform. 
The Practitionner, 18S7, May, pag. 336—341. 

i: ’j Deutsche nied. Wochenschrift, 1887, 46. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8 


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Verfasser Gebrauch von Jodol in Pulverform bei Ulcus molle 
und Bubonen' und erzielte mit ihm auch sehr befriedigende 
Erfolge. 

Nach den Angaben Sejfert’s und anderer vorgenannter 
Autoren ist das Jodol zu weiterer Prüfung empfehlenswerth, 
da weder irgend ein Nachtheil mit diesem Medicament beob¬ 
achtet worden, noch in Quantitäten, in denen es local appli- 
cirt wird, irgend welche Störung und üble Wirkung, die 
seinen Gebrauch contraindiciren könnte, vorhanden waren. 
Während jedoch die meisten Autoren, die sich mit dem Jodol 
beschäftigt hatten, fast einstimmig über seine Ungefähr¬ 
lichkeit sich aussprechen, veröffentlichte Pai.ltn ,0 ) einen Fall 
von Jodolintoxication nach dem äußerlichen Gebrauch von 
5’0 Grm. dieses Mittels, der auf die relative toxische Eigen¬ 
schaft des Jodol hinweist: Der 20jäbrige Kranke klagte über 
Kopfschwindel, war sehr excitirt, Pulsfrequenz bis 136, dann 
folgten Erbrechen, Somnolenz u. s. w.; noch 4 Tage nach dem 
Aussetzen des Pulvers und Verbandwechsel dauerten die In- 
toxicationssymptome fort; im Harne konnte man noch inner¬ 
halb 14 Tagen Jodgehalt constatiren. 

Unter den neuesten Autoren sind noch Neisser 17 ) 
und Schwimmer 18 ) zu erwähnen, deren Urtheil über die 
therapeutische Verwendbarkeit des Jodols bei venerischen und 
syphilitischen Krankheiten kein so günstiges ist; beide obge¬ 
nannten Syphilidologen glauben, daß das Jodol, obgleich es 
wegen seiner Geruchlosigkeit ein brauchbares Mittel ist, doch 
nicht im Stande sei, das Jodoform zu ersetzen , weil es bei 
venerischen Geschwüren weniger leiste, als Jodoform, 
v. Zeissl 19 ) dagegen constatirt, daß das Jodol an Wirksam¬ 
keit dem Jodoform sehr nahe stehe. 

Wenn wir jetzt kurz die Resultate, die mit der äußer¬ 
lichen Anwendung des Mittels gewonnen wurden, zusammen¬ 
stellen, so muß man zuerst betonen, daß die Meinungen der 
Fachmänner über die antiseptischen und specifischen Eigen¬ 
schaften des Jodols, sowie über dessen therapeutische Ver¬ 
wendbarkeit bei venerischen und syphilitischen Geschwüren 
getheilt sind. 

Während von einer Seite — Mazzoxi, Bono, Pick, Assakv, 
Seifert, Dfsmet, v. Zeissl — das Jodol als ein gutes Mittel, 
welches im Stande sei, gesunde Granulationen hervorzurufen 
und die Geschwüre zur Vernarbung zu bringen, gerühmt und 
sehr warm empfohlen wird , wird dagegen von anderer Seite 
— Peterskn, Röna, Neisser, Schwimmer — dieses Mittel als 
ein sehr schwaches Antisepticum bezeichnet, welches kaum 
im Stande sei, das Jodoform und andere specifische Mittel bei 
localer Behandlung der venerischen und syphilitischen Ge¬ 
schwüre zu ersetzen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Ein merkwürdiger Anfall von Hysterie. 

Mitgetheilt von Dr. Alex. Schlesinger in Opponitz. 

Am 7. Februar 1888 wurde ich zu einer Frau geholt, bei 
der ich folgenden Status fand: 

Frau B., 37 J. alt, bleich und schlecht genährt, mit außer¬ 
ordentlich ängstlichem Gesicbtsnnsdruck, klagt über heftigen Ructus, 
fortwährenden Brechreiz und Erbrechen. In meiner Anwesenheit 
erfolgt ein Brechanfall. Das Erbrochene schleimig, grünlich gefärbt. 

Bevor die Brecbanfällo eingetreten waren, hatte Pat. heftige 
kolikähnliche Schmerzen. 

Die Darmschmerzen setzen anfallswci.se ein, beginnen in der 
linken Inguinalbeuge, breiten sich strahlenförmig über die Unter¬ 
bauchgegend aus, setzen sich um den Nabel herum mit der größten 

1S ) Deutsche med. Wochenschrift, 1887, 40. 

”) Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1888, 2, 3. 

,8 ) Ehnbt Schwimxer , Die Grundlinien der heutigen Syphilistherap'e. 

18 ) Max v. Zeissl, Lehrbuch der venerischen Krankheiten. V. Auflage. 
Stuttgart 1888, pag. 258. 


Heftigkeit fest, lassen, nachdem sie minutcn'ango gepeinigt, allmälig 
nach, nm nach verschieden langen Pausen paroxysmusartig wieder 
einzusetzen. Während der Kolikanfälle stierer, überaus ängstlicher 
Blick, deutliche Protrusio bulbi, kalter Schweiß bedeckt das Antlitz, 
angeblich sollen auch Ohnmachtsanfälle vorgekommen sein. 

Bei der näheren Untersuchung finde ich in der linken Inguinal¬ 
gegend eine längliche, circa taubeneigroße Geschwulst; dieselbe ist 
nicht heißet als die Umgebung, von praller, wenig elastischer Be¬ 
schaffenheit. 

Die Geschwulst ist nur wenig verschiebbar; auf Repositions¬ 
versuche gegen den Baucbraum gerichtet, wird ein heftiger Schmerz¬ 
anfall ausgelöst. Pat. gibt an, daß sic schon seit Jahren eine links¬ 
seitige Hernie besitze und bis die Schmerzen auftraten, ein Bracherium 
getragen habe. 

Ich stelle ohne Bedenken die Diagnose auf Hernia incareerata, 
verordnete Cataplasmen auf Geschwulst und Bauch, gegen die 
Schmerzen Morphiumtropfen, gegen das Erbrechen Eispillen. 

Einige Stunden später, des Abends: Brust aufgetrieben, heftige 
Darmperistaltik, die Bewegung der Därme durch die mageren Bauch¬ 
decken tast- und sichtbar. 

Zu Feginn der Kolikanfälle war noch eine nicht nennenswerthe 
Entleerung erfolgt, seit zeitlich Morgens aber waren selbst Flatus 
nicht mehr abgegangen. 

Ich mache die Umgebung der Kranken auf das Gefahrvolle 
des Znstandes aufmerksam und beauftrage dieselbe, namentlich auf ab¬ 
gehende Winde zu achten, weil selbe ein günstiges Zeichen wären. 
Ich mache weiters auf die Eventualität einer Herniotomie aufmerk¬ 
sam, indem ich gleichzeitig erkläre, daß mit der Operation nicht 
gut länger als bis zum 8. Mittags gewartet werden dürfe, falls 
man günstige Chancen haben wolle. 

8. Februar Morgens; Keine Winde abgegangen. Abends 
vorher hatte ich heiße Bäder verordnet. Anfangs brachten diese 
Bäder einige Erleichterung, die späteren Bäder blieben wirkungslos. 
Das Erbrechen war nach mehr&tündlicher Pause heftiger als früher. 

Die Kranke verweigert jede Operation, und 
motivirt die Weigerung damit, daß sie ähnliche, wenn 
auch noch nie gleich heftige und so lange andauernde 
Erscheinungen ohne üble Folgen bereits durch¬ 
gemacht habe. 

Nachmittags wurde mir vom Manne der Kranken ein Con¬ 
silium proponirt und dazu Dr. Langfeldkr, Bezirksarzt in Wart¬ 
berg, vorgeschlagen. 

Genannter Herr College bestätigt vollinhaltlich meine 
Diagnose, und schlägt als einzig mögliches Rettungsmittel die 
Herniotomie vor. Pat. wiederholt abermals ihre frühere Angabe, daß 
sie solche Anfälle bereits öfter ohne spätere Folgen überstanden, 
und Dr. Langfeldfr selbst sie bei einem ähnlichen Anlaß behan¬ 
delt habe. Dr. Langfelder kann sich nicht daran erinnern, der 
Mann der Pat. bestätigt jedoch diese Angaben. Endlich willigt 
Pat. doch in die Operation. 

In der Narcose machen wir noch den üblichen Repositions- 
versueh — und siehe da — die Hernie geht anstandslos und 
leicht zurück. 

Die Operation wurde nun natürlich unterlassen. Nach dem 
Erwachen aus der Narcose wurden Abführmittel angeordnet. 

Die Abführmittel jedoch hatten keine Wirkung, Stuhl und 
Windo blieben angehalten ; die Schmerzanfälle traten wieder auf, 
kurz bald darauf das frühere Bild — nur fehlte die Geschwulst 
in inguine. 

Am 9. Februar, Morgens, mußte ich mir zugestehen, daß 
wir entweder aus einer äußeren Hernia incareerata eine innere ge¬ 
macht hatten, oder — zur Beruhigung meines ärztlichen Gewissens 
— daß eine zweite innere Incarceration schon früher bestanden 
haben müsse. 

Ich drang nnn erst recht auf die Operation, machte auf die 
nunmehr größere Schwierigkeit derselben aufmerksam und wurde 
gründlich abgewiesen. 

Unter solchen Umständen hielt ich die Kranke für verloren. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


296 


Am 9. Nachts war ich in Wartberg auf einem Balle mit dem 
Consiliarius Dr. L. zusammen. Wir besprachen den unangenehmen Fall 
und waren abermals gleicher Meinung. 

Nach Mitternacht wurden wir Beide aus dem Balllocalo ge¬ 
rufen, draußen warteten Mann und Schwager der Kranken und 
baten uns, sofort zur Operation zu kommen; Pat. habe endlich, 
nachdem ihr Zustand stetig schlechter wurde, in die Operation 
gewilligt. Wir waren im Begriffe abzureisen, als ein zweiter Wagen ein¬ 
traf mit der seltsamen Botschaft, Pat. hatte soeben reichlichen Stuhl¬ 
gang, das Erbrechen habe aufgehört, kurz, die Kranke befinde sich 
wohl und unsere Hilfe sei überflüssig geworden. 

Am 10. Februar, Mittags, fand ich die Kranke wohl bleich 
und matt, aber außer Bett bei einer Tasse Kaffee, und Nachmittags; 
ging sie ihrer gewohnten Beschäftigung nach. 

Nun stand ich erst recht vor einem Räthsel. 

Nach Wochen wurde ich wieder zu derselben Frau gerufen. 

Heftiger Ructus, ängstlicher Gesichtsausdruok, Unvermögen zu 
schlucken. 

Pat. wird von Würgebewegungen gepeinigt, welche sich 
steigern, wenn sie den Versuch macht, zu schlucken. Sie hatte 
vordem wie früher schon öfter das Gefühl eines eisernen Reifen 
um den Bauch, häufig verspüre sie auch eine Kugel vom Magen 
in den Schlund aufsteigen und diesmal sei dieselbe stecken geblieben, 
daher das Würgegefühl, daher die immerwährenden Versuche, die 
Kugel zu erbrecheu und das Gefühl, daß sie nicht schlucken könne. 

Um die Kranke zu beruhigen und ihr zu beweisen, daß sie 
im Irrthum sei, führte ich ihr eine Schlundsondo anstandslos ein. 
Eine Weile nachher fing das Erbrechen wieder an. Nach mehrere 
Tage anhaltendem, stets wechselndem Befinden gingen diese Erschei¬ 
nungen allmälig zurück. 

Anamnestisch konnte ich später noch feststellen, daß Pat. schon 
seit Jahren, auch wenn sie anscheinend gesund ist, sich stets krank 
fühlt. Sie ist arm, ihr Gatte bedarf ihrer zur Erhaltung der Familie 
und doch konnte sie ihm niemals so recht eigentlich zu Hilfe sein. 
Dabei leistet sie aber immerhin Tüchtiges zur Vermehrung der 
Gattung; sie hat bereits 8mal geboren. 

Ueber ihre Eltern weiß sie nichts Bestimmtes anzugeben. Da¬ 
gegen hat die Frau eine Schwester, welche vor Jahren einmal, ohne 
eruirbare Ursache, plötzlich zu sprechen aufhörte, dann länger als 
3 Jahre stumm blieb und endlich ebenso plötzlich wieder zu 
sprechen anfing. 

Eine zweite Schwester leidet an Hemicranie und anderen, 
nervösen Erscheinungen. 

Seither habe ich die Frau zu öfterenmalen gesehen, mit allen 
möglichen Beschwerden und Klagen. Fortwährend bestürmt sie mich 
um Recepte. Ja, auch wieder ein Anfall von Darmschmerzen mit 
Verhaltensein der Darmgase war zu constatiren, diesmal ohne Irre- 
poniblität der Hernie. 

Dies Alles zusammenbaltend, bildete ich mir allmälig die An¬ 
sicht, daß auch die damaligen schweren Incarcerations-Erscheinungen 
ohne anatomische Begründung gewesen sein mögen und einen ganz 
merkwürdigen Fall von Hysterie vorstellen. Dies auch die Ursache, 
warum ich den an sich interesselosen Fall veröffentliche. 


Referate und literarische Anzeigen. 

J. Mikulicz (Königsberg): Ueber die Diagnose und opera¬ 
tive Behandlung der Perforationsperitonitis. 

Von großer Wichtigkeit in anatomischer, klinischer und thera¬ 
peutischer Beziehung ist die vom Verf. (Langenbeqk’s Archiv, 
39. Bd., 4. Heft) durchgeführte Eintheilung der Peritonitis in die 
diffuse septische und die fibrinös-eitrige Peritonitis. 
Erstere verläuft unter dem Bilde einer foudroyanten Sepsis binnen 
etwa 24 Stunden letal und bietet anatomisch relativ geringe Ver¬ 
änderungen des serösen Darmüberzuges und leichte Verklebungen 
oder geringe fibrinöse Auflagerungen der Baucheingeweide. Charak¬ 
teristisch ist die Betheiligung des ganzen Peritoneums. Die zweite 
Form kann circumscript oder progredient sein. Im ersten Falle 
sind die sich bildenden, physikalisch nachweisbaren Eiterherde ab¬ 
gekapselt, im anderen Falle vervielfältigen sie sich durch Senkung 


oder Metastasenbildung. Der Verlauf ist hier ein subaouter. Ana¬ 
tomisch finden, sich nur einzelne Partien des Bauchfelles mit Eiter 
bedeckt, der größere Theil des Peritoneums ist intact. Aus diesem 
Grunde bietet die fibrinös eitrige Peritonitis der operativen Behand¬ 
lung günstigere Chancen, als die diffuse septische Form. In der That 
verliefen acht Fällo der letzteren Art, welche M. durch Laparotomie 
und Auswaschung der Peritonealhöhle behandelte, letal, während die Er¬ 
öffnung der circumscripten Eiterherde in 3 Fällen zur Genesung führte. 
— M. empfiehlt die Probepunction behufs Feststellung der Diagnose, 
warnt aber vor Ausspülung der Absccsse mit antiseptischen Flüssig¬ 
keiten, von welchen wirklich wirksame wegen der Intoxications- 
gefahr doch nicht angewendet werden dürfen, weil man stets Gefahr 
laufe, durch die Irrigation die Verklebungen zu lösen, welche den 
Absceß von der Umgebung abschließen, und so den circumscripten 
Proceß in einen diffusen zu verwandeln. B. 


Penzoldt (Erlangen) .* S&lzsaurei Orexin, ein echtes Sto- 
maohicum. 

Nach P. muß man als echte Stomachica solche Mittel bezeichnen, 
welche sämmtliche Magenfunctionen einschließlich de9 Appetits 
zu verbessern im Stande sind. Diesen Anforderungen entsprechen 
aber die bisher als Stomachica benannten Mittel kaum, und glaubt 
Verf. in dem salzsauren Phenyldihydrochinazolin oder Orexin ein 
echtes Stomachicum gefunden zu haben. Die Zusammensetzung dieses 
Mittels ist: H 


ch 4 


CH 


W 


JV. 


c 6 H 5 


CHr 


Seiner Löslichkeit halber hat P. hauptsächlich das salzsaure 
Salz verwendet. Dasselbe besteht aus farblosen oder schwach ge¬ 
färbten glänzenden Nadeln oder Spießen und enthält 2 Molecüle 
Krystallwasser, welche es beim längeren Verweilen im Exsiceator 
abgibt. Während die Base fast unlöslich ist, löst sich das Salz 
leicht in heißem Wasser. Es reizt die Nasenschleimhaut heftig, auf 
die Zunge gebracht, schmeckt es bitter und hinterläßt ein intensiv 
brennendes Gefühl. 

Die Versuche, die P. zunächst an Thieren anstellen ließ und 
deren Resultate er in der Februarnummer der „Therap. Monatsh.“ 
veröffentlicht, haben ergeben, daß die Substanz eine nicht sehr er¬ 
hebliche Giftigkeit besitzt. Die Uebertragung der Thierversuche auf 
den Menschen würde ergeben, daß die giftige Anfangsdosis etwa 
25 Grm. beträgt. 

Ein Schüler des Verfassers, Hoffmann, hat, allmälig an¬ 
steigend, bis zu 1 Grm. pro dosi genommen und verspürte erst bei 
1 Grm. einige Störungen, wie leichte Uebelkeit, Schwindelgefühl, 
Hitze im Kopf und Röthung des Gesichtes. Dagegen stellte sich 
schon nach 0 5 ein auffallend frühzeitiges und strenges Hunger¬ 
gefühl ein, so daß Hoffmann doppelt so viel wie sonst essen mußte. 

Die Versuche, die ein anderer Schüler des Verfassers, Münter, 
an sich selbst über den Einfluß des Orexins auf Dauer und Verlauf 
der Magenverdauung angestellt hat, haben ergeben, daß schon 
0'25 Grm. salzsaures Orexin die Weißbrodverdauung um eine halbe 
Stunde und 0 f 5 Grm. die Fleischverdauung um ebensoviel abkürzte. 
Dabei trat die freie Salzsäure unter dem Einfluß des Mittels bei 
Beefsteakkost um eine Stunde früher auf, als im Control versuche. 

Behufs therapeutischer Versuche wurde das Mittel bei Appetit¬ 
losigkeit in verschiedenen Fällen angewendet. Bei eigentlichen 
Magenkranken wurde das Mittel nicht angewendet. Von besonderer 
Bedeutung schien die Bekämpfung der Anorexie nach schweren 
Operationen, wo der ganze Erfolg zuweilen davon abhängt, ob der 
Operirte ißt oder nicht. Nicht minder wichtig ist die Erregung 
der Eßlust bei Lungentuberculösen. Außerdem wurde noch bei den 
aller verschiedensten Zuständen von dem Mittel Gebrauch gemacht, 
wenn der anhaltende Appetitmangel die Besserung oder Heilung der 
Kranken verhinderte, so bei Chlorose, pleuritischem Exsudat, Lungen¬ 
emphysem, Herzerkrankuugen, oder wenn die Appetitlosigkeit über- 


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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 8. 


1890. — 


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hanpt das einzige zu bekämpfende Symptom war. Selbstverständlich 
wurde den Leuten nie vorher gesagt, welchen Effect man von dem 
Medicament erwartete, um ja keine Voreingenommenheit zu erzeugen 
und den Appetit etwa zu suggeriren. 

Die 36 Krankheitsfälle, bei denen das Mittel versucht wurde, 
lehrten , daß in vielen Fällen das salzsaure Orexin im Stande ist, 
den fehlenden Appetit herbeizuführen und dadurch die gesunkene 
Ernähruug zu heben. Nur bei 5 Patieuteu war gar keine Wirkung 
zu bemerken, bei 5 war der Effect ein undeutlicher, bei allen 
übrigen war der Erfolg deutlich, zuweilen überraschend. Manchmal 
trat der Appetit alsbald, d. h. einige Stunden nach der ersten Gabe, 
wie beim Gesunden auf. Gewöhnlich mußten erst mehrere Dosen 
einige Tage lang gereicht werden, zuweilen erschien aber auch 
nach einmaliger Gabe die Wirkung ganz plötzlich nach Ablauf von 
einem bis mehreren Tagen. In einigen Fällen ließ sich bei gleich 
bleibenden Lebensverhältnissen der Kranken eine deutliche Gewichts¬ 
zunahme unter dem Einflüsse des Orexin nachweisen. Ein Phthisiker 
behielt durch Monate sein Gewicht, ein anderer nahm in 5 Wochen 
um 6, ein dritter in 3 Wochen um 7 Pfuud zu. Nach den Er¬ 
fahrungen Penzoldt’s steht zu erwarten, daß das salzsaure Orexin 
hauptsächlich in der Nachbehandlung nach schweren Operationen, 
sowie in der Therapie der beginnenden Lungentuberculose und der 
anämischen Zustände eine gewisse Rolle spielen wird. Unangenehme 
Nebenwirkungen sind bei Einhaltung der zulässigen Dosen selten 
beobachtet worden. Einige Male wurde ein brennendes Gefühl längs 
der Speiseröhre angegeben, vielleicht in Folge der directen Be¬ 
rührung deB Mittels mit der Oesophagusschleimhaut. In 5 Fällen 
trat vereinzeltes und vorübergehendes Erbrechen ein. Was die 
Dosirung betrifft, so wurden Gaben von über 0*5 pro dosi und 1*6 
pro die nicht gereicht. 

Wenn auch diese maximalen Dosen ohne jede Störung ge¬ 
nommen werden können, so hat sich doch mit der Zeit heraus¬ 
gestellt, daß man gewöhnlich nur einmalige, höchstens zweimalige 
Tagesdosen von 0’3—0 - 5 nöthig hat. 

Wegen der reizenden Eigenschaften der Substanz ist strenge 
darauf zu halten, daß sie stets mit einer größeren Menge Flüssig¬ 
keit , etwa einer großen Tasse Fleischbrühe, eingenommen wird. 
Am besten wird das Mittel nach folgender Vorschrift gegeben: 

Rp. Orexin. hydrochlor.2’0 

Extr. Gentian. 

Pulv. rad. Alth. q. s. 

ut f. pil. N. XX, obduce gelatina. 

DS. 1—2mal täglich 3—5 Pillen mit einer 
großen Tasse Fleischbrühe. 

Vou diesen Pillen läßt man einmal täglich, und zwar am 
besten Früh, circa 10 Uhr, erst 3 Stück nehmen. Tritt kein Er¬ 
folg ein, so steigt mau auf 4 und 5, eventuell auch auf 2mal 
täglich 3 u. s. f. Hat man nach 4—5 Tagen keine Wirkung, so 
wartet man einige Tage und kann später dieselbe Medication aufs 
Neue versuchen. S. 


Therapeutisches Lexikon für praktische Aerzte. Unter 
Mitwirkung der Herren Doc. Dr. C. Breus, Dr. A. Eitel- 
berg , Doc. Dr. E. Finger , Doc. Dr. S. Freud , Dr. Felix 
Kadders, Doc. Dr. L. Königstein, Dr. R. Lewandowski, 
Doc. Dr. J. Nevinny, Doc. Dr. W. Roth, Dr. M. T. Schnirer, 
Doc. Dr. R. Steiner Freih. v. Pfüngen, Dr. M. Witzinger, 
Dr. Otto Zitckerkandl. Herausgegeben von Dr. Anton Bum, 
Redacteur der „Wiener Mediz. Presse“. Mit zahlreichen 
Illustrationen in Holzschnitt. Wien und Leipzig 1890. Urban 
und Schwarzenberg. 

Angezeigt von Prof. Dr. W. F. Loebisch in Innsbruck. 

Der Versuch des Herausgebers, eine für den praktischen Arzt 
durch ihre Bedeutung, sowie durch die Masse des Inhaltes wich¬ 
tige Doctrin, wie die allgemeine und specielle Therapie, 
lexikographisch zu bearbeiten, wird wohl Manchen bei der ersten 
Kunde von dem Erscheinen des oben genannten Werkes überrascht 
haben. Gerade Diejenigen, welche das Anwachsen der therapeuti¬ 
schen Maßnahmen auf allen Gebieten der Heilkunde im Verlaufe der 
letzten Decennien mit fachlichem Interesse verfolgten, werden ein 


solches Unternehmen wohl als ein besonders schwieriges erachtet 
haben. Denn während einerseits die lexikographische Anordnung 
den zu behandelnden Stoff in zahlreiche Einzelfragen auflöst, welche 
dem Bedürfnisse Desjenigen entsprechen müssen, der das Werk als 
verläßliches Nachschlagebuch benützen will, muß andererseits die 
Beantwortung der einzelnen Themata, bei aller Kürze in der Form, 
immerhin eine so vollständige sein, daß der Fragesteller dadurch in 
seinem therapeutischen Wirken eine sichere Stütze findet. 

Damit aber diese unerläßlichen Postulate einer lexikographi- 
schen Darstellung irgend welchen Faches immer erfüllt werden, 
bedarf es zunächst der richtigen Aufstellung der Schlag¬ 
worte, d. h. einer solchen Anordnung der Artikel, daß der Leser 
den Gegenstand, über den er sich belehren will, auch an derjenigen 
Stelle finde, wo er ihn suchen wird; dies kann aber nur erreicht 
werden, wenn die gauze Anlage des Werkes schon vor Beginn der 
Bearbeitung desselben bis in alle Details und nach jeder Richtung 
hin, die berücksichtigt werden muß, fertiggestellt ist. Ist dieses 
erste Postulat erfüllt, dann muß der Herausgeber strenge an dem 
Grundsätze festhalten, die Bearbeitung des Stoffes nur Fachmännern 
in stricto sensu anzuvertrauen, weil diese allein die Fähigkeit be¬ 
sitzen, irgend einen Gegenstand kurz und doch vollinhaltlich zu be¬ 
antworten. Alles, was über irgend ein Thema für und wider be¬ 
hauptet wurde, richtig geordnet anzuführen und wiederzugeben, das 
vermag wohl bald irgend Jemand. Jedoch das sichere Urtheil in 
einer Sache ist der durch langjähriges Wirken erworbene geistige 
Besitz des Fachmannes, dem allein derselbe jenes geistige Ueber- 
gewicht in fachlichem Kreise verdankt, das ihm namentlich von 
intelligenten Männern gerne eingeräumt wird. 

Beurtheilen wir nun die zwei vorliegenden Hefte des Thera¬ 
peutischen Lexikons von oben erörterten Gesichtspunkten aus, 
dann müssen wir offen gestehen, daß nach Allem, was bisher vor¬ 
liegt, dem Unternehmen die Anerkennung nicht versagt werden 
darf. Nur durch die Beschränkung, die sich der Herausgeber auf- 
erlegt hat, das Werk ganz den Bedürfnissen des praktischen Arztes, 
d. h. des auf allen Gebieten der Heilkunde wirkenden und leistungs¬ 
fähigen ärztlichen Praktikers, anzupassen, wird es möglich werden, 
den reichen Stoff einer Therapie auf sämmtlichen Gebieten der Heil¬ 
kunde in einem, 60 Bogen starken Bande zu erschöpfen. 

Die in den beiden vorliegenden Heften behandelten Themata 
reichen von Abbinden bis Caries der Knochen. Die fol¬ 
gende Aufzählung wird dem Leser gestatten, sich ein Urtheil 
über die zweckmäßige Anordnung des Materiales zu bilden: A b- 
binden, Abdominalschwangerschaft, Abdominal¬ 
typhus, Abducenslähmung, Abortus, Abortus, Ein¬ 
leitung des künstlichen, Abreibung, Absceß, 
Absceß des äußeren Gehörganges, Abscessus 
Bartolini, Absinth vergiftung, Accessoriuskramp f, 
Acoommodationskrampf, Accommodationslähmung, 
Accouchement force, Accumulatio ceruminis, Aohsen- 
zugzange, Acne, Aconitvergiftung, Acupressur, 
Acupunctur, Acusticusaffectionen, Acutorsion, Ad- 
disou’sche Krankheit, Adenitis, Aderlaß, Adipositas 
u. 8. w. In den einzelnen Aufsätzen wird der Rahmen des thera¬ 
peutischen Gebietes und der therapeutischen Technik nicht über¬ 
schritten, so daß das Bestreben deutlich sichtbar ist, über die eigent¬ 
liche Aufgabe des Werkes nicht hinauszugehen, mit anderen Worten, 
die verfügbaren Kräfte nur dieser dienstbar zu machen. 

Entsprechend den Specialgebieten der Heilkunde hat sich der 
Herausgeber mit einer Gruppe von Mitarbeitern umgeben, welche durch 
ihre bisherige Wirksamkeit sichere Gewähr für die Correctheit und Ver¬ 
läßlichkeit der von ihnen gemachten Angaben bieteu. Zahlreiche, sehr 
sorgfältig und rein ausgeführte Illustrationen unterstützen die 
Schilderung der therapeutischen Maßnahmen auf dem Gebiete der 
Chirurgie, Elektrotherapie, Gynäkologie, Hydrotherapie, Laryngologie, 
Massage, Ophthalmologie, Otiatrik. So halten wir uns zu dem Aus¬ 
spruche berechtigt, daß das Therapeutische Lexikon allen Anforde¬ 
rungen vollinhaltlich entsprechen wird, welche der Leser an ein 
mit klaren Zielen geplantes und durch Sachkenntniß und tüchtige 
Arbeit gefördertes Werk stellen darf. 

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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


300 


Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

Rcf.: Dr. H. Lohüsteln, Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Zuelzer zu Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Ueber die Ursachen der chronischen Cystitis bei Frauen be¬ 
richtete Browne in der Gesellschaft für Gynäkologie in Boston. 
Im Gegensatz zu der seltenen acuten Cystitis ist sie eine ziemlich 
häufig beobachtete Affection. Unter den Ursachen, die sie hervor- 
rufen, spielen Diätfehler, zu seltene Entleerung der Blase etc. eine 
Hauptrolle. Der Beginn und die Entwicklung des Leidens gehen 
ganz allmälig vor sich, indessen kommt es schließlich zu weit¬ 
gehenden Structurveränderungen in den tieferen Schleimhautschichten, 
Hypertrophie der Schleimhaut und Blasenwand, besonders um die 
Ostien herum. Alsdann findet ein weiteres Fortschreiten der Ent¬ 
zündung nach den Nieren etc. zu statt. Besonders zeigt sich diese 
Neigung zum Weiterumsiebgreifen nach dem Eintritt der Menopause. 
In der sich anschließenden Discussion rühmt Field die Erfolge, die 
man durch Anwendung des 01. Santali, Terpentin, sowie in chroni¬ 
schen Fällen durch Darreichung der Tinctura Coiocynthid. erzielen 
kann. Nach Clarke hängt die Entstehung der Cystitis auf’s 
Innigste mit den so häufigen Uterusdeviationen zusammen, ins¬ 
besondere denen, welche mit Blutstauung etc. verbunden sind. Es 
gehört hierhin mithin also auch die Schwangerschaft. Für die 
Therapie empfiehlt Verf. heiße Bäder, sowie Irrigationen der Schleim¬ 
haut. Ferner hat sich ihm Faradisation der Blasenschleimhaut gut 
bewährt. Bei protrahirter Entzündung Application von 5°/ 0 AgN0 8 - 
Lösung. In einigen Fällen, besonders wenn der Meatus urinarius 
hypertrophisch war, bewährte sich einfache Dilatation der Urethra. 
Nach Otis E. Hunt entsteht die Wochenbettcystitis im Amschluß an 
puerperale Traumatismen. Er läßt die Patienten 1. Rückenlage mit 
erhöhtem Steiß einuebmen, 2. äußerlich feuchtwarme Umschläge 
machen, 3. führt er mittelst dickcalibriger Nölatons permanente 
Drainage der Blase ans und läßt von Zeit zu Zeit blutwarme medi- 
camentöse Lösungen von Tannin, Gallussäure etc. hindurchlaufen, 
4. sucht er die „innere Drainage“ durch Einführung großer Mengen 
von Flüssigkeit, die er den Patienten empfiehlt, zu fördern. Warner 
gibt in acuten Fällen Calomel, DowER’sches Pulver und Hyoscyamus. 
Gegen chronischen Catarrh werden blutwarme Ausspülungen mittelst 
eines Katheters ä double courant mit Sublimat 1 : 5000—1 : 10.000 
und schließlich Jodoform eingeführt. Von sonstigen therapeutischen 
Vorschlägen bei Blasencatarrhen sind zu erwähnen die Empfehlung 
des Extract. Pichi u. a. von Le Menant de Cbenais (111), 
welches in einigen hartnäckigen Fällen dem Verf. gute Dienste ge¬ 
leistet hat, ferner des Salol von Vausaut , der durch Gaben von 
0*3, alle 4 Stuuden, selbst schwere Fälle von Cystitis geheilt hat, 
sowie von Arnold (112), der bei einem 80jäbrigen Manne durch 
tägliche Gaben von 3 Grm. Salol den ammoniakalischen Geruch des 
Harns zum Verschwinden brachte und den bestehenden schweren 
Blasencatarrh besserte. Leider wirkt das Mittel in diesen Fällen 
nur, so lange es genommen wird; sehr bald nach dem Aussetzen 
desselben treten wieder Recidive ein. James Little (112a) wandte 
in einigen Fällen, in welchen aus verschiedenen Gründen (Alter, 
Schwäche etc.) eine locale Behandlung contraindicirt war, mit Erfolg 
Saccharintabletten innerlich an. Insbesondere konnte man 
mittelst dieses Medicamentes fast stets einen alkalischen und übel¬ 
riechenden Harn desodorisiren und saure Reaction erzwingen. Auch 
die Trübuug verschwand meist. G ute Erfolge will auch Delattre (11 3) 
vom Sandelholzöl bei chronischer Cystitis und Pyelitis gesehen haben, 
während Niesel(114) bei chronischen Cystitiden die Anwendung 
der l°/ 0 igen Camphersänre empfiehlt. 

Die Katheterisation behufs Auswaschung der Blase bei chronischer 
Cystitis stößt bei französischen Aerzten neuerdings auf Widerspruch. 
So empfiehlt Pean (115) statt des Katheters die Einführung eines 


nur 4 Cm. langen Rohres mit olivenförmiger Spitze. Ein aus einem 
4' höher gelegenen Irrigator fliessender Wasserstrahl dringt nach 
Verf. bis in die Blase, und eine derartige Application wirkt weit 
milder als jede Katheterisation. Auch Lavaux (116) erreichte 
mittelst dieser Methode Heilung, wo sich weder Arg. nitr., nach 
Guyon applicirt, noch Morphineinspritzungen als wirksam erwiesen. 
Gleichzeitig empfiehlt L. diese von ihm vielfach geübte Methode, die 
vorzugsweise bei schmerzhaften Erkrankungsformen der Blasen¬ 
schleimhaut sich ihm vortrefflich bewährt hat und die gewöhnlich 
beliebten Morphininjectionen gänzlich überflüssig macht. In Fällen, 
in welchen es unmöglich war, durch die Urethra in die Blase ein¬ 
zudringen, machte Verch&RE (117) mit gutem Erfolge die supra- 
pubische Capillarpunction nach Dieulafoy. Mit demselben Apparat 
wurden gleichzeitig Injectionen von Borsäure in die Blase gemacht. 
In späteren Stadien der Krankheit, nach allmäliger Reinigung der 
Blase, gelang es gewöhnlich, die bestehende Strictur zu passiren und 
zu behandeln. 

Bei hartnäckigen Catarrhen der Frauen empfieht Madden (118) 
Dilatation der Urethra mit conseoutiver Reizung des Blasenhalses 
mittelst einer Lösung von Carbolsäure in Glycerin. 

Von seltener vorkommenden Blasencatarrhen erwähnt H. J. 
Boldt (119) eine von ihm zusammengestellte Serie von Fällen über 
Cystitis exfoliativa. Unter den Ursachen figuriren in erster Linie 
Retroflexio uteri gravidi. Die Ursache liegt hier wohl in der Aus¬ 
dehnung der Blase einerseits, in der caustischen Wirkung des sich 
zersetzenden Harns andererseits. Die Behandlung richtet sich 
wesentlich nach der Beschaffenheit des Grundleidens. 

Einen wichtigen Beitrag für die Behandlung der Blasen- 
tuberculose liefert Gdyon (120). In 2 Fällen, in welchen die 
Diagnose sicher gestellt werden konnte, wurde nach Ausführung der 
Laparotomie die Blase geöffnet, die Wunde mit Jodoformlösung aus¬ 
gepinselt. Die Wunde wurde dann drainitt und später genäht. In 
einem Falle gänzliche Heilung, in dem anderen blieb ein nicht tuber- 
culöser leichter Catarrh der Blase zurück. 

Ueber die Sensibilität der Blase in normalen und pathologi¬ 
schen Verhältnissen ist Guyon (121) auf Grund experimenteller 
Untersuchungen zu folgenden Ergebnissen gelangt: Im normalen 
Zustande erfolgt der Drang zum Uriniren nur bei dem Vorhanden¬ 
sein einer gewissen Spannung der Blasenwand. Der qu. Sensation 
geht eine ganz bestimmte Muskelcontraction voran. Dieselbe kann 
von allen Theilen der Blasenschleimhaut ausgelöst werden. Im nor¬ 
malen Zustande besteht für Fremdkörper in der Blase, sowie für warme 
Lösungen nur ein dumpfes Gefühl. Das Unterscheidungsvermögen 
zwischen warm und kalt ist dagegen deutlich ausgeprägt. Auf pathologisch 
veränderter Blasenschleimhaut dagegen wird jede Dehnung enorm ver¬ 
stärkt empfunden; auch die Empfindlichkeit gegen Fremdkörper ist 
bedeutend erhöht. Bei derartigen pathologischen Veränderungen 
ist die Reizbarkeit der Blasenschleimhaut oft das einzige manifeste 
Symptom. Zu diesem Ergebniß gelangt auch Pf.yer(122), indem 
er bei sogenannter „idiopathisch reizbarer Blase“ stets eine tiefer 
liegende, aber nicht erkannte Erkrankung eines der Organe des 
uropoetischen Systems oder auch des Mastdarms annimmt. Je 
schärfer unsere Diagnostik wird, um so mehr schränkt sich der Kreis 
derjenigen Fälle von irritable bladder ein, bei denen eine tiefer 
liegende Affection nicht aufgefunden werden kann. Bei Frauen will 
Alexander Duke (123) Symptome einer idiopathischen Blasen¬ 
reizung zusammen mit Enge der Harnröhre und Blasendivertikel 
beobachtet haben. Erhebliche Besserung erfolgte in solchen Fällen 
durch energische Dilatation der Urethralmündung, resp. localer Au¬ 
wendung des galvanischen Stromes. Innerlich sind Tonica zu ver¬ 
abreichen, z. B. Tinct. ferri muriatic., Cantharid. und Nux vomica. 
Auch die motorische Reizbarkeit der Harnröhre, die sich besonders 
durch Symptome, wie Enuresis nocturna, zuweilen auch diurna äußert, 
hat ihre Ursache oft in Urethralaffectionen; in anderen Fällen be¬ 
stehen präputiale Adhäsionen, Verengerung der Harnröhre etc. Die 
Affection, welche meist nach Oberländer (124) bei Knaben vor¬ 
kommt, verliert sich gewöhnlich zur Zeit der Pubertät spontan. Jede 
um diese Zeit erworbene neue Affection der Harnröhre (Gonorrhoe etc.) 
ist geeignet, sie von Neuem, und zwar mit erhöhter Intensität, ent¬ 
stehen zu lassen. In anderen Fällen tritt zur Zeit der Pubertät an 


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diu Stelle der Incontinentia die Pollution. Die Behandlung besteht 
meist in Dilatation der Urethra posterior. Interne Medication ist 
in derartigen Fällen nicht indicirt. Dagegen hat sich in denjenigen 
Fällen, in welchen das Leiden auf eine bestimmte anatomische Ur¬ 
sache nicht zurückzuführen war, und wo eine gewisse Schwäche der 
Blasenmusculatur vorlag, nach Angabe amerikanischer Autoren durch 
Anwendung der Tinctura Rhus aromatici die Incontinenz wesentlich 
gemindert. Max (125) wandte 5 Tropfen (3stündlich) einer aus 
20 Grm. Rhus aromatic. mittelst 800 Gr. Alkohol bei 80° R. extra- 
hirten Tinctur an und erzielte unter 19 so behandelten Patienteu 
bei 9 Heilung. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte Burveeux, 
allerdings erst nach 3—4wöchentlioher Anwendung des Medicaments. 
In einem Falle bei einem 79jährigen, an Prostatahypertrophie, Pyelo¬ 
nephritis etc. leidenden Manne wesentliche Besserung. Numa hin¬ 
wiederum hat sich das Mittel wohl als wirksam, dagegen nicht von 
nachhaltiger Wirkung erwiesen, und Hamond endlich erzielte mit 
einem aus Rhus toxioodendron bereiteten Thee dieselbe Wirkung, 
besonders bei Blasenatonie junger Personen. 

Ueber die Behandlung der Blasenruptur ist Blüm (126) 
zu folgenden Schlüssen gelangt: Liegt auch nur die geringste Wahr¬ 
scheinlichkeit einer Ruptur vor, so ist alsbald die Laparotomie vor¬ 
zunehmen, um den Sitz der Perforation festzustellen. Ist der letztere 
an der Basis der Harnblase gelegen, d. h. extraperitoneal, so empfiehlt 
sich die Sectio perinealis. Bei intraperitonealer Blasenruptur sind 
zunächst die Wundränder mittelst LEWBKRT’scher Dannnabt zu ver¬ 
einigen und dann das Peritoneum zu desinficiren. Ist die Wunde 
groß, so ist sie zunächst mit der Bauchwand zu vereinigen und 
dann doppelte Drainage (nach Socin) auszuführen, wobei die Gegen¬ 
öffnung durch das Perineum geht. Bestehen bereits Symptome einer 
Peritonitis, so hat man sofort die Laparotomie auszuführen und 
möglichst zu desinficiren. Die Blasennaht ist durch die Peritonitis 
als solche nicht oontraindicirt. Außerdem berichtet über Blasen¬ 
ruptur Lymands (127). Derselbe erwähnt den Fall eines 7jährigen 
Knaben, bei dem sich nach Fall auf das Abdomen Harnverhaltung 
einstellte. Katheterisation ohne Erfolg. Laparotomie. Blasenriß 
am oberen hinteren Theile der Blase, Blasennaht. Nach einigen 
Tagen Collaps und Tod. Die Obduction ergab in der linken Partie 
der Blase einen Eiterherd, der sich extraperitoneal in die Ileo-Lumbar- 
gegend fortsetzte. Außerdem fand sich ein Eiterherd in der Syn- 
chondrosis sacro-iliaca. Ausgang in Genesung wurde in einem von 
Walsham (128) publicirten Fallo beobachtet; hier hatte man den 
Blasenriß genäht, nachdem die Pat. laparotomirt war. Ohne Erfolg 
hingegen erwies sich die Laparotomie bei einer Patientin Albak- 
ran’s (12 9), die bald nach einer glücklich verheilten Epicystotomie 
(bei der die Blasennaht jedoch nicht ausgeführt worden war) an 
Urininfiltration erkrankte, die in Folge einer Blasenruptur entstanden 
war. Nach .Drummond’s (130) Beobachtung nützte bei einem an 
Myelitis transversa leidenden Patienten, bei dem in Folge von 
übermäßiger Ausdehnung der Blase letztere geplatzt war, die 
Blasennaht nichts. Patient starb 2 Wochen nach Ausführung der 
Operation an Peritonitis. Schließlich ist noch eine Mittheilung 
Eve’s (131) bemerkenswertb, nach welcher bei einem-an Gonorrhoe 
erkrankten Patienten am zweiten Tage einer complicirenden Urin¬ 
retention Blasenruptur und gleich darauf Exitus letalis eintrat. In 
allen Fällen war die Rißstelle am oberen hinteren Theil der Blase 
gelegen. 

Bezüglich der congenitalen Eprthelcysten der [Blase glaubt 
Limbeck (132) folgende Aetiologie annehmen zu sollen: Dieselben ent¬ 
stehen nicht aus Drüsen der Harnblasenschleimbaut (die in Wahrheit 
gar nicht existiren), sondern entweder durch Verklebung des epithe¬ 
lialen Ueberzuges zweier Falten der Blasenschleimhaut, oder ge¬ 
legentlich in Folge von Granulationsbildungen in der Blase, nachdem 
sich der kleinzellige Inhalt der Granulationsknöpfe verflüssigt hat. 

Die Thatsache, daß nach der chirurgischen Behandlung der 
Blasenectopie in dem neugebildeten Hohlraum sich zuweilen Stein¬ 
bildungen etc. antreffen lassen, hat Zesar (133) veranlaßt, in der¬ 
artigen Fällen auf die Bildung einer Harnblase zu verzichten, die 
noch vorhandenen Rudimente derselben vielmehr gänzlich zu exstir- 
piren und die Ureteren auf den Penis zu überpflanzen. Er selbst 
sowohl wie Niehaus haben in jo einem Falle mittelst dieses Ver¬ 


fahrens günstige Erl'olgo erzielt. Auf einem anderen Wege haben 
zunächst auf dem Wege des Thierexperiments, Tizzoni undPOGGi (134) 
durch Abtrennung einer Dünndarmschlinge mit zugehörigem Peri¬ 
toneum, Vernähung ihrer offenen Enden (Act I), Exstirpation der 
Blase und provisorischen Harnfisteln nach der Bauchwand zu (Act II) 
und schließlich Verpflanzung der Ureteren auf die Darmschlinge und 
Verbindung der letzteren mit der Urethra (Act III) in mehreren 
Fällen bei Thieren gute Resultate erzielt. 

In einer Thöse de Paris schildert Perez (135) die Technik der 
Untersuchung bei der Exploration der Ureteren. Das Vo¬ 
lumen läßt sich, ebenso wie etwaige schmerzhafte Stellen beim Manne, 
durch äußere und Rectaluntersuchung (beim Weibe durch äußere und 
Vaginaluntersuchung) feststellen. Für die Katheterisation, respective 
Abkleramung eines Ureters gibt Verf. eine Uebersieht über die be¬ 
kannten Methoden. Er selbst gibt einen für die Compression des 
Ureters geeigneten Punkt an, der 3 Cm. über dem Vereinigungs¬ 
punkt einer von der Spina pubica vertical aufsteigenden Linie 
einerseits und einer zwischen den Spinae ant. sup. horizontal ver¬ 
laufenden andererseits zu suchen ist. Für klinische Zwecke bietet 
sich die Möglichkeit, einen Apparat zu construiren, analog dem für 
die Compression der Aorta abdominalis gebräuchlichen. Der Kathe- 
torismus der Ureteren ist nur beim Weibe anzuwenden. Beim Manne 
ist er nur nach vorausgegangener Sectio alta ausführbar. Die prak¬ 
tische Bedeutung der Ureteren-KatbeteriBation wird an einigen der 
Literatur entnommenen und selbst beobachteten Fällen erläutert. 

Von anderen Autoren berichten Iversen (136) undKiRKHAN (137) 
über je einen Fall von Pyelitis, in deren einem die Operation der 
Ureteren-Katheterisatiou nur auf Grund der bestehenden Entzündung, 
in dem anderen deshalb ausgeführt wurde, weil ein im Ureter ein¬ 
geklemmter Stein Urinverhaltung herbeigeführt hatte. — In dem 
letzteren Falle erfolgte Exstirpation des qu. Steines. 

(Fortsetzung folgt.) 

Kleine Mittheilungen. 

— Als Pitjecor bezeichnet Dr. Lüigi Oasati einen von dem 
italienischen Chemiker Pitta zubereiteten reinen, entfetteten und nicht 
emulsionirten Leberthran, dem das sehr lösliche und iu Oelen nicht 
veränderliche Catramin zugesetzt ist, ud4 den er im „Raccoglitore 
medieo“ — „Deutsche Med.-Ztg.“, Nr. 13 — gegen chronische 
Lungenaffectionen besonders der Tuberculösen empfiehlt. In 
dieser Weise entspricht ein Löffel zweien des gewöhnlichen und dreien 
des nicht emulsionirten Leberthrans. Die hauptsächlichste Wirkung 
kommt nach Verf. dem Catramin zu, welches direct zerstörend auf 
die Tubcrkelbacillen einwirkt. Verf. schildert in dieser Arbeit 6 Fälle, 
8ämmtlicb erblich tuberculös belastet, bei 5 Bacillen nachweisbar, 
die er mit dem Pitjecor behandelte und dadurch einen so außer¬ 
ordentlichen Erfolg wie nie vorher durch eine andere Behandlung 
erzielte. Trotz der nicht erheblichen Zahl von Beobachtungen hält 
sich Verf. wegen der auffallenden Wirkungen des Präparates schon 
jetzt zu folgenden Aussprüchen berechtigt: 1. Das Pitjecor ver¬ 
mindert rapid die Secretion bei tuberculösen Kranken. 2. Sehr 
schnell verschwinden oder nehmen wenigstens ab das abend¬ 
liche Fieber und die Nachtschweiße. 3. Die allgemeine Ernährung 
gewinut merklich, bisweilen in Verbindung mit sehr erheblicher 
Zunahme des Körpergewichtes. 4. In den Sputis vermindern sich 
und verschwinden überhaupt die Tuberkelbacillen. 5. Die objective 
Untersuchung bestätigt stets die Besserung oder Heilung. 6. Auf 
Grund der klinischen Beobachtungen müßte man auch radicale 
Heilungen durch Behandlung mit Pitjecor zugestehen; da jedoch 
Recidive ähnlicher Affetionen eintreten könnten, ist es vorzuziehen, 
diese Frage gegenwärtig noch ungelöst zu lassen, bis eine längere 
Erfahrung durch eine größere Reihe von Beobachtungen ^die Ent¬ 
scheidung bringt. An diesen Theil der Arbeit reiht Verf. einen 
zweiten über die klinische und experimentelle Wirkung des Catramin. 
Hinsichtlich der ersteren schließt Verf. folgendermaßen: 1. Das 
Catramin wirkt in nahezu specifischer Weise bei der Lungentuber¬ 
eulose. 2. Das Catramin übt einen eminent günstigen Einfluß # bei 
der localen Tuberculose aus, indem diese in sehr kurzer Zeit unter 
dem Gebrauche des gleichmäßig angewandten Mittels sich bessert 

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and heilt. Hinsichtlich der zweiten: 1. Das Catramin ist sogar in 
relativ geringen Dosen ein mächtiges Gift für die Tuberkelbacillen. 
2. Dasselbe verhindert nicht nur die Entwicklung und Vervielfältigung 
des KocH’schen Bacillus, sondern tödtet ihn. 3. Direct, aber un¬ 
verändert auf die Lungen übertragen, ist es das kräftigste Heil¬ 
mittel für die Tuberculose. Das Pitjecor wirkt somit in zweifacher 
Weise, indem es einerseits eine mehr oder weniger specifische 
Wirkung auf den Bacillus ausübt, andererseits, indem es die Wider¬ 
standsfähigkeit des Organismus gegen die pathogenen Mikroorganismen 
erhöht. 

— Als Beitrag zur Prophylaxe der Influenza berichtet Dr. 
Tranjen, Militärarzt in Sistov (Bulgarien) in „Berl. klin. Woch.“, 
Nr. 7, er habe, gestützt auf die aprioristische Empfehlung Gr aeser’b, 
den im genannten Orte garnisonirenden Truppen täglich ein Glas 
Schnaps reichen lassen, in welchem 0*30 Chinin, sulf. enthalten 
war. Während unter der Civilbevölkerung der Stadt, in deren 
Centrum die Caserne sich befand, die Grippe enorme Ausbreitung 
fand, hörte dieselbe 3—4 Tage nach Anwendung des Chinins unter 
den Soldaten fast vollständig auf. Von den 500 Mann der 
Garnison erkrankten nach Einführung des Chiningebrauches nur 10. 

— Netschaeff empfiehlt im „Wratsch“ die Anwendung 
der Tinctura capsici annui bei der Pneumonie der Alkoho¬ 
liker. Er hat dieselbe mit mehreren Alkoholikern nach folgender 
Formel mit gutem Erfolge angewendet: 

Rp. Tinct. oapsic. annui ... 4 0—6‘0 

Aq. destill.180'0 

Syr. simpl.20*0 

MDS. 2—3stündlich 1 Eßlöffel. 

Man kann auch von der reinen Tinctur 3—4 mal täglich 20 
Tropfen verabreichen. Wenn sich trotzdem Symptome von Herz¬ 
schwäche ein stellen, oder wenn die nervösen Erscheinungen zu¬ 
nehmen, wird in den nächsten Tagen die Dosis vergrößert. Bei der 
relativen Unschädlichkeit des Mittels kann man bis zu ziemlich 
hohen Dosen steigen, ohne üble Zufälle befürchten zu müssen. Die 
Tinctura capsici annui bringt die Erscheinungen des chronischen 
Deliriums zum Schwinden oder setzt wenigstens die Intensität be¬ 
deutend herab. Sie mildert wesentlich den Charakter der Pneumonie 
und ruft Appetit hervor. Es tritt rasch ein ruhiger und erquickender 
Schlaf ein und die Heilung geht rasch vor sich. 

— In der Rinde einer in Abyssinien heimischen Leguminose, 
die Baillon als Acacia anthelminthica bezeichnet, hat 
Thiel ein neues Anthelminthicum, Mussanin, entdeckt, dessen 
anthelminthische Wirkung eine stärkere ist als die des Kousso, 
und dessen Geschmack ein viel besserer ist, als der des letzteren. 
Die genannte Rinde wird als Pulver in Dosen von 40—60 Grm. 
rein oder mit Honig oder Milch gemischt, gebraucht. Auch kann 
man aus der Rinde ein Infus bereiten, das man in Dosen von 
40 Grm. täglich nimmt. Man verabreicht das Mittel des Morgens 
3—4 Stunden vor dem Essen, und nach 24 Stunden ist die Taenia 
abgetrieben. Aus den Versuchen des Verf. („Giom. intern, delle 
scienze mediche“, Nr. 12, 1889) scheint hervorzugehen, daß das 
Mittel berufen ist, eine wichtige Rolle in der Therapie zu spielen. 

— Dr. Hartmann hat auf der Universitäts-Abtheilung des 
Bezirkshospitals in Dorpat die Behandlung der Syphilis mit In- 
jectionen von Hydrargyrum oxydulatum nigrum purum versucht 
und thcilt in Nr. 3 der „St. Petersb. med. Woch.“ die von ihm 
erzielten Resultate mit. Er brauchte zuerst eine Suspension von 
Hydrarg. oxydul. nigr. pur. l - 0 in Glycerin und Aq. dest. aa 5 0, 
ging jedoch zu einer Suspension von I/O in 01. olivar. puriss 10 - 0 
über, da sich das Quecksilber mit dem letzteren inniger vermischte 
und sich besser suspendirt hielt. Die Mischung wurde jedesmal vor 
der Injection frisch znbereitet. Hartmann injicirte pro dosi eine 
PRAVAz’sche Spritze voll, also 1*0 01. olivar., enthaltend 0*1 
Hydrarg. oxydul. nigr. pur. Die Injectionen wurden in 7tägigen 
Intervallen, und zwar abwechselnd in die Nates der rechten und 
linken Seite, unter antiseptischen Cautelen gemacht. Abscesse traten 
in 3‘4°/ 0 der Injectionen auf, Gingivitis, rosp. Stomatitis mercurialis 
wurde nur 3mal beobachtet. Wenn sich nach den Injectionen In¬ 
filtrate bildeten, so waren sie klein, wenig schmerzhaft und gingen 
in wenigen Tagen zurück. Die geringen Schmerzen nach den In¬ 


jectionen dauerten durchschnittlich 3—4 Tage. Um die Erschei¬ 
nungen einer ausgesprochenen secundären Lues, die zum ersten Male 
mit Quecksilber behandelt wurde, zum Schwinden zu bringeu, waren 
5—6 Injectionen nöthig, bei einer durchschnittlichen Behandlungs¬ 
dauer von 36 Injectionen. In Fällen, wo es sich um ein leichtes 
Recidiv handelte, genügten 2—3 Injectionen. Auch Kinder vertrugen 
die Injectionen ganz gut. Vergleichende Versuche mit Calomel haben 
ergeben, daß das in Olivenöl suspendirte Hydrargyrum oxydul. 
nigrum purum vor diesem den Vorzug besitzt, geringere locale 
Reactionserscheinungen und besonders bedeutend geringere Schmerzen 
hervorzurufen. 

— Ueber die Wirkung des mit Kaliumhydroxyd behandelten 
Terpentinöls bei catarrhalischen Affectionen der Luftwege 

thoilt Fr. Kogelmann in Nr. 13 der „Deutsch. Med.-Ztg.“ folgende 
interessante Beobachtung mit: Wiederholt hatte er an sich selbst 
den Versuch gemacht, durch Einathmung der Dämpfe ätherischer 
Oele — insbesondere des Terpentinöls — die beginnende Reizung 
in der Nasenhöhle sofort zu beheben, stets war der Erfolg gleich 
Null und die Affection nahm ihren Weg bis in die Bronchien. Endo 
des verflossenen Decembers — also in der Influenza-Periode — 
stellteu sich nach einem 2stündigen Abendspaziergange in nebelig- 
nasser Luft gleichfalls die ersten Reizungserscheinungen in der 
Nasenhöhle bis rückwärts nach dem Zäpfchen ein. Da versuchte er 
Einathmung der Dämpfe von mit Kaliumhydroxyd behandeltem Ter¬ 
pentinöl. Der Erfolg war ein überraschend günstiger. Behufs einer 
chemischen Arbeit waren nämlich in einer Flasche gemischt wordeu: 
9 Volumen rectificirtes Terpentinöl, 1 Volumen gewöhnliches Petro¬ 
leum und 1 Volumen einer alkoholischen Lösung von Kaliumhydroxyd 
(1 Gewichtstheil Kal. caust. in 5 Gewichtstheilen absoluten Alkohols). 
Die Mischung wurde heftig geschüttelt uud absetzen gelassen. Es 
wurden nun von Viertelstunde zu Viertelstunde je fünf langsame 
Athemzüge durch die Nase gethan, wobei diese dicht an die Mün¬ 
dung der erwähnten Flasche gehalten wurde. Nach 5—6maliger 
Wiederholung war die vorhandene Reizung völlig behoben. Zur 
Sicherheit wiederholte er an den nächstfolgenden 3 Tagen das Gleiche. 
Ob damit eine Influenza mit Affection der Luftwege — ob ein ein¬ 
facher „Schnupfen“ im ersten Stadium behoben wurde, i*t selbst¬ 
verständlich nicht zu entscheiden. Doch berechtigt der günstige 
Erfolg, die Wiederholung des Versuches wärmstens zu empfehlen. 
Ob für Heilzwecke die Gegenwart von Petroleum erforderlich, ob 
es nöthig, * eine so concentrirte Lösung von Kaliumhydroxyd zu 
verwenden, ob auch (wie höchst wahrscheinlich) Natriumhydroxyd 
gleich geeignet, ist nicht untersucht worden. Wie sich auf den 
ersten Blick ergibt, ist so behandeltes Terpentinöl frei von jeder 
Spur einer durch Oxydation gebildeten Säure, und wird hierin wohl 
die Ursache der günstigen Wirkung gegenüber gewöhnlichem Ter¬ 
pentinöl liegen. Um auch Nebenumstände zu erwähnen, muß schließ 
lieh bemerkt werden, daß jene Mischung etwa 14 Tage hindurch 
vor ihrer Anwendung in einer halbgefüllten Flasche gestanden hat; 
Bie wurde nie von directem Sonnenlichte getroffen. 

— Ueber den Werth der Collodium-Behandtung bei er¬ 
schlafftem Trommelfelle äußert sich Dr. Keller (Cöln) in Nr. 1 
der „Montssch. f. Ohrenbeilk.“ sehr lobend. Nach vorheriger Luft- 
douche wird das Collodium bei starker Seitwärtsneigung des Kopfes 
durch den eingestellten Ohrtrichter direct in den Gehörgang ge¬ 
gossen ; das überschüssige Collodium wird sofort nach dem Ein¬ 
gießen mit Watte aus dem Gehörgange aufgesaugt, während der 
Kopf noch einige Minuten in der Seitenlage verbleibt; die nach¬ 
folgende Untersuchung ergibt, ob das Trommelfell in toto mit dem 
Collodium überzogen ist oder nicht, in welchem Fallo die Wiederholung 
der Procedur erforderlich ist. Nach der Application zeigt sich die 
bekannte Gefäßinjection am Hammergriff und dem angrenzenden 
oberen Gehörgangsabschnitte, welche sich einige Stunden oder Tage 
lang erhalten kann. Dem Kältegefühl während der Erstarrung des 
Collodiums folgt bald eine angenehme Wärme ohne sonstige lästige 
Erscheinungen, nur verspüren die meisten Patienten für die Dauer 
der ersten Tage beim Nasenputzen, Aufstoßen, überhaupt bei 
stärkeren Luftdruckschwankungen im Mittelohre, mehr oder weniger 
heftige Stiche am Trommelfelle, welche sich aber in der bezeiohneteu 
Frist dauernd verlieren. Sonstige unangenehme Folgen haben sich 


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nicht gezeigt. Die Wirkung der Behandlung äußert sich alsbald in 
der wesentlich beschränkteren Excursionsfäbigkeit des Trommelfelle; 
dies ergibt die Untersuchung, sowie die Angabe der Patienten, 
welche sich bedeutend weniger von den früheren Beschwerden be¬ 
lästigt fühlen. — Wie M’Keown bereits angegeben, beginnt die 
Collodiumdecke erst nach 3—6 Wochen und noch später sich ab¬ 
zuheben, so daß sie mit der Pincette entfernt werden kann. Auch 
dann behält das Trommelfell ausnahmslos einen erhöhten Grad von 
Spannung, was sowohl die Untersuchung als auch das subjective 
Gefühl des Patienten ergibt. Worauf diese dynamische Einwirkung 
des Mittels beruht, mag dahingestellt bleiben; gewiß spielt der Um¬ 
stand hiebei eine wesentliche Rolle, daß die bis dahin jedes Haltes 
beraubte Membran nun Wochen und Monate lang ruhig in ihrer 
Lage verbleiben konnte. Meistens wurde der Sicherheit halber nach 
Abstoßung der Collodiumdecke diese Behandlung noch ein oder 
mehrere Male wiederholt; ob die Heilung eine definitive blieb oder 
nach Jahren wieder ein Recidiv eintrat, hatte Verf. nicht Gelegen¬ 
heit, feststellen zu können. Vergleichen wir die anderen, bei Trommel¬ 
fell-Erschlaffung üblichen Methoden, wie Excision von Trommelfell¬ 
stücken, Galvanocaustik, Bepinseln mit starken Höllensteinsolutionen 
u. s. w. mit dem in Rede stehenden Verfahren, so leuchten die 
Vorzüge desselben ohne Weiteres ein, insofern die Anwendung 
schmerzlos ist, keine Gefahr in sich schließt und vou raschem und 
nachhaltigem Erfolge begleitet wird. 

— Das Vorkommen von Quecksilber in den Bandwürmern 
eines mit Quecksilber behandelten Syphilitikers ist bis nun noch 
nicht beobachtet worden. Der von Dr. L. Oklkeks in Nr. 7 des 
„Cbl. f. Bact. w veröffentlichte Fall verdient daher ein erhöhtes 
Interesse. Er betrifft einen 28jäbrigen Schlächtergesellen, der am 
28. October v. J. auf die syphilitische Abtheilung der Göttinger 
medicinischen Klinik aufgenommen wurde, nachdem er im Mai im 
Bremer Krankenhause eine Schmiercur durchgemacht hatte. Die¬ 
selbe wurde in Göttingen fortgesetzt, und hatte Pat. im Ganzen 
176 Grm. Ung. hydrarg. cinereum (= 59 Grm. Quecksilber) verrieben. 
Schon in Bremen waren dem Pat. Bandwurmglicder abgegangen, 
Mitte November gingen wieder welche ab, die durch eine eigen¬ 
tümliche graue Farbe auffielen. Bei einer darauf eingeleiteten 
Abtreibung mit Extr. filicis maris wurden zwei Bandwürmer (Taenia 
mediocanellata) erhalten, deren graue Farbe einen Quecksilbergehalt 
vermuten ließ. Die chemische Untersuchung ergab in der That 
die Anwesenheit von Quecksilber in den verschiedenen Theilen (Vas 
deferens, Vasa efferentia, Hodenbläschen, Vagina, Glieder, Kopf) 
der Bandwürmer. Bemerkenswert ist, daß die relativ großen 
Quecksilbermengen, welche von den Bandwürmern aufgenommen 
worden sind, die Lebensfunction der Thiere anscheinend nicht zu 
stören vermocht haben. Dieselben waren bis zur Abtreibungscur 
vollständig am Leben, da dem Kranken fortwährend Glieder ab¬ 
gingen, die abgetriebenen Thiere auch keinerlei pathologische Ver¬ 
hältnisse zeigten und sich nur durch ihre graue Farbe von anderen 
ihrer Art unterschieden. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 21. Februar 1890. 

Vorsitzender: G.-St.-A. Dr. Podratzky. — Schriftführer: 
R.-A. Dr. A. Fbaenkel. 

Prof. Fuchs stellt ein 14jähriges Mädchen vor, das im 
3. Lebensjahre einen Sturz erlitten hat, dessen Folgen noch heute 
wahrnehmbar sind. Es besteht nämlich eine vollständige Lähmung 
des linken Facialis, des Abdomens und Parese des Acusticus und 
der Portio minor trigemini, Veränderungen, die wahrscheinlich auf 
eine Basisfractur zurückzuführen sind, die in schräger Richtung 
durch die Felsenbeinpyramide ging. Der Fall bietet einige inter¬ 
essante Besonderheiten. Während gewöhnlich die Facialislähmung 
bei offenen Augen nicht bemerkt wird, sondern nur, wenn man 
die Pat. anweist, die Augen zu schließen, ist hier die Lähmung 
schon bei offenen Augen sichtbar. Die Lidspalte ist linkerseits um 


etwa 5 Mm. weiter und bleibt immer ollen, so daß die Cornea stets 
bloß liegt. Diese Veränderung ist eine Folgo der secundären Con- 
traction des nicht gelähmten Levators. Bemerkenswerth ist ferner 
in diesem Falle das Fehlen des Ectropiums des unteren Augen¬ 
lides, trotz lljährigem Bestände der Lähmung, und das Freibleiben 
der Cornea, die sonst immer austrocknet. In Folge der Abducens- 
lähraung und Contractur des anderen Rectus ist das linke Auge 
nach der entgegengesetzten Seite hinflbergezogen; auch ist die 
Sehschärfe sehr herabgesetzt. Schließlich besteht ein leichter Grad 
von Exophthalmus, der aber auf einer durch Myopie bedingten 
Verlängerung des Bulbus beruht. Zur Erklärung der Entstehung der 
Myopie kann hier nicht das Sehen in die Nähe herangezogen 
werden, da das linke Auge seit 11 Jahren zum binocnlären Sehen 
nicht verwendet wird; man muß vielmehr aunehmen, daß durch 
die dauernde starke Convergenz der Opticus einen fortwährenden 
Zug am hinteren Pol des Bulbus ausübt und dieser dadurch ver¬ 
längert wurde. 

Prof. WEINLECHNER demonstrirt 2 kleine Mädchen, die nebst 
anderen angeborenen Mißbildungen auch angeborene Luxa¬ 
tionen der Kniegelenke zeigten, und zwar handelte es sich in 
einem Falle um Luxation beider Kniegelenke, im zweiten um eine solche 
des rechten. In beiden Fällen bestand eino sogeuannte Luxatio tibiao 
praefomoralis. Während es sonst gelingt, durch Redressement und 
Fixirung des Kniegelenkes in Bcugesteliung derartige Fälle zur 
Heilung zu bringen, gelang dies in dieseu 2 Fällcu nicht. W. griff 
daher zu anderen Verfahren. Im ersten Falle drängte er die linke 
Kniescheibe herciu und nagelte sie mit Nägeln an. Das Resultat 
ist ein ausgezeichnetes. Pat. kann das Bein im Knie strecken (ohne 
daß eine Ueberstreckung stattfindet) und bis ungefähr 100 ° beugeu. 

Im 2. Falle wurde eine Arthrodese gemacht, indem in den 
Oberschenkel eine Vertiefung für die Tibia geschnitten wurde, in 
welche diese einheilte. 

Dr. FELLNER Stellt den von ihm nach der Thübe-Bbandt- 
schen Methode behandelten und in der Sitzung dieser Gesellschaft 
vom 8. November v. J. als geheilt demonstrirten Fall von Uterus¬ 
prolaps wieder vor. Die Heilung hält unverändert an. 

Dr;. OBERMAYER macht eine vorläufige Mittheilung über eine 
Modification der Jaffe’s eben Indicänprobe im Harn. 
Dieselbe besteht darin, daß ein Oxydationsmittel gewählt wird, 
welches, in großem Ueborschuß zugesetzt, das gebildete Indigoblau 
intact läßt. Dieses Mittel ist das Eisenchlorid. Der Harn wird mit 
Bleizuckerlösung ausgefällt, filtrirt, das Filtrat mit dem gleichen 
Volumen rauchender Salzsäure, die auf 500 Theile 1—2 Theilo 
Eisenchlorid enthält, tüchtig umgeschüttelt. Das gebildete Indigoblau 
wird mit Chloroform aufgenommen und setzt sich zu Boden. 

Prof. CsOKOR demonstrirt ein Präparat von sogenannter 
Brustseuche der Pferde, einer eigenthümlichen Form von 
Pneumonie im Anschluß an Influenza der Pferde, die sich von der 
gewöhnlichen Pneumonie dadurch unterscheidet, daß sie nicht auf 
den abschüssigen Partien beschränkt ist, sondern an allen Theilen 
der Lunge als eine mortificirende, multiple Pneumonie auftritt, die 
zu Cavernen, septischem Brand und hämorrhagischer Pleuritis Anlaß 
gibt. Die in dem Exsudate gefundenen Pneumobacterien unter¬ 
scheiden sich von den gewöhnlichen durch ihr Wachsthum in Gelatine 
und sind für Thiere sehr pathogen. 

Di8cu8sion über Influenza. 

Prof. KAHLER bespricht die im Verlaufe oder nach der Influenza 
auftretenden Lungenerscheinungen. Er unterscheidet drei Verlaufs¬ 
weisen : 

In einer Reihe von Fällen entstehen acute Lungenabscesse 
und eitrige Pleuritis, letztere selbstständig oder im Anschluß an 
Abscesse. Als Paradigma erwähnt Iv. einer 42jährigen Frau , die 
in der Nacht vom 12. auf den 13. December plötzlich Fieber 
und alle Symptome der Influenza bekam. Am nächsteu Tage war 
das Fieber sehr hoch (40‘4 °), das Sensorium benommen. Neben 
diffus-catarrhalischen Symptomen waren Erscheinungen einer relativen 
Dämpfung LHU, daselbst Rasselgeräusche vorhanden. Sputa eiterig- 
catarrhalisch. Es wurde eine beginnende Pneumonie im linken 
Unterlappen diagnosticirt. Am nächsten Tage leichte Remission, des 
Abends neue Steigerung des Processes, diffuses Rasseln, LHU Däm- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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pfuug, bronchiales Exspirationsgeräuseh. Nachts Exitus letalis. Dio 
Section ergab diffuse eitrige Bronchitis, in beiden Unterlappen Ab- 
sceßbildung, eitrige Pleuritis. In einem zweiten Falle fand sich die 
Absceßbildung im Centrum von schlaffen, pneumonischen Infiltraten. 
In anderen Fällen ist das Bild der eiterigen Pleuritis vorherrschend, 
wie dies in drei letal ausgegangenen Fällen geschehen ist. 

Bei der großen Seltenheit primärer Abscesse, acuter eiteriger 
Pleuritiden, muß in diesen Fällen eine specifische Krankheitsursache 
angenommen werden, und zwar spricht das Auftreten der Abscesse 
schon in den ersten Tagen der Influenza für eine directe Ein¬ 
wirkung des Influenzagiftes und nicht für eine secundäre Infection. 

Die zweite Verlaufsweise bezeichnet K. als schleichende 
lobuläre Pneumonie und Pleuropneumonie. Nach Ab¬ 
lauf der Influeuza erholen sich die Kranken nicht, die Pulsfrequenz 
wird höher, die Temperatur steigt wieder an und an den Stellen, 
wo die Pat. über Stechen klagen, bilden sich die Erscheinungen 
einer Lungeninfiltration aus. Die Lösung erfolgt aber nicht zur 
Zeit, sondern dio Infiltration ergreift andere Lungenpartien, das 
Fieber fällt und nimmt wieder zu , bis schließlich Heilung erfolgt. 
Häufig gesellt sich noch eine serös oder serös - hämorrhagische 
Pleuritis dazu. 

In einer 3. Reihe von Fällen werden schwere Bronchitiden 
beobachtet, die für sich letal werden können, oder aber von catar- 
rhalisch-pneumonischen Heiden in der Umgebung begleitet sind. 

Ein Bindeglied verbindet alle diese Fälle, d. i. die acute eitrige 
Bronchitis, und zwar muß es von der Natur des Krankheitsstoffes 
abhängen, welche von den beschriebenen Veränderungen sich etablirt. 

DoC. Or. HEULER weist darauf hin, daß die jetzige Influenza- 
Epidemie uns den Schlüssel geliefert hat zur Aufklärung so manchen 
dunklen Falles, der früher vorgekommen ist und unter verschiedenen 
Namen geführt wurde. H. skizzirt die Verschiedenheit der Lungen¬ 
veränderungen bei der Influenza und wirft die Frage auf, ob dieselben 
primäre oder secundäre Infectionen sind. Wenn gleich mit dem 
Einsetzen der Influenza Lungenerscheinungen auftreten , die ebenso 
rasch verschwinden, muß man sagen, daß dieselben zum Wesen der 
Influenza gehören. 

Damit soll aber nicht negirt werden, daß auch secundäre 
Lungenveränderuugen auftreten können. 

Was das Verhältniß der croupösen Pneumonie zur Influenza 
betrifft, so gibt es zweifellos Fälle, die während der Influenza auf¬ 
getreten sind und mit dieser nichts zu thun haben. Ferner gibt 
es Fälle vou croupöser Pneumonie, die bereits nach Ablauf der In¬ 
fluenza auftreten. Hat aber die Pneumonie mit den Erscheinungen 
der Influenza begonnen, so kann es sich wohl um eine Mischinfec- 
tiou handeln, es wäre aber auch möglich, daß die Pneumonie durch 
den Influenza-Erreger hervorgerufen würde. Gegen diese Anschauung 
spricht weder die klinische und anatomische Beobachtung, noch auch 
die bacteriologische Forschung. Wissen wir doch, daß die croupöse 
Pneumonie durch verschiedene Krankheitserreger hervorgerufen werden 
kann (Diplococcus pneumoniae, Bacillus Friedländeb, Streptococcus 
pyogenes); es wäre also nicht unmöglich, daß auch noch andere 
Mikroorganismen croupöse Pneumonien hervorrufen könnten. S. 

Wiener medicinisches Doctoren-Collegiiim. 

(Origiual-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 10. Februar 1890- 

Prim. Neusse r : lieber Anämien mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der Differentialdiagnose. 

H. 

Herz und Chlorose. 

(Schluß.) 

Neusser bespricht nun die Frage, ob ein gegebenes Geräusch 
organischer oder accidenteller Natur sei. In solchen Fällen sind 
gewisse Relationen der Geräusche, die man für gewöhnlich nicht 
berücksichtigt, von großem Belang. Vor Allem ist die Reciprocität 
der Veuengeräusche zu dem jeweiligen Befunde im Herzen von Be¬ 
lang. Nach allen jetzigen Anschauungen schließt ein Nonnengeräusch 
einen hohen Druck im Venensystem aus, weil zur Entstehung des¬ 
selben eine rasche Strömung durch die Vorhöfe nothwendig ist. 
Man findet daher bei Herzerkrankungen, die zur Stauung im Venen- 
systein führen, selten Nonnengeräusche, selbst in Fällen, wo die 


Anämie ausgesprochen ist; und gerade die Seltenheit dieser Er¬ 
scheinung bei Herzfehlern gilt als differential diagnostisches Symptom 
zwischen Chlorose und Klappenerkrankungen, namentlich des Mitral- 
ostiums. Doch trifft dies uicht für alle Fälle zu, denn eigene wie 
fremde Beobachtungen beweisen, daß bei Klappenfehlern, Nonnen- 
geräusehe Vorkommen, auf der anderen Seite bei Chlorotischen, wenn 
durch besondere Complicationen der Venendruck erhöht wird, vor¬ 
handene Nonnengeräusche verschwinden können. Diese scheinbare 
Divergenz findet ihre Erklärung darin, daß zwischen Venensystem 
und Lungenkreislauf eine Saug- und Druckpumpe eingeschaltet ist, 
nämlich das rechte Herz. Ist die Kraft des rechten Ventrikels suffi- 
cient, dann braucht der Druck in den Hohlvenen nicht erhöht zu 
sein; wird aber das rechte Herz insufficient, um die während der 
Diastole aufgenommene Blutmenge in die Pulmonalis zu treiben, 
dann entsteht eine Blutstauung und eine Drucksteigerung in den 
Venen. Diese Thatsache, daß durch künstliche Steigerung des 
Druckes im Pulmonalsystem bei anämischen Herzkrankheiten die 
etwa vorhandenen Venengeräusche zum Verschwinden gebracht 
werden können, läßt sich uuter Umständen für die Differential¬ 
diagnose zwischen einem zweifelhaften Mitralfehler und Chlorose 
verwerthen. Bei Chlorose werden bekanntlich beim Aufsitzen, beim 
schnellen Herumgehen die Nonnengeräusche lauter und intensiver. 
Letzteres gilt aber nicht für diejenigen Formen von Chlorose, welche 
durch Complication mit Dilatation des rechten Ventrikels oder durch 
gleichzeitige Hypoplasie der Aorta den Herzfehlern nahekommen. 

Gerade das negative Verhältniß des Nonnengeräusches, d. h. 
sein gänzliches Verschwinden oder Ausbleiben der Verstärkung bei 
Erhöhung der Herzarbeit, kann bei sonst ausgesprochener Chlorose 
auf den Gedanken führen, daß die Krankheit im cardiovasculären 
Sinne complicirt sei. 

Auch in Fällen von frischer Endocarditis nach Gelenksrheuma¬ 
tismus, welche häufig von Anämie, nicht selten von chlorotischem 
Blutbefund begleitet ist, kann dieses Verhältniß der Nonnengeräusche 
in ihrer Reciprocität zum zweiten Pulmonaltone eine diagnostische 
Bedeutung als Reagens für die relative Leistungsfähigkeit des Herz¬ 
muskels gewinnen. Eine weitere Stütze findet diese Symptomenkette 
in ihrer Beziehung zu dem zeitlichen Auftreten, resp. Verschwinden 
der Herzgeräusche an der Auscultationssteile der Mitralis und der 
Pulmonalis. Besteht ein Venengoräusch und ein systolisches Ge¬ 
räusch an der Herzbasis ohne Geräusch an der Herzspitze, dann 
handelt es sich um Anämie. Findet sich gleichzeitig ein Geräusch 
an der Herzspitze, welches vorübergehend ist oder früher als das 
Pulmonalgeräusch verschwindet, so handelt es sich wieder um Anämie. 
Wenn aber das Geräusch an der Herzspitze ohne Pulmonalgeräusch 
auftritt oder aber nach dem Verschwinden des letzteren persistirt, 
dann besteht recente Endocarditis an der Mitralklappe. 

Das Vorkommen accidenteller diastolischer Ge¬ 
räusche über der Aorta, welche eine Aorteninsufficienz vortäuschen 
können, wird gegenwärtig allgemein anerkannt. Die accidentellen 
diastolischen Geräusche entstehen bei Chlorosen offenbar in der 
V. Cava superior. Sie können, abgesehen von der bis nun ange¬ 
deuteten Irreführung in der Diagnostik, auch noch dadurch eine Be¬ 
deutung erlangen, daß sie den 2. Pulmonalton dämpfen und ab¬ 
schwächen und hiedurch zu der falschen Annahme einer Herab¬ 
setzung des Aortendruckes oder angeborener Kleinheit ihres Klappen¬ 
apparates verleiten können. Für solche Fälle wird die genaue 
Berücksichtigung der Pulse maßgebend für die Diagnose. Der Puls 
bei Chlorosen ist zuweilen normal oder weich und etwas schnellend, 
manchmal weich und gespannt, manchmal aber klein, namentlich bei 
Fettleibigen, welche gewöhnlich kleine Arterien besitzen. Puls¬ 
arhythmien hat Neusser bei reinen Chlorosen nie gesehen, nur in 
einem Falle bei einer chlorotischen Russin aus Odessa, welche sehr 
viel Cigaretten rauchte. 

Eine besondere Berücksichtigung verdienen außerdem bei 
Chlorose die Erscheinungen an den Venen des Halses. Negative 
Pulse in den Jugularvenen sind hiebei ein sehr häufiges Vorkommniß, 
namentlich in Fälleu, wo gleichzeitig Dilatation des Herzens vorliegt. 
Man findet in solchen Fällen die Arterien schlaff oder aber erweicht 
und gespannt, so daß man letzterenfalls von einer wirklichen 
hydrämischen Plethora mit Erweiterung der Herzhöhlen und der 
Gefäße sprechen kann. Die genaue Berücksichtigung dieser zwei 


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verschiedenen Formen von Chlorose kann eine besondere, von der 
gebräuchlichen Art der Behandlung abweichende Therapie involviren. 
Es ist eine altbekannte Beobachtung, daß bei hochgradig chloroti- 
schen Dienstmädchen, welche einen Großtheil unserer Ambulanz aus¬ 
machen, die Chlorose, so lange jene gleichzeitig ihrer Arbeit nach¬ 
gehen, trotz Eisentherapie und guter Ernährung nicht gebessert 
wird. Es sind dies Chlorosen mit Dilatationen des Herzens und den 
früher besprochenen Symptomen an den Venen und Arterien. Diese 
Chlorosen gehören in’s Bett, und erst bei Bettruhe feiert das Eisen 
seine Triumphe. 

Ob man nicht behufs rascherer Beseitigung der Herzdilatation 
Digitalis und Strophantus verabreichen könnte, wie dies Bamberger 
für die Behandlung der asthmatischen Paroxysmen bei Plethora 
leucaemica vorgeschlagen hat, darüber mangelt es dem Redner bislang 
an eigener Erfahrung. Von demselben Gesichtspunkte müßte man auch 
die Heilresultate beurtheilen, welche Wjlhelmi durch wiederholte 
Aderlässe bei Chlorosen erzielt haben will. Es wäre nicht unmöglich, 
daß in den Fällen, wo eine krankhafte Zunahme der Blutmasso be¬ 
steht, eine künstlich herbeigeführte Abnahme derselben die Heilung 
der Bleichsucht fördern könnte. Es wäre aber auch denkbar, daß 
die vorgenommenen Blutentziehungen in gewissen , namentlich mit 
Hysterie complicirten Fällen im Stande sind, die arbeitsfaulen cyto- 
genen Apparate zur frischer und ausgiebiger Thätigkeit herauszu¬ 
fordern und dadurch die Blutregeneration in gesunde Bahnen zu 
lenken. S. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Orig.-Boricht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 8. Februar 1890- 

Die Influenza-Epidemie in Budapest. 

m. 

Dr. A. Onodi hat bei verschiedenen Kranken, die an Influenza 
schnupfen litten, Parosmien beobachtet (Geruch nach Petroleum, 
Theer, Schwefel, Knoblauch u. s; w.), welche mit dem Schnupfen 
aufhörten. 

Dr. J. Hlatky erwähnt einige von den von ihm beobachteten 
250 Influenza-Fällen, welcho durch besondere Nerven- und psychische 
Erscheinungen sich bemerklich machten. Eine 44jährige Frau wurde 
am 2. Tage der Erkrankung aufgeregt, wollte fliehen, dann verfiel 
sie wieder durch 3 Tage in einen Halbschlummer; sie kam allmälig 
zu sich, wobei sie anfangs schwerfällig in Sprache und Bewegungen 
war. Eine 24jährige Hysterica litt 8 Tage an heftigem einseitigem 
Kopfschmerz. Bei einem Potator verursachte die Influenza Delirium 
tremens. Zu letalem Ausgang kam es bei 3 Phthisikern. 

Dr. ‘ W. Helfer wendet sich gegen die vom Referenten 
Dr. Angyän aufgestellte Erkrankungsziffer von 50°/ 0 , welche er für 
eine äußerst übertriebene Schätzung hält, denn theilweise sind die 
Aerzte in solchen Zeiten sejbst geneigt, für eine epidemische Er¬ 
krankung anzusehen, was eine solche nicht ist, wozu noch die Un¬ 
möglichkeit genauer Beobachtungen bei Massenerkrankungen hinzu¬ 
kommt, theils mag — besonders bei Beamten und Personen mit 
fixer Anstellung — viel Simulation vorgekommen sein. 

Dr. N. Dubay hat bei zwei nenropathisch belasteten Personen 
Eclampsie beobachtet. 

Prof. E. Schwimmer: Daß Dermatosen bei Influenza Vor¬ 
kommen, ist ans der ausländischen Fachpresse bekannt; immerhin 
sind diese Fälle nicht häufig. Bei einer 26jährigen Frau beob¬ 
achtete er am 5. Tage nach dem Fieber Herpes labialis. Dann 
sah er Erythema iris und circinatus am 4.—6. Tage nach dem 
Fieber. Am interessantesten war ein Erythema scarlatiniforme bei 
einem 35jährigen Manne mit starker Abschilferung. Auch ein Ery¬ 
thema exsudativum multiforme kam zur Beobachtung. 

Dr. F. Hdtyra hebt hervor, daß die Influenza der Pferde, 
obgleich sie ähnliche Formen wie die menschliche zeigt, mit letzterer 
nicht identisch ist. Was den Einwand gegen die Auflassung der 
Influenza als contagiöse Erkrankung anlangt, daß nämlich die 
rasche Verbreitung und große Ausdehnung dieser Epidemie für 
den miasmatischen Ursprung spricht, führt er zu Gunsten ersterer 
Auffassung die Maul- und Klauenseuche an, welche, obgleich un¬ 


zweifelhaft eminentcontagiös, trotz allen prophylactischen 
Maßregeln sich rasch verbreitet. 

Dr. J. Abonyi hat in 5 Fällen von Influenza heftige Odon- 
talgien beobachtet, welche mit der Influenza aufhörten. In dem 
einen Falle ließ er sich durch die positiven Angaben der Kranken 
zur Extraction bewegen, wo ein gesunder Zahn herausgefördert wurde. 

Dr. J. Bökai: Für die geringe Betheiligung der Kinder an 
der Influenza spricht die Thatsache, daß unter den 1400 ambulanten 
Kranken des Stepbanie-Kinderhospitales im Januar sich nur 20 In¬ 
fluenza-Kranke fanden. Zumeist traten leicht vorübergehende fieber¬ 
hafte Erscheinungen in den Vordergrund. Selbst die catarrhalischen 
und croupösen Pneumonien waren in diesem Monate geringer als in 
dem gleichen des vorigen Jahres. n. 


Notizen. 

Wien, 22. Februar 1890. 

(In memoriam Josephi II.) Unter dem Titel „Kaiser 
Joseph II. als Reformator des österreichischen Militär-Sanitäts- 
Wesens“ veröffentlicht Reg.-Arzt Dr. S. Kirche.vbekger anläßlich 
des hundertsten Sterbetages des „Schätzers der Menschheit“ eine 
umfassende Brochure, welche die unvergänglichen Verdienste des 
Kaisers um das österreichische Militärsanitätswesen schildert. Unsere 
Leser dürfte der Wortlaut des Diploms interessiren, durch welches 
Joseph II. das von ihm gestiftete medicinisch-chirurgische Institut 
zu einer Akademie, der „Josephinischen medicinisch- 
chirurgischen Akademie“, erhob: 

„Wir Joseph der Zweyte von Gottes Gnaden erwählter 
römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, König 
in Germanien, zu Jeiusalem, Hungarn, Böhmen etc. etc. 

Um dem Theile der Nation, welcher zur Vertheidigung des gemein¬ 
schaftlichen Vaterlandes, für die Rechte unseres Thrones und die Sicherheit 
seiner Mitbürger sein Leben jeder Gefahr preiszustellen über sich nimmt, 
unsere besondere Achtung zu erkennen zu geben und zur Erleichterung seiner 
ehrenvollen, aber beschwerlichen Pflicht beizutragen, haben Wir in unserer 
Hauptstadt eine eigene vollständige militär-medicinisch-chirnrgische Lehranstalt 
mit den hiezu nöthigen Lehrämtern errichtet, zur Bekleidung dieser Lehr¬ 
ämter die geschicktesten Männer gewählet, ein eigens dazu gewidmetes Ge¬ 
bäude vom Grunde aus führen und solche mit allen zum Unterrichte gehörigen 
Instrumenten, Kunstgeräthen und anderen Erfordernissen aller Gattung reich¬ 
lich versehen lassen. 

Um nun diesem zustandgebrachten Institute ein offenbares Merkmal 
unseres Schutzes zu geben und zugleich den Umfang seiner Nutzbarkeit auf 
unsere sämmtlichen Unterthanen zu erweitern: so ertheilen Wir demselben 

l Ua * Gegenwärtiges von Uns eigenhändig unterzeichnet es Diplom, wo¬ 
durch Wir solches zu einer öffentlichen k. k. medicinisch-chirur gi¬ 
schen Akademie erheben und in dieser Eigenschaft, soviel den chirurgi¬ 
schen Zweig der Arzneywissenschaft betrifft, alle ihre Vorrechte verleihen, 
welche den Universitäten in unseren Staaten und Ländern verliehen sind. 
Kraft dieser Vorrechte hat diese Akademie 

2'*" das Befugnis, diejenigen Schüler, welche bei ihr den ordentlichen 
Lehrgang vollendet and in den vorgeschriebenen Prüfungen von den erwor¬ 
benen Kenntnissen in der Medicin und chirurgischen Wissenschaft zureichende 
Beweise abgelegt haben, zu Magistern und Doctoren der Chirurgie 
zu befördern und als solchen die gewöhnlichen Diplome auszufertigen. 
Wollen auch 

3**“ und verordnen hiemit unsern sämmtlichen hohen und niederen 
Stellen, dass die von dieser Akademie beförderten MagLter und Doctoren 
der Chirurgie in dieser Eigenschaft in allen unsern Reichen und Ländern 
anerkannt werden, ihre Kunst aller Orten sowohl beim Militär als Civil aus¬ 
zuüben berechtigt, auch sonst zu allen öffentlichen und landesfürstlichen, der 
Chirurgie angemessenen Ämtern und Uedingnissen zu gelangen, fähig sein 
sollen. 

d““’ Endlich verleihen Wir der Akademie zu dem Sigille bei Ausferti¬ 
gung ihrer Diplome u d anderer akademischen Urkunden unser Insiegel mit 
folgender Umschrift: 

„Academia caes. reg. Josephina Medico- 
chirurgica Vindob.“ 

Wie solches in dem beikommenden Entwürfe zu sehen ist. 

Gegeben in unserer Haupt- und Residenzstadt Wien: den fünften Tag 
des Monats April: im Siebenzehnhundert sechs und achtzigsten Jahre, unserer 
Regierung der römischen im drey und zwanzigsten, der erbländischen im 
sechsten. Joseph m. p.“ 

(Aus dem österreichischen Abgeordnetenhause.) 
Die seit Jahren immer wieder vertagte Aerztekammerfrage 
dürfte endlich, nachdem die vom Ausschüsse beabsichtigte, a priori 
nicht recht verständliche Verquickung dieser Frage mit der Frage 
der vollständigen Reform des gesammten Sanitätswcsons aufgegeben 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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wurde, zur verfassungsmäßigen Behandlung kommen. Der erste 
Schritt hiezu wurde in der am 10, d. M. stattgehabten Sitzung des 
Sanitätsausschusses unternommen , in welcher die zahlreichen Peti¬ 
tionen betreffend die Errichtung von Aerztekammern, einem Refe¬ 
renten zugewiesen wurden. Die Wahl desselben muß als eine glück¬ 
liche bezeichnet werden. Der Abgeordnete Dr. Roser, welcher die 
Wünsche der österreichischen Aerzte dem Hause zu verdolmetschen 
berufen wurde, bürgt durch seine bisherige parlamentarische Wirk¬ 
samkeit dafür, daß er diesen Wünschen auch Gehör verschaffen und 
für dieselben warm eintreten werde. — Der Strafgesetz-Ausschuß bat 
in seiner letzten Sitzung beschlossen, die Regierung aufzufordern, das 
Gutachten des Obersten Sanitätsrathes über das Lebensmitte 1- 
fälschungs-Gesetz dem Ausschüsse mitzutheilen. 

(Oberster Sanitfttsrath.) Die am 15. Februar d. J. 
abgehaltene Sitzung wurde mit der Mittheilung amtlicher , das von 
der Tagespresse gebrachte Gerücht vom Auftreten der Cholera in 
Italien nicht bestätigender Nachrichten und mit der Mittheilung der 
für das deutsche Reich erlassenen Verordnung, betreffend den Ver¬ 
kehr mit Arzneimitteln, eröffnet, worauf der Bericht des Fach- 
comit6 über den Initiativ-Antrag des Prof. Dr. Max Grobe«, betreffend 
Maßnahmen gegen die Hundswuth, das Gutachten betreffend 
die Einführung eines Wiederholungs -Unterrichtes für 
Hebammen und der Vorschlag zur Besetzung der im k. k. Kranken¬ 
hause Wieden erledigten Prosector-Stelle zur Verhandlung kamen. 

(Congreß für innere Medioin in Wien.) Wie wir 
erfahren, wird dieser Congreß außer den in letzter Nummer mitge- 
theilten Discussionen auch eine von Prof. Bäumler (Freiburg) ein¬ 
zuleitende Discussion über Influenza abhalten. Folgende Vor¬ 
träge wurden bisher angemeldet: P. G. Unna (Hamburg): Zur 
Hautphysiologie. — Mosler (Greifswald): Ueber Pemphigus. — 
Edgar Gans (Carlsbad): Ueber das Verhalten der Magenfunction 
bei Diabetes mellitus. — Fürbringer (Berlin): Zur Klinik der 
Knochenentzündung typhösen Ursprungs. — Stadelmann (Dorpat): 
Ueber die Wirkung der Alkalien auf den menschlichen Stoffwechsel. 

— v. Liebig (Reichenhall): Ueber die Bergkrankheit. — v. Frey 
(Leipzig): Die Beziehungen zwischen Pulsform und Klapponschluß. 

— Schott (Nauheim): Zur acuten Ueberanstrengung des Herzens 
und deren Behandlung. — Mosler (Greifswald): Therapeutische 
Mittheilungen mit Demonstrationen. — Emil Pfeiffer (Wiesbaden): 
Ueber kieselsauren Harngries. — v. Ziemssen (München): Zur 
Pathologie und Diagnose der sogenannten Kugelthromben, mit De¬ 
monstrationen. — Stricker (Wien): Demonstrationen mit dem 
elektrischen Mikroskope. — Leubuscher (Jena): Ueber die Beein¬ 
flussung der Darmresorption durch Arzneimittel. — Sternberg 
(Wien): Ueber Sehnenreflexe. — H. Curschmann (Leipzig): Zur 
Pathologie der Wanderniere. — E. Rombekg (Leipzig): Beiträge 
zur Herzinnervation; W. His (Leipzig): Demonstration zugehöriger 
Präparate und Modelle. — L. Krehl (Leipzig): Ueber Verände¬ 
rungen der Herzmusculatur bei Klappenfehlern. — G. Cornet 
(Berlin): Ueber Tuberculose. — Hürthle (Breslau): Ueber den 
Semilunarklappenschluß. 

(Personalien.) Der Bezirksarzt Dr. Ferdinand Saute« in 
Bozen ist zum Statthaltereirathe und Landes-Sanitätsreferenten bei der 
Statthalterei für Tirol und Vorarlberg ernannt worden. — Dem Prof, 
der Geburtshilfe an der Hebammenlehranstalt in Salzburg, Dr. Dismas 
Kuhn, ist der Titel eines Regierungsrathes verliehen worden 

(Unhygienisch es.) In der unmittelbaren Umgebung des 
neu eröffneten Franz-Joseph-Spitals wird der aus mehreren Bezirken 
abgeführte Unrath und Mist abgeladen, so daß das neue, frei lie¬ 
gende Krankenhaus, sowie das communale Epidemie-Spital gleich 
Inseln aus dem Kothmeere emporrageu. Die schleunigste Entfernung 
dieser Unrathsplätze aus der Nachbarschaft der genannten Kranken¬ 
häuser muß im Interesse der Sanitätspfloge gefordert werden. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Programm für 
die Montag, den 24- Februar 1890 stattfindende wissenschaftliche Ver¬ 
sammlung: Prim. Dr. Eduard Nkusskk bespricht in Fortsetzung seines Vor¬ 
trages das Capitel: Pcrniciöse Anämie. 


Das Morrhuol bei beginnender Tuberculose. 

Ueber den Heilwerth des vom Pariser Apotheker Chapo- 
teaut aus dem Leberthrane dargestellten neuen Präparates 
„Morrhuol“ lieferte jüngst auch Dr. Pelletan im „Journal de 
Micrographie“ folgenden bemerkenswerthen Beitrag bezüglich der 
Anwendung dieser werthvollen Specialität bei beginnender Tuber- 
culose: Camilla N. ist 23 Jahre alt, klein und schwächlich, von 
lymphatischer Veranlagung; ihre Stimme ist constant verschleiert. 
Ihr Bruder ist kürzlich im Alter von 24 Jahren an einer gan¬ 
gränösen Angina gestorben. Seit einem Jahre hustet Frl. N., 
ohne daß sie jedoch der Husten anstrengt; der Auswurf ist 
schleimig, sie klagt über vages Seitenstechen in der Brust. Die Ab¬ 
magerung und Blässe sind sehr merklich; Appetit ist fast keiner 
vorhanden, der Puls beschleunigt, die Schleimhäute blaß. Die Men¬ 
struation stellt sich fast regelmäßig ein, dauert 1—2 Tage und 
fördert wenig und entfärbtes Blut zu Tage. Die Nachtschweiße 
sind sehr reichlich. 

Bei der Untersuchung constatire ich eine leichte Dämpfung 
unter dem linken Schlüsselbein, eine vollständige Dämpfung rück¬ 
wärts an der Basis derselben Seite, feuchtes Rasseln an den beiden 
Spitzen, bronchiales Pfeifen und Schnurren, eine merkliche Schwächung 
des vesiculären Athmungsgeräusches in diesen beiden Gegenden und 
insbesondere an der Basis der linksseitigen Lunge, wo das Athmungs- 
geräusch nicht wahrnehmbar ist. Diese Gegend ist der Sitz eines- 
sehr lästigen Seitenstechens; Excavationen sind nicht vorhanden. 
Die Zunge zeigt eine Fissur und eine schmerzhafte Geschwtirsbildung 
in ihrem Centrum, eine heftige Entzündung an der Spitze. An den 
seitlichen Theilen der Finger besteht ein acutes Eczem. 

Beginnende Tuberculose (7. Mai 1889). Behandlung: 
Bestreichung mit Jodtinctur, alle 3 Tage unter- und oberhalb der 
Schlüsselbeine und an der Basis der linksseitigen Lunge. Morrhuol 
von Chapoteaut, 3 Kapseln zu jeder Mahlzeit. Ein Madeiraglas 
von Weinpepton von Chapoteaut zum Dessert. Gurgeln mit Bor¬ 
säure. Cauterisation der Fissuren der Zunge mit Silbernitrat. Stärke- 
cataplasmen und Einreibungen mit einer Salbe aus Vaselin und 
Borsäure an den Fingern. Substantielle Diät; Braten und Bordeaux¬ 
wein , täglich zweistündiger Spaziergang in freier Luft, in den 
Klostergärten. 15. Mai: Bosserungschon merklich in der Hinsicht, 
als der Appetit sich wieder eingestellt hat; die Zunge ist in bestem 
Zustande, wie auch die Finger; der Husten ist immer derselbe. 
Seit zwei Tagen kein Seitenstechen mehr. Fortsetzung derselben Be¬ 
handlung durch die ganze Dauer des Monates Juni. Am 25. Juni: 
Die Kranke hat sich in der Capelle einen Schnupfen zugezogen; 
der Husten ist stärker, schmerzhaftes Stechen im Rücken; das 
Eczem ist geschwunden. Auf der Zunge nur eine wenig schmerz¬ 
hafte kleine Fissur. Anwendung von Jodtinctur in der Gegend des 
Seitenstechens so lange, bis die Haut ernstlich angegriffen ist; 
Fortsetzung der Behandlung. Am 10. Juli ist der Zustand ein sehr 
befriedigender; der Appetit ausgezeichnet, fast kein Husten und 
keine Brustschmerzen mehr. Das Gewicht der Patientin hat um 
600 Grm. zugenommen. Die Schleimhäute sind gefärbter, die Basis 
der linksseitigen Lunge ist wieder lufthältig geworden, keine nächt¬ 
lichen Schweiße mehr. Die Behandlung wird durchgeführt und fort¬ 
gesetzt, obwohl am 22. Juli Frln. N. als genesen betrachtet werden 
kann. Die Untersuchung der Brust zeigt kein Besorgniß erregendes 
Symptom mehr. Einiges mit Schleimauswurf verbundenes Schnurren 
und Pfeifen in den großen Bronchien, aber keine Dämpfung und 
keine Rasselgeräusche mehr, das vesiculäre Athmen normal. Kein 
Husten mehr; die Stimme ist immer verschleiert. Sie inhalirt 
Carboiwasser. 


- -^'4 «■)\irr 


Verantwortlicher Redaotcur: Dr. M. T. Schnirer. 

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Nr. 9. 


Sonntag den 2. März 1890. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Gross-^uart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aniträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, L, Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adreasiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


XXXI. Jahrgang. 

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Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 50'kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
dee Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wiener., Maximillanatr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 61 ©-- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber die Behandlung warziger Gebilde mittelst der Elektrolyse. Von Dr. S. Ehemann, Docent für 
Syphilis und Hautkrankheiten in Wien. — Ueber Neuritis multiplex. Klinischer Vortrag von Prof. Kahlkr in Wien. — Die therapeutische Ver¬ 
wendbarkeit des Jodols in der syphilidologischen Praxis. Von Dr. Carl Szadek. Specialarzt für Dermatologie nnd Syphilis in Kiew (Süd-Rußland). — 
Mitthellnngen ans der Praxis. Aus der geburtshilflichen Casnistik. Geburtshindemiß, bedingt durch die excessiv erweiterte Harnblase des 
Fötus. Von M. Silbbrmann in Putilla (Bukowina). — Referate nnd literarische Anzeigen. Döderlein (Leipzig): Experimentelle Untersuchungen 
über Desinfection des Catgnt. — Dr. Arthur Loebel (Wien-Dorna): Das balneotherapentische Verfahren während der Menstruation. — Die Krank¬ 
heiten der Harnblase. Von Prof. Dr. Bobekt Ultzmann. Nach dessen Tode heransgegeben von Dr. Moriz Schustler in Wien. — Feuilleton. Briefe 
aus Böhmen. (Orig.-Corresp.) I. — Kleine Mitthellnngen. Eine neue Behandlung der Diphtherie. — Das Saccharin. — Die Behandlung der 
spitzen Condylome mit Plnmbum causticum. — Die Behandlung des MfcNifeRE'achen Schwindels. — Ueber die Giftigkeit des Creolins nnd seinen 
Einfluß auf den Stoffwechsel. — Der Einfluß des Perubalsams auf die Nieren. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. 
Gesellschaß der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Berliner medicinische Gesellschaß. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. Aerztliehe 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die Behandlung warziger Gebilde 
mittelst Elektrolyse. 

Von Dr. 8. Ehrmann, Docent für Syphilis und Hautkrankheiten 

in Wien. *) 

Die bewegte Elektricität — also vor Allem der galva¬ 
nische Strom — hat eine Reihe von Wirkungen auf den von 
ihm durchflossenen Körper, welche man im Laufe der Zeit 
eine nach der anderen zu therapeutischen Zwecken ver¬ 
wendete. 

Zuerst kam schon unter Humboldt’s Aegide die physio¬ 
logische Wirkung auf die Nerven und Muskeln an die Reihe. 
Dann lernte man, namentlich durch Middeldorpff und Bruns, 
die Eigenschaft, welche galvanische Ströme von hoher Span¬ 
nung auf einen Leiter von hohem Widerstande ausüben, näm¬ 
lich das Glühendwerden desselben, therapeutisch zu verwerthen. 

Ziemlich spät dachte man daran, aus den chemischen 
Wirkungen des elektrischen Stromes Vortheil zu ziehen, die 
Elektrolyse therapeutisch zu verwerthen. 

Ich will heute über die Anwendung der Elektrolyse in 
der Dermato-Chirurgie, nnd zwar speciell über die Verwendung 
derselben zur radicalen Entfernung von warzigen Gebilden auf 
der Haut und gewissen Schleimhäuten sprechen. 

Die Elektrolyse wurde in der Dermato-Chirurgie zuerst 
von amerikanischen Autoren, Michel, Hardaway, Fox u. A., 
in Deutschland von Michelson zur radicalen Entfernung von 
abnorm gewachsenen Haaren verwendet. 

Ans dieser Methode hat sich die in der Ueberschrift 
dieses Artikels erwähnte Anwendung herausgebildet. Ich 
werde zunächst über die Elektrolyse im Allgemeinen nnd über 
die physikalischen nnd physiologischen Erscheinungen, welche 
hiebei stattfinden und stattfinden können, sprechen und dann 
zu unserem speciellen Gegenstand übergehen. 


*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener 
medicinischen Doctoren-Colleginm am 16. November 1889. 


Zunächst möchte ich noch einmal den Unterschied 
zwischen Elektrolyse nnd Galvanocaustik präcisiren. 

Die Galvanocaustik bezweckt nichts Anderes, als durch 
einen Strom von hoher Spannung einen Leiter von hohem 
Widerstande, z. B. dünne Platindrähte oder Porzellan, glühend 
zu machen und mit diesen dann die Gewebe zu verkohlen, 
wie mit einem anderweitig glühend gemachten Instrumente. 
Bei der Elektrolyse gehen aber complicirtere chemische nnd 
physiologische Vorgänge in den behandelten Geweben vor 
sich; es kommt nie zu einer Verkohlung, sondern blos zu einer 
Erweichung in Folge chemischer Veränderung der Gewebe, 
deren Bestandteile zum Theil der Resorption anheimfallen. 

Im technischen Sinne ist die Elektrolyse nichts anderes, 
als eine Zerlegung von zusammengesetzten chemischen Ver¬ 
bindungen in einfachere Körper. 

So wird durch den elektrischen Strom schwefelsaures 
Kupfer in reines Kupfer und Schwefelsäure zerlegt, und be¬ 
ruht die Reinmetallgewinnung auf diesem Vorgänge. 

Angesäuertes Wasser und überhaupt Wasser, welchem 
irgend ein entsprechender Körper in Lösung beigegeben wurde 
(chemisch reines Wasser ist unzerlegbar), wird in Wasserstoff 
und Sauerstoff zerlegt. Wir wollen als Paradigma einer 
reinen chemischen Elektrolyse die Zerlegung von in Wasser 
gelöstem schwefelsaurem Natron nehmen, da sie eine Analogie 
mit manchen Vorgängen im menschlichen Körper bietet, ich 
sage Analogie, aber keine vollständige Uebereinstimmung. 
Nehmen wir ein Zink-Kupfer-Element; von beiden Polen 
desselben sowohl vom Cu-, als dem Zn-Pol gehen Drähte 
in ein Gefäß, in welchem sich eine Lösung von schwefel¬ 
saurem Natron befindet; man bezeichnet die mit dem Kupfer¬ 
pol in Verbindung stehenden Drahtenden als Anode oder 
positive Elektrode, den mit dem Zn verbundenen als Kathode 
(negative Elektrode). 

Ich stelle mir vor, daß die Drahtenden aus einem Metalle 
bestehen, welches sich chemisch nicht leicht verändert, also 
aus Platin. Die in dem Elemente erzeugte positive Elektri- 
cität geht nun durch die Lösung vom Kupferpol zum Zink¬ 
pol; es wird also ein Strom durch die Flüssigkeit geleitet. 


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Dabei aber erleidet das schwefelsaure Natron eine Zersetzung 
in der Weise, daß sich an der Elektrode, welche mit dem 
Zinkpol (Kathode) in Verbindung steht, Natrium ausscheidet 
und auf der Anode Schwefelsäure', oder richtiger (wenn wir 
die Formel des schwefelsauren Natrons Na^SO* setzen) es 
scheidet sich auf der Kathode Na 2 , auf der Anode die Gruppe 
SO* aus. Die Gruppe SO* ist aber kein chemisch beständiger 
Körper und zerfällt sofort in SO s + 0. Das an der Kathode 
ausgeschiedene Natrium kann aber als reines Metall im Wasser 
ebenfalls nicht bestehen und zerlegt das letztere in Natrium¬ 
hydrat + Wasserstoff (Na OH + H). Das Resultat des ganzen 
Vorganges wird sein, daß auf der einen Seite sich Schwefel¬ 
säureanhydrit und Sauerstoff (S0 3 -1- 0), auf der anderen 
Aetznatror 4- Wasserstoff (Na OH + H) sich ausscheidet. Etwas 
Aehnliches geschieht nun, wenn wir die Elektroden, mit Platin¬ 
nadeln armirt, in die Haut stechen. 

Der Körper besteht ja zu 70% aus Wasser, in welchem 
Salze gelöst sind. Stechen wir also die Platin-Elektroden in 
die Gewebe ein, so scheidet sich auf der Anode Säure und 
Sauerstoff, auf der Kathode Alkali und Wasserstoff aus. 
Hätten wir die Elektroden anstatt mit Platinnadeln mit 
solchen aus Stahl armirt, so wäre die an der Kathode befind¬ 
liche rein und blank geblieben, die auf der Anode wäre durch 
den Sauerstoff und die Säure oxydirt worden. 

Bei der Elektrolyse gehen aber die chemischen 
Vorgänge nur dort vor sich, wo der Elektrolyt (wie 
man in der Kunstsprache die zu zersetzende Flüssigkeit 
nennt) die Drahtenden (die Elektroden) direct berührt. 
In den übrigen Theilen der Flüssigkeit bleibt die che¬ 
mische Constitution ganz unverändert, trotzdem der Strom 
durch dieselbe durchgeht. Nach der CLAusius’schen Theorie, 
angewandt auf die Zerlegung des schwefelsauren Natrons, 
wäre die Sache so zu erklären, daß sich die Molecüle des 
schwefelsauren Natrons für unmeßbare Zeit auch in den von 
den Elektroden entfernten Flüssigkeitspartien spalten und die 
Spaltungsproducte in eine solche Bewegung gerathen, daß die 
Säure- und Alkali molecüle in entgegengesetzter Richtung sich 
bewegen. Dabei begegnen aber immer freie Alkalimolecüle 
ihnen entgegenkommenden Säuremolecülen, mit denen sie sich 
sofort vereinigen. Nur unmittelbar an den Polen ist die Attraction 
eine so starke, und zwar an der Anode für die Säure, an 
der Kathode für das Alkali, so daß immer an der posi¬ 
tiven Elektrode freie Säuremolecüle, an der negativen 
Elektrode freie Alkalimolecüle haften bleiben, die sich mit 
einander nicht verbinden können um deshalb geschieden bleiben'; 
man bezeichnet sie als Jonen. Auch diese Eigenschaft gilt für 
die Elektrolyse am menschlichen Körper und dadurch wird 
dieselbe erst therapeutisch verwerthbar, da man hiedurch im 
Stande ist, dieselbe genau zu localisiren, was nicht möglich 
wäre, wenn die Wirkung der Elektrolyse sich auch auf solche Par¬ 
tien erstrecken würde, die von den Elektrodenjweit weg liegen. 

Bis hieher reicht die Analogie zwischen der Elektrolyse 
der Glaubersalzlösung und der des menschlichen oder thieri- 
schen Gewebes; dieselbe wäre aber nicht im Stande, alle Vor¬ 
gänge zu erklären. 

Es handelt sich gewiß beim menschlichen Körper noch 
viel mehr um den directen Einfluß der Elektricität auf das 
lebende Protoplasma, als um eine bloße chemische Zerlegung 
der Gewebsflüssigkeiten und die Einwirkung der Zersetzungs- 
producte auf das lebende Gewebe. 

Bei der „elektrolytischen Flächenätzung,“ wie sie Gärtner 
und Lustgarten für den Lupus empfohlen haben, und wobei 
eine Platin-Platte als Kathode auf den Lupusknoten blos 
aufgelegt wird, wurde die Erklärung versucht, als ob es das 
an der Kathode ausgeschiedene Alkali wäre, welchem der 
Haupteinfluß auf die Gewebe zukomme. 

Man merkt nämlich bei der Elektrolyse, daß das Gewebe 
um die Kathode zu einer breiigen, sulzigen Masse sich um¬ 
wandelt, und zwar im Verlaufe der kürzesten Zeit,’ 1 bis 
1V 2 Minuten; dabei ist der Schmerz, welchen der Kranke 
empfindet, wenn die Stromstärke nicht gar zu hoch ist, 1 bis 


1% Milliampere nicht übersteigt, ein ganz minimaler. Wollten 
wir nun denselben Effect mit einem in das Gewebe durch eine 
feine PRAVAz’sche Spritze eingespritzten Alkali erzielen, in 
derselben Schnelligkeit und derselben Ausdehnung, so müßten 
wir Alkalilösungen von solchen Concentrationsgraden wählen, wie 
solche bei der Elektrolyse nie und nimmer abscheiden können, 
und es würde dabei ein Schmerz erzeugt werden, wie er bei 
einer regelrecht durchgeführten Elektrolyse ebenfalls nicht 
vorkommt. 

Es bleibt allerdings für die elektrolytische Flächen¬ 
ätzung, die übrigens nie so sehr in die Tiefe greift, immerhin 
möglich, daß für das morsche Lupusgewebe die geringen 
Alkalimengen mitwirken, um dasselbe aufquellen zu machen, 
aber gewiß nicht das lebensfähige, kräftige Gewebe einer 
Verruca, eines spitzen Condyloms, eines Pigmentnaevus u. dgl. 
Es kann aber auch das ausgeschiedene Wasserstoffgas nicht 
den Einfluß haben, das Gewebe zu verflüssigen, denn die Ver¬ 
flüssigung geschieht sofort, und das Wasserstoffgas könnte nur 
durch seine mechanische Einwirkung (Compression des Ge¬ 
webes) diese Wirkung hervorbringen, und es müßten wenig¬ 
stens mehrere Stunden vergehen, bis durch die Compression 
die Ernährung des Gewebes so weit vernichtet ist, daß das¬ 
selbe zerfallen müßte, und dann wäre es noch fraglich, ob es 
sich nicht zuerst um eine regelrechte Necrose handeln müßte, 
und nicht, wie es wirklich stattfindet, um eine Verflüssigung des 
Gewebes, um eine Umwandlung zu einer Gelatine; wir werden 
übrigens auf diesen Gegenstand noch später zurückkommen. 

Die Technik der Elektrolyse. 

Als einer der Ersten hat Voltolini die Elektrolyse zur • 
Entfernung von flachen Warzen und warzigen Pigmentnaevis 
verwendet. Seine ziemlich einfache Methode bestand darin, 
daß er beide Elektroden, mit Nadeln montirt, in die Warze 
einstach, ohne daß dieselben sich berührten. Selbstverständlich 
mußte er, wenigstens für die Anode, wegen der ausgeschiedenen 
Säure eine Platinnadel verwenden. Nun sind aber Platinnadeln, 
selbst wenn sie mit Iridium legirt sind , nie in der Feinheit 
herzustellen, wie Stahlnadeln, was allerdings für harte Warzen 
nicht von besonderem Nachtheile ist; für zartere Gebilde aber, 
namentlich aber für “die Behandlung von warzigen Gebilden 
in der Urethra des Mannes und des Weibes, dann für die 
verrucösen Pigmentnaevi des Gesichtes, sind dicke Nadeln 
durchaus nicht vortheilhaft, weil dann Narbenbildung und an 
den ersteren Stellen dadurch leicht Verengerungen eintreten. 
Auch das Einstechen beider Elektroden neben einander ist 
nicht als zweckmäßig anzusehen. Die Stromintensität ist 
allerdings ceteris paribus eine größere, weil die geringe Ge- 
websmasse zwischen Anode und Kathode auch dem Strome 
einen geringen Widerstand entgegensetzt; dabei kann aber 
die beabsichtigte Läsion nicht so localisirt werden, als wenn 
man blos eine Nadel einsticht, und insbesondere bei der Elektro¬ 
lyse in der Tiefe der Vagina, in der Urethra, in der Mund¬ 
höhle ist das richtige Einstechen einer Nadel viel leichter 
durchzuführen, als das zweier Nadeln. Außerdem verur¬ 
sacht das Einstechen der Anode einen ganz beträchtlichen 
Schmerz, welcher die Patienten oft vor der weiteren An¬ 
wendung der Elektrolyse abschreckt, während das Einstechen 
der Kathode, namentlich wenn es früher geschieht, ehe der 
Strom geschlossen ist, und wenn der Strom langsam verstärkt 
wird, sehr leicht und fast schmerzlos ertragen wird — selbst 
von empfindlichen Individuen. Aus allen diesen Gründen ver¬ 
zichte ich auf das Einstechen der Anode ganz und lege sie 
blos als feuchte Schwammelektrode auf einen indifferenten 
Körpertheil oder lasse sie in die Hand nehmen, während ich 
nur die Kathode als Stahlnadel in das zu entfernende Gebilde 
einsteche. Dabei ist der Entgang von Stromstärke kein großer, 
weil ja in dem Einstichspunkte der ganze in den Körper einge¬ 
drungene Strom sich sammeln muß, um aus dem Körper 
herauszutreten, und der Strom durch Rheostateinstellen beliebig 
verstärkt werden kann. Wo die Warzen in großer Anzahl 
vorhanden sind, verwende ich als Kathode ein mehrtheiliges 


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Kabel, dessen Enden mit 1 Cm. langen, in leichten Klammern 
steckenden Nadeln versehen sind, die, einmal eingestochen, 
nicht weiter fixirt zu werden brauchen, so daß der Strom zu 
gleicher Zeit an 3—6 Stellen seine Wirkung entfalten kann. 
Die Verwendung von lancettförmigen Nadeln vermeide 
ich ganz, und zwar 1. aus dem Grunde, weil sie schwerer 
einzustechen sind und 2. weil sie zu große Zerstörungen 
setzen, wenn man sie etwas tiefer einsticht, während man mit 
den einfach spitzigen Nadeln in der Tiefe die kleinen Herde 
von Granulationsgewebe treffen kann, aus welchen die Warzen 
sich regeneriren, ohne daß beträchtlichere Gewebsläsionen ge¬ 
setzt werden. (Schluß folgt) 


lieber Neuritis multiplex. 

Klinischer Vortrag von Prof. Kahler in Wien. 

(Fortsetzung.) 

Wir sind nun bei unserer Patientin mit der Aufnahme 
des Status praesens zu Ende gekommen und können jetzt daran 
gehen, den Schluß zu ziehen, welcher Krankheitsproceß diesen so 
ausgedehnten Erscheinungen zu Grunde liegt. 

Nun, meine Herren, das Krankheitsbild, welches Patientin 
uns hier darbietet, ist ein so typisches, daß wir jetzt 
schon in der Lage sind, eine ganz bestimmte, und zwar eine 
anatomisch genau definirte Diagnose zu machen; wir sind 
in der Lage, zu constatiren, daß wir es bei unserer Pa¬ 
tientin mit keiner spinalen Läsion zu thun haben, daß hier 
keine Erkrankung des Rückenmarkes vorliegt, sondern daß 
die Affection in den peripheren Nerven sitzt. Wir wollen 
direct die Diagnose aussprechen, daß wir es hier zu thun 
haben mit einer Neuritis multiplex. Das Bild, das 
unsere Patientin darbietet, ist in der Verth ei lung der Motilitäts¬ 
störungen , in der Art der Sensibilitätsstörung, in der 
Entwicklung der Erscheinungen, im ganzen Symptomencom- 
plexe so charakteristisch, daß wir die Diagnose ohne 
weiters zu stellen in der Lage sind. Wenn wir den Befund, 
den wir erhalten haben, uns vor Augen halten, also motori¬ 
sche Lähmungen einzelner Muskelgruppen an der oberen und 
unteren Extremität, und zwar solcher Muskelgruppen, die 
von bestimmten Nerven versorgt werden, fortschreitende 
Atrophie der gelähmten Muskeln mit heftiger Druck¬ 
schmerzhaftigkeit derselben, ferner sensible Störungen, par¬ 
tielle Anästhesie der oberen und unteren Extremitäten, so 
werden wir wohl zum Schluß kommen, daß die Krankheit 
nicht im Centralnervensystem, nicht im Rückenmark localisirt 
sein kann — Läsionen d$s Rückenmarkes, welcher Art sie 
sein mögen, geben ein ganz anderes Symptomenbild, — sondern 
daß sie peripheren Ursprungs sein muß. Wenn Sie das ganze 
Krankheitsbild genau analysiren, so wird Ihnen eine gewisse 
Analogie desselben mit demjenigen, wie wir es bei Bleiver¬ 
giftung zu sehen Gelegenheit hatten, auffallen. Ich habe 
Ihnen schon gesagt, daß bei Bleilähmung die Localisation 
der Affection auf die peripheren Nerven beschränkt sein 
kann, und wir werden nicht fehl gehen, wenn wir auch 
unseren Fall als auf einer Erkrankung der peripheren 
Nerven beruhende Affection annehmen. Auch die That- 
sache, daß nur bestimmte Muskelgruppen von der Affec¬ 
tion befallen erscheinen — an den oberen Extremitäten vorzugs¬ 
weise die Streckmuskeln, an den unteren die von den Peronei 
versorgte Musculatur — das sind Symptome, die bei einer 
Rückenmarksaffection nicht, hingegen bei Affectionen peri¬ 
pherer Nerven in der Regel vorzukommen pflegen. Nehmen 
wir dazu die Thatsache der ausgebreiteten Parästhesien, der 
partiellen Anästhesien, nehmen wir ferner die Thatsache dazu, 
daß die Sensibilitätsstörungen vorzüglich in dem Innervations¬ 
gebiete der von der Lähmung befallenen Nerven sich naeh- 
weisen ließen, so wird uns die Annahme, daß wir es hier 
mit einer von der Peripherie ausgehenden Affection des 
Nervensystems zu thun haben, weiter begründet erscheinen. 


Diese Uebereinstimmung der sensiblen und motorischen 
Störungen, wie wir sie hier gesehen haben — Sie haben sich 
überzeugt, daß diejenigen Hautstellen, die über den ge¬ 
lähmten Muskeln liegen, anästhetisch oder hyperästhetisch 
waren, während die übrigen Partien normale Empfindungen 
zeigten — ich sage, diese Uebereinstimmung der Störungen 
in der motorischen und sensiblen Sphäre ist ein Umstand, der 
direct auf einen peripheren Ursprung der Affection des Nerven¬ 
systems zurückzuführen ist. Bei Rückenmarksaffectionen sehen 
wir diese Uebereinstimmung der motorischen und sensiblen 
Lähmungen nicht. Wir wissen, daß bei Halbseiten läsion de3 
Rückenmarkes nothwendig Lähmung der einen Seite und Sen¬ 
sibilitätsstörung der anderen Seite bestehen wird, und wissen 
ferner, daß wenn eine durchgreifende Rückenmarkserkrankung 
Lähmung und Sensibilitätsstörung bedingt, diese ein ganz 
anderes Gepräge trägt als wir bei unserer Kranken gefunden 
haben. 

Ein Umstand wäre hier allerdings vorhanden, der gegen 
die Auffassung des peripheren Sitzes der Affection spräche, 
und das ist der Umstand, daß wir bei unserer Patientin eine 
so auffallende Verspätung der Schmerzempfindung haben 
nach weisen können. Man hat nämlich lange Zeit geglaubt, 
daß die Verspätung der Schmerzempfindung einzig und allein 
bei spinalen Affectionen, wie bei Tabes dorsualis, bei Com- 
pression des Rückenmarkes, bei Myelitis u. s. w., vorzukommen 
pflegt; die Erfahrungen der letzten Jahre und mehrere Beob¬ 
achtungen , die ich selbst nach dieser Richtung zu machen 
Gelegenheit hatte, haben mich aber gelehrt, daß auch bei 
Neuritis multiplex eine Verspätung, mitunter eine exquisite 
Verspätung der Schmerzempfindung zu constatiren ist. Bei 
unserer Patientin ist diese Thatsache der verlangsamten 
Schmerzempfindung gut, aber noch lange nicht so eclatant 
ausgesprochen, wie man dies in anderen Fällen von mul¬ 
tipler Neuritis zu sehen in der Lage ist. Ueberdies könnte 
dieser Umstand bei unserer Patientin auf andere Weise ge¬ 
deutet werden: das Fehlen der Intelligenz, die deutliche 
Störung der Psyche, die wir bei unserer Patientin constatirten, 
könnte der Ausdruck eines Processes sein, der sich bei der¬ 
selben gleichzeitig mit der peripheren Affection im Gehirn 
abspielt, und dieser Proceß könnte die Ursache der Verspätung 
der Empfindung sein. Es ist ja klar, daß, wenn die Gehirnrinde, 
jenes Organ, wo die Schmerzempfindungen, wo die Empfin¬ 
dungen überhaupt zum Bewußtsein gelangen, durch einen 
pathologischen Proceß in seiner Function gestört wird, daß 
dann die Reaction auf äußere Reize nicht so prompt erfolgen 
wird, wie bei intacter Gehirnrinde, und daß der Effect der¬ 
selbe sein wird, als wenn die Leitung in den peripheren 
Nerven erschwert wäre. Das ganze Bild, das Patientin mit 
Rücksicht auf die Intelligenz darbietet, würde zu dieser An¬ 
nahme verleiten, und wir würden uns zu derselben ent¬ 
schließen, wenn nicht, wie gesagt, andere Fälle vorlägen, bei 
denen die Diagnose der multiplen Neuritis unzweifelhaft war 
und wo die verspätete Leitung der Schmerzempfindung noch 
deutlicher zum Ausdruck kam, als Sie es hier beobachten können. 

Die Verspätung der Schmerzempfindung ist also nicht, 
und zwar aus zwei Gründen nicht geeignet, uns von der 
Diagnose Neuritis multiplex abzubringen. 

Es lehrt uns die klinische Erfahrung, daß das Bild der 
neuritischen Lähmungen, wenn sie ganz ausgesprochen sind, 
sehr gut von anderen Lähmungen, namentlich von Lähmungen 
centralen Ursprungs, unterschieden werden kann, und daß man 
durch die veränderte elektrische Erregbarkeit den Nachweis 
führen kann, ob der Sitz der Läsion im Centralnervensystem 
oder in der Peripherie ist. 

Welche Form der elektrischen Erregbarkeit entspricht der 
Läsion der peripheren Nerven ? Ich habe Ihnen schon gesagt, daß 
Lähmungen peripheren Ursprungs mit Entartungsreaction der 
betreffenden Muskeln einhergehen. Ich habe aber auch Ge¬ 
legenheit gehabt, Ihnen zu zeigen, daß durch Läsion eines 
peripheren Nerven, aus welcher Ursache immer — es hat sich 

1* 


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in dem betreffenden Falle, den Sie in Ihre Erinnerung 
zurückrufen mögen, um eine Facialislähmung gehandelt — 
nur ganz unbedeutende Aenderungen der elektrischen Erreg¬ 
barkeit zu Stande kommen können. Machen Sie sich also zur 
Regel, wenn Sie den Verdacht auf Neuritis multiplex hegen, 
die Muskeln auf das elektrische Verhalten zu prüfen. 

Maßgebend für unsere Diagnose wird der Umstand 
sein, daß wir Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit 
überhaupt nachzuweisen in der Lage sein werden. Ob diese 
Erregbarkeit mehr oder weniger dem Bilde der Entartungs- 
reaction entsprechen wird, das ist ohne wesentlichen diagnosti¬ 
schen Werth, das ist erst in weiterer Linie in Betracht zu 
ziehen — die Thatsache einer Reactionsveränderung der elek¬ 
trischen Erregbarkeit ist maßgebend für die Diagnose der 
Neuritis multiplex. 

Prüfen wir die faradische Erregbarkeit einzelner Muskeln, 
so finden wir, daß die vom Radialis versorgten Muskeln, der 
Extensor carpi ulnaris, der Extensor carpi radialis, ebenso 
der Abductor pollicis longus völlig normal sich verhalten, 
alle anderen Muskeln hingegen haben die faradische Erreg¬ 
barkeit eingebüßt, also alle jene Muskeln, welche wir als ge¬ 
lähmt nachgewiesen haben. Es wird Ihnen auch bei der Ge¬ 
legenheit die Anästhesie aufgefallen sein, welche die betroffenen 
Muskeln auszeichnet. Sie haben gesehen, wie ich mit einem 
ziemlich starken Strome manipuliren konnte, ohne daß Patientin 
durch eine Miene irgend welchen Schmerz verrathen würde, ein 
Beweis dafür, daß die untersuchten Muskeln anästhetisch sind; 
wenn ich aber auf die Muskeln des Oberarms kam, so verzog 
die Patientin schmerzhaft das Gesicht und machte Bewegungen 
im Sinne von Abwehrbewegungen, als Ausdruck einer schmerz¬ 
haften Empfindung, die Patientin bei Durchleitung des 
ziemlich starken Stromes hatte. 

Was ich Ihnen nun hier gezeigt habe, genügt, um Ihnen 
die Ueberzeugung vom Fehlen der faradischen Erregbarkeit 
in den gelähmten Muskeln zu verschaffen. 

Bezüglich der galvanischen Erregbarkeit sehen Sie, 
wie bei Schließung des Stromes eine Reaction erfolgt, aber 
eine träge, tonische Contraction bei einer Stromstärke von 
2 Milliampere und bei P/a eine ASZ (Anodenschließungs- 
zuckung) — ein Beweis dafür, daß wir es hier mit einer ganz 
typischen Entartungsreaction zu thun haben. 

Die weitere Untersuchung ergibt uns nun, daß auch an 
anderen Muskeln der unteren Extremitäten, namentlich den¬ 
jenigen, die gelähmt sind, sich ausgesprochene Entartungs¬ 
reaction nachweisen ließ. 

Diese Thatsache des Vorhandenseins der Entartungs¬ 
reaction in den von der Lähmung befallenen Muskeln ist für 
die Diagnose außerordentlich wichtig, und zwar um so wich¬ 
tiger, als wir an manchen Muskeln nachweisen konnten, daß 
hier Mittelformen der Entartungsreaction vorhanden sind. Der 
Umstand nun, daß sich unter den Muskeln solche befinden, 
die von ihren Nerven noch erregbar sind, direct aber auf 
faradische Reizung nicht mehr reagirten, spricht von Neuem 
für das Vorhandensein einer in den peripheren Nerven 
sitzenden Läsion, spricht für das Vorliegen einer Neuritis 
multiplex. 

Die Neuritis multiplex ist eine Affection, welche einen 
außerordentlich verschiedenartigen Verlauf nehmen kann, je 
nach der Acuität des Krankheitsprocesses, je nach der Ge¬ 
schwindigkeit der Entwicklung, je nach dem Verlaufe quoad 
tempus. Diese, im klinischen Symptomencomplexe sich äußernde 
Verschiedenheit der Neuritis multiplex spricht sich in ganz 
exquisiter Weise auch im anatomischen Befunde aus. Wir 
können sagen, daß solche Fälle, welche einen außerordentlich 
acuten Verlauf nehmen, welche binnen Tagen und Wochen 
sich entwickeln, und welche zu letalem Ablauf des ganzen 
Processes Veranlassung geben, daß derartige Fälle sich aus¬ 
zeichnen durch einen anatomischen Befund, der als eine inter¬ 
stitielle Neuritis mit Hämorrhagien in der Markscheide sich 
präsentirt. Die befallenen Nerven erscheinen geschwollen, 


stark durchfeuchtet. Bei mikroskopischer Untersuchung findet 
man massenhafte Zellenanlagerung, massenhafte Hämorrhagien 
in der Markscheide — kurz eine interstitielle Entzündung des 
Nerven mit Degeneration des Nervenparenchyms. 

Haben wir es hingegen mit einem Falle zu thun, der 
einen chronischen Verlauf nimmt, dann nimmt der Proceß 
den Charakter einer degenerativen Neuritis an, dann fehlen 
in den afficirten Nerven die Erscheinungen der interstitiellen 
Entzündung und Hämorrhagie. 

Wollen wir nun diese beiden Processe, den acut ver¬ 
laufenden und den chronischen, die wir unter dem Bilde einer 
degenerativen Entzündung zusammenfassen, wollen wir nun 
diese beide auf ihre pathologisch-physiologischen Grundlagen 
zurückführen, so finden wir, daß beide dasselbe anatomische 
Bild darbieten, und daß blos die Geschwindigkeit der Ent¬ 
wicklung und des Verlaufes des einen und des anderen Pro¬ 
cesses — Tage und Wochen auf der einen, viele Jahre auf 
der anderen Seite — beiden ein verschieden geartetes Gepräge 
verleiht — eine Thatsache, welche uns auch bei Processen 
im Centralnervensystem häufig entgegentritt, daß überall dort, 
wo wir einen acuten Verlauf nehmende Krankheiten finden, 
eine Betheiligung der Gefäße und des Stützgewebes, wo ein 
degenerati'ver Proceß vorliegt, ein langsames Zerstörtwerden 
der Nervenelemente vorliegt, diese sich weniger deutlich docu- 
mentiren. 

Dies als Einleitung. Der Verlauf der Neuritis kann also 
außerordentlich rasch vor sich gehen. Es gibt Fälle, wo 
binnen Tagen und Wochen ein letaler Verlauf des ganzen 
Processes erfolgt: wir sehen unter heftigen Fiebererscheinungen 
Lähmungen sich entwickeln, in den ersten Tagen an einzelnen 
Muskelgruppen der oberen und unteren Extremitäten; am 
anderen Tage breiten sich die Lähmungen weiter aus, es 
dauert weitere 2 Tage bis die unteren Extremitäten z. B. von 
der Lähmung vollständig befallen werden. 

Nun kommt die Rumpfmusculatur an die Reihe. Un¬ 
möglichkeit zu sitzen — Functionsunfähigkeit der Bauchpresse, 
es treten im weiteren Verlaufe Respirationsbeschwerden hinzu; 
die Stimme wird schwach, es tritt schließlich Lähmung der 
Respirationsmuskeln auf, Lähmung der Intercostalmuskeln, 
Lähmung der Halsmuskeln, die Lähmung ergreift nun in 
raschem Laufe die Musculatur am ganzen Körper. 

Nun werden die Gehirnnerven vom Entzündungsprocesse 
ergriffen. Es treten Lähmungen der Zunge, des Kehlkopfes, 
des weichen Gaumens auf, der Kranke bekommt Schling¬ 
beschwerden, die Sprache wird articulatorisch gestört, kurz es 
treten alle bulbären Symptome in vehementer Weise auf, 
schließlich kommt eine außerordentliche Beschleunigung des 
Pulses in Folge von Lähmung des Vagus und der Patient geht 
an Erstickung zu Grunde. Das ist der Verlauf der Neuritis 
multiplex in ihrer acuten Form — eine gefährliche und für den 
Beobachter einen sehr peinlichen Eindruck gewährende Krank¬ 
heit, in welcher der Patient an progressiver Lähmung ret¬ 
tungslos zu Grunde geht. 

Das sind Fälle, die nur mit motorischen Lähmüngen 
verlaufen und keine sensiblen Störungen aufweisen, und diese 
Fälle, welche ohne deutlich nachweisbare sensible Störungen 
einhergehen, sind als Paralysis ascendens acuta bezeichnet 
worden. Diese Krankheit können wir heutzutage als direct acut 
verlaufende Neuritis multiplex bezeichnen, wie ich sie Ihnen 
jetzt beschrieben. Treten aber zu den motorischen Störungen 
noch sensible hinzu, dann haben Sie die Garantie, daß Sie es 
mit einer Neuritis zu thun haben, noch mehr, wenn auch Ver¬ 
änderung der elektrischen Erregbarkeit nachweisbar ist. 

Es können bei diesen acut verlaufenden Fällen auch 
die Optici lädirt sein, und es ist ein Fall von Eichhobst be¬ 
kannt geworden, wo eine ausgesprochene Neuritis optica vor¬ 
handen war — also ein Bild von Neuritis multiplex, welches 
eine totale Betheiligung der peripheren Nerven an dem ent¬ 
zündlichen Processe in sehr schöner Weise demonstrirte. 


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Nun , diese acut verlaufenden Fälle sind zum Glücke 
nicht das Allerhäufigste, viel häufiger sind solche Fälle, wie 
Sie es an unserer Patientin zu sehen Gelegenheit haben, wo 
wir einen langsamen Verlauf vor uns haben, wo der Proceß 
an einer oberen und unteren Extremität gleichzeitig beginnt. 
Manchmal pflegt der Proceß zuerst die unteren Extremitäten, 
und zwar zunächst die Füße, zu befallen und die Lähmung 
langsam fortzuschreiten, eine Lähmung mit gleichzeitiger 
Atrophie der ergriffenen Muskeln — also Störungen in der 
motorischen Sphäre, zu denen sich später sensible Störungen 
hinzugesellen. 

Hervorheben möchte ich ferner vor Allem die Thatsache, 
die ich bei unserer Patientin bei der Aufnahme des Status 
praesens hervorzuheben Gelegenheit hatte, die Thatsache der 
Betheiligung der Blasenmusculatur, der Blasennerven. Man 
hat lange Zeit die Behauptung aufgestellt, die Betheiligung 
der Blase spreche mit Sicherheit für eine spinale Erkrankung, 
das Fehlen derselben komme hauptsächlich bei neuritischen 
Affectionen vor. Nun, meine Herren, wir haben bei unserer 
Patientin und, wie ich glaube, mit Hecht die Diagnose auf 
Neuritis multiplex gestellt und wir haben doch bei ihr eine 
abnorm gefüllte Blase, eine Retentio urinae, nachweiset 
können, und ich kann Ihnen, meine Herren, sagen, daß dies 
keine so große Seltenheit ist, daß dies das fünfte Mal ist, 
wo bei einem unzweifelhaften neuritischen Processe eine Harn¬ 
retention, eine mangelhafte Function der Blase nachweis¬ 
bar war. 

Das Zweite, was ich hervorzuheben habe mit Rücksicht 
auf den Befund bei unserer Pat., ist die Betheiligung des 
Cerebrum am ganzen Symptomenbilde. Es gehört eigentlich 
zu den ganz regelmäßigen Erscheinungen, daß wir bei Fällen 
von rasch verlaufender Neuritis multiplex Anomalien der 
Psyche nachweisen können. 

Wir können bei solchen Individuen Gedächtnißschwäche, 
psychische Anomalien im Sinne von leichten Hallucinationen, 
Delirien, von Wahnvorstellungen, oder im Sinne von melan¬ 
cholischer Verstimmung, seltener im Sinne von Erregung, 
im Sinne einer maniakalischen Erregung nachweisen. Diese 
stellen sich bei den verschiedensten Formen der Neuritis 
multiplex ein; so können sie auftreten bei Formen, die acut 
verlaufen, sie können sich aber auch "einstellen in Fällen, 
die einen langsamen progressiven Verlauf nehmen. 

_ (Schluß folgt.) 

Die therapeutische Verwendbarkeit des Jodols 
in der syphilidologischen Praxis. 

Von Dr. Carl Szadek, Specialarzt für Dermatologie und 
Syphilis in Kiew (Süd Rußland). 

(Fortsetzung.) 

Was nun die innerliche Anwendung des Jodols anbe¬ 
langt, so datirt diese erst seit dem Jahre 1886. Prof. Pick 20 ) 
in Prag war der Erste, der dieses Mittel innerlich bei Lues 
prüfte. Die Erfolge, welche er in einigen Fällen der späteren 
Syphilis formen erlangte, waren sehr günstig und zu weiterer 
Anwendung des Jodols anregend. Die tägliche, von ihm ge¬ 
gebene Dosis schwankte zwischen 10 — 2 0. Das Mittel wurde 
vom Magen und Darmtractus sehr gut vertragen und zeigte 
keinerlei üble, nachtheilige Wirkung; auch nach größeren 
Gaben kamen niemals Intoxicationserscheinungen vor; nur 
2 .Kranke klagten über eine geringe, bald vorübergehende 
Eingenommenheit des Kopfes. Betreffs der Ausscheidung des 
Jodols bemerkte Pick, daß sie beim Jodolgebrauch viel lang¬ 
samer eintritt, als beim Jodoform, und nur einige Tage 
dauert. 

Assaky (1. c.) wandte dieses Mittel ebenfalls innerlich 
bei Syphilis, u. zw. mit sehr befriedigendem Erfolge an. Er 
gibt davon 0'4—20 täglich. 

*°) L c. pag. 613-617. 


Von anderen Autoren, die das Jodol innerlich prüften, 
erwähnen wir noch Neisser und Schwimmer (1. c.). Der Erste 
gibt bis zu 2-0 des Mittels pro die (4mal täglich ä 0'5), 
spricht aber kein Urtheil über seinen therapeutischen Werth 
aus; Schwimmer sagt nur, daß die Verwendung des Jodols 
bei ernsten syphilitischen Erkrankungen keinen nennenswerthen 
therapeutischen Effect zeigte. 

In einer jüngst erschienenen Mittheilung von Dante 
Cerve8ato 21 ) ist die therapeutische Verwendbarkeit des Jodols 
bei Scrophulose, tertiärer Lues und Krankheiten der Respi¬ 
rationsorgane ausführlich besprochen. Durch die von Pick 
erlangten Erfolge angeregt, gab er in vielen Fällen innerlich 
1—3 - 0 des Jodols pro die. Die Einwirkung des Mittels auf 
den Organismus war im Allgemeinen derjenigen der anderen 
Jodpräparate ähnlich. Es erzeugte eine Beschleunigung des 
Stoffwechsels, welche einerseits mit einer Aufbesserung des 
Allgemeinzustandes und andererseits mit einer verstärkten 
Elimination des Harnstoffes verbunden ist; letztere Thatsache 
ist um so erheblicher, als sie stets mit einer Vermehrung 
der Urinabsonderung complicirt ist. Die therapeutischen Re¬ 
sultate, die er in 3 Fällen der tardiven, gummösen Syphilis 
(tiefe Ulcerationen des Gaumenbogens und Rachens, Affeetion 
der Leber und des Kehlkopfes etc.) erzielte, waren sehr 
prompte und eclatante. In anderen — scrophulöscn und 
tuberculösen — Erkrankungen an ge wendet, ist das Jodol auch 
sehr vortheilhaft, besonders in den Schwellungen derLymph- 
drüsen, die meist unter Anwendung des Mittels beseitigt 
wurden; die verschiedenen scrophulösen Affectionen der 
Nasenhöhle und des Rachens wichen auch bald der inner¬ 
lichen und örtlichen Anwendung des Jodols. Das Mittel 
wurde von den Kranken immer vortrefflich vertragen und 
übte keinen speciellen Einfluß auf die Temperatur, Circulation, 
Respiration und das Nervensystem aus; in den oberwähnten 
Gaben waren weder Nebenwirkungen, noch eine Störung des 
Intestinaltractes bemerkbar. 

Nach Erfahrungen des Verfassers erzeugt das Jodol 
auch in hohen Dosen und lange Zeit innerlich gebraucht fast 
niemals Erscheinungen von Jodismus. Unter den vielen, vom 
Verfasser angeführten Fällen trat nur einmal bei einem kleinen 
Mädchen eine discrete Acne im Gesichte auf, welche außerdem 
noch zweifelhafter Natur war, da sie lange Zeit nach Beseiti¬ 
gung des Mittels noch persistirte. 

Die bis jetzt mitgetheilten, obwohl spärlichen Beobach; 
tungen über die innerliche Anwendung des Jodols zur Er¬ 
reichung einer specifischen Jodwirkung bei Syphilis sind also 
immerhin derartige, daß sie zu erneuten Versuchen auf diesem 
Gebiete auffordern. Nach den von verschiedenen Autoren ge¬ 
machten Erfahrungen kann das Jodol ohne Gefahr bis zu 
4—5 Grm. innerlich genommen werden, und nur nach größeren 
Dosen entsteht Jodismus und stellen sich üble Erscheinungen 
von Seite des Intestinaltractus ein ; das Jodol scheint daher 
wegen seines hohen Gehaltes an Jod in die Reihe der mäch¬ 
tigeren Jodverbindungen zu gehören; sein Unterschied von 
dem ihm verwandten Jodkali besteht nur in einer lang¬ 
sameren Ausscheidung aus dem Organismus, wie jüngst noch 
von Martini 22 ) auf Grund zahlreicher und sorgfältiger experi¬ 
menteller Untersuchungen nachgewiesen wurde. 

Was die therapeutische Wirkung des Jodols bei Syphilis 
betrifft, so ist diese vollkommen identisch mit der Wirkungs¬ 
weise der übrigen Jodpräparate, doch ist dem Jodkali vor 
anderen Jod Verbindungen eine raschere und energischere Wir¬ 
kung zuzuschreiben. Daraus folgt, daß das Jodol in denjenigen 
Fällen das Jodkali ersetzen könnte, in welchen es auf eine 
länger dauernde, aber nicht allzu intensive Jod Wirkung an¬ 
kommt, während in Fällen, wo es sich um eine rasche und 

81 ) Dante Cervesato. Le applicazioni terapeutische del jodolo nella 
medicina interna. „Lo Sperimentale“, 1888, Settembre; auch deutsch in „Berl. 
klin. Wochenscbr.“, 1889, 2 (Referat). 

*') V. Martini. Süll’ nso terapeutico dell’ jodolo. „Giorn. internaz. 
delle acienze mediche Napoli.“ N. S. IX, 1887, 10, 11, 12. 


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energische Jodwirkung handelt, das Jodkali dem Jodol vor¬ 
zuziehen ist. 

Wenn wir noch einmal zu den Nebenwirkungen des 
Jodols zurückkehren, so können wir hier bemerken, daß — 
außer der geringen Acneeraption, die manchmal unter dem 
Gebrauche des Mittels zu Stande kommt — bis jetzt die üblen 
Wirkungen des Jodols sehr wenig bekannt sind. Wie aus 
den Versuchen von Pahl 23 ) hervorgeht, ist das Jodol in ge¬ 
wöhnlichen Gaben ein durchaus unschädlicher und giftfreier 
Stoff; selbst nach innerlichem Gebrauche des Mittels in größten 
Dosen ist eine nachtheilige Wirkung nur sehr schwach aus¬ 
geprägt. Von den toxischen Einwirkungen, die Pahl bei 
Thieren beobachtet, ist nur eine Abmagerung der vergifteten 
Versuchsthiere zu erwähnen, welche schließlich unter Erschei¬ 
nungen allgemeiner Schwäche zu Grunde gingen. Der Sections- 
befund wies constant fettige Degeneration verschiedener Ein¬ 
geweideorgane auf, vornehmlich sind Leber und Nieren von 
dieser betroffen. 

Nach Allem, was wir über das Jodol aus der Literatur 
kennen gelernt, schien es sich zu lohnen, dasselbe bei der 
Behandlung venerischer Geschwüre und Lues zu versuchen. 
Durch die von Prof. Pick erzielten günstigen Erfolge angeregt, 
habe ich das Jodol schon seit 1886 in meiner Privatpraxis 
gebraucht und kann die Resultate meiner therapeutischen Er¬ 
fahrungen folgendermaßen kurz resumiren: Die Gesammtzahl 
der von mir seit 1886 bis zur letzten Zeit mit Jodol behan¬ 
delten Fälle von venerischen und syphilitischen Erkrankungen 
beläuft sich auf circa 60, und zwar waren 21 Fälle von 
weichen Geschwüren, 10 Fälle von ulcerirten Gummata und 
7 Fälle von vereiternden Bubonen mit äußerlicher Anwendung 
des Mittels behandelt worden; außerdem wurde das Jodol 
innerlich in 22 Fällen von Syphilis versucht. 

Diese Zahlen wären wohl größer gewesen, wenn nicht 
in vielen Fällen anfangs die bis dahin übliche Therapie ein¬ 
geleitet, sondern das Mittel gleich im Beginne der Behand¬ 
lung angewendet worden wäre, wie es in letzterer Zeit der 
Fall war. 

Ohne hier die einzelnen Fälle besonders mitzutheilen, 
glaube ich einige Einzelheiten vorführen zu müssen, welche 
dazu dienen können, ein Urtheil über die therapeutische Ver¬ 
wendbarkeit des Jodols bei verschiedenen venerischen und 
syphilitischen Leiden zu gewinnen. 

Unter 21 Fällen von weichem Schanker waren 8 mit ent¬ 
zündlicher Phimose, 3 mit Paraphimose complicirt; die Ge¬ 
schwüre waren von sehr verschiedener Größe und variablem 
Alter. Was nun die Form der Application anbelangt, so 
wurde das Jodol gewöhnlich in Pulverform, manchmal allein, 
zumeist aber mit einem Zusatz von Magisterium bismuthi 
oder Alaun, oder auch Glycerinalkohol- oder ätherische 
Jodollösung (1 : 20) an ge wendet. 

Die Anwendungsweise des Jodols ist in diesen Fällen 
eine sehr einfache und reinliche; das Mittel wird nach Reini¬ 
gung des Geschwürs durch Sublimatwasser 1—2mal des 
Tages auf die Geschwürsfläche mittelst eines Haarpinsels ap- 
plicirt und darauf einfach trockene Wattebäuschchen oder 
Mullstreifen (mehrfach zusammengefügt) aufgelegt; bei der 
Phimose werden wiederholte Injectionen von Jodolemulsion, 
resp. -Lösung ausgeführt. Hier muß ich auf 2 Momente auf¬ 
merksam machen: erstens bat man darauf zu achten, daß 
nicht zu viel Pulver aufgetragen werde, weil sich sonst die 
Eiterung unter einem oberflächlichen Schorf forterhält; 
zweitens muß das frische Geschwür, bevor es einer Jodolbe- 
handlung unterzogen wird, mit einer concentrirten Carbol- 
säurelösung oder anderen Mitteln 1 —2mal cauterisirt werden, 
da noch unreine, reichliche Secretion zeigende weiche Geschwüre 
der Jodolwirkung widerstehen. Auf locale Anwendung des 
Jodols erfolgt gewöhnlich eine Verminderung der eiterigen 
Secretion, das Geschwür verliert schon nach einigen Tagen 

S3 ) F. Pahi.. Untersuchungen über das Jodol. Inaugur .-Dissertation. 
Berlin 1887. 


sein speckiges Aussehen, wird darauf schon roth, bedeckt sich 
mit gesunden Granulationen und vernarbt schließlich. Der 
Erfolg war jedoch nicht in allen Fällen ein so günstiger; 
nur bei einfachen, gutartigen, weichen Geschwüren wirkte 
das Jodol heilend, und entsprach hier die Behandlungsdauer 
der bei Jodoformbehandlung beobachteten. Sie betrug durch¬ 
schnittlich 15—20 Tage. Phagedänische oder zu spät einer 
Jodolbehandlung unterworfene Schanker, unreine, zu reich oder 
zu wenig secernirendeGeschwüre widerstehender Jodolbehand- 
lung sehr hartnäckig. Von 28 mit Jodol behandelten weichen 
Geschwüren heilten nur 20, ohne daß ich zu anderen Mitteln 
(Jodoform, Acid. salicylicum, Aetzungen mit Lapis etc.) meine 
Zuflucht nehmen mußte. Bei Männern gab die Anwendung des 
Jodolpulvers viel bessere Resultate als bei Frauen, wo das 
Mittel — obwohl meist 3—4mal täglich applicirt — bei jedem 
Uriniren, auch durch die Unruhe der Kranken bald wieder 
entfernt wurde. 

Von eiternden Bubonen lagen uns nur 7 Fälle vor; das 
Mittel wurde in diesen Fällen in 3 —7tägigen Intervallen bei 
jedem Verbandwechsel angewandt; durchschnittlich betrug die 
Heilungsdauer der mit Jodol behandelten Bubonen 20—32 Tage, 
demnach war ich nicht so glücklich mit der Jodolbehandlung 
offener Bubonen, als Prof. P.ck , dem es gelang, eine Ver¬ 
narbung des Bubo schon im Verlaufe von 12 Tagen zu sehen; 
immerhin kann ich auch hier eine, wenn auch dem Jodoform 
inferiore günstige Wirkung des Jodols auf die Heilung der 
Bubonenwunde bestätigen, weil in den meisten Fällen unter 
Anwendung des JodolocclusivVerbundes sich eine Verminderung 
der Secretion und Herstellung einer frischen Granulations¬ 
fläche, ferner Ueberhäutung der Wunde zeigte. 

Aus dem Angeführen geht hervor, daß, obwohl das 
Jodol ohne Zweifel bei weichen Geschwüren eine günstige 
Wirkung ausübt, diese Wirkung keinesfalls so frappant 
und rasch als die des Jodoform ist und in vielen sogar gäuz- 
lich fehlt; auch muß man bei Jodolbehandlung oft etwas 
mehr Geduld haben. Wenn wir nun die Vorzüge des Mittels 

— seine Geruchlosigkeit und das Fehlen toxischer Wirkung 

— in Betracht ziehen, so ist es zu weiteren Versuchen bei 
nicht complicirten weichen Geschwüren und Bubonen, haupt¬ 
sächlich in der Privatpraxis, ganz empfehlenswerth. 

(Schloß folgt.) 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Aus der geburtshilflichen Casuistik. 

Geburtshinderniß, bedingt durch die excessiv erweiterte 
Harnblase des Fötus. 

Von M. Silbermann in Putilla (Bukowina). 

Daß eine excessiv erweiterte, den gesummten Bauchraum des 
Fötus ausfüllende, mit urinöser Flüssigkeit gefüllte, cystoid ent¬ 
artete Harnblase ein wesentliches Geburtshindorniß abgeben kann, 
wurde in diesen Blättern durch Schilderung eines casuistischen Falles 
bereits nachgewiesen. Wenn ich mir nun erlaube, einen einschlägigen 
Fall, den ich im Vereine mit unserem hochverehrten Herrn Bezirks¬ 
arzt Dr. Leopold Getzlinger zu beobachten Gelegenheit hatte, zu 
publiciren, wobei der beinahe erschöpften Kreißenden nur durch das 
kunstgerechte operative Eingreifen des vorbenannten Herrn rasche 
Hilfe gebracht wurde, so geschieht es blos zu dem Zwecke, um 
darzuthun, wie die genaue Kenntniß der Mißbildungen und jener 
Krankheiten, welche die fötale Lebensperiodo beeinflussen, für den 
Geburtshelfer von unschätzbarem Werthe ist, da in diesem Falle 
die Eruirung der Bildungsanomalie am fötalen Körper schon während 
des Geburtsactes für die Wahl des vorzunehmenden geburtshilflichen 
Eingriffes von entscheidender und auch prognostisch wichtiger Be¬ 
deutung war. 

Am 3. December v. J. wurde ich zu der am Dichtinitz- 
bache — einer unwegsamen Gebirgsschlucht des Gerichtssprengels 
Putilla — wohnhaften, in Entbindungsnöthen befindlichen Frau 


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Nr. 9. 


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schleunigst berufen. Nach Zurücklegung eines mühevollen, über 
schneeige Höbenzüge führenden pfadähnlichen Weges, notirte 
ich bei der 18jährigen Kreißenden, einer Primipara, nach¬ 
stehenden Befund: Dieselbe ist von kleiner Statur, gracilem 
Körperbau, gut genährt. Sie gibt an, sich im 7. Schwangerschaft» - 
monate zu befinden, seit 24 Stunden an äußerst schmerzhaften, vor¬ 
nehmlich die Sacralgegend occupirenden wehenartigen Anfällen zu 
leiden, welche in Intervallen von 15 zu 15 Minuten wiederkehren 
und sich durch sehr kurze Dauer auszeichnen, ohne daß ein nennens¬ 
werter Fortschritt im Geburtsverlaufe zu verzeichnen wäre. Schon 
seit 3 Stunden haben aber auch diese Wehen aufgehört. An den 
Abgang des Fruchtwassers konnte sie sich nicht erinnern und 
ebensowenig konnten die Angehörigen, da eine Hebamme nicht an¬ 
wesend war, darüber Auskunft ertheilen. Die Untersuchung der 
Gebärenden ergab eine ovoide Gestalt des Gebärmutterkörpers, 
normale räumliche Verhältnisse des Beckens und bei der Exploration 
der Scheide als vorliegenden Kindestheil das Gesicht. Letzteres war 
im Querdurchmesser des Beckens gestellt. Man fühlt ganz deut¬ 
lich die Mundspalte, einen aus derselben herausragenden weichen, 
zungenförmigen Körper, glatte, derbe Kieferränder, wulstige Lippen 
und den quergestellten Nasenrücken. Der verstrichene Muttermund 
umsäumt den Hinterkopf in einer unregelmäßigen, der mißgestalteten 
Configuration des kindlichen Schädels sich accommodirenden Linie. 
Die fötalen Herztöne und das Placentargeräusch deutlich vernehmbar. 

Vorerst versuchte ich die erloschene Wehenthätigkeit wieder 
anzufachen. Massirungen des Uterusgrundes, warme Sitzbäder 
hatten nur einen vorübergehenden Erfolg. Die wieder aufge¬ 
tretenen Wehen cessirten bald und gingen in completen Wehen¬ 
stillstand über. Auf meinen Antrag wurde Herr Bezirksarzt 
Dr. Getzlinger aus Wienitz als Consilarius berufen, welcher auch 
nicht ermangelte, nach Erhalt der telegraphischen Verständigung 
die so gefahrvolle Gebirgsreise zu unternehmen. Der genannte Herr 
constatirte dieselben Verhältnisse, eine Gesichtslage, difformen 
Schädel, welcher innerhalb der Scheide sich auch allseits umgreifen 
ließ, und einen straffen Muttermund, welcher, in spastischer Cou- 
traction verharrend, die Halsregion des Kindes förmlich umschnürte. 
Nachdem der Kopf des Kindes, obgleich seine Difformität außer 
Zweifel stand, schon mit Rücksicht auf sein Volumen als ein die 
Geburt erschwerendes Moment nicht angesehen werden durfte, wurde 
dieses Geburtshinderniß einesteils in dem spastisch contrahirten 
Muttermunde, anderntheils in dem Truncus des fötalen Körpers 
vermuthet. Es wurde daher auf Beseitigung dieses Spasmus hin¬ 
gearbeitet. Hier haben sich die von Herrn Dr. Getzlinger em¬ 
pfohlenen localen Dampfbäder, nämlich die Einwirkung eines Dampf- 
stromes auf die Genitalien der Kreißenden, und Chloroformeinreibungen 
entschieden bewährt. Die Wehen traten sofort mit verstärkter 
Intensität auf, und wenn auch ihre Kürze auffiel, so wurde doch 
der Kopf tiefer gegen den Beckenausgang getrieben, so daß zwischen 
2—3 Uhr Nachts nach anstrengender Geburtsarbeit der Kopf aus 
der Schamspalte herausgedrängt wurde. Dieser hatte eine spitz- 
elliptische Gestalt; die Verlängerung betraf den senkrechten Durch¬ 
messer des Kopfes, die rechte Gesichtshälfte nahm ein umfangreiches 
Cephalohämatoma ein, welches spontan platzte und schwarzrothes 
flüssiges Blut zur Entleerung brachte. 

Nach der Geburt des Kopfes sistirten sofort die Wehen, die 
vorgenommenen Extractionsversuche vermochten den Fötus nur bis 
zu den Schultern zur Entwicklung zu bringen. Jeder weitere Zug 
war erfolglos. Nunmehr sprach Herr Dr. Getzlinger, nach Aus¬ 
schließung aller nur möglichen, die Geburt erschwerenden Momente, 
seine Ansicht dahin aus, daß nur eine Raumbeengung durch excessive 
Volumszunahme des fötalen Unterleibes das einzige Geburtshinderniß 
hier abgeben könne. Es wurde nun der Beschluß gefaßt, zur Er¬ 
öffnung des kindlichen Unterleibes zu schreiten, und da von der 
gegen die vordere Scheidenwölbung gerichteten Bauchseite des 
Kindes aus dieser operative Eingriff nicht leicht durchführbar war, 
wurde nach Emporhebung und Anspannung des kindlichen Rumpfes 
an dessen Rückenseite in der Höhe der unteren Brustwirbel mit 
einem bauchigen Scalpell ein tiefer, die Unterleibshöhle perforirender 
Schnitt geführt. In diesem Momente stürzte eiue strohgelbe urinöse 
Flüssigkeit in Abundanz hervor, und mit einem einzigen Zuge wurde , 
der Fötus extrahirt. Nach Abgang der Placenta trat in Folge der I 


durch die erschöpfende Geburtsarbeit bedingten Atonie des Uterus 
eine heftige Blutung auf, welche aber durch Massage, Soheiden- 
einspritzungen und subcutane Ergotininjectionen gestillt wurde. Die 
Autopsie ergab eine die kindliche Unterleibshöhle vollständig aus¬ 
füllende, bis zum Diaphragma reichende, cystoid entartete, mit 
urinöser Flüssigkeit gefüllte Harnblase. Dieser Zustand ist wahr¬ 
scheinlich auf einen fötalen Krankheitsproceß, der in diejenige 
Periode fiel, woselbst die Differenzirung und Ausbildung der kind¬ 
lichen Urinblase bereits vorgeschritten war, zurückzuführen. Leider 
wurde eine weitere Autopsie aus rituellen Gründen nicht gestattet, 
obgleich die Aufhellung dieser Bildungsanomalie von eminentem 
Interesse gewesen wäre. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Döderlein (Leipzig): Experimentelle Untersuchungen 
über Desinfection des Catgut 

Verf. hat im Leipziger hygienischen Institute eine Reihe sehr 
interessanter Untersuchungsmethoden über die Desinfection des Roh¬ 
catgut ausgeführt, über deren Resultate er in Nr. 4 der „Münch, 
med. Wochenschr.“ berichtet. 

Die Iufection des zur Untersuchung dienenden Materials wurde 
auf folgende Weise vorgenommen: Rohcatgut wurde in 3—5 Cm. 
lange Stückchen geschnitten, welche in Reagensgläsern, die 10 Ccm. 
Bouillon enthielten, eine Stunde lang im strömenden Dampf sterilisirt 
wurden. Solche sterilisirte Gläser wurden mit Staphylococcus aureus 
inficirt (die stark geschwollenen Catgutstückchen waren nach einigen 
Tagen mit Staphylococcen vollständig durchtränkt) die Stückchen 
hierauf getrocknet und aufbewahrt. Die Staphylococcen behielten 
in dem getrockneten Catgut monatelang ihre vollständige Entwicke¬ 
lungsfähigkeit. 

Um nun das Verhalten des inficirten Catgut gegen wässerige 
Sublimatlösung, 1 : 1000, und Juniperusöl zu studiren, wurden die 
getrockneten Catgutstückchen für 24 Stunden in wässerige Sublimat¬ 
lösung, 1 : 1000, gelegt, dann einzeln in 10 Ccm. Bouillon über¬ 
tragen. In keinem der Gläser trat selbst nach tagelangem Stehen 
bei 37° Entwicklung von Keimen auf. Die Sublimatlösung hatte 
also in 24 Stunden alle Keime, auch die im Inneren des trockenen 
spröden Catgut, sicher getödtet. Um auszuschließen, daß die, wenn 
auch geringe, an dem in der Sublimatlösung wiedergequollenen 
Catgutfaden haftende Sublimatlösung störend auf die Entwicklung 
von Keimen in der Bouillon wirkt, wurden die rein gebliebenen 
Gläser mit einer Spur Staphylococcen versetzt, worauf jedesmal eine 
reichliche Entwicklung eintrat. Um nun zu beweisen, daß das Juni¬ 
perusöl diesen sterilisirten Catgut aseptisch erhält, und zwar selbst wenn 
Keime hinzukommen, was ja beim Herausnehmen zum Gebrauche 
unvermeidlich ist, wurden trockene, mit Staphylococcus inficirte 
Catgutstückchen in reines Juniperusöl eingelegt; ein zweiter 
Versuch bestand darin, daß Juniperusöl im Reagensglas direct mit 
reichlichen Mengen von Staphylococcus inficirt wurde. Die erste 
Probe ergab, daß schon nach 24 Stunden die Keime im Catgut 
vernichtet waren. Ebenso blieb inficirtes Oel klar, es tödtete also 
die eingeftihrten Keime. Das Juniperusöl kann somit zur Präpa¬ 
ration und Aufbewahrung des Catgut zuverlässig verwendet werden. 

Zur Desinfection des Catgut durch trockene Hitze brachte D. 
die in den Trockenschrank gelegten Fäden auf die Temperatur 
von 70—80° C. Dieses Vorwärmen bezweckt das Entweichen des 
hygroskopischen Wassers, worauf dann die Erhitzung behufs der 
Sterilisirung auf 130° erfolgt. 

Für die Praxis in Krankenhäusern dürfte sich die Sterilisirung 
in der Weise empfehlen, daß die einzelnen, 2 1 /»—3 Meter langen 
Rohcatgutfäden, nach Art der Violinsaiten aufgerollt, in Reagens¬ 
oder Pulvergläser gebracht werden, die durch Watte vorschlossen 
werden. Nach vorherigem langsamem Vorwärmen bis zur völligen 
Entwässerung worden sie nun durch Erhitzen auf 130° während 
einer Stunde sterilisirt. Bei diesem Verfahren zeigen selbst mit 
Staphylococcen inficirte Fäden nie Entwicklung von Keimen auf 
Gelatine oder Bouillon. Der mit dieser Vorsicht sterilisirte Catgut 
stellt ein äußerst leistungsfähiges Material dar. Er gewinnt an 
Festigkeit. Schon mit der dünnen Nr. 2, die bei der Präparation 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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mit Juniperusöl nicht zuverlässig fest bleibt, kann man ohne Furcht vor 
Zerreißung große Gewebspartien abschnüren. Dazu kommt noch 
der Vortheil, daß die gleichen Nummern bei dieser Präparation einen 
dünneren Faden darstellen, als bei jeder anderen, da der Faden 
vollständig trocken ist. Um ihn zum Knüpfen genug geschmeidig 
zu erhalten, genügt ein blosses Eintauchen in heißes Wasser. S. 

Dr. Arthur Loebel (Wien-Dorna): Das b alneother apoli¬ 
tische Verfahren während der Menstruation. 

Unter diesem Titel ventilirt der Autor die Frage, ob Bade- 
und Trinkeuren auch während der Catamenialepoche fortzusetzen 
seien. Nachdem Thube Brandt nicht ansteht, die Massage der 
Genitalorgane gerade während des Menstrnalflusses als außerordent¬ 
lich wirksam anzuempfehlen und die Chirurgen bei plastischen Ope¬ 
rationen gerade während der Regeln die günstigsten Erfolge erzielt 
haben wollen, erscheint es in der That fragwürdig, ob nicht ähn¬ 
liche Vortheile in der Thermalbehandlung zu gewärtigen sind. Ab¬ 
gesehen davon, ist jeder Badearzt in Verlegenheit, wie lange er 
den Curgebrauch unterbrechen soll, und interessant ist in dieser Be¬ 
ziehung die Fülle widerspruchsvoller Daten, die in der vorliegenden 
Arbeit zusammengestellt sind, da es Aerzte gibt, die keine Unter¬ 
brechung kennen wollen, und wieder andere, die zwischen 2—6tägigen 
Pausen laviren. Zudem verlangt die proteusartige Form des Men- 
strualflusses, die Amenorrhoe, Menorrhagie, Dysmenorrhoe, vicariirende 
Menstruation und schließlich jene Fälle von typischen Blutungen, 
wo das Einsetzen der Menstrualblutung nicht zu markiren ist, wegen 
ihrer Vielgestaltigkeit eine ernste Beantwortung dieser Frage, deren 
Tragweite auch den praktischen Arzt tangirt, seitdem man in den 
verschiedensten Krankheitsformen zum Gebrauch von Bädern auch 
in der Alltagspraxis recurrirt und sie unter Anderem auch bei 
metrorrhagischen Zuständen verordnet. Die Angelegenheit ist um 
so wichtiger, als jene Aerzte, die in den späteren Tagen des Catamenial- 
flusses schon baden ließen, nur von den heilsamsten Einflüssen er¬ 
zählen, gleichviel ob dies am 3., 4., 5. oder am 6. Tage der Blutung 
erst geschah, während die Zaghafteren alle die Gefahren von Er¬ 
kältung, Entzündung und ererbtem Vorurtheile citiren. Die Wider¬ 
legung dieser Ansichten hat sich der Autor zur Aufgabe gemacht 
und müssen wir es uns versagen, auf die Wiedergabe dieses aus¬ 
führlichen Theiles der Arbeit einzugehen, trotzdem mancher schlagende 
Beweis erwähnenswerth ist, ebenso wie wir wegen der Krankengeschich¬ 
ten, die gewissermaßen als Experimente in vivo vom Verf. bezeichnet 
werden, auf das Original („D. Frauenarzt“) verweisen müssen. Es seien 
hier nur die anatomischen und physiologischen Studien berührt, die 
mit ernstem Fleiße die stattliche, einschlägige Literatur sichten und sich 
dahin resumiren lassen, daß die Veränderungen der Uterusschleimhaut 
während der menstruellen Blutung von anderen uterinen Blutungen 
gar nicht abweichen. Nachdem man bei puerperalen Blutungen, 
wo man es mit einem Organe zu thun hat, das in fettiger Entartung 
und stetiger Aufsaugung begriffen ist und andererseits in der leb¬ 
haftesten Proliferation junger Muskel-, Bindegewebs- und Drüsen¬ 
elemente sich befindet, nicht ansteht, eine energische Localbehand¬ 
lung einzuschlagen, trotzdem die ganze Innenfläche des Uterus ab- 
gestoßen und neugebildet wird, und sogar permanente Irrigationen 


anzuwenden trotz der siebförmig durchlöcherten Oberfläche und des 
Convolutes klaffender Venen und Lymphgefäßstämme, ist wohl gewiß 
während der Menstrualblutung die Application von Heilmitteln zu¬ 
lässig, die nicht einmal das Orificium externum überschreiten. 

Der physiologische Theil der Frage gestaltet sich sogar noch 
günstiger. Mit dem Beginne des Blutflusses setzt ein Abfall der 
Bluttemperatur ein, der die Blutungsperiode überdauert, sinkt der 
Blutdruck bedeutend ab, vermindern sich auch Pulsfrequenz und 
Harnstoffausscheidungen. 

Diese Herabsetzung der vitalen Functionen des Geschlechts¬ 
organes und diese Depressionen, die rasch auf einander folgen, 
schädigen als physiologische Insulte aufs Empfindlichste die Erholung 
des Organs. Da man nun gerade in den Bädern jene Heilfactoren besitzt, 
welche dem Gesammtorganismus sowohl wie dem leidendenOrgane die 
erforderliche Wärme und Nahrung zuführen, indem sie mit der Ver¬ 
mehrung der Pulse und der Hebung des Blutdruckes, also mit der 
Steigerung der Herzenergie und Kreislaufgeschwindigkeit den Ent- 
gang an Eigenwärme restituiren, müssen sie mit der Erhöhung des 
Stoffwechsels auch die Aussicht auf Aequilibrirung der Mißstände 
inauguriren. Die mühsam aus der Literatur und durch eigene Ver¬ 
suche gesammelten physiologischen Daten, die zahlreichen praktischen 
Beobachtungen, sowie die leichtfaßliche Darstellung müssen noch 
als besonderer Vorzug der Arbeit betont werden. S. 


Die Krankheiten der Harnblase. Von Prof. Dr. Robert 
Ultzmann. Nach dessen Tode herausgegeben von Dr. Mobitz 
Schüstler in Wien. Mit 182 Holzschnitten. (Lieferung 62 
von Billroth-Luecke’s Deutsch. Chirurgie). Stuttgart 1890. 
Ferdinand Enke. 

Es gibt wohl kaum ein wichtiges Capitol der Erkrankungen 
des uropoetischen Systems, in welchem Ultzmann, der hochbegabte 
Wiener Urologe, nicht schöpferisch thätig gewesen wäre. In Mono¬ 
graphien, zahlreichen Abhandlungen und Journalartikeln hat er die 
Früchte seiner Studien niedergelegt und schon in jungen Jahren der 
Pathologie und Therapie der Harnröhren- und Blasenerkrankungen 
neue Wege geebnet. Es sollte ihm nicht vergönnt sein, sein letztes, 
ausgezeichnetes Werk vollendet zu sehen. Knapp vor Beendigung 
desselben hat ihn der Tod jäh hinweggerafft; eine fremde Hand 
mußte die Schlußredaction dieses Buches besorgen. 

Und welch ein Buch! Als hätte der Verfasser desselben 
geahnt, daß es sein letztes Werk sein solle, hat er sein Bestes ge¬ 
schaffen, trefflich in der Eintheilung wie in der Bearbeitung. Jeder 
Blick in dasselbe belehrt den Leser, daß er es nicht mit einem 
unserer modernen Compilationswerke, sondern mit einem Lehrbuche 
zu thun habe, dessen Verf. auf Grundlage eingehendster Literatur- 
kenntniß die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen und Er¬ 
fahrungen aufbaut. Darum tritt uns auch aus jedem Capitel die 
unvergessene Gestalt des unermüdlichen, seine Disciplin voll be¬ 
herrschenden Arztes entgegen, den Forscher, den Theoretiker in 
den Hinteigrund drängend. Daß der letzte, die Neurosen der Harn¬ 
blase behandelnde Abschnitt vom Herausgeber nach Ultzmann’s in 
der „Wiener Klinik“ erschienenen Monographie „Ueber die Neuro¬ 
pathien des männlichen Harn- und Geschlechtsapparates“ bearbeitet 
wurde, gereicht dem Werke nicht zum Nachtheile. B. 


F e u ill e ton. 

Briefe aus Böhmen. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Der Jahreswechsel 1889—90 vollzog sich in unserer Stadt 
unter dem Zeichefi der Influenza. Zwischen Weihnachten und Neu¬ 
jahr erfolgte die Invasion der bis jetzt noch schemenhaften Influenza- 
mikroben und im Sturme war die Besetzung sämmtlicher Theile der 
Stadt durch die Legionen dieses unheimlichen, unsichtbaren Feindes 
geschehen. Im Kampfe um’s Dasein unterlagen die stammesver¬ 
wandten Mikroorganismen, welche von jeher unsere Landeshaupt¬ 
stadt als ihre Domäne beherrschten, und Typhus, Blattern, Exan¬ 
theme, Diphtheritis u. s. w. verschwanden während der Schreckens¬ 


herrschaft der Influenza von der Bildfläche. Eine wahrhafte 
„Volks“krankheit, suchte sie alle Schichten der Bevölkerung heim. 
Alles nivellirend, machte sie vor den Palästen der Reichen ebenso¬ 
wenig Halt wie vor den Wohnstädten der Armen. Zu Schanden 
wurden vor ihr alle hygienischen Schutzwehren, welche gegen 
andere Seuchen mit mehr oder weniger Erfolg aufgestellt werden. 
Weder Ventilation noch Separirung, weder zweckmäßige Diät noch 
Vermeidung aller Excesse waren im Stande, die Krankheit abzu¬ 
wehren , und die Meister der Hygiene machen das beschämende 
Geständniß: Hier ist eitel unsere Kunst, gegen diesen Feind 
kämpfen unsere Waffen ganz vergebens. 

Mit leisem, kaum vernehmbarem Schritte schlich sie anfangs 
einher und wurde daher als Bagatelle betrachtet und als Mode¬ 
krankheit verspottet; aber bald fielen ihre Streiche immer wuchtiger 
und wuchtiger nieder, und die kräftigsten Männer knickten unter 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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denselben wie schwaches Kohr zusammen, und als sie gar ihre 
Pandorabüchse aufthat und derselben ihr todbringendes Gefolge 
schwerer Complicationen entsteigen ließ, verstummten die Spötter, 
und Furcht und Schrecken erfüllten die Gemüther. War das ein 
Rennen und Jagen unter den Aerzten! Wie die wilde Jagd brausten 
sie durch die Straßen, alle Vehikel nahmen sie in Beschlag und 
keuchenden Athems ging’s Trepp auf, Trepp ab, Tag und Nacht. 
Jetzt galten sie, alle die Aerzte ohne Wahl, und welche sonst 
Muße fanden, während der „Sprechstunde“ in Morpheus’ Armen ver¬ 
sunken zu sein, jetzt eilten sie raschen Schrittes, oder sassen, in 
die Droschke gelehnt, das Notizbuch in der einen, den Bleistift 
in der anderen Hand, und ihr strahlender Blick verkündete 
triumphirend: „Jetzt sind wir’s.“ Da hatte jeder seine Panacee 
gegen die furchtbare Krankheit. Der Eine schwärmte für Antipyrin, 
der Andere für Antifebrin, der Dritte für Phenacetin, der grau¬ 
bärtige Praktiker für das alte, „prächtige“ Chinin als unfehlbares 
Specificum und Prophylacticum , der Schlaukopf wieder gibt jeden 
Tag ein anderes Antipyreticum, denn er mag nicht immer denselben 
Schimmel reiten, der belesene Theoretiker hingegen läßt die postu- 
lirten Mikroben durch die Fiebergluth verschmachten. Einer wieder 
schwur auf das von einem berühmten Hydropathen an sich selbst 
erprobte Verfahren. Sobald der Patient die Invasion der Influenza¬ 
keime verspürt, muß er, mit einem Pelze angethan, 2 Stunden lang 
durch die Straßen laufen, damit der Feind durch die Schweißporen 
hinausgedrängt werde; zu Hause angekommen, wird er trocken ab¬ 
gerieben, nimmt ein reichliches Mahl zu sich, begibt sich zu Bette — 
verduftet ist die Influenza. So kocht jeder sein Kräutlein, jeder sein 
Süpplein , die Apotheken sind belagert, unzählige Hände strecken 
den geschäftigen Pharmaceuten die Recepte entgegen, und während 
diese im Schweiße ihres Angesichtes die Arzneien bereiten, lispelt der 
Chef, sich vergnügt die Hände reibend: Das Jahr 1890 fängt, Gott 
sei Dank, recht gut an. 

Mit Ausnahme der Apotheken und Droguerien ist es still 
und traurig in der Stadt; die Faschings freu den smd gestört, 
Handel und Wandel stockt, die Schulen sind gesperrt, die Wissen¬ 
schaft feiert. 

Auch vielen Aerzten hat die Krankheit arg zugesetzt, und 
eine große Zahl von Professoren mußte ihr den Tribut zollen. Der 
Verein der deutschen Aerzte mußte die Sitzungen suspendiren, weil 
dieselben wegen eingetretener Erkrankung nicht gehalten werden 
konnten. Die böse Influenza ist auch Schuld, daß der übliche 
„Neujahrsbrief“ aus Prag an die Leser der „Wiener Med. Presse“ 
gelangt, wenn der Lenz seine duftenden Boten entsendet und 
eine vorwitzige Lerche hoch in den Lüften den nahenden Frühling 
verkündet. Die tückische Krankheit entwand der Hand des Corre¬ 
spondenten den Griffel, als er eben im Begriffe stand, das SituationH- 
bild zu skizziren. 

Doch getrost, lieber Leser, ob dieser Verzögerung, es ist 
kein heiteres Bild, das ich zu entrollen habe. 

Mit jedem Jahre gestalten sich die Verhältnisse für die prä- 
dicatlosen ausübenden Aerzte ungünstiger. Sie müssen vorlieb nehmen 
mit den Brosamen, welche übrig bleiben von der Tafel, an welcher 
die mit jedem Jahre zunehmende Schaar von Professoren und 
Docenten an beiden Facultäten mit Behaglichkeit ihr Mahl verzehrt. 
Auch die mageren Bissen, welche für die misera plebs der ge¬ 
wöhnlichen Praktiker übrig bleiben, werden immer knapper, indem 
nicht nur die beiden Polikliniken, sondern auch die große Anzahl 
von Kliniken sich zu förmlichen Ordinationsanstalten herausgebildet 
haben, zu welchen, weil ja daselbst von den Professoren selbst Rath 
eingeholt werden kann, auch best situirte Patienten strömen. Eine 
fernere Consequenz des Bestehens zweier medicinischer Facultäten 
ist das Ueberhandnehmen des Specialistenthums. Natürlich! Wer 
mehrere Jahre als Assistent in einer Specialklinik sich ausgebildet 
hat, der mag dann, sei es aus Vorliebe , sei es aus Einseitigkeit 
der praktischen Ausbildung, nur sein specielles Fach cultiviren. 
Gewiß sind manche der titellosen Specialisten nicht auf Rosen ge¬ 
bettet, aber jedenfalls wird dadurch der Wirkungskreis der Prak¬ 
tiker immer kleiner und allmälig auf das Gebiet der inneren Medicin 
beschränkt. 

Eine sehr empfindliche Einbuße am Einkommen erleiden 
ferner die Aerzte durch die Bestimmungen des bereits in Wirksam¬ 


keit getretenen Krankencassen-Gesetzes, nach welchem selbst ver¬ 
mögenden Leuten das Recht eingeräumt wird, Mitglieder der Kranken- 
cas8e zu werden und dadurch den Anspruch auf unentgeltliche 
Behandlung zu erlangen. 

Aber merkwürdig! Der offenkundige Niedergang des ärzt¬ 
lichen Standes und die immer schwerer sich gestaltenden Existenz¬ 
bedingungen schrecken den Nachwuchs nicht ab, als praktische Aerzte 
das Glück in Prag zu versuchen, und selbst in den entlegensten 
Theilen der Stadt findet man Tafeln mit zweisprachiger Aufschrift, 
welche dem Leser kund und zu wissen thun, daß „emer. Assistent 
Dr. X.“, oder „emer. I. Sec.-Arzt Dr. Y.“, oder „emer. Spitals¬ 
arzt Dr. Z.“ in dieser oder jener Stunde zu sprechen seien. 

Nicht besser als in der Hauptstadt, ergeht es der Mehrzahl 
der Aerzte auf dem Lande. Die durch Ueberproduction von Aerzten 
immer zunehmende Concurrenz droht die Existenz der Einzelnen zu 
vernichten. Um jede ausgeschriebene, noch so ärmlich dotirte Stelle 
eines Gemeinde-Arztes in einem elenden Gebirgsflecken ist die Com- 
petenz eine riesige; Fälle von Unterbietungen sind gar nicht so 
selten. Ist es da zu wundern, wenn eine hohe Gemeinde-Obrigkeit 
den angestellten Arzt ihre Autorität fühlen läßt, und seine Stellung 
eine unhaltbare wird, wenn er es nicht versteht, die Gunst Beiner 
„Vorgesetzten“ zu erlangen und zu erhalten. 

Die Erwartung eines günstigen Umschwunges der Verhältnisse 
durch die endliche Organisirung des Sanitätsdienstes ist nicht in 
Erfüllung gegangen. Wie bei allen, den ärztlichen Stand betreffenden 
legislatorischen Schöpfungen wurde auch bei diesem Gesetze und 
noch mehr bei den Durchführungsbestimmungen zu demselben auf 
das Interesse der Aerzte nicht die geringste Rücksicht genommen. 
Nicht nur, daß der Würde des Standes, der socialen Stellung der 
Aerzte nicht im mindesten Rechnung getragen wurde, wird durch 
dasselbe das materielle Interesse empfindlich geschädigt. Die dem 
Districts-, resp. Gemeinde-Arzte zugemutheten Obliegenheiten nehmen 
seine ganzen physischen und geistigen Kräfte in Anspruch. Die 
Bezahlung jedoch ist kaum höher als die eines Bediensteten niedriger 
Kategorie. Die Härten des Gesetzes riefen einstimmigen Wider¬ 
spruch hervor, und es ist von besonderer Bedeutung, daß gerade in 
czechischen Kreisen das vom böhmischen Landtage ohne Mitwirkung 
der deutschen Abgeordneten zu Stande gebrachte Gesetz die lauteste 
Opposition hervorruft. Kaum daß dasselbe in einigen wenigen Be¬ 
zirken durchgeführt wurde, hat der Centralverein der czechischen 
Aerzte in Böhmen in einem dem damaligen Statthalter Baron Kraus 
und dem Landesmarschall Fürsten Lobkowitz überreichten Memo¬ 
randum die Härten der die Würde des ärztlichen Standes ver¬ 
letzenden Bestimmungen offen auseinandergesetzt und um deren 
Abänderung gebeten. Und in der Sitzung des böhmischen Land¬ 
tages vom 22. November v. J. rief der Abgeordnete Dr. Dvorak 
demselben zu: Im gewöhnlichen Leben gelte der Grundsatz, daß 
der Lohn für eine Arbeit sich nach der Leistung und der hiezu 
nöthigen Kunstfertigkeit riohte. Anders jedoch werde es gehalten, 
wenn es sich um die Entlohnung der Aerzte handle. Die Vorsorge 
um die Gesundheit, des höchsten Gutes der menschlichen Gesell¬ 
schaft, werde dem Arzte übertragen; die ihm auferlegten Pflichten 
nehmen sein ganzes Können in Anspruch ; die Entlohnung jedoch 
stehe in keinem Verhältnisse, weder zur Mühe, noch zur Kunst¬ 
fertigkeit des Arztes. Wir Aerzte sind eben das Aschenbrödel des 
Staates; das „De nobis sine nobis“ wird uns gegenüber zum Grund¬ 
sätze erhoben. Doch darüber mehr ein anderes Mal. —z. 


Kleine Mittheilungen. 

— Eine neue Behandlung der Diphtherie theiit Dr. Schbndel 
in Nr. 6 der „Berl. kl. Woch.“ mit. In 43 Fällen wendete er 
eine Tinctur an, die er alsTincturaruscicomposita be¬ 
zeichnet. Das Mittel wird im Großen dargestellt, und zwar durch 
Digeriren einiger Schwefelsalze mittelst verdünntem Weingeist, bis 
letzterer ein Procent der Salze aufgenommen hat, unter Zusatz von 
Oleum rusci und Oleum fagi. 20 Grm. hatten bei Gesunden keinerlei 
unangenehme Wirkung. Bei Diphtherie gab er stündlich einen 
knappen halben TheelÖffel der Tinctur am Tage, Nachts 2stündlich, 
bei Kindern unter 2 Jahren etwas weniger, meist des schlechten 
Geschmackes wegen mit etwas Ungarwein verdünnt. Von Medi- 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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camenten wurde nichts Anderes verordnet, selbst ein Gurgelwasser 
wurde gemieden. Der Ernährung wurde große Sorgfalt zugewendet; 
neben roborirender Diät wurden große Mengen starken Weines ge¬ 
geben, wenn nöthig auch zur künstlichen Ernährung geschritten. 
Die schweren Allgemeinerscheinungen schwanden nach 3—4maligen 
Gaben. Das Allgemeinbefinden blieb auch während der ganzen Be¬ 
handlung meist ein gutes. Auch auf den diphtheritischen Herd 
scheint die Tinctur eine locale Wirkung zu üben. Nach 10- bis 
20stündiger Medication — bisweilen etwas später — bekommen die 
graugefärbten fibrinösen Exsudationen einen Stich in’s Gelbliche, der 
Rand derselben hebt sich ab, die Einlagerung schrumpft, stößt sich 
ab und eine schöne rothe Granulationsfläche kommt zum Vorschein. 
Langsamer ist die Wirkung, wenn der Proceß schon weiter vorge¬ 
schritten ist. Aber auch in solchen Fällen hat sich das Mittel be¬ 
währt. Von den 43 Fällen Schendel’s waren 25 leichtere, die 
nach 3—4tägiger Krankheitsdauer genasen. Von den übrigen 
18 Kindern, bei denen der Proceß schon sehr ausgedehnt war, 
starben 2, 1 wurde tracheotomirt, die 15 anderen wurden gesund. . 
Außer einer Mittelohrentzündung hat Sch. keine Complicationen und 
Nachkrankheiten, namentlich keine Herzparalyse gesehen. 

— In einer sehr eingehenden und interessanten Studie über 
das Saccharin (These de Lyon, 1889) gelangt Louis Rey zu 
folgenden Schlüssen: Das in den Organismus durch den Darmcanal 
eingeführte Saccharin wird großenteils unverändert durch den Urin 
ausgeschieden. In den Magen ein geführt, wird das Saccharin rasch 
resorbirt und läßt sich schon nach 10 Minuten naobweisen. Auf 
den Urin wirkt das Saccharin derart, daß es die chlor-, phosphor- 
und schwefelsauren Salze unverändert läßt, während der Harnstoff 
im Verhältniß zur resorbirten Saccharinmenge abnimmt. Diese Ab¬ 
nahme gibt sich durch eine entsprechende Herabsetzung des speci- 
fischen Gewichtes des Harns kund. Das Saccharin ist nicht toxisch; 
nunde können bis 10 Grm. täglich nehmen, ohne irgend welche Ver¬ 
änderung zu zeigen. Das Saccharin ist ein fäulnißwidriges Mittel 
und wirkt antiseptisch, daher es bei gewissen Magen- und Darm¬ 
krankheiten an gezeigt ist. — Von der Eigenschaft des Saccharins, 
unverändert durch den Harn eliminirt zu werden, ausgehend, hat 
Smith dasselbe zu dem Zwecke angewendet, um alkalischen Harn 
anzusäuern. Die Versuche, die er im presbiterianischen Hospital 
zu New-York angestellt hat und deren Resultate im „Medical 
Record“ vom 16. November 1889 mitgetheilt sind, ermuntern zu 
weiteren ähnlichen Versncheii. In Fällen, wo der Urin ammoniakalisch 
war und einen unerträglichen Geruch hatte, gelang es mittelst 
einiger Körnchen Saccharin, 3mal täglich genommen, den Urin sauer 
zu machen, den Geruch zu vertreiben, die Reizung der Harnblase 
und die Eiterbildung zu vermindern. Auch bei acuter Cystitis be¬ 
währte sich das Mittel vorzüglich. Smith schreibt diese günstige 
Wirkung nicht nur der ansäuernden, sondern auch der antiseptischen 
Eigenschaft des Saccharins zu. 

— Max Bockhart empfiehlt im VII. Heft der „Monatsh. f. 
prakt. Dermat.“ die Behandlung der spitzen Condylome mit 
Plumbum causticum. Für die hahnenkammähnlichen, hauptsächlich 
der Länge nach wachsenden, sowie für die kleinen, isolirten, enge 
beisammenstehenden spitzen Condylome ist nach ihm das Plumb. 
caust. (0’25 Bleioxyd in 7’5 Ccm. kochender 33 J /3proc. Kalilauge 
gelöst), mit dem Wattepinsel aufgetragen oder als Stift (2 Th. 
Bleioxyd in 8 Th. geschmolzenem, reinem Aetzkali aufgelöst) das 
werthvollste Aetzmittel wegen seiner radicalen Wirkung und wegen 
der Bildung von möglichst kleinen Aetzgeschwüren, die außerordent¬ 
lich rasch heilen. Bei der Aetzung wird das Mittel so oft aufge¬ 
tragen , bis man nach Abwischen des jedesmal sich bildenden 
schwarzen Schorfes in das Niveau der gesunden Haut oder eine 
Spur tiefer gelangt ist. Die kleinen Aetzgeschwilre bedeckt man 
mit in Bleiwasser getränkter Watte. 

— Die Behandlung des MäNiERE’schen Schwindels in den 
Fällen, in welchen die Erkrankung des Ohres nicht gebessert werden 
kann, besteht nach Charcot in Folgendem: Man gibt dem Kranken 
Chininum sulfuricum 15 Tage hindurch in Dosen von 0 60—10 
täglich, vertheilt auf 2—3 nach der Mahlzeit zu nehmenden Einzel¬ 
dosen. Dann wird das Mittel auf 8 Tage ausgesetzt, um es hierauf 
wieder 2 Wochen zu verabreichen und so fort, bis Heilung erfolgt. 


Dies geschieht gewöhnlich nach 3—ömaligem Turnus. Die Chinin¬ 
dosis muß hinreichend groß sein, um Ohrensausen hervorzurufen. 
Der chronische und permanente Schwindel widersteht dieser Behand¬ 
lung viel mehr als der anfallsweise auftretende. In diesen Fällen 
kann das salicylsaure Natrium in Dosen von 4—6 Grm. täglich als 
Ersatzmittel für Chinin angewendet werden, obgleich es weniger 
sicher wirkt als dieses. 

— Ueber die Giftigkeit des Creolins und seinen Einfluß 
auf den Stoffwechsel stellte Dr. Otto Mügdan in Berlin im 
Laboratorium von Salkowski eine Reihe von Versuchen an, deren 
in Nr. 7 des „Ctbl. f. die med. Wissenschaften“ mitgetheilten Re¬ 
sultate folgende sind: 1. Das Creolin kann, in Uebereinstimmung 
mit Behring, Weyl u. A., nicht als ganz ungiftig bezeichnet werden, 
da 10 Grm. desselben oder fortgesetzte Gaben von 5 Grm. ein 
Kaninchen sicher tödten; 2. die giftige Eigenschaft des Creolins 
beruht nicht etwa nur auf seinem Gehalt an Carbolsäure, sondern 
vielmehr auf einem Zusammenwirken der in ihm enthaltenen Kohlen¬ 
wasserstoffe, Carbolsäure und höherer Cresole. Dies hat Verfasser 
dadurch bewiesen, daß er die im Creolin enthaltenen Kohlenwasser¬ 
stoffe, Carbolsäure und höhere Cresole einzeln darstellte und zuerst 
mit jedem Bestandtheil allein, dann mit der Combination von 
mehreren Bestandteilen experimentirte. Entgegen den Angaben 
FrÖhner’s und Anderer stellte sich bei seinen Versuchshunden 
schon nach Einnahme von 5 Grm. Erbrechen ein; cs wird daher 
wahrscheinlich unmöglich sein, Hunde vom Magen aus mit Creolin 
zu vergiften, aber nur deshalb, weil sie sich des schwer resorbir- 
baren Giftes sehr schnell entledigen. — Der Einfluß des Creolins 
auf den Stoffwechsel wurde dadurch festgestellt, daß einem sich im 
Stickstoffgleichgewicht befindenden Hunde mehrere Tage hindurch 
2 oder 3 Grm. Creolin gegeben wurde. Dabei ergab sich: 1. Täg¬ 
liche Dosen von 2 bis 3 Grm. Creolin beeinflussen den Eiwei߬ 
zerfall beim Hunde in keiner Weise; 2. Carbolsäure ist hienach 
nur in minimalster Menge im Harn aufzufinden; 3. der Indican- 
gehalt des Harns sinkt bis fast zum Verschwinden, als sicheres 
Zeichen der Herabsetzung der DarmfUulniß; 4. die Aetherschwefel- 
säufen nehmen bedeutend zu. 

— Die Gefahr der Nephritis nach Balsambehandlung, speciell 
nach Copaivabalsam und Styrax, ist bekannt. Von Nephritis nach 
Perubalsambehandlung jedoch liegen bisher nur zwei Angaben in 
der neuen Literatur vor, von Litten („Charite-Annalen“ 1879, p. 187) 
und von v. Vämossy („Wien. Med. Pr.“ 1889, Nr. 17—20). Im 
ersten Falle handelte es sich um einen bleikolikkranken, scabiösen 
Maler, der jedesmal nach Einreibung mit Perubalsara Blut, Epithe- 
lien und Cylinder im Ham aufwies, während v. Vämossy über 4 
(von 28) Fälle berichtet, bei denen nach Behandlung mit Peru¬ 
balsamgaze Nierenreizung eintrat. Dabei ging mit der Albuminurie 
eine zunehmende Bräunung des Harnes Hand in Hand. Dem ent¬ 
gegen steht die Ansicht Landerer’s, der dem Perubalsam jede Art 
von Femwirkung abspricht. Bräutigam und Nowack untersuchten 
deshalb systematisch an 22 leichteren Kranken den Einfluß des 
Perubalsams auf die Nieren, indem sie fast täglich den Ham auf 
Farbe, Geruch, . spec. Gewicht, Menge, Reaction, Eiweiß, mikro¬ 
skopische Bestandteile prüften. Die Darreichung erfolgte a) per os 
(in 20%iger Oelemulsion und Pillen, Anfangs mit Wachs zu 0‘1, 
später mit Magn. usta zu 0-2, b) subcutan (je 2 Grm. einer 20%igen 
Emulsion ohne Oel), c) äußerlich (kräftige Einreibung in die Haut). 
Auf Grund ihrer in Nr. 7 des „Centralblatt für klinische Medicin“ 
veröffentlichten Untersuchungen können Verff. die Angaben Noth- 
nagel’s und Rossbach ’s (Arzneimittellehre 1887), daß Perubalsam, 
„innerlich in größeren Gaben Magen-Darmcatarrh und überhaupt 
auf allen Schleimhäuten Entzündung erregt“, nicht bestätigen. Selbst 
Dosen von 53'8 und 80 Grm. innerhalb 11 und 24 Tagen wurden 
vollkommen reactionslos vertragen. Weder trat eine Bräunung des 
Harns ein, noch Magen- und Darmbeschwerden. Auch die Menge 
des Harns blieb innerhalb normaler Breite. Die höchste Tagesdosis 
betrug dabei 11 Grm. — Daß der Perubalsam wirklich resorbirt 
wurde, bewies die stark saure Reaction des Harnes, vornehmlich 
durch die erhebliche Vermehrung der Hippursäure. Keinesfalls ist 
also der Perubalsam in seiner Wirkung auf Schleimhäute und Nieren 
mit dem Copaivabalsam, Styrax etc. zu vergleichen. Den Grund 


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suchen Verflf. in dem verschiedenen Gehalt an ätherischen Oelen. 
Denn während der Copaivabalsam 18 bis 80% solcher aufweist, 
enthält echter Perubalsam überhaupt keine ätherischen Oele, sondern 
nur 50°/o zimmtsauren Benzyläther, 8 bis 10% Zimmtsäure und 
circa 30% Harze. Dagegen ist bekannt, wie oft er mit anderen 
flüchtigen Oelen etc. verfälscht wird. Vielleicht ist darauf die 
Nierenreizung in Litten ’s und v. VAmossy’s Fällen zurückzuführen. 
Auf die Echtheit des Präparates ist deshalb auch aus diesen Gründen 
Werth zu legen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 23. Februar 1890. 

Vorsitzender: Prof. Weichselbaum. — Schriftführer: Dr. 
v. Eisklsberg. 

Prim. Or. Englisch demonstrirt 2 Nierensteine, von denen 
der eine 72, der andere 78 Grm. wiegt. In der Mehrzahl der Fälle 
sind Nierensteine einseitig, doppelseitige große Nierensteine, wie die 
demonstrirten, gehören zu den Seltenheiten. 

Discussion über Influenza. 

Prof. GRUBER hat während der Influenza-Epidemie und nach 
derselben eine große Anzahl von eitrigen Entzündungen des Mittel¬ 
ohres beobachtet. Dieselben waren sehr hochgradig und hatten nur 
eine Analogie mit den schweren eitrigen Entzündungen, wie sie bei 
Infcctionskrankheiten, insbesondere nach Scharlach und Pneumonie, 
Vorkommen. Während sonst eitrige Entzündung des Mittelohres 
einseitig ist, war sie bei der Influenza doppelseitig. Was die Er¬ 
scheinungen betrifft, so ist besonders hervorzuheben, daß schon im 
Beginne der Erkrankung eine starke Hyperämie der umgebenden 
Weichtheile auftrat, daß das Trommelfell viel mehr in Mitleidenschaft 
gezogen wurde, als dies sonst der Fall ist. Am Tromtnelfbll sah 
man schon im Stadium hyperaemiae diffuse Blutextravasate oder Blut¬ 
blasen. ln Folge der starken Hyperämie floß noch einige Tage 
nach Durchbruch des Trommelfelles mehr Blut als Exsudat aus. Diese 
Erscheinungen traten sehr stürmisch auf, erzeugten sehr heftige 
subjective Beschwerden und bedingten sehr bedeutende Zerstörungen, 
wie sie sonst nur bei Scharlach und Pneumonie Vorkommen. In 
6 Fällen mußte der Proc. mastoideus eröffnet werden, ja in einem 
Falle mußten sogar ausgedehnte Incisionen in die Weichtheile ge¬ 
macht werden. Da die in’s Mittelohr gelangten Keime nicht heraus¬ 
geschafft werden, sondern längere Zeit dortselbst bleiben, so ist er¬ 
klärlich , warum die Ohrenerkrankungen so lange nach Ablauf der 
Influenza auftreten. Die an den Ohren wahrgenommeneu Erschei¬ 
nungen bestätigen vollkommen die in den früheren Sitzungen mit- 
gotheilten pathologisch-anatomischen, bacteriologischen und klinischen 
Beobachtungen. 

Prof. POLITZER hat 18 Fälle von eitriger Mittelohrentzündung 
mit Absceßbildung im Proc. mastoideus in Folge von Influenza 
beobachtet. Es handelte sich gewöhnlich um reichlichen, fast 
blennorrhoischen Ausfluß mit starker Schwellung der hinteren, oberen 
Gehörgangswand, Schmerzen, Schwellung des Proc. mastoideus und 
hohem Fieber. Während diese Fälle sonst bei strenger Antiphlogose 
zurückgehen, geschah dies von den erwähnten 18 Fällen nur 3mal, 
in den übrigen Fällen mußte incidirt werden. Die Operation war 
eine leichte, da man schon in einer Tiefe von 1 ;\—% Cm. den 
Eiterherd bloßlegte. Es fand sich stets eine Höhle, deren Wände 
rauh oder mit Granulationen bedeckt waren. Nach Auslöffelung und 
Anwendung des Jodoformverbandes sistirte die Eiterung und nach 
einigen Tagen, zuweilen später, vernarbte die Trommelfellöffnung 
mit Restitution der Function. In allen Fällen trat vollständige Ge¬ 
nesung ein, nur eine Frau, die an chronischem Morbus Brightii litt, 
starb 24 Stunden nach der Operation an Meningitis, welche aber, wie 
die Section ergab, schon vor der Operation bestanden hatte. Im 
Eiter fand sich der Diplococcus pneumoniae. (Das Präparat wird 
demonstrirt.) 


DOC. Dr. DerGMEISTER hat in einem Falle eine Accommo- 
dationsparese, in 2 andereren Atrophie der Papilla 
nervi optici, die als Ausdruck der retrobulbären Neuritis anzu¬ 
sehen ist, in unmittelbarem Anschlüsse an Influenza beobachtet, wie 
sie nach anderen acuten Infectionskrankheiten (erstere nach Diphtherie, 
letztere nach Typhus, Masern, Angina) Vorkommen. In dieser Hin¬ 
sicht zeigt also die Influenza eine Analogie mit anderen schweren 
Infectionskrankheiten. 

DOC. Dr. KÖNIGSTEIN bemerkt, daß die Zahl der Bindehaut- 
catarrhe im Anschlüsse an Influenza eine ungemein geringe war, 
hingegen hat er sehr häufig Ecchymomen in der Conjunctiva, Keratitis 
dendritica, Augenmuskellähmungen (Externus, Trochlearis), Erythem 
der Lider, das auch auf die Hände und Vorderarme überging, 
eine große Anzahl von heftigen Algien, welche die Influenza lange 
überdauerten,|in einem Falle Accommodationsparese, in einem anderen 
retrobulbäre Neuritis beobachtet. 

Prof. FliCHS hat einige Fälle von Tenonitis nach Influenza 
gesehen. Die Entzündungen der TENON’schen Kapsel sind sehr selten, 
um so mehr Interesse verdienen die folgenden Fälle: 

Der orste Fall betrifft einen Mann, der Ende Jänner Influenza 
durchmachte. Am 3. Krankheitstage schwollen die Lider so stark, 
daß er das Auge nicht mehr öffnen konnte; nach einigen Tagen 
nahm die Schwellung der Lider ab, es quoll Eiter aus dem Auge, 
Pat. konnte das Auge öffnen, merkte aber, daß er blind war. An 
der Klinik fand man den Bulbus nach hinten verdrängt und 2 
Substanzverluste; einen bohnengroßen, nach oben, außen und einen 
kleinen nach unten; aus beiden quoll Eiter und von beiden aus konnte 
man mit der Sonde in den TENON’schen Raum gelangen. Im Eiter 
fand sich der Diplococcus pneumoniae in Reine ultur. Das Auge war 
blind. Der Eiter ist von der TENON’schen Kapsel in den Bulbus 
gedrungen. 

In 3 anderen Fällen handelte es sich um die seröse oder 
fibrinöse Form dieser Entzündung. Es bestand starkes Oedem der 
Lider, Protrusion der Bulbi nach vorn und unten, Aufhebung der 
Beweglichkeit des Bulbus, Oedem der Bindehaut. In einigen Tagen 
gingen die Erscheinungen unter Druckverband zurück. 

Primäre eiterige Entzündungen des TENON’schen Raumes 
kommen nur bei Verletzungen vor. Die Tenonitis befällt meist 
beide Augen, ihre Ursache ist unbekannt. Die beschriebenen Fälle 
können wegen ihres Auftretens nach Influenza und ihrer raschen 
Aufeinanderfolge auf Influenza zurückgeführt werden. Das Gift hat 
sich hier wie in jeder anderen serösen Höhle localisirt. 

Prof. CsOKOR schildert die Influenza bei Pferden. Man 
unterscheidet 2 Formen: Die eigentliche Influenza und die soge¬ 
nannte Brüstseuche. Der Infectionsstoff der ersteren ist unbekannt, 
er ist sehr flüchtig und scheint in den Excrementen vorhanden zu 
sein. Die Erscheinungen sind: hohes Fieber, nervöse Erscheinungen 
(große Depression und Muskelschwäche), selten Darmerscheinungen, 
constant Oedem der Lider, phlegmonöse Conjunctivitis, parenchy¬ 
matöse Keratitis und exsudative Iritis. Diese Erscheinungen gehen 
in 6—8 Tagen zurück. Die Mortalität ist eine sehr geringe. Bei 
der Section findet man parenchymatöse multiple Myocarditis, paren¬ 
chymatöse Degeneration der Leber und Nieren. 

Die zweite Form, die Brustseuche, besteht in einer multiplen 
mortificirenden Pneumonie. Die Erscheinungen sind die einer hoch¬ 
gradigen Pleuropneumonie. Die Mortalität ist eine große. Man findet 
bei der Section, nebst der genannten Pneumonie, hämorrhagische 
Pleuritis. Der Erreger der Krankheit ist ein von Schütz ent¬ 
decktes und sehr gut studirtes Pneumobacterium. Injeotionen von 
Reinculturen desselben in die Trachea sollen Pferde immun gegen 
die Krankheit machen. 

Ueber Antrag mehrerer Mitglieder wird hierauf Schluß der 
Discussion angenommen, obgleich noch zwei Redner zum Worte ge¬ 
meldet sind. *) S. 

*) Nach parlamentarischem Brauche bedeutet „Schluß der Debatte“ 
lediglich Schluß der Rednerliste. Die vor Schluß der Dabatte eingezeichneten 
Redner haben daher noch das Wort. Man sollt» auch in der „Gesellschaft 
der Aerzte“ diesen, allgemein adoptirten parlamentarischen Gesetzen Rech¬ 
nung tragen. Die Red. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 24. Februar 1890. 

Prim. Neusser: Ueber Anämien mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der Differentialdiagnose. 

III. 

Ueber perniciöse Anämie. 

Im Gegensätze zu den Formen von Anämie, welche nur aus¬ 
nahmsweise durch besondere Complicationen zum Tode führen, steht 
eine weitere Sonderart der Anämie, die nur ausnahmsweise Heilung 
erfährt, nämlich die perniciöse Anämie. Denn in den weitaus meisten 
Fällen führt sie unmittelbar durch den hohen Grad der Anämie 
zum Tode. 

Vom Standpunkte der Diagnostik ist die Eintheilung der so¬ 
genannten pernieiösen Anämie in primäre und secundäre 
Formen zu empfehlen. Die primären pernieiösen Anämien 
wurden bisher als klinische Einheit betrachtet und so coordinirt der 
Chlorose, Leukämie und Pseudoleukämie gegenübergestellt. Die 
secundären pernieiösen Anämien können durch Krank¬ 
heiten der verschiedensten Art zum Ausbruch gelangen. Hiehcr 
zählen recidivircnde Hämorrhagien, Neoplasmen, Osteosarcome, Car- 
cinome, namentlich des Magens und der Milz, Magen- und Darm¬ 
geschwüre , Atrophie der Magen- und Darmdrüsen, langdauernde 
Darmcatarrhe, chronische Nephritis, Infectionskrankheiten, wie Tuber- 
culose, Syphilis, Diphtheritis, Dysenterie, Sepsis und endlich die 
Malariakachexie. Desgleichen Bluterkrankungen, sei es Leukämie 
oder gewisse Formen der myelogenen Pseudoleukämie, die vom 
klinischen Standpunkte eine große Aehnlichkeit mit peruieiöser 
Anämie bieten. — In analoger Weise hat man auch Parasiten 
des Darmes, den Botriocephalus latus, selten die Taenia medio- 
canellata, häufig das Anchylostoma duodenale, ja sogar den Oxyuris 
vermioulari8 als Ursache bestehender schwerster Anämie entdeckt. 

Allerdings darf hiebei nicht verschwiegen bleiben, daß in diesen 
Fällen die Herabsetzung der Zahl der rothen Blutkörperchen nur 
selten einen so hohen Grad erreicht hatte, wie dies bei den echten 
protopathischen Formen pernieiöser Anämie der Fall ist. — Diese 
specielle Gattung pernieiöser Anämie ist aber hauptsächlich dadurch 
ausgezeichnet, daß nach gelungener Abtreibung der Bandwürmer in 
den meisten Fällen wie mit einem Zauberschlage die perniciöse Blut¬ 
beschaffenheit schwindet. Dem gegenüber darf man bei vorhandenen 
Bandwürmern nicht mit absoluter Bestimmtheit eine günstige Prognose 
für alle derartigen Fälle stellen. Denn zwei Möglichkeiten können 
unserem unüberlegten Siegesbewußtsein in die Quere kommen. 

Erstens kann die Bandwurmnoxe den Organismus bereits so 
weit geschädigt haben, daß überhaupt eine gedeihliche Blutregene¬ 
ration auch nach Entfernung der Ursache ausgeschlossen ist. Und 
dies würde namentlich in solchen Fällen zu berücksichtigen sein, 
bei welchen schon vor der Einwanderung der Taenien eine herab¬ 
gesetzte Blutbildung bestand, z. B. während der Gravidität. Es 
könnte sich aber gegebenen Falls auch um ein zufälliges Neben¬ 
einander eines Bandwurmes und einer primären pernieiösen Anämie 
in einem und demselben Individuum handeln, eine Combination, 
die prognostisch wichtig und deren Differentialdiagnose durch¬ 
führbar ist. Diese wird sich ergeben aus der minutiösen Ausnützung 
der Antecedentien und aus der genauen physikalischen Untersuchung 
mit Rücksichtnahme etwaiger Bildungsanomalien, schließlich aus der 
sorgsamen Verwerthung der Einzelheiten des Blutbefundes, nament¬ 
lich in seiner Beziehung zu den Merkmalen der Blutregeneration. 

Die begünstigenden Factoren für die Entwicklung der perni¬ 
eiösen Anämie sind: schlechte äußere Verhältnisse, maugelhafte 
Ernährung, psychisch deprimirende Affecte und besonders das Puer¬ 
perium und die Lactationsperiode, namentlich bei wiederholter 
Schwangerschaft, wegen der mit diesem Zustande einhergehenden 
Oligocythämie. Trotz dieser eiuseitig prädisponirenden Ursache ist 
erwiesenermaßen das männliche Geschlecht wie das Kindesalter von 
der pernieiösen Anämie nicht minder häufig befallen, wie das weib¬ 
liche. In Anbetracht dieses Umstandes einerseits, andererseits bei 
der Seltenheit der wahren Chlorose, sowohl im Kindes- als im Mannes¬ 
alter, dürfte es unwahrscheinlich sein, daß eine mit Schwangerschaft 


coinoidirende Chlorose sich sua sponte zu progressiver pernieiöser 
Anämie steigern sollte. 

Neben der vorhin erwähnten bedeutenden Abnahme der Zahl 
der rothen Blutkörperchen finden sich entsprechend den Befunden von 
Hayem, Thoma und Haller bei der Anämie der Schwangeren durch¬ 
schnittlich etwa 5—6000 weiße Blutzellen im Kubikmillimeter vor. 
Insofern nun ein Theil der bei Graviden und namentlich bei Wöchne¬ 
rinnen bestehenden Anämien auf septischen Ursprung zurückgeführt 
werden muß, scheint gerade dieser Mangel an Leukocythose wesent¬ 
liche diagnostische Bedeutung zu haben. 

Denn wir kennen gerade bei Schwangeren und Wöchnerinnen 
in gleicher Weise fieberhafte secundäre Anämien septischer Herkunft, 
aber auch fieberhafte, in keiner Weise complicirte perniciöse Anämien. 
Erstere sind ausgezeichnet durch absolute und oft erhebliche Ver¬ 
mehrung der polynucleären Leukocythen, für letztere ist das Fehlen 
jeder Leukocythose charakteristisch und gerade darin liegt der große 
Werth dieses negativen Blutbefundes für die Diagnose der essen¬ 
tiellen pernieiösen Anämie. 

Die perniciöse Anämie entwickelt sich zumeist schleichend und 
iumitten vollkommener Gesundheit, ausgenommen sind die Fälle, 
die sich an eineD schweren Blutverlust anschließen, oder die Fälle 
bei Schwangeren, welche einen mehr acuten Beginn aufweisen. Die 
ersten krankhaften Phänomene sind Folgezustände der Anämie, als 
Bläße der Haut und der Schleimhäute, Mattigkeit, die sich derart 
steigert, daß die Kranken dauernd bettlägerig werden, Kopfschmerzen, 
Schwindel, Herzklopfen, Ohrensausen, Neigung zu Ohnmächten, cere¬ 
brale Störungen, als Delirien und andere Alterationen des Be¬ 
wußtseins. 

In der Mehrzahl der Fälle machen sich dyspeptische oder 
gastrointestinale Symptome geltend: Appetitlosigkeit, Erbrechen, 
Gastralgien, Diarrhoen. Hie und da treten die Magen-Darmbesohwerden 
in den Vordergrund, manchmal in Fällen, in welchen die äußeren 
Symptome der Anämie noch nicht deutlich ausgesprochen sind. 
Solche Fälle können sehr leicht zu diagnostischen Irrthümern führen. 
Sie können das Bestehen einer Magenorkraakung Vortäuschen. 

In der Minderzahl der Fälle hinwieder sind dyspeptische 
Störungen nicht auffindbar. Wodurch nun diese gastrischen Erschei¬ 
nungen, wenn sie vorhanden sind, bedingt werden, läßt sich im con- 
creten Falle nicht sofort entscheiden. Sie können im Zusammen¬ 
hang stehen mit der in einigen Fällen gefundenen Atrophie der 
Magendrüsen, in anderen Fällen direct cerebrale Reizerscheinungen 
auf Grund von Gehirnanämie vorstellen, in weiteren Fällen Aeuße- 
rung der allgemeinen Anämie, wie die Gastralgien Chlorotischer 
sein, ab und zu endlich vielleicht die gleiche Bedeutung haben, wie 
die Crises gastriques der Tabes (Degeneration der Hinterstränge). 

Daß nicht die bei dieser Krankheit so häufige Atrophie der 
Magendrüsen allein es ist , welche die gastralgischen Symptome 
hervorruft, wie von Manchen angenommen wird, dafür sprechen vor 
Allem die beobachteten chronischen Magencatarrhe bei Potatoren. 
Diese verlaufen in der Regel schmerzlos, obwohl ein großer Theil 
der Drüsen unter dem Einfluß des chronischen Catarrhs zu Grunde 
geht. Trotz dieser bei Potatoren und in manchen Fällen von pernieiöser 
Anämie Vorgefundenen Atrophie der Magendrüsen besteht beider¬ 
seits gleichmäßig ein wohl erhaltenes Fettpolster fort, ein für die 
perniciöse Anämie sehr wichtiges diagnostisches Merkmal. Eine 
Reihe von Beobachtungen spricht dafür, daß zwischen der Atro¬ 
phie der Magendrüse und der pernieiösen Anämie kein ursächlicher 
Zusammenhang, sondern irgend ein unklarer Nexus besteht, der 
vielleicht als Ausdruck einer uns bis jetzt unbekannten System¬ 
erkrankung in Zukunft wird aufgedeckt werden. 

Was die Erscheinungen seitens des Darms betrifft, so besteht 
gewöhnlich Verstopfung, zuweilen Diarrhoe. Ueber die Beschaffen¬ 
heit der Stühle liegen keine eingehenden Untersuchungen vor. Man 
durchforscht für gewöhnlich die Stühle bei pernieiöser Anämie wegen 
Beziehungen dieser Erkrankung zu pathologischen Vorgängen im 
Darm nach einfachem Princip. So prüft man die Verdauungskraft 
des Darmsaftes nach dem Erscheinen von verdauten oder unverdauten 
Muskelfasern, die Wirkung der diastatischen Fermente nach dem 
Vorhandensein Yon Amylumzellen oder Trümmern derselben, forscht 
nach abgestoßenen Darmepithelien oder Schleim und untersucht 


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1890- — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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schließlich auf etwa vorfindliche Parasiteneier. In Hinkunft scheint 
es aber nothwendig, in Rücksicht auf die neuesten Entdeckungen 
von Monaden im Blute verschiedener Thiere (Danilewsky), neben 
bacteriologischen Untersuchungen auch noch den Protozoen des Darms 
eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. 

Von den übrigen Organen des Abdomens findet man bei per- 
niciöser Anämie die Leber gewöhnlich, die Milz in vielen Fällen 
normal, zuweilen geringe Vergrößerungen dieser Organe. Der Urin 
ist gewöhnlich frei von Eiweiß und Zucker, der Harnstoff wurde 
manchmal vermindert, manchmal vermehrt gefunden. Die Harnsäure¬ 
mengen zeigen sich normal, hie und da auch vermehrt. Von Laache 
wurde Pepton nachgewiesen, von einigen Autoren auch Milchsäure. 
Leucin und Tyrosin gefunden. Die von Quincke hervorgehobene 
Urobilinurie dürfte vielmehr die Bedeutung einer gestörten Function 
der Leber haben, als durch eine abnorme Spaltung des Blutfarbstoffs 
außerhalb derselben bedingt sein. Reichlicher Indicangehalt des 
Urins in manchen Fällen dürfte namentlich bei Stuhlverstopfung 
eintreten. In einem fieberhaften Falle von Stockvis enthielt der 
Harn schwefelhaltige Substanzen, die bei gewöhnlicher Temperatur 
Bildung von Schwefelwasserstoff herbeiführten. Ferner ist auch bei 
afebrilen Formen eine so beträchtliche Vermehrung der festen Harn- 
bestandtheile gefunden worden, wie sie nur bei den schwersten 
fieberhaften Krankheiten Vorkommen. 

(Schluß folgt.) 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzungen vom 24. und 31. Januar 1890- 

Prof. Chiari: Ueber multiple Atherome. 

Bei der Seotion der Leiche eines 74 Jahre alten Mannes fand 
sich die ganze Haut mit unzähligen Atheromen besetzt. Die Zahl 
war eine so große, daß an einzelnen Stellen, z. B. im Bereiche der 
Streckseite der Vorderarme, an einem 10 Quadr.-Cm. großen Haut¬ 
stücke 20 Atherome gezählt werden konnten. Einzelne hatten die 
Größe einer Wallnuß, andere wiederum hatten kaum wahrnehmbare 
Dimension; sie lagerten theils cutan, theils subcutan, die meisten 
hatten eine kugelförmige Gestalt, an einzelnen derselben konnte man 
deutlich die durch einen schwärzlichen Pfropf verschlossene Aus- 
führuDgsöffnung eines Haarbalges erkennen. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung stellte sich ganz un¬ 
zweifelhaft die Entwicklung der Atherome aus den Talgdrüsen und 
Haarbälgen heraus. Die Ausführungsöffnung des Haarbalges war 
durch reichliche Hornmassen verlegt, was zur Stauung des Talg- 
drüsensecretes und Retention kleiner, im Haarbalggrunde weiter 
gebildeter Härchen und Ansammlung von verhornten Epidermis- 
zellen führte. 

Die aus Talgdrüsen entstandenen Cysten enthielten Talg- und 
verhornte Epidermiszellen, die aus einem Haarbalge hervorgegangenen 
reichlich abgelöste Härchen. Ganz deutlich konnte man wahrnehmen, 
daß die ursprünglich cutan gelagerten Cysten bei zunehmendem 
Wachsthum in das suboutane Gewebe rückten. 

Auf Grund dieser Untersuchung glaubt Chiabi im Gegensätze 
zu Franke und anderen Forschern, daß auch die subcutanen 
Atherome als Retentionscysten aufzufassen sind. 

Assistent Dr. Carl Hermann: Zwei seltene Fälle von Cysten¬ 
bildung. 

Im ersten Falle handelt es sich um eine hühnereigroße Flimmer¬ 
cyste bei einem 2jährigen Knaben, der an eiteriger Gonitis im 
Kinderspitale gestorben war. Die Cyste saß in der oberen Hälfte 
des Mediastinum, war an der äußeren und inneren Seite von der 
Pleura parietalis überzogen, füllte die Kuppe des rechten Pleura¬ 
raumes vollkommen aus und war mit der Nachbarschaft durch 
lockeres Bindegewebe verbunden; die Innenfläche war stellenweise 
glatt, stellenweise wieder mit Höckerchen und Falten versehen. Der 
theils farblose, theils markweiße schmierige Inhalt der Cyste erwies 
sich mikroskopisch als eine homogene, mit zahlreichen Zelltrümmern 
und Flimmerzellen vermischte Masse. Die Wand der Cyste bestand 
aus Bindegewebe und reichlichen glatten Muskelfasern und zeigte 


an der Innenfläche ein mehrschichtiges, oylindrisches Flimmerepithel, 
in den äußeren Schichten fanden sich zahlreiche Gefäße und in 
deren Umgebung Lymphzellen und mächtige Lymphfollikel. 

Bezüglich der Genese faßt Redner seinen Fall als eine in 
die früheste Entwicklung zurückreichende Abschnürung des 
Bronchialbaumes auf, doch sei die Ansicht nicht von der Hand zu 
weisen, daß es sich um eine Abschnürung des Oesophagus gehandelt 
habe, der ja, wie Neumann zuerst nachwies, in einer bestimmten. 
Periode der fötalen Entwicklung geschichtetes Flimmerepithel 
besitzt, auch habe Wyss Flimmercysten in der Wand des Oeso¬ 
phagus und Eppingeb zwischen Trachea und Oesophagus beschrieben. 
Ein ähnlicher Fall wie der von Hermann mitgetheilte findet sich 
bisher nur von Stillung in Vikchow’s Archiv veröffentlicht. ' 

Der zweite Fall betraf eine Dermoidcyste in der rechten 
Mamma einer 66jährigen Frau. Die Cyste war faustgroß und saß 
in der unteren Hälfte der Brustdrüse; 12 Cm. unterhalb der rechten 
Mammilla war eine mit zackigen Rändern versehene Fistelöflhung, 
aus welcher sich atherombreiartiger Inhalt entleerte. Die Wand 
zeigte deutliche Hautstructur und an einer Stelle einen deutlichen 
Haarbalg mit dem Haare. 

Prof. Gussenbaueb faßt den Fall als ein Dermoid der Haut 
auf, das mit der Zeit in der Mamma verlagert wurde und theilt 
zwei derartige eigene Beobachtungen mit. 

Prof. Rabl-. Bemerkungen über den Bau der Zelle. 

Das Studium der in Theilung begriffenen Zelle hat Aufschluß 
gegeben Uber gewisse Structurverhältnisse der Zelle. Vor 3 Jahren 
hat van Beneden, gestützt auf Untersuchungen über die Zelltheiluug 
bei Ascaris megalocephala, neben Zellleib und Zellkern noch ein 
Gebilde als Bestandtheil der Zelle beschrieben, welches während der 
Zelltheilung die einzelnen Theile gegen einander attrahirt und das 
er daher als die Attractionssphäre der Zelle bezeichnet. 

Rabl legt sich nun die Frage vor, in welcher Beziehung 
diese 3 Gebilde während der Reihe der Zelle zu einander stehen. 
Er schildert zunächst die Erscheinungen bei der Zelle, ln einer 
Zelle, in der sich eben erst die Trennung der Kerne vollzogen hat, 
sieht man an einer bestimmten Stelle eine helle, nicht färbbare 
Substanz, die sogenannte Attractionssphäre, das Polkörperchen oder 
Centrosoma. Zu diesem Gebilde stehen die Schleifen des Tochter¬ 
kern cs radiär mit dem Schleifenwinkel gegen dasselbe hin gerichtet 
und es gehen von ihm einerseits Strahlen gegen den Stern hin, 
andererseits Strahlen von theils geradem, theils welligem Verlaufe 
in das Protoplasma, welche nach erfolgter Theiluug wieder 
schwinden. 

Durch neuere Untersuchungen Uber die achromatischen Be- 
standtheile der Zelle ist Rabl zur Ansicht gekommen, daß auch in 
der ruhenden Zelle die Anordnung der Bestandtheile wesentlich die¬ 
selbe sei, wie in der jungen oder in Theilung begriffenen. Aus dem 
Umstaude, daß die achromatischen Fäden einerseits die chromatischen 
Schleifen des Kernes mit der Attractionssphäre verbinden, anderer¬ 
seits wieder von dieser in den Zellenleib auslaufen, muß geschlossen 
werden, daß dieselben nicht etwa Strömungen des Protoplasmas, 
sondern geformte Gebilde seien. Diese Ansicht des Vortragenden 
werde durch 2 in der jüngsten Zeit gemachte Beobachtungen 
gestützt. Platneb fand, daß der sogenannte Nebenkern der Spermato- 
cysten im Hoden der Schmetterlinge eine Attractionssphäre sei, gegen 
welche die Fäden des Zellleibes hinziehen, und dasselbe gelte, wie 
Rabl meint, für die vielfach beschriebenen Nebenkerne der Eizelle. 
Auch Solzeb konnte in den großen Pigmentzellen der Cutis des 
Hechtes in der Nähe des meist doppelten Kernes eine sehr deut¬ 
liche Attractionssphäre nachweisen. 

Assistent Dr. Frank: Ueber den Zusammenhang von Genital¬ 
leiden mit Hautaffectionen. 

Eine 34 Jahre alte Frau litt durch 3 Jahre vor ihrer Auf¬ 
nahme in’s Spital an heftigen dysmenorrhoischen Beschwerden und 
in der letzten Zeit auch außerhalb der Menses an anfallsweise auf¬ 
tretenden Schmerzen im Kreuze und Unterleib; auch bestand be¬ 
deutender Fluor. Bei der Untersuchung wurde beiderseitige chronische 
Oophoritis und Salpingitis constatirt. 

Außerdem litt Patientin an einer hartnäckigen, stets recidi- 
virenden Urticaria, die besonders zur Zeit der Menses stark und 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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stürmisch auftrat, so daß binnen 1 — 2 Stunden der ganze Körper 
damit bedeckt war. Wegen dieses Exanthems wurde Pat. auf die 
Klinik des Prof. Pick transferirt und hier wurde während eines 
mehrmonatlichen Aufenthaltes beobachtet, daß die Eruption der 
Urticaria paroxysmenweise mit der Menstruation auftrat. Nachdem 
jede Therapie erfolglos blieb, wurde Pat. wieder auf die Klinik des 
Prüf. Schadta gebracht und hier wurde am 16. October die Exstir¬ 
pation beider Ovarien und Tuben vorgenommen. Seit dieser Zeit 
befindet sich Pat. vollkommen wohl, die Schmerzen sind geschwunden, 
und die Urticaria nicht wieder aufgetreten; im Juni 1889 konnte 
Prof. Pick dem Dermatologencongreß diese Frau als vollständig 
geheilt vorstellen. Redner erklärt das paroxysmenweise Auftreten 
der Urticaria zur Zeit der Menses durch den Reiz der Genital¬ 
function auf die vasomotorischen Nerven. Der Zusammenhang der 
Genitalaffection mit dem Hautlciden tritt in diesem Falle durch den 
gleichzeitigen Beginu bei der Affection, die Steigerung der Eruption 
zur Zeit der Menses und das Verschwinden des Hautleidens nach 
der Operation klar zu Tage. —z. 

König! Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 15. Februar 1890- 

Dl*. J. GROSS führt eine seltenere Form von Purpura 
hacmorrhagica bei einem 2 1 j i jährigen Mädchen vor. Die Hfimor- 
rhagien traten ohne nachweisbare Ursache im Unterhautzellgewebe 
auf, in Begleitung von Blutungen aus Nase, Mund und Mastdarm; 
die Gliedmaßen sahen aus wie bei beginnender Gangrän. Herzaction 
gesteigert; Dyspnoe; Fieberbewegung; halb bewußtloser Zustand. 
Das allmälige Entstehen und Vergehen der in Zwischenräumen auf- 
tretenden Blutungen sprach gegen die Annahme jener Form, welche 
Henoch als „Purpura fulminans“ beschrieben hat. Heilung erfolgto 
anf Tinctura nervin Bestuscheffii und den innerlichen Gebrauch von 
Ergotin. 

Dr. 0. BATORI stellt einen geheilten Fall von Fremdkör¬ 
per in den Bronchien vor. Das 6jährige Mädchen hat im 
August v. J. einen mittelgroßen Wassermelonenkern aspirirt. Den 
Eltern wurde von Aerzten die Tracheotomie empfohlen, wovon sie 
aber nichts wissen wollten. Von krampfhaften Hustenanfällen ab¬ 
gesehen, wobei der Fremdkörper im Innern des Kehlkopfes deutlich 
hörbar und fühlbar angeschleudert wurde, befand sich das Kind bis 
October wohl; von da ab war es durch 9 Wochen bettlägerig, 
hustete, fieberte und war appetitlos. Anfangs Februar trat Pleuro¬ 
pneumonie auf, und in Gegenwart des Vortragenden wurde mit 
eiuem Brechanfall der Fremdkörper aus den Luftwegen beraus- 
gcschleudcrt. Vortr. bemerkt, daß ein Fremdkörper in den Lungen 
selten Pneumonie zu erzeugen pflegt; er ruft entweder keine 
Veränderung oder Gangrän hervor. Die Pneumonie hatte jedoch 
einen eigenthüralichun Verlauf; das Kind hatte dabei außerordent¬ 
liche Schmerzen, so daß es regungslos da lag. Wo Dämpfung war, 
da war bronchiales Athmen, wo aber der Percussionsschall tympa- 
nitisch war, da war gar kein Athmen vorhanden, weil der Bronchus 
dort vom Fremdkörper wahrscheinlich verstopft war. Nach der 
Expulsion des Fremdkörpers erfolgte rasch Heilung. 

Dr. J. ABONYI berichtet über eineu Fall von Zahnreguli¬ 
rung. Bei einem 14jübrigcn Mädchen war der r. o. Eckzahn aus 
der Reihe 3 Mm. Iabialwärts, der 2. Schneidezahn dagegen 10 Mm. 
nach ein- und etwas medianwärts geschoben. Der Eckzahn hatte 
den früher hervorgebrochenen Schneidezahn verdrängt. Nach Ex¬ 
traction des Eckzahnes wurde der Schneidezahn in der Weise an 
die normale Stelle gebracht, daß an einem genau gearbeiteten 
Gummiabdruck ein Haken mit einem innen mit Kautschuk gefütterten 
Metallring befestigt war; letzterer wurde um den Hals des Zahnes 
gelegt, der nach 4 Tagen an seinen Platz gezogen wurde. Der 
Apparat wurde noch einige Zeit getragen, um den Zahn in seiner 
neuen Position zu befestigen. 

Dr. A. HAVAS dcmou8trirt einen Fall von Favus uni¬ 
versal is. 


Dr. K. Aczel referirt über Gehirnabscesse in Folge 
von Influenza. H. K., 32 Jahre alt, Kellner, erkrankte am 
1. Januar an Influenza unter catarrhalischen Erscheinungen; zwei 
Wochen darauf traten Geistesstörungen auf; es wurde die klinische 
Diagnose auf Meningitis tuberculosa gestellt. Bei der Obduction am 
7. Februar fand sich in beiden Großhirnhemisphären je ein frischer 
Absceß, der vorwiegend in der Marksubstanz saß, zum Theil aber 
auch die Hirnrinde ergriffen hatte; die weichen Hirnhäute stark mit 
trübem Serum infiltrirt. Catarrh der Luftwege. Milz auf das l 1 / a fache 
vergrößert. Catarrhalische Erscheinungen im Magen und Darm. Der 
Fall ist analog dem von Prof. Kdndr\t seeirten. Aus dem Eiter 
der Hirnabscesse konnte er Diplococcen cultiviren, welche lebhaft an 
die Frankel -WEiCBSELBAUM’schen Pneumoniecoccen erinnerten. 

Dr. J. Dollinger hält eipen Vortrag: Ueber Osteotomien 
an den unteren Gliedmaßen. Vortragender führt Osteotomien nur 
bei hochgradigeren rhachitischen Verkrümmungen aus. Seit 8 Jahren 
wurden von ihm 115 Osteotomien vorgenommen, deren Ergebnisse er 
anführt. 

Beim Genu valgum rhachiticum wurde von ihm das 
Mac EwEN’sche Verfahren in mehreren Punkten abgeändert: 

1. Zum Durchmeißeln des Oberschenkelknochens gebraucht er 
nicht das Mac EwEN’sche Osteotom, sondern einen flachen Bild¬ 
hauermeißel. 2. Näht er nach der Operation die Hautwunde sofort, 
um wegen Nachblutungen den Verband nicht erneuern zu müssen. 
3. Statt der M.’schen Schiene wendet er Gypsverband an, welcher 
bei Erwachsenen bis zur Hüfte, bei Kindern von dem Knöchel bis 
zur Achselhöhle reicht. Letzterer ist derselbe, den er auch bei 
Coxitis an wendet. Der Verband wird erst nach 6 Wochen entfernt. 
Die Heilung erfolgt gewöhnlich unter Einem Verbände. 

Complicationen traten in 3 Fällen auf. In dem einen glitt 
bei einem Manne das obere Knochenende nach auswärts von dem 
unteren und usurirte die Haut; -der scharfe Knochenrand wurde ab¬ 
getragen. Bei einem anderen trat unter dem Verbände Peroneus¬ 
lähmung auf. Endlich blieb bei einem 15jährigen Mädchen der Callus 
lange empfindlich. 

Bei den Unterschenkelverkrümmungen wendet er 
theils lineare Durchmeißelung an, theils Keilexcisionen aus dem 
Biegungswiukel. Behandlung wie oben. Von den an 56 Individuen 
ausgeführten 115 Osteotomien betreffen 67 Oberschenkel- und 
48 Unterschenkelverkrümmungen. Zur Hautnaht wendet er jetzt 
statt Oel-Catgut, bei welchem es zuweilen zu Eiterungen der Stich- 
canäle kam, Sublimat-Catgut an. n. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

Sitzungen vom 5. und 12. Februar 1890- 
(Original-Bericht der „Wiener Mediz. Presse“.) 

Geh.-R. Olshausen: Ueber Extrauterinschwangerschaft. 

Während eine Graviditas extrauterina in früherer Zeit als eine 
selten vorkommende Anomalie betrachtet wurde, ist dieselbe seit 
ihrer Diaguosticirbarkeit eine ziemlich häufige Erscheinung geworden. 
Die Mehrzahl aller Hämatocelen beruht nach Olshaüsbn’s Ueber- 
zeugung auf geborstener Tubenschwangerschaft. Auch in der Aetiologie 
und Symptomatologie der Extrauterinschwangerschaft sind in neuerer 
Zeit ganz wesentliche Fortschritte zu verzeichnen gewesen, und in 
Folge dessen ist die Diagnose sicherer und präciser geworden. Von 
besonderer Bedeutung ist die fortschreitende anatomische Erkenntniß 
dieser Affection für die Gynäkologie gewesen, welche natürlich nicht 
ohne Einfluß auch für die Therapie geblieben ist. 

Die Aetiologie der Extrauterinschwangerschaft fußte bis 
vor 10 Jahren auf dem durch eine umfangreiche Statistik be¬ 
gründeten Standpunkt Hecker’s, daß die meisten extrauteriu- 
schwangeren Frauen Mehrgebärende seien, und daß' in Folge früherer 
Peritonitis entstandene Knickungen, Verletzungen etc. die Extra¬ 
uterinschwangerschaft veranlaßt hätten. Diese ätiologischen An¬ 
schauungen haben neuerdings nicht nur vielfach eine Bestätigung 
erfahren, sondern sind besonders durch Erforschung der Krankheiten 
der Tuben wesentlich erweitert worden. Man hat erkannt, daß auch 
die catarrhalischen und gonorrhoischen Processe der Tuben eine 
Extrauterinschwangerschaft dadurch veranlassen können, daß durch 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 9. 


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die Zerstörung des Flimmerepithels der Tuben die Ueberführung des 
Eies von den Fimbrien naeh dem Uterus erschwert. 

Auch secundäre Erkrankungen der Tuben, z. B. das Starr¬ 
werden ihrer Wand mit Aufhebung der Peristaltik, sind ätiologisch 
als wichtig zu bezeichnen. Freund nnd verschiedene andere Autoren 
machen auch eine plötzliche Lähmung der Tuben, welche während 
des fruchtbaren Beischlafes in Folge heftigen Schrecks eingetreten 
ist, für das Zustandekommen der Extrauterinschwangerschaft verant¬ 
wortlich. Zwillingsschwangerschaft ist in der Tube nicht selten vor¬ 
handen und dadurch zu erklären, daß beim Eintritt zweier Eier 
eines dem anderen den Weg nach dem Uterus versperren kann. 
Daß sich Extrauterinschwangerschaft bei derselben Frau verhältniß- 
mäßig häufig wiederholt, hat Redner mehrfach beobachtet. Auch 
Myome des Uterus und Polypen der Tubenschleimhaut werden nicht 
mit Unrecht als Ursache der anomalen Schwangerschaft beschuldigt. 

Die Symptomatologie und Diagnose der Extrauterin¬ 
schwangerschaft findet gewöhnlich eine Stütze in dem Ausbleiben 
der Menstruation, doch hat Olshausen auch Fälle gesehen, wo die 
Menstruation nicht ausgeblieben ist, und in solchen Fällen übersieht 
man die bestehende Anomalie leicht. 

Ein nicht zu unterschätzendes Zeichen für dieselbe ist das 
wochenlange Auftreten von Blutungen nach dem Ausbleiben der 
Menstruation, nicht selten verbunden mit Ausstoßung der Decidua, 
welcher Vorgang jedoch häufig übersehen wird. 

Unter der Annahme eines unvollkommenen Abortus wird nicht 
selten eine Ausschabung vorgenommen, nm die Reste des Fötus zu 
entfernen, was leicht ein Bersten des Fruchtsackes hervorrufen kann. 

Im Allgemeinen ist jedoch die Diagnose einer Extrauterin¬ 
schwangerschaft schon im frühen Stadium ziemlich sicher. Bei 
fehlender Menstruation fühlt man'neben dem weichen leeren Uterus 
einen- Tumor, welcher mit ersterem durch einen Strang in Verbin¬ 
dung steht. Erfolgt außerdem noch ein Abgang der Decidua ohne 
Ausstoßung von Eitheilen, so ist die Diagnose der Tubenschwanger¬ 
schaft mit ziemlicher Sicherheit zu stellen. Allerdings sind Irrthümer 
unvermeidlich, wie Olshausen aus eigener Erfahrung an zwei mit- 
getheilten Fällen demonstrirt. 

' Erst mit dem Hörbarwerden der Bewegung von Kindestheilen, 
resp. 4 Wochen später mit dem Fühlbarwerden derselben, ist die 
Diagnose der Gravidität als gesichert anzusehen, und daher erst in 
der zweiten Hälfte der Schwangerschaft mit absoluter Sicherheit zu 
entscheiden, ob sie extrauterin oder uterin ist. Zur Entscheidung 
dieser Frage kommt es nur darauf an, daß neben dem Tumor der 
Uterus isolirt zu fühlen ist. 

Was die anatomische Erkenntniß der Extrauterin¬ 
schwangerschaft anbetrifft, so haben sich die Anschauungen in 
neuester Zeit ganz erheblich verändert. Früher hielt man an der 
Annahme fest, daß die Mehrzahl der ectopischen Schwangerschaften 
abdominale wären, daß das befruchtete Ei in die Bauchhöhle ge¬ 
fallen, dort angewachsen und weiter entwickelt sei. Neben dieser 
primären unterschied man noch eine secundäre Abdominalschwanger¬ 
schaft, bei der der Sitz des Eies ursprünglich am Ende der Tube 
war, von wo aus es später in die Bauchhöhle hineinwuchs. Dem 
gegenüber ist man in neuerer Zeit in Uebereinstimmung mit 
Schröder mehr und mehr zu der Ueberzeugung gekommen, daß 
die Mehrzahl aller ectopischen Schwangerschaften tubare sind. 
Speciell die Bauchschwangerschaften sind immer als tubare zu be¬ 
trachten, indem das Ei, zunächst am Fimbrienende sich anheftend, 
später in die Bauchhöhle hineingewachsen ist. Von den neueren 
Autoren wird das Zustandekommen einer primären Bauchschwanger¬ 
schaft überhaupt geleugnet, nicht ganz mit Recht, denn an sich er¬ 
scheinen sowohl das Peritoneum, wie das Mesenterium und Netz 
durch ihre Blutfülle sehr wohl geeignet, sich an ihnen anheftende 
organische Materien weiter zu ernähren. Die Ovarialschwanger¬ 
schaften der Literatur, welche man als sicher bezeichnen kann, sind 
auf 4—5 Fälle zusammengeschrumpft. Auch die frühere Ansicht, 
daß nur die Bauchschwangerschaften ausgetragen werden, alle 
tubaren Schwangerschaften dagegen ln der Regel in 2—3 Monaten 
bersten, ist irrig, es kann vielmehr auch in letzterem Falle durch 
Hypertrophie der Wandungen der Tube oder innerhalb der Blätter 
des Ligamentum latum ein vollständiges Austragen des Kindes 
erfolgen. (Schluß folgt.) 


Notizen. 


Wien, 1. März 1890. 

(Die Recrutirungs-Statistik des k. und k. Heeres.) 
Für die Beurtbeilung des physischen Gedeihens des Heeres nicht nur, 
sondern der adolescenten männlichen Bevölkerung des Reiches über¬ 
haupt, ist die Statistik der Recrutirung von großem Werthe. Die 
allgemeine Wehrpflicht führt ja sämmtliche Jünglinge zwischen dem 
20. und 24. Lebensjahre vor die Assentcommissionen, deren ärztliche 
Mitglieder die Resultate der Untersuchung nach wissenschaftlichen 
Grundsätzen zu verzeichnen gehalten sind. Die Ergebnisse der 
Recrutirungs-Statistik, welche Reg.-Ar.ct Dr. Paul Myrdacz soeben 
als l.Theil der von ihm bearbeiteten Sanitäts-Statistik des k. und k. 
Heeres in den Jahren 1883 —1887 herausgibt, sind daher aus genannten 
Gründen als werthvoller Beitrag zu betrachten, zumal die treffliche 
Anordnung und Bearbeitung des bedeutenden Stoffes rühmend horvor- 
zuheben ist. In der Berichtsperiode waren 4,314.914 Wehrpflichtige 
zur Stellung berufen, wovon 557% 0 auf die westliche, 443 0 / 00 auf 
die östliche Reichshälfte entfallen. Diese Zahlen entsprechen 22*1° 00 
der Gesammtbevölkerung Oesterreich-Ungarns (gegen 22*2°/ 00 im 
Jahre 1881) und 43 , 2°/ 0 o der männlichen Bevölkerung des Reiches 
(gegen 43*8 0 / 00 im Jahre 1881). Da die erste Altersclasse der 
Wehrpflichtigen den überlebenden Rest der vor 20 Jahren geborenen 
Knaben darstellt, gibt die Recrntirungs-Statistik ein treues Bild der 
Sterblichkeit dieser Altersclassen; die Quote der Ueberlebenden 
hat im Allgemeinen abgenommen, und zwar in der ganzen Monarchie 
um 21°/ 00 , in der westlichen Reichshälfte um 26°/o 0 ; in der östlichen 
um 11 °/ 00 - Als tauglich wurden in den Berichtsjahren 158 0/ 00 
befunden, d. i. um l°/ 00 weniger als in dem der Berichtsperiode 
vorhergegangenen Quinquennium. Zur Charakteristik der physischen 
Beschaffenheit der Wehrpflichtigen dienen die Angaben über 
Körpergröße derselben, ferner die Tauglichkeitsver¬ 
hältnisse und schließlich die Gebrechen der Untauglichen. 
„Untermäßig“ (unter 1*554 Meter) waren 112°/ 00 (gegen 129 in 
den Jahren 1870—1882), kleinen Schlages (1*554—1*60) 186°/ 00 
(200), mittleren Schlages (1*60—1*70) 522°/ 00 (517) und großen 
Schlages (über 1*70) 169°/ 00 (154). Der Vergleich mit den früheren 
Jahren ergibt also eine Abnahme der Quote der Untermäßigen und 
des kleinen Schlages bei entsprechender Zunahme des mittleren und 
großen Schlages, d. i. im Allgemeinen eine Zunahme der durch¬ 
schnittlichen Körpergröße der Wehrpflichtigen. Bezüglich der Taug¬ 
lichkeitsverhältnisse geht aus dem Berichte hervor, daß 174°/ 00 der 
Wehrpflichtigen (— 25°/ 0 o gegen die Vorjahre) als tauglich oder 
bedingt tauglich assentirt, 112°/ 00 (— 16 0 / 00 ) wegen nicht er¬ 
reichter Minimal-Körperlänge zurückgestellt und 714°/ 00 (+ 470 /oo) 
wegen sonstiger körperlicher Gebrechen als derzeit oder ganz un¬ 
tauglich erklärt wurden. Als „derzeit zu schwach“ wurden 536°/ 00 
befunden. Von den einzelnen Gebrechen nehmen, in absteigender 
Reihenfolge, den höchsten Rang ein: Krankheiten der Kreislaufs 
organe (57*4°/ 0 o), Mißbildungen (53*8), Krankheiten der Gelenke 
(47*6), des Auges (21*1), der Verdauungsorgane (19*6), der Harn- 
und Geschlechtsorgane (18*5), der Haut (15*8), constitutionelle 
Krankheiten, incl. Scrophulose und Tuberculose (10 8), Krankheiten 
des Ohres (4*7), endlich der Knochen und des Nervensystems (3*9). 

(Aus dem österreichischen Abgeordneten hause.) 
In der Sitzung vom 24. Februar d. J. besprach Abg. Dr. Slavik 
die Ueberbtirdung der Iandesf. Bezirksärzte mit Ar¬ 
beiten, welche oft an bloße Manipulations-Arbeiten grenzen; dieser 
wachsenden Anhäufung von Agenden entspreche jedoch die materielle 
und sociale Stellung der Bezirksärzto, welche erst nach 20jähriger 
Dienstzeit den vollen Gehalt von 1200 fl. erlangen können, durch¬ 
aus nicht. Ueberdies seien die Bezirksärzte in der neunten und 
zum größten Theile in der zehnten Rangsclasse, und wäre cs nur 
billig, daß sie zum Mindesten den Bezirksadjunoten gleich und den 
Bezirkssecretüren, welche aus den ausgedienten Unterofficieren recrutirt 
werden, vorangestellt werden. Redner bittet, eine Besserung der 
materiellen und socialen Stellung der Bezirksärzte in’s Auge zu 
fassen. In seiner Erwiderung bemerkte der Regierungsvertretor, 
daß die Arbeitslast der Bezirksärzte in der That gestiegen, nachdem 
durch lange Zeit auf diesem Gebiete leider nichts geschehen sei; 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


die Zusammen Stellung statistischer Daten habe sich aber als überaus 
wichtig erwiesen, was namentlich in Galizien an einem besonderen 
Falle zum Vorscheine gekommen sei. Er gab zu, daß in manchen 
Bezirkshauptmannscbaften den Bezirksärzten, wegen Ueberbürdung 
anderer politischer Beamten, Arbeiten zugetheilt werden, welche ihnen 
eigentlich nicht zugehören und welche sie lediglich aus eigenem 
Antriebe übernehmen, und bedauert, daß aus finanziellen Rücksichten 
die materielle und sociale Stellung der Bezirksärzte ihrem wissen¬ 
schaftlichen Niveau nicht entspreche. 

(Frequenz der österreichischen Universitäten.) 
Im Wintersemester 1889/90 sind an den acht österreichischen Uni¬ 
versitäten 13.278 Studirende (11.357 ordentliche, 1921 außer¬ 
ordentliche Hörer) inscribirt, um 523 weniger als in der gleichen 
Periode des Vorjahres. Die Zahl der Mediciner beträgt 5703 
(5030 ord., 673 a. o. Hörer), mithin 42’9 Proc. der Gesammtzahl 
der Inscribirten, welche sich auf die einzelnen Universitäten folgender¬ 
maßen vertheilen: Wien 4996 (gegen 5218 im Wintersemester des 
Vorjahres), Graz 1327 (1296), Prag (deutsch) 1441 (1470), Prag 
(böhmisch) 2110 (2361), Innsbruck 869 (862), Lemberg 1039 ! 
(1129), Krakau 1225 (1206) Czernowitz 271 (259). 

(Personalien.) Der Adjunot und Assistent des Universitäts- 
Institutes für pathologische Anatomie in Wien, Dr. Adolf Zemann, , 
ist zum Prosector des k. k. Krankenhauses Wieden ernannt worden. ; 
— Der o. Professor der Chirurgie in Krakau, Dr. Ludwig Rydygieb, 
wurde durch Verleihung des Ordens der eisernen Krone IU. Classe 
ausgezeichnet. 

(Durch Dynamos erzeugte El ek tr icität) verwendet 
Dr. Bröse in Berlin, wie er im „Centralbl. f. med. W.“ vorläufig 
mittheilt, zu elektrotherapeutischen Zwecken, indem er einen von 
der Firma Hirschmann gelieferten Apparat direct an die von 
den Berliner Elektricitätswerken in das Zimmer gelegte Leitung 
anschließt. Die Resultate sind durchaus befriedigende. Die Elektricität 
wird mit einer Spannung von circa 100 Volt geliefert, und diese 
Spannung läßt sich für die verschiedenen Zwecke der Medicin so 
raodificiren, daß man alle die Dienste, welche bisher das Element 
leistete, von diesen von Dynamomaschinen gelieferten Strömen er¬ 
langen kann. Der galvanische Strom, wie ihn die Elektrotherapie 
und Elektrolyse braucht, ist von ganz ausgezeichneter Constanz 
und läßt sich durch geeignete Rheostaten bis auf das in der Elektro¬ 
therapie nothwendige Minimum bequem abschwächen, und auch der 
inducirte Strom functionirt vortrefflich. Auch für gynäkologische 
Zwecke hat sich der Apparat vollkommen bewährt, und der Consum 
von Elektricität ist auch trotz der verhältnißmäßig starken Ströme, 
welche bei der Elektrolyse gebraucht werden (bis zu 200 Milliamperes), 
außerordentlich billig, so daß er mit den Kosten, welche der Consum 
von Elementen macht, gar nicht verglichen werden kann. Die An¬ 
gaben B.’s werden von Prof. Bernhardt in einer Nachschrift vollin¬ 
haltlich bestätigt. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Die nächste 
wissenschaftliche Versammlung findet am 10. März statt. 

(Statistik.) Vom 16. bis incl. 22. Februar 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5070 Fersonen behandelt. Hievon wurden 8S2 
entlassen; 104 sind gestorben (10'54 0; n des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 38, egyptischer Augenentzündung 2, Cholera—, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 8. Dysenterie 5, Blattern 14, Varicellen 38, Scharlach 33, 
Masern 158, Keuchhusten 56. Wundrothlauf 20, Wochenbettfieber 2. — In 
der 8. Jahreswocbe sind in Wien 412 Personen gestorben (— 11 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Raun bei Cilli Dr. Carl 
dkl Cott, im 71. Lebensjahre; in Fehring (Steiermark) Dr. Carl 
Schneller ; in Budapest der praktische Arzt Dr. Teri, 67 Jahre 
alt; in Nagy-Käroly Dr. Adolf Lierermann, im 72. Lebensjahre; 
in Bern der Director der Irrenanstalt zu Waldau, Prof. Rudolf 
Schaerer, ein hervorragender Psychiater; in Berlin San.-R. Dr. Paul 
Niemeyer, welcher zumal auf dem Gebiete der populären Medicin 
literarisch thätig war, 58 Jahre alt. 


Verantwortlicher Redocteur : Dr. M. T. Schnirer. 


Ueber die Anwendung des Santal. 

Das Santalöl steht gegenwärtig in der Therapie in sehr aus¬ 
gedehnter Anwendung; alle Aerzte, die dasselbe empfohlen und an¬ 
gewendet haben, anerkennen einmüthig, daß es den Copaivbalsam 
und die Cubeben mit Vortheil ersetzt, indem es weder Magenreizung 
noch Diarrhoe verursacht und dabei den Ausfluß in 48 Stunden bis 
zu einem minimalen Sickern zum Verschwinden bringt. 

Durch seine chemischen Untersuchungen über Ursprung, 
Bereitung und Eigenschaften des Santal hat Herr Midy zur 
Popularisirung dieses Heilmittels sehr viel beigetragen; er bemerkt 
jedoch, daß die erzielbaren Erfolge sich verschiedenartig gestalten, 
und zwar je nach den verschiedenen Santal-Holzgattungen, resp. ob 
ein Holz aus Zanzibar, Java, Australien oder sonst woher stammt. 

Die Chinesen, welche die Heilwirkung des Santal gegen die 
Gonorrhoe zuerst entdeckten, kaufen seit undenklichen Zeiten aus¬ 
schließlich das Santalholz aus Mysore. Die Inder, die in ihren ver¬ 
schiedenen Provinzen ganze Santalwaldungen bei der Hand haben, 
benützen trotzdem auch nur das Santalholz aus Mysore; wir in 
Europa dagegen bekommen nur die Abfälle, nämlich die alten, im 
Innern hohlen Stämme. 

Auf Grund dieser Thatsachen schickte Herr Midy einen 
Vertreter nach Mysore, um sich eines großen Theil des schlag¬ 
baren Holzes des Rajah zu versichern, wovon die Agenten Santal- 
blöcke niemals anders als mit dem Stempel der Regierung liefern. 
Das Oel des Santals aus Mysore ist nämlich milder riechender, an¬ 
genehmer als dasjenige aus allen anderen Ländern; ohne Zweifel 
ist dies ein Grund dafür, daß es immer gut vertragen wird. Da 
Herr Midy das Holz im selben Jahre destillirt, erhält er ein minder 
oxydirtes Oel als dasjenige des im Handel vorkommenden Präparates, 
das oft viele Jahre nach dem Fällen des Holzes destillirt wird. 

Was seine therapeutische Anwendung anbelangt so gibt es 
wenig Mcdicamente, die von den Aerzten mit solcher Sympathie auf¬ 
genommen wurden, wie Santal. Wir wollen hier kurz einige Beob¬ 
achtungen re8umiren: 

Dr. Henderson constatirte („Medical Times“), daß mit dem 
Santalöl auch in solchen Fällen Erfolge erzielt werden, in denen 
Copaiv und Cubeben nichts genützt haben. 

Dr. Durand berichtet, daß er „niemals einen unangenehmen 
Zwischenfall, auch von Seite der Verdauungsorgane nicht, beob¬ 
achtet habe“. 

Im Höpital du Midi wurde constatirt, daß das Santalöl die 
acute Blennorrhoe in drei Tagen zum Schwinden bringt und daß 
das Uriniren absolut nicht schmerzhaft ist. („Gaz. des höpitaux.“) 

Dr. Caudmond spricht sich im selben Journal wie folgt aus: 
„Das Santal ist das beste Mittel gegen die durch eine Entzündung 
der Blase hervorgerufenen Hämorrhagien. Die eminente Wirkung 
desselben gegen den Ausfluß zeigt sich schon in 24—48 Stunden, 
indem -der Ausfluß auf ein schleimiges Sickern reducirt wird.“ 
(„Clinique de I’Hötel-Dieu.“) 

Dr. Gipoulon hat das Santalöl mit wunderbarem Erfolge an¬ 
gewendet bei eitriger Nierenentzündung, bei Blasengries mit Blut¬ 
harnen und bei Albuminurie. („Journal de mödecine.“) 

Dr. Posner berichtete im Vereine für innere Medicin in Berlin, 
daß er das Santalöl in vielen Fällen von chronischer Gonorrhoe 
mit bestem Erfolge angewendet habe; er constatirte, daß sehr viel 
auf die Reinheit des Präparates ankomme und daß die beliebteste 
Form ein französisches Präparat sei. („Deutsche Medicinal-Ztg.“ — 
„Pester med.-chir. Presse“, 1887, Nr. 9.) 

Dr. Dklattre berichtet unter vielen Beobachtungen über einen 
Fall von acuter Cystitis, der mit Terpentin und Theer ohne Erfolg 
behandelt wurde; als er S a n t a 1 M i d y verabreichte, war der 
Schmerz in 4 Tagen vollständig verschwunden. 

Santal Midy wird in kleinen runden Kapseln in den Handel 
gebracht, von denen jede 20 Centigrm. des Oels von Mysore ent¬ 
hält. In der Behandlung der Blennorrhoe beträgt die tägliche Dosis 
8—12 Kapseln, auf 3mal zu nehmen; in allen anderen Fällen ist 
die tägliche Dosis 3—6 Kapseln; es ist wichtig, selbst wenn der 
Ausfluß schon ganz geschwunden ist, die Behandlung nicht brüsk 
zu unterbrechen, sondern mit der Dosis allmälig herabzugehen. 


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Sonntag den 9. März 1890. 


Nr. 10. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Grosa-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage. aber 
sogleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, L, Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adreBsiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 6 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die A dmln istr. 
der „Wiener Medflz. Presse“ in Wien, I., Maxi milianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Ueber habituelle Obstipation. Klinischer Vortrag von Hoff. Prof. Nothnagel. — Ueber die Behandlung 
warziger Gebilde mittelst der Elektrolyse. Von Dr. S. Ehrmann, Docent für Syphilis und Hautkrankheiten in Wien. — Ueber Neuritis multiplex. 
Klinischer Vortrag von Prof. Kahlkr in Wien. — Die therapeutische Verwendbarkeit des Jodols in der syphilidologiachen Praxis. Von Dr. Carl 
Szadkk, Specialarzt für Dermatologie und Syphilis in Kiew (Süd-Rußland). — Referate and literarische Anzeigen. Dujardin-Bkaomktz : Ueber 
gastrische Neurasthenie und ihre Behandlung. — Aus dem hygienischen Institute zu Berlin. Nocht: Ueber die Verwendung von Carboiseifen¬ 
lösungen zu Desinfectionszwecken. — Leopold: Ueber die Annähnng der retroflectirten aufgerichteten Gebärmatter an der vorderen B&uchwand.— 
Chemie der menschlichen Nahrangs- und Gennßmittel. I. Theil: Chemische Zusammensetzung der menschlichen Nahrungs- und Genußmittel. Nach 
vorhandenen Analysen mit Angaben der Quellen znsammengestellt. Mit einer Einleitung über die Ernährungslehre. Von Dr. J. König, Professor 
und Vorsteher der agric.-chem. Versuchsstation in Münster i. W. — Anleitung zu chemisch-diagnostischen Untersuchungen am Krankenbette. Von 
Dr. H. Tai*fkinkh, Professor an der Universität München. — Feuilleton. Briefe aus England. (Orig.-Corresp.) I. — Kleine Mittheilungen. 
Combinirte Behandlung der Lungentuberculose mit Creosot und Terpentinöl. — Behandlung der Postpartum-Blutungen. — Antifebrin als Hypnoticum 
bei Kindern. — Die Behandlung von Neuralgien mittelst ChloroformiDjectionen. — Tinctura Naregamiae, ein neues Expectorans. — Die Wirkung 
des Cactns grandiflorus bei manchen Formen von Herzkrankheiten. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Wiener medicinischea Doctoren- 
Collegium. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Berliner medidnische Gesellschaß. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. — Literatur. — Aerztllche Stellen. — Anzeigen. 


Originalton und klinische Vorlesungen. 


Ueber habituelle Obstipation. 

Klinischer Vortrag von Hofr. Prof. Nothnagel.*) 
Meine Herren! 

Ich habe Ihnen mehrere Fälle von habitueller Obstipation 
verschiedener Art vorgestellt und will nun einige Bemer¬ 
kungen daran knüpfen, weil dies ein Zustand ist, mit dem 
Sie in Ihrer Praxis oft zu thun haben werden, und welcher 
für Sie daher von der größten Wichtigkeit ist. 

Wenn ich die Fälle recapituliren soll, die Sie gesehen, 
so betraf der erste Fall einen Patienten, an dem wir einen 
Tumor cerebri diagnosticirten. Pat. ist 33 Jahre alt; früher 
angeblich gesund und einen regelmäßigen Stuhl besitzend, er¬ 
krankte er vor 4 Jahren an einem Kopfleiden (Tumor cerebri) 
und bemerkte V» Jahr hierauf einen auffallend retardirten 
Stuhl. Diese Stuhlträgheit hat sieh mehr und mehr gesteigert, 
so daß der Patient jetzt 10—12 Tage keinen Stuhl bekommt, 
und nur auf Klystiere stellt sich eine Entleerung ein. Dabei 
ist der Appetit stets gut, Erbrechen besteht nicht. 

Zweitens sahen Sie einen Patienten mit Perityphlitis. 
Derselbe erkrankte am 16. December v. J. mit Bauchschmerzen, 
leichtem Fieber, Kopfschmerzen, Uebelkeit und Erbrechen 
schleimiger Massen. Das Erbrechen wiederholte sich 2mal 
und kehrte nicht wieder. Der Stuhlgang, früher immer regel¬ 
mäßig, wird seit der Zeit sehr retardirt; sein letzter Stuhl 
erfolgte vor 11 Tagen. Während nun der frühere Fall einen 
augenscheinlichen Zusammenhang der Obstipation mit einem 
cerebralen Leiden ergab, war dieselbe hier entschieden die 
Folge einer Darmaffection. 

Der dritte Fall endlich betraf eine Frau, die an einem 
spinalen Processe, an einer multiplen Sclerose oder Myelitis 
leidet und seit April 1887 über, hartnäckige Stuhlverstopfung 
sich beklagt. Das spinale Leiden datirt hier; bereits seit 
11—12 Jahren. Der Appetit war gut, Erbrechen bestand nicht. 

*) Vom Vortr. revidirtes Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


Keiner von diesen 3 Fällen stellt einen typischen Fall 
von habitueller Obstipation dar, und ich wäre auch nicht in 
der Lage, Ihnen einen solchen zu zeigen, weil derartige 
Patienten selten das Spital aufsuchen und nur ambulatorisch 
sich behandeln lassen. 

Als wir zu Anfang des Semesters über Durchfälle und 
Darmbewegungen sprachen, habe ich Ihnen gesagt, daß die 
Stuhlentleerung in der Weise, wie sie für gewöhnlich bei den 
meisten Menschen erfolgt, von einer regelmäßig wiederkehren¬ 
den Contraction im Colon, bezw. im Rectum, abhängig ist. 
Ich wiederhole Ihnen, daß die Fortbewegung des Darminhaltes 
durch den Dünndarm sehr schnell erfolgt. Innerhalb 6—8 
Stunden ist der Darminhalt bei der B.iüHiNi’schen Klappe an¬ 
gekommen. Dann hat die rasche Peristaltik auf die Fort¬ 
bewegung de3 Darminhaltes einen mächtigen Einfluß, was zur 
endlichen Ausstoßung desselben führt. Die Innervation des 
Dick- und des Dünndarmes geht nicht parallel neben einan¬ 
der, die des einen ist unabhängig von der des anderen. Die 
Peristaltik an sich, ich meine die Auslösung der Peristaltik, 
ist meines Erachtens eine Erscheinung, die sehr wesentlich 
durch das Nervensystem beeinflußt wird. 

Ich betone das ausdrücklich, weil von Seite der Physio¬ 
logen hervorgehoben wurde, daß zum Auftreten der peristal¬ 
tischen Welle nicht die Intervention des Nervensystems 
nöthig sei, sondern daß die peristaltische Welle durch einen 
Erregungsvorgang in der Musculatur des Darmes sich fort- 
pflanzt. Es ist diese Anschauung namentlich von Engelmann 
vertreten worden. Engelmann, der seine diesbezüglichen Unter¬ 
suchungen an den Ureteren gemacht hat, constatirte, daß die 
Contractionswelle an den Ureteren von der Niere zur Blase 
fortschreitet, und daß eine einfache Uebertragung der Er¬ 
regung von einer Muskelzelle zur anderen genügt, um eine 
Contraction herbeizuführen; Nerven seien dazu nicht noth- 
wendig, weil im Ureter keine Nerven vorhanden seien. Diese 
Angaben sind nachträglich widerlegt worden, weil hinterher 
im Laboratorium des Prof. Meyer in Freiburg Nerven in den 
Ureteren nachgewiesen wurden, 

Diese Anschauung Engelmann’s ist nicht richtig, und 
für den Darm ist sie um so weniger richtig, als im Darme 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


sehr viele Nerven vorhanden sind, nämlich der Billroth- 
MBissNKR’sche Plexus und der AuERBACH’sche Plexus. Ich will 
nicht all das anführen, was für die Annahme geltend ge¬ 
macht wurde, daß die Intervention der Nerven für die Ent¬ 
stehung der peristaltischen Welle nothwendig sei. Es läßt 
sich eine ganze Reihe von Gründen dafür anführen, und ich 
glaube, daß die Mehrzahl der Beobachter, wenigstens die 
Mehrzahl der Kliniker, der Anschauung zuneigt, daß die 
Nerven bei der Auslösung der peristaltischen Welle eine 
Hauptrolle spielen, und zwar ist es der AuERBACH’sche Plexus, 
der Plexus myentericus der hier in Betracht kommt. 

Wir kennen eine ganze Reihe von verschiedenen Ur¬ 
sachen , welche die Auslösung der Peristaltik veranlassen. 
Wir werden später bei der Erörterung der einzelnen Verhält¬ 
nisse darauf zurückkommen. Vor Allem muß ich aber hier 
betonen, daß im Bereiche der nervösen Vorgänge, oder, rich¬ 
tiger gesagt, im Bereiche der Vorgänge, welche durch die 
Thätigkeit des Nervensystems vermittelt werden, sehr häufig 
eine gewisse Periodicität beobachtet wird. 

Die letzte Ursache dieser Periodicität ist unbekannt, wir 
kennen nur die Thatsache. 

Eine solche Periodicität läßt sich nach weisen im 
Verhältnisse zwischen Schlafen und Wachen; sie läßt sich 
nachweisen in jener Thätigkeit, welche durch die Ganglien 
des Darmes vermittelt wird, sie läßt sich nachweisen in der 
regelmäßigen Contraction des Darmes, und auch dann handelt es 
sich um eine solche rhythmische, periodische Thätigkeit, wenn 
der Mensch unter normalen Verhältnissen alle 24 Stunden 
Stuhl hat. Es ist, wenn Sie wollen, die Thätigkeit der 
Darmnerven gleichsam eingestellt auf eine 24stündige Er¬ 
regung. Wir haben uns das so vorzustellen, daß der 
Darminhalt ganz allmälig und in großen Pausen von der 
BAUHiNi’schen Klappe durch das Colon ascendens transversum 
bis zum Colon descendens vorrückt, daß er hier oder im 
S romanum liegen bleibt und zu einer bestimmten Zeit ent¬ 
leert wird. Sie wissen, daß bei vielen Menschen die Erre¬ 
gung, welche sie zur Stuhlabsetzung nöthigt, oft mit einer 
merkwürdigen Pünktlichkeit, wie auf Glockenschlag, sich ein¬ 
stellt. Diese Erregung wird dadurch hervorgerufen, daß der 
Darminhalt vom S romanum in die Ampulle des Rectums, also 
in den untersten Abschnitt des Darmcanals abwärts gerückt, 
ist. Sind die Fäcalmassen dorthin gelangt, dann wird ein 
Reiz auf die sensiblen Nerven ausgeübt, wodurch eine Span¬ 
nung der Musculatur erfolgt, die sich als Krampf, als Stuhl¬ 
drang äußert. Eine krampfhafte Contraction dieser Muskeln, 
eine pathologische Steigerung des Stuhldranges bezeichnen 
wir als Tenesmus. 

Von dieser, wenn ich so sagen soll, willkürlichen Ein¬ 
stellung der Darmnerven gibt es nun verschiedene Abwei¬ 
chungen. Es geschieht oft, daß wir täglich zweimal eine 
Stuhlentleerung haben, selbst dreimal im Laufe des Tages 
und noch häufiger. Es sind das nicht immer Menschen, die 
sehr viel essen; die Nahrungsaufnahme hat keinen besonderen 
Einfluß auf die Stuhlentleerung. Diese Menschen haben davon 
gar keine Beschwerden, nur daß ihnen das häufige Stuhl- 
absetzen Unbequemlichkeiten bereitet. Das sind noch immerhin 
in physiologischen Breiten liegende Verhältnisse, Verhältnisse, 
die Jahre lang anhalten können, ohne daß die Betreffenden 
irgend welche Beschwerden haben, ohne daß sie ärztliche 
Hilfe aufsuchen. Andererseits gibt es Menschen, deren Darm¬ 
entleerung auf zweimal 24 Stunden eingestellt ist, oder selbst 
auf dreimal 24 Stunden. Auch diese Zustände, meine Herren, 
liegen noch innerhalb physiologischer Grenzen, und wir sehen 
viele Leute mit dieser Stuhlträgheit behaftet, ohne daß sie 
die geringsten Beschwerden davon hätten. 

Wenn es sich so verhält, ist daher ärztliches Eingreifen 
nicht besonders nothwendig, denn in der Regel haben, wie 
gesagt, die Leute dabei gar keine Beschwerden. Wenn Sie 
irgend etwas therapeutisch unternehmen wollten, so würde 


364 


das dem Patienten gerade Unbequemlichkeit bereiten, während 
ihr Zustand ihnen eben ganz erträglich ist. 

Von diesen physiologischen Abnormitäten wohl zu unter¬ 
scheiden sind nun merkwürdige Abweichungen anderer Art. 
Es gibt Leute, bei denen die Stuhlentleerung jede Woche 
nur einmal erfolgt, ja in der Literatur sind Fälle beschrieben 
worden, wo die Patienten 6-, 8- bis lOmal im Jahre Stuhl¬ 
entleerung hatten. Ich selbst habe einen solchen Fall nicht 
gesehen, aber sie werden allen Ernstes von guten und zuver¬ 
lässigen Beobachtern mitgetheilt. Daß die Kranken 8, 10 bis 
12 Tage und selbst länger Stuhl Verstopfung haben, haben Sie 
von den Kranken, die ich Ihnen hier vorgestellt habe, selbst 
gehört, obgleich diese Fälle nicht die typische Form der 
habituellen Obstipation darstellen. 

Diese Fälle können ohne Störungen im Centralnerven¬ 
systeme verlaufen, und sie sind es, die wir als eigentliche 
habituelle Stuhl Verstopfung bezeichnen. Das ist der Zustand, 
der uns in der Praxis am häufigsten begegnet und gerade 
über den müssen Sie genau Bescheid wissen. 

Wenn wir nun nach den Gründen forschen, aus 
denen solche habituelle Obstipation abzuleiten ist, so 
habe ich Ihnen eben angeführt, daß es sich hier um eine 
Abnormität in der Innervation des Darmes handelt. Es ist 
wichtig, noch andere Gründe für die habituelle Obstipation 
ausfindig zu machen. So wird in manchen Fällen eine Schwäche 
der Darmmuscularis als Grund dieser Erscheinung angeführt. 
Ich behaupte das nicht auf das Ungefähr hin, sondern auf 
Grund von Untersuchungen, die ich an mehreren Fällen an¬ 
gestellt habe. 

Ich habe einmal bei vielen Individuen die Darmmuscularis 
im Colon gemessen; es stellte sich heraus, daß die Dicke der 
Musculatur im Colon, und zwar der beiden Muskellagen, der 
Quermusculatur und der Längsmusculatur, im Durchschnitt 
8—10 Zehntel-Mm. beträgt, und zwar ziemlich constant. 

Nun gibt es aber Fälle, und ich habe mehrere solche 
untersucht, wo diese Durchschnittszahl bedeutend kleiner ist. 
E 9 gibt Leute, die kräftig gebaut sind und eine starke Mus¬ 
culatur haben, bei denen jedoch diese Abnormität in der Darm- 
musculatur besteht. Ich erinnere mich noch besonders eines 
jungen Mannes von einigen und 20 Jahren, der an einer 
acuten Myelitis litt und Zeit seines Lebens trägen Stuhlgang 
hatte. Bei der Nekropsie zeigte sich, daß derselbe eine merk¬ 
würdige Atrophie der Musculatur des Colon hatte, einer Mus¬ 
culatur, die in auffallendem Gegensätze stand zur sehr kräftig 
entwickelten Musculatur der Extremitäten. 

Diese Anomalie habe ich noch in einigen anderen Fällen 
gefunden. Es kann demnach wohl kaum einem Zweifel unter¬ 
liegen, daß die mangelhafte Darmthätigkeit nicht nur durch eine 
Störung der Innervation des Darmes, sondern auch durch 
mangelhaft entwickelte Musculatur im Colon bedingt ist. Es 
ist selbstverständlich unmöglich — ich wenigstens weiß kein 
diagnostisches Moment — um dies zu unterscheiden und im 
concreten Falle zu sagen, ob die habituelle Obstipation auf 
einer unregelmäßigen nervösen Einstellung des Darmes oder 
auf mangelhaft entwickelter Musculatur des Darmes beruht; 
auch für die Therapie ist dieser Umstand ganz gleichgiltig. 

Das also sind die typischen Fälle von habitueller Obsti¬ 
pation. 

Nun sehen wir aber, daß die habituelle Obstipation in 
sehr vielen anderen Fällen zur Entwicklung kommt und den 
verschiedenstenVerlauf nimmt. Zunächst, meine Herren, möchte 
ich hier betonen, daß dies der Fall ist, wenn die Regel¬ 
mäßigkeit der Darmentleerung einmal unterbrochen wird. Die 
Mehrzahl von Ihnen wird vielleicht schon die Bemerkung 
gemacht haben, daß, z. B. nach einer Eisenbahnfahrt, wo man 
durch 1, 2 Tage oder länger nicht in der Lage ist, zur ge¬ 
wöhnlichen Zeit sein Bedürfniß zu befriedigen, sich hinterher 
eine Obstipation anschließt, die 2—3 Tage dauert und dann 
durch eine Diarrhöe abgelöst wird, auf welche eine Obsti¬ 
pation folgt, die längere Zeit andauert. 


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365 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


366 


Ich habe Ihnen schon gesagt, daß das Entstehen des 
chronischen Darmcatarrhes in der Regel derart erfolgt, daß 
der Patient, der früher regelmäßigen Stuhlgang hatte, durch 
einen Diätfehler einen acuten Darmcatarrh bekommt, der nach 
einiger Zeit vorübergeht oder spurenweise noch zurückbleibt. 
Der Patient beachtet ihn nicht weiter, und so kann sich ein 
chronischer Darmcatarrh entwickeln ; so sehen wir auch hier 
bei einer geringen Unregelmäßigkeit in der Diät eine chronische 
Obstipation entstehen. 

Die Entstehung des Darmcatarrhes durch die Stagnation 
des Darminhaltes erklärt sich so, daß durch die Zersetzung 
des stagnirenden Darminhaltcs Gase zur Entwicklung kommen, 
welche die Darmschleimhaut reizen und einen Darmcatarrh 
verursachen. Wir wissen, daß die im Darme sich entwickeln¬ 
den Gase, die Schwefelwasserstoffe und Schwefelkohlenstoffe, 
direct reizend auf die Schleimhaut wirken, wie von Bougoin 
nachgewiesen wurde. Oder es kann der Danninhalt voll¬ 
ständig austrocknen, und es wird durch die Stagnation im 
unteren Theile des Rectums ein solcher Reiz ausgeübt, daß 
eine Stuhlentleerung zu Stande kommt. 

Nun gibt es noch andere Gründe für die Entwicklung 
der habituellen Obstipation. Von einigen Autoren ist eine 
gewisse Schlaffheit und Schwäche der Bauchmusculatur, als 
Ausdruck der Schwäche der Gesammtconstitution, als eine 
Ursache der habituellen Obstipation hervorgehoben worden. 
Sie wissen, daß für die Entleerung des Stuhles die Bauch¬ 
presse von Bedeutung ist; man hat aber Gewicht darauf 
gelegt, daß dieselbe gut entwickelt sei, weil man glaubte, 
daß die Bauchpresse für die Peristaltik als solche von 
Wichtigkeit sei. Diese Anschauung scheint mir nicht richtig; 
ich möchte die Schlaffheit der Musculatur, namentlich 
der Bauchmusculatur, nicht besonders verantwortlich machen 
für die Unregelmäßigkeit des Stuhles. Der Darminhalt wird 
blos durch die Thätigkeit des Darmes vorwärts befördert; 
die Bauchpresse kommt nur zur Wirkung, wenn es sich darum 
handelt, die Expulsion des Darminhaltes zu unterstützen. Ich 
erwähne dies nur, weil es von vielen Autoren angeführt wird, 
obgleich ich diese Meinung nicht theile. 

Wichtiger scheint mir ein anderes ätiologisches Moment, 
nämlich die sitzende Lebensweise, welche eine sehr 
häufige Ursache der habituellen Stuhlträgheit ist. Sie wissen, 
meine Herren, daß Leute, die wenig körperliche Bewegung 
machen, daß Leute, welche einen Beruf haben, der vieles 
Sitzen erfordert, zur Obstipation incliniren. Es läßt sich diese 
Erscheinung derart erklären, daß die körperlichen Bewegungen 
die Peristaltik des Darmes etwas anregen und daß, wenn 
diese Bewegungen fortfallen, auch die Darmbewegungen träger 
werden und Stuhl Verstopfung sich einstellt. 

Ein weiterer Factor, .der von Wichtigkeit ist für chro¬ 
nische Stuhl Verstopfung, ist die Entwicklung und Ansammlung 
von Fettmassen. Fette Menschen haben gewöhnlich Neigung 
zur Obstipation, ich sage gewöhnlich, weil es Leute gibt, die 
trotz ihres Fettpolsters regelmäßigen Stuhlgang haben. Diese 
Obstipation hängt wohl damit zusammen, daß die Fettmassen, 
die im Darm sich ansammeln — und Sie wissen, daß man da 
oft colossale Fettmassen finden kann — mechanisch die Thätig¬ 
keit desselben beeinträchtigen. 

Wir sehen ferner sehr häufig, daß bei vielen Frauen 
eine besondere Neigung zur Obstipation besteht, namentlich 
bei Frauen, die den wohlhabenderen Gesellschaftsclassen an¬ 
gehören. Wenn Sie die Anamnese derartiger Patientinnen 
genau verfolgen, so werden Sie finden, daß diese Obstipation 
zurückdatirt in die Zeit der Jugend, in die Zeit des Pensionat¬ 
lebens, Sie werden finden, daß eine willkürliche Unterdrückung 
des Stuhles das erste Moment war zur Entwicklung der chro¬ 
nischen Obstipation, eine willkürliche Unterdrückung des 
Stuhles, die in ähnlicher Weise wirkt, wie die erzwun¬ 
gene Unterdrückung bei Eisenbahnfahrten, von der ich Ihnen 
bereits gesprochen. 


Eine andere ätiologische Form der chronischen Obsti¬ 
pation ist diejenige, die bei spinalen und cerebralen 
Erkrankungen vorkommt, wofür Sie in den ersten beiden 
Patienten, die ich Ihnen jetzt vorgeführt, Beispiele gesehen 
haben. Daß eine directe Beeinflussung der Darmthätigkeit 
durch das Nervensystem stattfindet, steht außer Zweifel; in 
welchen Bahnen aber diese nervöse Beeinflussung vor sich 
gehe, welche Fasern die Erregung und welche die Lähmung des 
Darmes bewirken, das wissen wir derzeit nicht. Die Thatsache 
steht fest, daß bei chronischen cerebralen und spinalen Er¬ 
krankungen eine sehr viel größere Neigung zur Obstipation 
besteht als bei chronischen Herzkrankheiten oder bei ander¬ 
weitigen Störungen des Organismus. Man weiß heutzutage, 
daß die Darmthätigkeit vom Gehirn und Rückenmark aus be¬ 
einflußt wird, wir haben ja von Diarrhöen gesprochen, die 
unter dem Einflüsse von psychischen Affecten stehen; Sie 
haben anderseits hartnäckige Obstipation bei einem Falle von 
Tumor cerebri, bei chronischer Myelitis gesehen. 

Alles das — und es gibt noch andere Ursachen — 
sind ätiologische Momente, welche bei der chronischen Obsti¬ 
pation eine Rolle spielen, ohne daß der Darm als solcher 
irgend eine anatomische Veränderung zeigt. Ich betone dies 
besonders, weil es Ihnen in der Praxis häufig begegnen wird, 
daß derartige Patienten zu Ihnen mit der Diagnose eines 
chronischen Darmcatarrhs kommen, obgleich von Darmcatarrh 
bei ihnen keine Spur vorhanden ist. Ich habe in vielen 
solchen Fällen die DarmscUeimhaut nicht nur makrosko 
pisch, sondern auch mikroskopisch untersucht und nichts 
gefunden, was zur Annahme eines entzündlichen, eines catarrha- 
lischen Processes berechtigen würde. Ich habe Ihnen übrigens 
bereits gesagt, daß der chronische Catarrh des Dickdarms sich 
durch ein ganz anderes Verhalten des Stuhles charakterisirt; 
derselbe zeichnet sich durch eine wechselnde Beschaffenheit 
des Stuhles aus, durch einen Wechsel von Stuhl Verstopfung 
und Durchfällen, die in Intervallen von 1 bis 2 Tagen sich 
ablösen. 

Ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, daß Stuhl Verstopfung 
außerdem symptomatisch vorkommt bei verschiedenen anderen 
Affectionen des Digestionsapparates, bei verschiedenen Affec- 
tionen des Magens; so sehen wir z. B. hartnäckige Obstipation 
auftreten bei Ulcus ventriculi, bei Carcinoma ventriculi, bei 
manchen Magencatarrhen, ferner bei Darmstenosen, bei Darm¬ 
drehungen u. s. w. Von allen diesen Formen will ich hier 
nicht sprechen; es handelt sich hier nur um die eigentliche 
habituelle Stuhlverstopfung. (Fortsetzung folgt.) 

Ueber die Behandlung warziger Gebilde 
mittelst Elektrolyse. 

Von Dr. 8. Ehrmann, Doccnt für Syphilis und Hautkrankheiten 

in Wien. 

(Schluß.) 

Ich habe bisher folgende Gebilde mit der Elektrolyse 
behandelt: 1. Papillome der Kopfhaut in 6 Fällen; 2. spitze 
Condylome an den äußeren Genitalien in 8 Fällen, in der 
Vagina in 3 Fällen, in der weiblichen und männlichen Urethra 
in je 2 Fällen; 3. warzige Pigmentnaevi des Gesichtes in 
5 Fällen, Warzen der Hand in 7 Fällen — in Summa also 
33 Fälle. 

Hiezu kommt noch ein Fall, den ich Ihnen hier vor¬ 
stelle und an dem ich Ihnen die Technik der Elektrolyse zu 
demonstriren gedenke. Es handelt sich um einen 22 Jahre 
alten Commis, dessen Hände seit 4 Jahren von einer ganzen 
Anzahl (wohl in die Hundert) von warzigen, nicht besonders 
harten Gebilden bedeckt sind, an welchen stark ausgedehnte 
Blutgefäße sich befinden, und in welchen sich deshalb leicht 
hämorrhagische Stellen entwickeln; sonst haben dieselben das 
Aussehen gewöhnlicher Verrucae. Ich bemerke hiezu, daß 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


der Patient viel an Frostbeulen leidet, und vielleicht ist 
dies die Ursache der eigentümlichen Modification der Ver¬ 
rucae. Die linke Hand, welche ebenso stark besäet war, 
als jetzt noch die rechte, ist ganz davon befreit und 
mit Ausnahme einer einzigen hirsekorngroßen Stelle, über 
die ich später sprechen werde, sieht man nicht eine Spur 
von Narben, so daß die Hand aussieht, als wäre nie eine 
Warze darauf gesessen. Ich bemerke hiezu, daß, ehe ich 
zur Anwendung der Elektrolyse kam, von anderer Seite 
und auch von mir die verschiedensten Versuche gemacht 
wurden, diese Warzen zu entfernen; weder Auflegen von 
Salicylsäure in pulvere, noch starke Resorcinpasten, noch 
das Auskratzen der Warzen führte zum Ziele, aber nicht 
etwa so, als ob die Warzen auf eine dieser Maßnahmen zwar 
geschwunden, nachher aber wieder nachgewachsen wären — 
nein! sondern nach dem Auskratzen wucherte in der äußeren 
Wunde selbst eine papillomatöse Geschwulst empor und Salicyl¬ 
säure und Resorcin konnten höchstens die Horndecke auf¬ 
weichen. und wenn man diese entfernt hatte, so fand man 
darunter den Papillarkörper ganz intact, welcher sich sofort 
in eine Warze wie zuvor um wandelte. Erst die Anwen¬ 
dung der Elektrolyse brachte radicale Heilung. 

Ich will Ihnen nun an der rechten, bisher nicht be¬ 
handelten Hand den Vorgang bei der Elektrolyse zeigen. 
Man kann dazu jede kleinplattige galvanische Batterie ver¬ 
wenden, wie man sie gewöhnlich zur Galvanisation in der 
Elektrotherapie verwendet. Hier sehen Sie zwei Batterien, 
angefertigt von Schulmeister in Wien, welche mir beide ganz 
ausgezeichnete Dienste leisteten. Die eine Batterie ist eine ge¬ 
wöhnliche Chromsäure-Batterie, zu deren Füllung aber, nebenbei 
bemerkt, nicht chromsaures Kali, sondern chromsaures Natron 
benützt wird, was den beträchtlichen Vortheil hat, daß sich 
kein Chromalaun an den Platten ansetzt, so daß man nicht 
genöthigt ist, dieselben so oft zu reinigen. 

Die zweite Batterie ist auch eine von Schulmeister con- 
struirte Batterie von kleinen LECLANCHä’schen Elementen. Man 
schaltet die ganze Batterie in den Stromkreis ein, in welchem 
ein Rheostat und ein Edelmann ’sches Galvanometer einge¬ 
schaltet sind. Vor Beginn des Versuches steht der Rheostat 
so, daß der ganze Widerstand eingeschaltet ist, und zwar auf 
45. Nun lasse ich dem Patienten die Anode als Schwamm¬ 
elektrode in die linke Hand nehmen und steche die Nadeln 
an der Kathode, die hier ein mehrtheiliges Kabel darstellt, 
in mehrere Warzen ein. Ueber die Richtung, in welcher ich 
einsteche, werde ich später sprechen. Jetzt bitte ich nur, die 
Vorgänge an der Warze selbst zu beachten. Nachdem ich 
den Rheostaten so gestellt habe, daß das Galvanometer eine 
Stromstärke von 1—P/ a Milliamperes zeigt, bemerken Sie zu¬ 
nächst, daß die Warze anämisch wird. Das wird bewirkt 
durch eine Contraction der Blutgefäße. Hierauf sehen Sie, 
daß unmittelbar neben der Nadel aus der Einstichöffnung ein 
weißlicher Schaum hervorquillt. Der Schaum ist das mit der 
Gewebsflüssigkeit gemengte Wasserstoffgas. An der anderen 
Warze, aus welcher das Gas nicht hervortritt, werden Sie 
in kurzer Zeit dasselbe durch Druck mit Ihrem Finger ent¬ 
leeren können und dabei das Gefühl des Knistems empfinden, 
etwa wie bei einem sehr kleinen, circumscripten, subcutanen 
Emphysem. Das Wasserstoffgas konnte sich bei der zweiten 
Warze nicht vollständig entleeren, weil die Einstichöffnung 
von der Nadel vollständig ausgefüllt war. An beiden Warzen 
jedoch merken Sie, daß sie inzwischen dunkler werden und 
eine grünliche Farbe annehmen. Durch den elektrischen Strom 
werden mit der Zeit nicht blos die Wände der Capillaren und 
der Gefäße überhaupt, sowie das andere Gewebe verflüssigt, 
es werden auch die rothen Blutkörperchen aufgelöst, der 
Blutfarbstoff diffundirt in die Umgebung und erzeugt die 
grünliche Farbe. 

Daß das Gewebe wirklich verflüssigt wird, sehen wir 
daran, daß die Oberfläche eine kugelige wird, und wenn Sie 


—-_Nr. 10._368 

eine Zeit lang zuwarten, so können Sie mit der Nadel in der 
Warze wie in einer Höhle sich bewegen, und wenn Sie die 
Nadel senkrecht auf ihre Achse, parallel zur Hautoberfläche 
langsam fortbewegen, so können Sie die ganze Warze damit 
unterminiren, als wäre sie aus Seife, welche Sie mit Draht 
durchschneiden ; nur muß die Vorwärtsbewegung sehr langsam 
geschehen, in dem Maße, als sich das Gewebe um die Nadel 
verflüssigt. Auf diese Weise können Sie die ganze Warze 
von ihrer Basis abschneiden, ohne ein schneidendes Instrument 
zu gebrauchen, und wenn Sie dann das vollends abgeschnittene 
Gebilde in concentrirten Alkohol werfen, nach einigen Stunden 
schneiden, so finden Sie unter dem Mikroskope, daß das ganze 
Gewebe mit Ausnahme der Homschichte zu einer gelatinösen 
Masse verflüssigt ist, in welcher die rundlichen Zellen des 
Bindegewebes (die Leukocyten) mit untergegangen sind, 
während die sessilen Bindegewebszellen offenbar durch die 
Einwirkung der Gasbläschen nach oben gegen die Horn schichte 
zusammen gedrängt sind. Diese Verflüssigung des Gewebes 
geschieht also sofort und nicht erst nach mehreren Stunden 
und kann also aus den schon oben angegebenen Gründen 
nicht die Folge der Gasansammlung sein. An Stellen, welche 
eine sehr dicke Homschichte haben, z. B. der Vola manus 
und Planta pedis, sieht man an den Warzen nur das Grün¬ 
werden. Man kann die Warze nicht so unterminiren, daß 
man sie mit der Nadel abschneiden könnte, weil die Nadel 
in der Aus- und Einstichöffnung von der Homschichte so 
fixirt ist, daß man sie nicht leicht fortbewegen kann; die 
Hornschichte widersteht der Elektrolyse, sie imbibirt sich 
aber doch mit Blutfarbstoff. Aber eigentlich gehört das 
Durchstehen durch die Basis im Niveau der umgebenden Haut, 
so daß die Nadel auf der entgegengesetzten Seite hervorkommt, 
wie es Voltolini geübt hat, zu derselben Art von Vorgehen, 
das man aber nur bei harten hornigen Gebilden anwenden 
kann, bei zarten Warzen aber, namentlich bei den Papillomen 
der Kopfhaut, bei spitzen Condylomen an den Genitalien, 
bei polypösen Wucherungen in der Urethra ist dieses Vor¬ 
gehen entschieden zu plump und es kommt auf die Einstich¬ 
richtung an, wie der Enderfolg ist. 

Ich stelle Ihnen hier einen Patienten vor, bei welchem 
spitze Condylome an der Innenfläche der Urethrallippe und 
in der Fossa navicularis papillomatöse, mit spitzen Condy¬ 
lomen übereinstimmende Wucherungen vorhanden waren, welche 
von weiland Prof. Ultzmann zweimal, von mir einmal aus¬ 
geschnitten wurden und immer wieder in einigen Wochen 
recidivirten. Vor l 1 /« Jahren nun entschloß ich mich, den 
Versuch zu machen, dieselben elektrolytisch zu entfernen. Da 
nun bei den vorausgegangenen Excisionen, wie es sich gebührt, 
immer ein ganz kleines Stückchen der Schleimhaut mit heraus¬ 
geschnitten wurde und trotzdem die Condylome immer wieder 
recidivirten, schloß ich daraus, daß das Keimlager von Rund¬ 
zellen, aus welchem das betreffende Gebilde sich regenerirte, 
ziemlich tief unter der Schleimhaut liegen müsse, so daß man es 
bei dem Durchstechen durch die Basis mit der elektrolytischen 
Nadel nicht treffen wird. Ich stach deshalb in die Basis des 
Gebildes schräg von oben nach unten ein, so daß die Nadel 
einige Millimeter unter der Schleimhaut mit der Achse des Ge¬ 
bildes sich schneiden mußte. Ich sah bei einer Stromstärke von 
2 Milliampere, daß die Gebilde erblaßten, sich etwas grünlich 
verfärbten. Nun zog ich die Nadel, nachdem sie eine Minute 
lang in der Schleimhaut gesteckt war, heraus und entließ nun den 
Patienten. Ich bemerke, daß ich vorher mit einer feinen 
PßAVAz’schen Spritze einen Tropfen 5°/ 0 Cocainlösung unter 
die Schleimhaut gespritzt hatte. Später habe ich mich über¬ 
zeugt, daß dies nicht nothwendig ist und daß es genügt, 
bei solchen Operationen einfach eine 5°/ 0 Coca'inlösung in die 
Urethra einzuspritzen. Nach 4 Tagen waren die Warzen ab¬ 
gestoßen. An Stelle derselben war ein kleiner breiiger Belag, 
unter dem die Läsion ohne Narbenbildung heilte, und auch 
heute ist nicht eine Spur von einer Warze, aber auch nicht 
eine Spur einer Narbe zu sehen. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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Bei dem Kranken, den ich znerst vorstellte, hatte ich 
zuerst ebenfalls durch die Basis einer Warze parallel zum 
Hautniveau eingestochen, es erfolgte Heilung mit einer hirse¬ 
korngroßen, flachen, etwas vertieften Narbe, auf welche ich Sie 
vorhin aufmerksam machte, und nach 2 Wochen sproß aus der¬ 
selben eine kleine capillarhaltige Warze empor. Nun stach 
ich schräge unter die Basis ein und sie kehrte nicht wieder, ich 
hatte ihr Keimlager getroffen; seither machte ich mir dies zur 
Begel und bekam keine Recidive mehr. Es ist also auch bei 
flachen Warzen das schräge Einstechen von Vorth eil. 

In allen folgenden Fällen von Papillomen sah ich 
diese Voraussetzung bestätigt und halte deshalb daran fest, 
daß nicht durch die Basis im Hautniveau, sondern etwas 
schräg in die Basis unter das Hautniveau eingestochen 
werden muß 

Der Vorgang bei der Heilung ist folgender: Beim Ein¬ 
stechen werden zunächst die zufuhrenden Gefäße zerstört, der 
Blutfarbstoff ergießt sich in das verflüssigte Gewebe und der 
über dem Hautniveau befindliche Theil des Gebildes wird 
außer Ernährung gesetzt; an der Hautoberfläche vertrocknet 
er, und es bildet sich eine Kruste; an der Schleimhaut bildet 
sich ein kleiner pulpöser Belag, und unter beiden, sowohl unter 
der Kruste, als auch unter dem pulpösen Belage, also unter 
der Basis der bestandenen Warze bildet sich eine kleine Höhle, 
welche durch Zerstörung unter dem Hautniveau im Keimlager 
der Haut zu Stande gekommen ist. Der Inhalt dieser Höhle 
wird resorbirt, die Ränder legen sich aneinander, und wenn 
die Kruste oder der Belag sich abgestoßen, haben sich die 
Ränder der Höhle aneinander gelegt und es erfolgt eine Art 
Heilung per primam, ohne später nachweisbare Veränderung. 
Dies Alles bestärkt mich in meiner Anschauung, daß bei der 
Elektrolyse weder die chemischen Zersetzungen allein, noch 
der Einfluß der ausgeschiedenen Jonen auf das Gewebe, den 
Erfolg bewirkt, sondern hauptsächlich die Veränderung, welche 
das Protoplasmamolecül, resp. das lebende Eiweißmoiecül der 
der Regeneration dienenden Zellenlager durch den elektrischen 
Strom erfährt. Der elektrische Strom hat ja bekanntlich die 
Fähigkeit, lebende contractile Zellen unter dem Mikroskope 
in den ruhenden Zustand und schließlich auch in den Zustand 
des Todes zu überführen. Nun hat nach unseren chemischen 
Vorstellungen das lebende Protoplasmamolecül die Eigenschaft 
der großen Labilität, so zwar, daß es, rasch zerfallend, ebenso 
rasch sich wieder ergänzt, während das todte Protoplasma¬ 
molecül in einen stabilen Ruhezustand übergeführt ist, in 
welchem es der Einwirkung von außen vollkommen machtlos 
gegenübersteht, und es ist nun leicht möglich, daß der elek¬ 
trische Strom im Stande ist, diesen Zustand herbeizuführen 
und dadurch zu bewirken, daß das abgetödtete Proto¬ 
plasma leichter resorbirbar wird, ohne sich necrotisch abzu¬ 
stoßen. Doch ist dies vorläufig nur Hypothese, und werde 
ich in einer späteren Zeit, in der dann die Versuche, mit 
denen ich jetzt beschäftigt bin, beendigt sein werden, Näheres 
hierüber mittheilen. 

Zum Schlüsse will ich Ihnen noch eine Nadel demon- 
striren, welche ich zur Entfernung von spitzen Condylomen 
aus der Tiefe der Vagina und der männlichen Urethra mit 
der Zuhilfenahme des Mutterspiegels, resp. des Endoskops, 
construirt habe. Sie besteht aus einer durch dünnen 
Kautschuküberzug isolirten Nadel, welche einen mit Schrauben¬ 
klemme für die Zuleitungsschnur versehenen gebogenen Hart¬ 
kautschukgrift hat, und deren 5 Mm. lange conische Spitze 
in einem Winkel von beiläufig 160° zur Längsachse abgebogen 
ist, so daß man auch in der Tiefe der Urethra in der Weise 
schräg in die Basis einstechen kann, wie ich das oben ange¬ 
geben habe. Noch viel leichter ist selbstverständlich das Ein¬ 
stechen in der Vagina. 

Für besonders harte Warzen verwende ich einen 
etwas dickeren isolirten Stachel mit kurzer starker, aber 
sehr scharfer conischer Spitze. Im Uebrigen lasse ich 


solche Verrucae gewöhnlich durch starke Resorcinpaste oder 
durch Salicylsäure in pulvere weich werden, ehe ich sie der 
Elektrolyse unterziehe. 

Die elektrolytische Entfernung der warzigen Gebilde 
an den letztgenannten Orten hat aber folgende Vortheile: 
1. Ist der Schmerz ein sehr geringer; 2. fällt die Blutung 
ganz weg, und 3. ist die Antisepsis viel leichter durchzu¬ 
führen, da ja eigentlich nie eine offene Wunde zu Stande 
kommt, sondern immer eine Decke von aseptischem Schorfe 
besteht; ich habe auch nie eine Spur von Eiterung ge¬ 
sehen ; 4. der Hauptvortheil aber besteht darin, daß man, 

ohne eine Wunde zu setzen, das Gebilde bis in die Tiefe 
zerstören kann, wodurch Narben vermieden und Recidiven 
verhindert werden. 


Ueber Neuritis multiplex 

, Klinischer Vortrag von Prof. Kahler in Wien. 

(Schluß.) 

Worauf haben wir diese psychische Anomalie im Ver¬ 
laufe von Neuritis multiplex zurückzuführen? Ich glaube, 
daß es sich hier beim ganzen Krankheitsprocesse überhaupt 
um eine Noxe handelt, welche das ganze Nervensystem 
befällt. 

Nun ist es ganz erklärlich, daß nicht allein die be¬ 
treffenden Nerven von dieser Noxe heimgesucht werden, sondern 
daß auch Theile des Centralnervensystems ergriffen, gewisse, 
mit diesen Nerven associirte Bahnen im Gehirne von der¬ 
selben Schädlichkeit mitbetroffen werden können; das Betroffen¬ 
sein aber gewisser Theile des Centralnervensystems, nament¬ 
lich wenn sie die Gehirnrinde treffen, äußert sich in der Regel 
durch Störungen der Psyche. Es ist wenigstens die Häufigkeit 
der psychischen Störungen bei neuritischen Erkrankungen eine 
so aüßerordentlieh große, daß wir direct eine Betheiligung des 
Centralnervensystems, und zwar jener Theile des Central¬ 
nervensystems, welche mit den betreffenden Nerven in eine 
physiologische und wohl auch anatomisch nachweisbare Be¬ 
ziehung gebracht werden, nicht von der Hand weisen können. 
Die Lähmung, von den peripheren Nerven ausgehend, schreitet 
immer weiter und weiter vorwärts, wie ich es früher geschil¬ 
dert, und bedroht endlich das Leben dadurch, daß sie auf das 
Vaguscentrum übergreift, wodurch bedrohliche Respirations¬ 
beschwerden entstehen können, und, indem im weiteren Ver¬ 
laufe der Nervus phrenicus ergriffen wird, kommt das letzte 
Glied dieser Kette in Kraft, indem durch Unterdrückung der 
Zwerchfellaction der Exitus letalis in Form des Erstickungs¬ 
todes erfolgt. 

Es ist nun interessant, daß bei Neuritis multiplex das 
Krankheitsbild sich bis zu jener Höhe entwickeln kann, daß 
das Leben des Patienten bedroht wird, daß die Lähmungen 
bis zum Auftreten der Bulbärsymptome sich ausbreiten, daß 
Zungenlähmungen, Sprachstörungen, Lähmung des Schlund¬ 
kopfes , Respirationsmuskellähmung, mit Ausnahme des 
Zwerchfelles, auftreten, daß die Athmung ungemein behindert 
wird und in Folge dessen eine hochgradige Cyanose sich ein¬ 
stellt, ja es sind Fälle bekannt, wo die allgemeine Muskel¬ 
lähmung sich bis auf das Zwerchfell ausbreitete und das Leben 
des Patienten nach Tagen gezählt wurde, und doch kann in 
diesem Momente das Bild mit einem Schlage sich vollständig 
ändern. Mit dem nächsten Tage beginnt ein Rückgang der 
Erscheinungen, binnen 8 Tagen kann der Patient sich relativ 
wohl befinden und es sind wenigstens jene Symptome zurück¬ 
gegangen, welche das Leben bedrohen. Solche Fälle sind gar 
nicht selten; es sind mir besonders 2 Fälle noch in Er¬ 
innerung, wo man den Exitus letalis binnen wenigen Stunden 
befürchten mußte, und in beiden Fällen sind sämmtliche schwere 
Symptome zurückgegangen und 'die Patienten genasen bis zu 
einem gewissen Grade. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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Sehr häufig gestaltet sich der weitere Verlauf derartiger 
Fälle von Neuritis multiplex, namentlich in Rücksicht des 
außerordentlich langen Verlaufes bis zur Genesung, recht 
langweilig. Ich kenne Fälle, wo man 2—3 Jahre brauchte, 
um die letzten Spuren zum Verschwinden zu bringen. Derartige 
Lähmungen der Muskeln ziehen eine Atrophie nach sich, 
die eine ganz außerordentliche Verbreitung erlangen kann. 
Ich habe Fälle gesehen, wo die ganze Musculatur des ganzen 
Körpers der Atrophie anheimgefallen war, trotzdem ist voll¬ 
ständige Restitutio ad integrum dieser so hochgradigen Er¬ 
nährungsstörung der Muskeln eingetreten. 

Es ist demnach auch aus praktischen Gründen wichtig, 
bei derartigen Fällen von Muskelatrophie zu entscheiden, ob 
die Grundlage dieser Erscheinung eine Neuritis i-t, oder ob 
irgend ein anderer Kranklieitsproeeß ihr zu Grunde liegt. Ist 
Ersteres der Fall, dann ist Genesung des Individuums selbst 
nach jahrelangem Bestände der Muskelatrophie zu erwarten. 

Eine weitere Frage ist nun die, wie verhält es sich mit 
der Aetiol ogie dieser Neuritiden? Sie wissen, daß Vir 
unsere Erkrankungen viel lieber nach ihrer Aetiologie als 
nach pathologisch anatomischen Merkmalen classificiren. 

Sie wissen, daß die Neuritis allgemein als eine Infections- 
krankheit angenommen ist, und Sie finden in den Lehrbüchern 
immer und immer die infcctiöse Natur der Neuritiden betont. 
Ich gestehe: auch ich glaube daran, aber nachweisen kann ich 
es nicht. Die Thatsache, daß Neuritiden häufig im Anschlüsse 
an fieberhafte Krankheiten auftreten, spricht entschieden 
für die Infectiosität derselben, der striche Nachweis dafür, 
ich meine die Infectionserreger, die Thatsache, welche uns 
eben die Infectiosität erklären würde, ist derzeit allerdings 
noch nicht erbracht. Es ist daher, wie ich glaube, ein leeres 
Wort, wenn wir heute von Neuritiden als Infectionskrank- 
heiten sprechen. Wir kennen allerdings Formen von Neuritis 
multiplex, die keinen acuten Verlauf nehmen und keinen in- 
fectiösen Charakter an sich tragen, Formen, die durch Ein¬ 
wirkung gewisser Schädlichkeiten, wie chemischer Noxen, 
entstanden sind. Dahin gehören vor Allem metallische Gifte, 
und ich habe Ihnen schon gesagt, daß die durch Blei bedingten 
Schädigungen des Organismus, wie wir sie bei der chronischen 
Bleivergiftung zu sehen Gelegenheit hatten, mit Degenerations¬ 
neuritis einhergehen, welche in der Regel Lähmungen der 
oberen Extremitäten nach sich ziehen, welche aber Veran¬ 
lassung zu Degenerationsläbmungen, wie bei unserer Patientin, 
geben können. Es kamen Fälle vor, wo die ganze Musculatur 
degenerirt wird, eine Differenz ist aber vorhanden : Sie werden 
ein Fehlen der anästhetischen Symptome constatiren, Sie 
werden sensible Symptome in der Regel nicht nachweisen 
können. 

Wir kennen andere Gifte, welche gleichfalls Veranlassung 
zu Degeneration geben können, ich will Ihnen speciell das 
Arsen, als das jüngste Gift, erwähnen, welches in dieser Be¬ 
ziehung eine Rolle spielt; wir kennen ferner die Kohlenoxyd¬ 
vergiftung, welche zu motorischen Lähmungen, aber me ist 
localisirten Lähmungen führt, und ich könnte Ihnen eine ganze 
Reihe derartiger Gifte anführen, wo eine Degeneration peri¬ 
pherer Nerven unter dem Bilde der multiplen Neuritis unter 
dem Einflüsse eben dieser Gifte erfolgt. 

Dann kennen wir eine ganze Reihe von sogenannten 
Autointoxications-Erkrankungen, welche mit Degeneration ein¬ 
zelner Nerven einher gehen. 

Hier möchte ich nur den Diabetes erwähnen. 

Der Diabetes kann Veränderungen in der Musculatur 
hervorrufen, wie sie der ausgesprochenen Neuritis multiplex 
zuzukommen pflegen. Diese Erscheinungen treten nun zuerst 
unter dem Bilde einer Neuralgie auf, der sich im weiteren 
Verlaufe eine motorische Schwäche, eine Parese und Paralyse 
der entsprechenden Musculatur mit Herabsetzung der elektri¬ 
schen Erregbarkeit und mit Entartungsreaction und schlie߬ 
lich eine Muskelatrophie hinzugesellt. Diese diabetische Neu¬ 


ritis ist, ich möchte sagen, der Hauptrepräsentant dieser 
Autointoxicationsneuritiden. Ich bin aber überzeugt, daß es 
mehrere Formen solcher Neuritiden gibt, die durch Autointo- 
xication entstanden sind, und hier möchte ich insbeson¬ 
dere auf die constitutioneilen Erkrankungen aufmerksam 
machen, obgleich uns deren Zusammenhang derzeit noch nicht 
klar ist, und möchte betonen, daß das Auftreten motori¬ 
scher Lähmungen auf Grund von Autointoxicationen gleichsam 
den Uebergang bildet zwischen den eigentlichen Neuritiden 
und jenen Fällen von Tabes dorsualis, bei welchen, wie ich 
schon bei Gelegenheit der Besprechung dieses Krankheits- 
processes hervorhob, der Proceß nicht allein auf das Rücken¬ 
mark sich beschränkt, sondern auf das periphere Nervensystem 
übergreift. Ich habe bei der Tabes erwähnt, daß das Er¬ 
griffenwerden der peripheren Nerven zu den regelmäßigen Er¬ 
scheinungen dieser Rückenmarksaffection gehört. Es ist ja sehr 
leicht zu denken — und eine ganze Reihe von Fällen von Tabes, 
welche gleichsam einen Uebergang zu multipler Neuritis dar¬ 
bieten, spricht für die Richtigkeit dieser Annahme — es ist, 
sage ich, sehr leicht, sich vorzustellen, daß dieselbe Noxe, 
welche auf das Centralnervensystem, welche auf das Rücken¬ 
mark schädlich einwirkt, auch die peripheren Nerven ergreifen 
kann, wie wir uns denn überhaupt daran gewöhnen müssen, 
in dieser Beziehung niemals die peripheren Nerven, welche 
doch eine Fortsetzung des Centralnervensystems darstellen, 
von letzterem zu trennen. Derselbe Degenerationsproceß, welcher 
ein gewisses System des Rückenmarks ergreift, kann auch die 
peripheren Nerven in sein Bereich ziehen und sie zur Zer¬ 
störung, zur Degeneration bringen. 

Wir haben endlich die Beziehungen hervorzuheben, welche 
die Neuritis multiplex noch zu anderen Erkrankungen uns 
bietet, Erkrankungen, welche mit Lähmungen, die als Into- 
xicationserscheinungen aufzufassen sind, einhergehen. Und da 
ist namentlich die Tuberculose in Erwähnung zu bringen. 
Die klinische Erfahrung lehrt, daß bei Individuen, welche 
tuberculös sind, bei Individuen, welche, sagen wir, eine tuber- 
culöse Pleuritis, tuberculose Drüsen- oder tuberculose Knochen¬ 
erkrankungen haben, daß bei diesen mitunter ganz plötzlich 
jenes Krankheitsbild sich entwickeln kann, wie Sie es bei 
unserer Patientin beobachten können, manchmal aber jenes 
Krankheitsbild, wie ich es Ihnen als stürmisch verlaufende 
Neuritis geschildert habe. Der Zusammenhang ist so sehr 
evident, der Umstand, daß hier auf dem Wege der Auto- 
intoxication die motorischen Lähmungen, welche zum Krank¬ 
heitsbilde Veranlassung gegeben, entstanden sind, ist so klar, 
daß Niemand, der derartige Fälle zu sehen Gelegenheit hatte, 
über diese Aetiologie der Neuritis zweifeln kann. 

Endlich haben wir noch eine Intoxicationsform hervor¬ 
zuheben, welche als Grundlage der Erkrankungen der motori¬ 
schen Nerven besonders häufig begegnet wird, das ist der 
chronische Alkohol ismus. 

Bei chronischem Alkohol ismus sehen wir mitunter die 
schwersten Formen der Neuritis, und zwar unter dem doppelten 
Bilde auftreten: entweder ist von Anfang an das motorische Ge¬ 
biet stark betroffen und der neuritische Proceß ist von Anfang an 
an den unteren Extremitäten zum Ausdruck gekommen, oder 
wir finden ein Bild, welches die größte Aehnlichkeit mit Tabes 
dorsualis besitzt, das aber bei anatomischer Untersuchung ein 
vollständiges Freibleiben des Rückenmarkes ergibt, wir haben 
ein Bild, welches sich in subjective Schmerzen der unteren 
Extremitäten, welche wie Tabes einen lancinirenden Charakter 
tragen und mitunter sehr heftig sind, in Sensibilitätsstörungen, 
in Empfindung von Ameisenlaufen u. s. w. sich äußert und 
bei dem auch objective Symptome nachweisbar sind, so das 
Ro.MBERG’sche und W est l'H al ’sehe Phänomen als Schwanken 
bei geschlossenen Augen, deutliche Ataxie der Bewegungen, 
Phänomene, wie wir sie bei Tabes zu beobachten Gelegenheit 
hatten, und endlich Lähmungen. 

Dieses Bild nun, welches wir als atactische, als Pseudo¬ 
tabes, Neuritis der Alkoholiker, als Ataxie der Potatoren be- 


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zeichnen, tritt bei Alkoholikern außerordentlich häufig hervor, 
und es ist sehr interessant, einen derartigen Alkoholiker im 
Verlaufe einiger Jahre wiederholt zu sehen. Wir können 
dann constatiren, daß das Bild der atactischen Neuritis bei 
derartigen Patienten wiederholt sich entwickelt hat. Wir 
können im Verlaufe von 2—3 Jahren den Proceß mehrmals 
auftreten und wieder vollständig zurückgehen sehen. 

Die peripheren Nerven haben ja die Möglichkeit zur 
totalen Regeneration, und so sehen wir auch bei der alkoho¬ 
lischen Neuritis die degenerirten Nerven mitunter vollständig 
normal und functionsfähig werden. Allerdings pflegt in 
den Fällen, wo das Kniephänomen fehlte, auch bei Wieder¬ 
genesung des Kranken dasselbe nicht ^lriickkehren, doch habe 
ich Fälle gesehen, wo selbst dieses Symptom vollkommen 
zurückgegangen ist, der Kranke, bei dem die erste Bedingung 
zur Heilung das vollständige Enthalten von geistigen Ge¬ 
tränken ist, vollständig genesen ist. 

In therapeutischer Beziehung haben wir bei unserer 
Patientin sehr wenig in Anspruch genommen, wie denn über¬ 
haupt mit allen Mitteln, die man gegen Neuritis in Anwen¬ 
dung gebracht, der Verlauf der Krankheit keineswegs 
gehemmt werden kann. 

Haben wir es mit frischen, acuten Fällen zu thun, so 
pflegen wir mit Natrium salicylicum zu behandeln, und 
zwar auf Grund von Angaben über Fälle von Neuritis, die 
mit acutem Gelenksrheumatismus complicirt waren; der 
acute Gelenksrheumatismus gehört eben zu jenen vorläufigen 
Momenten, welche das Auftreten der multiplen Neuritis 
begünstigen; ich sage, daß man in derartigen Fällen Na¬ 
trium salicylicum verabreicht auf Grund von Beobach¬ 
tungen , daß die Neuritis mit diesem Mittel günstig beeinflußt 
wurde. Wir sehen aber einzelne Fälle von Neuritis multiplex, 
welche sich spontan entwickeln, oder auch von toxischen oder 
infectiösen Neuritiden, wo die Behandlung mit Natrium sali¬ 
cylicum ohne deutlichen Effect stattfindet, und wir sahen auch 
bei unserer Patientin von diesem Mittel, das wir einige Zeit 
bei ihr in Anwendung brachten, keinen wesentlichen Erfolg. 

Ergotin ist ein zweites Mittel, das man in derartigen 
Fällen, namentlich dort, wo man es mit rapid fortschreitender 
acuter Neuritis zu thun hat, verabreicht und wodurch man 
mitunter einen günstigen Verlauf der Fälle zu erzielen glaubt. 

Den günstigen Verlauf dieser Fälle als Folge des thera¬ 
peutischen Verfahrens möchte ich aber sehr bezweifeln, weil 
die Neuritis eine Krankheit ist, welche oft einen gutartigen 
Verlauf nehmen und ganz spontan heilen kann; sie kann, 
ähnlich den Rückenmarkserkrankungen, plötzlich, ohne daß 
wir eine nähere Ursache dafür anzugeben wüßten, in ihrem 
Vorwärtsschreiten arretiren und zur vollständigen Restitution 
der degenerirten Nerven führen. 

Als ganz classischer Beleg für das eben Erwähnte ist 
mir ein Fall in Erinnerung, den ich vor Jahren in Prag be¬ 
obachten konnte. Es handelte sich da um ein Mädchen, das 
ich auf meiner Klinik behandelte, das plötzlich an den heftigsten 
Ersch einungen einer multiplen Neuritis erkrankte; der Proceß 
ging rapid vorwärts, vollständige Abmagerung der Musculatur, 
Lähmung der Extremitäten, Lähmung der Rumpfmuskeln, 
Lähmung der Schlund- und Kehlkopfmuskeln, heftige Schling¬ 
beschwerden, bedeutende Erschwerung der Respiration — 
die Prognose mußte absolut ungünstig gestellt werden, der 
Exitus wurde in höchstens 14 Tagen prognosticirt. Die Eltern, 
die den traurigen Zustand ihres Kindes einsahen, nahmen es 
nach Hause, offenbar um es nicht auf den Sectionstisch kommen 
zu lassen. Die Patientin kam in die ungünstigsten hygieni¬ 
schen und diätetischen Verhältnisse — die Eltern waren nicht 
reich — sie wurde ohne ärztliche Hilfe gelassen, dabei ganz 
einfach gepflegt und es dauerte nicht lange, als der Zustand 
mit einem Male spontan arretirte und nicht blos arretirte, 
sondern fast vollständig zurückging. Ich sah später die Pat.; 
und mit Ausnahme einer gewissen Schwäche, mit Ausnahme 
einer Dünne der unteren Extremitäten’, war gar nichts an 


ihr wahrzunehmen, was eine so schwere vorausgegangene 
Krankheit vermuthen ließe. So sehen wir nun unter den un¬ 
günstigsten Verhältnissen, ohne jede ärztliche Intervention 
eine spontane Rückbildung der Neuritis erfolgen und Sie 
werden daraus entnehmen, daß man vorsichtig sein muß in 
der Beurtheilung des Werthes eines Mittels für die Heilbar¬ 
keit der Neuritis. Sowie der Proceß in dem angeführten Falle 
von selbst Halt gemacht hat, so mag er auch unter Anwen¬ 
dung des einen oder des anderen Mittels, nicht aber durch 
dieses Mittel geheilt worden sein. 

Ein weiteres Mittel, das häufig mit Erfolg angewendet 
wird, ist die Mas sage. Während wir wissen, daß zu Beginn 
des Krankheitsprocesses die Massage nach unseren Erfahrungen 
einen ungünstigen Einfluß hat auf den Verlauf des ganzen 
Leidens, ist von diesem Verfahren bei älteren Fällen ein ra¬ 
scherer Rückgang der Erscheinungen zu beobachten. Durch Be¬ 
handlung mit Massage, mit activen und passiven Bewegungen, 
mit galvanischen und faradischen Strömen, wird mitunter ein 
außerordentlicher rapider Rückgang der Erscheinungen erzielt. 

Absolute Ruhe, möglichst geringe Belästigung der Kranken 
durch wiederholte Untersuchungen, ist dasjenige, was Ihnen 
zur Richtschnur bei der Behandlung des ersten Stadiums der 
multiplen Neuritis dienen soll. 

Die therapeutische Verwendbarkeit des Jodols 
in der syphilidologischen Praxis. 

Von Dr. Carl Szadek, Specialarzt für Dermatologie und 
Syphilis in Kiew (Süd-Rußland). 

(Schluß.) 

Viel günstiger aber war die therapeutische Wirkung des 
Jodols bei zerfallenen Gummata der Haut und des Unterhaut¬ 
zellgewebes und bei tertiären Geschwüren der Schleimhäute; 
in solchen Fällen wurden durch die äußerliche Anwendung 
des Jodols immer auffallend rasche und vorzügliche Erfolge 
erzielt; die unreinen, manchmal gangränös aussehenden, reich¬ 
lich eiternden und sehr wenig Heiltrieb zeigenden Ulcerationen 
boten meist schon nach wenigen Tagen der J odolanWendung ein 
reines Aussehen und begannen zu granuliren. Durch die in der 
Privatpraxis bedingten Verhältnisse gezwungen, gab ich aller¬ 
dings in den meisten Fällen auch innerlich Jodpräparate, 
weshalb ich es dahingestellt lasse, ob der in meinen 
Fällen erhaltene Erfolg der localen Jodolwirkung allein oder 
zum Theile auch der innerlichen Darreichung des Mittels zu¬ 
zuschreiben ist. Die Zahl der Syphilisfälle, bei welchen ich 
das Jodol äußerlich anwandte, ist keine beträchtliche und 
betrug nur 10. 

Innerlich wurde das Jodol bei Syphilis an Stelle des 
Jodkali in Bezug auf seine specifische Jod Wirkung in 22 Fällen 
versucht; außer bei 5 Fällen von secundärer Syphilis, in 
welchen das Jodol anstatt des Jodkali als Nachcuimittel 
innerlich angewendet ward, wurden 17 Fälle tertiärer syphi¬ 
litischer Erkrankungen damit behandelt, und zwar: 

4 Fälle von gummösen Geschwülsten und Geschwüren 
der Haut und des Unterhautzellgewebes, 

9 Fälle von gummöser Erkrankung des Rachens, 

2 Fälle der Ozaena syphilitica mit Knochen- und Knorpel¬ 
erkrankungen (Perforatio septi nasi, Zerstörung der Conchen, 
tiefgreifenden Ulcerationen u. s. w.), 

2 Fälle von Hemiplegia syphilitica. 

Was die verabreichte Dosis anbetrifft, so gab ich das 
Jodol in Pulverform in Oblaten (ä 0f> —l’O) 2—4 Stück des 
Tages; bei manchen Kranken stieg die tägliche Dosis bis 
4 Grm., ohne daß das Mittel üble Wirkung auf den Darm¬ 
canal verursachte; im Allgemeinen wurde das Jodol von den 
Kranken sehr gut vertragen, und außer den Acneeruptionen, 
die hie und da bei manchen Kranken schon nach wenigen 
Tagen entstanden, wurden weder andere Nebenwirkungen, 
noch Intoxicationserscheinungen beobachtet. 


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Was nun die therapeutischen Erfolge, die ich mit der 
innerlichen J odolanwendnng erzielt, anbelangt, so können die¬ 
selben als sehr günstige bezeichnet werden, ausgenommen von 
Fällen der Hemiplegie, in welchen nur eine geringe Besserung 
erlangt wurde. In keinem Falle hat das Jodol seine Jod¬ 
wirkung versagt, in allen Fällen war die Wirkung ganz 
ähnlich, wie nach Jodkaliumgebrauch. Besonders rasch heilten 
die gummösen Syphilisformen unter dem Einfluß des Mittels, 
doch muß ich bemerken, daß manche Kranken früher mit Hg- 
präparaten behandelt worden waren; in solchen Fällen wirken 
die Jodverbindungen bekanntlich sehr günstig. 

Daß das Jodol also ein souveränes Mittel zur inner¬ 
lichen Behandlung der Syphilis darstellt, darin stimme ich 
vollkommen mit Pick überein, obwohl die Zahl der Beobach¬ 
tungen natürlich noch zu gering ist, um den therapeutischen 
Werth der innerlichen Anwendung des Jodols gegenüber dem 
bewährten Jodkali endgiltig festzustellen; doch berechtigt 
meines Erachtens meine eigene Erfahrung zu der Behauptung, 
daß das Mittel als Antisyphiliticum nicht minder werthvoll 
als Jodkali ist; dem Jodoform gegenüber besitzt aber das 
Jodol unschätzbare Vortheile: es ist eine weniger stabile Jod¬ 
verbindung, welche daher leichter und präciser das Jod frei¬ 
gibt ; ferner ist es gänzlich geruch- und geschmacklos; außer¬ 
dem bedingt es gar keine Reizungssymptome, wird sehr gut 
vom Intestinaltractus vertragen und ist dem Organismus in 
mäßigen Gaben absolut unschädlich. 

Was die allgemeinen Indicationen für die innerliche 
Anwendung des Mittels anbetrifft, so verdient das Jodol vor 
dem Jodkali in jenen Fällen den Vorzug, in welchen es auf 
eine länger dauernde, nicht allzu intensive Jodwirkung an¬ 
kommt , während in Fällen, wo es sich um eine rasche und 
energische Jod Wirkung handelt, das Jodkali vorzuziehen ist. 
Die Contraindicationen für die innerliche Anwendung des 
Jodols sind dieselben, wie für andere Jodpräparate; besonders 
muß man auf den Zustand der Nieren aehten, da sämmtliche 
Nierenaffectionen, acute oder chronische, die Jodausscheidung 
immer verlangsamen und manchmal sogar ganz sistiren a ‘), wo¬ 
durch in der Folge gefährliche toxische Erscheinungen ent¬ 
stehen können. 

Fassen wir nun die gewonnenen Resultate, welche 
natürlich noch der weiteren Bestätigung bedürfen, zusammen, 
so dürfte sich vor Allem die interne Anwendung des Jodols 
bei tertiärer Syphilis behufs weiterer Prüfung warm empfehlen; 
bezüglich der äußeren Anwendung des Mittels bei venerischen 
und syphilitischen Geschwüren ist Folgendes zu bemerken: 

1 . Die tertiären gummösen Ulcerationen heilen unter dem 
Mittel sehr rasch, und ist also das Jodol als ein vorzügliches 
und auf syphilitische Geschwüre specifisch wirkendes Mittel 
anzusehen. 

2. Die Wirkung des Jodols auf weiche Geschwüre und 
offene Bubonen ist etwas schwächer als die des Jodoforms, so 
daß eine längere Behandlungsdauer bis zum vollständigen Heil¬ 
erfolge erforderlich ist. Obwohl dieses Mittel vor dem Jodo¬ 
form einen großen Vorzug wegen seiner nahezu vollständigen 
Geruchlosigkeit hat, so kann es doch bei Behandlung der 
venerischen Geschwüre das Jodoform nicht ersetzen und ist 
nur in einigen Fällen der Privatpraxis zu empfehlen. 

Jedenfalls dürfte dieses Mittel unserem Arzneischatz als 
ein gutes Antisyphiliticum anzureihen sein. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Dujardin-BeaumetZ: Ueber gastrische Neurasthenie und 
ihre Behandlung. 

Das vom Verf. in seinen Vorlesungen vorgeführte Bild („Bull. 
g6n. de thör.“, 1889, Nr. 44) der gastrischen Neurasthenie ist 
folgendes : Eine Kranke klagt Uber nervöse Symptome verschiedener 
Art, verbunden mit einem Gefühle allgemeiner Schwäche, Kälte der 
Extremitäten, Veränderung des Charakters — Hypochondrie, Traurig- 

- 4 ) Monatshefte für die praktische Dermatologie. 1888, IG. pag. 804. 


keit — Schlaflosigkeit zu einer bestimmten Stunde der Nacht und 
allgemeine Decrepidität. 

Trotz der proteusartigen Erscheinungen finden sich keine 
deutlichen hysterischen Stigmata. Hingegen bestehen ausgesprochene 
Störungen von Seite des Darmcanals; die Verdauung ist verlang¬ 
samt, die Kranke klagt über Gase, die den Magen auftreiben, 
Diarrhoe wechselt mit Verstopfung ab, letztere besteht fast immer. 
Die Fäces haben einen enorm fötiden Geruch, zuweilen besteht 
schleimige Enteritis. Der Appetit ist capriciös, indem die Pat. 
manche Speisen ohne Grund ausschließt. 

Alle diese Symptome datiren seit langer Zeit. Die objectivo 
Untersuchung ergibt eine deutliche Magenerweiterung, Beweglichkeit 
der Niere, Vergrößerung der Leber, Kälte der Extremitäten und 
Schwellung mancher Phalangealgelenke, insbesondere der des Medius. 

Zur Erklärung der von den nervösen Störungen abhängigen 
Veränderungen wurden 3 Theorien aufgestellt: eine nervöse, eine 
mechanische und eine humorale Theorie. 

Schon Beard spricht von einer nervösen Erschöpfung dyspep¬ 
tischen Ursprungs, und Leven schreibt der Reizung der Nerven¬ 
zellen des Plexus solaris einen bedeutenden Einfluß auf die Ver¬ 
änderungen der Magenschleimhaut zu. Doch besteht für die Reizung 
des Plexus solaris kein genügender anatomischer Beweis, anderer¬ 
seits fehlt der Grund der Reizung des Plexus solaris. 

Viel verlockender ist die mechanische Theorie von Glenard. 
Nach diesem Autor werden alle diese Erscheinungen durch eine Ver¬ 
änderung des gegenseitigen Verhältnisses der einzelnen Darmtheile 
bedingt. Die Verschiebung der Darmtheile — die Enteroptose, 
wie sie Glenard nennt — besteht vorwiegend in einem Prolapä des 
Colon ascendens und des ersten Theiles des Colon transversum. Die 
Beweglichkeit der Niere ist nur eine Folge des Prolaps des Colons. 

Nach der humoralen Theorie Bouchard’s entstehen durch den 
längeren Aufenthalt der Speisen im Magen Gährungen, die zur Bil¬ 
dung von Ptomainen Veranlassung geben, welche vom Darme aus 
resorbirt werden und eine ganze Reihe von Erscheinungen einer 
Auto-Intoxication hervorrufen. Verf. ist ein Anhänger dieser letzteren 
Theorie, weil sie alle Thatsachen besser erklärt und den Hypothesen 
weniger Spielraum läßt. 

Die Behandlung muß 2 Indicationen erfüllen: sie muß die 
Magenstörungen und die Erscheinungen seitens des Nervensystems 
berücksichtigen. 

Zur Bekämpfung der Magenstörungen bedient man sich der 
Darm-Antisepsis und mechanischer Eingriffe. In Fällen, wo die 
Magenerweiterung eine geringe ist und die Fäulniß im Magen- und 
Darmtracte nicht vorgerückt ist, kann man behufs innerer Antisepsis 
folgende Mittel anwenden: 

Rp. Bismuth. salicyl. 

Magn. anglic. 

Natr. bioarb. aa.10*0 

Mf. Pulv. div. in dos. XXX. 

DS. Nach dem Frühstück und Mittagmahl 1 Pulver. 

Ist die Krankheit vorgerückter, muß man zu kräftigeren Anti- 
septicis greifen. Ein solches ist: 

Rp. Bismuth. salicyl. 

Naphtol-a 

Carb. veget. aa.HVO 

Mf. Pulv. div. in dos. XXX. 

DS. Wie früher. 

Eine wichtige Rolle spielen die Laxantien, weil sie die Ver¬ 
stopfung beheben und die im Darmcanal gebildeten Toxine nach 
Außen befördern. Als Laxantien gebraucht Verf. entweder salinische 


Mineralwässer oder folgendes Pulver: 

Rp. Fol. sonnae pulv. 

Sulf. sublim, aa.6 0 

Auis. stelat. pulv. 

Foenicul. pulv. aa.3’0 

Cremor. tartar. pulv.2 0 

Pulv. liquirit.8*0 

Sacch. alb.25 0 

Mf. Pulv. 


DS. Ein Kaffeelöffel in */ a Glas Wasser; zwischen 9 und 10 
Uhr Abends zu nehmen. 


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In den Fällen, in wolchen Diarrhöe besteht, gibt Dujardin- 
Beaumetz : 

Rp. Bisrauth. salicyl. 

Naphtol-a 

Cret. alb. praep. 

Calc. phospb. aa.10 0 

Mf. Pulv. div. in dos. XL. 

DS. Nach dem Frühstück und Mittagmahl 1 Pulver. 

Noch besser wirken gegen diese Diarrhöen Darmausspülungon 
mit antiseptischen Lösungen (Borsäure 1°; 0 oder Naphtol-a l°/ 0 ). 

Von der größten Wichtigkeit ist die Diät: Die Mahlzeiten 
sollen nur in Zwischenräumen von 7 Stunden eingenommen werden, 
zwischen den einzelnen Mahlzeiten darf nichts gegessen oder ge¬ 
trunken werden. Die vegetabilische Nahrung muß vorherrschen: 
Grüne Gemüse, Amylaceen, Obst, nur wenig gekochte Eier, Fleisch 
nur in mäßiger Quantität und gut gekocht, wenig Getränke, und 
zwar gegen 300 Grm. eines leichten weißen Weines mit Wasser 
gemischt, keine gashaltigen Wässer, keinen reinen Wein, keine 
Liqueure. 

Die mechanische Behandlung besteht in Anlegung eines von 
Glenard angegebenen Beckengnrtes , Massage der Bauchmuskeln 
und des Magens und Elektricität. 

Die Erregbarkeit des Nervensystems wird durch ein geeignetes 
hydrotherapeutisches Verfahren und systematische Muskelübungen 
herabgesetzt. M. 

Aus dem hygienischen Institute zu Berlin. 

Nocht (Berlin): Ueber die Verwendung von Carbol- 
seiienlösungen zu Deiinfectionsswecken. 

In der Desinfectionspraxis sind drei Sorten Carbolsäure in 
Gebraneh. Erstens die rohe Carbolsäure, zweitens die sogenannte 
lOOprocentige Carbolsäure, drittens reine, verflüssigte Carbolsäure. 
Nur das letztgenannte Präparat führt aber den Namen Carbolsäure 
mit Recht, während sowohl die rohe, wie die „lOOprocentige“ 
Carbolsäure von Phenol nur wechselnde Mengen enthalten. 

Laplace hat gezeigt, wie man die rohe Carbolsäure durch 
Zusatz von Schwefelsäure in Wasser löslich machen und so eine 
Flüssigkeit von ganz hervorragender Desinfectionskraft hersteilen 
kann. Wegon der stark sauren Eigenschaften dieser mit Schwefel¬ 
säure aufgeschlossenen, rohen Carbolsäure ist jedoch die Verwen¬ 
dung derselben nach manchen Richtungen hin beschränkt, nament¬ 
lich ist diese Mischung für die Desinfection von Kleidern, Leder, 
Polstcrsachen, polirten Möbeln etc. nicht zu gebrauchen; man ist 
daher, wenn man nicht zu der ziemlich kostspieligen, reinen, ver¬ 
flüssigten Carbolsäure greifen will, gezwungen, diese und ähnliche 
Gegenstände mit der sogenannten 1 OOprocentigen Carbolsäure zu 
behandeln. 

Bei der mangelhaften Löslichkeit der „ lOOprocentigen“ Carbol¬ 
säure in Wasser bleiben nun in den damit hergestellten wässerigen 
Desinfectionsgemischen große Mengen der Substanz ungelöst, welche 
in größeren und kleineren, mehr weniger dunklen Tropfen theils zu 
Boden sinken, theils auf dor Oberfläche schwimmen. Diese öligen 
Tropfen setzen sich nun in die behufs Desinfection mit der wässerigen 
Carbollösung durchweichten, resp. abgewaschenen Kleider, Möbel¬ 
stoffe etc. fest, namentlich Wollstoffe saugen sich mit Energie mit 
diesen ungelösten öligen Resten voll und weisen daun dunkle Flecken 
auf, welche durch Waschen nicht mehr zu entfernen sind. Schon 
dieser Umstand führt dazu, sich nach einem besseren Lösungsmittel 
für die „lOOprocentige“ Carbolsäure umzusehen. Dazu kommt aber 
noch, daß die desinficirende Wirkung solcher Lösungen wegen der 
geringen Substanzmengen, welche wirklich in Lösung übergehen, 
immer eine fragwürdige, jedenfalls wechselnde und unzuverlässige 
sein wird. 

Am einfachsten läßt sich, wie Verf. im 3. Heft des VII. Bandes 
dor „Zeitschr. f. Hygiene“ mittheilt, die vollständige Auflösung der 
„lOOprocentigen“ Carbolsäure dadurch bewirken, daß man sich eine 
heiße, wässerige Seifenlösnng herstellt und dann die Carbolsäure 
unter starkem Umschütteln, resp. Umrühren hineingießt. Es bildet 


sich fast augenblicklich eine klare Lösung von heller bis braun- 
rother Farbe, je nach der Dunkelheit der Carbolsäure, in welcher 
keine Spur von Oeltropfen mehr zu bemerken ist. 

Je concentrirter die Seifenlösung genommen wird, desto mehr 
wird auch Carbolsäure in Lösung gehalten. Dreiprocentige Seifen¬ 
lösungen lösen bei circa 60° noch bis zu 6 Procent Carbolsäure 
klar, sechsprocentige Seifonlösung über 12 Procent Carbolsäure. — 
Stoffe jeder Art — helle, dunkle, wollene Stoffe — auch feine, 
weiße Leinwand, in solche Carbolseifenlösungen hi nein gebracht, im- 
prägniren sich ganz gleichmäßig und lassen sich auch nach über 
24stflndigem Verweilen in der Lösung mit Seifenwasser wieder mit 
Leichtigkeit so vollständig auswaschen, daß sie ihre frühere Farbe 
und Aussehen wieder erhalten. Dabei bleiben sie gänzlich 
fleckenlos. 

Die desinficirende Kraft solcher Carbolseifenlösungen wurde 
an Lösungen von drei Procent und von sechs Procent Seifen¬ 
gehalt geprüft; es zeigte sich dabei, daß dor Seifengehalt nicht 
in Frage kommt, daß aber die Temperatur, bei welcher die 
Desinfection stattfindet, von wesentlichem Einfluß ist. Milzbrand¬ 
sporen, an Seidenfäden angetrocknot, können in kalten Carbolseifen¬ 
lösungen 6 Tage und länger verweilen, ohne abgetödtet zu werden, 
bei circa 50° jedoch, bei welcher Temperatur die Carbolsäure in 
völlig klarer Lösung gehalten wird, werden Milzbrandsporen durch 
eine Carbolseifenlösnng von 5proc. Carboisäuregehalt in sechs Stunden 
abgetödtet. Sporenfreie Bacterien, so Cholera- und Typhusbacillen, 
Staphylococcus aureus werden auch durch kalte Seifenlösungen von 
lVaproc. Carbolsäuregohalt in einer halben Stunde sicher abgetödtet. 

Für die Praxis empfiehlt es sich daher, da man mit dem 
Seifengehalt bis zu 3 I’rocent herabgohen kann, um bei 6 Procent 
Carbolsäuregohalt noch klare Lösuugen zu erhalten, sich 3proc. 
heiße Seifenlösnngen herzustellen, in welche dann, je nach der beab¬ 
sichtigten Stärke der desinficirenden Einwirkung, bis zu 5 Proc. der 
„lOOprocentigen“ Carbolsäure hin ein gegossen werden. In dieser 
Lösung können dann Kleider etc. bei höherer Temperatur, z. B. 
40—50°, eingeweicht gehalten, Ledorsachen mit der Lösung ab¬ 
gewaschen werden, ohne daß- die betreffenden Gegenstände Schaden 
erleiden. Sch. 


Leopold: Ueber die Annähung der retroflectirten 
aufgerichteten Gebärmutter an die vordere 
Bauohwand. 

Die große Einfachheit und Schnolligkoit des Verfahrens, der 
ungestörte Verlauf und die Zuverlässigkeit der Methode, welche 
Leopold (Volkmann’s Sammlung, Nr. 333) nun an neun sämmt- 
lich genesenen Fällen erprobt hat, veranlassen L., seiner erston 
Mittheilung über 3- von ihm operirte Fälle nun den Bericht über 
weitere 6 Ventrofixationen des retroflectirten Uterus folgen zu 
lassen und seine Erfahrungen und Anschauungen über diese ope¬ 
rative Methode der Behandlung der lletroflexio uteri wie folgt zum 
Ausdrucke zu bringen. 

Trotz der ausgezeichneten Erfolge der Ventrofixatio ist die 
nichtoperative Behandlung der Retroflexio, besonders die mit Pes- 
sarien vor der Operation, in erschöpfender Weise zu versuchen. 

Die Annähung der retroflectirten Gebärmutter an die vordere 
Bauchwand ist angezeigt: 

1. Vor Allem bei Vornahme der Castration, beziehungsweise 
Salpingotomie wegen chronischer Oophoritis und Salpingitis, mag 
dabei der retroflectirte Uterus verlöthet sein oder nicht. 

2. Bei Fortnahme von Geschwülsten, welche den Uterus dauernd 
in Retroflexionsstellung gehalten haben. 

3. Bei reiner Retroflexio des ganz beweglichen Uterus, wenn 
die Beschwerden einzig und allein auf diese zurückzuführen und 
alle anderen bekannten schonenden Behandlungsarten vergeblich au¬ 
gewendet worden sind. 

Schließlich schildert L in durch Figuren veranschaulichter 
genauer Weise die Technik der Annähung. Brecs. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


380 


Chemie der menschlichen Nahrung»- und Genuss- 
mittel. I. Theil: Chemische Zusammensetzung der 
menschlichen Nahrungs- und Genußmittel. Nach 
vorhandenen Analysen mit Angabe der Quellen zusammen¬ 
gestellt. Mit einer Einleitung über die Ernährungslehre. Von 
Dr. J. Köllig, Professor und Vorsteher der agric.-chem. Ver¬ 
suchsstation in Münster i. W. Dritte, sehr vermehrte und ver¬ 
besserte Auflage. Mit in den Text gedruckten Abbildungen. 
Berlin 1889. Julius Springer. 

Auf dem Gebiete der Nahrungs- und Genußmittel-Untersuchuug 
besitzt keine Literatur ein so großartiges Werk wie die deutsche 
es in ihrem „König“ besitzt, dessen I. Band in der dritten Auflage 
uns vorliegt. Vergleichen wir diesen ersten Band mit dem ihm 
entsprechenden der zweiten Auflage, so finden wir den Fortschritt 
in der Arbeitsleistung des verflossenen Jahrzehntes in der bedeutenden 
VolumszuDahme deutlich sich wiederspiegeln. 

Während das gesammte einschlägige analytische Material im 
ersten Bande der zweiten Auflage auf 343 Seiten Platz fand, sind 
hiezu in der neuesten Auflage nicht weniger als 958 Seiten noth- 
wendig geworden. Wer da weiß, wie mühevoll und zeitraubend 
das Sammeln eines solchen Materials zum Zwecke der möglichst 
vollständigen Wiedergabe ist, wird die Arbeit des bewährten Autors 
zu würdigen verstehen und ihm hiefür Dank sagen müssen. Häufig 
pflegen derartige Unternehmungen von denjenigen Fachleuten, welche 
ihren Namen darin vermissen, eben deswegen in ihren Be¬ 
sprechungen als nicht ganz vollständig hingestellt zu werden. König 
machte diese Erfahrung mit seiner zweiteu Auflage und wird dies 
wahrscheinlich auch mit seiner dritten thun. Hoffentlich wird er sich 
zu trösten wissen. 


F e u i 11 e t o n. 


Briefe ans England. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

London, Ende Februar 1890. 

Einen sehr interessanten Vorschlag zur Verhütung des 
Myxödems, sowie der nach Exstirpation der Schild¬ 
drüse entstehenden Kachexia strumipriva bat jüngst 
Horsley gemacht. Die Grundlage des HoRSLEY’schen Vorschlages 
findet sich in den Versuchen von Schiff und Eiselsbero , die ge¬ 
zeigt haben, daß Transplantationen von Schilddrüsen in die Bauch¬ 
höhle von Thieren im Stande sind, die Folgen der Sobilddrüsen- 
exstirpation zu verhüten, wenn die transplantirte Schilddrüse lebens¬ 
fähig bleibt. Von 9 Thieren, denen Eiselsberg Schilddrüsen in’s Mesen¬ 
terium oder in’s subperitoneale Gewebe überpflanzte und die eigene 
Schilddrüse exstirpirte, blieb nur eines am Leben. Die Scction dieser 
Thiere deckte den Grund dieses Versucbsergebnisses auf. Es fand 
sich nämlich in den 8 Fällen, in welchen die Thiere unter den Folge¬ 
erscheinungen der Schilddrüsenexstirpation zu Grunde gegangen waren, 
die überpflanzte Schilddrüse nicht eingeheilt und in einem Zustande 
von mehr oder weniger vorgeschrittener Degeneration. Nur bei dem 
am Leben gebliebenen Thiere gelang die Ueberpflanzung vollständig 
und die transp’antirte Schilddrüse war nicht degenerirt. In vier 
anderen Fällen wurde die Schilddrüse zwischen Peritoneum und 
Fascia transversa übertragen. In 3 von diesen Fällen mißlang die 
Transplantation und die Thiere gingen zu Grunde. Das am Leben 
gebliebene Thier zeigte keine Spur einer Kachexie, und die Section 
dieses Thieres zeigte, daß die transplantirte Schilddrüse ihre volle 
Lebensfähigkeit behalten hat. 

Auf diese Thierversuche gestützt, schlägt Horsley vor, bei 
Menschen, denen die Schilddrüse aus irgend welchem Grunde ent¬ 
fernt werden muß, die Schilddrüse eines Thieres in die Bauchhöhle 
zu überpflanzen. Nach Horsley ist die Schilddrüse ein wichtiges 
Organ für die Bildung des Blutplasmas, und die nach Exstirpation 
der Glandula thyreoidca rasch eintretende Anämie ist durch den 
Mangel des Schilddrüsensecrets bedingt. Das Blutplasma verliert 
seine normale Zusammensetzung und Eigenschaft, die Blutkörperchen 


Aus dem II. Bande der zweiten Auflage ist iu den gegen¬ 
wärtigen I. Band die „Ernährungslehre“ verlegt und entsprechend 
den Fortschritten dieses physiologischen Wissenszweiges verändert. 

Doc. Dr. Nevinny. 

Anleitung zu chem.-diagnostischen Untersuchungen 
am Krankenbette. Von Dr. H. Tappeiner, Professor an 
der Universität München. Mit 8 Holzschnitten. Vierte, ver¬ 
mehrte und verbesserte Auflage. München 1890. M. Rieger¬ 
sehe Universitäts-Buchhandlung (Gust. Himmer). 

In diesem kleinen Buche, das soeben in vierter, vermehrter 
und verbesserter Auflage vorliegt, gibt der Verf. eine gedrängte 
übersichtliche Darstellung aller jener chemischen Untersuchungs¬ 
methoden, welche heutzutage von jedem Arzte praktisch geübt werden 
und einen wichtigen Factor bei Formirung der Diagnose in zahl¬ 
reichen Krankheitsfällen ausmachen. Wir finden eingehend besprochen 
alle wissenswerthen Eigenschaften des normalen Harnes, sowie die 
einzelnen Reactionen auf dessen pathologische Producte, unter denen 
auch die seltener vorkommenden aufgeführt erscheinen. Weiters 
gibt Verf. Anleitungen für mikro chemische Untersuchungen der 
Sedimente und Harnconcremente, sowie für die Prüfung der Contenta 
des Digestionstractus (Speichel, Mageninhalt, Fäces) und patholo¬ 
gischen Flüssigkeiten (Transsudate und Exsudate, Inhalt von Cysten, 
Hydronephrosen und Ecchinococcenblascn). Die Vollständigkeit des 
Inhalts nebst der bequemen äußeren Form dieses Büchleins werden 
dasselbe sicher zu einem willkommenen Behelf für den Praktiker 
machen. G. 


entwickeln sich unvollständig, daher die Anämie. Diesen, sowie 
allen anderen durch die ThyreoYdectomie bedingten Uebelständen soll 
nun durch die Transplantation der Schilddrüse eines Thieres abge¬ 
holfen werden. 

Horsley wählt hiezu das Schaf, dessen Schilddrüse, ihrem 
anatomischen Baue nach, der des Menschen am nächsten steht. Be 
kanntlich tritt auch beim Schafe nach Exstirpation der Schilddrüse 
ein der Kachexia strumipriva des Menschen ähnlicher Zustand ein. 
Horsley glaubt, daß, wenn die Transplantation unter streng anti¬ 
septischen Cautelen ausgeführt wird, die Operation ein e ganz gefahr¬ 
lose ist. Er empfiehlt, blos einen oder nur einen halben Lappen zu 
transplantiren, weil dadurch der Erfolg begünstigt wird. Gelingt 
die Transplantation, so hypertrophirt ja das überpflanzte Schild 
drüsenstück ohnehin. Tritt letzteren nach einigen Monaten nicht ein 
oder atrophirt gar das überpflanzte Stück, dann muß die Traus 
plantation wiederholt werden. Ob sich der Vorschlag Horsley’s 
in praxi bewähren wird, das müssen Versuche am Menschen lehren. 

Ueber die Entstehung von Duodenalgeschwüren 
nach ausgedehn ten Verbrennungen hat jüngst William 
Hünter in der Pathological society eine auf vielfache Thier¬ 
versuche gegründete Mittheilung gemacht. Die nach ausgedehnten 
Verbrennungen vorkommenden Duodenalgeschwüre wurden von 
manchen Autoren darauf zurüokgeführt, daß durch die Unterdrückung 
der Hautfunction in einer großen Ausdehnung eine Hypersecretion 
der BRUNNER’schen Drüsen stattfindet, in Folge deren eine Ent¬ 
zündung und Ulceration des Duodenums entsteht. Andere wieder 
haben die in Rede stehenden Geschwüre auf eine Erkrankung des 
Sympathicus zurückgeführt. 

Die Versuche Hunter’s liefern aber hinreichende Beweise gegen 
diese Ansichten. Hunter hat einem Hunde 3—5 Grm. Toluylen¬ 
diamin subcutan mjicirt und das Thier nach einer Woche getödtet. 
Bei der Section fand sich eine ausgesprochene Entzündung des 
Duodenums, die Hunter durch eine directe Einwirkung des durch 
die Galle ausgeschiedenen Giftes erklärt. In anderen Fällen zeigten 
die Thiere Ulcerationen im Duodeuum; mikroskopisch konnten aber 
keine Substanzverluste an diesen Stellen, sondern nur starke Con- 
gestion der Darmschleimhaut um die Drüsen nachgewiesen werden. 
Nun wurden auch bei tödtlichen Fällen von Duodenitis nach aus¬ 
gedehnten Verbrennungen ähnliche Ulcerationen beschrieben, die in 
der Gegend der VATER’schen Ampulle saßen. Da die Veränderungen 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 10. 


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des Blutes bei Verbrennungen dieselben sind wie nach iDjection von 
Toluylendiamin, so ist Hunter der Ansicht, daß in beiden Fällen 
die Congestion des Darmes in der gleichen Weise zu Stande kommt. 
Diese Veränderungen des Blutes entstehen in Folgo der Einwirkung 
des Toluylendiamins auf die Blutkörperchen, das Gift geht dann in 
die Galle über und reizt die Darmscbleimhaut. Bei den Ver¬ 
brennungen sind die Veränderungen des Blutes theils durch die hohe 
Temperatur, theils durch Resorption von Ptomainen bedingt, die bei 
der Zerstörung der Gewebe entstehen. Diese Ptomaine Übergehen 
dann in die Galle und reizen bei ihrer Ausscheidung die Darm¬ 
schleimhaut. 

In der Royal medical and chirurgical society theilte 
jüngst Dr. James Cagney die Resultate seiner Untersuchungen über die 
Wirkung der Suspension auf die Wirbelsäule und 
das Rückenmark mit. Die zahlreichen Versuche und Messungen 
an Leichen und Lebenden haben ergeben, daß die Suspension eine 
Verkürzung des Raumes zwischen dem ersten Brust- und dem letzten 
Lendenwirbel erzeugt. In der Gegend der Brustwirbelsftule zeigen 
die Wirbelkörper während der Suspension die Neigung, sich von 
einander zu entfernen, während die Dornfortsätze sich einander nähern. 
Es findet demnach während der Suspension keine Verlängerung, 
sondern eine Verkürzung des Wirbelcanals und folglich auch eine 
Relaxation des Rückenmarkes statt. Eine solche Relaxation kann 
auf die Sclerose der Hinter-, eventuell auch der Seitenstränge in zwei¬ 
erlei Art einwirken: mechanisch, durch Zerreißung von Adhäsionen, 
und durch Beseitigung von Widerständen und dadurch bedingte Er¬ 
leichterung der Circulation. Der Splanchnicus ist der einzige Nerv, 
der während der Suspension gestreckt wird, und dieser Dehnung 
des Splanchnicus schreibt Cagney manche üble Zufälle während 
der Suspensiou zu. Die Suspension am Kopfe ist gefährlich; am 
besten und wirksamsten ist die Suspensiou an den Achselhöhlen. 

—w. 


Kleine Mittheilungen. 

— In einer der jüngsten Sitzungen des Vereines St. Peters¬ 
burger Acrzto berichtete Dr. de la Croix über die Resultate der 
von ihm geübten combinirten Behandlung der Lungentuberculose 
mit Cre080t Und Terpentinöl. Er läßt das Creosot mit Tinct. 
amara, Spir. vin. rectif. und Madeira nehmen (zu 2 Grn. pro dosi 
in jedem Löffel der Mixtur), beginnend mit 1 Löffel täglich, all- 
raälig ansteigend bis 7 und 8 Löffel täglich (in manchen Fällen 
auch darüber). Verdauungsstörungen hat er selbst bei großen Gaben 
nur selten gesehen; zuweilen konnte sogar eine Abnahme der 
vorher bestandenen Durchfälle beim Creosotgebrauch constatirt 
werden; auch von den Nieren wurde das Creosot stets gut ver¬ 
tragen. Gleichzeitig mit der Darreichung des Creosots läßt Verf. 
8flmmtliche Tuberculöse Terpentin inhaliren, in der Weise, daß das 
Taschentuch mehrmals täglich mit Terpentinöl getränkt und der 
Kranke angewiesen wird, dasselbe beständig vor Mund und Nase 
zu halten ; diese einfachen Inhalationen behagen den Kranken meist 
so gut, daß sie dieselben mit großem Fleiße ausführen, ja während 
des Schlafens die Nase fest in das auf das Kopfkissen gelegte 
Taschentuch drücken; es wird dadurch zugleich die Luft des Kranken¬ 
raumes mit Terpentindämpfen erfüllt; eine schädliche Wirkung dieser 
Einathmungen auf die Nieren hat Vottr. niemals gesehen. Die an¬ 
gegebene Behandlung äußert alsbald einen sehr günstigen Einfluß 
auf die Temperatur, den Husten, das Körpergewicht und das sub- 
jective Befinden der Tuberculösen; 66°/ 0 der Behandelten verließen 
nach einigen Wochen das Hospital als gebessert, die Meisten von 
ihnen waren w'ährend der letzten Wochen vor ihrer Entlassung 
fieberfrei. Die Kranken fühlen die Besserung selbst so deutlich, 
und gewinnen bald ein solches Vertrauen zur Behandlung, daß sie, 
wenn die Verhältnisse es ihnen gestatten, die Cur zu Hause fort¬ 
setzen oder aber sich sofort wieder der Hospitalhehandlung unter¬ 
ziehen , sobald sie sich schlechter fühlen. Durch die erfreulichen, j 
bei der Tuberculöse erzielten .Resultate ermuthigt, hat Vortr. die- 1 
selbe Behandlungsweise auch bei anderen Lungenkrankheiten: bei j 
putrider Bronchitis, Bronchiectasien, Lungengangrän nach croupöser j 
Pneumonie etc., und zwar mit sehr befriedigendem Erfolge angewandt. I 


— Dr. Dirska (Namslau) theilt in Nr. 8 der „Berl. klin. 
Wocb.“ eine von ihm seit 17 Jahren geübte Behandlung der P08t- 
partum-Blutungen mit, für deren Zuverlässigkeit der Umstand 
spricht, daß von den tlber 30 so behandelten Fällen von centraler 
Placenta praevia nicht einer tödtlieh endete. Das Verfahren ist 
folgendes: Nach völliger Entleerung des Uterus, bei centraler Placenta 
praevia durch Accouchement force , umgreift Verf. den Uterus fest 
mit der Hand, bringt mit der anderen je zwei bis drei wallnu߬ 
große Eisstücke in den Uterus und den obereu Theil der Vagina 
und erhält sie einige Minuten in ihrer Lage. Er bediente sich 
stets glasharten, absolut durchsichtigen, klaren Eises. Den Uterus 
hält er etwa eine Viertelstunde comprimirt; derselbe neigt fast nie 
zur Ausdehnung, die hohe Temperaturdifferenz, circa 40 Grad — 
gegenüber circa 12 Grad bei Heißwasser — und gleichzeitige Com- 
pression von außen und innen üben einen sehr mächtigen Reiz auf 
die contractilen Elemente der Gebärmutter aus. Die Blutung stand 
immer sofort und dauernd. Die Eisstückchen wirken nur so lange 
als Fremdkörper, als sic diesen Reiz ausüben, und Verf. glaubt, 
daß Leere der Gebärmutter wohl mit die wichtigste Vorbedingung 
für die Blutstillung in der Nachgeburtsperiode ist. Schon einige 
Blutgerinnsel hindern oft eine genügende Contraction. Eine Störung 
im Verlaufe des Wochenbettes hat er hienach nicht gesehen, und 
man möchte daraus schließen, daß die hier in Betracht kommenden 
Mikroben in klarem, festem Eise ihre Lebensbedingungen nicht 
finden. Wo aseptisches — künstliches — Eis zu haben ist, oder, 
wie in Anstalten, vorräthig gehalten werden kann, würde dieses 
Bedenken ganz fortfallen, aber im Nothfalle, d. h. wenn die sonstigen 
Blutstillungsmethoden im Stiche lassen, ist ein geringes Risico dem 
sicheren Tode vorzuziehen. Durch nachträgliche Spülung mit eis¬ 
kalten , antiseptischen Medien wird das Risico noch vermindert; 
letztere allein haben nicht annähernd die Wirkung des Eises. Nur 
das Eis als fester Körper vermag auf die Gefäßlumina zu wirken, 
jedes flüssige Agens wird durch das permanent ausströmende Blut 
ferngehalten. 

— John Gordon empfiehlt im „Brit. med Journ.“ vom 
7. Januar 1890 das Antifebrin als Hypnoticum bei Kindern. Die 

hypnotische und analgetische Wirkung des Mittels trat besonders in 
Fällen von Bronchopneumonie, croupöser Pneumonie und Bronchitis 
bei Kindern hervor. Fälle von hartnäckiger Schlaflosigkeit bei 
jtlngeren Individuen, in Folge von Schmerzen, Fieber oder anderen 
Ursachen, wurden rasch gebessert. Es trat ein 6—8stündiger er¬ 
frischender , ruhiger Schlaf ein, aus dem die Kranken gekräftigt 
erwachten, ohne eine Spur von Aufregung oder psychischer Störung 
zu zeigen. Gleichzeitig mit dem Eintritt des Schlafes wurde auch 
die Temperatur herabgesetzt; häufig erfolgte auch eine profuse 
Transpiration, die von einer Verlangsarauug der Respiration und 
Pulsfrequenz gefolgt ist. Irgend eine üble Nebenwirkung hat G. 
vom Antifebrin nie gesehen, obgleich er es bei einer großen Anzahl 
von Kranken angewendet hat. G. glaubt, daß das Antifebrin be¬ 
rufen ist, eine fühlbare Lücke als Schlafmittel in der Kinderpraxis 
auszufUllen, und zwar um so mehr, als es geschmacklos ist und 
in sehr geringen Dosen angewendet wird (0*15—0 30). Man läßt 
das] Pulver allein oder mit Zucker gemischt auf den Zungon- 
rllcken aufschütten, oder kann es auch in Form einer Mixtur unter 
Zusatz von Schleim und einem Syrup verordnen. 

— Die Behandlung von Neuralgien mittelst Chloroform- 
injectionen wurde von Dr. Stedman („Deutsche Med. - Ztg. M , 
Nr. 16) in 8 Fällen geübt. Sämmtliche Kranke wurden durch 
tiefe Injectionen von 1 / 2 —1 Grm. Chloroform gebessert. In einem 
Falle dauerte die Besserung 15 Stunden, in einem anderen 24 Stunden 
an. Mit Ausnahme eines geringen schmerzhaften Oedems scheinen 
die Einspritzungen keine Örtliche Störung verursacht zu haben. Zwei 
Kranke wurden geheilt, die anderen konnten gebessert entlassen 
werden ; allerdings muß erwähnt werden, daß Verf. neben den Chloro- 
forminjectionen auch andere Mittel, wie Jodkali, Toniea etc. an¬ 
wandte. Bei einer dritten Beobachtung (Ischias), bei welcher Verf. 
nach der Injection von Chloroform in den folgenden Tagen eine 
Einspritzung von 0‘01 Morphium applicirt hatte, zeigte das Chloro¬ 
form einen viel merklicheren Effect. 

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Nr. 10. 


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— Tinctura Naregamiae ist ein neues Expectorans, das 

von einer in Goa vorfindlichen, Naregamia alata benannten Pflanze 
berrührt und das nach einer Mittheilung des Dr. Schoengut im 
Märzhefte des „Obi. f. Tber.“ auf der Abtbeilung des Prof. Dbasche 
in 24 Fallen angewendet wurde. Das Mittel wurde in Dosen von 
1—3 Grm. taglieh nach folgender Formel verabreicht: 

Rp. Tinct. Naregam. . . . 1*0— 3‘0 

Aq. lauroceras.10 - 0—20'0 

S. Stündlich 10 Tropfen. 

Das Mittel hat sich als gutes Expectorans bewährt, und zwar haupt¬ 
sächlich dort, wo entweder bei geringem Secret in den Luftwegen 
ein großer Hustenreiz bestand, oder ein zähes, stagnirendes Sputum 
die Expectoration erschwerte. Bei Herzkranken, worunter 2 Fälle 
von Fettherz inbegriffen, bei denen Catarrhe der Luftwege be¬ 
standen , zeigte sich Naregamia von recht guter Wirkung. Bei 
Emphysem der Lunge wirkte Tinct. Naregamiae besonders gut, nur 
in einem Falle, bei einer alten marantischen Frau, die schon früher 
dyspeptische Zustände hatte, trat jedesmal Erbrechen, selbst nach 
geringen Dosen, auf. Bei Tubereulose konnte manchmal eine vor¬ 
übergehende Erleichterung der Expectoration bemerkt werden. Ein 
Tuberculöser klagte über Uebelkeiten und Eingenommensein des 
Kopfes, welche Symptome nach Aussetzeu des Mittels schwanden. 
Bei einigen Patienten trat nach der gewöhnlichen Dosis von 3 Grm. 
pro die quälender Hustenreiz auf. der, gleich wie das zuweilen auf¬ 
tretende lästige Kratzen im Schlunde, nur von der reinen Tinctur 
bewirkt wird, bei Verdünnung des Mittels mit Aq. laurocerasi aber 
ausblieb. Bei Pneumonie wurde Naregamia im Resolutionsstadinm 
bei reichlich vorhandenem Rasseln aDgewendet, wurde gern genommen 
und schien die Expectoration zu begünstigen. Unter Einwirkung 
der Naregamia nahm das Sputum an Menge zu, gleichzeitig wurde 
es dünnflüssiger und weniger zähe. Auf die Ciroulation, die Dige¬ 
stionsorgane und den Urin übt die Naregamia keinen sichtlichen 
Einfluß. Eine toxische Wirkung ist ihr nicht eigen. Ob Naregamia 
den bisher gebrauchten Expectorantien den Rang streitig machen 
wird, muß vorläufig dahingestellt werden, jedenfalls dürfte es in 
Fällen, wo bereits viele andere Mittel mit wechselndem Erfolge be¬ 
nützt wurden, oder wo eine Idiosyucrasie gegen gewisse Mittel be¬ 
steht, eine willkommene Bereicherung des Arzneischatzes bilden. 

— A. Olando Jones bespricht im „Brit. med. Journ.“ vom 
li. Januar d. J. die Wirkung des Cactus grandiflorus bei manchen 
Formen von Herzkrankheiten. Während die Digitalis bei allen 
sthenUcben Formen, die mit einer Ueberreizung des Herzens ver¬ 
bunden sind, angezeigt ist, eignet sich Cactus grandiflorus wegen 
seiner die Herzthätigkeit beschleunigenden Wirkung bei allen asthe 
nischen Zuständen des Herzens. Der erste Fall, bei dem Verf. dieses 
Mittel anwendete, betraf einen 13jährigen, schwächlichen, scrophu- 
lösen Knaben mit sehr schwacher Herzthätigkeit. Unter Anwendung 
des Cactus grandiflorus nahm die Energie der Herzthätigkeit rasch 
zu und die Entwicklung des Knaben nahm einen erfreulichen Gang. 
Der zweite Fall betraf einen 60jährigen Mann, der an einem Mitral¬ 
fehler litt und vor Schwäche zu keinerlei Muskelarbeit fähig war. Die 
Verabreichung des Cactus besserte in kurzer Zeit den Kranken derart, 
daß er dann durch mehrere Jahre arbeiten konnte. Im dritten Falle 
handelte es sich um einen Mann, dessen Zustand ein trostloser war. 
Es bestand eine Leberkrankheit mit allgemeinem Hydrops und einer 
solchen Herzschwäche, daß die Herztöne kaum hörbar, der Puls 
kaum fühlbar war. Nachdem mehrere Paracentesen des Bauches 
ausgeführt worden waren, trat auf Cactusbehandlung eine rapide 
Besserung ein. In den letzten 6 Jahren wurde der Kranke noch 
mehrmal paracentesirt, aber die Menge der angesammelten Flüssig¬ 
keit nahm immer mehr ab. Der vierte Fall betrifft ein 20jähriges 
Fräulein, das während eines Anfalles von Rheumatismus an Endo- 
carditm erkrankte. Cactus, mit Alkalien combinirt, brachte die 
bereits vorhandenen Symptome einer Mitralläsion rasch zum Schwinden. 
J. empfiehlt die therapeutischen Eigenschaften des in Jamaica und 
Vera-Cruz einheimischen Cactus grandiflorus näher zu studiren und 
prognosticirt dieser Pflanze eine gewisse Rolle in der Therapie der 
Herzkrankheiten. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. 

(Original-Bericht üer „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 24. Februar 1890. 

Prim. Neusser: lieber Anämien mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der 0ifferentiaidiagno8e. 

III. 

Ueber pernieiöse Anämie. (Schluß.) 

Die Erscheinungen von Seite des Circuladonsapparates be¬ 
ziehen sich auf die bei jeder hochgradigen Anämie vorfindlichen 
Veränderungen, hie und da nachweisbare Dilatation des Herzens 
und laute anämische Geräusche über dem Herzen und den Hals¬ 
gefäßen. Das sogenannte anämische Fieber scheint mit dem Unter¬ 
gang zahlreicher rother Blutkörperchen in unmittelbarem Zusammen¬ 
hänge zu stehen. Es könnten hiebei direct die Derivate des 
Hämoglobins dadurch toxisch pyogen wirken, daß sie geraden 
Weges das Wärmeregulationscentrum im Gehirne treffen, oder aber 
es könnte das Hämoglobin, beziehungsweise dessen Zerfallsproducte 
auf die Leukocythen und Hämatoblasten zerstörend einwirken und 
durch Freiwerden des Fibrinfermentes eine Fermentintoxication des 
Körpers erzeugt werden. Durch diese Autointoxication könnten 
auch manche andere Symptome hinreichende Erklärung finden, 
namentlich Embolien und Thrombosen der kleinen Gefäße, die zu 
capillären Blutungen führen, und manche andere schwere nervöse 
Begleiterscheinungen. Gerade diese Vereinigung von Fieber und 
Embolien bei pernieiöser Anämie kann an uns unter Umständen die 
Lösung einer differential-diagnostisch schwierigen Aufgabe stellen. 
Es gibt Fälle von Eudocarditia ulcerosa mit dem Sitze an der 
Mitralklappe, deren klinisches Bild sich fast vollständig mit dem 
solcher fieberhafter pernieiöser Anämie decken kann, umsomehr, als 
das für die Diagnose der Endocarditis überhaupt so wichtige ätio¬ 
logische Hilfsmoment, nämlich der Geleuksrheumatismus, gerade bei 
dieser septischen Form fehlen kann. Der Herzbefund kann bei 
beiden Erkrankungen täuschend ähnlich sein. Die Anämie ist ge¬ 
wöhnlich bei Endocarditis ulcerosa hochgradig, namentlich in protra- 
hirten Fällen, der Milztumor ein beiden Krankheiten gleich zu¬ 
kommendes Symptom. Die Hämorrhagien der Haut und Retina, 
welch letztere sich vielfach einer besonderen diagnostischen Be¬ 
rühmtheit erfreuen, erscheinen durchaus nicht für pernieiöse Anämie 
charakteristisch. Sie finden sich ja nicht blos bei Endocarditis ulcerosa, 
sondern bei schweren Anämien im Allgemeinen. 

In solchen Füllen gibt es zwei Momente, die für die Differential- 
diagnoso von Wichtigkeit sind: erstens bestehende Herzarhythmie 
begleitet von Temperatursteigerung, zweitens die Beschaffenheit des 
zweiieu Tones an der Herzspitze. Dieser ist bekanntlich nach den 
Ansichten der Wiener Schule der fortgeleitete zweite Ton der großen 
Gefäße. So lange die Aorta und Pulmonalklappen schließen, liegt 
kein Grund für die Schwächung des zweiten Mitraltones vor. Wenn 
aber die Mitralklappe krank ist und in Folge der Verdickung 
während der Diastole in das Lumen des Klappenostiums hineinragt, 
wird Gelegenheit geboten zur Bildung pathologischer Schwingungen 
der Klappe während der Diastole. Diese Schwingungen können den 
fortgeleiteten zweiten Mitralton bedeutend abschwächen, zum Ver¬ 
schwinden bringen, unter Umständen sogar eine Verlängerung des 
systolischen Geräusches in die Diastole bewirken. Dieses eigen- 
thümliche Verhallen des zweiten Mitraltones erhält also seine große 
Bedeutung für die Diagnose der Endocarditis, wie es überhaupt zur 
Unterscheidung accidenteller und organischer Geräusche an der 
Herzspitze von Werth ist. N. erklärt dieses Phänomen durch Inter¬ 
ferenz der Töne mit den Geräuschen, welch letztere eine Summe 
von Partialtönen vorstellen, oder dadurch, daß ein Schall von einer 
anderen Wellenstheilheit und Schwingungsform entsteht, der durch 
die leitenden Weichtheile des Thorax schwerer fortgepflanzt und 
deshalb auscultatorisch weniger oder gar nicht wahrgenommen wird. 

Das Blut der an pernieiöser Anämie Erkraukten ist im 
höchsten Grade blaß, wässerig, gerinnt fast gar nicht. Die Zahl 
der rothen Blutkörperchen ist mitunter ad minimum (unter eine 
i halbe Million) gesunken, jedenfalls sehr stark herabgesetzt. Ihre 


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rothen Blutzellen zeichnen sich durch die Ungleichmäßigkeit ihrer 
Größe und Form aus: Makrocythosis, Mikrocythosis, Poikilocythosis. 
Der absolute Hämoglobingehalt ist sehr niedrig, doch hält seine 
Abnahme nicht gleichen Schritt mit dem Percentgehalt an rothen 
Blutkörperchen. Demgemäß fast ausnahmslos erhöhte Färbekraft. 
Diese Erhöhung der Färbekraft hängt beinahe ausschließlich vom 
Reichthum an Megalocythen ab. Diese repräsentiren ja nur ein 
Blutkörperchen für die Zähluug, aber dieses Blutkörpercheu ist 
hämoglobinreich, entsprechend seinem Riesenwuchs. Es ist sogar 
vielleicht reicher an Hämoglobin, als es seiner Größe entspricht. 
Beides kann jedoch nur dann möglich sein, wenn der Organismus 
über genügende Mengeu Eisen verfügt. Bei Eisenmangel wird diese 
Erhöhung der Färbekraft fehlen. Unter Umständen kann letztere 
sogar unter das Normale sinken, d. h. eine pernieiöse Anämie kann 
chlorotisch werden. Darum ist es auch in diesen seltenen Fällon 
möglich, durch Eisenzufuhr den Hämoglobingehalt, aber auch die 
Färbekraft des Blutes zu steigern, und diese Thatsaelic gibt zur 
Warnung Anlaß, den Befund der erhöhten Färbekraft des Blutes 
für die Differentialdiagnose nicht zu überschätzen. Obgleich er io 
den meisten Fällen von pernieiöser Anämie vorkommt, gibt es doch 
Ausnahmsfelle, in welchen die Färbekraft unter das Normale, bis 
auf die Hälfte des normalen Index sinkt, gerade so wie bei Chlorose. 
Hier ist weniger die Verarmung des Organismus an Eiseu, als 
vielmehr die numerische Prävalenz der Mikrocythen im Vergleich 
zur Zahl der Megalocythen im Spiel. Solche seltene Formen von 
pernieiöser Anämie zeigen, daß man mitunter in die Situation kommt, 
eine möglicher Weise zur Genesung führende pernieiöse Anämie von 
tödtlioher Chlorose nicht zu differenziren. In diese Zwangslage 
können wir um so eher versetzt werden, als es Chlorosen gibt, bei 
welchen die Zahl der rothen Blutkörperchen ebenfalls unter eine 
Million sinken kann. In solchen Fällen kann nebst der Zahl der 
Hämatoblasten auch dasselbe relative Zahlenverhältuiß der kleineu 
zu den großen Hämatocythen und ihre Beziehungen zur Färbekraft 
nebst Eisenwirkung in’s Gewicht fallen. Annähernd gleichmäßig 
mit den rothen Blutkörperchen sinkt auch die Zahl der weißen Blut¬ 
zellen bei pernieiöser Anämie, und gerade hierin liegt ein wichtiges 
diagnostisches Moment im Gegensatz zu den seenndären Anämien, 
insbesondere denjenigen Formen, welche protrahirte Sepsis begleitet. 
Im letzteren. Fa Ile setzt die Leukocythose mit den ersten Symptomen 
der Erkrankung ein, sie schreitet mit dem Verlauf derselben fort. 
Pokilocythose und relativ spät erst prämortal erscheinende rothe 
Blutkörperchen von normalem, wie megaloblastischem Typus bringen 
einen Blutbefund mit sich, der jenem der pernieiösen Anämie sehr 
nahe steht. 

In solchen Lagen ist das Vorhandensein von frühzeitiger hoch¬ 
gradiger Oligocythämie mit hoben Hämoglobinwerthen und den in 
Zerfall begriffenen Megaloblasten für die Diagnose der pernieiösen 
Anämie ausschlaggebend, andererseits aber spricht für Sepsis eine 
gleich bei Beginn der Erkrankung in den Vordergrund tretende 
Leukocythose, der Mangel eines höheren, für pernieiöse Auämie 
charakteristischen Grades von Oligocythämie und schließlich der 
bacteriologische Nachweis der im septischen Blute überhaupt vor- 
findlichen Mikroorganismen. Daß dieselben differentialdiagnostischen 
Kriterien auch denjenigen Fällen zugute kommen, in welchen die 
Diagnose zwischen pernieiöser Anämie und Endocarditis septica 
schwankt, entspringt dem Wesen und der Aetiologie der Endocarditis 
und bildet einen Nachtrag zu der bereits früher besprochenen diffe¬ 
rentiellen Diagnose beider Erkrankungen. 

Ein weiterer Punkt, der für die Differentialdiagnose, sowie 
für die Prognose sämmtlicher Anämien von Wichtigkeit ist, ist das 
Auftreten kernhaltiger rother Blutkörperchen; nach Hayem ist dieses 
bei Erwachsenen ein Symptom pessimi ominis, unter Umständen ein 
Symptom des herannahenden Todes. 

Bei Säuglingen hingegen erscheinen auch im Gefolge selbst 
benigner Anämien kernhaltige rothe Blutkörperchen im Blute, ohne 
ein bedrohliches Symptom vorzustelleD. Diese Ansicht theilt N. 
nicht, denn das Vorhandensein kernhaltiger rother Blutkörperchen 
ist doch ein normaler Befund im embryonalen Blute Neugeborener. 
N. hält es für wahrscheinlich, daß die Blutregeneration je nach dem 
Alter des Individuums eine doppelte Bahn einschlagen kann. Beim 


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Embryo, Neugeborenen und vielleicht auch beim Säugling macht 
sich der embryonale Typus der Blutregeneration, nämlich durch 
Kcrnbildung und Ausstoßung des Kernes geltend. Beim Erwachsenen 
hingegen scheint die Blutregeueration ausschließlich durch die 
Bildung der Hämatoblasten als unmittelbare Vorstufen der rothen 
Blutkörperchen zu erfolgen. Als Beweis dafür, daß das Auftreten 
kernhaltiger rother Blutkörperchen bei Erwachsenen nicht schlechter¬ 
dings zu einer Prognosis infaustissima berechtigt, führt N. einige 
Fälle von Vergiftungen an, aus denen hervorzugeben scheint, daß, so 
lange die Form der kernhaltigen rothen Blutkörperchen die Größe 
eines normalen rothen Blutkörperchens nicht überschreitet, und so 
lange der Kern mit Farbstoffen intensiv färbbar ist, der Schluß be¬ 
rechtigt erscheint, daß eine zweckmäßige und vielleicht auch erfolg¬ 
reiche Regeneration des Blutes besteht. Die Bedeutung des Auf¬ 
tretens dieser Zcllgattung hängt auch vom Alter des Individuums 
ab; je jünger dasselbe, desto leichter kehrt dio Blutneubildung auf 
den embryonalen Typus zurück, je älter das Individuum, desto 
mehr über wiegt der Typus der Regeneration durch dio Hämato¬ 
blasten. S. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 22. Februar 1890- 

Or. W. GOLDZIEHER demonstrirt 2 Fälle von Keratitis 
superficialis punctata. Diese im vorigon Jahre in Wien 
mehrfach beobachtete und verschieden benannte Krankheit zeigt sich 
auch iu Budapest. Nach einer acuten Coryza oder Bronchitis tritt 
eine Ophthalmia catarrbalis auf, mit deren Nachlassen der Kranke 
wieder über Schmerzen und Schlechtsehen klagt. Außer Ciliar- 
injection ist mit freiem Auge nichts zu sehen; bei focaler Beleuch¬ 
tung aber gewahrt man die unebene Oberfläche der Cornea und 
kleine Flecken in den oberflächlichen Schichten. Das Auge verträgt 
äußer Atropin, welches zur Schmerzlinderung dient, und warmen 
Umschlägen keine locale Behandlung. Hiebei regonerirt sich das 
Epithel, aber die Flecken verschwinden erst nach längerer Zeit. 
Vortr. hat bisher 3 Fälle beobachtet. 

Dl*. G. DlRNER zeigt einen wegen Carcinom exstir- 
pirten Uterus, bei welchem die nachträgliche Untersuchung 
adenomatöse Entartung naohwies. Außerdem befanden sich im Cervix 
mehrere kleine und im Fundus ein größerer Polyp, deren Blutungen 
nach einer eventuellen partiellen Abtragung zugenommen und die 
Diagnose nicht wenig erschwert hätten. Tuben und Ovarien wurden 
geschont. Mit Ausnahme einer Temperatursteigerung von 39° am 
2. Tage nach der Operation fieberfreier Verlauf. Heilung am 28. Tage 
nahezu vollendet. 

Or. K. Acz£l zeigt das anatomische Präparat einer Thrombo- 
phlebitis purulenta venae portae von einem 28jährigen 
Manne, welcher an Icterus catarrhalis mit Schüttelfrösten gelitten 
hatte. In der durch Pseudomembranen an die Umgebung befestigten 
Leber fanden sich zahlreiche hirse- bis haselnußgroße Eiterherde; 
Thrombose der Vena portae, deren Verzweigungen die Abscesse 
entsprechen; Gallensteino im Ductus cysticus und choledochus; im 
Dickdarm Follicularcatarrh; in den oberen Hämorrhoidalvenen 
eitrige Thromben. Vortragender leitet aus dem Follicularcatarrh die 
eitrige Entzündung der Hämorrhoidalvenen ab, welche zu Metastasen 
in der Vena portae und Leber geführt hat. 

Dl*. J. AboNYI zeigt das Bromäthyl vor, welches er in 
500 zahnärztlichen Operationen als rasch wirkendes und kurz 
dauerndes Anaestheticum angeweudet hat. 

Dr. J. Neumann: Die Behandlung der Kehlkopftuberculose. 

Der Vortragende berichtet über seine 3jährigen Beobachtungen 
auf der Abtheilung von Prim. Prof. Navratil: 

VaProc. Zinksulfat, gemischt mit 1—2proc. CocaYn, 
leistet gegen den Kehlkopf- und Trachealcatarrh der Tuberculösen 
gute Dienste. 

Mit Jodoformeinblasungen wurden in 60 Fällen ausge¬ 
dehnte Kehlkopfgcschwüre behandelt, welche sich schön reinigten 
und theilweise mit Epithel bedeckten; jedoch kam es wegen allge- 


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meiner Schwäche der Kranken zu keiner Heilung. Die schmerz¬ 
stillende Wirkung dos Jodoforms auf die Geschwüre ist oft über¬ 
raschend. Vom Pulver muß ziemlich viel eingeblasen werden; un¬ 
angenehm ist dessen Geruch. 

Jodol mit der gleichen Menge pulverisirter Borsäure hat 
sich bei 300 Kranken als ein milderes Mittel bewährt, welches keine 
unangenehmen Nebenwirkungen bat und überall anwendbar ist, wo 
von eingreifenderem Verfahren keine Rede sein kann. 

Menthol, als 20proc. ölige Lösung, wird vom Kehlkopf 
nicht gut vertragen. Zoigt keine besondere Wirkung. 

In den qualvollen Endstadien der Krankheit, wo die Anti- 
scptica nicht genügend schmerzstillend sind, leistet das 5—löproe. 
Cocain gegen Oedcm, Entzündungen und Infiltrate wohlthätige 
Dienste, indem der Kranke die 20—30 Miuuten dauernde Analgesie 
zum Essen benützen kann; aber es dürfen nur die schmerzhaften 
Stellen damit berührt werden, denn wenn der weiche Gaumen vom 
Anacsthcticum getroffen wird, so wird das Schlingen erschwert. Bei 
der dritten Einpinsclung wird nach 8 Min. auch mit dem Einblasen 
der Antiseptica begonnen, um die Wirkung anhaltender zu machen. 

Morphin, gemengt mit Pulvis gummosus oder Jodol- 
Borsäure, wurde seltener gebraucht. Ausgezeichnet schmerzstillend 
wirken auch Eisumschläge und Eispillen, wenn sie nicht 
zum Husten reizen. 

Die von Mor z Schm dt behufs Schmerzslillung empfohlenen 
Scarificationen bei infiltrirter Epiglottis oder Larynx konnte er ent¬ 
behren. Bei mäßigem Fieber und umschriebenen Geschwüren ge¬ 
braucht Krause 30-, (50- und BOproc. Milchsäure, welche nur die 
tuberculösen Stellen angreift. Nach mehrmaligen Einreibungen be¬ 
kommt man einen größeren Dcfcct, aber mit gereinigtem Grunde, 
welcher sich danu mit Epithel bekleidet. Es pflegt darnach Heiser¬ 
keit aufzutretou. Von 50 Kranken blieben 3 durch längere Zeit 
geheilt, 25—30 besserten sich, aber ein Theil präsentirte eich 
wieder mit Recidiven und ging zu Grunde. 

Die Milchsäure ist nie schädlich, bowährt sich aber nur bei 
Geschwüren; dicke, umschriebene Infiltrate müssen ausgelöffelt 
werden, aber nur bei gutem Kräftezustande des Kranken. Bei vor¬ 
geschrittener Ulceratiou enthält er sich jeder eingreifenderen Therapie. 

Die günstige Wirkung der Tracheotomie schreibt Vortr. 
mit Schuilt der reichen Sauerstoffaufuahme und der größeren lluhe 
des erkrankten Organes zu. Unter 11 Operirten starben 6, von 
denen 4 in ultimis in’s Krankenhaus gekommen waren , 5 blieben 
am Leben. Der Kehlkopf besserte sich, die Kräfte nahmen zu. 
Einer derselben steht schon seit 2 Jahren, der andere seit 1 Jahre 
in Beobachtung Die Canüle wird von ihnen schon längst nicht 
mehr getragen. 

Mit der Vervollkommnung unserer Technik, und wenn die 
Aufmerksamkeit schon auf die Anfangsstadien der Erkrankung ge¬ 
richtet sein wird, werden immer mehr Heilungen von Keblkopf- 
tuberculose verzeichnet werden. Das Befinden der Kranken kann 
Monate und Jahre bis zur Recidive ein befriedigendes sein. 

In der Discussion berichtet Dr. J. Moskovitz von der 
NAVRATiL’schen Abtheilung, daß, seitdem Jod daselbst gebraucht 
wird, das Jodoform verlassen wurde. 

Dr. K. Morelli erwähnt einen Fall, welcher die Möglichkeit 
der primären Tuberculose des Kehlkopfes erweist. Dieselbe ging 
nämlich von einer tuberculösen Erkrankung des Zahnfleisches aus, 
welche sich von da auf Kehlkopf und Lunge verbreitete. n. 

Berliner medieinische Gesellschaft. 

Sitzungen vom 5. und 12. Februar 1890- 
(Original-Bericht der „Wiener Mediz. Presse“.) 

Geb.-R. Olshausen: Ueber Extrauterinschwangerschaft. (Schluß.) 

Bezüglich der Therapie sind die Anschauungen bis auf den 
heutigen Tag noch durchaus strittig. In den ersten Monaten pflegt 
man bei sicher diagnosticirter Tubarschwangerscbaft die Laparotemie 
auszuführen. Unter 16 Fällen, welche Veit in der ersten Zeit der 
Tubarschwangerscbaft bei theils geborstenem, theils erhaltenem Frucht¬ 
sack operirt hat, sind 2 moribund in Behandlung gelangte Schwangere 
zu Grunde gegangen, die übrigen durehgekoramen. 


Ist noch keine erhebliche Blutung vorangegangen , so ist die 
Operation einer Tubenschwangerschaft eine recht sichere, und sie 
gestaltet sich nahezu blutleer, wenn man die schwangere Tube 
durch gesondertes Abbinden der Art. uterina und spermatica inferior 
von ihrer Blutzufuhr abschnoidet. Als höchstes Princip muß daher 
der Grundsatz gelten: bei sicher diagnosticirter Tuben¬ 
schwangerschaft ist kein Verfahren zuverlässiger 
als die Laparotomie. Allerdings kann die Tubenschwanger- 
schaft auch ohne Operation günstig verlaufen: es kommt später zur 
Berstung und Hämatocele, welche nicht tödtlich zu sein braucht, 
immer die Frau aber monatelang erkranken läßt. Viel größer ist 
jedoch dio Gefahr, daß sich nach Berstung des Eies die Schwangere 
innerhalb 24—48 Stunden verblutet. Bei eingetretenor Berstung 
ist die Therapie abhängig vom Befinden der Schwangeren. Bei erst 
kurz zuvor erfolgter Berstung und geringem Blutverlust ist sofort 
zu Iaparotomircn und die Unterbindung der betreffenden Seite vor- 
zunchmen , wodurch dio Blutung coupirt ist Hier ist die Nicht- 
ausführung der Operation eine grobe Unterlassungssünde. 

Ist dagegen bereits eine Abkapselung des Blutes und eine 
Hämatocele zu Stando gekommen, so wird man die Laparotomie 
besser unterlassen. — In Bezug auf dio Operation in einer späteren 
Periode der Schwangerschaft thcilt Olshausen acht in der zweiten 
Hälfte, resp. nach dem Ende der Schwangerschaft operirte Fälle 
mit, von denen hier nur die zwei interessantesten Erwähnung finden 
mögen. 

In dem einen Falle konnte Redner bereits im 4. Monate der 
Schwangerschaft mit voller Sicherheit eine extrauterine Gravidität 
diagnosticiren, doch konnte die Operation erst 14 Tage vor dem 
berechneten Eude der Schwangerschaft bei lebendem Kinde ausge¬ 
führt werden. Der Fruchtsack wurde an die Bauchdeeken ango- 
näht, dio Placenta zurückgolassen. Dieselbe kam erst am 34. Tage 
nach der Operation zur Lösung und Ausstoßung. Das lebend ent¬ 
fernte Kind starb nach wenigen Stunden an allgemeiner Schwäche. 
Besonders bemerkenswerth war in diesem Falle, daß mehrere Monate 
vor Ablauf der Schwangerschaft selbst wochenlang ein wässeriger 
Ausfluß aus der Vagina auftrat. 

Olshausen’8 Vermuthung, daß es sich um das durch den 
medianen Theil der Tubo abfließende Fruchtwasser gehandelt habe, 
wurde bei der Operation bestätigt, denn bei dieser floß nicht ein 
Tropfen aus. Durch den in Folge dessen eingetretenen Druck hatte 
das Kind so stark gelitten, daß Schädel und Wirbelsäule vollkommen 
platt gedrückt waren. Der Wundvcrlauf war ein normaler. Dagegen 
trat am 2. Tage nach der Operation ein eclamptischer Anfall auf, 
an den sich eine 14 Tage dauernde Psychose mit Bewußtseins¬ 
verlust für diese Zeit anschloß. Heilung. 

In dem anderen Falle, welcher ebenfalls eine Schwangerschaft 
kurz vor ihrem Ende betraf, war der Uterus als ein kleines, leeres 
Organ zu palpiren, daneben das Kind, aber koin eigentlicher Frucht¬ 
sack zu fühlen. Wenige Tage später hatten sich die Contouren des 
Leibes vollkommen verändert; er hatte an Breite zugenommen, 
während der Dickendurchmesser bedeutend vermindert war, d. h. 
der Frucht8aek war geborsten. Als Olshausen sechs Tage später 
die Laparotomie vornahm, fand er bei. Eröffnung der Bauchhöhle 
nur Därme vorliegend, ging deshalb mit der Hand zwischen den¬ 
selben ein und fand ganz an der hinteren Bauchwand das Kind, 
welches lebend oxtrahirt wurde. Dasselbe ist auch heute noch 
kräftig und gesund. Hervorzuheben ist in diesem Falle, daß das 
Kind mindestens sechs Tage in der Bauchhöhle frei 
zwischen den Därmen seiner Mutter gelebt hat, ohne 
Schaden zu nehmen. Dieselbe Frau hat Redner ein zweites Mal 
wegen Tubenschwangerscbaft der anderen Seite mit Glück lapa- 
rotomirt. 

In den von Olshausen mitgetbeilten 8 Fällen hat er in den 
ersten drei Fällen den Fruchtsack an die Bauchdecken angenäht, 
zweimal die Placenta zurückgelassen, einmal entfernt. In den übrigen 
Fällen hat er jedesmal den Fruchtsack exstirpirt mit oder ohne 
Placenta, ohne daß jemals eine heftige Blutung aufgetreten oder 
irgeud eine Gefahr daraus erwachsen wäre. 

In Bezug auf die Frage, ob man in vorgeschrittener 
Extra utcrin8cbwanger8chaft bei lebendem Kinde 


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operiren darf, beantwortet Redner dahin, daß man im Hinblick 
auf die Mutter, nicht aber mit Rücksicht auf das Leben des Kindes 
operiren soll, da die allermeisten Kinder, welche bei Extrauterin¬ 
schwangerschaft lebend geboren werden, in wenigen Tagen an den 
Mißbildungen und Verkrümmungen zu Grunde gehen, welche durch 
die intensiven Druckverhältnisse in der Bauchhöhle hervorgerufen 
werden. Man soll daher weder bis zur Kindesreife, noch 10 Wochen 
nach dem Absterben der Frucht mit der Operation warten, weil die 
Gefahr einer schnellen Verblutung eine häufig eintretendo und sehr 
große ist und in keinem Verhältnisse steht zu der verhältnißmäßig 
geringen Gefahr der Laparotomie. Zweimal hat Olshausen eine 
plötzliche Verblutung innerhalb weniger Stunden bei Extrauterin¬ 
schwangerschaft beobachtet. 

Was die Behandlung des Fruchtsackes anbetrifft, so 
ist nach Redners Erfahrungen entschieden die Exstirpation vorzu¬ 
ziehen, die sich sowohl bei gestieltem, wie intraligamentärem Sitz 
des Sackes meist ohne Schwierigkeit ausführen läßt. Nur wenn 
eine Verjauchung anzunehmen ist, d. h. wenn bei schon längere 
Zeit abgestorbenem Kinde die Frau zu fiebern beginnt, räth der 
Vortragende, den Fruchtsack an die Bauchdecken auzunähen. Bei 
nicht exstirpirbarem Fruchtsack soll man die Placenta sofort ent¬ 
fernen, was meist ohne Blutung ausführbar sein wird, ln manchen 
Fällen jedoch, in denen die Loslösung der Placenta allzu gewagt 
erscheint, dürfte maD die Bauchhöhle auch bei zurückgelassener 
Placenta schließen, wenn der Sitz der letzteren eine Einwanderung 
von Mikroorganismen aus dem Darm nicht befürchten läßt. 

In Bezug auf die Behandlung der seit Jahren ohne 
Verjauchung bestehenden Extrauterinschwanger¬ 
schaften bemerkt Redner, daß selbst ein mehrjähriger Verlauf 
die Gefahr einer noch später eintretenden Verjauchung nicht aus¬ 
schließt. Eine Verjauchung ist immer möglich, so lange nicht der 
ganze Kindskörper mit Kalksalzen überzogen ist, wie eine nach 
27jähriger Extrauterinschwangerschaft von Küster beobachtete Ver¬ 
jauchung beweist. 

Der sicherste Schutz in allen Fällen, wo nicht ein zu einem 
harten Klumpen umgebildetes Lithopädion vorliegt, ist für die Frau 
die Laparotomie. 

Inder Disoussion, an der sich die Herren Martin, Landau, 
Veit u. A. betheiligten, stimmen sämmtliche Redner darin überein, 
daß bei sicher diagnosticirter extrauteriner Schwangerschaft die 
Laparotomie als die Operation der Zukunft zu bezeichnen und un¬ 
bedingt vorzunehmen sei. Unter ungünstigen Verhältnissen, z. B. 
bei mangelnder Operationstechnik oder fehlender Assistenz empfiehlt 
Landau die Punction von der hinteren Scheidenwand aus, um den 
extrauterinen Fötus zum Absterben zu bringen und die Hauptgefahr 
der Verblutung zu beseitigen. In ätiologischer Beziehung erachtet 
Virchow mechanische Hindernisse in der Fortbewegung des Eies 
als Hauptgrund für die Entstehung einer Extrauterinschwangerschaft. 
In Bezug auf die Leichtigkeit, bezw. Schwierigkeit der Diagnose ^ 
einer solchen Anomalie sind die Anschauungen der Redner durchaus 
divergent. —r. 


Notizen. 


Wien, 8. März 1890. 

(Das Wiener medizinische Professoren-Collegium) 
hat sich in seiner letzten Sitzung mit dem Besetzungsvorschlage für 
die durch Buücke’s Rücktritt zur Erledigung kommende Lehrkanzel 
der Physiologie beschäftigt. Der Tornavorschlag des Subcomite3, 
welcher neben dem bisherigen langjährigen Assistenten Bkücke’s, 
Prof. Sigmund Exner, die Vertreter der Physiologie an den Hoch¬ 
schulen von Graz und Prag nannte, wurde von der Majorität ver¬ 
worfen und beschlossen, Prof. Exner dem Unterrichtsministerium 
unico loco vorzuschlagen. Der allgemein erwartete Initiativantrag 
des Collegiums auf Errichtung einer zweiten physiologischen Lehr¬ 
kanzel, welche sowohl mit Rücksicht auf den Andrang der Studi- 
renden, als auch im Hinblick auf das bedeutende Gebiet der physio¬ 
logischen Forschung und Lehre aus wissenschaftlichen und didac 


tischen Gründen geboten erscheint, wurde dem Ministerium nicht 
unterbreitet. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen, zum Theil administrativen Angelegenheiten gewid¬ 
meten Sitzung dieser Gesellschaft erstattete der Secretär den Bericht 
über die in der am 21. d. M. stattfindenden Jahresversammlung 
vorzunehmenden Neuwahlen. Der Wahlvorschlag umfaßt 7 Ehren-, 
5 correspondirende und 16 ordentliche Mitglieder. Nachdem der 
Oekonom Dr. Spitzmüller den Cassenbericht vorgelegt, welcher das 
Vereinsvermögen auf fl. 56.300 beziffert, brachte der Vorsitzende, 
Hofrath Billroth, eine Reihe interner Angelegenheiten zur Be¬ 
sprechung, von welchen der Beschluß der Herausgabe eines Jahres¬ 
berichtes hervorzuheben ist. Die alljährlich ventilirte Frage der Er¬ 
richtung eines eigenen Heims der Gesellschaft, bekanntlich ein lauge 
gehegter, berechtigter Wunsch ihrer Mitglieder, wurde auch in der 
letzten Geschäftsperiode — und zwar aus finanziellen Gründen — 
der Realisirung nicht näher gebracht. — Im wissenschaft¬ 
lichen Theile demonstrirte Doo. Dr. Czermak einen Fall von an¬ 
geborenem Mikrophthalmus mit Cystenbildung bei einem ^tä¬ 
gigen Kinde, und Prof. Dräsche sprach über die von ihm während 
der letzten Influenzaepidemie gemachten Beobachtungen. Dieselben 
decken sich im Großen und Ganzen mit den von anderen Autoren 
gesammelten Erfahrungen. Er hält die Einthoilung in eine catar- 
rhalische, gastrische und nervöse Form nicht zutreffend, da die 
Formen ineinander übergehen. In den Fällen, die zur Section 
kamen, fand er Milzschwellung. Im Urin fand er immer Spuren 
von Eiweiß. Interessant ist das Resultat der Untersuchungen 
Drasche’s über das Verhalten der postmortalen Temperatur. Eine 
Stunde post mortem stieg dieselbe um 0*3 °. 

(Aerztekammern.) Ministerpräsident Graf Taaffe hat 
vor wenigen Tagen eine Deputation des österreichischen Aerzte- 
vereins-Verbandes, bestehend aus dem Obmanne S.-R. Dr. Gauster 
und dem Schriftführer Dr. Carl Kohn, empfangen, welche die 
Unterstützung der Regierung für die nunmehr seit 16 Jahren ange¬ 
strebte Errichtung von Aerztekammern erbat. Der Ministerpräsident 
erklärte, keine principiellen Bedenken gegen die Realisirung dieses 
Wunsches der Aerzte Oesterreichs zu hegen, und versprach, der 
Angelegenheit seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. 

(Der Handverkauf des Antipyrin.) In der am 
24. v. M. stattgehabten Sitzung des n.-ö. Landes-Sanitäts- 
rathes referirte Prof. Oser über eine Eingabe des Wiener Apo¬ 
thekergremium, welche den Zweok hatte, dem Publicum den Bezug 
des Antipyrin aus der Apotheke zu erleichtern. Der Landes Sanitäts 
rath sprach sich gegen die Gestattung des Handverkaufes des 
Antipyrin aus, welches als ein indifferentes Arzneimittel nicht be¬ 
trachtet werden könne. — Daß diese Anschauung des Sanitätsrathos 
ihre volle Berechtigung hat, beweist u. A. ein von Dr. Spitzer in 
der letzten Nummer dos „Centralbl. f. d. ges. Ther.“ mitgetheilter 
Fall eines Selbstmordversuches mit Antipyrin, in welchem ein 
Kellner 8 Grm. des Präparates im Verlaufe einer Stunde zu sich 
genommen hat. 

(Taxüberschreitungen der Apotheker.) Die „Pharm. 
Rundschau“ schreibt: „Von offieiöser Seite wird gemeldet, daß über 
die in den Apotheken der Bade- und Curorte häufig vorgekommenen 
hohen Taxirungen ärztlicher Rocepte Klagen laut geworden sind. 
Seitens der Behörde wurden die betreffenden Apotheker eiuver- 
nommen und erklärten dieselben, daß sie gezwungen wären, die¬ 
selben Taxirungen einzuhalteu wie die Wiener Apotheker, wenn sie 
das Vertrauen des ^lie Medicamcnte beziehenden Publikums sich er¬ 
halten sollen, weil sonst die billigen Arzneimittel als mindorwerthig 
betrachtet würden. Es handelte sich nämlich in allen diesen Fällen 
um Recepte von Wiener Aerzten. Die weiter eingeleiteten Er¬ 
hebungen haben nun ergeben, daß allerdings in einzelnen Wiener 
Apotheken bei Wiener Recepten mitunter unverhältnißmäßig hohe 
Taxirungen vorzukommen pflegen.“ 

(Geh.-R. v. Nussbaum), Münchens berühmter Chirurg, ist 
von schwerer Erkrankung wieder so weit hergestellt, daß er im 
Sommersemester seine Lehrthätigkeit aufzunehmen beabsichtigt. Mit 
der „Münch, med. W.“, welcher wir diese Mittheilung entnehmen, 


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geben auch wir unserer Freude tlber die Genesung unseres geehrten 
Mitarbeiters Ausdruck. 

(Aus Prag) wird uns berichtet: Herr Regierungsrath 
Prof. Dr. Ritter von Maschka beging am 3. d. M. sein 
70. Geburtsfest. Aus diesem Anlasse fand im Hörsaale des patho¬ 
logischen Institutes eine Feier statt, zu welcher sich die meisten 
Professoren der deutschen medicinischen Facnltät, zahlreiche Freunde 
des Gefeierten und viele Studenten eingefunden hatten. Zunächst 
richtete der Assistent desselben, Doc. Dr. Dittrich, eine Ansprache 
au den Jubilar, in welcher er in schwungvollen Worten die Verdienste 
desselben um die Wissenschaft pries. Redner schloß mit dem Wunsche, 
daß der Gefeierte in seiner geistigen Frische noch viele Jahre der 
medicinischen Wissenschaft erhalten bleiben möge und brachte dem¬ 
selben ein von den Anwesenden mit Begeisterung aufgeuommenes 
Hoch. Herr med. cand. Plümkrt verlieh an der Spitze einer 
Deputation Namens der Hörer des Jubilars den Gefühlen der Ver¬ 
ehrung und der Liebe, welche die Studentenschaft für denselben 
hegt, Ausdruck. Sodann beglückwünschten denselben Herr Dr. Kgh 
im Namen des Vereines deutscher Aerzte uud Herr Prof. Dr. Petüina 
im Namen des Central verein es deutscher Aerzte in Böhmen. Nach¬ 
dem noch Herr Prof. Chiari als Institutscollega seine besondere 
Hochachtung für den Jubilar hervorgehoben und daran den Wunsch 
geknüpft hat, es mögen sich die Verhältnisse der pathologischen 
Anatomie zur gerichtlichen Medioin weiter so herzlich gestalten wie 
bisher, erwiderte Prof. Ritter v. Maschka die ihm dargebrachten 
Glückwünsche tiefgerührt mit einer Ansprache, in welcher er unter 
Anderem sagte, daß er mit großem Vergnügen an seine Studienjahre 
zurückdenke, denn sie seien die glüoklichstens seines Lebens ge¬ 
wesen. Der Student ist der glücklichste Mensch, wenn er von idealen 
Anschauungen getragen wird. Er sei im Inneren ein alter Student 
geblieben, habe die Studenten stets geliebt und werde ihnen auch 
in Zukunft in Treue anbängen. Redner schloß mit der Bitte, ihm 
auch in Znkunft eine freundliche Erinnerung zu bewahren. 

(Ueber die Morbidität und Mortalität während 
der Influenza Epidemie in Prag) werden uns von authen¬ 
tischer Seite folgende statistische Daten mitgetheilt: Die ersten 
Fälle von Influenza kamen am 24. December 1889 zur Anzeige 
und betrafen Personen aus den wohlhabenderen Gesellschaftskreisen, 
welche kurz vor ihrer Erkrankung aus Wien, Berlin u. 8. w. ein¬ 
getroffen waren. Die letzten Influenzafällo wurden am 26. Januar an 
gezeigt. Die Dauer der Epidemie in Prag betrug demnach 32 Tage. Die 
Zahl der während dieser Zeit zur behördlichen Anzeige gebrachten 
Iiifluenzafälle betrug 5458, doch Bind diese Ziffern insofern höchst 
unvollständig, als der größte Theil der Erkrankten nicht zur An¬ 
zeige der Sanitätsbehörden gebracht worden ist. Unter den 5458 
angemeldeten Fällen befanden sich 577, also ca. 10% Kinder im Alter 
bis zu 14 Jahren. Die größte Verbreitung fand die Influenza in dem Be¬ 
zirke Bubna-Holleschowitz, wo 53°/ 00 , die kleinste am Hradscbin, 
wo 8°/ c0 der Bevölkerung erkrankten. Die Sterblichkeit an der 
Influenza selbst war eine relativ niedrige, denn es erlagen der Seuche 
blos 36 Personen. Die Mehrzahl der Verstorbenen stand im Alter 
von 50—90 Jahren. Weit bedeutender war die Sterblichkeit in 
Folge der die Influenza begleitenden Naohkranklieiten, besonders jener 
der Athmung8organe. Während in der Woche vom 6.—12. Januar 
1889 in Prag 106 Sterbefälle oder 30° 0 o verzeichnet wurden, 
betrug die Sterblichkeit im gleichen Zeiträume des Jahres 1890 im 
Ganzen 205 oder 59% 0 . An Krankheiten der Respirationsorgane 
starben in diesem Zeiträume im vorigen Jahre 31, im beurigou 82 
Personen. Daß diese Steigerung der Sterblichkeit thatsächlick auf 
Rechnung der Folgekrankbeiten nach Influenza zu setzen ist, wird 
dadurch illustrirt, daß noch in der letzten Decemberwoche v. J. 
und der letzten Januarwoche d. J. die Mortalität jeuer in den gleichen 
Perioden des Vorjahres entsprach. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: An der hiesigen Uni¬ 
versität wurde die zahnärztliche Klinik eröffnet, deren Leitung dem 
Doc. Dr. J. Arkövy anvertraut wurde. — Das Ministerium des 
Innern hat seine Unterstützung zu der von der Gesellschaft der 
Aerzte in Budapest unternommenen Sammelforschung über die In¬ 
fluenza-Epidemie iu Ungarn bereitwilligst zugesagt. 


(Universitäts-Nachrichten.) Politische Blätter melden 
die Berufung des Prof. MrKULicz in Krakau an die Universität 
Halle als Nachfolger Volkmann’b. — Prof. Vossiüs in Königs¬ 
berg hat den Ruf an die Lehrkanzel für Augenheilkunde in Gießen 
angenommen. — Privatdoceut Dr. Kirchner ist an Stelle Tröltsch’s 
zum a. o. Professor der Ohrenheilkunde in Würzburg ernannt 
worden. — Docent Dr. Carl Gibard in Bern ist zum Professor 
der Chirurgie ernannt worden. — Als Privatdocenten haben sich 
habilitirt: Dr. Haecbel für innere Medicin in Jena, Dr. Prausnitz 
für Hygiene in München, Dr. Vajna für Zahnheilkunde in 
Klausenburg, Dr. Sonsino für parasitäre Krankheiten in Pisa, 
Dr. Delizyn für Anatomie in St. Petersburg. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Unter dem 
Vorsitze des Präsidenten Dr. L. Hopkgabtner wurde am 3. d. M. die dies¬ 
jährige Generalversammlung der Witwen- und Waisensocietät des 
Collegiums ahgehalten. Dem erstatteten Jahresberichte entnehmen wir, daß 
der deizeitige Hitgliederstand 316 beträgt uud die Societät über ein Vermögen 
von 2,555.651 fl. verfugt. Die Zahl der pensionsberechtigten Witwen beläuft 
sich auf 152, der Waisen auf 7, die in Summa einen Pensionsbetrag von 
105.725 fl. bezogen haben. Bei den vorgenommenen Neuwahlen wurde Dr. A. 
Gkubkk zum Actuar, Dr. L. Klein zu dessen Stellvertreter, ferner Regierungs¬ 
rath Dr. G Auster, Dr. Radda und Dr. V. Seng in den Ansschuß gewählt. — In 
der am !0. d. M. stattfindenden wissenschaftlichen Versammlung 
des Collegiums wird Dr. A. Gollasch aus Breslau „Ueber den diagnosti¬ 
schen Werth der Blutfärbungsmethoden“ und Dr. M. Ortkek „Ueber 
Leukämie und Pseudolenkämie“ sprechen. 

(Statistik.) Vom 23. Febr. bis incl. 1. März 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5143 Personen behandelt. Hievon wurden 900 
entlassen; 103 sind gestorben (10'26°/ o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 29, egyptischer Augenentzündung 6, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 6, Dysenterie —. Blattern 21, Varicellen 36, Scharlach 21, 
Masern 161, Keuchhusten 62, Wundrothlanf 21, Wochenbettfieber 4. — In 
der 9. Jahreswocbe sind in Wien 470 Personen gestorben (-)- 58 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Berlin der em. Professor 
der Gynäkologie nnd Geburtshilfe an der Universität in Kiel, 
Dr. K. Th. Litzmann, 75 Jahre alt; in Lngano der em. Professor 
der Arzneimittellehre in Zürich, Dr. A. C. Cloetta. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Reconsiona-Exemplare.) 

Hartelias T. J., Lehrbuch der schwedischen Heilgymnastik. Deutsch von 
J. Jürgensen und Preller. Mit 97 Abbildungen. Leipzig 1890. 
Th. Grieben. 

Tjmowski J-, De l’ictfere infectieux febrile. Paris 1889. Ollier-Henry. 
Stilling J., Pseudo-isochromatische Tafeln für die Prüfung des Farbensinnes. 

111., vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 10 Tafeln. Leipzig 1889. 
Georg Thieme. 

Hirschberg J., Aegypten. Geschichtliche Studien eines Augenarztes. Leipzig 
1890. Georg Thieme. 

Gutmann H., Die Verhütung und Bekämpfung des Stotterns in der Schule. 
Leipzig 1889. Georg Thieme. 

Pfeiffer L., Die Verbreitung des Herpes zoster längs der Hautgebiete der 
. Arterien und dessen Stellnng zu den acuten Exanthemen. Mit 9 Tafeln 
und 1 Schema. Jena 1889. Gustav Fischer. 

Kahlden C. V., Technik der histologischen Untersuchung pathologisch-anato¬ 
mischer Präparate. Jena 1890. Gustav Fischer. 

Oppenheim H., Zur Kenntniß der syphilitischen Erkrankungen des centralen 
Nervensystems. Mit 4 Tafeln. Berlin 1890. Aug Hirschwald. 
Beanregard H., Les insectes väsicants. Avec 34 planchea en lithographie et 
figure8 dans le texte. Paris 1890. F61ix Alcan. 

Bürkner C., Atlas von Beleuchtungsbildern des Trommelfelles. XIV Tafeln. 

11., verbesserte Auflage. Jena 1890. Gustav Fischer. 

Fick A., Myothermische Untersuchungen aus den physiologischen Laboratorien 
zn Zürich und Würzburg. Mit 2 lithographirten Tafeln. Wiesbaden 1889. 
J. F. Bergmann. 

Cohn S., Uterus und Auge. Mit einem Vorworte von Prof. E. Pflüger. 
Wiesbaden 1890. J. F. Bergmann. 

Semmola M., Vorlesungen über experimentelle Pharmakologie und klinische 
Therapie. Deutsche Ausgabe von A del Torre. Mit einer Vorrede von 
Hofr. Prof. Nothnagel. Wien 1890. A. Holder. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


Cerse mr Aerzte m Massage ddh Heilmasi 

an klinischem Material. 

Theilnehmerzabl beschränkt. — Dauer 3 Wochen. — Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, I., Hegelgasse 21 (3—4). 


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Nr. 11. 


Sonntag den 16. März 1890._ XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Grose-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertiona- 
anfträge sind an die Administration der „Medlz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse' und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ausland: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Medlz. Presse“ in Wien.L, Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


■«de—— 


Redigirt von Verlag von 

Begründet 1860. Dr. AlltOll Bll m. Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Monoplegia anaesthetica faciei. Ein Beitrag zur Physiologie einiger Gehirnnerven. Von Prof. Dr. Adam- 
kikwicz in Krakau. — Ueber habituelle Obstipation. Klinischer Vortrag von Hofr. Prof. Nothnagel. — Mittheilungen ans der gynäkologischen 
Abtheilung der k. k. Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien. Von Prof. Dr. Hofmoki, in Wien. — Referate and literarische Anzeigen, 
v. Pkttknkofkr: Ueber Gasbeleuchtung nnd elektrische Beleuchtung vom hygienischen Standpunkte aus. — Bazoxi (Prag): Sectio caesarea post 
mortem. — Die moderne Behandlung der Nervenschwäche (Neurasthenie), der Hysterie nnd verwandter Leiden. Mit besonderer Berücksichtigung 
der Luftcnren, Bäder, Anstaltsbehandlnng nnd der MiTciiKLL-PLAYFAiK’schen Mastcur von Dr. Löwen fkld, Specialarzt für Nervenkrankheiten in 
München. — Die Physiologie und Pathologie des Wochenbettes. Vöü Dr. H. Fehling, Professor nnd Üirector der geburtshilflich-gynäkologischen 
Klinik der Universität Basel. — Feuilleton. Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) III. Ueber die Hygiene in den Curorten — Militärärztlich«» Plandereien. 
I. Von der — Adjustirung. — Kleine Mittlieilangen. Zar Verordnung des Lithiums bei Gicht. — Sehstörung, durch eine Taenia bedingt — 
Dosirung der Carbolsäure bei Behandlung des Milzbrandes. — Conjunctiva plastica, eine radicale Heilmethode des chronischen Trachoms. —Beitrag 
zur Heilwirknng des Erysipels bei malignen Tumoren. — Antagonismus zwischen Erysipel und Diphiberie. — Ein einfaches Verfahren gegen 
Ptosis und Entropium spasticum senile. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Balneologcn-Congreß. Zwölfte öffentliche Versammlung der 
Balneologischen Gesellschaft, gehalten zn Berlin vom 7. — 9. März 1890. (Orig.-Ber.) I. — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — 
Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Monoplegia anaesthetica faciei. 

Ein Beitrag zur Physiologie einiger Gehlrnuerven. 

Von Prof. Dr. Adamkiewicz in Krakan. 

Mit dem Namen der „Monoplegia anaesthetica“ habe ich 
den Znstand eines auf größere Gebiete anatomisch scharf be¬ 
grenzten und auf materieller Grundlage beruhenden Verlustes 
des Gefühl Vermögens bezeichnet. 

Ich konnte über zwei derartige Fälle *) berichten, — über 
eine Empfindungs-Monoplegie im Bereiche des Plexus brachialis 
bei einem Mädchen und über den Sensibilitätsverlust einer 
ganzen Unterextremität bei einem Manne. 

Heute bin ich in der Lage, eine scharf auf das 
Gesicht beschränkte Anästhesie zu beschreiben, 
die in ihren wichtigsten Merkmalen — anatomische Begrenzung 
nach dem Verlauf der Nerven und materielle Grundlage der 
Affection — sich den genannten Monoplegien der Extremitäten 
so vollkommen anschließt, daß ich auch sie als eine „Mono¬ 
plegia anaesthetica“ in specie „faciei“ bezeichnen möchte, 
zumal die Etymologie des Ausdruckes „Monoplegie“ auch 
anatomisch diese Bezeichnung gestattet. 

Es dürfte ein neuer Name für das hier zu beschrei¬ 
bende Leiden schon aus dem Grunde nicht ungerecht¬ 
fertigt sein, als eine auf die beiden Trigemini be¬ 
schränkte, doppelseitige Parese nur ihrer sen¬ 
siblen Zweige, soweit mir die Literatur der Trigeminus¬ 
lähmungen bekannt geworden ist, bisher noch nicht beobachtet, 
— wenigstens nicht beschrieben worden zu sein scheint. Denn 
die meisten bisher veröffentlichten Fälle von Trigeminus¬ 
lähmungen waren entweder einseitig nnd betrafen dann den 
sensiblen, wie motorischen Theil desselben, wobei sie meistens 
in Gemeinschaft mit anderen Gehirnnervenlähmungen auf¬ 
traten ; — so besonders bei der halbseitigen fortschreitenden Ge¬ 
hirnnervenlähmung, von der ich erst kürzlich einen Fall 

’) „Wiener ired. Blätter“, 1887, Nr. 4 n. 5. — „Wiener meil. Presse“, 
1887, Nr. 35. — „Wiener med. Wochenschrift“, 1888, Nr. 14. 


genauer zu untersuchen Gelegenheit hatte. a ) Oder, wo die 
Trigeminuslähmungen beiderseits auftraten, da erschienen sie 
entweder als Theilerscheinungen schwererer Grnndleiden, so 
der Tabes, und dann meist nur angedeutet, jedenfalls nicht 
über alle Zweige der Trigemini verbreitet, oder waren, wenn 
sie als selbstständige Affectionen sich zeigten, wiederum nicht 
isolirte Trigeminuslähmungen. So zeigten sich in einem von 
Müller s ) beschriebenen Falle doppelseitiger Trigeminuslähmung 
krank sowohl die sensiblen, als die motorischen Zweige der 
Quinti. In einem anderen 4 ), in welchem wiederum nur die 
sensiblen Nerven gelähmt waren, waren neben denselben auch 
noch andere sensible Nervenbezirke an der Krankheit bethei¬ 
ligt : — diejenigen des Hinterhauptes, des Nackens und der Arme. 

Der Fall, den ich durch die Güte des Herrn Collegen 
Dr. Jez in Stryj (Galizien) im Juli 1889 durch einige Wochen 
zu beobachten Gelegenheit hatte, war folgender: 

1. Bericht des Kranken. 

Der 51jährige Haoptmann F. Z. hatte gegen Ende der 70er 
Jahre längere Zeit in Bosnien als Officier Dienste gethan und war 
während seines dortigen Aufenthaltes genöthigt gewesen, monatelang 
Tag und Nacht im Freien zuzubringen. Auch hatte er dort die 
Gewohnheit angenommen, sich bei übergroßer Hitze das Gesicht des 
Oefteren mit kaltem Wasser zu übergießen. 

Diesen beiden Dingen, — der durch längere Zeit ununter¬ 
brochen daoernden Einwirkung der Witterung einerseits, den kalten 
Uebergießungen andererseits, — schrieb er ein Leiden zn, über 
welches er mir folgendermaßen berichtete: 

Schon vor 4 Jahren, besonders deutlich aber erst im Frühling 
des Jahres 1888 habe sich im linken Augenwinkel ein Gefühl von 
Ameisenkriechen, später deutliches Kitzelgefühl eingestellt, das ihn 
häufig uöthigte, das Auge zu reiben. 

Dann sei dieses lästige Gefühl über die linke Nasenfläche und 
allmälig bis zum Winter, also im Laufe von etwa 8 / i Jahren, über 
beide Augen und beide Oberkiefergegenden fortgeschritten. 

Der Winter 1888 sei äußerst qualvoll gewesen. Die Ein¬ 
wirkungen der Kälte hätten in der ganzen afficirten Gegend einen 

*) „Wiener med. Wochenschrift“, 1889, Nr. 2, 3 n. 4. 

a ) „Arch. f. Psych. n. Nervenkrank!«.“, XIV., S. 263. 

4 ) Ibid. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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sehr empfindlichen, brennenden Schmerz wachgernfen, derart, daß 
Patient an kalten Tagen nicht anders, als das Gesicht mit einem 
Pelz vollständig bedeckt sich auf die 8traße habe wagen können. 

Gegen Frühjahr des genannten Jahres breitete sich die Krank¬ 
heit über weitere Gebiete des Gesichtes aus. Sie schritt über die 
Stirn und den behaarten Kopftheil bis in die Scheitelgegend vor 
und zog schließlich, im Sommer 1889, auch noch die linke Ober¬ 
lippe, das Zahnfleisch des linken Oberkiefers und die linko Seite 
des Gaumens in Mitleidenschaft. 

Ganz zuletzt stellte sich die verbängnißvolle juckende Em¬ 
pfindung auch in der linken Unterlippe ein. In der Nase quälte 
den Patienten schon seit geraumer Zeit ein Gefühl, als ob da¬ 
selbst kleine Härchen ihn stächen und kitzelten. Das veranlaßte 
ihn auch, alle auf der Nasenschleimhaut sitzenden Härchen zu ent¬ 
fernen , ohne sich jedoch dadurch irgend welche Erleichterung zu 
verschaffen. 

Endlich trat auch eine große Neigung zu Catarrhen der Nasen¬ 
schleimhaut ein und von Zeit zu Zeit ein ganz unstillbares Nießen. 

2. Objectiver Befund. 

Der Patient bot bei äußerer Betrachtung auch nicht das 
geringste Zeichen eines pathologischen Verhaltens dar. Die Ge¬ 
sichtshaut zeigte außer einer graubraunen Farbe durchaus nichts 
Besonderes. 

Der Kranke selbst ist ein Mann von mittlerem, kräftigem 
Körperbau, intelligent und heiter und weiß über seine Stimmungen 
zu herrschen. 

Auch bei genauerer Untersuchung findet man am Kranken 
nichts, als eine eigentümliche Störung des Empfindungsver¬ 
mögens am Gesicht. 

Die Prüfung mit der Nadel ergibt, daß dasselbe erheblich 
herabgesetzt — ja, man kann sagen, fast geschwunden ist. 

Der Patient fühlte den Stich der Nadel auf 
großen Bezirken der Gesichtshaut so gut wie gar 
nicht. Höchstens kam es ihm vor, als würde er dort, wo er tief 
gestochen wurde, nur oberflächlich berührt. 

Zu den Stellen, an denen die Sensibilität so erheblich gestört 
war, gehörte vor Allem die ganze linke Seite des Gesichtes, 
und zwar vom behaarten Kopftheil bis herab zum Kinn. Die ge¬ 
naueren Grenzen des anästhetischen Hautgebietes waren: 

Im behaarten Theil der Kopfhaut eine scharfe Linie, die sich 
über der linken Hälfte der Stirn ungefähr an der hinteren Grenze 
des Stirnbeines und etwa parallel zur Haargrenze hinzog. 

Seitlich endete die Anästhesie an einer Linie, welche, vom 
Tragus des Ohres beginnend, ungefähr dem Rande des Unterkiefers 
parallel ging und von demselben durch eine schmale — sensible — 
Zone getrennt war. 

Nach innen endete die Anästhesie, wie sich das besonders 
gut am unteren Ende des Nasenrückens, an der Ober-, der Unter¬ 
lippe und am Kinn feststellen ließ, scharf in der Mittellinie des 
Gesichtes. 

Die rechte Gesichtshälfte war weder extensiv, noch intensiv 
so schwer afficirt wie die linke. Ganz so unempfindlich gegen den 
Stich der Nadel, wie die Haut der ganzen linken Gesicbtsseite, war 
rechterseits nur die Haut der Stirn und der Augengegend. Am 
Oberkiefer und an der Oberlippe war die Empfindung nur abge¬ 
stumpft und an der Unterlippe schon fast ganz normal. 

An den am stärksten affioirten Orten war das Schmerzempfindungs¬ 
vermögen so tief herabgesetzt, daß Patient an denselben die aller¬ 
stärksten elektrischen Ströme mit Leichtigkeit vertrug, — Ströme, 
die an gesunden Orten ganz unerträglich waren. 

Mit dem Verlust des Schmerzgefühles Hand in Hand ging ein 
solcher für die Einflüsse verschiedener Temperaturen. 

Wo die Schmerzempfänglichkeit verloren gegangen war, da 
fühlte der Kranke weder kalt, noch warm. Und in gleichem Ver- 
hältniß , als sich an den bezeiohneten Bezirken des Gesichtes das 
Schmerzempfiudung8vermögen besserte, waren dieselben auch für 
Temperaturen empfänglicher. 

Außer der Haut des Gesichtes zeigten sich auch gewisse 
Schleimhäute des Kopfes vom Uebol ergriffen. 


So nahmen die Conjunctiven (sammt Hornhäuten) und die 
Schleimhaut der Nase, beiderseits, gewöhnliche Eindrücke nicht wahr. 
Ebenso erwies sich die linke Hälfte der ganzen Mundhöhle —— 
Gaumen, Zunge, Boden der Mundhöhle — für Schmerz, Temperatur 
und die Zunge noch besonders für Geschmackseindrüeke un¬ 
empfindlich. 

Andere Störungen waren, wie gesagt, am Kranken niebt 
wahrnehmbar. Ich hebe besonders hervor, daß die Pupillen gut 
reagirten, der Augenhintergrund normale Verhältnisse darbot (Dr. Mar- 
cisiewicz), der motorische und der Tbränenapparat des Auges 
normal functionirten, der Schlund, sowie die rechto Hälfte der Zunge 
und der Mundhöhle gesund, endlich die Muskeln der Kauwerkzeuge 
intact waren. 

3. Diagnose, 
a) Natur des Leidens. 

Es lag bei unserem Kranken eine sehr tiefe, wenn auch 
nicht absolute Empfindungslähmung für Schmerz- und Tem- 
peratureindrticke vor. Von besonderem Interesse ist an dieser 
Empfindungslähmung die Localisation. Dieselbe entspricht 
genau dem Gebiete der beiden Nn. Trigemini, speciell 
dem Verbreitungsbezirk ihrer sensiblen Zweige, während 
die motorischen und die secretorischen Fasern dieses Nerven 
normal fungirten. 

Im Besonderen bestand eine Parese im sensiblen Gebiete 
aller dreier Aeste des linken und des ersten und nur eines 
Theiles des zweiten Astes — seiner die Haut, nicht aber seiner die 
Schleimhäute versorgenden Fasern — des rechten Trigeminus. 

b) Sitz der Krankheit. 

An welcher Stelle ihres Verlaufes hatten die Trigeminus¬ 
nerven gelitten ? Das ist die nächste Frage, dio wir zu beant¬ 
worten haben. 

Wenn Lähmungserscheinungen von Seiten eines Nerven 
mit dessen peripherischer Verbreitung anatomisch genau zu¬ 
sammenfallen, so kann der die Lähmungserscheinungen be¬ 
dingende Anlaß nur an drei Stellen seinen Sit^ haben, ent¬ 
weder in den peripherischen Verzweigungen des Nerven, oder 
in seinem Stamm, oder in dem Kern , aus dessen Zellen die 
Fasern des letzteren hervorgehen: — kurz im peripheri¬ 
schen Apparat dieses Nerven. 

Es war also von vomeherein jedes centrale Leiden 
bei unserem Kranken auszuschließen und es durfte um so 
weniger an einen über den Kernen des Trigeminusnerven, also 
im Gehirn gelegenen Sitz der Krankheit gedacht werden, als 
nicht das geringste Zeichen eines Gehimleidens bei unserem 
Patienten vorlag. 

Waren nun die Kerne, oder die Nervenstämme, oder die 
peripherischen Aeste der beiden Trigemini krank ? 

Den Sitz in den Kernen anzunehmen, widerriethen mehr¬ 
fache Umstände. 

Bekanntlich liegen die Kerne der sensiblen Zweige der 
Trigeminusnerven jederseits in drei räumlich sehr weit von 
einander getrennten Abschnitten des Gehirnes — in Vier¬ 
hügel, Brücke und Halsmark. 

Wie sollten gerade diese Kerne isolirt betroffen und 
alle zwischen ihnen und ihrer nächsten Nachbarschaft gelegenen 
so mannigfachen Apparate des verlängerten Markes verschont 
geblieben sein? Und wo anderseits Affectionen der Kerne 
und Wurzeln der Nn. trigemini angenommen werden müssen, 
wie zuweilen bei der Tabes (Pierret, Westthai, u. A), da 
ist das Bild der Trigeminusaffection ein ganz anderes, aLs es 
sich in unserem Fall präsentirte und namentlich von Schmerz¬ 
anfällen und atactischen Symptomen begleitet. 

Ebensowenig als die Kerne, konnten auch die Nerven¬ 
stämme selbst Sitz der Krankheit sein. Denn abgesehen 
davon, daß als Grundlage einer solchen Affection zwei genau 
auf die beiden Nervenstämme localisirte Processe angenommen 
werden müßten, so hätten diese Processe noch die besondere, gewiß 
sehr merkwürdige Eigenschaft besitzen müssen, sich innerhalb 
beider Nervenstämme nur auf deren sensible Partien zu be 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


schränken. Daß Herde mit solchen Eigenschaften nicht existiren 
können, bedarf keines besonderen Beweises, wenn man sich 
daran erinnert, dass die motorischen Fasern des dritten Astes 
sich von demselben erst unterhalb des Foramen ovale trennen. 

So bleibt die Annahme übrig, daß die peripherischen 
Verzweigungen der Trigeminusnerven selbst der eigentliche 
Sitz der Affection bei unserem Patienten gewesen sind. Mit 
dieser Annahme finden denn auch sofort einige Eigentümlich¬ 
keiten der merkwürdigen Krankheit ihre genügende Erklärung. 
So die schleichende Art, mit welcher sie über die peripherischen 
Verbreitungsgebiete der Nn. Trigemini allmälig fortgeschritten 
ist, und der Umstand, daß die Krankheit im afficirten Gebiete 
einzelne Nervenzweige, — so rechterseits den ganzen dritten 
Ast und vom zweiten die die Schleimhaut des Oberkiefers ver¬ 
sorgenden Aeste, — verschont hat. 

Denn schleichend und sehr allmälig die einzelnen 
Aeste eines Nervenstammes außer Thätigkeit setzen kann nur 
derjenige Proceß, welcher auf langen Distanzen von 
Faser zu Faser gelangt und also in einem Gebiet sich aus¬ 
breitet, in welchem die Nervenfasern räumlich von ein¬ 
ander getrennt sind. 

Das aber ist selbstverständlich um so mehr der Fall, je 
mehr man sich den peripherischen Endästen eines sich ver¬ 
zweigenden Nerven nähert. 

Nach dem Nervenstamme zu aber rücken die Fasern 
immer dichter an einander und müssen daher von einer Schäd¬ 
lichkeit, die den Stamm des Nerven selbst trifft, nicht anders 
als insgesammt auf einmal afficirt werden. 

Daß ein krankhafter Proceß, der in der Peripherie von 
Ast zu Ast kriecht, leicht einen und den anderen derselben 
überspringen kann, ist ebenso leicht begreiflich, wie die That- 
sache, daß eine Krankheit, welche sich im Nervenstamm selbst 
eingenistet hat, einzelne Partien desselben nicht verschonen 
kann* 

Was endlich für den Sitz der Krankheitsherde in den 
peripherischen Zweigen des kranken Nerven noch ganz 
besonders sprach, das war der Umstand, daß die Haut sozu¬ 
sagen der prononcirte Sitz des Leidens war, während, wie er¬ 
wähnt, in der Tiefe verlaufende Nerven gewisser Partien — 
so die Alveolar- und Gaumenzweige des zweiten Astes des 
rechten Trigeminus und die beiden Nn. lacrimales — von 
der Krankheit verschont geblieben waren. 

Kann man doch diese Thatsache gar nicht anders deuten, 
als so, daß die die Krankheit veranlassenden Einwirkungen 
peripherischer Natur gewesen sein und so die Haut und mit 
ihr die in derselben verlaufenden Endverzweigungen der beiden 
Quinti zunächst ergriffen haben müssen. 

Die erkrankten Nerven haben alsdann offenbar den 
Krankbeitsproceß centralwärts auf gröbere Stämmchen über¬ 
tragen. Mit dieser Ucbertragung mußten zugleich die von diesen 
Stämmchen ausgehenden Zweige afficirt werden, welche sich 
in tiefer gelegenen Regionen veitheilten. So wird es klar, wie 
diejenigen tieferen Abschnitte von der Krankheit haben ver¬ 
schont bleiben können, in deren Nervenstämmchen der Proceß 
nicht intensiv genug war, um in der genannten Richtung 
nach den Stämmen zu weit genug vorzudringen. 

c) Natur des pathologischen Processes. 

Was die Natur des Processes betrifft, der die Nerven 
in der geschilderten Weise ergriffen und functionsunfähig ge¬ 
macht haben muß, so liegt es den Erfahrungen gemäß am 
nächsten, an eine Entzündung mit nachfolgender 
Atrophie derNervenzu denken, — an eine Neuritis 
et perineuritis cumatrophia ascendentc n. trige- 
mini utriusque. 

(Schloß folgt.) 


Ueber habituelle Obstipation. 

Klinischer Vortrag von Hofr. Prof. Nothnagel. 

(Fortsetzung.) 

Welche Folgen zieht nun eine habituelle Stuhlver¬ 
stopfung nach sich? Wir haben jetzt von diesen Kranken und 
haben von anderen Patienten gehört, die an chronischer Ob¬ 
stipation leiden, daß sie oft tagelang zubringen können, ohne 
die geringsten Beschwerden zu haben, ohne daß objectiv 
irgend weiche Nebenerscheinungen sich nachweisen ließen. In 
anderen Fällen sehen wir mannigfache, oft schwere Neben¬ 
erscheinungen , die als solche unser therapeutisches Handeln 
herausfordern. Es gibt Patienten, bei denen sich in Folge chro¬ 
nischer Stuhlverstopfung ein sog. Hämorrhoidalzustand 
entwickelt. In früheren Zeiten wurde dem Status haemor- 
rhoidalis oder, wie man diesen Zustand auch nannte, der Ple¬ 
thora haemorrhoidalis, eine große Bedeutung beigelegt, es wurde 
derselbe als eine ganz besondere Krankheit angesehen; es 
waren namentlich die Kliniker Hoffmann und Stahl in Halle 
zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, welche sich mit diesem 
Zustande eingehend beschäftigten, und von daher datirt die Be¬ 
deutung, die dem Status haemorrhoidalis beigelegt wurde. Diese 
Hämorrhoidalknoten können nun ohne Beschwerden auftreten, 
sie können aber auch für den Patienten sehr quälend werden. 
Die Beschwerden sind oft rein örtlicher Natur, abhängig von 
der Ueberfüllung der Hämorrhoidalvenen mit Blut, von der 
Entwicklung der Knoten, die das Lumen des Mastdarmes ver¬ 
engern und durch die mechanische Reizung, der sie hier aus¬ 
gesetzt sind, sich entzünden können; hiedurch entsteht 
Tenesmus und es zeigen sich als weitere Folge Erscheinungen 
eines Rectumcatarrhs, einer Proctitis catarrhalis. Diese Ent¬ 
wicklung der Hämorrhoidalvenen ist zuweilen die un¬ 
mittelbare Folge der chronischen Stuhlverstopfung: die Koth 
i massen sammeln sich im Rectum an und beeinträchtigen 
auf rein mechanische Weise den Abfluß des Blutes aus 
dem untersten Ende des Rectums, wodurch es zur Stase, 
zur Erweiterung der Hämorrhoidalvenen und zur Knoten¬ 
bildung kommt. Diese Entwicklung der Venenectasien wird 
nun noch begünstigt durch einige andere Momente, die 
öfter sich dazu gesellen, insbesondere durch das andauernde 
Sitzen der Kranken. Die Patienten sitzen oft stundenlang auf 
einem Sessel, und die dadurch hervorgerufene Erwärmung be¬ 
günstigt ja die Blutzufuhr. So sehen wir, daß unter diesen 
Verhältnissen die Hämorrhoidalknoten leicht sich entwickeln 
können. 

Es gibt aber noch andere Fälle der Entwicklung von 
Hämorrhoiden — und darauf möchte ich Sie ganz besonders anf- 
merksam machen — welche mit Stuhlverstopfung nichts zu thun 
haben. Man sieht manchmal Kranke, bei denen Hämorrhoidal¬ 
knoten sich entwickeln, ohne daß sie an Stuhlverstopfung leiden. 
Es handelt sich hier zumeist um angeborene Anlage. Man muß 
annehmen, daß diese Individuen eine Neigung besitzen zur Er¬ 
weiterung gewisser Abschnitte des Venensystems, ähnlich wie es 
Leute gibt, bei denen eine gewisse Neigung zur Erkrankung der 
Arterien, z. B. der Arteriosclerose, erblich ist, ähnlich wie 
in gewissen Familien die Anlage zu Gicht erblich ist. Bei 
diesen Kranken kommen die Hämorrhoidalknoten oft frühzeitig 
zur Entwicklung, ohne daß sie, wie es ja in diesem Alter 
nicht denkbar, eine sitzende Beschäftigung hätten. Diese 
Form der Hämorrhoidalknoten hat nun mit der früher er¬ 
wähnten in ätiologischer Beziehung nichts gemein. 

Als weitere Folge der chronischen Stuhlverstopfung 
j möchte ich die Beeinträchtigung des Appetits bei 
manchen Leuten erwähnen. Derartige Patienten haben in der 
Regel schlechten Appetit, mitunter klagen sic sogar über 
dyspeptische Störungen, über Aufstoßen, über Drücken nach 
dem Essen u. s. w. Ob das durch eine mangelhafte Abson¬ 
derung des Magensaftes in Folge der chronischen Obstipation 
zn erklären ist, oder ob eine mangelhafte Beweglichkeit des 

1 * 


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407 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


Magens neben einer mangelhaften Beweglichkeit des Darmes 
die Ursache dieser Erscheinung ist, das läßt sich schwer 
sagen. Ja, es wäre neben den erwähnten Ursachen noch eine 
dritte denkbar, indem nämlich durch die Stagnation der 
Darmcontenta Ptomaine sich entwickeln, welche, in’s Blut 
aufgenommen, auf den Darm und Magen einwirken. Aber, wie 
gesagt, welche von diesen Ursachen eigentlich besteht, läßt sich 
kaum feststellen. Daß in der That die Obstipation das Ma߬ 
gebende für die Magenerscheinungen ist, das sehen wir daran, 
daß Leute guten Appetit bekommen, sobald sie regelmäßigen 
Stuhlgang haben. Diese Patienten klagen oft über ein Ge¬ 
fühl von Auf getriebensein und Vollsein im ganzen Leibe: aus 
dem stagnirenden Darminhalte nämlich entwickeln sich Gase, 
die dieses Gefühl hervorrufen, Gase, die sich den Weg nach 
oben suchen und als Ructus oder Flatus dem Patienten sehr 
unangenehm werden, Gase, die mit Peristaltik steigen und 
nach Umständen eine Darmentleerung herbeiführen können. 

Sehr wichtig ist es, zu wissen, daß Stuhl Verstopfung bei 
manchen Leuten eine mächtige Wirkung auf das Central¬ 
nervensystem, und zwar auf die Gemüthsstimmung ausübt. 
Die Leute werden verstimmt, unlustig, sie bekommen eine 
Gemüthsstimmung, die man als eine hypochondrische be¬ 
zeichnet. Sie müssen hier besonders auseinanderhalten und 
dürfen nicht mit einander verwechseln diejenige hypochon¬ 
drische Stimmung, welche selbstständig neben der Stuhlver¬ 
stopfung vorhanden ist mitderjenigen,die von derStuhl Verstopfung 
abhängig ist. Es ist durchaus nicht nöthig, daß diese psychi¬ 
sche Stimmung bei der chronischen Obstipation sich einstellt. Sie 
sehen Leute, die Jahre lang an dieser unregelmäßigen Darmthätig- 
keit leiden, bei denen gar keine Spur von Hypochondrie sich be¬ 
merkbar macht, und Sie haben sich selbst bei dem einen 
Patienten, den ich Ihnen vorgestellt, davon überzeugen können, 
daß derselbe trotz seines schweren Hirnleidens und trotz seiner 
Jahre lang bestehenden Obstipation nichts weniger als hypo¬ 
chondrisch war. Andere Leute sehen wir aber, die in eine 
hypochondrische Stimmung gerathen, wenn sie 2 oder 3 Tage 
keinen Stuhl haben, und ich möchte fast sagen, daß eine ge¬ 
wisse individuelle Anlage vorhanden sein muß, wenn wir sehen, 
daß in dem einen Falle die Stuhlverstopfung so mächtig auf 
die Gemüthsstimmung ein wirkt, in dem anderen Falle gar 
nicht. Aber nicht allein die hypochondrische Stimmung 
ist es, die als Folge der Obstipation eintritt, sondern 
manche Leute bekommen Unlust zur Arbeit, bekommen 
heftige Congestionen zum Kopfe, wie die Laien sich aus- 
drücken, einen heißen Kopf, ein Gefühl von Schwere, von 
dumpfem Druck im Kopfe. Und alle diese Erscheinungen 
verschwinden sofort, wenn die Patienten einen regelrechten 
Stuhlgang bekommen: Aus diesem Grunde galt es bei alten 
Aerzten als erste Regel, bei jeder Art von Kopfschmerz Ab¬ 
führmittel zu verabreichen. 

Wir haben hier wieder zwei Momente für die Erklärung 
dieser Erscheinungen. Einmal kann es sich um eine vorüber¬ 
gehende Beeinflussung der Gefäßnerven handeln, daher das 
Hitzegefuhl, die Hyperämie des Gesichtes und des Kopfes, 
oder es kann sich um Vergiftungserscheinungen handeln, be¬ 
dingt durch Aufnahme der Ptomaine in die Blutbahnen, die 
sich aus dem stagnirenden Darminhalt entwickeln und das 
Gefühl von Druck, von Kopfschmerz, von Schwindel erzeugen. 
Dieses Druckgefühl aber, der Kopfschmerz und der Schwindel 
sind als Vergiftungserscheinungen aufzufassen. 

Ich will hier die Bemerkung anschließen, daß nach einer 
neueren Anschauung, die namentlich von englischen Aerzten 
vertreten ist, die chronische Obstipation auch die Ursache 
abgeben soll für manche Formen von Chlorose bei jungen 
Mädchen. Es scheint, daß die Ptomaine, die sich bei der 
chronischen Obstipation entwickeln und vom Blute resorbirt 
werden, die Verdauung und Ernährung beeinträchtigen , auf 
den ganzen Stoffwechsel schädlich einwirken und so das Bild 
von Chlorose hervorrufen. Den Beweis für diese Annahme 
hat man darin, daß manche Fälle von Chlorose durch Ab 
führmittel geheilt werden. (Schluß folgt.) 


408 


Mittheüungen 

aus der 

gynäkologischen Abtheilung der k. k. Kranken¬ 
anstalt Kudolfstiftung in Wien. 

Von Prof. Dr. Hofmokl in Wien. 

Schon bei der Activirung des k. k. Rudolfspitales wurde 
für die Errichtung einer gynäkologischen Abtheilung in dieser 
Krankenanstalt gesorgt. Ausdrücklich kann man im ersten 
Jahresberichte dieser Anstalt vom Jahre 1865 auf pag. 10 
unter Absatz „Gliederung des ärztlichen Dienstes“: lesen: 
„Außerdem ist einSaal mit 17 Betten für gynäkologische Er¬ 
krankungen ausgeschieden und in administrativer Beziehung 
der I. chirurgischen Abtheilung zugetheilt.“ 

Die Leitung dieser Abtheilung wurde in curativer Be¬ 
ziehung vom damaligeu Director der Anstalt, gewesenen Primar- 
chirurgen des k. k. allgemeinen Krankenhauses in Wien. 
Medicinalrath Dr. Franz Ulrich, welcher seinerzeit sich große 
Verdienste um die Gynäkologie erworben hatte, auf seinen 
eigenen Wunsch übertragen. 

Als Director Ulrich im Jahre 1867 zum provisorischen 
Sanitätsreferenten im k. k. Ministerium des Inneren ernannt 
wurde, übernahm die Führung der gynäkologischen Abtheilung 
der damalige Vorstand der I. chirurgischen Abtheilung, Prof. 
Kahl Böhm. 

Mit der im Jahre 1870 erfolgten definitiven Ernennung 
des Medicinalrathes Director Franz Ulrich zum Sanitäts¬ 
referenten im k. k. Ministerium des Innern und der Ernennung 
des Primararztes der I. chirurgischen Abtheilung, Dr. K. 
Böhm, zum Director der k. k. Rudolfstiftung, wurde die 
gynäkologische Abtheilung von der chirurgischen getrennt, 
und vom Director der Krankenanstalt, Prof. Böhm, bis zu 
seiner Ernennung zum Director des k. k. allg. Krankenhauses 
in Wien selbstständig geleitet. 

Unter Prof. Böhm’s Leitung wurde die gynäkologische 
Abtheilung auf 27 Betten vergrößert, in 2 größeren Zimmern 
und 2 kleinen Separatzimmern untergebracht und in jeder 
Hinsicht zweckentsprechend eingerichtet. 

Ais im Jahre 1887 Prof. Böhm die Anstalt verließ, 
wurde die gynäkologische Abtheilung der II. chirurgischen 
Abtheilung zugetheilt und steht seit dieser Zeit ununter¬ 
brochen bis jetzt mit dieser Abtheilung in Verbindung unter 
meiner Leitung. 

Gegenwärtig enthält die gynäkologische Abtheilung 
27 Betten, welche in 2 getrennten großen, lichten und sehr 
gut ventilirten Sälen und 2 kleinen Separatzimmern unter¬ 
gebracht ist. Eines dieser Separatzimmer dient jetzt aus¬ 
schließlich als Untersuchungszimmer und eventuell zur Aus¬ 
führung kleinerer gynäkologischer Operationen. Das darin 
befindliche Bett wird, außer zu Untersuchungszwecken, sonst 
nicht belegt. Dieses kleine Zimmer enthält außerdem einen 
großen Speculirtisch sammt Zugehör, einen Instrumentenkasten 
mit den entsprechenden gynäkologischen Instrumenten, einen 
Verbandkasten und 2 kleine Tische für Instrumente. 

Die Abtheilung ist mit dem nothwendigen, den modernen 
Anschauungen entsprechenden Instrumentarium versehen und 
verfügt über alle neueren Behelfe, welche durch die moderne 
chirurgische Antiseptik auch für gynäkologische Zwecke sich 
als ersprießlich erwiesen haben. 

Der Wartedienst wird von 4 geschulten Wärterinnen 
und einer geprüften Hebamme, welche permanent auf dieser 
Abtheilung angestellt ist, versehen. Die Abtheilung hat nur 
einen Secundararzt 2. Classe, welcher die Abtlieilung führt. 
Derselbe hat die Verpflichtung, sämmtliche neuangekommene 
Fälle zu untersuchen, die genauen Anamnesen aufzunehmen 
und die Krankengeschichten, sowie die Protokolle der Ab¬ 
theilung zu führen, in sehr dringenden Fällen auch curativ 
cinzuschreiten. Da jedoch die gynäkologische Abtheilung in 
einer organischen Verbindung mit der II. chirurgischen Ab- 
| theilung steht, so ist auch der Secundararzt I. Classe dieser 

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409 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


410 


Abtheilung verpflichtet, in schwierigen und dringenden Fällen 
zu interveniren und das Notlüge sofort zu veranlassen. 

Sämmtliche in der Anstalt bediensteten Secundarärzte 
II. Classe haben das Recht, sich zum Dienste auf die gynä¬ 
kologische Abtheilung zu melden, wohin sie dann von der 
Direktion der Reihe nach zur Dienstleistung bestimmt werden 
und in der Regel auf dieser Abtheilung durch 3—4 Monate 
belassen werden. 

Die Morgenvisite wird täglich vom Vorstände der II. 
chirurgischen Abtheilung selbst sammt allen Secundarärzten 
und Aspiranten dieser Abtheilung auf der gynäkologischen 
Station abgehalten. 

Hier werden die neuangekommenen Fälle genau unter¬ 
sucht, der Status praesens aufgenommen und die entsprechende 
Therapie angeordnet. 

Auch kleinere Operationen werden in dem Untersuchungs¬ 
zimmer gewöhnlich sofort ausgefuhrt. 

Größere gynäkologische Operationen werden in der Regel 
unter Assistenz sämmtlicher Secundarärzte und Aspiranten 
der chirurgisch-gynäkologischen Abtheilung mit Zuziehung 
des jeweilig dazu bestimmten diensthabenden chirurgischen 
und gynäkologischen Wartepersonales im Operationssaal der 
chirurgischen Abtheilung ausgeführt, da derselbe geräumig, 
sehr licht und mit allen Behelfen der modernen Chirurgie 
ausgestattet ist. 

Durch diesen Modus procedendi kommen sämmtliche auf 
der chirurgisch - gynäkologischen Abtheilung dienenden vier 
Secundarärzte in die Lage, täglich gynäkologische Fälle 
zu sehen, dieselben, wenn möglich, zu untersuchen, und, was 
ich für sehr wesentlich halte, auch in ihrem weiteren Ver¬ 
laufe täglich zu beobachten. 

Jeder Secundararzt der chirurgisch-gynäkologischen Ab¬ 
theilung hat das Recht, falls es die Art der Erkrankung ge¬ 
stattet, die Kranken zu untersuchen, und sich in der Deutung 
der verschiedenen Krankheitsbefunde zu üben. Auch kleinere 
gynäkologische Operationen werden den Aerzten der Ab- 
tlieilung zur Ausführung übertragen. 

Durch die Vereinigung der gynäkologischen Abtheilung 
mit der chirurgischen ist gerade für die Subaltemärzte der 
Anstalt das Gute geschaffen, daß nicht blos einer, sondern 
mehrere zugleich in der Gynäkologie bessere Kenntnisse er¬ 
langen und dabei fortwährend mit der Chirurgie in regem 
Contact bleiben, was gewiß, speciell für Anfänger, als ein 
großer Vortheil angesehen werden muß. 

Die Aufnahme der Kranken auf die gynäkologische Ab¬ 
theilung geschieht theils direct vom Journal, theils durch 
Zuweisung aus der täglichen gynäkologischen Ambulanz, 
theils durch Transferirung von den übrigen Abtheilungen der 
Krankenanstalt. 

Vom Journal werden die rein gynäkologischen Fälle 
direct auf die Specialabtheilung dirigirt; nur solche Fälle, 
wo die Diagnose am Journal nicht gemacht werden kann, 
oder wo andere Leiden das Bild compliciren, kommen auf 
andere Abtheilungen, werden jedoch in der Regel von hier, 
wenn sie sich zur gynäkologischen Behandlung als geeignet 
erweisen, auf diese Abtheilung transferirt. 

Ambulante gynäkologisch kranke Frauen werden täglich 
auf der gynäkologischen Abtheilung vom Vorstande selbst 
vorgenommen und ihnen die nöthigen therapeutischen Anord¬ 
nungen gegeben. 

Ueber die gynäkologische Ambulanz wird ein specielles 
Protokoll geführt. 

Auch von den einzelnen Abtheilungen des Hauses werden 
häufig leichtere gynäkologische Fälle zur ambulatorischen 
Behandlung der gynäkologischen Abtheilung zugewiesen. 

Schwangere Frauen, welche wegen irgend einer Erkran¬ 
kung in die Anstalt aufgenommen wurden, verbleiben in der 
Regel, falls es ihr Krankheitszustand erheischt, bis zum Ende 
der Schwangerschaft in der Anstalt und werden erst in den 
letzten Wochen der Schwangerschaft, falls dies möglich ist, 
in die k. k. Gebäranstalt überführt. 


Nur die im Krankenhause auf den verschiedenen Kranken¬ 
abtheilungen vorkommenden, zufällig und plötzlich eintretenden 
Entbindungen werden in der Regel auf die gynäkologische 
Abtheilung transferirt, wenn dies vom Vorstande der 
Abtheilung, auf welcher die Kranke liegt, als entspre¬ 
chend gehalten wird, und wenn nicht irgend eine 
schwere oder ansteckende Krankheit diese Transferirung ver¬ 
bietet. In solchen Fällen können diese Kranken auch auf 
ihren Zimmern, wo sie liegen, von Seiten der gynäkologischen 
Abtheilung entsprechend behandelt werden, was jedoch im 
Ganzen höchst selten vorkommt. 

Durch alle hier vorerwähnten Maßnahmen ist das 
k. -k. Rudolfspital gegenwärtig wirklich in den StanJ gesetzt, 
den Secundarärzten des Hauses der Reihe nach das Dienen 
auf der gynäkologischen Abtheilung durch mehrere Monate 
zu ermöglichen, wodurch auch dieser Zweig der praktischen 
Medicin und Chirurgie gepflegt und die Ausbildung der 
jungen Aerzte auch in dieser Richtung vorteilhaft er¬ 
gänzt wird. 

In den hier weiter folgenden Mittheilungen möge in 
einer kurzen übersichtlichen tabellarischen Zusammenstellung 
die Thätigkeit an der gynäkologischen Abtheilung während 
der Zeit, als sie unter meiner Leitung steht, geschildert 
werden. 

Eine detaillirte Anführung von wichtigen Kranken¬ 
geschichten , sowie übersichtliche Angaben über die ver¬ 
schiedenen , in curativcr und anderer Beziehung gemachten 
Erfahrungen, die aus der Beobachtung dieser oder jener 
Krankheitsgruppe resultiren, behalte ich mir für eine spätere 
Veröffentlichung vor. Auch muß hier bemerkt werden, daß jene 
gynäkologischen Operationen, die bei Kranken, vorgenommen 
wurden, welche auf die II. chirurgische Abtheilung aufgenommen 
und hier behandelt wurden, in dieser Zusammenstellung nicht 
mit inbegriffen sind. 

Es wurden somit nach dieser Zusammenstellung während 
der 2 Vs Jahre auf die gynäkologische Abtheilung der 
k. k. Rudolfstiftung 676 Frauen aufgenommen und ärztlich 
hehandelt. Von diesen wurden 457 geheilt, 167 gebessert 
und 34 ungeheilt entlassen; 18 Fälle sind mit Tod ab¬ 
gegangen. 

Bei diesen 676 klinischen Fällen wurden 170 operative 
Eingriffe vorgenommen. 

Im Ambulatorium wurde während dieser Zeit 355 
gynäkologisch kranken Frauen ärztlicher Rath ertheilt, sowie 
bei einzelnen auch kleinere Operationen ausgeführt. 

Aus diesen Mittheilungen erhellt, daß auf der gynäkolo¬ 
gischen Abtheilung des k. k. Rudolfspitales während dieser 
2Vs Jahre eine ziemlich rege Thätigkeit geherrscht hat und 
die bisher erzielten Erfolge gewiß als zufriedenstellend be¬ 
trachtet werden können, wenn man erwägt, daß von den auf 
676 Kranke entfallenden 18 Todesfällen 11 Fälle auf sehr 
schwere, septische Puerperalprocesse, 2 Fälle auf Tuberculose 
und 2 Fälle auf perforirende Uteruscarcinome zu rechnen sind. 

Manche von den verstorbenen septischen Puerperal¬ 
kranken kamen bereits in so weit vorgeschrittenem Stadium 
der septischen Infection, daß sie nach 24—48 Stunden ge¬ 
storben sind. 

Es können somit 15 der erwähnten Todesfälle füglich 
als solche bezeichnet werden, wo bei diesen Kranken jedes 
curative Verfahren vergeblich war und dieselben absolut ver¬ 
loren waren, als sie die Anstalt aufsuchten. 

Es verbleiben somit nur noch 3 Todesfälle (1 Cystovarium, 
1 Fibrom, 1 suppurative Parametritis), mit denen zu rechnen 
wäre, was von 661 Kranken abzüglich der 15 Todesfälle) 
ein Mortalitätsprocent von 0'45 ausmacht. 

Dieser Procentsatz ist gewiß nicht groß zu nennen, wenn 
man bedenkt, daß unter den 676 Fällen allein 9 frische Ge¬ 
burten, 57 Abortus, 13 Uterusblutungen nach überstandenen 
Geburten oder nach Abortus, 5 Blutungen in Folge Fibroiden, 
56 Fälle von Blutungen heftigster Art in Folge von Carcinom 
des Uterus und 3 Ovariotomien vertreten waren. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11 


1890. — 


412 


Tabellarische Zusammenstellung säm tätlicher Erkranknngsfornien jener Kranken, welche von Mitte Juli 1887 bis Mitte Februar 1890 auf 
die gynäkologische Abthellung des k. k. Budoifspltales aufgenoramen and daselbst ärztlich behandelt wurden. 


Diagnose 

öS 

£ 

S 

2 

geheilt 

gebessert 

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0) 

6C 

G 

G 

t 

Operative Eingriffe 

Mastitis. 

5 

5 

_ 

_ 


Onkotomie: 5 

Rnptura perinci p. partum. 

4 

4 

— 

— 

— 

Perineoraphia: 4 

Bartholinitis . 

4 

4 

— 

— 

— 

Onkotomie: 4 

Prolapsus vaginae. 

1 

1 

— 

— 

— 

Kolporaphia posterior: 1 

Kolpitis. 

23 

23 

— 

— 

— 


Blennorrhoea vaginae . 

9 

9 

— 

— 

— 

Abtragung von Condyl. acumin.: 1 

Decubitus vaginae e pessario. 

1 

1 

— 

— 

— 


Epitheüokia labii maioris. 

1 

1 

— 

— 

— 

Exstirpatio: 1 

Polypus urethrao. 

2 

2 

— 

— 

— 

Exstirpatio: 2 

Vulnus lacerum vagiuae e coitu . . . 

1 

1 

— 

— 

— 


Fistula vesico-vaginaPs. 

1 

— 

— 

1 

— 

Nicht operirt 

Fistula rccto-vaginalis. 

4 

1 

3 

— 

— 

Operation: 1 

AntcHexio Uteri.. 

(i 

4 

2 

— 

— 

Massage: 4 

Retroflexio Uteri. 

18 

2 

16 

— 

— 

Repositio: 5 

Prolapsus Uteri. 

13 

2 

10 

1 

— 

Kol|oraphia ant. et post: 2 

Stenosis Uteri. 

S 

5 

3 

— 

— 

Discissio mit Messer, resp. Seheere: 5; Dilatation mit Schui.tzk's Dilatatorien : 3 

Endometritis c rvicis. 

52 

28 

23 

1 

— 

Scaritication der Portio: 2 ; Discissio: 4; Dilatation: 2 

Catarrhus Uteri. 

30 

15 

15 

- 

- 


Metritis. 

87 

67 

20 

— 

— 

Curettement: 3; Keilexcision: 3; Discission: 5; Scaritication der Portio: 2 

Endometritis. 

63 

55 

8 

— 

— 

Curettemcnt: 22 

Perimetritis. 

3 

3 

— 

— 

— 


Paiametritis. 

83 

56 

25 

1 

1 

Incision vom hinteren Laquear: 4; Incision der Bauchdecken: 1; Laparotomie: 2 

Haematocele poriuterina. 

7 

5 

2 

— 

— 

Punctio: 1; Iucisio: 1 

Dvsmenorrhoea.. 

48 

45 

3 

— 

— 

Curettement: 2 

Metrorrhapia p. partum. 

8 

7 

1 

— 

— 

Curettement: 2 

Metrorrhagia p. abortum. 

5 

0 

— 

— 

- 

Curettement: 3 

Mctrorrhagia e fibroma . 

5 

4 

— 

— 

1 

Laparotomie: 1 

Tuberculosis Uteri . 

A bortus. 

1 

57 

56 

— 

— 

1, Tub. 

| Periton. 1 

1 tub. 1 1 

Manuelle Entfernung der Frucht: 4; manuelle Entfernung der Placenta 14; 
manuelle Entfernung der Eihäute: 1 

Partus. 

it 

9 

— 

— 

— 

Curettement: H 

Processus puerp-ralis. 

33 

22 

— 

— 

11 

Curettement: 5; Uterusdrainage: 2 

Eclampsia gravidarum. 

1 

1 

— 

— 

— 


Oophoritis. 

4 

3 

1 

— 

— 


Salpingitis . 

1 

— 

1 

— 

— 

• •* - • • 

Carcinoma cervicis et eorp. nteri . . . 

56 

1 

24 

29 

2 

Amputation der Portio mit galvanocaustischer Schlinge: 2; Excoehleatio : 25 

Fibroma uieri. 

8 

1 

7 

— 

— 

Fibroma cervicis. 

4 

3 

l 

— 

— 

Exstirpation mit Messer: 3 

Polypus uteri. 

4 

4 

— 

— 

— 

Mit Drahtecraseur: 1; mit Polypenzange: 3 

C’ystovarium . 

6 

2 

2 

1 

1 

Ovariotomie: 3; Punctio: 2. 

Summa . . . 

Ambulatorium. 

676 

355 

457 

167 

34 

18 

Summe der operativen Eingriffe: 1?U 


Referate und literarische Anzeigen. 


v. Pettenkofer: Ueber Gasbeleuchtung und elek¬ 
trische Beleuchtung vom hygienischen Stand¬ 
punkte aus. 

Im ärztlichen Vereine in München hielt jüngst Pettenkofer 
einen höchst lehrreichen und zeitgemäßen Vortrag über diesen 
Gegenstand, dem nach Nr. 7 der „Münch. med. Woch.“ Folgendes 
entnommen ist: 

Die Qualität des Lichtes hat bekanntlich auf die Sehschärfe 
und auf den Farbensinn einen ganz bestimmten Einfluß, und was 
die Sehschärfe anbelangt, so hat sich ergeben, daß beim Gaslicht 
dieselbe herabgesetzt wird (nach Messungen etwa um 0*1), daß aber 
das elektrische Licht sogar gegenüber dem Tageslicht einen gewissen 
V orzug besitzt. 

Viel größer noch ist der Einfluß auf den Farbensinn; es 
verbessert das elektrische Licht, namentlich das Bogeulicht, im 
Vergleiche mit dem Tageslicht, sowohl den rotben Sinn, wie den 
grünen Sinn, den blauen Sinn und den gelben Sinn sehr wesentlich. 
Diese Vorzüge besitzt wesentlich das Bogenlicht, das elektrische 
Glühlicht hat dieselben nicht mehr in diesem Grad und nähert sich 
in dieser Hinsicht mehr dem Gaslicht. 

Ein anderer Punkt von Bedeutung ist die Blendung, die unsere 
künstliche Beleuchtung hervorrnft. Jede Lichtquelle, wenn sie in¬ 
tensiv ist, reizt bekanntlich das Auge, weshalb wir nur zerstreutes 


Licht haben wollen. In dieser Hinsicht ist nun das Gaslicht wieder 
im Vortheile vor dem elektrischen Licht. Je intensiver die Licht¬ 
quelle ist, welche unmittelbar in’s Auge gelangt, um so mehr reizt 
sie das Auge, und da bei der elektrischen Beleuchtung die gleiche 
Lichtuienge von einer kleineren Quelle ausgoht als bei der Gasbe¬ 
leuchtung, so ist natürlich das elektrische Lieht auch reizender. 
Freilich läßt sich dieser Nachtheil des elektrischen Lichtes dadurch 
beseitigen, daß man das Licht durch eine matte Umhüllung zu einem 
zerstreuten Licht macht. Dadurch geht aber viel Helligkeit ver¬ 
loren, uüd zwar nach den Messungen im Münchener Hoftheater 
etwas mehr als 20 Proc. 

Was die Wärme anbelangt, wqjche vom elektrischen Lichte 
und von der Gasflamme ausgeht, so ist der Unterschied ein sehr 
bedeutender. Es wurden darüber Versucne gemacht in der Weise, 
daß man berußte Thermometer in eiue gewisse Nähe von Edison- 
brennern und Gasflammen, welche die gleiche Helligkeit hatten, ge¬ 
bracht hat, und da zeigte sich, daß das berußte Thermometer in der 
Nähe einer Gasflamme noch einmal so hoch steigt bei gleicher 
Helligkeit, als in der Nähe eines Edisonsbrenners. Die absolute 
Wärme, die von einer gewissen Helligkeit von Gas oder Elektricität 
geliefert wird, ist noch größer als man glaubt. 

Aber nicht blos in Bezug auf die Belästigung durch Hitze hat 
das elektrische Licht einen Vorzug, sondern überhaupt auf den 
ganzen Einfluß der Beschaffenheit der Luft. Das elektrische Licht 
verhält sich vollkommen anders als unsere Gas-, Kerzen- oder Oel- 
flarume, es verändert die Beschaffenheit der Luft gar nicht, es theilt 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


ihr wohl etwas Wärme mit, aber weiter nichts, und nimmt auch 
nichts von der Luft auf. 

In neuerer Zeit ist auch ein anderer Nachtheil der Gasbeleuch¬ 
tung eelatant hervorgetreten, nämlich die Gefahr derselben bei 
chirurgischen Operationen, die bei Chloroformuarcose ausgeführt 
werden, allein auch diese Gefahren lassen sich dadurch vermeiden, 
daß man die Verbrennungsproducte von der Flamme nicht in das 
Zimmer herausgehen läßt, sondern direct abführt. Schlimmer ist es 
nun mit dem Gas, was die Gefahr betrifft, die es durch Explosion, 
als auch durch Vergiftungen bedingt, wie dies ja hinlänglich bekannt 
ist. Die einzige Prophylaxe, die dagegen denkbar ist, wäre, daß 
man sucht, das Kohlenoxyd aus dem Leuchtgas zu entfernen; gegen¬ 
wärtig hat aber die Chemie keine praktischen Reinigungsmittel für 
Kohlenoxyd gefunden. 

Trotz der großen Vortheile des elektrischen Lichtes bringt 
dasselbe dem Menschen doch beträchtliche Gefahr, es vergiftet aller¬ 
dings nicht wie das Gas, aber es kann den Menschen blitzartig 
tödten und Häuser anzünden; diese Gefahr wächst mit der Aus¬ 
dehnung und Verallgemeinerung der elektrischen Beleuchtung und 
es ist sehr fraglich, ob zur Zeit, wo ebenso viele Häuser elek¬ 
trisch beleuchtet wären, als mit Gas beleuchtet sind, weniger Un¬ 
glücksfälle Vorkommen würden. Zur Illustration dieser Behauptungen 
citirt Pettenkofer mehrere im Verlaufe der letzten 2 Monate in 
Amerika, wo die elektrische Beleuchtung am meisten Anwendung 
findet, vorgekommene Unglücksfälle. Aus all dem geht nach P. 
hervor, daß Gasbeleuchtung und elektrische Beleuchtung zur Zeit 
noch nebeneinander als coucurrenzfähig anzusehen sind. 

Ob jene Zeit kommt, wo die eine Industrie die andere ver¬ 
drängt, ist höchst zweifelhaft, wenn man die Geschichte des Be- 
leuchtungswesens überblickt. Die pompeianische Lampe und der 
Holzspabn sind zwar vom Schauplatz für immer verschwunden, seit¬ 
dem wir durch Lavoisieb den Verbrennungsproceß besser kennen 
gelernt haben, aber nicht die Kerze und die mit Oel gespeiste 
Argandlampe, gegen welche die Gasbeleuchtung und die elektrische 
Beleuchtung aufgetreten sind. Gleichwie jetzt, seit wir die elek¬ 
trische Beleuchtung haben, die Gasfabriken nicht weniger Gas er¬ 
zeugen als früher, so braucht man auch nicht weniger Stearin und 
Petroleum wie sonst, sondern im Gegentheil, viel mehr. Nach den 
Untersuchungen von Fischer, Erismann, Soyka und Rübner liefert 
bei gleicher Lichtstärke eine gut construirte Petroleumlampe immer 
noich das weitaus billigste Licht, das Gaslicht ist mindestens noch 
einmal so theuer, Edisonlicht 3mal, Rüböl 7mal und Stearinkerzen 
27mal theurer als Petroleum. M. 


Bazoni (Prag): Sectio caesarea post mortem. 

Nach den in Oesterreich geltenden, bereits vom Jahre 1757 
datlrenden Bestimmungen muß bekanntlich immer, wenn eine Frau 
m vorgeschrittener Schwangerschaft stirbt, zur möglichen Erhaltung 
der Leibesfrucht unmittelbar nach sicher constatirtem Tode der 
Mutter die sogenannte Sectio caesarea post mortem gemacht werden. 
Die Zweckmäßigkeit dieser Bestimmung wurde vielfach in Abrede 
gestellt, und erst in allerjüngster Zeit wurde dieselbe von fachmän¬ 
nischer Seite als zwecklos und daher ganz überflüssig bezeichnet, 
indem es sehr zweifelhaft sei, daß die Frucht im Uterus die Mutter 
überleben könne und auch in der neueren Literatur kein sicher 
oonstatirter Fall dieser Art verzeichnet ist. 

Ein von im B. „Öasopis 16kafu cesk^oh“ (1890, Nr. 9) ver¬ 
öffentlichter Fall zeigt jedoch, daß durch die Sectio caesarea post 
mortem ein lebendes Kind auf die Welt gebracht werden könne, 
und daß demnach die angeführte Verordnung mit voller Berechti¬ 
gung in Kraft bestehe. Am 3. April 1889 wurde auf die Abthei¬ 
lung des Prof. Dr. Eiselt eine im 7. Schwangerschaftsmonate 
stehende Frau mit ausgesprochenen Erscheinungen einer Meningitis 
basilaris tuberculosa gebracht. Während der dreitägigen Beobach¬ 
tung im Spitale schwankte die Temperatur zwischen 39° und dtM 0 ; 
Exitus am 7. April. Da nach den gegebenen Umständen die Ein¬ 
leitung der künstlichen Frühgeburt als inopportun für Mutter und 
Kind betrachtet wurde, so wurdcu noch während des Lebens der 


414 


Mutter alle Vorbereitungen zur Vornahme der Sectio caesarea post 
mortem getroffen, und dieselbe auch 20 Minuten nach sicher con¬ 
statirtem Tode auf die übliche Weise ausgeführt. Das asphyktische 
Kind fing nach 1 / 4 stündigor Bemühung zu athmen und schwach zu 
schreien an und lebte durch 21 Stunden. Die unmittelbare Todes¬ 
ursache war angeborene Schwäche, und es läßt sich mit Sicherheit 
behaupten, daß ein ausgetragenes, gut entwickeltes Kind am Loben 
geblieben wäre. Der Autor hobt mit Recht hervor, daß der mitge- 
theilte Fall um so größeres Interesso verdieut, als die Bedingungen 
für die Erhaltung des Lebens der Frucht in Folge der mehrere 
Tage vor dem Tode bestandenen hohen Körpertemperatur der Mutter 
und der mehrstündigen Agone äußerst ungünstige gewesen sind. 

—z. 


Die moderne Behandlung der Nervenschwäche 
(Neurasthenie), der Hysterie und verwandter 
Leiden. Mit besonderer Berücksichtigung der Luftcuren, 
Bäder-, Anstaltsbehandlung und der MiTCHELL-PLAYFAiR’schen 
Mastcur von Dr. Löwenfeld, Specialarzt für Nervenkrankheiten 
in München. Zweite, vermehrte Auflage. Wiesbaden 1889. 
J. Bergmann. 

Das Buch, das nun in zweiter, reich vermehrter Auflage er¬ 
scheint, gibt eine treffliche Anleitung, den Werth und die Ausführung 
der mannigfachsten Curmethoden kennen zu lernen. Nur ein reich 
erfahrener und scharf beobachtender Arzt kann so vielfach durch 
klare Darlegung der Indicationen junge Aerzte anleiten, Curen als 
mehr denn Modesaohen anzuseben und alle Heilverfahren strenge 
individualisirend anzuwenden. Mögen die aus eigenem Erlebten 
hervorgegangenen Darstellungen und Winke des geistvollen Ver¬ 
fassers mit der überzeugenden Kraft eines Kenners seiner Materie 
anch Jünger finden! Docent Dr. R. v. Pfongen. 


Die Physiologie und Pathologie des Wochenbettes. 

Von Dr. H. Fehling, Professor und Director der geburtshilflich - 

gynäkologischen Klinik der Universität Basel. Stuttgart 1890. 

F. Enke. 

Die durch Semmelweis gebahnte Erkenntniß der Aetiologie 
des Wochenbettfiebers hat durch die bacteriologischen Forschungen 
und das Studium der Wundkrankheiten Fortschritte gemacht, welche 
totale Umwälzungen in der Behaudlnng des normalen und gestörten 
Wochenbettes nach sich zogen. Den ganzen Entwicklungsgang der 
Anschauungen und ihren gegenwärtigen Stand entrollt Febling 
in diesem Buche, welches von der Vorliebe zeigt, mit welcher sich 
der Verf., dem ein reiches einschlägiges Krankonmaterial zur Ver¬ 
fügung stand, dem Studium dieser Fragen gewidmet hat. 

Das Buch behandelt die Physiologie (Rückbildungsvorgänge 
und Leitung) des normalen Wochenbettes und die Pathologie des 
Puerperiums (infectiöse und nicht infectiöse Störungen, wie Blutungen, 
Lageveränderungen des Uterus, Verletzungen, Eclampsie etc.). 

Nach ‘/aStündiger Ueberwaohung post partum gestattet F. in 
normalen Fällen den Schlaf, nachdem vorher noch als Abschluß 
der Entbindung die äußere Reinigung der Genitalien vorgenommen 
worden. Für die ersten 24 Stunden wird absolut ruhige Rückenlage 
verlangt, in normalen Fällen vom 2. Tage au Seitenlagerung go- 
stattet und vom 5.—6. Tage wechselnde Lage, besonder! Seitenlage 
als nothwendig bezeichnet, um Retroflexionen zu vermeiden, die 
sicher häufig eine Folge zu lange eingehaltener Rückenlage sind, 
ein propbylactisches Moment, dessen Wichtigkeit im Allgemeinen in 
der Wochenbettpflege zu wenig berücksichtigt wird. Bei kräftigen 
Frauen wird unter normalen Verhältnissen am 8. oder 9. Tage das 
Aufsitzen erlaubt und nach einigen Tagen das Aufstehen. Dagegen 
wird bei schwächlichen anämischen Personen nach leichteren Störuugen 
(Resorptionsfieber, mangelhafte Involutionen etc.) und bei günstiger 
situirten Frauen der Termin für das Aufsitzen selbst bis zum Ende 
der 3. und für das Aufstehen bis zum Eude der 4. Woche ver¬ 
schoben. 

Ausspülungen sind im normalen Wochenbett nicht nothwendig, 
sondern nur Abspültingcn (1° „ Carbolwasscr). 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


416 


Gegen die Annahme der Selbstinfection im Wochenbette macht 
F. energisch Front and erkennt nur solche Fälle an, in welchen 
überhaupt gar keine Berührung stattgefunden hat. Solche Fälle 
sind sehr selten und meist leicht. 

Ebenso verwahrt sich F. gegen den Begriff des sogenannten 
Milchfiebers. 

Das Puerperalfieber gruppirt F. nach zwei großen Krankheits¬ 
bildern in die septicämische oder lymphangitische Form und die 
venöse, phlebothrombotische Form mit ihren verschiedenen Unter¬ 
abtheilungen. 

In der Therapie der puerperalen Sepsis steht F. so ziemlich 
auf dem Standpunkt Ronge’s, indem er für die Alkoholtherapie und 


F euilleto n. 

Berliner Briefe. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

m. 

Ueber die Hygiene in den Carorten. 

Ein die weitesten Kreise interessirendes Thema war es, welches 
Prof. Liebreich bei Eröffnung des diesjährigen Balneologen-Congresses 
zu Berlin in eingehender Weise besprach. Die Hygiene der Bäder 
ist nicht blos für die praktischen Aerzte im Allgemeinen und für 
die Badeärzte insbesondere von hoher Wichtigkeit und Bedeutung, 
sondern in allererster Linie ist das die Curorte besuchende Publikum 
in hohem Maße bei der mehr oder minder gewissenhaften Durch¬ 
führung der hygienischen Einrichtungen der Badeorte betheiligt, und 
daher ist es mit großer Genugthuung zu begrüßen, daß vor Jahres¬ 
frist auf Beschluß der balneologischeu Gesellschaft eine Commission 
mit der weiteren Verfolgung dieser wichtigen Angelegenheit beauf¬ 
tragt wurde. Auf Anregung dieser Commission ist ein außerordent¬ 
lich reichhaltiges statistisches Material eingegangen, welches Zeugniß 
davon ablegt, daß namentlich in alten und bewährten Curorten 
Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz die hygienischen Ein¬ 
richtungen auf einer sehr hohen Stufe stehen. In einer großen 
Reihe von neueren Badeorten dagegen, namentlich in gewissen See¬ 
bädern und in Heilstätten, welche lediglich speculativen Zwecken 
dienen, entsprechen die hygienischen Einrichtungen durchaus nicht 
den an sie zu stellenden Anforderungen. Es ist nicht zu verkennen, 
daß die Leute, welche von der Uebermüdung der Städte ihr Heil 
in den Curorten suchen, in eine recht üble Lage versetzt werden, 
wenn sie aus großartig durchgeführten hygienischen Einrichtungen 
in Orte kommen, welche trotz vorzüglicher Luft und ausgezeich¬ 
neter Bäder wegen der primitiven hygienischen Verhältnisse eine 
erfolgreiche Cur geradezu unmöglich machen. Die Presse hat schon 
wiederholt, und nicht ohne Erfolg, auf einzelne dieser Uebelstände 
aufmerksam gemacht. Gerade den Aerzten wird in manchen Gegenden 
in dieser Beziehung seitens der Verwaltungen ein großer Widerstand 
entgegengesetzt, und doch liegt es vorzüglich im Interesse der 
Aerzte, daß die Curgäste in anständiger, billiger hygienischer Weise 
bedient werden. Die baineologische Commission hat mit ihrer Statistik 
nicht die Absicht gehabt, als Richter über die einzelnen Curorte 
aufzutreten, sondern sie verfolgt das Ziel, durch Aufdeckung der 
Mängel und Schäden den ganzen Stand der Bäder und klimatischen 
Curorte zu heben. Würde in dieser Beziehung in Zukunft keine 
Besserung und Abhilfe geschehen, so könnte leicht vom Staate der 
Anspruch erhoben werden, es gehöre in Bezug auf die hygienischen 
Einrichtungen eine Art Approbation dazu, um Badeort zu sein, und 
es würden schließlich Maßregeln getroffen werden müssen, um die 
Curorte zur Verbesserung der hygienischen Einrichtungen direct zu 
zwingen. 

Bei der Durchsicht des vorliegenden reichen Materials hat 
Liebreich vor Allem gefunden, daß seitens verschiedener Curver- 
waltungen ein reges Interesse für die meteorologischen Be¬ 
obachtungen entwickelt und bethätigt worden ist. Was die 
Mortalitätsziffer betrifft, welche die Curgäste darbieten, so 
ist dieselbe zu einer genauen Beurtheilung der hygienischen Ver¬ 


Bäder eintritt, dagegen die Antipyretica als nutzlos, ja schädlich 
verwirft und zur Verminderung der Fieberhitze kalte Abwaschungen 
oder kalte Compressen über etwa ein Drittel der Körperoberfläche 
applicirt. Den Gebrauch des Sublimates in der intrauterinen 
Wochenbetttherapie bezeichnet F. geradezu als Fahrlässigkeit. 

Das Buch ist als klare und gut geordnete, einen zusammen¬ 
fassenden Ueberblick bietende Schilderung der heutigen Wochen¬ 
bettslehre jedem Arzte zu empfehlen und wird dem Praktiker um 
so willkommener sein, als es neben ausführlichen theoretischen Er¬ 
örterungen eben so detaillirte Symptomatologie und Therapie der 
einzelnen Störungen des Wochenbettes bringt. Breus. 


hältnisse des Curortes ganz unbrauchbar, weil vornehmlich die 
Anamnese der Patienten nicht bekannt ist. 

Die Beschaffung von Nahrungsmitteln bietet durch¬ 
aus nicht die absolut nothwendigen Garantien. Sohlachthäuser und 
Controle des Fleisches fehlen in einer Reihe von Curorten voll¬ 
ständig, obgleich eine solche Controle keineswegs mit bedeutenden 
Schwierigkeiten verknüpft sein würde. Bemerkenswerth ist die 
außerordentlich große Calamität in Bezug auf Untersuchung der 
Milch, deren Controle selbst in größeren Badeorten nicht in der 
erforderlichen Weise durchgeführt wird. Ueber die Art der Fütte¬ 
rung der Kühe ist gar nichts bekannt, sie wird auch nicht über¬ 
wacht und daher ist es nicht eben verwunderlich, wenn in Fällen, 
wo Kinder ihre Angehörigen in’s Bad begleiten, eine Reihe von 
Kinderkrankheiten entsteht, welche auf die schlechte Beschaffenheit 
der Milch zurückzuführen sind. Aufgabe der Aerzte muß es sein, 
den Mangel einer Controle der Nahrungsmittel zu beseitigen. 

Auch auf die Beschaffenheit der Wohnungen ist 
selbst in sehr guten Badeorten bisher sehr wenig Rücksicht genommen 
worden. Jeder Einwohner, der in einem Curorte eine Wohnung be¬ 
sitzt, glaubt sich berechtigt, dieselbe im Sommer zu vermiethen, 
während der Besucher, namentlich bei starkem Andrange, nehmen 
muß, was an Wohnungen noch übrig ist. Die zu vermiethenden 
Wohnungen müßten unter allen Umständen einer ärztlichen Controle 
unterliegen. 

Es ist dringend nothwendig, daß die Aerzte jedes Curortes 
zusammen treten und mit Hilfe der Polizei Verwaltung eine ärztliche 
Revision jeder Wohnung, bevor sie vermiethet wird, durchsetzen. 
Jeder Badeort, welcher diese Forderung erfüllt, wird für die Patienten 
eine viel größere Sicherheit gewähren und dadurch an Frequenz 
gewinnen. 

Was die Aborte anbetrifft, so ist bezüglich derselben in den 
meisten Curorten außerordentlich viel geschehen; selbst in kleineren 
Badeorten sind jetzt Wasserleitungen ganz ausgezeichneter Natur 
vorhanden. 

Eine richtige Sterblichkeitsstatistik der Bewohner 
der Badeorte ist dringend anzustreben. So sind z. B. in einem Bade¬ 
orte 22 °/ 0 aller Todesfälle der Einwohner auf Infectionskrankheiten 
zurückzuführen, ebenso 10% aller Todesfälle der dorthin gesandten 
Badegäste. 

Auch der Trinkwasserfrage wird nicht immer die nöthige 
Aufmerksamkeit geschenkt, spcciell in den Seebädern, so daß man 
als vorsichtiger Arzt bei Kenntniß der Sachlage die Patienten warnen 
muß, diese Orte zu besuchen. Durch ein unbrauchbares Trinkwasser 
werden alle vorhandenen Heilmittel eines Badeortes geradezu zu 
nichte gemacht. Der Einwurf nicht genügender Mittel kann nicht 
als Entschuldigung gelten, denn alsdann mögen nur die dort lebenden 
Einwohner das Wasser trinken, nicht aber andere Menschen ver¬ 
anlassen, an diesen Ort zu kommen, um das schlechte Trinkwasser 
zu genießen. 

In dieser Beziehung muß mit aller Strenge und Schärfe vor¬ 
gegangen werden. 

Endlich ist zu erwähnen, daß keineswegs in allen Curorten 
Isoliranstalten und Leichenhäuser vorhanden sind. Nach 
Errichtung derselben wird es nicht mehr wie jetzt nothwendig sein, 
die Leichen des Nachts iu aller Eile aus den Hotels fortzuschaffen 
und zu begraben. Liebreich traf einst nächtlicherweile in einem 
Badeorte einen beladenen Karren, eseortirt von oinem Gensdarmen, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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so daß er glaubte, es handle sich um einen Pulvcrtransport: es 
handelte sich um eine Hals über Kopf fortgeschaffte Leiche, welche 
schleunigst begraben werden sollte. 

Alle die angeführten Schaden sind jedoch glücklicherweise nur 
vereinzelt; im Ganzen aber können die deutschen Aerzte mit 
Stolz und Vertrauen auf die Badeorte und ihre hygienischen Ein¬ 
richtungen blicken. —r. 

Militärärztliche Plaudereien. 

I. Von der — Adjustirung. 

—ch. Mit weiser Nestormiene, still lächelnd, wirft wohl 
mancher „Civilist“ die Frage auf, ob denn die Herren Militärärzte 
keine brennenderen Angelegenheiten auf dem Herzen haben, als die 
Kleiderfragc; warum gerade diese Frage zur Ehre gelangt, an der 
Spitze der Lebensaufgaben zu stehen; ob die sonst so strebsamen 
militärärztlichen Collegen nicht nach Edlerem ringen, ob ihnen nichts 
Höheres vorschwebt, als dieser Kleiderflitter? 

Darauf muß erwidert werden, daß nach der militärischen Ge¬ 
pflogenheit wohl zuerst der geringere Gegenstand erörtert wird, 
gleichwie bei Stimmenabgaben vorher die Jüngeren vernommen 
werden, daß aber die Adjustirungsfrage beim Kriegerstande immerhin 
von hoher Bedeutung ist, weil man hier auf das Aeußere, auf die 
Form, ein viel größeres Gewicht legt, als bei jeder anderen Cor¬ 
poration. Es gab eine Zeit, in der auch die Militärärzte dieser 
Frage eine besondere Wichtigkeit zugeschricben haben. Die Tra¬ 
dition erzählt von einem Chef des militärärztlichen Officierscorps 
(Kottmayer), welcher in der Blüthe seiner Jahre in den Ruhestand 
sich zurückzog — er verlebte darin noch 30 Jahre — weil er 
den grünen Federbusch ablegen mußte, den er einst tragen durfte. 
Die Adjustirung der Militärärzte erlitt im Laufe der zweiten Hälfte 
dieses Jahrhunderts gar viele Veränderungen, aber immer zu ihren 
Uugunsten. 

Sie erfreuten sich bereits aller Embleme und Distinctionszeichen 
wie die Officiere. Sie wurden ihrer aber bald ohne eigenes Verschulden 
verlustig und erhielten zur Unterscheidung der Chargen Litzen auf 
den Rockkragen und Borten auf den Aermelaufschlägeu, so daß man 
sie niemals von einander unterscheiden konnte, wenn sie mit dem 
Mantel bekleidet waren. Die Stabsärzte waren oben Fisch und unten 
Mensch, sie glichen nämlich oben den subalternen Aerztcn, unten 
aber den Stabsofficieren. Damit sich die Stabsärzte ja nicht in den 
Kopf setzten, den Stabsofficieren ähnlich zu sein, durften sie keinen 
bordirten Hut tragen. Die letzte, an der ärztlichen Adjustirung 
vorgeuommene Aenderung betraf den Mantel. Derselbe besitzt nun¬ 
mehr schwarze anstatt rother Passepoils, um uicht etwa mit dem 
Mantel der GeneralBtabs - Officiere verwechselt zu werden. Doch 
cs ist nicht unsere Absicht, eine Geschichte der militärärztlichen 
Uniformirung zu schreiben. Ebensowenig kommt es uns in den 
Sinn, die ärztliche Tracht zu bekriteln, wiewohl dieselbe manche 
Blößen zur Schau trägt. Wir wollen vor Allem den sehr 
unpraktischen Federhut in Ruhe lassen, mit dem in geschickter 
Weise balancirt werden muß, wenn er gerade sitzen sollte. Die 
Militärärzte tragen gegenwärtig eine im Allgemeinen zweckmäßige, 
anständige, ja sogar elegante Uniform, fast wie die anderen Officiere. 
Doch fehlt ihnen das wesentlichste, ja das einzige, den Officier 
kennzeichnende Adjustirungsstück. Es ist dies die Feldbinde. 

In früheren Zeiten hielt man das goldene Porteöpee für das 
eigentliche Officiersemblem. Jetzt bildet die Feldbinde bei der Infanterie 
und Landwehr, oder die Cartouche bei den Officieren der reitenden 
Truppen das wahre Merkmal der Officiere. Allerdings müssen die 
Mitglieder des Officierscorps der Auditore und Rechnungsführer 
gleichfalls dieser Insignien des Officiersstandes entbehren. Aber 
abgesehen davon, daß die Auditore und Truppen-Rechnungsführer 
gleich den Aerzten nur zu den Pseudo-Officieren gehören, kommen 
diese beiden sogenannten Officierscorps nur sehr selten in’s Feld, 
weshalb sie leicht auf die Feldbinde Verzicht leisten können. Die 
Aerzte aber zählen zu Bcllona’s treuesten Dienern , sio theilen mit 
dem Wehrmann alle Mühseligkeiten und Gefahren, sic kommen gerade 


im Felde in enge Verbindung mit ihm, ja ihre Gegenwart trägt 
viel zur Erhöhung des Muthes bei, der schönsten Eigenschaft des 
Kriegers. Den Aerzten gebührt demnach vor allen Anderen die 
Feldbinde, und wäre cs auch nur, damit man sie zu jeder Zeit und 
an allen Orten leichter und aus der Ferne erkenne. Wenn nun 
schließlich in Erwägung gezogen wird, daß die Feldbinde ursprüng¬ 
lich ein Verbandstück war, welches im Nothfalle bei Verwundung 
dem Arzte zur Verfügung stand, so müßte man voraussetzen, daß 
der Militärarzt auf dieses Requisit in erster Linie Anspruch 
erheben könnte. 

Uebrigen8 haben wir nicht die Feldbinde im Auge, wie sio von 
den combattanten Officieren getragen wird, sondern uns schwebt eine 
vergoldete Patrontasche — ähnlich der ärztlichen Verbandtasche, — 
vor, welche mit einem reich verzierten Goldriemen quer über die 
Schultern zu tragen wäre. Schon vor einer Reihe von Jahren hat Verf. 
in der „Militärärztl. Zeitg.“ eine solche Patronentasche vorgeschlagen. 
„Jeder Militärarzt sollte im Dienste stets eine mit rothem Leder über¬ 
zogene, en bandelier zu tragende, zur Aufbewahrung von einigen 
Belebungsmitteln und eines kleinen chirurgischen Verbandzeuges 
dienende Cartouche tragen. Die französischen und piemontesischen 
Militärärzte sind bereits mit ähnlichen Patroutaschen versehen, wie 
sie unsere Artillerie-Officiero tragen, und in unserer Armee würde 
durch eine solche Neuerung nur ein bereits bestehendes, jedoch 
unkleidsames und unbeliebtes Adjustirungsstück beseitigt werden, 
nämlich die plumpe feldärztliche Verbandtasche. Eine zierliche 
Cartouche würde der Feldarzt stets umhängen, zu jeder Zeit wäre 
er mit chirurgischen Hilfsmitteln ausgerüstet und durch die rothe 
Farbe selbst in weiter Ferne erkennbar.“ 

Das waren jedoch Schläge in’s Wasser, Worte in den Wind 
gesprochen. Man beachtete illo tempore gar wenig die ärztlichen 
Vorschläge und verlieh den Militärärzten höohst ungerne Auszeich¬ 
nungen , welche sie den Officieren des streitbaren Standes gleich¬ 
stellen könnten. Die gegenseitige Achtung war sehr gering. Zeich¬ 
neten eich doch viele Officiere durch einen hohen Grad von Ueber- 
muth und durch eine vandalische Geringschätzung der Wissenschaft 
aus, während gleichzeitig das Gros der Aerzte mehr durch Unkenntniß 
und rohe Sitten, als durch wissenschaftliche Bildung hervorragte. 

Gegenwärtig stehen die Dinge ganz andors. 

Die Mehrzahl der Officiere besteht aus intelligenten, be¬ 
scheidenen , wohlgesitteten Männern, welche wahre Bildung und 
Humanität hochschätzen, während die meisten Militärärzte hinsicht¬ 
lich der Charaktereigenschaften und der allgemeinen Bildung sich 
weit über das gewöhnliche Niveau erheben. 

Große Achtung und Anerkennung orfreuen sich die Militär¬ 
ärzte im persönlichen Verkehre mit den Officieren; daß ihnen aber 
diese Anerkennung auch öffentlich nicht versagt wird, ersehen wir 
aus einem kürzlich erschienenen populär gewordenen militärischen 
Werke. In dem vortrefflichen Buche: „Unter deu Fahnen“, verfaßt 
von den berühmten Militärschriftstellern Bancalabi, Riegeb und 
Danzer, werdeu förmliche Lobeshymnen auf die Militärärzte und deren 
Wirken gesungen, wie beispielsweise folgende Sätze beweisen: 

„Das militärärztliche Officierscorps der österr.-ungar. Armee, 
das nur graduirte Doctoren der allgemeinen Medicin zu Mitgliedern 
zählt, erfreut sich eines ausgezeichneten Rufes. Eine stattliche Folge 
hervorragender Männer der Wissenschaft ist aus seinen Reihen 
hervorgegangen und Viele stehen — den Stolz der Gemeinschaft 
bildend — in denselben.“ 

Die hohe Aufgabe des Militärarztes im Felde wird mit be¬ 
sonderer Wärme und offenbar uach eigenen Erfahrungen wahrheits¬ 
getreu geschildert: 

„Wer sorgt dafür — schreiben die Autoren — die Verwun¬ 
deten zu heben, zu bergen und der heilenden, pflegenden Hand zu¬ 
zuführen ? 

Wer sorgt für die Erhaltung der Kraft und Gesundheit Derer, 
die, aus der mörderischen Schlacht heil hervorgegangen, neuen An¬ 
strengungen und Entbehrungen entgegenschreiten ? 

Wer labt die Ermatteten, wer heilt die marschirendcn Füße 
des immer weiter und weiter strebenden Soldaten? 

z 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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Wer räumt ihm die Gefahren aus dem Wege, die aus der 
dauernden Ansammlung großer Menschenmassen, gigantischer Heeres¬ 
körper entstehen? 

Wer behütet ihn vor der Ansteckungsgefahr und sorgt dafür, 
daß von dem kriegsdurchfurchten Landestheile Krankheit und Epi¬ 
demien fern bleiben? 

Wem ist die Pflicht aufgebürdet, die Armee von der Last der 
Kampfunfähigen zu befreien, jeden Hilfsbedürftigen so rasch als 
möglich an sein Ziel zu bringen, die Kranken über das Hinter¬ 
land möglichst bald zu zerstreuen und alle diese Arbeit zu leisten 
im Kampfe gegen den endlosen, nachdringenden Strom der nach 
vorwärts strebenden Ergänzungen, Reserven und Nachschüben 
aller Art? Dem Militärärzte ist diese Pflicht geworden 1“ 

„Die Militärärzte“ — heißt es an anderer Stelle — „sind selbst¬ 
verständlich die Seele und das Centralorgan des ganzen Kriegs- 
Sanitätsdienstes, ihnen obliegt aber auch im Frieden die Bildung 
des vielgliedrigen Körpers der Sanitätsanstalten, die Erziehung des 
Personals für den Krieg und überdies die gesammte Gesundheits¬ 
pflege im Heere und in den Landwehren.“ 

Nachdem alle ärztlichen Leistungen im Frieden mit vieler 
Sachkenntniß zergliedert worden, rufen die Verfasser in folgenden, 
gewiß schmeichelhaften Worten aus: „Ein wahrer Menschenfreund 
in allen Lagen, ist der Militärarzt der Freund und Vertraute seiner 
Schützlinge, seine Gegenwart spornt sie zur Ausdauer, zu braver 
Haltung im Kampfe an. Denn der Soldat, der weiß, daß er selbst 
todtwund und verstümmelt nicht verlassen, vergessen ist, kämpft 
doppelt kühn und mannhaft.“ 

Das sind wohl Lichtstrahlen, welche in ganz anderer Art die 
Denkweise der Officiere beleuchten! 

Bei dieser den Aerzten günstigen Stimmung darf man nicht 
zweifeln, daß jede ihren Vortheil fördernde Neuerung von der ge- 
sammten Armee gutgeheißen werden wird. 

Es ist aber auch zu hoffen, daß die maßgebenden Behörden 
unseren Vorschlag nmsomehr der Beachtung für würdig erachten 
werden, als dieses ebenso nützliche als zierliche Adjustirungsstück 
dem Aerar gar keine Unkosten verursacht. 


Kleine Mittheilungen. 

— Zur Verordnung des Lithiums bei Gicht bemerkt Eloy 
in Nr. 9 des „Mero. m6d. u , daß das jod- und benzoesaure Salz dem 
kohlensauren vorznziehen ist. Man verschreibt dieselben in fol¬ 
gender Weise: 

Rp. Lithii jod.0 25 

Extr. et pulv. gent. aa. q. s. 
u. f. pill. 

D. toi. dos. Nr. XX. 

8. 3—4 Pillen täglich. 

oder 

Rp. Lith. jod.6 - 0 

Syr. oort. aurant. 200 - 0 

MDS. 2—3 Eßlöffel täglich. 

Das benzoesaure Lithium gibt man in Form von Pulver zu 
je 0 20 und läßt 4—8 Pulver täglich nehmeD. In Fällen von Gicht 
mit Neigung zu chronischer Nephritis läßt IIuchard lange Zeit das 
Lithium mit Natr. benzoie. nehmen: 

Rp. Extr. stigm. maidis.G'O 

Natr. benz.3*0 

Lith. carbon.3 0 

01. anis. gtt IH. 

F. I. a. pillul. Nr. 60. 

S. Täglich 2 Pillen vor jeder Mahlzeit während 20 Tage 
jeden Monats. 

Diese Behandlung muß durch 3 Jahre fortgesetzt werden. 
Selbstverständlich werden alle diese Mittel vortheilhaft mit dem Ge¬ 
brauche alkalischer Mineralwässer combinirt. 

— Dr. G Guiot beschreibt im „Ann6e m6d. de Caen“ vom 
15. Februar 1890 einen Fall von Sehstörung, durch eine Taenia 
bedingt. Eine junge Frau zeigte seit mehr als 1 Jahr nervöse 
Störungen nur von Seite des Gesichtssinnes. Trotzdem das Auge 


äußerlich ganz normal war, klagte Pat. über das Gefühl eines 
Fremdkörpers im Conjunctivalsack, Brennen, Reiben etc. Bei der 
geringsten Arbeit (Lesen, Nähen) treten heftige Kopfschmerzen und 
Schwindel auf; das künstliche Licht wird sehr schwer vertragen. 
Die Sehschärfe scheint unter der Norm zu sein. Die Untersuchung 
des Augenhintergrundes ergibt normale Verhältnissse. Von Hysterie 
keine Spur. Auch waren die erwähnten ftörungen constant und 
nicht intermittirend wie bei Hysterie. Nach Abtreibung einer zwei 
Meter langen Taenia verschwanden alle beschriebenen Erscheinungen 
und die Kranke war vollständig und dauernd geheilt. 

— Zur Dosirung der Carbolsäure bei Behandlung des 
Milzbrandes bemerkt A. P. Wosskressenski in Nr. 4 des „Wratsch“, 
daß eine große Anzahl von Milzbrandfällen nur wegen der unge¬ 
nügenden Dosirung der Carbolsäure nicht geheilt werden kann. 
Wosskressenski hat das Phenol im Laufe von 4 Jahren in 16 
Fällen von Milzbrand subcutan und innerlich angewendet. Die Pat. 
kamen am 5., 6. oder 7. Krankheitstage in seine Behandlung. Die 
Eiterherde befanden sich gewöhnlich an unbedeckten Körperstellen 
und waren von ausgedehnten Infiltraten umgeben. Außer den localen 
Symptomen bestanden auch Erscheinungen einer Allgemeininfection, 
wie Uebolkciten, Schwindel, Temperaturerhöhung, Kräftcverfall etc. 
In allen Fällen wurde die Carbolsäure subcutan und innerlich an¬ 
gewendet. Dio Injectionen wurden nicht nur um den Eiterherd 
herum, sondern auch in der ganzen infiltrirten Gegend und an den 
Grenzen der gesunden Haut gemacht. Zur Injection in der Umgebung 
des Eiterherdes benützte Wosskressenski eine 5—6proo. Lösung; 
an der Grenze der gesunden Haut wurde eine 2 l / a proc. Lösung in- 
jicirt und der Grund des Eiterherdes selbst mit mehr als 2 Grm. 
öOproc. Carbolsäure cauterisirt Die Zahl der Injectionen schwankte 
zwischen 15 und 30. Zu jeder Iujection wurde meist eine volle 
PRAVAz’8cbe Spritze der betreffenden Lösung verbraucht. Bei 10 
Kranken wurden dio Injectionen nach 1—2 Tagen wiederholt, in 
den übrigen 6 Fällen genügte die erste Injection. Nach der Injection 
werden die gebildeten Geschwülste mit einer Salbe aus 100 Grm. 
Carbolöl und 35 Grm. Quecksilbersalbe massirt. . In 8 Fällen hat 
Wosskressenski das Phenol auch innerlich gegeben: 

Rp. Acid. carbol. . . . 0'25— 0 50 

Aq. menth. pip. . . 200 0 —300-0 

MDS. 2—3stündl. 1 Eßlöffel. 

Nur große Dosen vermögen eine prompte Wirkung zu entfalten, 
kleine Dosen bleiben ohne jeden Effect. Nach Injection von 0 - 50 
bis 0*75 Phenol auf einmal, schwanden die Erscheinungen der Allge¬ 
meininfection in 1—3 Tagen. Phlegmonöse Entzündungen oder 
irgend eine andero Complication traten nie ein. Sämmtliohe 16 Fälle 
genasen. 

— Dr. K. Noiszewski (Düneburg) beschreibt in der Februar¬ 
nummer des „Ctbi. f. Augenheilk.“ als Conjunctiva plastica eine 
radicale Heilmethode des chronischen Trachoms, die er bis nun 

in 4 Fällen angewendet hat und die er folgendermaßen ausführte: 
An dem zurückgeschlagenen oberen Lide durchschnitt er mit dem 
GRAEFE’scben Messer die Grenzen des zu entfernenden Schleimhaut¬ 
lappens, worauf er von den Rändern dieses Feldes an Alles bis auf 
den Knorpel abschabte. Darauf schnitt er aus einer Lippe ein ent¬ 
sprechendes Stück Schleimhaut heraus, übertrug es auf die von der 
Schleimhaut entblößte Stelle des Lides und befestigte es vermittelst 
vier Nähten an den Tarsus in einem Abstande von etwa 4 Mm. 
von dem freien Lidrande, d. i. wo sich sonst ungefähr der Sulcus 
post trachomatosus zu bilden pflegt Die Schleimhautlappen schnitt 
er aus der Lippe mit Hilfe einer der Snellen 'sehen ähnlichen Pin- 
cette, tboil8 um eine Stütze zu haben, theils um eine stärkere Blutung 
zu vermeiden. Sie waren fast von derselben Größe in allen Fällen, 
ungefähr 1 / 2 Cm. lang und 8, 10 oder 11 Mm. breit. Von den vier 
Nähten waren die vorderen bis auf die Haut des Lides durch¬ 
gehend, (sie Bxirten den Lappen), die anderen beiden hinteren mehr 
oberflächlich geführt. Nach vollführter Operation wird das Auge 
mit Sublimatlösung, 1 : 5000, gereinigt und ein leichter Druck¬ 
verband angelegt. Vor der Operation wird mit 4proc. CocaYnlösung 
anästhesirt. Die so ausgeführle Operation gibt die besten Resultate 
beim Pannus carnosus und bei den diversen Formen des alten 
Trachoms; weuiger augenfällige Rcsultale bei ntch vollständig in- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 11. 


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tacter Cornea. Indicirt ist sie in schweren, laugdauernden und keiner 
anderen Behandlung weieheuden Fällen. 

— Als Beitrag zur Heilwirkung des Erysipels bei malignen 
Tumoren theilt Dr. D. Kleeblatt in Nr. 7 der „Mttncbn. med. 
Woch.“ folgende 3 sehr interessante Fälle mit: Ein 54jähriger, 
mit einem Lympho3arcoma tousillae sinistrae behafteter Mann wurde 
am 12. Mai 1887 auf der Klinik CzERNY’sin Heidelberg operirt. 
Nach 3 Monaten wurden die Hals- und Nackendrüsen stark ge¬ 
schwollen, später trat noch eiue flache Anschwellung an Stelle der 
exstirpirten Tonsille auf. Auf Iujectionen von Tct. Fowleri traten 
einige Abscesse auf. Die Geschwülste nahmen zu, neue kamen hinzu, 
die Eiterung war eine ziemlich starke, der Kräfteverfall ein so großer, 
daß baldiger Exitus letalis erwartet wurde. Da trat am 7. März 
1888 unter Schüttelfrost ein Erysipel auf, unter dessen Einfluß die 
Geschwülste bedeutend kleiner wurdou. Nach Entfernung zweier am 
Zungengruude befiudlicher Tumoren mit der galvanocaustischen 
Schlinge fühlte sich Pat. besser. Doch bald wuchsen wieder die 
früheren Geschwülste und neuo kamen hinzu. Impfung von Erysipel- 
coccen erzeugte ein typisches Erysipel, worauf die Geschwülste 
theils gänzlich schwanden, theils bedeutend abnahmen. Eine noch¬ 
malige Impfung nach neuerlichem Anwachsen der Geschwülste blieb 
erfolglos und Pat. ging an Collaps zu Grunde. Viel erfolgreicher 
war die Behandlung im zweiten und dritten Falle. Ein 52jähriger 
Mann litt an einem Lymphosarcom, das vom Proc. mastoideus bis 
zum Unterkieferwinkel zog und das linke Nasenloch verstopfte. Die 
Diagnose wurde mikroskopisch festgestellt. Injection von Sol. Fowleri 
batte wenig Erfolg. Am 22. Juli wurden Erysipelcoceen geimpft. 
Am 23. trat Erysipel mit Schüttelfrost auf. Am 4. August war von 
der Geschwulst nichts mehr zu sehen. Bis nun kein Recidiv. — 
Im 3. Falle, Lymphadenom bei einem 21jährigen Fräulein, schwand 
die Geschwulst einige Tage nach einem spontan entstandenen Ery¬ 
sipel. Kleeblatt ist daher folgender Ansicht: Das Erysipel ist 
entschieden als ein Erysipele medical bei Geschwülsten zu be¬ 
trachten. Bei malignen Tumoren ist ein spontanes Auftreten des 
Erysipels mit Freuden zu begrüßen, wenn dasselbe auch für sich 
allein letal werden kann, besonders mit Rücksicht darauf, daß die 
Besitzer dieser Geschwülste, falls nicht rechtzeitig eine Totalexstir¬ 
pation vorgenommen worden ist, doch dem sicheren Tode entgegen¬ 
gehen. 

— Dr. Babtschinsky weist im „St. Petersb. Journ. f. Hygiene“ 
auf den Antagonismus zwischen Erysipel und Diphtherie hin. 
Dieser Antagonismus ist ein so großer, daß das Auftreten eines 
Erysipels während einer Diphtherie letztere zur Heilung bringen 
kann. Zu dieser Annahme wurde Babtschinsky durch folgende Be¬ 
obachtung geführt: Sein Sohn hatte eine so schwere Diphtherie, 
daß der Exitus letalis unmittelbar bevorstand, als plötzlich ein Ery¬ 
sipel auftrat, welches den Tod nur zu beschleunigen schien. In der 
That verschlimmerte sich der Zustand des Kranken, die Schwäche 
wurde sehr groß, doch schon am nächsten Tage nahmen die Kräfte 
zu, der Krauke besserte sieh von nun an zusehends und genas. 
Seither hat Babtschinsky in 14 Fällen von schwerer Diphtherie 
Erysipelcoceen eingeimpft und so künstlich ein Erysipel erzeugt. 12 
von diesen Kranken genasen, 2, bei denen das Erysipel nicht 
haftete, starben. Außerdem hat Babstchinsky folgende höchst in- 
structive Beobachtung gemacht: In einem Hause erkrankten 5 Kinder 
an Diphtherie. Alle wurden mit Erysipel geimpft und genasen; 
ein sechstes, das aus dem llause entfernt und nicht geimpft 
wurde, starb. In allen Fällen war das Erysipel schmerzlos, hatte 
keinen großen Einfluß auf das Allgemeinbefinden und heilte rasch. 

— Dr. W. Goi.dzieher (Budapest) beschreibt im Februar¬ 
hefte des „Cbl. f. Augenh.“ ein einfaches Verfahren gegen Ptosis 
und Entropium spasticum senile. Es handelt sich um jene Form 
der Ptosis, die er als „Ptosis amyotrophica“ bezeichnet und welche 
sich bei sonst vollkommen gesunden Personen ohne ursächlichen Zu 
sammenhang mit irgend einem Allgemeinleiden, bei völliger funetioncller 
Intactheit der übrigen, vom Oculomotorius versorgten Muskeln, bei 
normalem Lidgewebe, selbstständig sich entwickelt. Ein solcher Pat. 
ersann sich folgenden Apparat zur Erleichterung seiues ihm uner¬ 
träglich gewordenen Zustandes: Der Apparat besteht ganz einfach 
aus einem Hornbrillengestelle, an dessen oberer Umrahmung beider¬ 


seits im rechten Winkel eine passend gebogene Hornplatte ange¬ 
bracht ist, deren freier Rand mäßig concav ausgeschweift ist. Wird 
das Brillengestell aufgesetzt und gegen die Augen geschoben, so 
muß die freie Hornlamelle die Lidpartie unter dem oberen Or¬ 
bitalrande in die Orbita hineindrücken, hebt dadurch nicht 
allein das Lid, sondern verhindert auch dessen Niedersinken 
für die Folge, dient also gewissermaßen als Krücke für das 
geschwächte Lid. So lange dieses Brillengestell, das selbstverständ¬ 
lich in jedem einzelnen Falle dessen speciellen anatomischen Ver¬ 
hältnissen entsprechend angepaßt sein müßte, auf der Nase sitzt, ist 
der Kranke frei von Beschwerden und kann seinem Berufe unge¬ 
hindert uaebgehen. Daß ein solch einfacher, billiger, stets zu be¬ 
schaffender und auch kosmetisch nicht zu beanstandender Apparat in 
den meisten Fällen der Operation von Pagenstecher-Panas vorzu¬ 
ziehen ist, wird Jeder zugeben. Auch kann er in anderen Formen 
von Ptosis mit Nutzen gebraucht werden. Die Verlöthung des Tarsus 
mit der Musculatur der Stirno durch künstlich erzeugte Narben¬ 
stränge (Pagenstecher), oder durch Einnähung der Lidhaut (Panas) 
erzeugt stets eine gauz beträchtliche Veränderung des physiologischen 
Ausdruckes, demnach eine Entstellung des Kranken. Ebenso gut 
wie gegen Ptosis amyotrophica kann man das geschilderte Brillen¬ 
gestell auch gegen Entropium spasticum senile benutzen, nur muß 
man dann die transversale Hornplatte am unteren Rande der 
Brillenumrahmung anbringen, so daß die Lidbaut über dem unteren 
Orbitalraud gespannt uud orbitalwärts gedrückt, auf diese Weise 
also die laxe Haut des unteren Lides verkürzt und die Einkrämpe- 
lung des freien Lidrandes ausgeglichen wird. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Balneologen-Congress. 

Zwölfte öffentliche Versammlung der Baineologischen Ge¬ 
sellschaft, gehalten zu Berlin vom 7.-9. März 1890. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Auch der diesjährige Congroß der Badeärzte legte in erfreu¬ 
licher Weise Zeugniß davon ab, welchen außerordentlichen Auf¬ 
schwung diese Versammlungen unter der geschickten und umsichtigen 
Leitung des Vorsitzenden, Prof. Liebueich, in den letzten Jahren 
genommen haben. Nicht blos der Besuch des Congresses und die 
Zahl der Gescllscbaftsmitglieder hat sich in hohom Maße gesteigert, 
sondern, was noch weit erfreulicher ist, die Vorträge haben eine durch¬ 
aus wissenschaftliche Basis gewonnen und bewahrt, die Discussionen 
sind durchaus sachlich, sine Studio et ira geführt worden. — Wir 
lassen einen Auszug der Vorträge uud Discussionen folgen. 

Dr. Haupt (Soden): Die Bedeutung der Erblichkeit der Tuber- 
culose im Vergleich zu ihrer Verbreitung durch das 
Sputum. 

Während bekanntlich Cornet der Heredität und Disposition bei 
der Entstehung der Tubereulose eine ganz nebensächliche Rolle zu¬ 
weist, vertritt Redner den Standpunkt, daß das Erblichkeitsmoment 
nach wie vor in erster Linie für die Verbreitung der Schwindsucht 
von Bedeutung sei. Nach Analogie der Vererbung von Geistes¬ 
krankheiten, Syphilis ete., sowie in Anlehnung an die Thatsache, 
daß ein directer Uebergang des Typhus-, Milzbraud- und Blattern- 
gifles von der Mutter auf den Fötus nachgewieseu werden konnte, 
ist auch eine directe Vererbung des Tuberkelgiftes von den Eltern 
auf die Nachkommen auzunehmeu. Die Möglichkeit der directen 
Uebertragung des specifischen Krankheitserregers der Tuberculoso 
auf dem Wege placentarer Infection ist wiederholt experimentell, 
z. B. bei Meerschweinchen, nachgewiesen worden, und ferner, daß 
die tuberculösen Keime 6 Monate und länger im Blutkreislauf latent 
verweilen können, um sich erst unter günstigen Verhältnissen rapid 
zu entwickeln. Auch ist erwiesen, daß die Tuberculose schon un¬ 
mittelbar nach dem Ablauf der embryonalen Periode und im frühen 
Kindesalter wesentlich häufiger als bei Erwachsenen vorkommt Unter 
660 in Soden behandelten Phthisikern konnte Redner zwei Drittel 
derselben als hereditär belastet naehweisen. Andererseits sind von 
275 evangelischen Pflegerinnen des Vereines Bethanien (Hamburg) 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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in 12 Jahren nnr 2 an Tuberculoso erkrankt, von denen eine schon 
vorher lungenleidend war. Auf Grund eines reichen statistischen 
Materials kommt Hauit zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Verbreitung der Tuberculose vollzieht sich in erster 
und ausgedehntester Weise durch die Vererbung. 

2. Die Fälle von directer Ansteckung durch das Sputum sind 
jedenfalls so selten, daß man dieseu Verbreitungsweg als den ge¬ 
wöhnlichen nicht bezeichnen darf. 

0r. Römpler (Görbersdorf): lieber die Contagiosität der Tubercu¬ 
lose undihren Einfluß auf die Mortalität der Eingeborenen 
in den vorzugsweise von Phthisikern besuchten Curorten. 

Nach Römpler’s Ueberzeugung ist es nicht die Infection, 
sondern die Beschaffenheit des Nährbodens, von welcher 
sowohl die Häufigkeit der Tuberculose als auch das Geschick der 
von ihr befallenen Personen abhängt. Er begründet diese An¬ 
schauung durch statistische Daten, speciell von Görbersdorf, welches 
in den letzten 40 Jahren von nahezu 25.000 Phthisikern besucht 
worden ist. In den letzten 100 Jahren starben in Görbersdorf 
72 erwachsene Personen der Einwohnerschaft an Lungen¬ 
schwindsucht. Während der letzten 15 Jahre starben von den 
Eingeborenen überhaupt 207 Persoueu, davou 11 an Lungenschwind¬ 
sucht, d. h. von 19 überhaupt Gestorbeneu einer. An Altersschwäche, 
d. h. über 70 Jahre, starben in diesen 15 Jahren 19 Personen, 
davon 9 über 80 Jahre alt. Solchen Thatsachen gegenüber sollte 
wenigstens die blinde Furcht vor der Ansteckung weichen, die 
in vielen Fällen nachtheiliger wirkt, als die Infection selbst. Be¬ 
sonders hat die Pnsse die Pflicht, der Weiterverbreitung der 
Phthiseophobie durch entsprechende Belehrung über Athmung, Er¬ 
nährung und Hautpflege in dieser Frage zu steuern. 

Gegenüber der außerordentlich geringen Schwindsuchtsmortalität 
der Eingeborenen ist hervorzuheben, daß von den in den letzten 
15 Jahren nach dem Dorfe (nicht Heilanstalt) Görbersdorf ge¬ 
kommenen lungenkranken Kaufleuten, Beamten etc., welche im in¬ 
timsten Verkehr mit den Eingeborenen Wohnung nahmen, nicht 
weniger als 933 gestorben sind. Wenn trotzdem die Schwindsucht¬ 
sterblichkeit der Eingeborenen dauernd eine so geringe geblieben 
ist, so beweist dies, daß in Görbersdorf der Einfluß der Contagiosität 
gleich Null ist. Aehnliche Verhältnisse sind aus Flinsberg be¬ 
richtet. Die oft über Decennien sich erstreckende Latenz der Tuber¬ 
culose und das Ueberspringen einer Geueration läßt Römpleb an 
eine directe Uebererbung des Krankheitskeimes nicht glauben, 
sondern die Vererbung der somatischen Anlage als das Wahrschein¬ 
lichere betrachten, so daß gesteigerte Infectionsmöglichkeit unter 
Umständen wohl zu gesteigerter Infection führen kann. 

In der Discussion vertritt Goldschmidt (Reichenhall) den 
Standpunkt der Contagiosität. Wenn die Sectionsergebnisse von 
Kindern tuberculöser Mütter in den letzten 9 Jahren nur so wenig 
positive Resultate ergeben haben, so muß die angeborene Tuberculose 
zum mindesten außerordentlich selten sein. 

Prof. Kisch (Marienbad): Fettleibigkeit und Hämorrhagie. 

Redner bespricht auf Grundlage seiner Erfahrungen die Nei¬ 
gung der Fettleibigen zur Hirnhämorrhagie, welche er auf die Prä¬ 
disposition der Lipomatösen zur Hirnhämorrhagie und zur activon 
Gehirnhyperämie zurückführt. Dabei spiele auch die hereditäre An¬ 
lage eine wesentliche Rolle, indem in manchen Familien Fettleibigkeit 
und apoplectischer Insult erblich Vorkommen und letzterer sogar oft 
in einem bestimmten Alter erfolgt. Prophylactisch hält Kisch die 
methodische Anwendung von Purgantien für sehr nützlich und weist 
auf die große Bedeutung der Curven beim Gebrauch der abführenden 
Wässer, speciell der Glaubersalz- und Kochsalzwässer hin. Redner 
hält die kalten Quollen für mehr angezeigt als die warmen Thermen, 
weil die ersteren den Blutdruck weniger steigern und stärker ab¬ 
führend wirken. 

Auf Interpellation des Prof. Wintebnitz bemerkt Redner 
noch, daß nach seinen Erfahrungen die plethorische Form der Fett¬ 
leibigkeit eine viel häufigere ist als die anämische Form. 

Dr. Schott (Nauheim): Neurasthenie und Herzkrankheiten. 

Neurastheniker klagen häufig über Herzklopfen, Oppressions- 
gefühl in der Brust, sie zeigen Bradycardie und Arhythmie, ohne 
die geringsten anatomischen Veränderungen am Herzen. Bei der 


typischen Neurasthenia cordis hat Redner öfters eine Schmerzhaftig¬ 
keit des Herzmuskels gegen directe Berühruug constatirt, so daß 
er die Herzgrenzen mit Hilfe der Schmerzpunkto feststellen konnte. 
Neben dieser Hyperästhesie mit Muskelschwäche beobachtete Schott 
häufig während der neurasthenischen Anfälle eine Dilatatio cordis, 
welche bei häufiger Wiederkehr und längerer Zeitdauer schließlich 
das Bild des weakened heart mit allen Folgeerscheinungen darbietet. 
Andererseits können auch bereits bestehende Herzkrankheiten die 
Ursache für die Entstehung von neurasthenischen Zuständen ab¬ 
geben. In therapeutischer Beziehung verwirft Schott die Hypnotica, 
empfiehlt dagegen Darreichung der Tonica und reichlicher Nahrung, 
Anwendung der Elektricität, baineotherapeutische Maßnahmen, Heil¬ 
gymnastik, Massage und klimatotherapeutische Maßregeln. Ueber 
die Wirkung der Hypnose mit Suggestion ist ein endgiltiges Urtheil 
noch nicht zu fällen. 

Prof. Winternitz (Wien): Ueber Wärmeregulirung und Fieber¬ 
genese. 

Die Vorgänge der Wärmeregulation und der Fiebergenese sind 
neuerdings, namentlich in Bezug auf die Aetiologie der Infections- 
krankheiten, wieder mehr in den Vordergrund des Interesses getreteu. 
Die Frage, ob die Constanz der Körpertemperatur unter verschiede¬ 
nen Außenbedingungen abhängig ist von Veränderungen der Wärme¬ 
bildung oder von Verminderung, resp. Vermehrung des Wärme¬ 
verlustes oder von Veränderungen beider Factoren, wird auch heute 
noch verschieden beantwortet. Nach den Untersuchungen von 
Winternitz kann die Wärmeabgabe von der Körperoberfläche bis 
um 90% und mehr gesteigert und auch um fast ebensoviel ver¬ 
mindert werden, ein Beweis, ein wie mächtiger Factor der Wärme¬ 
regulation in der Hautfunction gelegen ist. Die Versuche zeigen, 
daß mechanische Reize die Wärmeabgabe von der Haut um 95% 
zu erhöhen vermögen. Die Verbindung einer Wärmeentziehung mit 
kräftiger Friction — kalte Abreibung — steigerte die Wärmeabgabe 
um 80%. ln der Reactionszeit nach einer kalten Douche betrug 
die Zunahme der Wärmeabgabe 66’6%. Schwache chemische, bezw. 
thermische Reize bewirkten nur eine geringere Steigerung des 
Wärmeverlustes von 40% und weniger. Aber auch die Ver¬ 
minderung der Wärmeabgabe durch starke chemische Reize, 
welche Gefäßparese und Exsudation hervorrufen, durch venöse 
Stauung in der Haut, durch EsMARCH’sche Blutverdrängung und bei 
ansteigendem Fieber ist aus den Versuchen ersichtlich. Im Invasions¬ 
stadium des Fiebere beginnen die Blutgefäße der Haut sich zu ver¬ 
engern, ehe noch eine Temperatursteigerung wahrzunehmen ist. Mit 
dem Fortschreiten der Gefäßcontraction beginnt die Temperatur zu 
steigen. Frost tritt auf, nachdem die Temperatur bereits eiuige Zeit 
im Ansteigen begriffen und die Gefäße contrahirt sind. Auch dem 
Sinken der Temperatur, ob spontan oder nach dem Gebrauche von 
Antipyreticis, geht die Erweiterung der Hautgefäße zeitlich voran. 
Erst wenn die Erweiterung der Hautgefäße am größten ist, kehrt 
die Temperatur zur Norm zurück. Dieses chronologische Verhalten 
läßt mit Sicherheit auf den causalen Zusammenhang schließen. 

Diese Untersuchungen stützen die Thatsache, daß die Anti- 
pyretica die Temperatur dadurch herabsetzen, daß sie eine Er¬ 
weiterung der Hautgefäße und dadurch eine Steigerung des Wärme¬ 
verlustes bewirken. Die neue Exacerbation beginnt regelmäßig 
wieder unter einer Contraction der peripherischen Gefäße, daher 
Wärmestauung, Temperatursteigerung. 

In der Discussion bemerkt Dr. Zuntz , daß neben der 
Wärmeregulation durch die Haut jedesmal unter der Einwirkung 
der Kälte Iuncrvationserregungen zu Stande kommen, welche die 
Muskelthätigkeit steigern. Je kleiner ein Thier ist, um so inten¬ 
siver ist sein Stoffwechsel. Bei Pferden findet sich jm Winter eine 
Steigerung des Stoffwechsels, welche, wie beim Mcnsehen, durch 
Muskelaction zu Stande kommt. Es ist einfach nicht möglich, 
ein Thier in der Winterkälte zu so ruhigem Stehen zu bringen, wie 
im Sommer. 

Dr. Marcus (Pyrmont): Die Behandlung der Bleichsucht. 

Bei Beurtheilung der „Bleichsucht“ ist vor Allem eine strenge 
Trennung zwischen Anämie und Chlorose nothwendig: erstero 
ist eine Secundärerscheinung, letztere eine primäre Krankheit. Durch 
diese Trenuung ist auch die Verschiedenartigkeit der Behandlung 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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gegeben. Bei der Heilung der „Bl utarmuth“ haben sich die 
Roborantien, vornehmlich das Eisen in Verbindung mit den ver¬ 
schiedenartigsten Behandlungsmethoden, als wirksam erwiesen. 

Dem gegenüber zeigt sich die Chlorose sehr viel spröder, 
namentlich die chronische Form derselben. Bei der Behandlung 
sowohl der chronischen wie der acuten Chlorose perhorrescirt Redner 
alle Proceduren mit kaltem Wasser, da diese die erwähnte Krank¬ 
heit sogar oft hervorrufen. Allerdings zeigt sich der üble Einfluß 
natürlicher Fluß- und Seebäder bei schwächlichen Individuen meist 
erst nach einigen Monaten durch das Auftreten chlorotischer Sym¬ 
ptome. Auch der bloße Aufenthalt an der Seeküste empfiehlt sich 
bei Chlorotischen wegen der mangelhaften und gestörten Herz- 
thätigkeit ebensowenig, wie ein Höhenklima. Wichtige therapeutische 
Factoren bei der Behandlung der chronischen Chlorose sind: Eine 
rationelle Ernährung, Wald- oder Landaufenthalt, Milchcuren, täg¬ 
liche active oder passive Körperbewegung bei Verhütung jeder 
üeberanstrengung und psychischer Alteration, Beachtung der erhöhten 
Empfindlichkeit gegen Temperatureinflüsse durch entsprechende 
Kleidung, Entfernung aller die Brust- und Bauchorgane beengenden 
Garderobestücke. Gleichzeitig empfiehlt Redner den Genuß kleiner 
Mengen Eisens in Form eines Stahlbrunnens, zeitweise verbunden 
mit der Darreichung von Salzsäure. Die Ehe hält Marcüs bei 
Chlorose durchaus nicht für contraindicirt. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 14. März 1890. 

Vorsitzender: G.-St.-A. Dr. Podbatzky. — Schriftführer: 
R.-A. Dr. A. Fraenkel. 

Docent Or. V. ElSELSBERG stellt 2 Fälle von acutem 
inneren Darmversohluß vor. Iu beiden Fällen handelte es 
sich um freie Leistenhernien, die durch Heben einer Last incarcerirt 
und reponirt wurden. Trotz der Reposition zeigten sich Erscheinungen 
von innerer Einklemmung, die eine Laparotomie nothwendig machten. 
In dem einen Falle wurde hinter einem vom linken inneren Lejsten- 
canal gegen die Nabelgend hinziehendon Strang der incarcerirte 
und eingeschnürte Darm gefunden, der aber beim Herauszieben riß, 
so daß ein 8 Cm. langes Stück resecirt werden mußte. 24 Tage 
nach der Operation wurde Pat. geheilt entlassen. Im zweiten Falle 
zeigte der hinter einem ähnlichen Strange verlaufende Darm zwei 
Schnürfurchen, die aber nicht sehr hochgradig waren, so daß der 
Darm reponirt werden konnte, worauf sofort ausgiebige Stuhlent¬ 
leerung und rasch Genesung ein trat. 

Dr. v. Eiselsrerg demonstrirt ferner 2 Patienten, denen er 
die Hälfte des Schultergürtels exstirpirt hatte. In dem einen Falle 
mußte wegen schwerer Verletzung des Oberarmes und Schulter¬ 
gürtels (mehrfache offene Fractnren des Oberarmes, Zertrümmerung 
der Scapula und Fractur der Clavicula) die Enucleation des Armes, 
die Exstirpation der Scapula in toto und des größten Theiles der 
Clavicula vorgenommen werden. Beim zweiten Patienten wurde vor 
2 Jahren wegen eines Chondrosarcoms die Enucleation der Schulter 
vorgenommen. Nach einem Jahre trat eine Recidive in Form eines 
Knötchens auf, das sich zu einem so großen Tumor entwickelte, 
daß die Scapula in toto und mehr als die äußere Hälfte der Clavi¬ 
cula exstirpirt werden mußte. Beide Kranken befinden sich jetzt wohl. 

Docent Dr. V. HEBRA Stellt einen Fall von Lepra vor. Der 
aus Breslau gebürtige Mann ging im Jahre 1873 nach Brasilien, 
woselbst er vor 3 Jahren sein gegenwärtiges Leiden bekam. Ueber 
die Infectionsweise läßt sich nichts erfahren; möglicherweise wurde 
dadurch eine Eingangspforte für die Leprabacillen geschaffen, daß 
Pat. an starkeu Sudamina mit Bläschenbildung litt. Im Jahre 1886 
(1 Jahr nach Auftreten der Sudamina) bekam Pat. an Brust, 
-Schenkel, Bauch und Rücken blaurothe persistente Flecken, die 
durch länger als 1 Jahr anhielten und angeblich auf Arsenbehand¬ 
lung schwanden. Vor ungefähr 2 Jahren traten flache KuoteD an der 
Innenfläche der Oberschenkel, ad nates und an den Ellbogen auf, 
die allmälig an Größe Zunahmen und von Fieber begleitet waren. 


Von nervösen Symptomen besteht Hyperästhesie und am linken 
Unterschenkel eine hypästhetische Partie. 

Dr. MÜLLER Stellt einen Fall von Tuberculose der Solera 
vor. Außen , unten in der Solera des Knaben findet sich ein Tumor, 
der das Aussehen eines Granulationsknopfes hat und auf der Höhe 
ein kleines Geschwür zeigt. Nach außen vom Tumor zeigt die Con- 
junctiva einige Knötchen. Im Jänner war der Tumor nicht exulcerirt 
und sah aus wie eine Cyste. Da aber diese gewöhnlich angeboren sind, 
so diagnosticirte Prof. Fdchs einen Cysticercus und nahm die 
Operation vor. Es fand sich eine Cyste mit weichem breiigen Inhalt, 
deren Wände wie Granulationsgewebe aussahen. Mikroskopisch fanden 
sich keine Hakenkränze, hingegen zeigte sich die Wand der Cyste 
zusammengesetzt aus miliaren Tuberkeln. Sehr bald trat Recidive 
ein. Die Prognose ist hier eine sehr schlechte, da wahrscheinlich 
Perforation und Atrophie des Bulbus eintreten wird. Bezüglich der 
Therapie wäre eine Entfernung des Tumors und Cauterisation des 
Grundes indicirt, es würde aber eine sehr dünne Lage der Sclera 
Zurückbleiben, die leicht ectatisch werden und zu Verlust des Auges 
führen könnte. Vielleicht ließe sich durch parenchymatöse JoJoform- 
injectionen ein besseres Resultat erzielen. Es ist dies der erste 
publicirte Fall von Tuberculose der Sclera. 

Prof. Fuchs bemerkt, daß in dem Falle Tuberkelbacillen 
nachgewiesen wurden und daß das Seltene an dem Falle darin 
besteht, daß der Tuberkel zwischen den gesunden Lagen der 
Sclera liegt. 

6.-St.-A. Dr. Neudörfer: Beiträge und Demonstration zur Patho¬ 
logie und Therapie. 

Redner hat einen Inhalationsapparat construirt, der so bequem 
ist, das man mit ihm lesen, schreiben und selbst schlafen kann. 
Derselbe beruht im Wesentlichen auf einem weichen Kautsohuk- 
ventil, das beim geringsten Anblasen sich erweitert. Durch zwei 
hintereinander geschaltete Ventile wird eine Steuerung erreicht, die 
der Luft den Weg weist. Mit Hilfe dieses Apparates konnte Neu¬ 
dörfer nachweisen, daß 2—3 Ccm. Chloroformdampf vollkorameu 
genügen, um eine Narcose einzuleiten, wobei höchstens 3 Mgrm. 
Chloroform in’s Blut gelangen. Der Grund, weshalb so geringe 
Mengen genügen, liegt darin, daß alles Chloroform wirklich in die 
Lungen gelangt und nichts verloren geht. 

Von der durch Arnold, Nothnagel, Peiper, Sebrwald und 
Büchner nachgewiesenen bedeutenden Rosorptionskraft der Lungen 
ausgehend, hat Neudörfer versucht, Medicamente von den Lungen 
aus zur Resorption zu bringen. Die gebräuchlichen Methoden sind 
nun hiezu nicht gut verwendbar. Mit Hilfe des von Neüdörfer con- 
struirten Apparates gelingt es aber, Flüssigkeiten so zu zerstäuben, 
daß sie sich in ihrer Bewegung ganz wie Gase verhalten, die, mit 
der Luft vermengt, bis in die Lungen dringen können. Neu¬ 
dörfer ist es auch gelungen, die Flüssigkeiten, die in die Lunge 
gelangen, genau zu dosiren. 

Die Vorzüge dieser Methode sind: 

1. Die Möglichkeit, eine vollkommene Anästhesie und ver¬ 
schiedene Grade von Analgesie mit minima'ea Mengen verschiedener 
Narcotica und Anästhetica zu erzielen. 

2. Die verathmeten Medicamente lassen sich messen und dem 
Gewichte nach berechnen. 

3. Zur Erzielung einer Arzneiwirkung auf dem Wege der 
Lunge braucht man lOOraal kleinere Dosen, als bei Anwendung der¬ 
selben Mittel per os, und 5—8mal kleinere, als bei subcutaner 
Application. 

4. Die Zeit zwischen der Einverleibung des Mittels und dem 
Eintritt der Wirkung ist viel kürzer, als bei anderer Anwendungs¬ 
weise, daher die Methode bei Wiederbelebung, odor, wo Gefahr im 
Verzüge, anwendbar. 

5. Der Geschmack- und Geruchsinn werden bei dieser Methode 
nicht betroffen. 

6. Der zersetzende Einfluß des Magen- und Darmsaftes, sowie 
des Retentionsvermögen der Leber werden ganz umgangen; die 
Medicamente gelangen direct in’s Blut. 

7. Die Möglichkeit cxactcr vergleichender pharmakologischer 
Prüfungen von Medicamenteu. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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8. Die Möglichkeit der Erzeugung gewisser transitorischer 
Erkrankungen (Glycosurie, Albuminurie) zum Zwecke ihrer genauen 
Erforschung. 

9. Die Möglichkeit, bei Erkrankungen der Lunge auf diese 

direct oinzuwirken. S. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 24. Februar 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnakkl. — Schriftführer: Di\ Baaz. 

Fortsetzung der Discussion über Influenza. 9 

Zunächst corrigirt Stadtphysiker Dr. Eberstah.eb eine von 
ihm in der letzten Sitzung gemachte Angabe. Nicht 6 l / 2 mal, 
sondern blos 2 , / a mal so groß war die Mortalität an entzündlichen 
Affectionen der Respirationsorgane im Januar des Jahres 1890, ver¬ 
glichen mit der Durchschnittszahl derselben in den letzten 10 Jahren. 
Eine besondere Disposition oder eine besondere Immunität einer be¬ 
stimmten Altersclasse konnte nach dem vorliegenden, auf den 
Sanität sanzeigen basirenden Materiale nicht constatirt werden. 

Sanitätsrath Dr. Fossel berichtet über den Verlauf der Epi¬ 
demie in Steiermark außerhalb der Stadt Graz. Von den Ergriffenen 
waren 48 Proc. Männer, 31 Proc. Weiber und 21 Proc. Kinder. 
Er macht auf den sonderbaren Umstand aufmerksam, daß diejenigen 
Gemeinden am spätesten ergriffen worden seien, welche am weitesten 
seitabwärts von den großen Verkehrsstraßen gelegen wären. Während 
längs der letzteren die Epidemie bereits erloschen ist, breitet sie 
sich in den entlegenen Landdörfern erst jetzt aus. Er bringt diese 
Thatsache mit der Frage, ob Contagium, ob Miasma in Zusammen¬ 
hang und ist geneigt, sie als eine für ersteros sprechende zu be- 
zeichuen. 

Man könne von der Influenza, sowie seinerzeit von der Cholera, 
sagen, sie verbreite sich nur so rasch vorwärts, als es unsere 
modernen Verkehrsmittel gestatten. 

Hierauf demonstrirt Assistent Dr. SLAJMER Gallen¬ 
steine, welche auf der Klinik des Prof. Wölflkr aus einer 
Gallenblase auf operativem Wege entfernt worden waren. Die 
Steine rühren von einer 54jäbrigen Patientin her, welche seit 
3—4 Jahren an stundenlang dauernden Anfällen von Gallenstein¬ 
kolik gelitten hatte. Bei der Aufnahme dei selben auf die Klinik 
fand sich kein Icterus , im rechten Mesogastrium ein apfelgroßer Tumor, 
welcher als die Gallenblase erkannt wurde, der Harn gibt positive 
Gallenfarbstoffprobe. Es wurde zur Operation geschritten. Schnitt 
durch die Bauchdecken und Eröffnung des Peritoneums. Aus der 
vorliegenden Gallenblase wird durch Punction mit einem Troicar 
eine helle, schleimige Flüssigkeit entleert, welche keinen Gallen¬ 
farbstoff enthält. Es fand sich ein größerer Stein in der Gallen¬ 
blase und einer im Ductus cysticus vor. Nun ließ Prof. Wölflek 
eine Verlöthung der Gallenblase mit dem Peritoneum eintreten. Nach 
5 Tagen war dies geschehen. Jetzt erst wurde die Blase incidirt, 
die Steine entfernt, dann wurde die Blase genäht, die lockeren 
Adhäsionen losgelöst, die Gallenblase wieder in die Bauchhöhle ver 
senkt. Naht des Peritoneums und der Bauchdecken, reactionsloser 
Verlauf. hs. 


Verein deutscher Aerzto in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 7. Februar 1890. 

Prof. Gussenbauer: (Jeber Ischias scoliotica. 

Im Jahro 1878 veröffentlichte GrsSENBAUER im „Rapport de 
la clinique chirurg. du Liege“ zwei Fälle dieser seltenen, bisher 
noch nicht beschriebenen Erkrankung, welche er an der chirurgi¬ 
schen Klinik zu Lüttich zu machen Gelegenheit batte. In dem 
einen Falle handelte es sich um einen Steinkohlenarbcitcr, dessen 
Beschäftigung es mit sich brachte, beständig mit vorwärts gebeugtem 
Oberkörper zu arbeiten. Er bekam heftige Schmerzen in der linken 

') Siehe Nr. 7. 


unteren Extremität, zu denen sieh eine oigenthümlicbe Deformation 
der Wirbelsäule gesellte. Der zweite Fall betraf einen Waffenschmied, 
der gleichfalls im Anschlüsse an seiue schwere Arbeit Schmerzen 
in dem rechten Beine und dann später ganz dieselbe Verbildung 
der Wirbelsäule wie der erste Kranke bekam. Gossrnbaubr 
nannte damals diese Krankheit Scoliosis neuropathica oder 
Scoliosis neuromuscularis oder Ischias paradoxa. 

Außer diesen zuerst in der Literatur verzeichneten Fällen 
haben im Jahre 1886 Albert, Nicoladoni, Babinsky und Schüdel 
weitere derartige Beobachtungen mitgetbeilt. In Prag hat Gussen- 
baokr noch 9 solche Fälle beobachtet, von denen 5 in seiner 
Klinik behandelt wurden, 4 in der Privatpraxis vorkamen. 

Die Affection läßt sich kurz auf folgende Weise skizziren: 
Fast immer handelt es sich um Menschen, welche aus verschiedenen 
Ursachen durch kürzere oder längere Zeit an ischiadischen Schmerzen 
in einem oder auch in beiden Beinen leiden. Der gewöhnlichen Be¬ 
handlung widerstehend, nehmen diese an Heftigkeit zu, verbreiten sich 
in die Gluteal-, Sacral- und Lurabalgegend, und nach längerer Dauer 
kommt es zu der charakteristischen Deformation der Wirbelsäule, 
die sich zuerst an der eigentümlichen Deformation des Ganges zu 
erkennen gibt. Allen Fällen, mögen sie auch einzelne Verschieden¬ 
heiten bieten, ist das charakteristische Symptom gemeinsam, daß 
die seitliche Deviation des Stammes auf der der 
Ischias entgegengesetzten Seite besteht, und in diesem 
Stadium bekommt man den Eindruck, als wenn totale Scoliose vor¬ 
handen wäre. Nach e iniger Zeit bilden sich compensatorische 
Krümmungen aus, welche sich einfach aus statischen Momenten er¬ 
geben, und es tritt eine eigenthümliche Rotation entweder nur an¬ 
gedeutet im Lendensegmente, oder auch im Brust- und Hals¬ 
segmente ein. 

Bei einigen Kranken combinirt sich die Scoliose mit einer kypho- 
tischen Stellung. Bei nach vorn geneigtem Körper haben die Pat. 
am wenigsten Schmerzen, weshalb die meisten das Bestreben zeigen, 
eine nach vorwärts geneigte Stellung einzunehmen; bei dem Ver¬ 
suche, sich gerade zu richten, oder wenn ein Redressement der 
Wirbelsäule vorgenommen wird, werden die Schmerzen größer, und 
sofort wird wieder die frühere Stellung eingenommen. Bei der 
Suspension verschwindet die Scoliose, waB als diagnostisches Merk¬ 
mal von besonderer Bedeutung ist. 

Die 5 klinisch behandelten Fälle waren jüngere Individuen, 
die entweder im Anschlüsse an eine Erkältung oder in Folge schwerer 
Arbeit zuerst ischiadische Schmerzen bekamen und nach einiger Zeit 
die typische scoliotische Verkrümmung der Wirbelsäule boten. 

Ein demonstrirter Kranker, der dritte der klinischen Fälle, 
ist ein junger Mann, der am 18. November 1889 auf die Klinik 
des Vortragenden kam. 

Zehn Wochen vor seiner Aufnahme rutschte er beim Ziehen 
eines Wagens aus und fiel dabei so, daß die linke untere Extremität 
in Streckstellung nach vorne zu liegen kam, während der Körper 
in Beugestellung nach rückwärts fiel. Trotz der heftigen Schmerzen 
konnte er wieder aufstehen, herumgehen und seine Beschäftigung 
als Kutscher wieder verrichten. Bald aber wurden die Schmerzen 
heftiger, breiteten sich später gegen die Lumbalgegend aus, und 
nun bemerkte er, daß er schief wurde. Das Leiden wurde als 
Ischias betrachtet und mit Einreibungen, Dampfbädern, verschiedenen 
inneren Mitteln erfolglos behandelt, weshalb er auf die Klinik des 
Prof. v. Jaksch kam, von wo er auf die Klinik des Vortragenden 
tran8ferirt wurde. 

Der Sitz und das Wesen der Krankheit wurden in ver 
8cbiedener Weise gedeutet. Bei seinen beiden ersten, in Lüttich be¬ 
obachteten Fällen glaubte Gussenbauer, es handle sich um Dehnung 
des Musculus erector trunci und Nervendehnung. Albert hält die 
Contracturen der Muskeln als Folgezustände der ischiadischen 
Schmerzen; über den Mechanismus der Deviation der Wirbelsäule 
geht er mit Stillschweigen hinweg. Nicoladoni nimmt grobe ana¬ 
tomische Veränderungen, und zwar Entzündung des Neurilemms an, 
welche ascendirend sich bis in die Cauda equina fortsetze, weshalb 
die Kranken instinctmäßig die beschriebene Haltung einnehmen, um 
die Wirbelsäule zu entlasten. Schüdel nimmt Neuritis und Myositis 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


430 


als das Wesen der Affection an. In Folge directer Beobachtungen, 
welche Gussenbauek bezüglich der Genese dieser Erkrankung an¬ 
stellen konnte, faßt er dieselbe gegenwärtig als Ncrvenmuskeldehnnng 
auf. So verspürt» ein Kranker seiner privaten Consultation un¬ 
mittelbar nach dem Heben einer schweren Last einen Stich in der 
linken Lumbalgegend, Schmerzen in der Glutealgegond und dem 
linken Ischiadicus und in demselben Momente wurde er schief. 
Ein ähnliches Verhalten wurde auch von dem demonstrirten Kranken 
angegeben. 

Bezüglich der Therapie sind selbstverständlich alle gegen 
Ischias angewendeten Mittel zwecklos. Kocher will durch blutige 
und unblutige Nervendehnung Erfolge erzielt haben. Redner er¬ 
reichte durch Massage der Musculatur des Rückens und der Ober¬ 
schenkel, sowie außerdem durch ganz typische Uebungen der er¬ 
krankten Muskeln, Elektricität, feuchte Einpackungen, ausgezeichnete 
Erfolge. Auch der demonstrirto Fall ist unter dieser Behandlung 
entschieden gebessert worden. 

Prof. Schauta glaubt eine derartige Erkrankung bei einer 
Frau gesehen zu haben, welche Ende September v. J. entbunden 
hatte. Schon vor der Entbindung bestanden Schmerzen in beiden 
unteren Extremitäten; nach derselben persistirten sie in der linken 
und waren namentlich in der Wade localisirt, und nach einem 
Monate blieben sie auf das Hüftgelenk beschränkt. Einen Monat 
nach der Entbindung wurde sie schief und bei der Untersuchung 
war die Wirbelsäule in der von Gussenbauer angegebenen Weise 
verkrümmt. Die Bewegungen im Hüftgelenke waren vollkommen 
frei, das Becken normal. Schauta meint, daß in diesem Falle die 
abnorme Haltung durch Druck auf den im Becken verlaufenden 
Theil des Ischiadicus während der Schwangerschaft verursacht 
worden sei. 

A88istent Dr. Herrmann demonstrirt die mikroskopischen 
Präparate eines Falles von Tuberculose bei einem Fasane. 
Alle Organe, mit Ausnahme des Herzens, waren dicht mit Knötchen 
besetzt. In der Leber und den Nieren fanden sich größere, zum 
Theile confluirende Knoten von weißer Farbe und derber Con- 
sistenz. An den nach Ehrlich gefärbten Präparaten konnte man 
schon makroskopisch intensiv rothgefärbte Wolken und Flecken 
sehen, die sich mikroskopisch als Convolute von Tuberkelbacillen 
darstellten. 

In der DIscussion bemerkt Prof. Sattler, daß vor einigen 
Jahren an Prof. Soyka von einer Herrschaft 150 Fasanen einge¬ 
schickt wurden, die sämmtlich an universeller Tuberculose zu Grunde 
gegangen waren. Die Tuberkelbacillen fanden sich jedoch nicht in 
so großer Menge, wie in dem demonstrirten Falle. Sattler ließ 
von den erkrankten Organen Kaninchen in die vordere Augen¬ 
kammer impfen, und bei einem derselben entwickelte sich die typische 
Iristnberculose. 

Prof. v. Maschka betont das häufige Vorkommen von Tuber¬ 
culose bei Fasanen. —z 


Notizen. 


Wien, 15. März 1890. 

(Congreß für innere Medici n.) Das Programm dieses 
im April in Wien stattfindenden Congresses wurde wie folgt fest¬ 
gestellt: Montag, 14. April, Abends, Begrüßung der Mitglieder im 
Restaurant Kaiserhof (neben dem neuen Rathhause). Die Vormit¬ 
tage der drei folgenden Tage wurden für die Discussion über 
die bereits mitgetheilten Vorträge, die Nachmittage dieser Tage und 
der Vormittag des letzten Congreßtages (Freitag, 18. April) für 
kleinere Vorträge bestimmt. Das Festmahl findet Mittwoch, den 
16. April, Abends 6 Uhr, im großen Musikvereinssaale statt. — 
Weitere Vorträge haben angekündigt: Prof. Adamkiewicz (Krakau): 
Ueber den pachymeningitischen Proceß; Rothziegel (Wien): Ueber 
Strophantus; Klemperer (Berlin): Fieberbebandlung und Blut- 
alcalescenz; Peiper (Greifswald): Zur Aetiologie dos Trismus 
neonatorum. 

(Das Wiener raedicinische Doctoren-Collegium) 
hielt am 10. März d. J. eine wissenschaftliche Versammlung ab, in 
welcher Dr. Pins einen Fall von seltenem musikalischem Ge- | 


räusche in der Aortengegend demonstrirte, welches tbeilweise auf 
Distanz hörbar war. Pat. klagte bereits vor 5 bis 6 Jahren über An¬ 
fälle von Athemnoth, namentlich im Liegen, und Cyanose. Diese Erschei¬ 
nungen haben sich im Laufe der Zeit gebessert. Lungen und Herz 
sind normal; über der Aorta ist ein eigentümliches Geräusch hörbar, 
welches bald der Systole, bald der Diastole angehängt ist, bei for- 
cirter Inspiration, namentlich am Ende des Inspiriums, sehr stark 
und singend wird. Dieses Phänomen hat sich im Laufe der Jahre 
abgeschwächt und ist jetzt über der Aorta nur schwer, hingegen 
par distance hörbar, namentlich wenn der Mann den Mund öffnet. 
Die sonst für ähnliche Ger.iuscho verantwortlich gemachten anato 
mischen Veränderungen sind hier nicht vorhanden. P. führt die 
Ursache dieses Geräusches auf gewisse Veränderungen innerhalb des 
Mediastinums zurück. Dor vorgestellte junge Mann bat wahrschein¬ 
lich, wie aus der Anamnese hervorgebt, einmal eine Mediastinitis 
durchgemacht, wodurch es zur Adhäsion zwischen Arcus aortae und 
einem Bronchus oder der Trachea an der Bifurcationsstelle gekommen 
ist. Diese Adhäsion ist zu oinem bindegewebigen Strange umge¬ 
wandelt worden, der bei tiefem Inspirinm gespannt wird und den das 
in der Aorta vorbeiströmende Blut zum Schwingen bringt. Mit dieser 
Erklärung stimmt auch die Abschwächung des Phänomens im Laufe 
der Jahre; mit der stärkeren Dehnung des Stranges hat auch seine 
Spannung abgenommen, daher die Abschwäehung des Geräusches. 

— Dr. Gollasph (Breslau) bespricht die ßlutfärbungsmothöden, 

worauf Dr. Ortner seinen Vortrag über Leukämie und 
Pseudoleukämie beginnt, den er in den nächsten Sitzungen 
fortsetzen wird. S. 

(Aus dem österreichischen Abgeordneten hause.) 
In der am 9. d. M. stattgehabten Sitzung des Sanitätsausschusses 
legte Abg. Dr. Roser den Bericht über die Errichtung von Aerzte- 
kammern vor, welcher zugleich mit dem bezüglichen Gesetz¬ 
entwürfe in Druck gelegt werden wird. Ohne die Stellung der 
Regierung in dieser Frage zu präjudiciren, erklärte der anwesende 
Hofrath Dr. Kusy, dieselbe werde der Errichtung von Aerztekammern 
gegenüber im Allgemeinen eine wohlwollende Stellung einnehmen. 

— Im Budgetausschusse erfolgten auf mehrseitige Anfragen, Wünsche 
und Beschwerden einzelner Abgeordneter bezüglich des medicini- 
schen Unterrichtes einzelne bemerkenswerthe Aeußerungen des 
Untorrichtsministers. Den Klagen über den Raummangel an den 
medicinischen und chirurgischen Kliniken der WienerUniversität 
begegnete Dr. Frh. v. Gautsch mit der Mittheilung, daß bereits 
in den diesjährigen Voranschlag ein entsprechender Betrag behufs 
Activirung einer dritten medicinischen Klinik eingestellt wurde. 
Die Verhandlungen mit dem Ministerium des Innern betreffs der 
Raumfrage für diese Klinik, wie betreffs der im großen Hofe des 
allgemeinen Krankenhauses zu errichtenden beiden Pavillons für dio 
chirurgischen Kliniken sind theils im Zuge, thoils zum Ab¬ 
schlüsse gelangt. Bezüglich der urgirten Errichtung einer medi¬ 
cinischen Facultät im Lemberg verwies der Minister auf 
seine früheren, in dieser Angelegenheit abgegebenen Erklärungen, 
mit welchen er das Bedürfniß derselben anerkannt und die Er¬ 
richtung derselben in Aussicht gestellt habe. Er könne jedoch nicht 
nmhin, auch diesmal darauf aufmerksam zu machen, daß zunächst 
wohl mit der Ausgestaltung der medicinischen Facultät in Krakau, 
für welche im Interesse eines gedeihlichen Unterrichtsbetricbes noch 
in mancherlei Richtung zu sorgen sei, vorzugehen wäre. Auch 
eine Resolution betreffs der Errichtung einer medicinischen 
Facultät in Czernowitz wurde beantragt und angenommen. 
Schließlich fand eine Discussion betreffs der Errichtung einer Uni¬ 
versität in Mähren statt, bezüglich welcher der Unterrichts¬ 
minister sich wie folgt äußerte: Weun dem wiederholt zum Aus¬ 
druck gelangten Wunsche, den Hochschuluntcrricht in Mähren zu 
erweitern, entsprochen werden solle, so könnte dies wohl nur derart 
geschehen, daß die bezüglichen Studien beiden Nationalitäten im 
Lande gleichmäßig zugänglich gemacht würden. Ein Bedürfniß scheiue 
doch wohl zunächst nur hinsichtlich einer medicinischen Facultät 
vorhanden zu sein, da die beiden zwar sehr stark frequentirten 
medicinischen Facultäten in Wien und Prag für die Dauer nicht im 
Stande sein dürften, den Bedarf an Aerzten, insbesondere auch in 
Mähren, zu decken. Ueber die allfällige Art der Durchführung einer 
solchen Maßregel könne sich der Minister dermalen in keiner Weise 


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1890. —• Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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aussprechen. — Nicht ohne Interesse sind die in der Sitzung des 
Budget-Ausschusses vom 12. d. M. vorgebrachten Wünsche der Er¬ 
richtung einer Chirurgenschule in Graz und von Stipen¬ 
dien ftirStudirende, mit der Verpflichtung, für die Stipendisten, 
in jenen Orten zu prakticiren, in welchen der größte Mangel an 
Aerztcn herrscht. Beide Anträge, welche im Uebrigen jeder Aus¬ 
sicht auf Realisirung entbehren, bezwecken, dem alljährlich fühlbarer 
werdenden Aerztemangel abzuhelfen. Wir habon die Ursachen des¬ 
selben schon zu oft beleuchtet, um nochmals gegen die Creirung 
einer zweiten Aerztekategorie sprechen zu sollen. Was die Errich¬ 
tung von Stipendien nach dem Beispiele der Kriegsverwaltung be¬ 
trifft. so lassen die Erfahrungen dieses Ressorts eine Nachahmung 
gerade nicht wünschenswert erscheinen. 

(Zur Versorgung unserer Witwen und Waisen.) 
ln der vorwöchentlicheu Nummer haben wir einen kurzen Bericht 
über den Vermögens- und Pensionsstand der Witwen- und 
Waisensocietät des „Wiener mediciuischen Doctoren-Collegiums“ 
mitgctheilt. Aus demselben geht die bemerken sw erthe Thatsache 
hervor, daß nur ein sehr kleiner Bruchtheil der österreichischen 
Acrzto, ja der Mitglieder des Doctoron-Collegiums selbst, einem 
Institute angehört, welches zu den bestfnndirten diesor Art zählt 
und bezüglich der Vortheile, welche durch dassolbe den Mitgliedern, 
beziehungsweise deren Witwen und Waisen geboten werden, von 
keiner auf Gewinn ausgehenden Anstalt ähnlicher Art erreicht 
werden kann. Offenbar ist cs der statutarische Eintrittsmodus, die 
vom Alter des Mitgliedes und seiner Gattin abhängige Höhe des 
ein- für allemal einzuzahlcndcn Gapitales, welcher die Mehrzahl 
der Collegcn gebieterisch abhält, die Sorge um die Zukunft der 
Ihren auf diese Weise zu verringern. Die ärztlichen Kreise werden 
daher ohne Zweifel einen Vorschlag willkommen heißen, welcher 
vom „Aerztlichen Verein der südlichen Bezirke Wiens“ ausgeheud, 
auch vermögenslosen, hart um ihre Existenz kämpfenden Aerzten 
den Beitritt zur Sozietät ermöglicht. Der Vorschlag geht dahin, die 
jeweilig festgesetzte Pension (derzeit fl. 700) in 10 gleiche Tbcile 
zu theilen, so daß es jedem Eintretenden freistehe, sofort auf 1 bis 
10 Theile für seine Witwe und Waisen sich zu versichern, daher 
auch nur 1—10 Zehntheilo des Einlageeapitales einzuzahlen. Dem¬ 
jenigen , der mit der Anwartschaft auf Wo der Pension eintritt, 
bleibt es unbenommen, die Versicherung im nächsten Jahre oder 
später um weitere Theilbeträgo zu erhöhen und auf diese Weise 
allmälig — seinem wachsenden Einkommen entsprechend — die 
volle Pension seiner Familie zu sichern. Wie wir vernehmen, hat 
der genannte Vorschlag alle Aussicht, der baldigeu Realisirung 
zugeführtzu werden. Der Sympathie der ärztlichen Kreise ist er gewiß. 

(Die „Wiener dermatologische Gesellschaft“) hat 
am 5. März d. J. nach erfolgter behördlicher Genehmigung ihrer 
Statuten ihre erste „constituirende“ Versammlung abgchalten und 
ihren Vorstand in den Herren Kaposi als Vorsitzender, Neumann, 
Vorsitzender-Stellvertreter, v. Zeissl, erster, Lukasiewich, zweiter 
Schriftführer und Grünfeld, Cassenführer, gewählt. Die wissen¬ 
schaftlichen Versammlungen der Gesellschaft werden nun regelmäßig 
an jedem zweiten Mittwoch, 5 'Uhr Abends, im dermatologischen 
Hörsaale stattflnden. 

(Verein czechischer Aerzte in Prag.) In der letzten 
Sitzung dieses Vereines theilte Prof. Dr. Thomayer seine Beob¬ 
achtungen über periodische Neuralgie des ersten Astes 
des N. trigeminus mit, welche er während der Influenza- 
Epidemie gemacht hat. Vom 6. Januar bis zum 16. Februar 
d. J. kamen auf der czechischen Poliklinik, deren Vorsteher Thomayer 
ist, 20 frische Fälle zur Behandlung und außerdem kamen ihm in 
seiner Privatpraxis mehrere vor. Unter den poliklinisch Behandelten 
waren 17 Männer, 3 Weiber, alle über 25 Jahre alt. Während 
vom October 1886 bis zum Januar 1890 unter 13.000 der Poli¬ 
klinik zugewachsenen Fällen nur 13 -= 1:383 mit frischer Neu¬ 
ralgie des ersten Astes des N. trig. behaftet waren, kamen in der 
kurzen Zeit vom 6. Januar bis 16. Februar d. J. unter 1232 neu 
Aufgenommeuen 20 = 1:62 solche Fälle vor. Der Verlauf war 
bei allen diesen Kranken ein gleich typischer. Der Schmerz begann 
in der Regel um 8 Uhr Morgens und dauerte bis 3 Uhr Nach¬ 
mittags. Bios 3 Kranke hatten vor dem Auftreten der Neuralgie 
Influenza durchgemacht, die anderen 17 waren von der Seuche ver¬ 


schont geblieben, so daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen 
Influenza und Neuralgie in Abrede gestellt werden muß. Es scheint 
demnach, daß neben der Epidemie von Influenza eine von dieser 
Krankheit unabhängige von Neuralgie des ersten Astes des Trige¬ 
minus einhergegangen sei. Thomayer meint, daß dieses Leiden 
nicht auf Malariainfection beruhe, sondern ein Morbus sui generis 
sei. Bezüglich der Therapie hatten boi Allen größere Gaben von 
Chinin sicheren Erfolg. 

(Universitäts-Nachricht.) Der Privatdocent an der 
Universität München, Dr. Theodor Eschrrich, ist zum a. o. Pro¬ 
fessor der Kinderheilkunde an der Universität Graz ernannt worden. 

(Personalien.) Prof. Dr. J. Hofmokl, Primararzt des 
k. k. Krankenhauses Rudolfstiftung und Doc. Dr. A. v. Hütten¬ 
brenner, Director des Karolinen-Kinderspitales, feierten gestern 
ihr 25jähriges Doctorjubiläum. — Doc. Dr. Gabriel Engel in 
Klausenburg ist zum Director des dortigen Landes-Spitales ernannt 
worden. 

(Reg.-R. Prof. Dr. Ritter v. Maschea) wurde, wie 
uns aus Prag berichtet wird, eingeladen, bei einer vom großherzoglich 
badischen Strafgerichte in Mannheim anberaumten, einen wichtigen 
gerichtsärztlichen Fall betreffenden Hauptverhandlnng als Sachver 
ständiger zu interveniren und hat dieser Einladung Folge geleistet. 

(Statistik.) Vom 2. bis inclusive S. März 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5211 Personen behandelt. Hievon wurden 928 
entlassen; 159 sind gestorben (14'51°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurdori ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 28, egyptischer Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 6, Dysenterie 2 Blattern 12, Varicellen 26, Scharlach 29, 
Masern 162, Keuchhusten 47. Wundrothlauf 14, Wochenbettfleber 7. — In 
der 10. Jabreswoclie sind in Wien 475 Personen gestorben (-}- 5 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien Dr. J. A. Lippitsch 
im 75. Lebensjahre ; in Gräfenberg der Curarzt Josef Schindler, 
76 Jahre alt; in St. Petersburg der deutsche Arzt, Dr. L. Tuauben- 
uerg, 35 Jahre alt, durch eigene Hand. 


Neuerung an Brillen ohne Bandeinfassung. 

Die größere Leichtigkeit ist der eigentliche Grund, weshalb 
zumeist Brillen ohne Randeinfassung getragen werden, obwohl 
dieser Construction folgende Uebelstände anhaften: 

Die Lichtstrahlen dringen nämlich durch die Glasrän¬ 
der ein und bilden nach physikalischen Gesetzen mit der 
Fläche des Glaseseine prismatische Strahlenbrechung, in 
Folge dessen im Glase eiue chromatische Aberration eintritt, welche natur¬ 
gemäß, wenn auch im geringen Maaße, störend wirkt, weil schon 
der grelle Reflex sowohl den Brillentragendeu als auch den ihn An¬ 
schauenden häufig incomraodirt. 

Ein amerikanischer Optiker hatte die Idee diesem Uebelstände 
dadurch abzuhelfen, daß er die Glasränder dunkelblau emaillirt. Im Handel 
kommt diese Brille unter dem Namen „Argus“ vor. Durch diesen 
dunklen Emailrand der Gläser wird aber nicht nur dieser Uebelstand 
beseitigt, sondern es erwächst noch, nach Herrn Schnabl, dem Er¬ 
finder dieser Modifikation , ein weiterer Vortheil. Durch den dunklen 
Emailrand erhalten die Gläser eine dunkle Nuance, ohne daß die¬ 
selben an und für sich in ihrer wirklichen Lichtintensität etwas 
einbüßten. Dieser Umstand ist insoferne nicht zu unterschätzen, 
als eine große Anzahl der Brillenträger sich mit Vorliebe leichter 
rauch- oder blaugefärbter Gläser bedient, weil sie den grellen 
Reflex in der Regel nicht vertragen. Nun haben aber letztere den 
Nachtheil, daß sie eine mindere Lichtintensität besitzen. In diesem 
Falle müssen die betreffenden Brillentragenden stets eine etwas 
höhere bei Convex-, resp. etwas niedere Nummer bei Concavlinsen 
wählen, als zur Correctur ihrer Sehschärfe eigentlich erforderlich wäre. 
Die Sache ist sehr einfach und man kann ihr den technischen Werth 
nicht absprechen. 

Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß diese Modification 
lediglich für jene Brillen, Nasenkneifer einen Werth hat, welche 
ohne Randeinfassung construirt sind. Für solche mit dunkler Rand- 
einfassuug ist diese Erfiuiluug gegenstandslos. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnire r. 


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Sonntag den 23. März 1890. 


Nr. 12. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse* erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
Engleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
anfträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse* und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrfe. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener MecQz. Presse“ in Wien,!., Maxlmillanatr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Ueber habituelle Obstipation. Klinischer Vortrag von Hofr. Prof. Nothnagel. — Monoplegia anaesthetica 
faciei. F.in Beitrag zur Physiologie einiger Gehirnnerven. Von Prof. Dr. Adamkiewicz in Krakau. — Einige Bemerkungen über die sogenannte 
Wrat’sche Infectionskranfcheit. Von Dr. T. Dunin in Warschau. — Entgegnung auf die vorstehenden Bemerkungendes Herrn Dr. T. Dunin. Von Dr. 
M. Weibs in Prag. — Hittheilnngen aas der Praxis. Influenza-Exanthem. Von Dr. Anton Minaitf, Stifts- nnd Bahnarzt in Seitenstetten. 
— Referate and literarische Anzeigen. E. Hafftek (Frauenfeld): Die Bromäthylnarcose. — William Mac Cormac; Ueber den Bauchschnitt 
bei der Behandlung von intraperitonealen Verletzungen. — Hkubner: Fall von Aphasie nnd Seelentaubheit mit Sectionsbefnnd. — Diphtherie und 
Croup im Königreiche Preußen in den Jahren 1875 — 1882. Ein Beitrag zur Ergründung, Einschränkung und Heilung dieser Krankheiten. Von 
Dr. L. Brühl, techn. Hilfsarbeiter nnd E. Jahr, exped. Secretär nnd Calcnlator im kai?erl. Gesundheitsamte. Mit einem Vorworte von Hofrath 
Prof. Dr. M. I. Oertkl. — Feuilleton. Der Hypnotismus und — der französische Kriegsminister. — Kleine Mitthellnngea. Anwendung des 
Acidum trichloraceticum bei den Krankheiten der Nase nnd des Hachens. — Beitrag zur hypnotischen Suggestivtherapie bei Augenleiden. — 
Operative Behandlung des retroflectirten Uterus. — Einfluß der syphilitischen Infection während dt-r Schwangerschaft auf den Foetns. — Terpin¬ 
hydrat gegen Keuchhusten. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Balneologen-Congreß. Zwölfte öffentliche Versammlung der Balneologischen 
Gesellschaft, gehalten zn Berlin vom 7. — 9. März 1890. (Orig.-Ber.) II. — Königl. Gesellschaß der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Aus den 
Pariser Gesellschaßen. (Orig.-Ber.) Acadämie de m^decine. — Notizen« Die Aerztekammerfrage im Parlamente. — Literatur« — Aerztliohe 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ueber habituelle Obstipation. 

Klinischer Vortrag von Hofr. Prof. Nothnagel. 

(Schloß.) 

Es fragt sich nun, was wir in diesen Fällen von chro¬ 
nischer Obstipation therapeutisch vorzunehmen haben? 
Wenn diese Kranken zu Ihnen kommen, so bringen sie ge¬ 
wöhnlich einen ganzen Stoß von Recepten mit sich; die 
meisten waren schon in Carlsbad, in Marienbad und in anderen 
Bädern und Curorten. Der Zustand ist aber immer derselbe 
geblieben und hat nur vorübergehend und nur für kurze Zeit 
sieh gebessert. Die Behandlung dieses Zustandes ist selbst¬ 
verständlich bedingt durch die Auffassung von dem Wesen 
desselben. In allen Fällen nach einer und derselben Schablone 
zu verfahren, wäre entschieden verfehlt. Abführmittel, welcher 
Art sie seien, haben bei dieser Form von Stuhlverstopfung 
nur eine symptomatische Bedeutung. So lange das Mittel 
verabreicht wird, ist der Stuhl regelmäßig; sobald dasselbe 
ausgesetzt wird, kehrt der alte Zustand zurück und die Ob¬ 
stipation als solche wird dadurch nicht geheilt. Es ist ja 
möglich nnd denkbar, daß bei manchen Kranken der Stuhl¬ 
gang regelmäßig, dauernd regelmäßig wird, wenn längere 
Zeit hindurch Abführmittel verabreicht werden, aber das ist 
nicht die Regel und von vornherein schwer zu erklären. Die 
Regel ist, daß solche Kranke nach einer Cur in Marienbad 
oder in anderen Curorten (5—8 Wochen regelmäßig Stuhlgang 
haben; dann aber stellt sich die frühere Obstipation 
wieder ein. Das will nun sagen, daß alle diese Mittel und 
Curen, wenn sie überhaupt einen Erfolg haben, nur sympto¬ 
matisch wirken und keine Nachwirkung haben; der Grund- 
zustand wird durch sie nicht beeinflußt. Sie werden finden, 
daß solche Leute jahraus jahrein einen Curort aufsuchen, weil 
sie sich dort behaglich fühlen und ihr Leiden wenigstens für 
einige Wochen verlieren. 

Es ist wohl einzusehen, daß die geänderte Lebensweise 
in den Curorten von günstiger Wirkung ist; die Leute, 


die ein ganzes Jahr sitzen müssen, machen hier viel Bewe¬ 
gung im Freien, beachten die entsprechende Diät und trinken 
dazu ein Wasser, das seinerseits auch zur Verbesserung 
der Darmthätigkeit beitragen mag, und da ist kein Wunder, 
daß sie sich gesund fühlen. Wenn aber die Cur vorbei ist, ist 
es auch mit ihrem Wohlbefinden vorbei. 

Was sollen wir nun machen, um die habituelle Obsti- 
ation radical zu heilen? Das wirksamste Verfahren wird 
asjenige sein, welches nicht nur das Symptom beseitigt, sondern 
die Grundursache zu hebe» geeignet ist. Als solche haben 
wir die träge Peristaltik des Darmes erkannt. Wir werden 
also den Darm wieder zu regelmäßiger Functionirung 
befähigen müssen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint nun 
als das Hauptmittel die mechanische Reizung des Darmes 
durch die Massage; die Massage des Abdomens 
stelle ich inden Vordergrund der ganzen Behand¬ 
lung der habituellen Obstipation. Dieselbe kann 
verschiedentlich ausgeführt werden. Meiner Ueberzeugung nach 
ist die wirksamste Art, die Massage auszuführen, indem man 
das Abdomen reibt, klatscht, knetet und klopft, und zwar 
gleichgiltig, ob man von der Gegend des S romanum beginnt 
und längs des Colon aufwärts geht, oder in umgekehrter 
Richtung diese Proceduren vornimmt. Wollen Sie sich näm¬ 
lich klar machen, daß die chronische Obstipation, wie ich 
Ihnen schon sagte, gewöhnlich bedingt ist durch Abnormität 
in der Thätigkeit des Dickdarms, so werden Sie Ihr Haupt¬ 
augenmerk darauf richten, überhaupt das ganze Colon zu 
massiren, gleichviel wo Sie anfangen. 

Ich empfehle Ihnen für gewöhnlich die Massage in der 
Weise vorzunehmen, daß Sie mit kurzen Klopf- und Sto߬ 
bewegungen vom Coecum angefangen, entsprechend dem Ver¬ 
laufe des Colon weiter gehen, bis Sie das ganze Colon massirt 
haben. Manche Aerzte empfehlen die Massage in umgekehrter 
Richtung. Ich glaube, daß das mechanische Moment, den 
Darminhalt nach außen zu befördern, hier kaum in Betracht 
kommt, daß es hier vielmehr um die Anregung der Peri¬ 
staltik durch die Massage des Darmes- sich handelt, und 
da ist es gleichgiltig, von welcher Seite die Procedur vor¬ 
genommen wird. Natürlich werden Sie die Massage noch 


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durch andere Manipulationen, wie durch Reiben, Klatschen, 
Klopfen u. s. w., befördern. 

Die Massage muß nun, meine Herren, wenn sie Erfolg 
haben soll, lange Zeit ausgeführt werden. Oft kommt ein 
Kranker zu Ihnen und sagt, er habe 14 Tage, mitunter 
4 Wochen sich massiren lassen, ohne daß er einen Erfolg 
davon gesehen hätte. Dann lassen Sie ihn 6 Wochen massiren, 
und selbst wenn dann noch kein Erfolg ein getreten ist, 
dürfen Sie das Verfahren noch nicht aufgeben, denn die 
Massage ist immer von gutem Erfolge begleitet, wenn sie 
zuweilen auch sehr lange auf diesen Erfolg warten läßt. Ich 
lasse solche Kranke oft 2—3 Monate massiren, bis schließlich 
dauernder Erfolg ein tritt. 

Bei manchen Patienten pflegt die Obstipation schon bei 
2—3 wöchentlich er Behandlung zu weichen, aber das ist nicht 
die Regel. Stellen Sie sich vor, daß ein Kranker oft seit 15 
oder 20 Jähren an chronischer Obstipation leidet, dann werden 
Sie sich selbst sagen, daß man durch eine Behandlung von 
wenigen Wochen den Darm nicht beeinflussen kann. Das 
Zweite also, worauf ich Gewicht legen muß, weil davon oft 
allein der Erfolg abhängt, ist die Ausdauer von Seite des 
Arztes und des Kranken, Sie müssen den Kranken von vorn¬ 
herein auf die längere Dauer der Behandlung aufmerksam 
machen, weil er sonst dieselbe unterbricht. Es empfiehlt 
sich auch, den Leuten zu sagen, daß sie während des Stuhl- 
absetzens sich massiren. 

Die Massage lasse ich gewöhnlich noch durch andere 
Maßnahmen unterstützen; nämlich durch die Faradisation 
des Abdomens. 

Man hat verschiedene Formen der Faradisation em¬ 
pfohlen, die den einzelnen Fällen anzupassen sind. Auch die 
Galvanisation ist namentlich von Leu buschkr empfohlen worden, 
und zwar in der Art, daß man eine Elektrode in den Dick¬ 
darm einführt, die andere von außen auflegt. Für gewöhnlich 
genügt es, wenn der Strom stärker genommen wird, die 
Elektroden von außen, entsprechend dem muthmaßlichen Verb¬ 
laute des Colon, auf das Abdomen aufzulegen. 

Das dritte Moment, auf welches wir ein großes Gewicht 
zu legen haben, ist regelmäßige Bewegung. Soll diö 
Obstipation gründlich geheilt werden t dann muß regelmäßig 
und viel Bewegung gemacht werden. Der Kranke soll viel 
spazieren gehen, soll reiten oder irgend einen anderen Sport 
treiben. 

Als ein weiteres Verfahren empfehle ich Ihnen Zimmer¬ 
gymnastik mit oder ohne Apparate, ein Verfahren, das 
namentlich für Leute, die einen sitzenden Beruf haben, beson¬ 
ders zu empfehlen ist. Auf die Einzelheiten der Zimmergym¬ 
nastik möchte ich hier nicht eingehen, die näheren Ausführungen 
hierüber finden Sie in den entsprechenden Anleitungen. ; 

Massage, Faradisation des Abdomens, Ber 
wegungen und Zimmergymnastik, das sind nun die¬ 
jenigen Verfahrungsweisen, die, consequent angewendet, in 
der Regel zu einem glücklichen Erfolge führen. 

Manche Kranke leiden nur an leichter habitueller Ob¬ 
stipation, und da werden wohl energische Proceduren nicht zu 
empfehlen sein. Manche Kranke bekommen regelmäßigen Stuhl¬ 
gang, wenn sie morgens zwei Glas kaltes Wasser trinken, und 
die Kälte des Wassers ist es wahrscheinlich, welche dieMagen- 
und Darmthätigkeit anregt. 

Andere Kranke bekommen Stuhl, wenn sie Kaffee ge¬ 
trunken , andere befördern ihre Darmthätigkeit durch ein 
Stück Zucker u. s. w. Der Stuhlgang fallt weg, sobald sie 
einen Tag das eine oder das andere weglassen. 

Da aber die Massage längere Zeit braucht, bis sie einen 
Erfolg erzielt, so fragt es sich, was wir denn thun sollen, 
um in der Zwischenzeit für Stuhlgang zu sorgen. Da empfiehlt 
es sich nun, namentlich zur Sommerszeit, solche Leute zum 
Curgebrauch in einen entsprechenden Curort zu schicken, und 
unter diesenCurorten stelle ich obenan Marienbad. Ich mache 


es in der Regel so, daß ich die Leute nach Marienbad schicke 
und ihnen sage, daß sie sich nicht darauf beschränken sollen, 
dort zu trinken, sondern schon dort anfangen, sich massiren £u 
lassen und letzteres dann zu Hause fortsetzen. Nur so haben sie 
einen wirklichen Nutzen vom Curort, der ohne die Massage 
nur einen symptomatischen Werth hat. 

Außer Marienbad gibt es andere Curorte, wohin Sie 
diese Kranken schicken können. Bemerken möchte ich, daß 
man derartige Patienten häufig auch nach Carlsbad schickt, 
obgleich letzteres lange nicht so zweckmäßig ist wie Marien¬ 
bad. Carlsbad hat nur dann eine Wirkung auf die Stuhl¬ 
verstopfung, wenn es sich um wirklich chronische Catarrhe 
handelt, wenn der Darmcatarrh die Ursache einer habi¬ 
tuellen Obstipation ist. 

Es gibt noch viele andere Wässer, die man in diesen 
Fällen an wenden kann, nur ist es nicht noth wendig, die 
Kranken in die Bäder zu schicken; man läßt sie die 
entsprechenden Wässer zu Hause nehmen. Dahin gehören 
Friedrichshaller, Kissinger Wasser, Ofener Wasser, Hunyadi 
Janos, Saidschitzer Bitterwasser, Seidlitzer, Biliner Bitterwasser 
u. s. w. Hervorheben möchte ich hier, daß alle diese Wässer 
kalt getrunken werden müssen, weil die warmen Wässer auf 
die habituelle Obstipation gar nicht wirken; es ist offenbar 
die niedrige Temperatur des Wassers, die den Reiz auf den 
Darm ausübt und denselben zur Thätigkeit anregt. 

Wenn es irgendwie angeht, so vermeide man die Darrei¬ 
chung von Abführmitteln und beschränke sich darauf, Kly stiere 
anzuwenden. Sie lassen eine Irrigation von 1 / a —l Liter 
Wasser von verschiedener Temperatur vornehmen, weil bei 
dem Einen die Wirkung von lauwarmem, bei dem Anderen 
von warmem, bei dem Dritten von kaltem Wasser erfolgt. 
Sie können reines Wasser zu diesen Klystieren nehmen, oder 
Sie setzen etwas Oleum oliv, oder Kochsalz, oder Ricinusöl, 
oder Camillenthee u. dgl. hinzu. Statt der Irrigationen 
können Sie auch die Klysopompe in Anwendung bringen. 
In neuerer Zeit ist das OiDTMANN’sche Abführmittel viel 
empfohlen worden. Als wesentlich wirksamer Bestandtheil 
desselben ist das Glycerin befunden worden und letzteres wird 
jetzt sehr häufig gegen chronische Obstipation mit sehr gutem 
Erfolge verwendet. Man nimmt gewöhnlich 2-3 Grm. Glycerin, 
welche man mittelst kleiner Spritzen in das Rectum bringt. 

Auch Glycerinsuppositorien werden neuerdings angefertigt 
und von vielen Aerzten vielfach gebraucht. 

Das Glycerin wirkt auf den Stuhlgang dadurch, daß es 
wasserentziehend wirkt und dadurch einen starken Reiz auf 
den Darm ausübt. So wird die Peristaltik angeregt, in 
ähnlicher Weise, wie es bei einer Kochsalzlösung, wenn auch 
nicht in so heftiger Weise, geschieht. 

In einer Reihe von Fällen bleibt uns leider nichts übrig als 
Abführmittel anzuwenden, und ich will daher zum Schluß 
diejenigen Abführmittel kurz besprechen, welche mir bei der 
Behandlung der habituellen Obstipation von Bedeutung er¬ 
scheinen. Hier handelt es sich zunächst um die Abführmittel aus 
dem Pflanzenreiche, die seit Alters her im Gebrauche sind 
und als deren wirksamer Bestandtheil in neuerer Zeit Säuren 
erkannt wurden. 

Diese Mittel werden von jeher in verschiedene Gruppen 
getheilt. Diese Gruppen haben keine physiologische Be¬ 
gründung, aber sie haben eine klinische Berechtigung, da ihre 
Unterscheidung darauf beruht, daß sie in verschiedenerWeise 
auf den Darm einwirken. 

In die erste Gruppe setzten unsere Vorfahren jene 
Mittel, die sie als Laxantia im engeren Sinne des Wortes 
bezeichneten, das sind jene Mittel die am mildesten wirken 
und die normale Darmbewegung etwas beschleunigen, ohne 
den Darm zu reizen, namentlich ohne dessen Schleimhaut zu 
irritiren, und 2. die Drastica, welche die Darmschleimhaut 
stark reizen und sehr heftig als Abführmittel wirken. Zur ersten 
Gruppe gehören unter anderen die süßsauren Säfte, wie man 


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sic zu Hause bereitet. Dahin gehören die Tamarinden, und 
als Prototyp dieser Gruppe gelten das Ricinusöl und 
Calo me 1. Ich möchte hier betonen, daß das Ricinusöl bei habi¬ 
tueller Obstipation nicht wohl zu gebrauchen ist, obgleich es 
ein ausgezeichnetes Laxans ist, und zwar aus dem Grunde, weil 
cs dyspeptische Störungen, Appetit Verlust u. s. w. bewirkt. 
Dagegen ist Ricinusöl dann ein ausgezeichnetes Mittel und allen 
anderen vorzuziehen, wenn es sich darum handelt, einmaligen 
Stuhl zu erzielen. Dasselbe findet häufige Anwendung bei 
der Obstipation von Schwangeren, oft auch mit günstigem 
Erfolge bei schweren Formen der Obstipation, z. B. der Blei¬ 
kolik. Dasselbe gilt auch vom Calomel. Als Laxans hat es 
neben dem Ricinusöl den großen Vorzug, daß man cs auch 
bei entzündlichen Processen im Darme und bei Processen, die 
mit Geschwürbildung einhergehen, geben kann, und wie das 
Ricinusöl, findet Calomel seine Verwendung dann, wenn man 
eine einmalige Darmentleerimg vornehmen will. Es ist viel 
über die specifische Wirkung des Calomeis als Laxans dis- 
cutirt worden, allein eine solche specifische Wirkung ist 
meines Erachtens dem Calomel nicht zuzuschreiben, indem es 
in gleicher Weise wie das Ricinusöl wirkt. Ich will freilich 
bemerken, daß in England und in den Vereinigten Staaten das 
Calomel, namentlich in Verbindung mit Jalappa, auch als 
dauerndes Mittel gegen habituelle Obstipation vielfach gebraucht 
wird. Bei uns ist es nicht Sitte, Calomel längere Zeit 
gegen die habituelle Obstipation zu gebrauchen, und diese 
Sitte hat ihre Berechtigung, weil man doch eine gewisse In- 
toxication befürchten kann. 

Dagegen wird von den milden Abführmitteln recht häufig 
die Tamarinde gebraucht, und zwar in Form von Tama¬ 
rindenmus oder Tamarindenmolke. 

Diese Präparate wirken ganz nach Art der säuerlichen 
Früchte: leicht abführend. Bei manchen Leuten wirken schon 
die einfachen Zuckerärten, wie Mannazucker, Mannasaft oder 
auch Honig als Abführmittel. 

Die zweite GJasse der Abführmittel, die sog. Salina, 
werden bei der habituellen Obstipation als dauernde Abführ¬ 
mittel nicht gebraucht. Die Salinen sind ein ausgezeichnetes 
Mittel, wo es sich darum handelt, ein- oder zweimal Stuhl¬ 
gang zu erzielen, aber für den dauernden Gebrauch muß man 
sehr vorsichtig sein, weil sie die Verdauung beeinträchtigen 
können. Diese Mittel werden gewöhnlich in den Curorten mit 
den betreffenden Wässern eingenommen. Manche Leute ge¬ 
brauchen diese Mittel in Form von Salz auch nach ihrem 
Badeaufenthalte noch Monate hindurch, ohne daß die Präparate 
etwas von ihrer Wirksamkeit verlieren. Man nimmt diese 
Mittel am besten in Form von Carlsbadcr Salz, 2 bis 3 
Kaffeelöffel, andere Patienten trinken ein Glas Bitterwasser, 
andere nehmen Seidlitzer Pulver. 

Ein zweckmäßiges Präparat ist das. schon erwähnte 
Friedrichshaller Wasser, welches auch gut vom Magen ver¬ 
tragen wird, ohi.e daß irgend welche dyspeptische Störungen 
dadurch hervorgerufen werden. 

In anderen Ländern treten mehrere andere Präparate, 
die dort leichter zu beschaffen sind, in den Vordergrund, so in 
England das EpsoN’sche Salz. 

Wie viel man von dem einen und dem anderen Wasser 
trinken soll, läßt sich nicht für alle Fälle genau bestimmen; 
bei dem Einen genügt ein Glas Wasser, um Stuhl zu be¬ 
kommen, bei dein Anderen wird erst mit mehreren Gläsern eine 
Wirkung erzielt. 

Die hauptsächlichsten Präparate aber, die wir bei der 
habituellen Obstipation anwenden, haben wir in der zweiten 
Gruppe der Abführmittel, in der Classc der sog. Drastica 
zu suchen. Unter diesen sind es auch wieder nur einige, welche 
vorzugsweise in Gebrauch sind, während die anderen wegen 
des starken Reizes, den sie auf die Darraschleimhaut aus¬ 
üben, nur ausnahmsweise bei sehr hartnäckigen Obstipationen 
gebraucht werden. So kann man, wenn die anderen Mittel 
fehlschlagen, zum Crotonöl oder zu Sen na blättern 


greifen, allein für gewöhnlich thut man es nicht, auch wird 
ein umsichtiger Arzt nicht Elateriura, nicht Bryonia ver¬ 
schreiben , weil sie jedenfalls heftig wirken und zu viel 
Leibschmerzen bereiten. 

Von den in Verwendung stehenden Drasticis nenne ich 
Ihnen das älteste und wirksamste Präparat, die Aloe. Die 
Aloe spielt eine Hauptrolle in der Mehrzahl der allgemein 
üblichen Präparate, die gegen Verstopfung angewendet werden. 
Sie ist das meist gebrauchte Abführmittel und eignet sich 
deshalb in erster Linie gegen die chronische Obstipation, weil 
sie längere Zeit ohnfe Nachtheil gebraucht werden kann. Nach 
Allem, was wir wissen, scheint die Aloe auf das Colon ein¬ 
zuwirken, die Peristaltik desselben anzuregen, und nach dem, 
was ich Ihnen über das Wesen der habituellen Obstipation 
auseinandergesetzt habe, kommt es ja eben im Wesent¬ 
lichen darauf an, die träge Peristaltik des Darmes anzuregen. 
Dieses Präparat hat ferner den großen Vortheil, daß man 
es in kleinen Quantitäten und in angenehmer Form, welche 
die meisten Menschen nicht belästigt, in Pillen, geben kann, 
und darum hat sich die Aloe seit Alters her einen ausge¬ 
zeichneten Ruf erworben. Die Wirkung der Aloe tritt erst 
nach einer Reihe von Stunden (8—10 Stunden) ein, und ich 
bitte Sie, diesen Umstand zu beachten, weil Sie sonst dem 
Patienten große Unbequemlichkeiten bereiten können. 

Ein zweites Präparat, das bei habitueller Obstipation 
sehr gut wirkt, ist der alt bewährte Rhabarber, Radix 
Rh ei. Das Rheum kann man in verschiedenen Formen geben; 
bei einigen Leuten wirkt namentlich die Tinctura Rhei vinosa 
oder auch Tinctura Rhei aquosa, bei anderen wirkt es in 
Form von Extract. Rhabarber wirkt in kleinen Gaben ver¬ 
stopfend und wird auch bei bestimmten Formen des Durch¬ 
falls angewendet. Rheum ist auch ein die Verdauung be¬ 
förderndes Mittel und wird also in geringen Gaben dann an¬ 
gewendet, wenn mit der Dyspepsie zugleich Durchfall ver¬ 
bunden ist. In großen Gaben wirkt Rhabarber, ähnlich der 
Aloe, abführend und wird nur gebraucht, wenn man einen 
oder zwei Stühle zu erzielen wünscht. Doch gibt es Personen, 
die selbst gegen chronische Obstipation diesem Mittel vor allen 
den Vorzug geben. Auf die specielle Wirkung auf die Galle, 
die man dem Rhabarber zugeschrieben hat, will ich hier nicht 
eingehen und bemerke nur, daß man ihn früher häufig 
bei Icterus, wenn derselbe mit Stuhlverstopfung einherging, 
verwendete. 

Ein anderes Mittel, welches ähnlich wie Rheum wirkt, 
ist Podophyllin. Dasselbe wirkt stärker als Aloe und 
Rhabarber, aber in analoger Weise. Sie können nun diese 
Präparate combiniren , also z. B. folgende Pillen verschreiben : 


Rp. Podophyllin.0‘3 

Extr. Aloes 

Extr. Rhei aa.3 0 


Extr. Tharax. q. s. 
ad pill. Nr. 40. 

Von diesen Pillen lassen Sie den Kranken Abends eine 
nehmen, oder wenn eine nicht wirkt, den nächsten Tag 2 und 
selbst 3. Wenn die Obstipation nicht gar zu hartnäckig ist, 
so genügen in der Regel 1 oder 2 Pillen, die Sie vor dem 
Schlafe nehmen lassen, um Stuhl zu erzielen. Schon in Dosen 
von 1 Decigramm wirkt das Podophyllin sehr heftig, indem 
es kolikartige Schmerzen hervorruft und bei noch größeren 
Gaben Uebelkeit und starkes Erbrechen oft gallig verfärbter 
Massen und mehrere wässerige Stühle erzeugt. 

Ein weiteres Präparat, welches Sie bei der habituellen 
Obstipation verwenden können, sind die Coloquinthen. 
Dieses Präparat ist ein sehr energisch wirkendes Drasticum, 
das schon in geringen Dosen, in Dosen von 4-5 Centigramm 
wässerige Stühle erzeugt, in größeren Gaben die Schleimhaut 
des Magens und des Darmes reizt und auch blutige Ent¬ 
leerungen bewirken kann. Die Coloquinthen wirken vorzüg¬ 
lich bei hartnäckiger Obstipation in den Fällen, wo mehr als 
einmalige Wirkung angestrebt wird, doch läßt man es selten 

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länger als 8 Tage nehmen. Sie werden namentlich dort an¬ 
gewendet, wo die Aloe keine Wirkung geäußert hat. 

Ein weiteres Mittel, welches Sie anwenden können bei 
habitueller Obstipation, ist die Jalape. Sie verschreiben 
es in Form eines Extractes oder als Sapo jalapinus, oder Sie 
combiniren es mit anderen Drasticis. Die Jalapewurzel be¬ 
wirkt in kleinen Gaben höchstens eine leichte Leibesöffnung; 
größere Gaben bewirken schon nach 2 Stunden unter Leib¬ 
schmerzen und Stuhlzwang mehrere breiige Stuhlentleerungen. 
Das Unangenehme bei diesem Präparate ist, daß es bei manchen 
Individuen Erbrechen und Uebelkeit verursacht. Bei habitueller 
Obstipation wird es häufig gebraucht, weil es längere Zeit 
hindurch ohne Nebenwirkungen genommen werden kann. 

Ein weiteres Präparat, welches neuerdings in Gebrauch 
kam und auch meiner Erfahrung nach dem Zweck entspricht, 
ist die Cortex Cascarillae. Sie verschreiben: 

Rp. Extr. fluid. Cascarae sagrad. 

Syr. Cort. Aurant. aa. . . . 20‘0 
1—4 Kaffeelöffel in Intervallen von 2 
bis 3 Stunden. 

Bei Leuten, welche an Hämorrhoidalblutungen leiden, 
wirkt ein von Alters her bewährtes Mittel sehr gut, nämlich 
Pulvis Glycyrrhizae compositus, welches, gemischt 
mit Folia Sennae zu gleichen Theilen und mit Fructus Foeni- 
culi und Sulfur depuratum aa. 1 Theil und mit 6 Theilen 
Sacchar. albissimum, in der deutschen Pharmacopoe officinell 
ist. Doch hat dieses Präparat, das sonst ein sehr beliebtes 
Abführmittel, den Uebelstand, daß es zu viel süße Sub¬ 
stanzen enthält und von vielen Leuten nicht vertragen wird. 

Sie sehen, die Zahl der Mittel, die uns gegen die chro¬ 
nische Obstipation zur Verfügung stehen, ist keine geringe, 
obgleich ich sämmtliche Abführmittel lange nicht erschöpft habe. 

In den Fällen, wo wir gezwungen sind, Mittel zu geben, 
wo wir dieselben nicht durch Massage, nicht durch Zimmer- 
ymnastik, nicht durch Faradisation des Abdomens ersetzen 
önnen, rathe ich Ihnen, mit den hier angegebenen Mitteln 
zu wechseln. Ich beginne in der Regel mit der Aloe, dann 
lasse ich einige Wochen lang Bitterwasser trinken, wechsle 
dieses mit Pulvis Glycyrrhizae compos., gebe dann Syrupus 
domestic. Am besten und für einen längeren Gebrauch am 
meisten zu empfehlen sind Irrigationen, entweder mit bloßem 
Wasser oder mit Abkochungen von Leinsamen mit Zusatz 
von Camillenthee, Seife oder auch Glycerinklystiere. 

Wie groß die Zahl der Mittel ist, die von den Aerzten 
und Laien gegen die Obstipation angewendet werden, wüßte 
ich Ihnen nicht anzugeben; wenn Sie in Ihrer Praxis Um¬ 
schau halten über die Menge der Abführmittel, die da und 
dort im Gebrauche stehen, werden Sie erstaunen, wie reich 
unsere Therapie nach dieser Richtung hin ist. Die Wirksam¬ 
keit der Mittel ist individuell ungemein verschieden, bei dem 
Einen wirkt dieses Mittel, das Sie bei dem Anderen im Stiche 
läßt; der Eine bekommt Stuhl, wenn er einen Apfel ißt, der 
Andere, wenn er Graliambrod ißt. Bei dem Grahambrod ist 
es offenbar der mechanische Reiz, den dasselbe auf die Darm¬ 
schleimhaut ausübt, der die Darmperistaltik anregt. 

Es gibt noch eine Reihe von Mitteln, die jetzt schon der 
Vergessenheit anheimgefallen sind, die aber früher in häufiger 
Verwendung standen. So waren zu Anfang unseres Jahr¬ 
hunderts die sog. KKMPE’schen Visceralklystiere in häufigem 
Gebrauch gegen habituelle Obstipation, namentlich bei Status 
haemorrhoidalis. 

Ferner war in früheren Zeiten die von Störk im vorigen 
Jahrhunderte eingeführte sog. Frühlingscur gegen chro¬ 
nische Obstipation mit Plethora, mit Hämorrhoidalblutungen 
im Gebrauch. Zur Zeit, als die Verkehrsmittel auf einer 
niedrigen Stufe standen, das Bäder- und Curortewesen noch 
nicht in dem Maße entwickelt war, wie heute, da pflegten 
derartige Kranke im Frühling eine Cur zu gebrauchen, in¬ 
dem sie die Succi recenter expressi genossen. Da wurden 
von frischen Kräutern die Stengel, Wurzel und Blätter ge¬ 


sammelt, abgekocht und der Absud oder auch der ausgepreßte 
Saft getrunken. Ich habe Ihnen dies angeführt zur Illustra¬ 
tion dessen, was man Alles gegen die habituelle Obstipation 
versucht hat. So groß aber die Zahl dieser Medicaraente auch sein 
mag, so sind sie doch nicht imStande, radical auf die chro¬ 
nische Obstipation zu wirken. Sie sind ein nothwendiger Be¬ 
helf, der bei der Behandlung dieses Uebels nur symptomatisch 
in Frage kommt; die Hauptcur der habituellen Stuhl Ver¬ 
stopfung bleibt aber stets die Massage und die anderen oben 
angegebenen Verfahrungsweisen, welche den Zweck haben, die 
träge Peristaltik des Darmes zu größerer Thätigkeit anzuregen. 

Monoplegia anaesthetica faciei. 

Ein Beitrag zur Physiologie einiger Gehirnnerven. 

Von Prot Dr. Ad&mkiewicz in Krakau. 

(Schluß.) 

4. Physiologische Ergebnisse. 

Neben dem klinischen bietet der hier beschriebene 
Krankheitsfall auch einiges physiologische Interesse. 

Ich möchte zunächst auf die große Empfindlichkeit 
der anästhetischen Haut gegen die Einwirkungen der 
Kälte hinweisen. Wir haben hier eine paradoxe, physiologisch 
um so schwieriger verständliche Erscheinung vor uns, als 
doch die Kälte zunächst auf die in der Haut endigenden 
Nervenäste wirkt, und als wir in unserem Fall gerade diese 
Endverzweigungen der Trigemini für krank halten müssen. 

Welche Organe vermittelten hier den Reiz der Kälte, 
wenn die Nervenenden selbst krank waren, und worauf be¬ 
ruhten die verschärft zum Bewußtsein gelangenden Empfindungen 
dieses Reizes ? 

Daß die Schmerzempfindung für peripherische Reize sich 
gerade dann steigern kann (Anaesthesia dolorosa), wenn' der 
diese Reize unter normalen Umständen vermittelnde Nerv in 
seinem peripherischen Verlauf getrennt ist, das habe ich 
bei anderer Gelegenheit 6 ) an einem prägnanten Fall gezeigt. 
Dort war der dritte Ast des Trigeminus wegen Neuralgie 
desselben durchschnitten worden. Aber die Zunge war nach 
der Durchschneidung des R. lingualis auf der operirten Seite 
fiir jede Berührung so überempfindlich geworden, daß der 
Kranke die frühere Neuralgie erträglicher fand, als diesen 
Zustand! 

Verlaufen vielleicht im Trigeminus temperirende, eine 
Art das Gefühl hemmender Nerven, die unter normalen Ver¬ 
hältnissen die sensiblen Eindrücke mildern ? Gibt es vielleicht 
für jede Empfindungsqualität solche Nerven, da bei dem einen 
Kranken nur die Kälte Schmerz im anästhetischen Gebiet 
hervorruft, bei dem anderen Berührung und Stich einer 
Nadel? 

Und wie wird überhaupt, wenn der Nerv krank oder 
durchschnitten ist, diese Empfindung von der Peripherie bis 
zu den empfindenden Organen geleitet? 

Das sind Fragen, die sich mit großer Energie aufdrängen, 
und die der Antwort gewiß noch lange vergeblich harren 
werden. 

Noch einiger interessanter Erscheinungen sei hier ge¬ 
dacht , die an unserem Kranken aufbraten: der Lähmung des 
Empfindungsvermögens der Hornhäute neben derjenigen der 
Conjunctiven, der Integrität beider Augen trotz des Verlustes 
der Sensibilität, des Verlustes des Geschmackes auf den vor¬ 
deren Partien der linken Zungenhälfte und des beständigen 
Catarrhes der Nasenschleimhaut. 

Die Anästhesie der Corneen bei dem hier vorliegenden 
zweiffellos peripheren Nervenleiden beweist, daß die, wie an¬ 
genommen wird, meist central afficirten Empfindungsnerven 

6 ) Halbseitige fortschreitende Geliirnnervenlähmang. „Wiener medi'. 
Wochenschrift.“ A. a. 0. 


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der Hornhäute zweifellos auch peripher ergriffen werden 
können. Daß beide Augen trotz des Verlustes ihres Em¬ 
pfindungsvermögens gesund geblieben waren, spricht dafür, 
daß die Sensibilitätsstörungen an den Augen keine trophischen 
Störungen machen, wenn der motorische Schutzapparat des 
Auges gut functionirt (Snellen’s Hypothese;. Die bezeich- 
nete Alteration des Geschmackes lehrt, daß der Trigeminus 
der Geschmacksnerv der vorderen Partien der Zunge ist. Und 
aus der Neigung zu Catarrhen der Nasenschleimhaut bei einer 
Affection des Trigeminus läßt sich vcrmuthen, daß auch dieser 
Catarrh zuweilen eine Art trophischer Störung sein kann. 

Die Schlüsse bezüglich der Augen und des Geschmackes 
scheinen mir um so gerechtfertigter zu sein, als ich außer den hier 
erwähnten ganz analoge Beobachtungen schon in einem anderen 
Falle zu machen Gelegenheit hatte.") Dort konnte ich speciell 
noch darthun, daß ein durch Blepharoptose geschütztes Auge 
trotz nachgewiesener peripherischer Lähmung des N. trige- 
minus trophisch nicht erkrankte und daß die Chorda tympani 
die Geschmacksnerven aus dem zweiten Ast des Trigeminus 
der Zunge zuführt, während der R. lingualis ausschließlich 
Schmerzempfindungsnerv für dieses Organ ist. 

Es entsprechen diese Resultate den von Schiff 7 ) an 
Hunden erhaltenen. Es gelang diesem Forscher sowohl durch 
Durchschneidung des zweiten Astes des N. trigeminus über 
dem Ganglion spheno-palatinum, als durch Zerstörung des 
N. facialis im FALLori’schen Canal die Geschmacksperception 
in den vorderen Abschnitten der Zunge zu vernichten, woraus 
die engen Beziehungen des Trigeminusastes zum Geschmack 
in den vorderen Zungenpartien und der Verlauf der betreffenden 
Fasern aus dem Ganglion spheno-palatinum durch den N. pe- 
trosus superficialis minor zum Ganglion geniculi N. facialis 
und dann durch die Chorda tympani und den R. lingualis 
trigemini zur Zunge erwiesen ist. 

Damit soll es indessen nicht in Abrede gestellt werden, 
daß in Ausnahraefällen Glossopharyngeus-Zweige (Ganglion 
petrosum, Plexus Jacobsonii, Chorda tympani, N. lingualis V) 
die Geschmacksempfindung vermitteln können (Brückl's Theorie), 
da auch neulich erst ein Fall einer vollständigen einseitigen 
Trigeminuslähmung beobachtet worden ist (Dana 8 ), wo die 
Geschmacksperception nicht gestört gewesen sein soll. 

5. Aetiologie. 

Bezüglich der Ursache des hier beschriebenen Leidens 
bleibt uns selbst nichts anderes übrig, als die von dem Kranken 
angeschuldigten Momente als die eigentliche Ursache der 
Krankheit anzuerkennen. Die der Luft, dem Wetterwechsel 
und den Unbilden der Witterung stark ausgesetzte, an solche 
Einflüsse nicht gewöhnte Gesichtshaut, die kalten Ueber- 
gießungen, mit denen er sie außerdem noch maltraitirte, mögen 
entzündliche Processe, Exsudationen in die Scheiden der in 
der Gesichtshaut verlaufenden .Nerven veranlaßt und so die 
aufsteigende Neuritis hervorgerufen haben. 

Freilich läßt die Annahme manche anderen Fragen offen. 
Und so gibt sie uns vor Allem darüber keine Auskunft, wes¬ 
halb gerade nur der Trigeminus erkrankt ist und nicht auch 
der Facialis, der sich doch genau unter denselben ungünstigen 
Verhältnissen befand, wie jener! 

6. Verlauf der Krankheit. 

Ueber den Verlauf der Affection selbst kann ich leider 
nichts Günstiges berichten. So lange ich den Kranken zu 
beobachten Gelegenheit hatte, trotzte sein Leiden allen Mitteln 
— besonders auch allen Einwirkungen des elektrischen Stromes. 
Nach Bericht des behandelnden Arztes (Herrn Dr. Jkz in 
Stryj) soll in letzter Zeit auch das Gebiet des dritten Zweiges 
vom rechten Trigeminus von der Krankheit ergriffen worden 
sein, so daß zur Zeit eine Monoplegia anaesthetica completa 
faciei vorliegen dürfte. 

6 ) Halbseitige fortschreitende Gehirnnervenläliraung. A. a. 0. 

’) „Revue medicale de la Suisse romande“, 1887, Nr. 1. 

8 ) „Jonrn. of nerv, and ment, diseas.“, 188(5, p. 65. 


Einige Bemerkungen über die sogenannte 
Weitsche Infectionskrankheit. 

Vou Dr. T. Dänin in Warschau. 

In Nr. 4(> der „Wiener Med. Presse“ vom J. 1880 
hat Dr. M. Wkiss aus Prag einen kurzen Artikel über die 
WKiL’sche Krankheit veröffentlicht, worin er, die bisherigen 
Beschreibungen dieses Leidens kritisirend, folgendermaßen über 
den von mir und Prof. Brodovski beschriebenen Fall sich aus¬ 
spricht: „ln dem zur Section gelangten Falle von Brodovski 
und Dunin (klinisch: Qedema podura. Ascites. Intumeseenz 
der Leber und Milz und sämmtlicher der Untersuchung zu¬ 
gänglicher Lymphdrüsen; anatomisch : sehr große Milz, klein¬ 
zellige Infiltration im Bereiche und in der Umgebung der 
Leberacini, in den Interstitien der Lungen und Nieren) hat 
es sich offenbar um Pseudoleucämio gehandelt.“ Diesen Ab¬ 
schnitt darf ich nicht ohne Antwort lassen. Zuerst die 
Frage, was eigentlich damit gewonnen wird, wenn man statt 
der WEiL’schen Krankheit die Diagnose auf „Pseudoleucämie“ 
lauten läßt? 

Die WEii.’sche Krankheit läßt wenigstens an ein bestimmtes 
klinisches. Bild denken, während der Ausdruck „Pseudo¬ 
leucämie“ eine ganze Reihe verschiedener Krankheiten, die 
weder klinisch, noch anatomisch einander ähnlich sind, umfaßt. 

Wäre sogar unser Fall factisch dem Pseudoleucämie ge¬ 
wöhnlich genannten Bilde ähnlich, so hätten wir dennoch 
Recht, ihn aus dieser nichtssagenden Gruppe auszuschließen 
und einer anderen, mehr bestimmten anzuhängen. 

Das war aber durchaus nicht der Fall, da unser Casus 
gar keine Aehnlichkeit mit der sogenannten Pseudoleucämie 
bot, wovon Dr. Weiss sich überzeugen könnte, wenn 
er unseren Artikel etwas aufmerksamer lesen würde. Der 
Verlauf unseres Falles war ja rapid (14 Tage), die Temperatur 
sehr hoch, Icterus war schwach ausgesprochen, es bestanden 
Symptome von Nierenentzündung (all dieser Symptome ver¬ 
gaß Herr Weiss), Leber- und Milztumor und eine sehr ge¬ 
ringe Anschwellung der Lymphdrüsen. Es bleibt mir ganz 
unverständlich, weßhalb Dr. Weiss die wichtigsten Symptome 
außer Acht gelassen hat, den „Ascites“ aber, von dem in der 
Beschreibung gar nicht die Rede ist, auf den ersten Platz 
hervorgeschoben hat. Welche Aehnlichkeit hat nun mein 
Fall (in dieser echten Beschreibung) mit Pseudoleucämie? 

Ist denn Herrn Dr. Weiss irgend ein Fall von Pseudo¬ 
leucämie bekannt, der im Laufe von 14 Tagen bei Icterus, 
Nierenentzündung und hohem Fieber zum Tode führte ? Es 
sind zwar acute Fälle von Leucämie bekannt, und ich er¬ 
wähne deren in meinem Artikel, aber einen 14tägigen Verlauf 
von Pseudoleucämie hat wahrlich Niemand, außer Dr. Wkiss, 
bisher beobachtet. Unseren Fall als Pseudoleucämie aufzu¬ 
fassen, darauf kam Dr. WErss nur in Folge der unbedeu¬ 
tenden Anschwellung der Lymphdrüsen, welche bei unserem 
Kranken beobachtet wurde. Dieses Symptom ist jedoch viel 
zu unbedeutend, denn dann sollte ja auch Lues zur Pseudo¬ 
leucämie gehören. 

Noch weniger Aehnlichkeit mit Pseudoleucämie, als das 
klinische Bild, bietet die anatomische Untersuchung. Diffuse 
interstitielle Lungen-, Leber- und Nierenentzündungen waren 
ja vorhanden. Was hat dies mit Pseudoleucämie zu schaffen? 
Man müßte alsdann die Hälfte aller bekannten Krankheiten 
als Pseudoleucämie auffassen. 

Zuletzt noch ein Wort über den Vorschlag von Dr. Weiss, 
die neue Krankheit „Typhus biliosus nostras“ zu nennen. 
Ich kann die Hartnäckigkeit durchaus nicht verstehen, mit 
welcher manche Verfasser an dem Namen „Typhus biliosus“ 
hängen. In meinem Artikel über die WKiL’sche Krankheit 
habe ich bereits bemerkt, daß laut Heydenreich’s, Moczuf- 
kovski’s , meiner und letztens Lüi.imoff’s Untersuchungen 
Typhus biliosus als selbstständige Krankheit gar nicht existirt 
und nur ein mit Icterus complicirter Typhus recurrens ist. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 12. 


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Manche neuere Handbücher (von Eichhokst z. B.) haben ja 
den Titel „Typhus biliosus“ ganz weggelassen, wie kommt es 
also zur Bildung eines neuen Titels: „Typhus biliosus nostras“ V 
Dieser Name sagt ebensowenig, als. „WEiL’sche Krankheit“, 
trübt aber ungemein die Wissenschaft. 


Entgegnung 

auf die 

vorstehenden Bemerkungen des Herrn 
Dr. T. Dunin. 

Von Dr. M. Weise in Prag. 

Die in dom vorstehenden Artikel gebrauchten Bemer¬ 
kungen des Herrn Dr. T. Di nin über die sogenannte Wun/sche 
Krankheit beschränken sich auf eine in gereiztem Tone 
gehaltene Polemik darüber, daß ich in meiner kritischen Sich¬ 
tung der in der Literatur verzeichneton Fälle von WziL’scher 
Krankheit den von ihm und Prof. Brodowsky in Warschau 
als WEiL’sche Krankheit declarirten Fall als Pseudo!eueämie 
aufgefaßt habe, sowie über meinen Vorschlag, die fragliche 
Ki ankheit mit dem Namen „Typhus biliosus nostras“ zu belegen. 

Auf die von Dr. Dünin mit geradezu verblüffender 
Naivetät gestellte Frage, was eigentlich damit gewonnen 
werde, wenn man statt der (sic!) WKiL’schen Krankheit die 
Diagnose auf Pseudoleucämie lauten läßt, halte ich mich jeder 
Antwort enthoben. und bezüglich der Bemerkung, daß die 
WKii.’schc Krankheit wenigstens an ein bestimmtes klinisches 
Bild denken lasse, während der Ausdruck „P seudoleucämie“ 
eine ganze Reihe verschiedener Krankheiten, die weder klinisch 
noch anatomisch einander ähnlich sind, umfasse, verweise ich 
einfach auf die Handbücher der speciellen Pathologie, aus 
welchen sich Jeder, dem es noth thut, über den Begriff dieser 
Krankheit und die Stellung, welche sie in der Pathologie ein¬ 
nimmt, Belehrung verschaffen kann. 

Solchen, mit ernster wissenschaftlicher Forschung nicht 
vereinbarlichen Anschauungen gegenüber hätte ich die Be¬ 
merkungen des Herrn Dr. Dunin mit Stillschweigen über¬ 
gehen können, aber er insinuirt mir eine Außerachtlassung 
der wichtigsten Symptome und eine oberflächliche Beur- 
theilung seines Falles, in dem ich unmöglich eine Aehnlich- 
keit mit der sogenannten (!) Pseudoleucämie hätte finden 
können, wenn ich den Artikel etwas aufmerksamer gelesen 
hätte, und diese Insinuation kann ich nicht unerwidert lassen. 
Ich habe durchaus nicht die „wichtigsten“ Symptome außer 
Acht gelassen, wie Dr. Dunin sagt. Denn unmittelbar vor der 
Kritik der einzelnen Fälle heißt es in meinem Artikel ganz 
ausdrücklich, daß ganz verschiedene Processe bloß deshalb als 
„WEiL’sche Krankheit angesprochen werden, weil bei ihnen 
nebst den für eine bestimmte Erkrankung charakteristischen 
Erscheinungen auch die WEiL’sche Trias: Icterus, Milz¬ 
tumor und Nephritis vorhanden war. 

Welche Aehnlichkeit sein Fall (in der echten Beschrei¬ 
bung) mit Pseudoleunämie habe, frägt Dr. Dunin weiter. Der 
Fragesteller scheint vergessen zu haben, was er mit Herrn 
Prof. Bkodowsky über diesen Fall geschrieben hat, und ich 
will deshalb seinem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. 

Im 43. Bande des „Deutschen Archivs für klinische 
Medicin“, in welchem die genannten Herren ihren Fall der 
sogenannten „WEii/schen Infectionskrankheit“ veröffentlicht 
haben, heißt es S. 520 wörtlich: „Die unteren Extremitäten 
bis zur Hälfte der Unterschenkel geschwollen . ..“, die obere 
Milzgrenze steht über der 8. Rippe, der untere Rand ist sehr 
gut palpabel. Alle der Untersuchung sich darbietenden Lymph- 
drüsen, auf dem Halse, in der Achselhöhle, in der Ellen- und 
Schenkelbeuge sind vergrößert, erreichen den Umfang 
einer kleinen Wallnuß (also nicht blos eine sehr ge¬ 
ringe Anschwellung, wie es in den Bemerkungen heißt) und 
sind bei Berührung schmerzhaft. Das Brustbein und die 


langen Röhrenknochen sind auch etwas schmerzhaft bei 
Berührung. Im Blute ist die Zahl der weißen Blut¬ 
körperchen etwas vergrößert, die der rothen normal. 
Subjectiv klagte der Kranke über Kopfschmerz und heftige 
Schmerzen in der Lebergegend. Die Leber war vergrößert. 
Außerdem bestand schwacher Icterus und Albuminurie. Die 
Temperatur war hoch. Sectionsbefund: „ Die Bronchial¬ 
drüsen bedeutend vergrößert, weich, röthlichgrau. Leber 
etwas vergrößert. Auf der Oberfläche und der Durchschnittsfläche 
sind zahlreiche kleinere und größere lehmfarbige 
Flecken zerstreut, welche die Verzweigungen der Pfortader 
begleiten. Milz wenigstens um das Fünffache vergrößert. 
Niere fast 2mal größer, mit kleinen weißen Flecken be¬ 
sprengt. Die solitären Follikel etwas vergrößert. Die 
Mesenterialdrüsen sind ebenso wie die Lymphdrüsen 
am Halse, in den Schenkelbeugen u. s. w. vergrößert, er¬ 
weicht und von grauröthlicher Farbe.“ Die mikroskopische 
Untersuchung ergab „kleinzellige Infiltration im interstitiellen 
Bindegewebe der Leber, welche jenen angeführten gelben 
Flecken und Knötchen entsprach. Auch in der Niere ent¬ 
sprechen die oben citirten Flecken der kleinzelligen Infiltration 
des interstitiellen Bindegewebes. Das Parenchym der Lymph¬ 
drüsen vergrößert, die eigentliche Drüsensubstanz auf Kosten 
der lymphatischen Buchten vergrößert“. 

Also: Intumesconz sämmtlicher palpablen Lymphdrüsen 
bis zur Größe einer kleinen Wallnuß. Schmerzhaftigkeit des 
Sternum gegen Berührung, enorme Vergrößerung der Milz, 
retroplastische Lymphome in der Leber und den Nieren, 
Schwellung der solitären Follikel der Mesenterial- und Bron¬ 
chialdrüsen, dabei fast keine Vermehrung der weißen 
Blutkörperchen und normale Zahl der rothen — 
ist dieser Fall, frage ich, nicht geradezu ein classischer von 
Pseudoleucämie, ja so classisch, daß auch die Herren Prof. 
Brodowsky und Dr. Dunin „bei der klinischen Diagnose auf 
folgende 4 Krankheiten Rücksicht nehmen, auf Abdominal¬ 
typhus, acute Leberatrophie. Malaria continua und Leucämie“ 
(1. c. S. 520) und in der Epicrisc bemerken: „Eine gewisse 
Zeit glaubten wir in Folge der vergrößerten Lymphdrüsen, 
des Milztumors und der Leberhypertrophie eine subacute 
Leucämie, deren einige Fälle uns schon vorgekommen 
sind, auch diesesmal vor Augen zu haben; doch haben die 
mehrfach ausgeführten Blutuntersuchungen und die mit der 
Leucämie nicht zu vereinbarenden Symptome (Gelbsucht und 
Albuminurie) die Nichtigkeit dieser Behauptung erwiesen.“ 

Aber mäßiger Icterus und nephritische Symptome (Albu¬ 
minurie, Cylinder im Harne) werden, wie allgemein bekannt, 
zuweilen bei Leucämie sowohl als Pseudoleucämie beobachtet, 
und verweise ich u. A. auf die ausgezeichnete Abhandlung 
über Pseudoleucämie von Birch -Hir.-chkeld in Gerhardt’s 
Handbuch, III, S. 348. Bleibt also noch der sehr rapide 
Verlauf und die hohe Temperatur, welche Herr Dr. Dunin gegen 
meine Auffassung des Falles als Pseudoleucämie in’s Treffen 
führt, indem er mich apostrophirt, ob mir ein Fall von 
Pseudoleucämie bekannt sei, der in 14 Tagen bei Icterus, 
Nierenentzündung und hohem Fieber zum Tode führte, und daß 
einen 14tägigen Verlauf „wahrlich Niemand außer Dr. Weiss 
bisher beobachtet hat.“ 

Aber gemach, Herr Dr. Dunmn ! Was die Dauer der 
Krankheit betrifft, so ist es erstens gar nicht ausgemacht, daß 
der Fall ein so rapider war. Einzelne Erscheinungen konnten 
ja längere Zeit vor der Aufnahme des Kranken auf die Klinik 
bestanden haben, und sagt doch Dr. Dunin, 1. c. S. 524, selbst: 
„Der Anfang der Krankheit war, wie überhaupt die Anamnese 
bei den aus den arbeitenden Classen stammenden Hospital¬ 
kranken schwer zu eruiren; unser Kranker konnte weder 
die Dauer der Krankheit, noch den Beginn ein¬ 
zelner Symptome mit Bestimmtheit angeben.“ 
Aber zugegeben, der Verlauf sei wirklich ein sehr rapider 
gewesen, so ist dieser, ebensowenig, wie das bestandene hohe 
Fieber, ein stichhaltiges Argument gegen die Deutung des 


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Falles als Pseudoleucämie. „Fieber besteht oft, bei Goves 
auf 40 Fälle 27mal, theils schon zu Anfang der Erkrankung 
von starker Drüsenschwellung abhängig, häufiger in den 
späteren Stadien. In einem sehr stürmisch verlaufenen Falle 
(Falkenthal, Dissertation, Halle 1889) stieg die Temperatur 
wiederholt auf 41'ö 0 “, heißt es in Eulknburg’s fieal-En- 
cyklopädie, Artikel Pseudoleucämie. S. 109. Einen rapiden 
Fall von Pseudoleucämie habe ich bisher zwar nicht beob¬ 
achtet, was auch in dem Artikel mit keinem Worte angedeutet 
ist, aber von anderen Autoren werden solche stürmische Fälle 
mitgetheilt, und der eben erwähnte Fall von Falkenthal 
dauerte 2—3 Wochen, und erst jüngst sind von Ebstein 
ähnliche Beobachtungen mitgetheilt worden. 

Nur eine, wenn auch unwesentliche Angabe muß 
ich richtigstellen. Unter den Symptomen des Brodowsky- 
DoNiN’schen Falles kommt Ascites nicht vor. In meinem Vor¬ 
trage über WEiL’sche Krankheit, den ich ohne Zuhilfenahme 
von Notizen auswendig hielt, mag mir dieser Lapsus unter¬ 
laufen sein, der dann in das Stenogramm aufgenommen 
wurde. Es hätte aber nur, wie es unter Collegen üblich ist, 
einer Anregung von Seite des Herrn Dr. Ddnin bedurft, und 
ich hätte bereitwillig diesen Lapsus richtig gestellt. Es be¬ 
durfte dazu keines solchen Apparates von Bemerkungen und 
Gegenbemerkungen, wobei nicht ich den Kürzeren gezogen habe. 

Daß mein Vorschlag, die WEiL’sche Krankheit als 
„Typhus biliosus nostras“ zu benennen, von Herrn Dr. Dunin 
nicht angenommen wird, muß ich schon über mich ergehen 
lassen. Die Acten aber, daß der Typhus biliosus als selbst¬ 
ständige Krankheit gar nicht existirt, sind durchaus noch 
nicht geschlossen, wie Herr Dr. Dunin behauptet. 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Influenza-Exanthem. 

Von Dr. Anton Minanf , Stifts- und Bahpatzt 
in Seitenstetten (N.-Oe.). 

Ich möchte über eine Complication der Influenza berichten, 
die selten aufgetreten zu sein scheint, denn außer einigen kurzen 
Andeutungen von Prof. Leyden in Berlin über Exantheme bei 
Influenza habe ich darüber nicht viel gelesen. 

Es handelt sich um ein Exanthem, -das wegen seiner Eigent 
artigkeit von mir und dem Herrn Beäirksarzte Dr. Wawra in 
Amstetten für ein Exanthema sui generis erklärt und mit dem aller j 
dings nichtssagenden Namen Influenza-Ausschlag belegt wurde. 

Der typische Verlauf der 23 Fälle war folgender: 

Nachdem die Pat. schon Influenzaf-Reconvalescenten waren, 
oder erst seit 2—3*—4 Tagen Erscheinungen der Influenza darge¬ 
boten hatten, zeigte sich unter plötzlicher Temperatursteigerung 
und heftigen catarrhalischen Erscheinungen der Bindehaut, des 
Pharynx, Larynx, Nasenbluten, Erbrechen, an der Stirne ein quaddeb 
förmiger, blaßrother Ausschlag, der momentan unwillkürlich an Urtb 
caria erinnerte. 

Doch bald, in ca. 12 Stunden, war das Exanthem im ganzen 
Gesichte, Kinn, Mundwinkel nicht ausgenommen, Nacken, Brust, 
Rücken und Oberextremitäten erschienen, während die Unter-- 
extremitäten nur sehr mäßig oder gar nicht befallen wurden. Es 
erschien nicht zuerst eine bloße Macula, sondern gleich beim ersten 
Auftreten war die Quaddel deutlich zu sehen und zu fühlen und 
von rother Färbung, auf Fingerdruck noch leicht erblassend. Das 
Gesicht war bald nur eine große Quaddel von intensiver rother 
Färbung und deutlicher Infiltration, welche Erscheinungen sich in 
drei besonders schweren Fällen auch auf die Brust ausbreiteten. 
Ein Aussehen, das nur an den Ausbruch der Variola schwerster 
Form denken ließ. 

Am Nacken, Rücken und den Extremitäten waren verschieden 
große (von Linsen- bis Halbkreuzergröße), ganz unregelmäßige, quaddel¬ 
förmige Flecke von scarlatinrother Farbe in Unzahl, welche die 
ganz normale Haut von einauder trennte. 


Auf Fingerdruck trat in diesem Stadium, besonders im Ge¬ 
sichte, kaum wahrnehmbares Erblassen ein. Hie und da waren 
leichte eapilläre Hämorrhagien zu constatiren. 

Einzelne Pat. klagten in dieser Zeit über ein leichtes Juckon 
und ein Kranker über heftige Rachialgie, so daß er kaum liegen 
konnte. Die catarrhalischen Erscheinungen hielten mit der Intensität 
des Exanthems mehr minder gleichen Schritt. 

Appetit war gleich Null, Stuhl sehr träge. D.is Sonsoriura war 
stets vollkommen frei. 

Dieses Stadium dauerte stets 24—36 Stunden, worauf inner¬ 
halb 24—36 Stunden das Exanthem ganz verblaßte und nur noch 
lichtgelbliohe Pigmentflecke am Stamme zu sehen waren, während 
bei den Meisten die Oberextremitäten ein Aussehen erhielten, als 
ob sie von unzähligen Flöhen tractirt worden wären. Mit dem 
Verblaßen des Exanthems traten alle Erscheinungen zurück. 

Das Desquamationsstadium fehlte in der Regel ganz, und wo 
Spuren zu Anden waren, war die Schuppung in gar keinem Ver¬ 
hältnisse zur Intensität des Exanthems. In einem Falle trat circa 
3 Wochen nach der Genesung eiue Schuppung der Unterextrerai- 
täten an einer Stelle auf, wo das Exanthem am schwächsten war. 

Innerhalb 3—5 Tagen war der Proeeß ganz vorüber, die Pat. 
aber wurden vorsichtshalber noch im Krankenzimmer zurückbehaltcn. 

Was war nun dieses Exanthem ? 

Urticaria war es sicher nicht, denn dagegen sprach die Form 
der Quaddeln, ihre Färbung, die Dauer, kurz das ganze Krank¬ 
heitsbild. 

Gegen Erythem sprach das Fehlen der charakteristischen Ver¬ 
färbungen der Quaddeln iu’s Blaurothe, Grünliche, Gelbe. Auch 
waren die erkrankten Stellen vollkommen schmerzlos. Daß meine 
Pat. nur studirendo, gesunde Jünglinge biä in’s Alter von 20 Jahren 
waren, sei nebenbei bemerkt. Rubeola, Roseola, Purpura wurde 
gleich von vorneherein ausgeschlossen. 

Von den anderen Infectionskrankheiten kommen Scarlatina 
(variegata) und vorzüglich Morbilli in Betracht. Plötzliche Tempe¬ 
ratursteigerung nach einiger Zeit des Unwohlseins, Röthung der 
Conjunctiva, des Rachens, der Mandeln, Schlingbeschwerden, Bron¬ 
chitis, in einigen Fällen leichte Schwellung der Lymphdrüsen am 
Halse, Nasenbluten und bei mehreren Pat. wiederholtes Erbrechen, 
sind Symptome dieser Infectionskrankheiten. 

Allein die Art und Weise des Auftretens des Ausschlages: 
quaddelförmig gleich beim ersten Erscheinen an der Stirne, die 
flächenartige Ausdehnung über das ganze Gesicht (Brust), die In- 
tumescenz des Gesichtes gleich der beginnenden Variola schwerster 
Form, der stürmische Verlauf im BlütbeBtadium und das Fohlen des 
Desquamationsstadiums bestimmten uns, die Diagnose auf Scarlatina 
und Morbilli fallen zu lasseu. Ich betone nochmals, daß ich in den 
meisten Fällen trotz Kratzens und Schabens mit den Fingornägolu, 
trotz genauer Beobachtung seitens der pflegenden Schwester, keine 
Schuppung constatiren konnte; wo eine Spur derselben zu Anden 
war, stand sie in gar keinem Verhältnisse zur Intensität des Exan¬ 
thems, ja Einer schuppte ca. 3 Wochen nach vollkommener Genesung 
gerade an den Unterextremitäten, wo das Exanthem nur vereinzelt 
zu sehen war, am meisten. Viele Pat. hatten Scharlach und Masern 
auch schon überstanden, ja Einer maserte sogar im December v. J. 
hier im Convicte, und gerade Dieser gehörte zu den besonders 
schweren Fällen. 

Auch mit dem DengueAeber halte ich das Exanthem nicht 
für identisch, da heftiger Gliederschmerz, unerträgliches Jucken, als 
dem DengueAeber besonders eigen, in meinen Fällen eigentlich so 
gut wie gar' nicht vorhanden waren, wenn auch Einzelne über ganz 
leichtes Jucken klagten. 

Auch die schnelle Reconvalescenz würde dagegen sprechen, da 
meine Pat. nach 14 Tagen vom Beginne der Krankheit an die 
Sehule besuchten und Keiner wegen irgend einer Nachkrankheit 
mehr sich meldete. 

So blieb also kein anderer Ausweg übrig, als an Exanthema 
sui generis zu denken und dasselbe als Complication der Influenza, die 
zu dieser Zeit hier reiche Ernte hielt, zu betraehton. 


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Referate und literarische Anzeigen. 


E. Haffter (Frauenfeld): Die Bromäthylnarcoee. 

Verf. berichtet in Nr. 4 und 5 des „Corresp.-Bl. f. Schweizer 
A erste“ über seine reichen Erfahrungen betreffs der in jüngster Zeit 
vielfach angewendeten Narcose mit Bromäthyl. Der Grund der 
widersprechenden Angaben der verschiedenen Autoren liegt nach H. 
erstens in der bisherigen Verschiedenheit und Unzuverlässigkeit des 
Präparates, zweitens in der unrichtigen Anwendungsweise und drittens 
in ganz falschen pharmacodynamischen Voraussetzungen, welche man 
aus Analogie mit der Chloroformwirkung über die Wirkungsweise 
des Bromäthyls sich zu bilden gewöhnt war. Das reine Aethylum 
bromatum Merck ist eine farblose, angenehm fruchtartig riechende, 
an der Luft sich rasch verflüchtigende Flüssigkeit, die nicht ex¬ 
plosionsfähig und nicht entzündlich ist. Behufs Prüfung auf die 
Reinheit des Präparates gibt H. folgende Momente an: 1. Auf die 
Hand geschüttet, muß es rasch und vollständig, ohne Rückstand, 
mit Entwicklung eines bedeutenden Kültegefühles verdunsten. 2. Mit 
Wasser in einem Reagensglas geschüttelt und filtrirt, muß das 
wässerige Filtrat neutral reagiren und darf auf Zusatz von salpeter¬ 
saurem Silber keine Veränderung erleiden. 3. Zusatz von concen- 
trirter Schwefelsäure zu reinem Bromäthyl darf dasselbe nicht braun 
färben. Das Bromäthyl ist durch Licht leicht zersetzlich und wird 
daher am besten in dunklen Flaschen, gut verkorkt und bei Licht¬ 
abschluß aufbewahrt. 

Verf. verwendete das Bromäthyl als Anästheticum bei über 
200 Fällen, von denen er circa 150 Narcosen in der Sprechstunde, 
oft ohne jede Assistenz, ausgeführt hat. Von großer Wichtigkeit 
ist die Methode der Narcose. Man verwendet am besten eine dem 
Gesichte des Patienten genau anliegende, Mund und Nase gut gegen 
die Atmosphäre abschließende, ein- oder mehrfach mit Flanell über¬ 
zogen EsMARCH’sche oder GiRARD’sche Maske mit kleinem Schwämm¬ 
chen zur Aufnahme des Narcoticums. Dieselbe muß äußerlich mit 
einem impermeablen Stoffe überzogen sein, um das Verdunsten des 
Bromätbyls zu verhindern und dasselbe in möglichst concentrirten 
Dämpfen der Lunge zuzuführen. Das zur Narcose nöthige Quantum, 
8, 10—15 Grm., wird auf einmal in die Maske gegossen und diese 
vorgehalten. 

Nach 20—30 Secunden ist Patient so weit, daß kürzere 
chirurgische Eingriffe, auch die schmerzhaftesten, ohne jede Schmerz- 
empfindung vorgenommen werden können. Wird das erwähnte 
Quantum nicht auf einmal aufgegosseu, sondern narcotisirt man wie 
mit Chloroform, so erreicht man den gewünschten Zustand nicht und 
es können verschiedene unangenehme und wohl auch gefährliche Zu¬ 
fälle eintrctcu, wie Bronchialreizung, Schwächung des Herzens etc. 
In Fällen, wo dio Einatbmung concentrirter Bromäthyldämpfe 
während höchstens einer Minute keine Analgesie uud nicht den ge¬ 
wünschten Grad der Narcose erzielt, ist es am besten, von weiteren 
Versuchen abzusehen und zum Chloroform tiberzugehen. 

Das Erste, was der mit Bromäthyl zu Betäubende empfindet, 
ist ein kribbelndes Gefühl in den Armen und Beinen, nach dem 
Kopfe aufsteigeud. Sehr bald, oft schon nach 6—8 Secunden, tritt 
auch häufig ein den Anfänger erschreckender Zustand von Apnoe ein. 
Der Kranke hört zu athmen auf und gibt, darüber befragt, die Ant¬ 
wort, daß er durchaus kein Athembedürfniß hat. Dazu aufgefordert, 
athmet er aber sofort weiter, unaufgefordert pausirt er circa 4 bis 
0 Athcmzüge, um dann ruhig forlzufahren. Jetzt befindet er sich 
aber schon in dem Stadium, in welchem er kurze chirurgische Ein¬ 
griffe (eingewachsener Nagel, Eröffnung von Drüsenabsccssen, Phi¬ 
mosenoperationen etc.) ohne jede Schmerzempfindung orträgt. Der 
Corneareflex ist dabei vollständig erhalten, dio Pupillen sind oft 
etwas erweitert, der Puls beschleunigt, zeigt aber keinerlei be¬ 
deutende 8pbygmographi8cke Veränderungen. Der Kranke leistet 
auf lauten Befehl noch prompten Gehorsam, öffnet Mund und Augen, 
wenn es gewünscht wird, sieht das Messer eindringen, empfindet 
das Anlegen der Zahnzange und äußert doch absolut keinen Schmerz. 
In Fälleu, wo man mit dieser oberflächlichen Narcose nicht aus- 
kommt, muß etwas tiefer narcotisirt werden, und zwar so, daß das 
Bewußtsein eben durch einen Traum in Anspruch genommen wird. 
Zum Unterschiede von der Chloroformnarcose erlischt also bei der 


Brornäthylnarcose zu allererst das Schmerzgefühl, und zwar in der 
Regel, ohne daß ein Excitationsstadium vorausgoht. Dieser Zu¬ 
stand dauert kurze Zeit, während das Bewußtsein, sowie der 
Tastsinn noch nahezu intact sind. Bleibt die Maske länger liegen, 
so schwindet auch das Bewußtsein. Bald nachdem die Maske ent¬ 
fernt wird, d. h. nach circa 10 Secunden, oft aber momentan, er¬ 
wacht Patient, steht auf, ist bei ganz normaler Besinnung, ohne 
Schwindel, obno Kopfweh oder Erbrechen. 

Das richtige Gebiet für die Brornäthylnarcose ist die kleinere 
Chirurgie: Panaritien, Carbunkel, Phlegmone, Balggeschwülste, ein¬ 
gewachsener Nagel, Zahnextraction, Tenotomie, Phimose, Brisement 
forcö etc. 

H. resumirt seine Beobachtungen in folgenden Sätzen: 

I. Bromäthyl ist ein äußerst werthvolles Anästheticum, das 
namentlich der praktische Arzt, wenn er sich einmal mit der rich¬ 
tigen Anwendungsweise vertraut gemacht hat, nie mehr ganz wird 
entbehren wollen. 

2. Seine Hauptvorzüge sind: Aeußerst rasche Wirkung; wahr¬ 
scheinlich absolute Gefahrlosigkeit unterhalb einer gewissen Dosis; 
meist Fehlen des Excitationsstadiums; absolutes Wohlbefinden des 
Patienten nach der Narcose. 

3. Zur Erzielung einer raschen Analgosie, die bei noch er¬ 

haltenem oder eben dämmerndem Bewußtsein eintreten kann, ist das 
Gesammtquantum des Mittels (je nach Alter und Constitution 
des Patienten 5—20 Grm.) auf einmal in die mit Impermeabel 
überzogene Maske aufzugießen und letztere ganz dicht vor Mund 
und Nase zu halten. ' 

4. Als Criterium für die eingetretene Narcose kann das 
Fallenlassen eines zu Beginn derselben ausgestreckten Armes ver¬ 
wendet werden; indeß geht man selten fehl, wenn man nach 15 
bis 20 Secunden langer Einathmung den chirurgischen Eingriff ohno 
Weiteres vornimmt. 

5. Die Anästhesie ist dann eine sehr kurz dauernde und 
verschwindet wenige Secunden nach dem Wegnehmen der Maske; 
die Brornäthylnarcose in der beschriebenen Form eignet sieh also 
nur für kurze chirurgische Eingriffe. 

6. Ein geringer Procontsatz von Menschen (vor Allen Pota¬ 
toren) ist für Bromäthyl nicht in wünschenswerter Weise zugänglich. 

7. Gegenindicalion gegen die Anwendung so kleiner Dosen 
Bromäthyl, wie sie für eine kurze Anästhesie notwendig sind, gibt 
es vielleicht gar keine. Anwendung größerer Mengen — wenn 
diese überhaupt nicht vorläufig besser gänzlich vermieden werden 
— ist contraindicirt bei Bronchialleiden, sowie bei Herzkranken. 

M. 


William Mac CormaC: Ueber den Bauchschnitt bei der 
Behandlung von intraperitonealen Verletsnngen. 

Dio heutzutage allgemein geübte Praxis des Explorativsohnittes 
zum Zwecke der genauen Orientirung über die Natur eineB Tumors 
oder einer Verletzung veranlaßt den Autor (Volkmann’s Sammlung 
kliuischer Vorträge, Nr. 316), das Augenmerk auf einen bisher 
wenig beachteten Gegenstand zu lenken, nämlich auf die penetri- 
renden Wunden des Bauches mit Eingeweideverletzung. In zwei 
Fällen, die Verf. selbst beobachtete, handelte es sieh um Blasen¬ 
zerreißung ohne Verletzung der Bauchwand; in beiden wurde nach 
Eröffnung des Abdomens der Blasenriß mittelst Naht geschlossen 
und so volle Genesung erzielt. Gleich günstig verlief eine nicht ge¬ 
ringe Zahl anderer in der Literatur verzeichneter Fälle, bei denen 
es sich ebenfalls um Eingcweideverlotzung handelte; demgemäß er¬ 
scheint es geboton, dio wichtige Frage der Unterleibsverletzungen, 
namentlich in Bezug auf unmittelbares Eingreifen, näher zu unter¬ 
suchen. 

Es kann sich in derlei Fällen handeln: 

I. um Schnitt- und Stichwunden der Bauchwand mit Einge¬ 
weideverletzung ; II. um Unterleibsschußwunden, besonders mit Be¬ 
theiligung des Darmes und III. um Darm- und Eingeweidezerreißnng 
ohne äußere Wunden. 

Penetrirende Bauchwunden ohne jede Läsion der Eingeweide 
gehören sicher zu den größten Seltenheiten; dagegen machen die 
Schuß- und Stichwunden des Abdomens mit Verletzung der Ein- 


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geweide, speciell des Darmes, einen ziemlich erheblichen Procent¬ 
satz der Bauchverletzungen aus. DUnndarmwunden galten unter 
letzteren bekanntlich immer als absolut tödtlich. Von besonderer 
Wichtigkeit hinsichtlich des therapeutischen Eingreifens ist die früh¬ 
zeitige Erkennung der Darmwunde; von ihrer sofortigen Feststellung 
Und dem unmittelbar folgenden Bauchschnitt hängt allein der glück¬ 
liche Ausgang ab. In der Mehrzahl der Fälle ist die Gegenwart 
der Darmwunde wenigstens anfänglich höchstens zu vermuthen. Nach 
dem Standpunkt unseror heutigen Erfahrungen ist es direct indicirt, 
unter sorgfältiger Antisepsis durch die SondenunterBUchung Auf¬ 
klärung über Richtung und Ausdehnung des Wundganges zu ge¬ 
winnen. Ist dadurch die Darmwunde festgestellt, so schreite man 
sofort, falls der verletzte Darm nicht vorgefallen ist, zur Ausführung 
des mittleren Bauchschnittes. Weiters kann die Vereinigung der 
i)armwunde mittelst Naht als das allgemein geübte Verfahren ange¬ 
sehen werden. Von der Anlegung eines Anus praeternaturalis kann 
inäri füglich ganz absehen. Verf. empfiehlt seinen Erfahrungen gemäß 
die Darmnaht nach Lembert. 

Schußwunden des Darmes bieten ein meist sehr schweres Bild 
des Verletzten dar. Da die Ursache hievon vor Allem in der be¬ 
trächtlichen Blutung in’s Abdomen liegt, so soll auch in solchen 
Fällen mit der Ausführung des Bauchschnittes nicht gezögert und 
an diesen die Naht des verletzten Darmes angeschlossen werden. 
Die Wunden anderer Eingeweide geben im Allgemeinen eine höchst 
ungünstige Prognose, zumeist in Folge der damit einhergehenden 
schweren Blutungen. Gleichwohl hat man neuestens bei Leber¬ 
verletzungen durch Tamponade mittelst Jodoformgazo die Blutung 
Und den Gallenaustritt verhindert und so einige Fälle durchgebracht, 
die eine absolut letale Prognose hatten. 

Nach heftigen Quetschungen der Bauchwand können Zer¬ 
reißungen der Eingeweide ohne äußere Wunde entstehen. Bei diesen 
schweren Verletzungen treten auffallender Weise oft genug ent¬ 
scheidende Erscheinungen nicht zu Tage, und dennoch ist es ge¬ 
boten, auch in solchen Fällen den Bauchschnitt, wenn auch nur als 
Versuchsschnitt auszuführen, denn keinesfalls wird dadurch der Zu¬ 
stand des Kranken verschlimmert. Die überraschend günstigen 
Erfolge, von denen Verf. bei diesem Verfahren, speciell bei Blasen¬ 
zerreißung berichtet, sind geeignet, diesem Gegenstände volle Auf¬ 
merksamkeit zuzuwenden und den beschriebenen Eingriff in ent¬ 
sprechenden Fällen zu wagen, umsomehr, als derselbe direct lebens¬ 
fettend wirken kann. Eine ausführliche Uebersicht über eine größere 
Zahl gesammelter Fälle, welche Verf. seiner Arbeit beifügt, gibt 
klaren Aufschluß über Art und Erfolg der Behandlung bei derartigen 
intraperitonealen Verletzungen. G. 

Heubner: Fall von Aphasie und Seelentanbheit mit 
Seetlonshefund. 

H. beobachtete einen 64jährigen Kranken, der am 12. No¬ 
vember 1888 durch einen Anfall von Encephalomalacie eine mäßige 
rechtseitige Parese und eine eigentümliche Sprachstörung erlitt, 
die bis zum Tode an Thrombose der A. coron. cord. sin. im 
Juli 1889- anhielt. Pat. hatte die willkürliche Sprache und das 
VerständUiß für Vorgesprochenes und Geschriebenes oder Gedrucktes 
nahezu völlig eingebtißt. Er konnte aber Vorgesprochenes nach¬ 
sohreiben , Schrift und Druck, freilich ohne Verständniß, ablesen. 
Zeitweise gab sich auch Mangel des Erkennens gereichter Gegen¬ 
stände kund. Er war somit nicht motorisch aphasisch, worttaub 
nur insofern, als er kein Verständniß für Gehörtes hatte, während 
er doch die Worte nachsprechen konnte. H. hatte an die Vor¬ 
stellung des lebenden Kranken (Schmidt’s Jahrb. Band 223 
und 224) die Muthmaßung geknüpft, daß der Herd in der 
Marksubstanz der linken ersten Temporal Windung gelegen sei, 
und dadurch die Verbindung des „Sprachbegriffes“ der Worte 
zöm Sachbegrifffe derselben unterbreche, indem die durchlaufenden 
Associationsbahnen zerstört sind. Die Nekropsie ergab einen Er- 
weiehungsherd, der die erste Temporalwindung nach hinten, hinten 
oben und hinten unten umkreist, „indem er die untere Partie der 
unteren Parietalwindung und die mittlere Partie des Gyrus supra- 
marginalis bis nahe zur Endigung der Fossa Sylvii quer in einer 
Ausdehnung von 27 Mm. durchsetzt und zweitens in den Sulcus 


zwischen erster und zweiter Temporalwindung soweit nach vorn sich 
erstreckt, daß die Länge des Herdes an dieser Stelle 65 Mm. be¬ 
trägt“. Der hochwichtige Befund erscheint als ein gelungenes Experi¬ 
ment von Umschneidung von Rindencentren, wie sie von Mabicque 
am Hunde zuerst methodisch versucht, dann von Sigmund Exner 
und Paneth wiederholt, experimentelle Beweise für die Richtigkeit 
von Meyneet’s Lehre von den Associationsbahnen gaben. Ihre 
Ausdeutung für die aphasischen Störungen durch Wernicke wird 
durch die vorliegende Erfahrung eine neue wichtige Stütze und 
Bereicherung erfahren. Wir können nur die zweite der von H. 
beleuchteten Erklärungen begründet finden, nämlich die Abtrennung 
der acustischen Sprachregion von der Mehrzahl ihrer Associations¬ 
bahnen, bei Erhaltenbleiben der Verknüpfungen mit der motorischen 
Sprachregion. Die Annahme besonderer Centren für Seelenblindheit 
oder Seelentaubheit ist bis jetzt ohne ernste Begründung geblieben, 
während die Unterbrechung von Associationsfasern bei der Er¬ 
klärung der Erscheinungen mit wohlbekannten anatomischen Ge¬ 
bilden und einem durchsichtigen physiologischen Mechanismus rechnet. 

Docent Dr. R. v. Pfüngen. 


Diphtherie und Group im Königreiche Preußen in 
den Jahren 1875—1882. Ein Beitrag zur Ergrün- 
dung, Einschränkung und Heilung dieserKrank- 
heiten. Von Dr. L. Brühl, techn. Hilfsarbeiter und E. Jahr, 
exped. Secretär und Calculator im kaiserl. Gesundheitsamte. 
Mit einem Vorworte von Hofrath Prof. Dr. M. i. Oertel, 
graphischen Darstellungen und einer Karte. Berlin 1889. 
Aug. Hirsch wald. 

Die vorliegende statistische Arbeit über Diphtherie und Croup 
ist eine schöne Leistung aus dem deutschen Gesundheitsamte. Wir 
begrüßen es freudig, daß das Institut, welches schon so viel für 
die Erkenntniß der Infectionskrankheiten geschaffen, nun auch die 
Statistik zur Lösung diesbezüglicher Fragen heranzieht. 

So begründet auch die gegenwärtige Anschauung über die Ent¬ 
stehung der Infectionskrankheiten durch die Einwirkung pathogener 
Mikroorganismen sein mag, so sehr sie in ihrer großartigen Einfach¬ 
heit, die den Kampf um’s Dasein von einer neuen Seite beleuchtet, 
den modernen naturwissenschaftlichen Anschauungen entspricht, 
so müssen wir uns dennoch sagen, daß sie für sich allein nicht im 
Stande ist, alle Erscheinungen befriedigend zu erklären, und es wird 
voraussichtlich noch manches Opfer fallen, ehe „der ruhende Pol 
in der Erscheinungen Flucht“ gefunden ist. 

Das Mikroskop und das Experiment erweisen sich da als un¬ 
zulänglich ; es bedarf des Zusammenwirkens vieler Wissenschaften. 
Vor Allem aber ist die Statistik berufen, entscheidend mitzureden. 

Bei der vielfachen Mangelhaftigkeit der officiellen Statistik ist 
das Mißtrauen begreiflich, das man ihren Schlüssen entgegenbringt. 
Gerade der praktische Arzt kennt ja ihre schwachen Seiten am 
besten. Je besser aber der Sanitätsdienst wird, je genauer die Berichte, 
desto sicherer wird sie in ihren Resultaten und desto größere An¬ 
erkennung wird sie finden. 

Vorläufig kann nur jene Statistik Anspruch auf Beachtung 
finden, welche entweder ein geringes Material, das bis in’s kleinste 
Detail gesichtet ist, verarbeitet und in ihren Schlüssen sich sehr 
bescheiden und vorsichtig benimmt, oder jene, die über imponirende 
Ziffern verfügt, bei welcher das Gesetz der großen Zahlen Anwen¬ 
dung findet, wo die unvermeidlichen Fehler der Quellen sich ver¬ 
wischen und das Gemeinsame ebenso wie das Außergewöhnliche 
deutlich hervortritt. 

Mit einer Arbeit der letzteren Art haben wir es hier zu thun. 

Die Verff. verarbeiten die Todesfälle der an Diphtherie und 
Croup im gesammten preußischen Staate während der acht Jahre 
1875—82 nach den officiellen Sterbelisten, die das riesige Materiale 
von 334.541 Fällen ergeben, nach Geschlecht, Alter, nach den Be¬ 
ziehungen zwischen Stadt und Land, namentlich aber mit Rücksicht 
auf die klimatischen und meteorologischen Verhältnisse. Sie kommen 
dabei zu Resultaten, die zum Theile wohl bekannt sind, zum Theil 
aber als vollständig neu anerkannt werden und in allen Fällen 

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schon wegen der großen Zahlen, mit welchen die Verff. arbeiten, 
als sehr beachtenswerth betrachtet werden müssen. 

Eine kurze historische Skizze leitet die Arbeit ein, in welcher 
besonders die in Frage kommenden Gebiete des preußischen Staates 
berücksichtigt werden. 

Diphtherie und Croup werden zusammengefaßt, nicht weil die 
Verff. beide Krankheiten als identisch erklären, sondern weil es 
begreiflicherweise nicht möglich war, dieselben bei einer solchen statis¬ 
tischen Arbeit zu trennen. 

Sie haben nur die officiell angegebenen Todesfälle einer 
exacteren Bearbeitung unterzogen und auf die Morbidität fast gar 
keine Rücksicht genommen, ein Vorgang, den Jeder begreifen wird, 
der sich an ähnlichen Arbeiten versucht hat. 

Acht Tabellen, mehrere Curven und eine Karte, welche die 
Sterblichkeit an Diphtherie und Croup im 8jährigen Durchschnitte 
in den Kreisen des preußischen Staates, auf je 10.000 Lebende 
berechnet, in schöner Weise zur Anschauung bringt, zeigen von 
dem Fleiße und der Sachkenntniß der Verff. 

Der Modus, die Todesfälle einer Altersclasse immer auf je 
10.000 Lebende derselben Altersclasse zu berechnen, hat wohl die 
Arbeit der Verff. erschwert, aber deren Werth sicher nur erhöht. 

Hofrath Prof. Dr. Oertel, wohl die berufenste Autorität in 
Fragen der Diphtherie, würdigt die Arbeit einer Vorrede, wie sie 
nur ein Meister schreibt, in welcher er die Resultate derselben als 
epidemiologisch ganz entschieden wichtige erklärt und namentlich 
die epidemische Verbreitung von Diphtherie und Croup in ganz 
Preußen und das Zusammenfallen des Maxiraums der durchschnitt¬ 
lichen Sterblichkeit mit den niedrigsten, des Minimums mit den 
höchsten Jahresisothermen, sowie die Zunahme der Sterblichkeit 
von West nach Ost im Gegensätze zur Tuberculose als auffallende 
Ergebnisse bezeichnet. 

Wir können es uns nicht versagen, einen, wenn auch mög¬ 
lichst kurzen Auszug aus dieser Arbeit zu geben. 

In den 8 Beobachtungsjahren von 1875—1882 starben im 
preußischen Staate, wie erwähnt, 334.541 Personen an Diphtherie 
und Croup, also im Durchschnitt pro Jahr 41.817, oder, auf 10.000 
Lebende berechnet, 15*7. 

Das Verhältniß des männlichen Geschlechtes zum weiblichen 
ist annähernd wie 5 : 4*6, bei den im 1. Lebensjahre Verstorbenen 
wie 6 : 5. 

Im Allgemeinen sterben somit mehr aus dem männlichen Ge- 
schlechte, besonders unter den Kindern im 1. Jahre. 

Das größte Contingent an Todten stellen die Kinder zwischen 

1 bis 2 Jahren, darauf folgt der herrschenden Ansicht ent¬ 
gegen das 1. Lebensjahr, dann das Alter von 2—5 Jahren. Im 
schulpflichtigen Alter von 5—10 Jahren ist die Betheiligung schon 
erheblich geringer, circa ein Viertel des Maximums der Sterblich¬ 
keit , und sinkt in den folgenden Altersclassen rasch bis auf ein 
Minimum. 

Bei dieser Gelegenheit wird der Nachweis erbracht, daß die 
Ansicht, als ob seit Einführung des Impfzwanges die Sterblichkeit 
an Diphtherie und Croup zugenommen hätte, vollkommen unrichtig ist. 

Die Empfänglichkeit der Landbevölkerung für diese Krank¬ 
heiten gegenüber der Stadtbevölkerung ist bis zum 30. Lebensjahre 
auffallend gesteigert. Sie ist bei den Kindern im 1. Lebensjahre 
fast verdoppelt. 

Die größte Sterblichkeit finden die Verff. in den östlichen 
Bezirken, und zwar nimmt die Sterblichkeit von Ost nach West 
und Süd ab. 

In Berlin starben in den 8 Jahren der Beobachtung 12.225 
Personen an Diphtherie und Croup, also jährlich 1528 im Durch¬ 
schnitt und auf 10.000 Lebende berechnet 14*6 im Durchschnitt 
der 8 Jahre. 

Bezüglich der Betheiligung der Altersclassen verhält sich Berlin 
verschieden vom Staate. 

Auch hier ist die größte Sterblichkeit im Alter von 1 bis 

2 Jahren, darauf aber folgt nicht das erste Lebensjahr, sondern 
die Altersclasse der Kinder von 3—5 Jahren. Dieser folgt das 
Alter von 10—15 Jahren und dann erst kommen die Kinder im 
1. Lebensjahre. 


Die Verff. machen dafür das Fehlen der Landbevölkerung im 
Districte Berlin verantwortlich, welche das 1. Lebensjahr ganz 
außerordentlich belastet. 

Der Gang der Sterblichkeit in den 8 Jahren ist für den ge- 
sammten Staat folgender: 

Von 1875 an nahm die Sterblichkeit in den 3 folgenden 
Jahren zu, sank 1879 und 1880 ab, stieg 1881 und erreichte 1882 
das Maximum. 

Berlin und die einzelnen Bezirke zeigen Abweichungen von 
diesem Verlaufe. 

Der Einfluß der Sterblichkeit an Diphtherie und Croup auf 
die allgemeine Sterblichkeit ist im 1. Lebensjahre und im Alter von 
5—10 Jahren ein geringer, im 2., sowie im 2.—5. Lebensjahre 
jedoch ein bedeutender, so daß in einzelnen Bezirken fast die Hälfte 
der gesammten Sterbefälle in diesem Alter durch Diphthorie und 
Croup hervorgerufen wird. 

Von besonderer Bedeutung sind die Untersuchungen der Verff. 
über die klimatischen und meteorologischen Verhältnisse und ihre 
Beziehungen zu den fraglichen Krankheiten, da ähnliche Arbeiten 
von diesem Umfange noch niemals veröffentlicht worden sind. 

Die Verff. finden, daß das Maximum der durchschni tt- 
lichen Sterblichkeit an Diphtherie und Croup im 
preußischen Staate zwischen den niedrigsten, das 
Minimum zwischen den höchsten Jahresisothermen 
liegt. 

Je höher die Jahresisothermen, desto niedriger ist die Sterb¬ 
lichkeit der Bezirke. 

Das Sterblichkeitsmaximum für Diphtherie und Croup fällt auf 
die Gegenden, wo eine weniger gleichmäßige Temperatur und 
Feuchtigkeit der Luft herrscht; die geringere Sterblichkeit auf 
die Gegenden mit mehr gleichmäßiger Temperatur und Feuchtigkeit 
und auf solche mit mehr trockener, warmer Luft. 

Die größte Sterblichkeit an Diarrhoe und Brechdurchfall fällt 
auf das Jahr, welches das Minimum der Sterblichkeit an Diphtherie 
und Croup zeigt. 

Die Höhe der Sterblichkeit an Diphtherie und 
Croup nimmt im Allgemeinen, wie erwähnt, von Ost 
nach West ab, die der Lungenschwindsucht von Ost 
nach West zu. 

In den Regierungsbezirken, welche eine im Vergleich zu ihren 
Nachbarbezirken niedrige Sterblichkeit an Diphtherie und Croup bei 
gleichzeitig hoher Sterblichkeit an Lungenschwindsucht zeigen, be¬ 
findet sich fast immer eine Station mit einem größeren Sättigungs¬ 
deficit und umgekehrt. 

Sättigungsdeficit nennen die Verff. nach Flügge jenen An- 
theil des Wassers, den die Luft bei der gerade herrschenden Tem¬ 
peratur noch aufzunehmen im Stande sein würde. 

Je größer somit das Sättigungsdeficit, desto trockener 
die Luft. 

Aus diesen klimatischen und meteorologischen Untersuchungen 
ergibt sich zunächst, „daß die Annahme, daß das ursächliche Moment 
für die Hervorrufung der Disposition, sei es zur Aufnahme, sei es 
zur weiteren Entwicklung des Infectionskeimes für Diphtherie und 
Croup der häufigere unvermittelte Uebergang aus einer Luft, 
welche den Respirationsorganen wenig Wasser entzieht, in solche, 
welche diese Organe zur Abgabe von sehr viel Wasser veranlaßt, 
die größte Wahrscheinlichkeit hat. 

Es wird also im Winter durch das plötzliche Hin eingerathen 
in erhitzte und dadurch oft relativ zu trockene Luft enthaltende 
Wohnräume, wodurch eine zu große und plötzlich vor sich gehende 
Wasserabgabe den Respirationsorganen zugemuthet wird, oder im 
Sommer durch das Hinaustreten aus den oft relativ zu viel Wasser 
enthaltenden Wohnräumen, in welchen die Wasserausscheidung auf 
ein Minimum herabgesetzt sein kann, in die freie Luft, wo die 
WasBerabgabe namentlich zur Mittagszeit plötzlich sehr vermehrt 
wird, eine Schädigung der Schleimhäute hervorgerufen. 

Die Frage, ob diesen Uebelständen mit Erfolg abzuhelfen sei, 
bejahen die Verff. entschieden. 

Durch Verbesserungen in den Wohnräumen, durch entsprechende 
Heizvorrichtungen und Ventilationen kann die Differenz im Wasser- 


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gehalte zwischen Innen- und Außenluft herabgesetzt werden. Schlaf¬ 
zimmer, Schulzimmer verdienen besondere Beachtung. 

Abhärtung der Kinder, Gewöhnung an die Außenluft sind 
weitere Mittel indirecter Art. 

In letzter Linie sind es die Meliorationen der Städte und 
Landstriche durch Canalisation und Entsumpfung und zum Schlüsse 
der oft citirte Schulmeister, nämlich Erweiterung des Bildungszustandes 
der Bevölkerung, welche den Kampf gegen diese Würgengel erfolg¬ 
reich unterstützen sollen. 

Schließlich weisen die Verff. auf den von Jahr construirten, 
in der „Deutschen med. Wochenschr.“, Jahrgang 1888, Nr. 38, 
39 und 48 beschriebenen Inhalatiousapparat hin, der durch seine 
eigenthümliche Construction Dämpfe von über Körpertemperatur ent¬ 
wickelt und die Verdunstung der Schleimhäute unmöglich macht, 


wodurch im Sinne der Verff. eine größere Wirksamkeit und stärkere 
Desiufeotion ermöglicht wird. 

Wir haben die Arbeit mit Befriedigung aus der Hand gelegt, 
und die Resultate derselben stimmen mit den Erfahrungen des prak¬ 
tischen Arztes vielfach überein. Referent selbst hat erst vor 
Kurzem die innigen Beziehungen des Croup zu den meteorologischen, 
klimatischen und socialen Verhältnissen, in denen die Erkrankten 
leben, hervorgehoben. 

Leider sind gerade bei diesen Krankheiten noch so viele 
Fragen zu beantworten. Ist ja selbst die Cardinalfrage ungelöst, 
ob wir es hier mit einer oder zwei Krankheiten zu thun haben, 
und Diphtherie und Croup sind in der Medicin noch immer die 
siamesischen Zwillinge, deren Trennung bis jetzt Niemandem ge¬ 
lungen ist. Dr. Minnich (Salzburg). 


F e u i 11 e t o n. 


Der Hypnotismus und — der französische 
Kriegsminister. 

Bekanntlich hat der französische Civil-Kriegsminister eine Ver¬ 
fügung erlassen, die geeignet erscheint, nicht nur in den medi- 
cinißchen Kreisen, sondern auch in der Laienwelt ein gewisses Er¬ 
staunen wachzurufen, ich meine das den Militärärzten Frankreichs 
gewordene Verbot der hypnotischen Heilmethode. 

Es kann selbstverständlich nicht Gegenstand unserer Betrach¬ 
tung sein, die geschichtliche Entwicklung, die detaillirte Anwendung 
des Hypnotismus zu beschreiben, es handelt sich vielmehr darum, 
zu constatiren, wie unheilbringend der Mißbrauch dienstlicher 
Amtsgewalt auf die wissenschaftliche Würde, resp. die Verwechslung 
der Podestas und Auctoritas wirken kann. 

Wenn man die Annalen mittelalterlicher Criminaljurisdic- 
tiondurchblättert und jene närrischen Diatriben, Hexenprocesse, 
k Inquisitionsbestialitäten, Auto-da-fös u. s. w. liest, so beschleicht 
uns ein Gefühl erbärmlicher Verachtung und tragikomischen 
Lächelns; wenn man jedoch heutzutage ein Ministerialrescript lesen 
muß, das soldatisch-oommandirend (dazu von einem Civil- Kriegs¬ 
minister!) eine medicinisch adoptirte Heilmethode verbietet, weil 
vielleicht einmal Mißbrauch getrieben wurde, so kann man sich 
kaum eines Gefühls der Verwunderung erwehren und der Frage 
enthalten, ob denn die Machtbefugniß, bezw. die Verordnungs¬ 
gewalt so weit reichen kann, um oben erwähnte Maßregel zurecht¬ 
fertigen. 

Allerdings wird auf dem Gebiete des Hypnotismus mancher 
Mißbrauch getrieben, wie das auch auf dem Gebiete der Vivisection, 
Experimentalchemie, Elektrotherapie u. s. w. der Fall ist; allein 
wem wird es einfallen, diese Hauptmotoren der Naturforschung 
lahmzulegen ? 

Einzelne Fälle zur Regel einer tiefeingreifenden Verordnung 
zu machen, heißt die Verwaltungsmacht zur persönlichen Willkür 
und Selbstüberhebung degradiren. 

Welche Dienste der Hypnotismus uns bis jetzt geliefert, ist 
zu allgemein bekannt, um die therapeutische Verwendung desselben 
ignoriren zu können. 

Trotz sonstiger Differenzen wird man sich in ärztlichen Kreisen 
immer mehr darüber klar, daß da eine vorurtheilslose Prüfung noth- 
wendig sei. Bernheim definirt den Hypnotismus als einen beson¬ 
deren psychischen Zustand, in dem die Suggestibilität erhöht ist. 
Hieraus ergibt sich, daß es auch ohne Hypnose Suggestion gibt, 
und daß demnach die Suggestionstherapie mit Hypnose in keinem 
Gegensatz steht zu der ohne Hypnose, und hieraus ergibt sich wieder 
die therapeutische Wichtigkeit der rein empirischen Suggestion. 

Die Suggestivtherapie ist so alt wie die Krankheiten, und 
viele Erfolge sind hierauf zurückzuführen. Die sogenannten 
Wundercuren sind oft nichts anderes als die Resultate der empiri¬ 
schen und oft unbewußten Suggestion. Die Suggestivtherapie nimmt 
in der modernen Therapie eine sehr wichtige Stellung ein, was 
zweifellos ist für Diejenigen, die unbefangen die Kranken¬ 
geschichte lesen. 


Daß z. B. hysterische Krankheiten viel eher durch Suggestiv 
therapie als durch die gewöhnliche medicamentöse Behandlung ge¬ 
heilt werden, ist eine bekannte Thatsache. 

Da es zweifellos ist, daß die Idee der Besserung oder Hei¬ 
lung diese selbst wesentlich fördern kann, so muß man auch noth- 
wendig zugeben, daß die Hypnose therapeutisch verwendbar ist. 

Es hatte selbstredend vielen Aerzten schon früher nahe ge¬ 
legen , daß man Zustände, in denen man nach Belieben Contrac- 
turen und Lähmungen erzeugt, um sie ganz seinem Willen anzu- 
passen, in welchen man Analgesien und Schmerzen hervorbringt, in 
welchen man alle Arten von Empfindungen verursachen kann — daß 
man solchen Zuständen die größte Beachtung zuwenden mußte und 
deren therapeutische Verwerthang prüfte. 

Allerdings sind anfänglich Einwürfe gegen die therapeutische 
Wirkung des Hypnotismus gemacht worden, was Denjenigen, der 
mit der Geschichte der Medicin vertraut ist, keineswegs überraschen 
kann, denn ein wesentlicher Fortschritt ist noch nie kampflos ge¬ 
macht worden. 

Den Haupteinwand erhob seiner Zeit Ewald, der gegen den 
Hypnotismus als ärztliche Behandlung protestirte. So meinte er z. B., 
das Hypnotisiren verstehe jeder Schneider oder Schuster. Hat denn 
nicht etwa die Medicin ebenfalls manche ihrer Mittel aus der 
primitivsten Empirie gezogen? Kann z. B. nicht auch jeder Laie 
Morphiumeinspritzungen machen, Abführmittel verordnen ? Glaubt 
Ewald ernstlich, daß ein delicates Actionsmittel auf das Nerven¬ 
system , wie die Hypnose, das direct die feinsten Seelenzustände tangirt 
und verändert, zweckentsprechend von Jedermann gehandhabt werden 
kann? 

Ein zweiter Einwurf stammt von Mendel und betrifft die Gefahren 
des Hypnotismus, z. B. Erzeugung von Nervosität. Dies rührt jedoch 
daher, daß Mendel eben nur das sogenannte BRAiD’sche Verfahren, 
aber nicht die Eingebung des Hypnotismus mit Worten kannte. Letztere 
bewirkt nicht Nervosität, wenn auch zugegeben werden soll, daß 
erregende, unzweckmäßige Suggestionen bis zu einem gewissen Grade 
schaden können. Es gibt wohl kleinere Nebenbeschwerden, die sich 
nach der Hypnose zeigen, die aber noch keine Gefahren bedouten. 
Dieselben sind meist eine Folge der unrichtig geleiteten Hypnoti- 
sirung und bestehen in Mattigkeit, Schwere der Glieder, die jedoch 
wieder durch posthypnotische Suggestion beseitigt werden können. 
Das Mattigkeitsgefühl ist noch keine krankhafte Erscheinung, eben¬ 
sowenig wie dasjenige, das wir nach einem zu kurzen oder ungenügen¬ 
den Schlafe zu verspüren pflegen. Ein richtiges Verfahren nach den 
Regeln der Technik schließt manche Indisposition aus. 

Welche Kämpfe hat das Chinin, die Impfung, das Brech¬ 
mittel , die Kaltwassercur, die Massage u. s. w. erfahren müssen! 

Und alle diese Mittel haben sich dennoch bewährt! Eine 
wissenschaftliche Opposition hat schon dadurch einengewissen 
Werth, daß sie zum Fortschritt der Wissenschaft beitragen kann. 
Die Einwürfe, die gegen den Hypnotismus als therapeutisches Agens 
gemacht wurden, sind gründlich und erfolgreich widerlegt worden. 
Nur die Gefährlichkeit und der Mißbrauch des Hypnotismus waren 
und sind Gegenstand abfälliger und berechtigter Kritik, ja es soll 
hervorgehoben werden, daß man diesem Punkte die ernsteste Er¬ 
wägung zu Theil werden lassen muß. Es kann sich aber vernünftiger¬ 
weise bei einer Heilmethode nicht darum bandeln, ob sie schadet, 

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denn durch eine gewissenhafte Anwendung kann man vielen Ge¬ 
fahren entgehen, und welches Heilmittel sollte auch nicht schaden 
können ? Jede Therapie hat ihre Gefahren; ich will nur an Morphium, 
Strychnin, Belladonna, Chloroform u. s. w. erinnern, ganz abge¬ 
sehen von den chirurgischen Operationen. Ist etwa Kali chloricum 
nicht gefährlich und wird es nicht ohne ärztliche Verordnung 
verabfolgt? 

Um der hypnotischen Therapie keinen Abbruch zu thun, muß 
man sich eben einen erfahrenen, zuverlässigen Arzt wählen, wie 
das ja auch beim Chloroformiren, Operiren geschehen muß. 

Es würde nach dem Obigen sehr schwer sein, stichhaltige 
Gründe zu erbringen, um ein Verbot des Hypnotismus auch nur 
scheinbar zu rechtfertigen. Die medicinische Bedeutung der Sug¬ 
gestion ist hinlänglich constatirt, sowie auch der praktische Werth 
der psychischen Einwirkung. Die Psychologie muß als Grundlage 
dienen für eine rationelle Therapie der Nervenkranken, und nicht 
nur der Geist vom Körper, sondern auch der Körper vom Geiste 
abhängig gemacht werden. 

Unerwähnt darf nicht bleiben, daß der Hypnotismus auch 
eine pädagogische Bedeutung hat, indem derselbe als Besserungs¬ 
mittel hinsichtlich der Willensäußerung bereits mit Erfolg ange¬ 
wandt wurde. 

Die einseitige Bestimmung und Directive des bewußten Willens 
findet bei der hypnotischen Suggestion ebenso statt, wie in der 
Erziehungsmethode, indem sie zur Autosuggestion wird. Schließlich 
möge noch erwähnt werden, daß die hypnotische Suggestion keines¬ 
wegs ein Vorgang ist, der ohne Bewußtsein vor sich geht, worauf 
ja gerade die pädagogische Bedeutung derselben basirt. Das Zustande¬ 
kommen durch Befehl oder Imitationsautomatie ist gänzlich gleichgiltig. 

Das Studium des Hypnotismus ist, wie bereits hervorgehoben, 
für die Erforschunng des Seelenlebens unumgänglich und mußte der¬ 
selbe dadurch in den Rahmen forensischer Erörterungen gezogen 
w-erden. Das Verhältniß zwischen Hypnotismus und Verbrechen hat 
bereits in der Criminaljurisdiction die gebührende Berücksichtigung 
gefunden. Wichtig sind die 8ittlichkeitsverbreohen, deren Opfer 
llypnotisirte (auch Chloroformirte!) geworden. Die an willen- und 
bewußtlosen Personen begangenen Verbrechen sind criminell berück¬ 
sichtigt. 

Aber auch der Hypnotisirte kann Handlungen begehen, die, 
wenn ihn seine Bewußtlosigkeit nicht schützte, strafbar sind. Die 
verschiedenen Fälle und Bedingungen der Strafbarkeit, überhaupt 
die forensische Seite des Hypnotismus, muß ich den Juristen über¬ 
lassen und auf das Gebiet der forensischen Psychologie verweisen; 
nur Eines soll noch erwähnt werden, nämlich die forensische Wich¬ 
tigkeit der retroactiven Hallucinationen, deren Hauptverwendung in 
der Verfälschung der Zeugenaussagen gipfelt. 

Mit Rücksicht auf die sowohl vom sanitären als moralischen 
Standpunkte auftretenden Gefahren sind auch von Frankreich und 
Deutschland bereits diesbezügliche gesetzliche Vorschläge gemacht 
worden, um den etwaigen üblen Folgen zu begegnen. Es haben 
sich jedoch manche Schwierigkeiten gezeigt, weil der Begriff Hyp¬ 
notismus ein viel zu elastischer ist und die forensischen Vorbeugungs- 
mittel an dem sogenannten Selbsthypnotismus scheitern würden. Am 
vortbeilhaftesten wäre es, wenn sich nur die Medicin und Psycho¬ 
logie mit ihm beschäftigten und jede charlatanartige Schaustellung 
überhaupt untersagt würde. 

Das Verbot des französischen Civil-Kriegsministers ist umso¬ 
mehr zu bedauern, als es ja in der Naturwissenschaft sehr oft darauf 
ankommt, den Muth zu finden, gegen bestehende Ansichten anzu¬ 
kämpfen. Die Wissenschaft anerkenut kein Dogma, aber auch 
keinen Befehl. 

Vielleicht wird ein französischer Militärarzt die objective Kühn¬ 
heit besitzen, die, im festen Bewußtsein, die Wahrheit zu wollen, nicht 
erst fragt, ob sie auch verletzt, ob das Licht auch etwas zu grell 
wird, eine diesbezügliche wissenschaftliche Interpellation zu veran¬ 
lassen und dadurch die Frage anzufachen, ob die Verordnuugs- 
gewalt nicht ihre natürlichen Grenzen findet an den bestehenden 
Klemeutarprincipien der objectiven Denkgesetze, an der durch legis¬ 
lative Sicherheitsventile in einer auch für die oberste Verwaltung 
bindenden Form erlassenen Rechtsvorschrift. Dr. A. Berck. 


. m 

Kleine Jlittbeilungßn. 

— Dr. H. A. Ehrmann berichtet in Nr. 9 der „Münch, raed. 
Wochenschr.“ über die auf der Klinik des Prof. Jurasz in Heidel¬ 
berg erzielten Resultate bei Anwendung des Acidum triebloraceti- 
cum bei den Krankheiten der Nase und des Rachens. Trichlor- 
essigsänre besteht aus farblosen Krystallen von schwach stechendem 
Gerüche, ist stark ätzend, in Wasser und Weingeist leicht lös¬ 
lich nnd schon an der Luft leicht zerfließlich. Ebrmann wendete 
das Mittel in 170 Fällen an. Er fing mittelst einer Silbersonde 
einen Krystall der Trichloressigsäuro auf und verrieb denselben auf 
der zu ätzenden Stelle. Es bildet sich ein weißer, trockener, glatter, 
fest anhaftender Schorf, der localisirt bleibt, gleichmäßig dick ist, 
keinen üblen Geruch verbreitet, sich viel schneller ablöst als der 
durch Chromsäure erzeugte, gar keine entzündliche Reaction hervor¬ 
ruft und gar keine Beschwerden nach sich zieht. Die Erkrankungen, 
bei welchen die Trichloressigsäuro als Aetzmittel angewendot wurde, 
waren: Diffuse Hypertrophie der unteren Muscheln 40, diffuse Hyper¬ 
trophie der mittleren Muscheln 12, circumscripte, polypoide Hyper¬ 
trophie der Muscheln 4, Tonsillitis hypertrophica 9, Uvulitis hyper- 
trophica 4, Pharyngitis follicularis 44, Pharyngitis retroarcualis 24, 
Hypertrophie der Zungenbalgdrüsen 3. Von diesen 140 Fällen wurde 
die Aetzung in 87 nur lmal, in 30 2mal, in den übrigen Fällen 
3—5mal ausgeführt. In 122 Fällen trat dauernde Heilung ein. I# 
allen Fällen aber hat Ehemann die Ueberzeugung gewonnen, daß 
die vorzügliche Wirkung dieses neuen Mittels als eines localen Cau- 
sticums für die Nase und den Rachen nicht genug gepriesen werden 
kann. — Auch als adstringirendes Mittel hat sich die Triobloressig- 
säure in mehreren Fällen bewährt. Man wendet sie nach folgernder 
Formel an: 

Rp. Jodi pur. 0*15 

Kal. jodat. 0*20 

Acid. trichloracet. . . . 0*15—0*30 

Glycerin. 30*0 

M. D. S. zum Pinseln. 

Diese Lösung wurde mittelst Wattebäuschchen auf die erkrankte 
Schleimhaut applicirt. Der Geschmack war nicht unangenehm und 
die subjectiven Empfindungen, wie Brennen u. s. w., nur unbedeutend. 
Ehemann gebrauchte die Lösung in 1 Falle von Tonsillitis follicu¬ 
laris, in 2 Fällen von Ozaena, in 14 Fällen von Pharyngitis diffusa 
chronica nnd in 13 Fällen von Pharyngitis sicea. Von den letzteren 
wurden 2 geheilt, 5 bedeutend gebessert, 4 nicht gebessert, 2 ent¬ 
zogen sich der weiteren Beobachtung. Von den 14 Fällen .von 
Pharyngitis diff. chron. wurden 8 geheilt, 6 bedeutend gebessert 
entlassen. Die Tonsillitis war nach 3 Pinselungen geheilt, die 2 Fälle 
von Ozaena zeigten keine Besserung. 

— Als Beitrag zur hypnotischen Suggestivtherapie bei Augen¬ 
leiden theilt Dr. E. Ritzmann (Zürich) in Nr. 3 des „Corresp.-Bl. 
f. Schweizer Aerzte“ folgende 2 Fälle mit: Der erste betrifft eine 
35jährige Landarbeiterin, die, hereditär nervös belastet, an links¬ 
seitigem heftigem Blepharospasmus litt, der trotz localer Antiphlogose, 
Blepharotomio (Lidspaltenerweiterung mit Durchschncidung der Lid¬ 
portion des M. orbicularis), Elektricität und Injectionen nicht weichen 
wollte. Nach 3mal wiederholter Hypnose und auch im wachen Zu¬ 
stande von Prof. Foeel fortgesetzter Suggestion gegen den Krampf 
gelang es der Pat. immer mehr, das linke Auge zu öffnen und das rechte 
gleichzeitig offen zu halten. Die hypnotische Behandlung wurde noch 
in 4 Sitzungen wiederholt, worauf auch die leichten Zuckungen am 
linke Auge verschwanden. Auch die Suggestion auf Besserung des 
Schlafes und Appetites, auf Regelung des Stuhles und Beseitigung 
des Kopfschmerzes war von Erfolg begleitet. In einem zweiten Falle 
handelte es sich um die als Anaesthesia retinae, Asthenopia neurasthe- 
nica bezeichnete functionelle Neurose, mit begleitender Hyper¬ 
ämie der Bindehaut und Netzhaut. Die Beschwerden bestandep in 
schlechtem Sehen, Nebel vor den Augen, Flimmern bei der gering¬ 
sten Anstrengung, Farbeusehen im Dunkeln ’ Mühe die Augen zu 
öffnen, Gefühl vou Brennen, Kratzen, Druck. Ophthalmoskopischer 
Befund im Wesentlichen normal. Die gegen die Hyperämie der Gon- 
junctiva gerichtete Behandlung (Aq. Zinci, Tct. opii, Douchen, Cocain) 
hatten keinen wesentlichen Einfluß, nur Cocain mäßigte vorüber¬ 
gehend die Beschwerden. Am 24. November erste Hypnose: Tiefer 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. -— Nr. 12. 


46g 


SpbJ»f, (eichte Suggestibiliiät. Nebel und Beschwerden werden weg- 
suggerirt. Auf dem Beimwege ist Pat. erstaunt, daß sie keinen Nebel 
mehr sehe und sich in den Augen frei fühle. In den nächsten Tagen 
tritt jener nur noch schwach und vorübergehend auf. Nach der 
zweiten hypnotischen Sitzung bleibt der Nebel wie die übrigen Be¬ 
schwerden ganz und dauernd weg. 

— Von der Thatsache ausgehend, daß die Retractoren des 
Uterus bei der Erhaltung der normalen Lage desselben eine große 
Rolle spielen, und daß durch deren Erschlaffung hauptsächlich die 
Möglichkeit zu einer dauernden Rückwärtslagerung der Gebärmutter 
gegeben ist, hat Prof. Frommel in Erlangen die ÜOüGLAS’schen 
Falten zum Angriffspunkt bei der operativen Behandlung des 
retroflectirten Uterus genommen, indem er dieselben straff zu 
machen suchte. Der Gang der in Nr. 6 des „Centralbl. f. Gynäk.“ 
beschriebenen Operation war nun der, daß er zunächst die Kranke 
anf dem Operationstische in der von Veit empfohlenen Trendelen- 
BURG’schen Art und Weise lagerte, d. h. bei der Kranken wurde 
die Beckenpartie stark hocbgelagert, wodurch die Darmschlingen aus dem 
Becken, beraustraten und die Beckenorgane in sehr bequemer Weise 
zugänglich wurden. Darauf wurde der Uterus aus seinen Verwach¬ 
sungen gelöst und stark nach vorn gezogen. Nun wurden beide 
Ligamenta rectouterina in der Nähe ihres Abganges vom Uterus 
mit je einer Nadel umstochen und an dem Peritoneum der seit¬ 
lichen Beckenwand angenäht. Verf. erreichte dadurch, daß die 
schlaffen Ligamente, statt mehr oder weniger gerade nach hinten 
gegen das Rectum zu verlaufen, nunmehr etwa in einem rechten 
Winkel und dadurch ziemlich straff gespannt nach hinten verliefen. 
Der Effect der Operation war auch zweifellos der, daß der Uterus 
auf diese Art in normaler Lage erhalten wurde. Nach der Recon- 
valescenz der Kranken ließ sich nun constatiren, daß diese Lagerung 
auch dauernd erhalten wurde, obwohl auf der linken Seite die 
Fixirung der DOüGLAS’schen Falte an der seitlichen Beckenwand 
4 Folge der Resorption des Catgut keine dauernde geblieben war. 
Von besonderem Vortheil scheint der Umstand zu sein, daß der 
Uteruskörper dabei beweglich bleibt und die hauptsächlich durch 
die jeweiligen Füllungszustände der Blase bedingten Lageverände¬ 
rungen jedenfalls in ganz anderer Weise mitmachen kann, als bei 
der Ventrofixatio. Bei der von Frommel operirten Patientin wurde 
der Uterus ein Jahr nach der Operation in normaler Lage gefunden, 
trotzdem nur die eine DouGLAs’sche Falte dauernd an der seitlichen 
Beckenwand fixirt, d. h. gestreckt blieb. Indication zu operativen Ein- 
grjffep bei Retrodevationen ist nur sehr selten gegeben 5 nur die¬ 
jenigen Fälle eignen sich dazu, bei welchen wir alle anderen milderen 
therapeutischen Mittel erfolglos erschöpft haben und die Beschwerden 
der Kranken so hochgradig sind, daß sich eine derartige, immerhin 
eingreifende Operation rechtfertigen läßt. 

— Ueber den Einfluß der syphilitischen Infection während 
der Schwangerschaft auf den Foetus gibt P. Steffeck einen 
interessanten Beitrag in der „Zeitschrift für Geburtshilfe und 
Gynäkologie“, Bd. XVIII, Heft. I. (Berl. klin. Wochenschrift). Die 
Frage nämlich, ob eine Uebertragung der Syphilis auf den 
Fötus stattfindet, wenn die Infection der Mutter erst nach der 
Conception stattgefunden bat, wird von verschiedenen Autoren ver¬ 
schieden beantwortet. Männer, wie Zweifel, P. Müllek, Winckel, 
sprechen sich dahin aus, daß eine Uebertragung der Syphilis 
auf die Frucht sich um so leichter vollzieht, je weniger weit die 
Schwangerschaft zur Zeit der Infection vorgeschritten war. Schroeder 
ist der Ansicht, daß, wenn die Mutter zur Zeit der Conception gesund 
ist und erst während der Schwangerschaft inficirt wird, die Kinder 
normal geboren w*erden und gesund bleiben; das Gegentheii gehöre 
zu den allergrößten Seltenheiten. In den beiden von Steffeck ver¬ 
öffentlichten Fällen handelte es sich nun — soweit sich solche auf 
Anamnese begründeten Annahmen überhaupt als beweisend ver- 
werthen lassen — wirklich um nachträgliche Infection. Fall I: 
22jährige Primigravida, gibt an, daß sie im 5. Monate der Schwanger¬ 
schaft von einem zweiten Liebhaber inficirt worden sei. In der 
syphilitischen Abtheilung der Würzburger Klinik wird frische Lues con- 
statirt und energisch behandelt. In den letzten drei Monaten findet 
ein Wachsthum des Uterus nicht mehr statt, 20 Tage vor Ablauf 
des ausgerechneten Niederkunftstermins geht die Geburt von Statten. 
Die Frucht ist lebend, wiegt jedoch nur 1350 Grm. und stirbt 


nach 2 Stunden. Sowohl die Frucht wie die fötale Placenta zeigen 
in ausgesprochener Weise syphilitische Veränderungen. Beim zweiten 
Fall war fast genau dieselbe Anamnese. Auch hier wurde angegeben, 
daß der Schwangerer nicht- mit dem (4 Monate später) inficirten 
Liebhaber identisch sei. Erst nach Umgang mit letzterem erkrankte 
die Schwangere und wurde ebenfalls antisyphilitisch behandelt. In 
der Mitte des neunten Monates, nach der letzten Periode, traten 
Wehen auf, welche ein todtfaules Kind zu Tage förderten. Die 
syphilitischen Erscheinungen an der Frucht und Placenta waren 
noch hochgradiger als im ersten Falle. Beide Fälle beweisen 
ziemlich unzweideutig, daß die Syphilis, auch wenn sie erst in der 
Mitte der Schwangerschaft der gesunden Mutter einverleibt wird, 
doch auf das Ei übergehen kann. 

— Dr. Wilhelm Manasse hat an der internen Poliklinik 
des jüdischen Krankenhauses zu Berlin Terpinhydrat gegen 
Keuchhusten angewendet und theilt in der Märznummer der „Ther. 
Monatsh.“ die Resultate seiner diesbezüglichen Versuche mit. Bei 
Kindern unter 1 Jahre konnten Tagesdosen von 1-60 ohne irgend 
welche nachteilige Folgen für den Harnapparat oder für die Ver- 
dauungs)rgane angewendet werden. In keinem der untersuchten 
Urine fand sich bei der Darreichung von 2*5—3*0 pro die Ei¬ 
weiß oder Blut vor, so daß M. ohne Vorbehalt auf die Verwendung 
großer Dosen dringt. Das Mittel wurde bei 41 Patienten im Alter 
von */ 4 —12 Jahren angewendet. Im Großen und Ganzen bat M. 
bei der Pertussis durch Terpinhydrat (1*/*—3 Grm. pro die, jo 
nach dem Alter des Kindes) schon nach 4—5 Tagen Verminderung 
der Anfälle, jedenfalls aber ein Leichtwerden derselben mit Sicherheit 
beobachtet. Er hebt besonders hervor, daß er fast immer einen 
Bronchialcatarrh constatirt hat, der sich schneller als sonst ver¬ 
minderte und schließlich gänzlich verschwand. Ein Todesfall ist 
niemals vorgekommen. Die Darreichung geschah in Pulverform. 

Rp. Terpinhydrat . . . '. 0*5—PO 

d. tal. tos. X. 

S. 3mal täglich 1 Pulver. 

(Leider macht Verf. keinerlei Angabe über die Dauer der 
Krankheit in den mit Terpinhydrat behandelten Fällen, ohne welche 
ein Urtheil Uber diese Behandlungsmethode unmöglich ist. Ref.) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Balneologen-Congress. 

Zwölfte öffentliche Versammlung der Balneologlschen Ge¬ 
sellschaft, gehalten zu Berlin vom 7.-9. März 1890. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

N. Züntz (Berlin): Ueber die Wirkung des Gebens, Bergsteigens 
und anderer Muskelbewegungen auf den Stoffwechsel. 

Die systematische, nach ärztlichen Indicationen geregelte 
Muskelthätigkeit ist ein so vielfach angewandtes Heilmittel geworden, 
daß die möglichst genaue Analyse der dabei mitwirkenden Factoren 
als eine selbstverständiche Forderung erscheint. In der That ist die 
Einwirkung der Muskelthätigkeit auf Blutcireulation, Herzthätigkeit 
und Lungenventilatiou vielfach erörtert, nicht aber in Bezug auf 
den Stoffwechsel. In den letzten Jahren sind in Zontz’s Labo¬ 
ratorium umfassende Untersuchungen über die Größe des Sauerstoff¬ 
verbrauches und der Kohlensäureausscheidung bei Leistung be¬ 
stimmter Arbeit gemacht worden, zuerst an Pferden, später auch 
an Menschen. Ein Theil der Versuche beschäftigt sich mit der 
Arbeit des Gehens in der Ebene und bergauf, ein anderer mit der 
Arbeit des Raddrebens und dem dazu erforderlichen Stoffverbraucb. 
Es ergab sich beim Raddreben, daß 1 Kg. mechanischer Arbeit 
eineu Sauerstoffverbrauch von 1*957 Cbcm. erforderte, während zu 
einer Umdrehung des Rades ohue Widerstand 0*171 Cbem. pro 
Kilo Körpergewicht erforderlich war. 

Beim Gehen ergab die analoge Rechnung einen Verbrauch von 
1*435 Cbm. Sauerstoff pro Kilogrammmeter mechanischer Arbeit und 
einen solchen von 0*109 Sauerstoff pro Kilo Körpergewicht für die 
horizontale Fortbewegung um einen Meter. Mit dem Sauerstoff¬ 
verbrauch geht die Steigerung der Kohlensäureausscheiduug Hand 


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Nr. 12. 


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io Hand. Aus diesen beiden Factoren, dem respiratorischen Quo¬ 
tienten, läßt sich nun der Bedarf an Nährstoffen und hieraus die 
ans den chemischen Processen resultirende lebendige Kraft berechnen. 
Für die Gehversuche ergab die Rechnung, daß 1*435 Cbcm. Sauer¬ 
stoff, welche für einen Kilogrammmeter Steigarbeit nöthig waren, 
durch den chemischen Proceß 2*857 Kg. entwickelten, d. h. daß 
etwa 35 Proc. der verbrauchten Nahrung bei der Arbeit verwerthet 
wurden, eine enorme Leistung im Vergleich zu den Dampfmaschinen, 
welche nur 4 —6 Proc. Nutzeffect vom Heizwerth der Kohlen liefern. 
Der Nutzeffect beim Raddrehen betrug nur 25 Proc, d. h. wir ar¬ 
beiten beim Gehen ökonomischer als bei irgend einer anderen 
Muskelthätigkeit. In therapeutischer Beziehung wichtig ist, daß 
beim normalen Gehen der respiratorische Quotient ganz unver¬ 
ändert bleibt, bei allzu forcirter Arbeit aber zu schneller Sauerstoff¬ 
verbrauch und Dyspnoe eintritt. Der Sauerstoffmangel in den 
thätigen Muskeln bedingt aber nicht nur einseitige vermehrte Ab¬ 
spaltung von Kohlensäure, sondern auch Zerfall der stickstoffhaltigen 
Muskel 8 ubstanz selbst. Bei den Entfett ungscuren istdaher 
zur Erhaltung des Körperfleisches eine rationelle 
Ueberwachung der Arbeit ebenso nothwendig, wie 
die richtige Combination der Speisen. 

Dr. Groedel (Nauheim): Ueber nervöses Herzklopfen und son¬ 
stige auf Innervation beruhende Herzaffectionen. 

Nach Besprechung von Wesen, Aetiologie und Differential¬ 
diagnose des nervösen Herzklopfens zeigt Redner, welche verschie¬ 
denen Erklärungen für den dabei stattfindenden physiologischen Vor¬ 
gang möglich sind. Das Wesentlichste sei Folgendes: Bei gesunden 
Menschen besteht ein Gleichgewichtsverhältniß zwischen den verschie¬ 
denen Factoren, welche für die Herzinnervation in Betracht kommen. 
Störungen des Gleichgewichtes auf der einen Seite werden durch aus¬ 
gleichende Innervationsvorgänge auf der anderen Seite rasch beant¬ 
wortet. Findet durch physische Einflüsse leicht Störung des Gleich¬ 
gewichtes statt und erfolgt der Ausgleich nicht normal rasch, so 
entsteht das, was wir „nervöses Herzklopfen“ nennen; bei 
welcher der Componenten des Herznervensystems die Störung statt¬ 
findet, ist mehr von untergeordneter Bedeutung. 

Groedel spricht dann über Tachycardie. Er beleuchtet 
durch Beispiele aus seiner eigenon Thätigkeit die verschiedenen 
Formen derselben, erörtert kurz die Möglichkeit einer nervösen Tachy¬ 
cardie und berührt zum Schluß noch die Bedeutung von Innervations¬ 
störungen des Herzens bei der wahren und Pseudo Angina pectoris, 
dem Morbus Basedowii etc. 

Dr. G. Rosenbaum (Berlin): Ueber Injectton löslicher Silbersalze 
bei Tabes. 

Redner berichtet über eine Anzahl von subcutanen Injectionen, 
welche in der EoLENBüRG-MENDEL’schen Nervenpoliklinik mit der 
von Jacoby empfohlenen Lösung: Argent. chlorat. 0*05, Natr. sub 
sulfuros. 0*3, Aq. dest. 10*0 bei 11 zweifellos an Tabes erkrankten 
Patienten gemacht wurden. Jacoby war auf diese Lösung in einer 
Arbeit gekommen, die Roemer’s Ansicht von dem Passiren metalli¬ 
scher Silberkörnchen durch die Schleimhaut des Tractus intestinalis 
widerlegte. Jacoby gewann allerdings die Ansicht, daß Argent. nitr.- 
Pillen (mit Succ. liquir.) fast nur zersetzten Höllenstein in Form 
von Chlorsilber etc. enthielten, daß aber bei anderer Medication 
(mit Bolus) oder auf subcutanem Wege sehr wohl eine Allgemein¬ 
wirkung der Silbersalze erzielt werden könnte. 

Rosenbaüm machte bei 11 Patienten 144 Injectionen; von 
diesen 11 Patienten fallen 4 aus, bei denen eine nur sehr geringe 
Anzahl von Injectionen gemacht werden konnte, weil die Patienten 
wegblieben. Die übrigen 7 ergaben mit Ausnahme von 2 Fällen, 
die eine bedeutende Besserung darboten, wenig Erfolg; die günstige 
Wirkung bei den 2 gebesserten Patienten hielt an. Die Zahl der 
Injectionen war in dem einen Falle 40, in dem anderen 20. Dio 
Einspritzung wnrde 3mal wöchentlich gemacht, und zwar mit 
’ s Spritze beginnend bis zur ganzen aufsteigend. Ueber starke 
Schmerzen wurde vielfach goklagt, jedoch keine Abscesse und keine 
allgemeine Intoxication beobachtet. Redner empfiehlt weitere Versuche. 
Dr. Jacob CCudowa): Zur Pathologie und Therapie der Neuralgien. 

Redner gibt die Schilderung eines chronischen Zustandes der 
Haut und der Muskeln, welcher sich durch Schmerzhaftigkeit gegen 


gewöhnlichen Druck und spontane Neuralgien charakterisirt, anf 
Angiospasmus beruht und von ihm „Dermomyalgia generalis“ 
benannt wird; ferner eines gleichen Zustandes der Planta pedis und 
einer Ischias, welche beide aus Oedem hervorgehen; einer Gelenk- 
neuralgie, welche anfallsweise und mit Hyperämie auftritt und da¬ 
durch von der habituellen BßODiE’schen Form verschieden ist; einer 
mit Oedem und einer mit Hyperämie und Hypertrophie verbundenen 
wehenartigen Hysteralgie; einer Angina pectoris mit heftigem Herz-, 
Arm- und Brustschmerz, welcher ein starker Angiospasmus als oau- 
sales Moment vorausgeht. 

Der chronische oder acute Gefäßkrampf setzt den Ernährungs¬ 
zustand der Nerven herab und erhöht seine Erregbarkeit, welche 
unter theilweiser oder übermäßiger Wiederherstellung der Circulation 
in Schmerz übergeht. Die vasodilatatorische Form ist nur ein eom- 
pensatorischer Exceß, welcher an dem Wesen der Neuralgie nichts 
ändert, höchstens in solchen Organen, welche durch feste Häute um¬ 
geben sind, einen Druck auf dio eingebetteten Nerven ausübt und 
dadurch den Schmerz steigert. 

Dr. Boas (Berlin): Ueber die Grundsätze der Diätetik bei Krank¬ 
heiten der Verdauungsorgane. 

Für eine zweckmäßige Diät bei Verdauungsstörungen kommen 
besonders drei Gesichtspunkte in Betracht: 1. Die Berücksichtigung 
der Constitution und des Ernährungszustandes des Kranken. 2. Die 
Lebensweise und Gewohnheiten des Individuums. 3. Die Verdauungs¬ 
störung selbst. Als Kriterium für die Diät bei letzterer galt lange 
die Beschaffenheit der Zunge; der Vortragende weist aber auf die 
große Unsicherheit dieses Symptomes bei chronischen Affectionen des 
Magendarmcanales hin. In ähnlicher Weise verhält sich die Einthei- 
lung in schwer oder leicht verdauliche Substanzen. Der Begriff „Ver¬ 
daulichkeit“ läßt sich im Allgemeinen überhaupt schwer definiren, 
da das hiebei in Betracht kommende subjective Moment eine genaue 
Individualisirung erfordert. 

Man muß daher die Verdauungsfunctionen im Einzel¬ 
falle zum Ausgangspunkt diätetischer Behandlung machen. Hiezu 
reicht nicht, wie dies Leübe versucht hat, die Kenntniß der moto¬ 
rischen Thätigkeit dos Magens aus oder es ist eine möglichst ge¬ 
naue Eruirung auch der secretorischen, resorptiven und sensoriellen 
Bedingungen nothwendig. Außerdem ist die Verdauungsthätigkeit im 
Duodenum, welche zu der Magenverdauung in engsten Beziehungen 
steht, bei der Frage der rationellen Ernährung zu berücksichtigen. 
Aus diesem Gesammtüberblick der in Betracht kommenden Verhält¬ 
nisse läßt sich, unter strengster Beachtung des Stoffwechselgleich¬ 
gewichtes, eine planvolle Diätetik anbahnen. 

Das Resumö des Vortragenden gipfelt in folgenden Schlu߬ 
sätzen : 

1. Die rationelle Ernährung bei Krankheiten des Verdauungs- 
traotus erfordert eine sorgfältige Berücksichtigung der allgemeinen 
Constitution, sowie des Ernährungszustandes und der Lebensgewohn- 
beiten des kranken Individuums. 

2. Die Erhaltung des Stoffwechselgleichgowichtes ist eine wesent¬ 
liche und in keinem Falle außer Acht zu lassende diätetische 
Aufgabe. 

3. Es gibt keine Verdauungsstörung, welche ein absolutes 
Verbot der für den Aufbau des Körpermateriales in Betracht 
kommenden Nährstoffe, Flüssigkeiten und Salze für längere Zeit 
nothwendig macht. 

4. Einen sicheren Anhalt für das Kostregime gewährt allein 
die Berücksichtigung der Functionen des Magendarmcanales; nur 
unter besonders günstigen Umständen kann sie durch andere Unter-, 
suchuugsmethoden ersetzt werden. 

5. Auch das Verbot von Genußmitteln ist nur da aufrecht zu 
erhalten, wo entweder die Erfahrung im Einzelfalle oder sicher be¬ 
gründete, kritisch unanfechtbare Thatsachen dafür sprechen. 

6 . Specielle Grundsätze für die Diät bei den genannten Lei¬ 

den lassen sich nicht aufstellen, man kann nur im Allgemeinen die 
Principien angeben; je nach den im Uebrigen hiebei in Betracht 
kommenden Verhältnissen erfordern dieselben im Einzelfalle einen 
detaillirten Ausbau. —r. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 12. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 8. März 1890. 

Dr. A. ONODI stellt einen Fall von Pharyngitis fibri¬ 
nös» chrronioa vor. Pat. begann gegen Ende 1888 Pseudo¬ 
membranen auszuwerfen ; nach jedesmaligem Ablösen derselben stellen 
sieh Schmerzen beim Schlingen ein. Nachdem sich dies mehrmals 
wiederholt, reinigte sich der Rachen, jedoch erkrankte hernach der 
Nasen-Rachenraum, von wo die Schmerzen gegen das Ohr aus¬ 
strahlten. 

Gegenwärtig besteht der Proceß auch auf der Epiglottis. Die 
mikroskopische Untersuchung bestätigte die croupöse Natur der 
Membranen. Bemerkenswerth ist der chronische Verlauf des Pro- 
cesses. 

Dr. W. GOLDZIEHER führt eine Kranke vor, bei der die Ex¬ 
stirpation eines Orbitaltumors vorgenommen wurde. Die 
32jährige Patientin litt seit einem halben Jahre an einseitigem 
Kopfschmerz. Der r. protrudirte Bulbus zeigte beschränkte Beweg¬ 
lichkeit nach oben und außen und Stauungspapille. Unter dem 
oberen Orbitalrand eine aus zwei Theilen bestehende Geschwulst, 
wahrscheinlich von der Thränendrüse ausgehend. G. ging mit dem 
Messer unter das Foramen supraorbitale ein und führte den Schnitt 
zum äußeren Winkel. Nach Durchtrennung der Fascia tarsoorbitalis 
wurde die Geschwulst stumpf ausgelöst. Dieselbe war ein Adenom. 

Dr. E. BASCH zeigt einen Fall von Lichen ruber exsu- 
dativus (Hebra). 

Dr. L ISSEKUTZ demonstrirt 

1. Einen Fall von Echinococcus orbitalis. Seitdem 
Jean Petit 1774 die erste Mittheilung über orbitalen Echinococcus 
gemacht hat, sind 45 Fälle in der Literatur bekannt geworden. Bei 
der 8 jährigen Tochter eines Schäfers bildete sich vor 8 Tagen am 
linken Auge eine Geschwulst mit Vorstülpung der unteren Ueber- 
gangsfalte. Der gerade nach vorn protrudirte Bulbus zeigte nach 
jeder Richtung beschränkte Beweglichkeit. Fluctuation konnte 
nicht nachgewiesen werden, und es wurde in der Voraus¬ 
setzung eines soliden Tumors zur Exenteration geschritten. Bei der 
Umschneidung der Geschwulst erfolgte auf einen Scheerenschlag das 
Hervorstürzen einer mit Blut reichlich gemengten Flüssigkeit, worauf 
die Orbita leer war. Es wurde nun^ da der Bulbus schon um- 
Bohnitteu und Atrophia n. optici vorhanden war, die Enucleation 
vorgenommen. In der Cystenwand fanden sich Echinococcusblasen. 

2. Schuß verletz ung des Auges. Ein 25jähriger 
Schlosser schoß sich am 3. Februar d. J. in selbstmörderischer Ab¬ 
sicht aus einem 7 Mm.-Revolver in die rechte Schläfe und verlor 
das Bewußtsein. Nach Verheilung der Wunde auf der chirurgischen 
Klinik von Prof. KovÄCS bekam Vortr. den Kranken zu Gesichte. 
An den Augen iBt außen nichts zu sehen, außer einer etwas diver- 
girenden Stellung des linken Auges. Am rechten Auge sind Ex¬ 
ternus und Internus vollständig, am linken der Internus vollständig, 
der Externus zum Theil gelähmt, daher die divergirende Stellung. 
Die Kugel war also von der rechten Orbita in die linke gedrungen. 
Der Hintergrund des rechten Auges ist wegen Glaskörperblutungen 
nicht zu durchleuchten. Auch am linken Auge ausgedehnte Blutungen 
in den Glaskörper, in welche sich einzelne Retinalgefäße verlieren. 
An der Stelle der gut begrenzten Papille eine tiefe Grube, in 
welche die Gefäße nicht zu verfolgen sind; der innere Theil der 
Grube tiefer als der äußere. Am unteren Papillarrande sind theils 
zerrissene, theils gespannte Retinalfasern in die Grube hineingezogen. 
Vortr. glaubt, daß der N. opticus durch die ermattete Kugel nicht 
zerrissen, sondern nach hinten geschoben wurde, wodurch die 
Grube an der Stelle der Papille entstand, in welche die Retina 
nachgezerrt wurde. 

Dr. J. EliSCHER zeigt eine exstirpirte 0 v arial cysto, 
der eine Wanderniere anhaftete. Da letztere sich nicht entartet 
zeigte, so hielt er deren Exstirpation nicht für angezeigt. 

Dr. J. DOLLINGER Stellt einen Kranken vor, bei dem nach 
Resection der Tibia wegen Osteosarcom die Knochennaht ohne 
Perforation der hochgradig sclerosirten Knochen ausgeführt 


wurde. Es wurden peripher um die oberen und unteren resecirten 
Knochenenden Silberdrähte befestigt, welche dann durch senkrechte 
Drähte an einander gekoppelt wurden. 

Or. R. Temesväry: Oie Elektricität in der Gynäkologie. 

Vortr. hat die Behandlungsmethode bei ihrem Erfinder 
Apostoli in Paris in mehr als 40 Fällen und 150 Sitzungen ge¬ 
sehen. Benöthigt wird eine aus 30—50 LECLANCHE-Elementen be¬ 
stehende Batterie, welche eine Stromintensität von 200—250 Milli¬ 
amperes geben kann, ferner ein genaues Galvanometer, Elementen- 
zähler, Rheostat, ein Dubois - REYMOND’scher Sohlittenapparat, 
Commutator. Als indifferente Elektrode dient ein aus feinstem 
Modellirthon bereiteter viereckiger Kuchen von 600 Qnadr.-Cm., 
welcher, in Gaze gehüllt, auf den Bauch gelegt wird; auf den 
Kuchen kommt die mit der einen Leitungsschnur versehene Platten¬ 
elektrode. Die wirksamen Elektroden sind eine Art von Gebär¬ 
muttersonden aus Platin oder Aluminium, oder es sind gerade 
Sonden mit stumpfen Kohlenenden oder spitze, je nachdem Galvano- 
caustik oder Galvanopunctur erzielt werden soll. Für Faradisation 
dienen Elektroden mit zwei Polen. 

Hauptsache bei der Behandlung ist strenge Antisepsis 
und allmälige Steigerung der Stromstärke. Bei con- 
stantem Strom gehe man in der ersten Sitzung bis auf 50—60, 
höchstens 70—80, in den folgenden Sitzungen bis auf 100—150, 
eventuell 200—250 Milliamperes; je chronischer das Leiden, desto 
stärker der Strom. Durchschnittliche Dauer der Sitzung 6 Minuten, 
welche zuweilen auf 8—10 Minuten ausgedehnt, bei empfindlichen 
Kranken aber auch auf 3—4 Minuten beschränkt werden muß. 
Wöchentlich werden 1—2 Sitzungen gehalten, bei Galvanopunctur 
aber in lOtägigen Intervallen. Die Faradisation dagegen kann 
täglich 1—2mal erfolgen, und zwar dauert die Sitzung so lange, bis 
die die Indication bildenden Schmerzen entweder aufgehört (Ovar- 
algien) oder nachgelassen haben (entzündliche Schmerzen). 

Die Zahl der Sitzungen schwankt nach Krankheit und Alter 
zwischen 3—4 und 20—30. Nach jeder Sitzung ist die Scheide 
zu desinficiren und ein Jodoformgazetampon einzuführen. Nach 
dem constanten Strom soll die Kranke 1—2 Stunden ruhen; nach 
dem faradischen iBt dies nicht nothwendig. Geboten ist Enthaltung 
des Beischlafes während der Behandlung, oder doch wenigstens am 
Sitzuugstage und den darauf folgenden. Während der Menstruation 
behandelt man nur bei reichlichen und langdauernden Blutungen. 
Bei Schwangerschaft kanu höchstens faradischer Strom in der Scheide 
zur Anwendung kommen. 

Vortr. zeigt die von Apostoli und Engelmann hiezu ge¬ 
brauchten mannigfachen Instrumente. n. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Acadämle de mädeclne. 

Sitzung vom 18. Februar 1890. 

Eine neue organische Herzkrankheit: die essentielle chronische 
segmentäre Myocarditis. 

Renaut (Lyon) übersendet durch Robin eine sehr interessante 
Arbeit über dieses Thema. Es bandelt sich um eine durch einen 
typischen Symptomeneomplex charakterisirte Erkrankung, die sich 
anatomisch dadurch kennzeichnet, daß der die Muskelzellen des 
Herzens verbindende Kitt erweicht, dadurch ein von Renaüt als seg¬ 
mentäre Dissociation des Muskelgewebes des Herzens bezeichneter 
Zustand entsteht. In Folge dieses ZuBtandes können die Fasern 
des Herzmuskels keine continuirliche gleichmäßige Contraetion, somit 
auch keine genügende Thätigkeit entfalten ; zum Unterschied von der bei 
Klappenfehlern bestehenden segmentären Myocarditis findet sich bei 
der Section solcher Fälle, abgesehen vom Einschmelzen dieses Kittes, 
keine andere Veränderung. Der Herzmuskel ist weich, bald gelblich, 
bald grau-röthüch gefärbt. Die Ventrikel lassen sich unter den 
Fingern wie ein erweichter Pappendeckel zerreißen. Schüttelt man 
ein Stückchen vom Herzmuskel in einem Tropfen Wasser durch, so 
zerfällt er in einen Muskelstaub, dessen einzelne Körner von einer 


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contractilen Zelle gebildet sind, die keinerlei Degeneration einge¬ 
gangen ist. Die segmentäre Myocarditis findet sich am häufigsten 
bei Greisen oder bei frühzeitig durch Alkoholismus, Gicht ete. ge¬ 
alterten Individuen, ferner kann sie auch nach acuten Infections- 
krankheiten, vorwiegend Typhus, auftreten. 

Ein constantcs Symptom dieser Erkrankung ist die Arhythmie 
des Pulses und des Herzens ohne vorausgegangene Hypertrophie. 
Man findet zwei Formen dieses Pulses: den falschen regelmäßigen 
Puls und den wahren multiforraen arhythmischen Puls. Der erste ist 
dadurch gekennzeichnet, daß die verschiedenen aufeinander folgen¬ 
den arteriellen Pulse weder gleiche Stärke, noch gleiche Intervalle 
zwischen einander zeigen. Die Arhythmie ist demnach mit dem Finger 
weniger wahrnehmbar, als bei Besichtigung der Pulscurve. Bei der 
letzteren Form sieht man von Zeit zu Zeit die Pulse an Höhe, 
Intervallen und Rhythmus sich ändern. Ein zweites wichtiges Zeichen 
dieser Erkrankung ist das Verschwommen sein des localisirten präcordialen 
Stoßes. Ein drittes physikalisches Symptom ist die rechteckige Herz¬ 
dämpfung. Die Dämpfung ist von vier geraden Linien begrenzt, von 
denen je zwei unter einander parallel laufen. Der äußere Rand geht 
senkrecht vom 5. bis zum 3. Intercostalraum nach innen von der 
Mamillarlinie. Der innere Rand geht vom 6. oder 7. zum 3. Sterno- 
costalgelenke. Die queren Züge schließen am 3. und 5. Intercostal¬ 
raum die typische Dämpfungsfigur. 

Bei der Auscultation findet man stets eine Abschwächung der 
normalen Töne und eine Unregelmäßigkeit des Rhythmus. Zuweilen 
erseheint ein bald vorübergehendes, bald ständiges Symptom: ein 
systolischesraedio-eardiales Geräusch. Es ist das ein 
leises Geräusch, welches in der Mitte zwischen Herzspitze und 
Aortenklappen am stärksten zu hören ist. Dieses Geräusch ist sehr 
beschränkt und breitet sieh weder nach unten, noch nach oben aus. 
Dasselbe verdankt seine Entstehung der segmentären Dissociation 
der Papillarmuskel der Atrio-Ventricularklappen. Wenn alle diese vier 
erwähnten Symptome bei einem und demselben Individuum, haupt¬ 
sächlich bei Greisen, vereinigt sind, so kann man fast sicher die 
essentielle segmentäre Myocarditis diagnosticiren. Ein wichtiges 
Zeichen, um diese Herzerkrankungen von anderen organischen Herz¬ 
erkrankungen, die in den Zustand der Herzschwäche gelangt sind, 
zu unterscheiden, ist das Fehlen der Schwellung uUd Empfindlichkeit 
der Leber, ferner derj venösen Stauungen im Gesicht, sowie die 
Dilatation des rechten Herzens. 

Die Ausgäuge der essentiellen segmentären Myocarditis sind 
entweder Tod in Folge von plötzlicher Ohnmacht oder Asystolie; 
die Kranken gehen entweder an Erschöpfung oder an Steigerung 
der Arhythmie zu Grunde. Eine Ruptur des Herzens wurde nicht 
beobachtet. 

Was nun die Behandlung betrifft, so sind hier Digitalis und 
allgemeine Tonica angezeigt. Ist die Arhythmie sehr ausgesprochen, 
so gibt man die Macerätion der Digitalis in abnehmenden Dosen, 
dann Digitalin. Wegen der großen Vulnerabilität dieser Individuen 
müssen dieselben sorgfältig vor jeder Schädlichkeit geschützt 
werden, insbesondere vor Bronchitis, welche für sie tödtlich werden 
kann. 

Panbotano, ein Ersatzmittel für Chinin. 

Dujardjn-Baümetz überreicht eine Mittheilung des Dr. Valude 
über ein neues Specificum des Wechselfiebers. Es ist die Rinde eines 
Baumes (Panbotano) aus der Familie der Leguminosen, der in Mexico 
heimisch ist, aber auch schon in England cultivirt wird. Valude 
verabreichte seinen Kranken die Maceration und ein alkoholisches 
Extract dieser Rinde. Erstere wird in folgender Weise bereitet: In 
einen Liter Wasser werden 70 Gramm (für Kinder nur 35 Gramm) 
der gestoßenen Rindo gegeben und so lange gekocht, bis die 
Flüssigkeitsmenge’ auf einen halben Liter reducirt ist. Diese Quan¬ 
tität wird in 24 Stunden ausgetrunken. Von 15 auf diese Weise 
behandelten Kranken waren 8 mit Malaria behaftet. Bei diesen soll 
nur eine einzige, zuweilen auch zwei Dosen genügt haben, um typische 
Tertiana zum Verschwinden zu bringen. Das Mittel wurde sehr gut 
vertragen, nur zuweilen stellte sich Uebelkeit ein. K. 


Notizen. 

Wien, 22. März 1890. 

Die Aerztekamoierfrage im Parlamente. 

Eine der vitalsten Fragen des ärztlichen Standes , die Frage 
der Errichtung von Aerztekammern in Oesterreich, wird den Reichs¬ 
rath in Bälde beschäftigen. Der Bericht des Abgeordneten Dr. Roses, 
welchen derselbe im Namen des Sanitätsausschusses dem Plenum 
vorlegen wird, und welchen wir nachstehend reproduciren, sowie der 
diesbezügliche Gesetzentwurf wurden vom Ausschüsse angenommen, 
nachdem auch die Regierung, wie wir in letzter Nummer berichten 
konnten, der Frage der Errichtung von Aerztekammern eine wohl¬ 
wohlende Haltung entgegen brachte. Einzelne Punkte des Gesetzes, 
welches, wie wir schon heute hervorheben wolieh, das D i s o i- 
plinarrecht der Kammern in enge Grenzen bannt, vor Allem 
das Recht der Entziehung der ärztlichen Praxis durch die Kammer 
perhorresoirt, dürften eingehende Debatten nicht nur im Parlamente, 
sondern auch in den Kreisen unserer Standesgenossen veranlasseh. 
Indem wir uns Vorbehalten, diese, wie andere wichtige Punkte des 
Entwurfes einer eingehenden Besprechung zu unterziehen, wollen 
wir heute den Wortlaut des Berichtes und Entwurfes zur Kenntniß 
unserer Leser bringen. 

Bericht des Sanitäisausseliusses. 

Die Aerzte Oesterreichs treten nicht zum ersten Male mit dbr 
dringenden Bitte an das Abgeordnetenhaus heran, es möge ihnen 
die Möglichkeit geboten werden, sieh durch Körperschaften zu organi- 
siren, denen im Gesetzeswege eine gewisse autoritative Stellung ein¬ 
geräumt würde. 

Seit 16 Jahren gaben die Aerzte Oesterreichs in zahlreichen 
Petitionen diesem Wunsche Ausdruck, ohne daß derselbe bisher eine 
Berücksichtigung gefunden hätte. 

Der Ruf nach Aerztekammern wird von Jahr zu Jahr leb¬ 
hafter wiederholt; lauter als je erheben die Aerzte ihre Stimmen, 
sie urgiren unaufhörlich die Erfüllung ihrer Forderung in Petitionen 
an das hohe Haus, in Zuschriften an die Parteien desselben, sowie 
auch in Ersuchsschreibeu an einzelne Abgeordnete. 

Mit Recht weisen die Aerzte darauf hin, daß der ärztliehe 
Stand, einer der wichtigsten und nützlichsten im Staate, jedoch im 
Verhältniß zu seiner Bedeutung sich durchaus nicht jener Geltung 
erfreue, welche ihm nach der Zahl seiner Mitglieder, nach ihrem 
Bildungsgrade und den hohen von ihnen zu erfüllenden Aufgaben 
zweifellos gebühre. 

Wenn der ärztliche Stand organisirt würde, wenn ihm die 
Möglichkeit gegeben wäre, durch geschlossenes Auftreten die ge¬ 
bührende Stellung zu erlangen, könnte hiedurch Staat und Gesell¬ 
schaft nur gewinnen, zumal die Aerzte nicht blos die Verbesserung 
ihrer eigenen Stellung, sondern auch die Hebung der sanitären 
Zustände erstreben. 

Die große Summe von Kräften, welche dem ärztlichen Stande 
innewohnt, soll nach dem Wunsche unserer Aerzte nicht länger in 
werthloser Zersplitterung verbleiben, sondern für die Förderung des 
materiellen Wohles der Standeaangehörigen, für die Sicherung der 
Existenz der Invaliden und der Hinterbliebenen von Aerzten eine 
zweckmäßige Grundlage geschaffen werden. Das Ansehen des Standes 
soll gehoben und derselbe von Elementen, die jenes beeinträchtigen 
könnten, purificirt werden. 

Von diesen Anschauungen geleitet und von der Ueberzeugung 
ausgehend, daß es nicht allein genüge, ärztliche Associationen und 
freie ärztliche Vereine zu bilden, sondern daß die Bildung 
von Körperschaften mit einer gewissen autoritativen Stellung nöthig 
sei, versammelten sich im Jahre 1873 Delegirte der damals be¬ 
stehenden 23 ärztlichen Vereine der diesseitigen Reichshälfte zu 
einem Aerztevereinstage, dem ersten in Oesterreich, auf welchem 
eine Petition an das Abgeordnetenhaus um Errichtung von Aerzte¬ 
kammern einstimmig beschlossen wurde. 

Nachdem der Bericht das Schicksal dieser, sowie der Peti¬ 
tionen der Aerztetage 1876, 1878, 1884 und 1886 beleuchtet, 


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welche den Wünschen von mehr als 5000 österreichischen Aerzten 
Ausdruck gaben, fährt er fort: 

Der Umstand, daß die Aerzte durch 16 Jahre unablässig 
an die Pforten des Parlaments pochen, daß sie, unbeirrt durch die 
bisherige Erfolglosigkeit ihrer Schritte, mit so großer Beharrlichkeit ihr 
Ziel verfolgen, spricht beredt genug für die große Bedeutung, welche 
die Aerzte der von ihnen erstrebten Institution beilegen — eine 
Bedeutung, welche der Sanitätsausschuß nach reiflicher Erwägung 
der ihm zugewiesenen Petitionen und eingehender Prüfung der darin 
gestellten Begehren in vollem Maße anerkennen mußte. 

Der Sanitätsausschuß konnte sich der Ueberzeugung nicht ver¬ 
schließen, daß Aerztekammern, wenn sie nach den oben angeführten 
Grundsätzen in’s Leben gerufen würden, nicht nur eine passende 
Vertretung des ärztlichen Standes wären, sondern auch als Körper¬ 
schaften, denen in sanieren und hygienischen Fragen ein Votum 
consultativum zustände, für die Sanitätsverwaltung eine ersprießliche 
Wirksamkeit entfalten könnten. 

Eine legale Standes Vertretung der Aerzte würde 
das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit, ihren 
collegialen Sinn kräftigen und das Gefühl der Ver¬ 
pflichtung zur Wahrung der Standesehre erhöhen. 

Einen wichtigen Punkt in dieser Hinsicht bildet das für die 
Aerztekammern in Anspruch genommene Disoiplinarrecht. 

Der Sanitätsausschuß hat keine principiellen Bedenken gegen 
die Gewährung dieses Rechtes, dessen Anwendung von wohlthätigen 
Folgen für die Allgemeinheit sein könnte; er vermag jedoch die 
Berechtigung dieser Forderung nur innerhalb gewisser 
Grenzen anzuerkennen. Ein Disoiplinarrecht in dem Umfange, 
wie es den Advocaten kammern zusteht, könnte der Sanitätsausschuß 
nicht befürworten. Die Entziehung der ärztlichen Praxis als Strafe 
für eine Verletzung der Standesehre erscheint den Aerzten selbst als 
eine zu drakonische Maßregel — eine Anschauung, welcher der 
Sanitätsausschuß nur beipflichtCn kann. 

Anßer den Aufgaben einer Standesvertretung würde aber den 
Aerztekammern, wie erwähnt, auch eine Wirksamkeit im Interesse 
der öffentlichen Gesundheitspflege zukommen. 

Wer die Sanitätsverwaltung, der mit Recht eine große Be¬ 
deutung beigelegt wird, einigermaßen kennt, der weiß, daß sie der 
Mitwirkung der einzelnen Aerzte nicht entrathen kann; die Aerzte 
für diese Mitwirkung zu interessiren und heranzuziehen, wäre eine 
der fruchtbarsten Leistungen der Aerztekammern. 

Außerdem wäre durch die Aerztekammern eine leicht zu be¬ 
schaffende Evidenzhaltung und verläßliche statistische Nachweisung 
der Aerzte Oesterreichs ermöglicht. 

Man könnte darauf hinweisen, daß die Aerzte durch ihre zahl¬ 
reichen Vereine hinreichend organisirt seien, allein die freie Association 
der Aerzte vermag den Aufgaben, welche die Aerztekammern er¬ 
füllen sollen, ebensowenig zu genügen, wie etwa juridische oder 
volkswirtschaftliche Vereine die Aufgaben der Advocaten- oder 
Handelskammern zu erfüllen vermöchten. 

.Aerztekammern sind übrigens kein Novum. Solche Institutionen 
oder ihnen verwandte Einrichtungen bestehen in Bayern, Württem¬ 
berg , Baden , Hessen - Darmstadt, Sachsen, Braunschweig und seit 
einigen Jahren in Preußen, wo Virchow sich für diese Institution 
lebhaft einsetzte. In dem Erlasse, betreffend die Bildung der Aerzte¬ 
kammern in Preußen, äußerte sich der Minister v. Gossler fol¬ 
gendermaßen : 

„Die Bildung von Aerztekammern, wie sie in der Allerhöchsten 
Verordnung vorgesehen ist, kann nur den Rahmen bieten, innerhalb 
dessen sich die ärztliche Standesvertretung zum Segen des ärztlichen 
Standes und zur Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege zu 
bethätigen hat. Welchen Gang diese Entwicklung nehmen wird 
und welche Bedeutung die Aerztekammern gewinnen werden, wird 
wesentlich von der eigenen Thätigkeit der Aerzte abhängen.“ 

Vor 10 Jahren lag unserem Herrenhause eine Petition um 
Errichtung von Aerztekammern vor. Ueber diese Eingabe referirte 
Ritter v. Arneth namens des politischen Ausschusses und bemerkte, 
daß dieser einstimmig der Meinung sei, die Angelegenheit verdiene 
reifliche Erwägung, und Hofrath Prof. Brücke sagte, daß das Ziel, 
welches die Aerzte anstreben, eine eingreifende und nützliche organi¬ 


satorische Maßregel sei; er würde sich zur Befürwortung der . Petition 
schon verpflichtet fühlen, wenn es sich auch lediglich um die Inter¬ 
essen des ärztlichen Standes handelte. Der Gegenstand habe aber 
eine größere Tragweite. Brücke verspricht sich ebenfalls von den 
Aerztekammern einen Nutzen für däs allgemeine Wohl. 

In England haben ärztliche Corporationen einen wesent¬ 
lichen Einfluß auf den Unterricht und dessen Ueberwachung, auf 
Zuerkennung der Praxisbefähigung, Evjdenzhaltung der Praxisbe¬ 
rechtigten u. s. w. in unmittelbarer Weise und in mittelbarer durch 
das General medical council, dessen Mitglieder theils von der Krone 
ernannt, theils, und zwar zum größeren Theile, von den staatlich 
anerkannten medicinischen Corporationen gewählt werden. 

In letzter Zeit macht sich auch unter den Aerzten in Ungarn 
das Verlangen nach Aerztekammern geltend, und hat der Minister 
des Innern, Graf Teleki, einer ärztlichen Deputation gegenüber, 
die ihm am 6. December 1889 einen Gesetzentwurf, betreffend die 
Bildung von Aerztekammern, überreichte, seiner Ih*eude Ausdruck 
gegeben, daß die Vertreter des ärztlichen Standes ihm den Weg an¬ 
deuten, den er in der von ihnen empfohlenen Institution einzu¬ 
schlagen habe. Da er den Stand der Aerzte vom Sanitätswesen 
nicht trennen könne, so sei er natürlich bestrebt, Alles zu fördern, 
was dem Aerztestande zum Nutzen gereichen könnte. 

Die Auffassung derjenigen, welche die Aerztekammern mit den 
Zünften identifieiren wollen, muß als nicht zutreffend bezeichnet 
werden. In der Angehörigkeit zu den Aerztekammern 
liegt gerade so viel Zwang, als das Staatsleben über¬ 
haupt mit sieh bringt. 

Wir besitzen Advocaten-, Notariats-, Handels- und Ingenieur- 
kammern, und in neuester Zeit geht man mit dem Plane um, Ar¬ 
beiter- und Ackerbaukamfnern zu bilden; gleiehwohl wird es Niemandem 
einfallen, diese Körperschaften für Standes- und allgemeine Inter¬ 
essen als Zünfte zu betrachten. Der moderne und nicht der Zunft¬ 
geist erfordert die von den Aerzten dringend erbetene Organisation. 

Der Sanitätsausschuß stimmt im Allgemeinen den vom Aerzte- 
vereinsverbande aufgestellten Grundsätzen für Bildung von Aerzte¬ 
kammern bei, allein er vermag nicht die Erfüllung des Wunsches 
zu befürworten, daß den Kammern das Recht der gutachtlichen Aeuße- 
rung in allen Fällen von gerichtlichen Anklagen gegen einen Arzt bezüg¬ 
lich Vernachlässigung seiner Kranken oder bezüglich der Kunstfehler er- 
theilt werde. Solche Gutachten abzugeben sollen nicht Aerztekammern, 
sondern medicinische Facultäten berufen sein; ebensowenig kann der 
Sanitätsausschuß dem Verlangen beistimmen, daß den Kammern das 
Recht zustehen solle, in den Landessanitätsrath ein Drittel der Gesammt- 
zahl der Mitglieder desselben zu entsenden. Abgesehen von der 
Schwierigkeit der Durchführung dieser Foiderung in Kronländem 
mit mehreren Aerztekammern, würde weder den Aerzten, noch der 
Sanitätsverwaltung ein besonderer Vortheil hieraus erwachsen. Wohl 
aber erscheint es angezeigt, daß die Kammern in die Landessanitäts- 
räthe Vertreter aus ihrer Mitte entsenden können, wenn ärztliche 
Standes- oder Berufsfragen zur Verhandlung gelangen. 

Dies kann aber ohne Abänderung des Sanitätsgesetzes vom 
30. April 1870 erfolgen, da das Statut für die Landessanitätsräthe 
(§. 11) eine Delegirung von außerordentlichen Mitgliedern zu den 
Verhandlungen des Sanitätsrathes ermöglicht.. 

In Erwägung aller angeführten Momente und in weiterer Er¬ 
wägung, daß durch die mit so großer Beharrlichkeit von der 
überwiegenden Mehrzahl der Aerzte Oesterreichs erstrebten Aerzte¬ 
kammern nicht blos die Stellung der Aerzte verdienterweise ver¬ 
bessert, sondern auch die öffentliche Gesundheitspflege und däs Wohl 
der Bevölkerung wesentlich gefördert würden, stellt der Sanitäts¬ 
ausschuß den Antrag: 

„Das hohe Haus wolle den dringenden Wünschen der Aerzte 
nach gesetzlicher Regelung ihrer Verhältnisse durch die Genehmi¬ 
gung des folgenden, vom Sanitätsausschusse ausgearbeiteten Ge¬ 
setzentwurfes, betreffend die Errichtung von 
A e r z t e k a m m e r n , entsprechen.“ 

* * 

* 

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Der Gesetzentwurf lautet: 

Gesetz, 

vom. 

betreffend die Errichtung von Aerztekammern, 

Uit Zustimmung beider Häuser des Reichsrathes finde Ich zu verordnen, 
wie folgt: 

§. 1. Sämmtliche, die Praxis ausübenden Aerzte eines Kronlandes bilden 
mindestens eine Aerztekammer, die dem Minister des Innern untersteht. 

Die Zahl der Aerztekammern in einem Kronlande, deren Sitz und 
Sprengel wird im Verordnung«wege festgesetzt. 

§. 2. Die Aerztekammern bilden die legale Vertretung des ärztlichen 
Standes und erhalten: 

a) das Recht, in allen Angelegenheiten gehört zu werden, welche 
die ärztlichen Interessen, Rechte und Pflichten berühren, Bowohl 
bei legislatorischen als auch allgemein administrativen Anord¬ 
nungen, ehe die letzteren der gesetzlichen Behandlnng und Exe¬ 
cutive unterzogen werden; 

b) das Recht der Initiative in Sanitäts- und hygienischen Angelegen¬ 
heiten durch Anzeige, Vorschlag und Autrag, welche behördlicher¬ 
seits der geeigneten Behandlung zu unterziehen sind; 

c) das Recht, im Landessanitätsrathe vertreten zu sein, wenn der¬ 
selbe über ärztliche Berufs- nnd Standesfragen verhandelt; 

d) das Recht der Einhebung von Jahresbeiträgen von den Kammer- 
mitgliedern zur Deckung der Kammerbedürfnisse; 

e) das Disciplinarrecht auf Grund einer im Verordnnngswege zu er¬ 
lassenden Disciplinarordnung. 

§. 3. Die Aerztekammern sind verpflichtet: 

a) im Bereiche ihres Wirkungskreises das Wohl und das Ansehen 
des Standes zu fördern und die Aerzte in ihren Rechten zu 
schützen; 

b) Sorge zu tragen für die Errichtung humanitärer Institute, für 
Gründung von Stiftungen, Pensious-, Versorgungs- und Unter- 
stützungscassen und sonstiger, das materielle Wohl der Standes¬ 
genossen und ihrer Angehörigen fördernder Anstalten; 

t) auf Verlangen der Behörden über Fragen des Standesinteresses 
und über alle in den ärztlichen Wirkungskreis fallenden Ange¬ 
legenheiten Gutachten abzugeben. 

§ 4. Die Kammermitglieder sind verpflichtet, Domicilveränderungen 
binnen 14 Tagen der Kammer anzuzeigen. 

Mitglieder, die im Sprengel einer anderen Kammer die Praxis ausüben 
nnd daselbst mehr als vier Wochen zubringen (z. B. in Badeorten), sind ver¬ 
pflichtet, sowohl ihrer Kammer, als auch jener, in-deren Sprengel sie sich 
behufs Ausübung der Praxis begeben, davon. Anzeige zu machen. 

Wenn der Aufenthalt mehr als ein Jahr dauert, sind sie verpflichtet, 
sich in ihrer Kammer zu löschen und in jene Kammer aufnehmen zu lassen, 
in deren Sprengel sie sich aufhalten. 

§. 5. Zum Behnfe der Wahl der Kammervertretung sind Wahlbezirke 
zu bilden, welche in der Regel mit den politischen Bezirken zusammenfallen. 

§. 6. Jede Aerztekammer wird von einem Ausschüsse geleitet, welcher 
sich in einen engeren und in einen verstärkten'gliedert. 

Der engere Ausschuß besteht aus mindestens 7 und höchstens 15 Mit¬ 
gliedern, welche ihr Domicil in jenem Orte haben müssen, in welchem sich 
der Sitz der Kammer befindet 

Der verstärkte Ausschuß besteht aus den Mitgli- dern des engeren Aus¬ 
schusses und aus Delegirten, welche von den in einem Wahlbezirke seßhaften 
Mitgliedern gewählt werden. 

Die Wahl der Delegirten erfolgt in der Weise, daß die Kammermit¬ 
glieder eines Wahlbezirkes einen Vertreter wählen. Wahlbezirke, welche über 
50 Kammermitglieder zählen, wählen für je 50 einen Delegirten, wobei eine 
25 überschreitende Zahl als volle 50 angenommen wird. 

§. 7. Der engere Ausschuß vertritt die Kammer nach außen, führt die 
Beschlüsse der Plenarversammlung und des verstärkten Ausschusses aus, leitet 
die Cassengeschäfte und hält die Kammermitglieder in Evidenz. 

§. 8. Der verstärkte Ausschuß wählt aus seiner Mitte einen Präsidenten, 
dessen Wahl vom Minister des Innern bestätigt werden muß, zwei Präsi- 
denten-StellVertreter, einen Schriftführer und die übrigen Ansschnßmitglieder 
in geheimer Abstimmung, die auch brieflich erfolgen kann und mit absoluter 
Majorität. 

Falls eine solche nicht erreicht wird, so ist die Wahl nach 14 Tagen 
zu wiederholen und gelten dann diejenigen als gewählt, welche die meisten 
Stimmen auf sich vereinigen. 

Der verstärkte Ausschuß beschließt über alle wichtigen Kammerange¬ 
legenheiten, insoweit dieselben nicht der Plenarversammlung Vorbehalten sind. 

§. 9. Der Plenarversammlung, an wolcher sämmtliehe Kammermitglieder 
theilzunehmen berechtigt sind, ist Vorbehalten: 

a) die Wahl der Ausschußmitglieder; 

b) die Feststellung der Geschäftsordnung; 

c) die Festsetzung des Jahresbeitrages; 

d) die Prüfung und Genehmigung des Jahres Voranschlages und der 
Rechnungsabschlüsse; 

e) die Begutachtung der Bestimmungen des Disciplinarstatutes oder 
dessen Abänderung. 

f) die etwaigen Wahlen in den Landessanitätsrath; 

g) die Beschlußfassung über Anträge des Ausschusses oder einzelner 
Kamrnermitglieder. 


§. 10- Die Functionäre werden anf drei Jahre gewählt und üben ihr 
Amt unentgeltlich aus. 

§. 11. Die Durchführung der ersten Constituirung der Kammern, sowie 
die Einleitung der ersten Wahlen erfolgt durch die k. k. Landesbehörden. 

§. 12. Mit dem Vollzüge dieses Gesetzes ist Mein Minister des Innern 
beauftragt. 


(K. k. Gesellschaft der Aerzte.) Die Mitglieder dieser 
Gesellschaft traten gestern zur feierlichen Jahressitzung zu¬ 
sammen, in welcher der Präsident, Hofrath Billroth, einen geist¬ 
vollen Vortrag „Ueber den Einfluß der Antiseptik auf 
Operationsmethoden, chirurgischen Unterricht und 
Krankenhausbau“ hielt. Nach Skizzirung der ungeahnten Vor¬ 
theile, welche die Antiseptik dem Chirurgen durch das resorbirbare 
Ligaturmateriale, durch Vereinfachung des früher so complicirten 
Instrumentariums und der Operationstechnik bietet, schilderte der 
Vortragende die Wandlungen, welche der chirurgische Unter¬ 
richt durch die antiseptische Versorgung der Wunden, die Dring¬ 
lichkeit des ersten Verbandes, die Seltenheit des Verbandwechsels, 
das fast vollständige Fohlen der Wunderkrankungen, die durch ihre 
relative Ungefährlichkeit erhöhte Indication dringender Operationen, 
so der Tracheo- und Herniotomie, erfahren hat. Während in der vor¬ 
antiseptischen Zeit Eingriff und Verband für die Vorlesungszeit 
reservirt werden konnten, kommt heute der Studirende nur selten, 
nur zufällig in die Lage, die Behandlung von Verletzungen, z. B. 
der für die Praxis so wichtigen complicirten Fracturen, zu sehen, 
zu verfolgen. Bei den derzeitigen Verhältnissen ist daher wohl nur 
der Assistent, Operateur oder Sccundararzt einer chirurgischen 
Station in der Lage, das nothwendige chirurgische Wissen sich au- 
zueignen. Sollen die Mediziner der höheren Jahrgänge an der 
Schule etwas lernen, so wären nebeu den Universitäten höhere 
Fachschulen, wie in Frankreich und nach Art der polytechni¬ 
schen und landwirtschaftlichen Schulen zu errichteu. Von nicht 
geringerer Bedeutung ist der Einfluß der Mikrobenlehre und Anti¬ 
septik auf die Prinoipien des Krankenhausbaues. Das auf 
der Miasmatheorie basirende Baraokeu- und Pavillonsystera biete 
neben nnleugbaren Vorteilen (Abnahme der Wahrscheinlichkeit der 
Infection mit der Zahl der in einem Saale und Hause untergeb rächten 
Kranken), zumal bei größerer Entfernung des Operationssaale* von 
den einzelnen Pavillons und Mangel gedeckter Verbindungswege, 
Nachteile für die Kranken, Aerzte und das Wartepersonal, besonders 
während der kälteren Jahreszeit, ohne Schutz vor den Gefahren der 
Sepsis zu gewähren. Vom Standpunkte der Antiseptik aus sei 
gegen mehrstöckige Krankenhäuser Nichts cinzuwendeu, vorausgesetzt, 
daß durch feuersichere Construction des Hauses sowohl wie dessen 
Einrichtung, die ausnahmslos aus Eisen und Glas bestehen müsse, 
die Feuersgefahr ausgeschlossen werde. — Zu Begiun der Sitzung 
erstatteten Secretär und Bibliothekar Bericht. Im abgelaufenen 
53. Vereinsjahre, das 326 Mitglieder aufwies, von welchen 14 durch 
den Tod entrissen wurden, fanden in 29 Sitzungen 21 Vorträge 
und 45 Krankenvorstellungen und Demonstrationen statt. Die 
Bibliothek zählt derzeit 11.800 Bände. — Das Ergebniß der während 
der Versammlung vorgenommenen Wahlen wird in nächster Sitzung 
bekannt gegeben werden. 

(Die Dienstzeit der Secundarärzte I. Classe in 
den Wiener k. k. Krankenanstalten) hat durch einen jüngst 
erflossenen Erlaß des Ministeriums des Innern eine Regelung in dem 
Sinne erfahren, daß die Bestellung dieser Secundarärzte nunmehr 
für einen einjährigen, von Jahr zu Jahr bis zur Vollstreckung 
von vier Dienstjahren zu verlängernden Zeitraum erfolgt, vorausge¬ 
setzt, daß die normalmäßige vierjährige Dienstzeit nicht vor Ablauf 
dieses Jahres zu Ende geht, in welchem Falle die Ernennung zum 
Secundarärzte I. Classe überhaupt nur bis zur Vollstreckung der 
Normaldienstzeit von vier Jahren Giltigkeit hätte. Die jeweilige An¬ 
stellungsdauer ist in dem bezüglichen Ernennungsdecrete ausdrück¬ 
lich ersichtlich zu machen. Spätestens zu Beginn des zwölften Dienst¬ 
monates eines Secundararztes I. Classe hat die Krankenhaus-Direction 
nach Einholung und unter Würdigung der Aeußerung des betreffen¬ 
den Abtheilungsvorstandes Uber die Art der dienstlichen und son¬ 
stigen Verwendung des in Frage stehenden Secundararztes bei der 
k. k. n.-ö. Statthalterei die Verlängerung der Dienstzeit, und zwar 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 12. 


entweder auf die Dauer eines weiteren Jahres oder bei besonders 
günstigem Verhalten des betreffenden Secundararztes bis zum Ende 
der Dienstzeit zu beantragen. Falls sich die Verlängerung der Dienst¬ 
zeit eines Secundararztes I. Classe im Hinblicke auf seine bisherige 
Verwendung nicht empfiehlt, ist der Betreffende von der Kranken- 
liaus-Dircction auf kurzem Wege davon zu verständigen, daß die¬ 
selbe nicht in der Lage sei, eine weitere Verlängerung der Dienst¬ 
zeit bei der k. k. Statthalterei zu befürworten. Durch diese Ver¬ 
fügungen hat in der nach den bestehenden Vorschriften mit vier 
Jahren festgesetzten Dauer *) der secundarärztlichen Dienstleistung 
keinerlei Acnderung einzutreten. 

(Ucber die Stellung der Secundar- und Extern- 
ärzte im Prager k. k. allgemeinen Krankenhause) 
wird uns aus Prag berichtet: Am 6 . d. M. fand eine Vorsamm¬ 
lung der Secundar- und Externärzte des k. k. allgem. Kranken¬ 
hauses statt, um über verschiedene Unzukömmlichkeiten und Schädi¬ 
gungen, denen sie ausgeßetzt sind, zu berathen. Den nächsten Anlaß 
hiezu gab die Erkrankung eines substituirenden Secundararztes, dessen 
standesgemäße Verpflegung auf Kosten des Krankenhausfondes von 
der Direction aus dem Grunde verweigert wurde, da nach dem 
Reglement nur Assistenten und definitiv angestellte Secundarärzte 
dieses Recht in Anspruch nehmen könnten. Der betreffende Arzt 
hatte bereits 1 Jahr als Externarzt und 7 Monate als substituirender 
Secundararzt unentgeltlich gedient und war im Dienste erkrankt. 
Es wurde ein ComitC von 4 Aerzten — 2 Deutschen und 2 Czechen 
— mit der Aufgabe gewählt, eine Petition an das Präsidium der 
Statthalterei zu verfassen, daß auch die substituirenden Secundar¬ 
ärzte und Externisten für den Fall der Erkrankung auf Kosten 
des Krankenhausfondes standesgemäß verpflegt werden sollten. Die 
Versammlung berieth ferner über die gegenwärtig beliebte Praxis, 
die erledigten Secundararztessteilen nach langer Vacanz unentgeltlich 
substituiren zu lassen. Von den 20 creirten Secundararztesstellen 
entfallen auf die deutschen Abtheilungen 10, von denen 2 seit 
Jahron unbesetzt sind. Von den restirenden 8 sind nur 2 definitiv 
besetzt, die anderen 6 werden (unentgeltlich) substituirt. So werden 
z. B. von den je 3 systemisirten Stellen auf den Abtheilungen der 
Professoren PRibram und Pick je 2 substituirt; auf der Abtheilung 
des Prof. Sattler ist keine der beiden systemisirten Stellen definitiv 
besetzt. Aehnliehe Verhältnisse bestehen auf den czechisohen Ab¬ 
teilungen. Eine erledigte Secundararztesstelle wird erst nach 
Monaten ausgeschrieben und dann erst nach Monaten wieder besetzt; 
bei diesem Modus muß jeder Arzt durchschnittlich 1 1 / 2 Jahre, oft 
auch länger, unentgeltlich dienen, bevor er definitiver Secundarius 
wird. Die Gehalte sind ungemein niedrig. Nebst Quartier erhält 
ein Sccundarzt 2. Classe 33 fl. 33 ] / 8 kr. monatlich, ein solcher 
1. Classe um 8 fl. mehr. Kost, Beleuchtung und Beheizung muß 
er sieh selbst schaffen. Es sind demnach die hiesigen Secundar¬ 
ärzte viel schlechter bestellt, als ihre Leidensgenossen in Wien, 
Brünn, Salzburg, Laibach. In der am 11. d. M. stattgehabten neuer¬ 
lichen Versammlung wurde der Bericht des ComitCs entgegen- 
genommen und eine Deputation gewählt, die dem Statthalter, 
dem Viceprflsidenten der Statthalterei und dem Statthaltereirathe 
Dr. Pklc ihre Beschwerden Vorbringen und um Abhilfe derselben 
bitten soll. 

(Apotheker.) Gegenwärtig sind Verhandlungen im Zuge, um 
den Apothekern die Facsimiles der Unterschriften der in 
Wien zur Ausübung des Berufes berechtigten Aerzte 
zugänglich zu machen. Veranlassung hiezu war der Umstand, daß 
in Apotheken manchmal Recepte präsentirt wurden, deren Unter¬ 
schrift bedenklich erschien. Eine strenge Beobachtung der diesbezüg¬ 
lichen, durch den bekannten Erlaß des Ministeriums des Innern ver¬ 
schärften Vorschriften ist, zumal bei Ausfolgung toxischer Präparate, 
sicherlich geboten. 

'(Saccharin.) In einem eingehenden Gutachten des Oborsten 
Sanitätsrathes über den Einfluß des Genusses von Saccharin auf 
die Gesundheit, gelangt derselbe zu folgenden Resultaten: 1. Die 
bisherigen experimentellen Untersuchungen ergaben keinen Anhalts¬ 
punkt, um das Saccharin als eine für den Organismus schädliche 

') Sollte wohl präciser „Maximaldauer“ heißen. Die Eed. 


Substanz zu erklären. 2. Ueber eine schädliche Wirkung „ des 
Saccharins bei gesunden Menschen liegt auch nicht ein einziges 
Beispiel vor. 3. Auch bei kranken Menschen, speciell Diabetikern, 
wurden in der Mehrzahl der mitgetheilten Fälle nach Anwendung 
des Saccharins, selbst nach ungewöhnlich großen Dosen, keinerlei 
Störungen beobachtet. 

(Universität8-Nachrichten.) Die von der Tagespresse 
gebrachte Mittheilung der Berufung des hervorragenden Königsberger 
Chirurgen, Prof. Mikulicz , an die chirurgische Lehrkanzel in 
H alle bestätigt sich nicht. Authentischen Nachrichten zufolge ist 
Prof. Bramann, bisher Assistent der Klinik Bergmann in Berlin, 
zum Nachfolger Volkmann’s ausersehen. — Der Privatdocent Dr. 
Franz MareS ist zum a. o. Professor der Physiologie an der 
böhmischen Universität in Prag ernannt worden. — Prof. Leber 
in Göttingen hat einen Ruf nach Heidelberg, an Stelle des 
verstorbenen Prof. Becker, angenommen. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Montag den 
24. d. M., 7 Uhr Abends, findet die ordentliche General-Versammlung 
dieses Collegiums statt. Vorher — um 6 Uhr — wird von Herrn George 
Bamberger eine einfache Schreibmaschine und eine Schreibmaschine für Blinde 
demonstrirt. 

(Statistik.) Vom 9. bis inclusive 15. März 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5137 Personen behandelt. Hievon wurden 1028 
entlassen; 129 sind gestorben (ll’15 0 /o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der CivilbevÖlkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 40, egyptischer Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 4, Dysenterie —. Blattern 11, Varicellen 41, Scharlach 32, 
Masern 218, Keuchhusten 54, Wundrothlauf 20, Wochenbettfleber 14. — In 
der 11. Jahreswocbe sind in Wien 523 Personen gestorben (+48 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) In Wien ist Dr. Rudolf Kr^mpla, Ope¬ 
rateur der Klinik Albert, 24 Jahre alt, an Variola haemorrhagica 
gestorben. Der hoffnungsvolle, strebsame College war in Ausübung 
seines Dienstes inficirt worden. — Gestorben sind ferner: in Fünf¬ 
kirchen Dr. Adolf Schulhof, 76 Jahre alt; in Baja Dr. Karl 
Nikolsburger, im 62. Lebensjahre; in Enying der Kreisarzt Dr. 
M. Telegdi, im 63. Lebensjahre; in Paternion Dr. Nicolaus 
Eberle, 68 Jahre alt; in Neumarhof (Croatien) Dr. Dragütin 
Kaprouczay, im 61. Lebensjahre; in Neapel der Professor der 
Hygiene Dr. Marino Turchi. 


Eigenschaften des guten Peptons. 

Ein gutes Pepton mnß, um leicht verdaulich zu sein, folgende 
Bedingungen erfüllen: Es muß ausschließlich aus frischem Rind¬ 
fleisch — mit absolutem Ausschluß des Pferdefleisches — herge¬ 
stellt und das Fleisch selbst in reinem dialysirten Pepsin digerirt sein. 

Das so erzielte Pepton soll neutral sein und weder Glycose, 
noch Meersalz, noch weinsteinsaure Soda enthalten, wenn man sich 
zur Digerirung des Fleisches der Salzsäure oder des Weinsteins 
bedient hat. 

Eine Peptonlösung muß klar und durchsichtig sein und keine 
Salpetersäure prfleipitiren, als Zeichen der vollständigen Digestion. 

Eben seiner absoluten Reinheit und der Präoision seiner Zube¬ 
reitung halber verdankt das Chapoteant’sche Pepton den Vorzug, 
das einzige zu sein, welches im Laboratorium Pasteur’s, sowie in 
den Instituten zahlreicher anderer Forscher zur Cultur mikrosko¬ 
pischer und bacteriologischer Organismen benützt wird. 

Die französischen Handelsschiffe, welche die Linie nach C o- 
chinohina und Tonking befahren, werden auf Anordnung des 
Marineministers mit Chapoteant’s Pepton versehen, welches 
zur Nahrung der an Diarrhoe und Cholera erkrankten Matrosen dient. 

Das Pepton von Chapoteaut kommt im Handel vor: 

1. Als Peptonpulver, welches 5mal sein Gewicht an Fleisch 
repräsentirt und welches in Thee oder Bouillon aufgelöst wird, 
eventuell einfach in Wasser, wenn es per rectum verabreicht werden soll. 
Das Peptonpulver verdrängt die Anordnung der flüssigen Peptone, 
welche leicht verderben, wenn sie nicht Alkohol oder Glycerin 
enthalten. 

2. Als Peptonw ein von Chapoteaut. Dieser Wein ist außer¬ 
ordentlich nahrhaft, von angenehmem Geschmack, leicht oon servirbar; 

3* 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr, 12. 


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ein Borde&uxglas voll entspricht 5 Grm. Rindfleisch. Dieser Wein 
ist besonders indicirt in jenen Fällen, wo es sich 
darum handelt, die Kräfte der Kranken, sowie ihre 
Ernährung und Verdauung zu heben. Es wird in Dosen 
von einem halben Bordeauxglas nach jeder Mahlzeit verabreicht. 


Eingesendet. 

IX. Coagress für innere Medicin zu Wien (14.—18. April 1890). 

Programm. 

Montag, den 14. April. Abends von 7 Uhr ab: 

Begrüßung im Kaiserhof, I., Magistratsstraße 4 (neben dem neuen 
Rathhause). 

Dienstag, den 15. April: 

Von 9—12 Uhr. Erste Sitzung. 

Eröffnung durch Herrn Nothnagel (Wien). 

Die Behandlung der Empyeme. 

Referenten: Herr Immekmann (Basel) und Herr Schede (Hamburg). 
Discussion. 

'Nachmittags von 3—5 Uhr. Zweite Sitzung. 

Vorträge und Demonstrationen. 

Abends */»6 Uhr. 

Sitzung des Ausschusses im Hotel de France, Schottenring. (Vorbe- 
rathung über Neuwahlen, Statutenänderungen, sowie über etwaige Anträge). 
Mittwoch, den 16. April: 

Von 9—12 Uhr. Dritte Sitzung. 

Vorträge und Demonstrationen. 

Nachmittags von 3—5 Uhr. Vierte Sitzung. 

Discussion überdielnfluenza, eingeleitet durch Herrn Bäumlrk 
(Freiburg). 

Vorträge und Demonstrationen. 

Abends 6 Uhr. 

Fest-Din er im Großen Musikvereinssaale, I., Künstlergasse 3. (Karten 
auf dem Bureau.) 

Donnerstag, den 17. April : 

Von 9—12 Uhr. Fünfte Sitzung. i 

Ergänzungswählen. Wahl des Ortes für den nächsten Congreß. 

Die Behandlung der chronischen Nephritis. 

Referenten: Herr Senator (Berlin) und Herr v. Ziemssen (München). 
Discussion. 

Nachmittags von 3—5 Uhr. Sechste Sitzung. 

Vorträge und Demonstrationen. 

Abends V«6 Uhr. 

Sitzung des Ausschusses im Hötel de France, Schottenring (Aufnahme 
neuer Mitglieder.) 

Freitag, den 18. April: 

Vormittag von 9—12 Uhr. Siebente Sitzung. 

Einreichung von Themata für das nächste Jahr. 

Bekanntgabe der neu anfgenommenen Mitglieder. 

Erledigung etwaiger Anträge. 

Vorträge. 


Auszug aus den Statuten der Geschäftsordnung. 

§• 3. 

Mitglied des Congresses kann jeder Arzt werden, welcher nach den 
im §. 13 angegebenen Modalitäten aufgenommen wird. 

§•4 . 

Jedes Mitglied zahlt einen jährlichen Beitrag von 15 Mark, und 
zwar auch dann, wenn es dem Congresse nicht beiwohnt. 

§• 5. 

Theilnehmer für einen einzelnen Congreß kann jeder Arzt werden. 
Die Theilnehmerkarte kostet 15 Mark. Die Theilnehmer können sich an Vor¬ 
trägen und Demonstrationen, sowie an der Discussion betheiligen, stimu.en 
aber nicht ab und sind nicht wählbar. 

§. 15. 

Jedes Mitglied und jeder Theilnehmer erhält ein Exemplar der ge¬ 
druckten Verhandlungen gratis. 

§. VI (der Geschäftsordnung). 

Der Vorsitzende und das Geschäftscomitö sind berechtigt, in beson¬ 
deren Fällen Gäste zuzulassen. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Fr senk el A., Pathologie und Therapie der Krankheiten des Respirations¬ 
apparates. I. Band: Diagnostik und allgemeine Symptomatologie der 
Lungenkrankheiten. In Vorlesungen für Aerzte und Studirende. Wien 
und Leipzig 1890- Urban & Schwarzenberg. 

Eiohhorst U., Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie für Aerzte 
und Studirende. II. Band. (Krankheiten des Verdauungs-, Harn- und Ge¬ 
schlechtsapparates.) Mit 128 Holzschnitten. Vierte, umgearbeitete und 
vermehrte Auflage. Wien und Leipzig 1890. Urban&Schwarzenberg. 


Seeger L., Die Rückgratsverkrümmungen. Mit 90 Holzschnitten. Wien und 
Leipzig 1890. Urban & Schwarzenberg. 

Eberstaller O , Das Stirnhirn. Ein Beitrag zur Anatomie der Oberfläche 
des Großhirns. Mit 9 Original-Abbildungen und 1 Tafel. Wien und 
Leipzig 1890. Urban & Schwarzenberg. 

Baer A., Die Trunksucht und ihre Abwehr. Ein Beitrag zum derzeitigen Stand 
der Alkoholfrage. Wien und Leipzig 1890. Urban & Schwarzenberg. 

Kleinwftchter L., Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 
Zweite, gänzlich nmgearbeitete Auflage. Wien und Leipzig 1890. 
Urban&Schwarzenberg. 

Bonx W., Die Entwicklungsmechanik der Organismen, eine anatomische 
Wissenschaft der Zukunft. Wien und Leipzig 1890. Urban und 
Schwarzenberg. 

Herzfeld K. A., Ueber die Behandlung des nachfolgenden Kopfes, mit beson¬ 
derer Berücksichtigung des Mauriceau’schen Handgriffes. Leipzig und 
Wien 1890. Franz Deuticke. 

Stricker 8 ., Arbeiten aus dem Institute für allgemeine und experimentelle 
Pathologie der Wiener Universität. Mit 1 Kupfertafel und 6 in den Text 
gedruckten Abbildungen. Wien 1890- Alfred Holder. 

Hay M., Die Kuhpockenimpfnng in Deutschland, Holland, Belgien und 
Oesterreich. Wien 1890. Moriz Perles. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


GnrsB nir Aerzte »r Massage dm Heilgymnast 

an klinischem Material. 

Theilnehmerzahl beschränkt. — Dauer 3 Wochen. — Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, I., Hegelgasse 21 (3—4). 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Es wird hiemit zur Kenntniss der Interessenten gebraoht, 

daß im Bezirke Bjelina (Bosnien) der Posten eines Bezirksarztes mit einem 
jährlichen Gehalte von 1200 fl. zu besetzen ist. Die (kompetenten anf diesen 
Posten haben ihre diesbezüglichen Gesuche, instruirt mit ihren Befähigungs- 
documenten und etwaigen anderen Zeugnissen, welche deren Tüchtigkeit im 
Veterinärdienste zu bestätigen geeignet sind,' längstens bis 15. April 1. J. 
dem Bezirksamte Bjelina einzureichen, da später einlangende Gesuche nicht 
berücksichtigt werden können. Außer den Fachkenntnissen wird die Kenntniß 
einer der slavischen Sprachen bedingt. 

Bjelina, am 26. Februar 1890. 551 

Das Bezirksamt. 


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gefällige Anfragen unter Chiffre „Dr. L. Nr. 533“ zur Weiterbeförderung an 
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Bezirksarzt für Cs4kvir (Weißenbarger Com.). Gehalt 
450 fl. etc. Gesuche an das Ober-Stuhlrichteramt in M o o r. 

Bezirksarzt für den XVIII. Heveser Comitats-Bezirk. 

Gehalt 700 fl. etc. Gesuche an das Ober-Stuhlrichteramt in P6terväsar. 

Bezirksarzt für EdelAny. Gehalt 600 fl. eto. Gesuche 

an das Ober-Stuhlrichteramt in Edelöny. 

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suche an das Ober-Stuhlrichteramt in Antalfalva. 

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Nr. 13. 


Sonntag den 30. März 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 31. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ansland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Adminlatr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximillanatr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


’ 388 ' 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Ein Fall von Entwicklung von Krebs des Magens auf der Basis eines runden Magengeschwüres. Von 
Dr. Alois Biaoh, Docent für innere Medicin an der Wiener Universität. — Ueber die therapeutische und gerichtlich-medicinische Bedeutung der 
Hypnose. Von Dr. S. N. Danillo, Docent an der kais. militär-med. Akademie in Petersburg. — Einige praktische Bemerkungen zur therapeutischen 
Verwerthung der glaubersalzhältigen Mineralwässer. Von Dr. J. Stkhk, Wien-Marienbad. — Referate und literarische Anzeigen. Eugen Hahn : 
Eine neue Methode der Gastrostomie. — Beselin (Rostock): Ueber das Desinfectol nnd dessen desinficirende Wirkung auf Fäcalien. — Handbuch 
der speciellen Pathologie und Therapie für praktische Aerzte nnd Studirende. Von Dr. Hehmann Eichhokst, o. ö. Professor der speciellen Pathologie 
und Therapie und Director der medic. Universitätsklinik in Zürich. — Lehrbuch der Kinderkrankheiten. Von Dr. Adolf Baginsky, Privatdocent 
für Kinderheilkunde an der Universität Berlin. — Die Krankheiten der Nase und des Nasenrachenraumes, nebst einer Abhandlung über Elektrolyse. 
Von Prof. Dr. Rudolf Voltolini. — ZeitnngSSChan. Bericht über die Fortschritte in der Pathologie und Therapie der Krankheiten des nropoetischen 
Systems. Ref. : Dr. H. Lohnstein, Assistent des poliklinischen Institutes von Prof, Zuei.zkr zn Berlin. — Feuilleton. Das Verhältniß des Bade¬ 
arztes znm Hausarzt. Von Dr. v. Tymowski in Bad Schinznach (Schweiz). — Kleine Mittheilongeu* Behandlung der acuten Morphin- oder Opium¬ 
vergiftung mit Atropin. — Ueber die Anwendung des Ichthyols bei Frauenkrankheiten. — Pulsation des Ganmensegels und des Zäpfchens bei 
Aorteninsnfficienz. — Ergotin bei Erysipel. — Behandlung der Psoriasis mit Aristol. — Intoxicationserscheinungen nach Einspritzung einer 
Coca'inlösnng. — Antiseptische Verbandpaste. — Anwendungen des Glycerins. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. lt. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesell¬ 
schaß der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — Aerztliohe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ein Fall 

von 

Entwicklung von Krebs des Magens auf der 
Basis eines runden Magengeschwüres. 

Von Dr. Alois Biach, Docent für innere Medicin an der Wiener 

Universität. 

Entwicklung von Magenkrebs aus Narben des runden 
Magengeschwüres, directer Uebergang von Ulcus in Krebs 
oder combinirtes Vorkommen beider Erkrankungsformen wurde 
zwar schon mehrfach beobachtet, allein da diese Fälle gerade 
nicht zu den häufigen Vorkommnissen gehören und patholo¬ 
gisch-anatomisch sowohl als auch klinisch von ganz besonderem 
Interesse sind, erscheint es nicht unnütz, derartige zur Beob¬ 
achtung gelangte Fälle zu publiciren. 

In den aus meiner secundarärztlichen Dienstzeit im 
k. k. Allgem. Krankenhause stammenden, von mir gemachlen 
Notizen finde ich nun einen einschlägigen, bisher nicht publi- 
cirtenFall verzeichnet, und zwar gelangte derselbe in derZeit, 
als ich supplirender Leiter der II. medicinischen Abtheilung 
(in Vertretung des damals erkrankten Hofrathes Prof. Löbel) 
war, zur Beobachtung. 

G. J., 48 Jahre, verheiratet, Briefträger, gab bei seiner am 
26. September 1878 snb J.-Nr. 15071 auf Zimmer Nr. 53 erfolgten 
Aufnahme an, seit längerer Zeit bereits an verschiedenartigen Magen¬ 
beschwerden — Appetitlosigkeit, Aufstoßen nach dem Essen, 
drückenden Schmerzen in der Magengegend — zu leiden. Bis 
Februar 1878 habe er seinem Berufe obliegen können, von diesem 
Monate ab sei er so schwach geworden, daß er nicht mehr gehen 
konnte und sich gezwungen sah, das Bett aufzusuchen. 

Status praesens. Patient sieht sehr cachectisch ans, ist 
in hohem Grade abgemagert, Temperatur 36’2, Puls 68, dabei die 
Arterien ungemein rigid. Gesicht und Fußrücken ödematös. 

Hals nichts Abnormes darbietend, Lymphdrüsenschwellung 
daselbst nicht nachweisbar. 


Am Thorax äußerlich keine Abnormität zu constatiren;. die 
Lungen geben vorne einen. überaus vollen, rechts weiter nach ab¬ 
wärts reichenden, links die Herzdämpfung vollkommen verdeckenden 
Schall. Auscultation ergibt etwas verschärftes vesiculäres Athmen. 

Rückwärts Lungenschall weiter nach abwärts reichend. Aus¬ 
cultation ergibt dieselben Verhältnisse wie vorne. 

Herztöne rein. 

Die Leberdämpfung ist wegen Ausdehnung der Nachbarorgane 
nur als ein schmaler Streifen unter dem Processus xiphoideus heraus 
zu percutiren. Milz nicht vergrößert. Der übrige Unterleib bietet 
nichts Abnormes dar. Die Palpation desselben ergibt ein vollkommen 
negatives Resultat. Bei der chemischen und mikroskopischen Unter¬ 
suchung des Harnes konnten keinerlei anomale Bestandteile in dem¬ 
selben gefunden werden. 

Mit Rücksicht auf die hochgradige Abmagerung des Kranken, 
auf das cachectische Aussehen, auf die hochgradige Schwäche des¬ 
selben, mit Rücksicht auf das Vorhandensein der angeführten Magen¬ 
beschwerden wurde die Diagnose auf Carcinoma ventriculi 
gestellt. 

Im weiteren Verlaufe stellte sich beim Patienten eiue hoch¬ 
gradige Unruhe ein, er stand aus dem Bette auf, wollte sich an- 
kleideu und aus dem Spitale fliehen, verbrachte die Nacht schlaflos, 
so daß zu narcotischen Mitteln, speciell zu Morphiuminjectionen, 
geschritten werden mußte. Dieselben brachten zwar die erwünschte 
Ruhe, jedoch wurde Patient immer schwächer, die Appetitlosigkeit, 
sowie die übrigen Magenbeschwerden blieben nach wie vor bestehen. 

Am 2. October 1878 trat, nachdem sich heftige Schmerzen, 
Erbrechen, Collaps eingestellt hatten, der Tod ein. 

Obductionsbefund: Exulcerirtes, auf der Basis eines 
Ulcus rotundum entwickeltes medulläres Carcinom der Pars 
pylorica ventriculi mit Stenose derselben auf Fingerdicke. Perfora¬ 
tion des Magens an der vorderen Wand der Pars pylorica im Be¬ 
reiche einer 1 Quadr.-Cm. großen Stelle. Recente Peritonitis diffusa. 
Secundäres Careinom der Lymphdrüsen der Nachbarschaft des Magens. 
Hochgradiger universeller Marasmus. 

Wie Eingangs erwähnt, wurden Fälle von Combination 
von Ulcus rotundum mit Carcinom, oder Entwicklung von 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


492 


Krebs auf narbigem Grunde im Magen bereits von mehreren 
Autoren beschrieben. 

Unter 160 Fällen von Carcinom des Magen fand Dittrich 
8mal Combination mit Ulcus rotundum; in einem Theile der 
Fälle waren neben dem Carcinom mit diesem nicht zusammen¬ 
hängende Narben von geheilten Geschwüren vorhanden, in einem 
anderen Theile erschien das Carcinom auf ein altes Geschwür 
implantirt. Lebert hat den directen Uebergang von Ulcus 
in Krebs beobachtet; erbeschreibt in seinem Handbuche (Die 
Krankheiten des Magens, Tübingen 1878) 8 solcher Fälle von 
Magencarcinom, in welchen schon Jahre lang vor dem Tode 
die Zeichen eines vorhandenen Magengeschwüres bestanden 
haben sollen. 

Nach Ewald führt Brinton Fälle an, welche makro 
skopisch wie ein Ulcus mit verdicktem Rande aussahen, aber 
unzweifelhafte Metastasen in Leber und Lunge hatten, und 
sagt, daß ein offenes Ulcus zuweilen die Entwicklung von 
krebsiger Cachexie hervorrufe. 

Carl Mayer beschreibt in seiner Inaugural-Dissertation 
(Ein Fall von Ulcus simplex in Verbindung mit Carcinom, 
Berlin 1874) einen Fall, wo ein rundes Magengeschwür mit 
gereinigtem Grunde, geringer Verdickung in der Umgebung, 
ohne wesentliche Affection der Lymphdrüsen, einem alten 
Ulcus sehr ähnlich sah und wo erst durch die mikro¬ 
skopische Untersuchung der careinomatöse Charakter fest¬ 
gestellt werden konnte, so daß, wie Mayer sich ausdrückt, 
auf der Scala der Möglichkeiten kaum Anderes übrig blieb, 
als eine Verbindung von Ulcus simplex mit Carcinom. 

Zf.nker demonstrirte in einem im Nürnberger Aerzte- 
vereine während des Winters 1882 gehaltenen Vortrage ein 
Präparat, welches nach seinem makroskopischen Verhalten die 
Vermuthung auf kommen lassen mußte, daß hier ein chronisches 
Magengeschwür das primäre Leiden gebildet habe, und sprach 
der Vortragende sich schon damals dahin aus, daß in diesem 
Falle aller Wahrscheinlichkeit nach das Carcinom sich erst 
secundär aus einem alten chronischen Magengeschwüre ent¬ 
wickelt habe. Dem damaligen I. Assistenten Zenkkr’s, Hauser, 
gelang es, die von Ersterem ausgesprochene Ansicht durch 
eine sorgfältige mikroskopische Untersuchung zu rechtfertigen. 

Es handelte sich um einen 69 Jahre alten Taglöhner, 
welcher im December 1881 wegen Magencarcinoms in der 
Erlanger medicinischen Klinik Aufnahme gefunden hatte; der 
Tod erfolgte am 20. December 1881 in Folge einer inter- 
currenten Pneumonie, nachdem kurz zuvor noch eine profuse 
Magenblutung durch Anätzung eines Astes der Arteria coro- 
naria superior dextra eingetreten war. 

Der Sectionsbefund, von welchem nur der Befund am 
Magen ausführlicher wiedergegeben werden soll, lautete; 

„Der Magen klein, mit sauer riechendem Speisebrei prall 
gefüllt, vom Pylorus bis Fundus 14 Cm., von der Cardia 
herab zum Fundus 15 Cm. messend. Ligamentum hepato- 
duodenale und gastro-hepaticum sehr stark verdickt und in 
denselben mehrere äußerst derbe, auf dem Durchschnitt blaß 
graurothe und zart gelblich gefleckte Lymphdrüsen. An der 
kleinen Curvatur, ganz an der Grenze zwischen Lig. gastro- 
hepaticum und Magen eine 1 Cm. im Durchmesser haltende, 
etwas unregelmäßig begrenzte, beetartige, krebsige Infiltration. 
Die Lymphdrüsen in der Umgebung des Magens alle stark ge¬ 
schwellt, bis haselnußgroß, sehr derb und von der Beschaffen¬ 
heit der oben beschriebenen Lymphdrüsen. Schleimhaut des 
Magens an den anscheinend normalen Stellen blaß graurotb, 
stark gefaltet. Unmittelbar vor dem Pylorus ein an der 
hinteren Wand gelegenes, von der großen bis zur kleinen 
Curvatur sich erstreckendes und von letzterer auf die vordere 
Wand übergreifendes, 10 Cm. langes und im größten Breiten¬ 
durchmesser 5.Va Cm. breites, scharf begrenztes Geschwür von 
ohrförmiger Gestalt, mit gewulsteten, steilen Rändern. Der 
Geschwürsgrund, im Ganzen glatt, wird von einem blaß grau- 
roth und dunkel grauroth gefleckten, derben Gewebe und dem 


angelütketen Pancreas gebildet; ganz nahe dem Pylorus und 
oben nahe der kleinen Curvatur zeigt derselbe kleine, dunkel- 
braunrothe, hämorrhagische Flecken, in deren Nähe eine kleine 
Arterie freiliegend mit einer klaffenden Rißstelle. In der Mitte 
der Geschwürsfläche finden sich mehrere, etwas unregelmäßig 
begrenzte, beetartige Erhebungen, dazwischen wieder scharf 
begrenzte und stärker hervortretende, runde, hanfkorn- bis 
kirschkerngroße Erhabenheiten, welche mit dem angelötheten 
Pancreas in inniger Verbindung zu stehen scheinen. An der 
vorderen Magenwand, nahe der großen Curvatur, etwa 1 Cm. 
vom Rande des größeren Geschwüres entfernt, ein ganz un¬ 
regelmäßig begrenztes, kleines Geschwür mit hämorrhagisch 
geflecktem Grunde. Ein gleiches findet sich nahe dem Fundus 
an der großen Curvatur; dasselbe hat in seiner Mitte necro- 
tische Schleimhautinseln. Gegen die Cardia hin sind sowohl 
die Schleimhaut, als auch die Muscularis beträchtlich verdickt. 
Cardia ziemlich eng.“ 

In der Leber fanden sich Carcinommetastasen, eben solche 
in der linken Niere. 

Die von Dr. Hauser vorgenommenc mikroskopische 
Untersuchung ergab, daß in der That im vorliegenden Falle 
sich secundär in einem seit unbestimmter Zeit bestehenden 
chronischen Magengeschwüre Carcinom entwickelt hatte, und 
stellte Hauser auf Grund der gewonnenen Ergebnisse folgende 
Sätze auf: 

„ 1. Aus einem chronischen Magengeschwüre kann sich in 
der That ein Magencarcinom entwickeln, und zwar kommt 
den sehr umfangreichen Geschwüren, welche nicht mehr zu 
einer völligen Heilung gelangen können, eine besondere Dispo¬ 
sition zu. 

2. Die krebsige Erkrankung geht zunächst von denjenigen 
Drüsenschläuchen des Geschwürsrandes aus, welche bestimmte 
Veränderungen beim Vernarbungsprocesse erleiden. 

3. Die atypische Wucherung des Drüsenepithels schreitet 
unaufhaltsam weiter und erhält dadurch schließlich den 
malignen Charakter, weil durch den chronischen Entziindungs- 
proceß einerseits ausreichende Nahrungszufuhr besteht, um das 
Productionsvermögen des Epithels nicht nur zu unterhalten, 
sondern noch weiter zu steigern, andererseits aber die physio¬ 
logischen Widerstände der Nachbargewebe' dauernd herab¬ 
gesetzt werden. 

4. Zwischen der krebsigen Wucherüng des Drüsen¬ 
epithels und der atypischen Wucherung beim Vernarbungs¬ 
processe besteht nur ein gradueller Unterschied; beide Male 
ist dieselbe bedingt durch die combinirte Wirkung des ge¬ 
steigerten Productionsvermögens der Epithelzellen und der 
Herabsetzung der physiologischen Widerstände des anstoßenden 
Gewebes.“ 

H eitler beschreibt l ) 3 Fälle von Entwicklung von Krebs 
auf der Basis eines runden Magengeschwüres und bemerkt, 
daß die Diagnose „Carcinoma ventriculi ad basim ulceris ro- 
tundi“ in Wien nicht zu den Seltenheiten gehöre. 

Endlich theilt auch Flatow in seiner Inaugural-Disser¬ 
tation „Ueber die Entwicklung des Magenkrebses aus Narben 
des runden Magengeschwüres“ (München 1887) einen Fall mit, 
in welchem es sich um ein in der Nähe des Pylorus sitzendes 
Carcinom mit einer central gelegenen alten Narbe mit glattem 
Grunde handelte. 

Flatow meint auf Grund seiner histologischen Unter¬ 
suchung, daß in dem Falle ein narbiger Herd vorhanden war, 
welcher das begünstigende Moment für eine atypische Epithel¬ 
wucherung abgegeben hatte. 

’) „Wiener med. Wochenschrift“, Nr. 31, 1887. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


Ueber die therapeutische und gerichtlich- 
medicinische Bedeutung der Hypnose. 

Von Dr. S. N. D&nillo, Docent an der kais. militär-med. 

Akademie zu St. Petersburg.*) 

Die Anwendung der Hypnose al9 therapeutisches Mittel 
bei den verschiedensten Erkrankungen ist längst bekannt. Es 
genügt, die Untersuchungen von Bkaid zu erwähnen, welcher 
seinen Nau en den Forschungen gab, die eine lange Reihe 
von Jahren einen wichtigen Platz in der Gruppe der ver¬ 
schiedenen Formen der Hypnose und der mit ihr verwandten 
Zustände einnahmen. 

• Nach den Forschungen von BttAin, die bekanntlich von 
den Zeitgenossen theils mit Mißtrauen, theils mit Spott auf- 
genomraen wurden, verschwand die Frage der Hypnose beinahe 
gänzlich vom Schauplatze, und bis zu den in Frankreich 
hauptsächlich unter dem Einflüsse Chabcot’s und seiner 
Schüler vorgenommenen Forschungen war von exactem Studium 
der hypnotischen Erscheinungen vom klinischen Standpunkte 
aus gar keine Rede. 

Da die Autoren, welche in der letzten Zeit über die 
therapeutische Anwendung der Hypnose schrieben, fast alle 
die Literatur dieses Gegenstandes berühren, so erachte ich es 
als überflüssig, darauf näher einzugehen. Der Zweck meiner 
Mittheilung besteht hauptsächlich darin, meine persönlichen 
Beobachtung zu veröffentlichen. Ich werde mich daher be¬ 
züglich der Literaturangaben vorwiegend auf die jüngst er¬ 
schienene , sehr werthvolle Compilation von Max Dessoik 
(Bibliogr. des modernen Hypnotismus, Berlin 1888) und auf 
mein Referat: Revue der Arbeiten über Hypnotismus (Wiestnik 
Psichiatrii, 1887—88) stützen. 

Bei einer Durchsicht der Literatur des Hypnotismus be¬ 
züglich seiner therapeutischen Anwendung kann man im Allge¬ 
meinen die Wahrnehmung machen, daß sich gegenwärtig zwei 
Strömungen gebildet haben: die eine läßt sich als Lobeshymne 
der Hypnose charakterisiren; die Anhänger derselben sehen 
in der Hypnose ein schmerzstillendes Mittel, welches die 
Respiration, die Temperatur und den Puls verändert, welches 
nach dem Wunsche des Hypnotiseurs die verschiedensten 
physiologischen und psychologischen Functionen beeinflußt, 
kurz eine Allmacht besitzt. Die Hypnose ist nach Ansicht 
der Hauptvertreter dieser Anschauung eine Panacee, ein 
Univcrsalmittel, mittelst dessen man eine Pneumonie cou- 
piren, Blutungen, sogar traumatischen Ursprungs, stillen 
kann u. s. w. 

Von allen Gebieten der praktischen Medicin blieb, wie 
mir scheint, blos Syphilis vom Hypnotismus verschont. Als 
Muster einer solchen Beurtheilung der therapeutischen Be¬ 
deutung der Hypnose und der hypnotischen Suggestion kann 
das Buch von Fontan und Segnard (Elements de medecine 
suggestive, 1887) dienen. Diese Autoren, welche eine ganze 
Reihe von wohlthätigen Wirkungen der hypnotischen Sug¬ 
gestion beschreiben, liefern durchaus keine reinen Beobach¬ 
tungen. Die Krankengeschichten sind meistens, speciell was 
die Erkrankungen des Nervensystems anbetrifft, unvollständig. 
Außerdem wurden in fast allen Fällen nebst der Hypnose 
auch medicamentöse Mittel in Anwendung gezogen. Daß sich 
aus einer solchen Beobachtung keine richtigen Schlüsse ziehen 
lassen, ist selbstverständlich. Derselbe Vorwurf, wenn auch 
in geringerem Maße, kann dem Buche von Bhunhkim gemacht 
werden (De la Suggestion et de ses applications ü la thera- 
peutique). 

Im Allgemeinen sind die Anhänger der französischen 
Richtung, ohne eine entsprechende kritische Schätzung der er¬ 
haltenen Resultate vorzunehmen, oft geneigt, in der Hypnose 
eines der mächtigsten therapeutischen Mittel zu sehen. 

Ganz anderer Ansicht waren bis in die letzte Zeit die 
deutschen Autoren. Es genügt hier, die Mittheilungen von 

*) Vortrag, gchallcn am 3. Congrcß russischer Ae rate 


Pkeykr und Haidenhain zu erwähnen, welche die experimen¬ 
telle und physiologische Seite dieser Frage bearbeitet haben, 
ohne jedoch der Hypnose und der hypnotischen Suggestion 
einen besonderen heilsamen Einfluß zuzuschreiben. Andere, 
wie z. B. Prof. Ewald, traten direct gegen die Anwendung 
der Hypnose zu therapeutischen Zwecken auf, indem sie dieses 
Mittel als der wissenschaftlichen Medicin unwürdig bezeioh- 
neten. Diese einseitige Anschauung blieb jedoch vereinzelt, 
und allmälig begannen die deutschen Gelehrten, welche die 
von ihren westlichen Nachbarn beschriebenen Wunder mit 
großem Skepticismus aufgenommen hatten, die Wirklichkeit 
der hypnotischen Erscheinungen, sowie die Zweckmäßigkeit 
der Anwendung des hypnotischen Schlafes und der Suggestion 
zu therapeutischen Zwecken anzuerkennen 

So gibt Obebsteiner die Möglichkeit des wohlthätigen 
Einflusses der Hypnose bei manchen functioneilen Neurosen 
zu. Krafft-Ebing beschrieb eine Reihe von hypnotischen Er¬ 
scheinungen, die sich von den von französischen Beobachtern 
mitgetheilten durch nichts unterscheiden. Jkndrassik theilt 
ebenfalls eine Reihe solcher Beobachtungen mit, Nonne, Sper¬ 
ling u. A. sprachen ebenfalls von der wohlthuenden Wirkung 
der Hypnose bei der grande hysterie, Binswanger studirte 
die Wirkung der Hypnose auf Geisteskranke, Forkl ist ein 
warmer Anhänger dieser therapeutischen Methode. 

In der russischen Literatur lenkten Prof. Tarchanoff, 
sowie andere Autoren die Aufmerksamkeit der Aerzte auf den 
Hypnotismus, und so sehen wir denn, daß in den letzten 
Jahren die therapeutische Bedeutung der Hypnose wieder in 
den Vordergrund getreten ist, so daß es nicht mehr angeht, 
sich den Thatsachen gegenüber passiv zu verhalten. 

Um nicht in den Fehler von Bernheui, Liegeois und 
anderer französischer Autoren zu fallen, enthielt ich mich 
bei meinen Versuchen jeder anderen therapeutischen Ein¬ 
wirkung. Meine Beobachtungen beziehen sich ausschließlich 
auf Geistes- und Nervenkranke, und zwar auf verschiedene 
Formen von organischen Erkrankungen des Gehirns und des 
Rückenmarks, auf sogenannte functionelle Neurosen. Ueber 
die Wirkung der Hypnose auf gesunde Individuen besitze ich 
keine Erfahrung, bekanntlich kann die Hypnose in der 
Therapie auf zweierlei Weise angewendet werden: entweder 
einfach als hypnotischer Schlaf oder als Schlaf, combinirt mit 
verbaler Suggestion. Ich habe daher beide Arten versucht. 
Bei motorischen Paralysen der willkürlichen Muskeln in Folge 
von organischen Veränderungen des Gehirns sah ich weder 
vom hypnotischen Schlaf, noch von der Suggestion irgend 
welchen Nutzen. So trat bei Hemiplegikern mit paretischen 
Extremitäten und consecutiven Muskelcontracturen während 
der Hypnose nur ein zeitweiliger Nachlaß der Contractur ein, 
die nacli dem Erwachen ihren früheren Grad erreichte; in 
manchen Fällen wurde die Contractur scheinbar zeitweilig 
gesteigert. 

ln den Fällen, in welchen die Suggestion angewendet 
wurde, trat im Zustande der Muskeln gar keine Veränderung, 
ein ungeachtet der Anstrengung des Pat., die befohlenen Be¬ 
wegungen auszuführen. 

In einem Falle von Hemiplegie mit sensorischer und 
sensibler Anästhesie der betroffenen Körperhälfte blieb die 
hypnotische Suggestion ganz wirkungslos. In Fällen von 
Tabes im atactischen Stadium mit deutlich ausgesprochenem 
charakteristischen Gange blieb die Suggestion, gut zu gehen, 
ganz wirkungslos. Von 3 von mir beobachteten und mit 
Hypnose behandelten Paretikern besserte sich der Gang bei 
einem unter dem Einflüsse der Suggestion, aber nur während 
der Hypnose; nach dem Erwachen bestand die charakteri¬ 
stische Stellung wie zuvor, ungeachtet der vorgenommenen 
Suggestion, gut zu gehen. Dasselbe negative Resultat erhielt 
ich auch in einem Falle von chronischer Myelitis mit ausge¬ 
sprochenem spastisch - paretischem Gange. In Anbetracht 
solcher geringer, oder vielmehr negativer Resultate der Hyp¬ 
nose und der Suggestion bei organischen Erkrankungen des 

1 * 


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Gehirns und des Rückenmarks habe ich die Beobachtungen 
nicht weiter fortgesetzt und glaube, daß die Therapie dieser 
Erkrankungen durch die Anwendung der Hypnose nichts ge¬ 
winnen wird. 

In einem Falle von Paralysis agitans bei einer Frau ' 
von 40 Jahren mit ausgesprochenem Zittern der Hände ver¬ 
änderte sich das letztere unter dem Einflüsse der hypnotischen i 
Suggestion nicht im Geiingsten. Drei Epileptiker klagten 
jedesmal nach dem Aufwachen aus der Hypnose über ein 
Gefühl von Müdigkeit und eine Empfindung eines nicht zu 
motivirenden Schreckens. Dieser Zustand dauerte bei zweien 
ziemlich lange, und nach 3maliger Anwendung des hypnoti¬ 
schen Schlafes (mit Zwischenräumen von 2—3 Tagen, jede 
Sitzung 10—15 Minuten) traten die epileptischen Anfälle 
häufiger auf als zuvor. Um ganz unzweideutige Resultate zu 
erhalten, wurde für diese Zeit sowohl Brom als jede andere 
medicamentöse Behandlung ausgesetzt. In einem Falle von 
Chorea bei einem 14jährigen Mädchen trat nach drei hypno¬ 
tischen Sitzungen (mit Zwischenräumen von drei Tagen, jede 
Sitzung 10—15 Minuten) ein Nachlaß der Zuckungen ein. 
Der weitere Verlauf der Krankheit ist mir unbekannt, da ich 
die Patientin aus den Augen verloren habe. Bei zwei chroni¬ 
schen Potatoren, die sehr leicht in Hypnose verfielen, brachte 
wiederholte Suggestion gar keinen Nutzen. Bei typischer 
Hemicranie auf hysterischer Basis bei zwei Frauen, die haupt¬ 
sächlich während der Menstruation in Hypnose verfielen, ergab 
die hypnotische Suggestion ein ziemlich constantes Resultat 
in dem Sinne, daß der Kopfschmerz seltener und schwächer 
auftrat. Ob das Resultat ein dauerndes war, ist mir unbe¬ 
kannt, da ich die Patientinnen nicht mehr sah. Die Suggestion 
wurde einmal wöchentlich und im Ganzen 3mal ausgeführt. 

Die verhältnißmäßig günstigsten Resultate erhielt ich 
von der Anwendung der Hypnose und der Suggestion bei 
verschiedenen Formen der Hysterie bei Frauen und Männern, 
von denen ich 15 Fälle hatte. Es unterliegt keinem Zweifel, 
daß die hysterischen Contracturen unter dem Einflüsse der 
Hypnose und der Suggestion verschwinden, ebenso werden 
hysterische Paralysen durch die Suggestion günstig beein¬ 
flußt. Man muß in solchen Fällen nur recht beharrlich sein 
und die Suggestion öfter wiederholen. Verschiedene Formen 
von Sprachstörung, Erscheinungen der Aphasie, Krampfan¬ 
fälle, Spasmen einzelner Muskelgruppen, die noch nicht lange 
bestehen, können durch die hypnotische Suggestion erfolgreich 
bekämpft werden. Es muß jedoch betont werden, daß Reci- 
diven durchaus keine Seltenheit sind und viel mehr die Regel 
als die Ausnahme bilden. Ich kann vorläufig keine genaueren 
Zahlenangaben machen, aber im Allgemeinen kann ich be¬ 
haupten, daß die Recidiven häufig sind und hauptsächlich bei 
hysterischen Frauen mit erblichen Anlagen zu Geistes- und 
Nervenkrankheiten Vorkommen. Die Neigung zu Recidiven 
macht sich meistens in der Menstruationsperiode geltend, zu 
welcher Zeit man bei diesen Kranken auch eine verhältni߬ 
mäßig größere Leichtigkeit der Hypnotisirung constatiren 
kann. Bei recenter hysterischer Aphasie, sowie bei Anästhe¬ 
sien habe ich vielfache Erfolge mit der hypnotischen Sug¬ 
gestion erzielt. 

Ueber die Wirkung des hypnotischen Schlafes und der 
mit ihm verbundenen Suggestion bei Geisteskranken habe ich 
folgende Erfahrungen gemacht: Raserei und maniakalische 
Aufregung unterliegen der Hypnose absolut nicht. Dasselbe 
gilt von den Kranken mit Erscheinungen der psychischen 
Depression, sowie von Blödsinnigen, bei welchen der Blödsinn 
eine Folge von überstandenen verschiedenen Formen von 
Geistesstörungen ist. Patienten mit primärer Geistesstörung, 
sowie solche mit bestimmten Formen von Hallucinationen 
können zuweilen, und zwar ziemlich leicht, hypnotisirt werden, 
aber die Hallucinationen werden von der Suggestion nicht im 
Mindesten beeinflußt. Ebensowenig werden Gehörshallucina- 
tionen, sowie Zwangsideen durch die Suggestion beseitigt, nicht 
einmal zeitweise abgeschwächt. Im Gegontheilc bemerkte ich 


in einem Falle von Hallucinationen mit primärer Geistes¬ 
störung nach der hypnotischen Suggestion eine bedeutende 
Verstärkung der Gehörs- und Gefühlshallucinationen. 

Ich befinde mich demnach im Gegensatz zu den Ansichten 
der französischen Schule (Voisin u. A.) und auch zu Fon kl, 
welche bekanntlich energische Vertheidiger der hypnotischen 
Behandlung der Geisteskranken sind, und bin vielmehr mit 
Bixswanger einverstanden, welcher keinen besonderen Nutzen 
von der Anwendung der Hypnose bei psychischen Störungen 
gesehen hat. Endgiltige Schlüsse wären natürlich noch ver¬ 
früht und es wäre noch weiteres thatsächliche Material zu 
sammeln, allein ich glaube, daß es der Hypnose nicht vergönt 
sein wird, in der Therapie der Neurosen und namentlich. der 
Psychosen eine wesentliche Rolle zu spielen. Wie dem auch 
sein mag, kann man, wenn man einige relativ günstige Re¬ 
sultate von der Anwendung der Hypnose gesehen hat, die¬ 
selbe bei dem gegenwärtigen Stande der Frage nicht mehr 
ignoriren. 

(Schloß folgt.) 


Einige praktische Bemerkungen 

zur 

therapeutischen Verwerthung der glauber- 
salzhältigen Mineralwässer. 

Von Dr. J. Sterk, Wien -Marienbad. 

Ich habe vor Jahren in dieser Zeitschrift einige, durch 
langjährige Beobachtung gewonnene therapeutische Bemer¬ 
kungen in Bezug auf die Anwendung der glaubcrsalzhältigen 
Mineralwässer zu bringen Gelegenheit gehabt. In der dies¬ 
bezüglichen Mittheilung habe ich besonders den Umstand einer 
besonderen Erwägung und Berücksichtigung unterzogen, daß 
bei vielen Patienten der Gebrauch der Glaubersalz-Wässer 
eine den physiologischen Voraussetzungen nicht ganz ent¬ 
sprechende, ja oft genug eine ganz entgegengesetzte Wirkung 
hat, d. h. Obstipation hervorruft. Es ist diese Thatsache — 
gewonnen auf Grund einer objectiven Beobachtung — eine 
so häufige, daß wir Aerzte in den Curorten oft genug in die 
peinlichste Situation gegenüber unseren Clienten und deren 
respective Ordinarii kommen, da die letzteren zumeist nebst 
anderen zu erreichenden curativen Zwecken, auch eine Rege¬ 
lung der vielleicht nicht ganz normalen, trägen Defäcation 
durch den fortgesetzten mehrwöchentlichen Curgebrauch ihren 
Patienten in sichere Aussicht stellen, welche Zusicherung 
leider häufig nicht in Erfüllung geht. 

Es ist mir aber auch die Thatsache nicht entgangen, 
daß in solchen Fällen durch eine gesteigerte Dosirung des 
Wasserquantums die Sachlage nicht nur nicht gebessert wurde, 
sondern noch Veranlassung zu neuerlichen Beschwerden gab 
durch Ueberfüllung und Uebersättigung des Organismus mit 
einem nicht verwertheten Material etc. Es war nichts natür¬ 
licher, als daß ich bei der stetigen Steigerung der Dosirung 
zur Effectuirung eines therapeutischen Zweckes meine prak¬ 
tischen Bedenken hatte und die gebräuchliche Methode ver¬ 
ließ, um der nüchternen Ueberlegung, daß vielleicht mit 
kleineren Dosen eher ein Erfolg zu erzielen wäre, Raum gab, 
in den geeigneten Fällen auch zur Anwendung brachte. Ich 
war bald in der angenehmen Lage, mich von der Richtigkeit 
meiner aprioristischen Voraussetzung oder Vermuthung zu über¬ 
zeugen ; denn in manchen Fällen hatte ich die Genugthuung, 
mich davon zu überzeugen, daß mit der Roducirung des 
Wasserquantums sich eine anflösende Wirkung einstellte. Ich 
würde mich auch mit der Mittheilung dieser einfachen That¬ 
sache — ohne eine bestimmte theoretische Erklärung für 
diese rein empyrische Verwerthung geben zu können — be 
gnügt haben, wenn nicht die höchst interessanten und lehr¬ 
reichen Arbeiten von Hugo Schulz, die vielleicht eine Wen- 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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Thatsache nicht von der Hand gewiesen werden, daß es ganz 
eigenthümliche, nicht näher zu begründende individuelle Ver¬ 
schiedenheiten in Bezug auf Reaction und Wirkungsweise so¬ 
wohl der verschiedenen Genuß- als Heilmittel gibt, die als 
individuelle Idiosyncrasie aufgefaßt werden. Wir erinnern 
nur an manche Fleisch- und Fischarten, an Krebse, an Austern, 
an Spargel, Erdbeeren und Pilze, an Eisen, Quecksilber, Jod, 
Brom etc. Dasselbe gilt von den Reizmitteln Thee, Kaffee, 
Tabak, Alkohol, die gleichfalls, abgesehen von der Qualität, 
bei verschiedenen Individuen eine ganz diametrale Wirkung 
entfalten. Forscht man eventuell nach den schädlichen Stoffen, 
die in einem oder dem anderen Genuß- oder Nahrungsmittel 
enthalten sein dürften, so sind dieselben jedenfalls so minimal, 
daß die Chemie solche kaum nachzuweisen im Stande ist, und 
doch entfalten diese minimalen Mengen ganz ausgesprochene 
krankhafte Erscheinungen im Intestinaltracte, an der Haut, in 
den Nerven ete., ein Beleg dafür, wie die Natur mit ge¬ 


ringen Mitteln bedeutende Wirkungen zu entfalten im Stande 
ist. Ich selbst habe des Oefteren von meinen Clienten die 
Mittheilung bekommen, daß, während eine größere Quantität 
unserer Brunnen ganz wirkungslos blieb, der Genuß einer Tasse 
frischer Erdbeeren den gewünschten Erfolg hatte; und doch 
wird Niemand behaupten wollen, daß die Erdbeeren aüf- 
lösendere Bestandteile enthalten, als das Glaubersalz be¬ 
sitzt. Wir können uns daher nur in Vermuthungen über die 
Wirkungsweise ergehen. Was ich von den kleineren Dosen 
bei Anwendung der Glaubersalzwässer mittheilte, hatte ich 
auch Gelegenheit bei den Bitterwässern zu beobachten; es 
gelang mir oft genug mit nur einigen Eßlöffeln Bitterwasser 
eher eine Regelung der Defäcation zu erzielen, als mit großen 
Dosen, und dasselbe dürfte auch bei allen anderen Mineral¬ 
wässern der Fall sein, insbesondere bei den eisen-, jod-, brom- 
und arsenhältigen Wässern, bei welchen* ja außerdem noch 
die schwerere Assimilirbarkeit und Resorptionsfabigkeit in 
Anschlag zu bringen wäre. Alles in Allem genommen, glaube 
ich den Standpunkt vertreten zu müssen, daß wir in geeigneten 
Fällen — um nur von den Glaubersalzwässern zu sprechen 
— von einer kleinen Dosirung eher eine auflösende Wirkung 
erzielen, als durch große Quantitäten; wir dürfen den Auf¬ 
forderungen der Clienten keine Folge leisten, sollen ihnen 
keine Concessionen einräumen. Wir müssen mit der ganz 
kritiklosen Schablonen mäßigen Anwendung großer und dann 
noch größerer Quantitäten Wassers brechen und uns stets 
vergegenwärtigen, daß wir auch mit kleinen Reizen angestrebte 
therapeutische Zwecke erreichen können ; allerdings nicht immer, 
denn das ist ja bei keinem Mittel, bei keiner Methode der 
Fall; dies darf uns aber nicht hindern, unsere bessere Ueber- 
zeugung zum Ausdruck zu bringen, unser therapeutisches 
Handeln nach individuellen Verhältnissen einzurichten; denn so 
gut es gelingen soll, bei manchen Menschen duroh posthypno¬ 
tische Suggestion eine Regelung, des Stuhles und anderer 
Functionen — sogar zu einer bestimmten Stunde — zu er¬ 
reichen, so müssen wir auch durch kleinere Dosen therapeu¬ 
tische Erfolge zu erreichen trachten, wenn uns auch für den 
Augenblick das „Wie und Warum“ nicht ganz geläufig sein 
dürfte. Wir müssen uns in solchen Fällen vorstellen, daß das 
Individuum auf das Heilmittel in paradoxer Weise reagirt, 
insolange als das Mittel nicht nur in seiner qualitativen Zu¬ 
sammensetzung, sondern auch quantitativer Anwendung dem 
Organismus nicht in entsprechender Weise zugeführt wird. 
Es kann diese paradoxe Wirkung der Heilmittel, die jedem 
Arzte zur Beobachtung gelangt, abgesehen von der Dignität, 
Art und Form der Anwendungsweise des Mittels, bedingt sein 
durch secretorischeVerhältnisse oder nervöse Einflüsse, oder durch 
im Organismus selbst sich befindliche und bildende Stoffe, die 
da entweder verhindern, daß das Mittel überhaupt eine Wir¬ 
kung entfalte, oder aber dessen Wirkung in paradoxer Weise 
beeinflussen. Wir selbst machen ja oft genug von dieser 
paradoxen Wirkung der Heilmittel nach Umständen in der 
Therapie durch Modificirung der Dosirung Gebrauch, und 
dürfen uns daher nicht wundern, wenn die Natur selbst in 
solchen paradoxen Wirkungsäußerungen sich gefällt und uns 
dadurch vielleicht eine leise Andeutung zu unseren weiteren 
Eingriffen gibt. Wir müssen zur Erklärung an den von mir 
berücksichtigten Fällen die zunächst liegende Annahme 
heranziehen, daß große Dosen vielleicht hemmend, kleinere 
Mengen erregend auf den sehr complicirten Nervenmechanis- 
mus der Peristaltik wirken. Ich kann keine plausiblere 
Erklärung für den Sachverhalt bringen und möchte nur 
wünschen, daß diese Anregung Veranlassung zu weiteren 
einschlägigen Beobachtungen geben würde, um eine einheit¬ 
lichere individualisirende Anwendung der Mineralwässer zu 
veranlassen, um dadurch vielleicht in vielen, nicht günstig 
beeinflußten Curerfolgen den Anwurf, der in erster Reihe uns 
Aerzte und den Curort mit seinen therapeutischen Behelfen 
trifft, abzuschwächen, oder selbst zu vereiteln, ein Gewinn, der 
für alle betheiligten Factoren nicht hoch genug anzuschlagen ist. 


düng in unserem gebräuchlichen therapeutischen Denken und 
Handeln zu bedeuten haben, mir nicht gestatten würden, auf 
diese Angelegenheit nochmals zurückzukommen, da ich nun 
auch die Handhabe zur theoretischen Erklärung der ange¬ 
führten Thatsache zu besitzen glaube. Aus den zahlreichen 
pharmakologischen Versuchen hat Schulz den Nachweis er¬ 
brächt, daß die Veränderungen, die ein Medica- 
ment in der Thätigkeit eines Organs hervorruft, 
sichunter bestimmten Beding ungenzu Wirkungs¬ 
weisen darstellen können,, die einander ganz 
entgegengesetzt sind. Ein und dasselbe Organ, von 
ein und demselben Agens beeinflußt, sehen wir entweder aus¬ 
geprägt vermehrte physiologische Leistungen verrichten, oder 
mit herabgesetzter Energie und verminderter Thätigkeit seine 
Existenz nach außen hin deutlich machen. Wie die Erfahrung 
lehrt, steht diese Verschiedenheit der Wirkung zunächst in 
einem directen Abhängigkeitsverhältniß zu der Dosis des an¬ 
gewandten Mittels. Sie hängt davon ab, ob von einem Arznei¬ 
mittel viel oder wenig mit den Elementen des Organismus, 
oder eines Organs in Berührung tritt. Es handelt sich dem¬ 
nach um die auffallende Thatsache, daß wir unter gewissen 
Umständen eine bestimmte Arzueiwirkung in das Gegentheil 
verkehren können.“ So weit Schulz. Durch diese Arbeiten, 
die mit den Arbeiten von Pflüger, v. Bezold, Wuxdt und 
neuestens von Rudolf Arndt über das Zuckungs- oder 
Nervenerregungsgesetz oder biologische Grundgesetz — 
was die Nerven in Bezug deren Reaction auf verschiedene 
elektrische Stromstärken betrifft — in voller Uebereinstimmung 
sich befinden, gewinnt der praktische Arzt manchen tiefen 
Einblick in das Wesen der Arzneiwirkung und deren Dosirung, 
worauf sich die rationelle Therapie in all ihrer Vielseitigkeit 
und Verschiedenheit stützen müßte. Allerdings lenkt Schulz 
in seinen Betrachtungen die Hauptaufmerksamkeit auf die 
Widerstandsfähigkeit des Individuums und seiner Organe und 
glaubt, daß in Anbetracht der in allen Krankheitszuständen 
gesunkenen Widerstandsfähigkeit im Allgemeinen den kleinen 
Gaben der Vorzug zu geben sei. Nun, so richtig und be- 
herzigenswerth dieser Hinweis ist, so ist doch der Begriff der 
individuellen Leistungsfähigkeit ein so weiter und a priori 
so schwer bestimmbarer, daß dieses Axiom von dem Arzte 
zur therapeutischen Verwerthung nur dann mit Vorth eil 
herangezogen werden kann, wenn derselbe seinen Patienten 
auch unter normalen gesunden Verhältnissen genau zu kennen 
Gelegenheit hatte. Denn ganz abgesehen davon, daß die Toleranz 
gegen manches Arzneimittel im krankhaften Zustande bei 
manchen Individuen geradezu eine gesteigerte ist, — ich 
will nur an- die Toleranz gegen Alkohol in vielen fieber¬ 
haften Krankheiten gerade bei anscheinend weniger wider¬ 
standsfähigen Patienten erinnern und vice versa, — so spielt 
ja bekanntlich in der therapeutischen Verwerthung eines Heil¬ 
mittels Alter, Geschlecht, Land, Race, Gewohnheit etc. eine 
so große Rolle, daß die Dosirung den größten Schwankungen 
nach auf- und abwärts unterworfen ist. Ebenso kann ja die 
durch genaue Beobachtung und reiche Erfahrung erhärtete 


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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 13. 


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Referate und literarische Anzeigen. 


Eugen Hahn: Eine neue Methode der Gastrostomie. 

Die vom Vcrf. in Nr. 11 des „Ctbl. f. Chirurgie“ beschriebene 
Operation wird so ausgeführt, daß man zunächst einen Schnitt 
parallel und etwa 1 Cm. vom linken Rippenbogen entfernt in der 
Ausdehnung von 5—6 Cm. macht, sodann in derselben Ausdehnung 
die Peritonealhöhle eröffnet und den 8. Intercostalraum aufsucht, 
den man ieieht finden kanD. Der 7. Rippenknorpel ist der letzte, 
welcher mit dem Sternum dicht an der Basis des Processus xiphoi- 
dcus zusammentrifft; der 8. Rippcnknorpel steht in Verbindung mit 
dem 7. Rippenkuorpel, und damit ist auch die Lage des 7. und 
8 . Intercostalraumes gegeben. 

In dem 8. Intercostalraum wird nun dicht an der Verbindung 
zwischen 8. und 9. Rippenknorpcl eino zweite Incision durch Haut 
und Muskeln schräg von oben und innen nach unten und außen ge¬ 
macht und das Peritoneum parietale an dieser Stelle mit einer von 
außen in die Wunde eingeführten gebogenen Kornzange durchstoßen 
oder auf der Zange mit dem Messer durchschnitten und die ganze 
Wunde durch Oeffnen der Zange erweitert; hierauf sucht man mit 
dem in die zuerst gemachte Bauchwunde eingeführten Daumen und 
Zeigefinger der linken Hand eine dem Fundus möglichst nahe ge¬ 
legene Partie des Magens auf, faßt dieselbe mit der Kornzange und 
zieht sie so weit durch den 8. Intercostalraum, daß die Kuppe der 
hervorgezogenen Magenpartie die Haut etwa um 1 Cm. überragt. 
Nach Bedeckung der zuerst gemachten Wunde mit antiseptiseber 
Gaze wird nun der hervorgezogeno Magen angeheftet, und zwar nur 
durch Serosanähte, wenn nach einigen Tagen die Eröffnung des 
Magens vorgenommen werden soll, oder bei sofortiger Eröffnung 
. des Magens durch Nähte, welche die Serosa, Muscularis und Schleim¬ 
haut mitfassen; hierauf erfolgt die Nabt der Bauchwunde. 

Nach zahlreichen Versuchen, die H. an Leichen gemacht bat, 
verletzt man bei Eröffnung des 8. Intercostalraumes ara Uebergang 
des 8. in deu 9. Rippenknorpel nie das Zwerchfell, da die Ursprünge 
des Zwerchfells vom Knorpel der 7. Rippe beginnen, schräg nach 
außen und unten vorlaufen und an der 8. und 9. Rippe ihre Ur¬ 
sprünge fortsetzen, und zwar in der Weise, daß die Ursprungs¬ 
stellen an der 7. Rippe medial von der Verbindung zwischen 
Rippenknorpel und Rippe uud lateral bei der 8. und 9. Rippe 
liegen. Es ist also der zwischen den Rippenknorpcln liegende Theil 
des 8. Intercostalraumes* vom Zwerchfell nicht berührt. Man kann 
daher mit Sicherheit den zwischen den Rippenknorpeln liegenden 
. Theil des 8. Intercostalraumes eröffnen, ohne je in Gefahr zu 
kommen, das Zwerchfell zu verletzen, welches gewöhnlich 2 Cm. 
von dieser Stelle entfernt liegt. Bei Leichenversuchen, zu welchen 
H. die verschiedensten Thoraxformen wählte, ist er bei Durch¬ 
stechungen mit langen Nadeln im 7. und 8. Intercostalraum bei 
schmalem und langem oder breitem und kurzem Thorax immer so 
weit gekommen, daß die Operation ohne jede Gefahr der Verletzung 
des Zwerchfells möglich gewesen wäre. 

Im 7. Intercostalraum lag dagegen die Nadel bei kurzem und 
breitem Thorax meist in der Nähe der Ursprungsstelle des Zwerch¬ 
fells , während bei langem und schmalem Thorax die Entfernung 
auch hier oft 1—2 Cm. betrug. Nach diesen Versuchen kann man 
den 8. Intercostalraum be\ jeder Form des Thorax ohne Gofahr der 
Zwerchfellverletzung am sternalen Ende eröffnen. 

Aus dem Vergleich zwischen dem Verlaufe von 7 von II. aus¬ 
geführten Gastrostomien, bei welchen die Einnähung des Magens in 
eine dem linken Rippcnknorpelrande parallel verlaufende Bauch¬ 
wunde geschah, und 8 Gastrostomien mit Einnähung des Magens 
im 7. und 8. Intercostalraum, glaubt er der letzteren Methode 
folgende Vortheile zuschreiben zu können: 

1. Ein kleiner und contrahirter Magen kann leichter und mit 
weniger Zerrung an dieser Stelle befestigt werden. 

2. Die Befestigung scheint fester und sicherer zu sein, als in 
der Banchwnnde, weil durch den besseren Verschluß der für die 
Naht schädliche Mageninhalt von der Wunde abgehalten wird. 


3. Die Ernährung ist besser zu bewerkstelligen, dä während 
des Eingießens der Nahrung Nichts neben dem eingeführten Rohr 
herausfließt. Die Rippenknorpel wirken wie ein Quetschhahn. 

4. Ist kein Obturator erforderlich; eine Vergrößerung der 

Fistel kann in Folge des Widerstandes der Rippenknorpel nicht 
eintreten. M. 


Beselin (Rostock): Ueber das Desinfectol und dessen 
desinficirende Wirkung auf Fäoalien. 

Unter dem Namen „Desinfectol“ wird in letzter Zeit ein von 
Dr. Bruno Loewenstein zu Rostock erfundenes Präparat in den 
Handel gebracht, dem — wie schon sein Name zeigt — bedeutende 
Desinfectionskraft zukommen soll. Dasselbe stellt nach dem Chemiker 
Dr. Heinrich Meyer eine ölige, schwarzbraune Flüssigkeit dar, 
welche ein spec. Gewicht von 1-086 bei 15° C. besitzt. Als wesent¬ 
liche und wirksame Bestandthcile enthält das Desinfectol Harzseifen, 
die Natriumverbindungen von Phenolen und Kohlenwasserstoffe. 
Seifen und Phonylate sind in geeigneter und eigentümlicher Weise 
im Kohlenwasserstoff in Lösung gebracht. Die Reaotion ist alkalisch. 
Zur Verwendung als Desinfectionsmittel muß von der concentrirten 
öligen Flüssigkeit eine Emulsion mit Wasser in der Stärke von 
2—7"ö% Desinfectol hergestellt werden. In dieser Menge mit 
Wasser verrührt, resultirt eine ausgezeichnete Milch. Als besonders 
bemerken8werth hebt Meyer hervor, daß die giftige Carbolsäure in 
diesem Präparate nicht nachweisbar ist. 

Dr. Beselin hat nun im hygienischen Institute zu Rostock auf 
Anregung Uffelmans’s die desinficirende Kraft des Desinfectols 
untersucht und theilt in Nr. 12 des „Cbl. f. Bacter.“ die Resultate 
seiner Untersuchungen mit. Er bezeichnet das Desinfectol als schwarz- 
braune, ziemlich dicke, ähnlich, nur schwächer, wie Creolin riechende 
Flüssigkeit, die sich in allen Verhältnissen mit Wasser von Zimmer¬ 
temperatur leicht, mit ganz kaltem Wasser langsamer zu oiner 
Emulsion mischt. Die Farbe derselben ist fast rein weiß, bei hohem 
Gehalt an Desinfectol in grau übergehend, immer bedeutend heller als. 
eine gleichprocentige Creolinemulsion. Die Emulsionen sind überaus 
beständig. Solche von 5% und 10% wurden nach lOtägigem 
Stehen, außer einem verhältnißmäßig geringen Bodensatz, unverändert 
gefunden. 

Als Substrat zu seinen Versuchen gebrauchte B. dünnbreiige 
Fäcalien, die ihm von schweren, sicher diagnosticirten Typhusfällen 
im Rostocker Krankenhause täglich frisch zur Verfügung gestellt 
wurden. Die Stühle stammten von verschiedenen Kranken, Ende 
der 2.— 3. Woche. Von diesem Material wurden abgemessene 
Mengen in weiten Gläsern mit Korkverschluß mit gleichfalls abgemes¬ 
senen Mengen frisch bereiteter Desinfectolemulsion zusammengebraoht, 
das Ganze tüchtig durchgesohüttelt und bei Zimmertemperatur hin¬ 
gestellt. Nach einer bestimmten Zeit wurde das Gemisch aufs Neue 
umgeschüttelt, davon mit einer frisch ausgeglühten Platinöse Partikel¬ 
chen auf sterilisirte. Nährgclatine übertragen. 

Das Ergebniß dieser Versuche lautet dahin, daß das Desinfectol 
auf dünnflüssige Fäcalien als ein kräftiges Desinficiens wirkt. Eine 
6 % Emulsion genügt, um binnen 18 Stunden ein gleiches Volum 
dünnbreiiger Fäcalien völlig zu desinficiren. Mit einer 10% Emulsion 
vermag man in 18 Stunden sogar das doppelte Volumen dünn- 
breiiger Fäcalien vollkommen zu desinficiren. Eine 10% Emulsion 
vermag eine gleiche Quantität Fäcalien schon in % Stunde zu 
desinficiren. 

, Vergleichende Untersuchungen haben ergeben, daß eine 5% 
Desinfectolemulsion dem 12-5°/ 0 Creolin, der 33% Salzsäure, der 
5% Carbolsäure, der nicht sauren uud salzsauren 2% 0 Sublimat¬ 
lösung in Bezug auf dünne Fäces mindestens gleichwerthig ist. Die 
10% Desinfectolemulsion Ubertrifft aber au Wirksamkeit auf dünn¬ 
flüssige Fäcalien alle anderen genannten Desinfectionsmittel und ist 
der 50% Schwefelsäure jedenfalls an die Seite zu stellen. 

Ob das Desinfectol ungiftig ist, vermag B. nicht zu ent¬ 
scheiden. Aetzende Eigenschaften besitzt es nicht. Auch als Anti- 
septicum in der chirurgischen Praxis wird das Desinfectol von 
Prof. Gies und Oberstabsarzt Dr. Rothe mit Erfolg angewendet. 

S. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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Handbuch der gpeciellen Pathologie und Therapie 

für praktische Aerzte und Studirende. Von Dr. Hermann 
Efchhorst, o. ö. Professor der speeiellen Pathologie und The¬ 
rapie nnd Director der medio. Universitätsklinik in Zürich. 
II. Band. Mit 128 Holzschnitten. Vierte, umgearbeitete und 
vermehrte Auflage. Wien und Leipzig 1890. Urban & 
Schwarzenberg. 

Dem ersten Bande der 4. Auflage des bestens bekannten 
EiCHHOBST’schen Handbuches ist raRch der zweite gefolgt, welcher 
die Krankheiten des Verdauungs-, Harn- uud Geschlechtsapparates 
behandelt. 

Wie schon mehrfach hervorgehoben, bedeuten Neuauflagen 
dieses in fast alle lebenden Sprachen übersetzten Meisterwerkes stets 
Ergänzungen nnd Bereicherungen der letzten Ausgabe mit Berück¬ 
sichtigung der Fortschritte der Heilkunde. Auch der vorliegende 
zweite Band bat nicht nur an Umfang erheblich gewonnen, fast 
jeder Abschnitt weist eine Vermehrung des Inhaltes auf. 

So finden wir bei den Krankheiten der Mundhöhle Raynaud’s 
„schwarze Zunge“, bei den Erkrankungen des Rachens die Hyper¬ 
trophie der Zungenbalgdrüsen erwähnt, bei den Magenkrankheiten 
die Hyper- nnd Hypacidität dos Magensaftes, bei den Krankheiten 
der Bauchspeicheldrüse die Panereascysten berücksichtigt. Der Ab¬ 
schnitt „Nierenkrankhoiten“ hat durch geänderte Anordnung des 
reichen Stoffes an Uebersichtlichkeit gewonnen. 

Von hervorragendem Werthe sind die „diagnostischen Vor¬ 
bemerkungen“, mit welchen Eichhobst den Abschnitt „Erkrankungen 
des Magens“ in der neuen Auflage einleitet. Die Arbeiten der 
Berliner Schule, die mechanischen nnd chemischen Untersuchungs¬ 
methoden haben hier entsprechende Berücksichtigung gefunden. 

Der Leser wird auch diesen Band befriedigt aus den Händen 
legen. Znmal der praktische Arzt, welcher rasche Orientirung 
sucht, wie der Studirende, der Belehrung begehrt, werden Eichhobst’s 
Handbuch Su würdigen wissen. J. L. 


Lehrbuch der Kinderkrankheiten. Von Dr. Adolf Ba- 

gin8ky , Privatdoeent für Kinderheilkunde an der Universität 
Berlin. 3. Auflage. Brannschweig 1889. Friedr. Wreden 
Baginsky’s Lehrbuch der Kinderkrankheiten hat sich bei den 
Aerzten nnd Stndirenden bereits derart eingebürgert, daß eine ein¬ 
gehende Besprechung dieses Werkes überflüssig erscheinen muß. Es 
sei daher nur constatirt, daß auch die 3. Auflage den gegenwärtigen 
Standpnnkt unserer Kenntnisse in getreuer Weise wiedergibt und 
daß der vielerfahrene und wissenschaftlich sehr thätige Verfasser es 
verstanden hat, den Anforderungen der exacten Forschung, sowie 
den Bedürfnissen der Praxis in gleicher Weise zu genügen. Nebst 
den jedem einzelnen Abschnitte hinzugefügten Errungenschaften der 
neueren Zeit, ist das Capitel der Nervenkrankheiten und jenes der 
Verdauungskrankheiten, entsprechend den auf diesen Gebieten statt¬ 
gefundenen Fortschritten, einer gründlichen Umarbeitung unterzogen 
worden. Daß der Umfang des Werkes (954 Seiten) nicht recht in den 
Rahmen einer „Sammlung kurzer medicinisoher Lehrbücher“ hinein¬ 
paßt, kann wohl dem Autor nicht zum Vorwurf gemacht werden. 
Im Gegentheil ist mit Sicherheit anzunebmen, daß das auch äußer¬ 
lich gut ausgestattete Buch die Anzahl seiner Freunde vermehren 
wird. S. 

Die Krankheiten der Nase nnd des Nasenrachen¬ 
raumes, nebst einorAbhandlung überElektrolyse. 
Von Prof. Dr. Rudolf Voltolini. Breslau. E. Morgenstern. 
Das ' vorliegende letzte Werk des verewigten Verf.-, welches 
einen stattlichen Band von 474 Seiten darstellt und, wie dies 
in der Vorrede hervorgehoben wird, das Ergebniß eiuer 30jäh- 
rigen Arbeit und Erfahrung auf dem Gebiete der Nasen- und 
Rachenkrankheiten ist, stammt aus der Feder eines Mannes, 
den wir einerseits als den Begründer, andererseits aber als den 
Apostel der rhinoskopischen Untersuchung bezeichnen müssen, 
der sein bestes Können daran gesetzt hat, um dieser Unter¬ 
suchungsmethode Eingang in der ärztlichen Welt zu verschaffen 
und eine auf der Erkenntniß der einschlägigen Krankheiten 
basirende, rationelle und zielbewußte Behandlung derselben an¬ 


zubahnen. Seiu ganzes Wissen, seine ganzen Erfahrungen, die 
er in diesem langen Zeiträume gesammelt, finden wir in diesem 
Werke niedergelegt, die mitgetheilten zahlreichen Beobachtungen und 
genau geführten Krankengeschichten erwecken das Interesse nicht 
blos des Specialisten, sondern auch jedes praktischen Arztes und 
bilden eino Fundgrube trefflicher Rathschläge, welche man gelegent¬ 
lich in schwierigen Fällen mit Nutzen befolgen kann. 

Es geht nicht gut an, in einer kurzen Anzeige den reichen 
Inhalt dieses Buches auch nur annähernd ausführlich' zu besprechen; 
es möge nur gestattet sein, das Neue oder von anderen Anschauungen 
Abweichende hervorzuheben und daran einige Bemerkungen zu 
knüpfen. 

Denjenigen, die sich für diesen Gegenstand interessiren, soll 
aber das gründliche Studium dieses Werkes hiemit angelegentlich 
empfohlen sein. 

Der I. Abschnitt enthält eine gute Darstellung t der Anatomie 
und Physiologie der Nasenhöhlen und deren Schwellkörper, dann 
findet man einen Hinweis, daß man oft bei Tumoren im Nasen¬ 
rachenraume eine Vergrößerung des über der äußeren Wand des 
Antrum Highmori zwischen don Blättern der Fascia buccalis ge¬ 
legenen Fettklumpen, des sogenannten Corpus adiposum malae findet 
Die durch diese Vergrößerung bedingte stärkere Wölbung der Wange 
und das Heruntergezogensein des unteren Augenlides hält Volto¬ 
lini für ein pathognomonisches Zeichen vorhandener Tumoren im 
retronasalen Raume. 

Der II. Abschnitt ist der Technik der Untersuchung ge¬ 
widmet. Es werden zunächst die verschiedenen Lichtquellen (Sounen-, 
Gas-, Albo-Carbon- und elektrisches Licht) besprochen, sodann die 
Untersuchung der Nase mittelst Trichters von vorne, hierauf die 
Pharyngoskopie ausführlich abgehandelt Zur genauen Besichtigung 
des Nasenrachenraumes empfiehlt Voltolini die Anwendung seines 
Gaumenhakens, zur Besichtigung des obersten Abschnittes der 
hinteren Rachenwand prismatische Spiegel und zur Erzielung deut¬ 
licherer, vergrößerter Bilder die Anwendung von Vergrößerungs¬ 
spiegeln. Bezüglich der Anwendung des Gaumenhakens möchte 
ich mir die Behauptung erlauben, daß nach meinen Erfahrungen 
die meisten Patienten denselben erst nach langer Uebung, bei der 
ersten Untersuchung gewöhnlich absolut nicht vertragen, nnd daß 
man bei einiger Uebung in der Rhinoskopie auch ohne denselben 
recht gut zum Ziele kommen kann. 

Im HI. nnd IV. Abschnitte werden die Krankheiten der Nase 
und des Nasenrachenraumes sowohl in Beziehung auf pathologische 
Anatomie und den klinischen Verlauf, als auch in Bezug auf die. 
Therapie mit besonderer Gründlichkeit behandelt und durch viele 
eingestreute Krankengeschichten erläutert. 

Der V. Abschnitt handelt von der Elektrolyse nnd den elektro¬ 
lytischen Operationen, welche Voltolini namentlich für die Tumoren 
im Nasenrachenräume in Anwendung gezogen wissen will. Nach 
einer kurzen historischen Einleitung folgt eine Beschreibung der 
Batterien und der zumeist von Voltolini selbst construirten In¬ 
strumente, wie der elektrolytischen Schneideschlinge, der Zangen, 
Pincetten, Nadeln, Gabeln und plattenförmigen Elektroden. 

In einem Nachtrage endlich wird von der Durchleuchtung der 
Nase, des Nasenrachenraumes und der Mundhöhle gesprochen. Dieso 
Untersuchungsart ist zwar nicht neu, allein Voltolini hat dieselbe 
mit kleinen elektrischen Glühlämpchen durehgeführt und gibt sich 
der Hoffnung hin, daß mit Hilfe derselben gewisse Erkrankungen, 
namentlich solche der Gewebe, werden erkannt werden; man 
wird, wie er sich ausdrückt, die Gewebe bei lebendigem Leibe mikro- 
skopiren können. Inwieweit diese Methode zur Diagnose der Höhlen¬ 
erkrankungen wird verwendet werden können, müssen noch weitere 
Versuche lehren; bezüglich der Erkennung der Erkrankungen der 
Gewebe kann aber der Ref. nach seinen Versuchen die Hoffnungen 
des Verf.’s nicht theilen, weil bei der elektrischen Durchleuchtung 
die einzelnen Gewebstheile keineswegs differenzirt, sondern gleich¬ 
mäßig glühend-roth erscheinen. 

Aus diesen kurzen Inhaltsangaben ist ersichtlich, wie reich 
der Stoff dieses Buches ist. Es ist in seiner ausführlichen und überaus 
klaren Beschreibung als ein Lehrbuch im besten Sinne des Wortes 
zu bezeichnen und sollte in keines Arztes Büchersammlung fehlen. 

_ Dr. Wilh. Roth. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

Ref.: Dr. H. Lohnstein , Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Zuelzbr in Berlin. 

(Fortsetzung.*) 

III. Niere. 

Literatur: 138. Med. and Surgical Reporter, 29. Sept. 1888. — 
139. Verhandlungen d. 61. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte zu 
Cöln. — 140.Journ. of the American medical Association, 10. März 1889. — 141 
Socifetß de Chirurgie zu Paris, 13. März 1889. — 142. British Medical Journal, 
1154, 1887. —*143. Deutsche med. Wochenschrift, Nr. 3, 1888. — 144. Mcdi- 
cinsk Rov., Juni-Octob. 1888. — 145. Gazette m6d. de Strasbourg, 1., IV., 

1888. — 146. Medical Association of Genito-Urinary Surgeons, 18.—20. 
Sept. 1888 zu Washington. — 147. ibid. — 148. cf. Int. Centralbl., Nr. 2, 

1889. — 149. Deutsche med. Wochenschrift, Berlin 1888. — 150. New-York 
Medical Journ., Dec. 1888. — 151. cf. Int. Centralbl. etc , Nr. 1, 1889. — 
152. ibid. — 153. cf. Int. Centralbl., Nr. 2, 1889. — 154. ibid. — 155. 
Academie de mßdecine, 28. Aug. 1888- — 156. ibid., 5. Februar 1889. — 157- 
Bulletin de la Soci6te anatomique zu Paris, 11. Januar 1889. — 158- 
Sitzungsber. d. Pathol, Society of London, Lancet, 9. Febr. 1889. — 159. Berl. 
klin. Wochenschr., Nr. 4, 1889. — 16'*. British Medical Journal, Jahrg. 1888- 

— 161. Journ. of the American medical Assoc. 1889. — 162. Virchow’s Archiv, 
Bd. 114, Nr. 3. — 163. Arcb. f. path. Anatom, u. Phys., Bd. 111, Nr. 3. — 164. 
Med. Record. 1889. — 165. Zur Aetiologie der acuten Nephritis. (Nach Sem. m6d., 
1889, März.) — 166. Verhandl. d. Gynaecological Society zu London, 16. Nov. 
1888. — 167. Verhandl. d. 61. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte zu Cöln, 1888. — 168. Journal de mödccine de Paris, 25. Nov. 1888. 

— 169. Int. Centralbl. Nr. 3, 1889.— 170. Traite de l’albuminurie et du mal 
de Bright, Paris 1888. — 171. Sitzungsber. d. Societi med. des Höpitaux zu 
Paris, 23. Jan. 1888. — 172. Verhandl. d. Mississippi valley Medical Society zu 
St. Louis, 2, II., 1888. — 173. Lyon medical, 3. Juni 1888. — 174. The 
Lancet, 14. April 1888. — 175. ibid., Januar 1888- — 176. Zeitschrift fürGe- 
burtsh. u. Gynäkol., Bd. XIV., Heft 2. — 177. Zeitschr. f. klin. Med., XIII., 
pg. 368. — 178. Zeitschr. f. Gynäkol., Bd. 23. — 179. Wratsch, Nr. 27, 1888. 

— 180. Revue des Sciences med., Octob. 18 J 8. — 181. The Journal of the 
American Medical Association, 23. März 1888. — 182. Zeitschr. f. klin. Med., 

1888. — 183. Thöse de Paris, 1888. — 184. Lancet, 14. Juli 1888. — 185. 
Lo Praticien, 10. December 1888. — 186. Medical Press and Circular, 
5. Sept. 1888. :— 187- Medical Society zu London, 8. April 1889. — 188- 
Semaine medicale, Nr. 1, 1889. — 189. The N. Y. Medical Record, Februar 

1889. — 190. The N. Y. Medical Record, 5. Januar 1889. — 191. Lancet, 
22. December 188^. — 192. Dissertation, Berlin 1887. — 193. Bulletins de 
l’Academie royale de Belgique, Nr. 21, 1888. — 194. ATch. f. pathol. Anat. 
u. Physiol., Bd. 91, Nr. 3. — 195. Revue med. de Louvain, Juli 1888. — 
196. Arch. f. experim. Anatom, n. Physiol., Bd. 114, Heft 1. 

Von deu die Niere betreffenden Publicationen mögen hier 
zuerst die neueren Arbeiten, respcctive Beobachtungen über die 
Ergebnisse der Operationen an dem qu. Organ folgen. Hier ist vor 
Allem die relativ große Anzahl von Nephrectoroien, die besonders 
in England und Amerika ausgefübrt sind, erwäbnenswerth. Trotzdem 
die qu. Operation noch nicht ein Jahrzehnt lang überhaupt aus¬ 
geführt wird, existiren doch, nach den Zahlen der publicirten 
Statistiken zu schließen, bereits hunderte von Fällen, in welchen 
die Operation vorgenommen worden ist. Unter den neuen Statistiken 
ist erwähnenswerth die von Charles Braün (Philadelphia) (138), 
welche gleichzeitig die Nephrolithotomie umfaßt. In Amerika ist 
seit der ersten Operation Morris 1 (1880) an 50 Personen die 
Nephrolithotomie ausgeführt worden, und zwar an 28 Männern 
(3 Todesfälle) und 22 Frauen (5 Todesfälle) (mithin also 16 Pruc. 
Mortalität). Operirt wurde meistens mittelst des Lumbarschnittes. 
Nephrectomio wurde ausgeführt in 63 Fällen, worunter 19 Todes¬ 
fälle (■=. 30’16 Proc. Mortalität). Es wurden operirt 17 Männer 
und 46 Frauen. — 24mal wurdo der Lumbarschnitt (Mortalität 
26’5 Proc.) und 20mal der Bauchschnitt (20 Proc. Mortalität) aus¬ 
geführt. Von neueren deutschen Statistiken ergibt sich aus derjenigen 
Schmidt’s (Cöln) (139) aus dcrBAKDENHEUEtt’schen Clicntel Folgendes: 
Summe der Nephrectomieu: 35 (17 an Männern, 18 an Frauen 
ausgeführt). Alter der Patienten zwischen 3—57 Jahren. 
Indicationen: 7mal wegen Tubereulose, 7mal wegen Hirnabsecß, 
4 wegen Pyonephroso, 5mal wegen Pyelitis, lmal wegen Cysten- 

*) Siche Nr. S. 


niere, 3mal wogen Hydronephrose, - lmal wegen gütartigon, 3mal 
wegen malignen Tumors der Niere. — In 3 Fällen erfolgte Exstir¬ 
pation einer gesunden Niere wegen Verletzung gelegentlich der 
Hystercctomie. Von den 35 Operirten gingen 8 an den Folgen der 
Operation, 2 an anderen Krankheiten zu Grunde. — 2 Nephro¬ 
tomien verunglückten, so daß Verf. entschieden die Nephrectomie 
der Nephrotomie vorzieht. — Weniger günstig lauten die jüngst in 
der Literatur publicirten Fälle, in denen die Exstirpation der Niere 
ausgeführt wurde. Minabd erwähnt 2 von ihm operirte Fälle. 
In dem ersten war die Niere durch eine Kugel, die weiterhin bis 
gegen die Bauchaorta vorgedrungen war, verletzt worden. Trotz 
der Exstirpation Exitus letalis in Folge des vorangegangenen Blut¬ 
verlustes 48 Stunden nach der Nephrectomie. — Peritonitis konnte 
bei der Section nicht bemerkt werden. — Ein ähnlich verlaufener 
Fall (Tod nach 15 Tagen) wurde von Keen und ein dritter von 
Price (140) beobachtet; in letzterem erfolgte jedoch nach der Nephrec¬ 
tomie Genesung. — Was die Operationstechnik anlangt, so empfiehlt 
Verf. in denjenigen Fällen, in welchen voraussichtlich noch Nachbar¬ 
organe betroffen sind, die Laparotomie, mittelst welcher man gleich¬ 
zeitig die Nachbarorgane exploriren kann, bei dem Lumbarschnitt 
dagegen nur dort, wo es sich um eine isolirte Erkrankung der 
Niere handelt. — In einem Falle, in welchem nach einer Verletzung 
durch Hufschlag Ruptur eines Ureters erfolgte, exstirpirte Tjllaux (141) 
die zugehörige Niere. Genesung. 

Ferner berichten dann noch über Nierenexstirpationen War- 
rington, Haüvard (142) (Tuberculose der Niere, Tod nach der 
Operation), Riegner (143) (Cystenniere, Heilung nach 2 Monaten), 
Christie (144) (2 Fälle von Pyo-, bezw. Hydronephrose, beide mit 
Ausgang in Genesung), Eug. Boeckel (145) (Carcinom, Tod nach 
36 Stunden. Thrombose der Aorta und Embolien in der gesunden 
Niere). 

Behufs endgiltiger Feststellung der Diagnose gewisser Nieren- 
affectionen, die voraussichtlich die Exstirpation dieses Organs zur 
Folge haben werden, empfiehlt Hingston (146) den Lumbarschnitt, 
als die prognostisch ungefährlichste Sohnittführung. Eine längere 
Discussion über die Frage der Schnittführung entspann sich im An¬ 
schluß an eine Mittheilung Frank Rockwell’s (147), welcher nach 
Ausführung des Lumbarschnittes nicht im Stande war, bei einem Pat. 
zu einem sicheren diagnostischen Ergebnisse zu gelangen. Parks 
dagegen ist letzteres in einem Falle von Nephrolithiasis ohne Schwie¬ 
rigkeit gelungen, ebenso William Mc. Cormac in 3 Fällen von 
verschiedenen Nierenaffectionon. Fr. Lange empfiehlt, in allen Fällen, 
in welchen man perineale Eiterherde vermuthet, den Lumbarschnitt, 
bei Nephrolithiasis dagegen die Laparotomie auszuführen, um gleich¬ 
zeitig beide Nieren exploriren zu können. In manchen Fällen 
täuschen nämlich Stricturen in einer Niere Symptome vor, welche 
auf die Gegenwart von Concrementen gerade in der entgegengesetzten 
Niere schließen lassen. Gill Wyli.e hat im Ganzen 7 Operationen 
an Nieren, 2 Nophrorraphien, 5 Nephrectomien ausgeführt. Letztere 
Operation ist besonders bei Lageveränderungen der Nieren indicirt. 

In Fällen von schwerer Nierenläsion, zumal dort, wo es sich 
um Nierenblutungen handelt, empfiehlt Otis (148), falls die indirccten 
Blutstillungsmethoden nicht zum Ziele führen, gleichfalls die Neph¬ 
rectomie. 

Auch die operative Behandlung der Nephrolithiasis hat in 
jüngster Zeit mehr Anhänger gefunden, obwohl auch hier die 
Operationsresultate nur zum Theil den Erwartungen entsprechen, 
die man der qu. Operation entgegenbringt. — Bei einem von 
Israel (149) operirten Patienten trat 6 Tage nach der Operation 
Tod an Suppressio urinae (wahrscheinlich reflectorischer Natur) auf; 
freilich war anch die andere Niere steinhaltig. 

In einer analogen Beobachtung Lange’s (150) trat zwar 
Heilung ein, indessen konnte die gleichzeitig bestehende Pyone- 
phroso des Patienten nicht beseitigt werden. Auch Jacobsohn (151) 
konnte unter 4 Fällen von Nierensteinen nur, 2mal Heilung erzielen. 
In den beiden anderen Fällen Tod an den Folgen der Operation. 

Mehr Erfolg hatte Barker (152). Er operirte in 5 Fällen 
(2 Weiber, 3 Männer), und zwar in 3 Fällen wegen Concrement- 
bildung, lmal wegen tuberculöser und lmal wegen gonorrhoischer 
Pyelitis. 4mal Genesung, lmal Exitus letalis. In einem Falle, in 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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welchem nach Anlegung einer Arterienklemme tiefer Collaps, wahr¬ 
scheinlich als Rcflexaction ein trat, erholte sich Pat. unmittelbar nach 
Beseitigung der hemmenden Pincette. 

In einem Falle STEAVtNSON’s (153) ging der Patient an einer 
8 Tage nach der Operation ebgetretenen Blutung zu Grunde. Bei 
der Autopsie ergab sich als Ursache des Todes die Anfüllung des 
Nierenbeckens der operirten Niere mit einem faustgroßen Blut¬ 
gerinnsel. 

Auch über Nephrorrhaphie liegen einige Beobachtungen 
vor. Dieselbe hat nur dann dauernden Vortheil, wenn man die 
Niorensubstanz selbst, also die Rinde, durch tiefe Nähte mit der 
Bauchwand vereinigt, wie es z. B. Gould (154) ausgeführt hat. 
Derselbo näht zunächst durch 3 tief den Cortex renis umfassende 
Nähte die Niere an und fixirt dann durch oberflächliche Nähte die 
Kapsel an die Bauchwand. Genau ebenso verfuhr Guermonprez (155) 
mit demselben Resultate bei einer 37jährigen Frau und Terii.lon(156) 
bei einer Pat., bei welcher die bewegliche Niere von der Schwanger¬ 
schaft zurückgeblieben war. Tuffier (157) endlich räth, die Nieren¬ 
kapsel zu entfernen und die blutige Oberfläche der Niere selbst mit 
der Fascia transversa zu vereinigen. Erprobt ist dies letztere Ver¬ 
fahren von ihm bis jetzt nur bei Thieren. 

Die histologischen Veränderungen bei Hydronephrosis beschreibt 
Griffitbs (158). Er unterscheidet 2 Reihen von Processen: 1. All- 
mäliges Verschwinden der Tubuli und 2. mäßige Wucherung des 
interstitiellen Gewebes. Beide Gruppen von Veränderungen lassen 
sich ungezwungen durch den Druck, dem das Nierenparenchym 
ausgesetzt ist, erklären. 

Einen Fall von intermittirender Hydronephrose, in dem mittelst 
bimanueller Handgriffe das Hinderniß, eine Knickung dos ent¬ 
sprechenden Ureters, ausgeglichen werden konnte, besebn ibt 
Kappe (159), nnd Hunter (160) erwähnt einen ähnlichen Fall, in 
dem man einen hydronephrotischen Tumor durch entsprechende Hoch¬ 
lagerung derselben Seite zum Verschwinden bringen und im Anschluß 
daran eine enorme Harnfluth beobachten konnte. 

Von nicht entzündlichen Nierenaffectionen sind noch einige 
Fälle von Nierencarcinom, u. A. eine interessante Beobachtung von 
Lamb und Lincoln (161) , sowie eine Beschreibung der Verände¬ 
rungen erwähnenswerth, denen die Niere beim Diabetes unterliegt. 
So berichtet FtCHTN'ER (162) über eine glycogenartige Degenera¬ 
tion der HENLK’schen Schleifen, während in der Rinde nur 
selten nachweisbare Veränderungen aufzuflnden sind. Auch in dem 
interstitiellen Bindegewebe finden sich Wucherungen. Eine Er¬ 
klärung dieser Veränderungen ist dem Verf. bisher noch nicht ge¬ 
lungen. Die Anatomie der Nierencysten hat Pbilippson (163) 
an einem von ihm behandelten Fall studirt. Es handelte sich hier 
um eine zusammengesetzte Cyste. Das zurückgebliebene Nieren¬ 
gewebe war durch interstitielle Bindegewebswucherungen und Atrophie 
der Glomeruli verändert. In einzelnen derselben kommt es zur Ab¬ 
schnürung in Folge der Bindegewebswucherung. Hierauf verdünnt 
sich die Membrana propria der Glomeruli, es kommt zur Schwellung 
und eventuell auch Torsion der Membrana propria, und alle diese 


F e u i 11 e t o n. 

Das Verkältniss des Badearztes zum Hausarzt. 

Von Dr. V. Tymowski in Bad Schinznach (Schweiz). 

Schon zu wiederholtem Male habe ich mit einigen Specialisten 
die Frage besprochen, wie sich der Badearzt gegenüber den ihm 
an vertranten Kranken verhalten soll, die außer der allgemeinen auch 
eine locale, specielle Behandlung bedürfen. Es handelt sich hierbe- 
sonders um locale Behandlung der Kehlkopf- und Rachenkrank¬ 
beiten, aber auch einiger chirurgischen und gynäkologischen Fälle. 
Auf der letzten Naturforscher-Versammlung in Heidelberg hat Dr. 
Haupt aus Soden diese Fragen in folgenden Hauptsätzen zusammen- 
gefaßt: 

„1. Nach den gegenwärtigen Anschauungen über die Therapie 
der chronischen Nasen-, Rachen- und Kehlkopfkrankheiten hat eine 


Momente führen gemeinschaftlich zu der ersten Anlage der Nieren¬ 
cysten, die dann an Größe sehr schnell zunehmen. 

Von einzelnen entzündlichen Affectioneu, bei denen chirurgische 
Eingriffe nothwendig waren, sind zwei durch Colpo-Uretero-Cysto - 
tomie geheilte Beobachtungen Bozemann’s (164) bemerkenswerth. 
Für die operative Behandlung dieser Fälle empfiehlt es sich, zunächst 
von dem Ureteronwinkel der betreffenden Niere auszugeben, einzu¬ 
schneiden und von hier aus gleichzeitig Nierenbecken, Blase und 
Ureter zu exploriren. Besonders gut gelingen mittelst dieses Schnittes 
Ausspülungen des Nierenbeckens, wodurch man schädliche secundäre 
Einwirkungen des Eiters auf die erkrankte Ureteren- und Nieren¬ 
beckenschleimhaut paralysiren kann. Ferner gelingt die Dilatation 
der Ureteren und eventuelle Weiterbeförderung eingeklemmter 
Steine, so daß man in einer Reihe von Fällen selbst die Nephro¬ 
tomie vermeiden kann. Schließlich hat man, da es sieh niemals 
um eine eingreifende Operation handelt. nicht mit so ängstlicher 
Sorgfalt- auf die Beschaffenheit der anderen Niere Rücksicht zu 
nehmen. 

Die Erforschung der Pathologie der Nierenentzündung, 
sowie des unter dem Begriff des Morbus Brightii zusammengefaßten 
Symptomencomplexes ist auch in dem verflossenen Semester zum 
Gegenstand einer großen Anzahl von Arbeiten, theils im Anschluß 
an Einzelbeobachtungen, theils auf Grund längerer klinischer Er¬ 
fahrungen gemacht worden. Für die Aetiologie der acuten 
Nephritis bemerkenswerth sind die Resultate, zu denen Manna¬ 
berg (165) nach bacteriologischcr Untersuchung des Harns von 
11 Nephritikern gelangt ist. Es fanden sich 8mal Streptococcen im 
Harn. Von den Patienten litt 1 an Nephritis post scarlatinam, 
2 an hämorrhagischer Nephritis. Im Allgemeinen war die Menge 
der Streptococcen proportional der Intensität des Processes. Ueber- 
impfte man Reinculturen auf Kaninchen, so entstand bei letzteren 
stets eine der menschlichen analoge Nephritis; andere Organ¬ 
erkrankungen wurden nicht beobachtet. Ueber ähnliche Coocen- 
funde im Harn von Patienten, die an Nephritis post scarlatinam 
erkrankt waren, berichtet auch Bayard Holmes (166). Ueber das 
Vorkommen von Nephritis bei Infectionskrankheiten im Allgemeinen 
hat Hagenbach (167) umfassende statistische Beobachtungen ge¬ 
sammelt. Bei der Nephritis post scarlatinam werden Frühformen 
(febrile Albuminurie) und Spätformen (eigentliche scarlatinöse 
Nephritis) unterschieden. Von allen infectiösen Nephritiden ist sie 
die häufigste (7O°/ 0 aller Nephritiden). Sie währt meist 2—3 Wochen 
und endet meist in Genesung. Urämische Anfälle wurden unter 
416 Fällen 27mal beobachtet. Bei der Diphtherie hat Verf. in 
30°/ 0 der Fälle Nephritis beobachtet. Der Eiweißgehalt des Harns 
war hier meist proportional der Intensität des Grundleidens. Bei 6 
Patienten (unter 406 Beobachtungen) constatirte man urämische Anfälle. 
Bei Morbilli gehört Nephritis zu den Ausnahmefällcn, während 
sie nicht zu selten als Complication der Varicellen auftritt. Bei 
Typhus, Rötheln, Angina und Parotitis ist sie im Allgemeinen 
selten , bei acutem und chronischem Darmcatarrh naoh Kjelberg 
dagegen eine ziemlich häufige Complication. (Fortsetzung folgt.) 


rationelle örtliche Behandlung die meisten Aussichten auf nach¬ 
haltigen Erfolg. 

2. In den Fällen, in wel-hen auch die Balneotherapie zu Rathe 
gezogen werden soll, ist es praktisch, die nöthige locale Behandlung 
zu Hause zur Anwendung zu bringen und dann erst den Patienten 
zu ungeschmälertem Luftgenuß und ungestörter Gemüthsrnhe in ein 
passendes Bad zu schicken. 

3. Als passende Badeorte empfehlen sich erfahrungsgemäß am 
meisten diejenigen, welche klimatisch bevorzugt und im Besitze von 
Brunnen sind, deren chemische Zusammensetzung sie zu einer Trinkcur 
bei Affectionen der Athmuugs- und Verdauungsorgano in gleicher 
Weise geeignet macht, denn es ist hinlänglich erwiesen, daß solche 
Mineralwässer, wenn sie zum Trinken und Gurgeln, zu Na3en- 
spUlungen und Inhalationen methodisch verwendet werden, einen 
Nachlaß der localen Krankheitserscheinungen horvorzubringen im 
Staude sind und dies besonders dann, wenn letztere in Abhängigkeit 
von Constitutionsleiden stehen. 

2 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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4. Bei dem heutigen Standpunkte der Behandlung der hier in 
Frage kommenden Krankheiten erscheint es als unentbehrlich, daß 
die Aerzte in den eben charakterisirten Badeorten im Besitze der 
Kenntniß der Specialwissenschaft und auch im Stande sind — dort, 
wo es unumgänglich nöthig erscheint — die geeigneten Eingriffe 
vorzunehmen. 

5. Im Allgemeinen handeln die Badeärzte ihrem eigentlichen 
Berufe entsprechend, wenn sie ihre Patienten während einer Badecur 
von der gewöhnlichen kurzen Dauer mit localer Behandlung mög¬ 
lichst verschonen. Diagnosticirt der Badearzt in solchen Fällen 
operationsweise Anomalien, so überläßt er am besten das Weitere 
dem Haus-, resp. dem Specialarzt der Heimat, während er selbst 
seine Curmittel zur Vorbereitung für spätere Radicalcur mit Vortheil 
benützen kann.“ *) 

Aus langjähriger Erfahrung erlaube ich mir dazu einige prak¬ 
tische Bemerkungen mitzutheilen : 

Es ist jedenfalls Pflicht jedes Badearztes, den ihm von einem 
Specialisten anvertrauten Patienten nach der ihm gegebenen In¬ 
struction zu behandeln, allein wie selten diese Instruction gegeben 
wird, oder vielmehr wie selten die Kranken einen wirklichen 
Specialisten zuerst consultiren, ist eine bekannte Thatsache. Wie oft 
dagegen entdeckt der aufmerksame Badearzt eine Krankheit, die 
ganz specielle und locale Behandlung erheischt! In solchem Falle 
soll unserer Meinung nach der Badearzt sich immer mit dem Haus¬ 
arzte des Patienten in’s Einverständniß setzen und den Fall entweder 
selbst local behandeln oder einem Specialisten anvertrauen. 

Es gibt aber Fälle, wo nur das Erste möglich ist, weil der 
Patient nach der verflossenen Curzeit zu der gewöhnlichen Be¬ 
schäftigung zurüokkehren muß. Außerdem will der Patient selbst 
die Zeit bestens ausntttzen, zumal wenn in einem gut eingerichteten 
Badeorte alle Bedingungen zu einer erfolgreichen Behandlung vor¬ 
handen sind. 

Daß die baineologische Behandlung nicht allein ausreicht und 
daß- beim heutigen Standpunkte der speciellen Behandlung auch der 
Badearzt specialistisch gebildet sein muß, das ist eine feststehende 
Thatsache, und es wäre heutzutage unverantwortlich, wenn in einem 
Curorte, den Hals- und Lungenkranke frequentiren, ein Curarzt die 
erforderliche Technik zur Behandlung z. B. tuberculöser Larynx- 
gesehwüre nicht besäße. 

Aus Erfahrung kann ich weiter bemerkeu, daß es von den 
gewissenhaften Hausärzten, die uns die Kranken schicken, meistens 
ausdrücklich gewünscht wird, daß während der Curzeit Alles ge¬ 
schehe, was die Heilung des betreffenden Patienten befördern kann 
— uud wenn der Badearzt bei einer chronischen Pharyngitis außer 
den gewöhnlichen Gurgelungen oder Inhalationen einige Bepinse¬ 
lungen oder Galvanocauterisation macht, besonders wenn er dadurch 
den Heilungsproceß beschleunigt, so ist dies eine in jeder Be¬ 
ziehung gerechtfertigte Handlungsweise. 

Dagegen sollen, unserer Meinung nach, in einem Badeorte 
keine Operationen vorgenommen werden, ohne einen besonderen 
Wunsch des betreffenden Hausarztes, wenn auch die Operation dem 
Badearzte natürlich schiene, wie das bei Drüsen, Tonsillen oder 
Polypenexstirpation der Fall ist. 

Der Hausarzt kennt am besten seine Patienten, der Badearzt 
sein Bad. 

Lassen wir nun die Thätigkeit des Badearztes uns näher in’s 
Auge fassen: 

Es ist zu wünschen, daß heutzutage in einem gut eingerich¬ 
teten Bade Alles vorhanden sei, was nur Natur und Kunst zur 
Heilung der speciellen Fälle bieteu. 

Die Zeiten, wo man sich z. B. bei uns im Bade Schinznach 
nur auf Bäder und Triukcuren beschränkte, sind tempi passati; 
heute haben wir dort Douchen, Inhalationen und Pulverisationen, 
Dampfbäder, Massage, elektrische Bäder und elektrische Cur, mit 
einem Worte Alles, was den verschiedenen Indicationen als Cur¬ 
mittel dienen muß. 

Warum soll also der Badearzt außer des Mineralwassers nicht 
auch dieser Mittel sich bedienen? 


*) „Wiener Med. Presse“, Nr. 42, 1889. 


Wenn bei Knochenleiden (z. B. Caries und Necrose) strengste 
Antisepsis allein nicht zur Heilung führt, während der Aufenthalt 
in einem Schwefelcurorte oft glänzende Erfolge erzielt, so ist dies 
nicht nur Effect der guten Luft, sondern ganz sicher eine specifische 
Wirkung des Schwefelwassers. Desto sicherer wird dieses Ziel er¬ 
reicht, wenn neben dem Gebrauche der Schwefelbäder die Kranken 
möglichst nach den Regeln der Antisepsis behandelt werden, wie 
das heute wohl in allen besseren Schwefelcurorten der Fall ist. 

Ein Kranker mit Knochencaries muß oft im Laufe der Curzeit 
auch chirurgisch behandelt werden, damit die Wirkung des Mineral¬ 
wassers eine intensivere sei. 

Allein vom Schwefelwasser die Elimination von kranken 
Knochentheilen zu verlangen, ist ein Nonsens! Es wäre also unserer 
Meinuug nach unverzeihlich, wenn der Badearzt nicht hie und da 
eine instrumentelle Hilfe dem Kranken angedeihen lassen wollte, 
nur aus Rücksicht, daß dies in den Bereich der speciellen Chirurgie 
gehöre! 80 behandeln wir ja heute auch Larynxgeschwüre nach 

Heryng 'scher Methode zuerst mit Ausschaben der tuberculösen 
Massen, dann mit Medicamenten, und deshalb erzielen wir auch 
Heilungen in Fällen, die bis jetzt als unheilbar galten. 

Nicht anders ist es mit chronischen Metritiden, die zu con- 
statiren oft nur der Badearzt Gelegenheit hat; man kann ihm daher 
nur Recht geben, wenn er sich nicht etwa auf Bäder und Ein¬ 
spritzungen allein beschränkt, sondern eventuell auch Aetzungen 
oder Elektrolyse und andere therapeutische Maßnahmen in Anwen¬ 
dung bringt. 

Die Mineralwässer, besonders auch das uns hier interessirende 
Schwefelwasser, sind heute Medicamente geworden, die man gleich 
den anderen pharmaceutischen Mitteln individualisirend benützen muß. 
Eine specifische Wirkung des Schwefelwassers ist nicht zu leugnen, 
und bei der heutigen Therapie wird sie in allen Fällen, wo 
es sich um Beschleunigung des Stoffwechsels bandelt, mit Erfolg 
benützt, ohne Rücksicht auf die sogenannte Diathcse der Patienten. 

Da die Anschauungen über Pathogenese verschieden sind, so 
kann dies auch mit der Therapie nicht anders sein, so daß ein 
Patient, der zwei gelehrte Aerzte consultirt hat und nach zwei ent¬ 
gegengesetzten Curorten geschickt worden ist, eventuell nicht be¬ 
greifen kann, wie die beiden Aerzte zum gleichen Ziel gelangen 
können. Und doch führen viele Wege nach Rom. Auf die Art und 
Weise der Anwendung eines Heilmittels kommt unendlich viel an. 

Wenn auch in der letzten Zeit die Badeeuren von den 
Aerzten mit einigem Skeptieismus behandelt wurden, so war das nur 
eine vorübergehende Periode in der therapeutischen Epoche. Gerade 
in der Therapie ist in dem letzten Deccnnium, sowohl was einzelne 
Mittel, als ganze Methoden anbelangt, ein gewaltiger Umschwung 
zu verzeichnen, und haben seculäre Erfahrungen ihren alten Werth 
voll und ganz sich zu erhalten verstanden. 

Ich erwähne nur die heutige, auf die Pathogenese begründete 
Therapie, deren genaue Kenntniß zur Bestätigung und zumiVerständniß 
der Empirie führt. Wir wissen z. B., daß eine infectiöse Krankheit 
durch specifische Bacterien entsteht, aber wie würde sich der Arzt 
irren, wenn er immer nur durch antiseptisohe Behandlung die 
Krankheit heilen wollte! Die Producte der Bacterien oder Folge¬ 
zustände der bacteriellen Invasion im Organismus können nicht mehr 
durch Antisepsis behandelt werden, und die bewährten Mittel und 
Methoden der Empirie werden viel mehr am Platze sein. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Frage der Behandlung der acuten Morphin- oder 
Opiumvergiftung mit Atropin wird anläßlich eines neuen ein¬ 
schlägigen Falles von Kobert in Nr. 5 der „Fortschr. d. Med.“ 
besprochen. Binz empfiehlt bei schwerer Morphinvergiftung das 
Atropin auf das Wärmste. Selbst an Versuchsthieren kann man zeigen, 
daß der durch eine große Gabe Morphin stark erniedrigte Blutdruck 
durch Atropin binnen wenigen Minuten auf das Doppelte und höher 
steigt, denn die durch das Morphin krankhaft gereizten Herzvagi 
werden plötzlich außer Thätigkeit gesetzt und das bis dahin enorm 
langsam und daher unvollkommen arbeitende Herz arbeitet jetzt 
mit einem Male sehr schnell. So werden die beiden gefährlichsten 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 13. 


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Symptome der Morphinvergiftung, die Herabsetzung des Blutdruckes 
und die Verlangsamung des Pulses, gleichzeitig beseitigt. Dazu 
kommt eine dritte wichtige Wirkung, nämlich die Anregung der durch 
Morphin lahmgelegten Hirnthätigkeit. In einem von Kobhrt beob¬ 
achteten Falle von tödtlicber Morphin Vergiftung (Cyanose, sehr 
herabgedrückte Athmung, unregelmäßiger, schwacher und seltener 
Puls, enorm verengte Pupillen, tiefe Betäubung, Temperatur 36‘2° 
im Rectum) schwand 15 Minuten, nachdem 10 Milligrm. Atropin¬ 
sulfat auf eiumal subcutan eingespritzt waren, die Cyanose; die 
Herztöne wurden regelmäßig, erhoben sich aber nicht über 40 in 
der Minute. Als jedoch binnen 20 Minuten nochmals 10 Milligrm. 
Atropin gegeben worden waren, stieg der Puls auf 60. Die bis 
dahin engen Pupillen wurden normal weit. I 1 /, Stunden später war 
die Pulsfrequenz 80, aber das Coma bestand noch, ließ jedoch auch 
bald nach, um nie wiederzukehren. Im Ganzen batte Pat. die 21 fache 
Maximaldose von Atropin erhalten und ging am anderen Tage 
geheilt davon. — In einem kürzlich veröffentlichten Falle von Swan 
hatte ein 36jähriger Soldat 45 Grm. Extr. opii aquosum einge¬ 
nommen. Respiration 8 —10 pro Minute; Pupillen stecknadelkopf¬ 
eng ; tiefstes Coma. Sofort wurde der Magen ausgewaschen und 
1 / 2t Gran Atropinsulfat injicirt. Da aber trotzdem das Befinden 
schlechter wurde, so wurde Pat. in’s Hospital gebracht, was 
20 Minuten in Anspruch nahm. Hier war eine Respiration von 3 
in der Minute, Puls nicht mehr fühlbar, Herztöne sehr schwach, 
tiefe Cyanose. Nachdem 3mal Vis Gran Atropin injicirt worden war, 
änderte sich das Bild wesentlich ; die Inspiratiou wurde tiefer und 
stieg auf 6 pro Minute, die Pupillen wurden etwas weiter. Im Laufe 
des Abends wurde 3—4mal etwas Brandy subcutan gegeben, 
Respiration und Puls wurden Btetig besser, am Morgen konnte Pat. 
bereits etwas Nahrung zu sich nehmen, um 10 Uhr saß er aufrecht 
im Bette, Nachmittags völlige Erholung. Im Ganzen waren s / 4 Gran 
Atropin subcutan eingespritzt, also die 24fache Maximaldose. Swan 
betont, daß nur diese enorm große Atropindose lebensrettend wirkte. 

— Ueber die Anwendung des Ichthyols bei Frauenkrank¬ 
heiten berichtet Dr. Freund aus der Straßburger Frauenklinik in 
Nr. 11 der „Berl. kl. Woch. u sehr bemerkenswerthe Erfolge. Bei 
chronischer Parametritis, chronischer und subacuter Perimetritis mit 
Exsudationen oder Strangbildnngen, bei Vernarbungen der Scheide 
und der Vaginalportion, bei chronischer Metritis, bei Entzündungen 
der Eierstöcke und Tuben, sowie deren Umgebung, bei Erosionen 
am Collum und bei Pruritus der äußeren Genitalien' liefert das 
Ichthyol überraschend schnelle und vollkommene Heilrcsultate. Das 
Mittel wurde innerlich und äußerlich gleichzeitig angewendet; inner¬ 
lich in Form von (dragirten) Pillen zu 0 1 anfänglich 3mal täglich, 
später doppelt; äußerlich wird es in einer Mischung von 

Ammon, sulfo-ichthyol. 5*0 

Glycerin.lOO'O 

auf Wattetampons in die Scheide gebracht. Bei energischen Re¬ 
sorption souren wurde es als Salbe (mit Lanolin aa.) oder als 
Schmierseife 

Ammon, sulfo ichthyol.8 - 0 

Sapo virid.80‘0 

auf die Bauchdecken eingerieben; schließlich wird es zur Unter¬ 
stützung desselben Zweckes als Suppositorium (0-05—0'2) mit Butyr. 
caoao in den Mastdarm gebracht. Bei Erosionen wurde das reine 
Ammon, sulfo-ichthyol aufgepinselt und sehr rasche Heilungen be¬ 
obachtet. Bei Pruritus empfiehlt sich die oben angegebene Salbe 
oder eine lOproc. wässerige Lösung zum Aufpinseln. Die innerliche 
Anwendung übte einen sehr günstigen Einfluß auf das Allgemein¬ 
befinden aus. Die Erfolge, die mit der intravaginalen Anwendung 
erzielt wurden, sind geradezu staunenswert!). Im Vordergründe steht 
die mächtige resorbirende Wirkung des Ichthyols. Dichte Narben- 
zflge im Laquear, welche von früheren unverständigen Aetzungen 
herrührten, verschwanden in wenigen Tagen, parametritische Narben 
wurden nachgiebig, dilnn, dehnbar. Ein ziemlich ausgedehntes 
Exsudat im Douglas, welches Abends noch ab und zu leichte Tem- 
peratursteigerungen bediugte, schwand nach 16tägiger Ichthyol¬ 
behandlung. In einem Falle von gonorrhoischer Salpingitis, bei 
dem die beiden Tuben seit Jahren in mächtige, harte, unbewegliche 


Tumoren verwandelt waren, verschwanden in wenigen Tagen die 
peripheren Enfzündungsprodncte. Die rechte Tube hat sich unter 
schleimigen Abgängen aus den Genitalien vollständig entleert, während 
die linke als ein gut zu umschreibender Sack vom Uterus genau 
abzugrenzen ist. Nebst der resorbirenden besitzt das Ichthyol auch 
eine schmerzstillende Wirkung, die sich insbesondere bei der Ent¬ 
zündung der Douglas’schen Falten und bei solchen Perimetritiden 
auffallend erwies, welche Tenesmus ani erzeugten. 

— Normaliter ist bei Inspection des Rachens von einem ar¬ 
teriellen Pulse am Gaumensegel nichts wabrzuuehmen. Hingegen 
hat Friedrich Müi.ler rhythmische Pulsationen des Gaumensegels 
beobachtet, deren Entstehung nnd Bedeutung die gleichen sind wie 
die des Capillarpulses. Dieses Phänomen wurde zuerst in einem Falle 
von Aorteninsufficieuz mit intercurrirender Angina beobachtet. Bei 
jedem Carotispulse hoben sich die Tonsillen und die Gaumenbögen, 
als ob sie sich der Medianlinie nähern wollten, während der freie 
Rand des Gaumens und das Zäpfchen sich durch eine rhythmische 
Bewegung senkten. Es entstand somit eine vorübergehende Ver¬ 
engerung der Rachenhöble und gleichzeitig eine momentane Zunahme 
der Röthe der Schleimhaut. Diese Pulsationen bestanden auch nach 
Heilung der Angina. MüLLK.t fand dieses Phänomen in 4 von 
7 Fällen. Einen ähnlichen Fall von Pulsation des Gaumensegels 
und des Zäpfchens bei Aorteninsufficienz beschreibt Dr. Merklen 
in Nr. 11 der „Gaz. hebd.“. Es handelt sich um einen 21jährigen 
Pat., der seit i 1 / 2 Jahren an Herzstörungen in Folge von Gelenks¬ 
rheumatismus litt. Es bestand eine Mitral- und Aorteninsufficienz 
mit Hypertrophie des linken Herzens. Nebst den classischen Zeichen 
von Aorteninsufficienz und Capillarpuls an den Nägeln bestand auch 
deutliche Pulsation des Zäpfchens und des Gaumensegels. Das 
Zäpfchen zeigt eine mit dem Radial- und Carotispulse synchrone 
Anschwellung. 

— Geo. C. Kingsburg theilt im „Brit. med. Journ.“ vom 
15. März mit, daß er seit 5 Jahren Ergotin bei Erysipel mit aus¬ 
gezeichnetem Erfolge anwendet. Er läßt mit einem Haarpinsel eine 
50proc. Ergotinlösung in destillirtem Wasser bis über die Grenzen 
der erysipelatösen Röthe einpinseln und mehrmals des Tages wieder¬ 
holen. In keinem einzigen Falle versagte diese Behandlung. Nach 
1—2maliger Application des Mittels nimmt das lästige Gefühl der 
Spannung ab, binnen 24 Stunden sind die Schmerzen ganz ver¬ 
schwunden und die Kranken fühlen sich relativ wohl. 

— In der Berliner Dermatologischen Vereinigung („Berl. kl. 
Woch.“, Nr. 11) berichtete Dr. Schirren Uber die auf derLASSAR- 
schen Privatklinik erzielten Resultate bei der Behandlung der 
P80ria8i8 mit Ari8tol. Das in Nr. 7 der „Wiener Med. Presse“ 
besprochene Mittel wurde mit Lanolin und Vaselin, flav. als lOproc. 
Aristolsalbe und lOproc. Aristolpaste (Zinkamylum) verwendet. In 
10 Fällen von Psoriasis übte das Aristol allein, ohne weiteres Zuthuu 
als höchstens einfache Wasserbäder, einen günstigen Einfluß auf die 
Krankheit. Schon nach wenigen Bebandlungstagen waren die 
Schuppen überall entfernt, die psoriatischen Flecken abgeblaßt nnd 
machten einer gesunden Hautbeschaffenheit Platz. In manchen Fällen 
war eine Hautverfkrbung uod Hautreizung, wie sie nach schwacher 
Chrysarobinanwendung auftritt, wahrnehmbar. Bei Lupus blieb das 
Mittel ganz wirkungslos. 

— Dr. Schwabach in Berlin beschreibt in Nr. 3 der „Therap. 
Monatsh.“ einen Fall, bei dom Intoxicationserschsinungen nach Ein¬ 
spritzung einer Cocainlösung in die Pankenhöhle aufgetreten sind. Bei 
einem 45jährigen Manne machte er behufs Beseitigung subjectiver 
Ohrgeräusche, nachdem er sich von der Durchgängigkeit der Tuba 
Eustachii überzeugt hatte, eine Einspritzung von 5 Tropfen einer 
lauwarmen 5proc. Lösung von CocaYuum muriaticum. Auf der Fahrt 
nach Hause verspürte Patient in der Pferdebahn ein unangenehmes 
Gefühl von Trockenheit und Zusaramenziehen im Halse und hatte 
das Bedürfniß, auszuspeien. Bald gesellten sich zu diesen Erschei¬ 
nungen Uebelkeit, Benommenheit des Kopfes, Schwindel, heftiges 
Erbrechen, ein unangenehmes Kältegefühl über dem ganzen Körper 
(kein Fieber), große Mattigkeit. In der Nacht schlief er sehr schlecht, 
der Kopf war ihm sehr eingenommen. Am nächsten Tage wieder¬ 
holten sich die Schwindelanfälle und das Erbrechen noch mehrmals, 

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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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und noch nach 3 Tagen hatte Pat. das Gefühl, als ob ihm die 
Brust zusammen geschnürt würde. Der Appetit fehlte vollständig und 
die Mattigkeit war so groß, daß er seine gewohnte Thätigkeit nur 
schwer wieder aufnehmen konnte. Wenn auch angenommen werden 
kann, daß der nervöse Pat. eine besondere Idiosyncrasie gegen das 
Mittel hatte, so glaubt Schwahach doch, daß man gut thun wird, 
zunächst nur kleine Dosen, etwa 5 Tropfen einer 2proc. Lösung, 
zu injiciren und erst allmälig zu größeren tiberzugehen. Zu empfehlen 
wäre außerdem, den Pat. nicht unmittelbar nach der Einspritzung 
zu entlassen, sondern ihn noch etwa eine halbe Stunde (die Zeit, in 
welcher die Intoxicationserscheinungen in den meisten bis nun beob¬ 
achteten ähnlichen Fällen eintraten) in der Wohnung zurtickzuhalten, 
jedenfalls ihn aber darauf aufmerksam zu machen, daß Erschei¬ 
nungen, wie die oben beschriebenen, eiatreten können. 

— Das Bestreben der Chirurgen, an Kör per stellen, an welchen 
Bindenverbände nur schwer und unsicher angelegt werden können 
(z. B. Lippen), letztere durch antiseptische Schorfverbände zu er¬ 
setzen, zu welchem Zwecke bekanntlich das Jodoform-Collodium 
(1 : 30) vielfach benützt wird, veranlaßte Socin, eine anti86pti8Che 
Verbandpaste anzuwenden, welche nach dessen Mittheilung („Journ. 
med. de Paris“) aus 

Rp. Zinc. oxyd. 

Aq. dest. aa. ...... 50 0 

Zinc. chlorat.5’0—6‘0 

besteht, sehr elastisch ist und sich der Haut fest anlegt. Nach ent¬ 
sprechender Desinfection der Haut und Abtrocknung mit BauNs’scher 
Watte wird die am besten a tempo bereitete Paste mittelst Spatel 
oder Pinsels aufgetragen, wobei die Verklebung etwaiger benach¬ 
barter Körperöffnuugen vermieden werden muß. Die Paste, welcher 
behufs Erhöhung ihrer Festigkeit Wattestückchen einverleibt werden 
können, trocknet in wenigen Minuten und bildet sodann eine solide, 
innig adhärente Kruste, welche Luft und Feuchtigkeit abhält. Nach 
4—6 Tagen wird der „Verband ohne Binden“ abgenommen, die 
Nähte entfernt und die Paste wieder aufgetragen. Bei sorgfältiger 
Antisepsis heilt die Wunde unter dem Schorfverbande prima intentione. 

— Einige Anwendungen des Glycerins bespricht Dr. C. 
Weber in Nr. 3 der „Therap. Monatsh.“. So theilt er mit, daß 
50 Grm. Glycerin, von Erwachsenen per os genommen, als sicheres 
Purgans wirken. Ausgezeichnet wirken häußge Einpinselungen der 
erkrankten Nasenschleimhaut mit Glycerin bei Schnupfen. Sie sind 
der gebräuchlichen Therapie des Schnupfens zweifellos bedeutend 
überlegen. Sie bilden auch ein vortreffliches Palliativum bei der 
chronischen hypertrophischen Rhinitis durch Aufweichen der Krusten 
und Entlastung der hyperämischen Schleimhaut. Bei Ozaena hält 
er Glycorineinpinselnngen für mindestens so wirksam, wie den Gott- 
STEiN’scben Wattepfropf, weil sie die atrophische Schleimhaut eben¬ 
falls zu einer energischen Secretion veranlassen. Die fettähnliche 
Consistenz des Glycerins, in Verbindung mit seiner großen Affinität 
zum Wasser läßt dasselbe vortheilhafter zum Bestreichen von Cathetern, 
Sonden, Mutterspiegeln etc., sowie der zur Exploration bestimmten 
Finger erscheinen, als das allgemein hiezu gebrauchte Oel. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 27. März 1890. 

Vorsitzender: Prof. Weicbselbaum. — Schriftführer R.-A. 
Dr. Frankel. 

Dr. SCHLICHTER demonstrirt ein 2 ^monatliches Kind mit 
einer seltenen Geschwulst am Schädel. 

Dieselbe sitzt am rechten Scheitelbeinhöcker, hat die Größe 
eines Gänseeies, ovale Gestalt und ist durch eine seichte Furche in 
eine hintere größere und vordere kleinere Hälfte getheilt. Der hintere 
Theil hat an der Peripherie eine dünne Knochenschichte. Die Ger 
schwulst ist von einer größeren Anzahl größerer und kleinerer 
schwarzer Flecke bedeckt. 

Der Anblick der Geschwulst läßt zunächst an ein Cephal- 
hämatom denken. Dagegen spricht aber der Sitz und die Consistenz, 

• 


welche der eines mittelharten Fibroms gleichkommt. Gegen eine 
Geschwulst, die mit dem Schädelinneren communicirt, spricht der 
Mangel der Compressibilität und der Hirnerscheinungen auf Druck. 
Von Neoplasmen kann Myxom, Lipom, Chondrom wegen der Con¬ 
sistenz ausgeschlossen werden. Auch Fibrom und Sarcom ist nicht 
anzunehmen. Gegen ein reines Angiom spricht der Mangel der 
Pulsation und der Compressibilität. 

Es läßt sich daher nur die Diagnose auf eine Neubildung mit 
vorwiegend angiomatösem Charakter stellen. Letzteres deshalb, weil 
die Geschwulst sich immer heiß anfühlt und in der Umgebung 
starke Vascularisation zeigt. 

Dr. RABL demonstrirt eine Reihe von Fällen von Tuber¬ 
kulose des Ellbogengelenkes, der Hand- und Fu߬ 
wurzel, bei welchen zum Theil die Amputation schon in Aussicht 
genommen war und die durch seine conservative Behandlung (siehe 
„Wiener Med. Presse“, 1889) nicht nur geheilt wurden, sondern 
auch ein ziemlich gutes functionelles Resultat erzielt haben. Er 
fordert daher auf, seine Lapisbehandlung vorzunehmen, bevor man 
sich zu einer verstümmelnden Operation entschließt. 

Dr. J. E. Polak schildert den gegenwärtigen Stand der Cholera 
in Asien. 

Nach seinen genauen Informationen ist die Cholera gegen¬ 
wärtig in Mesopotauien und Persien erloschen. Nach dem von P. 
geschilderten Gang der Krankheit dürfte sie im nächsten Sommer 
Europa verschonen, hingegen dürfte dieselbe im Sommer 1891, wenn 
keine Maßregeln dagegen ergriffen werden, über den Kaukasus zu 
uns gelangen. Damit aber Maßregeln ergriffen werden können, ist 
vor Allem von der größteu Wichtigkeit, einen internationalen ver¬ 
läßlichen Sanitätsarzt in Kirmanschah, von wo aus die Krankheit 
radial sicli ausbreitet, zu pestiren, damit genaue und verläßliche 
telegraphische Berichte über den jeweiligen Stand der dort ver¬ 
kommenden epidemischen Krankheiten nach Europa gelangen. 

8 . 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 10 März 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: Doc. Dr. Fürst. 
Prim. Ipavic stellt einen Fall von Hygroma colli cysticum 
Congenitum vor. Es handelt sich um ein 2jähriges Kiud. Bei der 
Geburt war der Tumor circa apfelgroß, saß in der liuken Axillar¬ 
gegend und ist seither zu enormer Größe angewaohsen, so daß er 
heute bis zum Sternum nach vorne, bis zur Wirbelsäule naeh hinten 
hin reicht, sich unter der Clavicula in einem zweiten, kleineren, 
über der Clavicula gelegenen, mit dem großen coramunicirenden 
Tumor hinzieht, und nach unten bis fast zum Rippenbogen sich 
erstreckt. Der Tumor ist elastisch, bietet überall Fluctuation dar 
und seine Decke ist von ausgedehnten Venen durchzogen. Die durch 
Probepunction entleerte Flüssigkeit wurde von Prof. Eppingek 
untersucht. Sie enthält Eiweiß, und mittelst des Mikroskopes lassen 
sich in ihr nach weisen: viele Fettkügelchen, Lymphkörperchen und 
sparsame eudotheliale Zellen. Die Prognose quoad sanationem et 
vitam ist in diesem Falle eine infauste. 

Prof. Wölfler macht auf die Genese dieser Tumoren auf¬ 
merksam. Sie finden sich nur in der Gegend des Ductus thoracicus. 
Es handelt sich um angeborene Ektasien der Lymphwege, voranlaßt 
durch Störungen des Lymphabflusses. Er macht darauf aufmerksam, 
daß es außerdem in dieser Gegend angeborene Cysten gibt, die mit 
accessoriBchen Schilddrüsen sich in Zusammenhang bringen lassen, 
und daß ferner die bronchiogenen Cysten auszuschalten sind. Alle 
diese Cysten liegen unterhalb der Muskeln und unter der Clavicula, 
alle liegen in der Nähe der großen Gefäße und sind oft mit Venen 
verwachsen. Therapie: Früher pflegte man Punction mit nachfol¬ 
gender Jodinjection anzuwenden, was allenfalls bei kleinen Cysten 
angeht, nur wird man sich heute lieber eines Jodoformäther-Oel- 
gemisches bedienen. Prof. Wölfler brachte eine derartige größere 
Cyste dadurch zur Heilung, daß er sie mit von Jodoformgazestreifen 
begleiteten Drainröhren durchzog. Dadurch gelangen diese Gebilde 
im Laufe von mehreren Monaten zur Schrumpfung. Prof. Wölfler 
demon8trirte hierauf mehrere Abbildungen derartiger Cysten. 


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513 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


51*4 


Assistent Dr. Besnier demonstrirt ein geheiltes Ulcus 
cruris. Da die Heilung dieser Geschwüre mit Hauttransplantationen, 
wenn sie groß sind, und wenn ihre Ränder callös sind, fast stets 
keine dauernde ist, sondern sich sehr leicht innerhalb einiger Monate 
Recidiven ausbilden, so wurde diesmal das System der wandernden 
Lappen zur Deckung des vorhandenen Substanzverlustes zur An¬ 
wendung gebracht. Der Lappen wurde der Wade des anderen Fußes 
entnommen. Der hier entstandene Substanzverlust wurde mittelst 
THiERSCH’scher Hauttransplantationen zur Bedeckung gebracht. Hier 
bandelte es sich Um eine frisch grannlircnde Wundflftche, weshalb 
die Besorgniß wegen etwaiger Entstehung eines Ulcus an dieser 
Stelle unbegründet ist. Das Geschwür selbst ist jetzt mit normaler 
Haut bedeckt, und ein Recidiv so gut wie ausgeschlossen. 

Wölkler bemerkt, daß zur Heilung kleiner Ulcera cruris die 
TfliERSCH’schen Hautüberpflanzungen wohl verwendet werden können. 

Dr. Regnier demonstrirt weiters einen Fall von temporärer 
Resection am Schädeldache, welche behufs Einbliek in das Schädel¬ 
innere gemacht worden war. Schon aus dem Beginne dieses Jahr¬ 
hunderts führen die Versuche, die in das Schädeldach gesetzten 
Substanzverluste knöchern zum Verschlüsse zu bringen, um die Ge¬ 
fahren des fibrösen Verschlusses zu vermeiden. In den 1880er 
Jahren transplantirte Mac Ewen in 11 Fällen Knochengewebe, und 
es trat Heilung in 9 Fällen ein, nur in 2 wurde das transplantirte 
Knochensttick necrotisch. Später machte Wagner den Vorschlag, 
einen Lappen zu bilden, mit welchem das zu resecirende Knochen¬ 
stück Zusammenhängen sollte. Er machte einen omegaförmigen 
Hautschnitt, durchtrennte nach Zurückziehung des Lappens das 
Periost, durchmeißelte den Knochen und klappte dann den mit der 
Haut zusammenhängenden Knochen wie einen Deckel zurück. 

Statt des Omegalappens schlug Möller vor, einen einfachen 
bogenförmigen zu bilden und dort, wo an der Basis die Haut nicht 
durchtrennt ist, den Knochen einfach einzuknicken, nicht zu durch¬ 
meißeln. Zur DurchtrennuDg des Knochens kann man sich entweder 
des Meißels oder auch einer Kreissäge, ähnlich construirt wie die 
der Zahnärzte, bedienen. Vortragender hält die erste Art wegen der 
sicheren Führung des Instrumentes für die bessere. Der vorgestellte 
Fall wurde nach Müller’s Methode operirt, die Heilung erfolgte 
glatt innerhalb 9—10 Tagen. 

Prof. v. Wagner theilt die Vorgeschichte dieses Falles und 
die Veranlassung zur Vornahme dieser Operation mit. Der noch jugend¬ 
liche Patient hatte vor einer Reihe von Jahren ein Trauma erlitten, 
war in Folge dessen bewußtlos gewesen und hatte 2 eiternde Kopf¬ 
wunden längere Zeit besessen. In der Folge stellten sich öfter 
wiederkehrender, heftiger Kopfschmerz, Schwindel, vorübergehendes 
Doppeltsehen, Mattigkeit und Tremor der linken oberen Extre¬ 
mität ein. In der Nähe des rechten Stirnhöckers fand sich 
eine prominente Stelle des Knochens, die gegen jede Art der Be¬ 
rührung, besonders zur Zeit der Anfälle, schmerzhaft war. Ferner 
waren vorhanden: , Zuckungen im Facialis, Temperatursteigerungen 
bis 40° C., einhergehend mit Schüttelfrösten, hie und da auch 
tonische Krämpfe in der linken, oberen Extremität. Außerdem trat 
einmal eine psychische Alteration ein, die mau als epileptoiden 
Dämmerzustand bezeichnen muß. All diese Symptome ließen 
auf einen Gehirnabsceß, wahrscheinlich in der Nähe der rechten 
Central Windungen, schließen. Es wurde die Stelle zur Trepa¬ 
nation gewählt, welche die meisten objectiven Symptome zu 
bieten schien. Der Absceß wurde nach Eröffnung des Schädels 
an dieser Stelle nicht gefunden, was jedoch sein Vorhandensein 
an einer vielleicht etwas entfernteren nicht ausschließt, da ähnliche 
Erfahrungen in der Literatur bereits mehrfach existiren. 

Prof. v. Wagner hält in derartigen Fällen einen solchen 
Eingriff bei der heute vorgeschrittenen Technik der Chirurgie des 
Gehirns für durchaus angezeigt. 

Assistent Dr. Slejmer: Ueber neuere Operationen an der 
Gallenblase. 

In einer historischen Einleitung erwähnt der Vortragende die 
Versuche, welche gemacht worden waren, den Krankheiten der 
Gallenblase auf operativem Wege beizukommen, Versuche, welche 
bis in das Ende des vorigen Jahrhunderts reichen. Von einer 
eigentlichen Chirurgie der Gallenblase kann erst seit dem letzten 


Jahrzehnte die Rede sein. Redner erwähnt die Choleoystotomie 
(Marion Sims, 1870), die Anlegung einer permanenten Gallen¬ 
blasenfistel, die nach langer Mühe von Erfolg gekrönten Versuche 
v. Winiwarter’s, dem es gelungen war. eine Communication 
zwischen der Gallenblase und einer dem Duodenum nahe gelegenen 
Dünndarmschlinge herbeizuführen. 

Langenbuch exstirpirte die Gallenblase (1882), Spencer 
Wels schlug vor, die Blaso nach Entfernung der Steine zu nähen 
(1885); später wurde die Unterbindung des Ductus cysticus vor¬ 
geschlagen. Cerny näht die Blase zuerst an das Peritoneum an, 
extrahirt dann die Steine und näht dann die Blasenwunde. Als 
eine ideale Methode kann die bezeichnet werden, welche auf der 
Klinik Prof. Wölfler’s in einem Falle von Gallenblasensteinen 
zuerst ausgeführt wurde, und welche später auch von Senger geübt 
worden war (vide „Wiener Med. Presse“ Nr. 11). 

Veranlassung zu operativem Einschreiten geben: Gallensteine, 
Empyem und Hydrops der Gallenblase, Verschluß des Ductus chole- 
dochus, herbeigeführt durch Tumoren, Fremdkörper, Entzündungen 
etc., Verletzungen der Gallenblase oder Gallenwege. Man wird sieb 
natürlich erst dann zur Operation entschließen, wenn alle internen 
Mittel im Stiche gelassen haben. Die Exstirpation der Gallenblase 
bietet scheinbar die Vortheile radicaler Heilung, Unmöglichkeit der 
Recidive und Einfachheit in der Ausführung. Allein da es Gallen¬ 
steine gibt, die nicht in der Gallenblase entstehen, so fällt mancher 
dieser Vortheile hinweg. Die Cholecystotomie hat den großen Nach¬ 
theil der Fistelbildung. Die zuletzt oben angeführten Methoden 
haben den großen Vortheil, daß sich die Gallenblase bis zur Heilung 
ihrer Wunde unter Controle befindet und erst nach erfolgter 
Heilung in die Bauchhöhle versenkt wird. Anf diese Weise ist der 
Status quo ante wieder hergestellt. hs. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

- j Sitzung vom 7. März 1890. 

Prof. Dr. Hueppe: Zur Aetiologie der Cholera asiatica. 

Aus den Untersuchungen des Vortragenden, deren weiteren 
Verfolg später Dr. Wood aus Edinburg nach Hueppe’s Angaben 
selbstständig übernahm, ging in Uebereinstimmung mit Koch’s An¬ 
gaben hervor, daß der Choleraprooeß nur im Darmlumen verläuft, 
daß die Cholera biologisch als eine specifische Darmfäulniß mit Bil¬ 
dung speoifischer Toxine aufgefaßt werden muß. Die Localisation 
des Choleraprocesses im Darm erfolgt nicht nur bei Aufnahme der 
Parasiten vom Munde her, sondern auch secundär an diesem Locus 
minori8 resistentiae durch Einführung des Virus mittelst Inhalation. 
Die Cholerabacterien sind nämlich auch im trockenen Zustande unter 
gewissen Bedingungen sehr lange lebensfähig und könnon dann in 
diesem Zustande inhalirt werden und auf diese Weise unter Ver¬ 
mittlung des Einspeichelns in den Magen gelangen. Gegen die Mög¬ 
lichkeit einer Infection von den Lungen her spricht der Umstand, 
daß eine solche nur mit Parasiten erfolgen kann, welche im Blute 
selbst lebensfähig sind, die Cholerabacterien aber nach ihrem Verhalten 
bei Menschen und Meerschweinchen nicht zu den Blutparasiten ge¬ 
zählt werden können. 

Die Prüfung der Beziehungen der Cholerabacterien zu Magen 
und Darm und deren Secreten hat die fundamentale Thatsache 
ergeben, daß die Cholerabacterien bei richtiger Auswahl des Nähr¬ 
materiales, bei Luftabschluß, d. h. bei Abwesenheit von Sauerstoff 
leben können und ihre Gifte energischer und schneller entwickeln, 
als bei der gewöhnlichen Art des Cultivirens bei Luftzutritt, und 
damit war die Thatsache, daß der Choleraproceß beim Menschen im 
Darme sich unter Anaörobiose vollzieht, auch biologisch erklärt. 

Wood hat ferner gefunden, daß die Cholerabacterien in der 
Anaörobiose und im Darme selbst trotz ihrer gesteigerten physio¬ 
logischen Leistungen gegen äußere Ageuticn empfindlicher werden 
und sich demnach diesen gegenüber in einem Zustande verminderter 
Widerstandsfähigkeit befinden; sie siud zwar nicht an sich ent- 
wieklungs- oder leistungsunfähig, aber sie sind gegen Säuren be¬ 
sonders empfindlich, so daß schon Spuren von Säure zur Vernichtung 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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ausreiehen. Da nun die Cholerabacterien in diesem Zustande den 
Darm verlassen, so sind sie in ganz frischen Stühlen der Kranken 
leichter zu vernichten, als in jedem anderen Zustande. Daraus er¬ 
gibt sich die Wichtigkeit der sofortigen Desinfeotion der Dejee- 
tionen der Cholerakranken, weil sonst die Cholerabacterien wieder 
gegen äußere Agentien widerstandsfähiger würden, und die 
Nothwcndigkeit einer ätiologischen Methode der Choleratherapie, und 
glaubt Redner, daß Salol zur Zeit der geeigneteste Körper zur Er¬ 
zielung einer inneren, vielleicht speoifischen Darmdesinfection sei. 

Dnrch diese neuen Thatsachen ist auch die bis jetzt so 
räthselhafte Erscheinung erklärt, daß die Cholera nur sehr selten 
direct vom Kranken auf Gesunde übertragen wird. Die Ansicht 
von Pettenkofer, daß die Bacterien den Körper im infections- 
unfähigen Zustande verlassen, ist zwar nicht richtig, indem sie viel¬ 
mehr sehr infectiös sind und am besten Toxine bilden können, aber 
sie sind in Folge ihrer Anaörobiosc im Darme so empfindlich ge¬ 
worden, daß sie auch bei unmittelbarer Uebertragung vom Kranken 
auf einen Gesunden in dem Magensaft des letzteren in der Regel 
vernichtet werden müssen. 

Diese gegen äußere Einflüsse so empfindlich anaerob gewach¬ 
senen Cholerabacterien werden aber in kurzer Zeit wieder wider¬ 
standsfähiger, wenn sie außerhalb des Körpers bei genügendem 
und geeignetem Nährmaterial in Folge Luftzutrittes sich aörob ver¬ 
mehren. Daß die Bodenverhältnisse bei uns in Bezug auf die Tem¬ 
peratur die nöthigen Existenzbedingungen bieten, hat C. Fraenkkl 
für die oberen, allein in Betracht kommenden Bodenschichten fest¬ 
gestellt ; daß die Cholerabacterien der Concurrenz mit anderen 
Saprophylen widerstehen können, wurde von Schottklius und 
Grdber gezeigt und vom Redner auch für Wasser und Boden in 
nicht sterilisirtem Zustande bestätigt. Die Aürobiose ermöglicht 
auch die Ausnutzung von Material, welches sonst zur Vermehrung 
und Arterhaltung nicht geeignet ist. Die Cholerabacterien werden 
daher in der Außenwelt widerstandsfähiger als im Körper und in 
künstlichen Culturen und durch die von Hueppe direct beobachtete 
Bildung der Arthrosporenzoogloea wird die Widerstandsfähigkeit 
noch gesteigert. Gelangen also solche widerstandsfähigen und gegen 
äußere Agentien, namentlich gegen Säure, weniger empfindlichen 
aüroben Formen in den Magen, so werden sie daselbst nicht ver¬ 
nichtet, sondern gelangen in den Darm, wo sie ihre deletäre Wirk¬ 
samkeit entfalten. 

Die von Pettenkofer mit Recht in den Vordergrund ge¬ 
stellte epidemiologische Erfahrung, daß die Cholera-Infection in 
der Regel eine indirecte, von Außenverhältnissen beeinflußte ist, ist 
zwar bacteriologisch bestätigt, aber die Erklärung ist eine andere, zum 
Theile der PßTTENKOFER’sehen Formuliruug entgegengesetzte geworden. 

Auch die epidemiologische Beobachtung, daß bei Abnahme des 
Grundwassers die Cboleragefahr zunimmt, beim Steigen desselben 
abnimmt, läßt sich auch bacteriologisch begründen. Ist in dem Boden, 
wohin die Cholerakeime im empfindlichsten Zustande gelangt sind, 
zu viel Feuchtigkeit und daher wenig Luft und Luftsauerstoff vor¬ 
handen, so gehen sie einfach ein; ist hingegen der weniger feuchte 
Boden lufthaltig, so können sich daselbst die Mikroben auf Kosten 
des dort vorhandenen Näbrmateriales aörob vermehren und damit 
ist die Vorbedingung für eine miasmatische Ausbreitung der Cholera¬ 
epidemie gegeben. 

Aus dem Ergebnisse seiner Untersuchungen folgert Hueppe, 
daß die Cholera asiatica eine miasmatisch contagiöse Krankheit, und 
zwar mit epidemiologisch starkem Hervortreten der Abhängigkeit 
von Außen Verhältnissen sei, deren Grund jetzt auch bacteriologisch 
durchsichtiger geworden ist. —z. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 15. März 1890. 

Prof. J. FodoR: Neuere Untersuchungen über die bacterien- 
tödtende Wirkung des Blutes. 

Ausgedehnte Untersuchungsreihen ergaben, daß die Anthrax- 
bacillen in defibriuirtem arteriellen Blute in größerer Menge zu 
Grunde gehen als iu venösem, in frischem Blute mehr als in 
solchem, welches mehrere Stunden gestanden hat. Blut, welches 
16 Stunden gestanden hat, zeigt überhaupt keine bacterientödtende 


Wirkung mehr. Einmaliges Gefrieren des Blutes hat keinen Einfluß 
auf diese Eigenschaft, 3maliges dagegen hebt die bacterientödtende 
Fähigkeit auf. Letzteres geschieht auch bei l / 4 stündigem Er¬ 
wärmen des Blutes auf 50° C. Die bacterientödtende Wirkung 
wird durch Erwärmen auf 38 —40° gesteigert, über 40° nimmt 
dieselbe wieder ab und erlischt bei 42°. 

Vortr. untersuchte ferner an Kaninchen die Einflußnahme ver¬ 
schiedener in den Magen gespritzter Mittel auf die bacterientödtende 
Wirkung des circulirendeu Blutes. Verdünnte Salzsäure, Acidum 
tartaricum (3 — 5 Grm.), Chininum lacticum (0 6—1 Grm.) setzten 
eher das bacterientödtende Vermögen herab, während Chlornatrium 
(3—5 Grm.) es etwas steigerte. Dagegen steigerten alkali¬ 
sche Mittel dasselbe durchweg. Es betrug die Abnahme 
der in das Blut inoculirten Anthraxbacillen bei 

Vor der Ein- Nach der Ein- 


Ammon, carbonic. (2—5 Grm.) 

spritznng 

27°/ 0 

spritxnng 

380,0 

Natr. phosphoric. (2—5 „ ) 

32 „ 

60 „ 

„ carbon. (2—5 „ ) 

23 * 

76 „ 

Kalium carbon. (2—5 „ ) 

48 „ 

77 „ 

Natr. carbonic. (2—5 „ ) 

29 „ 

83 „ 


Nun injicirte Vortr. in den Magen von Kaninchen oder sub- 
cutan 1’5—5 Grm. Natr. bicarbonicum und inoenlirte entweder 
gleichzeitig oder nach 5—24 Stunden mit Anthrax. Die zur Con- 
trole ohne Natr. bicarbonio. inoculirten Kaninchen gingen sämmtlich 
an Anthrax zu Grunde, in deren Blut und Milz sich unzählige 
Anthraxbacillen fanden. Von den mit Natr. bicarbonic. behandelten 
19 Kaninchen gingen 3 = 15*6°/ 0 an Anthrax zu Grunde. Außer¬ 
dem starben noch 9 = 47%, in deren Blut sich entweder gar 
keine oder nur spärliche Bacillen fanden. Aber selbst diese über¬ 
lebten um eine beträchtliche Dauer die Controlthiere. 7 = 3 7 °/ 0 
widerstanden vollständig der Infection. Diese Wider¬ 
standsfähigkeit zeigte sich zuweilen auch bei späterem Einspritzen 
des Natr. bicarbonio. 

Dr. S. Gerlöczy versucht bereits, von diesen Experimenten 
angeregt, das. Natr. bicarbonic. auf der Infectionsabtheilung des 
Rochusspitals bei Typhuskranken, bei denen er eine günstige Wir¬ 
kung des Mittels beobachtet haben will. 

Dr. 0. Pertik macht auf die Schwierigkeit aufmerksam, die 
Bacterien nach der Einimpfung im Blute zu zählen und auf Zu¬ 
oder Abnahme der Bacterien Schlüsse zu ziehen, weil die Bacterien, 
ebenso wie nach Recklinghausen der Zinnoberstaub, in den Ca- 
pillaren der Leber, Milz und des Knochenmarks zurüokgehalten, 
also abfiltrirt werden. Ponfick hatte behauptet, daß die weißen 
Blutzellen der Milz die Zinnoberkörnchen in sich aufnehmen und 
dann deponiren, aber die Körnchen konnten auch nach Ausrottung 
der Milz in den Capillaren des Knochenmarks aufgefunden werden. 
Aehnliches gilt für die bei Wechselfieber beobachteten Pigment¬ 
körnchen im Blute, welche nach dem Anfall daraus verschwinden, 
aber von Prof. Arenstein in Kasan post mortem in den Capillaren 
der Leber, Milz und des Knochenmarks wieder massenhaft aufge¬ 
funden wurden. 

Dr. J. Donath: Das bacterientödtende Vermögen des Orga¬ 
nismus war ein ärztliches Postulat, wenn man erwog, wie viel 
Bacterien durch die Lunge oder Wnndflächen in denselben ein- 
dringen. Es ist das Verdienst des Vortr., nachgewiesen zu haben, 
daß dem Blut diese Rolle zufällt. Redner wendet sich nur gegen 
die Annahme des Vortr., daß der desinficirendon Wirkung der 
Alkalien diese Wirkung des Blutes zuzuschreiben sei; vielmehr 
möchte er dieselbe auf Rechnung der durch Alkalien gesteigerten 
Oxydationsfähigkeit des Blutes setzen. So wissen wir 
z. B., daß Eiweißkörper in alkalischer Lösung dnrch Ozon besser 
oxydirt werden. Unter Desinficientia verstehen wir im weitesten 
Sinne jedes pathogene, Mikroben tödtende Mittel, welche von der 
verschiedensten chemischen Constitution (Säuren, Basen, Salze u. s. w.) 
sein können; auch kann ein und dasselbe Mittel, wie Koehsalz, in 
verdünnter Lösung ein zellenerhaltendes und in starker Concentration 
ein zellentödtendes Mittel sein. Für die Annahme, daß dem Blut¬ 
sauerstoff die bacterientödtende Wirkung zukomme, spricht das 
Untersuchungsergebniß des Vortr., daß arterielles Blut aus¬ 
nahmslos dieses Vermögen in stärkerem Grade ge¬ 
zeigt hat als venöses. n. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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Notizen. 


Wien, 29. März 1890. 

(Ueber die Verantwortlichkeit des Arztes), der 
eine neue Behandlungsmethode oder Operation ohne vorherige Zu¬ 
stimmung seines Patienten, vornimmt, wurde in der letzten Confe- 
renz der Pariser Advocaten lebhaft debattirt. Die genau präcisirte 
Frage lautet: „Ist ein Arzt, der ohne vorherige Zustimmung seines 
Clienten eine bis dahin unbekannte Behandlungsmethode oder Ope¬ 
ration versucht, für den daraus resultirenden Schaden verantwort¬ 
lich, selbst dann, wenn keinerlei Unvorsichtigkeit oder Versehen im 
Laufe des Versuches nachgewiesen werden kann?“ Die Conferenz 
beantwortete diese Frage nach langer Debatte bejahend. Der Be¬ 
richterstatter Loiseau zieht auf der einen Seite das Interesse der 
Wissenschaft in Betracht, deren Fortschritte nur in einer ununter¬ 
brochenen Reihe von Neuerungen bestehen, andererseits hebt er aber 
die Gefahr hervor, die daraus entstehen könnte, wenn man die 
Neigung mancher Aerzte begünstigen würde, mehr in eigenem lu¬ 
teresse, als in dem ihrer Clienten, nach neuen Heilmethoden zu 
suchen. Juridisch besteht die Verantwortlichkeit, sobald ein Fehler 
begangen wurde, und der Fehler besteht in der Anwendung einer 
Heilmethode oder Operation, die noch an keinem Menschen versucht 
worden ißt. Der Versuch bietet nicht die genügenden Garantien, 
die der Arzt im Interesse seines Clienten zu beachten verpflichtet 
ist. Wenn daher aus diesem Versuche ein Schaden resultirt, so ist 
der Pat. berechtigt, den Arzt, der ihm denselben zugefügt hat, zur 
Verantwortung zu ziehen. Die bona fides des Arztes kommt hier 
nicht in Betracht, denn das Gesetz erfordert eben blos den Ersatz 
für den Schaden, ohne daß Absicht zu schädigen vorhanden gewesen 
wäre. Das Interesse der Wissenschaft, das für den Arzt heran¬ 
gezogen werden könnte, darf nicht mit dem Interesse der Kranken 
verwechselt werden, das allein der Arzt zu berücksichtigen hat; 
übrigens wäre das wissenschaftliche Interesse nicht geopfert, wenn 
der Arzt vorsichtigerweise die Zustimmung des Pat. früher eingeholt 
hätte, oder wenn er sich von anderen Fachmännern hätte aufklären 
lassen. — Diesen Ausführungen gegenüber bemerkt die „Semaine 
mödicale“ (Nr. 12) in sehr scharfsinniger Weise , daß, wenn die 
Anwendung einer neuen Methode schon an und für sich ein Fehler 
ist, dieser Fehler nicht aufhört zu bestehen, auch wenn der Kranke 
seine Zustimmung dazu gegeben hätte, und doch würde die Ver¬ 
antwortlichkeit des Arztes entfallen, wenn der Patient seine 
Zustimmung zur Einleitung der neuen Behandlungsmethode gegeben 
hätte. Der Fehler würde also in der Nichteinholung der Zustim¬ 
mung des Pat. bestehen. Der Werth dieser Zustimmung ist aber 
durchaus nicht hoch anzuschlagen, da doch der Patient die Wirk¬ 
samkeit der vorgeschlagenen Behandlung nicht zu würdigen weiß, 
ganz abgesehen davon, daß das Intellect des Kranken gestört sein 
kann. Von dem Momente, wo der Pat. sich seinem Arzte an ver¬ 
traut hat, erwächst für diesen die Verpflichtung, dem ersteren all 
sein Wissen und Können zu widmen und kein Mittel zu unterlassen, 
das zur Heilung beitragen kann. — Wir glauben den Ausführungen 
der geehrten Pariser Collegin zustimmen zu müssen, möchten aber 
unsere Ansicht folgendermaßen formuliren: Hat ein Arzt zur Er¬ 
reichung eines therapeutischen Zweckes, der nach allgemein bekannten 
Lehren, mit bekannten Mitteln erzielt werden kann, eine bis 
dahin unbekannte Behandlung oder Operation angewendet, aus der 
event. dem Pat. Schaden erwächst, so ist der Arzt zur Verant¬ 
wortung zu ziehen; dagegen entfällt diese Verantwortung, wenn 
das zu erstrebende Ziel mit keinem der bekannten Mittel zu er¬ 
reichen ist, da der Arzt sich einer Unterlassung schuldig gemacht 
hätte, wenn er nicht eine Behandlung eingeleitet hätte, von der er 
auf Grund wissenschaftlicher Voraussetzungen annehmen konnte, 
daß sie im concreten Falle nützen könnte. 

(Aus den Vereinen.) Das Wiener medioinische 
Doctoren-Collegium hat am 24. d. M. seine ordentliche 
Generalversammlung abgehalten. Dem Berichte über das abgelaufene 
Verwaltungsjahr entnehmen wir, daß dem Collegium derzeit 645 Mit¬ 
glieder angehören, und daß das Vermögen des Collegiums sich auf 
fl 20.000 Notenrente und fl. 3776 in Einlagen und in Baarera 


beläuft. Der Witwen- und Waisen-Sooietät, deren Vermögen sich 
auf fl. 2,555.048 beziffert, gehören 346 Mitglieder an, und wurden 
an 152 Witwen und 7 Waisen fl. 105.725 Pensionen ausbezahlt. 
Dem Unterstützungs-Institut mit einem Vermögen von fl. 150.341 
gehören 254 Mitglieder an, und wurden fl. 4737 Unterstützungen 
gewährt. Das Pensions-Institut, dessen Vermögen fl. 3,046.968 be¬ 
trägt, zählt 122 Mitglieder, und wurden an 12 Personen je fl. 600 
Pension bezahlt. Nach Erstattung des Cassaberichtes und nach Er- 
theilung des Absolutoriums wurden die Neuwahlen vorgenommen. 
Zum Präsidenten wurden Hofrath Dr. v. Schmerling, zu Vice- 
präsidenten Prof. Dr. v. Rrder und Dr. L. Hopfgartner wieder¬ 
gewählt, ferner in den Geschäftsrath berufen die DDr.: Hans 
Adler, Sigm. Adler, Anton Gerhold, R. Gebsuxy, J. Heim, 
S. Lauterstein, J. Lüttkemüller und A. T. rkikwicz. ln den 
wissenschaftlichen Ausschuß wurden gewählt die DDr.: F. Batsy, 
0. Bergmeister, J. Engiisch, J. Grünfeld, B. Hamburger, 
E. Hofmann, 0. Kahler und v. Rkder. — In der am 21. d. M. 
stattgehabten Jahresversammlung der k. k. Gesellschaft der 
Aerzte, über deron Verlauf wir in letzter Nummer borichteten, 
wurden gewählt: Zu alternirenden Vorsitzenden in den Versamm¬ 
lungen Dr. Ullman.v, Director des Rudolfspitals, und die Professoren 
Kahler und Chrobak; zu Ehrenmitgliedern Prof. Adolf 
Kussmaul in Heidelberg, Prof E. Leyden in Berlin, Prof. Ger¬ 
hardt in Berlin, Prof. v. Ziemssen in München, Prof. Charcot in 
Paris, Prof. Henoch in Berlin und Prof. Gurlt in Berlin; zu 
correspondircnden Mitgliedern Prof. Rossander in Stockholm, 
Prof. Demme in Bern, Dr. B. Gepner in Warschau. Prof. Frithjof 
Holmgren in Upsala und Prof. S. Felix in Bukarest; schließlich 
zu ordentlichen Mitgliedern die Professoren Kvhler und 
v. Krafft-Ebing , die DDr. Leopold v. Dittel jun., Rudolf 
Frank, Josef Heidentbaler, Richard Kerry, G. Kobler, 
Friedrich Krauss, Ferdinand Kumpf, Fritz Obermayer, Ant« n 
Padiauer, Josef Schaffer, Friedrich Schüssler, Felix Schwarz, 
Otto Zuckerkandl und Franz Zinner. 

(Was ißt „Nona“?) Kreisphysieus Dr. Braun iu Bolken- 
hain war jüngst in der Lage, einen Krankheitsfall, ein 14jähriges 
Mädchen betreffend, zu beobachten, bei welchem er das Haupt¬ 
symptom der „Nona“, die Somnolenz, constatiren konnte. Wie B. 
in der letzten Nummer der „D. Med. Wochenschr.“ mittheilt, handelte 
es sich in diesem Falle um eine mit Pneumonie complicirte 
Meningitis, Krankheiten, welcho bacteriologisch einander nahe 
stehen. Da dieser, sowie andere Fälle von Meningitis an Influenza 
sich anschlossen, glaubt B. das Influenzagift für die Aetiologie beider 
Erkrankungen heranzieheu zu sollen und gibt der Ansicht Ausdruck, 
daß „Nona“ nichts anderes sei, als Meningitis mit Pneumonie. 
Auch ein jüngst von Dr. v. Giacich in Fiume beobachteter Fall von 
Meningitis nach Influenza ist unter den der „Nona“ zugesehriebenon 
Symptomen aufgotreten. Beide Fälle beweisen daher, daß die von 
den Tagesblättern gebrachten Nachrichten über das Auftreten einer 
neuen, unter dem Bilde mehrtägiger Somnolenz auftretenden, letal 
endigenden Krankheit der Begründung entbehren. 

(Aus Berlin) wird uns geschrieben: Hier haben sich in 
letzter Zeit Persoualveränderungen von allgemeinem Interesse voll¬ 
zogen. Für das im Sommer d. J. im Norden der Stadt zu eröffnende 
Kinderkrankenhaus ist Privatdocent Dr. Adolf Baginsky als Leiter 
der Abtheilung für Infectionskrankheiten erwählt worden. — Zum 
dirigirenden Arzt der chirurgischen Abtheilung des städtischen 
Krankenhauses Moabit ist Prof. Sonnenburg creirt worden. — 
Die großherzoglich hessische Ludwigs-Universität zu Gießen hat 
zufolge Beschlusses ihrer medicinischen Facultät dem Director des 
kaiserlichen Gesundheitsamtes, Köhler, die akademische Würde eines 
Ehrendoctors der Medicin verliehen. — Sein 25jähriges Docentenjubi- 
läum feierte Prof. Edmund Rose, der Chirurg des Krankenhauses 
I Bethanien. Derselbe entstammt einer Familie, welche durch andert¬ 
halb Jahrhunderte in dem wissenschaftlichen Berlin an hervorragen¬ 
dem Platze steht. — Dieselbe Feier wie Rose wird im nächsten 
Monat auch Geheimrath Leyden begehen. Schon jetzt werden die 
, entsprechenden Vorbereitungen hiezu getroffen. — An den Handels- 
| minister hat der Verein Berliner Bahnärzte eine Eingabe dahin ge- 
' richtet, Anordnungon treffen zu wollen , welche es den Bahn- und 


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519 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


520’ 


Bahncasaenärzten ermöglichen, die Mitglieder der Betriebs- und 
Werkstätten - Krankencassen nach überstandener Krankheit einer 
Genesungsstation auf einige Wochen zu überweisen. 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der supplirende 
Assistent am gerichtlich-medicinischen Institute, Dr. Adam Hand- 
lIRSCH, 27 Jahre alt, an septischer Tonsillitis; in Trautenau 
Dr. Wenzel Sturm ; in Trient Oberstabsarzt Dr. Foltanek. — Aus 
Paris kommt die telegraphische Nachricht vom Ableben des berühmten 
Chirurgen Prof. Trklat. 

(Erratum.) Jn Nr. 12, S. 452, Zeile 28 v. o. soll es statt „retro- 
plat-tische“ heißeu: „h ete rop las tische“. 

(Bad Hall in Oberösterreich), durch die unvergleichliche Heil- 
w irkung grgen Scrophulose und alle Krankheiten, bei der n Heilnng Jod 
einen wichtigen Factor spielt, längst weltbekannt und von allen Koryphäen der 
medicinisch-n Wissenschaften bestens en pfohlcn. wurde heuer allen modernen 
Anforderungen entsprechend umgeslaltet. Dasselbe liegt bekanntlich in einem 
sehr günstigen, besonders brustleidenden und s<hwachen Persouen zusagenden 
Klima und wird offlciell am ln. Mai eröffnet und am 15. September geschlossen. 
.Der Curgebrauch ist aber auch auß»r dieser Zeit, ermöglicht. Für Wohnungen 
und Hotels ist bestens gesorgt, und sind die Preise außer der Hauptsaison 
(14. Juni bis 15. August) ermäßigt. Das Bad ist v/>n Linz a. D. aus mit der 
Kremsthalbahn in 2 Stunden zu erreichen. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Eingesendet. 


Coogreß für innere Medicin in Wien. 

Zur Bequemlichkeit der Herren Collegen, welche am Congieß 
theilnehmeu wollen, können Karten für denselben und für das Fest- 
Diner in Empfang genommen werden in der I. iuedicinischcn Klinik 
(Klinik Nothnagel), Allgemeines Kraukenhaus, am 12., 13. und 
14. April in den Vormittagsstunden von y—12 Uhr. 

N 0 thnagel. 


X. internationaler medielnlscher Congreß in Berlin 

(3.—9. August 1890). 

Das vorläufige Programm der meisten Abtheilungen 
dieses Congresses liegt nunmehr vor. Wir lassen die wichtigsten der 
vorbereiteten Themen folgen: 

I. Anatomie. (Einf : Prof. Hertwio, W., Maassenstraße 34) 1. Hirn- 
winduagen. 2 . Ucber den jetzigen Stand der Lehre von den Kern- und Zell- 
theilungen, mit besonderer Berücksichtigung der Ri< htungskörper, Attractions- 
sphären und Nebenkerne. 3. Histogenese und Zusammenhang der Nerven- 
elemente. 

II. Hygiene. (Dr. Pistor, W., v. d. Eeydtstraße 13.) 1. Welche Ma߬ 
regeln erscheinen gegen Verbreitung der Diphtherie geboten? 2. Gesundheit¬ 
liche und sittliche Gefahren der Prostitution für die Bevölkerung. Maßregeln 
zur Bekämpfung der Prostitution im Allgemeinen wie im Besonderen und auf 
internationalem Wege. 3. Hygiene in Anstalten zur Unterbringung größerer 
Menschenmengen. (Häuser für Obdachlose, Findelhäuser, Strafanstalten etc.) 
4 . Stand der Tuberculosenfrage. Internationale Maßregeln gegen Verbreitung 
der Krankheit. 5. Ueber das vermehrte Auftreten des Darmtyphus an einer 
Anzahl von mehr oder minder typhusfreien Orten nach jahrelangen Zwischen¬ 
räumen. 6. Ueber Massen-Ernährung in Kriegs- und Epidemiezeiten. 7. Sind 
die über die gesundheitswidrigen Einflüsse von Regräbnißplätzen bestehenden 
Ansichten noch, eventuell inwieweit, haltbar? 8. Ueber Kindersterblichkeit 
und Kinderernährung. 

III. Gerichtliche Medicin. (Prof. Liman, SW., Königgrätzerstraße 

4H a.) 1. Sind die Gonococcen so sicher gestellt, daß ihr Auffiuden in d*-m 

Scheidensecret eines Kindes mit Sicherheit auf Tripper bei dem angeblichen 
Stuprator znrückgeschlossen werden kann? 2. Ueber männliche Impotenz und 
die etwaigen Criterien, durch welehe in foro auf sie geschlossen werden 
kann? 3 Kann durch Athmnng in die Lungen gelangte Luft aas denselben 
bei Leichen entweichen, so daß die Lungen Neugeborener die Criterien solcher, 
die nicht geathraet haben, zeigen. 4. Können die durch passive Päderastie 
an dem Anus etwa erzeugten Veränderungen, bei Aufhören pädeiastischer 
Acte, wieder verschwinden, und in wie langer Zeit nach dem letzten pädera- 
stischen Acte? 5. Können durch ScuuLTZK’sche Schwingungen Lungen eines 
Neugeborenen, die noch nicht geathmet haben, die Criterien solcher, die Luft 
geathmet haben, erhalten? 6. Kann man. w-enn min bei einer Person, die 
heimlich abortirt hat, Sepsis findet, den dringenden Verdacht oder die Gewi߬ 
heit aussprecheu, daß der Abortus provocirt war. oder entsteht Sepsis auch 
nach spontanem Abortus? 7. Gibt es eine selbstständige „Moral insanity“, 
oder ist dieser Symptomencomplex Theilerscheinung anderweitiger Formen der 
Geistesstölung? 8. Ist die Mumification der Leiche ein Unterstützungsbeweis 
für Arsenik Vergiftung, oder ist sie vollkommen bedeutungslos für dieselbe? 
9. Die Bedeutung der Lebeusproben. 10. Ueber den Einfluß der neueren Ent¬ 
wicklung der Infectionslehre auf die gerichtsärztliche Beurtheilung nach Körper¬ 


verletzung eingetretener Todesfälle. 11. Die Bedeutung der Ptomaine für die 
gerichtliche Medicin. 12. Welche Stellung hat der Gerichtsarzt einzunehmen 
gegenüber der Frage von der Autoinfection bei Entbundenen? 13 Erfahrungen 
der Gerichtsärzte über die Erk- nnung der Simulation von Neurosen, insbe¬ 
sondere der traumatischen. 14. Gerichtsärztliche Erfahrungen über Entstehung 
und Bedeutung der Leichenstarre. • - 

IV. Neurologie und Psychiatrie. (Dr. Lakhr, Berlin-Zehlendorf.) 

1. Chirurgie des Centralnervensystems. 2. Die traumatischen Neurosen. 3. Die 
pathologische Anatomie der Dementia paralytica. 

V. Laryngologie und Rhiuologie. (Prof. B. Fraknkkl, NW., 

Neustädter Kirchstraße 12.) 1. Diagnose und Therapie des Kehlkopfkrebses. 

2. Deviationen und Cristae des Septum narium. 3. Diagnose und Therapie: 
der Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase. 4. Syphilis der oberen Luft¬ 
wege. 5. Acute infectiöse Entzündungen des Pharynx und Larynx. 6. Im 
Verein mit der pädiatrischen Abtheilung: Intubation. 

VI. Dermatologie und Syphiligraphie. (Dr. Lassau, NW., Karl¬ 
straße 19)1- Pathogene der Pigmentirungen und Entfärbungen der Haut. 2. Dia¬ 
gnose, Prognose und Therapie der chronischen Gonorrhoe bei Mann und Weib. 3. Be¬ 
handlung der Syphilis. I. Resultate a) der Excision, b) der präventiven allge¬ 
meinen Behandlung. II. Beginn. Dauer (chronische, intermittirend« oder tem¬ 
poräre?) und sicherste Methode der Therapie der coostitutionellen Syphilis. 
4. Ueber die Behandlung der entzündlichen Hautkrankheiten. 5. Die specMlen 
Indicationen der verschiedenen Applicationsweisen des Quecksilbers bei der 
Syphilisbehandlung. 6. Auf welche ursächlichen Momente ist der Ausbruch 
tertiärer Formen der Syphilis zu beziehen ? 7. Ueber die Rolle der Diathesen, 
der nervösen Krankheitsursachen und parasitären Krankheitserreger bei der 
als Ekcem bezeichneten Krankheitsgruppe. 8. D.s Wesen der Arznei-Exan¬ 
theme. 9. Der Lupus erythematodes, seine Natur und Behandlung. 

VII Geburtshilfe und Gynäkologie. (Dr. A. Martin, NW., 
Moltkestraße 2.) 1 Die Antisepsis in der Geburtshilfe. 2. Die künstliche Früh¬ 
geburt, ihre Indicatiouen und Methoden. 3. Die vaginale Totalexstirpation. 
4. Die Elektrolyse der Myome. 

VIII. Augenheilkunde. (Prof. Schweiger, NW., Roonstraße 6.) 
1. Sympathische Augenentzündung. 2. Trachom. 3. Einfluß des elektrischen 
Lichts auf das Auge. 

IX. Ohrenheilkunde. (Prof. Lucak, W, Lützowplatz 9.) 1. Be¬ 
ziehungen der Mikroorganismen zu den Mittelohr-Erkrankungen and ftaren 
Complicationcn. 2. Cholesteatom des Ohres. 3. Kann die Eröffnung des 
Warzenfortsatzes vom äußeren Gehör gang als gleichwertig mit der sonst 
üblichen Methode betrachtet werden? -1. Nachbehandlung des anfgemeißelten 
Warzenfortsatzes. 5. Indicationen, betreffend die Excision von Hammer und 
Amboß, ö. Pathologische Anatomie des Labyrinthes. 7. . Das Verhalten des 
Gchörganges bei Krankheiten des Centralnervensystems, insbesondere bei Tabes 
dorsalis. 8. Otitis interna in Folge von hereditärer Syphilis. 9. Statistik der 
wichtigsten Ohrenkrankheiten. 1 >. Hörprüfung und einheitliche Bezeichnung 
der Hörfähigkeit. 11. Diagnose, Prognose und Behandlung der progressiven 
Schwerhörigkeit bei der chronischen, nicht eitrigen Otitis media. 

X. Zahnheilkunde. (Prof. Bosch, NW., Alexanderufer 6.) 1 Die 
Retäubung mit Bromäthyl in der zahnärztlichen Praxis. 2. Veranlassung, Ver¬ 
lauf und Behandlung der Pyorrhoea alveolaris. 3 Ueber die Betheiligung der 
Mikroorganismen bei der Caries der Zähne. 4 Ueber Kronen- und Brucken- 
Arbeit (crown and bridge work). 5 Ueber die BoNNWiix'sche Methode der 
Articulation bei künstlichen Zahnersatzsiücken. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Casper L., Impotentia et sterilitas virilis. München 1890- J. A. Finster] in'. 
Bütschli 0., Ueber den Bau der Bacterien und verwandter Organismen. Mit 
1 lithographirten Tafel. Leipzig 1890. C F. Winter. 

Bergmann E. v., Die letzte Stiftung der Kaiserin Augusta. Berlin 1890. 
Aug. Hirsch wal d. 

David Th., Bibliographie frangaise de l’art dentaire. Paris 1889. F. Alcan. 
Rovsing Th-, Die Ulasenentzündnngen, ihre Aetiologie, Pathogenese and Be¬ 
handlung. Autorisirte Uebersetzung aus dem Dänischen. Berlin 1890/ 
Ang. Hirschwald. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 

Corsa mr Aerzte m isi dm liöiäsi 

an klinischem Material. 

Theilnehmerzabl beschränkt. — Dauer 3 Wochen. — . Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, I., Hegelgasse 21 (3—4); 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Es wird hiemit zur Keuntniss der Interessenten gebracht, 

daß im Bezirke Bjelina (Bosnien) der Posten eines Bezirksthierarztes mit 
einem jährlichen Gehalte von 1200 fl. zu besetzen ist. Die Competenten auf diesen 
Posten haben ihre diesbezüglichen Gesuche, instrnirt mit ihren Befähigungs- 
documenten und etwaigen anderen Zeugnissen, welche deren Tüchtigkeit im 
Veterinärdienste zu bestätigen geeignet sind, längstens bis 15. April 1. J. 
dem Bezirksamte Bjelina einzureichen, da später einlangende Gesuche nicht 
berücksichtigt werden könuen. Außer den Fachkenntnissen wird die Kenntniß 
einer der slavischen Sprachen bedingt. 

Bjelina, am 26. Februar 1890. 551 

Das Bezirksamt. 


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Nr. 14. 


Sonntag den 6. April 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
S Ms 8 Bogen Grose-Quart-Format Stark. Hiezu eine Reihe 
ansaerordentllcher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
ln Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise; „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik” 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 84 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslände 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Adminlstr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 

Organ für praktische Aerzte. 

-«sie-- 

Redigirt von Verlag vou 

Begründet 1860. Dp. AlitOllBll m. Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlegungen. Pes valgus, Pes varns nnd das biologische Grundgesetz. Von Prof. Rudolf Arndt in Greifswald. — 
Zur Therapie des Schuhdruckes und dessen Folgeübel. Von Dr. Oscar Romich in Wien. — Ueber die therapeutische und gerichtlich-medicinische 
Bedeutung der Hypnose. Von Dr. S. N. Danillo, Docent an der kais. militär-med. Akademie in Petersburg. — Referate nnd literarische 
Anzeigen. A. Groknouw: Acutes Glottisödem nach Jodkalinmgebrauch. — Scheurlen (Berlin): Ueber Pyothorax subphrenicus. — Klinik der 
Kinderkrankheiten. Von Dr. A. Steffen, — Feuilleton. Die Grundlagen der Bacteriologie. — Kleine Mitthellongen. Netzhautblutung bei 
Hydracetin-Intoxication. — Ueber die Wirkung des Coffein auf die motorischen und respiratorischen Functionen. — Darmverschluß, durch 
Aetherklystiere geheilt. — Transplantation von Ecchinococcnsblasen vom Menschen auf Kaninchen. — Beitrag zur äußeren nnd inneren Anwendung 
des Ichthyols. — Anwendung der Salicylsäure als Prophylacticum gegen Scharlach. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Wiener 
dermatologische Gesellschaft. (Off. Protok.) — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Künigl. Gesellschaß der Aerzte in Budapest. 
(Orig.-Ber.) — Aus den Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) Soci6t6 de Chirurgie. — Notizen« Das statistische Jahrbuch der Stadt Wien für das 
Jahr 1888. — Literatur. — Aerstliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Pes valgus, Pes varus 

nnd das biologische Grundgesetz. 

Von Prot Rudolf Arndt in Greifswald. 

Pes valgus und Pes varus werden seit Langem schon 
von einer Reihe von Anthropologen und Aerzten, namentlich 
Irrenärzten, als Stigmata degenerationis, Zeichen einer Ent¬ 
artung angesehen, welche znm schließlichen Untergange des 
Stammes, der Familie führt, welcher das betreffende Indi¬ 
viduum angehört und insbesondere insofern, als es Ausgangs¬ 
punkt eines neuen Zweiges derselben wird. Wie die Sache 
zusammenhängt, ist indessen bis jetzt im Ganzen unbekannt 
geblieben. Nur vereinzelte allgemeine Erwägungen haben 
ein Verständniß dafür anznbahnen gesucht; doch hat man sich 
immer mehr bei der bloßen Thatsache beruhigt, daß Platt- 
und Klumpfuß vorzugsweise bei auch sonst mit Ent¬ 
artungszeichen behafteten Personen Vorkommen, als daß man 
nach dem Zusammenhänge dabei ernstlich geforscht hätte. 
Dazu kam, daß über die Entstehung des Pes valgus und Pes 
Varus die sonderbarsten, grob mechanischen Auffassungen sich 
breit machten und zum Theil noch breit machen, die sich erst 
heranbildenden Aerzte beeinflußten und zum Theil noch beein¬ 
flussen, so daß diese, einmal erzogen, für die grob mechani¬ 
schen Einflüsse, welche jene Mißbildungen herbeiführen sollten, 
auch wenn sie in ihrer ganzen Annahme unberechtigt waren, 
dennoch mehr Verständniß besaßen, als für die feineren bio¬ 
logischen Vorgänge, trotzdem dieselben auch nur rein mecha¬ 
nische, allerdings molecular-mechanische sind, welche allein zu 
ihnen führten. Man denke nur daran, daß Pes valgus, be¬ 
ziehentlich Pedes valgi, nur dadurch zu Stande kommen sollten, 
daß die Last des Körpers den Fuß platt drückte, oder, wie 
man das klangvoller nnd möglichst überzeugend zu bezeichnen 
sachte, sein Gewölbe eindrückte, nnd daß Pes varus, beziehent¬ 
lich Pedes vari, wenigstens die angeborenen, dadurch zur Ent¬ 


wicklung kämen, daß der gehörigen Ausbildung der Füße im 
Uterinleben wegen Raumbeschränkung in Folge mangelnden 
Fruchtwassers zu große Hindernisse entgegengesetzt worden 
wären! Ich will keineswegs den mächtigen Einfluß leugnen, 
den gröbere mechanische Vorgänge auf die Entwicklung 
unserer Körperformen ausüben — man braucht sich ja nur 
der Füße der chinesischen Damen zu erinnern, der wunder¬ 
baren Kopfformen asiatischer und amerikanischer Völker¬ 
schaften, der Wespentaille unserer Frauen höherer Stände zu 
gedenken —; allein daß die erwähnten von der Bedeutung 
für die Entwicklung der in Rede stehenden Mißbildungen sein 
sollten, wie behauptet worden ist, das dürfte, von vereinzelten 
Fällen abgesehen, doch wohl noch sehr zu bestreiten sein. 

Wenn diese Bedeutung nämlich in der That so gewaltig 
nnd allein entscheidend wäre, wie sie es sein soll, warum 
zeigen sich da Plattfuß und Klumpfuß, trotzdem beide so 
häufig Vorkommen, nicht doch noch häufiger, da die fraglichen 
Einflüsse znm Theil ganz allgemein verbreitet, zum Theil viel 
öfter vorhanden sind, als ihre Bethätigung wahrgenommen 
wird? 

Warum sind beide doch blos mehr an vereinzelte Per¬ 
sönlichkeiten gebunden und warum da wieder besonders an 
solche, an denen auch noch andere Mängel und Fehler vor¬ 
handen sind, vor Allem entsprechende Mißbildungen an den 
Knien, an den Händen und dem Antlitz, dessen Kiefer ja* als 
die Homologa der Extremitätenknochen zu denken sind, und 
dann noch insbesondere Blutarmuth, Feistigkeit, Plumpheit 
oder übermäßige Zartheit, Nervosität, Hysterie, Epilepsie, 
Imbecillität, Idiotie ? Die meisten und am weitesten ent¬ 
wickelten Platt- nnd Klumpfüße findet man bei den Cretins, 
bei denen dadurch nicht selten das Gehen geradezu unmöglich 
wird, nun, und die Cretins sind eben im höchsten Grade de- 
generirte, nach allen Richtungen hin mißbildete, weil miß- 
rathene Menschen! Es gehört eben noch etwas Anderes dazu, 
als blos die fraglichen mechanischen Einflüsse, um die ein¬ 
schlägigen Mißbildungen herbeizuführen und das weist auf 
eine besondere Anlage, Disposition zu ihnen hin, auf eine 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 14. 


532 


Widerstandslosigkeit der betreffenden Individuen, namentlich 
in Bezug auf die jeweiligen Gliedmaßen und ihrer einzelnen 
Theile, in Folge deren erst die bewegten äußeren, rein mecha¬ 
nischen Einflüsse die Macht gewinnen, welche man ihnen von 
vornherein zuschreibt, beziehentlich zuschrieb. 

Wie sehr das zutrifft, zeigt schon der Umstand, daß 
Plattfuß vornehmlich bei mehr schmalen, schlanken Leuten 
mit langen Gliedmaßen, bei denen sich besonders auch X-Bein- 
bildung. Genu valgum, vorfindet, angetroffen wird, daß dagegen 
Klumpfuß mehr bei breiten, untersetzten Leuten mit mehr 
kurzen Gliedmaßen, von denen die unteren zur O-Beinbildung, 
Genu varum, neigen, vorkommt. Ueberhaupt ist der Idealfuß 
wohl nur im Reiche der Ideale und der Kunst zu finden; im 
gemeinen Leben sieht man wohl blos entsprechend dem sonsti¬ 
gen Wüchse des Körpers Füße, die, je nachdem, zum Plattfuß 
oder Klumpfuß hinneigen. Der Plattfuß, der Klumpfuß 
schlechtweg wäre dann blos eine Ausschreitung des Verhaltens, 
ein Exceß, wie Rokitansky gesagt haben würde, und die Art 
und Weise, wie die verschiedenen Menschen gehen und nament¬ 
lich ihre Schuhe austreten und die Sohlen und Absätze der¬ 
selben ablaufen, beweist das. Langgliederige, schlanke Menschen 
neigen so kurzweg mehr zu Plattfuß mit entsprechenden 
X-Beinen, untersetzte, stämmige mehr zu Klumpfuß mit ent¬ 
sprechenden O-Beinen hin. Sodann legt dafür der weitere, 
schon in Erwähnung gebrachte Umstand Zeugniß ab, daß, wo 
Plattfuß oder Klumpfuß vorkommt, auch die Hand, das Ant¬ 
litz in entsprechender Weise abgeändert zu sein pflegt. Die 
Hand ist eine Art Platt- oder Klumphand, das Gesicht ein 
mehr langes, schmales oder ein rundes, breites, im ersteren 
Falle häufig mit mehr oder minder vorgestrecktem Unterkiefer, 
wie er für das sogenannte Cranium progenaeum charakte¬ 
ristisch ist. 

Es fragt sich nun: Wie hängt das Alles zusammen, und 
worin besteht die Disposition zu ihm, das nur auf sie hin zur 
Ausbildung kommen soll? Um hierauf eine genügende Ant¬ 
wort geben zu können, ist es nothwendig, weiter auszuholen 
und auf die Entstehung, die phylogenetische Entstehung der 
Gliedmaßen näher einzugehen. 

Die Gliedmaßen der Ringelwürmer, der Arthropoden, der 
Vertebraten, sowohl was sie als Fortbewegungs- wie auch als 
Ergreifungsorgane anlangt, stehen mit den AthmungsWerk¬ 
zeugen, namentlich insofern dieselben Kiemen darstellen, in 
sehr inniger Beziehung. Aus den Gliedmaßen entwickeln sich 
Kiemen wie bei den Krustern; aus den Kiemen entwickeln 
sich Gliedmaßen, wie z. B. die Flügel der Insecten aus den 
sogenannten Tracheenkiemen, welche sich noch nachweislich 
bei den im Wasser lebenden Larven der Ephemeriden, Per- 
liden, Phryganiden, zum Theil auch Cuculiden u. s. w. finden. 
Aus Kiemen haben sich auch die Gliedmaßen der Vertebraten 
entwickelt. Die Kiefer, also die Hauptmasse des Gesichts¬ 
skelets, gehen, wie die Embryologie lehrt, noch heutigen 
Tages daraus hervor; bei den V order- und Hinter- oder Ober¬ 
und Untergliedmaßen, Armen und Beinen, ist dagegen abge¬ 
kürzte Vererbung eingetreten. Die Gesichtsentwicklung stellt 
eine Palingenie dar, Arme und Beine haben eine Känogenie 
eingeschlagen. Da der Kiemenapparat als ein Ganzes anzu- 
sehan ist, das von einem bestimmten Abschnitt des Central¬ 
nervensystems innervirt wird, so leuchtet ein, warum so häufig, 
wie das auch schon Thierzüchtem aufgefallen ist, Gesicht und 
Extremitäten in derselben Richtung geartet, beziehentlich ab¬ 
geändert sind, warum, wenn die Extremitäten kurz ge- 
rathen sind, auch das Gesicht, insbesondere die Kiefer kurz 
sind, — der Kopf selbst, d. i. der Schädel ändert sich 
wohl erst, nachdem die Kiefer verändert sind — warum da¬ 
gegen, wenn jene ein größeres Längenwachsthum erfahren 
haben, auch, diese sich durch eine größere Länge auszeichnen. 
Unter den Pferden die englischen Rennpferde und die schotti¬ 
schen Ponnys, unter den Rindern die holländische, die Olden¬ 
burger und die schweizer, namentlich aber die hornlose schot¬ 
tische Rasse, unter den Schweinen die älteren deutschen, 


polnischen Hausschweine, die englische Berkshire-Rasse und 
die ungarischen, sowie manche englischen, z. B. die Suffolk- 
Rasse, unter den Hunden die Windbunde, Windspiele, die 
dänischen, die Ulmer Doggen und die Bullenbeißer oder Bover, 
die Möpse, die King Charles- und Bologneser Hündchen, unter 
den Kaninchen die sogenannten weißen englischen und die 
wilden, unter den Tauben die Runttaube, der Kröpfer und 
das Mövchen und endlich unter den Menschen, um nur einige 
Wenige herauszuheben, die Angeln, die Engländer, die Nord¬ 
amerikaner auf der einen und die Wenden der Lausitz, die 
Czechen, die Thüringer auf der anderen Seite beweisen das 
vollauf. Indessen, weil doch jeder Kiemenbogen auch wieder 
ein bis zu einem gewissen Grade für sich Bestehendes ist, 
das von einem besonderen Theile des gedachten Abschnittes 
des Centralnervensystems innervirt wird, ist auch wieder er¬ 
sichtlich , warum die fraglichen Abänderungen nicht gerade 
immer Gesicht, beziehentlich Kiefer und Extremitäten zugleich 
treffen müssen, sondern warum sie sehr wohl auch einmal 
nur auf diese oder jene, ja sogar blos auf eins oder das 
andere dieser letzteren beschränkt sein können. So erklärt 
sich z. B., daß der Dachshund trotz seiner kurzen Beine 
eine lange und die Bracken trotz ihrer verhältnißmäßig langen 
Beine doch eine nur kurze Schnauze haben. 

Wie die Entwicklung des Gesichtes, beziehentlich 
der Kiefer aus dem ersteh Kiemenbogen sich macht, kann 
noch alle Tage beobachtet werden. Aus der Basis dieses 
letzteren wächst der Oberkieferfortsatz hervor und der übrig 
bleibende Theil wird damit. zum Unterkieferfortsatz. An 
diesem entsteht, durch Auswachsen der MECKEL’sche Knorpel 
und an der Außenseite desselben als Beleg- oder Deckknochen 
aus den Elementen der Lederplatte der bleibende knöeherne 
Unterkiefer. Wie die Extremitäten aus den Kiemenbogen ent¬ 
stehen , ist nicht bestimmt festzustellen. Da muß Vieles er¬ 
schlossen und namentlich durch Combination von That- 
sachen aus der vergleichenden Anatomie und Embryologie 
wahrscheinlich gemacht werden. Ueber das blos Wahrschein¬ 
liche kommen wir deshalb hiebei nicht hinaus; allein es kann 
durch Umfang des Beobachteten der Wahrheit so genähert 
werden, daß wir selbiges mit der bekannten Einschränkung 
auch als solche ansehen können. 

Nach Geqenbaür (Grundriß der vergleichenden Anatomie, 
2. Auflage, Leipzig 1878, S. 496 u. ff.) wird aus dem be¬ 
treffenden Kiemenbogen selbst Schulter-, beziehentlich 
Beckengürtel, und zwar auch nicht unmittelbar, sondern 
ebenfalls erst, nachdem sich, wie beim Unterkiefer, Beleg- oder 
Deckknochen aus der Lederplatte gebildet haben. Diese 
Beleg- oder Deckknochen in ihren verschiedenen Verbindungen 
stellen dann der Hauptsache nach Schulter- und Gürtelbecken 
dar, und nur ein unbedeutender Antheil dieser letzteren kann 
noch auf den ursprünglichen Kiemenbogen oder seinen Knorpel 
zurückgeführt werden, wie z. B. der Processus coracoides 
scapulae. Arm und Bein dagegen gehen aus gewissen An¬ 
hängen oder Auswüchsen des Kiemenbogena hervor, wie solche 
sich z. B. an dem Hyoidbogen des Barsches, des Zanders, des 
Dorsches u. a. m. finden, und die in Fig, 1, o— e, schematisch 
dargestellt sind. 



Fig. 1. 

Schemata zur Erläuterung der Entwicklung des ExtremitSten-Skeletes aus den 
Kiemen, o b e d Kiemenbogen, von Selachiern; e Archipterygiumform. 

(Nach Gegenbaur.) 

An den Kiemenbögen entstehen nämlich eine Anzahl von 
strahlenartig angeordneten Stacheln oder Dornen, welche durch 
Häutchen mit einander verbunden sind. In Folge von fort¬ 
gesetzten Bewegungsversuchen werden diese Stacheln oder 


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Dornen selbst beweglich und zwischen ihnen und dem Kiemen¬ 
bogen bildet sich damit eine Art von Gelenk aus. Einer der 
Stacheln oder, wie wir sie hinfort nach ihrer Anordnung 
nennen wollen, Strahlen, entwickelt sich stärker, wird stäm 
miger und länger, zieht damit die andern, durch Häute mit 
ihm verbundenen seitlich an sich in die Höhe und entwickelt 
Zwischen diesen noch neue, ihnen ähnliche Strahlen. Hiedurch 
entsteht die Grund- oder Urform der an den Schulter- und 
Beekengürtel angehefteten freien Gliedmaßen, die Gegenbaur 
als Archipterygium bezeichnet hat, die Grund- oder Ur¬ 
form der Fischflosse, von der sich alle anderen Gliedmaßen¬ 
formen ableiten lassen. Bei den Selachiem, Haien, bei denen 
der Mittelstrahl sich stärker entwickelt und so zum Haupt¬ 
strahl der ganzen Bildung wird, läßt sich der Uebergang von 
dem einfach stachelbesetzten Kiemenbogen bis zum Archipte- 
rygium ziemlich genau verfolgen. 

Die Stacheln oder Strahlen des Archipterygiums gliedern 
sich. Wohl in Folge der Bewegung zerfallen sie in einzelne 
immer kleinere, durch Häutchen unter sich verbundene Stücke, 
und so entsteht die eigentliche Fischflosse, die, trägt sie den 
vollständigen Charakter des Archipterygiums an sich, eine 
biseriale genannt wird. Als solche findet sie sich noch 
heutigen Tages bei dem Ceratodus Forsteri, einem in Australien 
lebenden Ueberbleibst-1 einer ehemals zahlreicheren Gattung 
bis mehrere Fuß langer Fische (Fig. 2). 



Fig. 2. 


Brust fl Obs« von Ceratodus Forsteri. ab Flossenstamm, cd Flossenstrablen. 

(Nach Haeckel.) 

Wohl wieder in Folge von Bewegung, also auf Grund 
des Gebrauches wanderten danach die Flossen sammt ihrem 
Gürtel und rückten ans dem Bereiche des Kiemenapparates 
an Brüst und Bauch, den ganzen Rumpf so in Hals, Rumpf 
im engeren Sinne und Schwanz theilend. Daß die Flossen 
Landern und in Folge dessen verschiedene Lagen am Körper 
einnehmen , erliegt wohl kaum noch der Frage. Namentlich 
sind es die Bauch- oder Beckenflossen, welche solche Wande¬ 
rungen zeigen, und die deshalb als sogenannte Kehlflossen 
beim Meergrundel, Kabeljau, Dorsch z. B. vor, beim Barsch, 
Zander unter und dicht hinter den Brustflossen oder als so¬ 
genannte Brust-Bauchflossen, bei den Lippfischen, dem Harder, 
etwas weiter hinter denselben liegen. Doch das nur nebenbei, 
wenn auch für die Erklärung, wie Arme und Beine aus 
Kiemenbogen hervorgegangen sein sollen, wichtig! 

Die einfache biseriale Flosse wird zum Ausgang der 
Gliedmaßenbildung aller höheren Wirbelthiere. Bei Fischen 
kommen zwar noch Flossen vor, welche gewissermaßen aus 
einer Zusammensetzung von mehreren, wenn auch sehr ver¬ 
änderten biserialen Flossen beruhen, indem sich neben dem 
Archipterygium aus den am Kiemenbogen sitzen gebliebenen 
Stachelstrahlen noch weitere archipterygienartige Gebilde ent¬ 
wickelten , die dann mit dem eigentlichen Archipterygium 
verschmolzen und so nun eine Art zusammengesetzter Flossen 
darstellen. Gegenbaur unterscheidet an solchen zusammen¬ 
gesetzten Flossen von vorn nach hinten, beziehentlich von 
unten nach oben oder auch von Bauch und Rücken gezählt: 
das Pr o ptery gi u m , das Mesopterygium und Meta- 
pterygium, von denen das letzte dem eigentlichen Archi¬ 
pterygium entspricht; allein diese Flossen (Fig. 3, 4, 5), durch 
welche die mitunter sehr abwegig gebildet erscheinenden 
Flossen der Rochen, Haie, Störe doch wieder auf ein und 
denselben Bildungsvorgang zurückgeführt werden, sind für 
die Entwicklung der Gliedmaßen der höheren Wirbelthiere 
von keiner Bedeutung. Diese stehen nur mit der biserialen 
Flosse in Zusammenhang, wie sie noch Ceratodus Forsteri besitzt. 


An der biserialen Flosse heißt der Mittelstrahl der 
Stamm der Flosse, der damit dann auch der Stamm des 
Archipterygiums ist. Er ist wie auch die Seitenstrahlen viel¬ 
fach gegliedert. Die betreffenden Glieder können mannigfache 
Veränderungen erleiden: die Seitenglieder können ganz in 
Wegfall kommen, so daß nur knorpelige Fäden übrig bleiben, 
wie bei dem Lungenfisch, Protopterus adnectens, oder starrere 
Stacheln ihre Stelle einnehmen, wie bezüglich der Bauchflossen 
beim Stichling, Gasterosteus, oder aber, was wichtiger ist, 
sie fallen nur theilweise fort auf einer, und zwar der äußeren 
oder Rückenseite und werden so uniserial. Sodann können 
die einzelnen Glieder sich vergrößern, namentlich verlängern, 
mit anderen verschmelzen und dabei in die verschiedensten 
Formen übergehen. 


QS 



Brustflossenakelet von Acanthias vulgaris. 
P Basale des Propterygiums, mi des Meta- 
pterygiuma, des Mesopterygiums, 

ß medialer Flossenrand. Die durch na 
gezogene Linie deutet die Stammreihe des 
Archipterygiumsan. Die puoktirten Linien 
entsprechen den Radien, die größtentheils 
lateral (ß ß) und nur in Rudimenten auch 
medial (ß 1 ) angeordnet sind. 

(Nach Gegenbaur.) 



Fig. 4. 


Primäres Brustflossenskelet von Aci- 
penser r uthenns nachEntfemong eines 
Theiles des secundären Skelets, ß Ba¬ 
sale des Metapterygiums, ß knöcherner 
Randstrahl des nur theilweise darge¬ 
stellten secundären Flossenskelets. 

(Nach Gegenbaur.) 



Fig. 5. 

Schema der Brustflosse eines Selachiers. bbb Basale des Propterygius 
pi, des Mt scpterygiums nu und des Metapterygiums m. Der schrafflrte 
Anthcil des Metapterygiums . stellt den in die Gliedmaßen der 
höheren Wirbelthiere sich fortsetzenden Abschnitt dar. 

(Nach Gegenbaur.) 


Das Glied des Flossenstammes, mit welchem derselbe 
dem zugehörigen Gürtel aufsitzt, heißt das basale. Dieses 
vergrößert sich zuerst und zumeist und wird, wie das die 
Gliedmaßen von Ichthyosaurus beweisen, zum Humerus, be¬ 
ziehungsweise Femur. Doch dürfte mit Rücksicht auf das 
eben Gesagte aus dem ursprünglichen Basale allein kaum 
Humerus und Femur hervorgegangen sein, sondern vielmehr 
erst, nachdem eine Verschmelzung desselben mit dem nächst¬ 
folgenden, wenigstens zweien, stattgefunden hatte. Aus dem 
Basale selbst wurde dann die obere, aus dem äußersten oder 
letzten die untere Epiphyse und aus dem, beziehentlich den mitt¬ 
leren Stücken die Diaphyse. Wir werden sehen, daß durch diese 
Annahme mehr erklärt wird, als es sonst möglich ist. Das, 
oder nach dem eben Gesagten, die nachfolgenden Glieder 
wurden, wie ebenfalls Ichthyosaurus, mehr noch Plesiosaurus, 
lehrt, zu Ulna, beziehentlich Fibula, und das oder wieder 
vielmehr die ersten Glieder des mit dem Basale verbundenen 
Seitenstranges wurden zu Radius, beziehentlich Tibia. An 
Ulna, Fibula schließt sich dann, dem Stamme angehörig, das 
Os ulnare und fibulare, an Radius und Tibia, dem ersten 
Seitenstrahle angehörig, das Os radiale und tibiale an, und 
zwischen Ulna und Radius einerseits und Fibula und Tibia 
andererseits, den zweiten Seitenstrahl darstellend, welcher von 
Ulna, beziehentlich Fibula ausgeht, schiebt sich das Os inter- 
medium ein. Zwischen Os ulnare, beziehentlich fibulare, und 
Os radiale, beziehentlich tibiale, sind zwei Ossa centralia ein¬ 
geschaltet, von denen das centrale radiale und tibiale gleich 

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dem intermedium ein Theil des zweiten Seitenstrahles ist, 
während das centrale ulnare und fibulare zu dem dritten 
Seitenstrahl zu rechnen ist, welcher von dem ulnare seinen 
Ursprung nimmt. Vor diesen in zwei Reihen angeordneten 
Knöchelchen, deren oberstes von dem intermedium allein ge¬ 
bildet wird, liegen in einer dritten Reihe fünf Knöchelchen: 
die Carpalia, beziehentlich Tarsalia primum bis quintum. Das 
erste, eigentlich fünfte, schließt sich an das radiale und tibiale 
an und ist dem ersten Seitenstrahl zugehörig, das zweite, 
eigentlich vierte, steht im Anschluß an das centrale radiale 
und tibiale und gehört zu dem zweiten Seitenstrahle. Das 
dritte oder mittlere steht im Anschluß an das centrale ulnare 
und ist Glied des dritten Seitenstrahles; das vierte, eigentlich 
zweite, steht im Anschluß an das fünfte, von dem der vierte 
Seitenstrahl sich abzweigt, und den es somit als sein erstes 
Glied bildet, und das fünfte endlich, unmittelbar an das ulnare, 
beziehentlich fibulare anschließend, gehört dem Stamm selbst 
an und ist somit eigentlich als das erste der ganzen fraglichen 
Reihe zu betrachten. 

Die genannten zehn Knöchelchen, in der geschilderten 
Weise im Allgemeinen noch bei den Amphibien vorhanden 
(Fig. 6, 7), bilden in ihrem Zusammenhänge den Carpus, be¬ 
ziehungsweise Tarsus. An jedes ihrer dritten Reihe setzt sich 



Schema der Vordergliedmaße eines Amphibiums. Die Pnnktlinien 
deuten die Radien an, welche am Stamm des Archipterygium ver¬ 
bleiben. 

(Nach Gegenbaur.) 



dann ein Metacarpal-, beziehungsweise Metatarsalknochen mit 
zugehörigen Phalangen an, und diese, wahrscheinlich auch 
jeder aus wenigstens drei ursprünglichen Flossenstücken ent¬ 
standen, bilden so das Ende des Stammes und der beziehent- 
lichen Seitenstrahlen. Die Gliedmaßen der Wirbel- 
thiere, Arme und Beine, Flügel sind also umge¬ 
änderte uniseriale Flossen, deren Stamm durch 
Humerus, Ulna, kleinen Finger, Femur, Fibula, 
kleine Zehe geht, und deren andere entsprechende 
Theile, natürlich mit zugehörigen Weichtheilen, 
Nerven, Muskeln, Bändern, Gefäßen, sich aus 
den entsprechenden Seitenstrahlen gebildet 
haben. Nicht Daumen und große Zehe, nicht der innere 
Hand- und Fußrand sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, 
die vornehmsten Theile an Hand und Fuß, sondern, obgleich 
am mächtigsten entwickelt, doch nur Gebilde zweiter Ordnung, 
und darin liegt der Schlüssel zur Lösung der uns beschäfti¬ 
genden Angelegenheit. 

Die zehn Carpal- und Tarsalknöchelchen sind bekanntlich 
sehr großer Veränderungen fähig. Auf denselben beruhen ja 
wesentlich mit die zahllosen Fuß-, beziehentlich Handformen, 
welche bei den Wirbelthieren Vorkommen. Sie können sich 
hier vergrößern, eigene Gestalt annehmen, dort zurückbilden, 
rudimentär werden, gar in Wegfall kommen; manche können 
auch verwachsen. Bereits bei den Amphibien ist dergleichen 
zu beobachten, und im Hinterfuße sehon der Larve von Sala- 


mandra maculata erscheint daher nur ein Carpale centrale: 
beide sind mit einander verwachsen. Bei den Schildkröten ist 
das Intermedium mit dem Tibiale und entsprechendem Cen¬ 
trale zu einem Astrogalus verschmolzen, bei den Eidechsen 
sind es sogar die ersten beiden Reihen, d. h. Intermedium mit 
den vier daranstoßenden, die dann zusammen noch mit der 
Tibia vereinigt sind. Bei den Vögeln liegt die Sache ähnlich, 
und bei den Säugethieren ? Die verschiedenen Vorkommnisse 
sind da allbekannt. 

Beim Menschen ist aus dem Intermedium das Os lunatum 
s. semilunatum manus und das Corpus tali s. astragali, aus 
dem Ulnare das Os triquetum und aus dem Fibulare das 
Corpus calcanei, aus dem Radiale das Os naviculare manus 
und aus dem Tibiale das Os naviculare pedis, vielleicht auch 
das Caput astragali geworden. Aus dem Carpale primum 
ging das Os multangulum majus, aus dem Tarsale primum 
das Os cuneiforme primum, aus dem Carpale secundum das 
Os multangulum minus und aus dem Tarsale secundum das 
Os cuneiforme secundum, aus dem Carpale tertium das Os 
capitatum und aus dem Tarsale tertium das Os cuneiforme 
tertium hervor. Das Carpale quartum wurde zum Os hama 
tum, vielleicht in Vereinigung mit dem Carpale quintum, das 
•sonst, an das Os triquetrum herangedrängt, sich zum Os pisi- 
forme gestaltete, und das Tarsale quartum ward Os cuboideum, 
vielleicht ebenfalls in Verbindung mit dem Tarsale quintum, 
das anders aber auch an den Calcaneus gedrängt, nach seiner 
Verschmelzung mit demselben sich zur Tuberositas desselben 
umgestaltete. Dieselbe würde dann dem Os pisiforrae ent¬ 
sprechen und die Homologie zwischen Hand und Fuß möglichst 
vollständig sein. Aus dem Carpale centrale radiale entstand, 
nach Verwachsung desselben mit dem Carpale tertium s. Os 
capitatum, das Capitulum desselben, und aus dem Carpale 
centrale tibiale, nach seiner Verwachsung mit dem Astragalus, 
das Caput dieses. Das Carpale centrale ulnare verwuchs mit 
dem Os hamatum zu seiner Pars superior, und das Tarsale 
centrale tibiale mit,dem Os cuboideum za,dessen pars superior 
s. interna. Doch soll nach Gegbnbaur das Caput astragali 
aus dem Tibiale hervorgegangen sein und das Naviculare sich 
aus dem Centrale gebildet haben, sowie das Hamatum aus 
dem vierten und fünften Carpale und das Cuboides aus dem 
vierten und fünften Tarsale. Das Os pisiforme soll aber gar 
nicht den besprochenen zehn Carpalknochen angehören, sondern 
ein Ueberbleibsel aus einer Zeit sein, in welcher noch mehr 
als zehn Carpalknochen vorhanden waren, wie bei Ichthyo¬ 
saurus, Plesiosaurus u. s. w. Doch ist das für unsere Zwecke 
nicht von Belang. Für diese genügt zu wissen, daß die ein¬ 
zelnen Knochen von Hand und Fuß mit sammt den zugehörigen 
Weichtheilen einer uniserialen Flosse entsprechen, deren 
sämmtliche nach innen von den unmittelbaren Ulnar- und 
Fibulargebilden, durch welche der Flossenstamm geht, ge¬ 
legenen Theile aus den Seitenstrahlen dieser Flosse hervor¬ 
gegangen sind. (Schluß folgt.) 


Zur Therapie des Schuhdruckes und dessen 

Folgeübel. 

Von Dr, Oscar Romioh in Wien. 

Es ist eine sehr beachtenswerthe Thatsache, daß unsere 
Füße bei entsprechender Beschuhung sehr große Strapazen 
ohne nennenswerthe schädliche Folgen aushalten können. Von 
diesem Gesichtspunkte aus erscheint für die überwiegende An¬ 
zahl sogenannter Fußleiden einzig und allein der Schuh als 
ätiologischer Factor. 

Auch nach längeren Märschen oder Bergexcursionen, bei 
welch letzteren es begreiflicherweise zu ganz bedeutenden 
Graden von Reibung und Druck kommt, stellen sich meistens 
nur leichte Erytheme ein, die durch ein kühles Fußbad und 
eine ausgiebige Nachtruhe anstandslos zu beseitigen sind, wie 
dies aus den Berichten der meisten Hochtouristen constatirt 


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werden kann. Umgekehrt kommen Personen, die täglich oft; 
nur eine halbe Stunde anf den bequemsten Promen ade wegen 
sieh bewegen, zu denen ein großer Theil unserer Frauenwelt 
gehört, zeitlebens aus den Schuhdruekfatalitäten nicht herauä. 

Wie soll nun der correcte Schuh beschaffen sein? 

Selbstverständlich sind die noch häufig gebräuchlichen 
symmetrischen Schuhe, welche weder dem Unterschiede zwischen 
rechts und links, noch dem verschiedenen Contour des Innen- 
und Außenrandes Rechnung tragen, entschieden zu verwerfen. 
Ebenso sind allzu hohe Absätze, abgesehen von der unge¬ 
hörigen Verschiebung des auf dem Fußgewölbe lastenden 
Körpergewichtes, ein begünstigendes Moment für die Entstehung 
von Excoriationen und Leichdornen auf der Streckseite der 
Zehen, da der Fuß fortwährend auf der schiefgestellten 
Schuhsohle nach vorne rutscht und sich am Oberleder reibt. 

Dr. Vötsch , ein Autor, der sich um diese Frage 
viele Verdienste erworben hat, stellt in einer Brochure „Fu߬ 
leiden und rationelle Fußbekleidung“, Stuttgart 1883, folgende 
Postulate auf: Gelegentlich des Maßnehmens soll der Schuh¬ 
macher vorerst den Umriß der Fußsohle zeichnen, ferner, wie 
es übrigens ohnehin geschieht, das Maß um Groß- und Klein¬ 
zehenballen, um die Ferse und Sprunggelenk und den Rist 
bestimmen. 

Bei Berücksichtigung dieser Maße werden die Schuhe 
weder zu kurz, noch zu schmal ausfallen und auch die Pressung 
des Ristes durch das Oberleder wird vermieden werden. 
Außerdem legt Dr. Vötsch großes Gewicht darauf, daß die 
Sohle nicht zu dick und deren vorderer Theil etwas aufge¬ 
bogen sei, so daß das daran befestigte Oberleder parallel mit 
dem Nagel der großen Zehe verläuft. Schließlich betont er 
die Nothwendigkeit, daß die Schuhmacher für jeden Kunden 
eigene Leisten anfertigen. 

Diese Forderungen sind wohl begründet und würde deren 
allgemeine Durchführung dem Schuhdruck auf das Wirksamste 
abhelfen. Wenn man jedoch bedenkt, wie schwer es ist, 
andere ähnliche Forderungen der Hygiene populär zu 
machen — ich verweise nur auf das Capitel der Zahn- 

Ä wo doch die Eitelkeit den Forderungen der Vernunft 
e kommen sollte, während in unserem Falle die Eitel¬ 
keit zum Gegner wird — so ergibt sich, daß man vorläufig 
damit zufrieden sein kann, wenn es gelingt, auf möglichst 
einfache Weise den Schuh seines Hauptfehlers zu entledigen. 

Die Erfahrung »lehrt nun, daß gegen die erforderliche 
Länge des Schuhes wenigstens in unserer Modeperiode relativ 
selten gesündigt wird, dafür desto mehr gegen die nöthige 
Breite der Sohle. 

Dies ist aber der größte Fehler einer Fußbekleidung, 
der für sich allein die ganze Serie der Fußübel, als Leich¬ 
dorne, Schwielen, Frostbeulen, Druckgeschwüre, eingewachsene 
Nägel etc. erzeugen kann, während die sonstigen Fehler, wie 
grobe Nähte, Faltenbildung des Leders, zu geringe Biegsam¬ 
keit der Sohle bei entsprechender Sohlenbreite weniger schäd¬ 
lich wirken und überdies vom Publicum meist rasch besei¬ 
tigt werden, hingegen der qualvolle Druck des zu schmalen 
Schuhes mit stoischer Ruhe ertragen wird. 

Die Schuhsohle sollte eigentlich so breit sein als die 
Fußsohle, und zwar während des Stehens vom Seitenrande des 
Groß- zu dem des Kleinzehenballens, also an der breitesten 
Stelle gemessen. Dieselbe ist gleichzeitig von einer sehr 
dünnen Weichtheilschiehte bedeckt und daher gegen den Druck 
des Oberleders sehr empfindlich. Man kann aber unbeschadet 
des Endzweckes dem derzeitigen Geschmacke folgende Con- 
cession machen: 

Vielfache Messungen haben mir nämlich ergeben, daß 
die Schuhdrucksymptome fast unvermeidlich sind, wenn die 
Schuhsohle um circa 1 x / a Cm., jedenfalls aber, wenn sie um 
2 Cm. oder gar darüber schmäler ist, als die durch das 
Körpergewicht belastete Fußsohle, während die um nur circa 
1 Cm. schmälere meist keine Beschwerden verursacht. Natür¬ 
lich kann es sich hiebei nur um die Durchschnittsbreite bei 


Erwachsenen handeln; für Kinder darf die Differenz nicht so 
viel betragen. Bei letzteren ist es überhaupt am besten, sich 
stricte an die gegebene Fußbreite zu halten. 

Obwohl es mir ferne liegt, die erwähnte Verkürzung 
der Sohlenbreite als besonders empfehlenswerth hinzustellen, 
möchte ich doch einen Schuh immer noch als zur Benützung 
geeignet erklären, dessen Sohle nur um 1 Cm. schmäler ist, 
als die breiteste Stelle des Fußes während der Belastung 
durch das Körpergewicht, vorausgesetzt, daß die Schuh breite 
gegen die Zehen nur weuig, höchstens um 1 — I */* Cm. ab¬ 
nimmt. Es ist di^s aber auch die äußerste Concession, die 
gemacht werden darf. Ich empfehle meinen Clienten, jeden 
neuen Schuh auf der Sohlenbreite nach obiger Methode zu 
prüfen und denselben sofort zurückzuweisen, wenn die Differenz 
mehr als 1 Cm. beträgt. 

Bei Schuhen mit vorstehenden Sohlen ist der vorstehende 
Rand — beiderseits zusammen circa 1 Cm. — abzurechnen, da 
nur jener Sohlentheil der Fußsohle zu Gute kommt, der sich 
innerhalb des Ansatzes des Oberleders befindet. 

Um die Construction ganz genauer Leisten und dem¬ 
entsprechend vollkommen passender Schuhe zu ermöglichen, 
verfertigt man Gypsabgüsse der Füße. Dieses unstreitig sehr 
lobenswerthe Verfahren erfreut sich im Principe zwar vieler, in 
der Praxis aber nur vereinzelter Anhänger. Ein Unternehmen, 
welches vor mehreren Jahren die Anfertigung solcher Gyps- 
modelle speeialistisch betrieb, hat nach Kurzem seine Thätig- 
keit wieder eingestellt. 

Um noch ganz kurz die oft aufgeworfene Frage, ob 
Schnürschuhe, Halbstiefel oder Röhrenstiefel vorzuziehen sind, 
zu berühren, möchte ich mir erlauben, darauf hinzuweisen, 
daß durch Schnürschuhe der Druck auf den Rist vermieden 
wird. Es fehlt zwar nicht an gegentheiligen Behauptungen: 
die Erfahrungen der gesammten Touristenwelt jedoch, der 
man doch in dieser Frage die Competenz nicht absprechen 
darf, befürworten den Schnürschuh ohne jede Einschränkung. 
Beispielsweise sei auch erwähnt, daß eine im Jahre 1878 an die 
Commandanten der französischen Armee ergangene Aufforde¬ 
rung, die verschiedenen Systeme zu begutachten, unter 387 
Berichten 154 den Schnürschuhen günstige ergab, während die 
übrigen sich auf vier andere Systeme vertheilten. 

Ein Schnürschuh, dessen Sohle die oben geforderte Mi¬ 
nimalbreite und genügende Länge, sowie einen möglichst gerad¬ 
linigen Außenrand besitzt, wird den wichtigsten Anforderungen 
entsprechen. Selbstverständlich wird ein wenig nachgiebiges 
Oberleder bei ungenügender Sohlenbreite üblere Folgen nach 
sich ziehen, als ein feineres. Sehr zu empfehlen ist das sog. 
Spiegelleder (vom Pferde), welches sehr geschmeidig und zu¬ 
gleich dauerhaft ist. 

Die durch Schuhdruck entstandenen Fußübel lassen sich 
in folgende Gruppen eintheilen: a) Erytheme, b) Frostbeulen, 
c) Excoriationen und Geschwüre, d) Leichdorne und Schwielen, 
e) Entzündung der Weicbtheile des Nagelgliedes (Unguis in- 
carnatus), f) abnorme Lagerung und Winkelstellung der 
Zehen. 

a) Die Erytheme localisiren sich vorzugsweise längs des 
äußeren und inneren Fußrandes, über den vorspringenden 
Sehnen des Fußrückens, über der Achillessehne und der Streck¬ 
seite der Zehen. Der ziemlich geradlinig verlaufende äußere 
Fußrand leidet besonders durch Schuhe, deren Außenrand 
ebenso concav geformt ist wie der innere. Am häufigsten und 
intensivsten beobachtet man aber diese Erscheinung über der 
Medialseite des 1. Metatarso-phalangealgelenkes, da sich hier 
die größte seitliche Ausbiegung des Fußskelettes findet. 

Diese Erytheme verlieren sich nach Beseitigung des 
Druckes in der Regel sehr bald und erfordern nur selten eine 
Behandlung mit Umschlägen von Aq. Goulardi u. dgl. 

b) Wenn die Füße bei niederen Temperaturen dem Schuh¬ 
druck ausgesetzt sind, treten häufig die sogenannten Frost¬ 
beulen auf. Daß der Schuhdruck für die Entstehung dieses 
Uebels wesentlich ist, geht schon daraus hervor, daß sich das- 


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selbe fast ausschließlich an jenen Hautjtartien findet, welche 
Sitz der Druckerytheme zu sein pflegen. Uebrigens spricht 
noch manches Andere dafür; vor Allem der Umstand, daß 
der Schuhdruck eine beträchtliche Aenderung in den localen 
Circulationsverhältnissen erzeugt. In vielen Fällen wird auf 
vorhandene Anämie ganz besonderer Nachdruck gelegt. Nach 
meinen Erfahrungen veranlaßt dieselbe ohne gleichzeitigen 
Schuhdruck keineswegs häufig die Entstehung von Frostleiden, 
und das Localleiden wird sich auch bei eifriger Durchführung 
der üblichen roborirenden Therapie nicht bessern, wenn die 
Fußbekleidung nicht berücksichtigt wird. 

Therapeutisch ist somit die sofortige Beseitigung des 
Schuhdruckes das Wichtigste. Alle pharmaceutischen Mittel 
stehen in zweiter Reihe; die relativ besten Erfahrungen macht 
man noch mit der Aufpinselung von Collodium nebst den 
üblichen Zusätzen von Jod. Aehnlich wirkt auch Tinctura 
Jodi und Tinctura gallarum zu gleichen Theilen täglich ein¬ 
mal auf gepinselt. Man kann es auch mit lauen Fußbädern, die 
Zusätze von Darkauer Jodsalz — circa 20 Grra. — und Franzens¬ 
bader Moorsalz — circa 10 Grm. auf circa 8 bis 10 Liter 
enthalten — versuchen und wird wesentliche Erleichterung 
erzielen. Leider pflegt das Publicum mit wahrer Experimentir- 
wuth die verschiedenartigsten Mittel zu versuchen, den Rath¬ 
schlägen betreffs passender Schuhe aber nur selten Gehör 
zu schenken. 

c) Wenn der Schuhdruck länger andauert oder intensiver 
einwirkt, kommt es an den mehrfach erwähnten Hautpartien 
zur Bildung von Excoriationen und bei fortgesetzter Ein¬ 
wirkung der Schädlichkeit zu kleinen Geschwüren. Häufig 
entwickeln sich auf Grundlage von Frostbeulen Geschwüre, 
von denen man vielleicht nicht ganz mit Recht behauptet, daß 
sie einen sehr protrahirten Verlauf nehmen. 

Diese Gruppe, sowie die folgenden, gibt bereits mehr 
Gelegenheit zu therapeutischer Thätigkeit, als die zwei ersten, 
bei denen die Entfernung der schädlichen Ursache genügt. 

Eine Unterbrechung der Berufsthätigkeit, resp. Bettruhe 
erfordern diese meist kleinen Geschwüre für gewöhnlich nicht. 
Am zweckmäßigsten ist nach vorhergegangener gründlicher 
Reinigung und Entfernung etwaiger Borken die Application 
eines Jodoformpult-er-Salbenverbandes in der Art, daß eine 
Spur Jodoform aufgestäubt wird, worüber ein mit einer Deck¬ 
salbe (z. B. Acid. borici 5’0, Cerae alb. 10*0, 01. oliv. 25 0) 
bestrichener Lappen zu liegen kommt. Im Granulations¬ 
stadium wird mit 1% Höllensteinsalbe belegt. Die Befestigung 
geschieht am besten mit hydrophilen Mullbinden, welche sich 
dem Fuße besser als irgend ein anderes Bindenmaterial an¬ 
schmiegen und sehr wenig Raum beanspruchen. Bei mangel 
hafter Granulation oder unreinem Grunde leistet das Meiste eine 
ausgiebige Bestreichung mit dem gut befeuchteten Höllenstein¬ 
stifte und die unmittelbar darauf folgende Bestäubung mit fein¬ 
gepulvertem Jodoform. Hiebei tritt eine energische Umsetzung 
ein. die äußerlich durch ein Aufgeblähtwerden der Jodoform¬ 
schichte bemerkbar wird. 

Die günstige Wirkung dieser Procedur zeigt sich schon 
am nächsten Tage, insofeme früher recht empfindliche Stellen 
schmerzfrei werden, wobei allerdings nicht verschwiegen werden 
darf, daß nach der Aetzung durch einige Stunden mehr minder 
heftiges Brennen auftritt. Nach 3—4 Tagen ist nicht selten 
bereits eine zusammenhängende Schichte zarter Granulationen 
zu bemerken. 

Vernachlässigte Druckgeschwüre werden nicht selten 
von hartnäckigen Eczemen begleitet. Wenn dieselben gegen 
die Sohle fortschreiten, pflegt die dortige derbere Oberhaut 
an den meisten Stellen bei gesteigerter Exsudation nicht so¬ 
gleich zu bersten, sondern vorerst buckelförmige Auftreibungen 
zu zeigen. 

Da hiebei das aufgestaute Secret durch Druck Schmerz 
verursacht und auch öfter oberflächlichen Zerfall bedingt, ist 
es zweckmäßig, die einzelnen Blasen aufzustechen, die Häutchen 


abzutragen und etwaiges Secret mittelst Wattabäuschchen aus¬ 
zupressen. Im Uebrigen heilen diese Eczeme unter der gebräuch¬ 
lichen Salbenbehandlung. 

(Schiaß folgt.) 


lieber die therapeutische und gerichtlich- 
mediciuische Bedeutuug der Hypnose. 

Von Dr. S. N. Danillo, Docent an der kais. militär-med. 

Akademie zu St. Petersburg. 

(Schluß.) 

Ich übergehe zum zweiten Theile der uns interessirenden 
Frage, nämlich zur gcrichtlich-medicinischen Bedeutung des 
Hypnotismus, und da muß ich zunächst die Frage besprechen, 
ob man ein Individuum ohne dessen Wissen hypnotisiren 
kann. In dieser Beziehung divergiren die Angaben der 
Autoren sehr stark. Nach manchen Autoren ist es absolut 
unmöglich, Jemand ohne seinen Willen zu hypnotisiren, 
besonders aber, wenn das zu hypnotisirende Individuum 
Widerstand leistet; nach Anderen ist die Einwilligung des 
zu Hypnotisirenden zum Einschlafen gar nicht nothwendig. 
Zuweilen hat sogar der Widerstand gegen die Suggestion 
zum Einschlafen gar keine Bedeutung, das Individuum; 
welches sich dem Einflüsse der wiederholten Kunstgriffe des 
Hypnotismus, verbunden mit wörtlichem Befehle zum Ein¬ 
schlafen, ausgesetzt hat, unterliegt schließlich der Forderung 
des Hypnotiseurs und schläft ein. Als Haupt Vertreter der 
ersten Meinung kann man Couli.eii und Bernheim, vor ihnen 
auch Buaid ansehen. Eine Reihe anderer Forscher behauptet 
jedoch, daß die Einwilligung des zu Hypnotisirenden durch¬ 
aus nicht nothwendig ist. In diesem Sinne sprechen sich 
Gili.es de la Tourettb, Fantan, Segnakd, die Beobachtungen 
der Klinik von Charcot, die Mittheilungen von Liebauld 
u. A. aus. 

Meine persönlichen Beobachtungen nöthigen mich, der 
Meinung beizustimmen, daß die Hypnotisirung gegen, oder 
wenigstens abgesehen vom Wunsche der zu hypnotisirenden 
Personen, möglich ist. Ich habe zu wiederholtem Male die 
Erscheinungen des hypnotischen Schlafes mit und ohne darauf¬ 
folgende Suggestion unter den genannten Bedingungen bei 
verschiedenen hysterischen Personen, Männern und Frauen, 
gezeigt, so daß die Möglichkeit der Hypnotisirung ohne Wissen 
des Individuums für mich nicht dem geringsten Zweifel unter¬ 
liegt. Anders steht die Sache mit der Suggestion. Hüiibe- 
Schleiden bemerken ganz richtig, daß man die Erscheinungen 
der Hypnose von denen der Suggestion trennen muß. Die 
erstere ist den Menschen und den Thieren gemeinschaftlich, 
die letztere aber nur den Menschen eigen und nach meiner 
Meinung lange nicht allen Menschen, die in hypnotischen 
Schlaf versetzt werden können. Ferner unterliegt es keinem 
Zweifel, daß lange nicht alle Personen, die in den Zustand 
der Hypnose gerathen, in demselben Maße auch der Sug¬ 
gestion unterliegen. Man muß daher sowohl vom therapeuti¬ 
schen, als auch vom gerichtlich-medieinischen Standpunkte 
diese zwei Reihen unterscheiden. Die Einschläferung, die im 
Allgemeinen durch schwache periphere Reize erzielt wird, 
wird nicht unbedingt in jedem Falle von der Fähigkeit der 
Aufnahme der verbalen Suggestion begleitet. Ungeachtet 
der wiederholten Versuche zu suggestioniren unterliegen 
manche Patienten dennoch nicht der Suggestion, deshalb ist 
die Wahl der zur Untersuchung des Einflusses der hypnoti¬ 
schen Suggestion geeigneten Fälle eine sehr schwere. 

Im Allgemeinen konnte ich mich überzeugen, daß hyste¬ 
rische Individuen bedeutend häufiger der Suggestion unter¬ 
liegen, als Personen, die an anderen Formen von Nerven¬ 
krankheiten leiden. 

Sowohl der hypnotische Schlaf, als auch die Beeinflussung 
durch Suggestion verdienen natürlich vom gerichtlich-medici- 


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nisöben Standpunkte eine besondere Aufmerksamkeit. Im Zu¬ 
stande des byp notischen Schlafes verschwindet die Reaction 
auf äußere Eindrücke . vpllständig, oder dieselbe wird aufs 
Aeußerste herabgesetzt. Es ist klar, daß man mit einer 
Person, die sich in einem solchen Zustande befindet, alles 
Mögliche vornehmen kann, wobei von einer Selbstvertbeidigung 
keine Rede ist. Zieht man nun die frühere Möglichkeit der 
Hypnotisirung ohne Wissen des, zu hypnotisirenden Indivi¬ 
duums in Betracht, so ist es klar, daß die Anwendung 
der Hypnose zu verbrecherischen Zwecken keinem Zweifel 
unterliegt, und ich theile vollständig die Meinung von Grw.Es 
de la Tourette, Brouaroel und L adamr, daß vom juridischen 
Standpunkte die Möglichkeit der Vollziehung gewaltthätiger 
Acte an hypnotischen Individuen zweifelsohne zugegeben 
werden muß. Was die Frage betrifft, ob hypnotische Indi¬ 
viduen verschiedene, ihnen im Zustande der Hypnose sugge- 
stionirte Tbaten ausführen können, so nöthigen mich zahl¬ 
reiche Beschreibungen und meine persönlichen Erfahrungen 
anzunehmen, daß unter dem Einflüsse der Suggestion die 
Widerstandsfähigkeit des Individuums anfangs abgeschwächt 
wird und später gänzlich verschwindet. Ein solches Individuum 
kann dann zweifelsohne auch im wachen Zustande eine gauze 
Reihe der verschiedensten Thaten ausführen und es muß zu¬ 
gegeben werden, daß unter dem Einflüsse der hypnotischen 
Suggestion auch solche Thaten verrichtet werden können, welche 
alle Zeichen des bewußten Verbrechens an sich tragen. Wenn 
man aber annimmt, daß der Hypnotisirte unter dem Einflüsse 
einer Zwangsidee sich befindet, demnach nicht im Stande ist, 
gegen dieselbe anzukämpfen, so muß selbstverständlich sein 
Vorgehen nicht als ein freiwilliges betrachtet werden. Diese 
Thatsäche erfordert aber noch eine sehr genaue und gründ¬ 
liche Controle und die Frage über den Automatismus der 
suggestionirten Wirkung muß umsomehr als eine offene be¬ 
trachtet Werden, als Anzeichen vorhanden sind, daß auch 
Hypnotische im Stande sind, mit den ihnen aufgedrungenen 
Gedanken zu kämpfen (GillesTde la Tourette). 

' Hypnotische Suggestion darf behufs Verhörs nicht ange¬ 
wendet werden, denn wenn der Hypnotisirte auf die vorge¬ 
legte Frage zu antworten genothigt ist, so kann man nie mit 
Bestimmtheit sagen, inwiefeme er die äußeren Eindrücke 
correct aufiiimmt, wie er auf dieselben reagirt. Außerdem lehrt 
die Erfahrung, daß im Zustande der Hypnose nicht selten 
verschiedene Täuschungen der Gefühle Vorkommen, welche in 
den Antworten dieser Individuen eine gewisse, zuweilen nicht 
unbedeutende Rolle spielen können, kraft welcher auch die 
Antworten eine gewisse Schattirung annehmen können. End¬ 
lich besteht die Beraubung der Actionsfreiheit nicht in Ueber- 
emstimrnung mit dem Begriffe der Gerechtigkeit, und es kann 
demnach ein bewußtloses Geständniß - nicht als correot be¬ 
trachtet werden. 

Im Allgemeinen können wir mit Brouardel und Ladamk 
sagen, daß es nicht Sache der Aerzte ist, die Rolle der Unter¬ 
suchungsrichter auf sich zu nehmen und durch Kunstgriffe 
Geständnisse hervorzulocken. Nur in einem Falle kann der 
Arzt die Frage der Hypnose bei Gericht aufwerfen, und 
zwar wenn es sich um ein Verbrechen handelt, bei welchem 
man die Mitwirkung der Hypnose oder der Suggestion ver- 
muthet. Aus der ausgedehnten Literatur über den Hypnotismus 
ist es bekannt, daß in diesem Zustande häufig sehr lebhafte 
Sinnestäuschungen Vorkommen, die manchmal so fest im Ge- 
dächtniß behalten werden, daß auch nach dem Erwachen die 
Handlungsweise des Individuums während einer gewissen Zeit 
den | früheren falschen und sozusagen Pseudoempfindungen 
untergeordnet ist. 

In Anbetracht der Möglichkeit falscher Beschuldigungen 
seitens eines Hypnotisirten ist es daher angezeigt, daß der 
Arzt bei der Anwendung der Hypnose mit dem zu hypnoti¬ 
sirenden Individuum nicht allein bleibe. Die Anwesenheit 
einer dritten Person hindert das Zustandekommen der Hypnose 
nicht im Geringsten und bewahrt den Arzt vor möglichen 
künftigen Beschuldigungen. 


Aus der Literatur des Hypnotismus ist es bekannt, daß 
die unvorsichtige oder zu häufig angewendete Hypnose zuweilen 
eine ganze Reihe sehr schwerer Nervenanfälle nach sich ziehen 
kann. Das wurde hauptsächlich nach zweck- und sinnlosen 
öffentlichen hypnotischen Seancen beobachtet, wie sie so häufig 
überall zu sehen sind. Es ist daher das Verbot der öffent¬ 
lichen Vorstellung der hypnotischen Erscheinungen ganz zweck¬ 
mäßig und wäre mit Recht auch auf verschiedene Reclamen 
der Hypnotiseure auszudehnen, welche in Zeitungen in Form 
von Aufsätzen über die wunderbare Heilung mittelst der 
Hypnose oder des thierischen Magnetismus, wie es die pro¬ 
fessionellen Hypnotiseure nennen, erscheinen. Die hypnotischen 
Erscheinungen, die beim Menschen beobachtet werden, sind 
theils pathologisch, theils künstlich hervorgerufen und können, 
wenn unvorsichtig angewendet, zu schweren nervösen Folge¬ 
zuständen führen, ihr Studium muß demnach das alleinige 
Eigenthum der Aerzte werden. Die Popularisirung der Kennt¬ 
nisse der Hypnose ist ebenso zwecklos wie jene der bekannten 
Thatsachen über den Einfluß des Chloroforms auf den thierischen 
Organismus u. s. w. Die Neigung zum Wunderbaren und Ueber- 
natürlichen war und wild immer ein allgemeiner Zug aller 
Gesellschaften und Zeiten bleiben, aber die Aufgabe der Aerzte, 
als objectiver Naturforscher muß eben in der Bestrebung be¬ 
stehen, eine richtige Anschauung von den Erscheinungen zu 
bilden und auch in die Frage des Hypnotismus, mit dem 
man heute Alles behandeln, die Wahrheit erfahren, den 
Charakter ändern und aus Verbrechern moralische Menschen 
machen will, geeignetes Licht zu bringen. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Dr. A. Groenouw: Acutes Glottisödem nach Jodkalium¬ 
gebrauch. 

Während die verschiedenen unangenehmen Nebenwirkungen 
des Jodkalium hinlänglich bekannt sind, ist gerade dem plötzlichen 
Auftreten von acutem Glöttisödem bei Jodgebauch bisher wenig 
Aufmerksamkeit geschenkt worden. Verf. beschreibt in Nr. 3 der 
„Therap. Monatsh.“ 4 solcher Fälle und ziehtaus seinen eigenen wie aus 
den in der Literatur veröffentüchten Beobachtungen folgende Schlüsse: 

• Nach dem Gebrauch von Jodkaüum tritt in einigen seltenen 
Fällen ganz plötzlich eine auf Glottisödem beruhende hochgradige 
Dyspnoe ein, welche die schleunige Vornahme der Tracheotomie 
nöth wendig machen und bei Verabsäumung dieser Maßregel selbst 
tödtlich enden kann. - Glottisödem als Ursache für diese Dyspnoe 
ist in einigen Fällen durch die Laryngoskopie, in anderen (Fournier) 
durch die Autopsie nachgewiesen worden. Aber auch in den übrigen 
Fällen beweist der ganze Verlauf dieses üblen Zufalles, namentlich 
das rasche spontane Verschwinden der Athemnoth, daß es sich nur 
um ein Oedem des Larynx handeln kann. 

Dieses Symptom entsteht nicht etwa durch längeren Jodkalium- 
gebraüch oder durch Sehr große Dosen dieses Mittels; im Gegentheil 
tritt der Erstickungsanfall schon nach relativ kleinen Gaben meist 
innerhalb der ersten Tage oder Stunden ein. 

Die stürmischen Erscheinungen sind stets durch nur geringe 
Mengen des Jodsalzes veranlaßt worden, das Gesammtquantum 
schwankt von 0*2—3 6 Grm., und nur in einem einzigen 
Falle war es erheblich größer, nämlich 13 Grm. Der Zufall trat 
nicht selten schon nach wenigeu Stunden, meist innerhalb der ersten 
beiden Tage und nur ein einziges Mal bedeutend später, am 6. Tage, 
auf, indessen zeigte dieser Patient bereits am 2. Tage nach 
Verbrauch von 2 1 / 2 Grm. Jodkalium krankhafte Erscheinungen von 
8eiten des Kehlkopfes. Diese Beobachtung stimmt mit den übrigen 
Erfahrungen betreffs des acuten Jodismus vollständig überein, indem 
auch die übrigen heftigen Symptome desselben meist nach sehr ge¬ 
ringen Jodkaliumgaben auftreten. 

Andere Erscheinungen von Jodismus, abgesehen von einigen 
mehr allgemeinen Symptomen, wie Kopfschmerzen, fehlen häufig 
beim Auftreten des Larynxödems. 

Es handelt sich dann um eine localisirte Wirkung des Jod¬ 
kaliums auf den Respirationstractus und seine Adnexa, nicht etwa 


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um eine Theilerscheinung eines allgemeinen Oedems, das nur wegen 
der örtlichen Verhältnisse gerade im Kehlkopf einen besonders ge¬ 
fahrdrohenden Charakter angenommen hätte. 

Die Ursache für diese Zufälle, welche zweifellos als Jod- und 
nicht als Kaliwirkung aufznfassen sind, ist ebenso wie Überhaupt 
für den acuten Jodismus nicht in gewissen Verunreinigungen des 
Jodkalium etwa durch jodsaure Salze (Nothnagel und Rossbach) 
zu suchen. Dieses beweist einerseits die Tbatsache, daß unter der 
großen Zabl Patienten, welche im Laufe mehrerer Monate von genau 
demselben Präparate brauchten, nur ein einziger Glottisödem bekam, 
andereits bat sowohl Foübnieb als auch Bbesgen das benutzte Jod¬ 
kalium im mehreren Fällen mit negativem Erfolge auf jodsaure Salze 
untersuchen lassen. 

Locale oder Allgemeinerkrankungen als Ursache für die ge¬ 
nannten Erscheinungen sind nicht nachzuweisen. Ein Rachen- oder 
Kehlkopfleiden könnte möglicherweise ein gewisses prädisponirendes 
Moment abgeben, indessen ist die geringe Verdickung der Epiglottis 
in einem Falle und die absolut keine Beschwerden verursachende 
Struma in einem zweiten Falle kaum als ein solcher Factor anzu- 
Behen. Ein Herz- oder Nierenleiden ist in keinem Falle diagnostieirt 
worden. Alter und Geschlecht sind, soweit sich aus dem vor¬ 
handenen Material Schlüsse ziehen lassen, von keinem besonderen 
Einfluß auf das Zustandekommen des Glottisödems, ebensowenig ist 
etwa eine schwächliche Constitution anzuschuldigen, indem gerade 
der erste Patient ein kräftiger und robnster Mann war. 

Die eigentliche Ursache ist vielmehr in einer Idiosyncrasie des 
betreffenden Individuums gegen Jodkalium zu suchen; dies geht be¬ 
sonders daraus hervor, daß schon geringe Dosen sehr heftige Er¬ 
scheinungen von acutem Jodismus veranlassen. Der etwas vage 
Begriff „Idiosyncrasie“ läßt sich gerade hiebei etwas schärfer defi- 
niren. Sind nämlich bei dem einen oder anderen Menschen gewisse 
chemische Vorbedingungen zur Zerlegung des Jodkalium und damit 
zur Ausscheidung von freiem Jod in den Geweben selbst stärker als 
bei der großen Mehrzahl vorhanden, so wird das -frei werdende stark 
irrltirende Jod sehr wohl die geschilderten Entzündungszustände in 
den betreffenden Organen veranlassen können (Binz). 

Diese Idiosyncrasie ist durchaus keine absolute, indem manche 
Patienten wenige Tage später wieder die gewöhnlichen Gaben von 
Jodkalium anstandslos vertragen, während sie kurz vorher auf die¬ 
selbe Dosis mit den heftigsten Erscheinungen reagirten. Auch dies 
erklärt sich unschwer, wenn man annimmt, daß die Zellen der be¬ 
troffenen Schleimhaut auf den erstmaligen Angriff durch Jod zwar 
mit krankhaft gesteigerter Secretion antworten, dadurch aber in 
ihrer Empfindlichkeit so verändert werden, daß sie ein erneutes Ein¬ 
dringen desselben chemischen Stoffes ohne Reizerscheinungen über¬ 
winden. Es wird dann also die vitale Energie der Körperzellen, 
nicht die chemischen Bedingungen, welche zur Abscheidung von 
freiem Jod führen, geändert. 

Von praktischer Wichtigkeit ist besonders die Thatsache, daß 
gerade im Anfang einer Jodkaliumcur ganz plötzlich ein acutes 
lebensgefährliches Glottisödem auftreten kann, während diese Gefahr 
nicht mehr vorhanden ist, sobald der Kranke erst einige Gramm 
des Salzes gebraucht und gut vertragen hat. Wenn wir auch das 
Eintreten dieser gefährlichen Complieation bei einem Patienten nie¬ 
mals Voraussagen und selbst bei der vorsichtigsten Dosirnng ganz 
Werden verhindern können, so haben wir doch in der sorgfältigen 
ärztlichen Ueberwaehung des Kranken während der ersten Tage der 
Jodcur ein sicheres Mittel, um einen üblen Verlauf der Kehlkopf- 
affection zu vermeiden. M. 


Scheurlen (Berlin): Ueber Pyothor&x subphrenious. 

Sowohl der lufthaltige als der nicht luftbältige subphrenische 
Absceß haben mit einander die Eigentbümlichkeit gemein, daß sie 
klinisch von Affectionen der Pleura nur schwer auseinander zu halten 
sind. Seit der ersten, von Wintbich stammenden Publieation 
mehrten sieh die Mittheilnngen über den Pyothorax subphrenicus, 
der in einzelnen Fallen durch Thoracotomie zur Heilung gebracht 
wurde. Scheurlen berichtet im 1. Hefte der „Arbeiten aus der 
ersten medieinischen Klinik zu Berlin“ (1888—89), herausgegeben 


von E. Leyden, über 2 Fälle, von denen der eine intra vitam 
diagnostieirt und durch die Operation geheilt wurde. 

Die Krankengeschichte des ersten Falles berichtet Über ein 
20jähriges Mädchen, das unter den Erscheinungen einer acut eln- 
setzenden linksseitigen Pleuritis in die Klinik aufgenommen wird. 
Die physikalische Untersuchung ergibt links vorne lauten, nicht 
tympanitischen Lungeoschall, die Herzdämpfung ist normal. In der 
mittleren Axillarlinie von der 5. Kippe an Dämpfung, ebenso hinten 
vom Angulus scapulae nach abwärts. An der Dämpfungsgrenze hört 
man deutliches pleuritisches Reiben. Der TeAüBE’sche Raum ist auf¬ 
gehoben. Die Punction im 5. Intercostalraum ergibt rein seröses 
Exsudat, eine später im 7. Zwischenrippenraum vorgeuommene Probe- 
panction liefert jauchigen Eiter. 

Bei der Thoraoocentese entleerten sich aus der Pleura 300 Ccm. 
serösen Exsudates, und durch einen Schnitt in das bis zur 4. Rippe 
sich vorwölbende Zwerchfell quoll x /a Liter jauchigen Eiters hervor. 

Bei der Operation stellte Verf. die Diagnose eines Pyothorax 
subphrenious, und nachträglich gab auch die Pat. über Befragen an, 
daß sie bereits seit längerer Zeit ab und zu an Beschwerden von 
Seite des Magens gelitten und 7 Monate vor ihrer letzten Er¬ 
krankung über 1 Liter Blut erbrochen habe. 

Die Obduction bestätigte die erwähnte Annahme und ergab 
eine kleine strablige Narbe an der kleinen Curvatur und in der 
Milz einen mit zähem Eiter erfüllten, hühnerei- 
großen Absceß. Dieser war aus einem vereiterten Infarot hervor¬ 
gegangen und später gegen die Bauchhöhle durchgebrochen. 

Der zweite Fall bot ziemlich ähnliche Verhältnisse. Auch hier 
waren der letzten Erkrankung Bluterbrechen und heftige Magen¬ 
schmerzen vorausgegangen. 

Nach ungefähr 2monatlichem Wohlbefinden erkrankt die 
19jährige Patientin unter Schüttelfrost, Leibsehmerzen, Athemnoth 
und trockenem, sehr schmerzhaftem Husten Ohne Auswarf. Auch 
hier bestehen die klinischen Symptome eines linksseitigen Pleura¬ 
ergusses , an der Dämpfungsgrenze besteht auf der Höhe der In¬ 
spiration ein schabendes Geräusch. Das. Herz ist nach oben und 
rechts verdrängt. Hier wurde noch vor der Operation die Diagnose 
auf einen subphrenischen Absceß gestellt. Diesmal wurde tiefer 
operirt und ein Stück der 9. Rippe reseeirt. Bei der Operation 
wurden 300 Ocm. stinkenden Eiters entleert. Trotz eines den 
weiteren Verlauf complicirenden Scharlach» kann die Pat. bereits 
nach einem Monat geheilt das Bett verlassen. 

Aus einer vom Autor beigefügten Tabelle der bisher ver¬ 
öffentlichten Fälle von Pyothorax subphrenicus ergibt sieh als die 
häufigste Ursache des subphrenischen Abscesses das runde Magen¬ 
geschwür; bezüglich der übrigen statistischen Verhältnisse verweisen 
wir auf die fleißige Arbeit des Verfassers. 

Es muß jedoch nicht in allen Fällen der Pyothorax sub- 
phrenious die Folge einer Perforation sein; es kann die Entzündung 
eine fortgeleitete sein, und auch beim lufthaltigen subphrenischen 
Ab sc esse kann eine Gasentwicklung in der Abseeßhöhle selbst an¬ 
genommen werden. 

Klinisch aber tritt der subphrenische Absceß als primäre Er¬ 
krankung auf, und zwar unter dem Bilde einer exsudativen Pleuritis, 
für deren Zustandekommen Uns in der Anamnese jeder Anhaltspunkt 
fehlt; dieser letztere Umstand, sowie die Angaben einer voraus¬ 
gegangenen Perforationsperitonitis machen nach Autor die Annahme 
eines subphrenischen Processes zur Gewißheit. 

Charakteristisch ist ferner der auffallende Widerspruch 
zwischen den objectiven Symptomen und der Schwere der Ailgemem- 
infectioü. 

Die häufige Complieation mit pleuritischen Affectionen macht 
allerdings die Diagnose sehr schwierig; wo kein Exsudat vorhanden 
ist, besteht gewiß eine trockene Pleuritis, so daß wir unter allen 
Umständen an der Dämpfungsgrenze ein Reibegeräusch hören. Un¬ 
erläßlich für die Diagnose ist die Vornahme der Probepunotion. 
Finden wir bei derselben in einem Inter oostalraume Serum oder 
Eiter, in einem unteren Jauche, so spricht dies sehr dafür, daß 
zwei in verschiedenen serösen Höhlen abgelagerte EntxttndungB- 
producte durch eine feste Scheidewand, das Zwerchfell, getrennt 


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sind, wiewohl auch dieses Phänomen bekanntlich bei pleuritischen 
Ergüssen vorhanden sein kann. 

Die rationellste Therapie ist die Rippenresection; man operirt, 
nm dag Entstehen eines Pneumothorax zu verhüten, unterhalb der 
HARBisON’schen Furche. Wegen Gefahr der Abkapselung verwirft 
Antor die Drainage der Absceßhöhle und schlägt statt dessen die 
Tamponade mit Jodoformgaze vor. G. 


percutorischen Bestimmungen wurden überdies nach dem Tode der 
Kinder durch das Einsenken langer Nadeln an den Dämpfungs¬ 
grenzen fixirt und die Verhältnisse alsdann an der Leiche controlirt. 
Die tabellarische Zusammensetzung der detaillirten Zahlenangaben, 
die zahlreichen sphygmographisehen Curven und Pulsbestimmungen 
geben Zeugniß von der mühevollen Sorgfalt, mit der Steffen seiner 
Aufgabe gerecht geworden ist. 


Klinik der Kinderkrankheiten. Von Or. A. Steffen. 

EU. Band. Krankheiten des Herzens. Berlin 1889. Aug. 

H irschwald. 

Der vorliegende III. Band von Steffen’b Klinik der Kinder¬ 
krankheiten — die beiden ersten sind in den Jahren 1865—1870 
erschienen —«- behandelt in gleich sorgfältiger Weise und mit Zu¬ 
grundelegung einer großen Reihe eigener Beobachtungen die Krank¬ 
heiten des Herzens im kindlichen Alter. Dem Inhalte nach zerfällt das 
Buch im fünf Abschnitte, die der Reihe nach die Untersuchungen 
des Herzens, die Erkrankungen des Pericardium — einfache 
Pericarditis, Tubereulose des Pericardium, Transsudate im Peri- 
oardium — die Erkrankungen des Myocardium — Myocarditis, 
Neubildungen, Parasiten — die Erkrankungen des Endocar- 
dium — einfache Endocarditis und maligne Endocarditis — und 
die Hypertrophie und Dilatation des Herzens zum Gegen¬ 
stände haben. 

Zu den interessantesten und wichtigsten gehört natürlich der 
erste Abschnitt über die Untersuchungen des Herzens. Bekanntlich 
hat Steffen im Vereine mit seinem Schüler Gierke zuerst die 
große (relative) und kleine (absolute) Herzdämpfung unterschieden 
und auf deren percntorische Bestimmung am kindlichen Thorax auf¬ 
merksam gemacht; unter der großen Herzdämpfung versteht Steffen 
den ganzen, der vorderen Brustwand anliegenden Herzabschnitt, 
unter der kleinen den von der Lunge nicht bedeckten Theil des 
Herzens. In einer großen Reihe seit dem Jahre 1869 fortgeführter 
sorgfältiger Untersuchungen an im Ganzen 638, mit den verschie¬ 
densten Krankheiten behafteten Kindern im Alter von 1—5 Jahren 
hat Steffen die Lage und Größe des Herzens, den Ort des Spitzen¬ 
stoßes, die Höhe der Brustwarzen bestimmt und diese Bestimmungen 
durch Messungen des Thorax, durch Messungen der Breite, Länge und 
Dicke der Ventrikel, sowie durch Angaben über Körperlänge und 
Körpergewicht erweitert und ergänzt. Die im Leben gemachten 


Leider hat es der Autor unterlassen, die Ergebnisse seiner 
zahlreichen percutorischen Bestimmungen der großen und kleinen 
Herzdämpfung in den verschiedenen Altersperioden durch schema¬ 
tische Zeichnungen zu veranschaulichen; es ist dies ein recht 
fühlbarer Mangel der sonst so gediegenen Arbeit Stkffen’s, fühlbar 
namentlich für Denjenigen, der zu einem raschen Ueberblick über 
die hierauf Bezug habenden Verhältnisse gelangen will. 

In den weiteren vorhin angeführten Capiteln werden die Eirank¬ 
heitsbilder anschaulich und naturgetreu geschildert, durch Einfügung 
eigener, vielleicht etwas zu ausführlicher Krankengeschichten illu- 
strirt und die von anderen Autoren mitgetheilten Beobachtungen 
kritisch besprochen. — Ein großes Material eigener Beobachtungen 
liegt insbesondere der Bearbeitung der Erkrankungen des Myocar- 
diums und Endocardiums zu Grunde; von Myocarditis allein stehen 
dem Verf. 33, von Endocarditis überhaupt 95 Fälle eigener Beob¬ 
achtung zur Verfügung. Nicht minder reich sind Steffen’s Beob¬ 
achtungen über Hypertrophie und Dilatation des Herzens; der Antor 
hat bei Bearbeitung dieses, für die Praxis besonders wichtigen 
Capitels nur jene Fälle berücksichtigt, die nicht aus einer primären 
Erkrankung des Herzens oder seiner Häute hervorgegangen waren. 
Aenßerst lehrreiche Krankengeschichten von namentlich bei Scharlach¬ 
nephritis auftretender Dilatation werden hier geschildert und klinisch 
nach jeder Richtung hin erschöpfend besprochen. 

Wir müssen es uns versagen, an dieser Stelle auf die vor¬ 
treffliche Arbeit des um die Entwicklung unserer Fachwissenschaft 
hochverdienten Autors näher einzugehen. Dieselbe bildet namentlich 
in klinischer Beziehung eine werthvolle Bereicherung der pädiatrischen 
Literatur und sei daher allen Denen empfohlen, die sich auf einem 
wichtigen Gebiete der Kinderheilkunde nicht allein Belehrung und 
Aufklärung, sondern auch vielfach nutzbringende Anregung zum 
Selbststudium verschaffen wollen. 

Die Ausstattung ist eine dem Rufe der Verlagshandlung ent¬ 
sprechende. Doo. Dr. L. Ungeb. 


F e u i 11 e t o n. 


Die Grundlagen der Bacteriologie. 

Zur Säoularfeier der großen Revolution, welche insofern auch 
für die Wissenschaft eine große Bedeutung gehabt bat, daß auf 
ihre Anregung hin der Realismus in dieselbe eingeführt wurde, 
stellt sich A. P. Fokkeb gelegentlich einer beim Niederlegen des 
Rectorats der Universität Groningen gehaltenen Rede (Die Grund¬ 
lagen der Bacteriologie, Leipzig, F. C. W. Vogel, 1889), die Frage, 
welche Resultate die auf den Realismus begründete experimentelle 
Methode für die biologische Wissenschaft erzielt hat. Die Antwort 
fällt, nach Fokkeb, nicht so befriedigend aus, wie Manche sich 
vorstellen, und zwar deshalb, weil trotz der sogenannten realistischen 
Richtung der jetzigen Wissenschaft man noch weit entfernt ist, auch 
in der That realistisch zu denken. 

Jetzt wird allgemein angenommen, daß das früher geahnte 
Contagium animatum factisch aus Bacterien besteht. Diese Meinung 
scheint in den letzten zwei Decennien so sichergestellt, daß kein 
Zweifel an der Richtigkeit derselben erlaubt erscheint. Gegen die 
Bacterienlehre, wie sie gegenwärtig besteht, führt Fokkeb mehrere 
Momente an. „Schon daß es eine Infectionskrankheit gibt, die 
Hundswuth, welche in den letzten Jahren eifrig und nach den 
neuen Methoden studirt worden ist, ohne dass bei derselben Bacterien 
aufgefunden wurden, hätte genügen sollen, die Vertreter der neuen 
Theorie mißtrauisch zu machen.“ Die Grundlosigkeit dieses Ein- 
wandes bedarf keines näheren Beweises. Mit demselben Rechte hätte 


Fokkeb gegen die Bacterienlehre die Thatsaohe anführen können, 
daß man bei Masern, gewiß eine Infectionskrankheit, noch kein 
Bacterium gefunden hat. Das Factum, daß die Lehre von der bacte- 
riellen Aetiologie der Infectionskrankheiten noch nicht vollständig 
ansgebaut ist, kann doch nicht ernstlich als ein Argument gegen 
diese Lehre angeführt werden. 

„Während beim Milzbrand und bei einigen anderen Infections¬ 
krankheiten der rein gezüchtete Pilz ira Stande ist, Infection zu 
veranlassen , gibt cs Infectionskrankheiten, wo dies nicht der Fall 
ist. Namentlich ist es der in der Chirurgie gefürchtete Pilz, der 
Stapbylococcus aureus, welcher in großen Mengen gesunden Thieren 
beigebracht werden kann, ohne daß sich Krankheitserscheinungen 
entwickeln (Grawitz).“ 

Ganz abgesehen von den positiven Versuchsergebnissen über 
die Pathogenität des Staphylococcus aureus von Garbe, Bockhart, 
Bumm, Rosenbach, Weichselbaum, Wissokowitsch etc., würde die 
erfolglose Einimpfung einer Bacterienart einer Thiergattung noch 
nicht gegen die Pathogenität dieser Bacterienart sprechen, da die 
pflanzlichen Mikroorganismen, ebenso wie die thierischen Parasiten, 
auf gewissen Thiergattungen mit Vorliebe vegetiren. 

Als weiteres Moment, welches mit der bacteriologischen Theorie 
nicht in Einklang steht, führt Fokker an, daß „Milzbrandbacillen, 
welche bei einem Temperaturgrad gewachsen sind, der die Tempe¬ 
ratur des thierischen Körpers um einige Grade übersteigt, sowie 
außerhalb des Körpers gewachsene Tuberkelbacillen das Vermögen, 
Infection zu veranlassen, gänzlich verlieren.“ Dem entgegen muß 
bemerkt werden, daß die Pathogenität, die Eigenschaft, krank zu 
machen, nur der Ausdruck der biochemischen Thätigkeit der Mikro- 


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Organismen ist, die durch verschiedene Einflüsse (Ernährung, Tem¬ 
peratur , schädliche Agentien) leicht raodificirt werden kann, ohne 
daß das Individuum ein anderes geworden ist. Uebrigens ist durch 
die neuesten Untersuchungen Chauveau’s (Transformisme en bacte- 
riologie. Variabilit6 du bacillus anthracis. Arch. de m6d. exp6r. Nr. 6, 
1889) dargethan worden, daß ein gänzlicher Verlust der pathogenen 
Eigenschaften des Milzbrandbacillus nicht horbeigeführt worden kann. 

„Und drittens“, sagt Fokker, „kann nicht geleugnet werden, daß 
die zahlreichen Untersucher, welche in der Luft und im Trinkwasser 
nach pathogenen Pilzen gesucht haben, sich mit einer sehr dürftigen 
Ernte haben begnügen müssen, ja man kann behaupten, daß in den 
allermeisten Fällen der Befund negativ war.“ 

Es hieße einfach die Augen schließen und nicht sehen wollen, 
wollte man die wichtigen bacteriologischen Befunde, die wiederholt 
im Trinkwasser gemacht worden sind, durch welches zweifellos 
erwiesenermaßen Typhusepidemien erzeugt worden sind, ignoriren. 
Daß die Befunde von pathogenen Mikroorganismen erst in neuerer 
Zeit sich häufen, liegt nur in den erst jetzt verbesserten und ver¬ 
vollständigten Untersuchungsmethoden. Uebrigens sind die Luft 
und das Trinkwasser nicht die einzigen Träger der Infections- 
stoffe, gewiß viel häufiger geschieht die Uebertragung von Infec- 
tionskrankheiten durch directen Contact. 

„Nichtsdestoweniger“, meint Fokker, „haben diese und andere 
Thatsachen die doctrinären Bacteriologen nicht im Mindesten in 
ihrer Ueberzeugung wankend gemacht. Der Glaube, daß die Bacterie 
der deus ex machina der Pathologie sei, ist schon so fest einge¬ 
wurzelt, daß man es vorzieht, wenn etwaige Versuchsergebnisse sich 
nicht mit der Theorie vertragen, sich einer Casuistik zu bedienen, 
welche die Anhänger der Societät Jesu eifersüchtig zu machen im 
Stande wäre. Vor Allem scheint man das Dogma retten zu wollen. 
Daß es pathogene Bacterion gibt, welche, reingezüchtet, gesunden 
Thieren beigebracht werden können, ohne Krankheit zu veranlassen, 
wird ganz einfach so erklärt: hier fehle die Prädispo9ition. Wo 
letztere fehlt, sind doch die Bacterien unschuldig. Wäre dieselbe 
allgemein anwesend, die ganze Menschheit wäre schon lange den 
Bacterien zum Opfer gefallen. Das Fehlen der Prädisposition hat die 
Menschheit gerettet, doch, das sollte man einsehen, auf Kosten der 
bacteriologischen Lehre, und wer glaubt, daß zum Entstehen einer 
Krankheit erstens eine bekannte Bacterie und zweitens eine unbe¬ 
kannte Prädisposition gehöre, ist nur wenig klüger als einer, der 
das Zustandekommen einer Krankheit für einen unbekannten Proceß hält.“ 

Daß die „Disposition“ kein leeres Wort ist, das lehren die 
zahlreichen Versuche über Endocarditis, Osteomyelitis, die gezeigt 
haben, daß die cingefübrten Staphylococcen nur dann im Stande 
sind, die genannten Erkrankungen hervorzurufen , wenn vorher das 
Eudocardium, resp. der Knochen eino Läsion erlitten hat. Auch 
die Versuche über Rauschbrand, der bei Kaninchen nie spontan 
nuftritt und auch mittelst der Rauschbrandbacilleu nur nach vorheriger 
Läsion der Muskelfasern durch Injcction von Milchsäure oder Al¬ 
kalien erzeugt werden kann, haben uns in der Erkennung der 
Prädisposition einen Schritt näher gebracht, und zweifellos werden 
weitere Untersuchungen den Begriff der Prädisposition erweitern und 
erläutern. Wenn Fokker meint, daß man durch den Begriff der 
Prädisposition nur wenig klüger geworden ist, so müssen wir dies 
mit Entschiedenheit bestreiten. Sobald uns durch weitere Unter¬ 
suchungen die beiden zur Entstehung nothwendigen Factoren genauer 
bekannt sein werden, wird die Bekämpfung der Infectionskrank- 
lioitcn um einen bedeutenderen Schrilt vorwärts gebracht werden, als 
durch die hartnäckige Negation. 

Wenn Fokker glaubt, daß die Ideen Henle’s die einzige 
Stütze der bacteriologischen Lehre sind, und sich bemüht, die An¬ 
sichten Henle’s in seinem Siune zu deuten, so rennt er offene 
Thüren ein; die Baeteriologie hat bereits eine viel festere Basis als 
die Ideen Henle’s, der übrigens nur als Vorläufer der modernen 
bacteriologischen Lehre angesehen wird. 

Uebrigens finden wir in Fokker’s Ausführungen die Antwort 
auf seine Kinwcnduugen. Fokker, der eine Reihe von Untersuchungen 
über Heterogenese angestollt hat und die Bacterien als kleinste 
Theile der Gewebselemeute ansehen möchte, sagt: „Wenn der Be¬ 
weis erbracht wird, daß eine bestimmte Bacterie längere Zeit, d. i. 


verschiedene Jahrzehnte, durch Sporenbildung unverändert reproducirt 
werden könnte, so würde man das Recht haben, dicselbo für ein 
actuelles Bion, für ein selbstständiges Lebewesen zu erklären.“ 

Wir glauben, dieser Beweis ist bereits durch die Milzbrand¬ 
bacillen erbracht und der Befund Lehmann’#, daß Milzbrandbacillen 
unter gewissen Bedingungen das Vermögen, Sporen zu bilden, ver¬ 
lieren , ändert an der principiellen Bedeutung der Sporenbildung 
der Milzbrandbacillen nichts. 

Es fragt sich nun, ob, wenn der Beweis geführt sein wird, 
daß Bacterien nur partielle Bionten sind, die Baeteriologie ihre 
Rolle ausgespielt haben wird. Das wird aber nicht der Fall sein. 
„Die großen Entdeckungen Koch’s, Pasteür’s u. A.,“ führt Fokker 
weiter aus, „besitzen einen bleibenden Werth, wenn sie auch von 
Manchen falsch ausgelegt worden sind. Ohne Zweifel hat die Bac- 
teriologie einen ganz besonderen Werth nicht nnr für die Diagnostik, 
sondern auch für die Pathologie. Die Baeteriologie hat uns gelehrt, 
daß manche Contagien in der Form einer Bacterie von dem einen 
Thier auf das andere übertragen werden. Der Baeteriologie ver¬ 
danken wir, daß die Hygiene in der letzten Zeit so bedeutende 
Fortschritte gemacht hat. Wenn man die Bacterien nicht gekannt 
hätte, würde man die Vorschriften der Hygiene, wie das früher 
üblich war, gewiß zu eigenem Schaden vernachlässigt haben. In den 
Bacterien haben wir Contagien, welche isolirt, ja sogar abgeschwäcbt 
werden können, und die Vaccination, früher nur eine empirische 
Thatsache, ist durch ihre Auffindung in rationelle Bahnen gelenkt; 
und von der Baeteriologie dürfen wir gewiß noch manche schöne 
Entdeckung erwarten. Nur ist es nothwendig, daß dieselbe auf feste 
Gründe aufgebaut werde und nicht auf Phantasie. Es ist so leicht, 
diesem allerkleinsten, kaum sichtbaren Lebewesen eine Organisation 
zuzuschreiben, so wie wir diese bei höher organisirten Lebewesen 
kennen, und es ist erklärlich, daß Leute mit einer starken Ein¬ 
bildungskraft dies unbedenklich annehmen. Wir dürfen aber nicht 
vergessen, daß unbewiesene Hypothesen weder die Wissenschaft 
fördern, noch auf die Dauer einen Platz in unseren Theorien ver¬ 
dienen.“ SCHNIRER. 


Kleine Mittheilungen. 

— Dr. A. Grünthal beschreibt im Märzhefte des „Ctrbl. f. 
Augenheilk.“ einen Fall von Netzhautblutung bei Hydracefin- 
Intoxication. Ein an Psoriasis leidender Mediciner nahm nach er¬ 
folglosen Versuchen mit den üblichen Mitteln zu dem soeben gegen 
Psoriasis warm empfohlenen Hydracetin seine Zuflucht, ohne jedoch 
auf die nöthigen Vorsichtsmaßregeln bei der Dosirung desselben zu 
achten. Innerhalb 4 Tagen verrieb er etwa 30 Grm. des Mittels 
in einer 20proc. Lanolinsalbe über die ganze Körperoberfläche. Er 
erkrankte nach einigen Tagen unter den Erscheinungen von hoch¬ 
gradiger Cyanose. Erbrechen und Fieber, das Abends bis 40° stieg. 
Der Urin zeigte die bereits von Obstreicher beschriebene mahagoni¬ 
braune Färbung, enthielt aber außerdem noch ziemlich viel Eiweiß. 
Am 10. Tage der Erkrankung trat heftiges Nasenbluten auf und 
am nächsten Tage klagte Patient über eine dunkle Wolke vor dem 
Auge. Als Grünthal den Patienten am 14. August zum ersten 
Male untersuchte, war die Cyanose sowie das Fieber bereits ge¬ 
schwunden. Der Urin hatte keinen Eiweißgehalt mehr, zeigte aber 
noch die braune Färbung. Patient war jetzt hochgradig anämisch. 
Die Sehschärfe war bei — 1*75 auf beidon Augon normal. Mit 
dem Augenspiegol sah man auf dem linken Auge zwei kleine Netz- 
hautblutungeo. Die eine lag (im umgekehrten Bilde) dicht unter¬ 
halb des Sehnorveneintrittes, zeigte ein streifenförmiges Aussehen 
und batte etwa die Gestalt eines gleichschenkligen Droieckes. .mit 
der Basis nach unten. Die andere Blutung lag etwas oberhalb des 
blinden Fleckes und war von birnenförmiger Gestalt. Jede dieser 
Blutungen betrug etwa den vierten Theil des Umfanges der Papille. 
Das Gesichtsfeld war peripher normal. Der zweiten Blutung ent¬ 
sprechend bestand dicht oberhalb des Fixirpunktes ein kleines, ab¬ 
solutes Scotom. Auf dem rechten Auge waren keine Blutungen nach¬ 
zuweisen. — Nach etwa 4 Wochen waren die Blutungen völlig 
resorbirt. Auch das Allgemeinbefinden besserte sich allmälig, so daß 
Patient nach 5 Wochen wieder völlig hergestellt war. Da es sich 


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bei der Hydracetin - Intoxication, wie P. Güttman durch Versuche 
an Tbieren nacbgewicsen bat, um den Zerfall von rothen Blut¬ 
körperchen handelt, so dürften sich die Netzhautblutungen leicht 
auB dem Zerfall der rothen Blutkörperchen und der dadurch be¬ 
dingten Gefäßalteration erklären lassen. Dieselben Ursachen liegen 
ja auch den Netzhautblutungen bei allgemeinen Bluterkrankungen 
(perniciöser Anämie, Scorbut u. a.), sowie bei Verbrennungen zu 
Grunde. 

— In eiuer sehr interessanten, der Pariser Acadämie de m6d. 
vorgelegten Arbeit über die Wirkung des Coffein auf die moto¬ 
rischen und respiratorischen Functionen gelangen G. See und 

Lapicqde zu folgenden, sehr interessanten Schlüssen. In kleinen 
wiederholten Dosen von circa 0 60 täglich, die man mit Erfolg 
Soldaten während des Marsches verabreichen kann, erleichtert das 
CoffeYn die Muskelarbeit, indem es die Thätigkeit nicht nur des 
Muskels selbst, sondein auch des cerebralen und medullären neuro- 
motorischen Systems erhöht. Die Folge dieser doppelten Wirkung 
ist die Abnahme des Gefühls der Anstrengung und die Vermeidung 
der Ermüdung, die sowohl ein nervöses, als auch ein chemisches 
Phänomen darstellt. Das Coffein verhindert das Zustandekommen 
der jn Folge der Anstrengung auftretenden Athemlosigkeit und 
Palpitationen und erzeugt die zu bedeutender und längerer Uebung 
nöthige Lust. Indem es das motorische cerebro-spinale System erregt, 
somit den Muskeltonus erhöht, vergrößert das Coffein die Kohlenstoff¬ 
verluste des Organismus, hauptsächlich jene der Muskeln, ohne aber 
die Stickstoffverluste herabzusetzen. Das CoffeYn ist demnach kein 
Sparmittel im absoluten Sinne dos Wortes. Ein solches könnte nur 
dann die unangenehmen Folgen des Hungers verhindern, wenn der 
Organismus sich in vollständiger Unthätigkeit befände. Beim CoffeYn 
findet aber gerado das Gegentheil statt, d. h. eine intensive Arbeit, 
die nur um den Preis eines Verbrauchs des Organismus erzielt wird. 
Die tbierische Maschine functionirt nur, indem sie ihr Brennmaterial 
verzehrt, und gerade durch die Beschleunigung dieser Verbrennung 
ermöglicht das Coffein die Muskelthätigkeit auch während des Hungerns. 
Das CoffeYn ersetzt nicht die Nahrungsmittel, sondern nur die 
durch die Nahrungszufuhr bedingte allgemeine tonische Erregung. 

— V. Clausi („H. Morgagni“, „Berl. kl. Woch.“, Nr. 12) hat 
zwei Fälle von hartnäckigem und jeder Therapie trotzendem Darifl- 
verschiuB durch Aetherklystiere geheilt. 70 Grm. Aether sulf. 
wurden mit Alkohol und 300 Grm. Fenchelwasser gemischt. 
Mittelst einer hoch in’s Rectum geführten elastischen Sonde wurde 
die Flüssigkeit eingespritzt. Einem lebhaften Wärmegefühl im 
ganzen Leibe und reichlichen Ructus mit dem charakteristischen 
Aethergeruch folgten bald starke Kothentleerungen und Schwund 
sämmtlicher Krankheitssymptome. Die Wirkung des Aethers ist zu 
erklären einmal durch die Anregung peristaltiscber Bewegungen 
(directer Reiz des Aethers auf die motorischen Darmnerven) und 
durch die mechanische Ausweitung des Darmrohrs mittelst des in 
Dampfform tibergeführten Schwefeläthers. 

— Prof. Lebedeff und Dr. N. J. Andrejew berichten in 
„Virchow’s Archiv“ über Versuche von Transplantation von 
Echinococcusblasen vom Menschen auf Kaninchen. Die im 
Organismus des Menschen bisweilen schmarotzenden Echinococcen 
entwickeln sich, wie bekannt, ausschließlich aus den Eiern eines 
Bandwurmes, der Taenia echinococcus, die auf irgend welche Art 
in den Darmtractus gelangen. Bis jetzt hat man angenommen, daß 
alle Echinococcusblasen, die man bisweilen in ungeheurer Menge 
gleichzeitig in den verschiedensten Organen und Geweben auffindet, 
ebenfalls den Eiern dieser Taenia ausschließlich ihren Ursprung ver¬ 
danken ; irgend welche andere Art der Vermehrung dieses 
Schmarotzers im menschlichen Körper ist bisher nicht bekannt, wie¬ 
wohl schon Küchenmeister und jüngst Pean die Möglichkeit dieser 
Vermehrung beim Menschen auch durch Proliferirung von Tochter¬ 
blasen vermutheten, allerdings ohne für ihre Ansicht beweisende 
Experimente geliefert zu haben. So ist denn die Frage nach dem 
weiteren Schicksale der aus der Mutterblase freigewordenen Tochter¬ 
blasen unentschieden. — Auf Grund dessen haben Prof. Lebedeff 
und Dr. N. J. Andrejew einer an Echinococcuskrankheit Verstor¬ 
benen einige Tochterblasen entnommen und damit an 2 Kaninchen 
Experimente mittelst Transplantation in die Bauchhöhle (bei strengster 


Antiseptik) angestellt (die Details s. im Original) und dabei con- 
statirt, daß die Tochterblasen fortlebten und proliferirten. Daraus 
halten sie sich zu dem Schlüsse berechtigt, daß Tochterblasen, welche, 
nach dem Platzen der Mutterblase frei geworden, in die verschie¬ 
densten Organe und Gewebe gelangen, unter günstigen Umständen 
sich weiter entwickeln und wiederum neue Tochterblason (Enkel¬ 
blasen) erzeugen können. Obwohl die qu. Resultate nur durch Experi¬ 
mente an Kaninchen gewonnen sind, so halten Verff. die Anwendung 
derselben auf den menschlichen Organismus für noch mehr gerecht¬ 
fertigt, weil im letzten Falle kein Wechsel des 'Prägers stattfindet, 
was für das Gesammtleben des Parasiten von großer Wichtigkeit 
ist. Auf Grund der gewonnenen Resultate erachten sie es für 
möglich, daß neben multipler Invasion eine Vermehrung der Eobi- 
nococceD im Organismus des Menschen vorkommt, eben die Pro 
liferirung der uach dem Platzen der Mutterblase frei gewordenen 
Tochter- und vielleicht auch Enkelblasen. Ob sich Küchenmeister’s 
Behauptung rechtfertigen wird, daß man einmal im menschlichen 
Körper völlig entwickelte Taenia finden wird, das zu eruiren bleibt 
weiteren Forschungen Vorbehalten. 

— Als Beitrag zur äußeren und inneren Anwendung des 
Ichthyols theilt Prof. Nils Osn. Gadde (Lund) in Nr. 3 der 
„Ther. Monatsh.“ eine Reihe von Fällen mit, bei denen das Ichthyol 
sich gut bewährt hat. In einem Falle von intensiver langjähriger 
Rosacea von der erythematösen Form war schon nach 14tägigem 
innerlichen und äußerlichen Gebrauche von Ichthyol die Farbe, be¬ 
sonders an der Nasenspitze, bedeutend heller geworden, und nach 

2 Monaten war die Pat. geheilt. Seitdem hat. Verf. mit demselben 
guten Erfolge 4 Fälle von erythenjatöser Rosacea behandelt. Auch 
bei den sogenannten Acneformen der Rosacea hat sich Ichthyol 
bewährt. Bei innerem Gebrauche von Ichthyol scheinen die Vesikeln 
bei Herpes zoster rascher zu trocknen und der Verlauf ein 
kürzerer zu sein. Auch bei der chronischen Urticaria hat G. mit 
Ichthyol gute Resultate erzielt. Bei Purpura und Erythema 
nervosum hat Ichthyol gute Dienste geleistet. Durch Einreibung 
mit einer starken (5O°/ 0 ) Ichthyol-Lanolinsalbe bei beginnendem 
Panaritium glaubt Verf. das weitere Fortschreiten des Processes 
zu verhindern. Bei Pernio (Frostbeule) hat sieh das Mittel vor¬ 
teilhaft erwiesen. Verf. hat ferner mehrere Fälle von Alkoho¬ 
lismus chronicus mit Erfolg durch Ichthyol behandelt. Der 
Tremor hat sich ziemlich schnell gebessert, die Eßlust wieder ein¬ 
gestellt und der Schlaf ist, von Träumen ungestört, wieder ein guter 
geworden. Bei der Depression des Gemüths mit Angst und Unruhe, 
weichezuweilen den chronischen Mag encatarrh begleitet, 
hat Ichthyol wohlthuend gewirkt. Bei chronischem Rheuma¬ 
tismus und Arthritis ist Ichthyol innerlich und äußerlich mit 
Erfolg angewendet worden. Bei Arthritis deformans sind 
durch Ichthyol die Schmerzen gelindert und manchmal sogar behoben 
worden. In vielen Fällen von Ischias hat Ichthyol gute Resultate 
geliefert, in anderen hingegen nicht. Bei chronischen Nephri¬ 
tiden und Diabetes wird der Albumin-, resp. Zuckergehalt ver¬ 
mindert und das Allgemeinbefinden gebessert. Für den inneren Ge¬ 
brauch läßt G. das Ichthyol-Ammonium des bequemeren Abtröpfelns 
wegen mit filtrirtem Wasser, 10:20, dispensiren, welche Mischung 
dann entsprechend verdünnt wird, oder er gibt es in Pillenform. 
Irgend welche schlimme Folgen, auch bei längerer Anwendung selbst 
größerer Dosen des Mittels, hat G. niemals gesehen. 

— Die Anwendung der Salicylsäura als Prophylacticum 
gegen Scharlach wird von Dr. de Rosa im 3. Hefte des „Giorn. 
internaz. delle scienze mediche“ warm empfohlen. Er gibt die 
Salicylsäure in Lösung in Dosen von 0*10—0 - 30 täglich und läßt 
sie bis zur vollständigen Heilung des Kranken, d. h. bis zur Sistirung 
der Abschuppung, nehmen. In 26 Fällen von Scharlach gab er die 
Salicylsäure 66 Kindern. Von diesen blieben 63 von der Krank¬ 
heit verschont, trotzdem sie nicht von den Scharlachkranken ent¬ 
fernt worden sind, ja oft mit diesen in innigem Contact waren. Nur 

3 Kinder, bei denen die prophylactische Behandlung mit Salicyl¬ 
säure theils zu spät begonnen, theils nicht nach Vorschrift durch¬ 
geführt wurde, erkrankten an Scharlach. Bei diesen war aber der 
ganze Proceß ein sehr leichter und gutartiger, de Rosa zieht aus 
soinen Boobachtuugen folgende Schlüsse: 1. Die Salicylsäure, 

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rechtzeitig und täglich in genügender Quantität verabreicht, vermag 
die mit Scharlachkranken in Berührung kommenden gesunden Kinder 
vor Scharlachinfection zu schützen. 2. Wird die Salicylsäure zu spät 
oder in ungenügender Menge verabreicht, so vermag dieselbe zwar 
den Ausbruch der Krankheit nicht mehr hinlanzuhalten, übt aber 
dennoch insoferne einen günstigen Einfluß, als der Proceß ein sehr 
leichter und gutartiger ist. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Wiener dermatologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 19. März 1890. 

(Off. Protokoll.) 

Dr. C. ULLMANN Stellt aus der Abtheilung des Prof. Lang 
einen Fall von hereditärer Lues, welcher ein 2*/ 4 Jahre altes 
Kind betraf, vor. Dasselbe zeigte ein im Zerfall begriffenes Haut¬ 
gumma am linken Vorderarm und Perforation der knorpeligen 
Nasenscheidewand. Letzteres Symptom muß bei Lues eines so jugend¬ 
lichen Individuums als sehr selten betrachtet werden. 

Dr. V. HEBRA stellt einen Fall von Lepra vor, welcher 
durch das Auftreten zahlreicher, distincter, nicht über erbsengroßer 
und halbkugelig hervorragender Lepraknoten besonderes Interesse 
darbietet. 

Prof. KAPOSI Stellt einen Leprakranken, der 5 Jahre auf 
seiner Klinik in Pflege stand, vor. Bei demselben gingen beide Augen 
durch Lepraknoten, welche vom Ciliarkörper ausgingen, trotz Dis- 
cision der Hornhaut zu Grunde. 

Prof. NEUMANN berichtet über einen Fall von Ilarnröhren- 
divertikel, stellt einen Kranken mit nässenden Papeln an der all¬ 
gemeinen Bedeckung des Stammes vor und zeigt ein lOjähriges 
Mädchen, das geschändet worden, und dem bei diesem Attentate ein 
tiefer Einriß am Perineum und an der hinteren Scheidenwand zu¬ 
gefügt worden war. 

Dr. GrÜNFELD stellt einen Kranken vor, der seine Hilfe 
wegen einer Harnverhaltung in Anspruch nahm. Diese war durch 
Einspritzung von 1*0 Creolin auf 200'0 Wasser, welche wegen 
eines Trippers mit der gewöhnlichen Tripporspritze ausgeführt 
wurde, veranlaßt worden. Bei der endoskopischen Untersuchung 
fand G. die Harnröhrenschleimhaut vom Orif. urethr. ext. bis in 
den Anfangstheil des prostatischen Theiles derselben verschorft. Nur 
wenige Stellen der Schleimhaut waren unverletzt, der Schorf dick, 
gelblichgrau. Bei der ersten Untersuchung erfolgte keine Blutung. 
Am Tage der Vorstellung in der dermatologischen Gesellschaft 
wurde der Kranke zum zweiten Male untersucht. An einzelnen 
Stellen batte sich der Schorf gelöst und trat eine müßige Blutung auf. 

Dr. LUKASIEWICZ Stellt zwei Kranke aus der Klinik Kaposi’s 
vor. An einem Manne war wegen eines mit callösen Rändern ver¬ 
sehenen Fußgeschwüres am linken Unterschenkel im August 
und dann im November 1889 wegen theilweisen Aufbruches der 
Narbe die THiEKSCü’sche Transplantation mit sehr gutem Erfolge aus¬ 
geführt worden. Im zweiten Falle handelte es sich um Tuber- 
culose der Nase. Die Erkrankung hat vor circa l x / 2 Jahren 
am rechten Nasenflügel begonnen und diesen allmälig zerstört. 
Nachdem die zur Zeit dor Aufnahme schwangere Patientin ent¬ 
bunden hatte, schritt sowohl der tuberculöse Proceß in den Lungen, 
als auch an der Nase rapid vorwärts und wurde die Nasenscheide¬ 
wand perforirt. Im Sputum fanden sich reichliche Tuberkelbacillen, 
im Secrete des Geschwüres an der Nasenhaut und Nasenschleimhaut 
konnten solche nicht, hingegen zahlreiche Streptococcen nach¬ 
gewiesen werden. 

Dr. V. HEBRA demonstrirt ein von ihm Glycerinum sapo- 
natum benanntes, aus 80 oder 92 Theilen Glycerin und 20 oder 
8 Theilen Cocusseife bestehendes Präparat. Dieses dient ihm als 
Vehikel für die verschiedenen gegen Hautkrankheiten verwendeten 
Medicamente. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 24. März 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: Doeent 
Dr. Fürst. 

Dr. V. HELLY stellt den seinerzeit von Prof. Wölfleb vor¬ 
gestellten Patienten mit Pnoumatocele capitis (v. „Wiener 
Med. Presse“, 1890, Nr. 6, pag. 223) wieder vor. Derselbe 
acquirirte ein Gesichtserysipel und von dem Momente an war er 
nicht mehr im Stande, die Geschwulst willkürlich aufzublasen , wie 
er es früher gekonnt hatte. Durch den entzündlichen Proceß waren 
die Wandungen des Hohlraumes mit einander verwachsen und die 
Pneumatocele kann als geheilt betrachtet werden. Nicht so verhält 
es sich mit der Ozaena, mit der er ebenfalls behaftet ist, doch 
entzieht sich der Patient der weiteren Spitalsbehandlung. 

Prof. WÖLFLER stellt ein 9 Mouate altes Kind vor mit einer 
Ranula glandulae Nuhnii. Die Geschwulst ist etwa nußgroß, 
sublingual gelegen, ist angeboren, hat sich nur unwesentlich ver¬ 
größert, ist gut ab tastbar, scharf abgegrenzt, bietet Fluctuation dar, 
ist durchscheinend. Der weißliche, gallertige Inhalt enthält Platten- 
epithelien. Dermoidcysten oder ein Lymphangioma cystioum sind 
nach diesen Merkmalen auszuschließen. 

Dr. W. Rauch (aus Gleichenberg): Ein kleiner Beitrag zur 
Tuberculosenfrage. 

Der Vortragende bat es sich zur Aufgabe gemacht, aus den 
vorhandenen Sterberegistern von Gleichenberg und Umgebung den 
Nachweis zu erbringen, daß die Mortalität an Tuberculöse in den 
letzten Decennien in dieser Gegend nicht nur nicht gestiegen ist, 
sondern sogar abgenommen hat. Er will damit der Ansicht entgegen¬ 
treten, als sei der Inbalationsinfection bei der Tuberculöse eine wesent¬ 
liche Rolle zuzuschreiben, und meint, es müsse sich um andere Ur¬ 
sachen handeln. Vortragender ist der Meinung, die Furcht vor der 
Infection durch die eingeathmete Luft der Umgebung Tuberculoser 
sei eine übertriebene. In den Jahren 1815—1825 waren 14*8°/ 0 
aller Todesfälle solche an Affectionen der Lunge. Bis dahin spielte 
Gleichem berg als Cutort keine Rolle. Diese "Ziffer sank während des 
Zeitraumes von 1825—1885 auf 14'5°/ 0 und während der letzten 
4 Jahre auf 10’3°/o. Von dem Wartepersonale, ferner von den 
Bediensteten, die mit der Reinigung der Zimmer und dem Klopfen 
der sicherlich inficirten Teppiche in denselben beschäftigt sind, ist 
bisher nicht ein Mann an Tuberculöse erkrankt. Während der ganzen 
Zeit des Bestandes von Gleichenberg als Curort starben nur drei 
Frauen, die mit den Kranken zu thun hatten, an Phthise, jedoch 
auch diese sind nicht bei ihrer Beschäftigung inficirt worden. 

In den Familien der Krankenpfleger ist dem Vortragenden 
kein Fall von Tuberculöse bekannt. Redner meint, daß die Wege 
der Infection bei der Tuberculöse durchaus nicht klar liegen, die 
Ursachen des Ergriffenwerdens des Einen und Verschontbleibens des 
Anderen vorläufig unbekannt sind. hs. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 22. März 1890. 

Dr. S. BAUMBARTEN zeigt einen Fall von Situs viscerum 
in versus. L. P., 39jähriger Fabrikant, war stets gesund, er¬ 
wähnte jedoch gesprächsweise, daß Prof. Erb vor l 1 /, Jahren eine 
Entwickluugsanomalie bei ihm beobachtet habe. Der dadurch zur 
Untersuchung angeregte Vortr. fand: 

Spitzenstoß ist rechts zwischen der 5. und 6. Rippe, 
innerhalb der Mammillarlinie, 8 Cm. von der Mitte des Sternum zu 
sehen und zu fühlen. Die absolute Herzdämpfung beginnt am oberen 
Rande der 4. Rippe, reicht medial bis zum linken Sternalrand, lateral 
bis zur Stelle des Spitzenstoßes und nach unten bis zu jener Linie, 
welche die obere Grenze der Leberdämpfung mit dem Spitzenstoß 
verbindet. Herztöne rein. 

Die rechte Lunge endet in der Parasternallinie am oberen 
Rande der 4. Rippe, wo die Herzdämpfung beginnt, in der Axillar- 


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1890. 


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linie an der 9. Rippe. Die linke Lunge reicht in der Parasternal¬ 
linie bis zum oberen Rande der 6. Rippe, in der Mamillarlinie bis 
zu dem der 7. Rippe, wo die Leb er dämpf ung beginnt. Der 
Premitus peetoralis ist links stärker als rechts, was gleichfalls für 
die Transposition der Lungen spricht. 

Milzdämpfung beginnt oben in der mittleren Axillarlinie 
am oberen Rande der 9. Rippe, in der Scapularlinie an der 10. 
und in der Paravertebrallinie an der 11. Rippe und endet unten 
an der 11. Rippe. Nach vorn ist sie begrenzt durch die Sterno- 
costallinie. 

Rechts befindet sich unter der Herzdämpfung der TßAUBE’sche 
halbmondförmige Raum. 

Das Schluekgeräusch in der Speiseröhre ist rechts von der 
Wirbelsäule stärker zu hören als links. 

Die Rechtslage des Magens wurde in leerem und gefülltem 
Zustande, dann auch durch die rechts stärker hörbaren Schluck¬ 
geräusche festgestellt. 

Der rechte Hoden steht tiefer als der linke. 

Das Individuum ist rechtshändig. 

Dieser Situs viscerum completus kommt wahrscheinlich dadurch 
zu Stande, daß der Embryo zu einer gewissen Zeit der Entwicklung 
nicht die normale Drehung nach der linken Seite der Allantois- 
blase vollführt, sondern auf der rechten Seite verbleibt. So ist 
auch bei Doppelmißgeburten, wie z. B. bei den siamesischen Zwillingen, 
die Transposition heim rechten Individuum vorhanden. Bekanntlich 
hat der französische Forscher Doreste durch einseitige Erwärmung 
von Hühnereiern Transpositionen von geringerem oder stärkerem 
Grade hervorbringen können. 

Dr. J. DoLLINGER stellt einige Kinder vor, bei denen die 
Knochentuberculose mit Jodoformglycerin-Einspritzungon 
behandelt wurde. Er erreichte damit nur dann Erfolge, wenn die 
tuberculöse Knochenentzündung bereits geheilt war und nur noch 
der Absceß behandelt werden mußte. Da geschieht es zuweilen, daß 
beim Zurückziehen des Stachels beim Troicart der Stichoanal inficirt 
wird, was innerhalb der nächsten 2 Wochen wieder zu einer tuber- 
culosen Entzündung und Abscedirung des Stichcanale führen kann. 
Wo die Knochentuberculose noch nicht geheilt ist, wendet Vortr. 
keine Jodoform-Einspritzungen mehr an, sondern er öffnet den Absceß. 
Dies geschieht auch bei den Psoasabscessen. Die Heilung pflegt 
nach einem Jahre zu erfolgen. Die Drainröhre läßt er etwa eine 
Woche liegen, was gewöhnlich genügt, um eine etwaige Eiter¬ 
retention in der späteren Zeit zu verhüten. Die Fistel heilt nur 
nach gänzlichem Auf hören der Eiterung. Unter 15 operirten Fällen 
schlossen sich die Fisteln vollständig in 4—5 Fällen, während nach 
der Jodoformbehandlung wohl häufig der Absceß auf etwa Nußgröße 
zusammonschrumpft oder auch ganz verschwindet, aber nach einem 
halben oder ganzen Jahre sich wieder ein großer Psoasabsceß vor¬ 
findet. Jedoch reichen seine Beobachtungen nur auf 2—3 Jahre 
zurück. 

Hierauf hält Dr. Jdl. Donath einen Vortrag: Ueber Oph- 
thalmoplegia interna (Hutchinson) im Anschlüsse an 
zwei Beobachtungen, den wir an anderer Stelle ausführlich 
bringen werden. n. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

Sociätä de ehirorgle. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzungen vom 27. Februar, 5. und 12. März 1890. 

Behandlung der Endometritis. 

Bouilly hat 81 Fälle von Endometritis mittelst Auskratzung 
des Uterus behandelt, und zwar nur Fälle von einfacher Endome¬ 
tritis oder solche, die von leichten Entzündungen der Adnexa 
begleitet waren. 

Die vorhandenen Symptome bestanden immer in Metrorrhagien, 
schleimigem oder schleimig-eitrigem Ausfluß und Schmerzen, die zum 
Theil durch die geringe Entzündung der Adnexa bedingt waren. Die 
Operation wurde immer in Chloroformnarcose ausgeführt; dadurch 


ist sie viel leichter und verursacht der Kranken keine Schmerzen. 
Bouilly pflegt der Operation eine Dilatation des Cervix mit jodo- 
formirten Laminariastiften vorauszuschicken. Er zieht die langsame 
Dilatation der forcirten vor. 

Mittelst SiMS’scher oder SiMON’scher Curette entfernt er 
energisch die ganze Uterusschleimbaut, zum Schluß macht er eine 
Injection von Creosotglycerin (1 : 3) bei raucöser Endometritis oder 
von Chlorzink (1 : 10) bei hämorrhagischer. Die so ausgeführte 
Operation war nie von Complicationen gefolgt, blos in 4 Fällen 
trat in den ersten Tagen eine leichte Empfindlichkeit der restlichen 
Theile des Uterus ein. Von den 81 so behandelten Fällen konnten 69 
durch längere Zeit verfolgt werden. Von diesen wurden 39 (19 
von hämorrhagischer und 20 von catarrhalischer Endometritis) geheilt, 
15 gebessert und 15 erfolglos behandelt. Die besten Resultate 
wurden bei der hämorrhagischen Form erzielt. Die Ursachen der 
Mißerfolge sind erstens ein Fehler bei der Operation (ungenügende 
Auskratzung), zweitens eine rasche Reinfection der Schleimhaut, 
drittens eine gewisse Varietät von glandulärer Endometritis des Collum 
mit sehr zäher Secretion, bei der die Auskratzung schon deshalb 
erfolglos bleiben muß, weil die Veränderungen sich in der Tiefe 
der Drüsenschläuche befinden, viertens, und das ist wohl die häufigste 
Ursache, die Erkrankungen der Adnexa. 

Terillon hat diese Methode in 63 Fällen angewendet, und 
zwar befolgte er dieselbe Methode wie Bouilly. Als Verband ver¬ 
wendete er seit Jahren die intrauterine Tamponade mit Jodoform¬ 
gaze, die ihm namentlich nach Auskratzungen bei hämorrhagischer 
Metritis wesentliche Dienste geleistet hat. Als Ursachen der häufigen 
raschen Reinfectiouen beschuldigt Terillon die zu den Injectionen 
gebrauchten Kautschukcanülen. Terillon hat die Auskratzung in 
etwa 12 Fällen von Endometritis mit Complicationen seitens der 
Adnexa angewendet, aber unter diesen Verhältnissen nie gute Re¬ 
sultate erzielt, namentlich dann nicht, wenn die Salpingitis sich durch 
hämorrhagische Erscheinungen äußerte, welche nicht immer durch 
Castration zu beseitigen sind. 

Eine definitive Heilung kann erst durch die Auskratzung nach 
der Entfernung der Adnexa erzielt werden. 

Kirmisson begnügt sich mit Behandlung der Metritis mit 
Dilatation und nachträglicher Anwendung der Jodoformgaze-Tamponade 
und ist mit den Resultaten sehr zufrieden. Die Dilatation spielt in 
solchen Fällen eine große Rolle und wirkt scheinbar ähnlich wie 
die Dilatation des Anus bei Hämorrhoiden. 

Segond hat die Auskratzung in 6 Fällen von Endometritis 
mit Erkrankungen der Adnexa angewendet und jedesmal einen 
Mißerfolg erlebt. 

In einem Falle mußte er sehr rasch nach 14 Tagen die beider¬ 
seitige Castration vornehmen. 

Tebrier schickt der Auskratzung eine Dilatation durch 5 bis 
6 Tage voraus, gebraucht gegenwärtig nicht mehr die Jodoform¬ 
gaze-Tamponade, sondern cauterisirt sorgfältig die ganze Schleim¬ 
haut mit lOproc. Chlorzink und legt häufig ein Drainrohr in die 
Höhle ein, um den Abfluß der Secrete zu erleichtern. Der Verband 
hübt etwa 4— 5 Tage, worauf langsam die vaginalen Jodoform¬ 
tampons entfernt werden und antiseptisebe Injection mittelst sehr 
rein gehaltener Glasröhren vorgenommen wird. Terrier ist mit den 
Erfolgen sehr zufrieden, nur in Fällen von Erkrankungen der Adnexa 
sah er Mißerfolge. 

Trelat bemerkt, daß die großen Risse des Cervix häufig 
ohne EMMET’sche Operation, blos nach Auskratzung des Uterus heilen. 
Sein Operationsverfahren stimmt mit dem von Bouilly vollständig 
tiberein. 

Als Verband hat er lange Zeit die intrauterine Tamponade mit Jodo¬ 
formgaze gebraucht. Gegenwärtig führt er nichts in den Uterus ein, son¬ 
dern füllt die Vagina locker mit Jodoformgaze, die zunächst am zweiten 
Tage, dann nach 2 Tagen, schließlich nach 5—6 Tagen erneuert wird, 
um dann blos antiseptische Auswaschungen vornehmen zu lassen, zu 
welchen er eine Lösung von O'IO Quecksilberbijodttr auf einen Liter 
Wasser an wendet; um die Lösung des Quecksilbersalzes zu er¬ 
leichtern, kann man eine kleine Menge Alkohol hinzufügen. In den 
letzten 3 Jahren hat Trelat auf seiner Klinik 206mal diese Ope¬ 
ration ausgeführt und die besten Resultate bei der hämorrhagischen 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14. 


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Melritis erzielt. Bei der cervicalen Endometritis mit sehr zäher 
und fest anhaftender Secretion erhält man auch gute Resultate, wenn 
man eine mehr schneidende Curette gebraucht und die kranken 
Tbeile in ausgedehntestem Maße entfernt. 

Die Angaben, daß in alten Fällen von Endometritis mit Er¬ 
krankungen der Adnexa die Auskratzung mißlingt, sind im Allge¬ 
meinen richtig, doch gibt es eine Reihe von Ausnahmen von dieser 
Regel, wie dies aus 2 von Teälat angeführten Fällen ersichtlich 
ist, bei denen die Auskratzung vollständige Heilung trotz Anwesen¬ 
heit von Exsudaten und Erkrankungen der Ovarien und Tuben 
herbei führte. 

Richelot hat diese Operation in 70 Fällen ausgeführt, wovon 
er nur 17 Mißerfolge zu verzeichnen hat. In Fällen von Endo¬ 
metritis cervicis nützt die tiefe und ausgedehnte Auskratzung auch 
nichts. Wenn die Drüsen tief ergriffen sind, so thnt man am besten, 
die Auskratzung mit der EMWET’schen oder SCHRÖDEa’schen Ope¬ 
ration zu vereinigen. Nach der Operation pinselt RrcHELOT mit 
Creosotgly cerin aus und legt einen Jodoformstift ein. 

Polaillon leugnet nicht die gnten Wirkungen der Aus¬ 
kratzung, zieht aber ein Verfahren vor, welches ihm in mehreren 
Fällen sehr gute Resultate geliefert hat. Er cauterisirt den Uterus 
mittelst eines Chlorzinkstiftes, dessen Dimensionen nach der Länge 
des Uterus bestimmt werden. Die Einführung dieses Stiftes geschieht 
nach vorheriger Dilatation und wird durch einen längeren Jodoform¬ 
tampon an Ort und Stelle erhalten. Die Stifte bestehen aus gleichen 
Theilen Chlorzink und Mehl. 

In wenigen Stunden hat sich ein Schorf gebildet, der sich 
zwischen dem 4. und 12. Tage abstößt und zuweilen einen genauen 
Abguß der Uterusböhle präsentirt. Die Schmerzen dauern gewöhn¬ 
lich einige Stunden und hören bald auf. Nach 8 Tagen läßt 
Polaillon seine Kranken aufstehen und binnen 2—3 Wochen ist die 
Heilung eine vollständige. Der schmerzhafte und bewegliche Uterus 
erreicht wieder seine normale Größe. 

Bleibt hingegen Schmerzhaftigkeit noch am 20. Tage bestehen^ 
so beginnt er die Behandlung von Neuem. Von 57 so behandelten 
Kranken sind 40 nach einer durchschnittlichen Behandlung von 
24 Tagen geheilt, 31 haben frühzeitig die Abtheilung verlassen, 

1 ungebessert, 5 blieben ungeheilt; in 3 Fällen trat nach einem, 
10, resp. 16 Monaten Recidive ein. 

In der Privatpraxis hat Polaillon die Methode 12mal ange¬ 
wendet und 8 Heilungen, 3 merkliche Besserungen und einen Mi߬ 
erfolg erzielt. 13 von seinen Kranken hatten leichte Salpingitis, 
darunter wurden 8 geheilt und 2 gebessert. 

Pozzi wirft der Methode Poläillon’b vor, daß sie nach 
einiger Zeit Stenose des Cervix hervorruft und daß die Wirkung 
des Aetzmittels nicht beschränkt werden kann. Er zieht die 
Auskratzung vor, die er auf seiner Abtheilung mindestens 
500mal ausgeführt hat. An Stelle der langsamen Dilatation 
nimmt er die rasche Erweiterung mit HEGAR’schen Dilatatoren 
vor. Die langsame Erweiterung verwirft Pozzi deswegen, weil sie 
zu periuterinen Entzündungen führt und schmerzhaft ist. Eine 
schneidende Curette ist nach ihm überflüssig. Auch hält er jede 
Auspinselung und Tamponade des Uterus für unnöthig. Er be¬ 
gnügt sich nach der Injection mit einem einfachen vaginalen 
Tampon, den er 4 Tage liegen läßt. Bei hämorrhagischer und 
catarrhaliscber Metritis sind die Resultate vorzüglich, bei tiefer 
Veränderung des Cervix ist die Auskratzung allein ungenügend; 
leichte Salpingitis heilt nach der Auskratzung, schwerere hingegen 
bleiben unbeeinflußt. K. 


Notizen. 

Wien, 5. April 1890. 

Das statistische Jahrbach der Stadt Wiea für das 
Jahr 1888. 

Die Jahrbücher der Stadt Wien, vortheilhaft bekannt durch 
die ausgezeichnete Bearbeitung des Stoffes seitens des statistischen 
Departements des Wiener Magistrates, nehmen das Interesse aller 
Stände in Anspruch. Nicht in letzter Reihe sind es die Aerzte, für 
welche zumal die dem Gesundheits- und Armen wesen gewidmeten 
Abschnitte des Buches eine reiche Fundgrube wohlgeordneten stati¬ 
stischen Materials bieten. Der soeben aasgegebene sechste Jahr¬ 
gang tibertrifft seine Vorgänger an Umfang und gleicht ihnen in 
Form und Anlage; auch er ist ein beredter Zeuge der unermüdlichen, 
emsigen Arbeit der Statistiker der Großcoramune, die jahraus, jahrein 
das gewaltige Material, welches ihnen aus allen Verwaltungszweigen 
zuströmt, sichten, ordnen und durch ihre statistischen Siebe laufen 
lassen, damit die Wissenschaft dasselbe zu verwertheu vermöge. 

Der Abschnitt „Gesundheitswesen“ bringt zunächst eine 
Uebersicht Uber den Stand der Sanitätspersonen des letzten 
Quinquenniums. Die Zahl derselben hat seit dem Jahre 1884 um 
142, die der Doctoron der Medicin um 144 zugenommen. Zu Ende des 
Jahres 1888 kam in Wien auf rund 600 Einwohner ein Arzt, 
ein Verhältniß, welches sich im I. Bezirke auf 1 : 192, im II. auf 
1 : 1031 , im III. auf 1 : 636, im IV. auf 1 : 674, im V. auf 
1 : 2790, im VI. auf 1 : 1488, im VII. auf 1 : 1174, im VIH. auf 
1 : 497, im IX. (incl. der Aerzte des allgemeinen Krankenhauses 
und der anderen zahlreichen Krankenanstalten dieses Bezirkes) auf 
1 : 260, im X. auf 1 : 3050 stellt. 

Aus den nächsten, die Heilanstalten betreffenden Tabellen geht 
auch für das Berichtsjahr die Unzulänglichkeit unserer Krankenhäuser 
und Irrenanstalten hervor, welche trotz privater Nachhilfe einer Be¬ 
völkerung von über 700.000 Seelen nur 5912 Betten bieten können. 
Von ganz besonderem Interesse sind die statistischen Mittheilungen 
über Morbidität und Mortalität der Bevölkerung an Infections- 
krankheiten, deren wichtigste Daten wir folgen lassen: 

1. Blattern. 223 Erkrankungen (gegen 327 im Jahre 1887) 
mit dem Maximum im Januar, dem Minimum im November und 
December. Von den Erkrankten waren 125 geimpft, 98 ungeimpft 
oder zweifelhaft. Todesfälle kamen 62 (= 27'8°/ 0 ) vor. Leider 
fehlen diesmal die statistischen Daten zum Vergleiche der Mortalität 
der Geimpften mit jener der Ungeimpften. 

2. Varicellen. 1537 Erkrankungen (gegen 1459 im Jahre 
1887). Max. im Januar, Minim, im August. 

3. Scharlach. 2780 Erkrankungen (3723 im Jahre 1887) 
mit 8’1% Mortalität. Max. Januar, Minim. August. 

4. Masern. 5692 Erkrankungen (7952 im Jahre 1887) 
mit 4 , 4% Mortalität. Max. im Mai, Minim, im September. 

5. Typhus (mit Ausschluß von Flecktyphus). 474 Erkran¬ 
kungen (253 im Jahre 1887) mit 20 - 2% Mortalität. Max. im De¬ 
cember, Minim, im August. 

6. Flecktyphus. 9 Erkrankungen (4 im Jahre 1887) 
mit 44•4% Mortalität. Max. im April (5). 

7. Rothlauf. 777 Erkrankungen (654 im Jahre 1887) mit 
9*2°/ 0 Mortalität. Max. im März, Minim, im September. 

8. Diphtherie. 1003 Erkrankungen (951 im Jahre 1887) 
mit 31'5°/ 0 Mortalität. Max. im October, Minim, im August. 

9. Keuchhusten. 1060 Erkrankungen (722 im Jahre 1887) 
mit 8-7°/ 0 Mortalität. Max. im April, Minim, im September. 

10. Dyseuterie. 38 Erkrankungen (13 im Jahre 1887) 
mit 3’8% Mortalität. Max. im October und November, Minim, im 
März und April. 

11. Wochenbettfieber. 153 Erkrankungen (114 im 
Jahre 1887) mit 79% Mortalität. Max. im April, Minim, im 
Februar und August. 

12. Traehom. 149 Erkrankungen (78 im Jahre 1887). 
Max. im September, Minim, im Juni. 

Die wohlthätigen Folgen der Verschärfung des Thierseuchen¬ 
gesetzes machten sich im Berichtsjahre bezüglich der Zahl der im 


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1890. 


558 


— Wiener Medizinische Presse.-—- Nr. 14. 


Militär-Tbierarznci-Institirto beobachteten Fälle von Hundswuth 
geltend; im Jahre 1888 wurden nur 12 Fälle (gegen 48 im Jahre 
1887) beobachtet. 

Aus dem Capitcl „Gesundheitspflege und Gcsund- 
heitspolizei“ ist die Tabelle über den Besuch des Volksbndes 
(Doucbe) im VII. Bezirke liervoyzuheben, welche eiuo Frequenz von 
77.967 Personen aufwies. Das Rettungswesen wurdo von der Polizei 
in 81, von der freiw. RettUDgsgesellsehaft in 2 Stationen besorgt; 
erstere hatte in 2657, letztere in 2769 Fällen zu interveniren. Die 
Zahl der im Berichtsjahre vorgenommenen panitfitspolizeilichen Ob- 
duetionen betrug 723, die der gerichtlichen Leichenöffnungen 187, 
die Zahl der Exhumirungcn 332. — Impfungen wurden 16.809, 
Rcvaccinationen 483 vorgenommen. 

Der Abschnitt „Ar men-Kranken pflege“ belehrt den 
Leser über die seit dem Jahre 1887 datirende Erhöhung der syste- 
misirten Bezüge der 19 Armenärzte Wiens von 15.605 fl. auf 
18.259 fl., was einer Gehaltserhöhung von 140 11. pro Kopf und 
Jahr gleichkommt. Der Posten eines vielgeplagtcn Armenarztes 
gehört deshalb noch immer nicht zu den entsprechend dotirten, da 
die Dnrcbsebnitt8einnahme eines solchen derzeit dio Summe von 
961 fl. nicht übersteigt. 


(Congreß für innere Medioin in Wien.) Nur wenigo 
Tage noch trennen uns von der Eröffnung dieses Congresses, 
welcher vom 15.—18. April in unserer Stadt tagen wird. Die Zahl 
der angemeldeten Vorträge, welche wir in Nr. 8 und 11 unseres 
Blattes mitgetheilt haben, wächst von Tag zu Tag, und kaum dürfte 
die den Verhandlungen knapp bemessene Zeit hinreichen, um alle 
Redner zum Worte kommen zu lassen. Neuerdings haben noch 
Vorträge angemeldet: Prof. Hibt (Breslau): Deber die Bedeutung 
der Suggestionstherapie für die ärztliche Praxis; Prof. Eppinger 
(Graz): Ueber einen neuen pathogenen Cladothrix als den Erreger 
einer Pseudotuberculosis (cladothrichiea); Dr. Schmjd (Reiohenhall): 
Zur Kritik der Behandlung der Lungentuberculose mittelst des 
W eigebt’ sehen Heißluftapparates ; Dr. Jacob (Cudowa): Blutdruck 
und Pulsgröße im lauen, Bade und dessen Wirkung aufs Herz; 
Prof. E. Lang (Wien): Mittheilungen über Oleum oinereum mit 
Demonstrationen (im k. k. allgem. Krankenbause, Saal Nr. 8 a); 
Prof. Winteenitz (Wien): Ueber eine eigenthümliohe Reaction der 
Hautgefäße; Prof. Wernicke (Breslau): Ueber einen Fall von 
Aphasie. — Prof. v. Basch wird während der Congreßzeit in seinem 
Laboratorium für experimentelle Pathologie, IX., Schwarzspanier¬ 
straße 7, von 1 / 2 1 — 1 / s 2 Uhr an einem neuen Doppelkreislauf¬ 
modelle Versuche znr Theorie der Kreislaufstörungen demonstriren 
und von 1 / 8 6— x j t 7 Uhr Thierversuche zur Lehre vom Lungen¬ 
ödem und der cardia'en Dyspnoe vorfuhren. 

(Von der Wiener medicinisch en Facultät.) Im 
abgelaufenen Wintersemester waren an dieser Facultät 3105 Hörer 
(z=; .51'2 0 /o der Gesammtfrequenz der Wiener Universität) inscribirt, 
und zwar 2182 ordentliche, 923 außerordentliche Hörer. Ihror Pro¬ 
venienz nach reerntirte sich die größte Zahl der Mediciner aus Ungarn, 
Niederösterreich, Galizien, Mähren und Böhmen. Von fremden 
Staaten waren Rußland, Preußen, England, Rumäuien und die 
Schweiz; von außereuropäischen Ländern Amerika am zahlreichsten 
vertreten. — Wie dem soeben erschienenen Lections-Katalog 
für das Sommersemester zu entnehmen ist, worden iu diesem Semester 
von 24 ordentlichen, 30 außerordentlichen Professoren, 74 Docenten 
und Assistenten 208 Vorlesungen und Curso etc. abgchalton werden. 

(IX. Oesterreichischer Aerztevereinstag.) Der 
dieg'äbrigo Aerztevereinstag wird in Troppau stattfinden. Die 
Delegirten der dem Aerztevereinsverbande angehörenden Vereino 
werden sich heuer auf Grundlage der Erfahrungen der einzelnen 
Vereine mit der Frage der Krankencassen beschäftigen und 
auch die Frage der Krankenversicherung des land- und forstwirth- 
schaftlichen Personals, welche demnächst gesetzlich geregelt werden 
soll, in Berathnng ziehen. 

(Auszeichnungen.) Dem praktischen Arzte Dr. Hibert 
Titläach in Saaz ist das Ritterkreuz des Franz Joseph Ordens, dem 
1. Hausarzte der Männer-Strafanstalt in Göllersdorf, Dr. Felix 
R. v. Winiwarter, das goldene Verdienstkrcuz mit der Krone ver¬ 
lieben worden. 


(Statistik.) Vom 23. bis inclusive 29. März 1890 wurden in den 
Civil8pitälorn Wiens 4946 Personen behandelt. Hievon wurden 1002 
entlassen; 93 sind gestorben (8'5°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Staithalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 27, egyptischer Augeoentzändung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 9, Dysenterie —, Blattern 15, Varicellen 59, Scharlach 38, 
Masern 219, Keuchhusten 48. Wundrothlanf 25, Wochenbettfleber 5. — Iu 
der 13. Jahreswoche sind in Wien 417 Personen gestorben (—88 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle) Gestorbeu sind: in Troppau der ehemalige 
Operateur der Klinik Albert, Dr. Wilhelm Machold, 29 Jahre 
alt, an Flecktyphus; in Paternion (Kärnten) der Districtsarzt Dr. 
Nicolaus Eberle; iu Borgo (Tirol) der Gemeindearzt Dr. Achille 
Armellini; in Breslau der Professor der Chemie, Geh. Reg.-R. 
Dr. C. J. Loewio, 88 Jahre alt. 


(F ranze nsb ad.) Zum ordinirenden Arzte im hiesigen Badehospitale 
wurde Sanitätsrath Dr. Jos. Diessl imannt. Diese Anstalt gewährt alljähr¬ 
lich 50 armen oder unbemittelten, der Heilmittel Fianzensbads bedürftigen 
Krai.ken — ohne Unterschied der Confession und Nationalität — freie 
Wohnung und Verpflegung und auch unentgeltlich den Gebrauch der hierortigen 
Curmittel. 


(Lev ico-Arsen-Ei sen wasser) vide Inserat. 


Eingesendet 

Vom Uuterstßtzungs-Vereine für Witwen and Walsen der k. and k. 
Militärärzte in Wien. 


Die diesjährige ordentliche Generalversammlung dieses Vereines findet 
am Freitag, den 25. April 1. J., nm 5 Uhr Nachmittags, im Hörsaale Nr. 1 
im 1. Stock des ehemaligen Josefs - Akademie - Gebäudes (IX., Währinger- 
straße 25) statt. 

Tagesordnung. 

1. Veriflcirnng des Protokolles der vorjährigen Generalversammlung. 

2. Vorlage des Rechenschaftsberichtes für das Jahr 1689. 

3. Wahl von Functionären für das Verwaltnngs-Comitö und für das 
Schiedsgericht, dann von Revisoren und Ersatzmännern. 

4. Mittheilungen des Ausschuss es und eventuell Anträge von Vereins¬ 
mitgliedern (die Anträge müssen 14 Tage vorher beim Verwaltungs-Comitö 
ang« meldet würden). 

Wien, am 20. März 1890. 

Ftt-r das Ver waltungs-Comitö. 


Der Präsident: 

Dr. Wenzel Hoor, 
General-Stabsarzt m. p. 


Literatur. ; - ■' - - : 

(Der Redaction eingesendete Reconaiona-Exemplare.) jH'i' 

Mosetlg-Moorhof A. R. v., Handbuch der chirurgischen Technik. L Bänd: 
Allgemeine Chirurgie. Dritte, verbessert« und vermehrte Auflage. Mit 
92 Abbildungen. Leipzig und Wien 1890. Franz Deuticke. 

Hacker Y. E. v., Anleitung znr antiseptiseben WnndWhaüdlang. Dritte, 
nmgearbeitete Auflage. Leipzig un i Wien 1890. Franz Deuticke.. 
Kirchner W., Handbuch der Ohrenheilkunde, Dritte Auflage. Mit 4l-’Ab- 
bildungen. Berlin 1890. Friedrich Wreden. 

Fflrbrii'ger P., Die inneren Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 
Zweite, nmgearbeitete nnd vermehrte Auflage. Mit 18 Abbildungen. Berlin 
1890. Friedlich Wreden. 


Verantwortlicher Redaateur: Dr. M. T. Schnirer. 


Cm mimte iw Miss» <■< Iiilnmtlt 

an klinischem Mäterial. 

Theilnehmerzahl beschränkt. — Dauer 3 Wochen. — Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, I., Hegelgasse 21 (3—4). 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Es wird hiemit znr Kenntniss der Interessenten gebracht, 

daß im Bezirke Bjelina (Bosnien) der Posten eines Bezirksthierarztes mit 
einem jährlichen Gehalte von 1200 fl. zu besetzen ist. Die Competenten anf diesen 
Posteu haben ihre diesbezüglichen Gesuche, instruirt mit ihren Befähigungs- 
doenmenten und etwaigen anderen Zeugnissen, welche deren Tüchtigkeit im 
Veterinärdienste zu bestätigen geeignet sind, längstens bis 15. April 1. J. 
dem Bezirksamte Bjelina einzareichen, da später einlangende Gesuche nicht 
berücksichtigt werden können. Außer den Fachkenntnissen wird die Kenntniß 
einer der »lavischen Sprachen bedingt. 

Bjelina, am 26. Februar 1890. 551 

Das Bezirksamt. 


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659 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 14. 


660 


Doctor 

wird für ein zahn technisches Atelier zur Ausführung der zahnärztlichen 
Operationen gesucht. Anträge unter „Successives Avancement“ an die Annoncen- 
Expedition M. Dukes, Wien, I., Wollzeile 6—8 erbeten. 566 

Stadt- und Sehlossarztes-, eventuell Districtsarztesstelle 

in Rosenberg im südlichen Böhmen. Diese Stelle ist zu besetzen und wird 
hiemit der Concurs bis 25. April 1. J. ausgeschrieben. Das jährliche fixe Ein¬ 
kommen beträgt: ]. Von der Stadtgemeinde Rosenberg eine jährliche Remune¬ 
ration von 150 fl. für die Fleischbeschau, unentgeltliche Behandlung der 
Stadtarmen und Verabreichung der nöthigen Medicamente an diese im Er¬ 
krankungsfalle. 2. von der gräflich v. Buquoy'schen Htrrschaft für Rosenberg 
ein Pauschale pro 250 fl. jährlich für unentgeltliche Behandlung der herr¬ 
schaftlichen Beamten und Diener und deren Familien in Rosenberg und Möd- 
litzhof. Medicamente werden von den betreffenden Bediensteten selbst, für das 
Mödlitz-Meierhofgesinde aus den Herrschaftsrenten bezahlt. 3. Vom Bezirke 
Hohenfurth sind dem neu zu creirenden Districtsarzte für Rosenberg außer einem 
Dienstreisepauschale von 10 fl. pro 20 Kilometer im Districtsrayon, in welchem 
5 Gemeinden mit 4100 Seelen sich befinden, jährlich noch 400 fl. gesetzlich in 
Aussicht gestellt. Durch die Vornahme der Todtenbeschau, der Impfung im 
Districtsbezirke, dann bei dem Umstande, daß 3 Nachbargemeinden (Rosenthal, 
Malschin, Unterhaid), jede mit circa 2000 Seelen, ohne Arzt sind, die Haltung 
einer eigenen Hausapotheke, und durch die ausübende Praxis, dürfte dieser 
Posten ein sehr einträglicher werden. Dieser Posten kann nach Ablauf der 
obigen Frist nach Ratification sogleich angelreten werden. Doctoren der ge- 
sammten Heilkunde erhalten den Vorzug. Gesuche, mit den nöthigen Nach¬ 
weisen über Befähigung, Alter, bisherige Praxis otc. versehen, wollen bis 
längstens 25. April 1890 an das Bürgermeisteramt in Rosenberg, Bezirk 
Kaplitz, Böhmen, eingesendet werden. Allfällige Auskünfte werden bereit¬ 
willigst ertheilt. 

Bürgermeisteramt Rosenberg, am 23. März 1890. 554 

Johann Stifter, Bürgermeister. 

Badearzt für die Wasserheilanstalt Schwarzenberg- 

Bad (Szepeser Com.). Gesuche an Herrn Wilhelm Lomniczi, Badebesitzer 
in L ö c s e. 

Bezirksarzt für Isvündi. Gehalt 300 fl. eto. Gesuche an 

das Ober-Stuhlrichteramt in Szigetvär. 

Bezirksarzt iür Sz6os6ny-Kovücs (Neograder Com.). 

Gehalt 600 fl. etc. Gesuche an das Ober-Stuhlrichteramt in Sz6cs6ny. 

Bezirksarzt für Dunaszekcsö. Gehalt 600 fl. eto. Ge¬ 

suche an das ObeF-StnhlrfcJiteflUiit in Mohäcs. ' .. . 


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In Wien: Kngelnpotheke, am Hof; Zum schwarzen Bären, am Lugeck 
Moll’ö Apotheke, Zum Storch; Zum heiligen Leopold, Plaukengasse 


18 . 
ebs, Hoher 


322 


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In Budapest : bei Herrn .Josef von Xörök. 

In Prag: bei Herren Fürst und W. Adam. 

In Graz: bei Herren Anton Nedwed und Furgleitner. 

In Brünn: bei Herrn Lusar. 

In Lemberg: bei Herren IMikolasck Rücker, Sklepinski, Wewiorski. 

In Krakau: bei .Herren Wiszniewski, Trauczynsi und R.edyk. 

In Tarnopol: bei Herrn Leon Fleischmann. 

In Triest: bei Herren «X. Serravallo, Carlo Zanetti, Francesco IVIell 
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.Nr. 15. _ Sonntag den 13. April 1890. _ XXXI. Jahrgang. 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
9 bis 3 Bogen Gross-Qa&rt-Form&t stark. Hiezn eine Reihe 
ansaerordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich anch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
auftr&ge sind an die Administration der „Mediz. Fresse“ 
in Wien, I., Maxlmilianatraase Nr. 4 , zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 

Medizinische Fresse. 

Organ für praktische Aerzte. 

--- 

Redigirt von Verlag von 

Begründet 1860. Dp. A XX t O XX B IX XXI. Urban t Schwarzenberg in Wien. 


Zum 

neunten Congresse für innere Medicin. 

Wien, 15. — 18. April 1890. 

Ein herrlicher Frühlingstag sah am 20 . April 1882 zahlreiche deutsche Gelehrte in der schönen Bäder¬ 
stadt des Taunus, im lieblichen Wiesbaden, vereint. Der erste Congress für innere Medicin, dessen Pathe 
Leyden, Berlins gefeierter Kliniker, dessen Führer Frerichs, Deutschlands so früh geschiedener grosser Sohn, 
gewesen, ward feierlich eröffnet. 

„Wir sind hier zusammengekommen, uns zu verständigen über Fragen, welche die deutsche Heilkunde 
bewegen; wir wollen Erfahrungen austauschen, Ideen anregen und auch ausführen; wir wollen endlich auch 
unsere gemeinsamen berechtigten Interessen vertreten.“ Diese Worte, welche Frerichs unter stürmischem 
Beifall der Versammlung sprach, sie sind das Programm des Congresses, das alljährlich, wenn die Frühlingszeit 
die deutschen Gelehrten zu wissenschaftlicher Arbeit und fröhlichem Verkehr rief, treulich erfüllt wurde. 

Achtmal tagte bisher der Congress für innere Medicin. Eine Fülle wissenschaftlicher Leistungen hat 
er aufzuweisen, da er, von Fürsten im Reiche des Wissens geleitet, durch hervorragende Gelehrte und erfahrene 
Aerzte die wichtigsten Fragen auf dem Gebiete der inneren Medicin Jahr für Jahr zur Besprechung, zur Lösung 
brachte. Die Aetiologie, Pathologie und Therapie der Tuberculose, der Diphtherie, des Ileus, der Cholera, der 
Gicht, des Morbus Brightii, wie der Pneumonie und Pertussis, der Syphilis und des Diabetes, die Localisation der 
Gehirnkrankheiten, der Epilepsie, der Mechanismus der Athembewegung, die allgemeine Prophylaxe und 
Behandlung der Infectionskrankheiten, Antipyrese und antipyretische Behandlungsmethoden, wie die Errungen¬ 
schaften auf dem Gebiete der Neuropathologie waren die wichtigsten Gegenstände, welche Männer wie Leyden, 
Koch, Liebermeister , Lichtheim , Rühle, Gerhardt, Binz, Rossbach , Jürgensen, Schnitze, Ebstein, Curschmann , 
Riegel, Kaposi, Neisser, Nothnagel, Naunyn, Unverricht , Vogel, Adamkiewicz, Cantani , Jmmermann und andere 
bedeutende Männer der Wissenschaft und ärztlichen Kunst dem enggeschlossenen Kreise der Fachgenossen zu 
vermitteln berufen waren. Reger Meinungsaustausch, rückhaltlose Kritik vermochten in diesen Versammlungen 
die Darlegungen der Studien und Erfahrungen des Einzelnen zu erweitern und zu ergänzen, sie zum Gemein¬ 
gute medicinischer Wissenschaft zu erheben. 

Der junge Lenz begrüsst die deutschen Internisten abermals bei fruchtbringender Arbeit. Zum ersten 
Male seit jenem unvergesslichen Eröffnungstage haben sie den Boden Deutschlands verlassen, um, Freundesrufe' 
folgend, das Herz des Schwesterlandes, Oesterreichs gastliche Hauptstadt, zur Arbeitsstätte zu erwählen. Steht 
doch diesmal ein Marin an ihrer Spitze, der, ein Sohn Deutschlands, in unserer schönen Stadt ein neues Heim 
gefunden, Hermann Nothnagel , den wir mit Stolz den Unseren nennen, Frerichs, Leydens, Leubes und 
Liebermeisters würdiger Nachfolger aüf des Congresses Präsidentenstuhl. 

Willkommen denn in Wien! Es grüssen Euch, die stammverwandten Brüder, die Aerzte dieser 
Stadt. Mögt Ihr, der Stolz der Nation, hier Euer Werk vollbringen, der Arbeit wie der Müsse froh! Möge 
das feste Band der Freundschaft, das Deutschlands und Oesterreichs Herrscher und Völker verbindet, Deutsch¬ 
lands und Oesterreichs Aerzte vereint, in diesen Tagen enger noch geknüpft werden durch gemeinsame Arbeit! 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ and „Wiener Klinik“ 
Inland; Jährl. io fl., halb). & fl., viertel], 2 fl. 60 kr. Ansland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halhj. 10 Mrk., vierte». 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halb]. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Anslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern Im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnlstr. 
der „wiener Medls. Presse“ in Wien,!., MaximlUanstr. 4. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


572 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Aus dem allgemeinen Krankenhause in Lemberg. 

Ein Fall von acuter Chininvergiftung mit 
scharlachähnlichem Exanthem. 

Von Dr. Leon Rosenbusoh, Secundararzt der internen 
Abtheilung. 

A. S., Sehneidergeselle, 33 J. alt, verweilt seit einigen 
Wochen auf der internen Abtheilung des Lemberger Spitales 
wegen Lungenspitzen - Infiltration. Pat. ist ziemlich gut 
genährt, anämisch. Ueber beiden Lungenspitzen Dämpfung 
des Percussionsschalles; über der rechten Lungenspitze kann 
man nach dem Husten kleinblasige, klingende Rasselgeräusche 
neben Bronchialathmen wahrnehmen. Abendtemperatur = 
37 - 8—38’4. In der Nacht treten profuse Schweiße auf. In 
den Verdanungsorganen, ebenso wie im Nervensystem kann 
man keine Veränderungen nachweisen. Der Kranke erhielt 
während seines dreiwöchentlichen Aufenthaltes im Kranken¬ 
hause Extr. laudani gegen den Husten und Antifebrin 
in der Gabe von 0’25 Grm., 3mal täglich, gegen das Fieber. 
Am 22. v. M. wurde dem Pat. um 3 Uhr Nachmittags l Grm. 
Chininum sulfuricum gereicht. 

Gleich nach der Einnahme des Mittels entstand starkes 
Frostgefühl, Ohrensausen, Kopfweh, Kältegefühl und 
Schmerzen in den Extremitäten, Herzklopfen, Erbrechen und 
bedeutende Schwäche. während das Gesicht und der ganze 
Körper eine gleichmäßige tiefrothe Färbung annahmen: 

Eine Stunde nach der Verabreichung des Medicaments 
untersuchte ich den Kranken und fand: Das Sensorium des 
Pat. benommen. Temp. = 39'7, P. = 158, die Pulswelle klein 
und von geringer Spannung. Das Gesicht und der Hals sind 
hochroth gefärbt, die Pupillen bedeutend verengt, reagiren 
ziemlich gut auf Licht, die Zunge trocken, an der Spitze 
geröthet. Ebenso wie das Gesicht weist auch die Haut des 
ganzen Körpers eine gleichmäßige hochrothe Färbung auf, 
welche aus einer unzähligen Menge kleiner, mit einander 
confluirender, nicht erhabener Pünktchen besteht. Das Exanthem 
hat alle Merkmale des Scharlachexanthems und eine 
Unterscheidung wäre unmöglich. Die Aehnlichkeit ist inso- 
ferne noch größer, als hier gerade so wie in dem Scharlach¬ 
exanthem’ der Hals und die innere Fläche der Ober¬ 
schenkel die ausgeprägtesten Veränderungen zeigen. Am Thorax 
bemerkt man eine rhythmische Erschütterung in der Herz¬ 
gegend, welche in den gewaltigen Herzbewegungen ihren 
Grund hat, und forcirte Athembewegungen. Die Herztöne 
sind rein. Dem Kranken wurden zwei Löffel Ricinusöl, 
Coffein und ein Eisbeutel auf den Kopf und die Herzgegend 
angeordnet. 

Am folgenden Tage: Temp. = 365, P. = 108, von 
. ziemlich starker Spannung. In der Nacht war der Kranke 
unruhig und hatte Delirien. In der Früh einige Stuhlent¬ 
leerungen. Das Exanthem ist um ein Bedeutendes blässer, die 
ganze Haut mit großen Schweißblasen bedeckt. Die Pupillen 
sind normal, die Zunge an der Spitze geröthet, stark belegt. 
In den Extremitäten, namentlich in den oberen, leichtes 
Zittern. 

Schon nach 2 Tagen verschwanden sowohl das Exanthem 
als auch die beschriebenen Nebenerscheinungen, mit Hinter¬ 
lassung leichter Pigmentflecken. Der Puls fiel auf 80 und 
die Temperatur überschritt nicht 37’8° C. 

Es scheint sicher zu sein, daß die beschriebenen Ver¬ 
änderungen einer acuten Chininvergiftung entsprechen, welche 
Pat. laut Angabe schon zum zweiten Male durchmacht; vor 
fünf Jahren nämlich soll derselbe ganz ähnliche Symptome 
und eine gleichmäßige Röthung der Haut nach der Einnahme 
von zwei Chininpulvern ä 0’5 Grm. bemerkt haben. 

Neben anderen Fällen von Chininvergiftungen verdient 
der beschriebene unsere Aufmerksamkeit durch die Temperatur¬ 


erhöhung bis 39’7° C., während dieselbe auch ohne Antife- 
brilia nie 38’4° überschritt und der Kranke in den letzten 
Tagen fast gar nicht fieberte, außerdem aber durch die große 
Aehnlichkeit des beschriebenen Exanthems mit einem Scharlach- 
ausschlage. 

Die negativ ausfallende Rachenuntersuchung und das 
schnelle, nahezu plötzliche Entstehen der die ganze Haut 
gleichmäßig einnehmenden Röthe könnten das einzige Unter¬ 
scheidungsmerkmal abgeben. 


Die Herz- und Gefässtöne 

Von Dr. C. Sohmid, Ordinarius des Rudolfspitales in Bruck a. M. 

Jede Gewebswand, die plötzlich prall gespannt wird, 
gibt einen Ton. Wenn die Herzkammer in der Systole sich 
contrahirt, das eingeschlossene Blut gegen die Zipfelklappen 
zurückjagt und diese plötzlich schließt, so wird im Momente 
des Klappenschlusses die ganze Ventrikelwand um das einge¬ 
schlossene Blut plötzlich prall gespannt und gibt einen 
Ton — den 1. Herzton. 

Es tönt sowohl der dicke musculöse Theil der Ventrikel¬ 
wand als auch der häutige Theil, die Klappen, und Wintrich 
ist es gelungen, durch seine Luftresonatoren nachzuweisen, 
daß der 1. Herzton aus einem tieferen Muskel- und höheren 
Klappenton besteht. 

So interessant die Versuche von Ludwig und Dogikl am 
blutleeren Herzen sind, — wir praktischen Aerzte hören 
keinen 1. Herzton, sobald aus irgend einer Ursache der plötz¬ 
liche Schluß der Zipfelklappen nicht stattfindet und damit 
die plötzliche pralle. Spannung der ganzen Ventrikel¬ 
wand ausbleibt. 

Der 2. Herzton entsteht anerkanntermaßen durch die 
Schließung und Spannung der Semilunarklappen. , 

Die großen Gefäße, Aorta und Pulmonalis, bleiben während 
des Lebens immer mit Blut gefüllt, das Ostium arteriosum 
der Herzkammer muß demnach stets ringförmig bleiben. 

Wenn die Ventrikel in der Systole sich entleeren, so 
muß unter diesem ringförmigen Ostium arteriosum ein blut¬ 
gefüllter, kegelförmiger Raum innerhalb des Ventrikels übrig 
bleiben, das Blut kann nicht bis auf den letzten Tropfen ent¬ 
leert werden. 

Auf die Taschenklappen drückt am Ende der Systole 
sowohl diese centrale Partie des Blutes, als auch die wand¬ 
ständige Partie zwischen Klappe und Gefäßwand. Läßt die 
Contraction der Kammermusculatur aus, so fällt der Druck 
auf diese centrale Blutmenge und damit auf die einander zu¬ 
gekehrten Flächen der Taschenklappen weg, nicht aber der 
auf die andere Fläche der Klappen fort wirkende Blutdruck, 
die Klappen werden plötzlich geschlossen und gespannt. 

Je rascher die Kammersystole in die Diastole übergeht, 
desto klingender wird der 2. Herzton. 

Der Ventrikel kann nach der Austreibung des Blutes 
nicht lange in der Systole verharren, die Systole muß vor 
dem Semilunarklappenschluß der Diastole gewichen sein. 

Der 2. Gefäß ton entspricht dem 2. Herzton. Der durch 
den plötzlichen Schluß und die pralle Spannung der 
Semilunarklappen entstandene Ton wird in der Blutflüssigkeit 
nach allen Richtungen fortgeleitet und über dem Herzen und 
auch über den großen Gefäßen als 2. Ton gehört. 

Der 1. Aortenton. Wenn durch die Kammersystole die 
Mitralklappe plötzlich geschlossen wird, so entsteht der 
1. Herzton und die Widder welle 1 ), die den Herzspitzenstoß hervor¬ 
bringt. Diese Welle ist es, die auch die Aortaklappen plötz¬ 
lich eröffnet und das Aortenblut damit unter einen 50 Mm. 
Hg höheren Druck setzt. Diese plötzliche Drucksteigerung 
hat eine plötzliche pralle Spannung des bis dahin sich 

') S. „Wiener med. Presse“, 1889, Nr. 40. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 15. 


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stetig entleerenden und verengernden Aortenrulires zur Folge 
und damit den 1. Aortenton. Erst danach folgt die Aus¬ 
dehnung des Gefäßes durch das weiter einströmende Blut, aber 
allmälig. 

Der 1. Pulmonalton entsteht auf gleiche Weise. 

So ist erklärlich, daß die Intervalle zwischen den zwei 
Herztönen und den beiden Gefäßtönen bei der Auscultation 
gleich groß erscheinen, weil ja durch den Zipfelklappenschluß 
der 1. Herzton und gleichzeitig die Widderwelle erzeugt wird, 
welche die Aufsprengung der Semilunarklappen und damit den 
1. Gefäßton nahezu im selben Momente hervorbringt. 

Dr. Krehl schreibt („Med.-cbir. Rundschau“, 1890, 3. Hft.) 
über die Mechanik der Tricuspidalklappe: 

„Die Atrioventricularklappen sind geschlossen, wenn die 
Contraction der Ventrikel beginnt, da am gesunden Herzen 
keine Regurgitation von Blut aus den Kammern in die Vor¬ 
höfe sich nach weisen läßt,“ und meint, „dieser Verschluß werde 
durch die Muskeln, die von den Vorhöfen in die Klappen 
übergehen, begonnen und durch den Druck des in die Kammer 
eindringenden Blutes vollendet, der zuerst die Kammer¬ 
wände dehnt, welche Kammerwände ihrerseits, sobald der 
Druck von Seite des Blutes nachläßt, wieder einen Druck auf 
den Kammerinhalt ausüben, und dieser Druckzuwachs genüge, 
die zarten Ränder der Klappe aneinander zu legen.“ 

Nach meiner Anschauung ist der Vorgang folgender: In 
der sogenannten Herzpause, wenn die Ventrikel aus der 
Systole in die Diastole iibergegangen sind, herrscht in beiden 
Kammern und Vorhöfen der negative Druck des Brustraumes 
gerade so, wie in den großen Venen innerhalb des Brustkorbes. 
Das Blut strömt ungehindert aus den Venen in Vorhof und 
Herzkammer und füllt beide. Nun beginnt die Contraction 
des Herzohres, die einen gewaltigen Blutstrom mit positivem 
Druck durch das Ostium venosum in die Kammer treibt und 
dabei das seitwärts gelegene Vorhofblut nach Art eines In- 
jectors mitreißt. 

Die Bewegung des venösen Blutes im Vorhof und den 
dahin mündenden Venen wird dadurch beschleunigt. 

Schon vor 62 Jahren haben Wkdemeyer und Günther 
(Hermann’s Handb. d. Physiol., IV. Band, Rollet, Blut 
und Blutbewegung, S. 331) eine Verschärfung des negativen 
Druckes in der Jugularvene während der Diastole des Herzens 
gefunden, und Wkyrich, 1853, hat sie bestätigt und als Vor¬ 
hofsaspiration bezeichnet. 

Diese Verschärfung des negativen Druckes im Vorhof und 
den dort einmündenden Venen wird theilweise ausgeglichen 
durch die gleichzeitig mit der Contraction des Herzohres ein¬ 
setzende Contraction der übrigen Vorhofswand, die ohne In- 
jectorwirkung das Vorhofblut unter positiven Druck 
setzen müßte. 

Weiter wirkt noch abschwächend auf die Verschärfung 
des negativen Druckes und die Beschleunigung des venösen 
Blutstromes die Verengerung der in den Vorhof einmündenden 
Venen. 

Wenn wir an einen Schlauch ein engeres Schlußstück 
ansetzen, so muß die Strömung der durchpassirenden Flüssig¬ 
keit in dem engeren Theile eine schnellere sein, und wenn 
verhindert werden soll, daß die durch InjectorWirkung ein¬ 
getretene Beschleunigung im Vorhof sich stromaufwärts 
in die Venen fortsetze, so müssen die Veneneinmündungen 
verengert werden; eine dort noch stattfindende schnellere Blut¬ 
strömung hat dann weiter stromauf keine Beschleunigung zur 
Folge. 

Durch die Injectorwirkung des Herzohres ist der Ven¬ 
trikel unter positivem Druck mit Blut gefüllt, und nun setzt die 
Kammersystole gleichzeitig mit der Vorhofdiastole ein. 

In diesem Momente ist im Ostium venosum und zwischen 
den Zipfelklappen Vorhofblut, welches auf die Vorhoffläche 
der Zipfelklappen keinen oder einen negativen Druck ausübt. 
Auf die Kammerfläche der Klappen aber wird mit Beginn 
der Kammersystole das in der Kammer enthaltene Blut einen 


bedeutenden Druck ausüben, der die freibeweglichen 
Klappen sofort an einander schließt und sammt dem zwischen¬ 
gebliebenen Vorhof blut gegen das Atrium zurückdrängt und 
sie spannt, ohne daß deshalb Blut in die Vorhöfe regurgitiren 
müßte, weil ja die bis dahin nicht gespannte Klappe sich 
zugleich mit dem Blute bewegt und schließt, gerade so wie 
die Semilunarklappen, die auch kein Blut regurgitiren lassen. 

Letztere brauchen freilich keine Papillarmuskeln, weil 
der Druck von den Gefäßen her doch ein geringerer ist, als 
der von der Ventrikelsystole, und weil schon die Art des 
Ansatzes der Taschenklappen, die eben dort möglich ist, ein 
Durchschlagen der Klappen verhütet. 

Die vom Vorhof in die Zipfelklappen übergehenden 
Muskelfasern können nur dieselbe Aufgabe haben, wie in den 
Arterien- und Venen Wandungen, einer bleibenden übermäßigen 
Dehnung entgegenzuwirken, aber die Beweglichkeit der 
Klappen dürfen sie nicht hemmen, sollen sie nicht deren Func¬ 
tion beeinträchtigen. 


Pes valgus, Pes varus 

und das biologische Grundgesetz. 

Von Prof. Rudolf Arndt in Greifswald. 

(Schluß.) 

Sehen wir nun einmal die Verbildungen der Gliedmaßen 
an Hand und Fuß, welche in Frage kommen können, näher 
an, so sehen wir, daß sie fast ausnahmslos der Radial- und 
Tibialseite angehören, und daß selbst die, welche die Ulnar¬ 
und Fibularseite betroffen zu haben scheinen, sich doch meist auf 
jene zurückführen lassen. 

Fassen wir zunächst z. B. den Plattfuß in’s Auge, so finden 
wir, daß das Wesentliche desselben, der Verlust des Fußgewölbes 
und das Berühren des Bodens mit dem ganzen inneren Fu߬ 
rande, aut eine Verlängerung dieses letzteren zurückzuführen 
ist. Schon Hdf.ter machte, und so viel ich weiß, als der Erste, 
darauf aufmerksam, daß eine Verlängerung des Collum, be¬ 
ziehentlich Caput tali, als die Hauptursache des Plattfußes 
anzusehen sei, und schlug darum denn auch ein entsprechendes 
Operationsverfahren ein. Allein nicht blos das Collum, be¬ 
ziehentlich Caput tali, sind verlängert; es sind es die sämmt- 
lichen Knochen des inneren Fußrandes und seiner Nachbar¬ 
schaft, das Os navicnlare, die Ossa euneiformia, die ent¬ 
sprechenden drei inneren Mctatarsalknochen und Phalangen, 
beziehentlich Phalangen reihen oder Zehen. Wenn das Collum 
und Caput tali sieh verlängert, so muß, wenn der ganze 
Körper des betreffenden Individuums dadurch nicht gehoben 
wird, die Stellung des Collum zum Corpus eine weniger 
steile, eine flachere, mehr horizontale werden und das Fu߬ 
gewölbe damit einsinken. Daß die Belastung des Fußes durch 
das Körpergewicht dies nur zu vermehren, zu beschleunigen 
geeignet sein wird, liegt auf der Hand, zumal wenn, wie das 
beim Plattfuß gewöhnlich ist. die Weichtheile und unter ihnen 
namentlich auch die Bänder, Gelenkkapseln schlaff* und nach¬ 
giebig sind; aber es gelangt das nur zur Wirkung, wenn 
jenes pathologisch vermehrte Wachsthum als prädisponirendes 
Moment voraufgegangen ist, die bezügliche Disposition gesetzt 
hat. Dadurch jedoch, daß sich alle Knochen des inneren Fußrandes, 
beziehungsweise der inneren Fußhälfte,verlängern,während die des 
äußeren Fußrandes, der äußeren Fußhälfte mehr die dem gerade 
vorliegenden Falle zukömmlicheLänge behalten, muß 1. der innere 
Fußrand sich hervorwölben, also eine mehr oder minder convexe 
Krümmung erfahren, und 2. der ganz innere Fußrand und 
damit auch der ganze Fuß nicht blos länger, sondern auch 
der Winkel, welcher von den durch den inneren Fuß- und 
den vorderen Zehenrand gelegten Linien eingeschlossen wird, 
kleiner werden, als er sein sollte. Und darin liegt denn auch 
etwas durchaus Charakteristisches für den Plattfuß. Er erscheint 
in Folge dessen auffallend lang, spitz, wenigstens verhältniß- 
mäßig schmal und leicht nach außen gebogen. 

1 * 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 15. 


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Im Uebrigen sind, wie bekannt, so gut als keine ihn 
bedingenden Abwegigkeiten bisher aufzufinden gewesen. Was 
sonst noch eigenthümlich Fremdartiges bei ihm angetroffen 
worden ist, sind mehr Folgezustände als Ursachen gewesen. 

Beim Klumpfuß verhält es sich gerade umgekehrt. Der 
innere Fußrand, die innere Fußhälfte, beziehentlich ihre Be- 
standtheile, sind verkürzt, mehr oder minder verstümmelt ge¬ 
blieben. Vielleicht alle Knochen eines Klumpfußes haben 
nicht die ihnen für den jeweiligen Fall zukommende Länge 
und Dicke erreicht, sind vielmehr kürzer und dünner geblieben, 
als sie sein sollten; allein die des inneren Fußrandes der 
inneren Fußhälfte ungleich mehr als alle übrigen. Zunächst 
zeigt das wieder am auffallendsten der Astragalus. Sein 
Corpus ist, wie neuerdings Bessel-Hagkn (Ueber die Patho¬ 
logie des Klumpfußes und über die Behandlung hochgradiger 
Fälle mittelst der Talusexstirpation. Verhandl. d. deutschen 
Gesellschaft f. Chirurgie, 1885, Bd. I, p. 76) gezeigt hat, ab¬ 
geplattet, sein Collum, sein Caput sind kürzer, dünner und 
steiler, d. h. stehen mehr senkrecht, als es der Regel nach 
sein sollte. Das Os naviculare ist kürzer, beziehentlich schmäler, 
der Calcaneus zeigt eine abnorme Höhe seines Processus 
anterior und einen Mangel seines Proc. lateralis; die Bänder, 
insbesondere die seitlichen des Sprunggelenkes, sind außerge¬ 
wöhnlich kurz, und vornehmlich ist es das Lig. calcaneo-fibulare, 
welches kurz erscheint, aber wohl blos dem Lig. laterale 
intemum gegenüber als ein Folgezustand. Wir wissen, daß 
außerdem beim Klumpfuß Subluxationen zwischen Os navicu¬ 
lare und Caput astragali einerseits, sowie zwischen Corpus 
astragali und Calcaneus, sowie Tibia andererseits stattgefunden 
haben, und eine Reihe von Autoren will gerade darin das 
Wesentliche des Klumpfußes sehen. Es ist etwas Wesentliches, 
das ist richtig, aber doch erst etwas mehr Secundäres. Es 
bildete sich erst aus und konnte sich auch erst aus¬ 
bilden, als die Bedingungen dazu gegeben, die Disposition 
dazu vorhanden waren, d. n. die Verkürzung des inneren Fu߬ 
randes sich geltend machte. Denn dadurch, daß er verkürzt 
blieb, beziehentlich dem äußeren gegenüber verkürzt wurde, 
mußte der Fuß sich nach Innen krümmen, die Fußsohle 
sich nach Innen heben, der äußere Fußrand sich senken 
und dadurch nothwendig der Astragalus sich gegen Os navi¬ 
culare, Calcaneus und Tibia verschieben, sowie das ganze Bein 
nach Innen drehen. Dadurch indessen wurden wieder Folgen 
hervorgerufen, die, auf den Fuß rückwirkend, die Uebel nur 
verschlimmerten, aus denen sie selbst entsprungen waren, und 
damit trat dann auch der Circulus vitiosus ein, welcher bei 
allen pathologischen Vorgängen, wie bekannt, überhaupt eine 
große Rolle spielt. Wenn der innere Fußrand sich dem äußeren 
gegenüber verkürzt, so muß die Linie, welche, durch ihn ge¬ 
zogen, sich mit der durch den Zehenrand gezogenen schneidet, 
dies unter einem größeren Winkel thun. 

Der Klumpfuß erscheint deshalb kurz, relativ breit, nach 
innen gekrümmt, eoncav. Er ist also ganz das Gegentheil vom 
Plattfuß.Weitere seiner Eigenthümlich keiten sind wie beim Platt¬ 
fuß als Folgezustände zu betrachten, die aber in dem Circulus 
vitiosus, der sich ausbildete, auf ihre Ursachen, so weit 
dieselben ständig wurden, nicht ohne Einfluß und damit wieder 
ohne Folgen blieben. 

Plattfuß, sowie Klumpfuß kommen also dadurch zu 
Stande, daß sich die Theile des inneren Fußrandes, der inneren 
Fußhälfte anomal entwickeln, entweder im Wachsthum exce- 
diren oder Zurückbleiben. Der äußere Fußrand, der Fibular- 
theil des Flossenstammes, beziehungsweise die Abkömmlinge 
desselben, erweist sich so als die beständige, der innere Fußrand, 
die Flossenstrahlen, beziehungsweise ihre Abkömmlinge, als 
die veränderliche Größe. 

Und das zeigt sich auch an anderen entsprechenden 
Theilen. Mit Plattfuß findet sich gewöhnlich X-Bcin, Genu 
valgum, mit Klumpfuß O-Bein, Genu varum, vergesellschaftet. 
Die Mehrzahl der Forscher hat von jeher, seitdem man die 


pathologisch-anatomischen Ursachen für diese beiden Mißbil¬ 
dungen zu erforschen gesucht hat, sich dafür entschieden, daß 
neben grob mechanischen Einflüssen, wie Belastung, die nicht 
zu unterschätzen sind, vorzugsweise doch ungleiches Wachs¬ 
thum in den Epiphysenlinien des Femur und der Tibia dafür 
verantwortlich zu machen sei. Von deutschen Autoren sind 
es besonders Roser, der schon im Jahre 1859 dafür einge¬ 
treten ist (vergl. W. Roser, Handbuch der anatomischen 
Chirurgie, Tübingen 1859, S. 778) und Mikulicz, der heutigen 
Tages dafür streitet (vergl. J. Mikulicz, Die seitliche Ver¬ 
krümmung am Knie und deren Heilungsmethode. Langenbeck’b 
Archiv, 1879, Bd. XXIII, S. 596 u. ff.) und dem sich König 
der Hauptsache nach angeschlossen hat (0. F. König, Lehr¬ 
buch der speciellen Chirurgie. 4. Aufl., Berlin 1886, Bd. III, 
S. 490 u. ff). 

Das Wesentlichste am X-Bein ist 1. die Verlängerung 
der inneren Seite des unteren Theiles des Femur und des 
oberen Theiles der Tibia, so daß die untere Epiphyse jenes 
und die obere dieser wie unter einem Winkel an die Diaphyse 
angesetzt erscheinen, und 2. die, wenn auch nur geringe Ver¬ 
größerung des Condylus internus femoris, welche freilich auch 
vielfach bestritten wird und nur da sein soll, weil der Con¬ 
dylus extemus durch Druckatrophie kleiner geworden ist, die 
aber dennoch vielfach recht wohl festgestellt werden kann. End¬ 
lich wird auch noch angegeben, daß die Bänder an der Innen¬ 
seite des Knies zu lang und darum zu schlaff und die auf 
der Außenseite wenigstens verhältnißmäßig zu kurz und darum 
zu straff seien, weshalb sie denn au« h durchschnitten werden 
müßten, sollten gewisse Fälle von X-Bein mit Erfolg operirt 
werden; allein es wird auch dieses nicht allseitig zugegeben. 

Beim O-Beine ist das gerade Gegentheil vorhanden. Die 
äußere Seite von Femur und Tibia sind verlängert und die 
bezüglichen Epiphysen wie unter entgegengesetztem Winkel 
an die Diaphyse angesetzt, der Condylus femoris externus in 
Rücksicht auf den Condylus internus, allein nicht an und für 
sich betrachtet, wie vergrößert, und nur der internus, der 
aber entschieden, wie verkleinert; in Bezug auf die Bänder 
indessen ist nichts Entsprechendes zu sagen. 

Bei X-Bein wie O-Bein ist von den Unterschenkelknochen 
also nur die Tibia krankhaft verändert und von den Ober¬ 
schenkelknochen, wenigstens von vomeherein, nur die innere 
Seite des unteren Endes, soweit es von Epiphyse und Epi¬ 
physenlinie beeinflußt wird. Denn die Veränderungen an der 
äußeren Seite sind alle nur beziehentliche und wohl nichts 
Anderes, als blosse Folgezustände. Die Epiphyse aber stellt, 
wie seinerzeit hervorgehoben worden ist, nicht unwahrschein¬ 
licher Weise einen ursprünglich mehr selbstständigen Theil 
der Flossenstrahlen dar, der erst nachträglich mit der Dia¬ 
physe sich verband und damit nothwendigerweise unter dem 
Einfluß stand, der, wo er sich findet, den bezüglichen Seiten¬ 
strahl der Flosse hervorbrachte. Wiewohl diese Angelegenheit 
noch sehr der Klärung bedarf, erklärt sie so die fraglichen Ver¬ 
hältnisse doch leichter als eine andere Weise. Da auch 
sonst die anatomischen Verhältnisse dazu auffordern, ist es 
viel natürlicher, die langen Röhrenknochen aus mehreren, zum 
Mindesten drei sich folgenden festeren Flossentheilchen ent¬ 
standen zu denken, als blos aus einem. 

Man hat als eine bei X-Bein sehr häufig vorkommende 
Veränderung des Oberschenkelbeines die Schlankheit seines 
Schaftes betont und davon eine geringere Widerstands¬ 
fähigkeit des Knochens überhaupt hergeleitet. Dem soll nicht 
widersprochen werden; aber wir erinnern daran, daß wir Ein¬ 
gangs angeführt haben, daß Plattfuß und X-Bein vornehmlich 
bei langgliedrigen, schlanken, Klumpfuß und O-Bein bei mehr 
kurzgliedrigen, untersetzten Individuen sich finden. 

Wo Plattfuß, Klumpfuß auch in den niedrigsten Graden 
vorhanden sind, da werden auch wenigstens Andeutungen 
von PJatthand, wenn wir sie so nennen wollen, und Klump¬ 
hand, Manus valga und Manus vara, gefunden. Im ersteren 
Falle weicht die ausgestreckte Hand mehr oder weniger nach 


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der Ulnarseite, im letzteren nach der Radialseite ab; doch ist 
in den gewöhnlich vorkommenden Fällen diese Abweichung 
nie eine erhebliche, dazu durch leicht krampfartige Bewegungen 
sehr verdeckte, und ist darum, wie es scheint, bisher voll¬ 
ständig übersehen worden. Die Kleinheit der sie bedingenden 
Carpalknochen, in er.-ter Reihe des Os lunatum und Os navi- 
culare, mag daran vorzugsweise Schuld sein. Bei der Platt¬ 
hand ist die innere Handhälfte, Daumen, Zeigefinger, Mittel¬ 
finger, weniger der Ringfinger, und kaum der kleine Finger 
gegenüber den anderen verlängert, bei der entsprechenden 
Klumphand verkürzt. Die Platthand erscheint lang und 
schmal, langfingerig, die Klumphand kurz und breit, kurz- 
fingerig. Die Fläche der letzteren ist verhältnißmäßig groß, 
rundlich, die Finger, namentlich die äußersten Phalangen 
kurz, vielfach wie abgehackt — Cretinenhand der Franzosen. 
Sehr bezeichnend ist, daß bei höheren Graden der Klumphand, 
der Talipomanus im eigentlichen Sinne des Wortes, der 
Radius, also wieder der ursprüngliche Seitenstrahl, oft nur 
unvollkommen vorhanden ist, oder auch ganz fehlt. 

Von Nicoladoni (Zur Arthrotomie veralteter Luxationen. 
„Wiener med. Woch.“, 1885, p. 729) ist ein Cubitus varus, von 
v. Lesser (Ueber Cubitus valgus, Virciiow’s Archiv, 1883, Bd. 
XCII, p. 1) ein Cubitus valgus beschrieben woiden.Inden niederen 
oder auch den ersten Graden in ihrer Erscheinung, namentlich 
durch die beziehentliche Hyperextension dem Genu valgum, 
und die leichte Flexion, dem Genu varum entsprechend, kommen 
sie gar nicht so selten vor und scheinen ganz wie diese haupt¬ 
sächlich auf Veränderungen der Innen-, also der Radialseite, 
der das Ellbogen gelenk bildenden Knochen, welche herkömm¬ 
lich, aber mit Unrecht die äußere genannt wird, zu beruhen 
(vergl. v. Lesser, 1. c. p. I). Beide Formen der abwegigen 
Ellbogengelenkbildungen kommen am häufigsten da vor, wo 
entsprechende Mißbildungen an den übrigen großen Gelenken 
sich finden, also im Vereine mit diesen und den entsprechenden 
Miß-, oder doch wenigstens eigentümlichen Bildungen im 
Gesichte, besonders an den Kiefern. 

Das Alles zusammengenommen weist aber auf eine ge¬ 
meinsame Beeinflussung, ein gemeinsames Beeinflußtsein der 
fraglichen Theile hin. Diese Beeinflussung, dieses Beeinflußt¬ 
sein indessen kann bei dem weiten Auseinanderliegen der 
Theile nur von einem Orte aus geschehen, in dem sie alle 
einen Vereinigungspunkt haben, und das wieder führt dann 
gleichsam von selbst auf das Nervensystem und insonderheit 
auf das Centralnervensystem und in diesem wieder auf eine 
umschriebene Stelle, ein sogenanntes Centrum, von dem aus 
dieser Einfluß geübt wird, autonom oder functionär, auto¬ 
matisch oder reflektorisch, das ist für jetzt ganz gleichgiltig, 
von dem aus er aber statthat, mit einem Wort: es weist 
das auf nervöse Einflüsse hin, gleichviel wo und woher die¬ 
selben ausgelöst werden. 

Daß nervöse Einflüsse bei dem Zustandekommen der in 
Rede stehenden Mißbildung eine große Rolle spielen, ist auch 
seit Langem schon von den verschiedensten Seiten ange¬ 
nommen worden. In welcher Weise aber die nervösen Einflüsse 
sich geltend machten, darüber sind die Meinungen immer weit 
auseinander gegangen. Am meisten wurde noch angenommen, 
daß sie durch Muskelwirkung sich zur Geltung brächten. 
Durch krampfartige Zustände derselben, Contraeturen, oder 
durch mehr lähmungsartige, Relaxationen, und die dadurch her¬ 
vorgerufenen Folgezustände käme es angeblich zu Knochenver¬ 
bildungen und durch diese im Verein mit den anomalen 
Muskel Wirkungen, wodurch auch noch der ernährende Blut¬ 
umlauf gestört würde, zu den ausgiebigen Mißbildungen, um 
die es sich handelt. Diese Annahmen sind sehr beachtens- 
werth, erklären Vieles, aber nicht Alles, und sind deshalb 
auch immer wieder durch andere zu ersetzen oder wenigstens 
zu ergänzen gesucht worden. Den rein mechanischen, von 
außen her auf die bezüglichen Gliedmaßen wirkenden Ursachen 
räumte man von Zeit zu Zeit ein mehr oder minder großes 
Gewicht ein, und dann und wann sah man in ihnen sogar nur 


die einzigen derselben. Das Bäckerbein hat dem ent¬ 
sprechend seinen Namen erhalten. Der angeborene Klumpfuß 
soll danach bis auf die wenigen Ausnahmen, wo er von 
Vater oder Mutter ererbt worden, nur durch uterinen Druck 
zu Stande kommen u. s. w. Die mechanischen Einflüsse sind 
nicht zu unterschätzen, als ausschlaggebendes Moment in ein¬ 
zelnen Fällen gewiß sogar von hervorragendster Bedeutung, 
wie bei Bäckern, Schlächtern, Maurern, Kellnern zur Ent¬ 
wicklung eines hochgradigen Plattfußes und X-Beines, aber 
erst dann, wenn, wie wir wiederholt betont haben, die Dispo¬ 
sition dazu vorhanden ist, d. h. die inneren Bedingungen dazu 
gegeben sind. Denn wenn anders, warum ist das Bäckerbein 
selbst bei Bäckern doch immer nur verhältnißmäßig häufig, 
und warum findet es sich mitsammt dem Plattfuß auch bei 
Schlächtern, Maurern, Kellnern doch immer blos bei einem ge¬ 
wissen Procentsatze? 

Die fraglichen nervösen Einflüsse sind von vornherein 
rein trophische, die fraglichen Mißbildungen dem zufolge Aus¬ 
druck rein trophischer Störungen auf Grund neurotischer Vor¬ 
gänge, also Ausdruck von Trophoneurosen. Die frag¬ 
lichen Einflüsse erstrecken sich von Anfang an nicht blos 
auf die Knochen, sondern auch auf die sie bedeckenden, nament¬ 
lich ihnen zugehörigen Weichtheile, d. h. die bezüglichen 
Bänder und Muskeln, so daß diese entsprechend länger 
oder kürzer werden, und entsprechend länger oder kürzer 
geworden, sie dann selbst doch auch wieder, je nachdem, 
stärker oder weniger stark beeinflussen. 

Von jeher hat es Autoren gegeben, welche angenommen 
haben, daß Rhachitis bei der Entwicklung mancher der 
fraglichen Mißbildungen, zumal des O-Beines, eine große Rolle 
spiele; es ist das von anderen Autoren, wenn auch nicht 
ganz abgelehnt, so doch stark in Zweifel gezogen worden; 
jetzt kommt Mikulicz (1. c., p. H20) und erklärt, daß nicht blos die 
O-Beine, sondern auch die X-Beine rhachitischen Vorgängen 
ihre Entstehung verdanken. 

Und da nun X-Bein und Plattfuß, O-Bein und Klumpfuß 
so häufig zusammen Vorkommen, sich selbst eine Art Platt¬ 
hand mit jenen, eine Art Klumphand mit diesen vergesell¬ 
schaftet zeigt, ja sogar Ellbogengelenke und Gesichtsknochen 
eine bezügliche Abänderung ihrer Gestalt an den Tag Itegen, 
sollten da auch nicht hier immer die rhachitischen Vorgänge 
ihr Spiel treiben oder auch getrieben haben? Ich für meinen 
Theil sehe nicht ein, warum nicht. Unter Rhachitis versteht 
man einen Reizzustand im Knochenbildungsgewebe, das ver¬ 
hältnißmäßig am mächtigsten in den Knochennähten und somit 
auch in den Epiphysenlinien angehäuft ist. Eine beschleunigte 
Wucherung der betreffenden Gewebszellen ist Ausdruck jenes 
Reizzustandes. Von der Heftigkeit desselben und der Um¬ 
wandlung des neugebildeten Knochenbildungsgewebes in 
Knochen selbst hängt es ab, ob vermehrtes Längenwachsthum 
oder auffälliges Kurzbleiben der befallenen Knochen eintritt. 
Die langen Beine des Windhundes und die kurzen des Dachs¬ 
hundes haben in letzter Reihe den nämlichen Grund. Ist der 
Knochenwachsthumsproceß auf Grund einer Reizung an seinen 
Wachsthumsstätten zwar beschleunigt, aber nicht in dem Maße, 
daß die neugebildeten Knochenelemente nicht noch rechtzeitig 
verknöchern könnten, so erfolgt ein vermehrtes Längen wachs- 
thum, die Glieder z. B. werden lang. Es geschieht das unter 
Anderem sehr allgemein zur Zeit des größten Wachsthums 
zwischen dem 2. und 5., sowie dem 12. und 17. Lebensjahre, 
wofür auch Billuoth, Dklore und, wie es scheint, nicht minder 
wieder Mikulicz eintreten. Ist dagegen jener Wachsthumsproceß 
so beschleunigt, daß der Verknöcherungsproceß mit ihm durch¬ 
aus nicht Schritt halten kann, ist er darum diesem letzteren 
gegenüber auch nur verhältnißmäßig zu stark, weil er in Bezug 
auf ihn vielleicht auch einmal blos darum zu stark ist, als 
dieser selbst eine Verlangsamung erfahren hat, so entwickelt 
sich zunächst ein weiches, leicht zu verbiegendes und zu ver¬ 
krümmendes Gewebe, das später mehr oder minder rasch ver¬ 
knöchert und die zum Theil durch Verkrümmungen bedingte, zum 


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Thcil mit ihnen blos vergesellschaftete Kürze der befallenen 
Knochen zur Folge hat. Das ist der rhachitische Proceß, die ■ 
Rhachitis xxt' iW/Jp- Endlich kann der Wachsthumsproceß und der ! 
Yerknöcherungsproceß gleichzeitig beschleunigt sein; der j 
letztere ist es aber in höherem Grade, die Bildungszellen ver- j 
fallen vorzeitig sammt und sonders der Verknöcherung; soge¬ 
nannte Bildungshemmungen im engeren Sinne, Stehenbleiben 
auf früheren Entwicklungsstufen, die eine Kürze der Glieder, 
vielleicht Kleinheit und Zartheit des ganzen Körpers, Zwerg- j 
wuchs, nach sich ziehen, sind dann die Folge. Daß der 
rhachitische Proceß immer zu argen Verbildungen, Ver¬ 
krümmungen führte, ist darum nicht nothwendig, und Mikulicz 
dürfte darum nicht Unrecht haben, wenn er die anscheinend 
verschiedenartigsten Dinge auf denselben zurückführt. Allein 
was ist der schlechtweg sogenannte rhachitische Proceß? 
Doch nichts weiter als der Ausdruck eines Allgemeinleidens 
an bestimmten Orten. Und da diese Orte in Bezug auf den 
Gesammtkörper zumeist eine symmetrische Lage aufweisen 
oder in sonstiger bestimmter Beziehung stehen, wie Tibia 
und Radius, Fibula und Ulna, oder Hand- und Fußgelenk über¬ 
haupt, so ist es wohl nicht anders möglich, als daß das Leiden 
sich örtlich nur durch das Nervensystem, speciell durch einen be¬ 
schränkten Raum im Centralnervensystem, von dem die bezüg¬ 
lichen peripherischen Nerven ihren Ursprung nehmen, zum Aus¬ 
druck bringt. Der rhachitische Proceß, abgesehen von dem ihm 
zu Grunde liegenden Allgemeinleiden, würde also zuletzt auch 
nichts anderes als ein neurotischer Vorgang, eine neurotische 
Osteitis, kurzweg eine Trophoneurose sein. Auf Trophoneurosen 
würden die fraglichen Mißbildungen, zumal also Plattfuß und 
Klumpfuß, auch danach zurückzuführen sein. 

Warum wird nun von diesen trophoneurotischen Störungen 
gerade die Innenseite der Glieder, die Radial- und Tibialseite 
derselben befallen? Denn die Radialseite des Armes ist ja, 
wie die Tibialseite des Beines, die Innenseite geworden, und 
nur eine falsche anatomische Betrachtung hat den Daumen, 
die große Zehe der Hand und mit ihm den Radius an die 
Außenseite des Armes gebracht. Entsprechend mußte denn 
der ursprüngliche Condylus internus humeri zu einem Cond, 
externus und der ursprüngliche Cond, externus zu einem in¬ 
ternus werden. Praktisch ganz gleichgiltig, hat das aber für 
die Beurtheilung mancher Vorgänge Bedeutung, und es wäre 
deshalb vielleicht besser, statt von Cond, externus und in 
ternus von Cond, ulnaris und radialis , fibularis und tibiaiis 
zu reden. Doch das nur zur augenblicklichen Verständi¬ 
gung, sonst bleibt die Frage: Warum machen sich die frag¬ 
lichen trophoneurotischen Störungen gerade an der Radial- 
und Tibialseite der Glieder geltend? 

Weil die Gebilde dieser letzteren aus ursprünglichen 
Flossenseitenstrahlen hervorgegangen sind und diese als Aeste 
des Flossenstammes, wie sie schon auf den ersten Blick 
schwächer und zarter als dieser selbst erscheinen, wirklich 
auch schwächer, zarter und darum widerstandsloser und leichter 
beeinflußbar sind, als er oder die aus ihm hervorgegangenen 
Theile. Die Aeste eines Stammes sind immer schwächer, 
darum biegsamer und veränderlicher als der Stamm selbst. 

Die Gliedmaßen eines Thieres sind schon an und für 
sich veränderlicher als sein Stamm; es müssen so auch ge¬ 
wissermaßen die Gliedmaßen der Gliedmaßen veränderlicher 
sein als ihr Stamm. Der Stamm ist immer denAesten gegen¬ 
über der stärkere, widerstandsfähigere und deshalb bestän¬ 
digere Theil. 

Und nun kommt das biologische Grundgesetz zur Geltung: 
Kleine Reize fachen die Lebensthätigkeit an, 
mittelstarke fördern sie, starke hemmen sie, und 
stärkste heben sie auf. 

Eine gewöhnliche Reizung läßt die Glieder gewöhnlich 
lang werden; eine stärkere, sogenannte mittelstarke, hat die 
langen Beine des Windhundes, eine noch stärkere, sogenannte 
starke, die kurzen, krummen Beine des Dachshundes zur Folge ; 
eine übermäßig starke Reizung läßt, wie bei Talipomanus, 


den Radius, oder bei Pes varus den Processus lateralis cal- 
canci rudimentär werden oder scheinbar auch ganz ausfallen. 

Drehen wir das biologische Grundgesetz aber um und 
lassen wir die Reizgröße die stetige, die Beeinflußbarkeit der In¬ 
dividualität die veränderliche Größe sein, so ergibt sich: 
„Unter einer bestimmten, sagen wir der alltäg¬ 
lichen Reizeinwirkung entwickeln sich kräftige 
und auch blos kräftiger veranlagte Individuen 
in alltäglicher Weise d. h. was wir normal 
nennen. Etwas schwächer veranlagte, 
mäßig reizbare Individuen, auf welche die ge¬ 
nannten Reize bereits als sogenannte mittel¬ 
starke wirken, entwickeln sich zu größerem 
Längenwachsthum, ihre Gliedmaßen strecken sich, 
und namentlich sind es bei einer geringeren 
Steigerung dieser Reizbarkeit die inneren Seiten 
der Glieder, welche ein größeres Wachsthum 
zeigen: Pes valgus, Genu valgum, Manns valga, 
Cubitus valgus sind die Folge. Sind die be¬ 
treffenden Individuen noch schwächer veranlagt, 
daher sehr widerstandslos und im hohen Grade 
reizbar, so ver halten sie sich den gedachten 
Reizen gegenüber wie bereits starken; ihr Wachs¬ 
thum erfährt eine Hemmung, die Glieder bleiben 
kurz und namentlich wieder an ihrer Innenseite: 
Pes varus, Genu varum, Manus vara, Cubitus 
varus kommen zur Ausbildung. Sind endlich 
die Individuen sehr schwach, so sterbensie schon 
unter der Einwirkung der alltäglichen Reize, 
oder wenn sie nur in einzelnen Theilen diese 
Schwäche besitzen, so kommen diese nicht zur 
Entwicklung: der Radius fehlt, der Processus 
calcanei lateralis fehlt.“ 

Fassen wir nun das Ergebniß unserer Untersuchungen 
zusammen, so ergibt sich: Der Plattfuß und die ent¬ 
sprechenden Glied Verbildungen sind der Aus¬ 
druck einer allgemeinen, aber doch noch ver- 
hältnißmäßig geringen Schwäche und Wider¬ 
standslosigkeit des Körpers überhaupt; der 
Klumpfuß und die ihm entsprechenden Glied¬ 
verbildungen dagegen sind der Ausdruck einer 
eben solchen, aber viel weiter gediehenen 
Schwäche, einer bereits mehr oder minder großen 
Hinfälligkeit. Die Schwäche, Widerstandslosigkeit, Hin¬ 
fälligkeit sind indessen das Hauptwosen der Entartung oder Dege¬ 
neration. Plattf uß und Klumpfuß sind damit aber in der That, wie 
von einer Reihe von Anthropologen und Aerzten, namentlich 
Irrenärzten, behauptet wird. Degenerationszeichen, Stig¬ 
mata degenerationis, jener je nach seinem Grade ein 
mehr oder minder leichtes, dieser ebenfalls je nach seiner 
Entwicklung ein mehr oder minder schweres. Das Zustande¬ 
kommen beider erfolgt, nach dem biologischen Grundgesetz, 
dasauchhier seine Macht enthüllt: „Kleine Reize fachen 
die Lebensthätigkeit an, mittelstarke fördern 
sie, starke hemmen sio, und stärkste heben sie auf.“ 


Zur Therapie des Schahdruckes iind dessen 

Folgeübel. 

Von Dr, Oscar Romich in Wien. 

(Schluß.) 

d) Die Leichdorne unterscheiden sich von den Schwielen 
nur dadurch, daß bei letzteren die Wucherung der Hornschichte 
in Form einer flachen Scheibe, bei den ersteren aber in Ge¬ 
stalt eines mit der Spitze nach innen stehenden Kegels auf- 
tritt. Die Behandlung ist im Principe für beide dieselbe, nur 
ist die Abtragung der Schwielen leichter als die gründliche 
Entfernung der Leichdorne, die auch häufiger zu kleinen Ver¬ 
letzungen führt. Ferner ist die Nachbarschaft der Schleim - 


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bentel und Gelenke bei Manipulationen an dem Leichdorne, 
die ja vorwiegend auf den Zehen localisirt sind, gebührend 
zu beachten. 

Daß diese Horngebilde vielen Menschen zur stetigen 
Plage geworden sind , hat seinen ausschließlichen Grund in 
dem fortgesetzten Gebrauche schlechter Beschuhung. Es kann 
sich daher nicht darum handeln, dieses Uebel durch den me¬ 
thodisch fortgesetzten Gebrauch gewisser Mittel zu bekämpfen, 
wie dies von speculativen Köpfen empfohlen wird; eine ein¬ 
malige Entfernung genügt und für das Weitere sorgt der 
rationelle Schuh. Auch den Hühneraugenringen kann man 
nicht das Wort reden, da ihre Berechtigung nur auf der still¬ 
schweigenden Voraussetzung des gleichzeitig getragenen un¬ 
passenden Schuhes beruht, ganz abgesehen davon, daß sie sich 
leicht verschieben und die Umgebung des Leichdornes pressen. 

Bekanntermaßen geht man dem Uebel in zweifacher 
Weise zu Leibe. Die einfachste Methode, deren 25jährige 
Ausübung einer Persönlichkeit unlängst sogar zu einer Jubi¬ 
läumsfeier verholfen hat, ist das Abtragen mit dem Messer, 
ein Verfahren, bei dem es hauptsächlich darauf ankommt, die 
Schnitte möglichst parallel zur Hautfläche zu führen und 
lieber öfter anzusetzen, als mit einem Schnitte viel zu ent¬ 
fernen. Selbstverständlich sind hiezu desinficirte Instrumente 
nöthig; im Falle einer auch noch so geringfügigen Verletzung 
muß antiseptisch vorgegangen werden. Es empfiehlt sich, der¬ 
artige Verletzungen mit (in 2% Carbollösung getauchten) Watta- 
bäuschchen gut zu betupfen und mit dieser oder mit Subli¬ 
matlösungen (1 : 2000 - 1 : 5000) befeuchtete Verbände auf¬ 
zulegen. Wer sicher gehen will, wird für einige Tage Ruhe 
und Horizontallagerung verordnen. 

Unter den Leichdornen sind nicht selten Schleimbeutel, 
die gelegentlich des Abtragens eröffnet werden und nun eine 
kleine Lücke besitzen, die meist nur stecknadelkopfgroß, zu¬ 
weilen auch verklebt ist. In diese Höhlen dringen häufig 
Entzündungserreger ein und es sammelt sich Eiter an. Lymph¬ 
gefäßentzündungen sind dann nicht selten, besonders wenn 
die Abflußöffnung durch festklebende Pflaster verdeckt wird. 
Die radicale Heilung solcher zu continuirlicher Entzündung 
disponirter Schleimbeutel ist nur durch die vollständige Ab¬ 
tragung der Decke mittelst kreisförmigen Scheerenschnittes 
möglich. 

Die Methode, Leichdorne durch Medicamente zu ent¬ 
fernen, ist etwas umständlicher. Allen hiehergehörigen, rascher 
wirkenden Mitteln ist die Salicyleäure als wirksamer Bestand¬ 
teil gemeinsam. Bis vor Kurzem begnügte man sich mit 
Präparaten, die einen relativ geringen Gehalt an Salicylsäure 
hatten. Sehr beliebt ist das 10°/o Salicylcollodium, welches 
keinen Fixationsverband benöthigt, aber öfters im Stiche läßt. 

In neuester Zeit wurden auf der v. NussBAUM’schen 
Klinik durch Roksen („Centralblatt für Chirurgie“, 1888, 32) 
Leichdorne und Schwielen mit einer dicken Schichte reiner 
kristallinischer Salicylsäure bedeckt und dieselbe durch einen 
Verband von feuchtem Borlint, Gummipapier und Binden be¬ 
festigt. Das Verfahren bewirkte nach 5 —10 Tagen Schrum¬ 
pfung der Gebilde und Isolirung von der Umgebung. 

Ich habe dasselbe ebenfalls versucht und in mehreren 
Fällen gute Resultate erzielt. Einige Male kam es indeß zur 
Anätzung der Nachbarhaut. An den meist gekrümmten 
Zehen, speciell an der für Verbände schlecht gebauten kleinen 
Zehe, sind Verbandmaterialien, wenn sie nicht unmittelbar 
auf die Haut geklebt werden, schlecht anzubringen. 

Wenn sich nun so ein Verband etwas verschiebt, oder 
das Pulver durch den Bindendruck über eine größere Fläche, als 
ursprünglich beabsichtigt wurde, vertheilt wird, kann es zu einer 
Anätzung der zarten Nachbarhaut kommen. Das Malheur ist 
allerdings nicht sehr groß Um nun den Verband möglichst 
compendiös zu gestalten und die Wirkung streng zu locali- 
siren, habe ich Empl. Diachylon mit Salicylsäure (im Ver¬ 
hältnisse von 2 : 1) versetzt und ebenfalls recht befriedigende 
Resultate erzielt, und zwar ohne die besprochenen kleinen 


Nachtheile. Ein circa 12—15 Cm. langer, 2 Cm. breiter Heft¬ 
pflasterstreifen, der an der für den Leichdorn bestimmten 
Stelle mit dem 50°; 0 Salicylpflaster bestrichen ist, wird einige 
Male um die Zehe gewickelt. Nach circa 5—6 Tagen ist 
man häufig im Stande, den gelockerten Leichdorn mit der 
Pincette und eventueller Nachhilfe durch die Scheere zu ent¬ 
fernen. Noch wirksamer und einfacher ist es, das zu ent¬ 
fernende Gebilde mit der entsprechenden Menge Salicylsäure 
zu bestreuen und dieselbe mittelst eines Heftpflasterstreifens 
zu befestigen. Führt die erste Application nicht zum Ziele, 
muß man das Verfahren wiederholen. Der Erfolg bleibt 
nicht aus. 

e) Der eingewachsene Nagel bildet sich nur bei etwas 
längerer Einwirkung des Schuhdruckes. Oefters wird eine ab¬ 
norme Krümmung des Nagels als einleitendes Moment hin¬ 
gestellt, ohne daß hiebei der Schnhdruck besonders hervor¬ 
gehoben wird. Es erkrankt vorzugsweise das Nagelglied der 
großen Zehe, da dieselbe bei zu engen Schuhen am bedräng¬ 
testen ist. 

Die Ansichten über die einzuschlagende Therapie stimmen 
nicht ganz überein. So empfiehlt Lesser, der übrigens ebenfalls den 
Schuhdruck als das ätiologisch bedeutsamste Moment hinstellt, in 
seinem Lehrbuche der Hautkrankheiten, 1888, p. 186, als 
regelmäßig anzuwendendes Verfahren das Einschieben eines 
Stückchens Empl. Litharg. oder von Charpiefäden, die mit 
Ungt. Diachyl. bestrichen sind, zwischen Nagel und Nagelfalz, 
sowie die möglichste Seitwärtsziehung des Falzes durch Heft¬ 
pflaster. Nur für die hochgradigsten Fälle hält er die Ent¬ 
fernung des Nagels, resp. die Durchschneidung in der Mitte 
und nachfolgende Extraction zulässig. Patin („Centralblatt 
für Chirurgie“, 1888, 1) berichtet über Erfolge durch Be- 
pinselung der Furche zwischen Nagel und Weichtheilen mittelst 
Traumaticin, wodurch er die Abhebung des Nagels von der 
Unterlage bewirkt, der dann die schmerzlose Abtragung mittelst 
Scheere folgt. 

In einer unlängst erschienenen, höchst lehrreichen thera¬ 
peutischen Encyclopädie wird folgendes Verfahren in den 
Vordergrund gestellt: Der kranke Nagelrand wird sammt 
dem Falz mit der Scheere durchschnitten, dann mittelst 
Messer ein die Enden des Scheerenschnittes verbindender 
Messerschnitt um die geschwürigen Weichtheile geführt. 

Da die Eingriffe am entzündeten Nagelgliede zuge¬ 
standenermaßen sehr empfindlich sind, bestrebt man sich einer¬ 
seits mit Recht durch ein möglichst schonendes Verfahren 
zum Ziele zu kommen. Allein man darf nicht vergessen, daß 
der Kranke gewöhnlich in einer Verfassung zum Arzte kommt, 
die ihm jeden Schritt zur Qual macht; übrigens ist eine 
solche Zehe auch im Ruhezustände und nach Ablegung des 
Schuhes gegen die geringste zufällige Berührung sehr em¬ 
pfindlich. Vor Jahren habe ich das Einschieben von beölten 
Wattewicken mittelst Meißelsonde und die Abziehung der 
Weichtheile durch Heftpflasterstreifen versucht, bin aber sehr 
bald davon abgekommen; unlängst habe ich die Einpinselung 
von Traumaticin in einem Falle versucht; da indeß eine 
Erleichterung nicht eintreten wollte und Patient möglichst 
rasch berufsfähig zu werden wünschte, brachte ich nach einigen 
Tagen mein gewöhnliches Verfahren in Anwendung, wodurch 
übrigens nicht ausgeschlossen ist, daß die aufgegebene Methode 
später hätte zum Ziele führen können. 

In fast allen Fällen erreiche ich die Beseitigung des 
irritirenden Nageltheiles und der dadurch bedingten Ent¬ 
zündung, indem ich nach vorhergegangener gründlicher Seifen¬ 
waschung und Desinfection durch Carbollösung an der kranken 
Seite mit einer kräftigen spitzen Scheere circa 2 —3 Mm. vom 
Rande entfernt den Nagel durchschneide und successive immer 
weiter gegen den halbmondförmigen Falz vordringe, ohne 
jedoch denselben einzuschneiden. Den noch festhaftenden Rest 
des zum größeren Theile bereits durch den Scheerensehnitt 
durchtrennten Nagels fasse ich mit einer schmalen kräftigen 
Pincette und extrahire ihn möglichst rasch. Dieser Moment 


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ist wohl der empfindlichste während der kleinen Operation, 
dürfte aber immerhin weniger schmerzen, als die Durch¬ 
schneidung des Falzes. 

Wenn die Hauptsache entfernt ist, untersuche ich noch mit 
der Sonde, ob Nagelfragmente zurückgeblieben sind und drücke 
außerdem die Weichtheile leicht gegen den Nagelrand, um 
die Empfindung eines stechenden Körpers hervorzurufen. 
Glaubt der Kranke, daß letzteres der Fall ist, so müssen die 
etwaigen Splitter sorgsam gesucht und mittelst Pincette ent¬ 
fernt werden. 

Hierauf betupfe ich das Terrain nochmals mit Carbol- 
lösung, trockne und reibe Jodoform ein. In die Rinne zwischen 
Nagelrand und den Weichtheilen drücke ich mit der Meißel¬ 
sonde ein mit Vaselin bestrichenes Watteröllchen und befestige 
dasselbe durch kreuzweis angelegte Heftpflasterstreifen. 

Fast' stets können die Patienten nach dem Eingriffe 
schmerzlos ihrem Berufe nachgehen; nur bei stärkerer Ent¬ 
zündung pflege ich das Auflegen eines kleinen Eisbeutels 
für einige Stunden zu verordnen. Nach 2—3 Tagen wird 
der Verband abgenommen, wobei regelmäßig die Weichtheile 
blaß und abgeschwellt gefunden werden und die Secretion 
fast gänzlich aufgehört hat. Für später braucht der Patient 
nur noch einige Zeit ein mit Vaseline bestrichenes Watte¬ 
röllchen einzudrücken und sich passender Schuhe zu be¬ 
dienen. 

Um locale Anästhesie zu erreichen, wendet man öfters 
den Aetherspray an, der indeß nicht viel leistet, da der 
schmerzhafteste Act in die Tiefe verlegt ist. Die Cocain- 
injection bei aufgehobener Hautfalte ist schon unter normalen 
Verhältnissen an dieser Stelle nicht gut durchzuführen; eine 
Injection in die Tiefe des sehr empfindlichen Gewebes dürfte 
nicht viel weniger schmerzhaft sein, als die rasche Extraction 
des Nageltheiles. Im Durchschnitte gestaltet sich der Ein¬ 
griff, namentlich bei Vermeidung eines brüsken Einstechens 
der Scheere, halbwegs erträglich. ; . 

f) Die fehlerhafte Lagerung der Zehen äußert sich in 
zwei Formen. Am häufigsten werden die Zehen durch zu 
kurze Schuhe in mehr minder starke Beugestellung gebracht 
und dabei gleichzeitig um die Längsaxe des Gelenkes nach 
innen rotirt. 

In anderen Fällen tritt die Winkelstellung der Phalangen 
weniger hervor, aber eine, selten mehrere der Zehen liegen 
über den anderen, indeß die Nachbarzehen sich unterhalb be¬ 
rühren. 

In beiden Fällen wird die am meisten gegen das Ober¬ 
leder angepreßte Hautpartie der Sitz von Leichdornen und 
Frostbeulen; nicht minder leidet die nach abwärts gestellte 
Zehenkuppe. 

Für die leichteren Grade genügt die Benützung ent¬ 
sprechend langer und breiter Schuhe, wobei selbstverständlich 
das Maß nicht unmittelbar von der derzeitigen Form des 
Fußes genommen werden darf, sondern vorerst die Zehen 
möglichst richtig gelagert werden müssen. 

In schwierigeren Fällen kann man das Tragen einer 
leicht gebogenen, dünnen, circa 12—14 Cm. langen Blech¬ 
platte, die vorne den Zehen entsprechende Einschnitte besitzt, 
versuchen. Die abnorm gelagerten Zehen werden mit Heft¬ 
pflasterstreifen an die betreffenden Blechstreifen angedrückt. 
Allzuviel darf man sich indeß nicht davon versprechen. 

Außer den hier besprochenen Schuhdruck leiden können 
mitunter auch noch andere, ernstere Erkrankungen Vorkommen; 
mindestens läßt sich bei manchen Gelenk- und Knochenent¬ 
zündungen (speciell der Articul. metatarso-phalangea I) der 
Schuhdruck als Ursache nicht gut ignoriren, zumal wenn 
sonstige Schädlichkeiten oder Allgemeinerkrankungen gänzlich 
fehlen. 

Da jedoch diese Leiden keine regelmäßigen Folgen des 
Schuhdruckes sind und in ihrem Verlaufe und ihrer Behand¬ 
lung nichts Besonderes bieten, kann von einer speciellen Be¬ 
sprechung abgesehen werden. 


Referate und literarische Anzeigen. 

L Brieger und Carl Fraenkel: Untersuchungen über 
Bacteriengifte. 

Die sehr interessanten, in Nr. 11 u. 12 der „Berl. kl. Woch. u 
mitgetheilten Untersuchungen bezieheu sich zunächst auf den Diph- 
theriebacillus, den die Verff. in 22 Fällen von Diphtherie des Rachens 
oder Kehlkopfes regelmäßig und ohne Ausnahme gefunden und rein- 
geztlchtet haben. Die durch Filtration frei gemachten Culturen 
tödteten die Versuchstiere in kürzerer oder längerer Zeit, je nach 
der Quantität der injicirten Flüssigkeit, und je nachdem die Injection 
in die Venen oder unter die Haut vorgenommen wurde. Eine auf¬ 
fallende Thatsache zeigt sich ferner darin, daß die Culturen im 
Laufe von Wochen ihre Virulenz immer mehr einbüßten. 

Es erzeugen somit die LöFFLEE’schen Diphtheriebacillen in 
ihrer Cultur eine giftige, lösliche, von den Bacterien trennbare 
Substanz, welche bei empfängüchen Thieren diejenigen Erscheinungen 
bervorrnft, die sich sonst nach der Uebertragung der lebenden 
Mikroorganismen entwickeln. Diese Substanz geht unter dem Einfluß 
höherer Wärmegrade (über 60°) zu Grunde, verträgt aber das Ein¬ 
dampfen bei 50°, selbst bei einem Ueberschuß von Salzsäure. 

Diese letztere Thatsache spricht schon an und für sich gegen 
die Vermuthung, daß das chemische Gift der Diphtheriebacillen ein 
Ferment oder ein Enzym sei. Die Untersuchung des Filtrates nach 
der für die Darstellung der PtomaTne oder Toxine üblichen Methode 
ergab ein vollständig negatives Resultat. Es waren also bestimmt 
keine PtomaTne der gewöhnlichen Art vorhanden. Auch das Vor¬ 
handensein einer flüchtigen Substanz konnte mit Bestimmtheit aus¬ 
geschlossen werden. Um die Substanz in einer reineren Form dar¬ 
zustellen, wurde das Filtrat der Cultur mit großen Mengen abso¬ 
luten Alkohols versetzt oder, was noch bessere Erfolge gab, die 
klare Flüssigkeit wurde tropfenweise in den Alkohol fallen gelassen. 
Es entstand sogleich ein flockiger, weißlichgrauer Niederschlag, der 

sauren Reaction erheblich beschleunigt werden konnte. 

Nach 12stündigem Aufenthalt im Eisschrank wurde filtrirt, der 
Rückstand in sehr wenig Wasser aufgenommen, von Neuem filtrirt, 
abermals mit Alkohol gefällt und dieses Verfahren mehrfach wieder¬ 
holt, bis die wässerige Lösung ein ganz klares Aussehen zeigte. 
Durch wiederholtes Aufnehmen in Wasser, Filtriren und ebenso oft 
wiederholtes Präcipitiren mit Alkohol, sowie durch die schUeßliche 
Anwendung der Dialyse erhielt man die Substanz beim Trocknen im 
Vacuum (40°) als schöne, weiße, amorphe, krümeüge, sehr leichte 
Masse, welche ihren chemischen Reactionen nach den Serumalbuminen 
am nächsten steht. Die so gewonnene Substanz besaß hervorragende 
giftige Eigenschaften; selbst in sehr geringer Menge (2 1 / a Mg. auf 
1 Kg. Thier) wirkte dieselbe noch tödtlich, wenigstens von der Blut¬ 
bahn aus. Unter Umständen ließ der Erfolg Wochen und selbst 
Monate auf sich warten. 

Die Symptome nach der Injection des Giftes und der ana¬ 
tomische Befund stimmen im Wesentlichen mit dem Bilde überein, 
welches sich im Anschluß an die Uebertragung des Filtrates selbst ent¬ 
wickelte: Abscesse und Necrotisirungen in der Umgebung der In- 
jectionsstello, Abmagerung, im weiteren Verlauf Lähmungserschei¬ 
nungen. Bei der Seotion fand sich nach subcutaner Injection ein 
sulziges, grauweißüches, zuweilen hämorrhagisches Oedem der Bauch¬ 
decken, nach Injection großer Mengen käsige Necrose des Unter¬ 
hautzellgewebes und häufig seröse Ergüsse in die Pleurahöhle und 
Verfettung der Leber. Der dargestellte Eiweißkörper verlor seine 
toxischen Eigenschaften weder durch wochenlange Aufbewahrung 
im Vacuum, noch durch Erhitzung im trockenen Zustande auf 70°. 

In den abgeschwächten ungiftigen Culturen fand sich ein neuer, 
von den vorigen verschiedener Eiweißkörper, von dem er sich auch 
durch seine dunkelbraune Farbe und dadurch unterschied, daß er 
in verdünntem Alkohol löslich, also schwerer fällbar war, als dieser. 
Dieser neue Eiweißkörper erwies sich als ungiftig. 

Verff. sprechen die Ansicht aus, daß der von ihnen gefundene 
Eiweißkörpor bei der eigenthümlichen Wirkung der Diphtheriebacterien 
auf den Organismus eine sehr wesentliche Rolle spielt. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 15. 


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Diese giftigen Körper, die sich auch in anderen Bacterien- 
culturen vorfinden, benennen Verff. mit dem Namen Toxalbumine. 
Innerhalb des lebenden Körpers werden dieselben zweifellos aus 
dem Gewebseiweiß anfgcbaut und abgespalten. 

Im Gegensatz zu dem Toxalbumin der Diphthericbaeillen er¬ 
wiesen sich die aus den Culturcn der Typhusbacillen, der Cholera¬ 
vibrionen und des Stapbyloeoccus aureus gebildeten als unlöslich oder 
doch schwer löslich in Wasser. Dieselben sind deshalb nicht wie jenes 
dem Semmalbumin, sondern eher den Globulinen an die Seite zu 
stellen. Das Toxalbumin der Milzbrandbacillen ist in Wasser löslich, 
ebenso jenes der Tetanusbacillen, welche bei Meerschweinchen vier 
Tage nach der Uebertragung Krämpfe und Lähmung und kurz 
darauf den Tod des Thieres erzeugten. 

Diese Untersuchungen lehren somit, daß eine ganze Anzahl 
verschiedener Mikroorganismen, unter ihnen die wichtigsten Infections- 
erreger, in ihren künstlichen Culturen und im Körper der von ihnen 
befallenen Thiore Substanzen erzeugen, welche nach ihren chemi¬ 
schen Eigenschaften als directe Abkömmlinge der Eiweißstoffe an¬ 
zusehen sind und über eine zum Theil sehr erhebliche Giftigkeit 
verfügen. Da dieselben sich im Körper zweifellos aus dem Gewebs¬ 
eiweiß abspalten und sich von diesem grundsätzlich nicht unter¬ 
scheiden, so gewinnt das Verhältniß des letzteren für die Patho¬ 
logie ein erhöhtes Interesse. Der Weg von den normalen Bestand- 
theilen des Körpers zu Stoffen gefährlichster Art erscheint kürzer 
als bisher vermuthet wurde, und unser Organismus selbst als un¬ 
mittelbare Ursache krankhafter Zustände, welche durch die Lebens- 
thätigkeit der Mikroorganismen ausgelöst werden. Schnirer. 


Aus der chirurgischen Klinik des Prof . A. Wölfler 

in Graz . 

A. Göbl (Graz): Zur Anatomie und Behandlung der 
Hydrenoephalooele. 

Der vom Verf. beobachtete Fall bot durch das Vorhandensein 
zweier gesonderter Bruchsäcke bei einheitlicher Bruchpforte eine 
interessante Eigentümlichkeit, und auch die bei der operativen Be¬ 
handlung dieses Falles gemachten Erfahrnngen, die Wölfler in 
einigen Schlußbemerknngen zu der in der „Zeitschrift für Heil¬ 
kunde“, Bd. X, publicirten Arbeit des Autors zusammenfaßt, bieten 
für die Chirurgie der Encephalocelen bemerkenswerte Details. 

Die Untersuchung ergab an dem 7jährigen Knaben eine 
sincipitale Cephaloeele, welche äußerlich durch eine dem Nasenrücken 
entsprechend verlaufende Furche in eine größere rechte und kleinere 
linke Hälfte getheilt wird. Pulsation und Einfluß der Respiration, 
sowie Verkleinerung auf Druck konnte anfaugs nicht nachgewiesen 
werden, blos Flnctuation war deutlich. Nachdem Punction, Com- 
pression mit Plattennähten, Injection LüGOL’scher Lösung (letztere 
mit ziemlichen Reactionserscheinungen) ohne Erfolg versucht waren, 
schritt Wölfler zur Operation. Nach Bloßlegung des Bruchsackes 
bis an den knöchernen Ring wird Flüssigkeit durch einen kleinen 
Einschnitt entleert, der vorliegende Hirntheil reponirt, der leere 
Bruchsack abgebunden und abgetragen. Jodoformtamponade, Drai¬ 
nage und Naht. Bei der Incision, die auf der rechten Seite vor¬ 
genommen wird, collabirt die rechte Hälfte des Tumors, während 
die linke Hälfte unverändert bleibt, woraus auf das Vorhandensein 
eines zweiten isolirten Duralsackes geschlossen wird. Das relative 
Wohlbefinden, das der Operation nach einigen Tagen folgt, wird 
dureh das Auftreten von Fieber gestört, die linke Geschwulsthälfte 
vergrößert sich und zeigt die Zeichen der Eiterung, die nach aus¬ 
giebiger Spaltung der Haut und Drainage sich verringert; es war 
zu einer neuen Eiterung im alten Duralsacke gekommen, die auf 
den noch unberührten linken Bruchsack Übergriff und, wie die 
Section zeigte, konnte der entzündliche Proceß leicht durch den 
Sichelblutleiter, der eine feste Scheidewand zwischen beiden Ge¬ 
schwülsten darstelle, auf die linke Seite sich erstrecken. 

Der Bruchinhalt bestand beiderseits aus dem 8tirnlappen des 
Gehirns, so daß man hier von einer Eucephalocele bipartita sprechen 
könnte. Die Absicht W.’s, der Eröffnung des ersten Sackes auch 
die Operation der linksseitigen Hernie nachzuschicken, wurde durch 
die mittlerweile erfolgte Infection vereitelt. Wölfler hält es für 


durchaus rationell, den prolabirten Gehirn theil zu reponiren. Gelingt 
die Reposition nicht sofort, so kann man durch Abtragung des 
knöchernen Randes mit einem Linsenmesser die Bruchpforte er¬ 
weitern, was bereits Held mit gutem Erfolge ausführte. 

Ein solcher Vorgang ist jedenfalls ungefährlicher als die Ab¬ 
tragung des Gehirns, namentlich dann, wenn man fürchten muß, 
dabei den Ventrikel zu eröffnen. Zn dieser von Bergmann 
empfohlenen Methode würde Wölfler erst in letzter Instanz greifen, 
wenn die Reposition nicht gelingt, oder ein gestielter oder bereits 
anderweitig degenerirter Hirnantheil vorliegt. Man reponirt zweck¬ 
mäßig subdural, nach vorangegangener Punction und Verschließung 
der Punctionsöffnung mittelst Klemrapincette. Bei größeren Bruch¬ 
pforten könnte man zur Verhütung der Recidive an eine Verkleine¬ 
rung durch Knocheutransplantation denken. G. 


Nothnagel : Zur Diagnose der Sehhügelerkrankungen. 

Nothnagel („Zeitschr. f. klin. Med.“ XVI, Heft 5 u. 6) 
theilt einen Fall von Sehhügelerkrankung mit, in wolchem 
sich in typischer Weise eine isolirte mimische Lähmnng des 
Facialis fand, während die soustige willkürliche Bewegung der 
Facialismusculatur erhalten war, so daß im Leben die Diagnose nach 
früheren Ausführungen Nothnagel’s und neueren Zusammen¬ 
stellungen von Fällen und Thierexperimenten Bechterew’b gestellt 
werden konnte. Ein Fall Hugüenin’s scheint dafür zu sprechen, 
daß auch Herde der Hirnschenkelhaubenbahn in der Brücke blos 
die affectiven Bewegungen des Facialis lähmeu können. Die Will¬ 
kürbewegungen dagegen des Facialis finden sich bei Herden der 
Riude im unteren Drittel der Central Windungen, in der inneren 
Kapsel der Pars centralis centri semiovalis, der Hirnsehenkelfu߬ 
bahnen Meynkrt’s gelähmt. Die Bahnen für die beiden Leitungen 
verlaufen getrennt. Die Rindencentren der affectiven Innervation 
sind noch unbekannt. R. v. Pfungen. 


Lehrbuch d. physikalischen Untersuchungsmethoden 
innerer Krankheiten. Von Dr. Hermann Eichhorst, 

o. ö. Professor an der Universität in Zürich. Berlin 1889. 
W reden. 

Dieses Lehrbuch, welches innerhalb dreier Jahre nun die dritte 
Auflage erlebt, umfaßt in 10 Capiteln die wichtigsten Untersuch ungs- 
methoden des menschlichen Körpers. Da, wie der Verfasser in der 
Einleitung richtig bemerkt, die Diagnose und Therapie der Krank¬ 
heiten im innigen Connexe stehen und nur nach richtig gestellter 
Diagnose von einer richtigen zielbewußten Therapie die Rede sein 
kann, ist es einleuchtend, wie wichtig für den Arzt die Beherrschung 
der Untersuchungsmethoden ist, jener Behelfe, die zur richtigen Er- 
kenntniß der Krankheit führen. 

Das vorliegende Lehrbuch nun ermöglicht es dem Anfänger, 
die physikalischen Untersuchungsmethoden in prägnanter, objectiver 
Darstellung, unter Heranziehung aller neueren, allgemein acceptirten 
Thatsaohen kennen zu lernen. Dabei wird das Studium desselben 
um so anziehender, als die ITebersichtlichkeit der Anordnung des 
bedeutenden Stoffes, die Klarheit und Deutlichkeit der Sprache und 
endlich die beigefügten musterhaften 149 Abbildungen es über die 
ähnlichen Lehrbücher erheben. F. Kauders. 


Ueber die Behandlung des nachfolgenden Kopfes 

mit besonderer Berücksichtigung des MAüRiCEAu’schen Hand¬ 
griffes. Von Dr. C. A. Herzfeld, Assistent an der Klinik 
des Prof. C. v. Braun -Fernwald. Wien 1890 Franz 
Deuticke. 

Die Behandlung des nachfolgenden Kopfes ist in den letzten 
Jahren wiederholt der Gegenstand geburtshilflicher Discussion ge¬ 
worden. 

So hat Eisenhart (Arch. f. Gynäk , 36. Bd.) an einer Statistik 
von 50 Fällen den sogenannten WiGAND-MABTiN’schen Handgriff 
erläutert und dessen allgemeine Einführung propagirt, bei welcher 
Gelegenheit or schwere Vorwürfe gegen den bisher nahezu an allen 
deutschen Schulen in Ehren gehaltenen MAURiCEAü’schen Handgriff 
erhebt. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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H. tritt non in streng sachlicher Weise für den an der 
Wiener Schule üblichen bewährten Modus der Behandlung des nach¬ 
folgenden Kopfes ein, indem er an der Hand eines sorgfältig gesam¬ 
melten, großen statistischen MaterialeB aus der I. geburtshilflichen 
Klinik die Behauptungen Eisenhart’b als unbegründet zurückweist. 

Brkus. 


Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

lief.: Dr. H. Lohnstein, Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Zuelzrr zu Berlin. 

(Fortsetzung.') 

Einen interessanten Fall von Nephritis nach Application einer 
Einpinselung von Cantharidentinotur hat Pknnel (168) beobachtet. 
Ein 24jähriger Patient, der vor 1% Jahren Lues durchgemacht hat, 
erkrankt an Lungenspitzencatarrh. Gegen plcuritische Beschwerden 
erhielt er 2mal eine Canthariden-Einpinselung; unmittelbar darauf 
Ausbruch einer schweren Nephritis. Vielleicht wurde der Ausbruch 
der Krankheit durch die gleichzeitig bestehende Tuberculose und 
Syphilis befördert. Schließlich ist noch ein Fall von acuter suppura 
tiver Nephritis erwähnenswerth, der durch Compression eines Ureters 
durch einen parametrischen Absceß entstanden war. Die Diagnose 
wurde durch Section bestätigt (Beobachtung von Leroy Brown (169). 

Ueber das Wesen und den Verlauf des Morbus Brightii sind 
Lecorcbe und Talamon (170) zu folgenden Ergebnissen gelangt: 
Injicirt man Thieren subcutan Eieralbumin, so kann man stets bei 
längerer Fortsetzung der Versuche in den Nieren Veränderungen 
erzeugen, welche denen der sog. großen weißen Niere entsprechen. 
Was den Symptomencomplex. des Morbus Brightii anbelangt, so 
unterscheidet man 3 Symptomengruppon : 1.Albuminurie; sie ent¬ 
steht unmittelbar nach der Läsion der Glomeruli. 2. Oedeme, 
entspringend aus der sich entwickelnden Schwäche des Herzens und 
Gefäßsystems. 3. Urämische Erscheinungen, entsprechend 
der beginnenden Degeneration der Tubuli contorti und recti. Je 
nach der Natur des Grundleidens führt die primäre Glomerulo¬ 
nephritis durch das Zwischenstadium der großen gefleckten Niere 
entweder zur großen weißen Niere oder zur rothen atrophischen 
Niere. Diese letztere kann entweder glatt oder granulirt sein. 

Für die Pathogenese des Morbus Brightii spielen nach 
Gaucher (171) die Fleischbasen eine nicht unwichtige Rolle. Durch 
Injectionen einer 2°/„igen Kreatinin - Lösung konnte man bei 
Kaninchen die große weiße Niere erzeugen. Auch Injection der 
anderen Fleischbasen führte zu demselben Ergebniß. Hiemit in 
Ueberein8timmung stehen Beobachtungen Verf.’s, denen zufolge ein¬ 
seitige Fleischkost für die Entstehung, resp. Verschlimmerung des 
Morbus Brightii von wesentlichem Einfluß waren. Wahrscheinlich 
ist es die Ueberfüllung des Blutes mit Harnstoff und die dadurch 
secundär erzeugte Nierenreizung, die allmälig zu anatomischen Ver¬ 
änderungen des Nierengewebes führt. Ueber die Beziehungen des 
Morbus Brightii zur Harnstoffausscheidung hat übrigens auch 
Bond (172) Untersuchungen angestellt, aus denen sich ergibt, daß 
analog dem weiteren Umsichgreifen der pathologischen Veränderungen 
im Nierengewebe die Harnstoffausscheidung durch die Nieren succes- 
sive abnimmt; durch die consecutive Ueberladung des Blutes mit u 
entsteht so ein Circulus vitiosus, unter dessen Einwirkung ein 
immer schnelleres Wachsen in der Intensität der Krankheit statt¬ 
findet. Im Allgemeinen ist die pro die ausgeschiedene Harnstoff¬ 
menge 25—35 Grm. Je nach dem Grade der Abweichung von dieser 
Menge unterscheidet B. 3 Gruppen: I. Patienten mit Schrumpfniere, 
tägliche u-Ausscheidung: 6—18 Grm. II. Etwas intensivere fj- 
Excretion, im Harn stets geringe Mengen von Eiweiß. Diese Gruppe 
kann ausheilen oder schließlich in die erste übergehen. III. Bei 

*) S. Nr. 13. 


täglicher Ausscheidung von 10—20 Grm. (j kein Eiweiß im Harn, 
unbestimmte Beschwerden. Von einzelnen Organorkrankungen sollen 
nach Verf. die Augenaffectionen bei M. Brightii eine Folge der 
Ueberfüllung mit u 8ein. 

Was einzelne Symptome des M. Brightii anlangt, so entsteht 
die Aorteninsufficienz bei interstitieller Nephritis nach Boüvbret (173) 
(3 Beobachtungen) durch die Hypertrophie nnd den secundär auf 
die Klappen ausgeübten Druck. 

Die sog. cyclische Albuminurie ist von Pavy (174) einem 
besonders eingehenden Studium unterzogen worden. Man findet sie 
zuweilen bei ganz gesunden Menschen, gewöhnlich zuerst 2 Stunden 
nach dem Aufstehon. Bis zum Mittagessen nimmt sie an Intensität 
zu, dann wiederum bis Mitternacht ab. Wahrscheinlich hängt sie 
mit der aufrechten Stellung der Patienten zusammen. Auch 
Johnson (175) bringt alle jene Fälle, in welchen man zu gewissen 
Zeiten bei fast ganz gesunden Personen Albuminurie beobachtet, 
mehr mit der körperlichen Thätigkeit als mit der Ernährung zu¬ 
sammen. Wahrscheinlich kommt es in Folge der gesteigerten Zer¬ 
setzung der Muskelsubstanz zu einer Reizung der Nieren in Folge 
des Durchganges relativ großer Mengen von Fleischbasen. 

Auf den Zusammenhang zwischen Albuminurie und Placentar 
erkrankung macht Wiedow (176) auf Grund von 6 Beobachtungen 
aufmerksam. In sämmtlichen Fällen enthielten die Placenten wei߬ 
liche, fettig degenerirte Gewebsstränge. In 3 Fällen wurden todte, 
theils macerirte Früchte, in 3 Fällen kleine, kümmerliche Kinder 
geboren. 3 Fälle von chronischem M. Brightii nach Schwangerschaft 
hat Weinbaum (177) beobachtet. In allen 3 Fällen Exitus letalis. 

Stets handelte es sich um Alterationen des Gefäßapparates der 
Niere, während sich der Umfang der interstitiellen und parenchy¬ 
matösen Läsionen als ziemlich geringfügig erwies. Im Allgemeinen 
wurde beobachtet: Proliferation des Glomerulusepithels, Obliteration 
uud Atrophie der kleinsten, scleröse Degeneration der größeren Ge¬ 
fäße. Alle diese Veränderungen sind wahrscheinlich bedingt durch 
Behinderung der Blutcirculation in den Abdominalgefäßen durch die 
sich entwickelnde Gebärmutter. 

Statistische Untersuchungen über die Schwangerschaftsalbumin¬ 
urie und puerperale Eclampsie hat Lantos (178) zusammengestellt. 
Hiernach fand sich in 1«% aller schwangeren Frauen (unter 
70 Beobachtungen) Albumen im Harn; von 600 Wöchnerinnen fand 
man in nicht weniger als 60°/ 0 Albuminurie, und zwar in 70% 
von 208 1-parae und in 50% von 332 Multiparae. Iu 10 Fällen 
handelte es sich um intensive Albuminurie, wobei 5mal Cylinder und 
3mal Eiter im Harn gefunden wurde. Im Allgemeinen waren die 
Patientinnen, falls sie nicht an Nierenleiden erkrankt waren, anämi¬ 
sche Individuen. Eclampsie beobachtete mau in 0-36% sämmtlicher 
Fälle, hievon waren über 75% I-parae, der Rest Pluriparae. Die 
Entbindungsmortalität steigt mit der Bedeutung des instrumentellen 
Eingriffes; besonders ernst erscheint die Prognose Dach Zangen¬ 
extraction. Die Erklärung der Albuminurie sucht Verf. in vaso¬ 
motorischen Reflexneurosen. 

Für die Diagnostik der BRiGHT’schen Nierenkraukheit ist 
nach Geisler (179) die Thatsache von Bedeutung, daß in früheren 
Stadien der Krankheit die Ausscheidung von Jodkali durch die 
Nieren noch relativ ungehindert ist, während späterhin nur ein ge¬ 
wisser Bruchtheil der Verbindung im Harn ausgeschieden wird. 

Von den Symptomen des M. Brightii sucht Potain (180) 
in einer kleineren Arbeit die erhöhte Spannung der Arterien auf 
die vermehrte Resistenz znrückzuführen, welcher die peripherischen 
Gefäße beim Morbus Brightii unterliegen. Dadurch, daß man durch 
methodische Therapie diesen Druck beseitigt, gelingt es auch, die 
circulatorischen Störungen zu heben und den Patienten wesentliche 
Erleichterung zu verschaffen. Psychosen im Zusammenhang mit 
chronischem M. Brightii, auf welche zuerst 1885 Dieülafoy die 
Aufmerksamkeit lenkte, sind seitdem auch von anderen Autoren 
beobachtet worden. Neues einschlägiges Material ist von Christian (181) 
gesammelt worden. Dieser gelangt zu folgenden Ergebnissen: 1. Die 
relative Häufigkeit der Coincidenz zwischen Nierenleiden und Psy¬ 
chosen weist auf ein ursächliches Verhältniß zwischen beiden Leiden 
hin. 2. Die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme wird erhöht durch 
die Häufigkeit der Gefäßalterationen im Gehirn und Rückenmark, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


zumal im letzten Stadium dos Morbus Brightii. 3. Eine Reihe vou 
Psychosen hat indessen eine andere Ursache: diejenige einer Harn¬ 
vergiftung. Ihre Symptome sind Convulsionen, Sprachstörungen, 
Bewegung8anomalien etc. 4. Vielleicht sind auch einige Fälle von 
scheinbarer progressiver Paralyse auf Morbus Brigbtii zurllckzuführen. 

Auch über das typische Endstadium des Morbus Brightii, die 
Urämie, liegt eine Reihe bemerkt nswerther Einzelbeobachtungen 
vor. Paul Mabcuse (182) beobachtete einen Fall von Amaurosis 
uracmica im Wochenbett bei einer X-para. 20 Minuten nach der 
Entbindung Kopfschmerzen, darauf heftiges Erbrechen, gleich darauf 
vollkommenste Erblindung. Ophthalmoskopischer Befund negativ. 
Besserung am 10. , vollständige Heilung am 20. Tage nach der 
Entbindung. Level (1*3) beschreibt den Symptomencomplex urämi¬ 
scher Paralysen. Ihre Prodrome bestehen in der Regel in heftiger 
Cephalaea; auch Gesichtsstörungen sind nicht selten. Gewöhnlich 
ist das erste manifeste Symptom eine atypische Hemiplegie, meist 
mit Störungen des Gefühls und der Reflexerregbarkeit verbunden. 
Aphasie wird ►eiten beobachtet; ebenso ist Gehirnödem nicht häufig. 
Die qu. Erscheinungen sind wahrscheinlich aufEncephalopathia toxica 
zurückzuführcu. Die Diagnose i<t oft schwer zu stellen, da man 
nur selten Syphilis oder intracranielle Gefäßzerreißung mit einiger 
Sicherheit ausschließen kann. Therapeutisch empfehlen sich in jedem 
Falle Aderlaß und energische Abführmittel. Einen seltenen Fall von 
urämischen Convulsionen nach acuter scarlatinöser Nephritis beob¬ 
achtete James Masox(184) bei einem 8jährigen Knaben. Die Be¬ 
handlung bestand in subcutanen Einspritzungen von 0‘06 Pilocarpin 
und heißen Bädern; später wurde Venaesection versucht. Genesung 
nach 3 Wochen. Die gewöhnlich bei Urämie beobachtete Puls Ver¬ 
langsamung ist nach Debove (185) nicht als Folge der durch den 
retiniiten Harnstoff bedingten Reizung gewisser regulomotorischer 
Rückenmarkscentren zu betrachten In einem Falle von Nephritis 
interstilialis mit dauernder Besserung blieb der langsame Puls auch 
nach stattgehabter kritischer Harnstoffau<scheidung durch den Harn. 
Eine Erklärung des qu. Symptoms fehlt noch. 

Für die Behandlung der Urämie empfiehlt William Carteb 
(18b) als orston Grundsatz die Vernichtung der durch die Harnretention 
gebildeten Gifte, womöglich in statu nascenti. Daher sind Kalisalze in 
der Nahrung sowohl, wie in Form von Medicamenten den Patienten 
zu appliciren. Fernerhin Milchdiät, Erhaltung der Function der Leber, 
als Produccntin eines mächtigen Desinficiens; endlich Erhaltung der 
Herzkraft durch gute Ernährung. Für die Eliminirung des Harngiftes 
empfehlen sich Vcuäsection, Application von Purgantien, Diaphoreticis, 
Transfusion. Hiebei ist zu berücksichtigen, daß alle unsere Ernäh- 
rungsmittol mehr weniger Verbindungen enthalten, welche unmittelbar 
nach ihrer Resorption vom Darm aus, falls die excretorischeu Func¬ 
tionen des Organismus behindert sind, toxisch wirken können. Am 
wenigsten Verbindungen dieser Art führt die Milch, deren Genuß 
daher auch vorzugsweise den an Morbus Brightii leidenden Patienten 
anzuempfehlen ist. 

In zweiter Linie ist eine Verbrennung des bereits gebildeten 
Giftes indicirt, und zwar durch Zuführung vou Sauerstoff in jeder 
Form, sowie durch Einführung von Desinficientien (Naphthalin, Jodo¬ 
form, Thicrkohle). Gewarnt wird vor der Application des Morphin, 
welches der Elimination des Harugiftes entgegen wirkt, indem cs 
die Energie der Circulation hemmt. — Im stricten Gegensätze hiezu 
empfiehlt auf Grund mehrfach gemachter guter Erfahrungen Stephan 
Makknzie (187) die frühe Application des Morphin. — Platon (188) 
endlich räth bei urämischen Anfällen zur Anwendung von Jodoformvaselin, 
das ihm bei eiuera 14jährigen, tubcrculösen, an Nephritis acuta mit 
urämischen Anfällen leidenden Mädchen gute Dienste geleistet hat. — 
Es wurde der Kopf der Patientin täglich mit Jodof. 10, Vaselin 100 
eingeriebeu. Besserung nach wenigen Tagen. — Später verschwand 
nach Application heißer Bäder und Diuretica auch die Anasarca. 

Die Behandlung des Morbus Brightii im Allgemeinen ist besonders 
von englischen und amerikanischen Aerzten zum Gegenstand neuerer 
fortlaufender Studien gemacht wordcu. — Nach Delafield (189) hat 
man bei acuter Nephritis wesentlich für die Erhaltung des Allgemein¬ 
befindens, sowie dafür zu sorgen, daß die Extractivstoffe des Harnes, 
die ja im Organismus retinirt gehalten werden, ordentlich eliminirt 
werden. — Als wirksamstes Mittel hiefür empfiehlt Verf. heiße 


Bäder. Iuuerlich siud Calomel, Magnesia, sowie später Tonica, Eisen¬ 
präparate etc. zu geben. — Handelt es sich um Symptome gesteigerten 
Hirndruckes, so ist Chloralhydrat, Opium in häufigen, kleinen Dosen, zu 
verabreichen. Daneben Tinct. Aconiti 0*06 p.dos. — Auch bei chronischer 
Nephritis ist auf die Allgemcinbehandlung das Hauptgewicht zu legen. 
Außerdem ist auf regelmäßige Muskelübungen (Spazierengehen etc.) zu 
achten. In einigen Fällen erwiesen sich Sauerstoffinhalationen von ent¬ 
schiedenem Nutzen. Die Behandlung des Hydrops ist dieselbe, wie bei 
acuter Nephritis, ebenso diejenige des gesteigerten Arteriendruckes. 

Die diätetische Behandlung des chronischen Morbus Brightii, 
auf welche Bewerley Rubinson (190) das Hauptgewicht legt, besteht 
bei der chronischen parenchymatösen Nephritis ohne Wachsdegene¬ 
ration vorwiegend in strenger Milchdiät. Wird die Milch nicht ver¬ 
tragen, so gibt Verf. Beefsteak, peptonisirte Milch etc. — Daneben 
als Tafelgetränk Diuretica. — Besteht Dyspepsie, so sind die 
Nahrungsmittel in möglichst kleinen, häufigen Portionen den Pat. 
zu verabreichen. Als Excitantien eignen sich besonders leichte Weine 
(die schweren enthalten zu viele, die Nieren reizende Extractiv¬ 
stoffe). Alkohol ist zu meiden, und nur im äußersten Notbfalle, bei 
großer Erschöpfung der Pat. zu geben. Handelt es sich dagegen um 
wachsartige Degeneration der Niere, so kaun man nach Verf. unbe¬ 
denklich Alkohol in mäßigen Mengen, Bouillon etc. geben. Bei inter¬ 
stitieller Nephritis ist in erster Linie die Integrität des Blutes zu 
fahren, d. h. die Anhäufung von Harnstoff im Blutkreislauf zu ver¬ 
hindern , weiterhin handelt es sich darum , den Albumenverlust der 
Niere zu compensiren. Die Application des Alkohols erfolgt auch in 
diesem Stadium der Krankheit nur im äußersten Nothfalle. Von 
einzelnen Medicamenten hat sich nach Marshall (191) das Pilocarpin, 
welches bekanntlich mehrfach gegen Eclampsia gravidarum empfohlen 
wurde, mit bestem Erfolge bewährt bei einem 1 9jährigen, an schwerem 
Mb. Brightii leidenden Pat. Verabreicht wurden zuerst 3 Injectionen 
k 0015 in 6stündlichen, dann pro die je 2 Injectionen in ^stünd¬ 
lichen Intervallen. — Collaps wurde durch Application von Brannt¬ 
wein, das Erbrecbeu durch Reduction der qu. Dosis auf O'Ol Grm. 
bekämpft. Außerdem stricte Milchdiät. Letztere ist übrigens nach 
ÖESTRErCH (192) die rationellste Ernährungsweise bei Nephritiden 
jeder Art. — Unter ihrer Entwicklung wurde die geringste Menge 
Albumen ceteris paribus ausgeschieden. 

Aus der Menge der die Harnchemie betreffenden Arbeiten 
könneu hier nur die wichtigsten erwähnt werden. 

Beiträge zur Kenntniß der Physiologie der Harnabsonderung 
liegen von folgenden Autoren vor: Masius (193) beobachtete 
nach peripherischer Reizung des rechten Vagus Verminderung, ja 
zuweilen selbst Retention der Urinsecretion. Bisweilen fand man 
in dem Urin Blutzellen, Harnepithelien, Eiterkörperchen etc. Die 
eigentümliche Sondereinwirkung des rechten Vagus hängt wahr¬ 
scheinlich mit der asymmetrischen Anordnung der Nierenarterien 
zusammen , durch welche es bewirkt wird, daß vorwiegend e i n 
Vagus der beiderseitigen Nierenfunction vorsteht. 

J. Munk (194) hat seine früher bereits begonnenen Versuche 
an überlebenden Nieren fortgesetzt. Diesmal ist es ihm gelungen, 
nun endlich die Synthese der Hippureäure aus ihren Componenton 
einwandsfroi fcstzustollen. Dieselbe geht um so energischer vor sich, 
je mehr Blut durch die Niere in der Zeiteinheit fließt. Die Frage über 
den Einfluß des Kaffees auf die Harnsecretion ist von Dumont (195) 
einer genaueren Prüfung unterzogen worden. Derselbe suchte 
zunächst festzustellen, ob durch den Kaffeegenuß die Intensität 
des Stoffwechsels herabgesetzt oder erhöht wird. Nach einer 
3 maligen (pro die) Application eines Infuses von je 60 Grm. Kaffee 
fand man eine Zunahme des £ um 5 Grm. im Harne. Puls und 
Diurese wurden nicht beeinflußt. Endlich ist noch einer Arbeit von 
Munk und Senator (196) Uber den Einfluß der Blutdruckschwan¬ 
kungen auf die llarnabsonderung zu gedenken. Es ergab sich aus 
den Untorsuchungen dieser Autoren, daß eine Vermehrung des 
arteriellen Blutdruckes eine Vergrößerung der Harnsecretion, sowie, 
falls meßbare Mengen von Albumen im Harn sich fanden, eine 
Verringerung des Albumengehaltes herbeiführto. Die Kochsalzmengo 
im Harn wurde wenig, wohl aber die Menge der Extractivstoffe 
beeinflußt, welche wesentlich zunahm. Venöse Stauung erzeugte 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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stets Abnahme der Blutgeschwindigkeit, der Harnmenge und der 
Extractivstoffe. Der Gehalt an Chlornatrium blieb derselbe; der 
Eiweißgehalt des Harns stieg. Es ergibt sich aus diesen Resultaten 
ein wesentlicher Fortschritt in unserer Kenntniß über das Wesen 
und den Vorgang der Harnsecretion. Die Versuche lehren nämlich, 
daß das Harnwasser, sowie ein Theil der Harnsalze aus den Ge 
fäßen auf dem Wege der Transsudation, die eigentlich specifischen 
Harnbestandtheile, besonders die N-haltigen und anderen Harnsalze 
auf dem Wege der activen Drtisensecretion ausgeschieden werden. 

(Schluß folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 


— Fb. Pearck empfiehlt in „Lancet“ vom 1. Februar 1890 
das Natrium nitrosum gegen Asthma, als das beste der gegen 
diese Erkrankung gebräuchlichen Mittel, und Zwar gibt er cs ohne 
jeden Zusatz; nur in einigen Fällen mit Schlaflosigkeit in Ver¬ 
bindung mit Hyoscyamus, während in anderen sich die Tinctura 
Lobeliae als Zusatzmittel bewährte. Anfangs verordnete es Verf. 
in Dosen von 0*6—1*0, aber der erste Kranke wurde bei dieser 
Gabe so krank und schwach, daß P. bald mit dieser heninterging, 
obwohl, die asthmatischen Anfälle vollständig verschwanden und 
2—3 Jahren nicht wieder erschienen sind. Gegenwärtig verordnet 
er es zu 0 - 2—0*3 in wiederholten Dosen und stets mit dem besteh 
Resultat. Bezüglich des Hyoscyamus bei dieser Affection fand er 
ihn, wie bei anderen Krankheiten, bei den gewöhnlichen Dosen 
ohne bemerkenswerthen Erfolg; es ist nothwendig, 8 Grm. der 
Tinctur auf einmal oder nicht weniger als 4 Grm. zu wiederholten 
Malen zu verordnen. Außer seinem Einfluß auf die vielen spasmo¬ 
dischen Affeclionen übt Hyoscyamus auch einen sehr beruhigenden 
Einfluß auf das Gemüth aus. Wird er beim Asthma allein gegeben, 
so bessert er den krampfhaften Zustand nicht, in Verbindung mit 
Natrium nitrosum aber ist seine Wirkung bisweilen geradezu ver¬ 
blüffend. 

— Prof. Mabagliano gebraucht Quebracho gegen dyspnofeche 
Anfälle nach folgender Formel: 

Rp. Extr. alcoholic. Quebracho . . 10 - 0 


Aq. destill. 200-0 

Succ. citr.20'0 


D8. 1 Eßlöffel voll während des Anfalles. 

oder 


Rp. Quebrachin . . .0'50 

Extr. Glycirrhizae q. s. u. f. 
pill. Nr. X. 

DS. 4 — 5 Pillen täglich zu nehmeD. 

— Bei schweren Formen mancher Infectionskrankheiten 
(Abdominaltyphus, Malaria etc.) kommen zuweilen sehr heftige 
Diarrhoen vor, die nicht nur für den Kranken sehr lästig sind, 
sondern auch seinen Zustand immer mehr verschlimmern. Diese 
profusen Diarrhoen (20—30 Entleerungen täglich) pflegen bei den 
adynamischen Formen der Infectionskrankheiten aufzutreten und 
sind der Ausdruck einer schweren Infection; sie können weder mit 
Adstringentien, noch mit Excitantien gestillt werden. Auf Grund 
vielfacher Versuche empfiehlt F. Cimbali in Nr. 71 der „Rif. 
medica“ die Behandlung der profusen Diarrhoen bei schweren 
Formen von Infectionskrankheiten mit subcutanen Injectionen 
von Chiorodyne. Chlorodyne ist ein in England gebräuchliches 
Mittel, welches folgende Zusammensetzung hat: 


Rp. Chloroform.3‘0 

Aether sulfur.2 - 0 

Acid. perchloric.3'0 

Tinct cannab. indic.2 - 0 

Syr. simpl.20‘0 

Tinct. capsic.3'0 

Morphin.1*0 

Acid. hydrocyan. dil.1 - 0 

01. menth. pip.5-0 


Man injicirt 1 Grm. und, wenn nöthig, wiederholt man nach 
5—6 Stunden die Injection. Schon nach der ersten Injection nimmt 


die Zahl der Stühle bedeutend ab und die Kranken fühlen sich 
besser. 2—3 Injectionen in 24 Stunden genügen, um sonst unstill¬ 
bare Diarrhoen zum Stillstand zu bringen. 

— Daniel Molliäre empfiehlt in Nr. 13 des „Lyon mödical“ 

die Behandlung der Varices mit coagulirenden Injectionen. Er 

wendet eine Lösung an, bestehend aus: 


Rp. Jod. pur.1*0 

Tannin, pur.9‘0 

Aq. dest.10 0 


Diese Flüssigkeit ist nicht ätzend, sie bringt nur das Blut 
sehr rasch zur Gerinnung. Man läßt den Kranken ’/a Stunde vor 
der Operation herumgehen, damit die Varices stark geschwollen 
werden. Man legt hierauf eine ziemlich fest angezogene Binde 
unterhalb der Stelle an, wo der Stich gemacht werden wird, und 
spritzt in die erweiterte Vene mittelst einer mit doppelter Canüle 
versehenen PRAVAz’schen 8pritze einige Tropfen der genannten 
Lösung ein. Auf die Einstiohsöffnung wird etwas Jodoformcollodium 
gebracht. Man läßt die constringirende Binde liegen und der Pat. 
bewahrt absolute Ruhe etwa 14 Tage. Nach Ablauf dieser Zeit 
findet man einen harten Strang, der allmälig verschwindet. Molliere 
hat mit dieser Behandlung nur Erfolge erzielt. 

— Dr. Hügo Glückziegel hat, um die Wirkung des Orexins 
zu studiren, auf der Klinik des Prof. v. Jaksch eine Reihe von 
Versuchen angestellt, deren Resultate er in Nr. 13 der „Prag. med. 
Woch.“ mittheilt. Das Präparat wurde nach folgender Formel an¬ 
gewendet : 

Rp. Orexini hydrochlor.4 0 

Pulv. Altheae 

Extr. Gentian. q. s. u. fiant 

pillulae Nr. XL. 

Am ersten Tage wurde eine, am zweiten Tage zwei, am dritten 
und allen folgenden Tagen je 3 Pillen gereicht. In dieser Weise 
versuchte Verf. das Mittel zunächst an sich selbst durch 4 Tage. 
Von einer Steigerung der Eßlust hat er nichts verspürt; überhaupt 
konnte er an sich vom Orexin keinerlei Wirkung, weder nachtheilige, 
noch günstige, beobachten. Das gleiche Resultat ergab ein Versuch 
an einem 21jährigen gesunden Mediciner. Ferner wurde das 
Mittel an 17 Patienten, bei denen der Appetit mehr oder minder 
darniederlag, angewendet. In zwei Fällen trat schon am 1. Tage, 
in 4 weiteren Fällen am 2. Tage eine Besserung des Appetits ein, 
in den übrigen Fällen blieb das Mittel 2—4 Tage, in einem Falle 
sogar volle 8 Tage hindurch wirkungslos. Bei 3 Kranken blieb die 
gehoffte Wirkung ganz aus, ja es stellte sich sogar Erbrechen ein, 
von den übrigen 14 Kranken war zur Zeit des Abschlusses der 
Versuchsreihe bei 4 der Appetit gebessert, bei 3 auffallend lebhaft, 
in 7 Fällen normal geworden. Was die üblen Nebenwirkungen 
des Mittels betrifft, so wurden außer den bereits erwähnten Fällen 
von Erbrechen keinerlei üble Zufälle beobachtet, nur bei einem mit 
Herzfehler behafteten Manne stellten sich am 4. Tage Magen¬ 
schmerzen ein, die nach Aussetzen des Mittels schwanden, um nach 
neuerlicher Darreichung von Orexin nicht wiederzukehren. Verf. 
zieht aus seinen Versuchen folgenden Schluß: Die von Penzoldt 
angegebene Wirkung des Orexins am Gesunden hat Glückziegel 
nicht beobachtet, wobei jedoch zu berücksichtigen bleibt, daß diese 
Versuche deswegen nicht vollkommen genügen, weil das Mittel in 
zu kleiner Dosis genommen wurde. Die an Kranken mit darnieder¬ 
liegender Eßlust erzielten Resultate waren in der Mehrzahl der Fälle 
günstig; weitere, vorsichtig und mit bedächtiger Auswahl der Fälle 
auszuführende Versnche dürfen als berechtigt bezeichnet werden. 
Ein abschließendes Urtheil, inwieferne bei den beobachteten Erfolgen 
und Mißerfolgen ein propter hoc vorliegt, vermag Glückziegel 
derzeit noch nicht abzugeben. 

— In einer der jüngsten Sitzungen der Pariser therapeutischen Ge¬ 
sellschaft berichtete Bardet über die schlafmachende Wirkung des 
Hypnals. Bringt man eine Lösung von Antipyrin und Chloral 
zusammen, so bildet sich eine ölige Masse, aus welcher sehr bald 
weißliche Krystalle ausfallen, die geschmack- und geruchlos sind. 
Dieser neue Körper führt den Namen Hypnal und ist seiner chemi¬ 
schen Constitution nach Trichloracetdimethylphenyl. Das Hypnal 
besitzt wesentliche hypnotisirende Eigenschaften. Außerdem hat es 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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den Vorzug, völlig geruch- und geschmacklos zu sein. Insbesondere 
dürfte das neue Medioament dazu dienen, in denjenigen Füllen an 
Stelle des Chloral, in welches es sich unter dem Einflüsse des Magen¬ 
saftes doch verwandelt, angewandt zu werden, in welchen dieses 
Medioament von der Magenschleimhaut nicht vertragen wird. Be¬ 
sonders angenehm erwies sich in dieser Beziehung das Medioament 
bei TuberculÖ8en, bei denen es sowohl das Fieber zum Verschwinden, 
als auch die Schlaflosigkeit zum Weichen brachte. Ferner bei 
Kindern mit Neuralgien etc. Das Präparat enthält pro Gramm 45 
Theile Antipyrin und 55 Theile Chloral. Merkwürdigerweise sind 
trotzdem die beruhigenden Wirkungen des Hypnal größer, als die 
einer analogen Menge reinen Chlorals. Eine Erklärung dieser That- 
saohe vermag Verf. bisher noch nicht zu geben. In jedem Falle 
jedoch hat man es hier mit einer Combination zu thun, mittelst 
welcher man eine weit angenehmere Application des Chlorals be¬ 
werkstelligen kann, wie zuvor. Denn das neue Medioament ist 
absolut frei von allen üblen Nebenwirkungen des Chlorals. Was 
die Art und Weise der Application anlangt, so kann man sich der 
im Momente des Zusammentretens der beiden Verbindungen ent¬ 
stehenden neuen öligen Masse in Form von subcutanen Injectionen 
bedienen. Dahin zielendb Versuche sind bereits an Thieren mit 
gutem Erfolge gemacht worden. Beim Menschen ist das Medioament 
bisher nur innerlich gegeben worden. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 29. März 1890. 

Prof. J. Böke zeigt einen Fall von Eröffnung des Pro¬ 
cessus ma8toideus. Bezüglich der Geschichte dieser Operation 
erwähnt Vortr., daß der Militärarzt Jasser 1776 zuerst den cariösen 
Warzenfortsatz beim Sondiren zufällig eröffnete, worauf der Kranke 
besser wurde. Bis 1873 wurde in etwa 63 Fällen die Eröffnung 
vorgenommen. 

Von da ab wurden die Indicationen genau präcisirt und die 
Operation häufig ausgeführt. Bei Entzündungserscheinungen über 
dem Prooess. mastoid. genügt zuweilen die einfache Incision, dagegen 
indiciren Hirnerscheinungen, Caries oder Fistel ohne Weiteres die 
Eröffnung der Knochenhöhle. Die Mortalität beträgt bei dieser 
Operation 20°/ 0 . 

Im vorgestellten Falle, einem 19jähr. Böttcher, wurde das Cavum 
mittelst Meißels eröffnet; mit der Entfernung eines Knochensequesters 
trat starke Blutung aus dem Sinus transversus auf, welche mittelst 
Tamponade gestillt wurde. Gefährliche Complicationen sind außer 
SinusVerletzung und Blutung, Sinusphlebitis und Eröffnung der 
Schädelhöhle. Bei dem Kranken besteht seit 10 Jahren Eiterausfluß 
aus dem rechten Ohre, hinter welchem seit 6 Jahren sich eine Fistel 
befand. Der äußere Gehörgang ist daselbst mit käsigem Eiter erfüllt, 
das Trommelfell fast gänzlich zerstört. In der Trommelhöhle Caries 
OBsis petrosi und Cholesteatom. Links schleimiger Mittelohrcatarrb. 
Trotz zweimaliger Erweiterung der Fistel und Auskratzen der er¬ 
krankten Knochenpartien mußte am 2. März (otwa 6 Wochen nach 
der Aufnahme in’s Spital) der Zitzenfortsatz nach Abpräparirung 
der Weichtheile in der Länge von 2 Cm. eröffnet werden. In der 
Knochenhöhle fand sich viel übelriechender, krümlicher Eiter und 
necrosirte Knochenpartien; bei der Entfernung einer derselben trat 
die oben erwähnte Blutung auf. Bei täglichem Verbandwechsel heilt 
die Wunde unter schöner Granulationsbildung. 

Dl*. J. BARSONY zeigt 1. einen geheilten Fall von In versio 
uteri. Bei der Geburt verfiel die Frau in Folge gewaltsamer Ent¬ 
fernung der Placenta durch die Hebamme in einen Zustand von 
Bewußtlosigkeit, der einen vollen Tag dauerte. Durch 4 Wochen 
Puerperalfieber, fortwährende Blutungen und Schmerzen; bei An¬ 
strengungen fällt eine hühnereigroße Geschwulst vor die Schamlippe. 
Erst 3 Monate nach der Geburt wurde ärztliche Hilfe in Anspruch 
genommen. Reposition mittelst Hand und 17mal mittelst Colpeurynter 
wurde von Prof. Kezmärszky vergebens versucht. Schon dachte 


man an die Amputation, als noch ein letzter Versuch, diesmal in 
der Knie-Ellbogenlage, gemacht wurde, indem die Gebärmutter 
allseitig mit Jodoformgazestreifen gut gestützt und auf den umge¬ 
stülpten Fundus uteri der Colpeurynter applicirt wurde. In der 
folgenden Nacht erfolgte unter Schmerzen die Reinversion. 

2. Demonstrirt Vortr. einen operirten Prolapsus uteri. 
Bei der 35jährigen Frau bestand seit 5 Jahren totaler Prolapsus 
uteri mit Vorfall der vorderen und hinteren Vaginalwand, Cystocele 
und Rectooele bei gänzlich schlaffen Genitalien. Nachdem sich 
Pessarien, Massage und andere Mittel als wirkungslos erwiesen 
hatten, wurde die Colporrhaphia anterior mit Dammbildung mittelst 
Lappenschnitt ausgeführt. Der früher 2 Cm. lange Damm beträgt 
jetzt 8 Cm. und gewährt der Gebärmutter eine sichere Stütze. 

Hiezu bemerkt Prof. W. Tauffer, daß man bei Prolapsus 
uteri unterscheiden muß: a) den primären Prolapsus, wo der 
prolabirte Uterus die umgebenden Weichtheile nach sich gezogen 
hat und b) jene Fälle, wo Elongatio colli supravaginal i 8 
vorhanden ist. Bei letzteren ist das Uterusgewebe verändert und 
es begeben sich hier zuerst die den Uterus umgebenden Organe, meist 
in Folge von Dammriß, nach abwärts, der Hals des oben fixirten 
Uterus wird gedehnt, und durch Kreislaufstörungen kommt es zu 
Vergrößerungen in Folge von Bindegewebswucherung. Bei nicht 
elongirtem Cervix ist die Inversion dauernd reponirbar, aber bei 
hypertrophirtem Uterus kann nur der operative Eingriff zum Ziele 
führen, aber nicht mittelst der Lawson - TAiT’schen, sondern der 
HßGAR-SiMON’schen Dammbildung, welche den Lappen von weiter 
oben nimmt. 

Dr. E. Velits erwähnt einen Fall von Prolapsus uteri 
mit Elongatio cervicis, wo weder Massage, noch die Operation 
nach Lawson-Tait , sondern die Dammbildung nach Hegar-Simon 
zum Ziele führte. 

Dr. L. VEREBELYI führt einen 10jährigen Knaben vor, der 
durch Fall eine Quetschung des Dammes erlitten hatte. Seit 

4 Tagen Harnverhaltung bei ausgedehnter starker ödematöser Schwellung 
der umgebenden Weichtheile. Nach Inoieion des Scrotums und des 
Dammes entleerten sich stinkender Harn und abgestorbene Gewebs- 
fetzen. Von hier wurde ein Katheter in die Blase geführt und 
1800 Ccm. Ham entleert. Nach täglichen Blasenwasohungen, Ver¬ 
bänden wurde am 10. Tage Katheter Nr. 7 durch die ganze 
Urethra in die Blase eingefübrt. Heilung nach 2 1 / s Monaten. 

Dr. VELITS Stellt 1. eine Frau vor, bei der gelegentlich der 
Entfernung eines Cystoma glanduläre, das mit einer gelatinösen 
Masse die Bauchhöhle erfüllt hatte, auch die Cholecystotomie 
ausgeführt wurde. 

Gallensteinkoliken wurden bei ihr von Prof. Stiller im 
Januar v. J. constatirt, 3 Monate bevor, unabhängig davon, der 
Unterleib zuzunehmen begann. Durch einendem Rippenbogen parallelen, 

5 Cm. langen Schnitt wurde die von der noch offenen Bauchhöhle 
mittelst der Hand vorgeschobene Gallenblase nach außen gezogen, 
dieselbe durch Naht an die Bauchwand außen befestigt, incidirt und 
der Gallensteine entledigt. Heilung per primam. 

2. Bei einem 14jährigen Mädchen wurde die Epicystotomie 
wegen eines dritten Ureters ausgeführt, welcher, in die Urethra 
mündend, fortwährendes Harnträufeln verursachte. Nach Abtragung 
eines unteren Stückes des Ureters, Einnähen des oberen Schnitt¬ 
endes in die Blase und Abbrennen des Urethralendes desselben 
mittelst Paquelin erfolgte Heilung. 

Dr. W. MEISELS stellt 2 Fälle von operirtem Prolapsus 
recti vor. Der eine Fall wurde nach Mikulicz operirt. Abbindung 
des oberen und des unteren Endes, Exstirpation des dazwischen 
befindlichen Stückes und Vereinigung der beideu Stümpfe mit Lambf.rt- 
seher Naht. Die entstandene Strictur wurde mittelst Bougies be¬ 
handelt. Beim zweiten Falle, wo die Mucosa vorgefallen war, wurde 
mittelst 2 langer Pinces eine starke Falte gefaßt und mit Paquelin 
zerstört. Glatter Heilungsverlauf. 

Dr. V. Schranz : Zur Lehre der Peritonitis tubereuiosa miliaris 
chronica. 

Vortr. knüpft an drei vorgestellte Fälle an, welche in 
| der Voraussetzung, daß es sich um zwei OvarialgescliwUlste, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


beziehentlich eine Tubargescbwulst handelte, an der II. gynäko¬ 
logischen Klinik laparotomirt wurden. 

Man fand eine diffuse, chronische Erkrankung des Peritoneums, 
in zwei Fällen mit einem serösen, abgekapselten Exsudat, in einem 
Falle ohne dasselbe. Die hirsekorn- bis stecknadelkopfgroßen, halb¬ 
kugeligen, harten, graulichen, gefäßlosen, über das Peritoneum zer¬ 
streuten Knötchen, sowie die die Brucheingeweide theils mit einander 
verlöthenden, theils an die Bauchwand heftenden Pseudomembranen 
wurden, als tuberculöse diagnosticirt, obgleich die bacteriologischen 
Untersuchungen ein negatives Resultat ergaben und Impfungen 
nicht vorgenommen wurden. Aehnliches findet ja auch bei den 
fungösen Gelenkserkrankungen statt, wo der Tubcrkelbacillus nur 
selten naebgewiesen werdon kann. Diesem spärlichen Vorkommen 
des Tuberkelbacillus .ist Vortr. geneigt, den milden Verlauf 
der chronischen Miliartuberculose des Peritoneums zuzuschreiben. 
Als Ergebniß dieser Beobachtungen hebt Vortr. hervor: 1 Die 
Fälle sind durch die Operation als relati v geheilt 
anzusehen, indem die subjectiven Erscheinungen 
entweder ganz geschwunden sind oder wesentlich 
nachgelassen haben, namentlich aber, weil die r seröse 
Tran ssudation nicht wieder auftrat. 2. Die chronische 
Tuberculöse war in diesen 3 Fällen eine locale Er¬ 
krankung des Peritoneums. 

Vortr. kann die Hypothese Brkisky’s nicht acceptiren, wonach 
die Befreiung der Blutgefäße des Unterleibes vom Drucke nach Ab¬ 
leitung des serösen Transsudates die Ursache sei, daß dieses sich 
nicht wieder bildet, weil durch Entleerung des Transsudates die 
Ursache desselben, die Tuberkel, nicht eliminirt werden. Vortr. führt 
vielmehr die Heilung auf die durch Ableitung des Transsudates ge¬ 
hobene allgemeine Ernährung zurück, die den Organismus besser 
befähigt, den Kampf mit dem Bacillus zu bestehen. Diese Annahme 
wird durch eine Beobachtung Ahlfkld’s gestutzt, daß in einem 
solchen Falle die bei der Operation beobachteten linsen- bis basel¬ 
nußgroßen Knoten nicht mehr gefunden werden konnten. 

ln Bezug auf die Operation empfiehlt Vortr. blos aseptische 
Punction und Absehen von jedem auf Desinfection der Peritoneal¬ 
höhle oder auf Tödtung der Bacillen hinzielenden Verfahren. Es 
tritt trotzdem Heilung ein, namentlich zeigte sich in diesen Fällen 
keine Spur eines Recidivs des Transsudates. Das von manchen 
Operateuren geübte Bestreuen des Peritoneums mit Jodoform u. dgl. 
ist überflüssig. n. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

tOriginal-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sociötä des höpitaux. 

Sitzung vom 8. März 1890. 

Ueberpflanzung der Thyroidea. 

Prof. Lannelongue bespricht den jüngst von Horsley ge¬ 
machten Vorschlag, die Schilddrüse bei Individuen, denen man dieses 
Organ entfernen muß, durch Ueberpflanzung von Schilddrflsen- 
partikeln zu ersetzen (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 10). Er hält 
diese Ueberpflanzung der Schilddrüse nicht nur in den genannten 
Fällen, sondern überhaupt dort für angezeigt, wo es sich um 
ungenügende geistige und körperliche Entwicklung bei Individuen, 
bei denen die Schilddrüse fehlt, handelt, ln einem solchen Falle 
könnte man vielleicht das Fortschreiten der schweren Cachcxie 
hintanhalten. 

Von diesen Anschauungen ausgehend, bat Lannelokgce sich 
entschlossen, bei einem 14jährigen Mädchen, bei welchem trotz sorg¬ 
fältiger Untersuchung keine Schilddrüse gefunden werden konnte, 
und welche sämmtliche Erscheinungen des Myxödems oder der 
cretinoYden Idiotie Bournevillk’b zeigte, diese Operation vorzu¬ 
nehmen. Im Halse ließ sich die Ueberpflanzung nicht vornehmen, 
weil daselbst große myxödematöse Tumoren vorhanden waren. 

Es wird daher die seitliche Untergegend des Thorax unterhalb 
der rechten Brustdrüse gewählt. Unter allen Cautelen der Asepsis 
wurden zwei Drittel des linken Schilddrüsenlappens eines jungen 
gesunden Schafes suboutan transplantirt. Nach einer Incision wurde 


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mit einem stumpfen Spatel eine Hauttaschu präparirt, so daß jeder 
Blutverlust vermieden wurde. In diese Tasche wurde das Stück 
der Schilddrüse gebracht, nachdem dasselbe von seiner Kapsel 
herausgeschält worden, und die Wunde mit mehreren Nähten ge¬ 
schlossen. Nach 8 Tagen wurde der erste Verband gewechselt; die 
Wunde war vollständig geschlossen, von einer Eiterung oder Tempe¬ 
raturerhöhung keine Spur. 

Beim Betasten konnte man die transplantirte Schilddrüse 
genau durchfühlen. Ob das überpflanzte Stück auch in Zukunft 
eine wirklich functionirende Schilddrüse bleiben wird, und ob sie 
sich vergrößern oder ob sie einer allmäligen Resorption anheim¬ 
fallen wird, darüber muß die Zukunft lehren. 

Chauveau glaubt nicht an einen definitiven Erfolg, d. h. er 
ist der Ansicht, daß die von einem Thier herrührende Schilddrüse 
beim Menschen nicht intact und functionsfähig bleiben wird, und 
zwar aus folgendem Grunde: Bekanntlich läßt sich der Hoden des 
Schafes sehr leicht überpflanzen und kann, einmal überpflanzt, im 
Bindegewebe weiter geschoben werden, wobei er sich an der neuen 
Stelle wieder ansetzt, aber bald beginnt derselbe resorbirt zu werden 
und verschwindet schließlich ganz. Diese Resorption erklärt sich 
übrigens sehr leicht, wenn man die anatomischen Vorzüge an der 
Ueberpflanzungsstelle betrachtet; die sich bildenden Gefäßverbindungen 
sind nämlich viel zu klein und ungenügend, um ein actives Leben 
dieses Organes erhalten zu können. 

Dostre erwähnt die Ueberpflanzungen der Milz, die ebenfalls 
resorbirt wird. Indeß ist Dostre der Ansicht, daß man die Ver¬ 
gleiche nicht zu weit treiben darf, da nach neuesten Untersuchungen 
die Schilddrüse keine Blutgefäßdrüse ist und es sich daher bis¬ 
lang nicht mit Bestimmtheit über die Zukunft der transplantirten 
Schilddrüse urtheilen läßt. 

Lannei.ongue bemerkt, daß ersieh in Bezug auf die Zukunft 
seines Falles deshalb sehr reservirt ausgesprochen hat, weil ja be¬ 
kanntlich die Transplantation von thierischen Geweben auf Menschen 
sehr ungünstige Resultate liefert. 

Was indeß die Ueberpflanzung der Schilddrüse betrifft, so 
haben die Versuche von Horsley und Eisklsberg dargethan, daß 
die Thiere, denen solche Transplantationen gemacht wurden, nach 
der totalen Entfernung der Schilddrüse nicht zu Grunde gingen. 
Uebrigens hat Horsley auch beim Menschcu nach vollständiger Ent¬ 
fernung der Schilddrüse die Entstehung des Myxödems mittelst 
solcher Transplantation vom Thiere verhüten können. Schließlich 
sei noch erwähnt, daß in einem Falle Eiselsbeug die nach längerer 
Zeit anatomisch untersuchte transplantirte Schilddrüse ihre Function 
noch behalten hatte. K. 


Notizen. 


Wien, 12. April 1890. 

IX. Congreß für innere Medicin zu Wien (14—18. 4pril 1890). 

Programm. 

Montag, d*n 14. April, Ab-nds von 7 Uhr ab: 

Begrüßung im Kaiserhof, I., Magistratsstraße 4 (neben dem nenen 
Rathbause) 

Dienstag, den 15- April: 

Von 9—12 Uhr. Erste Sitznng. 

Eröffnung durch Herrn Nothnaokl (Wien). 

Die Behandlung der Empyeme. 

Referenten: Herr Immkrmann (Basel) und H-rr Schkdk (Hamburg). 
Discnssion. 

Nachmittags von H—5 Uhr. Zweite Sitzung. 

Vorträge und Demonstrationen. 

Mittwoch, den 16. April : 

Von 9—12 Uhr. Dritte Sitzung. 

Vorträge und Demonstrationen. 

Nachmittags von 3—5 Uhr. Vierte Sitznng. 

Discussiun über die Influenza, eingeleitet durch Herrn Bäumlkr 
(Freiburg). 

Vorträge und Demonstrationen. 

Abends 6 Uhr. 

Fest-Diner im Großen Mnsikvereinssaale, I., Künstlergasse 3. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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Donnerstag, den 17. April: 

Von 9—12 Uhr. Fünfte Sitznng. 

Ergänzungswablen. Wahl des Ortes für d*n nächsten Congreß. 

Die Behandlung der chronischen Nephritis, 

Referenten: Herr Senator (Berlin) und Herr v. Zikmsskn (München). 

Discussion. 

Nachmittags von 3—5 Uhr. Sechste Sitzung. 

Vorträge und Demonstrationen. 

Freitag, den 18- April. 

Vormittag voji 9—12 Uhr. Siebente Sitzung. 

Einreichung von Themata für das nächste Jahr. 

Bekanntgabe der neu aufgenommenen Mitglieder. 

Erledigung etwaiger Anträge. 

Vorträge. 

Die Sitzungen des Congresses finden im Saale der k. k. Akademie der 
Wissenschaften (I., Universitätsplatz 2) statt — Theilnehmerkarten für den 
Congreß und das Fest-Diner können am 12., 13. und 14 April, von 9 bis 
12 Uhr Vormittags, an der Klinik Nothnagel (IX., Allg. Krankenhaus), später 
im Bureau des Congresses (Hotel de France, Schottenring) behoben werden. 

* * 

* 

(Prof. Leyden’s 26 jährig es Prof es soren-Jubiläum) 
wurde, wie uns aus Berlin berichtet wird, am Ostersonntag feierlich 
begangen. Zahlreiche Schüler des berühmten Klinikers, an ihrer 
Spitze Hofrath Nothnagel aus Wien, Freunde und Verehrer 
* Leyden’s hatten sich zu der erhebenden Feier eingefunden, welche 
mit der Uebergabe der von Schaper künstlerisch ausgeführten Büste 
des Jubilars durch Nothnagel eingeleitet wurde. Mächtig wirkte 
Nothnagel’s Rede auf alle Anwesenden. In zündenden Worten hob 
er die Bedeutung Leyden’s als Gelehrter, Forscher, Arzt und 
Mensch hervor, pries dessen unerschütterte, fruchtbringende Arbeits¬ 
kraft, sowie die hervorragenden Eigenschaften des Geistes und des 
Herzens, welche den Gefeierten schmücken. Den Verdiensten, 
welche sich Leyden als Lehrer der Heilkunde erworben, ward 
Prof. Jaffä aus Königsberg, Leyden’s Zweitältester Schüler, gerecht, 
welcher die Festschrift — eine Sammlung von Beiträgen aller 
früheren Assistenten des Jubilars — überreichte. Des Weiteren 
sprachen die Vertreter des „Vereines für innere Medicin“ und anderer 
ärztlicher Vereine, sowie der Studentenschaft. Leyden’s Daukes- 
worte galten vornehmlich seinen Schülern, die stets auch seine 
Freunde waren. Seine Schule sei stets der Stolz seines Lebens ge¬ 
wesen. Der Studentenschaft rief er zu, die Erfolge, die er als 
Arzt und Lehrer errungen, habe er dem Festhalten an Goethe’s 
Wort zu danken: „Hilfreich sei der Mensch, edel und gut.“ — 
Zahlreiche Glückwünsche und Festgaben brachte der Tag; schier 
endlos war die Reihe der Freunde Leyden’s, die sein blumen¬ 
geschmücktes Heim betraten, voll Verehrung und Dankbarkeit für 
den großen Arzt, den guten Menschen. 

(Zur Anzeigepflicht der Aerzte.) Der Wiener Magi¬ 
strat fordert die praktischen Aerzte auf, in Zukunft nicht blos die 
diphtherischen, sondern auch die croupösen Formen der Halserkran¬ 
kungen (Croup im engeren Sinne) zur Anzeige zu bringen. Hiebei 
hat jedoch eine Sonderung nach beiden Formen nicht Platz zu greifen, 
sondern die Nacbweisung cumulativ, unter Diphtheritis, zu erfolgen. 

(Internationaler Sanitäts-Conseil.) Oesterreich- 
Ungarn war bisher im internationalen Sanitäts-Conseil in Constanti- 
nopel nicht durch einen ständigen Delcgirten vertreten. Mit Rücksicht 
auf die wichtigen sanitären Interessen, deren Wahrung diesem 
Fachrathe zusteht, und weil der Orient durch die dirccte Eisenbahn¬ 
verbindung wesentlich näher gerückt ist, beabsichtigt das k. und 
k. Ministerium des Aeußern, wie es beim internationalen Sanitäts- 
Conseil in Egypten bereits der Fall ist, auch für den Conseil in 
Constantinopel einen ständigen ärztlichen Delcgirten zu ernennen, 
und sind die betreffenden Verhandlungen im Zuge. 

(Aus dem Institute für allgemeine und experi¬ 
mentelle Pathologie der Wiener Universität) ist soeben 
eine Reihe werthvoller Arbeiten in einem vom Vorstande dieses 
Institutes, Prof. Stricker , herausgegebenen Hefte vereint, er¬ 
schienen. Der Herausgeber selbst publicirt in demselben das im 
Vereine mit Dr. Hrdbesch mittelst des elektrischen Mikroskops auf¬ 
genommene Photogramm eines farblosen Blutkörper¬ 
chens, ferner Studien über Elektrolyse, über das Gedanken 
stottern und über das von stud. med. Max Reiner construirte 
elektrische „E p i s k o p“ (ein elektrisches Mikroskop mit auf¬ 
fallendem Lichte). Dr. J. Pal resumirt die Ergebnisse seiner 


Untersuchungen über den Verlauf der Fibrae arcuatae externae 
anteriores und seiner Thierversuche Über den Einfluß des 
Bauchschnittes auf die Darmbewegung, welche ergaben, 
daß die Eröffnung der Bauchhöhle mit dem Messer auf den Darm 
hemmend wirkt. Dr. J. E. Berggrön bestätigt in einer experi¬ 
mentellen Arbeit über den localisirten Hydrops die von Johannes 
Müller gemachte Angabe, daß die Extremität des hungernden 
Frosches nach der Durchschneidung des N. ischiadicus hydropisch 
wird, gibt jedoch der Ansicht Raum, daß die Durohschneidung des 
Ischiadicus den durch Verlangsamung des Kreislaufes bedingten 
Hydrops erst in zweiter Reihe hervorruft. Endlich haben die beiden 
letztgenannten Autoren Versuche über die Wirkung des 
Opiums auf den Dünndarm des Hundes angestellt und ge 
funden, daß das Hemmungscentrum des Rückenmarkes für die Darm¬ 
bewegung in der Gegend des untersten Hals- und obersten Brust¬ 
markes liegt. 

(Gegen unbefugte Massage.) In einer der letzten 
Sitzungen des niederösterr. Landes Sanitätsrathes referirte Director 
Dr. Ullmann über eine Eingabe des Vereins der Aerzte im I. Be¬ 
zirke Wiens, betreffs Regelung der Ausübung der Massage. Vom 
Landes Sanitätsrathe wurde der Grundsatz ausgesprochen, daß die 
Behandlung eines Kranken mittelst Massage von Seite eines zur 
ärztlichen Praxis nicht Berechtigten als Curpfuscherei zu be¬ 
trachten sei. Deshalb wäre in den diesfälligen Verboten das Publicum 
zugleich auf die Gefahren aufmerksam zu machen, denen sich ein 
Kranker aussetzt, wenn bei gewissen Krankheiten die Massage von 
Unkundigen ohne Aufsicht, Controle und Verantwortung eines Arztes 
vorgenommen wird. 

(Personalien.) Dem Polizeibezirksarzte Dr. Ferd. Pol¬ 
lender in Wien wurde der Titel eines kais. Rathes taxfrei ver¬ 
liehen. — Der k. k. Bezirksarzt I. Classe Dr. Josef Togendhat 
in Nisko wurde auf eigenes Ansuchen in den Ruhestand versetzt, 
der Bezirksarzt II. Classe Dr. Boleslaus Serkowski in Stryj zum 
Bezirksarzte I. Classe, die Sanitätsassistenten Dr. Johann Danielski 
in Grodeck und Dr. Micieslaus Kramarzynski zu Bezirksärzten 
II. Classe, Letzterer für den Bezirk Dabrowa, ernannt, dem Bezirks¬ 
arzte Dr. L\dislaüs Czyzewicz die Uebersetzung von Dabrowa 
nach Sanok bewilligt. Zum Sanitätsassistenten wurde der Leiter 
des Bezirkskrankenhauses in Horodenka, Dr. Anton Janiszewski, 
ernannt und zur Dienstleistung dem Sanitätsdepartement der Statt¬ 
halterei zugetheilt. — Dr. Alfons Blaas in Reutte wurde zum 
Bezirksarzte I. Classe ernannt, die nachgesuchte Uebersetzung des 
Bezirksarztes Dr. Vincenz Gasser von Kufsteiu nach Bozen, des 
Dr. J. A. Lenz von Scbwaz nach Kufstein bewilligt und der Sanitäts¬ 
assistent Dr. Josef Pfurtscheller zum Bezirksarzte n. Classe in 
Schwaz ernannt. 

(VOLKMANN-Denkmal.) Ein Comit6, welchem neben 
hervorragenden deutschen Männern, an ihrer Spitze Ackermann und 
Bergmann -in Berlin, Gelehrte aller Staaten angeboren, erläßt 
soeben einen Aufruf zur Errichtung eines Denkmales für Richard 
v. Volkmann in Halle, der Stätte seines langjährigen, segensreichen 
Wirkens, welcher die Bedeutung des verewigten Hallenser Chirurgen 
würdigt: „Daß Volkmann unter den Ersten seines Faches gestanden, 
daß er erfolgreich dazu beigetragen, unserem Vaterlande einen 
Ehrenplatz in der Chirurgie zu erriugen, darf als allgemein bekannt 
gelten. In Krieg und Frieden hat er durch die völlige Durchbildung 
der antiseptischen Methode, welche er neidlos und freudig als eine 
Entdeckung des Auslandes aufnahm, Tausenden von Schwerkranken 
Heilung gebracht; durch seine hervorragende Lehrgabe und durch 
seine Schriften hat er für seine Kunst zahlreiche uud geschickte 
Jünger erzogen. Und die schöpferische Anschauung, welche die 
Wissenschaft mit neuen Gedanken füllt und über die bekannten 
Grenzen hinaushebt, war bei ihm noch in anderer Richtung thätig: 
er hat in seinen Diehtungon unserem Volke bleibende Güter ge¬ 
schaffen und mit glücklichstem Erfolge die Neubelebung von Kunst¬ 
formen gefördert, welche fast erloschen schienen. Alle Zeit war er 
in Treue seinem Könige und seinem Vaterlande, in Demuth Gott, 
in Liebe jedem Ideale zugewandt.“ — Beiträge nimmt der Schatz¬ 
meister, Comiuercienrath Dehne in Halle, sowie jedes Mitglied 
des OomiU's ontgegen, welchem von österreichischen Gelehrten die 
Hofräthe Nothnagel und Billroth angehören. 


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599 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


600 


(Statistik.) Vom 30. März bis incl. 6. April 1890 worden in den 
Civil spitälern Wiens 4768 Personen behandelt. Hievon wurden 945 
entlassen; 122 sind gestorben (ll'43°/o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkemng Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 42, egyptischer Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 5, Dysenterie 1. Blattern 6, Varicellen 57, Scharlach 39, 
Masern 270, Keuchhusten 59, Wundrothlauf 22, Wochenbettfieber 5. — In 
der 14. Jahreswoche sind in Wien 423 Personen gestorben (+6 gegen 
die Vorwoche). 


INHALT: Zum neunten Congresse ftir innere Medicin. Wien, 15. bis 
18. April 1890. — Originalton nnd klinische Vorlesungen. Ans dem 
allgemeinen Krankenhause in Lemberg. Ein Fall von acuter Chininvergiftnng 
mit scharlachähnlichem Exanthem. Von Dr. Leon Rosenbusch, Secundararzt 
der internen Abtheilung. — Die Herz- und Gefäßtöne. Von Dr. C. Scumid, 
Ordinarius des Rudolfspitales in Bruck a. M. — Pes valgus, Pes varus und 
das biologische Grundgesetz. Von Prof. Rudolf Abndt in Greifswald. — Zur 
Therapie des Schuhdruckes und dessen Folgeübel. Von Dr. Oscar Romich in 
Wien. — Referate and literarische Anzeigen. L. Brieger und Carl 
Fraenkrl: Untersuchungen über Bacteriengifte. — Aus der chirurgischen 
Klir.-'k des Prof A. Wölflkb in Graz. A. Göbl (Graz): Zur Anatomie und 
Behandlung der Hydrencephalocele. — Nothnagel : Zur Diagnose der Sehhügel¬ 
erkrankungen. — Lehrbuch der physikalischen Untersuchungsmethoden innerer 
Krankheiten. Von Dr. Hermann Eichhorst, o. ö. Professor an der Universität 
in Zürich. — Ueber die Behandlung des nachfolgenden Kopfes mit besonderer 
Berücksichtigung des MAOKicEAü’schen Handgriffes. Von Dr. C. A. Herzfeld, 
Assistent an der Klinik des Prof. C. v. Braun-Fernwald. — Zeitnngsschan. 
Bericht über die Fortschritte in der Pathologie und Therapie der Krankheiten 
des uropoetischen Systems. Ref.: Dr. H. Lohnstein , Assistent des poliklini¬ 
schen Institutes von Prof. Zuelzer zu Berlin. — Kleine Mittkeil an gen. 
Natrium nitrosum gegen Asthma. — Quebracho gegen dyspnoische Anfälle. — 
Behandlung der profasen Diarrhoen bei schweren Formen von Infectionskrank- 
heiten mit subcutanen Injectionen von Chlorodyne. — Behandlung derVarices 
mit coagulirenden Injectionen. — Wirkung des Orexins. — Die schlaf¬ 
machende Wirkung des Hypnals. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 
Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Aus den 
Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) Soci6t6 des höpitaux. — Notizen. — 
Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Vera ntwortlicher Redacteur: Dr. M, T. Schnirer. _ 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abon¬ 
nenten der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das März- 
April-Heft der „WienerKlinik“. Dasselbe enthält: 

„Trachealstenosen.“ Von Dr. Michael Grossmann in Wien. 

Der gesammten Auflage unserer heutigen Nummer liegt 
ein Prospect über die Franz Josef-Bitterquelle in Budapest hei, 
welchen wir der geneigten Beachtung unserer Leser bestens 
em pfehlen. __ 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Werksarztens-Stelle. 

Bei dem fürstlich Schwarzenberg’schen Eisenwerke zu Turrach, Ober¬ 
st eiermark (näch.-te Zahnstation Scheifling an der Rudolfsbahn), i*t die Stelle 
des Werks aTztes iu Erledigung gekommen Derselbe wird gegen eine 
Jahresbestallung von 1200 fl. in Baarem und 56 Raummeter wäichen Brenn¬ 
holzes vertragsmäßig gegen halbjährige Kündigung aulgenommen nnd genießt 
ein entsprechendes Natnralquartier. Bewerber um diesen Posten, welche 
Doctoren der Medicin und Chirurgie, sowie auch körperlich vollkommen ge¬ 
eignet sein sollen, dem bei der hohen Lage des Ortes (über 1200 Meter) 
rauheren Klima zu widerstehen, wollen ihre mit dem Nachweise des er¬ 
langten Doctorgrades verseh-nen Gesuche bei der gefertigten Direction bis 
30. April 1890 einbringen, nachdem die Stelle nach erfolgter Verleihung durch 
den l ohen Besitzer ehestens, längsten bis 31. Mai a. c., angetreten werden 
soll. Nähere Auskunft ertheilt die gefertigte Direction. 

Vordernberg in Steiermaik, am 31. März 1890. 578 

Für s 11. S c h w a rze nb er g'sche Werks-Güterdirection Vordernberg. 

Ein zahnärztliches Atelier anf b?stem Platze ist um 

3300 fl., vollkommen eingerichtet, sogleich zu verkaufen. Gef. Offerten werden 
unter Chiffre .Zahnärztliches Atelier“ zur Weiterbeförderung an die Admini¬ 
stration der „Wiener Mediz. Presse“, Wien, I., Maximilianstraße 4, 
erbeten. 579 

Es wird hiemit zur Eenntniss der Interessenten gebraoht, 

daß im Bezirke Bjelina (Bosnien) der Posten eines Bezirksthierarztes mit 
einem jährlichen Gehalte von 1200 fl. zu besetzen ist. Die Competenten auf diesen 
Posten haben ihre diesbezüglichen Gesuche, instruirt mit ihren Befähigungs- 
documenten und etwaigen anderen Zeugnissen, welche deren Tüchtigkeit im 
Veterinärdienste zu - bestätigen geeignet sind, längstens bis 15. April 1. J. 
dem Bezirksamte Bjelina einzureichen, da später einlangende Gesuche nicht 
berücksichtigt werden können. Außer den Fachkenntnissen wird die Kenntniß 
einer der blavischen Sprachen bedingt. 

Bjelina, am 26. Februar 1890. 551 

Das Bezirksamt. 


Stadt- nnd Schlossarztes-, eventuell Distrietsarztessteile 

in Rosenberg im südlichen Böhmen. Diese Stelle ist zu besetzen und wird 
hiemit der Concurs bis 25. April 1. J. ausgeschrieben. Das jährliche fixe Ein¬ 
kommen beträgt: 1. Von der Stadtgemeinde Rosenberg eine jährliche Remune¬ 
ration von 150 fl. für die Fleischbeschau, unentgeltliche Behandlung der 
Stadtarmen und Verabreichung der nöthigen Medicamente an diese im Er¬ 
krankungsfalle. 2. von der gräflich v. Buquoy’schen Herrschaft für Rosenberg 
ein Pauschale pro 250 fl. jährlich für unentgeltliche Behandlung der herr¬ 
schaftlichen Beamten und Diener und deren Familien in Rosenberg und Möd- 
litzhof. Medicamente werden von den betreffenden Bediensteten selbst, für das 
BJödlitz-Meierhofgesinde aus den Herrschaftsrenten bezahlt. 3. Vom Bezirke 
Hohenfurth sind dem neu zu creirenden Districtsarzte für Rosenberg außer einem 
Dienstreisepauschale von 10 fl. pro 20 Kilometer im Districtsrayon, in welchem 
5 Gemeinden mit 4100 Seelen sich befinden, jährlich noch 400 fl. gesetzlich in 
Aussicht gestellt. Durch die Vornahme der Todtenbeschau, der Impfhng im 
Districtsbezirke, dann bei dem.Umstande, daß 3 Nachbargemeinden (Rosenthal, 
Malschin, Unterhaid), jede mit circa 2000 Seelen, ohne Arzt sind, die Haltung 
einer eigenen Hausapotheke, und durch die ausübende Praxis, dürfte dieser 
Posten ein sehr einträglicher werden. Dieser Posten kann nach Ablauf der 
obigen Frist nach Ratification sogleich angeireten werden. Doctoren der ge¬ 
sammten Heilkunde erhalten den Vorzug. Gesuche, mit den nöthigen Nach¬ 
weisen über Befähigung, Alter, bisherige Praxis otc. versehen, wollen bis 
längstens 25. April 1890 an das Bürgermeisteramt in Rosenberg, Bezirk 
Knplitz, Böhmen, eingesendet werden. Allfällige Auskünfte werden bereit¬ 
willigst ertheilt. 

Bürgermeisteramt Rosenberg, am 23. März 1890. 554 

Johann Stifter, Bürgermeister. 


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Reiniger, Gebbert & Schall, 

Erlangen, 

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werden auf der Ausstellung d. intern. Congresses f. inn. 
Medicin z. Wien v. 15.—18. April eine Collection elektr. 
medicin. Apparate ausstellen und persönlich vertreten sein. 



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Nr. 16. 


Sonntag den 20. April 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die «Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezn eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage. aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die «Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnemente- und Insertions- 
anfträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: «Mediz. Presse“ und «Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche B-eich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., vierteil. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk„ halbj. 12 Mrk. «Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Mau abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mealz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--Ql©-- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Der 

neunte Congress für innere Medicin. 

Gehalten zu Wien, 15. — 18. April 1890. 


Eröffnungsrede 

des Präsidenten, Hofrath Prof. Nothnagel. 

Meine hochgeehrten Herren Collegen! 

Herzlich heiße ich Sie alle willkommen, die treuen, ge¬ 
wohnten Mitglieder unserer Versammlung, wie die neuen Freunde 
derselben. Freudigen Dank spreche ich Ihnen aus, daß Sie 
anstatt der anmuthigen Bäderstadt im Rheingau dieses Mal die 
alte Culturmetropole im Osten als Sitz für unseren Congreß 
gewählt haben. In warmer Empfindung rufe ich Ihnen beim 
Beginne unserer Arbeit den alten akademischen Weihegruß zu. 

Meine Herren! Durch die Munificenz der kaiserl. 
Akademie der Wissenschaften ist es dem IX. Congreß für 
innere Medicin vergönnt, an einer Stelle zu tagen, welche 
gerade in uns, den Vertretern der inneren Medicin, hochge¬ 
stimmte und besonders dankbare Erinnerungen erwecken muß. 
Die große Vorfahrin des erhabenen Monarchen, dessen Huld 
jetzt Wissenschaft und Kunst in Oesterreich-Ungarn schützt, 
hat dereinst dieses Gebäude der Universität als Heim errichtet. 
Angeregt wurde der Kaiserin Maria Theresia der Gedanke 
dazu durch ihren Rathgeber in wissenschaftlichen Dingen, den 
Mann, welchen wir mit gerechtem Stolze den Unseren nennen, 
den als Arzt und Charakter gleich ausgezeichneten Gebhabd 
van Swietrn. Ihm, wir wissen es, verdanken wir die Einführung 
der in ihren Grundzügen noch heute gütigen Methode des 
klinischen Lehrens an den deutschen Hochschulen: Hier in Wien 
wurde auf van Swieten’s Anregung die erste innere Klinik in 
deutschen Landen gehalten. Und seit ihm hier welche Reihe 
stolzer Namen, welche strahlende Vertretung der inneren 
Medicin! Der feurige, geistvolle de Haen, der gefeierte glänzende 
Maximilian Stoll ; Peteb Fbank mit gründlicher Vielseitigkeit, 
Valentin van Hildgnbband mit treuer, schlichter Beobachtung. 
Und dann später der energische, durchdringende Naturforscher 
Skoda, der ärztliche Künstler Oppolzeb, der hochbegabte, 
pfadfindende Töbck, bis zu dem, welchen wir alle noch beklagen, 
der feinsinnige klardenkende Bambebgeb. 

Ein guter geeigneter Boden mußte es sein, auf welchem 
eine solche Reihe hochragender Kliniker gedeihen konnte. 
Geschaffen hat denselben vor Allem der kaiserliche Menschen¬ 
freund, welcher das Saluti et Solatio Aegrotorum über 
seine humane Schöpfung setzen ließ, welchen derselbe ideale 
Schwung, dieselbe Begeisterung für alles rein Menschliche 
erfüllte, wie seinen späten Nachkommen, aus dessen hochge¬ 


sinntem Herzen, in der Form der heutigen Zeit, aber im Geiste 
Josefs das Wort erklang, welches zu unserem tiefen Schmerze 
wir heute nur noch als ein weihevolles Vermächtniß bewahren 
können: „Das kostbarste Capital der Staaten und der Gesell¬ 
schaft ist der Mensch.“ 

Meine Herren! Die Möglichkeit, in hundert- und tausend¬ 
fach wechselnden Erscheinungen an einem großen wissen¬ 
schaftlichen Material die pathologischen Vorgänge studiren, 
immer wieder schöpfen zu können aus dem überreich strömenden 
Borne der directen Beobachtung am Krankenbette, das hat 
die blühende Entwickelung der praktischen klinischen Medicin 
hier bedingt. Das aber gibt uns auch den Fingerzeig, wo der 
eigentliche Nährboden für die innere Medicin zu suchen sei. 

Auf diesen Boden hat der erste Präsident dieses Con- 
gresses die innere Medicin verwiesen, ihre Aufgaben hat er 
mit Meisterhand gezeichnet. Lichtvoll und gedankenreich haben 
dann meine anderen Vorgänger in diesem ehrenvollen Amte 
Umschau gehalten über den Besitz in unserem Gebiete. Betont 
ist worden, daß wir nicht nur eine Wissenschaft, sondern 
auch eine Kunst üben. Erinnert wurde an das hohe Ziel 
unseres Berufes, welches auch zugleich der Ausgangspunkt 
für seine Entstehung gewesen ist, sein Wesen büdet, daß wir 
Kranke heüen, Krankheiten verhüten und beseitigen, Schmerz 
und Leid lindem sollen. 

Meine Herren! Verlockend und lohnend zugleich erscheint 
es, dem Entwicklungsgänge nachzugehen, welchen die Medicin 
in einer mehr denn 2000jährigen Geschichte durchgemacht 
hat, um dieser ihrer eigentlichen Bestimmung, einer leistungs¬ 
fähigen Therapie, näher zu kommen. Nicht blos ein historisches 
Interesse kann dazu bewegen. Viel mehr noch treibt der Wunsch 
zu lernen, auf welchen Bahnen unsere Wissenschaften wirk¬ 
liche Fortschritte ihrem Endziele zu gethan hat; zu erkennen, 
welche Methode geistiger Arbeit uns wahrhaft vorwärts ge¬ 
bracht hat; zu prüfen, ob wir gegenwärtig in den richtigen 
Wegen wandeln; zu fragen, ob nicht etwa andere eingeschlagen 
werden müssen. Ja, über den Kreis unserer Wissenschaft 
hinaus ließen sich dabei vielleicht Ergebnisse von ganz allge¬ 
meinem Interesse gewinnen, welche auch für andere Gebiete 
des Culturfortschrittes Bedeutung hätten. Denn an dem concreten 
Beispiele der Medicin würden sie zeigen, welche Methoden 
intellectueller Thätigkeit angewendet werden müssen, um 
praktisch humane Aufgaben erfolgreich zu lösen. 

Gelegenheit und Zeit machen ein vertieftes Eingehen auf 
diese überaus interessanten Fragen unmöglich. Gestatten Sie 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


612 


mir jedoch, in wenigen skizzenhaften Umrissen nur anzudeuten, 
in welcher Weise unsere innere Medicin in langer Arbeit auf 
dem Wege zu ihrem Ziele: Krankheitsverhütung und Heilung, 
fortgeschritten ist, welche Beziehungen bei ihr zwischen wissen¬ 
schaftlicher Erkenntniß und praktischem Können • bestehen. 

* * 

* 

Eine Forderung, welche selbst der durchbohrende Geist 
eines Baco noch an die Medicin stellte, die nämlich, ganz 
allgemein das normale menschliche Leben zu verlängern, ist 
einfach unerfüllbar und wird es immer bleiben. Denn die indi¬ 
viduelle Lebensdauer ist eine angeborene, immanente Eigenschaft 
jedes einzelnen Organismus derart, daß derselbe nach einer 
bestimmten Zeit zu functioniren aufhören muß. 

Für die Erhaltung der Gesundheit jedoch, wenn dabei 
von ganz allgemeinen, von jeher bekannten hygienischen Ma߬ 
regeln abgesehen wird, und wenn damit die Verhütung be¬ 
stimmter Erkrankungen gemeint ist, hat die Medicin durch 
Jahrtausende so gut wie nichts gethan. Erst die neue und 
neueste Zeit ist an die Lösung dieser Aufgabe gegangen. Und 
zwar sind, abgesehen von Einzelheiten, wie Jenner’s unsterbliche 
That, welche durch schlichteste, aber zugleich treueste Beob¬ 
achtung geschah, die wesentlichen Fortschritte der Prophylaxe 
sämmtlich erst in den letzten Decennien auf Grund exacter 
Erweiterungen der Kenntnisse bezüglich der pathologischen 
Vorgänge erfolgt. 

Der ferneren Anforderung an unsere Kunst, physisches 
Leid zu lindern, die Qual des Schmerzes zu lösen, konnte 
die ältere Medicin nur unbeholfen und ungenügend nach- 
kommen. Bedarf es einer Ausführung, wie ungleich reicher wir 
gegenwärtig, Dank der Chemie und dem Experiment, seit wenigen 
Jahrzehnten mit Hilfsmitteln für diese Zwecke ausgerüstet sind? 

Und das, was man als die eigentliche Aufgabe der 
Medicin ansieht, die Kunst, Krankheiten zu heilen, wie steht es 
mit der Entwickelung dieser? 

Alle Krankenbehandlung ging ursprünglich von der ein¬ 
fachsten klinischen Beobachtung aus, von derjenigen, welche 
die äußeren Symptome für das Wesen des Zustandes nahm, 
und demgemäß auch nur diese Symptome als Objecte einer 
Behandlung ansehen konnte, für deren Durchführung außerdem 
nur ungenügende Mittel zur Verfügung standen. Keinerlei 
Einblick existirte in das Wesen der pathologischen Vorgänge, 
keinerlei Vorstellung von der Wirkungsweise der Mittel und 
Heilverfahren. Dies war im Wesentlichen der Zustand der 
Therapie zwei Jahrtausende hindurch von der hippokratischen 
Medicin bis in die Neuzeit. Als dann nach langer wissenschaft¬ 
licher Nacht die erste Dämmerung anbrach, die großen Ana¬ 
tomen des sechszehnten und siebzehnten Jahrhundertes ent¬ 
standen , Harvey den ersten Anfang einer Physiologie schuf, 
hätte man vielleicht einen Fortschritt auch der Therapie erwar¬ 
ten sollen. Aber nur abenteuerliche Theorien und Systeme der 
Pathologie schossen auf, die zu den wildesten therapeutischen 
Speculationen führten. Und auch, als die symptomatische Krank- 
heitsbeschreibung durch einzelne große und nüchterne Beob¬ 
achter, Sydenham und Morton, Bokhhave und van Swietkn, 
Stoll und Peter Frank und andere Männer, weitere, nicht 
zu unterschätzende Fortschritte machte, entwickelte sich die 
Behandlung keineswegs in entsprechender Weise. Freilich hat¬ 
ten einzelne Aerzte gesunde Anschauungen über manche Punkte. 
Den diätetischen Maßnahmen, der Bedeutung von Luft und 
Licht, der Wichtigkeit der Ernährung wurde ausnahmsweise 
mehr Rechnung getragen. Ja, einzelne, nennenswerthe Errungen¬ 
schaften und selbst bedeutende Bereicherungen der Heilmittel¬ 
lehre sind zu verzeichnen. Aber im Grunde kam die Therapie 
bis in den Anfang dieses Jahrhundertes nicht über den alten 
hippokratischen Standpunkt hinaus. 

Und dies war auch nicht anders möglich, denn mit der 
Ausbildung der makroskopischen Anatomie, mit dem ersten 
Erwachen der Physiologie durch Harvey, Borelli. Haller, 
mit der fortschreitenden Anhäufung des blos descriptiven klini¬ 


schen Wissens war ja noch keinerlei Einblick in das Wesen 
und den Zusammenhang der krankhaften Zustände gegeben. 
Dazu kam, daß selbst der gute Inhalt mancher aufgestellten 
Heilverfahren entweder von der Schule nicht erkannt und 
hochmüthig abgewiesen, oder umgekehrt bis zum mißbräuch¬ 
lichsten Uebermaß benützt wurde. So, um. nur auf einige Bei¬ 
spiele hinzuweisen, wurde die für viele Zustände so hochwich¬ 
tige erregende Behandlung als Ausfluß des Brownianisnnis zu 
einer Geißel, weil sie nicht auf dem Boden inductiver Erkennt¬ 
niß erwuchs, sondern in blinder Consequenz eines speculativen 
Systems angewendet wurde; die heute so werthvolle und 
wissenschaftlich entwickelte Hydrotherapie wurde in der Hand 
von Laien ohne Wahl und Maß . benützt. 

Erinnern wir uns nur, welche therapeutischen Systeme 
noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entstehen und 
viele Aerzte einnehmen konnten, um zu ermessen, wie dürftig 
es um die wissenschaftliche Krankenbehandlung bestellt war. 
Lavoisier, Bichat, selbst Laennec hatten schon gelebt, die 
interne Therapie im Ganzen war aber immer dieselbe geblieben. 

Ganz neue Bahnen mußten beschritten werden. 

Die Medicin mußte aus einer blos descriptiven, mit halt¬ 
losen Speculationen überladenen Disciplin in eine wahre, mit 
den Methoden der echten Naturforschung arbeitende Wissen¬ 
schaft umgewandelt werden, um bei der Behandlung der inneren 
Krankheiten die mehrtausendjährige Stagnation überwinden 
zu können. Erst als die Physiologie und die pathologische 
Anatomie erblühten, als sie in gewaltigem Schwünge die Medi¬ 
cin vorwärts trugen und uns Einsicht verschafften in das Wesen 
und Werden der krankhaften Störungen; erst als die Physik 
und die Chemie, das Thierexperiment, die pathologische Histo¬ 
logie die festen Anhaltspunkte schufen, von denen aus die 
Klinik ihre Beobachtungen leiten konnte, da erst begann auch 
eine wissenschaftliche Behandlung. 

Wie aber führte das Eingreifen dieser Erkenntniß- 
methoden zu einem solchen Umschwünge in der Therapie? 

Nicht der Umstand allem war hier maßgebend, daß der 
Drang nach Thatsachen die geschwätzige, inhaltlose Phrase 
verdrängte. Das entscheidende Moment war vielmehr in dem 
auf sämmtlichen Gebieten geistiger Thätigkeit wahrnehmbaren 
Gesetz gelegen, daß wir alle Vorgänge in demselben Maße 
mehr beherrschen, als wir sie mehr erkennen. 

Eine rege frische Entwicklung fing an, war überhaupt 
erst möglich für die Therapie, als jene großen Vorarbeiten die 
Bahnen eröffnet hatten. Man begann jetzt den alten Besitz von 
diesen neuen Gesichtspunkten aus auf seine Brauchbarkeit hin 
zu prüfen. Die Medicamente und chemischen Stoffe wurden 
exact untersucht, der große Apparat der physikalischen Heil¬ 
mittel, Hydrotherapie und Elektricität und die mechanischen 
Methoden wurden durchforscht und einbezogen. Der Diätetik 
im weitesten Sinne wurde die ihr zukommende Stelle gegeben. 
Die Punkte und Gebiete wurden abgesteckt, auf denen die 
Chirurgie und die innere Medicin sich die Hand reichen. Und 
vor Allem den natürlichen Ablauf der pathologischen Processe 
und die durch den Organismus selbst geschehende Ausgleichung 
derselben lernte man verstehen, ihnen im ärztlichen Handeln 
sich anzuschmiegen. Die wissenschaftliche Therapie steht 
gegenwärtig inmitten dieser Bewegung und gerade auch die 
beiden Themata, welche dieses Mal auf unserem Congresse zur 
Verhandlung kommen, werden von dem Charakter derselben 
Zeugniß ablegen. 

Freilich sind wir noch weit, weit ab von dem schönen 
und herrlichen Ziele. Freilich hat es sich im Laufe der letzten 
Decennien im Gegensätze zu früheren Jahrhunderten gelegent¬ 
lich sogar ereignet, daß die Klinik über einer Forschungs¬ 
methode zeitweilig einmal ihre eigentliche Aufgabe etwas aus 
den Augen verlor; daß ein neuer wissenschaftlicher AVeg 
zauberhaft die Geister lockte und die Behandlung durch die 
Untersuchung in den Hintergrund gedrängt wurde; daß man 
über dem kranken Organ den Gesammtorganismus, über der 
Krankheit den Menschen übersah. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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Heute aber brauchen wir wohl nicht mehr zu fürchten, 
daß irgend eine besondere Forschungsmethode die Klinik aus 
ihrer festen Bahn bringen wird. Wie schnell hat sie das neueste 
Specialfaeh, die Bacteriologie, in sich aufgenommen, dankbar 
und voll hoher Anerkennung, aber doch mit der sofortigen 
Beugung für ihre Aufgaben und Zwecke. So ist auch nicht 
zu besorgen, daß die moderne Entwicklung der Pharmako¬ 
logie, die fast zu einer Entfremdung von der Klinik zu führen 
droht, dieser letzteren irgend einen Nachtheil bringt. Die Ver¬ 
tiefung jedes Einzelfaches ist immer zuletzt doch noch der 
Aufgabe der Klinik zum Nutzen gewesen. 

Die Geschichte vielfacher Verirrungen ist der inneren 
Medicin eine harte, aber eine, wir wollen hoffen, gehörte und 
verstandene Lehrmeisterin geworden. Sie weiß, welches ihre 
idealen, humanen Ziele sind; sie vergißt nicht mehr, daß für 
die praktische Heilkunde das Erkennen nicht Selbstzweck ist 
— aber sie ist auch durchdrungen davon, weil sie es aus dem 
Gegensätze eines traurigen zweitausendjährigen Stillstandes 
einerseits und aus dem lebenssprudelnden Aufschwünge weniger 
Decennien andererseits gelernt hat, daß nur die wissenschaftliche 
Erkenntniß mit Benutzung aller theoretischen Hilfsmittel 
ihrem eigentlichen Ziele sie näher bringt. 

Aber ist — ich spreche selbstverständlich nicht von den 
zu erstrebenden Resultaten, denn hier klaffen die Lücken noch 
tausendfältig — ist auch die Methodik unseres wissenschaft¬ 
lichen Arbeitens gegenwärtig wirklich auf den richtigen 
Bahnen zum Ziele hin? Nun, m. H. ! bei strengster Prüfung 
dürfen wir wohl sagen, daß, entsprechend den heute überhaupt 
möglichen Arten der Denkprocesse, im Großen und Ganzen sie 
es sei. Jahrtausende lang suchte die Medicin, unbekümmert 
um wissenschaftliche Erkenntniß, nur das Können, allein und 
unmittelbar nur dieses. Ihr Vorgehen dabei war lange Zeit 
hindurch, ausschließlich auf Grund der Berücksichtigung äußerer 
Symptome zu handeln. Später wollte sie die Natur in Systeme 
pressen, die deductiv aufgestellt waren. Beide Wege brachten 
nicht vorwärts. Man wollte handeln ohne zu kennen, die Natur 
beeinflussen und beherrschen, ohne in ihre Vorgänge einge¬ 
drungen zu sein. Erst seitdem die Medicin den Weg der In- 
duction betreten, in Baco’s Sinne Beobachtung und Experiment 
vereint zum Zwecke der Erkenntniß angewendet hat, seitdem 
erst ist sie im Stande gewesen, auch praktische glänzende 
Ergebnisse zu erringen. 

Ob nicht einst ein neuer großartiger Geist der Methodik 
unseres Denkens unserer Forschung noch wieder ganz andere 
Bahnen anweisen wird, wer will sich vermessen, das zu 
sagen? Vor der Hand indessen müssen wir uns begnügen, 
unter Einsetzung aller Kraft mit den heutigen Erkenntniß- 
methoden zu arbeiten. 

Die Geschichte lehrt: für die Medicin führt der Weg 
zum Können nur durch das Kennen — beide aber sollen 
getragen sein von. höchster sittlicher, von echt menschlicher 
Gesinnung. 


Die Behandlung der Empyeme. 

Prof. Immermann (Basel), Referent, stellt folgende drei 
Hauptindicatiunen für die Therapie der Empyeme auf: 

1. den vorhandenen Eiter zu entfernen, 

2. die 'Wiederansammlung desselben zu verhüteu, 

3. das normale, anatomische, wie physiologische Verhalten des 
respiratorischen Apparates so direct und so vollständig als möglich 
wieder herzustellen. 

Von diesen drei Indicationen erfordert nun aber schon die 
e r 81 e an und für sich in der Regel ein operatives Vorgehen. 

Spontanresorption findet zwar auch unter Umständen statt und 
ist bei metapneumonischen Empyemen, wenn sie nur Pneumo- 
coccen enthalten, sogar häufig. Sobald hingegen andere Mikroorganismen 
pyogener Natur (Streptococcen, Stapbylococcen, Tuberkelbacillen) an 
der Erzeugung des Empyems die Schuld tragen oder mitbetheiligt 


sind, ist wegen der Lebenszähigkeit dieser übrigen Eitererreger auf 
Spontanresorption kaum zu rechnen. Daher der progressive Charakter 
der allermeisten Empyeme, welcher im Allgemeinen ein actives Ein¬ 
schreiten nothwendig macht. 

Innere, sogenannte resorptionsbefördernde Mittel haben sich bei 
dieser Art von Empyemen als völlig unzureichend erwiesen ; die spontane 
Abkapselung des Eiters ist ein sehr seltenes Ereigniß und der 
spontane Durchbruch dos Empyems nach irgend welcher Seite hin 
kann unberechenbare Folgen haben. Da er dein Leben des Kranken 
unter Umständen direct bedrohlich werden kanu, soll er besser auch 
nicht abgewartet werden. Es ist darum, von reinen Pneumococcen- 
erapyemen abgesehen, bei denen man zunächst exspectativ sich 
verhalten darf, eine operative Entfernung des Eiters für alle 
übrigen Empyemformen das einzig zweckentsprechende Mittel. Um 
ferner bei vorhandenem Pleuraexsudate sicher zu sein, ob ein 
Empyem vorliegt oder nicht, und um in letzterem Falle die 
bacteriologische Species desselben genauer kennen zu lernen, ist von 
der Explorativpunction ein möglichst umfassender Gebrauch zu 
machen, die, antiseptisch ausgeführt, ein durchaus unbedenklicher 
Eingriff ist. 

Es gilt aber nicht allein, den vorhandenen Eiter zu entfernen, 
sondern auch zweitens die Wiederansammlung zu ver¬ 
hindern. Letztere droht jedesmal, so oft mit Eiterresten auch 
lebende Eitererreger Zurückbleiben, ein Fall, der aber gewöhnlich 
zutrifft. Es kommen deshalb für die operative Behandlung der Empyeme 
wesentlich nur solche Methoden in Frage, die auch eine regel¬ 
mäßige und vollständige Entfernung der Eiterreste und der Eiter¬ 
nachschübe ermöglichen. 

Die Erfüllung der dritten Indication (directe und voll¬ 
ständige Wiederherstellung der normalen respiratorischen Verhält¬ 
nisse) bleibt häufig ein frommer Wunsch. Zunächst natürlich da, 
wo irreparable Erkrankung der Lunge (Phthise) neben dem Empyeme 
besteht, ferner bei perforativem Pneumopyothorax, endlich auch be- 
veralteten und vernachlässigten Empyemen allein, wenn die Lunge 
wenig ausdehnbar oder fester adhärent geworden ist. In allen 
solchen Fällen wird man sich besten Falls mit einer relativen 
Heilung oder Herstellung mit Defect begnügen müssen, und oftmals 
müssen unter solchen Umständen relativ geringe therapeutische 
Effecte noch erst durch erhebliche operative Eingriffe theuer erkauft 
werden. Es gilt darum in jedem Falle, die Grenzen des thera¬ 
peutisch Erreichbaren im Voraus approximativ festzustellen, Einsatz 
und möglichen Erfolg sorgsam zu vergleichen und hienach den 
Curplan einzuriebten. Fällt das Resultat der Rechnung sehr ungünstig 
aus, so ist es besser, den Kranken zu schonen und sich mit pallia¬ 
tiven Maßregeln zu begnügen. 

In einfachen und frischen Fällen hat man dagegen sehr ent¬ 
schieden die Herstellung unter möglichster Wahrung des noch er¬ 
haltenen anatomischen Bestandes und der noch erhaltenen physiolo¬ 
gischen Heilpotenzen zu erstreben, und es erscheint zunächst 
a priori nicht angemessen, die Cur immer sofort mit einer ausge¬ 
dehnteren Mutilation der noch intacton Brustwaudung und mit der 
Erzeugung eines artificiellen Pneumothorax ohne jede Schonung zu 
beginnen. Solche große chirurgische Eingriffe sollten vielmehr nur 
für die schwierigsten Fälle, als unliebsamer Nothbehelf, reservirt 
bleiben, denn Eines schickt sich nicht für Alle. 

Referent bespricht dann kurz die einzelnen gebräuchlicheren 
Methoden der Empyembehandlung und versucht zu zeigen, inwie¬ 
weit sie den gestellten Indicationen entsprechen oder nicht. Zunächst 
die einfache (beziehungsweise aspiratorische) P u n c t i o n oder 
Thorakocenteso. Ihre Anwendung als curative Methode 
kommt für die heutige Behandlung des Empyemes kaum noch in 
Frage, da es nicht gelingt, selbst bei wiederholter Vornahme, die 
Eitererreger auf diesem Wege aus dem Thorax völlig herauszu¬ 
befördern und Wiederansammlung darum die Regel ist. Nur bei 
reinen Pnenmococcenempyemen, die nicht mehr wachsen, verspricht 
diese Methode mehr als palliative Erfolge, doch zeigen die näm¬ 
lichen Fälle auch große Neigung zur Spontanresorption und machen 
damit wohl meist die Punction überflüssig. Dagegen darf die 

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periodisch wiederholte einfache Thorakocentese za palliativen 
Zwecken beibebalten werden in desparaten Fällen, die ein radicaleres 
Vorgehen nicht mehr gestatten. 

Durch nachfolgende Irrigation mit desinficirenden Flüssig¬ 
keiten hat man den Erfolg der Punction zu sichern versucht (Baelz 
und Kashimura u. A.), jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Die 
Desinfection der Pleurahöhle mißlingt meist und muß auch im Allge¬ 
meinen mißlingen, weil gewöhnlich im pleuralen Gewebe selbst zahl¬ 
reiche Eitererreger lebend Zurückbleiben und ihr Spiel alsbald von 
Neuem beginnen. 

Rationeller erscheint die Perrigation der Pleurahöhle 
mittelst zweier diametral (von unten und hinten oben) gemachter 
Punctionsöffnungen und eingelegter verschließbarer Dauercanülen 
(Michael). Diese Methode gestattet tägliche Durchspülung des 
Thoraxraumes und damit auch, ohne daß ein Pneumothorax entsteht, 
ausgiebige Entfernung des nacbgebildeten Eiters. Zwei größere 
Empyeme von längerem Bestände bei Kindern heilten auf diese Weise 
in auffallend kurzer Zeit (14 Tagen). 

Die permanente Fortschaffung der Eiternachschübe bildet auch 
die leitende Idee bei der sogenannten Radicalmethode der 
Empyembehandlung, deren verschiedene Modifieationen das Eine mit 
einander gemein haben, daß mindestens an einer Stelle der Thorax 
breiter eröffnet und eine äußere Brust Intel angelegt wird, die so 
lange offen zu bleiben hat, bis die Ausheilung erfolgt ist. Seit der 
allgemeinen Einbürgerung dieses Verfahrens hat sich die Prognose 
der einfachen Fälle außerordentlich gebessert; die Letalität für sie 
beträgt gegenwärtig nur noch etwa 1 / 4 — 1 / 6 der früheren, sehr 
hohen Letalität des Empyems überhaupt (80°/ 0 ). Selbst jauchige 
Empyeme sind bis jetzt bei diesem Verfahren längst nicht mehr so 
bedenklich als früher, und die Gefahr des Empyems hängt augen¬ 
blicklich weit mehr von etwaigen Grundleiden und Complicationen 
ab, als von ihm selber. 

Referent gibt nunmehr eine ganz kurze historische Skizze von 
der Ausbildung der Radicalmethode, deren höchst beaohtenswerthe 
Anfänge sich auf Hippokrates und die Asklepiaden zurttokführen 
lassen. Die jetzt vornehmlich geübte Technik auch bei einfacheren 
und frischeren Fällen ist die von König empfohlene: Eröffnung 
vorn oder hinten seitlich am Thorax mit subperiostaler Resection 
eines Rippenstückes, Säuberung der Pleurahöhle von den Gerinnseln, 
Drainage und antiseptische Nachspülungen nur bei Stagnationen 
des Eiters, welch letztere indessen doch meist nicht ganz zu um¬ 
gehen sind, da ein vollständiger, spontaner Abfluß der Eiternaoh- 
schübe auf diesem Wege in der Regel doch nicht ermöglicht wird. 

Um die Nachspülungen ganz überflüssig zu machen, welche 
nicht nur belästigend, sondern auch hinderlich für die Ausheilung 
wirken, ja sogar durch Zurücktreiben der Eitererreger in das er¬ 
krankte Gewebe direct bedenklich erscheinen müssen, empfiehlt neuestens 
Küster wiederholt bei kleineren, abgesackten Empyemen das Aus¬ 
stopfen der Höhle mit Jodoformmull, bei empfänglicheren Empyemen 
dagegen den Doppelschnitt (vorn und hinten an möglichst 
tiefer Stelle, dicht am Zwerchfelle) mit hinterer aus¬ 
giebiger Rippenresection und nachfolgender totaler (querer) Drainage 
des ganzen Brustraumes. Die statistischen Ergebnisse bei letzterem 
Verfahren sind ausnehmend günstige (76'8 °/ 0 Herstellungen und nur 
14‘3°/ 0 Todesfälle bei nicht complicirtcn Empyemen jüngeren und 
älteren Datums). Interessannt ist, daß bereits Hippokrates und die 
Asklepiaden auf den tiefsten Punkt zur Anlegung der Oeffnung 
für den Eiterabfluß Werth legten und hienach handelten. 

So glänzend nun aber auch diese Erfolge des Radicalverfahrene 
zweifellos sind, so wird durch dasselbe dennoch nicht eine correcte 
Heilung (im anatomisch-physiologischen Sinne) des Empyems herbei¬ 
geführt. Die Ausheilung erfolgt vor Allem nicht durch natürliche 
Wiederentfaltung der Lunge, sondern durch feste, allseitige Obliteration 
des Pleuraraumes , bei welcher jene ihre normale Verschieblichkeit 
total einbüßt, ferner durch compensatorische Einziehung des Thorax 
mit Difformität, endlich unter ausgedehnter Narbenbildung in den 
Weichtheilen und mit Defecten in der knöchernen Brustwand. Sehr 
irrationell bei der offenen Behandlung der Empyeme ist namentlich 
die Schaffung eines Pneumothorax, als Zwischengliedes, da durch 
ihn an Stelle eines negativen Druckes im Brustranme, der der 


natürlichen Expansion der Lunge zu Hilfe käme, ein sehr schäd¬ 
licher positiver gesetzt wird. Diesen großen Uebelstand um¬ 
geht nun in geschickter Weise die jetzt nach Bülau benannte Me¬ 
thode der permanenten Aspirationsdrainage, auf 
welche Referent zum Schlüsse noch etwas näher eingeht. 

Das physikalische Princip dieser Methode, die außer in Ham¬ 
burg, auch neuerdings noch in Basel, Berlin und Graz*) mit Erfolg 
versucht wurde, ist der Heber; ihre Ausführung geschieht durch 
luftdichte Einführung eines längeren elastischen Drains in den 
Thorax unter Leitung der Canüle eines seitlich an abhängiger Stelle 
eingestoßenen dickeren Troicars. Die Canüle wird hernach über 
das Drainende hinweg wieder aus der Thoraxwand entfernt, das 
Drainrohr selbst aber bleibt liegen und wird äußerlich mit einem 
längeren Schlauche verbunden, der am Boden in ein Gefäß mit 
desinficirender Sperrflüssigkeit tauebt. Durch den so in’s Werk ge¬ 
setzten Heber werden nun sowohl zunächst die angesammelten Eiter¬ 
mengen, wie später auch die Eiternachschübe conti nuirlich aus dem 
Thorax herausgesogen, während gleichzeitig eine Wiederausdehnung 
der Lunge unter negativem Drucke, also in durchaus natür¬ 
licher Weise, zu Stande kommt. Ist die Lunge noch vollkommen 
und leicht ausdehnbar (bei frischen Empyemen), so genügt die 
Heberwirkuug allein; andernfalls kann letztere durch weitere Aspi¬ 
rationsvorrichtungen unten am Schlauche (Flasche, Saugspritze) zeit¬ 
weilig oder dauernd verstärkt werden, was namentlich auch noch 
bei dickflüssiger Beschaffenheit des Eiters sich vortheilhaft erweist. 
Gerinnsel, welche den Schlauch zu verstopfen drohen , werden entweder 
auch so herausbefördert, oder durch gelinde Pulsion in den Thorax 
zurückgetrieben, wo sie allmälig zerfallen, resp. verflüssigt werden. 

Die purulente Absonderung nimmt rasch an Menge ab und 
wird nach und nach serös, weil die erkrankte Pleura (durch Aus¬ 
saugung) allmälig von ihren Eitererregern entlastet wird. Später 
wird der Schlauch mehr und mehr gekürzt und zugleich, mit dem 
Versiegen der Secretion, successive aus dem Thorax herausgezogen. 
Der Patient kann schon vorher das Bett verlassen und ist schließlich 
(nach einigen Wochen) ohne Difformität und Defect, mit nahezu 
normaler Actionsfreiheit der Lunge geheilt. 

Die Vortheile sind evident; die Ausführbarkeit ist jedoch an 
die Bedingung geknüpft, daß die Lunge noch ausdehnbar ist und 
der Saugwirkung gehörig nachfolgen kann. Ist dieses überhaupt 
nicht mehr der Fall (bei Pyopneumothorax), so tritt auch keine 
Saugwirkung ein; dehnt sich die Lunge zwar theilweiso, aber nicht 
völlig wieder aus (in manchen Fällen von Phthisis incipiens, bei 
vorhandenen Adhärenzen, in etwas älteren Fällen), so bleiben auch 
Empyemreste zurück, die kleinere Nachoperationen erforderlich machen. 
Immerhin darf man in letzteren Fällen die Aspirationsdrainage 
zunächst versuchen upd sehen, wie weit man mit derselben kommt. 

Das Hauptfeld für die Anwendung der Methode bilden die 
umfänglichen frischen Empyeme ohne sonstige Complicationen mit 
nicht zu dickem Eiter, die durch Streptococcen oder Staphylococcen 
bedingt sind, insbesondere auch die doppelseitigen Empyeme dieser 
Art, bei welchen eine doppelte offene Brustfistel doch nicht an¬ 
gelegt werden darf. Metapneumonische Empyeme lassen sich auch 
so behandeln, doch machen bei ihnen die gewöhnlich sehr dick¬ 
flüssige Beschaffenheit des Eiters, ferner fibrinöse Verklebungen der 
Lunge mit der Brustwand öfter Schwierigkeiten für die Entleerung. 
Bei jauchigen Empyemen wird man besser die schneller ent¬ 
leerende Radicalmethode wählen, um den Kranken vor den Gefahren 
der Intoxication mit Fäulnißstoffen zu schützen. 

Zum Schlüsse gibt Referent noch eine statistische Uebersicht 
über das bisher durch die Aspirationsdrainage Geleistete nach dem 
ihm zugänglichen Materiale aus Hamburg, Berlin, Graz und Basel, 
zumal über die Resultate in einfachen oder nicht schweren compli- 
cirten Fällen jüngeren oder älteren Datums. Von 57 Kranken 
dieser Art starben nur 3 (5%), in 5 Fällen (9°/ 0 ) waren Nach¬ 
operationen (kleinere Rippenresectionen) erforderlich, die übrigen 
49 Fälle (86°/ 0 ) heilten direct. Die Erfolge sind also Behr günstige, 
günstigere sogar noch, wie bei der Radicalmethode nach Küster, 
und der Vorwurf dieses Letzteren, die Anwendung der Aspirations- 

*) S. Arlikel Wotruba in Nr. 49—51 (P89) d-r „Wiener Med. Presse“. 


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drainage bedeute in der Behandlung der Empyeme einen Rüok schritt, 
erscheint darum völlig unzutreffend. Vielmehr kann die Radioal- 
methode durch letzteres, um Vieles mildere Verfahren in den ein¬ 
facheren Fällen der Krankheit mehr als ersetzt werden. 

* * 

* 

Dl*. M. SCHEDE (Hamburg), Correferent: Nach einleitenden 
Worten constatirt der Vortragende die so gut wie allgemeine Ueber- 
einstimmung in dem einen Punkte, daß eitrige Pleuraexsudate jeden¬ 
falls operativ beseitigt werden müssen, sobald sie als solche sicher 
erkannt sind. Ueber die Operationsmethoden gehen freilich die 
Meinungen weit auseinander. Redner wendet sich dann zur Kritik 
der einzelnen Methoden. Der einfachen und der Aspirationspunction 
gesteht er nur als Präliminarverfahren, um Zeit zu gewinnen, um 
einer acuten Gefahr zu begegnen, eine gewisse Berechtigung zu, die 
sie ohne Zweifel auch behalten werde. 

Die von Bälz so warm empfohlene Punction mit Auswaschung 
leistet kaum mehr. Der Vergleich mit der antiseptischen Auswaschung 
der Gelenke ist kein zutreffender, da hier viel concentrirtere 
Lösungen und ganz andere mechanische Manipulationen angewendet 
werden können und müssen, als bei der Pleurahöhle jemals in Be¬ 
tracht kommen können. 

Sehr viel wichtiger ist die BüLAu’sche Aspirations Drainage, 
mit welcher in geschickten Händen, wie die Arbeit von Simonds 
gezeigt hat, in geeigneten Fällen ausgezeichnete Resultate erreicht 
werden können. Bei doppelseitigen Empyemen ist sie fast unent¬ 
behrlich. Aber sie leidet an den beiden schweren Uebelständen, daß 
das Drain sich sehr leicht vorstopft, und daß es unter Umständen 
sehr schwer ist, bei Kindern und unruhigen Kranken den subtilen 
Mechanismus intact zu erhalten. Ließen sich diese beiden Uebcl- 
stände beseitigen, so würde sie vielleicht Ideales leisten. 

Wie die Sachen gegenwärtig liegen, ist die einzige, immer 
sichere und immer zuverlässige, daher die allein empfehlens- 
werthe Methode die breite Incieion, am besten mit gleichzeitiger 
Resection eines Rippenstückes. Daß letzteres nicht überall unum¬ 
gänglich nothwendig sei, gibt Schede gerne zu. Vorteilhaft ist sie 
aber immer, nachtheilig niemals, und wenn der Patient, was bei 
Schede principiell geschieht, chloroformirt ist, als Erschwerung der 
Operation von gar keinem Belang. 

Als Einschnittsstelle wählt Schede stets den abhängigen Punkt 
der Pleura etwas nach außen von der hintoren Axillarlinie, so daß 
die 10., 9. oder 8. Rippe, je nach Umständen, resecirt wird. 

Die Einwendung gegen die Wahl dieser Stelle und die Gründe 
für die einer höher gelegenen in einer der Axillarlinion weist er als 
unberechtigt und nicht stichhältig zurück. 

Gegen die Vorwürfe, die von vielen Seiten der offenen Incision 
gemacht werden,‘ daß bei ihr der Atraosphärendruck nothwendig 
die Entfaltung der Lunge hindere und die Difformität des Thorax 
vergrößere, nimmt Schede in der entschiedensten Weise Stellung. 
Er zeigt, daß die positive I ruckschwankung bei der Exspiration 
völlig ausreicht, die Lunge wieder zu entfalten, und daß sie dauernd 
entfaltet bleibt, wenn ein gut angelegter ,* biureichend dicker, antisepti¬ 
scher Verband seine Function als eine Art Ventil Verschluß gut erfüllt. 
In einem Falle von Resection eines handgroßen Stückes aus der 
Thoraxwand wegen eines malignen Tumors bei ganz gesunder Pleura 
und Lunge fand er die Lunge schon nach 24 Stunden vollkommen 
entfaltet und athmend, mit den Rändern der Thoraxwand verklebt. 

Bei einem Kinde mit frischem Empyem, welches 14 Tage nach 
der Erkrankung von Schede mit breiter Incision behandelt wurde, 
war die Lunge ebenfalls beim ersten Verbandwechsel, der nach 
4 Tagen stattfand, völlig wieder ausgedehnt. 

Beispiele von vollkommenen Heilungen der Incisionswunde nach 
10—20 Tagen finden sich jetzt in der Literatur in größerer Zahl. 
Die Meinung, daß der offene Pneumothorax die Entfaltung der Lunge 
hindere, hat demnach keine Berechtigung mehr. Man muß nur so 
früh operiren , daß die Lunge überhaupt noch entfaltungsfähig ist. 
In einer eingehenden Auseinandersetzung über den Mechanismus, 
wie diese Entfaltung zu Stande kommt, spricht Schede der be¬ 
kannten RusEB’schen Hypothese von der Verschmelzung der Granu¬ 


lationen am Berührungswinkel von Pleura costalis und Pleura pul- 
monalis jede Berechtigung ab. Die Pleura producirt überhaupt keine 
Granulationen, wie das im Jahre 1885 auch Roser selbst noch an¬ 
erkannt hat. Thäte sie es, so müßte jedes Empyem ausheilen. 
Es wäre dann gar nicht zu verstehen, wie die weiche und dehnbare 
Lunge dem mächtigen Narbenzug widerstehen sollte, dem doch die 
Thoraxwand in so hohem Maße nachgibt. 

Die einzig richtige Erklärung für den Mechanismus der Wiedor- 
ausdehnung der Lunge hat schon Weissgkbber im Jahre 1879 
gegeben. 

Schede hält die Methode Küstkr’s, jedesmal eine vordere 
und hintere Oeffnung anzulegen, von denen für letztere der ab¬ 
hängigste Punkt mit der Sonde aufgesucht wird, für die meisten 
Fälle für überflüssig. Für besondere Verhältnisse, mehrfache abge¬ 
sackte Empyeme etc. sind natürlich mehrfache Incisionen unter 
Umständen geboten. 

Ausgespfllt wird in Fällon, wo der Eiter nicht putrid ist, 
nur Eiu mal unmittelbar bei der Operation, dann aber auch gründ¬ 
lich , damit alle Gerinnsel etc. herauskommen. Eventuell nimmt 
Schede einen Stielschwamm oder großen scharfen Löffel zu Hilfe. 
Jede spätere Spülung, die nicht durch Zersetzung dos Eiters 
gerechtfertigt ist, verlangsamt die Heilung durch Zerreißung von 
Lungenverklebungen. 

Schede erörtert alsdann die Frage, ob es Contraindicationen 
gegen die Schnittoperation gibt, namentlich ob amyloide Degene¬ 
ration und Tuborculose als solche gelten sollen. 

Hinsichtlich der ersteren führt er einen Fall eigener Er¬ 
fahrung an, in welchem nach ausgedehntstem operativem Eingriff 
(Thoraxrescction) ein schweres Amyloid der Leber mit Ascites und 
Anasarca völlig zurückging. Von 4 Empyem Operationen bei Tuber- 
culösen sah Schede 3 genesen. 

Er ist geneigt, sich dem Rathe Pel’s anzuschließen: Die 
Empyeme Tuberculöser zu behandeln wie alle anderen, aber die 
tuberculösen Empyeme (d. h. die durch Miliartuberculose der Pleura 
oder Perforation von Cavernen bedingten) höchstens palliativ mit 
der Punction zu beseitigen. 

Freilich wird die Differentialdiagnose nicht immer leicht sein. 

Hinsichtlich der Behandlung alter Empyeme mit geschrumpfter, 
der Ausdehnung nicht mehr fähiger Lunge nimmt Schede die 
Priorität für die Idee, den Thorax durch Resection von Rippen nach¬ 
giebiger zu machen, für Simon in Anspruch, der schon 1869 eine 
solche Operation ausführte. Die Arbeit Estlander’s, nach welchem 
dio Operation namentlich in den außerdeutschen Ländern in der 
Regel benannt wird, erschien erst 10 Jahre später. Zu der Zeit 
wurden in Deutschland schon von den meisten Chirurgen ausgedehnte 
Rippenresectioneu zur Heilung von Empyemen ausgeführt. Schede 
selbst kam bereits im Jahre 1878 nach mannigfacher Erfahrung zu 
der Ueberzeugung, daß blosse Rippcnresection, mochte man sie noch 
so ausgedehnt machen, durchaus nicht in allen Fällen ausreiche, 
und zog schon damals die Consequenz daraus, daß man noch einen 
Schritt weiter gehen und auch die Zwischenrippentheile mit der 
colossal verdickten Pleura entfernen müsse. 

Die sogenannte ESTLANDER’sche Operation leistet Vortreff¬ 
liches in den Fällen, wo an die Retractionsfähigkeit der Thoraxwand 
keine allzu großen Ansprüche gemacht werden, wo es sich nur um 
partielle Verödungen der Lunge handelt, wo namentlich der obere 
Theil der Lunge noch an normaler Stelle liegt. 

Wo es sich aber um einen totalen Pyopneumothorax handelt, wo 
auch der oberste Kuppolraum der Pleura, der von der 1. und 2. 
Rippe und von der Clavicula nach vorn gedeckt ist, ausgefüllt 
werden muß, weil die Lunge ganz zusammengefallen der Wirbel¬ 
säule flach anliegt, da ist auch die Wegnahme sämmtlicher zugäng¬ 
licher Rippen nicht im Stande, die Heilung herbeizuführen. Das ist 
eine so allgemein anerkannte Wahrheit, daß durchwegs der Rath 
gegeben wird (Köster, de Cerenvii.le, Boüilly), in solchen Fällen 
lieber gar nicht zu operiren. Daß in solchen Fällen die Lunge nicht 
im Stande ist, auch nur das Geringste zur Ausfüllung des Hohl¬ 
raumes beizutragen — nicht in Folge davon, daß sie sich nicht mehr 
ausdehnen kann, sondern in Folge ganz bestimmter mechanischer 
Verhältnis«), dio der narbigen Schrumpfung eine hiefür ungünstige Rich- 


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tung geben, weist Schede an einer vorzüglichen Abbildung des 
Durchschautes der gefrorenen Leiche eines mit Pyopneumothorax ver¬ 
storbenen Menschen nach. 

Schede hat, um solche Kranke dennoch zur Heilung zu 
bringen, eine kühne Operation in nun 10 Fällen in Ausführung ge¬ 
bracht, die darin besteht, daß er die außerhalb der Rippen gelegenen 
Weichtheile des Thorax mit einem Schnitt, der in der Achselhöhle 
am vorderen Rande des Pectoralis maj. beginnt, bis zur unteren 
Grenze der Pleurahöhle hinabsteigt und im Bogen umwendend hinten 
zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule bis zur 2. Rippe hinauf¬ 
läuft, in einem großen, die Scapula in sich enthaltenden Lappen 
ablöst und nun zunächst die sämmtlichen Rippen von der 2. abwärts 
bis zur völligen Freilegung der Pleurahöhle von ihrem Knorpel¬ 
ansatz bis zum Tuberculum costae resecirt Alsdann wird mit einer 
starken C’OOPER’schen Scheere der ganze Rest der Thoraxwand, be¬ 
stehend aus Rippen periost, Zwischenrippenmuskeln und verdickter 
Pleura, abgetragen, indem die vorher zwischen zwei Fingern com- 
primirten Intercostal-Arterien jedesmal sofort nach der Durchschneidung 
gefaßt und unterbunden oder umstochen werden. 

Damit wird die frühere starrwandige Eiterhöhle in eine flache, 
muldenförmige Wunde umgewandelt, welche nun sofort zum größten 
Theil durch den abgelösten Hautlappen austapezirt, zum Theil auch 
durch den Subscapularis gedeckt wird. 

Der Rest der Wunde, meist ein Theil des oberen Kuppel- 
raumes, ein vorderer oder hinterer Streifen — je nachdem man die 
hinteren oder vorderen Wundränder durch die Naht vereinigt hat — 
und die unterste Partie wird mit loser Jodoformgaze bedeckt, mit 
deren Hilfe auch ein elastischer Druck auf den Hautlappcn ausgeübt 
wird, um möglichst ein primäres Verkleben desselben mit der Unter¬ 
lage zu erzwingen. 

So kommt die Heilung meist zu einem großen Theile per 
primam zu Stande, während der Rest sich durch Granulation 
schließen muß. 

Wo die Pleura noch bloßliegt, sind noch nachträgliche plastische 
Operationen durch gestielte Hautlappen nothwendig. 

Selbstverständlich ist das Resultat eine bedeutende Deformation 
der äußeren Contouren des Körpers. Indessen, der Eingriff wird gut 
vertragen, die Patienten befinden sich, einmal genesen, vollkommen 
wohl und die so lange unthätig gewesene Lunge entfaltet sich 
sogar wieder in einem zuweilen recht beträchtlichen Grade. 

Von den 3 in Berlin (1878 und 1879) Operirten wurde einer 
geheilt, die beiden anderen Uberstanden die Operation gut, waren 
aber bei Schede’s Uebersiedlung nach Hamburg noch nicht geheilt. 

Ueber ihr weiteres Schicksal hat der Vortragende nichts in 
Erfahrung bringen können. 

Von 7 in Hambyrg Operirten sind 5 geheilt, einer ist bald nach 
der Operation an Jodoformintoxication gestorben. Der 7. erkrankte, 
nachdem es ihm Anfangs sehr gut ging, an Morbus Brightii, wurde 
unter abnehmenden Kräften ungeheilt entlassen und ist wahrschein¬ 
lich auch zu Grunde gegangen. Den Geheilten geht es sämmtlich 
ausgezeichnet. 

Schede demonstrirt schließlich an einer Anzahl von Photo¬ 
graphien und vortrefflichen Abbildungen die Veränderungen, die der 
Thorax bei dieser Operation erleidet. 

Discussion: 

Fraentzel (Berlin) hält die Radicaloperation bei sehr herunter¬ 
gekommenen Individuen für gefährlich, und zwar nicht nur wegen 
des Eingriffes selbst, sondern wegen der Narcose. Bei solchen 
Kranken ist das BüLAu’sche Verfahren warm zu empfehlen. Der 
Kranke kann sich dadurch so weit erholen, daß er dann die 
Radicaloperation vertragen kann; in vielen Fällen genügt aber das 
BüLAü’sche Verfahren allein. Bei Tuberculose muß in der Mehrzahl 
der Fälle sowohl von der BüLAu’schen, als auch von der Radical¬ 
operation Abstand genommen und nur palliative Punctionen ausge¬ 
führt werden. 

Cürschmann (Leipzig) spricht seine Meinung dahin aus, daß, 
sobald ein Empyem constatirt wurde, operativ vorgegangen werden 
müsse, und daß man selbst in leichten Fällen nicht auf einen Spontan¬ 


rückgang warten dürfe. Cürschmann ist sogar Gegner jeder 
Punction. Die sogenannte Spontanheilung kleiner Empyeme beruht 
naoh ihm auf einer Verwechslung mit Perforation nach dem Bronchial¬ 
baum ; an eine Resorption glaubt Cürschmann nicht. 

In den leichten Erapyemfällen kommt man ausnahmslos mit 
der Drainage-Aspiration aus, aber auch für die etwas schwierigeren 
Fälle ist zumeist die Drainage-Aspiration zu versuchen. 

Bei Lungengangrän, Lungenabsceß und Tuberculose ist hin¬ 
gegen nur die breite Incision und Rippenresection angezeigt. Seit 
10 Jahren hat Cürschmann iu 73 leichteren Fällen (die etwa nach 
der 6. Woche in Behandlung kamen) die Aspirations-Drainage vor¬ 
genommen. In 89 Proc. der Fälle erfolgte Heilung, 6 Fälle endeten 
letal, 3 mit zurückbleibender Fistel. Unter diesen 73 Fällen be¬ 
fanden sich auch 3 Fälle von Lungentuberculose im ersten Stadium 
und 2 jauchige Exsudate; auch diese Fälle heilteu vollkommen. 

Was die gegen die Methode angeführten Einwände betrifft, so 
läßt sich das Verstopftwerden der Canüle durch Fibringerinnsel 
dadurch vermeiden, daß man alle paar Tage breitere Drains ein¬ 
führt. Das Zurückbleiben von Fibringeriunseln scheint kein wesent¬ 
licher Nachtheil zu sein. Antiseptische Ausspülungen nimmt Cüusch- 
mann nur dann vor, wenn Fieber vorhanden ist. Bezüglich der 
Punctionsstelle ist Cürschmann nicht der Ansicht, daß dies an der 
tiefsten Stelle zu setzen sei. Bei allen Empyemoperationen 
läßt sich con8tatiren, daß das Zwerchfell zunächst hoch steigt, und 
man geräth dadurch leicht in die Gefahr, daß die Fistelöffuung der 
Pleurahöhle nicht mehr direct gegenüber zu liegen kommt. Die 
Heiluogsdauer ist bei der Aspirations-Drainage dieselbe wie bei der 
Radicaloperation. In vielen Fällen des Redners erfolgte die Heilung 
in 16—21 Tagen. 

Hofmokl (Wien) hält es gegenwärtig nicht für möglich, ein 
abschließendes Urtheil über den Werth der beiden in Frage stehenden 
Methoden zu erreichen. Ein solches kann nur durch ein inniges 
Zusammengehen von Internisten und Chirurgen ermöglicht werden. 
Die geschilderten Gefahren der Chloroformnarcose hat Hofmokl 
selbst bei Kindern (30 Fälle) nicht gesehen. Er glaubt zwar, daß 
das BüLAu’sche Verfahren für einfache Fälle von Nutzen sein könne, 
ist aber nicht der Ansicht, daß die Incision hinter das erstere zu 
stellen ist. Bei Tuberculose hat Hofmokl häufig an der Punctions¬ 
stelle ausgedehnto Phlegmonen entstehen gesehen. Er hält die Aus¬ 
spülungen für vollkommen entbehrlich und empfiehlt nur die trockene 
Behandlung. Solbst gleich nach der Empyemoperation macht er iu 
einfachen Fällen keine Ausspülungen, Bondern entleert nur den Inhalt 
so vollkommen als nur möglich. Aber auch bei septischen und 
jauchigen Exsudaten unterläßt er die Ausspülungen, weil er sich 
durch die Scction überzeugt hat, daß dieselben nutzlos sind, da man 
es gewöhnlich mit abgesackten Höhlen zu thun hat, aus denen der 
Inhalt durch die Ausspülungen nicht entfernt werden kann. 

Leyden (Berlin) tritt für die Büi-Aü’sche Methode ein. Die 
Mängel der Radicaloperation bestehen zunächst darin, daß viele 
Kranke die Operation nicht ertragen können, und zwar droht die 
größte Gefahr dem ohnehin schon geschwächten Herzen seitens der 
Chloroformnarcose. Für viele Kranke ist schon der Transport auf 
den Operationstisch mit Gefahren verbunden, schließlich ist die 
Dauer der Operation nicht gleichgiltig. Die Vortheile der Bülau- 
schen Methode sind so bedeutende, daß sie L. in allen seinen Fällen 
angewendet hat und mit den Resultaten sehr zufrieden ist. Die Schwierig¬ 
keiten der Nachbehandlung werden durch die Vortheile der Methode 
aufgehoben. Diese Schwierigkeiten bestehen darin, daß sich die 
Höhle verkleinert und das Drainrohr sehr schwer in derselben zu 
erhalten ist, und daß die Fistel sich schließt und wieder anfbricht. 
Dadurch wird die Heilung in die Länge gezogen, so daß manchmal 
doch zur Incision und Rippenresection geschritten werden muß. 
Dann ist aber der Pat. so weit erholt, daß er den Eingriff leicht 
ertragen kann. Durch eine gewisse Uebung lassen sich die er¬ 
wähnten Schwierigkeiten allerdings umgehen. 

Bei der Beurtheilung der einzelnen Fälle muß die Form der 
Erkrankung berücksichtigt werden. Die metapneumonischen sind die 
leichtesten, die schwierigsten sind die bei Tuberculose, in der Mitte 
stehen die Streptococcen- und Staphylococcenempyeme. Die jauchigen 
Empyeme sind nicht so gefährlich als allgemein angenommen wird 


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und können ebenfalls erfolgreich mit der Bülao' sehen Methode behandelt 
werden. Um über den Werth der verschiedenen Empyembehandlungen 
ein sicheres Urtheil gewinnen zu können, beantragt L. eine Sammel¬ 
forschung , die sich auf alle künftigen Empyemfälle (operirte wie 
nicht operirte) beziehen soll. 

Ewald (Berlin) plaidirt dafür, daß jedes Empyem, sobald es 
durch die Punction erkannt worden ist, dem Chirurgen zur opera¬ 
tiven Behandlung übergeben werden soll. In seinen 9 Fällen, bei 
denen die Operation nach Küster — doppelte Incision an einer 
t-beren und tieferen Stelle — ausgeführt wurde, 6tarb nur einer 
(Tuborculose), die übrigen wurden geheilt. Was die alten Exsudate 
betrifft, so sollen dieselben gar nicht Vorkommen, die Empyeme 
sollen gleich erkannt und operirt werden. 

v. Ziemssen (München) übt seit 10 Jahren bei seinen Empyem¬ 
fällen die Incision mit Rippenresection und ist mit den Resultaten 
sehr zufrieden. Ufeber das BüLAu’sche Verfahren hat er keine ge¬ 
nügende Erfahrung, ist aber der Ansicht, man solle bei Behandlung 
der Empyeme den sichereren Weg gehen und die Radicaloperation 
vornehmen. Diese Methode gibt auch bei Tuberculose sehr zufrieden 
stellende Resultate. Die Aufgabe der Aerzte ist es, kein Empyem 
alt werden zu lassen. Sobald die bacteriologiscbe Untersuchung des 
Exsudates das Vorhandensein von Streptococcen ergeben hat, 
kann man mit Sicherheit ein Empyem annehmen, auch wenn das 
Exsudat serös ist. Auch bei Kindern liefert die RadicalOperation 
die denkbar günstigsten Resultate, ohne daß die geringste Difformität 
zu befürchten wäre. 

Föhbbinger (Berlin) spricht sich unbedingt für die Radical¬ 
operation aus für die Fälle von Empyem, bei welchen die Probe- 
punction einen dicken, rahmigen Eiter zu Tage fördert, weil solche 
Fälle nie, selbst nicht bei Kindern, von selbst heilen. Die Heber 
drainage hat ihm in 3 Fällen kein befriedigendes Resultat geliefert. 
In Fällen, wo dünner Eiter vorhanden ist, kann es zu einer ganz 
spontanen Heilung kommen. Wie lange soll man mit der Operation 
warten? F. glaubt, durchschnittlich 3 Wochen; wenn bis dahin keine 
Resorption mehr erfolgt ist, wird auch keine mehr eintreten. Aus¬ 
spülungen hält F. nur dann für angezeigt, wenn Fieber auftritt. 
Bei Tuberculose hat auch er häufig Phlegmonen nach der Punction 
anftreten gesehen. 

Eisenlohr (Hanjburg) hebt folgenden Vortheil der BüLAU’schen 
Methode hervor: Den bei der Operation vorkommenden üblen Zu¬ 
fällen, wie Dyspnoe, Hustenanfälle etc., kann man leicht dadurch Vor¬ 
beugen, daß man den Schlauch mit dem Quetschhahn schließt. Man 
kann dann nach einigen Stunden die Operation fortsetzen, ohne 
einen neuen Einstich machen zu müssen. Das zufällige Herausgleitcn 
des Katheters läßt sich durch genaue Befestigung und durch An¬ 
legung eines Verbandes verhüten. In späteren Tagen hat übrigens 
dieser Vorfall keine große Bedeutung, da die eingodrungene Luft 
wieder resorbirt wird. Die Verstopfung der Canüle kann man bei 
genügender Vorsicht vermeiden; durch Einfließenlassen von wenig 
Borsäure kann man dem Eiter Abfluß verschaffen. Was die Fibrin¬ 
flocken betrifft, so gibt es viele Empyeme, die keine enthalten; 
übrigens löst sich das Fibrin im Eiter auf. Eine Verjauchung hat 
E. nie gesehen. Bei jauchigen Exsudaten ist von vorneherein die 
Incision itnd Rippenresection zu machen. 

Kobänyi (Budapest) theilt einige Fälle mit, welche beweisen, 
daß die Combination von Empyem mit Tuberculose keine Contra- 
indication für die Incision und Rippenresection abgibt. Fast alle 
diese Fälle, die auf seiner Klinik operirt worden sind, sind günstig 
verlaufen. Um der Gefahr der Chloroformnarcose zu entgehen, hat 
K. in einem Falle von Empyem die Thoracotomie nach CocaYn- 
injection gemacht, ohne daß der Kranke erhebliche Schmerzen 
empfunden hätte. 

Maydl (Wien) bespricht diejenigen Empyeme, die in Begleitung 
oder in Folge von Echinococcus der Pleura Vorkommen. Die Resul¬ 
tate der Punction dieser Empyeme sind sehr ungünstige. Von 16 
Fällen sind nur 5 in Heilung ausgegangen, die übrigen verliefen 
tödtlich. Hingegen beträgt die Mortalität bei der Radicaloperation 
25%. Es ist daher bei Verdacht auf Echinococcus die Radical¬ 
operation zu empfehlen. 


Winter (Wien) stellt .4 Fälle von Empyem vor, die auf der 
BiLLROTH’schen Klinik vor einigen Jahren mittelst Ineision und 
Resection mit ausgezeichnetem Erfolge operirt, wurden. Auf der 
genannten Klinik wurden 35 Fälle von Empyem, wovon 21 
idiopathische und 14 secundäre, behandelt. Mit Ausschluß der 
Tuberculose und Lungengangrän wurde an 12 Fällen Incision und 
ausgedehnte Rippenresection vorgenommen. Davon wurden 9 dauernd 
geheilt. 1 Pat. starb wenige Tage nach der Operation, 2 behielten 
Fisteln. 

Billroth (Wien) besitzt nur Erfahrungen über Fälle, wo die 
Lunge vollständig comprimirt und mit Schwarten bedeckt war. 
Solche Fälle werden freilich nicht mehr Vorkommen, wenn frühzeitig 
operirt werden wird. Aber selbst in diesen allerschlimmsten Fällen 
kann man mit der Radicaloperation sehr günstige und dauernde 
Resultate erzielen. In den Fällen, wo die Lunge fest angemauert 
ist, kann sich B. die Heilung nur so vorstellen, wie sie Roser ge¬ 
schildert hat, daß nämlich von allen Seiten Verwachsungen ent¬ 
stehen , so lange bis die Thorax wand ganz fest wird, so daß die 
Lunge mit der letzteren sich bewegen kann. Daß hier kein Granu¬ 
lationsgewebe in dem Sinne vorkommt, wie dies sonst bei Wunden 
der Fall ist, unterliegt keinem Zweifel, aber es entstehen entzünd¬ 
liche Neubildungen, die (wohl schwach) vascularisirt sind und durch 
welche nach und nach die Verwachsung zu Stande kommt. Die 
nach der Operation vorkommenden Todesfälle haben mit dieser als 
solchen nichts zu thun und hängen meist mit der Leistungsfähigkeit 
des Nervensystems zusammen. 

Mosler (Greifswald) ist der Ansicht, daß die Resultate der 
Radicaloperation um so bessere sind, je früher operirt wird. Da 
die eiterigen Exsudate häufig aus serösen durch Einwanderung 
von Eitermikrobien hervorgehen nnd letztere so häufig in den Re¬ 
spirationsorganen Vorkommen, so würde sich in prophylactischer 
Hinsicht sehr empfehlen, die Eingangspforten für diese Mikroorga 
nismon (Mund, Nase, Rachen etc.) gründlich zu desinficiren. Dies 
ist aber nach vielfachen genauen Untersuchungen nicht möglich. Es 
wäre daher sehr interessant, die im Empyemeiter vorkommenden 
Mikroorganismen mit den in den erwähnten Eingangspforten vor¬ 
handenen zu vergleichen. 

Rydyöier (Krakau) tritt als Chirurg für die Iücision und 
Rippenresection ein. Für die Nachbehandlung empfiehlt Rydygier Aus¬ 
spülungen mit Borsäure und Ausfüllung der Höhle mit Jodoform- 
glycerin. Unter dieser Behandlung heilten selbst die Empyemfälle 
bei Tuberculösen; in keinem Falle blieb eine Fistel zurück. 

Runeberü (Helsingfors) hat von der primären subperiostalen 
Rippenresection sehr gute Resultate erzielt; er läßt jedoch jede 
Ausspülung weg, nachdem er sich in einer Reihe von Fällen über¬ 
zeugt hatte, daß die Ausspülungen schlechtere Resultate liefern. 

Weber (Halle) hat die Beobachtung gemacht, daß nach der 
Rippenresection weniger Nachkrankheiten, namentlich Tuberculose, 
Vorkommen, als nach der Heberdrainage. Letztere ist nur in Fällen 
angezeigt, wo die Operation wegen großer Schwäche nicht gemacht 
werden darf; in solchen Fällen genügt aber auch ein einfaches Aus- 
fließenlassen des Empyeminhaltes. Man gewinnt dadurch Zeit, um 
die Rippenresection machen zu können. 

Immermann stimmt der Ansicht zu, daß man die Empyeme 
nicht alt werden lassen soll. Was die Operationsmethode betrifft, 
so stehen sich die beiden Methoden (Heberdrainage und Radical 
Operation) so ziemlich gleich gegenüber und es sind nur Oppor¬ 
tunitätsgründe , die nns zu der einen oder anderen Methode 
bestimmen. Die Radicaloperation hat allerdings das für sich, daß, 
wenn sie gelungen ist, die weitere Behandlung eine sehr einfache 
ist; sie hat aber den Nachtheil, daß sie Difformitäten nach sich 
zieht. Auch erfolgt nach derselben die Expansion der Lunge nicht 
so rasch. Dem gegenüber macht die Aspirationsdrainage keine 
Entstellung, erheischt aber eine genauere Nachbehandlung, weshalb 
die Methode eher für die Spitals- als für die Privatpraxis geeignet ist. 

Schede hält es für selbstverständlich, daß man sehr geschwächte 
Personen nicht operiren wird, doch möchte er davor warnen , das 
Chloroform durch CocaYn zu ersetzen, da letzteres viel gefährlicher 
ist als Chloroform; eher würde sich der Aether zur Localanästhesie 
empfehlen. Plötzliche Todesfälle kommen ja bei viel einfacheren 


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Operationen, wie Punctionen, vor. Länger als drei Wochen möchte 
Schede mit der Operation nicht warten. Alte Empyeme sollen 
nicht Vorkommen. Was die Tuberculose betrifft, so kann man 
dieselbe nicht ansschließen , da wir doch die Hälfte unserer Ope¬ 
rationen an Tuberculösen machen. Für die nächste Zeit werden die 
beiden Methoden mit einander concurriren, doch protestirt Schede 
dagegen, daß man, wie Cürschmann vorschlägt, die leichten Fälle 
der Heberdrainage und die schweren der Radicaloperation tiberlässt. 
Wenn die Fälle gleichmäßig vcrtheilt werden, werden auch die 
Resultate die gleichen sein. Doch glaubt Schede, daß man bessere 
Resultate erzielen könnte, wenn man von vornherein die Radical¬ 
operation vornehmen würde. 


Fürbringer (Berlin): Zur Klinik der Knochenentzündungen 
typhösen Ursprungs. 

Der Vortragende weist darauf hin, daß der Inhalt seines 
Themas in der deutschen Literatur bislang keinen lehrbuchmäßigen 
Ausdruck gefunden und selbst von den ausführlichen Bearbeitungen 
des Darmtyphus nur flüchtig und summarisch gestreift worden, 
trotzdem eine ganze Reihe, freilich fast ausschließlich auswärtiger, 
insbesondere französischer Forscher die Complication in den letzten 
zwei Jahrzehnten ausführlich und gut beschrieben. 

Im Jahre 1885 brachte Feeund in einer ausführlich ge¬ 
schriebenen Dissertation einen trefflichen Literaturbericht und fünf 
eigene Fälle, denen im Vorjahr noch 17 von anderen Autoren be¬ 
schriebene folgten, darunter 8 von Ebermaier, welcher als Erster 
den wichtigen Nachweis geliefert, daß die Krankheit ihre Entstehung 
den Typhusbacillen verdanke. Es handelt sich um längere und 
kürzere Frist währende, leichtere und schwere Formen von Perio¬ 
stitis und Osteomyelitis in eitriger und nicht eitriger Form. Die¬ 
selben befallen die verschiedensten Skelettabschnitte, obenan die 
Diaphysen der großen Röhrenknochen bisweilen in ganz ähnlicher 
Weise wie die genuine multiple und recidivirende Osteomyelitis 
der protrahirteren und deshalb milderen Form. 

Eine kritische Durchsicht der Literatur ergibt, daß keineswegs 
alle beschriebenen Fälle sich auf einen typhösen Ursprung zurück- 
fübren lassen, insoferne offenbar der „Knochentyphus“, d i. die 
spontane infectiöse Osteomyelitis mehrfach als Darmtyphus imponirt 
bat, und in anderen Fällen die erstaunlich lange, mehrere Monate 
bis selbst Jahresfrist währende Zwischenzeit zwischen Grundkrankheit 
und der Knochenentzündung keinerlei Gewähr für den behaupteten 
Causalnexus gewährt. Jedenfalls ist ein gut Theil zu streichen. 

Fürbringer hat unter circa 1600 selbst beobachteten Typhus¬ 
fällen die Complication nur 5 Mal gesehen und gibt einen Bericht 
der betreffenden Krankengeschichten. Der bemerkenswertheste der 
Fälle betrifft seinen eigenen TVJJthrigen Sohn, bei welchem im 
Verlaufe von 4 Monaten 7 Attaquen 10 Skelettabschnitte betheiligt 
haben, zugleich ein ganz eigenartiges, genau controlirtes und in 
Curve vorgeführtes, schleichendes Zehrfieber zur Entwicklung ge¬ 
langte. Trotz hochgradiger, durch Fieber und heftigste lancinirende, 
zumal Nachts exacerbirende Sehmerzen bedingte Cachexie genas der 
Knabe vollständig, und zwar von dem Tage ab, an welchem eine 
intercurrirende Influenza kritisch endete — die einzige gute That, 
die Fürbbinger von der miserablen Grippe gesehen hat. Es blieben 
keinerlei Spuren der periostalen Auftreibungen und osteomyelitischen 
Herde zurück. 

Die übrigen 4 im Krankenhause Friedrichshain in der Ab- 
thcilung des Vortragenden behandelten Fälle betreffen 2 Kinder 
von 12 Jahren, einen 21jährigen Mann und eine 25jährige Frau. 
Letztere bot eine pyämische (ebenfalls demonstrirte) Curve unter 
Schüttelfrösten dar, trotzdem es nirgends zur Eiterung gekommen. 
Die Erkrankung der Rippen erweckte den Verdacht eines Leber- 
abscesses. Auch hier Heilung der so gut wie aufgegebeneu Kranken 
in einigen Monaten. Im dritten Falle zeigte sich namentlich der 
Trochanter und das Darmbein betroffen, weshalb die Einlieferungs¬ 
diagnose auf Coxitis gelautet. Genesung. Im vierten Falle betraf 
das Leiden den Schädel in ziemlich intensiver, aber flüchtiger Weise. 
Der 'fünfte Kranke 6tarb, nachdem die Osteomyelitis bereits zurück¬ 
gegangen, an Hämatopyopneumothorax in Folge Durchbruchs eines 
necrotischcn Lungenherdes. 


Der Vortragende gibt der Bezeichnung „Osteoperiostitis“ den 
Vorzug, da eine Trennung von Periostitis und Osteomyelitis sich 
hier keineswegs aussprechen lasse, vielmehr bald die eine, bald die 
andere auftrete, selbst gleichzeitig beide Formen denselben Knochen 
befallen. Auch Fürbringer’s Fälle sprechen dafür, daß, wie bereits 
Obermaier beansprucht, die Typhusbacillen aus dem Knochenmark 
in das Periost einwandern. Unzutreffend sei die Bezeichnung „Perio¬ 
stitis posttyphosa“ uud „Knochcnentzflnduug in der Reconvaleseenz“, 
da die Krankheit ebenso häufig sich in den Typhus selbst cinschöbo, 
somit als Complication figurirc, ja selbst als Initialsymptom in die 
Erscheinung trete. 

Rucksichtlich der Symptomatologie hebt der Vortragende 
die ganz auffallende nächtliche Exacerbation der Schmerzen (welche 
den Dolores osteocopi bei Syphilis an die Seite zu. setzen sind) und 
die Häufigkeit der ohne Eiterung einhergehenden Fälle hervor. Ein 
Theil der suppurativen Formen beruht wahrscheinlich auf Sepsis, 
scrophulö8er Anlage, vorherigem Siechthum, vielleicht auch ver¬ 
kehrter Behandlung. Die Rückbildung der Knochenhautentzttndung 
erfolgt in gleicher Weise wie bei der Syphilis, nur daß hier die 
Tophi nicht so spurlos wie beim Typhus zu schwinden pflegen. 

Rücksichtlich der Diagnose wird speciell der praktisch 
wichtigen Differenzirung gegen die Knochentuberculose gedacht. 

Die Behandlung anlangend, vertritt der Vortragende vor 
Allem den Standpunkt der „exspectativen“, bezw. „conservirenden“ 
Therapie (die man mit Unrecht als eine negative anspreche), so 
lange Eiterung nicht sicher erwiesen sei; erst dann trete die chirur¬ 
gische Behandlung in ihr unbestrittenes Recht. Letztere sei trotz 
des Dringens Fürbringer’s in seinen Collegen Halm, mit dem 
Messer endlich Abhilfe zu schaffen, von diesem chirurgischen Experten 
abgelehnt worden, wie der Erfolg gezeigt, mit vollem Recht. Der 
medicamentösen Behandlung mit Jod, Quecksilber, Chinin, Salicyl- 
säure und Antipyrin vermag der Vortragende, trotz der warmen 
Empfehlung der anderen Autoren, das Wort nicht zu reden. Die 
Mittel nützen, wie er leider gesehen hat, gar nichts oder nur sehr 
wenig in palliativer Richtung, können aber durch Schwächung und 
Verminderung des Appetits verderblich wirken. Die werthvollste 
Abhilfe bei ungebührlichem Schmerz und Schlaflosigkeit gewährt stets 
das Morphium. 

Wichtig ist die Ruhestellung des erkrankten Gliedes durch 
Extension, Polsterschienung, Armschwebe, von hoher, ja unter Um¬ 
ständen höchster Bedeutung die hygienische Behandlung, insbesondere 
eine sehr kräftige, leicht verdauliche Kost im Vereine mit vor¬ 
sichtigen lauwarmen Vollbädern. 

Disoussion: 

Mosleb (Greifswald) möchte 3 Gruppen dieser Erkrankung 
unterscheiden : vollständig latente Fälle, die einfachen, zum spontanen 
Rückgang neigenden rheumatoiden Knochenerkrankungen und Misch- 
infectionen, die zu acuter Abscedirung fuhren. Mercier weist auf die 
Häufigkeit des Sitzes der typhösen Knochenerkrankungen an der 
Tibia hin, und es fragt sich, ob in Anbetracht der gerade in den letzten 
Jahren zunehmenden typhösen Knochenerkrankungen dieselben nicht 
etwa auf Anschlägen der Tibia an die Wanne bei den mit Bädern 
behandelten Fällen zurückzuführen sind. 

Fürbbinger bezweifelt, daß Traumen verantwortlich zu machen 
wären. In seinen 5 Fällen war die Tibia nicht betroffen; übrigens 
wurden 3 seiner Fälle gar nicht mit Bädern behandelt. 

Unna (Hamburg): Ueber die insensible Perspiration der Haut. 

Ueber die Folgen der Hautfirnissung und deren Ursachen 
herrscht bei den Physiologen noch immer keine Einigung. Da in 
neuerer Zeit eine Reihe von firnißartigen Bedeckungen Eingang in 
die Dermatotherapie gefunden hat, so ist es Pflicht der Dermato 
logen, sich ebenfalls mit den Folgen der Firnissung der Haut ein¬ 
gehend zu beschäftigen. 

Deckmittel, deren Resorption nicht ernstlich in Frage kommen 
kann, haben das Gemeinsame, daß sie den Verkehr der Haut mit 
der Außenwelt beeinflussen, speciell die Perspiration und 
Secretion. Unna arbeitete in Gemeinschaft mit Mielck, zunächst 
experimentell, über den einfacheren Vorgang, die Perspiration. 
Als Modell für diese Verdunstungsversuche dienten Glastrichter, 


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welche mit der ganzen, nur von Fett uni Federn befreiten Haut 
von Hühnern bespannt waren und mit graduirten Röhren communi- 
cirten, an denen man die Mengen des durch die Häute verdunstenden 
Wasserdampfes leicht ablesen konnte. Wenn mittelst desselben auch 
nicht über die Quantität der Perspiration der lebendigen Haut Auf¬ 
schlüsse erhalten werden können, so genügt das Modell doch voll¬ 
kommen, um den Einfluß der in der Dermatothcrapie gebräuchlichen 
Deckmittel durch Vergleichung verschiedener Trichter zu ermitteln. 
Dieselben werden den gleichen äußeren Verdunstungsbedingungen 
aufgesetzt, während einige mit den betreffenden Mitteln bedeckt, 
andere frei sind. 

Die Fette setzten in den UNNA’schen Versuchen die Wasser- 
verduustung in regelmäßiger Weise herab, und zwar Lanolin in 
höherem Grade als die Glycerinfette, obwohl Lanolin mit Wasser 
in hohem Grade mischbar ist. Ebenso verhält sich Glycerin, 
welches ja auch mit Wasser in jedem Verhältnisse mischbar ist und 
doch dem Wassordampf ein merkliches Hindernis entgegensetzt. Die 
Dunstdichtigkeit des V a s e 1 i n s ist von ähnlicher Stärke wie die 
des Lanolins. Den reinsten Gegensatz zu den Fetten dagegen bildet 
die Gelatine; eine dünne Gelatinedecke vermehrtdie 
Wasserverdunstung der Haut. Diese Thatsache liefert 
die Erklärung für die längst gemachte klinische Wahrnehmung, daß 
ein am ganzen Körper Eingeleimter beständig mehr oder minder 
friert. Ein ähnlicher Gegensatz, wie zwischen den Fetten- und der 
Gelatine, findet sich zwischen den sonst so ähnlichen flrnißartigen 
Decken von Kautschuk und G uttaper ch a einerseits, Collo- 
dium andererseits. Während die ersteren die Verdunstung, und 
zwar Kautschuk viel mehr als Guttapercha, herabsetzen, steigern 
dünne Collodiumhäutchen die Verdunstung der von 
ihnen bedeckten Haut. 

Die beiden Stoffe, Gelatine und Co 11 odium, welche das 
paradoxe Verhalten zeigen, die Wasserverdunstung zu vermehren, 
haben das Gemeinsame, daß sie sich beim Eintrocknen spontan con- 
trahiren. Da sie aber bei der Eintrocknung auf der Haut an dieser 
Contraction gehindert sind, so muß sich dabei ihre normale Structur 
ändern, sie müssen porösere Körper werden. Unna ist nun geneigt, 
die positive Steigerung der Perspiration durch Bedeckung mit Gelatine, 
resp. Collodium, auf die Veränderung zurückzuführen, welche die 
natürliche Dunsthülle der Haut durch Auftragung poröser Körper 
erfährt. 

Die starke Hemmung, welche die Verdunstung durch das Vor¬ 
handensein von Fetten erleidet, erklärt auch zu einem Theil die 
enormen Schwaukungen der Zahlen, welche die Physiologen bisher 
für die natürliche Wasserverdunstung der lebendigen Haut gefunden 
haben. Auf die wechselnde Einfettung der Hornschicht ist dabei 
bisher kein Gewicht gelegt worden, wie der Vortragende des Näheren 
an der grundlegenden Arbeit von Erismann nachweist. Deshalb sind 
aber auch die Thesen des Letzteren, obwohl sie in die neueren Lehr¬ 
bücher übergegangen sind, nicht haltbar, nach denen die Verdunstung 
von der lebenden Haut nicht sowohl ein physikalischer Proceß, als 
das Resultat der Lebensthätigkeit der Knäueldrüsen sei. Man muß 
dem gegenüber vielmehr auf die alte Anschauung von Krause 
zurückgehen, welcher den rein physikalischen Proceß der insen- 
sibeln Verdunstung von dem physiologischen Proceß der sensibeln 
Schweißbildung trennte. Die letztere beginnt erst auf der Höhe 
einer gesteigerten Perspiratio insensibilis und nach Ueberwindung 
eines gewissen Widerstandes; sie tritt nicht ein (bei manchen Thieren 
uud Menschen), wo der letztere nicht überwunden wird. Es besteht 
also keinesfalls ein unmorklicher Uebergang der Perspiratio insen¬ 
sibilis in Schweiß. Die erstere findet an der normalen Haut niemals 
ein absolutes Hinderniß. 

Zum Schlüsse weist Unna auf die praktischen Folgerungen 
hin, welche die innere Medicin aus diesen physiologischen Versuchen 
ziehen kann. Die Fetteinreibung erhält dem Körper Wärme und 
treibt große Wasserracngen der Niere zu. Umgekehrt entzieht die 
künstliche Entfettung der Haut dem Körper durch vermehrte Ver¬ 
dunstung Wärme und entlastet die Niere. Ebenso, nur auf längere 
Zeit hinaus, wirkt die Einleimung dos Körpers. Unna empfiehlt 
daher, die Entfettung der Haut mit nachfolgender Ein¬ 
leimung zu versucheu, erstens zur Herabsetzung des 


Fiebers und zweitens zur Entlastung der Niere bei Entzün¬ 
dungen dieses Organs. 

Senator hat schon vor vielen Jahren praktische Anwendung 
von der Einfettung und Einleimung gemacht. Er hatte fieberhafte 
Kranke eingeleimt, um ihre Temperatur herabzusetzen. In der That 
sank die Temperatur erheblich, doch wurden diese Versuche aus 
Mangel an genügend guten Präparaten nicht fortgesetzt. 


v. Ziemssen (München): Zur Pathologie und Diagnose der so¬ 
genannten Kugelthromben im Herzen. 

Außer den globulösen Vegetationen von Laennec gibt es eine 
Reihe von autochthonen Herzthromben, die nicht nur wegen ihrer Selten¬ 
heit, sondern auch wegen ihrer Bildung und ihres Sitzes von Interesse 
sind. Das sind die Kugelthromben und die gestielten Thromben, die 
echten Herzpolypen. Z. demonstrirt je ein solches Exemplar. Diese 
kommen fast ausschließlich im linken Vorhof bei Mitralstenosen vor; 
den Ausgangspunkt bilden die marantischen Thromben aus dem Ohr 
des linken Vorhofs, oder der Thrombus fällt in den Vorhof, ist hier 
mobil und während der Bewegung schlagen sich immer neue 
Schichten aufeinander. 

Klinisch interessant ist die Thatsache, daß diese Thromben 
auch diagnosticirt werden können. Die Diagnose beruht: 1. auf dem 
bereits schon früher geführten Nachweis der Mitralstenose; 2. auf 
der Behinderung, Verlangsamung des Blutstromes im linken Herzen 
(ganz kalte Extremitäten, Tacbycardie, Bradycardie etc.); 3. Gan¬ 
grän der unteren Extremitäten in manchen Fällen. 

Ewald (Berlin) hat einen ähnlichen Fall von gestieltem 
Thrombus mit Embolien der Axillaris und Femoralis beobachtet und 
intra vitam diagnosticirt. 


Edgar Gans (Carisbad) : lieber das Verhalten der Magenfunction 
bei Diabetes mellitus. 

Nachdem der Vortragende darauf hingewiesen, daß wissen¬ 
schaftliche Untersuchungen über die Magenfunction der Diabetiker 
bisher vollkommen fehlen , gibt er eine genaue Beschreibung einer 
großen Reihe von Mageninhaltsuntersuchungen, die er an zehn 
Diabetikern im Laboratorium von Dr. Boas in Berlin im verflossenen 
Winter ausgefübrt hat. 

Der nach EwALD’schem Probefrühstuck ausgeheberte Magen¬ 
inhalt wurde auf seinen Gehalt an Säuren (Gesammtacidität, 
Salzsäure, organische Säuren, Milchsäure, Diacetsäure), sowie auf 
seine Verdauungskraft (Pepsin und Labferment) unter gleichzeitiger 
Controlirung dos Urins bezüglich seines Gehaltes an Zucker, 
Aceton etc. untersucht. Auch wurde jedesmal mittelst der Ewald- 
schen Salolprobe die motorische Sufficienz des Magens geprüft. 

Gans hat bei diesen Untersuchungen gefunden, daß die 
Magcnsaftsecretion der Diabetiker eine äußerst wechselnde ist. Nicht 
nur finden sich bei verschiedenen Individuen theils normales Ver¬ 
halten, theils Hypersecretion, theils totaler Schwund der Salzsäure, 
sondern auch bei einem und demselben Individuum wurden häufig 
bedeutende Schwankungen in der II Ci-Abscheidung nachgewiesen. 
Die motorische Magenthätigkeit erwies sich überall als sufficient. 
Endlich zeigt Gans, daß die Magenfunction der Diabetiker in keiner 
Weise abhängig ist von der Höhe der Zuckerproceute oder der 
Schwere und Dauer des Falles. 

Mit der Arbeit von Gans wird die in letzterer Zeit empirisch 
so oft betonte Nothwendigkeit einer strenge iudividualisirenden 
Diabetesdiät zum erstenmalo experimentell bewiesen. 


Referate und literarische Anzeigen. 

C. Stern: Ueber Diabetes mellitus bei Kindern. 

Die Thatsache, daß Verf. („Arcli. f. Kinderheilk.“) aus der 
ihm zugänglichen Literatur nicht weniger als 117 Fälle von Diabetes 
im Kindesalter zusammenstellen konnte, beweist, daß die Krankheit 
bei Kindern wohl relativ selten, doch nicht so überaus selten ist, 
als gewöhnlich angeuommon wird. Während das männliche Ge¬ 
schlecht bei Erwachsenen weit häufiger von der Glycosurie befallen 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 16. 


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wird, als das weibliche, verhält sich die Zahl der diabetischen 
Mädchen zu der der diabetischen Knaben ungefähr wie 5:3. Die 
verschiedenen Altersstufen scheinen so ziemlich gleichmäßig befallen 
zu werden. Bezüglich der Aetiologie steht die Heredität obenan, 
und zwar werden nicht nur die Kinder diabetischer, sondern auch 
die neuropathiseber Eltern oft diabetisch. Es hat den Anschein, als 
ob die Krankheit sich von dem Vater auf den Sohn, und von der 
Mutter auf die Tochter überträgt. Zunächst der Heredität fand 8. 
den Diabetes bei Kindern am häufigsten nach überstandener Krank¬ 
heit zurückgeblieben, so nach Magencatarrh, Morb. maculos. Werlh. 
(hier wohl im Zusammenhang mit Blutungen in die Gehirnsubstanz), 
Typhus und Nervenfieber, vorübergehend bei Malariakranken, nach 
Morbillen, verbunden mit verbreiteter Furunculose. Einige Male wurde 
die Glycosurie direct auf den Genuß unzweckmäßiger Nahrung 
zurückgeführt, und zwar spielt hier neben dem directen Zucker das 
unmäßige Essen von stärkemehlhaltigen Nahrungsmitteln, aber auch 
von allzu fettreichen Substanzen eine große Rolle. Ferner scheinen 
Erkältungsursachen von Einfluß zu sein. Endlich scheint von größter 
Bedeutung für die Aetiologie des Diabetes Gehirnerschütterung zu 
sein, mag dieselbe nun durch Fall, Stoß oder Schlag auf den Kopf 
oder einen anderen Körpertheil hervorgerufen sein. In manchen 
Fällen bleibt die Aetiologie eine unbekannte. 

Symptome und Verlauf der Krankheit bei Kindern sind 
außerordentlich verschiedenartig. Der Anfang der Erkrankung ist 
selten sicher festzustellen. Die Kinder werden bleich und magern 
bedeutend ab, es stellt sich eine Abnahme der körperlichen und 
geistigen Leistungsfähigkeit ein, die Kinder bekommen allgemeines 
Angstgefühl, riechen obstartig aus dem Munde, schlafen schlecht, 
die früher freundliche Stimmung macht einer verdrießlichen Platz, 
und stellt sich unnatürlicher Durst und öftere Harnentleerung ein. 
Dies sind ungefähr die Klagen der Kleinen bei voller Ausbildung 
des Leidens. Weniger regelmäßig sind die dyspeptischen Beschwerden, 
Eingenommensein des Kopfes, Heißhunger, besonders nach Zucker. 
Die Menge des Harnes ist erheblich erhöht und es werden mituuter 
unglaubliche Quantitäten desselben producirt. Meist sind es zwischen 
1500—4000 Ccm. iu 24 Stunden. Die Harnentleerung selbst ist 
meist eine leichte. Das spec. Gewicht des Harnes ist meist erhöht, 
das höehsto beobachtete war 1042. Die Menge des ausgeschiedenen 
Traubenzuckers schwankt ungemein je nach der Schwere des Falles. 
Der höchste Zuckergehalt ging bis zu 10%. Bei starkem Zucker¬ 
gehalt war der Harn oft trüb und schäumend und hatte einen sü߬ 
lichen, honigartigen Geruch. Von sonstigen pathologischen Substanzen 
wurden im Urin noch gefunden: Eiweiß selten, lmal Aceton und 
lmal Acetessigsäure; der Harnstoff ist meist vermehrt. Sehr häufig 
tritt allgemeine Schwäche auf in Verbindung mit abnormen Er¬ 
nährungsverhältnissen und Anämie, im Zusammenhang damit heftige 
Schwindelanfälle, häufiges Nasenbluten. Schweiß wird meist wenig 
abgesondert, daher die Haut trocken und heiß (fast nie Temperatur¬ 
erhöhung !), Neigung zu Furunkeln, Abscessen und Geschwüren. 
Auch Scrophulose trat in Verbindung mit Melliturio auf. Nicht 
selten sind Cataracte beobachtet worden. Die Verdauungsorgane 
leiden außerordentlich. Die Zunge ist oft trocken und belegt. Der 
Speichel soll öfter Zucker enthalteu, welcher, in Milchsäure über¬ 
gegangen, die Zähne der Diabetiker ätzt und cariös macht. Unstill¬ 
barer Hunger ist nicht immer vorhanden, ja sogar manchmal 
Appetitlosigkeit. Selbst der Durst soll manchmal fehlen. Von Seiten 
des Magens stellt sich öfters Erbrechen ein, ferner saueres Auf- 
stoßen, Sodbrennen etc. Der Stuhl ist meist verhalten. Trachea, 
Bronchien und Lungen werden öfters afficirt, besonders am Ende 
des Leidens. Mehrere Patienten gingen an Pneumonien zu Grunde. 
Die meisten Patienten starben aber an Marasmus oder dem Coma 
diabet. Sectionsbefunde waren nur in einzeluen Fällen verzeichnet, 
und lassen sich aus denselben absolut keine Schlüsse ziehen. Die 
Dauer der Krankheit ist sehr verschieden, von 2 Tagen bis zu 
mehreren (5) Jahren. Sobald die Krankheit länger als 1 Jahr ge¬ 
dauert hat, scheint kaum noch Heilung einzutreten. Im Allgemeinen 
scheint die Krankheit bei kleineren Kindern schneller zu verlaufen, 
als bei größeren. 

In Bezug auf die Prognose des Diabetes bei Kindern 
scheint die Ansicht Senator’s , der die Vorhersage der Krankheit 


bei Kindern für absoluW schlecht hält, die allein richtige zu sein. 
Es gehen sicher über s / 4 aller an Glycosurie erkrankten Kinder 
auch an dieser Krankheit zu Grunde, ob die Kinder nun älter 
oder jünger seien. Dennoch muß es der Arzt natürlich versuchen, 
ein Kind zu heilen, oder wenigstens den Verlauf in die Länge zu 
ziehen, sobald er die sichere Diagnose auf Diabetes mellitus gestellt 
hat, wofür das Auffinden von Zucker im Harn allein entscheidend 
ist. Die sicherste Probe ist die Gährprobe. Bei ganz kleinen 
Kindern, bei denen man sich sonst keine genügende Harnmenge 
verschaffen kann, soll man unter allen Cautelen der Antiseptik zu 
diesem Behufe katheterisiren. — Die bei weitem wichtigste Be¬ 
handlung ist die diätetische. Es kommt darauf an, dem Körper 
seinen starken Verlust zu ersetzen und dabei die Verdauungs¬ 
werkzeuge möglichst wenig zu belasten, um dieselben so lange wie 
thunlich leistungsfähig zu erhalten, endlich muß die Aufspeicherung 
des Zuckers in den Geweben und Körpersäften vermieden werden. 
Praktisch läßt sich aber eine Diät nach diesen Gesichtspunkten bei 
Kindern schwer durchführen, besonders bei kleineren Kindern. Man 
versuchte bei diesen Kuhmilch in der Verdünnung 1 : 2 mit etwas 
Zuckerzusatz, BiEDERT’sches Rahmgemenge, Milch mit Haferschleim 
1:3, saure Milch mit aufgekochtem Wasser 1:3 mit Glycerin- 
zusatz und Mannit etc. — Alles mit nur ganz vorübergehendem 
oder gar keinem Erfolge. Bei größeren Kinderu läßt sich eine 
zweckentsprechende Diät leichter durchführen; so sah Schmitz bei 
einem 4jährigen Mädchen Heilung, iudem er gute Bouillon, ge¬ 
bratenes Fleisch, rohe Eier, Käse, saure Milch mit saurer Sahne 
erlaubte und jeglichen Genuß von Brod, Zucker und stärkemehl¬ 
haltiger Nahrung verbot; arzneilich verordnete er anfänglich Natr. 
bic., später Leberthran und Eisen. Neben der geeigneten Diät 
scheint manchmal eine Cur in einem passenden Badeorte zu nützen 
(Neueuahr, Carlsbad, Vichy). Arzneilich scheinen manchmal die 
kohlensauren Alkalien (Natr. bic.) zu nützen. Sodann wurden 
verabreicht: Mineralsäuren im Verein mit essigsaurem Eisen, Ferr. 
sulfur., Pillen aus diesem uud Extr. Rhei comp., Calomel, Chinin, 
Natr. salicyl. (Frericbs, Brincken) 7 Grm. pro die 9 Tage lang, 
sodann täglich 0‘5 weniger, später nochmals ein Turnus mit täglich 
4 Grm., dann 3 Grm. etc. Die einzelnen Erscheinungen des Diabetes 
wurden symptomatisch behandelt. R. 

S. Ehrmann (Wien): Die Merourialstomatitis und ihre 
Behandlung. 

Die Mercurialstomatitis ist die localisirte Wirkung des dem 
Organismus einverleibten Quecksilbers auf die Mundschleimhaut und 
äußert sich iu den meisten Fällen zuerst in einer Veränderung des 
Zahnfleisches, speciell der Zahnfleischpyramiden. Dieselben verkürzen 
sich, heben sich von den Zähnen ab und zeigen gegen dieselben 
hin eine livide, bläuliche Zone. Unter vermehrter Salivation steigert 
sich die Affection in bekannter Weise zu tiefergreifenden Verände¬ 
rungen. Es treten am Rande der Zunge, an der Spitze derselben, 
an der Wangen- und Lippenschleimhaut, entsprechend der Schluß- 
linie der Zähne, am Uebergange des vorderen Gaumenbogens in 
die Zungenschleimhaut kleine Geschwürchen auf, die von einer grün¬ 
gelben, fest anhaftenden Membran gedeckt und mit dunkel ge- 
rötheten Rändern versehen sind. Die dreieckige Form der Ulce- 
rationen entspricht den dreieckigen Zwischenräumen der Zähne, an 
deren Rändern sich meist rauhe Zahnsteinkanten befinden, welche 
das Epithel der Zunge zuerst verletzen. 

Diese Substanzverluste sind also in letzter Linie traumatischen 
Ursprungs, und das ist für die Prophylaxe der mercuriellen 
Affection von Belang, umsomehr, als Ehrmann in seiner Arbeit 
(„Centralbl. f. d. ges. Therapie“, 1890, 2. Heft) hervorhebt, daß 
nicht selten die Geschwüre, namentlich der hinteren Rachen wand, 
für syphilitische Papeln angesehen und weiterhin mercuriell behandelt 
werden. 

So kommt es nicht selten vor, daß in Fällen, die mit Ein¬ 
reibungen behandelt wurden, das Quecksilber, nachdem es bereits 
aufgehört hat, im Harne zu erscheinen, plötzlich wieder nachweisbar 
wird, so daß oft einige Wochen nach der Einreibungscur, bei Außer¬ 
achtlassung der Mundpflege, an der Schleimhaut der Zunge, Wange 


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und der Tonsillen Geschwüre auftreten, die für Syphilisrecidive ge¬ 
halten und antiluetisch behandelt werden, in Wirklichkeit aber nur 
von einer neuen schubweisen Einfuhr der im Organismus angelegten 
Quecksilberdepots in die Circulation herrühren. 

Einen solchen Fall hat der Verf. beobachtet; der Pat. ge¬ 
brauchte gegen die für Syphilis imponirende Mundaffeetion Sublimat- 
injectionen und war hochgradig heruntergekommen. E. setzte 
sofort Mercur aus und pinselte die kleineren Geschwüre mit 
Jodtinctur, auf den Tonsillen und der Rachenschleimhaut mit 
Argentum nitricum und sah eine rasche Heilung der Ulcerationen. 

Das Mercurgeschwür ist viel schmerzhafter als die syphilitische 
Papel, namentlich beim Genüsse saurer, stark gesalzener Speisen 
und alkoholischer Getränke und zeigt den charakteristischen Fötor. 

Differentialdiagnostisch sind die Geschwüre zu unterscheiden 
von traumatischen und tuberculösen Geschwüren, von Aphthen und 
syphilitischen Papeln der Mundschleimhaut. Bezüglich dieser Details 
verweisen wir auf das Original. 

Die Therapie ist eine prophylactische und symptomatische. 
Wir werden bei Individuen, die der Einwirkung des Quecksilbers 
ausgesetzt sind, sei es in therapeutischer Rücksicht, sei es in Folge 
ihres Gewerbes, die Verletzungen der Mundschleimhaut verhüten oder 
rasch der Ueberhäutung zuführen. Man entfernt sorgfältig den Zahn¬ 
stein, beseitigt die cariösen Zähne ganz oder wenigsten deren Kanten, 
um alle traumatischen Factoren auszuschalten. Ebenso untersagt man 
den Genuß stark gesalzener und scharf gewürzter Speisen und ver¬ 
bietet das Rauchen. Kleine Excoriationen werden durch Ausspülung 
mit antiseptischen und adstringirenden Mitteln behandelt, (lproc. 
Carbolsäure, 2proc. Kali chloricum, 3proc. Borsäure etc.) Als 
Reinigungsmittel für die Zähne empfehlen sich Zabnseifen und für 
das Zahnfleisch die von Sigmund empfohlene Tct. Gallarum, Tct. 
Ratanhiae aa. p. 

Die von demselben Autor empfohlenen Pinselungen des Zahn¬ 
fleisches sind sehr zweckmäßig, finden aber nicht bei allen Patienten 
Entgegenkommen. 

Bei den ersten Symptomen der Merourialstomatitis, deren 
genaue Kenntniß angesichts der verbreiteten Anwendung des Calomel 
in der inneren Medicin von großer Wichtigkeit ist, pinselt man das 
Zahnfleisch mit Jodtinctur, rein oder mit Tct. Gallarum. Gegen 
tiefer greifende Ulcerationen, namentlich der Follicularmündungen der 
Tonsillen, wendet man mit Vortheil Silbernitrat an. G. 


Pathologie und Therapie der Krankheiten des Re¬ 
spirationsapparates. I. Band: Diagnostik und allgemeine 
Symptomatologie der Lungenkrankheiten. In Vorlesungen für 
Aerzte und Studirende. Von Prof. Dr. Albert Fraenkel, 
Director der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses 
am Urban zu Berlin. Wien und Leipzig 1890. Urban & 
Schwarzenberg. 

Der erste Band eines neuen Lehrbuches der Erkrankungen 
des Respirationsapparates ist erschienen, und hat der Verf. den ge- 
sammten Lehrstoff in Vorlesungsform behandelt. In der Regel er¬ 
weist sich diese Form nicht als besonders geeignet zum Zwecke 
einer übersichtlichen und im logischen Zusammenhänge stehenden 
Darstellung eines umschriebenen Lehrstoffes. Es muß daher dem 
Autor volle Anerkennung gezollt werden, wenn er seiner Aufgabe 
trotzdem in vollendeter Weise nacbgekommen ist. 

Der vorliegende Band, welcher die Diagnostik und allgemeine 
Symptomatik der Lungenkrankheiten behandelt, zerfällt in 10 Vor¬ 
lesungen , welche je einem abgerundeten Thema entsprechen. Die 
einzelnen Capitel stehen untereinander in innigem Zusammenhänge. 
In gelungener Weise enthalten die einzelnen Vorlesungen eine kurze 
Recapitulation der physiologischen Vorkenntnisse, soweit sie zum 
Verständnisse nothwendig sind, die Grundsätze der physikalischen 
Diagnostik, sowie zahlreiche Excursioncn in das Gebiet dor allge¬ 
meinen Pathologie und Diagnostik. Es muß als ein besonderer 
Vorzug dieses Lehrbuches bezeichnet werden, wenn der Verf. diesen 
Momenten eine eingehendere Darstellung einräumt, als es in den 
meisten Lehrbüchern der speciellen Pathologie und Therapie ge¬ 
schieht, da sowohl Aerzten als Studirenden durch gleichzeitige Re¬ 


capitulation der nothwendigsten Vorkenntnisse das eigentliche Studium 
wesentlich erleichtert wird. 

In eingehender Weise erörtert der Verf. in den ersten fünf 
Vorlesungen die am Respirationsapparate selbst wahrzunehmenden 
Erscheinungen. 

In der ersten Vorlesung: „Die Athmung“ findet sich eine 
zusammenhängende Darstellung aller in dieses Capitel fallenden 
krankhaften Erscheinungen mit beständiger Verweisung auf die 
physiologischen Grundlagen. 

Die zweite Vorlesung behandelt die Anomalien im Bereiche 
der Thoraxwand, die dritte die physikalische Untersuchung der 
Lunge und das Verhalten der Stimme, die vierte handelt vom 
Husten. Besondere Aufmerksamkeit hat der Verf. der folgenden 
Vorlesung, der Lehre vom Auswurfe, zugewendet und das Thema 
in erschöpfender Weise behandelt, mit besonderer Rücksichtnahme 
auf die Bedürfnisse des praktischen Arztes durch Weglassung alles 
minder Wichtigen und Hervorhebung des unbedingt Wissenswerthen. 

Die weiteren vier Vorlesungen handeln vom Verhalten der 
übrigen Organe und ihrer Betheilignng bei den Krankheiten des 
Respirationsapparates. Der Verf. schildert in der sechsten Vor¬ 
lesung das Verhalten des Pulses und die pathologischen Wechsel¬ 
beziehungen zwischen Respiration und Circulation, in der siebenten 
Vorlesung das Verhalten der Temperatur und Haut bei Lungen¬ 
krankheiten , in der achten die Beschaffenheit des Harns, in der 
nennten die Störungen von Seite der Unterleibsorgane, in der zehnten 
die pathologischen Veränderungen im Gebiete des Nervensystems. 

Stets wird auf die therapeutischen Consequenzen, die sich 
aus den angestellten Betrachtungen ergeben, hingewieson. Die Dar¬ 
stellung ist überall eine lebendige, fesselnde, vielfach originelle, der 
Inhalt zeugt von der vollständigen Beherrschung der vorliegenden 
Literatur, sowie von zahlreichen selbstständigen Erfahrungen und 
Auflassungen. 

Der II. demnächst erscheinende Band wird die einzelnen 
Krankheitsbilder, die Krankheiten der Bronchien, des Lungen¬ 
parenchyms und der Pleura behandeln. Sehr wünschenswerth wäre 
es gewesen, wenn der Verf. auch die Erkrankungen des Kehlkopfes, 
die uns immer mehr in einem natürlichen Zusammenhänge mit den 
übrigen Krankheiten des Respirationsapparates erscheinen müssen, 
in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen hätte. 

Doceut Dr. Carl Laker. 


Ueber die Organisationsf&b igkeit der Schalenhaut 
des Hühnereies und ihre Verwendung bei Trans¬ 
plantationen. Eine experimentelle chirurgisch¬ 
histologische Studie. Von Dr. R. Haug. München 1889. 
M. Rieger’sche Universitäts-Buchhandlung. 

In Nr. 3 des laufenden Jahrganges dieser Zeitschrift haben 
wir gelegentlich der Besprechung einer anderen Arbeit desselben 
Autors bereits erwähnt, daß nach dessen Ansicht die Schalenhaut 
des Hühnereies sich nur dann zur Bewerkstelligung eines bleibenden 
Verschlusses von Trommelfelldefecten mit Erfolg verwenden lasse, 
wenn sie nicht mit der „Eiweißfläche“ — wie Berthold ursprüng¬ 
lich angab — Bondern mit der „8chalen“seite dem Trommelfellreste 
angelegt wird. Es müssen übrigens noch manche Vorbedingungen 
erfüllt werden, falls die Transplantation gelingen soll. Eine der 
wichtigsten unter diesen ist die Anfrischung der Perforationsränder, 
welche durch ziemlich energisches Schaben an der Peripherie der 
Lücke mittelst einer kleinen, leicht winkelig gebogenen Curette am 
einfachsten zu Wege gebracht wird. Wie die Experimente Haug’s 
lehren, findet bei Berücksichtigung der gebotenen Cautelen eine 
veritable Organisation der transplantirten Schalenhaut statt und nicht 
etwa blos eine kürzer oder länger dauernde Verklebung. 

Wir können hier unmöglich die Thierexperimente und deren 
histologische Resultate eingehend würdigen, sind aber Überzeugt, 
daß eine genauere Kenntnißnahme derselben auch den praktischen 
Arzt in hohem Grade interessiren dürfte, und dies um so mehr, als 
in der vorliegenden Broschüre die Frage der Transplantation der 
Schalenhaut des Hühnereies nicht vom ausschließlich otologischen, 
sondern von einem allgemein chirurgischen Standpunkte erörtert wird. 

_Dr. A. Eitelbebg. 

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Kleine Mittheilungen. 

— Von den üblichen Behandlungsmethoden der Dysenterie 
unbefriedigt, hat Dr. F. Cjmbali versucht, durch Verabreichung 
innerer Mittel die im Darme enthaltenen Krankheitsproducte zu 
neutralisiren oder doch weniger schädlich zu machen. Zu diesem 
Behufe versuchte er die Behandlung der Dysenterie mit Salicyl- 
Säure, der er kleine Dosen Opium binzuftigte, um den Rectaltenesmus 
und die Darmschmerzen zu lindern. Die von ihm in Nr. 71 der 
„Rif. medica“ mitgetheilten Resultate sind sehr ermuthigend. Nach 
Verabreichung der Salicylsäure nimmt die Zahl und Frequenz 
der Stuhlentleerungen ab, der Tenesmus und die Darmschmerzen 
werden weniger intensiv, die Kranken fühlen sich physisch und 
moralisch besser. Nach 4—5 Tagen sind die Kranken geheilt. Man 
gibt die Salicylsäure in Dosen von 2—3 Grm. pro die, in Pulver 
von 1 / a Grm. pro dosi, denen man 1—2 Centigr. Opium, je nach dem 
Grade des Tenesmus, hinzufügt. Die Behandlung muß noch einige 
Tage nach dem Schwinden der dysenterischen Symptome fortgesetzt 
werden. Selbstverständlich ist neben dieser Behandlung eine mäßige 
und ausschließlich flüssige Diät zu beobachten. C. hat bis nun 
50 Fälle von Dysenterie in der beschriebenen Weise behandelt. In 
keinem einzigen Falle traten Erscheinungen ein, die eiu Aussetzen 
der Salicylsäure nothwendig gemacht hätten. In allen geheilten 
Fällen fand sich die Salicylsäure im Harne wieder. Sehr schwöre 
Fälle mit tiefen Darmgeschwüren blieben von der Salicylsäure unbe¬ 
einflußt und endeten mit Perforationsperitonitis. Die Wirkung der 
Salicylsäure erklärt sich durch eine locale antiseptische Wirkung 
auf die im Darme enthaltenen pathogenen Mikroorganismen und auf 
die Produete derselben, doch darf die Wirkung der resorbirten und 
in’s Blut aufgenommenen Salicylsäure auch nicht vernachlässigt 
werden. Auch in Fällen von chronischem Darmcatarrb hat C. von 
der Salicylsäure sehr gute Erfolge gesehen. 

— Die Frage über den Einfluß der Einathmung heißer 
Irockener Luft auf die Temperatur der Lunge sucht Docent 
Dr. Sehrwald durch eine Reibe sehr interessanter Untersuchungen 
zu lösen, deren in Nr. 15 der „Deutsch, med. Woch.“ veröffent¬ 
lichte Resultate sich in Folgendem zusammenfassen lassen: Heiße 
trockene Luft, durch die Nase eingeathmet, vermag bei einer Tem¬ 
peratur von 50—350° C. die Wärme der Lunge höchsten um 1° zu 
erhöhen, selbst bei 1 '/jStüudiger Einathmung. Eine fast gleich hohe 
Erwärmung der Lunge tritt auch schon beim Einathmcn kühler 
Zimmerluft ein, sobald die Athmung schneller und angestrengter er¬ 
folgt. Da bei der Heißluftathmung durch die Nase die Respiration 
beschleunigt und angestrengter wurde, darf die Erhöhung der Lungen¬ 
temperatur zum großen Theile, wenn nicht ausschließlich, der Re¬ 
spirationsänderung zugeschrieben werden, umsomehr, da schon in den 
großen Bronchien die Luft wieder unter die Reetaltemperatur ab¬ 
gekühlt ist. Die Schleimhaut der Trachea ist gegen heiße trockene 
Luft viel empfindlicher, als die von Mund und Nase. Trockene 
Luft, direct in die Trachea geleitet, wird höchstens bis 80° noch 
ertragen. Die Frequenz der Respiration geht durch das Einleiton 
trockener Luft von 80 auf 144 in der Minute und höher hinauf. 
Die Lungenwärme steigt gleichzeitig noch nicht einmal einen Grad. 
Die Ansicht IIai.ter’s, daß Tubcrkclbacillen durch öfteres kurzes 
Erwärmen bis 41° getödtet oder in ihrer Virulenz geschwächt werden, 
ist völlig unerwiesen. Wäre sie richtig, so würden die im Lungen¬ 
gewebe wuchernden Bacillen nur durch eine Erwärmung des Lungen¬ 
gewebes selbst geschädigt und unschädlich gemacht werden können. 
Die Versuche zeigen, daß eine zu diesem Zwecke genügende Steige¬ 
rung der Lungentemperatur sich weder durch Einleiten maximal 
heißer trockener Luft in die Nase, noch direct in die Trachea er¬ 
zielen läßt. 

— Dr. Meksinga in Flensburg theilt in Nr. 4 der „Memora¬ 
bilien“ folgende Methode der Behandlung des Unvermögens zu 
Stillen mit, welche er in mehrfachen Fällen mit Erfolg angewendet 
hat. Dieselbo besteht in täglicher Massage beider Brüste, daneben 
Aloe in refracta dosi, täglich Morgens und Abends kalte Waschungen 
und Frictionen der Mamma. In einem in der letzten General¬ 


versammlung der Schleswig-Holstein’schen Aerzte vorgestellten Falle 
entwickelte sich schon nach der 3. Massage ein blaues Netz auf 
der vorderen Thoraxfläche, nach der 6. Massage gelang es bereits, 
Milch aus den Warzen zu pressen, nach 16maliger Massage war 
ziemlich reichlich Milch vorhanden. Die Massage besteht in vor¬ 
sichtiger Streichung der Brust von der Warze aus centrifugal nach 
allen Richtungen mittelst feinen Seifenschaumes, um die Venen zu 
entleeren, während der Masseur zu Häupten der ruhenden Patientin 
steht. Die momentane Anämie wird bald aufgehoben durch das in 
die gebildeten Hohlräume rasch wieder nachschießende arterielle 
Blut, so daß ein rascherer Stoffwechsel und dadurch eine erhöhte 
Vitalität, ein Wachsthum eintritt, was durch die Bildung des Venen¬ 
netzes bewiesen wird. Verf. glaubt nach seinen Erfahrungen nicht 
zu viel zu sagen, wenn er annimmt, daß unter 100 Fällen von 
Stillungsnoth 75 heilbar seien. 

— Zur Casuistik der Behandlung des Alkoholi8muB mit 
Strychnin theilt A. E. Pambror m Nr. 1 der „Medizinskoje 
Obosrenie c ' („Petersb. med. Woch.“, 12) 7 Fälle von chronischem 
Alkoholismus uüd Dipsomanie mit und zieht aus seinen Beobachtungen 
folgende Schlüsse: Das Strychnin ist ein zuverlässiges Mittel gegen 
chronischen Alkoholismus und Dipsomanie, bei welcher es sowohl die 
einzelnen Anfälle, als auch die Neigung .zum Trunk heilt; die Paro- 
xysmen des Delirium tremens scheinen gleichfalls der Strychnin¬ 
behandlung zu weichen. Die Behandlung muß systematisch, conse- 
quent und oft recht lange stattfinden, doch sind hinsichtlich der 
Dauer der Behandlung und der Dosen die Acten noch nicht ge¬ 
schlossen. Vorläufig muß bei mittelschweren Fällen V30 Grm., bei 
schweren aber 1 / u> Grm. des Mittels injicirt werden; kleinere Gaben 
sind häufig unwirksam. Während der Strychninbehandlung sind 
Prohibitivmaßregeln in Bezug auf den Branntweingenuß unnütz, der 
Kranke hört von selbst auf zu trinken. Bis jetzt ist die Ent¬ 
scheidung der Frage nicht möglich, ob das Strychnin die Neigung 
zum Trünke nur zeitweilig oder auf immer vernichte, jedenfalls darf 
diese Ungewißheit nicht von dem so nützlichen Gebrauche des 
Mittels abschrecken. 

— In der letzten Sitzung der Freien Vereinigung der Chirurgen 
Berlins („Berl. klin. Woch.“, Nr. 14) berichtete Dr. Bardeleben jun. 
über die Methode der Behandlung von Verbrennungen, wie sie in 
der letzten Zeit im städtischen allgemeinen Krankenhause in 
Friedrichshain geübt wird. Nach gründlicher Säuberung der ver¬ 
brannten Stelle wird dieselbe mit Carbol (2 l / 2 —3%) oder Salicyl- 
8änrelösung (3®/ 00 ) abgespült, hierauf folgt nach vollständiger Ent¬ 
fernung etwa vorhandener Blasen und ihres Inhaltes unter anti¬ 
septischen Cautelen eine ausgedehnte Einpuderung der gesammten 
verbrannten Fläche mit Magisterium Bismuthi subtilissimo pulveri- 
satum, darüber Verband mit Bituxs’scher Watta, wolche eventuell 
bei späterer Durchtränkung bis auf die unterste Lage zu erneuern 
ist. Die Erfolge waren überraschend. Die Patienten hatten weitaus 
weniger Schmerzen, als bei jeder anderen Behandlung, die Heilung 
selbst erfolgte schneller, gewissermaßen unter trockenem Schorf. Bei 
sehr großen Brandflächen lösten Salbenverbände den Wismuth-Trocken- 
verband ab. Selbst bei den ausgedehntesten Verbrennungen wurden 
Intoxicationserscheinungen nicht wahrgenominen. 

— Gestützt auf die bei der Suspension von Tabetikern von 
Motschutkowsky , Charcot u. A. beobachtete Wiederherstellung 
der verloren gegangenen Potenz versuchte S. Istomanoef („Petersb. 
med. Woch.“, Nr. 12) die Behandlung der männlichen Impotenz 
mittelst Suspension an 10 geeigneten Fällen. Die Kranken litten 
außerdem theilweise an Spermatorrhoe und Pollutionen und hatten 
früher stark onanirt und in venere excedirt. Alle 10 Fälle wurden 
geheilt. Die Zahl der Einzelsuspensioneu schwankte, bis Heilung 
eintrat, zwischen 24—51, die in 4 Fällen gleichzeitig vorhandenen 
Pollutionen hörten nach !>, resp. 10, 12, 24 Suspensionon auf. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Neunzehnter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zn Berlin vom 9—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Um den Charakter des diesjährigen Chirnrgencongrosses kurz 
zu kennzeichnen, möchte ich ihn am liebsten mit einer Gemäldeaus¬ 
stellung vergleichen: viel Detailmalerei, viel behagliches Stillleben, 
aber wenig große, den Blick sofort fesselnde Gemälde. Viele junge 
Künstler traten mit Erstlingswerken hervor, manch Meister ersten 
Ranges fehlte gänzlich. 

Der Congreß wurde von Herrn v. Bergmann mit einer pietät¬ 
vollen Erinnerungsrede an die heimgegangene Kaiserin Augusta 
eröffnet, welche seit Bestehen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
deren Protectorin gewesen und mit stetem Interesse allen ihren 
Arbeiten gefolgt war, wie sie überhaupt all ihre Kräfte dem Dienste 
der Humanität geweiht hat. Redner beklagt den allzufrühen Tod 
Richard v. Volkmann’s, dessen vielfache Verdienste er in warm 
empfundenen Worten hervorhebt. Aus den Ereignissen des verflos¬ 
senen Jahres hebt er zwei für die Entwicklung der Gesellschaft 
besonders wichtige hervor: die Verleihung der Rechte einer juristi¬ 
schen Person an die Gesellschaft, und ferner den Ankauf des 
Platzes lür das Langenbeckhaus, für dessen Erbauung Se. Majestät 
der Kaiser Wilhelm kurz nach Eröffnung des Congresses die Summe 
von 100.000 Mark als Geschenk angewiesen hat. — Zunj Vor¬ 
sitzenden der Gesellschaft wurde für das Geschäftsjahr 1891 Geh.-R. 
Thiebsch (Leipzig) gewählt. Prof. Olliek (Lyon) wurde zum Ehren- 
mitgliede ernannt. 

Die Reihe der Vorträge eröffnete: 

Kappeler (Münsterlingen): Ueber Aether- und Chloroformnarco8e. 

Die in dem letzten Decennium wiederholt hervorgetretenen 
Bestrebungen, das Chloroform und den Aether durch neue Anästbe- 
tica zu ersetzen, sind insofern nicht ganz unberechtigt, als das 
Chloroform noch immer allzugroße Opfer fordert, während der Aether 
in seiner anästhes.renden Wirkung nicht allgemein befriedigt. Eine 
Reihe von eingehenden Untersuchungen ist mit den verschiedensten 
neugefundenen Anästheticis angestellt worden, so mit dem Aethy- 
lidenchlorid, dem Bromäthyl, dem Aethylchloroform, 
dem Methylenchlorid u. A., ohne daß die Erfahrungen am 
Menschen in befriedigender Weise den Beobachtungen des Thier¬ 
experiments entsprochen hätten, und so kommt es, daß der Stand¬ 
punkt der Medicin auf dem Gebiete allgemeiner Anästhesie heute 
noch derselbe ist, wie vor vierzig Jahren. Auf Grund der bisherigen 
Erfahrungen über die Anästhetica hält Redner es für unberechtigt, 
wenn durch ein übermäßiges Lob des Aethers und durch Ueber- 
treibung der Chloroformgefahren dem Chirurgen die Freiheit genom¬ 
men wurde, zwischen diesen beiden Mitteln zu wählen, zu denen er 
sich am meisten hingezogen fühlt. Als feststehend gilt auch heute 
noch bei den Chirurgen die Thatsache, daß das Chloroform ein 
fascher und angenehmer wirkendes Anästheticum ist, als der Aether, 
mit viel weniger unangenehmen Neben und Nachwirkungen. Eine 
ebenso rasche Aethernarcose läßt sich nur durch eine Verbindung 
der Aetherwirkung mit einem gewissen Grade von Asphyxie erzielen, 
eine für den Kranken naebtheilige und gefährliche Manipulation. Auch 
hat der Aether in seiner Anwendung zahlreiche Contraindicationen, 
so daß zu seinen Gunsten sich nur anführen läßt, er biete eine 
geringere Gefahr für das Leben, und auch dieses Moment ist neuer¬ 
dings von amerikanischen Autoren vielfach bestritten und die all¬ 
gemeine Wiedereinführung des Aethers zum Zwecke allgemeiner 
Anästhesirung geradezu als ein Rückschritt der Chirurgie bezeichnet 
worden. 

Das beste Mittel, dem erneuten Ansturm der Aetherfreunde am 
wirksamsten zu begegnen, wird daher darin zu suchen sein, einer¬ 
seits die Methoden der Chloroformirung zu verbessern, und anderer¬ 
seits eine zuverlässige Statistik der Todesfälle nach Chloroformnar- 
cose aufzustellen, um auf diese Weise ein zuverlässiges Bild von 
der vermeintlichen Gefahr des Chloroforms zu gewinnen. 


Was den ersten Punkt anbetrifft, so sind die verschieden¬ 
artigsten Vorschläge gemacht, welche darin gipfeln, das Chloroform 
entweder mit anderen Mitteln zu verbinden, oder es in seiner Dar¬ 
reichung zu verändern. Als das wichtigste Ereigniß auf diesem 
Gebiete sind die von verschiedenen Physiologen wieder angenom¬ 
menen Versuche über die Wirkung verschieden concentrirter Chloro- 
form-Luft-Mischungen zu betrachten, und diese Versuche geben in 
der That den Weg an, auf dem eine größere Sicherheit der Chloro- 
formnarco8e wird erzielt werden können. 

Redner verweist besonders auf die Versuche von Paul Bert, 
aus denen hervorgeht, daß es beim Chloroformiren nicht sowohl 
darauf ankommt, die Menge des verbrauchten Chloroforms zu bestim¬ 
men, als die Concentration der Chloroformdämpfe zu controliren. 
Hält man sich innerhalb einer bestimmten Grenze, namentlich nach 
der unteren Seite hin, so ist die Chloroformnarcose ungefährlich 
und sicher. Zu einem gleichen Resultate kam Kbonecker, welcher 
für die Narcose direct Apparate fordert, welche eine genaue Bestim¬ 
mung der Mischungsverhältnisse zwischen Chloroform und Luft 
ermöglichen. Bert gibt auf Grund einer Serie von 120 Naroosen 
als das beste Verhältniß eine 8°/ 0 Chloroform-Luftmischung an, mit 
welcher er bei den verschiedensten Kranken und Operationen durch¬ 
schnittlich innerhalb 7 Minuten eine Narcose erreicht bat. Alle zu 
diesem Zwecke bisher construirten Apparate, welche Redner einge¬ 
hend bespricht, sind jedoch viel zu umständlich, zu kostspielig und 
wenig portativ. Redner selbst hat seit 8 Jahren den JuNKER’schen 
Apparat in Gebrauch und kann auf Grund von 3600 mit diesem 
ausgeführter Narcosen constatiren, daß dessen Anwendung keine 
besonderen Schwierigkeiten bietet, jedoch belehrten ihn seine Beob¬ 
achtungen an Patienten, wie eingehende experimentelle Unter¬ 
suchungen, daß der Apparat viel zu concentrirte Chloroform-Luft¬ 
mischungen liefert, eventuell bei Lüftung der Maske eine zn große 
Verdünnung des Chloroformgehalts der Luft gestattet. Aus diesem 
Grunde hat Redner es unternommen, einen den Anforderungen mehr 
entsprechenden Inhalationsapparat zu construiren. 

Derselbe gleicht im Allgemeinen dem JuNKER’schen Apparat; 
der principielle Unterschied besteht jedoch darin, daß die luftzu¬ 
führende Glasröhre nicht bis an den Boden des Gefäßes geführt 
ist, oder selbst bei höchstem Stand des Chloroforms noch einen 
Millimeter über dem Niveau desselben steht. Es streicht demnach 
die Luft nur über die Oberfläche des Chloroforms. Das Gebläse des 
Apparates ist ähnlich dem JuNKER’schen. Bei der Prüfung des Appa¬ 
rates ergab sich, daß bei einer Füllung von 50 Ccm. Chloroform 
derselbe auf 100 Liter Luft eine Chloroformluftmischung von 14‘8%, 
bei 49 Ccm. eine 10%ige, bei 48 Ccm. eine 7°/ 0 ige Mischung 
etc. ergibt. Mittelst dieses Apparates ist man daher im Stande, eine 
Chloroformluftmischung von einer bestimmten Concentration, und 
zwar von 14—4%, zu erzielen, und zwar ergab sich ausnahmslos 
eine gute Narcose. Bei Frauen und Kindern war eine Füllung des 
Gefäßos mit 45 Ccm. ausreichend, bei Männern sind 50 Ccm. 
unbedingt nothwendig, bei sehr resistenten Patienten und Potatoron 
mußte von 40 auf 50 Ccm. wieder nachgefüllt werden. Der Chloro¬ 
formverbrauch für eine Narcose war ein außerordentlich geringer 
und betrug durchschnittlich etwa 20 Grm. Chloroform gegenüber 
309 Grm. des JuNKER’schen Apparates. 

Bis zum Eintritt der Narcose verfloß höchstens ein Zeitraum 
von 8—8 l /a Minuten, ohne daß ein Excitationsstadium voranging, 
ausgenommen bei Potatoren. Auch erscheint bemerkenswerth, daß der 
Apparat eine oberflächliche Narcose mit erhaltener Reflexerregbar¬ 
keit, wie bei der Aethernarcose, ermöglicht. Selbstverständlich wer¬ 
den sich auch bei Anwendung dieser Methode nicht alle Chloroform¬ 
todesfälle vermeiden lassen, vor Allem nicht die vom Chloroform 
ganz unabhängigen, welche in Folge von Furcht, Schreck, Shok, 
starken Blutungen etc. eintreten. 

Noch ist die von verschiedenen Chirurgen wiederholt beob¬ 
achtete Thatsache hervorzuheben, daß der Chloroformtod plötzlich 
eintrat, nachdem kurz zuvor frisches Chloroform auf die Maske 
gegossen war, mit anderen Worten, daß bei schon narcotisirten 
Kranken eine größere Menge Chloroform in concentrirter Lösung 
auf einmal zu voller Wirkung gelangte. Ein solcher Unglücksfall wird 
durch die angegebene Methode sicher verhütet, weil man vermittels 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 16. 


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derselben bis zum Ende der Narcose die Chloroformluftmischnng 
jeden Augenblick controliren und modificiren kann. 

Ein zweites Mittel, dem Ansturm der Aether-Enthusiasten ent¬ 
gegenzutreten und eine Chloroformpanik zu beseitigen, sieht Redner 
in dor Aufstellung einer zuverlässigen Statistik der Chloroform¬ 
todesfälle, deren Verhäitniß sich nach Rtchardsov auf 1 : 2—3000 
Narcosen stellt. 

Thiem (Kottbus) hat das Bromäthyl einer eingehenden 
Untersuchung unterzogen. Gießt man 10—15 Ccm. dieses Anästhe- 
ticums auf die ESMAßCH’sche Maske, so tritt gewöhnlich innerhalb 
einer Minute ein Zustand von Halbschlaf mit Analgesie bei dem 
Kranken ein, so daß er alsdann bei der Ausführung kleiner Opera¬ 
tionen keinen Schmerz empfindet, sondern Stiche und Schnitt nur 
als leichte Berührungen fühlt, während das Sensorium nicht gestört 
ist. Die Wirkung des Bromäthyls äußert sich wohl in einer Röthung 
der Haut und geriDgeu Erweiterung der Pupille, doch ist sowohl 
die Roflexerregbarkeit wie die Muskelspannung nicht aufgehoben. 

Dieser Zustand hört nach 10—15 Minuten auf, wo wieder 
Schmerzempfindung eintritt, und kann durch neues Aufgießen des 
Mittels nicht wieder hervorgerufen werden Dieser Zustand ist 
nach Thikm’s Ansicht am besten als „Bromäthylnarcose“ zu be¬ 
zeichnen. 

Nicht alle Menschen, wie z. B. ängstliche Personen, eignen 
sich zu diesem Verfahren; auch kommt es häufig zum Bromäthyl¬ 
rauseh, in welchem die Patienten schreien und toben, aber von der 
Operation nichts empfinden. Bei consequenter Anwendung des 
Mittels gelingt es, nach Verbrauch von 80—100 Ccm. im Verlauf 
von 10 Minuten bis s / 4 Stunden bei manchen Patienten eine tiefe 
Narcose zu erzielen. Während der Narcose kleiner Puls, oberfläch¬ 
liche und langsame Athmung. Bei Eintritt von Athmungsstörungen 
muß man sofort künstliche Athmung einleiton wegen des durch 
Lähmung der Respiration drohenden Todes. 

Unmittelbar nach dem Erwachen tritt ein starker Brechact 
ein, welcher einen reeht unangenehmen Zustand hinterläßt, zumal 
die Exhalationsluft Tage lang nach Knoblauch und Phosphor riecht. 
Einen mehrere Tage anhaltenden lethargischen Zustand, sowie blutige 
Diarrhoen und blutigen Auswurf hat Redner ebenfalls mehrfach 
beobachtet. Bei den Versuchstieren trat der Tod häufig noch nach 
Verlauf mehrerer Tage an Inanition ein, da das Bromäthyl die 
rothen Blutkörperchen rasch zerstört. 

In der Literatur sind 6 Todesfälle in Folge der Bromäthyl¬ 
narcose veröffentlicht. 

Das Mittel ist nur in Form der Bromäthylhypnose bei kleinen 
Operationen aDzuwenden, sofern aber nach 6 Minuten keine Be¬ 
täubung eiutritt, sogleich wegzulassen. Die Bromäthylnarcose ist 
durchaus zu verwerfen, weil sie sowohl während der Anwendung, 
als auch nach der Narcose große Gefahren für den Patienten ent¬ 
hält, während das Chloroform viel ungefährlicher und brauchbarer 
für den Chirurgen ist. 

Bruns (Tübingen) plaidirt nach einjähriger Beobachtung des 
Aethers bei Narcose n zu Gunsten des Mittels, bei dem es vor Allem 
auf die richtige Handhabung aukommt. Vom Anfang an müssen 
große Dosen zur Anwendung kommen, um durchschnittlich in 2 x / 2 
bis 3 Minuten eine genügende Narcose zu erzielen, die sich 
auch beliebig verlängern läßt. Der beste Maßstab im Vergleich 
zum Chloroform ist die Wirkung auf die Circulation. Während nun 
die Aethernarcose nach Bruns’ Pulsuntersuchungen die Pulsstärke 
ungefähr auf das Dreifache erhöht, geschieht dies bei der Chloroform- 
narcose nur ausnahmsweise und im Beginn, namentlich bei jugend¬ 
lichen Personen, um im weiteren Verlaufe der Narcose bald wieder zu 
sinken. Wegen der Erhöhung der Herzleistung und der dadurch ver¬ 
minderten Gefahr zieht Bruns den Aether dem Chloroform bei der 
Narcose vor. 

Stei.zner (Dresden) hat seit mehr als Jahresfrist die 
Aethernarcose in über 1)00 Fällen angewendet und den Eindruck 
gewonnen, daß dieselbe vor der Cbloroformnarcose wesentliche Vor¬ 
züge hat. Diese bestehen in dem schnellen Eintritt und der langen 
Dauer der Narcose und namentlich in dem Fernbleiben aller unan¬ 
genehmen Nachwirkungen auf den Magen, so daß die Narcotisirten 
an der Mittagsmahlzeit schon wieder mit Appetit theilnehmen können. 


Zielewicz (Posen) hat ebenfalls günstige Erfahrungen mit 
dem Aether gemacht, fordert aber in erster Linie ein reines Prä¬ 
parat. Die Aethernarcose ist auch bei stundenlang anhaltenden Ope¬ 
rationen brauchbar, dabei unschädlicher und zuverlässiger als das 
Chloroform. 

v. Bergmann erklärt Bich für einen entschiedenen Anhänger 
des Chloroforms, mit dem er ebensowenig Unglflcksfälle erlebt hat, 
als zu der Zeit, wo er noch ohne Narcose operirte. —r. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sociätä de biologie. 

Sitzung vom 15. März 1890. 

Ueber die Wirkung des aseptischen Urins auf die Gewebe. 

Tüffier theilt mit, daß er bei Versuchen über Nephrotomie 
die auffallende Beobachtung gemacht hat, daß die Nierenwunde per 
primara heilte, trotzdem der Nierenkelch bei der Incision eröffnet 
wurde und der Harn zwischen die Wundränder eindrang. 

Diese Thatsache stand im auffälligen Gegensatz zu dem, was 
wir täglich bei der Harninfiltration beobachten, und Tuffier stellte 
sich nun die Aufgabe, zu untersuchen , ob der aseptische Urin für 
das Bindegewebe ebenso indifferent, wie für die Niere ist. Die zu 
diesem Behufe angestellten Thierversuche wurden folgendermaßen 
vorgenommen. 

Die Blase wurde punctirt und mit einer sorgfältig steri- 
lisirten Spritze eine größere Quantität Harns aspirirt. Hierauf 
brachte Tuffier, ohne die Canüle ganz zu entfernen, dieselbe in 
das prävesicale Zellgewebe und injicirte in dieses den in der Spritze 
enthaltenen Harn. Die Resultate waren stets constant und sehr 
überzeugend. Es wurde nämlich nie irgend eine Entzündung oder 
Eiterung beobachtet. Es handelt sich nun darum, die Versuche ähnlich 
zu gestalten, wie bei der Harninfiltration. 

Tuffier injicirte in einer ersten Versuchsreihe anstatt nor¬ 
malen Harns einen solchen, der eine gehörige Menge Chlorammonium 
enthielt. 

Auch in diesem Falle trat weder Eiterung noch Entzündung 
ein. Es wurde nun Schwefelamraonium injicirt, und auch hier trat 
nie Eiterung ein, nur zeigte sich im Bindegewebe eine geringe 
schmerzhafte Induration. Es lehren somit diese Versuche ganz deut¬ 
lich und unzweideutig, daß der aseptische Harn ohne jede schäd¬ 
liche Wirkung auf das Bindegewebe ist, selbst wenn or Ammoniumsalze 
enthält, und daß daher die in solchen Fällen beobachteten üblen 
Zufälle nur der Gegenwart von pathogenen Organismen zuznschreiben 
sind. Indeß verhalten sich die Dinge in praxi doch qicht so 
einfach, bei den Kranken ergießt sich ja der Harn continuirlich und 
die Flüssigkeit wird fortwährend gewechselt. Man müßte daher, bevor 
man den Satz, daß die Harninfiltration nur durch die Bacterien ge¬ 
fährlich wird, aufstellt, die Versuche wiederholt mit größeren Urin¬ 
mengen machen. 

Straus berichtet über eine Anzahl von Versuchen, die ihm 
deutlich bewiesen haben, daß die Gewebe, insbesondere das Peri¬ 
toneum, den längeren und erneuerten Contact mit Urin sehr schlecht 
vertragen. Vor etwa 20 Jahren hat Zalesky die Behauptung auf¬ 
gestellt, daß Thiere, denen beide Ureteren unterbunden werden, 
rascher den urämischen Erscheinungen erliegen, als Tbiere, denen 
beide Nieren entfernt wurden, und schloß daraus, daß der Harnstoff 
großentheils von den Nieren gebildet und nicht von ihnen ausge¬ 
schieden wird. Straus hat nun die>e Versuche wieder aufgenommen 
und au einer größeren Reibe von Thieren auf abdominalem Wege 
beide Ureteren unterbunden; bei anderen Thieren wurden beide 
Ureteren durchschnitten, das untere Ende zugebunden, das obere 
offen gelassen. Nach der streng antiseptisch durchgeführten Operation 
wurden die Bauchwände sorgfältig vernäht, der Urin konnte nun 
frei in’s Peritoneum auBfließen und dort resorbirt werden. Es war 
nun interessant, die Resultate zu vergleichen zwischen diesen Ver¬ 
suchen und jenen, wo beide Ureteren unterbunden waren, wo also 
die Harnsecretion in Folge der Erhöhung, der Spannung des ober¬ 
halb der Ligatur angesammelten Harns vollständig aufhörte, wo- 


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durch die Wirkung der Ligatur der der Nepbrectomie gleichkommt. 
Die Versuche zeigten nun, daß die Thiere, denen beide Ureteren 
durchschnitten wurden und bei denen der Urin in’s Peritoneum 
ausfloß, ebenso rasch, ja noch rascher zu Grunde gehen als jene, 
denen beide Ureteren unterbunden sind. Sie lehren aber auch, daß 
die Resorption des Urins durch das Peritoneum ebenso schwere und 
rasch tödtliche toxische Erscheinungen hervorruft, wie die durch 
vollständige Unterdrückung der Nierenfunction erzeugten. Es sind 
diese Versuche eine neue Bestätigung für die Lehren von Bouchard 
und Lepine von der Giftigkeit des normalen Harns. 

Bei manchen Hunden und Meerschweinchen wurde blos ein 
Ureter unterbunden. Die Operation ist, wenn sie aseptisch ausge- 
führt wird, eine vollständig unschädliche. Bei anderen Thieren 
wurde ein Ureter durchschnitten und der Urin konnte nur in’s 
Peritoneum abfließen. 

Bei diesen Thieren konnten die urämischen Vergiftungserschei¬ 
nungen vermieden werden, da die andere Niere gesund war und 
functionirte. Trotzdem starben alle Thiere binnen 8—10 Tagen, 
bei keinem derselben wurde trotz der strengsten Asepsis eine Heilung 
per primam der Bauchwunde erzielt. 

Charrin theilt folgende einschlägige Versuche von Bouchard 
mit. Es wurde der Urin einfach durch Filtrirpapier filtrirt und in 
die Venen von Kaninchen eingespritzt. Stets gingen die Thiere in 
Folge einer Intoxication zu Grunde, wenn die eingeführte Menge 
genügend groß war. Spritzt man aber blos etwa 40—60 Ccm. ein, 
so können sich die Thiere noch erholen. Dasselbe Resultat wurde 
erzielt, wenn die Injection nicht in’s Blut, sondern in’s subcutane 
Zellgewebe vorgenommen wurde. 

Dastre constatirt, daß die sehr interessanten Versuche von 
Tüffier zeigen, daß gewisse Flüssigkeiten, die als sohr reizend für 
das Peritoneum angesehen werden, nicht in dem Maße schädlich sind, 
als allgemein angenommen wird. Dasselbe hat Dastre mit anderen 
Flüssigkeiten als Harn, z. B. mit der Galle, erfahren. 

Nicht selten ließ er in seinen Versuchen über die Gallenblase 
Galle in gewisser Menge in’s Peritoneum fließen, ohne je eine be¬ 
deutende Reaction beobachtet zu haben. Ob es sich ebenso verhalten 
würde, wenn die Gallenblase zerreißen würde und die Galle frei 
fortwährend abfließen würde, ist schwer zu sagen, aber jedenfalls 
steht die Thatsache fest, daß eine gewisse Quantität auf einmal iu’s 
Peritoneum ergossener Galle keine Reaction hervorrnft. K. 


Notizen. 

Wien, 19. April 1890. 

Der neunte CongreB für innere Medicin in Wien. 

Die schönen Congreßtage sind vorüber. Die Gäste haben 
unsere Stadt verlassen und sind heimgekehrt zu neuer wissen¬ 
schaftlicher und ärztlicher Thätigkeit. Sie haben in diesen 
Tagen neue Anregungen empfangen ; sie haben in zwanglosem 
Verkehr mit ihren Standesgenossen unvergeßliche Stunden ver¬ 
bracht und bei den Aerzten unserer Stadt begeisterte Auf¬ 
nahme gefunden. Die Einladung Nothnagel’s, den diesjährigen 
Congreß für innere Medicin in der alten Heimstätte der Heil¬ 
kunde, in Oesterreich’s Metropole, abzuhalten, ist auf frucht¬ 
baren Boden gefallen. Mehr als 400 Gelehrte und Aerzte 
hatten sich eingefunden, darunter Namen, deren Klang in 
allen Theilen der civilisirten Welt wohl gekannt ist; auch 
Oesterreich-Ungarn, vor Allem Wien, stellte ein stattliches 
Contingent zu den Theilnehmern dieses Congresses, dessen 
Erfolg ein voller und ganzer war. 

Unter dem mächtigen unmittelbaren Eindrücke dieser 
Tage ist es kaum möglich, die wissenschaftlichen Leistungen 
des Congresses geziemend zu würdigen. Auch diesmal waren 
es die wohl vorbereiteten Themen, vor Allem die lebhaften 
Discussionen über Emp^embehandlung und Therapie des chro¬ 
nischen Morbus Brightii, welche das Interesse der Versamm¬ 
lung und nicht in letzter Reihe der praktischen Aerzte in 
Anspruch nahmen. 


Die ausgezeichneten Ausführungen der Referenten gaben 
ein klares Bild des derzeitigen Standes dieser Fragen, die 
interessanten Mittheilungen hochstehender Kliniker und er¬ 
fahrener Praktiker ergänzten dasselbe in einzelnen Details. 
Nicht minder anregend war die Mehrzahl der abgehaltenen 
Vorträge, welche ausnahmslos zahlreiche Zuhörer versammelten. 

Die ehrwürdigen Hallen der Akademie der Wissenschaften 
sahen ungewohnt reges Leben. Die hellen Sonnenstrahlen, 
welche durch hohe Bogenfenster in den dämmernden Festsaal 
fielen, beleuchteten die Stätte anstrengender, fruchtbringender 
wissenschaftlicher Arbeit. Sie ließen die goldigen Inschriften 
erglänzen, welche, die Aufgaben der vier Facultäten der 
Universitas litterarum kündend, die Decke des Saales zieren, 
Inschriften, deren eine just oberhalb des Präsidentensitzes die 
Worte eint: 

Ars tuendae et reparandae valetudinis. 

* * 

« 

Der Vorabend des CongresseB vereinte dessen Theilnehmer zu 
zwangsloser Begrüßung im Restaurant „Kaiserhof“, wo sich alsbald 
reger Verkehr entwickelte. Hier sah man sie gemüthlich am Bier¬ 
tische, die Heroen der internen Medicin, an ihrer Spitze Leyden, 
ZlEMSSEN, CüüSCHMANN, CANTANI , HlS, IMMERMANN, KORÄNYI, 
Senator, Baeumler u. A., welchen sich die Chirurgen Schede 
und Mikulicz anschlossen, umgeben von ihren Wiener Collegen, 
den Professoren unserer Hochschule und zahlreichen Aerzten Wiens. 
Da wurde alte Freundschaft erneuert, neue geschlossen; Gelehrte, 
die Jahrzehnte lang außer persönlichem Verkehr gestanden, fanden 
sich wieder und hielten trauliche Zwiesprache. Schon am ersten 
Abende wurde allseitig der Befriedigung über die Wahl des dies¬ 
jährigen Congreßortes Ausdruck gegeben; unseren Gästen schien das 
neue Wien gar wohl zu gefallen, und ein Abglanz der alten Wiener 
Gemüthlichkeit und Lebensfreude was es, der den Begrüßungsabend 
des Congresses verschönte. 

* * 

* 

Die Verhandlungen des Congresses wurden am 15. April vom 
Präsidenten, Hofrath Nothnagel, durch eine akademische, in Form 
und Inhalt gleich ausgezeichnete, von Beifallsrufen der dicht ge- 
schaarten Zuhörer wiederholt unterbrochene Rede eröffnet, welche 
wir an leitender Stelle wiedergeben. 

Hierauf erhob sich der Unterrichtsminister Freih. v. Gautsch 
zu folgender Ansprache: 

Namens der k. k. Regierung habe ich die Ehre, die heute in Wien 
versammelten Mitglieder des neunten Congresses für innere Medicin achtungs¬ 
vollst zu begrüßen. Mit lebhaftem Interesse wird die Regierung ebenso wie 
die Fachkreise Ihren Berathungen folgen, von welchen wir hoffen wollen, daß 
deren Resultate gedeihlich sind für jene Wissenschaften, deren Förderung an 
Hochschulen mit zu den Pflichten meines Amtes zählt. Bedeutend ist die Ent¬ 
wicklung, welche die innere Medicin namentlich in den letzten Decennien er¬ 
fahren hat. Groß sind in Folge dessen, fast üb -rgroß jene Anforderungen, 
welche in wissenschaftlicher Beziehung an den Arzt unserer Tage gestellt 
werden müssen. Die wissenschaftliche Forschung und Verwerthung der Re¬ 
sultate derselben, die Auffindung neuer und die Verbesserung schon bestehender 
Untersuchungsmethoden, der tägliche Fortschritt der Therapie, die ungeahnte 
Bedeutung anderer Wissenschaften als Hilfswissenschaften der Medicin, sie alle 
erfordern allerorten ernste und emsige Arbeit. 

Diese Arbeit erhält ihre Weihe nicht blos durch jenen idealen Zug, der 
in der Pflege der Wissenschaft überhaupt liegt, sondern dadurch, daß Ihre 
Wissenschaft in erster Linie dem Wohle der leidenden Menschheit gilt. So 
wird auch dieser Congreß die allgemein menschlichen Aufgaben lösen, indem 
er jenen Zwecken dient, welche mit goldenen Lettern ober der Pforte das 
Gebäudes, das die Stätte des Ruhmes unserer Schule ist, eingegraben sind, 
Worte, die Ihnon Allen bekannt sind: Saluti et solatio aegrorum. 

Nachdem der Bürgermeister der Stadt Wien, Dr. Prix, herz¬ 
liche Worte der Begrüßung gesprochen, ergriff Hofrath Billroth 
namens der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien das Wort zu 
folgendem Willkommsgruße: 

Es ist keine leichte Aufgabe, als Epigonen so großer Vorgänger , wie 
sie uns beschieden waren, mit in den Wettkampf um die höchsten Güter der 
Menschheit zu treten. Aber wir sind nicht gewillt, uns auf den Lorbeorn 
unserer Vorfahren auszuruhen, sondern alle Nationalitäten unseres 
Oesterreich kämpfen in Reih und Glied, geformtzu Bataillonen 
des Fortschrittes, um, gleich anderen Nationen, für diese Güter einzu¬ 
stehen. Es kann für die Wissenschaft nur Ein Ziel geben: Wahrheit und 


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Klarheit. Das als wahr nnd klar Erkannte zum Heile der Menschheit zu 
verwerthen, ist Aufgabe des Arztes. 

Nur mühsam, sehr mühsam ist diese Aufgabe zu lösen. Wir folgen mit 
Begeisterung den Führern, die uns in neue Gebiete des Fortschritts hinein¬ 
leiten, aber diese Arbeit kann doch heute nur durch die Bearbeitung und 
Verwerthung des neugewonnenen Terrains heilbringend gemacht werden. Wir 
sympathisiren ebenso sehr mit den kühnen Forschern des Geistes, welche uns 
in neue Bahnen führen, als mit dem Landarzte, welcher, mit Mühe und großen 
Schwierigkeiten kämpfend, sich mit den Fortschritten der Wissenschaft be¬ 
kannt machend, zufrieden und glücklich ist, der leidenden Menschheit zu 
helfen. Mögen unsere Bestrebungen heilbringend sein! 

Hierauf schritt die Versammlung zur Constituirung des Bureaus. 
Zu Stellvertretern des Vorsitzenden wurden Geh. Med.-Rath Prof. 
Leyden (Berlin), Prof. v. KorAnyi (Budapest), Prof. Curschmann 
(Leipzig) und Geh. Hofrath Prof. Baeumleb (Freiburg), zu Schrift¬ 
führern Sau.-R. Dr. Güttmann (Berlin), Docent Dr. Krkhl (Leipzig), 
Docent Dr. Klemperer (Berlin), Docent Dr. Peiper (Greifswald) 
und Dr. H. Lorenz (Wien) gewählt. 

Sodann bestieg Prof. Immermann (Basel) die Rednerbühne, um 
das Referat über den ersten Gegenstand der Tagesordnung, die 
Behandlung der Empyeme, zu erstatten. Wir beginnen mit der aus¬ 
führlichen Berichterstattung über die zahlreichen Vorträge und Dis- 
cussionen des Congresses an anderer Stelle der vorliegenden Nummer. 
Hier sei lediglich des äußeren Verlaufes desselben gedacht, der, 
Dank dessen sorgfältiger Vorbereitung durch Prof. Nothnagel und 
der wahrhaft aufopfernden Thätigkeit der Herren der Klinik 
ein mustergiltigcr war. Auch die treffliche Organisation des von 
Herrn Reg.-A. Dr. Wolter geleiteten Localbureaus sei gebührend 
hervorgehoben. 

* * 

* 

Der Abend des zweiten Tages, welcher zahlreiche Vorträge 
und Discussionen gebracht hatte, sah fast sämmtliche Mitglieder und 
Theilnebmer des Congresses, sowie zahlreiche Wiener Aerzte bei 
frohem Festmahle im prächtigen Saale der Gesellschaft der 
Musikfreunde. Sollte hier wirklich der Eine oder Andere gefehlt 
haben, er möge es bedauern, diesem schönen collegialen, durch 
keinen Mißton gestörten Feste ferngeblieben zu sein. — Den ersten 
Toast sprach Nothnagel: 

Zwei glänzende Blütheperioden hat die Medicin in Wien gehabt : die 
eine fällt in die Zeit der Kaiserin Maria Theresia und des Kaisers 
Joseph, die andere entspricht der Regierung des erhabenen Monarchen, dessen 
Huld und Schulzes wir uns jetzt eifreuen. Es ist gauz sicher, daß jede große 
geistige Bewegung, auf welchem Gebiete immer, der eigenen treibenden Kraft 
ihre Entstehung verdankt. Aber ebenso unantastbar ist die Erfahrung, daß 
diese Bewegungen zur Entfaltung kommen oder in ihrer Entwicklung gehemmt 
werden können je nach dem Maße der Unterstützung oder der Widerstände, 
welche sie von äußeren Mächten erfahren. Blühende und fruchtbringende Aus¬ 
gestaltung eines einzelnen Gebietes der Wissenschaft hat als nothwendige 
Voraussetzung immer das Erstehen von führenden Geistern, aber daß diese 
eine Bcthätigung linden, daß sie ihre fruchtbringenden, bahnbrechenden und 
wahrhaft schöpferischen Ideen in die Wirklichkeit nmsetzen können, das hängt 
nicht allein von dem inneren Werthe der von ihnen vertretenen Sache ab, 
sondern wird oft, ja meist bedingt durch äußere Umstände, durch den Boden, 
in welchem das Saatkorn keimt, durch die Luft und das Licht, in welchem 
der Baum zur fruchtbringenden Entfaltung wachsen kann. (Lebhafter Beifall.) 
Meine Herren! Se. Majestät unser Kaiser hat allezeit die Huld des Schutzes 
und Schirmes der Wissenschaft zu Theil werden lassen. Muß ich dies be¬ 
gründen, muß ich es des Näheren ausfübren? Schauen Sie hin! Ein kaiserlicher 
Palast wurde für die Universität errichtet, für die vielen Fächer der Midicin 
und der Naturwissenschaften sind neue Heimstätten geschaffen worden, immer 
weitere werden gegründet, und der ungeheure Lehrkörper gerade unserer 
Facultät bat in seiner Entfaltung unter d«-r erhabenen Regierung dos Kaisers 
die wohlwollendste Unterstützung gefunden. Wir Allo wissen dies, und wir 
erkennen es voll Ehrerbietung nud tiefstem Danke an, und in dem Gefühle 
jenes Dankes fordere ich Sie auf, sich mit mir in dem Rufe zu vereinigen: 
Se. Majestät der Kaiser Franz Joseph lebe hoch! 

Die Klänge der Volkshymne flbertönten die Hochrufe der 
Versammlung, an welche Geh.-Rath Leyden alsbald folgende Worte 
richtete: 

Wir haben uns überzeugt, daß wir daran Recht thaten, der Einladung 
unseres hochverehrten Präsidenten Hofrathes Nothsagki, Folge zu leisten und 
unsere Versammlung von Wiesbaden nach Wien zu verlegen. Unser Congreß 
soll fürder nicht an einem einzigen Punkt deutschen Landes haften; er soll 
die gesammte deutsche Wissenschaft der internen Medicin in sich vereinen: 
Nord und Süd, Ost und West sollen sich die Hand reichen. Mit 
den Gefühlen der aufrichtigsten Pietät sind wir nach Wien gekommen ; Hier 
ist dio Wiege der deutschen Klinik, hier war lange Zeit die einige Pflanz¬ 
stätte der internen Medicin; von hier sind Tausende von Aerzten und Schülern 


nach Deutschland gezogen und haben die Welt mit den Früchten der Wiener 
Schule erfüllt. Aber nicht blos das Gefühl der Pietät ist es, welches wir für 
Wien hegen; die glänzende Aufnahme, welche wir hier gefunden haben, 
weckt in uns Gefühle des tiefsten Dankes. Glänzend und berühmt ist der 
Raum, in welchem wir tagen, glänzend der Raum, wo wir dieses Fest feiern, 
glänzend war der Empfang, welchen die Wiener Collegen uns bereitet haben, 
glänzend dor Eindruck, den die herrliche Stadt auf uns geübt, nnd so lade 
ich Sip ein, auf die allberühmte Stadt Wien ein Hoch auszubringen. 

Für diese Worte dankte Bürgermeister Dr. Pßix. Der erste 
Bürger der Stadt gab dem Congresse die Versicherung, die Stadt 
habe den ärztlichen Stand stets zu schätzen gewußt, ja, keine Stadt 
der Welt thue es in dieser Richtung der Donaustadt voraus. Das 
Wort der Aerzte werde in den wichtigsten Fragen gehört, das ärzt¬ 
liche Wirken bei den Vertretern der Stadt Wien stets Anerkennung 
finden. Er leere sein Glas auf das Wohl des ärztlichen Standes. — 
Weitere Trinksprüche wurden von Cantani (Neapel) auf den 
Congreß, Mosler (Greifswald) unter stürmischem Jubel auf die 
Wiener Schule und die Wiener Aerzte, Benedict (Wien) auf die 
internationale Gemeinschaft der medicinischen Wissenschaft, Nknado- 
wicz (Panosova) auf die deutsche Wissenschaft, Nothnagel auf 
den Schöpfer des Congresses, Leyden, von Letzterem auf dessen 
diesjährigen Präsidenten, Nothnagel, ausgebracht. 

* * 

* 

Der dritte Tag war abermals ernster wissenschaftlicher Arbeit 
gewidmet. Die Vormittagssitzung wurde fast ausschließlich durch 
die von Senator (Berlin) und Ziemssen (München) eingeleitete Dis- 
cussion über dieBehandlnng dos chronischen Morbus 
Brightii ausgefüllt, über welche wir im wissenschaftlichen Theile 
berichten werden. Neben der Besprechung der Empyemtherapie nahm 
diese Frage die Aufmerksamkeit des Congresses in hohem Maße in 
Anspruch. Das 3. Thema, die Discussion Uber die Influenza, kam 
über Antrag zahlreicher Mitglieder nicht zur Verhandlung. Prof. 
Baeumler beschränkte sich auf einige interessante Mittheilungen 
über die gelegentlich der letzten Epidemie gemachten Beobachtungen. 

Bezüglich der Wahl des Congreßortes wurde ein von 
10 Mitgliedern eingebrachter Antrag vorgelegt, wonach der Congreß 
jedes zweite Jahr in Wiesbaden stattzufinden hätte, in den da¬ 
zwischen liegenden Jahren solle der Ort des Congresses jeweilig 
bestimmt werden. Der Ausschuß befürwortete diesen Autrag mit 
der Modification, daß in den dazwischen liegenden Jahren der Congreß 
in Berlin, München, Leipzig und Wien tagen solle. Professor 
v. Ziemssen trat für diesen Antrag ein, indem er bemerkte, der 
Congreß müsse seine Thätigkeit nicht nur nach Westen, sondern 
auch nach Norden, Süden und Osten hin entfalten. Der Congreß 
habe die Wissenschaft nicht allein um ihrer selbst willen zu pflegen, 
sondern habe auch die wichtige Aufgabe, die Heilkunde in ihrer 
Ausübung zu pflegen uud anzuregen, die Aerzte zu ermutbigen und 
dieselben in ihren Bestrebungen zu unterstützen. Daher müsse den 
ärztlichen Collegien der Nachbarn Gelegenheit zur Theilnahme an 
dem Congresse gegeben werden. Prof. Kisch (Prag) wünschte in 
den Turnus auch Prag und Dresden einbezogen, allein Hofrath 
NothnAoel wies darauf hin, daß das ausschlaggebende Moment bei 
Stellung des Ausschußantrages darin gelegen sei, daß bei dem 
Wechsel des Ortes doch noch immer ein gewisses Beharrungsvermögen 
vorhanden sei und man nach einer gewissen Anzahl von Jahren 
wieder an denselben Ort komme. Der Congreß nahm sodann den 
vom Ausschüsse vorgelegteu Antrag einhellig an, demzufolge der 
Congreß im nächsten Jahre in Wiesbaden zusammentreten wird. — 
Wien darf nach diesen Beschlüssen einer Wiederkehr des Congresses 
daher erst nach 8 Jahren entgegen sehen. 

* * 

* 

Große Anziehungskraft übte auf die Theilnehmer des Congresses 
die von Prof. Stricker angekündigten Demonstrationen mit dem 
elektrischen Episkop und Mikroskop aus, welche im pathologischen In¬ 
stitute stattfanden. Das Episkop zeigte das pulsirende Herz e'nes 
narcotisirten Thieres unter dem Einflüsse von Erstickungsblut, die 
durch Vagusreizung hervorgerufenen Darmbewegungen eines narco¬ 
tisirten Thieres und das menschliche Hirn, das Mikroskop Schnitte 
au3 Hirn uud Rückenmark, Bacterien etc. bei einer Maximal¬ 
vergrößerung von 6000 linear. — Auch das Laboratorium des 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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Prof. v. Basch erhielt den Besuch vieler Congreßmitglieder, welche 
den mit Präeision aasgeführten Thierversuchen zur Lehre vom 
Lungenödem und der cardialen Dyspnoe, sowie den mit einem neuen 
Doppelkreislaufmodelle angestellten Versuchen zur Theorie der Kreis¬ 
laufstörungen großes Interesse entgegen brachten. — Auch dieser 
Tag fand einen würdigen Abschluß. 

Zahlreiche Mitglieder waren der Einladung des Präsidenten, 
Hofrath Nothnagel, zu einem Festmahle gefolgt, welches einen 
überaus animirten Verlauf nahm und sich zu einer herzlichen Ovation 
für den allverehrten, unermüdlichen Präsidenten des Congresses, den 
gofeierten Kliniker und Arzt, gestaltete. 

Der letzte Tag galt dem Abschiede. Der Secretär gab be¬ 
kannt, daß in die auf Antrag Lkyden’s eingesetzte Commission zur 
Sammelfor8cbung über die Resultate der Empyembehandlung die 
Proff. Nothnagel, Leyden, Ziemssen und Corschmann gewählt 
wurden, und daß für den nächstjährigen Congreß folgende Themen 
eingereicht worden seien: Prophylaxis der Tuberculose, Perityphlitis 
uud deren chirurgische Behandlung, Gehirndruck und Therapie der 
sog. Gehirndrucksymptome, Diagnostik der Magenkrankheiten. Als 
die alte Universitätsuhr die Mittagsstunde schlug, schloß Nothnagel 
den IX Congreß für innere Medicin mit Dankesworten an alle Theil- 
nehmer desselben, ihnen ein herzliches Auf Wiedersehen! zurufend. 
Für die aufopfernde Thätigkeit, welche der Präsident des Congresses 
in diesen Tagen entwickelt hatte, stattete Leyden unter stürmischem 
Beifall den Dank ab, worauf Mosler ein Hoch auf die Wiener 
Aerzto ausbraehte. — Bald nach Schluß des Congresses entführte 
ein Separatzug der Sitdbabn an 100 fremde und einheimische Acrzte 
in das dufiige Thal, in welchem Prof. Wixteknitz seine berühmte 
Heilanstalt dirigirt. Mit Interesse besichtigten die Gäste die Muster¬ 
anstalt in allen ihren Theilen, nachdem sie auch dem Speisesaal 
und dem daselbst gebotenen Lunch volle Gerechtigkeit hatten wieder- 
fabren lassen, und verließen nur ungern das weit über die Grenzen 
unseres Vaterlandes sich trefflichen Rufes erfreuende Kaltenleut- 
geben. 

* * 

* 

Zum Schlüsse einen Blick in die in einem Nebensäale unter¬ 
gebrachte Ausstellung, welche, ohne durch Reichhaltigkeit sich 
au8zuzeicbnon, neben den für derartige Expositionen typischen Er¬ 
zeugnissen der Pharmacopoea elegans (vertreten durch die Engel¬ 
und Bären Apotheke, ferner die Firma Boehringer & Söhne in 
Mannheim, C. Hell & Co. in Troppau, Fahlberg, List & Co. 
in Westerhülsen, Binder in Wien etc.) und den Flaschenpyramiden 
der Mineralwasserhandlungen Mattoni und Ungar, Kefirmilch¬ 
proben (Lehmann) und Kindernflhrmittel (Ormeszowski), ferner 
Mikroskope von Reichert und Plößl, Apparate für Elekro- 
therapie (die Mechaniker G1 ä8er, Manoscbek, Schulmeister 
in Wien, Reininger, Gebbert& Schall in Erlangen), In¬ 
halationsapparate (K indermann -Ami er in Prag), Cosmetica, 
Präparate von Glycerinum saponatum (Sarg’s Sohn & Co.), Uten¬ 
silien für Uroskopie und Mikroskopie (R. Sieber t in Wien) ent¬ 
hielt. Dr. Gaertner hatte seine in diesen Blättern wiederholt 
beschriebenen elektrischen Apparate, seine Untersuchungslampe und 
Ergostat, Dr. Eder Pläne und Photogramme seiner Privatheilanstalt 
ausgestellt. Großen Zuspruchs erfreuten sich der von der Oester- 
reichischen Champagnerfabrik den Mitgliedern des Congresses cre- 
denzte Champagner, sowie die Kostproben der spanischen Wein- 
bandlung Viüador. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung dieser Gesellschaft hielt Prof. v. Dittel einen 
Vortrag über Prostatectomia lateralis. Die Hauptursachen 
der Qualen, an welchen die mit Prostatahypertrophie behafteten Kranken 
leiden, sind bekanntlich durch die Harnretention bedingt. Um diese 
zu beheben, sind nebst anderen palliativen Mitteln, wie Katheterismus 
und Blasenstich, auch verschiedene Radicalbehandlungen versucht 
worden, die alle bezwecken, dem Urin freien Abzug zu verschaffen. 
Klinische Beobachtungen und Experimente an geeigneten Präparaten 
haben den Vortragenden gelehrt, daß es nicht der Mittellappen ist, 
sondern die Seitenlap'pen, die durch ihren Druck auf die Harnröhre 
die Harnretention erzeugen. Daraus resultirt die Indication, so viel 
von den Seitenlappen zu entnehmen, bis die Harnwege nicht mehr 


von den Seiten umklammert werden. Ist auch ein Mittellappen vor¬ 
handen, dann muß auch dieser entfernt werden. Zu diesem Behufe 
eignen sich zwei Wege • von innen nnd von der Peripherie 
gegen die Harnröhre. Dittel zieht den letzteren vor. Er macht 
einen Schnitt vom Steißbein gegen den Sphincter ani, dann bogen¬ 
förmig um diesen bis zur Raphe, worauf man stumpf präpariren 
kann, oder man schneidet die Insertion des Levator ani an den 
Sphincter und an die anderon Theile durch und kann dann in 
die große Exoavatio ischiorectalis eindriogen. Der Mastdarm kann 
nun stumpf weggedrängt und die ganze Prostata freigelegt werden ; 
nun excidirt man aus den Seitenlappen ein keilförmiges Stück. Als un¬ 
umgängliche Vorbereitungen vor der Operation sind zu erwähnen: 
1. Durchführung uud Befestigung eines Katheters, der während der 
ganzen Operationsdauer liegen bleiben muß, um ein An9chneiden 
der Harnröhre zu vermeiden. 2. Tamponade des Mastdarmes, um 
eine Verletzung desselben zu verhüten. Diese Operation, die Dittel 
bis nun nur an der Leiche ausgeführt hat, würde sich auch bei 
eiteriger Spermatocystis bilateralis und zur Totalexstirpation der 
Prostata eignen. — Prof. v. Mosetig hat in 3 Fällen von Prostata¬ 
hypertrophie versucht, durch parenchymatöse Injeotionen eine Ver¬ 
kleinerung des die Harnröhre comprimirenden Ringes zu erreichen. 
Jodtinctur erzeugt starke Entzündung und Eiterung. Mosetig hat 
daher Injeotionen mit Jodoformätheröl, ähnlich wie bei Struma 
parenchymatosa, angewendet. Der Kranke wird in Knie-Ellbogenlage 
gebracht, die hintere Mastdarmwand mit SiMs’sehem Spiegel abge¬ 
zogen, die vordere Mastdarmwand, so gut es geht, antiseptisch ge¬ 
macht und der Inhalt einer PRAVAZ’schen 8pritze mit längerer 
Canüle in die Prostata injicirt. Diese Injeotionen werden nach 5 bis 
7 Tagen einmal in den rechten, einmal in den linken Lappen 
wiederholt. In allen 3 Fällen konnten die Kranken in der dritten 
Woche spontan Urin lassen. Stürmische Erscheinungen traten nicht 
ein, auch waren die Schmerzen nicht sehr groß. — Doc. Dr. Ull- 
mann hat die Methode Dittel’s bei Exstirpation der Samenbläsohen 
versucht und zweckmäßig gefunden. — Hofrath Billroth hat schon 
vor langer Zeit daran gedacht, die Keilexcision der seitlichen Pro¬ 
statalappen vorzunehmen, doch waren es damals drei Momente, die 
ihn von dieser Operation abhielten: die Blutung, die Venenthrombose 
und die Möglichkeit einer zurückbleibenden Incontinenz. Erstere 
zwei Befürchtungen fallen bei sorgfältiger Antisepsis weg. Die Mög¬ 
lichkeit einer zurückbleibenden Incontinenz muß aber in Anbetracht 
der musculösen Massen, aus denen die hypertrophische Prostata 
besteht und die zum Theile entfernt werden, in Betracht gezogen 
werden. Die Bemerkungen Mosetig’s sind sehr berücksiohtigens- 
werth, doch müßte die Wahl der zu injicirenden Flüssigkeit erst 
getroffen werden. Das Jod hat wohl auf die Thyreoidea, nicht aber 
auf die Prostata eine allgemeine Wirkung und die Injection selbst 
hat nur eine beschränkte Wirkung. Vielleicht lassen sich noch 
Flüssigkeiten ausfindig machen, die eine Art peptonisirender Wirkung 
auf die Prostata ausüben könnten. — Prof. v. Dittel hat von 
Jodtinctur-Injectionen keine Erfolge gesehen. Die von Billroth be¬ 
fürchtete Incontinenz wäre jedenfalls ein kleineres Uebel als das 
Gegentheil, die Harnverhaltung. S. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der am 12. April stattge¬ 
habten Sitzung nahm der Oberste Sanitätsrath die Mittheilung ent¬ 
gegen, das k. k. Ministerium des Innern habe über Anregung des 
Sanitätsrathes Verfügungen, betreffend die Wahrung der sanitären 
Rücksichten bei Consentirung von gewerblichen Betriebs- 
anlageo, erlassen. Nach Entgegennahme mehrerer Referate, darunter 
des Vorschlages zur Besetzung der Primararztesstelle der internen 
Abtheilung im Kaiser Franz Josef Spitale in Wien, wurde der Initiativ¬ 
antrag des Hofrathes G. Braun, betreffend die Einsetzung eines 
Comit6s zur Berathung der Frage und Erstattung von Anträgen über 
die Strassenreinigung in Städten einem Fachcomitö zuge¬ 
wiesen. — Die Enquete .betreffend die Beschaffung animaler Impf¬ 
lymphe in staatlichen Anstalten und die Reform des Impf¬ 
wesens, zu welcher eine größere Zahl von Fachmännern einge¬ 
laden wurden, wird ihre Berathungen heute beginnen. 

(Von der Wiener med. Facultät.) Das neuerrichtete 
„Zahnärztliche Universitäts-Ambulatorium“ in Wien wird am 21. d. M. 
im IX. Bezirke, Garnisonsgasse Nr. 8 (Beethovongasse Nr. 3) 
eröffnet. Als Leiter desselben wurde Docent Dr. Julius Scheff jun. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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bestellt and ihm ein Assistent und ein Diener bewilligt. Es wird 
dortselbst gegen das gesetzliche Minimum des Collegiengeldes für 
Mediciner (für Aerzte fl. 25), von 5 bis 7 Uhr Abends, ein zehn¬ 
stündiges Semestral Colleg über das ganze Gebiet der Zahnheilkunde 
mit Ausschluß der Prothese abgehalten werden. — Mit der Eröffnung 
dieses Ambulatoriums ist endlich der erste Schritt zur Creirung einer 
zahnärztlichen Schule in Wien geschehen. Der Ausbau dieser 
Schule, die Heranziehung weiterer Lehrkräfte und die Einbeziehung 
des technischen Theiles der Zahnheilkunde, des Zahnersatzes, ist 
wohl nur mehr eine Frage der Zeit und — der finanziellen Mittel. 

(Der deutsche Verein für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege) wird seine diesjährige Versammlung in den Tagen 
vom 13.—16. September 1890, unmittelbar vor der am 18. Sep¬ 
tember in Bremen beginnenden Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte, abhalten. Auf der Tagesordnung stehen nachfolgende 
Berathungsgegenstände: Krankenhäuser für kleinere Städte und länd¬ 
liche Kreise, Filteranlagen für städtische Wasserleitungen, Kühl¬ 
häuser für Schlachthöfe, Desinfection von Wohnungen, das Wohn¬ 
haus der Arbeiter, Baumpflanzungen und Gartenanlagen in Städten. 

(Profe88oren-Gehalte in England.) „The Lancet“ 
berichtet über die im Vergleich zu continentalen Verhältnissen 
enormen Gehalte, welche die Lehrer der theoretischen Fächer an 
der Universität Edinburg beziehen. Der Professor der Chemie er¬ 
hält einen Jahresgehalt von 3450 Pfund Sterling (= 41.400 fl. ö. W.), 
der Anatom 3000 Pfund (= 36.000 fl.), der Professor der allge¬ 
meinen Pathologie 2350 Pfund (= 28.200 fl.), der Pharmakologe 
2235 Pfund (= 26.820 fl.). Die Vertreter der praktischen Fächer, 
welche neben ihrem Amte Privatpraxis üben, sind minder hoch, 
jedoch weit besser alB die Professoren anderer Länder besoldet. 

(X. Internationaler medicinischer Congreß.) Die 
Platzfrage für die im August in Berlin stattfindendc internationale 
medicinisch-wissenschaftliche Ausstellung ist durch 
die fürsorgliche Vermittlung des Ministers v. Gossleb nun¬ 
mehr gelöst und dem Organisations-Comit6 die Maschinenhalle im 
Lande8-Ausstellung8-Park zur Verfügung gestellt worden. Damit 
ist der Raumentfaltung eine in jeder Beziehung genügende Unter¬ 
lage geschaffen und dem Unternehmen eine großartige und würdige 
Form gewährleistet. Nach den im Bureau des Congresses — Karls¬ 
straße Nr. 19 — bereits vorliegenden Anmeldungen ist anzunehmen, 
daß gerade die ersten und bedeutsamsten Firmen wetteifern werdeD, 
um den aus allen Theilen der Welt hier zusammenströmenden Ver¬ 
tretern der medicinischen Wissenschaften ein vergleichendes Bild der 
heutigen Leistungsfähigkeit vorzuführen. Jedes einzelne Land hat 
ein schwerwiegendes Interesse daran, daß gerade bei einer so 
seltenen Gelegenheit, wo die berufensten Fachleute zu gemeinsamen 
Studien und Besprechungen vereint sind, seine einschlägige Industrie 
zur Anschauung und zur allgemeinen Kenntniß gelangt. Die Medicin 
ist überall in so lebhaftem Aufschwung begriffen, daß gerade die 
mit einem Weltcongresse verbundene Ausstellung der Ausgangspunkt 
vielfacher gegenseitiger Anregung, jedenfalls aber die Quelle un¬ 
geahnt zahlreicher und wichtiger Verkehrsbeziehungen werden muß. 

(Heinbich Kuechenmeisteb f.) Am 13. d. M. ist 
zu Dresden der berühmte Helminthologe Med.-R. Dr. Heinbich 
Kuechenmeisteb, 69 Jahre alt, gestorben. K. hat sich bekanntlich 
besondere Verdienste um die Natur- und Entwicklungsgeschichte der 
Eingeweidewürmer des Menschen erworben und namentlich zuerst 
den experimentellen Nachweis der Entwicklung des Bandwurmes aus 
der Finne des Schweinefleisches und der Finnen aus der Bandwurra- 
brut erbracht. Auch die Kenntniß der Krätzmilbe und der Trichine 
wurde durch K.’s Arbeiten wesentlich gefördert. Von großem 
Werthe waren endlich seine Untersuchungen über die Wirksamkeit 
der Wurmmittel. 

(Statistik.) Vom 6. bis inclusive 12. April 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 4700 Personen behandelt. Hievon worden 777 
entlassen; 130 sind gestorben (14'33°/ 0 des Abganges), ln diesem Zeiträume 
worden ans der Civilbevölkerung Wiens ond der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 48, egyptischer Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 3, Dysenterie 2, Blattern 16, Varicellen 44, Scharlach 34, 
Masern 353, Keuchhusten 44, Wundrothlauf 20, Wochenbettfieber 1. — In 
der 15. Jabreswocbe sind in Wien 447 Personen gestorben (-f 24 gegen 
die Vorwoche). 


INHALT: Der neunte Congreß für Innere Medicin. Gehalten za 
Wien, 15.—18. April 1890. — Eröffnungsrede des Präsidenten, Hofrath Noth* 
naqel. — Immermann, Schede : Die Behandlung der Empyeme. — Förbbingbr : 
Zur Klinik der Knochenentzttndungen typhösen Ursprungs. — Unna: Ueber 
insensible Perspiration der Haut. — v. Ziemssen : Zur Pathologie und Diagnose 
der sogenannten Kugelthromben im Herzen. — Edgar Gans: Ueber das Ver¬ 
halten der Magenfanction bei Diabetes mellitus. — Referate and lite¬ 
rarische Anzeigen. C. Stern: Ueber Diabetes mellitus bei Kindern. — S. 
Ehrmann (Wien): Die Mercnrialstomatitis und ihre Behandlung. — Patho¬ 
logie und Therapie der Krankheiten des Respirationsapparates. I. Band : Dia¬ 
gnostik und allgemeiue Symptomatologie der Lungenkrankheiten. In Vor¬ 
lesungen für Aerzte und Studirende. Von Prof. Dr. Albert Frabnkel, Director 
der inneren Abtheilung des städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin. — 
Ueber die Organisationsfähigkeit der Schalenbaut des Hühnereies und ihre 
Verwendung bei Transplantationen. Eine experimentelle chirurgisch-histolo¬ 
gische Studie. Von Dr. R. Haug. — Kleine Mitthellangeo. Behandlung der 
Dysenterie mit Salicylsäure. — Ueber den Einfluß der Einathmung 
heißer trockener Luft auf die Temperatur der Lunge. — Behandlung des 
Unvermögens zu Stillen. — Behandlung des Alkoholismus mit Strychnin. — 
Behandlung von Verbrennungen. — Behandlung der männlichen Impotenz 
mittelst Suspension. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Neunzehnter 
Congreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin vom 
9.— 12. April 1890. (Orig.-Ber.) — Aus den Pariser Gesellschaften. (Orig.- 
Ber.) Sociötö de biojogie. — Notizen. Der neunte Congreß für innere Medicin 
in Wien. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

. . ... . . . . . " ■ . r r 

(Aus Gleichenberg) schreibt man uns: Schon über ein Jahr besteht 
hier ein Fullschacht, in welchem die rühmlichst bekannte Konstantin¬ 
quelle in bedeutender Tiefe auf natürlichem und kürzestem Wege abgeleitet 
wird und ohne Zuhilfenahme irgend eines Pumpwerkes ditect zur Flascben- 
füllnng gelangt, durch welche Procedur die Vortrefflichkeit dieses Mineral- 
Heilwassers vollkommen erhalten bleibt und daher auch der denkbar rationellste 
Betrieb erzielt erscheint. Da sich also diese neue Füllungsart eminent be¬ 
währte, so wurde ein gleicher Füllschacht beim Johannisbrunnen nächst 
Gleichenberg angelegt, welcher in wenigen Tagen vollendet sein wird. Der 
Johanni8brannen ist sowohl als gesundes, wie auch als angenehmes Er¬ 
frischungsgetränk allseitig beliebt und findet in den weitesten Kreisen seine 
Benützung. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

. (Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) i • 

Helder M. und Wedl C., Atlas zur Pathologie der Zähne. Zweite, ver¬ 
mehrte Auflage. Bearbeitet von Dr. J. v Metnitz. 1. Lieferung. London 
und New-York. Arthur Felix. 

Flamm C. E. 0., Monographie der landwirtschaftlichen Colonie Alte-Burg 
für Psychisch-Kranke der Heil- und Pflegeanstalt Pfullingen. Tübingen 
1890. Osiander. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect 
Ober das Handwörterbuch der öffentlichen und privaten Ge¬ 
sundheitspflege , herausgegeben von Dr. 0. Dämmer, welchen 
wir der geneigten Beachtung unserer Leser bestens empfehlen. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Werksarztens-Stelle. 4 

Bei dem fürstlich Schwarzenberg'schen Eisenwerke zu Tnrrach, Ober¬ 
steiermark (nächste Bahnstation Scheifling an der Rudolfsbahn), ist die Stelle 
des Werksarztes in Erledigung gekommen Derselbe wird gegen eine 
Jahresbestallung von 1200 fl. in Baarem und 56 Raummeter weichen Brenn¬ 
holzes vertragsmäßig gegen halbjährige Kündigung aufgenommen und genießt 
ein entsprechendes Naturalquartier. Bewerber um diesen Posten, welche 
Doctoren der Medicin und Chirurgie, sowie auch körperlich vollkommen ge¬ 
eignet sein sollen, dem bei der hohen Lage des Ortes (über 1200 Meter) 
rauheren Klima zu widerstehen, wollen ihre mit dem Nachweise des er¬ 
langten Doctorgrades versehenen Gesuche bei der gefertigten Direction bis 
30. April 1890 einbringen, nachdem die Stelle nach erfolgter Verleihung durch 
den lohen Besitzer ehestens, längsten bis 31. Mai a. c., angetreten werden 
soll. Nähere Auskunft ertheilt die gefertigte Direction. 

Vordemberg in Steiermaik, am 31. März 1890. 578 

Fürstl. Sch warzenberg’sehe Werks-GtiterdirectionVordernberg. 

Ein zahnärztliches nnd zahntechnisches Etablissement mit 

vollständigem Inventar, als: alle erforderlichen neuesten zahnärztlichen und zahn¬ 
technischen Instrumente nnd Maschine», sowie elegante Einrichtungsstücke, in 
der inneren Stadt in Wien, auf einer stark freqnentirten Gas>e, Gassenfront, 
seit mehreren Jahren bestehend nnd mit ausgebreitetem Kundenkreis, ist sofort 
aus freier Hand wegen Abreise preiswerth zu verkaufen und sogleich 
zn übernehmen. Offerten worden unter Chiffre „Zahnarzt Nr. 586* zur 
Weiterbeförderung an die Administration der „Wiener Mediz Presse“ in 
Wien, I., Maximilianstraße 4. erbeten. 


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Nr. 17. 


Sonntag den 27. April 1890. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Grose-t^nart-Format stark. Hiezu eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener xllnik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, L, Maximilianstraase Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Medizinische 


XXXI. Jahrgang. 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse* und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährf. 10 fl., halb]. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ausland: 
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Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnlstr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.I., Mn.TimiHa.Tm tr 4. 

Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Orlginalien and klinische Vorlesungen. Acute Retronasalaffection mit typhoiden Erscheinungen. Localtherapie, rasche Heilung. Von Dr. Carl 
Laxer, Univereitäts-Docent in Graz. — Ueber Rheostate und deren Verwendung in der Elektrodiagnostik nnd Elektrotherapie mit Demonstration 
eines neuen, für die Praxis bestimmten Graphit-Quecksilberrheostates. Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowbki, Chefarzt und 'k. k. Professor in Wien. — 
Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. Ein experimenteller Beitrag zu deren Heilwerth von Dr. Akthuk Loebkl, Wien-Dorna. — Referate 
und literarische Anzeigen. Aus dem Laboratorium des Prof. v. Basch in Wien. K. Bkttkuikim und F. Kauders (Wien): Experimentelle 
Untersuchungen über die künstlich erzeugte Mitralinsufficienz und ihren Einfluß auf Kreislauf und Lunge. — Alexander Peter (Berlin): Ueber 
die Ursachen nnd Behandlung schwerer, hartnäckiger Fälle von Enuresis nocturna beim männlichen Geschlechte. — Kleine Mittheilnngen. Ueber 
die Wirkung des Methacetin. — Phenacetin bei Behandlung des Typhus abdominalis. — Die äußerliche Anwendung des Thiols bei Hautkrank¬ 
heiten. — Anwendung des Chloralamids in subcutanen Injectionen. — Neue Reaction auf Harnsäure. — Neutralisirung des tetanischen 
Giftes. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. IX. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wien vom 15. bis 18. April 1890. (Orig.-Ber.) 
II. — Neunzehnter Congreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin vom 9.—12. April 1890. (Orig.-Ber.) II. — K. k. 
Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — A entliehe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Acute Retronasalaffection mit typhoiden 
Erscheinungen. 

Localtherapie, rasche Heilung. 

Von Dr. Carl L&ker, Universitäts-Docent in Graz. 

Da die Schleimhaut der Nase und des Nasenrachenraumes 
zu allererst von den Verunreinigungen der atmosphärischen 
Luft während der Inspiration getroffen wird, müssen auch 
die in derselben befindlichen Infectionserreger zuerst in den 
vielfachen Buchten dieser Oberfläche aufgefangen werden, und 
es ist geradezu wunderbar, daß einerseits diese ersten Wege 
des Respirationstractes und andererseits von hier aus der 
Gesammtorganismus nicht häufiger an schweren, durch Infec¬ 
tionserreger hervorgerufenen Erkrankungen leiden, als es wirk¬ 
lich der Fall ist. Nur ganz besondere Widerstandskraft, 
eigene, uns nicht näher bekannte, im Baue dieser Schleimhäute 
begründete Einrichtungen müssen uns davor schützen. Wie 
innig die Beziehung der Erkrankung des Nasenrachenraumes 
mit schweren Infectionserkrankungen ist, lehrt uns die fast 
regelmäßige, im ersten Beginne auftretende Mitbetheiligung 
dieser Regionen bei den acuten Exanthemen und anderen In- 
fectionserkrankungen. Außer den in ihren Erscheinungen uns 
sehr geläufigen Infectionserkrankungen mit mehr weniger 
typischem Verlaufe gibt es wahrscheinlich noch eine große 
Reihe anderer, welche für unsere klinische Erkenntniß noch 
nicht in bestimmte Typen eingereiht werden können, deren 
Infectionserreger zuerst die Nasenrachenschleimhaut afficiren, 
daselbst bald geringere, bald stärkere Entzündungsvorgänge 
anregen, von hier aus den Gesammtorganismus gleich einem 
septischen Processe inficiren und in ihrem ganzen Verlaufe be¬ 
kannten , typischen Infektionskrankheiten ähneln. Ein lehr¬ 
reiches Beispiel hiefür hatte ich vor Kurzem Gelegenheit, auf 
Prof. Rembold’s interner Klinik kennen zu lernen: 

K. S. ist seines Zeichens Tischlergehilfe. Derselbe ist hereditär 
in keiner Weise belastet und war selbst stets gesund. Vor vier¬ 


zehn Tagen begab er sich in Hemdärmeln in das Freie bei niederer 
Temperatur und arbeitete längere Zeit, wobei er vielfach mit Schnee 
in Berührung kam und sich dabei sehr erkältete. In seine Wohnung 
zurtickgekehrt, fühlte er nach einigen Stunden ein sich stets steigerndes 
Unbehagen und Abends ein Frösteln, welchem Hitzegefühl folgte. 
Am nächsten Morgen stellten sich Diarrhoen ein, welche mehrere 
Tage andauerten, das Fieber nahm immer mehr zu und Pat. fühlte 
sich dabei so matt, daß er das Bett nicht mehr verlassen konnte. 
Vor 5 Tagen wurde er in das Krankenhaus .überführt und soll sein 
Zustand bisher sich wenig geändert haben. 

Status praoseDB. Pat. ist mittelgroß, ziemlich kräftig ge¬ 
baut, schlecht genährt. Aeußere Decke blaß, leicht icterisch gefärbt. 
Zunge trocken, rissig, belegt, zittert beim Hervor¬ 
strecken. Hals kurz, dick. Schilddrüse mäßig vergrößert. Thorax 
lang, schmal, flach. Spitzenstoß des Herzens im 5. Intercostalranm 
nach innen von der Mamillarlinie. Herzdämpfung am oberen Rande 
der 4. Rippe begiuuend, etwas über den linken Sternalrand reichend. 
Erster Herzton an der Spitze dumpfer und leiser als der zweite. 
Zweiter Pulmonalton nicht deutlich accentuirt. Leherdämpfuug in 
der rechten Axillarlinie im 5. Intercostalraum beginnend, sehr bald 
in gedämpft tympanitischen Schall übergehend. In der Mittellinie 
endet die Leherdämpfuug an der Grenze des oberen und mittleren 
Drittels der Entfernung zwischen Nabel und Processus xiphoideus. 
Auch in der liuken Axillarlinie Hochstand des Zwerchfells nach¬ 
weisbar, Milzdämpfung schwer bestimmbar, nicht auffallend ver¬ 
größert. 

Unterleib meteoristisch aufgetrieben, mäßig gespannt, überall 
tympanitischen Schall von wechselnder Höhe gebend, in der Ileo- 
coecalgegend gurrende Geräusche, keine freie Flüssigkeit nach¬ 
weisbar. 

Ueber sämmtlichen Lungenpartien heller, nicht tympanitischer 
Percussionsschall. Ueberall vesiculäres Athmcn; dasselbe ist in den 
hinteren und unteren Partien rauher und mit reichlichen kleinblasigen 
Rasselgeräuschen untermengt. 

Keine Oedeme. Puls voll, weich, frequent, nicht deutlich 
dicrot. Harn dunkel, klar, zeigt vermehrte Urate und geringe 
Mengen Eiweiß. Temperatur 402°. 


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An eine Nasenrachenerkrankung wurde umsoweniger ge- geleitete Therapie sollte die Rechenprobe für die aufgestellte 
dacht, da Pat. versicherte, früher niemals daran gelitten zu Vermuthung abgeben. 

haben. Auch seit seiner Erkrankung habe er Tage lang nicht Zum Zwecke einer gründlichen Reinigung der erkrankten 

das Bedürfniß, sich zu schneuzen. Beiderseits war Durch- Schleimhautoberflächen führte ich am 23. Januar, Nachmittags 

gängigkeit der beiden Nasenhöhlen, wenn auch in vermindertem 4 Uhr, einen KEssEi.’schen Haken hinter das Graumensegel, so 

Maße, vorhanden. Die Temperatur war, wie aus der bei- daß die beiden Ausflußöffnungen in der Höhe der Choanen 

gefügten Tabelle ersichtlich, Anfangs sehr hoch, meist zwischen sich befanden, ließ denselben durch einen Assistenten in dieser 


39 u und 40°, erreichte am 21. Januar Mittags sogar 40'9°. 


1 

I Datum 

Ten 

p e r 

a t u r um 



Vormittag 


Nachmittag 




8 | 10 12 

4 

6 | 8 

10 

12 

Uhr 


Uhr 



20. Januar 

397 - 396 

398 



404 

21. 


39-2 — 40 9 

40 6 

_ — 

— 

392 

22. 


388 — 40 

402 

— — 

— 

40-1 

23. 


385 - 392 

39 8 

39-4 394 

384 

367 

24. 


367 — 37-3 

374 

379 374 

37 

363 

25. 


36-5 i - 36 7 

37 3 

— — 

— 

37 

26. 


367 — 366 

371 

— — 


372 

27. 


37 | — 36-8 

37-2 

— — 


366 

28. 


364 - 367 

36-7 

— — 

— 

37-5 

29. 


36-5 - 38 

381 

— — 

— 

37 

30. 


37 i - 37-1 

37-7 

— — 

— 

37-3 

31. 


36'4 | — 374 

35-7 

— — 

— 

37T 

1. 

Februar 

36 5 | - — 


— — 

— 

— 


Nach all dem war es im Anfänge sehr schwer, zu einer 
sicheren Diagnose zu gelangen. Das Bild eines theilnahmslos 
dahinliegenden fiebernden Kranken, die Diarrhoen im Beginne 
der Krankheit, die Beschaffenheit der Zunge, der Meteorismus 
u. s. w., sprach sehr für die Annahme eines Typhus abdomi¬ 
nalis, und entschlossen wir uns auch zu dieser Wahrschein¬ 
lichkeitsdiagnose, wenn auch der Fall kein typischer schien, um 
so lieber, als wir wiederholt aus der Gasse, in welcher der 
Pat. erkrankt war, Typhusfälle zur Aufnahme bekommen hatten. 

Am 23. Januar, Morgens, ergab eine genaue Unter¬ 
suchung des Nasenrachenraumes folgenden Befund: Beide 
Arcus palatopharyngei mäßig geröthet und stark geschwellt, 
die Seitenstränge mächtig hervortretend; ebenso überwiegt 
an der hinteren Rachen wand die Schwellung der Schleimhaut. 
Während an den freien Rändern der Arcus palatopharyngeus 
und an einzelnen Stellen der Tonsillen ein sehr zäher Schleim¬ 
belag haftete, mit dem auch die hintere Rachenwand bedeckt 
erschien, zog sich von dem Retronasalraume nach abwärts in 
der Breite von 2 Cm. ein dicker Strom eines graugrünlich 
gefärbten, reichlich mit Eiterkörperchen untermengten zähen 
Schleimes, der sich nach dem Wegwischen sehr bald wieder 
erneuerte. Die Rhinoscopia posterior ergab, daß die ganze 
Kuppe der Rachenhöhle damit ausgefüllt erschien, und daß 
diese Massen an verschiedenen Stellen, besonders an den Tuben¬ 
wülsten und am Septum, zu zerklüfteten Borken mit matt¬ 
grauer, völlig trockener Oberfläche sich umgewandelt hatten. 
Zum größten Theile waren damit auch die Choanen ausgefüllt, 
so daß von der Schleimhaut der hinteren Muschelenden nichts 
sichtbar wurde. 

Dadurch erklärte es sich auch, warum die im Retro- 
nasalraume abgesonderten zähen Schleimmassen nicht nach 
vorne befördert werden konnten. Die Untersuchung von vorne 
ergab das Fehlen flüssigen Secretes in beiden Nasenhälften 
und das Vorhandensein mächtiger, völlig trockener Borken¬ 
massen von gleicher Beschaffenheit wie die im rhinoskopischen 
Spiegelbilde sichtbaren, welche die Nasengänge ausfüllten, die ’ 
Muscheln einhüllten und mit den von rückwärts beobachteten 
Borkenmassen zusammenhingen. Der aus Mund und Nase 
wahrnehmbare Geruch war dabei kein besonders auffallender. 

Vorliegender Befund deutete auf eine intensive entzünd¬ 
liche Erkrankung des Nasenrachenraumes hin und ließ die 
Vermuthung gerechtfertigt erscheinen, daß hier der eigentliche 
Sitz der ganzen Erkrankung zu suchen sei. Die mit Rück¬ 
sicht auf den nunmehr angenommenen Erkrankungsherd ein- 


Stellung fixiren und spritzte mit einer durch einen Kautschuk¬ 
schlauch mit dem KKSSEL’schen Haken verbundenen Handspritze, 
bei stark vorgeneigtera Kopfe mehrere Spritzen lauwarmer, 
sterilisirter 1% CINa-Lösung vorsichtig durch. Der Pat. 
gewöhnte sich erst allmälig an die immerhin unangenehme 
Procedur. Die Lösung floß zum Theile neben dem Instru¬ 
mente hinter dem Gaumensegel, unterstützt durch eine leichte 
Parese desselben, zurück, und nur ganz dünne Strahlen 
drangen nach vorne heraus. 

Mit der Kochsalzlösung wurden ziemliche Mengen eines 
bald mehr weißlichen, bald grünlichen, zähflüssigen Schleimes 
und einzelne Borken entfernt. Dadurch kam es auch zu einer 
Lockerung der ausgetrockneten Secretmassen. Nach Entfernung 
des KEssEL’schen Hakens konnte Pat. sich wieder schneuzen 
und entfernte nun dabei in überraschender Menge Borken¬ 
massen, welche die Nasengänge zum großen Theile ausgefüllt 
hatten. Ein kleiner Theil derselben wurde instrumentell entfeint. 

Manche dieser Borken zeigten deutlich die Abdrücke der 
Muscheln, waren an der einen Seite völlig trocken und hart, 
an der der Schleimhaut anliegenden verflüssigt und zeigten 
daselbst reichlichen Eitergehalt und Blutbeimengungen. Die¬ 
selben gaben einen aashaft stinkenden Geruch von sich, der 
sich nun erst auch aus Mund und Nase des Pat. bemerkbar 
machte. Durch fortgesetzte Ausspülungen, die nunmehr auch 
von vorne gemacht werden konnten, verminderte sich der Ge¬ 
ruch beträchtlich. 

Pat. entfernte noch im Laufe mehrerer Stunden durch 
Schneuzen, welches ihm, wie er nun angab, früher gar nicht 
möglich war, nicht unbeträchtliche Secretmengen. Beide Nasen¬ 
höhlen erwiesen sich jetzt genügend weit, für einen breiten 
Flüssigkeitsstrahl durchgängig, die Muscheln waren klein, die 
Schleimhaut nur wenig geröthet und geschwellt, hie und da 
oberflächliche kleine Geschwüre und Hämorrhagien aufweisend. 
Intensiver geröthet und geschwellt erwies sich die Schleim¬ 
haut der oberen Rachenhöhle. 

Die auffallendste Erscheinung bot das sub- 
jective Befinden des Pat. dar. Sofort nach der Ent¬ 
fernung der Borkenmassen gewann der Gesichtsausdruck des 
Pat., der früher theilnahmslos dahinlag, an Ausdruck und 
Bewegung und derselbe versicherte, daß er sich von einem 
schweren Drucke befreit vorkomme; er fühle, daß seine Krank¬ 
heit behoben sei. 

In der That sank nunmehr die Temperatur in wenigen 
Stunden von 40° auf 36'7° und erreichte wie die Tabelle zeigt, 
durch mehrere Tage nicht mehr die Höhe von 38°, bei stets 
sich besserndem Allgemeinbefinden. 

Bei den nunmehr täglich fortgesetzten Ausspülungen 
mittelst des KEssEL’schen Hakens wurden noch immer, doch 
in stets abnehmender Menge, Schleim- und Borkenmassen ent¬ 
fernt ; der objective Befund zeigte eine deutlich fortschreitende 
Besserung der Localaffection, der Geruch aus Mund und Nase 
wurde immer weniger merklich. 

Es ist wohl in hohem Grade wahrscheinlich, 
daß die beschriebene Erkrankung des Pat. eine 
schwere allgemeine Infectionserkrankung dar¬ 
stellt, deren Infectionserreger sich zuerst im 
N äsen rachen raume ansiedelten, unter den Borken¬ 
massen sich vermehrend in die Lymphbahnen der 
Schleimhaut gelangten und vonhieraus, wie bei 
einem septischen Processe, schwere Erscheinungen 
einer fieberhaften Erkrankung des Gesammtor- 
ganismus hervorriefen. (Schluß folgt.) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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Ueber 

Bheostate und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Quecbsilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandoweki, k. k. Professor 

in Wien. 

Der Rheostat wurde von R. Brenner in die Elektro¬ 
diagnostik und Elektrotherapie eingeführt. Brenner ver¬ 
wendete einen Metalldrahtrheostat. mit abgemessenen Wider¬ 
ständen in einer Nebenschließung zu der den menschlichen 
Körper enthaltenden Hauptleitung zur approximativen Ab¬ 
schätzung der jeweilig benützten Stromintensitäten. Nimmt 
man die elektromotorische Kraft der Stromesquelle und den 
Widerstand des eingeschalteten menschlichen Körpers als 
constant an, so kann man allerdings durch Variation der ab¬ 
gemessenen Widerstände in der Nebenschließung auch in ganz 
gesetzmäßiger Weise, die den menschlichen Körper (in der 
Hauptschließung) durchfließende Stromstärke variiren, und die 
jeweiligen Stromeffecte auf relativ untereinander vergleichbare 
Stromintensitäten beziehen. Dies waren die ersten Versuche 
zur Messung der bei der Verwerthung der Elektricität zu 
diagnostischen und therapeutischen Zwecken benützten Strom¬ 
stärken. 

Seit der Fixirung absoluter, stets direct untereinander 
vergleichbarer Stromintensitäten, zumal aber, seitdem wir in 
den Dr. M. Th. EüELMANN’schen Galvanometern vorzügliche 
Präcisionsinstrumente besitzen, die ohne jede Rücksichtnahme 
auf den Widerstand des eingeschaltenen Körpertheils, bei 
Benützung irgend einer beliebigen Stromesquelle an ver¬ 
schiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten, die in jedem Falle 
benützte Stromstärke einfach direct abzulesen gestatten, wurde 
jene ungenaue, vielen Fehlerquellen ausgesetzte Methode zur 
(allenfalls nur approximativen) Abschätzung der verwendeten 
Stromintensität mit Recht verlassen. 

Dagegen erwuchs den Rheostaten in letzterer Zeit eine 
neue, viel wichtigere Aufgabe. Sie dienen nämlich heutzutage 
(bei der Verwerthung der Elektricität zu Heilzwecken) einzig 
und allein nur dazu, die Stromstärke in der den menschlichen 
Körper und das Galvanometer enthaltenden Hauptleitung be¬ 
liebig zu modificiren, d. h. zu verstärken, beziehungsweise 
abzuschwächen. Dies vermag man allerdings auch mit Metall- 
drahtrheostaten in der Nebenschließung, sofern diese nur 
Kurbeleinschaltungsvorrichtung besitzen, einigermaßen zuwege 
zubringen; allein entsprechende Drahtrheostate sind einerseits 
schon an und iur sich sehr voluminös und kostspielig, und 
verursachen andererseits in der Nebenschließung eine völlig 
nutz- und zwecklose rasche Consumption der . gesummten 
Batterie. 

Da die Rheostate dem Gesagten zufolge nur dazu dienen 
sollen, die Stromstärke im Hauptschließungsbogen zu modi¬ 
ficiren , so kommt es bei Verwendung in absoluten Maßen 
empirisch geaichter Galvanometer (Edelmann’ s Horizontal- 
Galvanometer) gar nicht auf abgemesseneWiderstände 
an, vielmehr bedürfen wir nur eines regulirbaren, dabei aber 
auch ganz allmälig abstuf baren Ballastwiderstandes 
von beachtenswerther Leistungsfähigkeit; wir können somit 
von Metalldrahtrheostaten mit abgemessenen Widerständen 
ganz absehen. 

Ein derartiger Ballastrheostat wird direct in die Haupt¬ 
leitung eingeschaltet und hat demzufolge die Leistung der 
Stromzähler oder Elementenzähler zu ergänzen, diese beziehungs¬ 
weise ganz zu ersetzen. Benützt man nämlich nur den Elementen¬ 
zähler, so ergibt selbst der Uebergang von je einem Elemente 
zum andern, zumal bei Elementen mit großer elektromotorischer 
Kraft, eine zu bedeutende Stromesschwankung; Elementen¬ 
zähler dagegen, die nur je zwei Elemente auf einmal ein-, 
beziehungsweise ausschalten, sind ohne Rheostat schon gar 


nicht zu gebrauchen. Benützt man indessen Elementenzähler 
allein, so werden gewöhnlich schon in kurzer Zeit die ersten 
Elemente der ganzen Batterie abgenützt, während die übrigen 
noch gar nicht in Verwendung gezogen wurden; trotzdem 
erfordert in diesem Falle die ganze Batterie des Nachsehens, 
Reinigens, Neufüllens und des Ersatzes verbrauchter Theile, 
während bei Benützung eines entsprechenden Ballastwider¬ 
standes in der Hauptleitung alle Elemente eingeschaltet 
werden können, und die ganze Batterie gleichmäßig abgenützt 
wird, dieselbe demnach durch längere Zeit activ bleibt, als 
bei jedesmaliger Benützung blos der ersten Elemente. 

Die Anforderungen, die dem Erörterten zufolge an einen 
derartigen, in die Hauptleitung direct einzubeziehenden Ballast¬ 
widerstand zu stellen sind, lassen sich dahin präcisiren, daß 
dieser Widerstand a) hinreichend intensiv sei, um die Strom¬ 
stärke einer der zu elektrodiagnostischen oder elektrothera- 
peutischen Zwecken verwendeten transportablen Batterien, die 
bei kurzem Schluß am Galvanometer gewöhnlich 25 — 35 M.-A. 
ergeben, auf wenige Zehntel eines einzigen M.-A. reduciren 
zu können und b) daß er das Zunehmen, beziehungs¬ 
weise die Verminderung der Stromstärke im 

Schließungsbogennurganzallmäligundvollends 

gleichmäßig ohne jeden Sprung, ja sogar ohne 
jede Stromesschwankung besorge. 

Was die Dignität dieser zwei Postulate betrifft, so er¬ 
scheint das zweite noch bedeutend wichtiger als das erste. 
Viel eher kann der Praktiker mit einem im Ganzen nicht 
gerade erheblichen Widerstande sein Auslangen finden, mit 
einem Widerstande, der beispielsweise nur 10 M.-A. oder gar 
nur 8 M.-A.. auf einige Zehntel eines M.-A. zu reduciren ver¬ 
mag. In einfacher Weise ließe sich dann die Einrichtung 
treffen, daß gegebenenfalls das einemal die erste Hälfte, das 
nächstemal die zweite Hälfte der Batterie zur Verwendung 
kommt, oder daß die Batterie hiebei in 3 oder gar 4 Theile 
abgetheilt wird, die altemirend benützt werden, wofern nur 
der Rheostat das allmälige und ganz gleichmäßige Abstufen 
der Stromstärke vermittelt und nicht Sprünge oder Stromes¬ 
schwankungen verursacht; denn im gegenteiligen Falle würde 
selbst ein so erheblicher Widerstand, der 50 ja selbst 100 und 
noch mehr M.-A. sogar bis auf Null zu reduciren vermöchte, 
nichts nützen. 

Nur ein praktischer Elektrotherapeut weiß 
das ganz allmälige und gleichmäßige Ein- und 
Ausschleichen des Stromes, das beispielsweise nur 
einzig und allein die Anwendung schwellender Ströme er¬ 
möglicht und das Zustandekommen der positiven Modification 
nach stabiler Anodenwirkung verhindert, zu schätzen und er 
verzichtet dieser Möglichkeit zuliebe gern auf enorm große 
Widerstände, die nur sprungweise die Vermehrung oder Ver¬ 
minderung der Stromstärke besorgen, wogegen wieder die 
Theoretiker gerade auf besonders große Widerstände viel 
zu halten scheinen. Die eben genannten Momente und nicht 
die „alleinige Berücksichtigung der Hautsensi¬ 
bilität während einer Stromapplication“ sind für 
die nutzbringende Verwerthung des Rheostates maßgebend. 

Ballastrheostate, die nach den erörterten Richtungen 
in praxi genügen sollen , wurden bisher, und zwar seit dem 
Anbeginn der methodischen Verwerthung der Elektricität zu 
Heilzwecken, einerseits als Fliissigkeits-, andererseits als 
Graphitrheostate gefertigt, und verwende ich bereits seit mehr 
denn 16 Jahren differente Ausführungen des einen, wie des 
anderen zu gedachtem Zwecke; auch habe ich mich selbst zu 
verschiedenenmalen an der mir zweckdienlich erscheinenden 
Abänderung solcher Apparate betheiligt. 

So ließ ich- mir beispielsweise vor 12 Jahren einen 
Graphitrheostat fertigen, der im Wesentlichen aus einer circa 
20 Cm. langen, mit Graphitpulver erfüllten Glasröhre bestand; 
an dem einen Ende war ein mittels einer Schraube verstell¬ 
barer metallener Stempel zum festeren Zusammenpressen des 
Graphitpulvers angebracht, und dur.-h den Metall Verschluß der 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 664 


anderen Seite eine vergoldete Stahlnadel geführt, die beliebig 
tief in das Grapbitpulver hinabgeschoben, beziehungsweise 
aus demselben bervorgezogen werden konnte. Die Metall¬ 
fassungen der beiden Enden dieser Röhre waren mit Draht¬ 
klemmen zur Einschaltung in die Stromleitung versehen. Je 
lockerer das Grapbitpulver in der Glasröhre vertheilt war und je 
weniger die vergoldete Stahlnadel in dasselbe ragte, desto 
größer war der Widerstand, der einerseits durch Zusammen¬ 
pressen des Graphitpulvers, andererseits durch Herausziehen 
der vergoldeten Stahlnadel vermindert werden konnte. 

Vor etwa 6 Jahren bezog ich von der Firma E. M. 
Reiniger (Universitätsmechaniker in Erlangen) den in der 
schematischen Eig. 1 dargestellten Graphitrheostat. Dieser 
enthielt in einer flachen Holzbüchse im Kreise gestellte Glas¬ 
plättchen, die mit verschieden dicken Lagen von Graphit 
überzogen waren. Diese Graphitlagen waren durch Metall¬ 
bögen untereinander verbunden, und ging von jedem solchen 
Bogen eine Fortleitung zu je einem der am Deckel dieser 
Holzbüchse ebenfalls im Kreise gestellten metallenen Schleif- 
contactklötzchen. 



Im Centrum dieser Holzbüchse befand sich die metallene 
Achse für eine Kurbel CF, die der Reihe nach über die 
Schleifcontacte verschoben werden konnte. Von der Achse 
dieser Contactfeder ging die Leitung L zu der einen und 
von dem ersten Widerstandsplättchen desgleichen eine metal¬ 
lische Verbindung zu der zweiten Drahtklemme, durch die 
der ganze Apparat mit den Kabeln der Hauptleitung KK 
verbunden werden konnte. Durch Verschiebung der Contact¬ 
feder (CF) der Reihe nach über die einzelnen Schleifcontacte 
konnten stets größere Widerstände (allerdings nur sprung¬ 
weise) eingeschaltet werden. Die Contactfeder war so ein¬ 
gerichtet, daß sie in der Mittelstellung je zwei Contacte be¬ 
rühren konnte, um ohne gänzliche Stromunterbrechung das 
Ein-, beziehungsweise Ausschalten der Widerstände zu ver¬ 
mitteln. Die Widerstände der einzelnen Widerstandsplättchen 
waren auf empirischem Wege bestimmt, die Schleifcontacte 
numerirt und die betreffenden Widerstandszahlen auf einer 
am Boden der Holzbüchse befindlichen Tafel verzeichnet. 

Ursprünglich gedachte ich diesen Rh eostat mit seinen 
großen, aber genau abgemessenen Widerständen in Verbindung 
mit einem Metalldrahtrheostat mit ebenfalls genau abgemessenen 
Widerständen dazu zu benützen, um bei Verwendung einer 
einfachen Umschaltungsvorrichtung am Galvanometer (bei un¬ 
veränderter Lage der Pole am menschlichen Körper) in der 
einen Stellung des Umschalters Stromstärken (in M.-A.), hin¬ 
gegen in der andern Stellung des Umschalters elektromotorische 
Kräfte (in Volts) direct ablesen und durch Division derletztern 
auch erstere den Widerstand der eingeschalteten Körper¬ 
strecke (in Ohms) nach dem ÜHM’schen Gesetze berechnen 
zu können. In der Folge änderte ich die Versuchsanordnung 


zur leichten und bequemen, directen Bestimmung des Wider¬ 
standes der eingeschalteten Körperstrecke mehrfach ab, bis ich vor 
JahresfristvonDr. M. Th. Edelmann zu gedachtem Zwecke einen 
höchst einfachen Apparat erhielt, der jede umständlichere 
Versuchsanordnung ganz überflüssig erscheinen läßt. 

Aber 'nicht nur zuWiderstandsbestimmungen, 
sondern auch direct als Rheostat, d. h. um Widerstände 
in die Hauptleitung einzuschalten, verwendete ich den 
REiNiGEa’schen Apparat (Fig. 1), und zwar zu elektrothera- 
peutischen Zwecken, obgleich er ursprünglich 
vielleicht nicht gerade im Hinblick auf diese 
Benützung ausgeführt worden sein dürfte. Ich 
schaltete nämlich damals diesen REiNiGER’schen Rheostat, dann 
einen Flüssigkeitsrheostat und dann einen Mayer- WoLF’schen 
Metalldrahtkurbelrheostat in die Hauptleitung meiner stabilen 
constanten Batterie. Um alle Elemente auf einmal benützen 
zu können, schaltete ich nun am RKiNiGER’schen Rheostat 
jenen Widerstand ein, der die Stromstärke der ganzen Batterie 
auf die im gegebenen Falle erforderliche Maximalstrom¬ 
stärke — z. B. 5 M.-A. — reducirte und besorgte die Variation 
innerhalb dieser gegebenen Stromesintensität, sodann durch 
Handhabung des Flüssigkeitsrheostates, sowie des von 50 zu 
50 Ohms ansteigenden Mayer- WoLF’schen Metalldrahtkurbel- 
rheostates. Diese Anordnung beweist, daß der REiN:GER’sche 
Rheostat vielleicht nicht gerade für medicinische 
Zwecke bestimmt, aber doch dazu verwendbar 
war. Beruht doch einerseits die ganze ärztliche Improvisations¬ 
technik darin, sich gegebenenfalls für bestimmte Zwecke 
Hilfsmittel dienstbar zu machen, die vielleicht ursprünglich 
für andere Verwendung bestimmt waren, und trifft man 
andererseits hin und wieder gar oft auch Gegenstände, die für 
eine ganz bestimmte Verwendung construirt und patentirt 
wurden, für welchen Zweck sie gerade am wenigsten taugen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. 

Ein experimenteller Beitrag zu deren Heilwerth 
von Dr. Arthur Loebel, Wien-Dorna. 

Bei der steigenden Verwendung der Moorbäder in den 
Curorten war es natürlich, daß sowohl das gesteigerte Zu¬ 
trauen der Patienten zu diesem Heilmittel, als auch die über¬ 
raschenden Erfolge der Badeärzte oft genug dem vielgeplagten 
Praktiker die Frage nahelegten, wie diese Heilpotenz auch 
im bescheidenen Haushalte einzubürgern wäre und wie man 
sich überhaupt von der unerbittlichen Kürze der Saisondauer 
emancipiren könnte. 

Es ist also erklärlich, warum die Moorextracte gleich 
nach ihrem Auftauchen so rasch Anklang beim ärztlichen und 
Laienpublikum fanden. Um so fragwürdiger erscheint es 
daher, ob auch der Verordnung dieser Präparate eine wissen¬ 
schaftliche Basis geschaffen wurde mit der von Prof. Lüdwig 
durchgeführten Analyse der von der Firma Mattoni herge¬ 
stellten Präparate. 

In demselben Maße nämlich, als sich der Land- und 
Stadtarzt dieser Surrogate bemächtigte und von den Heil¬ 
resultaten derselben berichtete, erhob sich heftige Einsprache 
von Seiten der Badeärzte, welche diesem Ersatzmittel jede 
Berechtigung absprachen indem sie die Wirkung des Moor¬ 
bades auf die physikalischen Eigenschaften seiner breiigen 
Consistenz zurück führten, welche dem flüssigen Moorextract- 
bade selbstverständlich fehlt. Als endlich Heitzmann dieser 
heiklen Frage an den Leib zu rücken versuchte und die 
dichtere Consistenz der Moorbäder durch Zusatz von Wald¬ 
erde zu den Moorextractbädern zu imitiren empfahl, war der 
badeärztliche Einwurf in Folge der salomonischen Anordnung 
Heitzm.ann’s erst recht begründet worden, weil, abgesehen von 
Loiman’s Einwendung, daß der Walderde die antimykotische 
Wirkung der Moorerde fehle, auch noch die zuerst von Car- 
tellieri erwiesenen veränderten Wärmeleitungs- und Wärme- 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


666 


capacitäts Verhältnisse derselben nicht im äquivalenten Grade 
anhaften konnten. 

Man hörte also einerseits von den praktischen Aerzten, 
denen sich zwar die Ueberwachung der Moorbadecur entzieht, 
die aber gerade dazu berufen sind, die Erfolge der Moorbäder 
zu controliren und deren nachhaltige und bleibende Wirkung 
zu constatiren, auch die Moorextraete als entsprechenden Er¬ 
satz für die Moorbäder anpreisen, und sah andererseits die 
Badeärzte, die, bei aller Logik und Polemik ihrer theoretischen 
Erwägungen, doch nicht im Stande sind, den ganzen Erfolg 
einer Badecur ausschließlich auf die Heilkraft der Moorbäder 
zu concentriren und die mitconcurrirenden Einflüsse der abge¬ 
änderten klimatischen, diätetischen und socialen Verhältnisse 
mit derselben mathematischen Präcision, wie der College daheim, 
auszuschließen, gerade die Ersatzfähigkeit der Moorextraete 
bestreiten, so daß man leicht versucht war, dem ganzen 
Streite den Rücken zu kehren und die einen als therapeutische 
Schönfärber und die anderen als überlaute Lobredner pro domo 
zu belächeln. 

Befremdlich blieb bei alledem der Umstand, warum 
die Badeärzte, welche ihre Aufmerksamkeit diesem literarischen 
Streite schenkten, nicht die Versuche in ihren Stationen wieder¬ 
holten, wodurch sie einerseits in die Lage versetzt worden 
wären, die Wirkungen dieser zwei Bädergattungen in ihren 
Abweichungen zu diflerenziren, die Angaben ihrer Gegner in 
der unwiderlegbarsten Weise zu rectificiren, namentlich aber 
ihren mehr oder minder vagen und mehr oder minder hypo¬ 
thetischen Eingebungen eine verwerthbare Basis von Versuchen 
und Beobachtungen zu geben. 

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, habe ich im ver¬ 
flossenen Sommer an vier Kranken diesbezügliche Versuche 
mit den Präparaten der Firma Mattoni angestellt und zum 
Theile die Moorlauge per Flasche, zum anderen Theile das 
Moorsalz per Schachtel verwendet, während ich die Moorbäder 
erst zum Schlüße gebrauchen ließ. Ich beabsichtigte dadurch 
einerseits die verschiedenartigen Wirkungen genau auseinander 
zu halten und andererseits mich zu versichern, daß nicht das 
Moorbad in seiner eventuellen Nachwirkung die Wirkung der 
Moorextractbäder alterire. 

Um mich von der subjektiven Umstimmung des Patienten 
und der subjectiven Beurtheilung seines Zustandes zu eman- 
cipiren, habe ich mir solche Fälle ausgesucht, welche eine 
klare und objective Beobachtung der Veränderungen ermög¬ 
lichten. Nachdem jedoch die mechanischen, chemischen und 
thermischen Reize, welche die diversen Bäderformen in der ver¬ 
schiedensten Combination ausüben, hauptsächlich zu einem Haut¬ 
reize sich summiren, der durch Insultirung der oberflächlichen 
Nervengeflechte auf reflectorischem Wege die Herzthätigkeit 
und die Circulationsverhältnisse beeinflußt und hiedurch im 
weiteren Verlaufe die vitalen Functionen sämmtlicher Organe 
beeinträchtigt, habe ich eine halbe Stunde vor jedem Bade, 
eine halbe Stunde nach dem Bade und weitere sechs Stunden 
nach demselben die Pulsfrequenz und mittelst des Sphygmo¬ 
manometers von Basch den Blutdruck notirt, wobei ich jedes¬ 
mal die Patienten mindestens eine halbe Stunde im Warte¬ 
zimmer und fünf Minuten in meiner Ordinationsstube ausruhen 
ließ, um die nächstliegenden Momente der Aufregung zu 
eliminiren. 

Der erste Versuch betrifft die Pfarrerswitwe G. Theophila, 
50 Jahre alt, aus D. in der Bukowina. Die Pat. vermißt seit etwa 
4 Monaten die Menstrualblutung, die früher in vierwöchentlichem 
Typus durch 3 Tage aufzutreten pflegte, wohl aber fand sie sich 
seit der Zeit durch Fluor albus, Magenbeschwerden mit Appetit¬ 
losigkeit und Sodbrennen bei regelmäßigen Stuhlentleerungen und 
zur Zeit des erwarteten Blutflosses durch Blutwallungen, Schlaf¬ 
losigkeit und Kreuzschmerzen behelligt. Seit derselben Zeit hat sich 
auch ein lästiges Hautjucken eingestellt, und die Kranke beobachtete 
zu ihrem Schrecken eine Unzahl rother Flecken am ganzen Körper, 


die plötzlich ohne vorherige Beschwerden aufgetreten waren und 
sich immer mehr vermehrten. Zudem laborirt dio Dame schon seit 
vielen Jahren an Husten mit Schleimauswurf. 

Die schmächtige Pat. ist von kräftiger Constitution, die Haut¬ 
oberfläche ihrer oberen und unteren Extremitäten, namentlich der 
Oberschenkel, sowie diejenige des ganzen Stammes, ist von punkt¬ 
förmigen bis linsengroßen, disseminirten, theils lebhaft rothen, theils 
bereits verfärbten Flecken bedeckt, die unter dem FiDgerdrucko 
nicht schwinden. Die Percussion der Lungen ergibt bei normalem 
Schalle normale Grenzen, die Auscultation diffuse großblasige Rassel¬ 
geräusche. Am Herzen und im Abdomen ist nichts Abnormes zu 
constatiren. Die Vaginalportion ist verkürzt, der Uterus verkleinert, 
der äußere Muttermund entleert einen milchfärbigen, dünnflüssigen 
Schleim. 

Nachdem der Bronchialcatarj-h der Pat. schon jahrelang währte 
und ihr keine Besorgniß mehr einflößte, wollte sie nur von ihrem 
frisch acquirirten Hautleiden befreit werden. Da sie aber im Stadium 
der Menopause sich befand und es auf der Hand lag, daß die 
Purpura nur in Folge des erhöhten Blutdruckes erschienen war, der 
zufolge der plötzlichen Sistirung der menstruellen Blutausscheidungen 
auftreten mußte, so befand ich mich in der unliebsamen Situation, 
der Dame, die auf die Verordnung einer Badecur drang, weil sie trotz 
der anderweitigen, monatelangeu Mediation keinerlei Erfolg sah , eine 
indifferente Badeform anrathen zu mtißen. Et ut aliquid fieri videatur, 
griff ich zu den Moorextracten, in der Erwartung, durch dieses an¬ 
spruchslose Mittel den Capillarwandungen keinerlei Mehrleistung 
aufzubürden. 


In diesem Sinne versuchte ich nun alle 2 Tage ein 38° C. 
warmes Bad durch 20 Minuten mit dem Zusatze von einer ganzen 
Flasche Moorlauge und constatirte: 



.. . 


‘/, Stande 

V, Stunde 

6 Stunden 





vor dem 

nach dem 

nach dem 


Tag 

RnH 

Bade 

Bade 

Bade 





Puls 

Blut- 

Puls 







druck 

druck 

druck 

Puls 





In. Hg 


U. Hg 


»■. Bg 



am 1. 

im 

1. 

160 

90 

150 

88 

150 

84 


* 3. 


2. 

150 

82 

140 

84 

150 

84 


„ 5. 


3. 

160 

84 

140 

84 

140 

84 


„ 7. 


4. 

160 

84 

150 

81 

140 

84 


„ 9. 


5. 

160 

86 

140 

84 

120 

84 

Jucken geschwunden 

. 11- 

n 

6. 

160 

84 

150 

86 

150 

88 

1 Todesnachricht einer 
\ Freundin 

n 13- 

79 

7. 

150 

92 

140 

90 

140 

84 

" 



Die Herabsetzung des Blutdruckes nach jedem Bade bewog 
mich, zum Moorsalz, als dem kräftigeren Präparate, zu greifen und 
ich fand: 


Tag 

Bad 

i l i Stunde vor 
dem Bade 

V, Stunde nach 
dem Bade 

6 Stunden nach 
dem Bade 




Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

am 

15. 

im 8. 

Mm. Bg 
130 

96 

Mm. Bg 
140 

84 

Mm. Hg 

150 

84 


17. 

n 9. 

130 

90 

— 


130 

88 


19. 

„ io- 

110 

81 

130 

86 

120 

78 


21. 

» 11. 

140 

84 

160 

84 

120 

76 


23. 

„ 12. 

130 

78 

150 

8t 

120 

70 

' 19 

| 

25. 

. 13- 

120 

78 

130 

76 

140 

76 


Nachdem der weitaus größte Theil der Flecken, ohne seine 
Form und Größe merklich zu ändern, die lebhaft rothe Farbe in 
eine blaurothe, später in eine gelblichgrüne und braune umwandelte, 
das aus den Capillaren ausgetretene Blut somit seinen Involutions- 
proceß dnrchmachte, ohne daß inzwischen Anzeichen frisch erfolgter 
Hämorrhagien aufgetreten wären, entschloß ich mich , die Cur der 
Dame mit einigen Moorbädern von 38° C. durch 20 Minuten Bade¬ 
dauer abzusehließen und beobachtete nun: 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 17. 


668 


Tag 

Bad 

'/* Stande vor 
dem Bade 

l /a Stunde nach 
^ e m Bade 

6 Stunden nach | 
dem Bade | 



Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

am 27. 

im 14. 

1 

Mm. Hg • 

lio ! 

78 

Mm. Hg 
140 

74 

Mm. Hg 

150 

90 

r 29. 

» 15. 

130 ! 

66 

140 

84 

140 

86 

„ 31. 

„ 16 

130 ! 

I 

84 

120 

72 

140 

84 


Gehen wir diese Zahlen aufmerksam durch, so gewahren 
wir unmittelbar nach dem Gebrauche der Moorlaugenbäder 
eine Herabsetzung des Blutdruckes um 10—20 Mm. Hg, die 
in den darauffolgenden 6 Stunden oft um weitere 10—20 
Mm. Hg sinkt, so daß der Abfall des Blutdruckes an manchen 
Tagen 40 Mm. Hg betrifft. Ebenso fällt der Puls mit Aus¬ 
nahme zweier Tage, an denen die psychischen Momente eine 
Steigerung verschuldet haben mochten, unmittelbar nach dem 
Bade um 2 Schläge, um 6 Stunden später regellos um einige 
Pulsschläge zu differenziren. 

Da die Turgescenz der Haut die erhöhte Fluxion zu 
derselben bekundet, so ist der Abfall des Blutdruckes und 
die Verminderung der Pulsfrequenz auf die Erweiterung der 
Blutbahnen im Bereiche der Hautgewebe zurückzuführen. 
In weiterer Folge dieses physiologischen Vorganges mußten 
aber nicht allein die einzelnen Capillargefäßbezirke, in denen 
es zur Diapedesis gekommen war, entspannt werden, sondern 
auch die arterielle und venöse Hyperämie mit der Beschleuni¬ 
gung des Blutstromes die hämorrhagische Exsudation rascher 
zur Resorption bringen. Mit der Verminderung der Blut¬ 
austritte und der Entspannung der Capillaren erfolgte auch 
diejenige der in diesen Bezirken verbreiteten Nervengeflechte, 
verschwand auch mit der sistirten Reizung derselben das 
Jucken an den befallenen Hautpartien. 

Als ich, angeregt durch diesen Erfolg, zum concentrirteren 
Moorsalz überging, da stieg wohl unmittelbar nach jedem 
Bade der Blutdruck um 10—20 Mm. Hg, aber derselbe fiel 
wieder in den darauffolgenden (i Stunden bis auf zwei Aus¬ 
nahmen um 10—40 Mm. Hg und ging selbst in diesen zwei 
Fällen bis zum Morgen des zweitnächsten Tages um 20—30 
Mm. Hg zurück, so daß die Tendenz der Blutdruckverminde¬ 
rung offenbar zu Tage trat und die Blutdrucksteigerung blos 
einen flüchtigen Charakter erhielt. Der fortschreitende Re- 
sorptionsproceß der zahlreichen Purpuraflecken war somit die 
Leistung dieser entschiedenen Nachwirkung, was auch das 
retardirte Tempo der Pulse bekräftigt. 

Minder präcis, aber auch minder günstig, läßt sich bei 
dieser Patientin die Wirkung der Moorbäder an, denn wenn 
auch das erste Bad zufolge der psychischen Alteration des 
Novums in Abzug gebracht wird, finden wir bei den geringen 
Deviationen auf- und abwärts die Tendenz zur Blutdruck¬ 
steigerung und Pulsbeschleunigung ausgesprochen, also zwei 
Momente, die bei dem Zustande der Patientin als stricte Gegen¬ 
anzeige beobachtet werden mußten. (Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Aus dem Laboratorium des Prof, v, Basch in Wien, 

K. Bettelheim und F. Kauders (Wien): Experimentelle 
Untersuchungen über die künstlich erzeugte 
Mitralinsufficienz und ihren Einfluss auf Kreis¬ 
lauf und Lunge. 

Die bisherigen experimentellen Untersuchungen über die Mitral- 
insufficienz beziehen sich blos auf die Druckverhältnisse im großen 
Kreisläufe, und während Stbickkr zuerst das Verhalten beider Ven¬ 
trikel bei künstlich gesetzter Mitralinsufficienz prüfte, vermissen wir 
auch hier den Befund der Steigerung des Pulmonalarteriendruckes, 
der für den Kliniker ans der nachweisbaren Hypertrophie des 


rechten Herzens und Aceentuirung des zweiten Pulmonaltones sich 
zweifellos ergibt. Bettelhkim und Kaüders haben nun ihre Ver¬ 
suche nach der Stricker’ sehen Methode im Laboratorium des Prof, 
v. Basch ausgeführt und berichten über die Ergebnisse ihrer Unter¬ 
suchung im XVII. Band der „Zeitschrift f. klin. Medicin“. 

Die STRiCKER’sobe Methode hat gegenüber den durch Klappen¬ 
zerstörung erzeugten Insufficienzen den Vorzug der größeren Oon- 
stanz der ursächlichen Bedingung, da der Grad der Insufficienz 
immer annähernd der gleiche bleibt. Sie besteht bekanntlich darin, 
daß man bei geöffnetem Thorax durch das linke Herzohr eine ge¬ 
fensterte Canüle in den Ventrikel einführt, die eine Communication 
zwischen Ventrikel und Vorhof, also eine Insufficienz der Atrio- 
ventricularklappen, erzeugt, die übrigens auch mit einer Stenose 
combinirt ist, denn durch die Canüle wird der Raum des Ostium 
verkleinert. 

v. Basch hat diese Canüle noch mit einem Obturationsstabe 
versehen, der vor- und zurückgeschoben werden kann und durch 
Obturation der Fenster die erzeugte Insufficienz wieder aufhebt, so 
daß man in der Lage ist, an einem Thiere mehrere Versuche zu 
machen. 

Die Messungen ergaben zunächst, daß das mittlere Verhältniß 
zwischen Aorteudruck und Pulmonalisdruck um das Doppelte größer 
ist, als bisher augegeben wurde. Die Autoren finden einen Werth 
von 8’5. 

Bei der Stenose verkleinert sich das Verhältniß zwischen dem 
Drucke im großen und kleinen Kreislauf, was einer relativen Steige¬ 
rung des Pulmonalarterieudruckes entspricht. Noch kleiner wird 
das Verhältniß bei der Insufficienz, 63 sinkt bis auf 3 # 3 herab, und 
zwar nicht blos, wie bei der Stenose, in Folge des Arteriendruckes, 
sondern in Folge einer absoluten Steigerung des Druckes im 
kleinen Kreisläufe. Diese Verhältnißzahl gibt einen Ausdruck für 
die jeweiüg durch die Insufficienz erzeugte Kreislaufstörung; sie 
bleibt jedoch nicht constant, sondern wird bald größer, bald kleiner 
und ändert sich so im Sinne der Compensation und Compeusations- 
störung. 

Die Untersuchung, die auf diesen Punkt ihre Aufmerksamkeit 
richtete, hat nun ergeben, daß in der Mehrzahl der Fälle die Ver¬ 
größerung der Verhältnißzahl einem Ansteigen des Arteriendruckes 
entspricht, woraus die Autoren schließen, daß die Bedingungen 
für die Compensation im linken und nicht im rechten 
Herzen zu suchen sind — ein Widerspruch zwischen Experi¬ 
ment und klinischer Erfahrung. 

Noch größer wird das Verhältniß zwischen dem Drucke beider 
Kreislaufsschenkel, wenu der Pulmonalisdruck gleich bleibt oder gar 
absinkt. 

Diese Versuche stehen in directem Gegensätze zu den 
bisher üblichen Anschauungen, nach welchen die Compensation einer 
Mitralinsufficienz auf Rechnung einer Mehrleistung des rechten 
Herzens zu setzen ist, sie würden vielmehr dafür sprechen, daß 
Bedingungen, die im großen Kreisläufe entstehen, die durch die Mitral¬ 
insufficienz gesetzte Kreislaufstörung Ausgleichen. Eine Compensation 
konnte jedoch beim Absinken des Aortendruckes bemerkt werden, 
nämlich da, wo der Pulmonalisdruck ungleich mehr sank als der 
Druck im großen Kreisläufe, woraus ersichtlich ist, daß ein Sinken 
des Arteriendruckes durchaus nicht gleichbedeutend ist mit einer 
Störung der Compensation. 

Gleichzeitig mit diesen Versuchen prüften die Autoren noch 
das Verhalten der Lunge bei der küustiich erzeugten Mitralinsufficienz 
und konnten eine Volumsvergrößorung, eine Lungenschwellung nach 
v. Basch, mit Sicherheit nachweiscn. Auch Lungenstarrheit bildet 
sich in geringem Grade aus. Dieses Verhalten erklärt uns die bei 
Kranken mit Mitralinsufficienz bekannte Neigung zur Dyspnoe und 
die geringe Tauglichkeit solcher Lungen zum Athmungsgeschäft, die 
allerdings erst bei gesteigerter Herzaction sich geltend macht. 

G. 


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669 


1890. — Wiener Medizin ische Presse. _ Nr. 17. 


Alexander Peyer (Berlin): Ueber die Uraaohen und Be¬ 
handlung* schwerer, hartnäckiger Fälle von 
Enuresis nocturna beim männliohen Geschlechts. 

Die Enarese ist keine selbstständige Erkrankung, sondern nur 
ein Symptom, dem ganz verschiedene pathologisch-anatomische Zu¬ 
stände zu Grunde liegen können. Einen Beitrag zur Aetiologie 
dieser Erkrankungsform liefert Autor im 19. Hefte der „Berliner 
Klinik“, 1890. 

Die Therapie kann nur dann einen Erfolg erwarten, wenn 
die das vorliegende Krankheitssynrptom bedingende Ursache gekannt 
und berücksichtigt wird. Für eine Reihe von Fällen stellt die 
Enuresis nichts anderes vor, als ein Fortbestehen des infantilen Zu¬ 
standes bei intactem Harnapparat. Im frühesten Kindesalter gehen 
Harn und Stuhl ohne jede subjective Empfindung ab und es genügen 
schon die leichtesten Contractionen der Blase oder des Mastdarmes 
um ihren Inhalt herauszubefördern, da die Schließmuskeln keinen 
Widerstand leisten. In der Pubertät, mit der Entwicklung des 
männlichen Genitalapparates, verschwindet das Leiden. Es soll sich 
hier nach Trousseau, Bretonneaü und Ultzmann um eine mangel¬ 
hafte Innervation des Sphincter handeln. 

In anderen Fällen hat die Enurese ihren Grund in einer an¬ 
geborenen Schwäche der Musculatur der hinteren Harnröhrenpartie 
(Oberländer). r 

Diese angeborene Schwäche bei Individuen, die in ihrer Jugend 
an Enurese gelitten haben, äußert sich auch später in ihrem sexuellen 
Verhalten, indem verhältnißmäßig geringe Eczeme auffallende Reiz¬ 
erscheinungen zur Folge haben. Nebst den übrigen bekannten 
Ursachen, wie Phimose, Nephritis, Pyelitis, Nierensteinen, Blasen¬ 
steinen, epileptischen Convulsionen (Night terrors), abnormer Be¬ 
schaffenheit des Urins (Phosphaturie), Diabetes, Helminthen, führt 
Autor die Onanie als ursächliches Moment auf, ohne aber, wie wir 
hoffen, für seine Beobachtung den Vorzug einer neuen Entdeckung 
zu beanspruchen. 

Durch die Masturbation entsteht eine chronisch-entzündliche 
Reizung der Schleimhaut der Pars prostatica und reflectorisch das 
Bettnässen. 

Die spontan schon vorhandenen Erectionen werden nun durch 
masturbatorische Manipulationen noch vermehrt und längere Zeit 
unterhalten, und hierin sucht Ultzmann die Ursache für eine 
Schwellung der Pars prostatica, und zwar besonders des Caput 
gallmagims, welches letztere hyperästhetisch, hyperämisch wird und 
im Zustande eines leichten Catarrhs eine vermehrte Contraction der 
Detrusoren auslöst. Macht sich nun dieses Moment noch bei 
Individuen mit angeborener Enurese in Folge Verharrens der Uro- 
Genitalorgane auf der infantilen Stufe oder in Folge angeborener 
Muskelschwäche der Genitalorgane geltend, dann entstehen unter 
dem Einflüsse der angeborenen oder der erworbenen Schwäche jene 
hartnäckigen Fälle, die bis in das Mannesalter hineinreichen und 
jeder Therapie trotzen. Im Urin fand Autor bei der Untersuchung 
des Sedimentes Schleim, Epithelien, vereinzelte Leukocyten, Sperma- 
täden und Sargdeckelkrystalle, wie sie im . Schleime der Cowper- 
schen Drüsen zu finden sind, woraus mit Sicherheit auf einen Reiz¬ 
zustand der Genitalorgane geschlossen wurde. 

v Di ® T . hera P ie bestand in den vom Verf. angeführten, sämmt- 
“ e ? z ^ Heilun S gebrachten Fällen außer der bekannten Allgemein¬ 
behandlung der Enurese in der Application von möglichst starken 
Metallsonden, die 9—3mal wöchentlich eingeführt und 3—7 Minuten 
hegen gelassen werden. Statt der Sonden empfiehlt Autor auch den 
Winternitz sehen Psychrophor, namentlich dann, wenn das Uriniren 
mit leichtem Brennen verbunden ist, oder sich häufig schlaffe 
ollutionen einstellen. Von der Anwendung einer ein- oder mehr- 

?i r0C i 6 nnm\ AlaunlÖ8,l ^> dea Argentum nitricum 

* 1000) hat Autor ebenfalls Erfolge gesehen. Zwei Fälle heilte 
er unter Anwendung des OBERLÄNDER’schcn Dilatationsinstrumentes. 

G. 


670 


Kleine Mittheilungen. 


• p .. Dr * C * SEiDLERhat an der Klinik Mosler’s in Greifswald 
eine Reihe von Untersuchungen über die Wirkung des Methacetin 

“acha* pJ?“ 18t 8emer chemischen Zusammensetzung 

lZ h «^Paraoxymethylacetanilid anzusehen. Es ist ein geruch- und 

fentußt Sn aCh r ° 8ar0the8 Pulver ’ da * aus kleinen, glän 

zenden Blättchen zusammengesetzt ist und sich in Wasser besonders 

Tvnh « ti k ° h01 ^ 6m,ieh l6icht Iö3t - S - hat 28mal in Fällen von 
bri P FrL«h d ° mina ]- 8 ’ P “ eumonieQ > Tnberculose, Influenza u. s w 
bei Erwachsenen die antipyretische Wirkung des Methacetins geprüft 

von 38 Re8Ultat erha,teQ * mäßigem" 

on 38 bis 39 C. genügten Dosen von 0*3 bis 0*4 Grm um die 

Temperatur bis zur Norm mit Sicherheit herabzusetzen, bei höheren 

tät r ä«5 

MfÄ WtÄ Sf Ä 

tz ä “r- 

r< i tlV 8olmeller Ä,s dor Abfs11 - » f ‘ mit Schüttei- 
frost, erfolgte. Allmälig trat die Steigerung des Fiebers jedoch fast 

ZtlirL 6 ^ AbmiS ’ We “ n dieäelbe »Ko mit der 

gewöhnhehen Tagesremission zusammenfiel. Um daher den lästi-en 

meWen wM da *“® at « ende “>veatuelle a Schüttelfroat ver- 
we den’ I t ’/° 68 nUr « üu “' ^ Tage, verabreicht 
Verf konnte T Naehmltta S ä ">«*«» * und 4 Uhr gegeben, 
die Kraft df, n 7? "T“ 0 *“ Emfi u ß dea Methacetin auf 
Ri 1 I * erzmu8kel8 » noch eine zerstörende Wirkung auf die 

dlß dif7 *k fe8t8teUen / Meistenteils war die Secretion so stark, 
daß die Leib-, ja auch die Bettwäsche der Kranken gewechselt 
. de 8chwä °her das Individuum war, um so Intensiver 
war die Schweißbildung, eine Beobachtung, die besonders bei Tuber- 
culösen hindert, das Mittel öfter anzuwenden. Von anderen lästigen 

ZürZ S Z h T wie Ohrensausen, Taubsein, 

Auftreten von Exanthemen, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen 

'iJ' dle Ch ’ nm und Antipyrin, Antifebrin u. s. w. gar 

häufig bemerkt werden, hat S. nach Methacetin nie etwas beobachtet 

mZL W 7 U 7 ^ 5 lttel Iäng6re ZeU hindurch uod zu wiederholten 

acutem d nnd Tage9 blS 1 ’5 ^ DehmeD Ueß * In ZWöi Fällen V0D 
acutem und zwei von subacutem Gelenkrheumatismus 'wirkte Metha- 

etin prompt and sicher. Die Schmerzen legten sich schon am ersten 

äge nach Sinai 0'3 Grm. Methacetin, ebenso schwand das Fieber 

T,irtht am L ntten i. Tage - Ware “ SchmerzeQ > Fmber und Schwellungen 
nicht mehr nachzuweisen und sind auch nie mehr recidivirt. In den 

eiden subacutim Fällen, die fieberfrei, aber mit Schmerzen und 
Gelenkergüssen in s Krankenhaus kamen, schwanden die Schmerzen 
auch sofort, während die Schwellungen am 4. Tage noch in ge¬ 
ringem Grade nachweisbar waren. Als Nervinum und speciell als 

t ü “ glCUm f di6 Wi . rkun ^ des Methacetin anscheinend nicht 
so günstig, wie die als Antipyreticum. 

~ Phenacetin bei Behandlung des Typhus abdominalis 

wurde von Dr. A. Sommer m 60 Fällen angewendet, und sind die 
in der Aprilnummer der „Therap. Monatsh.“ mitgetheilten Resultate 
als recht günstige zu bezeichnen. Die Temperatur sank nach Phena¬ 
cetin fast stets m 3 Stunden um 1 bis 2 und mehr Grade, meist 
unnr starkem Schweißausbruch. Selten nur wurde ein Sinken um 
wenige Zehntel beobachtet; noch seltener erwies sich das Mittel 
wirkungslos da die Temperatur noch weiter stieg. In solchen 
Bällen sank dieselbe jedoch stets nach einer abermaligen Gabe von 
Phenacetin. Die Unruhe und Schlaflosigkeit schwand, sobald die 
lemperatur sank, und machte einem relativen Wohlbefinden Platz* 

?“!, f ., nten ® r ^ e “ ten 8ich alsdann meist für wenige Stunden eines 
kräftigenden Schlafes. Unangenehme Nebenwirkungen hat S. bei 
Gebrauch von Phenacetin in keinem seiner Fälle beobachtet.* Im 
Gegenteil glaubt er wahrnehmen zu können, daß der Typhus unter 
„ ebrauch die8es Motels einen milderen Verlauf nimmt. Von 
60 Fällen hat fer nur einen Todesfall zu beklagen; doch hier wurde 
da der betreffende Patient erst am Ende der dritten Woche in 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 17. 


672 


seine Behandlung trat, Phenacetin zu spät benutzt. S. gibt Phena¬ 
cetin (-Bayer) nur, wenn die Temperatur 39° C. betragt oder noch 
höher gestiegen ist, und zwar nach Bedürfniß 2—3—4 mal täg¬ 
lich, Kindern bis 0’2, Erwachsenen 0 - 4. 

— Prof. Dr. E. Schwimmer berichtet in der Aprilnummer der i 
„Ther. Monatsh.“ über seine Erfahrungen betreffend die äußerliche 
Anwendung des Thiols bei Hautkrankheiten. Das Mittel wurde 
bei verschiedenen Erythemformen, Dermatitis herpetiformis, Herpes 
Zoster, Acne rosacea et vulgaris faciei, bei papulösem und nässendem 
Eczcm und Verbrennungen angewendet. Die Anwendung des Mittels 
erfolgte stets in flüssiger Form und wässeriger Lösung nach der Formel: 

Rp. Thioli.10 0 

Aq. destill.300 

Einen überraschenden Erfolg sah Schwimmer in einem schweren 
und langdauernden Falle von Dermatitis herpetiformis und in 
mehreren Fällen von Herpes Zoster. In dem ersten Falle wurden 
die erkrankten Partien, d. i. die Blasen und Bläschen, als auch 
jene Stellen, wo die MALPiGHi’sche Schicht in Folge frühzeitigen 
Aufspringens der Blasen bloßgelegt war, mittelst Pinsels zweimal täglich 
mit Thiollösung bestrichen. Die Flüssigkeit trocknete in einigen 
Minuten vollständig ein. Kurze Zeit darauf ließ das Brennen und 
Jucken nach und nach 2—3 Tagen, also nach 4—ßmaligem Ein¬ 
pinseln, wurde die afficirte Haut mit reinem Wasser abgewaschen 
Die Blasen waren vollständig geschwunden, die über den freige¬ 
legten Epidermisstellen durch das Thiol gebildeten Schorfe fielen 
ab und die Haut zeigte nur noch durch zurückgebliebene Pigmen- 
tation die Spuren der vorher bestandenen Affection. In dem ange 
gebenen Falle, wo die Blaseneruptionen seit Monaten wiederholt 
auftraten und auf keines der gebräuchlichen Mittel sich verlieren 
wollten, genügte eine durch 8 Tage fortgesetzte Thiol-Behandlung, 
um die über den ganzen Körper verbreiteten Eruptionen dauernd 
zum Sehwinden zu bringen, so daß der Kranke nach einem drei¬ 
monatlichen Spitalsaufenthalte erst nach durchgeführter Thiol- 
behandlung geheilt entlassen werden konnte. Bei Erythema exsu¬ 
dativum multiforme wurden versuchsweise die erythematösen Haut¬ 
partien zuerst mit Thiol in der erwähnten Concentration bestrichen 
und nachher mit reinem Thiolpulver (Thiolum sicoum pulv.) be¬ 
streut. Nach 3—6 Tagen war die Krankheitsform beschränkt, die 
Efflorescenzen blaßten rascher ab und die Erkrankung involvirte 
sieh in kurzer Zeit. In mehreren Fällen von mäßiger Acne vulgaris 
faciei und den Anfangsstadien der Acne rosacea wich die hart¬ 
näckige Krankheit je nach der Ausdehnung des Leidens in einigen 
Wochen. Bei papulösem Eczem zog Schwimmer auch das flüssige 
Thiol in Verwendung. Bei Eczema rubrum s. madidans hatte das 
Salbenpräparat 

Rp. Thiol. liquid.2 - 0- 

• Axungiae porci.20'0 

eine der HEBRA’Bchen 8albe vollständig gleiche Wirkung. Auch 
bei kleineren Brandwunden konnte sich Schwimmer von der prompten 
Wirkung des Thiols überzeugen. Gegenüber dem Ichthyol besitzt 
das Thiol den großen Vortheil, daß es vollkommen geruchlos ist 
und sowohl von den mit demselben bestrichenen Hautpartien leicht, 
als auch aus der Wäsche ziemlich gut zu entfernen ist. 

— E. Schmidt empfiehlt in Nr. 16 der „Mödecine mod.“ 
die Anwendung des Chloraiamids in subcutanen Injectionen, 
nach folgender Formel: 

Rp. Chloralamid.080 

Aq. destill.20 0 

1 Ccm. der PßAVAZ’schen Spritze enthält 0‘04 Chloralamid. Die 
Dosirung ist sehr zweckmässig, und die Resorption des Mittels vom 
subcutanen Zellgewebe geht besser und rascher vor sich als durch 
die Verdauuugswege. In einem Falle von Carcinom des Rectums, 
das dem Kranken unsägliche Schmerzen verursachte, genügten 1—2 
Injectionen, um dem Kranken nach 1 / t Stunde einen ruhigen und 
erquickenden Sstündigen Schlaf zu verschaffen. Das gleiche Resultat 
wurde in einem Falle von heftigen Lebercoliken erzielt. Die 
Injectionen können, wenn nöthig, einige Male ohne Nachtheil 
wiederholt werden. 

— Dr. Siegfried Rosenberg theilt in Nr. 14 des „Cbl. f. 
klin. Medic.“ folgende neue Reaction auf Harnsäure mit. Versetzt 


man den Ham eines Menschen mit circa dem gleiehen Volum 5°/ 0 iger 
Phosphorwolfram8äurelösung und fügt einen Tropfen Kali- oder 
Natronlauge oder Ammoniak hinzu, so entsteht eine blaue Farben- 
reaction, welche — wie die Prüfung der einzelnen Harnbestand- 
theile ergibt — durch die Harnsäure bedingt wird. Die Reaction 
beruht auf einem Reductionsproceß und kann auch durch verschiedene 
andere, in der Kälte reducirende Körper hervorgebracht werden. 
Da solche im Harn der Herbivoren Vorkommen, so ist für diese 
die Reaction nicht eindeutig, sondern nur für den Menschen und 
für die Carnivoren. Aber beim Menschen ist darauf zu achten, daß 
er nicht unter den Einfluß von Medicamenten steht, da verschiedene 
der gebräuchlichsten und in den Ham übergehenden Arzneikörper 
eine gleiche, wenn auch sehr schwache Reaction ergeben. 

— Tizzoni und Cattani berichten in Nr. 83 der „Rif. med.“ 
über die von ihnen angestellten Versuche über die Neutraltairung 
des tetanischen Giftes. Eine große Reihe von Substanzen zeigte 
selbst nach 24ständiger Einwirkung keinen Einfluß auf die Vitalität 
des Sporen bildenden Tetanusbacillus. Hi eher gehören: 5°/ 0 Carbolsäure, 
4% Borsäure, 0*25% wässerige Lösung von Salicylsäure, 5°/ 0 alko¬ 
holische Salicyllösung, 5% pheuol schwefelsaures Zink, 2°/ 0 Creolin, 
5 °/„ Chloralhydrat, absoluter Alkohol, Aether, 1°/ 00 hypermangansaures 
Kali, 5% Chlorzink, 2°/ 0 Hydroxylamin, Jodoformpulver, Jodol, 10°/ 0 
Jodoform- und Jodoläther, 1% Jodäther, 5% Eisenchlorid, 5°/ 0 
Resorcin, 3°/ 0 Schwefelsäure, 3 °/ 0 Salzsäure, 10% Milchsäure, 1 % 0 
Thymol, 5°/ 00 alkohol. Lösung von (4-Naphtol, ß-Naphtol 1 Th. 
-f- Campher 2 Th. Andere Substanzen vermögen in relativ kurzer 
Zeit — weniger als 10 Stunden — die Sporen des Tetanusbacillus zu 
vernichten. Hieher gehören l°/ 0 und selbst 1°; 00 Nitras argenti, 
1% Sublimat, 1% Sublimat + 0’5% Salzsäure, eine Mischung 
von 1 °/ 00 Sublimat, 0'5°/ 0 Salzsäure und 5°/ 0 Carbolsäure, Sublimat 
l°,oo + Salzsäure O*5°/ 0 , Sublimat 1°/ O o, Creolin 5%, l°/o hyper¬ 
mangansaures Kali. Das salpetersaure Silberoxyd tödtet schon in 
1°, 0 Lösung die Sporen des Tetanusbacillus in einer Minute und 
in l°/ 0 o Lösung in 5 Minuten. Sublimat l°/ 00 und in obiger 
Mischung tödtet die Sporen in 10 Minuten. Mit Jodoform wurden 
mehrere Versuche derart angestellt, daß 2 — 3 Tropfen einer Tetanus- 
cultur innig mit 1 Grm. Jodoformpulver vermengt oder ein mit 
Tetanusbacillen imprägnirter und mit 1 Grm. Jodoformpulver bedeckter 
Seidenfaden unter die Haut von Kaninchen gebracht wurden. In allen 
Fällen gingen die Thiere an Tetanus zu Grunde. Die Verff. empfehlen 
daher auf Grund ihrer Versuche, Wunden, die mit Erde oder mit 
Fremdkörpern in Berührung waren und bei denen Tetanus zu 
befürchten ist, primär mit einer Höllensteinlösung zu desinficiren; zur 
weiteren Behandlung solcher Wunden, sowie zur Desinfection der Hände 
eignet sich das Gemisch von Sublimat, Carbolsäure und Salzsäure. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zu Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Berichi der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

Adamkiewicz (Krakau): Ueber den pachymeningitiechen Proceß. 

Nach der herrschenden Auffassung beruht die materielle 
Wirkung der im Gebiete der Rückenmarkshäute stattfindenden 
Wucheruqgen und Ablagerungen der hypertrophischen Pachymenin- 
giti8 darauf, daß dieselben das Rückenmark comprimiren und 
durch die Compression im Nervengewebe Anämie, Entzündung, Com- 
pressionsmyelitis, Necrose und secundäre Degenerationen hervor¬ 
bringen sollen. So allgemein diese von Charcot vertretene Deduction 
über die Folgen der anatomischen Veränderungen im pachymenin- 
gitischen Rückenmark acceptirt worden ist, so wenig konnte be¬ 
züglich der Erklärung der klinischen Erscheinungen der Pachymenin- 
gitis Einigkeit erzielt werden. 

Während Charcot den secundären Degenerationen, 
spociell dem Untergange der Pyramidenbahnen, die klinischen Symptome, 
zumal die der Pachymeningitis eigenen Lähmungen der Unter¬ 
extremitäten, zuschreibt, hält Leyden daran fest, daß die von den 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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Wucherungen der pachymeningitischen Schwarte im Rückenmark 
direct angeregten Veränderungen — also Veränderungen der 
chronischen Myelitis — die Functionsstörungeu des Rücken¬ 
markes bei dieser Krankheit erzeugen. — Zur Klärung dieser Con- 
troverse hat der Vortragende neue, sehr detaillirte Untersuchungen 
über den pachymeningitischen Proceß angestellt, und ist mit Hilfe 
seiner bekannten Methode der Safranintinction zu folgenden 
sehr wichtigen Ergebnissen gelangt • 

Die pachymeningitiscbe Schwarte kann im Verein mit den 
— meist tuberculösen — Ablagerungen im Gebiete der Wucherungen 
das Rückenmarkgewebe „comprimiren“. 

Aber die Wirkung dieser Compression entspricht derjenigen, 
wie die alte Lehre sie auffaßt und schildert, nichtim Geringsten. 
An der Compressionsstelle entsteht eine Anämie und keine Ent¬ 
zündung. Es wird vielmehr das Nervengewebe durch den Druck wie 
alle compressiblen Materien verdichtet, ohne dadurch an seiner 
Function Einbuße zu erleiden, Wirkungen, wie sie Adamkiewicz 
auch auf künstlichem Wege durch seine bekannten Laminariaversuche 
am Tbiere hervorbringeu konnte. Wo man im pachymeningitisch 
kranken Rückenmark Entztindungs und Erweichungsberde findet, 
da kann man den sicheren Nachweis führen, daß sie außer allem 
Zusammenhang mit der Compression stehen. Sie werden 
vielmehr, wie die pachymeningitischen Wucherungen solbst, durch 
die Infectionsstoffe angeregt, auf welchen das Grundleiden selbst beruht, 
durch d’ejenigen der Tuberculose oder der Syphilis. — Da dem¬ 
nach das durch die pachymeningitischen Wucherungen und Ablage¬ 
rungen comprimirte Rückenmarkgewebo gar nicht erweicht zu 
sein braucht und demnach in der Mehrzahl der Fälle eine Ent¬ 
artung der Pyraraidenbabnen aufweist, so kann letztere nicht in 
allen Füllen eine sogenannte „secundäre Degeneration“ sein. — 
Adamkiewicz ist es nun gelungen, den wahren Grund dieser 
Degenerationen und ihre eigentliche Natur festzustellen. Indem er 
die Veränderungen genauer studirte, welche die pachymeningitischen 
Wucherungen in der Substanz des Rückenmarkes direct erregen, 
hat er gefunden, daß dieselben auf dem Wege der Piageffiße in das 
Rückenmark tiberwandern und durch Sclerosirung dieser Gefäßchen 
deren Ernährungsgebiete bracblegen. Dadurch entstehen, dem Ver¬ 
lauf dieser von dem Vortragenden zuerst beschriebenen radiären 
Gefäßchen entsprechend, keilförmig gestaltete Degenerationen — chro¬ 
nische Infarcte — die ihrer Verbreitung entsprechende Partien 
des Nervengewebes zu Grunde richten. Nur ein Gefäßchen des 
Rückenmarkquerschnittes, die von Adamkiewicz sogenannte Arteria 
sulci hat eiu centrales Ernährungsgebiet, indem es seine Capillaren 
erst nach Durchbohrung der vorderen Commissur von innen her in 
die Vorderhörner der grauen Substanz einsenkt. Die Sclerosirung 
dieses Gefäßehens und die Infarcirung ihres Ernährungsgebietes 
richtet daher nicht, wie die anderen Gefäßchen keilförmige periphere 
Felder der weißen Substanz, sondern ein mehr rundes, 
central gelegenes Feld der grauen Substanz zu Grunde. 
Da in letzterer die Vorderhornzellen, also die trophischen Centren 
der Pyramidenbahnen liegen, so muß die Sclerose der Sulcusarterien, 
indem sie diese Centren vernichtet, auch die von diesen ernährten 
Pyramiden bahnen zur Degeneration bringen. 

Es entspricht somit die Entartung der Pyramidenbahnen bei 
der Pachymeningitis nicht der secundären, wie sie im Verlauf der 
Porr’schen Kyphose beispielsweise sich bildet, sondern derjenigen, 
wie sie im Anschluß an den Untergang der Vorderhornzellen bei 
der amyotrophischen Lateralsclerose entsteht. 

So kommt Adamkiewicz zu folgenden Schlüssen: „Die Com¬ 
pression des Rückenmarkes von Seite der pachymeningitischen 
Producte ist nicht die Grundlage der schweren pachymeningitischen 
Veränderungen im Rückenmark, sondern ein in der Regel und im 
Princip ganz indifferenter Vorgang. Myelitis und Erweichung stehen 
zu ihr in keiner causalen Beziehung und sind der Pachymeningitis 
als Folgen der Infection vollkommen coordinirt. Ihre Bedeutung 
hängt ganz von ihrer zufälligen Extensität ab. Dagegen sind die 
directen und wichtigsten Veränderungen, welche die Pachymeningitis 
im krankon Rückenmark hervorbringt, der chronische Infarct, 
der auf dem Wege der Gefäßchen der Vasocorona die weiße, auf 
dem Wege der Art. sulci die graue Substanz mit ihren Vorderhorn¬ 


zellen und mit diesen das System der Pyramidenbahnen zu Grunde 
richtet.“ 

Bezüglich der klinischen Phänomene der Krankheit weist der 
Vortragende darauf hin, daß, da die „secundäre Degeneration“ der 
Pyramidenbahnen bei der Pachymeningitis eine problematische ist, 
sie auch keineswegs als das gesetzmäßige Substrat der Krankheits¬ 
phänomene angesehen werden kann. Das Krankheitsbild der Pachy¬ 
meningitis entspricht auch gar nicht dem einer Lateralsclerose. Da 
auch Myelitis und Erweichung bei der Pachymeningitis eine unter¬ 
geordnete Rolle spielen, so bleiben nur die Infarcte als Träger 
der Functionsstörungen bei dieser Krankheit übrig, die der weißen 
Substanz, wie die der Art. sulci, von denen letztere dem pachy¬ 
meningitischen Kraukheitsbilde die Attribute der amyotrophischen 
Lateralsclerose ertheilen. 

So erkläre sich auch: 1. das Schwankende im klinischen Bilde 
der Pachymeningitis, die ihre Ursache in der ganz vom Zufall ab¬ 
hängigen Wahl der Gefäßchen findet, welcho der im Blute kreisende 
Infectionsstoff heimsucht und sclerosirt, und 2. die große Neigung 
der Pachymeningitis, Centren, besonders solche des verlängerten 
Markes, auzugreifen, was darauf beruht, daß dieselben selbstständige 
ernährende Gefäßchen besitzen. 

Zum Schluß stellt der Vortragende die vorgetragenen Ergeb¬ 
nisse den Resultaten seinen früheren Untersuchungen über die 
degenerativen Krankheiten des Rückenmarkes „(Die degenerativen 
Krankheiten des Rückenmarkes.“ Stuttgart 1888. Ferd. Enke) 
gegenüber. Er weist namentlich darauf hin, wie alle degene¬ 
rativen Krankheiten, Herdsolerose, Systemerkrankungen und selbst 
die sogenannten combinirten Degenerationen rein parenchymatöser 
Natur sind, während die Pachymeningitis ihnen gegenüber sich 
durch ihre Infarcte als rein interstitielle darstellt. Gegenüber der 
von Westphal aufgestellten Hypothese, daß die „Randzonendegene¬ 
ration“ bei der „combinirten Degeneration“ der Ausdruck eines mit 
der Blutversorgung des Rückenmarkes in Zusammenhang stehenden 
erkrankenden Feldes sei, erklärt Vortragender, daß jene Rand¬ 
degenerationen weder mit den Gefäßen, noch mit dem Bindegewebe 
des Rückenmarkes irgend etwas zu thun haben, sondern gleichfalls 
durch primäre Erkrankung der Nerven entstehen. — Die Er¬ 
nährungsgebiete des Rückenmarkes haben vielmehr nichts mit einer 
Randzone Gemeinschaftliches, sondern bestehen, dem Verlaufe der 
Rückenmarksgefäße entsprechend, aus einem rundeu, centralen Gebiet 
(A. sulci) und aus keilförmigen, nach der Mitte des Rückenmarkes 
mit ihren Spitzen convergiren len Feldern (Arterien der Vasocorona). 
Die vom Vortragenden nachgewiesenen Infarcte sind für diese Er¬ 
nährungsgebiete der pathologisch-anatomische Ausdruck. 


Romber 6 (Leipzig): Beiträge zur Herzinnervation. 

Die in Gemeinschaft mit Dr. W. His (Leipzig) ausgeführte 
Untersuchung der Herzinnervation wurde angeregt durch die Un¬ 
möglichkeit, den anatomischen Befund an dem Herznervensystem 
eines Typhusherzens pathologisch zu verwerthen. Dasselbe zeigte 
neben manchen bisher unbekannten Veränderungen Hayem’s Myo- 
carditis infectiosa, zahlreiche myocarditische Herde, wie sie Leyden 
bei der Diphtherie beschrieben bat, entzündliche Vorgänge im inter¬ 
stitiellen Gewebe der Vorhofganglien, Perineuritis an einzelnen 
Nervenstämmeu im Pericard der Ventrikel. 

His und Romberg betraten bei ihrer Untersuchung einen 
bisher nicht eingeschlagenen Weg. Sie erforschten die Entwick¬ 
lungsgeschichte des menschlichen Herznervensystems und kamen 
dabei zu von den bisherigen völlig abweichenden Anschauungen 
über die physiologische Function der Herzganglien. 

Die im Laboratorium der Leipziger Klinik ausgeführte Arbeit 
wurde nach der bei embryologischen Untersuchungen jetzt üblichen 
Methode unternommen. Nach dem BoRN’schen Plattenverfahren wurden 
Wachsmodelle J ) verfertigt und so die untersuchten Theile plastisch 
dargestellt. Das Untersuchungsmaterial bestand in Schnittserien 
menschlicher Embryonen, welche Herr Geheimrath His mit größter 
Liebenswürdigkeit zur Verfügung stellte. 


') Modelle wnr.len demonstrirt. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 17. 


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Die erste Anlage der Herznerven erscheint am Ende der 
vierten Woehe. Vom sympathischen Grenzstrang lösen sich Ganglien¬ 
zellen ab und wandorn in das Herz ein. Die Nervenfasern, welche 
diese Zellen mit dem Grenzstrang verbinden, verlaufen sämmtlieh 
vereint mit Fasern aus dem Vagus, zu dem aber die Ganglienzellen 
selbst in keiner Beziehung stehen. Auch bei der weiteren Ent¬ 
wicklung wandern ausschließlich sympathische Ganglienzellen in das 
Herz ein. 

Das Herznervensystem, dessen Ausbildung während des zweiten 
und im Anfänge des dritten Monats vor sich geht, besteht aus 
einem Geflecht an der hinteren Fläche der aufsteigenden Aorta 
(Plex. aortic. profund.). Dasselbe endigt unten in den Ganglien der 
Vorhöfe; es entsendet weiter oben ein ganglienreiches Geflecht 
zwischen Aorta ascend. und Ductus Botalli (Plex. aortic. superfic.). 
Aus dem letzteren entspringen die Plexus coronarii. Die Vorhofs¬ 
ganglien stehen zu den Ventrikeln in keiner näheren Beziehung. 
Die Ventrikel bleiben ganglienfrei. 

Die Herzganglien sind also vorgeschobene Theile der Sym- 
patliicusganglien. Die letzteren gehören aber nach Onodi („Arch. 
für mikroskop. Anat. M , Bd. 26) zum Gebiete der hinteren Wurzeln, 
also zum sensiblen System. Das Gleiche muß man für die Herz¬ 
ganglien, die - Abkömmlinge der Sympathicusganglien, annehmen. Die 
Herzganglien sind demnach sensibel. Wenn nicht die 
unhaltbare Annahme gemacht wird, daß dieselbe Ganglienzelle gleich¬ 
zeitig motorisch und sensibel sein könne, besitzen die Herzganglien 
keine motorischen Functionen. Sie sind also weder automatische 
Herzcentra, noch active Vermittler der Hemmung oder Beschleunigung 
des Herzschlages. 

Mit dieser Annahme lassen sich die bekannten physiologischen 
Eigenschaften des Herzens sehr gut vereinigen. Redner betonte 
namentlich die Thatsache, daß das Herz des Embryos rhythmische 
Contractionen vollführt, längst bevor es Nerven oder Ganglien be¬ 
sitzt, und erinnerte an die Versuche Wooldridüe’s (dü Bois- 
Reymond’s „Arch. f. Physiol.“, 1883). 

Ueber die Function der Herzganglien im Einzelnen läßt sich 
zur Zeit nichts Bestimmtes sagen. Vielleicht übermitteln sie dem 
Centralnervensystem die unbewußten Empfindungen, welche reflec- 
torisch den Herzschlag durch den Vagus und Accelerans reguliren, 
die Weite des Gefäßsystems beherrschen. 

Da wir die Annahme eines automatischen Herznervencentrums 
aufgeben müssen, haben wir vorläufig zur Erklärung der rhyth¬ 
mischen Herzthätigkeit eine Automatic des Herzmuskels selbst 
anzunehmen, die durch die anatomischen und physiologischen Eigen¬ 
tümlichkeiten des Herzmuskels leichter verständlich wird. Der 
Herzmuskel ist der automatische Motor der Blut- 
circulation, ohne zu seinen Bewegungen von nervösen Elementen 
angeregt zu werden. 

Der Herzmuskel erscheint nach dieser Auffassung auch für die 
Pathologie sehr viel wichtiger als bisher. Während Veränderungen 
der Herzganglien wegen der Complicirtheit ihrer Function und der 
Unklarheit derselben im Einzelnen uns keinen Rückschluß auf patho¬ 
logische Abweichungen der Herzthätigkeit gestatten, während die 
Wirkung der Herzgifte nicht mehr ohne Weiteres auf die Reizung 
oder Schädigung der Herzganglien zu beziehen ist, wird die genaue 
Untersuchung des Herzmuskels häufiger, als jetzt angenommen 
wird, die Ursache des pathologischen Verhaltens des Herzens auf¬ 
decken. 

Discussion. 

v. Basch hegt schon seit 10 Jahren die Ansicht, daß nicht die 
Herzganglien es sind, welche die Automatic des Herzschlages be¬ 
wirken. Von der Herzspitze wissen wir, daß sie sich bewegt, ohno 
Ganglien zu besitzen. Was die Herznerven betrifft, so sieht B. 
schon lange weder im Vagus, noch im Accelerans motorische Nerven; 
dieselben alteriren, wie man sich vorstellen kann, in der Weise die 
Schlagfolge des Herzens, daß sie die Empfindlichkeit desselben 
alteriren, was ganz mit der Ansicht Romberg’b übereinstimmt, daß 
die Ganglien Empfindungsapparate sind. 


Stadelmann (Dorpat): Ueber den Einfluß der Alkalien auf den 
menschlichen Stoffwechsel. 

Vortr. gibt einen Ueberblick über die Arbeiten seiner Schüler, 
der Herren Burchard, Klemptner, Bukmann, Hagentorn, von 
denen jeder Einzelne Capitel der vorliegenden Frage bearbeitet hat, 
und die zusammen in einer Monographie in Kurzem erscheinen 
werden. Die Untersuchungen wurden von dem Gesichtspunkte aus 
angestellt, nachzusehen, ob große Dosen von Alkalien, wie sie von 
Stadelmann mehrfach therapeutisch, besonders bei Diabetikern 
empfohlen worden sind, nicht doch den menschlichen Stoffwechsel 
nach irgend einer Richtung ungünstig beeinflussen. Demnach wurden 
die Alkalien 1. besonders in großen Dosen und 2. über lange Zeiträume 
hinaus verabreicht, auch wurden die Untersuchungen, um nicht vom 
Thiere auf den Menschen hin Rückschlüsse machen zu müssen, was 
immerhin bedenklich ist, an Menschen (den Experimentatoren selbst) 
angestellt, bei Stickstoffgleichgewicht derselben. In der Literatur finden 
sich nun die widersprechendsten Angaben über das fragliche Gebiet. 
Studirt wurde der Einfluß des kohlensauren, doppeltkohlensauren und 
citronensauren Natrons. Die pflanzensauren Salze, besonders das 
citronensaure Natron, die im Körper zu kohlensauren umgewandelt 
und theilweise als solche ausgeschieden werden, eignen sich ganz 
besonders gut, wenn es darauf ankommt, dem Körper Alkalien zu¬ 
zuführen, besser als die kohlensauren Salze, die schlechter resorbirt 
werden und zum Theil als Chlornatrium zur Aufnahme kommen, 
die Salzsäure des Magens theilweise in Beschlag nehmen und so 
eher den Stoffwechsel, besonders die Verdauung, schädigen. Aller¬ 
dings kommt auch dem citronensauren Natron eine gewisse ab¬ 
führende Wirkung zu, die manchmal mehr, manchmal weniger zu 
Tage tritt. 

Berücksichtigt wurden in den vorliegenden Untersuchungen 
fast alle normalen Bestandtheile des Harns und außerdem noch der 
Stickstoffgehalt der Fäces. Was die stickstoffhaltigen Harn- 
bestandtheile anlangt, so waren die Harnsäure und das Ammoniak 
nach der Zufuhr der Alkalien in verminderter Menge im Harne ent¬ 
halten, letzteres entsprechend der gegebenen Dosis ; eine vollkommene 
Unterdrückung der Ammoniakausscheidung ließ sich jedoch niemals 
erzielen. 

Der Harnstoff bot die interessantesten Anomalien dar. Bei 
dem einen der Experimentatoren war die Ausscheidung desselben 
zuerst vermindert, es wurde Stickstoff angesetzt, dann plötzlich 
änderte sich das Bild, es traten große Schwankungen der täglichen 
Harnstoffausscheidung bis zu ll’O auf, indem die Curve bald unter 
die Norm sank, bald über die Norm sich erhob, jedoch so, daß das 
Mittel der Versuchsreihe nur sehr wenig von der normalen Mittel¬ 
zahl abwich. Bei dem 2. Experimentator fiel das Stadium der 
verminderten Harnstoffausscheidung und des Stickstoffansatzes fort, 
und von vorneherein begann die Harnstoffausscheidung den schwan¬ 
kenden Charakter anzunehmen mit einer Oscillationsbreite der Curve 
bis zu 13’0 von einem Tage zum anderen. Auch hier wich aber 
die Durchschnittszahl vom Normalen kaum ab. 

Die Stickstoffausscheidung in den Fäces stieg mit der ver¬ 
minderten Consistenz der Stühle und betrug gelegentlich fast das 
Doppelte des Normalen, d. h. statt 0 7 bis zu 14 in 24 Stunden. 

Eine diuretische Wirkung der Alkalien war nicht zu ver¬ 
kennen, allerdings bald mehr, bald weniger ausgesprochen. 

Eine vermehrte Oxydation des Fettes und Verbrauch des an- 
gesetzten Körperfettes ist unter ihrem Gebrauche zum Mindesten 
sehr wahrscheinlich. 

Kalk und Magnesia werden in ihrer Ausscheidungsgröße durch 
den Harn von den Alkalien nicht beeinflußt. Ebensowenig die 
Phosphorsäure und die Schwefelsäure, die unter dem Gebrauche 
der Alkalien eher in verminderter Menge im Ham aufzufinden 
sind, ein Punkt, der besonders berücksichtigenswerth ist. 
Es gelingt also wohl, durch die Zufuhr von Säuren dem Körper 
Alkalien zu entziehen, dagegen nicht, ihm anorganische Säuren 
zu nehmen durch Zufuhr von Alkalien. 

Allerdings wird durch die Alkalien das Verhält,hiß der Aether- 
schwefelsäuren zu den präformirten verändert, indem erstere in er¬ 
heblich erhöhter Menge im Harne aufzufinden sind, ein Umstand, der 
in der Neutralisation der Salzsäure im Magen, der stärkeren Alka- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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lescenz im Darmcanal und der Begünstigung der dort stattfindenden 
FäulnißproceBse seine Erklärung findet. 

Kohlensaures Natron wird viel schlechter als citronensaures 
Natron resorbirt, wenigstens findet sich nach Eingabe des ersteren 
verhältnismäßig viel weniger Natron im Harne als nach Eingabe 
des letzteren. Wie viel von letzterem resorbirt wird, läßt sich nicht 
mit Sicherheit angeben, da vou ihm die Chloride des Körpers 
mechanisch mitgerissen werden und sich als Na CI und K CI im 
Harne auffinden lassen. Es wurde nämlich nach Eingabe größerer 
Mengen von citronensaurem Natron mehr Natron im Harne gefunden 
(nach Abzug der normalen Menge) als zugeführt wurde. 

Die Verschiedenheit in der Resorption von kohlensaurem und 
citronensaurem Natron beweist auch, daß letzteres erst im Blute zu 
kohlensaurem Natron umgewandelt wird und nicht schon im Darme, 
wie dies Büchheim annimmt. 

Der Vorgang nach Eingabe von citronensaurem Natron scheint 
der zu sein, daß das aus ihm gebildete kohlensaure Natron theil- 
weise als solches oder an die Albuminate gebunden im Körper 
zurückgehalten wird, theilweise durch die Nieren als kohlensaures 
Natron zur Ausscheidung gelangt und dabei aus dem Blute Na CI 
und KCl mechanisch mit sich fortreißt. Für eine theilweise Auf¬ 
speicherung spricht die Nachperiode, bei welcher noch circa 4 Tage 
lang mehr Natrou als normal mit dem Harne ausgeschieden wird. Daß 
citronensaures Natron als solches in irgendwie größerer Menge zur 
Excretion gelangt, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich. Irgend 
welche dyspeptische Erscheinungen, eine Einwirkung auf den All¬ 
gemeinzustand des Körpers trat selbst nach Dosen bis zu 43 0 des 
citrouensauren Natron und einer Zufuhr von gegen 600 Grm. während 
der ganzen Versuchsdauer nicht auf. 

Die Anwendung pfianzensaurer Salze scheint demnach viel ge¬ 
eigneter als die der kohlensauren Salze, wenn man den Körper 
sozusagen alkalisiren will. 

Die Rechnung wies nach, daß ein erheblicher Theil des zu¬ 
geführten citronensauren Natron als kohlensaures Natron im Harn 
zur Ausscheidung gekommen sein mußte. 

Weitere experimentelle Untersuchungen, die von den Herren 
Nissen und Mandelstamm ausgeführt wurden, sollten den Einfluß 
der Alkalien auf die Gallensecretion kennen lehren. Man nimmt 
ja auch jetzt noch vielfältig an, daß die Alkalien als Cholagoga 
wirkeu, und daß der günstige Einfluß des Carlsbader Wassers bei 
Zuständen der Gallenstauung auf dieses Moment zurückzuführen ist. 
Andere wieder nehmen an, daß es sich hier nur um eine Wirkung 
des warmen Wasser handelt, und daß die Alkalien dabei die Neben¬ 
rolle spielen. Die vorliegenden Untersuchungen haben nun zweifellos 
nachgewiesen, daß weder das Wasser, gleichgiltig ob warm oder kalt, 
iu großer oder kleiner Menge, noch die Alkalien die Gallensecretion 
\ er mehren. Während die Alkalien, in kleinen Dosen verabreicht (es 
wurde Carlsbader Salz, Natrium bicarbonicum, Chlornatrium, Natrium 
sulfuricum, Natron phosphoricum, Kalium aceticum, Kalium tartaricum, 
Kalium eitricum, Kalium carbonicum u. a. m. untersucht), die 
Gallenmenge und Zusammensetzung derselben unbeeinflußt lassen, 
wird die Gallensecretion bei großen Dosen herabgesetzt, während 
die Ausscheidungsgröße von Gallenfarbstoff, Gallensäuren, Fetten 
nicht geändert wird. Die Idee, die Alkalien als Cholagoga anzu- 
wenden, ist eine falsche, wie überhaupt die therapeutische Ver- 
werthung der Cholagoga von unrichtigen physiologischen Voraus¬ 
setzungen ausgeht. Ein Nutzen der Alkalien muß im Gcgentheil, 
abgesehen von der günstigen Einwirkung auf die catarrhalischen 
Zustände im Darm, Gallengängen, Gallenblase etc., in einer ver¬ 
minderten Gallensecretion gesucht werden. 

Da die Alkalien die Alkalescenz des Blutes sicher vermehren, 
wird auch eine stärker alkalische Galle unter ihrem Gebrauche ab¬ 
gesondert werden, die im Stande ist, Gallenconcremente zu lösen, 
Gallensteine zu verkleinern, so daß diese dann den Ductus chole- 
doohus passiren können. 


Klemperer (Berlin): Fieberbehandlung und Biutalkalescenz. 

Die Alkalescenz des Blutes und der Kohlensäuregehalt des¬ 
selben sind bei allen Einwirkungen giftiger Substanzen auf den 
Organismus vermindert. Die Intensität der Alkalescenz Vermin¬ 


derung, bezw. der Kohlensäuregehalt, sind nach Vortr. eiu ver- 
werthbarer Maßstab der Stärke der Intoxication. 

Im Fieber ist die Alkalescenz des Blutes wesentlich vermindert. 
Vortr. bat nun untersucht, ob durch die Darreichung von Antipyrin 
und Antifebrin die gesunkene Alkalesceuz sich wieder hebt. In fünf 
Fällen von Typhus blieb trotz des Absiukens der Temperatur auf 
die Norm der Kohlensäuregehalt des Blutes auf der pathologisch 
verminderten Stufe. Es geht hieraus hervor, daß diese Mittel anti¬ 
thermisch, aber nicht antitoxisch wirken. Zweitens hat der 
Vortr. untersucht, ob durch Darreichung großer Dosen Natr. bicar¬ 
bonicum , welche die Alkalescenz des Blutes wieder zur normalen 
Höhe bringen, der fieberhafte Proceß irgendwie beeinflußt werden 
kann. Zwei Fälle von Typhus abdominalis, welche täglich 25 bis 
30 Grm. Natr. bicarbonicum erhielten, zeigten keine Veränderung 
des Fieber- oder Krankheitsverlaufs; der Eiweißumsatz war in der 
gewöhnlichen Weise gesteigert. Nach so negativen Resultaten ist 
auf der LEYDEN’schen Klinik die Fieberbehandlung eine vorsichtig 
antipyretische und die größte Sorgfalt wird auf die Ernährung der 
Fiebernden verwandt. 

Discussion. 

Kbaüs (Wien) hat in 2 mit Antifebrin entfieberten Fällen von 
Typhus gefunden, daß der verminderte Kohlensäuregehalt des Blutes 
unverändert blieb. Nach den Untersuchungen Kraus’ geht die 
Steigerung der Temperatur nicht proportional mit der Herabsetzung 
des Kohlensäuregehaltes des Blutes einher. So fand er in Fällen 
von Erysipel, bei denen das Fieber in wenigen Standen 40° erreichte, 
wenige Stunden nach Beginn des Fiebers normalen Kohlensäure¬ 
gehalt. Da die Thierversuche, sowie die klinische Beobachtung 
lehren, daß die Temperatursteigerung nicht der Ausdruck des Iu- 
fectes sind, so dürfen wir uns nicht an die Höhe der Temperatur, 
sondern an den verminderten Kohlensäuregehalt des Blutes halten. 
In allen Fällen, wo eine Säureintoxication angenommen werden kann, 
gibt Kraus doppeltkohlensaures Natron. Bei Gesunden tritt schon 
nach 2—8 Grm. in wenigen Stunden, bei Fiebernden erst auf 20 
bis 30 Grm. deutliche Alkalescenz des Harnes ein. Dieses einfache 
diagnostische Verfahren ist der erste Prüfstein auf das Vorhandensein 
einer Säureintoxication. 


Maximilian Sternberr (Wien): Ueber Sehnenreflexe. 

Von den Erklärungen, welche bisher für das Wesen der Sehnen¬ 
reflexe gegeben worden sind, ist keine vollständig einwurfsfrei. Eine 
jede von ihnen steht mit der einen oder der anderen Thataache 
der klinischen Beobachtung oder des Thierexperiments im Widerspräche. 

Der Vortr. berichtet über das Ergebuiß seiner Untersuchungen 
über den Gegenstand. Dieselben bestanden in Thierversuchen, welche 
mit den Hilfsmitteln des Wiener physiologischen Institutes und unter 
Controle der Professoren S. Exner und E. v. Fleischl ausgeführt 
wurden, und aus Beobachtungen an einem Materiale von über 1500 
Kranken an der Klinik Mevnert und der medioinischen Abtheilung 
Redtenbacher. 

Die experimentelle Untersuchung war zunächst auf das bisher 
nicht gelöste Problem gerichtet, die Componenten, aus denen sich die 
Sehnenreflexe zusammensetzen können, d. h. die Wirkungen der 
Erschütterung des Muskels der Sehne, des Knochens, der Gelenks¬ 
enden u. s. w. von einander vollständig zu isoliren. Dies gelang 
durch geeignete KnocheuanOrdnungen. 

Auf diese Weise ergab sich, daß die sogenannten Sehnenreflexe 
aus zwei Phänomenen bestehen, einem Knochenreflex und 
einem reinen Muskelphänomen, welches höchstwahrscheinlich 
gleichfalls ein Reflex ist. 

Der Knochenreflex besteht darin, daß ein Stoß auf den 
Knochen, besonders ein solcher, welcher ihn in der Richtung seiner 
Längsaxe trifft , die Nerven des Periostes und der Gelenksenden 
erregt, und dies eine Contraction sämmtlicher den Knochen be¬ 
herrschenden Muskeln auslöst. 

Der Muskelreflex besteht darin, daß sich ein genannter 
Muskel contrahirt, wenn auf ihn (durch irgend einen gespannten 
Faden) ein Stoß in der Längsrichtung übertragen wird. 

Die Sehne spielt bei dem ganzen Vorgänge nur eine 
mechanische Rolle. Es lassen sich keine Reflexe auffinden, 


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Nr. 17. 


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welche von den Nerven der Sehne entstünden. Ebensowenig laßt 
sich die vielfach behauptete Existenz von Fascienreflexen nach- 
weisen. 

Diese Theorie genügt allen bisher bekannten experimentellen 
Erfahrungen und läßt sich ebenso zur Deutung der verschiedensten 
klinischen Beobachtungen verwenden. 

In Bezug auf die letzteren erwähnt der Vortr. die Frage der 
cerebralen Hemmungsapparate für die Sehnenreflexe und 
beweist auf Grund mehrerer Beobachtungen über Hirntumoren, daß 
solche cerebrale Hemmungsapparate bestehen, durch gewisse Hirn¬ 
erkrankungen gereizt und durch Lähmung des Hirneinflusses außer 
Thätigkeit gesetzt werden. 

Ein zweiter Punkt, der damit in Zusammenhang steht, ist die 
Angelegenheit der Contracturen. Von diesen sind zwei Gruppen 
durch das Verhalten der Sehnenreflexe cbarakterisirt. 

Die erste bilden die Contracturen, welche nach Herderkran¬ 
kungen des Gehirns bei verschiedenen Rückenmarkskrankheiten und 
bei Gelenksprocessen auftreten. Bei dieser Form sind die Sehnen¬ 
reflexe stets gesteigert. 

Die zweite Gruppe von Contracturen sind diejenigen, welche 
bei großen Hirnhämorrhagien, bei Tumoren und Abscessen des Ge¬ 
hirns, bei Urämie und Meningitis, bei Paralysis agitans auftreten. 
Bei diesen Contracturen besteht niemals Steigerung, sehr 
häufig Herabsetzung der Sehnenreflexe. 

Die Unterscheidung, welche von beiden Formen von Contrac¬ 
turen vorliegt, ist manchmal nur durch die Sehnenreflexe möglich 
und hat in solchen Fällen diagnostischen Werth. 

So bestand in einem Falle von anscheinend typischer Hemi¬ 
plegie in den letzten Wochen des Lebens eine leichte Beugecon- 
tractur des linken Armes, welche sich durch die herabgesetzten 
Sehnenreflexe als Contractur der zweiten Art charakterisirte. Es 
wurde daher angenommeu, daß keine gewöhnliche Blutung oder 
Erweichung, sondern eine ganz besondere Ursache der Hemiplegie 
bestehe. Die Obduction ergab thatsächlich ein Gliom der Central¬ 
windungen. 

Zum Schlüsse betont der Redner, daß er bei Beobachtung 
aller Vorsichtsmaßregeln, die von Schreiber und Jendrassik für 
die Untersuchung der Sehnenreflexe angegeben worden sind, viel 
seltener absolutes Fehlen der Sehnenreflexe gefunden habe, als 
frühere Untersucher. Speciell bei senilem Marasmus fand sich unter 
mehr als 100 Fällen niemals dauerndes Fehlen der Patellar- 
reflexe, außer sub finem vitae als praeagonales Symptom. Häufig 
finden sich bei solchen Individuen gesteigerte Patellarreflexe bis 
wenige Stunden vor dem Tode, und das auch in solchen Fällen, in 
denen sich bei der Obduction ausgedehntere Nervendegeneration 
findet, was mit Rücksicht auf manche neuere Angaben, z. B. von 
Nonne, bemerkenswert!! ist. 


Neunzehnter ConRress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin Tom 9.—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

Bruns (Tübingen): Ueber die Behandlung tuberculöser Gelenke 
und Senkungs-Absces8e mit Jodoform-Injectionen. 

Durch die Verwendung des Jodoforms hat die Behandlung 
der tuberculösen Gelenke und Senkungs-Abscesse im letzten Decennium 
eine außerordentlich günstige Aenderung erfahren. Es ist noch 
nicht sicher festgestellt, ob die unzweifelhaft antituberculöse Wirkung 
des Jodoforms nur diesem Mittel allein zukommt, oder ob es sich 
einfach um Begünstigung des primären Heilungsprocesses durch den 
andauernden Contact mit der erkrankten Fläche, um rasche Ver¬ 
narbung und Schrumpfung der Gewebe handelt. Namentlich die 
kalten Abscesse, welche abgeschlossene und durch eine fibröse Wand 
abgekapselte Hohlräume darstellen, sind für den innigen Contact 
mit dem Jodoform besonders geeignet, indem dieses Wochen und 
Monate lang die tuberculöse Membran in gleichmäßiger Schicht 
überzieht. Der Contact muß, um zu einem günstigen Erfolg zu 


führen, lange Zeit bestehen und zeigt eine Einwirkung des Jodo¬ 
forms erst nach einer Anzahl von Wochen, während die Heilung 
frühestens nach 2—4 Monaten abgeschlossen ist. Immerhin kann 
man bei ruhigem Abwarten auf sicheren Erfolg rechnen. Die Me¬ 
thode ist umso günstiger, als man die Patienten ambulatorisch be¬ 
handeln kann. 

Daß die Wirkung nicht von dem gleichzeitig mit dem Jodo¬ 
form eingespritzten Aether, Alkohol etc. herrtihrt, hat Brüns da¬ 
durch nachgewiesen, daß er seit mehreren Jahren auch mit einer 
Mischung von Jodoform und Olivenöl die gleichen günstigen Er¬ 
folge erzielt hat. Die einfache Punction des Abscesses bringt eine 
Heilung nicht zu Stande. Bei den in den letzten 2—4 Jahren mit 
Jodoform behandelten Patienten hat Redner noch in letzter Zeit 
coustatiren können, daß kein Recidiv eingetreten ist, sondern die 
Heilung noch fortbesteht. 

Das Verfahren der Jodoform-Injection eignet sich nach Bruns’ 
Ansicht auch für Pleura-Empyeme; jedoch sind seine Er¬ 
fahrungen hierüber noch gering. Bei tuberculösen Gelenkserkrankungen, 
insbesondere bei dem sogenannten Hydrops der Tuberculöse und 
den kalten Abscessen, hat Redner in den letzten 4 Jahren über 
50 Fälle mit Jodoform-Einspritzungeu behandelt und zum Theil 
überraschende Erfolge erreicht. 

Auch Trkndelenburg und Kradse haben gleich günstige 
Erfahrungen mit dieser Behandlung bei tuberculösen Gelenks¬ 
erkrankungen gemacht. 

Was die Ausführung der Methode selbst anbetrifft, so nimmt 
man am besten eine 10—20% frisch bereitete und sterilisirte 
Mischung von Jodoform mit Olivenöl oder Glycerin, welche der 
schmerzhaften Aetherlösung entschieden vorzuziehen ist. Handelt 
es sich um die parenchymatöse Form der Gelenktuberculose, so 
stößt man eine starke Hohlnadel in das Gelenkinnere ein und injicirt 
langsam von einem oder von mehreren Stichpunkten aus eine Menge 
von 4—6 Ccm. der Lösung. Bei starkem Erguß in das Gelenk 
oder bei Vorhandensein von periarticulären Abscessen empfiehlt es 
sich, zunächst den Gelenkinhalt zu entleeren und hierauf durch 
Einspritzung der Jodoform-Mischung die Geienkhöhle wieder prall 
zu füllen. Kraüse’s Empfehlung, zuvor noch eine Auswaschung 
mit Borlösung vorzunehmen, hält Redner nicht für berechtigt. Die 
Injection ist weder besonders schmerzhaft, noch erzeugt sie ent¬ 
zündliche Erscheinungen; nur erfolgen zuweilen Temperatur-Steige¬ 
rungen um 1—2 Grad, welche jedoch bald wieder zurückgehen. 

Nur bei besonderer Schmerzhaftigkeit ist eine Feststellung des 
Gelenkes nothwendig, während man im Allgemeinen einen vorsich¬ 
tigen Gebrauch des Gliedes gestatten darf. Im Allgemeinen empfiehlt 
sich die Wiederholung der Injection bei der parenchymatöseu Er¬ 
krankungsform in Zwischenräumen von 6—8 Tagen, bei den peri 
articulären Abscessen nach 4—6 Wochen. Die ersten erkennbaren 
Anzeichen der Besserung treten gewöhnlich erst nach 6—8 Wochen 
auf, während schon vorher die Schmerzhaftigkeit wesentlich nach¬ 
gelassen oder ganz aufgehört hat. Brüns war oft ganz erstaunt, 
zu sehen, daß Kranke mit schmerzhafter Gelenktuberculose schon 
wenige Wochen nach Beginn der Behandlung anfingen, das erkrankte 
Glied wieder zu gebrauchen. 

Was die localen Veränderungen anbetrifft, so pflegt sich der 
aufangs trotz der Jodoform-Injection wiederkehrende Gelenkserguß 
allmälig zu verlieren und schließlich ganz zu verschwinden. Die 
periarticulären Abscosse gehen in Schrumpfung über, während der 
reine Kapselfungus nach ganz allmäliger Rückbildung der An¬ 
schwellung statt der weichen Fluctuation eine derbe Beschaffenheit 
annimmt. Diese Induration kann nach einigen Jahren ganz ver¬ 
schwinden. 

Bezüglich der Function ist hervorzuheben, daß sich allmälig 
eine theilweise oder selbst vollständige Beweglichkeit wieder her¬ 
stellt. So hat Brüns 4mal bei Kindern mit schwerem Fungus des 
Fuß- und Kniegelenks, sowie mit Fisteln und Absceßbildungen eine 
vollständige Herstellung der Gebrauchsfähigkeit gesehen, derart, daß 
nach einigen Jahren auch bezüglich der Function kein Unterschied 
mehr zwischen den beiden Extremitäten erkennbar war. Nach 
Redners Ansicht trägt zu diesem günstigen functioneilen Resultat 
der Umstand bei, daß während der Behandlung die Feststellung des 


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Gelenkes nicht erforderlich wird. Mehr als die Hälfte aller Fälle 
ist ohne einen operativen Eingriff geheilt worden. Am schnellsten 
und sichersten werden frische Gelenkserkrankungen geheilt, be¬ 
sonders bei Kindern, ehe der Aufbruch erfolgt ist. Abgesehen von 
den geheilten Fällen findet sich in einer großen Anzahl eine be¬ 
deutende Besserung, Beseitigung der Schmerzhaftigkeit, Erhöhung 
der Gebrauchsfähigkeit und Verminderung der Anschwellung, und 
zwar selbst in schweren Fällen, bei Patienten in höherem Alter. 
Die noch immer nicht unbeträchtliche Anzahl von unvollständigen 
und Mißerfolgen ist begründet in den ungünstigen anatomischen 
Verhältnissen, namentlich in der schwierigen Erreichbarkeit und un¬ 
genügenden Füllung der Gelenkhöhlen, sowie in dem Uebersehen- 
werden von periarticulären Abscessen. Soll ein günstiges Resultat 
erzielt werden, so ist immer eine oonsequent durcbgeführte monate¬ 
lang andauernde Behandlung nothwendig. Unzweifelhaft aber wird 
die in Anwendung einfache und gefahrlose, in ihrer Wirkung sichere 
Jodoformbehandlung dazu beitragen, bei tuberoulösen Gelenk- und 
Senkungsabscessen die Amputationen und Resectionen immer seltener 
zu machen. 

Diseussi on. 

Kradse (Halle) hat in den letzten 2 Jahren 78 ver¬ 
schiedene tuberculöse Gelenke mit Jodoforminjectionen behandelt 
und nur wenige Mißerfolge beobachtet; 23 Fälle sind seit mehr 
als Jahresfrist vollkommen geheilt geblieben. Besonders hervor¬ 
zuheben sind die Erfolge am Knie- und Handgelenk, wo eine relative 
Beweglichkeit eintrat. Die Zahl der günstigen Resultate ist noch 
dadurch etwas verringert, daß Krause sich zur Erprobung des 
Verfahrens stets die allerschwersten Fälle aussuchte. 

In Bezug auf das Injectionsverfahren hebt Redner hervor, daß 
er bei Eiterung der Gelenkhöhle diese mit einer Borlösung so lange 
ausspült, bis die Flüssigkeit rein abläuft. Er benützt dazu einen 
Irrigator, - auf dessen Glascanüle ein dicker Bauchtroicart mit einem 
Lumen von 4—5 Mm. aufgepaßt ist. Nach Entfernung aller Ge- 
websfetzen wird die noch im Gelenk vorhandene Borlösung ausge 
drückt und das Jodoformöl bis zur prallen Füllung der Höhle injicirt. 
Unmittelbar darauf nimmt er bei dem narcotisirten Kranken passive 
Bewegungen des Gliedes vor und läßt massiren, um das Jodoform 
auf diese Weise in die Gelenkwände gewissermaßen einzureiben. 
Eine Fixation des Gelenks hält er weder für geboten, noch für 
vortheilhaft. Das ganze Verfahren ist selbst bei ambulanten Patienten 
außerordentlich leicht durchführbar. 

HErSNER (Barmen) bestätigt aus einer 5jährigen Erfahrung 
die günstigen Eifahrungen von Jodoformätherinjectioncn bei tuber- 
culösen Erkrankungen. 

Trendelenburg (Bonn) hat bei 135 Fällen von tuberculöser 
Gelenkerkrankung durchschnittlich alle 8 Tage eine Jodoform- 
injection von 5 Grm. vorgenommen und in 68°/ 0 aller eine ent¬ 
schieden günstige Beeinflussung dieser Behandlung beobachtet, ohne 
daß eine gewisse Gesetzmäßigkeit des Erfolges je nach dem Alter, 
der Beschaffenheit des Processes etc. nachweisbar gewesen wäre. 
Redner hat sich jedoch nicht auf die tuberculösen Gelenke , bei 
denen die Erfolge am auffallendsten bei der oft zur Amputation 
führenden Eiterung des Handgelenks hervortraten, beschränkt, sondern 
auch die Tuberculöse der Weichtheile, der Schleimbeutel und der 
Lymphdrüsen, in einem Falle auch der Epididymis erfolgreich mit 
Jodoforminjection behandelt. Diese Methode kam wiederholt auch 
bei Tuberculöse der Pleura und endlich auch in einem Falle von 
Lungentuberculose in Anwendung, doch gestatten die Versuche in 
letzterem Falle bei der Kürze der Behandlung noch kein definitives 
Urtheil. Die Anwendung ist eine ganz reactionslosc, namentlich 
ohne Hustenreiz; Pat. gibt an, weniger husten und auswerfen zu 
müssen. Vielleicht gelingt es auf diese Weise, die Tuberkelbacillen 
der Lunge zu tödten. 

v. Eiselsberg (Wien) berichtet über zahlreiche Heilungen, 
namentlich in Fällen von Caries des Gelenkes mit ausgedehnter 
Fistelbildung aus der Billroth 'sehen Klinik. Nach Entfernung 
des Sequesters wurde durch Injectionen mit 10% Jodoform Glycerin¬ 
lösung die Eiterung sistirt und häufig Heilung erreicht. In der 
Mehrzahl der Fälle von kaltem Absceß ohne Perforation wurde 
zunächst punctirt und dann Jodoform injicirt. In anderen Fällen 


wurde erst nach Freilegung und Auskratzung des Gelenkes die 
Jodoformbehandlung eingeleitet. Die Erfolge waren jedesmal recht 
güustige. 

v. Bergmann (Berlin) hat bei Punction der großen tuber¬ 
culösen Hydropsien ausnahmslos gute Resultate gesehen , wenn er 
Jodoforminjectionen folgen ließ. 

Beins' hat vor einigen Jahren, um die durch das Jodoform 
hervorgerufenen Veränderungen in der tuberculösen Membran zu 
studiren, die Wandungen derart behandelter kalter Abscesse exstir- 
pirt. Nach den ersten Wochen ließ sich ein Stillstand der tuber¬ 
culösen Wucherungen, sowie eine Verminderung der Tuberkelbacillen 
erkennen, an welche sich eine zellige Infiltration der tuberculösen 
Knötchen anschloß. Diese fallen der Verfettung und Necrose auheitu, 
während an der äußeren fibrösen Schicht eine die tuberculöse 
Wandung abhebende normale Granulation beginnt. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. . 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 25. April 1890- 

Vorsitzender: San.-R. Dr. Ullmann. — : Schriftführer: Doc. 
Dr. Hochstetter. 

DOC. Dr. HACKER demonstrirt einen 55jährigun Kranken, bei 
dem er wegen einer impermeablen carcinomatösen Strictur au der 
Cardia die Gastrostomie nach der von ihm angegebenen Methode 
ausgoführt hat. Der Vortheil der Methode besteht darin, daß der 
linke Rcctus abdominis mit zum Verschlüsse der Mageufistel herau- 
gezogen wird. Der Schnitt wird 2 — 3 Cm. von der Medianlinie 
nach links mitten durch den Rectus geführt, eine kleine Ilautfalte 
wird in die Bauchwunde eingenäht, diese bis an die anzulegende 
Fistel geschlossen, und erst nach 24—48 Stunden der Mageu er¬ 
öffnet. Dann wird ein Drain eingelegt und die ersten 8 Tage liegen 
gelassen, worauf ein Verschlußapparat angebracht wird. Letzterer 
muß so beschaffen sein, daß die Ballons sich ausdehnen, ohne daß 
das durch die Bauohdecken durchgehende Mittelstück dilatirt wird. 
Diese Operationsraethode bewirkt, daß die Fistel so verschlossen 
wird, daß kein Inhalt ausfließt, daß die Haut in der Umgebung 
nicht eczematös wird und daß keine progressive Ausdehnung der 
Fistel erfolgt. Für die Erreichung guter Resultate ist die Heilung 
per primam nothwendig. Diese Operation ermöglicht es, frühor 
zu operiren als an der äußersten Grenze, wo der Kranke 
nicht mehr schlucken kann. Alle Autoren sind darüber einig, daß 
diese Methode bei tiefsitzenden Stenosen, die nicht von oben er¬ 
reicht werden können, angezeigt ist. 

Hofr. Billroth erwähnt die Schwierigkeiten, welche früher bei 
Verschluß der Fistel vorhanden waren und die nun durch die 
HACKER’sohe Methode behoben sind. Diese würde vielleicht bessere 
Resultate liefern, wenn früher operirt würde. B. glaubt nicht, daß 
die durch die Operation bedingte Ruhe der die Neubildung enthal¬ 
tenden Organe auf die Wachsthumsgeschwindigkeit des Oarcinoms 
von Einfluß ist, sondern ist der Ansicht, daß die durchtretende 
Flüssigkeit auf die Ulceration und Zerfall des Neoplasma einen 
Einfluß hat. 

Dr. RaBL 8tellt einen Fall von Sclerodermie vor. 

Die stets gesunde Patientin führt ihre gegenwärtige Erkran¬ 
kung auf eine Prellung beim Holzhacken zurück. Am linken Daumen 
ist die Haut geröthet, das Zellgewebe geschwunden, die Musculatur 
des Daumenballens fehlt vollständig, die Haut ist dünn und ange¬ 
heftet, bläulich-roth, glänzend, die Empfindlichkeit erhalten. An der 
Radial Seite zieht an der Beugseite ein Strang gegen die Mittellinie, 
der ähnlich wie eine Lymphangoitis aussieht. Nach oben besteht 
ein zweiter, streifenförmiger, rother Herd, von dem aus wieder ein 
Strang ausgeht, wie von einer Verbrennungsnarbe. Am Oberarm 
findet sich eine kleine, volllkommen weiße, sich hart anfühlende 
Stelle, die wie aus Narbengewebe gebildet scheint. Oberhalb der 
Pectoralfalte beginnt derselbe Proceß. R. glaubt, daß es sich bei 
dieser Affection um eine Trophoneurose handelt. 

Prof. Neumann hat in einem Falle, der sich im Stadium 
elevatum befand, bei dem das Ellbogengelenk im spitzen Winkel 


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gebeugt und die Haut straff gespannt war, nach % Jahr (nach An¬ 
wendung von grauer Salbe und Dunstumschlägen) eine Besserung 
eintreten gesehen. Bezüglich der Localisation erwähnt Neumann eines 
Falles mit Sclerodermie an der Wange und eines zweiten, bei dem 
die Erkrankung an der Schläfegegend saß. 

Rabl hat einen Fall beobachtet, bei dem angeblich Heilung 
eingetreten sein soll und bei dem auch Mineralwasser-Umschläge 
gemacht wurden. 

Prof. Kaposi glaubt auf Grund seiner nicht geringen Er¬ 
fahrungen über Sclerodermie (70 Fälle seit 1882), daß zwar viele 
Gelegenheitsursachen der Sclerodermie vorhanden sind, daß aber 
die wahre Ursache der Krankheit unbekannt ist. Die Verbreitung 
der Krankheit entlang der Nervenstämme in manchen Fällen (ein 
Fall, der ähnlich einem Zoster cervico-brachialis, andere, bei denen 
die Ausbreitung dem 1. und 3. Trigeminusaste entsprach), die in 
manchen Fällen gefundenen Veränderungen an den Nerven und dem 
Rückenmark scheinen wohl für einen neurotischen Ursprung zu 
sprechen, allein solche Veränderungen fehlen in vielen Fällen voll¬ 
ständig. Nachdem Pfeiffer (Weimar) gezeigt, daß der Verlauf der 
Arterien und der feineren Hautgefäße mit dem Verlaufe der Nerven 
congruent ist, so ist es möglich, daß das, was als dem Verlauf der Nerven 
entsprechend angesehen wird, dem Verlaufe von Gefäßen entspricht. 
Auch der klinische Verlauf macht es wahrscheinlich , daß es sich 
um eine Erkrankung der Arterien handelt. 

* Was die Therapie betrifft, so ist, so lange noch keine Atrophie 
vorhanden ist, also im Stadium Scleroseos, noch etwas zu erreichen. 
Jodbäder, constanter Strom leisten gute Dienste; als ein ganz be¬ 
sonders zweckmäßiges Mittel muß aber die Massage bezeichnet 
werden. In acuten Fällen von universellem Sclerom hat Kaposi 
von systematischer täglicher Massage entschiedene Besserung gesehen. 

Or. Kraus: Ueber den respiratorischen Gasaustausch im Fieber. 

Untersuchungen, die Vortragender an Fiebernden angestellt 
hat, bei denen die Saucrstoftäufnahme und Kohlensäureproductiou 
festgestellt wurde, haben ergeben, daß die absolute Kohlensäure¬ 
menge im recenten Fieber gesteigert wird, und daß in brutto auch 
der Sauerstoffverbrauch erhöht wird, daß aber bei schon einige 
Wochen Fiebernden die Oxydationsprocesse zwar auch gesteigert 
sind, diese Steigerung aber eine sehr geringe ist. Der Respirations- 
coöfficient, d. i. das Verhältniß zwischen der producirten Kohlen¬ 
säure und dem aufgenommenen Sauerstoff bleibt gleich. Bei diesen 
Versuchen muß man den durch die erhöhte Athemthätigkeit be¬ 
dingten Zuschuß von Sauerstoffaufnahme in Rechnung ziehen. Zieht 
man diesen Zuschuß ab, so erhält man die höchsten Werthe, die 
auf Rechnung der febrilen Intoxication zu setzen sind. 

Doch nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Ver¬ 
änderungen macht der Stoffwechsel im Fieber durch, indem ein 
erhöhter Stickstoff-, nicht aber auch ein erhöhter Kohlenstoffumsatz 
statthat. S. 

Notizen. 

Wien, 26. April 1890. 

(Statistik des österreichischen Sanitätsw esens ) 
In dem soeben erschienenen 3. Hefte des 22. Bandes der „Oesterr. 
Statistik“ publicirt die statistische Central-Commission die Ergebnisse 
des Sanitätswesens der diesseitigen Reichshälfte im Jahre 1887. 
Der vom Rechnungsrathe Bratässevic trefflich bearbeitete Bericht con- 
statirt zunächst eine Steigerung der Zahl der K r a n k en h ä u s e r (568) 
im Jahre 1887 gegen das Vorjahr um 11 Anstalten, aber auch 
eine Vermehrung der behandelten Kranken (300.422) um 6001 
oder um 2%. Von den in Abgang gekommenen Individuen ent¬ 
fallen im Durchschnitte 67-8% auf die geheilt, 16*1% auf die ge 
bessert und 5*8% auf die ungeheilt Entlassenen, während 10*3°/ 0 
starben. Von der Gesammtzahl der Spitäler gehörten 52 Kranken¬ 
häuser geistlichen Vereinigungen an, welche einen Krankenstand 
von 32.354 Individuen nachwiesen. — Auf die wichtigsten und 
häufigsten Krankheiten übergehend, zeigen sich als solche: die 
Syphilis mit 24.522 Krankheitsfällen und die Tubercutese mit 
17.790 Krankheitsfällen; während aber beinahe ein Drittthcil aller 


in den Krankenhäusern Verstorbenen durch Tuberculose den Tod 
fand, forderte die Syphilis nur 0-31% Todesfälle. Zu erwähnen 
wäre, daß kaum 10% (9 34) der an Tuberculose Verstorbenen im 
Allgemeinen auf Jene kommen, welche in den Krankenhäusern Zu¬ 
flucht gesucht haben. — In den 23 öffentlichen und 5 Privat¬ 
irrenanstalten wurden im Jahre 1887 13.441 Individuen be¬ 
herbergt; auch ihre Zahl stieg im Vergleiche mit dem Vorjahre um 
6'2°/ 0 . Was die Bewegung des Krankenstandes betrifft, so wurden 
9*3% geheilt entlassen, 15'4% ungeheilt entlassen oder an eine 
andere Anstalt abgegeben und 11-7% starben. Nach den Krank¬ 
heitsformen vertheilten sich die behandelten Irren auf 15*7% Tob¬ 
sucht, 10*3% Trübsinn, 30*1% Verrücktheit, 25*6°/ 0 Blödsinn, 
10*7% Geistesstörung mit Lähmung und 7*6% Geistesstörung mit 
Epilepsie. Dem Alter nach waren unter 10 Jahren 0*2%, bis 
zum 20. Jahre 6% Irre in Behandlung, aber auch das Greisenalter 
über 60 Jahre weist noch 6*4% nach. Der früheron Beschäftigung 
nach kommen 10 05% auf Personen mit vorwiegend geistiger Be¬ 
schäftigung, darunter allein 4*76% auf Privat- und Staatsbeamte; 
30-21% auf die dem Gewerbs-, Fabriks- und Handelsstande, dann 
dem Verkehrsstande angehörigen Personen und 15*34% auf die bei 
der Land- und Forstwirtschaft, der Jagd und Fischerei, bei dem 
Bergbau-, Hütten- und Münzwesen Beschäftigten, sowie auf die 
Realitäten-Besitzer. Endlich wäre noch unter den ätiologischen 
Momenten, welche als Ursache der Geistesstörung angeführt werden, 
hervorzuheben, daß die erbliche Anlage die höchste Procentziffer 
(15*7%) unter allen Erkraukungsursachen erreicht; nächst dieser 
waren Trunksucht (13*1%) und Gemütsbewegung oder deprimirende 
Affecte (6*7%) die häufigsten Ursacheu der Erkrankung. Außer¬ 
halb der Irrenanstalten wurden noch im Jahre 1887 20.739 
Irrsinnige nachgewiesen, so daß von dieseu allein auf 100.000 Ein¬ 
wohner 94 solche Geisteskranke kommen; von diesen Irrsinnigen 
werden nur 1826 oder 8*8°/ 0 in Versorgungsanstalten verpflegt. — 
In den 18 Gebäranstalten wurden im Jahre 1887 16.736 

Mütter und 15.086 Kinder verpflegt, davon starben 0 93% Mütter 
und 5*21% Kinder; der Aufwaud für diese Anstalten betrug 
410.545 fl. — In den noch bestehenden Findelanstalten 
wurden 9452 Kinder verpflegt, davon starben 6*46%; in 
auswärtige Pflege übergebene Kinder gab es 32.006, von denen 
14*35% starben; die jährlichen Ausgaben filr diese Anstalten be¬ 
ziffern sich mit 410.515 fl. — Von den 17 Taubstummen¬ 
instituten wurden 1446 Individuen verpflegt; von diesen 
waren 36*7% taubstumm geboren; doch kann constatirt 
werden, daß die Zahl dieser Unglücklichen von Jahr zu Jahr ab¬ 
nimmt. Außerhalb dieser Taubstummon-Institute zählte 
man noch 25.425 solcher Individuen; eine stetige Zunahme an 
Taubstummen weisen die Länder Istrien, Tirol und Mähren nach. 
Von dieser großen Anzahl von Taubstummen waren nur 0'8% in 
Versorgungsanstalten untergebracht. — Die lOBlinden-lnstitute 
verpflegten im Jahre 1887 706 Zöglinge, von welchen 17*2% blind 
geboren wurden; außerhalb dieser Anstalten gab es noch 
14.798 solcher ßresthaften, von welchen wieder nur 2*2% in Ver¬ 
sorgungsanstalten lebten. Cretinen gab es im Jahre 1887 14.798, 
deren Hauptcontingent in den Alponländern zu finden ist. 

(A u8 dem österreichischen Abgeordnetenhause.) 
In der Sitzung vom 22. d. M. beantragte Abg. Dr. Heveka fol¬ 
gende Resolution: „Die Regierung wird aufgefordert, Maßnahmen 
zu treffen, daß die Stellung der landesfürstlichen Bezirksärzte 
sowohl in Beziehung auf ihre äußere Distinction, entsprechend ihrer 
wissenschaftlichen und fachlichen Ausbildung, als auch im Verhält¬ 
nisse zu anderen Beamten-Kategorien geregelt werde.“ Das Haus 
hat die Resolution dem Budget-Ausschusse zugewiesen. — Ein 
weiterer, die Durchführung des Impfzwanges urgirender Reso¬ 
lutionsantrag wurde vom Abg. Gomperz eingebracht. 

(Reform des Impfwesens.) Wie bereits berichtet, hat 
der Oberste Sanitätsrath zum Zwecke der Klarstellung einiger 
wichtiger, bei der bevorstehenden Reform des Impfwesens in Be¬ 
tracht kommender Momente commissioneile Berathungen mit Zu¬ 
ziehung von 8peciellen Fachmännern im Impfgesebäfte beantragt und 
wurden, diesem Wunsche entsprechend, vom Ministerium des Innern 
zu diesen Berathungen, welche am 19. April 1. J. begonnen haben, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


686 


eingeladen: der n.-ö. Landes-Sanitätsreferent, Statthaltereirath Dr. 
L. von Karajan, der Director der Krankenanstalt Rudolfstiftung 
in Wien S.-R. Dr. E. Ullmann, der Stadtphysicus der Stadt Wien 
S.-R. Dr. E. Kämmerer, wegen Erkrankung desselben Stadtphysicus- 
8tellvertreter Dr. G. Schmid, der pens. Director der n.-ö. Landes- 
Findelanstalt und des öffentlichen Impfungs-Haupt-Institutes, Dr. C. 
Friedinger und der gegenwärtige Director der genannten Anstalt 
Dr. E. Braun, die Besitzer, beziehungsweise Leiter von Anstalten 
zur Gewinnung animaler Vaccine: Prof. Dr. A. Baranski in 
Lemberg, Dr. M. Bauer in Wien, Dr. E. Ehrlich in Trofaiach 
(Steiermark), Moriz Hay in Wien, Dr. L. von Heinrich in Wien, 
Dr. H. Lilienfeld in Prag, der k. k. Bezirksarzt Dr. K. Maroü- 
schek v. Maroö in Budweis und der an der städtischen Anstalt 
für animale Vaccination in Linz wirkende Stadtthierarzt Josef Deutl. 

(Ambulatorium für Nervenkranke.) Das von Prof. 
Rosenthal bis zu dessen Tode geleitete klinische Ambulatorium 
für Nervenkranke im k. k. allgem. Krankenhause in Wien steht 
seit 21. d. M. unter der Direction des Prof. v. Krafft-Ebing, 
welcher daselbst täglich (auch an Sonn- und Feiertagen) von 10 1 / 3 
bis 12 Uhr Vormittags unentgeltlich ordinirt. 

(Personalien.) Die im Kaiser Franz Josef-Spitale in Wien 
vacante Stelle eines Primararztes der medicinischen Abtheilung ist 
dem Doc. Dr. J. W. Dbozda in Wien verliehen worden. — Der 
k. k. Bezirksarzt in Neunkirchen (Niederösterreich), Dr. Robert 
v. Haumeder, ist zum Stadtphysicus und Director des Stadtspitales in 
Innsbruck, der bisherige zweite Stadtarzt zum ersten und Dr. Alfons 
Köllensperger zum zweiten Stadtarmenarzte ernannt worden. 

(Reform der medicinischen Rigorosenordnung in 
Ungarn.) Die medicinische Facultät in Klausenburg hat über Auf¬ 
forderung des Unterrichtsministers die seit 15 Jahren bestehende 
Rigorosenordnung einer eingehenden Revision unterzogen und in 
Bezug auf die nöthig erscheinenden Abänderungen ein umfassendes 
Elaborat ausgearbeitet. Die in diesem Elaborate niedergelegten Vor¬ 
schläge gipfeln wesentlich darin, daß nach dem 1., 2. und 3. Jahr¬ 
gange des Studiums obligatorisch je ein Rigorosum abzulegen wäre, 
und daß jene Hörer, die das betreffende Rigorosum entweder nicht 
ablegen oder nicht bestehen, in den höheren Jahrgang nicht auf¬ 
genommen werden. Die Prüfungen aus Zoologie, Botanik und 
Mineralogie entfallen gänzlich. Nach absolvirtem Quinquennium sind 
dann noch zwei (!) Rigorosen abzulegen. Für die Zulassung zur | 
Promotion soll die Einreichung einer in Druck gelegten Dissertation 
erforderlich sein. 

(Vergiftung durch Austern.) Vor Kurzem trat unter 
der Bevölkerung von Miuragun in Japan, welche meistenstheils von 
Fischnahrung lebt, plötzlich eine Epidemie mit derart hoher Sterb¬ 
lichkeit auf, daß durch die Regierung eine sorgfältige Untersuchung 
der Ursache dieser auffälligen Erscheinung angeordnet wurde. Das 
Ergebniß der Nachforschung war folgendes: Wenige Tage vor dem 
Ausbruche der Epidemie hatte die Bevölkerung von Miuragun ein 
neues Austernbett entdeckt, von welchem die Einwohner massen¬ 
weise die Austern, sowohl in rohem, als gekochtem Zustande ge¬ 
nossen. Die Prüfung der Austern wies nach, daß dieselben auf 
Thiere giftig wirken. Katzen, welche man damit fütterte, erkrankten 
unter den nämlichen Erscheinungen, wie vorher die Einwohner von 
Miuragun, und gingen darauf zu Grunde. Die chemische Analyse 
der Austern ergab, daß dieselben Tyrotoxin in nahezu allen Fällen 
enthielten. Seitdem man, durch die zu Wilhelmshaven im October 
1885 stattgehabte Massenvergiftung durch Miesmuscheln aufmerksam 
gemacht, dem Gegenstände nachgeforscht hat, hat sich ergeben, daß 
Muschelthiere, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht giftig 
sind, giftige Eigenschaften annehmen können, wenn man die Thiere 
in ganz abnorme Verhältnisse bringt. So wurde in Wilhelmshaven 
festgestellt, daß diejenigen Muscheln giftig wirkten, welche in dem 
Hafen sich an einer Stelle befanden, wo Schmutzwasser und Canal¬ 
jauche in das Meer einfloß, sowie ferner, daß die giftigen Muscheln 
wieder genießbar wurden, nachdem man sie von ihrem Standorte 
an eine nicht durch Jauchewasser verunreinigte Stelle des Hafens 
überführt hatte. 

(Statistik.) Vom 13. bis inclnsive 19. April 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 4866 Personen behandelt. Hievon wurden 870 
entlassen; 138 sind gestorben (1369% des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens ond der angrenzenden Vororte in und 


außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 50, egyptischer Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 6, Dysenterie 1. Blattern 16, Varicellen 65, Scharlach 50, 
Masern 344, Keuchhusten 58, Wundrothlauf 22, Wochenbettfieber —. — In 
der 16. Jahreswocbe sind in Wien 447 Personen gestorben (0 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Eipel (Böhmen) Dr. 
Tedchmann; in Moosburg (Kärnten) Dr. Joh. Grimschitz; in Gr.- 
St. Florian (Steiermark) Dr. Carl Wallner; in London der 
Professor der Chirurgie an der Universität zu Loewen (Belgien) 
Dr. Maximilian Michaux, 83 Jahre alt und der deutsche Arzt 
Dr. Otto Keller, ehemals Hausarzt am dortigen deutschen Hospital, 
im 31. Lebensjahre; in Bern der Chemiker Prof. Valentin 
Schwarzenbach, 61 Jahre alt. 


(Lev ico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Novaro G. F., Contribnte alla chirurgia dello stomaco. Siena 1890 Carlo Na va. 
Ebenführer E., Baden bei Wien. Städtebilder. Nr. 59. Zürich. C. Schmidt. 
Klemperer 0., Grundriß der klinischen Diagnostik. Mit 56 Abbildungen. 
Berlin 1890. Aug. Hirschwald. 

Schmaus H., Die Compressions-Myelitis bei Caries der Wirbelsäule. Mit 
3 Farbentafeln und mehreren Textabbildungen. Wiesbaden 1890. J. F. 
Bergmann. 

Moos S., Histologische und bacterielle Untersuchungen über Mittelohr- 
Erkrankungen bei den verschiedenen Formen der Diphtherie. Mit 8 litho- 
graphirten Tafeln. Wiesbaden 1890. J. F Bergmann. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Dr. Martin Szigeti, 

Curarzt in Gleichenberg, ordinirt daselbst vom 1. Mai ab (Villa Karlsruhe). 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Absolvirter Mediciiier, tüchtiger Masseur, mit 2 Jahren 

Spitalspraxis, spricht deutsch und ungarisch t wünscht in einer Anstalt an¬ 
gestellt zu werden. Gef. Offerte werden nnter Chiffre „Dr. W. J. W. Nr. 607“ 
zur Weiterbeförderung an die Administration der „Wiener Mediz. Presse“, 
Wien, I., Maximilianstraße 4, erbeten. 

Bei der Gemeinde Na§ic in Slavonien ist die Stelle eines 

Gemeindearztes in Erledigung gekommen. Derselbe wird gegen eine Jahres- 
bestallung von 800 fl ö. W., und zwar von der Gemeinde selbst mit 600 fl., 
von Sr. Exc. den Grafen Ladislans Pejaöeviö mit 200 fl., Summe 800 fl., vertrags¬ 
mäßig anfgenommen. Falls das Spital in Nasic in’s Leben treten sollte, wird 
derselbe verpflichtet, die Spitalsvisiten gratis zn besorgen. Bewerber um diesen 
Posten, welche Doctoren der gesammten Heilkunde und Chirurgie, sowie auch 
körperlich vollkommen geeignet sind, haben ihre mit dem Nachweise des er¬ 
langten Doctorgr.*des versehenen Gesuche bis 15. Mai 1. J. bei der königl. 
Bezirksbehörde in Naäic einzubringen. 597 

Gemeindevorstehung Na sic, am 15. April 1890. 

Stefan Kovocevich, Gemeindevorstand. 

Es ist die Stelle eines Distriotsarztes von Kötschaoh 

mit dem Wohnsitze in Manthen znr Erledigung gekommen. Mit derselben ist 
eine Jahresremuneration von 600 fl. verbunden, von denen 300 fl anf den 
Landesfond nnd 300 fl. auf die betreffenden Gemeinden entfallen. Außerdem 
stellt die Gemeinde Mauthen dem Districtsarzte eine freie Wohnung bei. Die 
Stelle wird nur unter der gegenseitigen Bedingung einer zweimonatlichen 
Kündigung verliehen. Der Districtsarzt ist verpflichtet, eine Hausapotheke zu 
führen. Bewerber um diese Stelle wollen ihre gehörig belegten Gesuche 
längstens bis 20. Mai 1. J. anher einsenden. 

K. k. Bezirkshauptmannschaft Hermagor, 
am 19. April 1890. 

In der Gemeinde Göstling a. d. Ybbs, politischer Bezirk 

Scheibbs, ist die Stelle eines Gern ;indearztes durch einen Med.-Doctor zu be¬ 
setzen. An fixen Bezügen hat derselbe 800 fl., freie Wohnung (I. Stock in 
der Mitte d.r Ortschaft gelegenen Hauses mit 4 Zimmern nnd Küche) und 
freien Holzbezug, wofür derselbe die Todtenbt schau und Sanitätsdienst in der 
Gemeinde, sowie die ärztliche Behandlung der Mitglieder der Bezirkskranken- 
casse (ca. 60) zu besorgen hat. Göstling hat ca. 18c0 Einwohner, liegt in 
einer schönen Gegend, ist von Sommergästen stark besucht nnd hat ein von 
Baron Rothschild errichtetetes Kinderasyl. Nähere Auskünfte ertheilt de. 

608_ Gemeinde vor Steher. 

Im städtischen öffentlichen Krankenhause in Mödling 

ist die Stelle eines Secundararztes mit dem Bezüge von jährlich 300 fl. ö W„ 
freier Station und vollständiger Verpflegung vom 1. Juni 1890 an ,zu besetzen. 
Gesuche sind bis längstens 20. Mai 1890 an den Stadtvorstand in Mödling 
einzusenden. 603 

Mödling, am 19. April 1890. 

J. Thoma, Bürgermeister. 


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687 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


688 


Die Möbelfabrik von Jacob nnd Josef Kohn und die 

Glasfabrik von S. Reich & Co. in Wsetin in Mähren vergeben vom 1. Juli 
1. J. die Stelle eines gemeinschaftlichen Fab r iksarzte 8 mit fixem Jahres¬ 
honorar von 900 fl. ö. W. In derselben Stadt ist auch die Stelle eines 
Di strictsarz tes mit Bezügen von 700 fl. ö. W vom gleichen Zeitpunkte 
an erledigt und der Concurs bezüglich dieses Postens hereits veröffentlicht. 
Bewerber, die auf beide Stellen reflectircn, wollen ihre mit Zeugnissen und 
Nachweisen bisheriger Wirksamkeit versehenen Offerten an das Präsidium des 
Districts-Sanitäts-Ausschusses in Wsetin spätestens bis Ende April 1. J. 
überreichen. 


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pulver ( blau und gelb); Streupulver für ophthalmologische Zwecke 
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540 


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Nr. 18. 


Sonntag den 4. Mai 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse' erscheint jeden Suiiutag 
8 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der ,,Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adreBsiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse' und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 84Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ansland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Rin - 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


■QSB 1 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton und klinische Vorlesungen. Medicinische Klinik des Prof. v. Koränyi in Budapest. Untersuchungen über die Aetiologie des Lungen¬ 
brandes. Von Dr. A. Hirschler und Dr. P. Terbat, Assistenten der Klinik. — Acute Retronasalaffection mit typhoiden Erscheinungen. Localtherapie, 
rasche Heilung. Von Dr. Carl Laker, Universitäts-Docent in Graz. — Ueber Rheostate und deren Verwendung in der Elektrodiagnostik und 
Elektrotherapie mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten Graphit-Quecksilberrheostates. Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, 
k. k. Professor in Wien. — Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. Ein experimenteller Beitrag zu deren Heilwerth von Dr. Arthur Loebel, 
Wien-Dorna. — Referate and literarische Anzeigen. Hillebrand (Cöln-Sulz): Die Heilung von Unterschenkelgeschwüren nach der UnNA'schen 
Methode. — L. Perdrix (Paris): Les vaccinations antirabiques ä Plnstitut Pasteur. Resultats statistiqnes. — K. B. Lehmann (Würzbnrg): Ueber 
die pilztödtende Wirkung des frischen Harns des gesunden Menschen. — Handbuch der chirurgischen Technik bei Operationen nnd Verbänden. 
Von Dr. Albert R. v. Mosetig-Moorhof, Professor an der Wiener Universität, Primar-Chirurg im k. k. Krankenhause Wieden, General-Chefarzt 
des h. Deutschen Ritterordens. I Band: Allgemeine Chirurgie. — Studien über den Malthusianismus. Von Dr. S. Lindxkr in Budapest. — 
Feuilleton. Zur Impffrage. Von Dr. Th. v. Genser in Wien. — Kleine Mittheilnngen. Behandlung der Syphilis mit Calomelpflaster. — Snbcutane 
Injectionen von Opiumextract bei verschiedenen Formen von Geisteskrankheiten. — Zur therapeutischen Anwendung des Creolins. — Massage bei 
der Behandlung Geisteskranker. — Urethan gegen Tetanus. — Behandlung der Diphtherie mit Thymol. — Behandlung der Leberabscesse mittelst Punctions- 
drainage. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. IX. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wien vom 15. bis 18. April 1890. (Orig.- 
Ber.) IH. — Neunzehnter Congreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin vom 9.— 12. April 1890. (Orig.-Ber.) III. — 
K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener dermatologische Gesellschaft. (Off. Protokoll.) — Notizen. — Literatur. — Mai- 
Avancement. — Aerztllche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Medicinische Klinik des Prof, v. Koränyi in 
Budapest. 

Untersuchungen über die Aetiologie des 
Lungenbrandes. 

Von Dr. A Hirschler und Dr. P. Terray, 

Assistenten der Klinik. 

So wohlbekannt die Symptomatologie nnd pathologische 
Anatomie des Lungenbrandes sind, so vielseitig auch die Be¬ 
strebungen genannt werden müssen, die sich auf die Therapie 
des Lungenbrandes beziehen, sind unsere Kenntnisse über den 
Zusammenhang der Entwicklung desselben mit den bisher 
als causalen Momenten anerkannten Factoren (Circulations- 
nnd Ernährungsstörungen, Trauma, chemische Einflüsse 
n. s. w.) doch sehr mangelhaft. 

"Wenn das Lungengewebe aus irgend welcher Ursache 
an umschriebener Stelle oder in größerer Ausbreitung ab¬ 
stirbt, und aus der atmosphärischen Luft solche Factoren hinzu¬ 
kommen, die znm Zerfall des abgestorbenen Gewebes führen, 
entsteht Lungenbrand; somit bildet die Gegenwart fäulniß- 
erregender Substanzen im Lungengewebe eine wesentliche 
Bedingung zur Entstehung desselben. 

Unter jenen Ernährungsstörungen des Gewebes, die zur 
localen Necrose führen, bilden neuestens jene den Gegenstand 
besonderer Aufmerksamkeit, welche durch Mikroorganismen 
bedingt sind, die entweder unmittelbar von außen, oder aus 
dem Inneren des Organismus durch die Blut- oder Lymphbahn 
in das abgestorbene Gewebe gelangen. 

Wie aus den weiteren Erörterungen erhellen wird, 
wurden in den necrotischen Geweben die verschiedensten 
Arten von Mikroorganismen gefunden; nichtsdestoweniger haben 
wir keinen Beweis dafür, daß die gesammten Formen der 
Necrose oder irgend welche Art derselben von der Gegen¬ 
wart einer bestimmten, constant vorkommenden Bacterienart 


bedingt wäre, oder umgekehrt, daß die verschiedenen Arten 
der Mikrophyten bei den gesammten Formen der Necrose ohne 
Unterschied vorkämen. 

Wie bekannt, ist der Lungenbrand in gewissen Fällen 
die Folge von Circulationsstörungen (Blutungen, Entzündung, 
Gefäßthrombose); in allen diesen Fällen kann aber der Ein¬ 
fluß der aus der Luft an den Ort der Ernährungsstörung ge¬ 
langten Mikroorganismen nicht ausgeschlossen werden. Deshalb 
ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Veränderungen des 
Lungengewebes den Boden zur Entwicklung einzelner Keime 
vorbereiten, die durch das Hinzuthun der Luft die locale 
Necrose hervorrufen. Daß afrer bei ganz gesundem Lungen¬ 
gewebe, ohne daß eine Ernährungsstörung vorausginge, aus 
necrotischen oder jauchigen Herden entstammende Mikroorga¬ 
nismen in dem betreffenden Gewebe Necrose hervorbringen 
können, beweisen jene Fälle, in welchen gangränöse Geschwüre, 
Wunden oder Eiterungsprocesse des Mundes, Rachens, der 
größeren Luftwege den Ausgangspunkt zur Entwicklung des 
Lungenbrandes bilden (Bonome). 

Bekanntlich bildet das charakteristische Verhalten der 
Sputa das wichtigste Symptom des Lungenbrandes], deren 
Einzelheiten übergehend, wir an dieser Stelle nur darauf aus¬ 
führlicher eingeben wollen, was sich auf die in denselben 
vorkommenden Mikroorganismen bezieht. 

Sluyter (Inaug.-Dissert.) beschrieb bereits im Jahre 1847 
eine Art von Aspergillen in necrotischen Lungenherden, welche 
lange bestanden und mit großen Circulationsstörungen ver¬ 
bunden waren. Dieselbe Parasitenart beschrieb später Küchen¬ 
meister 1855, Hosse, Welcher in der Lunge von Krebs¬ 
kranken und Virchow bei chronischer gangränöser Lungen¬ 
entzündung, Friedreich (Virchow’s Arch., X) in einem Falle 
von Pneumomykosis, Düsch und Pagenstecher (Virchow’s 
Arch., XI) in einem Falle von Lungenbrand, der sich zu 
Phthise hinzugesellte. Fürbringer (Virchow’s Arch., LXXVJI) 
fand Aspergillus niger in der gangränösen Lunge eines Diabe¬ 
tikers. Rosenstein (Berl. Kl., 1867) wies bei Lungenbrand 
Oidium albicans nach, Virchow (Arch., IX) und Cohnheim 
(Arch., XXXIII) fanden bei Lungenbrand die Sarcine; letzteren 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


700 


Befund machten auch wir vor einigen Jahren an der Klinik 
in einem Falle von Lungengangrän. 

Leydkn und Jaff£ fanden in der untersten sogenannten 
Detritusschichte des Auswurfes Pilze, deren Form der Lepto- 
tlirix buccalis entsprach und von ihnen Leptothrix pulm. be¬ 
nannt wurden, denen die genannten Autoren die fäulniß- 
erregende Wirkung zuschrieben, indem sie bei Uebertragung 
der im Auswurf gefundenen Pfropfe die putride Erkrankung 
der Athmungsorgane an Tkieren hervorbringen konnten. Nebst 
der Leptothrix pulm. fanden sie in den Pfropfen und Paren¬ 
chymfetzen auch Spirillen in besonders großer Menge in jenen 
Sputis, die einen süßlichen Geruch verbreiteten; weiters lange 
und breite, hie und da gegliederte, in lebhafter Bewegung 
befindliche Fäden. Kaxnenherg fand an Leyden’s Klinik in 
gangränösen Sputis zwei Formen von Infusorien: Monas lens 
und Cercomonas. Bonone („D. med. Woch.“, 1886, Nr. 32) 
untersuchte neuestens 8 Fälle von Lungenbrand; in allen 
konnte aus den gangränösen Herden der Staph. pyog. aureus 
oder albus gezüchtet werden. Wurde die Reincultur dieser 
Bacterien in die Lunge von Kaninchen injicirt, traten gangränöse 
Herde auf, die jenen des Lungenbrandes beim Menschen voll¬ 
kommen gleich waren. Führte er Hollundermarkkügelchen 
in die Vena jugularis ein, die mit dem Staphylococcus inficirt 
waren, entstanden gangränöse Herde in den Lungen, während 
sterile Emboli ähnliche Veränderungen nicht herbeiführten. 
Die Einführung des Staphylococcus in die Luftwege führte 
zu necrotischen Processen an der Bronchialschleimhaut und 
zu bronchopneumonischen. Infiltrationen. Controlversuche, 
welche der Autor mit dem FRÄNKEL’schen Pneumococcus und 
Mikrosporon septicum durch directe Einführung derselben in 
das Lungengewebe machte, verursachten niemals Necrose. 
Demzufolge nimmt Bonome an, daß in sämmtlichen Fällen 
die Necrose des Lungengewebes und dessen entzündliche Folge¬ 
erscheinungen als directer Effect der pyogenen Bacterien zu 
betrachten sind, daß die Fäulniß der necrotischen Herde als 
secundär zu betrachten sei, als Folge der Gegenwart der aus 
den Luftwegen in das abgestorbene' Gewebe gelangten Fäulniß- 
bacterien. 

Bard und Charmeil (Lyon mädic., 18) betrachten den 
Lungenbrand als eine ätiologisch einheitliche specifische Er¬ 
krankung, die durch eine bestimmte Art von Mikroorganismen 
bedingt ist. 

Im Anschlüsse an jene Untersuchungen, die sich auf die 
bei der putriden Bronchitis gefundenen Mikroorganismen be¬ 
ziehen und die von Dr. Lumnitzrr in dieser Zeitschrift') ver¬ 
öffentlicht wurden, haben wir Über Aufforderung des Herrn 
Prof. v. Koränyi in das Bereich unserer Untersuchungen die 
Fälle von Lungengangrän gezogen, deren Sputa und in einem 
Falle auch das gangränöse Lungengewebe eingehenden bacte- 
riologischen Untersuchungen unterworfen wurden. Die Aus¬ 
führung dieser Arbeit schien uns in Anbetracht der diesbe¬ 
züglichen mangelhaften Kenntnisse auch deshalb begründet, 
weil der Lungenbrand, trotzdem derselbe eine pathologisch¬ 
anatomisch einheitliche Erkrankung bildet und unseren heutigen 
Anschauungen gemäß als Ausdruck einer localen Infection 
betrachtet werden muß, vom bacteriologischen Standpunkte 
aus doch nicht als auf stets einheitlicher Basis beruhender 
Vorgang betrachtet werden kann. 

Aus den untersuchten Sputis gelang es uns, die folgenden 
Bacterienarten in Reincultur zu bringen: den Staph. pyog. 
aur., albus, citreus, cereus albus, den Bac. pyocyaneus, weiters 
den Micr. tetragenus und endlich eine Bacterienart, deren 
Wachsthumsverhältnisse auf den verschiedenen Nährböden, der 
durch dieselbe hervorgerufene Fäulnißproceß und pathogene 
Wirkung unsere besondere Aufmerksamkeit umsomehr erregten, 
da wir diese in drei Fällen von Lungenbrand ständig ge¬ 
fundene Mikrophytenart in der uns zugänglich gewesenen 
Literatur nicht erörtert fanden. Dieselbe gehört in die Reihe 
der Mikrococcen, deren Größe jener der Staphylococcen nahe 
steht (0'7—0*8 (a), die Mikrococcen erscheinen vereinzelt — 

l ) „Wiener Med. Presse“ 1888, Nr. 19—22, 24. 


seltener in Gruppen; sie gedeiht sowohl auf der Gelatine als 
auf Agar und Blutserum gleich gut, 20—24° bilden das 
Temperaturoptimum ihres Wachsthums, welches bei *14° auf¬ 
fällig abgeschwächt ist, so auch bei Temperaturen über 40°. 
Auf der Oberfläche der Gelatine erscheint am dritten Tage 
nach der Impfung eine graulich weiße, flache Auflagerung, 
deren Wachsthum vorzugsweise auf der Oberfläche vor 
sich geht, in den allernächsten Tagen eine flache, in der 
Mitte schwach eingesunkene, aus radiären Streifen be¬ 
stehende speichen artige Oberfläche bildend; dieselbe scheidet 
sich am 8.—10. Tage in 4—6 Segmente, die durch strenge 
Grenzlinien von einander getrennt sind, so daß die Cultur zu 
dieser Zeit einem vierblätterigen Kleeblatt oder einer sechs- 
blätterigen Blume auffallend ähnlich erscheint; nebstdem zeigt 
sich auf der Oberfläche eine concentrische Schichtung. In¬ 
zwischen, während die Gelatine eine ganz auffallend langsame 
Verflüssigung zeigt, ist das Wachsthum der Cultur im Stich¬ 
canal im Gegensatz zum oberflächlichen üppigen Wachsthum 
ganz gering. Mit dem Beginne der Verflüssigung zeigt sich 
an den Rändern der Cultur eine, die ganze Oberfläche der 
Gelatine einnehmende zottige Verästelung. Auf der schiefen 
Gelatine und auf der Gelatinplatte bildet die Cultur steck¬ 
nadelkopfgroße, graulich weiße, scharf umgrenzte, langsam 
verflüssigende Colonien. Auf Agar erscheint die Cultur 
ebenfalls vorwiegend als eine oberflächliche, üppige, graulich¬ 
weiße, radiär gestreifte Auflagerung. Auf der schiefen Agar- 
fläche und auf Blutserum bildet die Cultur anfangs Streifen, 
die später durch Zusammenfließen dicke, stark hervorgewölbte, 
graulichweiße Auflagerung bilden. Auf allen Nährsubstanzen 
entwickelt sich schon frühzeitig ein ganz eigenthümlicher, dem 
Geruch des gangränösen Sputums vollkommen gleicher inten¬ 
siver Geruch, den die Culturen ständig behalten. Die Ent¬ 
wicklung dieses fötiden Geruches ist an die Gegenwart der 
durch die Bacterien producirten Fäulnißproducte gebunden, 
was daraus erhellt, daß in den Culturen Indol und Scatol, 
die Producte der Eiweißfäulniß ständig nachweisbar waren, 
welcher Umstand in vollem Einklänge steht mit jener von 
uns sehr oft nachgewiesenen Erfahrung, daß in den Destilla- 
tionsproducten der frisch entleerten gangränösen Sputa Indol, 
Scatol, Phenol, Cresol, Oxysäuren, Hydrothion, Ammoniak, 
von flüchtigen Fettsäuren Ameisensäure nachweisbar sind. 

Was das Verhalten der Mikrococcen den verschiedenen 
Färbemitteln gegenüber betrifft, fanden wir, daß dieselben 
durch alle Anilinfarben färbbar sind, am intensivsten durch 
Fuchsin und Gentianaviolett, Methylviolett, weniger durch das 
Methylenblau, Malachitgrün und Bismarckbraun; nach Gram’s 
Methode sind dieselben sehr schwer färbbar. In einem tödt- 
lich verlaufenen Falle von Lungenbrand konnten dieselben 
aus dem Gewebssafte der Lunge rein gezüchtet und in den 
doppelt gefärbten Schnitten im interalveolaren Bindegewebe 
reichlich nachgewiesen werden. (Schloß folgt.) 


Acute Retronasalaffection mit typhoiden 
Erscheinungen. 

Löcaltherapie, rasche Heilung. 

Von Dr. Carl Laker, Universitäts-Docent in Graz. 

(Schloß.) 

Es wäre von hohem Interesse, die speeifischen Erreger 
dieser vielleicht typischen Erkrankung zu kennen. Mehrere 
Stückchen der zum ersten Male entfernten Secret- und Borken¬ 
massen wurden zu diesem Behufe einer bacteriologischen 
Untersuchung unterworfen, welche Herr stud. med. M. Fasching 
im hiesigen Institute für allgemeine und experimentelle Patho¬ 
logie des Herrn Prof. Klemensiewicz ausrührte, und ergab 
dieselbe folgendes Resultat: 

„Von dem erhaltenen Secrete wurden Gelatineplatten gegossen, 
nachdem die Massen vorher in steriler Bouillon mit einem sterilen 
Glasstab vertheilt worden waren. Die Culturen gingen auf der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 18. 


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stark alkalischen 10°/ 0 FleischwasBerpeptongelatine innerhalb 24 
Stunden auf. Die Platten gaben einen faden, jedoch nicht unange¬ 
nehmen Geruch von sich. Es entwickelten sich zwei Arten von 
Colonien: 

1. Die eine Art (Coccen) ist verflüssigend. Am Grunde eines 
kleinen Verflüssignngstrichters schwimmt die Colonie als kleines 
gelbbraunes Pünktchen. Auf Stich und Strich gezüchtet, verflüssigen 
diese Colonien die Gelatine rasch. Dabei wird, wie auch auf Agar, 
nach einigen Tagen ein schöner goldgelber Farbstoff producirt. Sie 
sind für weiße Mäuse nicht infectiös. Es ist höchst wahrscheinlich, daß 
wir es hier mit dem Staphylococcus pyogenes aureus zu thun haben. 

2. Neben diesen Colonien finden sieb, noch in ziemlicher 
Menge kuppenartig über die Gelatine emporragend, Schleimtröpfchen 
ähnliche, milchig durchscheinende Colonien. Diese verflüssigen die 
Gelatine nicht und bestehen aus dicken, kurzen, plumpen Bacillen. 
Die Stichcultur derselben ist eine typische Nagelcultur. Sie wachsen 
auch in der Tiefe des Impfstriches in Form von feinen, zarten 
Tröpfchen. Im Striche bilden sie einen massigen, schleimigen, rahm- 
äbnlichen Ueberzug, der nach 7—10 Tagen langsam hinunterfließt 
und sich am Grunde der Eprouvette in Form einer halbmondartigen 
Auflagerung sammelt. Eine Verfärbung der Gelatine erfolgt nicht, 
nur tritt bei älteren Culturcn in der Nachbarschaft der Colonien 
eine oberflächliche Trübung des Nährbodens auf. Die Bacillen färben 
sich leicht mit den gewöhnlichen Anilinfarben, die GßAM’sche Fär* 
bung nehmen sie nicht an. Im hängenden Tropfen untersucht, 
zeigen dieee Bacillen keine Eigenbewegung. Reinculturen, auf 
Platten gezüchtet, ergeben, daß der eigentümliche fade Geruch 
diesen Bacillen zukommt. Was ihr Verhalten zur Temperatur be¬ 
trifft, so gedeihen sie gut bei Temperaturen von 20—35°; langsam 
wachsen sie bei gewöhnlicher Zimmertemperatur und in Temperaturen, 
welche über 35° liegen. 

Am 27. Januar 1890, circa 11 h. a. m., wurde mit dem in 
Bouillon verriebenen Materiale eine weiße Maus geimpft. Am 
30. Januar 1890, nach 12 h. Mittag, zeigte das Thier intensive 
Krankheitserscheinungen, heftige Dyspnoe und crepirte um 2 h. p. m. 
(Krankheitsdauer 76 h.) Die Autopsie ergab im Milz- und Leber¬ 
saft reichliche Mengen mit einer Kapsel umgebener kurzer ge¬ 
drungener Stäbchen. 

Am 6. Februar 1890 wurde um 11 h. a. m. eine weiße Maus 
mit einer Reincultur der sub 2 beschriebenen Bacillen geimpft Am 
8. Februar 1890 wurde Morgens die Maus verendet im Käfig auf¬ 
gefunden. (Krankheitsdauer circa 40—43 h.) Im Milzsaft, Leber¬ 
saft und Herzblut finden sich bei der Autopsie reichliche charakte¬ 
ristische Kapselbacillen. Die Bacillen liegen entweder einzeln oder 
zu zweien uud dreien in einer Kapselbülle. Die Kapsel liegt den 
Bacillen ziemlich eng an, ihre Breite beträgt auf einer Seite kaum 
die Breite eines Bacillus. Auf Gelatine verimpft, zeigten sich die 
charakteristischen schleimigen Colonien. 

Meerschweinchen verhielten sich, wenn ihnen der Impfstoff 
8uboutan beigebracht wurde, refraetär gegen diese Bacterienart.“ 

Aus den vorliegenden, sich nur auf Einen Fall beziehenden 
Untersuchungen einen Schluß auf die Aetiologie der beschriebe¬ 
nen Krankheit zu ziehen, halte ich noch nicht für gerecht¬ 
fertigt. Wenige Tage später bekam ich einen Pat. zur ambu¬ 
latorischen Behandlung, bei dem sich allerdings keine schweren 
Allgemeinerscheinungen eingestellt hatten, der aber einen ganz 
ähnlichen Befund und Verlauf einer intensiven Nasenrachen- 
affection zeigte, wie der vorher beschriebene. Es ist von 
Interesse, daß sich im Nasensecrete dieses Pat. ebenfalls der 
sub 2 beschriebene wohlcharakterisirte Bacillus vorfand, und 
ich lasse nun den Befund über die bacteriologische Unter¬ 
suchung auch dieses Secretes, welche ebenfalls Herr stud. med. 
M. Fasching auszuführen die Güte hatte, folgen: 

„Partikelchen von Nasenborken wurden unter den gleichen 
Vorsichtsmaßregeln in Bouillon verrieben und davon Gelatineplatten 
gegossen. Es gingen neben einer Reihe anderer Colonien auf den 
Gelatineplatten, welche auch hier den gleichen faden Geruch 
ausströmen ließen, wie im ersten Falle, schleimtröpfchenartige, milch¬ 
weiße Colonien auf, welche, weiter gezüchtet, in allen ihren Charak- 


teren sich als vollständig übereinstimmend mit den sub 2 beschriebenen 
Bacillen erwiesen. 

Am meisten Aehnlichkeit besitzen die Kapselbacillen mit den 
FaiEDLÄNDEtt’schen Pneumoniebacillen, doch sind die letzteren für 
weiße Mäuse nicht infectiös und überdies von mehr coocenförmiger 
Gestalt. 

Gleichfalls ausgesprochene Neigung zur Bildung mehr rund¬ 
licher Wuchsformen zeigt der Bacillus pseudopneumonicus von 
Passet, der in seinen WachsthumsVerhältnissen sehr den Kapsel¬ 
bacillen gleicht. Doch sind seine Culturen nicht von rein weißer 
Farbe, sondern mehr gelblichweiß, chamoisfarbig. Ueberdies wächst 
der Bac. pseudopneumonicus in der Tiefe des Stiches nioht, sondern 
bildet blos halbkugelige Knöpfchen auf der Oberfläche der Gelatine. 

Diese beiden Bacterienarten konnten, in Reincultur gezüchtet, 
mit gleich alten, auf gleiche Nährböden verimpften Culturen des 
neuen, oben beschriebenen Bacillus verglichen werden. 

Pfeiffer hat in der „Zeitschrift für Hygiene“, VI. Band, 
S. 145 u. ff., einen neuen Kapselbaoillus beschrieben, den er bei der 
Section eines spontan crepirten Meerschweinchens im hygienischen Institut 
der Universität Berlin aufgefunden hat. Vom Bacillus capsulatus 
Pfeiffer wird die differentielle Diagnose leicht, wenn man die Er¬ 
gebnisse der Autopsie berücksichtigt; denn von einer fadenziehenden 
Beschaffenheit deB Blutes und einem dünnen, kaum sichtbaren, 
glasigen Ueberzug der Darmschlingen, welche Merkmale Pfeiffer 
als ganz besonders charakteristisch für seinen Kapselbacillus anführt, 
ist in unseren Fällen nichts zu sehen gewesen. 

Eine ausführliche Publication über die biologischen Eigen¬ 
schaften dieser Nasenborkenkapselbacillen ist in Aussicht ge¬ 
nommen.“ 

Was den weiteren Verlauf der Erkrankung betrifft, so 
bestand von vomeherein, besonders aber seit der angewandten 
Localtherapie, die Gefahr einer entzündlichen Mitbetheiligung 
des einen oder beider Mittelohre und wurden täglich Hör¬ 
prüfungen und eine genaue Untersuchung des Trommelfelles 
vorgenommen. Am 28. Januar, also am 5. Tage nach der 
ersten Ausspülung, zeigte sich am linken Trommelfelle eine 
mäßige Injection des Hammerplexus und sank die Hörschärfe 
für Flüstersprache auf 1, a Meter Distanz, ohne daß Pat. über 
besondere subjective Symptome klagte. Am nächsten Tage 
war die Hörschärfe links beträchtlich gesunken, das ganze 
Trommelfell diffus geröthet und so geschwellt, daß keine ana¬ 
tomischen Details mehr kenntlich waren. Die Temperatur 
war auf 38T U gestiegen, dabei waren subjective Geräusche 
und ein Gefühl des Dumpfseins im Ohre vorhanden; über 
Schmerzen wurde nicht geklagt. Mit Berücksichtigung aller 
Umstände und der Wahrscheinlichkeit einer Infection mit 
demselben Infectioriserreger, welcher die Eiterung im Nasen¬ 
rachenraume unterhalten hatte, nahm ich eine linkseitige, 
eitrige Mittelohrentzündung mit Exsudatbildung im Beginne 
an und eröffnete sogleich, ohne weitere Eiterstauungen abzu¬ 
warten , das hintere Segment des Trommelfelles durch eine 
lothrechte ausgiebige Incision. Aus der Paracentesenöffnung 
entleerte sich sofort ein Tröpfchen Eiter und Pat. fühlte sich 
subjectiv sofort wesentlich erleichtert, die Temperatur sank 
noch in derselben Nacht (s. Tabelle) auf 37°, um bis zum 
Spitalsaustritte des Pat., welcher am I. Februar erfolgte, nie 
mehr die Höhe von 37° zu erreichen. 

Die Otorrhoe wurde von der Tube und vom äußeren 
Gehörgange aus lege artis behandelt und besserte sich von 
Tag zu Tag. 

Erst nach einem Monate hatte ich Gelegenheit, den Pat. 
wieder zu sehen und zu untersuchen. Derselbe sah noch immer 
sehr blaß aus. Seit 3 Wochen konnte er bereits wieder seiner 
Beschäftigung nachgehen, wenn auch eine allgemeine körper¬ 
liche Schwäche, die sich nach seinem Krankenlager eingestellt 
hatte, nur langsam sich verlor. Der Zustand des Nasen¬ 
rachenraumes erwies sich noch immer nicht normal, wenn auch 
Pat. keinerlei Beschwerden zu fühlen angab. Rechts fanden 
sich auf der unteren und mittleren Muschel oberflächliche 
Schleimhautnarben , in beiden Nasenhälften geringe Mengen 

1 * 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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theils flüssigen, theils zähen, schleimig-eiterigen Secretes, ver¬ 
einzelte kleine Borken. Auf den hinteren Partien der Schleim¬ 
haut des Septums linkerseits ein mehlartiger Belag. 

Ebenso ist eine vermehrte Secretion im Retronasalraume 
wahrnehmbar. Die Otorrhoe erwies sich vollständig geheilt, 
das hintere Segment des Trommelfelles stark eingezogen. 

Nach Verabreichung der Luftdouche hörte Pat. auf 
12 Meter leise Flüstersprache. Im Recessus fanden sich ein¬ 
getrocknete Secretmassen. Von diesen, sowie von verschiedenen 
Partien der Nasenhöhlen wurden abermals Ueberimpfungen 
auf sterile Bouillon vorgenommen. Das Resultat der weiteren 
bacteriologischen Untersuchung, welche ebenfalls Herr Fasching 
in Prof. Klemensiewicz’ Institut für allgemeine und experi¬ 
mentelle Pathologie vornahm, ist folgendes: 

„Die verflüssigenden, dem Staphylococcus pyogenes aureus 
gleichenden Coccen wurden beim ersten Plattenguß weder in den 
Materialien, welche aus der Nasenhöhle, noch in denen, welche aus 
dem Rachen und dem Gehörorgan gewonnen wurden, gefunden, 
ebensowenig die früher beschriebenen Kapselbacillen. Es ging auf 
den Platten eine große Anzahl verschiedener Colonien auf, die aber 
weder auf den einzelnen Platten übereinstimmten, noch sich irgend¬ 
wie pathogen erwiesen und daher auch nicht weiter verfolgt wurden. 

Dagegen fanden sich die typischen kurzen, dicken, mit einer 
Kapsel versehenen Bacillen beim zweiten Plattenguß, welcher vor¬ 
genommen wurde, nachdem die in steriler BouUlon verriebenen 
Massen durch 8 Tage in einer Temperatur von 35° C. gestanden 
waren, in den aus der Nasenhöhle gewonnenen Materialien. Die 
Kapselbacillen tödteten eine weiße Maus in einem Zeiträume von 
ungefähr 48 Stunden und glichen in ihrem Wachsthum auf den 
Nährböden und in ihrem übrigen Verhalten vollständig den Nasen¬ 
borkenkapselbacillen. Die goldgelben, Farbstoff producirenden, die 
Gelatine verflüssigenden Coccen wurden nicht aufgefunden. 

In den dem Gehörorgan und der Nase entnommenen Materialien 
fanden sich auch beim zweiten Plattenguß die Kapselbacillen 
nicht vor.“ 

Es ist gewiß von Interesse, daß die eigenthtimlichen 
Kapselbacillen sich auch nach abgelaufener acuter Erkrankung, 
wenn auch viel spärlicher, in dem Secrete der Nasenhöhlen 
vorfanden und scheinbar wenig von ihrer Infectiosität, wenig¬ 
stens für Mäuse, eingebüßt hatten. 

Auf einen Punkt noch möchte ich besonders hin weisen. 
Die vielverbreitete Angst, welche vor den Durchspülungen 
des Nasenrachenraumes wegen möglicher Affection des Mittel* 
ohres herrscht, könnte zu Erörterungen führen über die Frage, 
ob in solchen Fällen, wo die Gefahr einer infectiösen Mittel¬ 
ohrentzündung eine besonders drohende ist, Ausspülungen 
des Nasenrachenraumes zulässig sind oder nicht. 

Gerade in dem beschriebenen Falle war diese Gefahr 
eine große, da einerseits sehr ungünstige Abflußbedingungen 
für das Spülwasser vorhanden waren, andererseits das im 
Nasenrachenraume angesammelte Secret eine intensive Infections- 
fähigkeit vermuthen ließ. Trotzdem halte ich die energische 
Anwendung der Nasenrachendouche für dringend indicirt, 
weil sie einer indicatio causalis genügt und weil gegen die 
den Gesammtorganismus in so schwerer Form beeinträchtigende 
Affection eine Entzündung der Mittelohrschleimhaut an Be¬ 
deutung in den Hintergrund tritt. Gerade der beschriebene 
Fall lehrt, daß auch eine wirklich stattgefundene Infection 
des Mittelohres, wenn sie auch sofort den Charakter der 
eiterigen Entzündung annimmt, in sehr milder, weitere Ge¬ 
fahren für Gehör und Leben ausschließender Form verläuft, 
sobald rechtzeitig dem Gehörorgane die nöthige Beachtung 
geschenkt und dem Eiter rechtzeitig auf Grund einer 
exacten Diagnose ein günstiger Abfluß verschafft wird. 
Andererseits ist zu bedenken, daß auch ohne Ausspülung 
jederzeit in solchen Fällen eine Infection der Mittelohrschleim¬ 
haut erfolgen kann. 

Ich glaube nicht mit Unrecht die Vermuthung auszu¬ 
sprechen, daß ähnliche Fälle mit dem Charakter eines schweren 
infectiösen Allgemeinleidens sich viel häufiger ereignen, als 


allgemein bekannt ist, und erklärt sich dieser Umstand wohl 
zum Theile dadurch, daß die oft schwierige Untersuchung des 
Nasenrachenraumes sich noch nicht zum Werthe einer allge¬ 
mein geübten Untersuchungsmethode aufgeschwungen hat. 
Die Nothwendigkeit, typhusähnliche Fälle auf 
das Vorliegen von Nasenrachenaffectionen zu 
untersuchen, ergibt sich aus dem beschriebenen 
Falle ganz besonders mit Rücksicht auf die 
schönen Erfolge der auf Grund der richtigen 
Diagnose eingeleiteten localen Therapie. 


Ueber 

Rheostate und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines nenen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Quecksilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, k. k. Professor 

in Wien. 

(Fortsetzung.) 

Vor etwa 4 Jahren erwähnte der hiesige Instrumenten- 
fabrikant J. Leiter gelegentlich eines Gespräches, daß er 
vom Docenten Dr. Gärtner die Anregung „zur Construction 
eines Graphitrheostates“ erhalten habe. Dr. Gärtner habe, 
so berichtete Leiter *) , in New - York bei Dr. Rüdish 
einen höchst einfachen Graphitrheostat gesehen, der aus einer 
mit einer Graphitlage überzogenen Glasplatte, (Fig. 2) bestand, 
deren Graphitbelag mit der in der Figur ersichtlichen Draht¬ 
klemme in leitende Verbindung gesetzt war, während ein mit 
der zweiten Drahtklemme armirter Graphitstift S einfach 
über die Graphitlage der Glasplatte gleitend verschoben 
werden konnte. Von diesen Drahtklemmen gingen die Fort¬ 
leitungen K K zur Einschaltung des Apparates in die Haupt¬ 
leitung ab. Durch Entfernung des Stiftes von der Drahtklemme 
der Graphitlage konnte ganz allmälig und gleichmäßig der 
Widerstand verstärkt und durch rückläufige Bewegung des 
Contactstiftes auf gleiche Weise verringert werden. Auf diese 
Mittheilung entgegnete ich Leiter, daß ich im Besitze eines 
nach ähnlichem Principe von E. M. Reiniger in Erlangen 
ausgeführten Rheostates sei, den ich zu praktisch¬ 
therapeutischen Zwecken verwerthe, und lud ihn 
ein, die Einrichtung und Leistungsfähigkeit desselben in 
meinem Ordinationszimmer des Näheren in Augenschein zu 
nehmen. Darauf hin besuchten mich Docent Dr. Gärtner und 
J. Leiter . besichtigten den REiNiGER’schen Rheostat, ich 
demonstrirte die Function desselben am eingeschalteten großen 
EüELMANN’schen Einheitsgalvanometer und gab sodann diesen 
Rheostat Herrn J. Leiter auf seinen Wunsch zur näheren 
Prüfung und genaueren Besichtigung für einige Tage mit. 2 ) 

Wenige Wochen hierauf construirte J. Leiter selbst¬ 
ständig den in Fig. 3 schematisch dargestellten, später als 
Dr. Gärtner und J. Leiter’s Patent-Rheostat in weiteren 
Kreisen bekannt gewordenen Graphitrheostat. J. Leiter er¬ 
setzte hiebei die mit Graphit überzogenen Glasplättchen durch 
ein mit einer dicht angepreßten Graphitlage versehenes, ge¬ 
schlängeltes Pergamentband, führte im Uebrigen jedoch, wie 
bei dem Apparate Fig.l (s. Nr. 17), ebenfalls von jedem Bogen eine 
metallische Ausleitung zu je einem der am Deckel der Rheostat- 
büchse im Kreise gestellten Schleifcontacte, verband die Achse 
der Contactfeder G F durch die Leitung L mit der einen, 
und den ersten Schleifcontact mit der anderen Drahtklemme, 
mittelst deren der ganze Apparat, gleich dem in Fig. 1 dar¬ 
gestellten, mit Hilfe der Kabeln K K in die Hauptleitung ein¬ 
geschaltet werden konnte. 

‘) und bestätigte Dr. Gäbtnkb in der „Wr. Med. Presse“ 1886, 
pag. 273. 

*) Cfr. Dr. Gäktnkb’s Beschreibung in der „Wr. Med. Presse“ 1886, 
pag. 273. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Trotz der Analogie der Ausführung, die am klarsten 
aus der Nebeneinanderstellung beider Apparate erhellt, re- 
präsentirte dennoch, was ich wiederholt constatirte und auch jeder¬ 
zeit publicistisch vertrat, die J. LEiTER’sche Construction einen 
bedeutenden, auch von E. M. Reiniger gebührend gewürdigten 
Fortschritt gegenüber dem Apparate Fig. 1. Dieser Fortschritt 
betrifft in erster Richtung die Vermehrung der Sehleifcontact- 
punkte und in zweiter Richtung die handlichere, compendiösere 
und äußerst präcise Ausführung des ganzen Apparates, die 
hauptsächlich in der Verwendung einer flachen gracilen Hart¬ 
gummibüchse, sodann in der Einarbeitung der Schleifcontact- 
klötzchen in die Hartgummideckplatte dieser Büchse bestand, so 
daß die eigentlichen Schleifcontactflächen derselben mit dem 
Deckel der Büchse in einer Ebene gleichgeschliffen waren, was 
ein leichtes und sanftes Gleiten der Contactfeder über die 
Schleifcontacte vermittelte. 

Die Widerstände dieser Dr. GÄRTNER-LEiTEii’schen Patent- 
Rheostate waren nicht gleich gewählt, sondern stiegen vom 
Anfang gegen das Ende des Graphitbandes in ziemlich rasch 
zunehmender Progression an. Diese Einr ichtung gestattete nicht, 
was hier gleich als der hervorragendste Fehler dieser Apparate 
bezeichnet werden muß, in der nöthigen Strombreite ein gleich¬ 
mäßiges, ganz allmäliges Ein- und Ausschleichen des Stromes, 
sondern verursachte bei Verschiebung der Contactfeder von 
einem der 45 Contactpunkte zum andern (mittelst des Galvano¬ 
meters controlirbare) Stromesschwankungen. So konnte man, 
um nur ein einziges Beispiel anzuführen, mittelst eines der¬ 
artigen in die Hauptleitung einbezogenen Rheostates die Strom¬ 
stärke nicht genau auf 4 M.-A. reduciren; bei Einstellung der 
Kurbel auf den einen Schleifcontact zeigte das Galvanometer 3 5, 
beim Uebergang auf den nächsten Schleifcontact 4'5 M.-A.; 
es verursachte somit das Gleiten der Contactfeder von einem 
Schleifcontacte zum nächsten eine Stromesschwankung von 
1 M_A - 

Aus diesem Grunde ließ ich mir gleich nach dem Bekannt¬ 
werden der Dr. GÄRTNER-LEiTER’schen Patentrheostate einen 
derartigen Apparat, jedoch mit gleichen Widerständen zwischen 
den einzelnen Schleifcontacten, anfertigen und benützte im 
Ganzen 2 solche Patentrheostate, sowie einen REiNiGER’schen 
Wasserrheostat, hintereinander geschaltet in der Hauptleitung 
meiner stationären Batterie. Mit Hilfe dieser 3 Rheostate war 
ich dann allerdings in der I^age, den Strom ganz gleichmäßig 
ein- und auszuschleichen, sowie jede beliebige Stromstärke 
einzustellen. 

Die mechanische Unmöglichkeit der Herstellung auch 
nur zweier ganz gleicher derartiger Apparate, die Schwierig¬ 
keit des ganz gleichmäßigen Auftragens des Graphites auf 
das Pergamentband, endlich der vorerwähnte Cardinalfehler, 
daß nämlich ein einziger derartiger Rheostat zum wirk¬ 
lichen gleichmäßigen Ein- und Ausschleichen nicht hinreichte, 
ließen nach und nach den Wunsch nach einem Rheostate, der 
ohne jede Stromesschwankung das Ein- und Ausschleichen 
ermöglichte, immer allgemeiner und lauter vernehmbar wer¬ 
den, welchem Bedürfnisse auch mehrseitig sowohl Aerzte, 
gleichwie Mechaniker zu entsprechen suchten. 

Ich betheiligte mich an diesen Bestrebungen im Vereine 
mit J. Leiter, der selbst auch die Nothwendigkeit der Ver¬ 
besserung des von ihm construirten Dr. GÄRTNER-LEiTER’schen 
Patent-Rheostates einsah, seit mehr denn Jahresfrist und suchte 
das vorgesteckte Ziel zunächst mit Hilfe eines Flüssigkeits- 
rheostates zu erreichen. 

Um einen einfachen und handlichen Flüssigkeitsrheostat 
herzustellen, wurde der erste Versuch mit einer kreisförmig 
gebogenen Hartgummirinne hergestellt, die an einer Stelle 
unterbrochen war. Der Anfang der Rinne war mit einer 
Platinausleitung versehen, die zu einer Drahtklemme führte, 
während ein Platinstift mittelst einer Kurbel der Rinne ent¬ 
lang fortbewegt werden konnte. Die Kurbelachse war mit der 
anderen Drahtklemme in leitende Verbindung gesetzt und wurde 
die Rinne mit gewöhnlichem Trinkwasser gefüllt. Berührte 


der Platinstift die Platinauskleidung am Anfang der Rinne, 
so zeigte das Galvanometer die Gesammtstromstärke der 
Batterie, nämlich 40 M.-A., an. Entfernte man jedoch den 
Platinstift nur um einige Millimeter, von der erwähnten Platin 
ausleitung, so sank die Stromstärke ziemlich rasch bis auf 
20 M. A., bei weiterer Entfernung um 2—3 Cm., sodann auf 
2 und beim größten Abstande endlich auf 0'9 M.-A. Dieses 
unbefriedigende Resultat führte ich auf folgende Momente 
zurück: der Flüssigkeitsquerschnitt war zu klein — deshalb 
das rasche Anwachsen des Widerstandes bei Entfernung vom 
Platincontacte am Anfänge des Flüssigkeitsweges, andererseits 
war der im Ganzen kaum 29 Cm. lange Flüssigkeitsweg zu 
kurz, um eine entsprechende Reduction der Gesammtstrom¬ 
stärke herbeizuführen. 

In Würdigung dieser beiden Momente fertigte J. Leiter 
eine andere Hartgummirinne, die erstlich einen 20mal so großen 
Querschnitt und zweitens eine mehr denn 4mal so große Länge 
besaß. Die Ausführung bestand im Folgenden : in einer kreis¬ 
förmigen Hartguramitasse von 12 Cm. Durchmesser und 4 Cm. 
Höhe war durch eine spiralförmig zusammengerollte Hart¬ 
gummischeidewand (die mit dem ganzen Hartgumraigefaße aus 
einem Stücke durch Vulcanisiren in der angedeuteten Zu¬ 
sammenstellung gefertigt ward) eine 4 Cm. tiefe und über 

1 Cm. breite Rinne von 120 Cm. Länge zur Aufnahme der 
Flüssigkeit hergestellt. Im Centrum dieser aus 6 Touren 
bestehenden Spirale war eine verticale Achse für eine Dreh¬ 
scheibe eingesetzt, mittelst welcher ein Platinstift längs der 
ganzen Spiralrinne bewegt werden konnte. Dieser 3 l ; 2 Cm. 
lange und 1 Mm. dicke Platinstift ging vertical am Ende 
eines horizontalen Armes ab, der in einer federnden Hülse 
horizontal beweglich eingerichtet war. Am oberen Rande des 
Platinstiftes befand sich ein 5 Mm. im Durchmesser betra¬ 
gendes Röllchen, welches beim Drehen der Scheibe durch 
Reibung sich längs der Spiralwand rotirend fortbewegte und 
hiebei den horizontalen Kurbelarm entsprechend verschob; 
beim Rückdrehen wurde dieser horizontale Arm in gleicher 
Weise wieder zurückgeschoben. An der Peripherie dieser Hart¬ 
gummitasse waren zwei Drahtklemmen angebracht, von denen 
eine mit der verticalen Achse des den Platinstift tragenden 
Kurbelarmes und die andere mit einer Platinausleitung am 
Anfänge des schneckenförmigen Ganges in leitende Verbin¬ 
dung gesetzt war. Wurde diese Spirallinie mit reinem (Hoch¬ 
quellen-) Trinkwasser gefüllt, dieser Rheostat sodann in die 
Hauptleitung eingeschaltet und die Kurbel auf den Anfang 
der Spiralbahn eingestellt, so daß zwischen der dort befind¬ 
lichen Platinausleitung und dem verticalen Platinstifte metal¬ 
lische Berührung stattfand, so ergab die Galvanometeranzeige 
die volle Stromstärke der Batterie, nämlich 40 M.-A.; drehte man 
die Drehscheibe so weit es ging zurück, so zeigte das Gal¬ 
vanometer 0'4 M.-A. Es vermochte somit diese 120 Cm. lange 
Wassersäule von nahezu 4 Qcm. Querschnitt eine Stromstärke 
von 40 M.-A. auf 0’4 M.-A. zu reduciren. Die Leistung des 
Apparates war hiebei folgende. Bei metallischem Contact er¬ 
gab der Rheostat die volle Stromstärke von 40 M.-A., bei 
Einschaltung einer 1 Mm. langen Wassersäule zeigte das Gal¬ 
vanometer nur mehr 30 M.-A. und bei Einschaltung einer 

2 Mm. langen Wassersäule sank die Stromstärke auf 20 M.-A. 
eine etwa 5 Cm. lange Wassersäule reducirte die Strom¬ 
stärke auf 10 M.-A., während eine 15 Cm. lange Wasser¬ 
säule die Stromintensität bis auf 5 M.-A. verringerte. Dann 
aber ging die Verminderung der Stromstärke nur ganz all- 
mälig und langsam vor sich, so daß die ganze, 120 Cm. 
lange Wassersäule noch eine Stromstärke von U‘4 M.-A. pas- 
siren ließ. 

(Fortsetzung folgt.) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. 

Ein experimenteller Beitrag za deren Heilwerth 
von Dr. Arthur Loebel, Wien-Dorna. 

(Fortsetzung.) 

Hatte mich daher dieser Fall belehrt, daß die Moorbäder 
keinerlei Superiorität gegenüber den Moorextractbädern von 
gleicher Temperatur und Badedauer besitzen, indem der Reiz, 
welcher auf die im Hautorgane vertheilten Nervenausbreitungen 
ausgeübt wird und auf reflectorischem Wege die Actionen des 
Centralorganes und die peripheren Bahnen des Blutstromes 
regulirt, kein specifischer und unersetzbarer ist, so sollte ich 
aus den nächsten zwei Fällen noch lehrreichere Schlußfolge¬ 
rungen gewinnen. 

E. Anschel, 65 Jahre alt, jüdischer Kinderlehrer aus Horo- 
dcuka in Galizien, leidet seit vielen Jahren an Hämorrhoidalblutungen, 
die in der letzten Zeit so copiös geworden sind, daß er über aller¬ 
hand anämische Beschwerden, wie Herzklopfen, Kopfschwindel, Ohren¬ 
sausen , Arbeitsunlust und Mattigkeit, klagt. Magenbeschwerden 
fehlen, trotzdem Obstipation mit Diarrhöen abwechselt. Dafür besteht 
Husten mit reichlichem Schleimauswurf. 

Der kurzathmige Patient hat blaße Schleimhäute, sein Thorax 
erscheint bei der Inspection faßförmig gerundet, die Supraclavi- 
culargruben abgeflacht, die Intercostalräume verbreitert, die Athmuugs- 
excursionen des Brustkorbes vermindert, die Hilfsaction der auxiliären 
Atbmungsmusculatur erhöht. Der Spitzenstoß ist an normaler Stelle 
zu fühlen. Die Percussion ergibt den bekannten Schachtelton, überragt 
linkerseits derart das Herz, daß die Herzdämpfung verkleinert ist, 
und reicht rechterseits in der Mamillarlinie bis zur 8. Rippe. Auf 
der hinteren Thoraxfläche reicht der untere Lungenrand bis zum 
Dornfortsatzo des 12. Brustwirbels. Bei der Auscultation nimmt 
man diffuse eatarrhalische Geräusche wahr. Die Herztöne sind 
deutlich und rein, nur der 2. Pulmonalton ist verstärkt und über 
don Jugularveuen vernimmt man ausgesprochene Nonnengeräusche. 
Im Abdomen ist nichts Abnormes zu constatiren. Ueber dem Sphincter 
ani stößt der Finger bei der Digitaluntersuchung auf zahlreiche 
varicöse Ausbuchtungen der Rectalschleimhaut. 

Patient hatte seit seiner Ankunft im Curorte bereits 10 Stahl¬ 
bäder ohne ärztliche Anordnung gebraucht und aus allen Brunnen 
ohne Maß getrunken, worauf die Hämorrhoidalblutungen so zuge¬ 
nommen hatten, daß er sich zu einer ärztlichen Consultation ge¬ 
zwungen sah. Zur Behebung seiner bestehenden Diarrhöe wurde 
die Trinkcur für einige Zeit sistirt und nach der Wiederaufnahme 
das Eisenwasser zu gleichen Theilen mit warmer Milch gemischt, 
damit nicht die niederen Temperaturgrade des incorporirten Mineral¬ 
wassers die Darmperistaltik wieder reizen. Zu den Bädern, die ich 
auf 35° C. bestimmte und durch 20 Minuten appliciren Ließ, ordnete 
ich als Zusatz je eine Schachtel Moorsalz an und constatirte 
daraufhin : 


-- 


*/, Stunde 

*/, Stunde 

6 Stunden 




vor dem 

nach dem 

nach dem 


Tag 

Bad 

Bade 

Bade 

lade 


Blut- |_ . 


Puls 






druck Puls 

druck 

druck 

Puls 




ln. Hf 

In. Hf 


ln. Bf 



am 1. 

im 1. 

130 ! 108 

190 

104 

130 

108 


» 2. 

„ 2. 

120 1 104 

180 

96 

140 

1« 0 


„ 3- 

„ 3. 

130 104 

180 

96 

— 

— 

1 Fleischwasseräbnliche, 
l diarrhoische Stühle 

„ 

„ 4. 

120 96 

170 

92 

160 

92 


„ 7. 

* 5. 

140 104 

160 

98 

160 

96 

Bluiung gestillt 

* 8. 

n ö- 

130 1"2 

— 

— 

140 

90 


12. 

„ 7. 

120 96 

— 

— 

140 

90 


L 13. 

* 8. 

150 92 

180 

96 

— 

— 


I„ 14. 

„ 9. 

160 ' 88 

— 

— 

160 

84 


„ 15. 

„ 10. 

150 ! 96 

170 

96 

160 

84 



Nachdem sich die somatischen und psychischen Zustände des 
Patienten vortheilbaft geändert, die Schleimhäute und Hautdecken 
besser gefärbt hatten und nachdem die Pulsfrequenz in den Abend¬ 
stunden um 24 Schläge vermindert erschien, wechselte ich den Ge¬ 
brauch des Moorextractes und fand: 


Tag 

Bad 

'/, Stunde vor 
dem Bade 

*/ s Stunde nach 
dem Bade 

6 Stunden nach 
dem Bade 



Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

am 18. 

im 11. 

Mm. Hg 
130 

84 

Mm. Hg 

130 

81 

Mm. Hg 


„ 19. 

„ 12. 

130 

84 

— 

— 

120 

82 

. 20- 

» 13- 

150 

84 



140 

84 


Nachdem die Nonnengeräusche über den Jugularvenen nicht 
mehr zu hören waren, beschloß ich die Cur durch 5 Moorbäder von 
35° 0. Temperatur und 20 Minuten Badedauer, wobei ich con- 
statireu konnte : 


Tag 

Bad 

V, Stunde 
vor dem 
Bade 

‘/t Stunde 
nach dem 
Bade 

6 Stunden 
nach dem 
Bade 


Blut¬ 

druck 

Puls 

Blut¬ 

druck 

Puls 

Blut¬ 

druck 

Puls 


am 22. 

im 14. 

ln. Bf 

140 

84 

1«. Bf 


ln. Bf 

130 

86 


„ 24. 

n 15. 

130 

84 

140 

88 

140 

84 


„ 26. 

„ 16. 

140 

81 

130 

84 

130 

84 

1 Indigestion mit 

j. 28- 

» 17- 

140 

96 

— 

— 

140 

96 

( Diarrhöe 

j. 30. 

• 18. 

140 

86 

■ 

— 

— 

150 

84 



Ich konnte somit bei den ersten 10 Bädern unmittelbar 
nach dem Bade eine Blutdrucksteigerung zwischen.20 und 
60 Mm. Hg beobachten und bis auf das 8. Bad mit der Puls¬ 
beschleunigung von 4 Schlägen durchgehends eine Pulsver¬ 
minderung von 4—8 Schlägen. Sechs Stunden nach dem Bade 
persistirte mit Ausnahme des 9. Bades noch immer ein Plus 
des Blutdruckes von 10—40 Mm . Hg, gerade so wie mit Aus¬ 
nahme des ersten Bades auch die Verminderung der Puls¬ 
frequenz constant bis gegen 12 Schläge fiel. 

Nach dem Wechsel des Zusatzes wurde bei stetig fort¬ 
schreitendem Wohlbefinden der Blutdruck entweder gar nicht 
mehr alterirt oder nur um 10 Mm. Hg vermindert, 
während die Pulsfrequenz noch in gleichem Sinne wie 
oben verringert wurde. Hingegen ist nach dem Gebrauche der 
Moorbäder kein constantes Verhalten im Pulse oder Blutdrucke 
mehr zu eruiren, weil der Blutdruck bald um 10 Mm. Hg 
aufwärts, bald abwärts schwankt, ohne daß sich die ebenfalls 
in Fluctuationen auftretende Beschleunigung und Verlang¬ 
samung der Pulsfrequenz irgendwie mit dem Steigen und Fallen 
des Blutdruckes in Beziehung bringen ließe. Hiebei hatte ich 
schon die Vorsicht gebraucht, die Moorbäder erst jeden zweiten 
Tag anzuordnen, damit dem Organismus Gelegenheit geboten 
werde, sich nach jedem Bade vollständig zu erholen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Hillebrand (Cöln-Suiz): Die Heilung von Untersehenkel¬ 
geschwüren nach der Unna’sohen Methode. 

Die bisher geübten Behandlungsmethoden des Ulcus cruris ver¬ 
folgten den Zweck, neben der directen Behandlung des Geschwürs 
die Circulationsstörungen im Bereiche des Unterschenkels zu be¬ 
seitigen. Hiezu dienten vorzügüch Einwicklungen mit Binden aus 
Leinwand, Flanell, Gummi, elastische Strümpfe etc. Alle diese 
Mittel ließen häufig im Stiche, viele derselben scheiterten an den 
hohen Kosten. Unna beschreibt sein Verfahren wie folgt: Nach 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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gründlicher Abwaschung des ganzen Gliedes mit Seifenwaaser wird 
dasselbe bis anf das Geschwür dick mit erwärmtem Z i n k 1 e i m 


Bp. Zinci oxydati 

Gelatin. puriss.aa. 10‘0 

Glycerin. 

Aq. destill.aa. 40 - 0 


S. Erwärmt aufzupinseln 

bestrichen. Auf das Geschwür selbst wird Jodoform aufgepudert 
und eine Lage von Watte oder mit Jodoform oder Sqblimat im- 
prägnirter Gaze gelegt. Hierauf wird eine gewöhnliche, appretirte 
Mull- (Organtin) Binde („blaue Binde“) von zwei Seiten gleich¬ 
mäßig aufgerollt, in Wasser getaucht und in folgender Weise dem 
eingeleimten und noch nicht ganz trockenen Unterschenkel angelegt: 
Der Pat. sitzt mit erhobenem Beine dem Arzt gegenüber. Dieser 
faßt die beiden Köpfe der Binde, so daß die sie verbindende Brücke 
dem Geschwüre gegenüber an die Hinterseite des Unterschenkels zu 
liegen kommt, wo sie sofort anklebt. Die beiden Köpfe werden 
nun so nach vorn geführt, daß sie sich Über dem Geschwüre und der 
dasselbe bedeckenden Watte, resp. Wattebausche kreuzen; die dabei 
an einander vorüberstreichenden Hände wechseln die beiden Binde¬ 
köpfe unter sich aus, ziehen sie fest an, so daß der Unterschenkel 
hier an der Stelle des Geschwüres in seinem Umfange merklich ver¬ 
kleinert wird, und führen die Köpfe zu einer neuen Kreuzung nach 
hinten, die entweder ober- oder unterhalb des Geschwüres, jeden¬ 
falls aber diesem gegenüber stattfindet. Dabei tauschen beide Hände 
die Köpfe wieder aus, ziehen sie fest an und ziehen sie nach vorn, 
wo sie sich wieder an einer anderen Stelle kreuzen , und so fort, 
bis der ganze Unterschenkel, so weit er erkrankt und eingepinselt 
war, wenigstens aber vom Mittelfuß bis zur Wade, mit solchen ge¬ 
kreuzten Touren bedeckt ist. Sodann wird sofort eine zweite, 
feuchte, appretirte Mullbinde über die erste gelegt, die besonders 
den Zweck hat, etwaige dünn bedeckte Stellen der ersten Binden¬ 
lage auszufüllen und durch weiter spiralig auseinandergelegte Touren 
den ganzen Verband zu befestigen. Diese zweite Binde kann ebenso 
wie die erste, zweiköpfig, oder auch wie gewöhnlich einköpfig an¬ 
gelegt werden. Unna legt sie meistens anfangs zweiköpfig an und 
wickelt allerdings häufig jeden Kopf für sich zu Ende. Nach kurzer 
Zeit ist der Verband vollständig erhärtet und bleibt 2—4 Tage, je 
nach der Menge des gelieferten Secretes,* liegen. Die Schmerzen 
beim Gehen und Niedersetzen des Fußes mindern sich unter ihm 
bald, so daß der Patient in seiner Beschäftigung nie unterbrochen 
wird. Je fester der Verband angelegt wird, um so besser erweist 
sich der Erfolg beim Abnehmen desselben; man legt den Verband 
immer so fest an, als der Patient es momentan eben gut ertragen 
kann. Wenn die Menge des Secretes sich mindert, kann dieser 
Dauerverband später auch 8 Tage liegen. 

Die lege artis angelegte Binde, welche wegen der voraus- 
geschickten Einleimung des Unterschenkels überall fest anliegt, be¬ 
dingt eine Dehnung der gesunden Haut nach der hiedurch ver¬ 
kleinerten Ge8chwürsfiäche und verhindert deren Zurückziehen. Der 
Zinkleim gestattet überdies ungehinderte Hantverdunstung im Gegen¬ 
sätze zu den BAYNTON’schen Heftpflastereinwicklungen. 

H. („Deutsche med. Wochenschr.“, 1890, Nr. 17) hat nach 
dieser Methode 25 Fälle von Ulcus cruris behandelt und aus¬ 
nahmslos Heilung erzielt, obwohl das Geschwür in 5 Fällen eine 
Ausdehnung von 15 : 18 Cm. batte, stinkenden Eiter producirte, 
die Ränder steil abfallend und der ganze Unterschenkel ödematös 
war. In sehr vernachlässigten Fällen, bei starker Suppuration 
legte H. auf den Jodoformgazebausch ein den letzteren um ein 
Weniges überragendes Stück Guttaperchapapier. „Bei allen Pat. 
verschwanden sehr rasch sämmtliche Beschwerden; die bis dahin 
vielfach gestörte Nachtruhe kehrte wieder, der üble Geruch hörte auf, 
und die Pat. konnten — im ungünstigsten Falle nach 2 Tagen — 
meistens aber gleich nach dem Anlegen des ersten Verbandes ihre 
gewohnte, oft recht anstrengende Arbeit wieder aufnehmen.“ H. 
läßt den Verband auch in den schlimmsten Fällen 8 Tage liegen 
und legt, wenn nöthig, nach 2—3 Tagen auf die Stelle, wo das Secret 
sichtbar durchtritt, also dem unteren Rande des Guttaperchapapieres 
entsprechend, einen Wattebausch, der mit einer Gazebinde befestigt 
wird. Läßt die Secretion nach, so bleiben die folgenden Verbände 


2—3 Wochen liegen; auch das Guttaperchapapier bleibt fprt. Die 
Abnahme des Verbandes erfolgt zweckmäßig in einem großen Ge¬ 
fäße (Wanne, Schaff, Eimer) warmen Wassers. Bei jedem Verband¬ 
wechsel beobachtet man ein Aneinanderrücken der gesunden Haut¬ 
grenzen des Geschwürs, bis dieses schließlich durch gesunde, von 
der übrigen Haut des Unterschenkels durch nichts sich unter¬ 
scheidende Haut ersetzt ist. (Ref. ist in der Lage, diese Mittheilungen 
durch zwei diesbezügliche Beobachtungen vollauf zu bestätigen. In 
beiden Fällen handelte es sieh um Unterschenkelgeschwüre, welche, 
seit Jahren bestehend, allen Behandlungsmethoden — auch Ein¬ 
wicklungen mit MABTiN’schen Gummibinden — hartnäckig wider¬ 
standen hatten. Der erste der nach Unna behandelten Fälle war 
nach 4 Verbänden in 7 Wochen geheilt; der zweite zeigte nach 
Abnahme des 2. Verbandes eine Verkleinerung des handflächen¬ 
großen, von callösen Rändern umgebenen Geschwüres um die Hälfte.) 

- B. 

L. Perdrix (Paris): Les vaccinations antirabiques k 1’In¬ 
stitut Pasteur. Resultats statistiques. 

Diese im Märzhefte der „Annales de l’Institut Pasteur“ ver¬ 
öffentlichte Arbeit enthält eine Statistik der im PASTEUR’schen In¬ 
stitute seit dem Januar 1886 gegen Lyssa geimpften Fälle. In 
dieser Statistik wurden in die Berechnung der Mortalität nur jene 
Fälle anfgenommen, bei welchen der Tod später als 2 Wochen nach 
Abschluß der Behandluug eintrat, da in den in den ersten zwei 
Wochen letal endenden Fällen das Lyssavirus seine Entwicklung 
bereits während der Behandlung begonnen hat. Von 7893 in den 
4 Jahren (1886—1889 incl.) geimpften Fällen starben 53, i. e. 
0*67°/ 0 . Ein Vergleich der Mortalität in den 4 Jahren zeigt eine 
stetige Abnahme der Mortalität der Geimpften. So starben 
im Jahre 1886 von 2671 Geimpften 25 = 0'94% 

„ „ 1887 „ 1770 „ 13 = 0-73 „ 

„ „ 1888 „ 1622 „ 9 = 0‘55 „ 

„ „ 1889 „ 1830 „ 6 = 0-33 „ 

Diese Thatsache erklärt Verf. durch die zunehmende Sicher¬ 
heit in der Schätzung der Schwere der Bisse und durch eine bessere 
Anwendung der Behandlung. 

Bei schweren Bissen werden in der letzten Zeit Rücken¬ 
marksemulsionen injicirt und die Impfungen mit starken Emulsionen 
wiederholt. Bei Bissen am Kopfe, die ganz besonders gefährlich 
sind, ist die Behandlung eine raschere und vorwiegend eine 
intensivere. Kurzum, die Behandlung wird in jedem speciellen 
Falle individualisirt, und die Resultate beweisen, daß von 
Jahr zu Jahr die Erfolge besser werden. Die Wirksamkeit 
der Behandlung ergeht hauptsächlich aus den Tabellen, in welchen 
die Kranken enthalten sind, bei denen die Wuth des beißenden 
Thieres entweder experimentell oder durch einen Thierarzt constatirt 
worden ist. 

Von 6577 Individuen dieser Kategorien, die in den letzten 
4 Jahren geimpft worden sind, starben 46, d. i. O'7O°/ 0 , und nimmt 
man nur diejenigen Fälle, bei denen die Wuth des beißenden Thieres 
experimentell, d. h. durch Ueberimpfung des Rückenmarkes auf 
andere Thiere nachgewiesen worden war, so ergibt sich, daß von 
1336 hieher gehörigen Fällen nur 13=0*97% starben. 

Von nicht geringerem Interesse sind auch die Resultate der 
Behandlung, je nach dem Sitz des Bisses. Es zeigt sich dabei, daß 
die häufigsten Bisse an den Händen verkommen, 56%; hierauf 
folgen die an den übrigen Extremitäten, 36%, und dann die am 
Kopfe und Gesichte, 8% Sehr deutlich zeigt sich bei einem Ver¬ 
gleich der nach diesem Gesichtspunkte gemachten .Einteilung die 
relative Schwere der Bisse je nach ihrem Sitz. So ergab sich bei 
den Bissen am Kopfe eine Mortalität von 2*36%, bei denen an 
den Händen 0‘69% und bei denen an den übrigen Extremitäten 
und am Stamme 0*27%. Die Gefährlichkeit der Bisse am Kopfe 
erklärt sich dadurch, daß das Virus nur eine kurze Strecke zu 
durchlaufen hat, um vom Kopfe oder Gesichte zum Gehirn oder 
zum Obertheile des Rückenmarkes zu gelangen. Die Kranken, die 
während der Behandlung selbst von Wuth befallen werden, sind 
fast ausschließlich solche, die am Kopfe gebissen wurden. Die Bisse am 
Kopfe sind daher nicht nur an und für sich gefährlich, sondern auch da- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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durch, <Jaß die Wath in solchen Fällen sehr rasch znm Ansbrnch 
kommt. 

Daraus ergibt sich die therapeutische Indication, solche Kranke 
so rasch als möglich nach dem Bisse zu impfen, d. h. es muß 
Immunität hergestellt werden, noch ehe das in dem Bisse vorhandene 
Gift zu den Nervencentren gelangen kann. Die Bisse an den 
Händen sind deshalb gefährlicher, als die an den Beinen nnd am 
Stamme, weil die Hände gewöhnlich nicht von Kleidern bedeckt 
sind. Genaue Untersuchungen bezüglich der Wirkung der Cauteri- 
sation haben zu dem Ergebniß geführt, daß dieselbe, selbst bald 
nach dem Bisse ausgeführt, nicht sicher gegen den Ausbruch der 
Krankheit schützen kann. Interessant sind schließlich die Ergeb¬ 
nisse dieser ziemlich großen Statistik bezüglich der Verteilung der 
Wuthfälle auf die verschiedenen Jahreszeiten, da ja allgemein die 
Ansicht herrscht, daß es im Sommer mehr wüthende Hunde gibt, 
als im Winter. Es zeigt sich nun, daß das Maximum der Häufigkeit 
Ende des Winters und zu Beginn des Frühlings vorkommt. In den 
Monaten Juni und Juli nimmt die Hundswuth ab und erreicht ihr 
Minimum im September und October, um bis zum Februar wieder 
anzuwachsen. Dieses Resultat war identisch in jedem der letzten 
3 Jahre. S. 


K. B. Lehmann (Würzburg): Ueber die pilztödtende Wir¬ 
kung des frischen Harns des gesunden Mensoheo. 

Es ist eine auffallende 'Hiatsache, daß der Harn relativ selten 
bei Infectionskrankheiten den Infectiouserregor enthält, während 
letzterer doch in der Niere so häufig reichlich nachgewiesen wird. Man 
könnte dies zwar durch eine Filterwirkung der Niere erklären, es 
wäre aber auch möglich, daß die Niere die Bacterien durchläßt, 
daß aber der Harn sie tödtet. Der Gehalt des Harns an sauren 
Phosphaten, Kohlensäure, aromatischen Substanzen läßt eine solche 
pilztödtende Wirkung von vorneherein nicht unwahrscheinlich er¬ 
scheinen. In der That haben Untersuchungen, die Verf. über 
diese Frage angestellt hat, zu sehr interessanten Resultaten geführt, 
die derselbe kurz in Nr. 15 des „Centralbl. f. Bacter.“ niederlegt. 
Es wurden 50 Ccm. des frisch gelassenen Harns mit 1 Ccm. einer 
24 Stunden alten Bouilloncultur von Milzbrand-, Cholera- und 
Typhusbacillen versetzt, die Mischung gut umgeschüttelt und mit 
1 Ccm. derselben Agarzählplatte verfertigt. 

Nach 1, resp. 2 Stunden, ebenso nach 24 Stunden, während 
welcher Zeit die Eprouvetten im Brutschrank gestanden hatten, 
wurde der Keimgehalt des Harns aufs Neue bestimmt. Die Resultate 
dieser Untersuchungen ergehen aus folgenden Ziffern: ein Harn, der 
60.000 Colonien von Cholerabacillen in 1 Ccm. enthielt, war nach 
24 Stunden steril, ebenso ein solcher mit 50.000; ein anderer, der 
180.000 enthielt, zeigte nach 24 Stunden blos 700, ein Harn, der 
3600 Milzbrandcolonien in 1 Ccm. enthielt, zeigte nach 24 Stunden 
blos 2000, ein anderer mit 5000 enthielt nach 24 Stunden blos 
1000, ein dritter mit 1600 blos 15 u. s. w. Weniger ausgesprochen, 
oft fehlend, war die Wirkung auf Typhusbacillen. Diese Wirkung 
scheint nun durch den Gehalt an sauren Phosphaten bedingt zu 
sein, denn erstens zeigten wässerige Lösungen dieser Phosphate von 
der gleichen Concentration wie im Ham fast die gleiche Wirkung, 
zweitens verliert der Harn zum großen Theil diese Wirkung durch 
Neutralisirung mit Kalilauge. Indeß scheinen außer dem sauren 
phosphorsauren Kali noch andere pilztödtende Substanzen im Harne 
zu sein. Sterilisirter Harn war meist ohne pilztödtende Eigenschaften. 
Es scheint dies auf einer Bildung von Ammoniumcarbonat zu be¬ 
ruhen, welches- die Acidität des sterilisirten Harns und in Folge 
dessen auch die pilztödtende Wirkung abschwächt. 

Versuche, die Dr. Richter im Laboratorium des Verfassers 
über die pilztödtende Wirkung des frischen Eiweiß nnd Eigelb ge¬ 
macht hat, ergaben, daß das Eiweiß sehr stark pilztödtend gegen 
Typhus und Milzbrand wirkt, während der Dotter einen ausge¬ 
zeichneten Nährboden bildet. Schnirer. 


Handbach der chirurgischen Technik bei Operationen 
und Verbänden. Von Dr. Albert R. v. Mosetig-Moorhof, 

Professor an der Wiener Universität, Primär Chirurg im k. k. 
Krankenhause Wieden, General Chefarzt des h. Deutschen 
Ritterordens. I. Band: Allgemein eChirurgie. Dritte, 
verbesserte und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1890. 
Franz Deuticke. 

Ein Buch, welches in kaum vier Jahren zum dritten Male auf¬ 
gelegt wird, empfiehlt sich wärmer, als die günstigste Kritik dies 
vermöchte. Es beweist damit nicht nur seine Existenzberechtigung, 
sondern vielmehr, daß es ihm gelungen ist, flie Aufgabe zu erfüllen, 
die es sich gestellt, dem Zwecke vollauf zu entsprechen, dem es zu 
dienen berufen wurde. Das vorliegende Werk hatte es nicht leicht. 
Treffliche Handbücher der Operations- und Verbandlehre hat unsere 
Literatur aufzuweisen; die „kleine Chirurgie“, die« chirurgische 
Polytechnik, hat bereits des Oefteren zweckdienliche Darstellung ge¬ 
funden. Und dennoch hat das Buch Mosetiö’s, des hochbegabten 
Wiener Chirurgen, in kurzer Zeit einen so großen Leserkreis sich 
erschlossen und allseitig warme Aufnahme gefunden. Man konnte 
dies schon bei Erscheinen der ersten Auflage voraussehen, da ein 
flüchtiger Blick in das Werk die Eigenart der Bearbeitung verrieth. 

Mosetig’s Handbuch der chirurgischen Technik ist eben ein 
selbstständiges, auf eigenen langjährigen und reichen Erfahrungen 
aufgebautes Werk, dessen Verfasser uns mittheilt, was er selbst als 
wahr erprobt hat. Zahlreiche Winke, anscheinend unwichtiger Natur, 
welche aber in praxi von großem Nutzen sind, erhöhen den Werth des 
Buches, welches sich durch reichliche, sehr instructive Illustrationen aus¬ 
zeichnet. 

Der vorliegende erste Band (früher als erste Hälfte heraus¬ 
gegeben), umfaßt die allgemeine Chirurgie und behandelt in fünf 
Abschnitten Narcose, Wundbehandlung, Elementar- und System- 
Operationen, sowie die allgemeine Verbandlehre. Mit großer Sorg¬ 
falt hat der Autor alle einschlägigen und wissenswerthen Neuerungen 
der letzten Jahre in sein Werk aufgenommen. Wir vermissen ebenso¬ 
wenig die neuesten Fortschritte auf dem Gebiete der Wundbehand¬ 
lung, wie die Errungenschaften, welche die Chirurgie in letzter Zeit 
durch neue Operationsmethoden (Albert’s Arthrodese, Senn’b 
K nochenimplantation etc.), erfahren hat. Selbst minder bedeutende 
Bereicherungen unseres Instrumentariums werden, falls erwähnens- 
werth, verzeichnet. 

Die warmen Empfehlungen, mit welchen die erste Auflage 
dieses Werkes seinerzeit begleitet wurde, werden der neuesten Aus¬ 
gabe in unvermindertem Maße zu Theil werden. Der Leser, mag 
er das Werk zum Studium oder als Nachschlagebuch benutzen, 
wird dasselbe befriedigt aus den Händen legen. B. 


Stadien über Malthusianismus. Von Dr. S. Lindner 

in Budapest. Wien 1890. Wilh. Braumüller. 

Das gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in London er¬ 
schienene Werk von Thomas Robert Malthus: An essai on 
the principle of population hat durch die Kühnheit seiner 
Behauptungen und die Rücksichtslosigkeit seiner Folgerungen 
gewaltiges Aufsehen erregt. Wohl haben schon frühere National¬ 
ökonomen gelehrt, daß die Vermehrung der Subsistenzmittel mit der 
Vermehrung der Bevölkerung nicht gleichen Schritt halte, daher 
letztere durch Noth, Elend und Krankheit eingeschränkt werde, 
sofern die Menschen durch freiwillige Enthaltsamkeit nicht selbst 
diesem brutalen Eingreifen der Natur zuvorkommen wollen. Heute 
wissen wir, daß das MALTHüs’sche Bevölkerungsgesetz, laut welchem 
die Vermehrungstendenz der Bevölkerung in geometrischer, die der 
Nahrungsmittel in arithmetischer Progression erfolgen soll, auf 
die gegenwärtige Structur unserer Gesellschaft gar nicht ange¬ 
wendet werden kann, und daß durch eine allgemeine Anwendung 
der Wissenschaft und Technik auf die Landwirtschaft, sowie durch 
eine höhere Betriebsform derselben eine weit größere, als die jetzt 
existirende Menschenmenge ernährt werden kann, ganz abgesehen 
von den gewaltigen Landflächen, welche noch urbar gemacht werden 
können und tatsächlich in fernen Weltteilen zur Ernährung 
Europas auch horangezogen worden. Die Hebel für die Massen der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Bevölkerung entstehen also nicht durch die Kargheit der Natur, 
sondern sind gesellschaftlicher Natur und entspringen aus den jetzt 
herrschenden Eigentumsverhältnissen. 

Diese Lehre von MalthüS hat aber gerade bei der Masse 
der arbeitenden Bevölkerung, für welche sie berechnet war, keine 
Beachtung gefunden, aus dem einfachen Grunde, weil es für sie, die 
mit ihrer Arbeit und der ihrer Familienmitglieder nur das Not¬ 
dürftigste sich erwerben konnten, kein Interesse hatte, bei ihrer 
Vermehrung Vorsicht walten zu lassen. Um so eifrigere Anhänger 
fand aber die Lehre von Malthüs in den besitzenden Classen, be¬ 
sonders in deren Mittelschichten, welche wohl wußten, daß zur Er¬ 
haltung ihrer höheren gesellschaftlichen Position eine gewisse mate¬ 
rielle Basis nöthig ist, welche sofort erschüttert wird, sobald sich 
in den vorhandenen Besitz eine gewisse Anzahl von Individuen 
theilen müssen. Diese Schichten der Gesellschaft sind aber durchaus 
nicht durch die Lectüre von Malthüs dazu gekommen, in der 
Fortpflanzung Bich Beschränkung aufzuerlegen, sondern durch die 
eherne Gewalt der wirthschaftlichen Thatsachen. Und in der That 
wurde „Malthusianismus“ lange vor Malthüs überall geübt, wo in 
der Geschichte ähnliche wirthschaftlicbe Zustände zur Entwicklung 
gekommen sind: im alten kaiserlichen Rom ebenso wie beim Klein¬ 
bauern unserer Zeit. Gleichzeitig sehen wir hier, wie mannigfach 
und innig Volkswirtschaft und Medicin mit einander 
verknüpft sind. 


F e u i 11 e t o n. 

Znr Impffrage. 

Von Dr. Th. v. Genser in Wien. 

Bei der Lectüre eines jüngst erschienenen Werkcheus *), in 
welchem Verf. die Ergebnisse einer Studienreise in anschaulicher 
und übersichtlicher Darstellung zusamraenfaßt, hat uns ein Gefühl 
des Bedauerns, um nicht zu sagen der Beschämung ergriffen, wenn 
wir sehen, wie weit unser Vaterland in Bezug auf Impfeinrichtungen 
hinter unseren westlichen Nachbarländern noch zurücksteht. Hay 
hat seine Reise auf Deutschland, Holland und Belgien ausgedehnt 
und schildert nun eingehend die Verhältnisse der verschiedenen, 
theils staatlichen, theils privaten Institute in den genannten Ländern, 
die baulichen Einrichtungen, die hygienischen Maßnahmen, die Art 
der Auswahl und Ernährung der Kälber, die Methoden der Fort¬ 
pflanzung und Gewinnung der Lymphe , die Impfung der Kinder 
und Erwachsenen etc.; in einer tabellarischen Uebersicht sind die 
wichtigsten Daten über die staatlichen Impfanstalten Deutschlands 
zusammengestellt. Insbesondere werden die holländischen und bel¬ 
gischen Anstalten als wahre Muster hingestellt: die äußerst zweck¬ 
mäßigen Gebäude, die Scrupulosität in der Auswahl der Impfthiere, 
die exacte Stallhygiene, die außerordentliche Sorgfalt in der Ge¬ 
winnung des Impfstoffes, die minutiöse Reinlichkeit bei der Impfung 
sind geradezu unübertrefflich. Bei aller Begeisterung für die Holländer 
und Belgier läßt H. übrigens auch den deutschen Anstalten volle 
Gerechtigkeit widerfahren. 

Es ist unmöglich, hier auf alle Details in dieser Beziehung 
einzugehen; Jeder, der sich für den Gegenstand interessirt — und 
es sollten dies alle Aerzte thun — möge dieselben im Originale 
selbst einsehen. Dabei sind die Kosten der einzelnen Anstalten ver- 
hältnißmäßig keine erheblichen: die theuerste, die in Brüssel, kostet 
20.000 Frcs. jährlich, dann folgt die königl. Impfanstalt, in Berlin 
mit 12—13.000 Mark; die holländischen schwanken zwischen 2000 
und 5000 Gulden, die theils durch staatliche Unterstützung, theils auf 
privatem Wege aufgebracht werden. 

Da nunmehr auch bei uns die Impffrage eine brennende ge¬ 
worden, und es hoffentlich in Bälde zu einer Regelung derselben 
von Staatswegen kommen dürfte, so sei es gestattet, einige wichtige 
Punkte, die in H.’s Brochure angeregt wurden, hier ausführlicher zu 
erörtern. 


*) M Fat, Die Kuhpockenimpfuug in Deutschland, Holland, Belgien l 
und Oesterreich. Wien 1890. Moriz Perles. ! 


Die physisch und sittlich schädlichen Wirkungen des Malthu¬ 
sianismus werden hier vom Verf. mit markigen Zügen entworfen. 
Mit vollkommener Beherrschung des Stoffes werden in formvollendeter 
Weise nebst den Ergebnissen der Autoren das erstaunlich reiche 
Material eigener Beobachtung dargelegt, welches im Laufe einer 
langjährigen Praxis mit Bienenfleiß gesammelt wurde. Es ist ein 
besonders erhebender Anblick und ein nicht hoch genug anzu¬ 
rechnendes Verdienst, wenn man den praktischen Arzt, trotz Mühen, 
Sorgen und Kämpfen des Alltagslebens, im Dienste wissenschaftlicher 
Forschung thätig sieht, dem weder die Muße, noch die Mittel zu 
Gebote stehen, welche das Innehaben von Kliniken und Laboratorien 
gewährt. Speciell aber für dieses vorliegende Thema ist Niemand 
competenter als der in das innerste Familienleben blickende Hausarzt. 

Die fesselnde, anregende Lectüre empfehlen wir Jedermann 
auf’s Wärmste. Es wird wohl Wenige geben, die nicht das Eine 
oder Andere über diesen viel verschwiegenen Gegenstand wissen, 
aber auch nur Wenige dürften die volle Tragweite und Bedeutung 
desselben kennen. Ohne jede Sensationshascherei wird mit dem 
unserer Wissenschaft würdigen Ernst der Schleier von dieser partie 
honteuse entfernt und ein Beitrag zur Sittengeschichte unserer Zeit 
geliefert, welcher dem Werkchen wohl einen bleibenden Werth sichern 
wird. Dr. Julius Donath. 


Zunächst handelt es sich um die Verschiedenheit in der Kälber¬ 
impfung. In Deutschland werden nämlich nach H.’s Darstellung in 
einzelnen Anstalten .die Kälber durch Scarification großer Flächen 
und Einreibung des Impfstoffes auf dieselben geimpft; das hat zur 
Folge, daß nach 4mal 24 Stunden die ganze Unterbauohgegend ge 
schwollen, gerötbet und infiltrirt ist, daß das Thier fiebert, seine 
Freßlust vermindert ist, und daß aämmtliche Pocken confluiren, so 
daß eine Auswahl einzelner unmöglich wird. Dieses Verfahren ist 
nun einerseits ein qualvolles für das Thier, andererseits bringt es 
den Nachtheil mit sich, daß die Fortpflanzung der so gewonnenen 
Lymphe nur bis zur zweiten Generation gelingt, dann „reißt der 
Stamm ab“, und es muß zur Retrovaccination mit humanisirter 
Lymphe geschritten werden. Allerdings gewährt die Methode den 
Vortheil einer Massengewiunung von Impfstoff, indem auf diese Art 
von einem Kalbe bis zu 4000 Portionen gesammelt werden können. 
Die holländische Methode, die viel weniger, nur für 100—200 
Impfungen ausreichenden, dagegen aber ununterbrochen von Kalb 
auf Kalb fortpflanzungsfähigen Impfstoff ergibt, besteht darin, daß 
das Thier durch 150—160 einzelne Stiche mittelst einer gefurchten, 
mit Impfstoff armirten Lancette geimpft wird, so daß man einzeln 
stehende Pocken ohne besondere Entzündungserscheinungen bekommt; 
von diesen werden wieder nur solche, die keine oder nur eine 
minimale Randröthe zeigen, zur Fortpflanzung des Impfstoffes be¬ 
nützt. Da nun H. Bedenken gegen die Retrovaccination hegt, so 
sucht er zu ergründen, worin die Ursache gelegen, daß bei der 
Flächenimpfung der Stamm nicht fortgezüchtet werden kann, und 
kommt nach Ausschließung aller übrigen Momente zu dem Schlüsse, 
daß es einerseits die mit derselben verbundene Alteration des Allge¬ 
meinbefindens der Thiere, sowie andererseits die Unmöglichkeit, den 
Impfstoff getrennt aus den einzelnen Pocken zu entnehmen, und die 
daraus resultirende Vermengung mit abgestorbenen Hautpartien sein 
müsse, was die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt. H. spricht 
auch die Vermuthung aus, daß es vielleicht durch vergleichende 
bacteriologische Untersuchungen gelingen könne, die Ursachen auf¬ 
zuklären. Die Erklärung H.’s scheint mir ganz plausibel, und was 
den letzterwähnten Punkt anbelangt, so habe ich in dem hiesigen 
hygienischen Universitäts Institute einige vorläufige Untersuchungen 
an von H. geliefertem Materiale angestellt, die, obwohl noch nicht 
vollkommen abgeschlossen, doch schon die bemerkenswerthe That- 
sache ergeben haben, daß bei der Lymphe, die durch 
Flächen im pfung produeirt wurde, die Beimengung 
fremder Bacterien, insbesondere der diversen Eiter- 
coccen, eine viel beträchtlichere ist, als bei nach 
der Stichmethode gewonnenem Impfstoffe. Es erscheint 
daher die Annahme naheliegend, daß durch Ueberwuchern der fremden 


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Elemente die eigentlich wirksamen Bestandteile der Lymphe in 
ihrer Entwicklung gehemmt werden. In diesem Momente der Bei¬ 
mengung so vieler pathogener Bacterien, sowie auch in der Art der 
Impfung (durch Stich) kann möglicherweise auch der Grund gelegen 
sein, daß die Holländer so ungewöhnlich viel Impfpusteln bei den 
Kindern (5 auf jedem Arm) ohne alle üble Folgen anlegen, während 
sonst schon bei einer viel geringeren Anzahl von Pusteln starke 
Reactionen erfolgen. 

Wenn wir uns demnach auf das Entschiedenste gegen die 
Flächenimpfung aussprechen müssen, so ist es eine andere Frage, 
ob die Retrovaccination wirklich so gefährlich ist, als H. es 
darstellt. Denn die Gefahr der Uebertragung von Syphilis, wohl 
der einzig überhaupt haltbare Einwurf gegen die Retrovaccination, 
ist eine höchst problematische, da ja das Rind bekanntlich für 
Syphilis nicht empfänglich, somit eine Vermehrung der etwa auf 
das Kalb mit der humanisirten Vaccine übertragenen Syphiliskeime 
jedenfalls ausgeschlossen ist. Würde man zu aller Vorsicht noch 
den Modus befolgen, den durch Retrovaccination erzeugten Impfstoff 
erst in der zweiten Generation für die Menschenimpfung zu be¬ 
nützen, so wäre damit wohl alle Gefahr beseitigt. So viel ist ferner 
gewiß, daß durch die mittelst Retrovaccination gewonnene Lymphe 
bisher auch noch kein Schaden angerichtet worden ist; in den 
Fällen, auf die H. verweist, ist der Beweis durchaus nicht erbracht 
worden, daß wirklich die Retrovaccination für die Schädlichkeit ver¬ 
antwortlich gemacht werden konnte. Es ist im Gegentheil sogar 
die Frage discutirbar, ob nicht von Zeit zu Zeit eine Retrovacci¬ 
nation zur Erhaltung der vollen Schutzkraft der Lymphe wünschens- 
werth, wenn nicht gar nothwendig ist, wenn man die Analogie in’s 
Auge faßt, daß bestimmte Krankheitserreger, wenn sie auf minder 
empfängliche Thiergattungen überimpft werden, an Virulenz ver¬ 
lieren. Nun ist doch sicher, daß das Rind für Blattern, resp. Vaccine, 
weniger empfänglich ist als der Mensch; es wäre also immerhin 
denkbar, daß eine von Kalb zu Kalb fortgezüchtete Vaccine an ihrer 
Schutzkraft Einbuße erleidet, so daß man schließlich Gefahr liefe, 
die Menschen mit einer nicht mehr vollkommen gegen echte Variola 
schützenden Vaccine zu impfen. Wir können uns demnach nicht 
so unbedingt gegen die Retrovaccination aussprechen, als H. dies thut. 

Ein weiterer Punkt, der eine besondere Berücksichtigung ver¬ 
dient, ist die Frage, ob Impfzwang oder nicht. In Deutschland ist 
bekanntlich seit dem Jahre 1875 Impf-, resp. Revaccinationszwang 
eingeführt, in Holland und Belgien existirt derselbe nicht. H. ist 
nun auffälligerweise Gegner des Impfzwanges und behauptet, daß in 
den beiden letztgenannten Ländern die Leute aus freien Stücken 
freudig zur Impfung kommen, während in Deutschland eine gewisse 
Agitation gegen den Zwang sich bemerkbar macht und derselbe zu 
häufigen Recriminationen Anlaß gibt; außerdem sei die Blattern¬ 
sterblichkeit in Holland und Belgien eine nicht weniger geringe, 
als in Deutschland. 

Dieser Anschauung H.’s können wir nicht beipflichten; wir 
stimmen im Gegentheil dafür, daß auch bei uns in Oesterreich der 
Impfzwang eingeführt werde, wie ja schon seit 1886 die Revacci- 
nation für das Militär mit bestem Erfolge obligatorisch ist. Bei der großen 
Indolenz der Mehrheit der Bevölkerung liegt stets die Gefahr nahe, daß, 
wenn kein Zwang besteht, viele Leute ihre Kinder ungeimpft lassen, 
und noch trauriger würde es um die Revaccination bestellt sein, 
ohne die ein sicherer Schutz vor Blattern ja doch nicht zu er¬ 
reichen ist. 

Das Volk muß für das Impfen erst erzogen werden. Mag sein, 
daß in Holland und Belgien die Bevölkerung wirklich intelligent 
genug ist, um die Segnungen der Impfung würdigen zu können, in 
unserem Vaterlande dürfte dies, zum Mindesten in allen Provinzen 
des Reiches noch keineswegs der Fall sein. Wenn der Staat das 
Recht hat, seinen Bürgern Geld- und Blutsteuer aufzuerlegen, 
so muß er auch das Recht haben, eine von der Wissenschaft appro- 
birte Schutzmaßregel gegen eine verheerende Volkskrankheit, wenn 
es Noth thut, zwangsweise durchzuführen. Uebrigens ist nach 
statistischen Ausweisen die Sterblichkeit an Blattern in Belgien und 
Holland noch immer eine viel größere als in Deutschland, wobei 
noch in Betracht zu ziehen ist, daß die Nachbarschaft eines seuchen- 
frcicn Landes auf die Morbidität günstig einwirken muß. Mit der 


Forderung H.’s, die Impfung freizugeben, können wir uns demnach 
nicht befreunden; dagegen stimmen wir seinen übrigen Vorschlägen, 
die Einrichtung der Impfanstalten betreffend, die er seinem Buche 
am Schlüsse beifügt, vollinhaltlich bei. 

Das Werkchen H.’s enthält bei seinem bescheidenen Umfange 
eine solche Fülle von anregenden und lehrreichen Details, wie sie 
eben nur ein auf dem Gebiete des Impfwesens seit lange thätiger 
und reiche Erfahrungen besitzender Fachmann zu bieten im Stande 
ist, so daß gewiß jeder Leser das Büchlein mit Befriedigung aus 
der Hand legen wird. 


Kleine Mittheilungen. 

— Auf der jüngst in Paris stattgefundenen Versammlung der 
französischen Gesellschaft für Dermatologie und Syphilis empfahl 
Qdinquaud die Behandlung der Syphilis mit Calomeipflaster. Die 
Behandlung ist eine sehr bequeme und wirksame. Die Formel des 


Pflasters ist folgende: 

Rp. Emplastr. diachyl.30 

Calomel. vapor. parat.10 

01. ricini.3 


Die Haut wird mit Seife und Wasser gut gereinigt , worauf 
ein Quadratdecimeter von Pflaster auf die Milzgegend applicirt wird. 
Dasselbe bleibt 8 Tage liegen, wird nach 8tägiger Pause erneuert, 
wieder 8 Tage liegen gelassen u. s. f. Rei Individuen, die eine 
Handarbeit verrichten, wird das Pflaster jeden 4.—5. Tag erneuert; 
durch Untersuchung des Harnes von 20 so behandelten Syphili 
tikern wurde festgestellt, daß das Quecksilber wirklich in die Cir- 
culation übergeht. Die Resorption findet wahrscheinlich durch Um¬ 
wandlung des Calomels in Sublimat nach Einwirkung des Chlor¬ 
natriums der Hautsecretion statt. Das Quecksilber erscheint nicht 
sofort, sondern erst nach 4 l /s—6 Tagen im Harn. Die ausgeschie¬ 
denen Quecksilbermengen sind Anfangs sehr gering und nehmen erst 
am 8.—11. Tage zu. Hört man am 12. Tage mit der Anwendung 
des Pflasters auf, so findet man noch nach 4 und selbst! nach 
6 Wochen Spuren von Quecksilber im Harn. Die Resultate dieser 
Behandlung waren ebenso günstig wie bei anderen Behandlungs¬ 
methoden (innerliche Administration oder suboutane Injection), und 
sah Verf. papulo-tuberculöse Syphilide, Roseola, Plaques in 8—15 
Tagen schwinden. Durch Einschiebung einer 8tägigen Pause zwischen 
zwei 8tägige Behandlungsperioden vermeidet man jede Salivation. 
Will man eine solche erzielen, so braucht man nur die Größe des 
Pflasterstückes zu verdoppeln. Verf. empfiehlt daher diese Behand¬ 
lung aufs Wärmste, da sie unschädlich, sehr bequem und ebenso 
wirksam wie die anderen Methoden ist. 

— Dr. R. Ganger hat subcutane Injectionen von Opium- 
extract bei verschiedenen Formen von Geisteskrankheiten an¬ 
gewendet und sehr ermuthigende Resultate erzielt („Neurol. Ctbl. w , 
Nr. 8). Er applicirte die Injectionen bei 10 Patienten mit einfacher 
Melancholie, 3 mit agitirter Melancholie, 5 mit einfacher Manie, 
6 mit schweren Formen von Tobsucht, 1 mit Hysterie und endlich 
bei 2 mit hallucinatorischer Verwirrtheit; er begann meistens mit 
2—3 Centigrm. 2mal am Tage und stieg in langsamer Zunahme 
der Dosis bis auf 8—10, einmal (bei Hysterie) sogar bis auf 17 
Centigrm. 2mal pro die. Unangenehme Nachwirkungen bat Verf. 
niemals gesehen, obschon die Cur meistens 20, einigemale sogar bis 
38 Tage lang fortgesetzt wurde. In Bezug auf die Wirksamkeit 
des Extr. opii bei Depressionszuständen kann er vollständig den 
Angaben v. Krafft-Ebing’s beistimmen. Hier wirkt es am besten, 
und zwar besonders bei der agitirten Melancholie mit Angst, ohne 
stärkere Sinnestäuschungen etc. Auch bei einfacher Manie waren 
die Erfolge befriedigend genug; dagegen wurde bei schwerer Tob¬ 
sucht ein entschieden ungünstiges Resultat erzielt. Bei der geringen 
Zahl der Fälle von hallucinatorischer Verwirrtheit und Hysterie läßt 
sich kein Schluß auf die Wirksamkeit des Extr. opii machen; bei¬ 
läufig bemerkt, trat in allen 3 Fällen Besserung ein. In allen Fällen, 
in denen eine psychische Besserung zu beobachten war, trat auch 
eine wesentliche Hebung des körperlichen Verhaltens ein. 

— Zur therapeutischen Anwendung des Creolins theiit 
San.-R. Dr. Zielewitz (Posen) in Nr. 4 der „Therap. Mon. u seine 


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seit länger als 2 Jahren mit diesem Präparate gemachten Erfahrungen 
mit. Die Bildung eines Bodensatzes in den Creolinlösungen läßt sich 
leicht umgehen, wenn man dieselben kurz vor dem Gebrauche frisch 
bereitet oder wenigstens nicht länger als 10—12 Stunden stehen 
läßt. Die positiven Eigenschaften des Mittels sind: 1. zuverlässige 
antiseptische Wirkung, 2. absolute Ungiftigkeit in den zu chirurgi¬ 
schen Zwecken gebräuchlichen Quantitäten, 3. ausgezeichnete des- 
odorisirende Wirkung. Z. gebraucht als Spülflüssigkeit bei Operationen 
Va—VsProc. Lösung, zum Verband in dieselbe Lösung eingetauchte 
und leicht ausgewundene Krtillgaze. Die styptische Wirkung des 
Creolins bringt capilläre Blutungen leichter zum Stillstand als sonst. 
Wegen seiner Ungiftigkeit läßt sich das Creolin sehr gut bei Kindern 
und Greisen, bei Schwächlingen oder mit organischen Veränderungen 
behafteten Kranken und zu Irrigationen von Leibeshöhlen verwenden. 
Nebst dem Mastdarm ist die Harnblase, welche bekanntlich sowohl 
Sublimat als Carbolsäure sehr schlecht verträgt, das für die Creolin- 
behandlung geeignetste Organ. Bei chronischer idiopathischer Cystitis 
erwiesen sich Ausspülungen mit ] /»proc. lauwarmer Lösung sehr 
nützlich, bei Cystitis gonorrhoica wirkt das Creolin sowohl auf das 
primäre, wie auf das secundäre Leiden günstig ein. Bei der Cystitis 
als Begleiterin von Prostatahypertrophie kennt Z. kein besseres 
Mittel. Ebenso ist das Creolin sehr nützlich bei der äußeren Urethro- 
tomie in Folge von Stricturen. Ein sehr dankbares Feld für die 
Verwendung des Creolins bietet die Pleurahöhle; bei Empyem¬ 
operationen bildet dasselbe die beste Spülflüssigkeit. Bei Operationen 
am Uterus und den Genitalien ist das Creolin den anderen Anti- 
septicis vorzuziehen. Ein Zusatz von etwa 0'5% zur Spülflüssigkeit 
bei Auswaschung des carcinomatösen Magens hat sich als sehr vor¬ 
teilhaft erwiesen; von besonderem Werthe ist aber die Ausspülung 
des Krebsmagens mit O'öproc. Creolin vor der Resection des Pylorus, 
resp. der Gastroenterostomie. Z. läßt unmittelbar vor der Operation 
mehrere Liter der Lösung durch den Magen gehen und ist so in 
der Lage, bei gut desinficirtem Magen zu arbeiten. 

— Dr. Giuseppe Guicciardi hat seit einiger Zeit kunst¬ 
gerechte Massage bei der Behandlung Geisteskranker in Anwen¬ 
dung gezogen („Neurol. Ctbl. u , Nr. 8) uud ist im Allgemeinen mit 
den Erfolgen zufrieden. Besonders bei den einfachen Depressions- 
Zuständen, bei 8tupor und bei Erschöpfungspsychosen hat er gute 
Resultate erzielt; immer besserte sich der Ernährungszustand und 
gewöhnlich auch das psychische Verhalten. Er empfiehlt die „allge¬ 
meine Massage“ des Körpers und reservirt eine speciellere locale 
Massage auf diejenigen Fällen, die wie Hysterie, Neurasthenie etc. 
mit Sensibilitätsstörungen, Neuralgien, Contracturen, Lageverände¬ 
rungen des Uterus, Obstipation u. s. w. verbunden sind. Die Massage 
ist auch über die Zeit der Kraukheit hinaus noch fortzusetzen und 
neben ihr sind noch andere Methoden, wie Hydrotherapie und Elek¬ 
trotherapie, durchaus nicht zu vernachlässigen. Speciellere Indi- 
cationeu für die Einleitung und Durchführung einer Massagecur 
müssen noch Vorbehalten werden. 

— Dr. Abbott hat Urethan gegen Tetanus in einem sehr 
schweren, schon mehrere Wochen bestehenden Falle angewendet 
(„Neurol. Ctbl.“, Nr. 7). Die verordnete Dosis betrug am Tage 
0*6 und des Nachts 0‘9 zweistündlich. Der Kranke wurde in zwei 
Tagen geheilt, doch wurde aus Vorsicht die Behandlung noch neun 
Tage fortgesetzt. 

— £)r. Hermann Gros empfiehlt in Nr. 26 der „Münch, 
med. Woeh.“ auf Grund seiner Erfahrungen an 280 zum Theil 
schweren Fällen die Behandlung der Diphtherie mit Thymol. Er 
ließ je nach dem Alter des Kindes von einer O'l—0 3proc. Thymol¬ 
lösung, der ein beliebiger Syrup, zuweilen etwas Arac oder Cognac, 
beigesetzt ist, je nach der Schwere des Falles alle 10, oder alle 
4 Minuten 10—12 Tropfen einnehmen. Die Kinder gewöhnen sich 
rasch an den brennenden Geschmack des Thymols und nehmen es ganz 
gerne. Das Mittel ist selbst bei wochenlangem Gebrauche absolut 
unschädlich. Die Wirkung dieser Behandlung äußert sich schon in 
mittelschweren Fällen in 3 — 4 Stunden, das Fieber nimmt rasch 
ab, der Appetit bessert sich, auch die Halsdrüsenschwellungen gehen 
zurück. In leichteren Fällen fand G. oft nach 24 Stunden keine 
Spur von Belag mehr; in der Regel aber braucht es 2—6 Tage 
bis zu dieser Wirkung. Das Mittel wird vom Magen gut ertragen, 


Erbrechen tritt nie ein, der Appetit wurde selbst bei längerem Ge¬ 
brauch nicht verschlimmert, auf das Herz hat das Thymol keine 
schädigende Wirkung. Bei diphtheritischen Ulcerationen ließ er von 
einer 0‘3proc. Lösung 5—6 Tropfen alle 5 Minuten geben und er¬ 
zielte so in den schwersten Fällen in längstens 14—18 Tagen 
Heilung. Auch die mit Laryngitis complicirten Fälle genasen unter 
dieser Behandlung sämmtlich, allerdings hatten die Kinder bereits 
das 6. Lebensjahr überschritten. Bei gleichzeitiger Nasendiphtherie 
wurde eine 0*3proc. Lösung einstündlich in die Nase geträufelt und 
war der Erfolg stets günstig. Antipyretische Mittel sind überflüssig. 
Die Behaudluug ist trotz der häufigeren Verabreichung des Mittels 
viel bequemer als die Pinselungen oder das Gurgeln. 

— Aehnlich wie in Fällen von Empyem der Brusthöhle hat 
Dr. Rexvers auf der LEYDKN’schen Klinik die Behandlung der 
Leberabscesse mittelst Punctionsdrainage versucht und mit gutem 
Erfolge in einem Falle ausgeführt. Das in Nr. 8 der „Berl. klin. Woch.“ 
mitgetheilte Verfahren besteht darin, daß unter antiseptischen Cautelen 
ein 14 Cm. langer und 6 Mm. starker, mit Verschlußhahn versehener 
Troicar von der mittleren Axillarlinie aus zwischen der 9. und 10. 
Rippe in die Leber eingestochen wird; nach Entfernung des Stilets 
wird durch die Canüle ein dicht anschliessender NÄLATON’scher 
Katheter in die Absceßhöhle eingeführt, die Canüle über den Katheter 
hinweg entfernt, ein antiseptischer Verband angelegt uud die Ent¬ 
leerung des Eiters sich selbst überlassen. Die eventuelle Verstopfung 
des Katheters und die daraus resultirende Behinderung des Eiter¬ 
abflusses läßt sich leicht durch Einführen einer Sonde beheben. Im 
weiteren Verlaufe wird der starke Katheter durch einen dünneren 
ersetzt, und wenn die Eiterung fast ganz sistirt, auch dieser ent¬ 
fernt. Das Verfahren ist nach R. besonders in den Fällen geeignet, 
bei denen die tiefe Lage des Eiterherdes oder der stark gesunkene 
Kräftezustand des Patienten größere chirurgische Eingriffe nicht ge¬ 
statten. Ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel hiebei ist die Probe- 
punction der Leber, die ganz unschädlich ist. Dabei empfiehlt es 
sich, stets unter permanenter Aspiration die Nadel einzustechen, 
wodurch es manchmal gelingt, selbst sehr kleine Eiterherde aufzu¬ 
finden. Bei multiplen Abscessen, wie sie hauptsächlich im Anschluß 
an Gallensteine auftreten, kann die Punctionsdrainage ebensowenig 
wie andere chirurgische Eingriffe angezeigt sein. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zu Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

m. 

Ueber die Behandlung der chronischen Nephritis. 

SENATOR (Berlin), Referent, behandelt die allgemeinen 
Grundsätze der Therapie des eigentlichen Krankheitsprocesses, 
während dem Correferenten die Besprechung der Symptome und 
Folgezustände verbleibt. Es wurden hinsichtlich der Therapie die 
chronische parenchymatöse Nephritis und die Schrumpfniere unter¬ 
schieden. Was zunächst die c a u s a 1 e Therapie anlangt, so ist unter 
den veranlassenden Momenten vorerst die acute Nephritis zu 
nennen, die häufiger, als man sich gewöhnlich vorstellt, in die chro¬ 
nische Form tibergeht. Der an acuter Nephritis Erkrankte ist daher 
ausreichend zu behandeln und lange Zeit zu beobachten. Als 
weitere Ursachen kommen in Betracht: Erkältung, Gicht, Syphilis, 
Malaria, Alkohol- und Tabakmißbrauch, Blei- und andere Metall- 
intoxicationen, chronische Entzündung der Harnwege, namentlich des 
Nierenbeckens (Lithiasis), endlich, wenn auch seltener, Diabetes, 
Schwangerschaft, lange dauernde venöse Stauung der Nieren; als 
disponirende Ursachen betrachtet man auch klimatische Verhältnisse, 
Heredität und psychische Einflüsse. Soweit diese mannigfachen Ur¬ 
sachen einen therapeutischen Eingriff zulassen, ist letzterer am 
Platze. Speciell mit Bezug auf die Syphilis wird aber vor eingrei¬ 
fenden Quecksilbercuren gewarnt. 

Die eigentliche Behandlung anlangend, ist bei der 
chronischen parenchymatösen Nephritis der antiphlogistische Heil- 

2 * 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 18. 


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apparat von geringer und zweifelhafter Wirkung. Dasselbe gilt von 
den Ableitungen und Gegenreizen; unter letzteren sind diejenigen 
direct contraindicirt, welche mit scharfen Reizmitteln (Canthariden, 
Terpentin) ausgeübt werden. Specifica gegen die Erkrankung gibt 
es nicht. Die Adstringentien, welche vielfach empfohlen werden, 
haben sich nicht bewährt, ebensowenig Secale cornutum, Salpeter¬ 
säure, Benzoesäure, Fuchsin etc., und von dem Ichthyol sind gleich¬ 
falls unzweifelhafte Erfolge nicht bekannt. 

Wir wissen aber, daß die chronische Nephritis in jedem 
Stadium zum Stillstand kommen kann. Um dies zu erreichen, sind 
die Grundsätze der Schonung und Entlastung der erkrankten 
Niere, auf welche Senator schon vor 8 Jahren hingewiesen hat, 
zu befolgen, dieselben Grundsätze, welche bei anderen Krankheiten, 
z. B. beim chronischen Magengeschwür, mit Erfolg angewandt wurden. 

Bei der chronischen parenchymatösen Nephritis sind vorzugs¬ 
weise die Harncanälchen-Epithelien erkrankt, welche die Aufgabe 
haben, die stickstoffhaltigen Endprodukte des Stoffwechsels zu ent¬ 
fernen. Ferner ist bei der parenchymatösen Nephritis der Verstopfung 
der Harncanälchen entgegen zu wirken, welche den örtlichen Proceß 
in der Niere verschlimmert. Es sind also erstens nicht nur alle 
scharf reizenden Mittel zu vermeiden, sondern es muß auch der 
Eiweißersatz auf das nothwendigste Maß herabgesetzt werden, es 
muß die Eiweißzufuhr beschränkt, das Nahrungsbe- 
dürfniß mehr durch Fett nnd Kohlenhydrate be¬ 
friedigt werden, ohne daß eine gänzliche Eiweißentziehung am 
Platze wäre; 50—70 Grra. Eiweiß, d. i. etwa soviel, wie in l 1 ^ 
bis 2*/i Lit. Milch oder in 250—350 Grm. magerem Fleisch, in 8 
bis 10 Hühnereiern enthalten ist, dürften für einen erwachsenen Mann 
im Ruhezustände die Menge bezeichnen , die im Allgemeinen nicht 
überschritten zu werden braucht. Nur muß dann die Menge der 
stickstofffreien Nahrung entsprechend gesteigert werden. Eine aus¬ 
schließliche oder theilweise Milchdiät ist von den meisten den Gegen¬ 
stand behandelnden Autoren als diesem Ziele am besten entsprechend 
empfohlen worden. Bei den Mengen, die im Durchschnitt genossen 
wurden, d. h. etwa 2 Lit. täglich, wird etwa die angegebene 
Menge an Eiweiß zugeführt. Die Milch hat außer ihrem ge¬ 
ringen Eiweißgehalt noch andere gute Eigenschaften, die ihren 
Gebrauch bei parenchymatöser Nephritis empfehlenswerth machen. 
Sie enthält keine reizenden Extractivstoffe und Zersetzungsproducte 
(Ptomaine) und wirkt vermöge ihres großen Wassergehaltes 
diuretisch, erfüllt also auch die zweite Hauptindication, die Durch¬ 
spülung der Nieren, wodurch die Harncanälchen und die Cir- 
culation in den Nieren freigemaebt werden. In vielen Fällen kann 
Buttermilch oder Kumys und Kefir an Stelle der Milch treten. Der 
geringe Alkoholgehalt der letztgenannten Präparate gibt zu Bedenken 
keinen Anlaß. Wo Milch nicht oder nicht hinreichend gegeben 
werden kann, kommen Amylacea als Ersatzmittel für das fehlende 
Eiweiß in Betracht, ebenso, wenn mit Rücksicht auf die Verdauungs¬ 
organe eine hinreichende Mengo derselben nicht gereicht werden kann, 
ferner Fleisch, von welchem diejenigen Sorten den Vorzug ver¬ 
dienen , welche möglichst arm an Extractivstoffon sind, lieber die 
Zulässigkeit von Eiern sind die Ansichten verschieden. Jedenfalls 
ist der vorsichtige Versuch zu machen, ob dieselben individuell ver¬ 
tragen werden. 

Eine wichtige Rolle spielen die G eträn k e ; sie sollen nicht nur 
den Durst stillen, sondern auch der Durchspülung der Nieren dienen. 
Bei den Milchcuren wird, wie schon bemerkt, mit der Milch und 
den Milchspeisen Wasser in größerer Menge zugeführt. Bei der 
sonstigen Auswahl der Getränke sind alle diejenigen, welche die 
Niere reizen, namentlich die alkoholhaltigen, mehr oder weniger zu 
beschränken. Die leichten Obstweine wirken auch durch ihren In¬ 
halt an pflanzensauren Alkalien diuretisch. 

Körperliche Bewegung und Muskelarbeit überhaupt steigert 
erfahrungsgemäß sehr häufig die Eiweißausscheidung. Dieselbe wird 
daher, je nach der Schwere der Erkrankung, mehr oder weniger zu 
beschränken sein. In schweren Fällen ist absolute Bettruhe 
geboten ; in leichteren Fällen kann man geringe Bewegung gestatten, 
die aber nie bis zur Ermüdung getrieben werden darf. Der Genuß 
frischer Luft kauu dem Kranken ohne eigene Anstrengung durch 
Ausfahren, Liegen im Freien etc. verschafft werden. 


Die Kranken sind vor Erkältungseinflüssen zu schützen 
und müssen wollene Unterkleider tragen; besondere Vorsicht ist bei 
Frauen während der Menstruation geboten. Der Hautpflege durch 
warme Bäder, Abreibungen, wird ein gewisser Nutzen zugesprochen. 

Wenn die Harnmenge stark abnimmt und der Harn trübe und 
reich an morphotischen Bestandtheilen ist, kann eine stärkere An¬ 
wendung derDiuretica nothwendig werden. Dabei ist zu berück¬ 
sichtigen, daß eine Reizung der Drüsenepithelien der Harncanälchen 
schädlich wäre; nützen kann aber die Anwendung der Dinretica 
allein mit Bezug auf die eigentlichen Wasser absondernden 
Apparate, die Gefäßknäuel; die Transsudation aus den Gefäß 
knäueln wird erstens durch gesteigerte Zufuhr von Wasser, 
zweitens durch Erhöhung des Blutdruckes vermehrt. In weiterer 
Beziehung dürfte Einfettung der Haut (Unna) zu versuchen sein (Schnee- 
MANN’sehe Fett ein reib ungen bei Scharlach). In demselben Sinne wirkt 
die reichliche Zufuhr von Getränken, besonders der Mineralwässer, diure- 
tischer Thees etc. Zü den Mitteln, welche ihre Wirkung ausschließlich 
der Hebung der Herzthätigkeit und des Blutdrucks verdanken, gehört 
in erster Linie die Digitalis und ihr nahestehend die Scilla, Stro- 
phantus und einige andere Ersatzmittel der Digitalis, in zweiter 
Linie das Coffein. Zweifelhaft ist bei Nephritis die Wirkung des 
Calomel; contraindicirt sind die Diuretica acria. 

Redner geht sodann zur Behandlung der Schrumpf¬ 
niere über. Vieles von dem Vorhergesagten gilt auch hier. Den 
Proceß rückgängig zu machen, haben wir kein Mittel; um den Fort¬ 
schritt aufzuhalten, ist zunächst das Jodkalium empfohlen. Vor¬ 
tragender schließt sich dieser Empfehlung an, mit Rücksicht auf 
seine Wirkung gegenüber der Erkrankung des Arteriensystems, 
welche dabei fast immer örtlich in den Nieren oder allgemein vor¬ 
handen ist. Die Hauptaufgabe bei der Therapie der Schrumpfniere 
besteht in der Schonung des Herzens, damit die Patienten zwischen 
der Klippe einer zu schwachen und einer zu stürmischen Herzthätig¬ 
keit hindurch geführt werden, so gut und so lange es geht. Dabei 
steht auch wieder eine zweckentsprechende hygienische Behandlung 
obenan. Der Arzt muss die ganze Lebensthätigkeit der Patienten 
überwachen und regeln, wobei den individuellen Bedürfnissen, den 
Vermögcn8verhältuissen, der gesellschaftlichen Stellung und den 
Lebensgewohnheiten derselben Rechnung zu tragen ist. Es muß auf 
Mäßigkoit in der Lebensweise gehalten werden, vor über¬ 
mäßiger Ei weiß zufuhr ist zu warnen, weil ein mehr oder weniger 
großer Theil des functionsfähigen Parenchyms verloren gegangen 
ist. Die Zufuhr von Getränken sei hier sparsam, namentlich 
starke alkoholische Getränke sind zu vermeiden. Gewohnheitsrauchern 
kann der mäßige Genuß nicht zu schwerer Cigarren gestattet werden. 
Körperliche Ermüdung sind zu vermeiden. Schutz vor Erkältung, 
warme Kleidung, Pflege der Hautthätigkcit, Bäder sind zu empfehlen ; 
letztere dürfen nicht zu warm sein, um nicht durch zu hohe Tempe¬ 
ratur erregend auf das Herz zu wirken. Sehr zu empfehlen ist ein 
Klimawechsel während der ungünstigen Jahreszeit. Wenn die 
Verhältnisse cs erlauben , sollte der Kranke den Winter im Süden 
zubringen. Leider steht die Ungunst der socialen Verhältnisse nur 
zu oft diesen Forderungen entgegen, durch die es in vielen Fällen 
gelingt, das Leben der Kranken zu verlängern und ihnen ein relativ 
behagliches Dasein zu verschaffen. 

V. ZiEMSSEN (München), Correferent, hebt im Beginne 
hervor, daß, wenn auch die wissenschaftlichen Grundlagen der 
speciellen Therapie der chronischen Nephritis sehr dürftige seien 
und man am Krankenbotte vorwiegend aufdie empirischen Wege an¬ 
gewiesen bleibe, es doch sehr wünschenswerth sei, diese wichtige 
Frage im Congreß eingehend zu besprechen. Es werde dadurch An¬ 
regung gegeben zu einer mehr einheitlichen Auffassung der Auf¬ 
gaben, die der Arzt am Krankenbette zu erfüllen habe. 

Ref. trennt bei der Besprechung der speciellen Therapie die 
beiden wesentlichsten Formen der chronischen Nephritis, die chro¬ 
nische parenchymatöse Nephritis mit der großen weißen 
Niere als anatomischer Grundlage und die interstitielle 
Nephritis mit der kleinen rothen, harten Schrurapfniere als Grund¬ 
lage. Die Trennung ist nothwendig, weil die beiden Formen wesent- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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lieh differente Indicationen ergeben. Für die secundäre Schrumpf¬ 
niere und die Mischformen überhaupt ergeben sich aus der Betrachtung 
der reinen Formen die Heilanzeigen von selbst. 

Was die chronische parenchymatöse Nephritis 
betrifft, so besitzen wir leider kein Heilverfahren, welches auf die 
anatomische Störung direct einen günstigen Einfluß ausüben kann. 
Wir müssen uns deshalb mit einer symptomatischen Behand¬ 
lung begnügen. Die medicamentöse Behandlung ist auf ein 
möglichst geringes Maß zu beschränken, da durch die Medicamente 
nur zu leicht Verdauung, Assimilation und Gesammternährung be¬ 
einträchtigt werden. So ausgiebig die Anwendung der diätetischen 
und physikalischen Heilmethoden sein soll, so sparsam soll man mit 
den Medicamenten sein. 

Die symptomatische Behandlung wendet sich zunächst gegen 
die constanteste Aeußerung der Nierenstörungen, die Albuminnrie. 
Die gegen die Eiweißausscheidung früher empfohlene Gerbsäure, 
sowie das Plumbum aceticum sind unwirksam und für die 
Verdauung nachtheilig. Ueber die neuerdings empfohlenen Mittel: 
Fuchsin nnd' Brombenzol läßt sich ein sicheres Urtheil noch 
nicht gewinnen. Einiges Vertrauen verdient das Jodkali, be¬ 
sonders wo Syphilis vorausgegangen ist. In einigen Fällen ^sah 
Ref. auch von E x t r. Secalis cornut. bei längerem Gebrauch 
eine Beschränkung der Eiweißausscheidung. Dasselbe eignet sich 
besonders auch zur Anwendung bei* den acuten hämorrhagischen 
Exacerbationen der chronischen Nephritis neben Anwendung der 
Milchdiät und längerer Bettruhe, welche Ref. nicht dringend genug 
empfehlen kann. 

Zur Bekämpfung des Hydrops steht wiederum die Bett¬ 
ruhe (schon von Bartels, Bright u. A. empfohlen) an erster 
Stelle. Dieselbe ist Monate, selbst Jahre lang durchzuführen und 
erzielt hicht selten ungeahnte Erfolge. Von den übrigen anti- 
hydropischen Methoden sind die diaphoretischen und 
unter ihnen wieder die physikalischen am wichtigsten. Unter 
den letzteren haben das heiße Luftbad, das heiße Vollbad 
nnd das partielle Dampfbad den größten Werth. 

Das heiße Luftbad wird in Wärmekammern gegeben, in 
denen die Temperatur der Luft durch in Kupferschlangen strömenden 
Dampf zu beliebiger Höhe gesteigert werden kann. Im Gegensatz 
zum russischen Dampfbad, in welchem der Wasserdampf direct in 
die Kammern ausströmt, ist im Heißluftbade die Atmosphäre wasser¬ 
arm und ermöglicht dem Körper reichlichste Wasserabgabe durch 
Haut und Lungen. Die Bluttemperatur steigt deshalb nur wenig 
über 38° C.; Circulation und Respiration werden nur wenig be¬ 
schleunigt, der Erweiterung der Hautcapillaren folgt eine Abnahme 
des Blutdruckes und eine Entlastung des Gefäßsystems im Körper- 
innern. Diese milde und doch, was den Wasserverlust betrifft, 
bedeutende Wirkung des Heißluftbades sichert demselben die erste 
Rolle unter den antibydropischen Methoden, umsomehr, als sie für 
den Kranken nicht angreifend, sondern wohlthuend ist und sich 
nach dem Bedürfnisse des Einzelfalles modificiren läßt. Besonders 
bei längerem, d. h. vielstündigem Verweilen des Kranken im Hei߬ 
luftbade nehmen die Oedeme rasch ab. Hösslin sah bei einem 
30jährigen Brightiker nach 12stündigem Verweilen im Heißluftbade 
die Oedeme schwinden. Nach dem Bade ist trotz kühler Douche 
oder Vollbad die Empfindlichkeit der Körperoberfläche gegen Er¬ 
kältung eine sehr große, weil die Erweiterung der Capillaren und 
die gesteigerte Drüsenthätigkeit der Haut nur langsam wieder zum 
Normalzustand zurückkehren. Es ist deshalb nicht rathsam, daß der 
Kranke nach dem Bade die Anstalt verläßt, selbst wenn er im ge¬ 
schlossenen Wagen nach Hause zurückkehrt, da Erkältung nicht 
ausgeschlossen ist, die wiederum auf die Nieren von ungünstigem Ein¬ 
flüsse sein kann. 

Zu einem Schwitzbado im Bette des Kranken selbst sind 
neuerdings verschiedene Vorrichtungen angegeben, nämlich der 
Phönix ä air ehaud von Vulpiüs, die Vorrichtung von Nieuwen- 
straten und das Patentschwitzbad von FoCflS. Von diesen scheint 
der Phönix ä air chand praktisch und wirksam, während die 
NiEDWKNfeTRATEN’sche Spiritusflamme zwischen den Beinen des 
Kranken trotz aller Schutzvorrichtungen keine vollkommene Sicher¬ 
heit gegen Verbrennungsgefahr bietet. Das Patentschwitzbad endlich 


steht noch zu hoch im Preise, um der allgemeinen Einführung zu¬ 
gänglich zu sein. Jedenfalls muß die Construction zweckmäßiger 
und einfacher Vorrichtungen, welche es möglich machen, dem 
Kranken in seinem Bette genügend heiße Luft zuzuführen, als 
wichtiges Postulat der Therapie des Morbus Brightii bezeichnet 
werden. 

Das partielle Dampfbad in Form des Kastendampf¬ 
bades eignet sich sehr gut zur Anwendung im Krankenzimmer. 
Der Patient befindet sich mit Ausschluß des Kopfes in dem Kasten, 
in welchen aus einem danebenstebenden, kleinen Dampfkessel Wasser- 
dampf geleitet wird. Der Kranke bleibt im Dampfkasten in sitzender 
Stellung 20—30 Minuten, wird dann rasch in’s Bett gebracht, mit 
einer großen gewärmten Wolldecke fest eingepackt und mit 
Betten gestopft. 

Beim heißen Vollbade, welches in seiner antihydropischen 
Wirkung von Ltebermeister und vom Ref. studirt ist, wird der 
Kranke in ein Wasser von 38° C. gebracht und die Temperatur 
durch Zugießen heißen Wassers auf 40—41° C. gesteigert. Nach 
20 —30 Minuten wird der Kranke herausgenommen, in die warme 
Wolldecke eingepackt und mit Betten bestopft. Bei beiden Proceduren 
ist die Schweißsecretion eine sehr lebhafte — ein Wasserverlust 
von 1—2000 Ccm. gehört nicht zu den Seltenheiten. Beide 
sind aber für den Kranken nicht angenehm, oft geradezu angreifend 
nnd können sich auch, was die subjectiven Empfindungen des Kranken 
anlangt, nicht entfernt mit dem beißen Luftbade messen. 

In den ärmeren Schichten der Bevölkerung, wo keinerlei Vor¬ 
richtungen zu Bädern etc. zu haben sind, kann man durch eine 
einfache PRiESSNiTz’sche Einpackung mit einem in heißes Wasser 
getauchten Laken, Wolldecke und Federbett schon recht befriedi¬ 
gende Resultate erzielen, wie Ref. vor langen Jahren er¬ 
wiesen hat. 

Ref. betont, daß bei allen diaphoretischen Proceduren ein 
bemerkenswerther Effect oft erst nach der 2. oder 3. Anwendung 
auftritt, ferner daß bei allen Patienten, bei denen eine Schonung 
der Körpersubstanz nöthig ist, diejenigen Proceduren zu vermeiden 
sind, welche die Bluttemperatur erheblich steigern und den Stoff¬ 
wechsel beschleunigen, nämlich das russische Dampfbad und das 
beiße Vollbad, und an Stelle dieser das heiße Luftbad mit einer 
Temperatur von 35—40° C. zu wählen ist. 

Von den medioamentösen Antihydropieis ist das 
Pilocarpin unbedingt das wirksamste. Seine unliebsamen Neben¬ 
wirkungen auf das Nervensystem und die Herzkraft machen eine 
Beschränkung seiner Anwendung auf kräftige torpide Naturen nöthig. 
Seine Anwendung geschieht am besten mit Sitzbädern alternirend 
oder hie und da zwischen dieselben eingeschoben. 

Von den Diureticis stehen da, wo Herzenergie und Blut¬ 
druck herabgesetzt sind, die drucksteigernden Medicamente Digitalis und 
Scilla obenan. Mit Vortbeil setzt man denselben leicht diffundirbare 
Salze, z. B. Tartarus boraxatus oder Kali aceticum, zu. Das 
Coffein und Theobromin, als leicht lösliche Doppelsalze (mit 
Natrium salicylicum oder benzoicum) angewendet, scheinen eine Zu¬ 
kunft zu haben, da die Wirkung (ohne wesentliche Nebenwirkung 
auf die Gefäße, wenigstens bei dem Theobromin) sich vornehmlich 
an den Epithelien der Nieren abspielt. 

Das C a 1 o m e 1, bei cardialem Hydrops so vorzüglich in seiner 
Wirkung, läßt beim renalen Hydrops gewöhnlich im Stich. 

Die Diuretica acria verspart man am besten auf solche 
Fälle, bei denen die Übrigen Heilmethoden in Stich jassen, ebenso 
auch die-Drastica, welche unzweifelhaft auf den Hydrops wirk¬ 
sam siud, z. B. das Gummigurt, welche aber zugleich den Ruin 
der Verdauung beschleunigen. 

Für die mechanische Behandlung des Hydrops durch 
Drainirung des Unter hautzellgewebes eignen sich nur die 
South EY’schen Drainagen. Dieselben sind ungefährlich, wenn 
man sie nach Ref. nur den Tag über liegen läßt und antiseptisch 
behandelt. Scarificationen haben sehr häufig accidentelle Wund- 
infection, Erysipel u. s. w. im Gefolge und sind deshalb geradezu 
lebensgefährlich. Behandelt man die Incisionen mit antiseptischen 
Methoden, so erlischt das Anssickeru des Serums sehr bald, wo- 


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durch die Wirkung der Incision illusorisch wird. Die mechanische 
Hydropsbehandlung kann oft wiederholt werden, hat immer eine 
große Erleichterung zur Folge und vermag oft das Leben um 
Monate zu verlängern. 

Bei der Nephritis interstitialis chronica und 
ihren Folgezuständen ist zunächst, wenn möglich, Causaitherapie 
gegen die Gicht, die Bleiintoxication, den Alkoholismus, die 
Syphilis einzuleiten. Meist ist der Erfolg unzulänglich, da der 
Scbrumpfnngsproceß, wenn die Krankheit zur Behandlung kommt, 
meist schon viel zu weit vorgeschritten ist, um noch zum Stillstand 
gebracht werden zu köunen. Hauptsache ist dann genaueste Regelung 
des Regimes, besonders der Diät, Beseitigung des Alkohols, ver¬ 
such sweise Darreichung des Jodkali, sorgfältige Verfolgung der 
Blutdrucksverhältnisse mittelst des v. BasCH’schen Sphygmomano¬ 
meters. Wo ein Deficit des Blutdrucks ein tritt, passen Digitalis, 
Scilla, Strophantus; wo ein Ueberdruck (190—200 Mm. Queck¬ 
silber) besteht und congestive cerebrale Störungen drohen, kann 
ein Aderlaß indicirt sein, ebenso die Eisblase aufs Herz und leichte 
Ableitung auf den Darm, z. B. durch Christison’s Cremor tartari. 
Morphium subcutan wirkt vorzüglich auf die durch den hohen Blut¬ 
druck bedingten Unbehaglichkeiten. 

Die Diät muß nahrhaft, dabei leicht verdaulich und nicht massig 
sein: der Kranke soll wenig essen und doch gut genährt werden. 
Gegen das hartnäckige Erbrechen ist Jodtinctur, Morphium subcutan, 
Fleischsaftgefrorenes zu versuchen, doch ist der Erfolg des Herum- 
probirens meist unbefriedigend, da es sich hier gewöhnlich um 
urämische Zustände handelt. 

Die Urämie, sei sie unvollständig oder vollständig ent¬ 
wickelt, erfordert Hebung des Blutdrucks durch Digitalis, Reiz¬ 
mittel, leichte Ableitung auf den Darm und Morphium subcutan. 
Ist der Kranke bewußtlos, so verschone man den Schlingapparat 
und gebe Digitalis per rectum (wo die resorptive Wirkung fast 
ebenso gut ist wie per os) und Campher subcutan. Im äußersten 
Falle kann ein Aderlaß oder eine subcutane Transfusion versucht 
werden. 

Die Balneotherapie des Morbus Brightii beschränkt sich 
am besten auf die Thermen. Innerlicher Gebrauch der Mineral¬ 
wässer ist im Allgemeinen nicht rathsam, da den Nieren eine stärkere 
Leistung zugemuthet wird, während im Wesentlichen doch eine 
Schonung derselben in unserer Aufgabe liegt. 

Ganz vorzügliche Wirkung haben die klimatischen Curorte in 
Italien, z. B. an der Riviera, in Egypten, Westindien, am Cap. 
Schon ein einmaliger Winteraufenthalt in Meran zeigt glänzende 
Wirkung auf Gesammternährung, Anämie u. 8. w. Besser ist natür¬ 
lich ein mehrjähriger Aufenthalt im Süden, weil damit auch die Be¬ 
seitigung der Schädlichkeiten des Berufs gegeben ist. Wo der Kranke 
seinen Beruf nicht aufgeben kann, muß man sich oft damit be¬ 
gnügen , eine Arbeitspause in Form einer Badecur zu verordnen, 
welche noch am ehesten durchzusetzen ist. Man vermeide nur auch 
bei der Schrumpfniere den innerlichen Gebrauch der Mineralwässer, 
da die Kohlensäure bedenklich auf die Circulation wirken kann, und 
begnüge sich mit Thermalbädern und Höhencurorten. 

Discussion. 

Mosler (Greifswald) legt großes Gewicht auf die Verhütung 
des chronischen Morbus Brightii, was durch sorgfältige Behandlung 
des acuten M. Brightii zu bewirken ist. In dieser Hinsicht leistet 
Monate lang fortgesetzte Bettruhe, combinirt mit einer diätetischen 
Behandlung und fleissiger Durchspülung der Nieren, sehr gute Dienste. 
Auch Mittel, die auf die Darmentleerung wirken, namentlich Calomel, 
üben einen günstigen Einfluß. 

Ewald (Berlin) hat häufig peptonisirte Milch mit Sahne 
Kranken mit Erfolg gegeben, die sonst Milch hartnäckig verwei¬ 
gerten. Er ist überhaupt für eine ausgiebige Ernährung des Kranken ; 
der Eiweißverlust ist lange nicht so zu fürchten, als allgemein an¬ 
genommen wird. Bei interstitieller Nephritis gibt Ewald Jodkalium 
bis zu lOGrm. und mehr pro die mit Nutzen. Pilocarpin hat als Dia- 
phoreticum häufig gute Dienste geleistet. Die Scarificationen haben 


nur geringen Nutzen. Besser wirkt die Punction mit Capillarnadeln, 
wenn man dieselben 12 Stunden liegen läßt. Von der Vereinigung 
der Digitalis mit Calomel, wie sie von Senator empfohlen wird, 
hat Ewald gute Erfolge gesehen. 

Klemperer (Berlin) bemerkt, daß das diätetische Regime bei 
Albuminurie von 2 Grundfragen abhängig ist: 1. ob die Zufuhr 
von Eiweiß eine Steigerung der Albuminurie hervorruft? und 2. ob 
viel Eiweiß für die Ernährung nothwendig ist? Ersteres ist, wie 
durch einige auf der Leyden ’schen Klinik ausgeführte Arbeiten 
erwiesen, durchaus nicht der Fall. Wie aus Untersuchungen Klrm- 
perer’s hervorgeht, genügen schon geringe Eiweißmengen, um die 
bettlägerigen Kranken zu ernähren. Die Hauptsache ist die Fest¬ 
stellung der Gesammtcalorienmenge, und diese ist nur zu fixiren 
nach mehrtägiger Untersuchung der Stickstoffausscheidung bei ent¬ 
sprechend variirter Eiweißzufuhr. Als Grundlage der Nahrung dienen 
Klemperer 2 Liter Milch, als Kohlehydrate Milchzucker, als Fett 
Sahne oder Eigelb. 

Lknhartz (Leipzig) hat die Erfahrung gemacht, daß die 
Naehtheile der Capillardrainage nicht im Verhältniß. zu ihren Vor¬ 
theilen stehen. Das Gleiche gilt von den Incisionen. Das Pilocarpin 
hat sich ihm als Diaphoreticum häufig bewährt. 

• PftiBBAM (Prag) hat vom Fuchsin keinerlei Erfolge gesehen. 
Das Tannin erwies sich nicht in allen Fällen nutzlos. Bei gewissen 
acuten Recrudescenzen der chronischen Nephritis kann man durch 
Natriumtannat einen wesentlichen Nachlaß der Albuminurie erzielen. 
Die Verwendung kohlensäurehältiger Mineralwässer kann bei inter¬ 
stitieller Nephritis sehr bedeutende Gefahren, wie Gehirnhämor- 
rhagien etc., nach sich ziehen. S. 


Neunzehnter Gong ress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zn Berlin Tom 9.—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

UI. < fc , . 

Ponfick (Breslau): lieber Leberresection und Leberrecreation. 

Die mitgetheilten Versuche gingen von physiologisch-patholo¬ 
gischen Gesichtspunkten aus, ihre Resultate sind aber auch vom 
chirurgischen Standpunkte von besonderem Interesse. Operationen 
zur Entfernung von Theilen der Leber sind bisher am Menschen 
nicht gerade häufig ausgeführt worden, und zwar ist dies, abgesehen 
von der großen Fläche der Serosa an diesem Organ, durch die 
gewissermaßen centrale Stelle begründet, welche die Leber im ganzen 
Blutkreislauf einnimmt. Die Störung des Blutzuflnsses in die Vena 
cava und das Leergehen der Herzpumpe ließen es nach der bis¬ 
herigen, fast bis zum Dogma gewordenen Anschauung fals höchst 
gefährlich und geradezu als unmöglich erscheinen, erhebliche Theile 
des portalen Gefäßsystems der Leber fortzunehmen oder zu ver¬ 
legen. Die Beobachtungen des Vortragenden erwiesen indeß die 
Grundlosigkeit dieser Besorgnisse und ermuthigten ihn zur operativen 
Entfernung selbst größerer Partien der Leber. Dabei zeigten sich 
die Gallengänge von untergeordneter Bedeutung und ohne besonderen 
Einfluß auf die Function des Organs. Ponfick’s Versuchsergebnisse 
am Kaninchen sind folgende: 

Bei Entfernung des 4. Theiles der Leber, welche durch Catgut¬ 
ligatur abgebunden wurde, erfolgte nur eine unerhebliche Störung 
im Befinden der Thiere. Wurde die Hälfte der Leber entfernt, so 
traten in den ersten Tagen nach dem Eingriffe gewisse Störungen, 
wie Appetitlosigkeit und nervöse Symptome, hervor, jedoch erholten 
sich die Thiere bald wieder vollkommen. Bei Wegnahme von drei 
Vierteln der Lebersubstanz zeigten die Thiere sich zwar anfänglich 
sehr stark angegriffen; ein großer Theil derselben aber Überstand 
auch diesen Eingriff befand sich nach einiger Zeit wieder voll¬ 
kommen wohl und zeigte monatelang keinerlei Nachwirkungen der 
Operation. Eine noch weitergehende Wegnahme der Leber hält 
Redner beim Menschen jedenfalls nicht für möglich. Welche Wir¬ 
kungen dieser gewaltige Eingriff auf die Circulation nnd Secretion 
in dom restirenden Organ hervorrief, ließ sich nicht fcststellen, da 


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in kürzester Zeit eine Neuschaffang von Leberdrüsensubstrat, eine 
Art Leberrecreation eintrat. Bei allmäliger Fortnahme der Leber¬ 
theile mit Zwischenräumen von 3—4 Tagen befand sich jedesmal 
der zurückgebliebene Theil sehr stark vergrößert. Je radicaler der 
Eingriff war, um so rascher stellte sich die Recreation her, so daß 
z. B. innerhalb 5 Tagen 8O°/ 0 der Leber sich neu gebildet hatten. 
Der Eingriff weckt demnach eine mächtige Schaffens und Wachs¬ 
thumskraft in der Leber, so daß sie schließlich sogar eine den ur¬ 
sprünglichen Umfang überschreitende Größe erlangt. Die Versuche 
lehren, daß die Leber ‘sich in fast unbeschränktem Umfange neu zu 
erzeugen vermag, ohne daß der Organismus dadurch in erheblicher 
Weise ungünstig beeinflußt wird. 

In der Discussion berichtet Wagner (Königshütte) über 
eine Exstirpation des größeren Theiles der, wie sich später erwies, 
syphilitisch veränderten Leber; der ungünstige Verlauf war nicht 
durch die Operation, sondern durch eine Nachblutung veranlaßt. 

Lauenstein (Hamburg) betont, daß man in Fällen von großen 
Lappentumoren der Leber stets an eine syphilitische Veränderung 
denken muß. 

Tillmanns (Leipzig) hat in einem Falle von Lebertumor 
nach Freilegung desselben die Leber in die Wunde eingeheilt und 
erst einige Zeit später die Exstirpation eines Theiles der Geschwulst 
vorgenommen, welche sich nicht als Sarcom, sondern als Leber- 
syphilom erwies. 

Gluck (Berlin) weist auf seine früheren zahlreichen Thier¬ 
versuche hin, welche den Beweis lieferten, daß der vollständige 
Defect des einen Organs durch vicariirende Leistuugen des anderen 
Organs völlig ersetzt werden kann. Eine Resection, bezw. theil- 
weise Exstirpation gestatteten die Lungen, die Gallen- und Harn¬ 
blase. Von der Leber konnte Redner den dritten Theil entfernen, 
ohne daß die Thiere zu Grunde gingen. Nach Exstirpation von 
mehr als zwei Drittel des Gesammtvolumens der Leber trat der 
Tod nach einigen Tagen ein. 

Tillmanns (Leipzig): Ueber ausgedehnte Resection an der Thorax¬ 
wand mit dauernder Bloßlegung der Pleura. 

Es handelte sich um einen Fall von ausgedehnter Tuberculose 
der Pleura, der Lunge und der sie umgebenden Weichtheile im 
Anschluß an ein schweres Empyem, welches Pat. 2 x / a Jahre an 
das Bett gefesselt hatte. Wegen des höchst elenden Zustandes des 
Pat., dessen linke Lunge vollkommen functionsunfähig und dessen 
Thoraxwand von zahlreichen Fisteln durchsetzt war, nahm Tillmans 
nach wiederholter vergeblicher Rippenresection die Entfernung 
sämmtlicher tuberculös erkrankter Theile im Mai 1888 vor. Die 
Pleura wurde energisch ausgekratzt und dann die vorhandene Haut 
auf die geschrumpfte und schon vorher functionsunfähige linke Lunge 
transplantirt. 

Die Tuberculose derselben ist vollkommen geheilt, während 
die rechte, bisher gesunde Lunge in ausgiebiger Weise functionirt. 
Seit 2 Jahren geht Pat. wieder ungestört seinem Berufe nach. 

Der mitgetheilte Fall weist auf die zweckmäßige Art der 
Exstirpation eines Lungenflügels hin, welcher von Tuberculose oder 
bösartigem Tumor befallen ist, vorausgesetzt, daß der andere Lungen 
flügel gesund ist. Es empfiehlt sich, in zwei Zeiten zu operiren. 
Der erste Act besteht in Bloßlegung der Pleura und Tamponade, 
der zweite in Entfernung der erkrankten Lunge, bezw. Begünstigung 
der Schrumpfung. 

Tillmanns (Leipzig): Ueber Elektropunctur bei Aortenaneurysma. 

Wegen eines Aneurysma der Aorta ascendens wurde bei dem 
Pat. seit April 1888 die Elektropunctur in 13 Sitzungen in 3- bis 
5—8tägigen Zwischenräumen vorgenommen. Bei Beginn der Be¬ 
handlung war ein deutlich prominirender Tumor von 4 Cm. Länge 
und 6 Cm. Breite zu constatiren. Pat. klagte über heftige Schmerzen 
im Arm, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühl. Der Tumor wie die Er¬ 
scheinungen sind seit 2 Jahren vollkommen verschwunden, die Pro¬ 
minenz beseitigt, der Sack nachweislich stark geschrumpft. 

Was die Technik der Elektropunctur betrifft, so benutzt 
Redner immer nur die Anode einer Batterie von 10, später 20 Ele¬ 
menten unter Einschaltung des STöHRER’schen Rheostaten behufs 
Absohwächung, bezw. Verstärkung des Stromes und führt ganz 


feine Nadeln unter antiseptischen Cautelen ein. Die Nadel wird 
etwa 5 Cm. von der Spitze an eingesenkt, die Kathode mit einer 
Platte in der Nähe des Tumors aufgelegt Sofort nach dem Ein- 
steohen der Nadel kann man eine Zusammenziehung des Aneurysmas 
und ein Schwächerwerden der Pulsation beobachten. Nach jeder 
Sitzung, welche 5 —10 Minuten andauert, wird der Pat. zu Bett 
gebracht und ihm eine Eisblase applicirt. In dem vorgestellten 
Falle trat schon nach der 8. Sitzung eine bedeutende subjective 
Besserung ein 1 , und auch objectiv ließ sich nachweisen, daß der 
anfänglich von einer weichen Hautdecke überzogene Tumor wesent¬ 
lich härter uud fester geworden war. 

Nach Redners Ansicht läßt sich mit der Elektropunctur bei 
Aortenaneurysmen, wenn auch selten definitive Heilung, so doch 
häufig ganz bedeutende Besserung aller Erscheinungen erzielen. 

_:_ —r. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 2. Mai 1890- 

Vorsitzender: Hofrath Billroth. — Schriftführer: Doc. Dr. 
Bergmeister. 

Ooc. Or. HACKER demonstrirt einen 33jährigen Mann, bei dem 
er wegen narbiger Pylorusstenose die Gastroenterostomie nach der 
von ihm angegebenen Methode ausgeführt hat. Die Operation besteht 
bekanntlich darin, daß das Quercolon sammt dem Magen nach oben 
umgewälzt, das Mesocolon, das über die hintere Magenwand 
zieht, durchschnitten und die oberste Jejunumschlinge an die hintere 
Magenwand inserirt wird. Diese Operation hat gegenüber der Wölfler- 
schen die Vortheile , daß keine Passagestörung durch Compression 
des Quercolon eintritt und daß keine Sporenbildung zu befürchten 
ist. Die Methode ist nur in jenen Fällen nicht anwendbar, in 
denen der Magen nicht genügend beweglich und die Magenwand stark 
infiltrirt ist. Die Mortalität würde eine viel geringere sein, wenn nicht 
bei sehr herabgekommeneu Individuen operirt würde. 

Dr. V. BaMBERGER demonstrirt mikroskopische Bilder von 
Plasmodium malariae, die von einem frischen Malariafall 
herrühren. In den 5—6 Fällen von Malaria, bei denen auf Plas¬ 
modien untersucht wurde, fanden sich dieselben constant. Die 
Constanz des Befundes und das eigenthümliche biologische Verhalten 
sprechen für ihre ätiologische Bedeutung. Schließlich hebt Bam- 
berger die Wichtigkeit dieses Befundes in differential diagnostischer 
Hinsicht hervor. 

DOC. Dr. RlCH. Paltauf zeigt Mikrophotogramme von unge¬ 
färbten Malariaplasraodien aus dem Blute, die er von Golgi er¬ 
halten bat, und welche den ganzen Entwicklungskreislauf der Plas¬ 
modien bei Quartana illustriren. 

Dr. J FRANK demonstrirt einen von ihm zur Stillung von 
Alveolarblutungen angegebenen Verband. Die Alveole wird mit 
Jodoformgaze tamponirt, die mittelst eines durch Kofferdam fixirten 
Wattebausches angedrtickt wird Der Verband kann nur dort angelegt 
werden, wo vor und hinter der blutenden Alveole noch Zähne stecken. 

Dr. Kumpf-. Ueber die Wandernieren der Frauen und deren 
manuelle Behandlung. 

Die bewegliche Niere ist eine der häufigsten Lagerungsano¬ 
malien der Frauen. In ätiologischer Beziehung spielen wohl häufige 
Geburten und zu frühes Aufstehen vom Wochenbette eine Rolle, 
doch fehlt dieses Moment in einer großen Anzahl von Fällen. Die 
bewegliche Niere kommt nicht nur bei Frauen der arbeitenden 
Classen, sondern relativ häufig auch bei solchen besserer Classen 
vor. Als ein häufiges ätiologisches Moment sind Traumen zu be¬ 
zeichnen. Die Annahme, daß localer oder totaler Fettschwund die 
Ursache der Wanderniere sei, ist irrig, ebenso ist die Beschuldigung 
des Schnürens eine ungerechte. Auch die Angabe, daß Lagever¬ 
änderungen der Genitalien Wanderniere bewirken können, ist un¬ 
richtig. Hingegen sind die Entzündungsprocesse im Beckenzellgewebe 
und speciell im Beckenperitonenm und die durch sie bedingten 
Zustände von ätiologischer Wichtigkeit. Im Allgemeinen läßt sieh 
sagen, daß alle jene Einflüsse, welche auf die normalen anatomischen 
und physiologischen Befestigungsmittel der Niere (Peritoneum, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 18. 


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Aspirationskraft des Zwerchfelles, intraabdominaler Druck) ein wirken, 
Wanderniere erzeugen können. Hieber gehören: Traumen, mangel¬ 
hafte Uebung der Bauch^nusculatur, mangelhafte Involution des 
Uterus, Erkrankungen des Peritoneums, Obstipation und die in der 
Anlage vorhandene und durch Beschäftigung noch weiter begründete 
Schlaffheit aller Gewebe' und ibre geringere Elasticität. 

Die Diagnose läßt sich aus dem palpatorischen Nachweise 
einer in Größe, Form und Consistenz der Niere entsprechenden, 
leicht an die normale Stelle zu reponirenden, glatten Geschwulst 
auf der rechten Seite stellen. Die Untersuchung geschieht bimanuell 
in Rückenlage der Patientin mit leicht erhöhtem Oberkörper und 
angezogenen Beinen. Die subjectiven Beschwerden sind oft sehr 
bedeutend. 

Was die Behandlung betrifft, so ist die Nierenexstirpation 
nicht ungefährlich. Von 36 von Landau 1888 gesammelten Fällen 
wurden 27 geheilt, 9 endeten letal; die Nephrorhaphie ist wohl 
ungefährlich, liefert aber keine günstigen Resultate. Die verschiedenen 
Bandagen erfüllen ihren Zweck nur unvollkommen. Die Mastcur 
hat eine Voraussetzung (Schwund des Fettes), die nur in einzelnen 
Fällen zutrifft, daher ihre Anwendung eine beschränkte ist. 

Mit der manuellen Behandlung von Thure Brandt 
hat K. in der Mehrzahl der Fälle dauernde Heilung erzielt. Das 
Wesentliche bei dieser Behandlung sind die sog. Unternierenzitter¬ 
drückungen. 

Auch die verschiedenen zur Stärkung der Bauchmusculatur 
angewandten Bewegungen sind sehr zweckmäßig. Die sog. Lenden¬ 
klopfung ist überflüssig. Was die Erklärung für die Wirkung dieser 
Methode betrifft, so glaubt K., daß durch fortgesetzte mechanische 
Reize das erschlaffte Peritoneum sich allmälig retrahirt und die 
Niere wieder am Platze erhält, sei es dadurch, daß durch die ge¬ 
besserten Circulations- und Ernährungsverhältnisse die Wachsthums¬ 
energie des elastischeu Gewebes erhöbt oder die Elasticität des¬ 
selben wieder hergestellt wird. 

Dr. Bum wendet sich gegen den Versuch einer Erklärung der 
physiologischen Wirkung der „Unterniorenzitterdrückung“ des Vor¬ 
tragenden , legt vielmehr auf die Kräftigung der Bauchmusculatur 
und die hiedurch bewirkte Steigerung des intraabdominalen Druckes 
durch Massage und Gymnastik größeren Werth; auch Brandt 
sorgt stets für Kräftigung der Bauchmuskeln durch gymnastische 
Bewegungen. In einem vom Redner behandelten Falle von Wanderniere 
erwies sich die tägliche Reposition der Niere in Verbindung mit 
Bauchmassage als genügend, die Heilung herbeizufübren, eine Er¬ 
fahrung, die mit der LANDAu’schen Hypothese des Zustandekommens 
der Wanderniere durch Sinken des intraabdominalen Druckes (nach 
Ausdehnung des Unterleibes durch Schwangerschaft, Ascites etc.) 
im Einklänge steht. 

Dr. Kumpf entgegnet, er habe durch alleinige Vornahme der 
„Zitterdrückung“ ebenfalls Heilung erzielt. S. 


Wiener dermatologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 2 April 1890. 

(Off. Protokoll.) 

Prof. LANG spricht über seine bereits in der Gesellschaft der 
Aerzte vorgebrachte Methode der Bubonenbehandlung mittelst 
Schnitt, Entfernung necrotisirender Gewebspartien und Anlegung 
von Naht unter Vorstellung von zwei günstig verlaufenden Fällen. 

Die Herren Lang, Horovitz, Grünfeld und Neumann haben 
schon in früheren Jahren die gleiche Methode mit verschiedenem 
Erfolge ausgeführt. Auf Vorschlag des Letzteren soll die 
Behandlung der Bubonen auf eine der nächsten Tagesordnungen 
gesetzt werden. 

Prof. Lang führt einen Kranken mit gangränös phlegmo¬ 
nöser Entzündung im Bereiche des rechten unteren Hypogastriums vor, 
welche er in Zusammenhang mit einer durch Blennorrhoea veran- 
laßten rechtseitigen Epididymitis et Funiculitis; bringt. 

Ehemann und v. Zejssl haben je einen ähnlichen Fall beob¬ 
achtet. 

Dr. HEBRA demonstrirt den Fall eines melanotischen 
8arkoms der rechten Schläfe bei einem 50jährigen Manne. 


Prof. Kaposi knüpft hieran Bemerkungen über die rapide 
allgemeine Entwicklung melanotischer Sarkome nach Exstirpation von 
Primärgeschwülsten, im Gegensätze zu der bei anderen Sarkomen. 

Dr. ULLMANN führt einen Fall von Urethrocystitis 
blennorrhoioa bei einem sechsjährigen Knaben vor, der durch 
seiu an Blennorrhoe leidendes Kindsmädchen mißbraucht wurde. 

Ferner bringt derselbe aus der Section des inzwischen ver¬ 
storbenen hereditär syphilitischen Kindes aus der vorigen Sitzung 
eine die Richtigkeit der Diagnose bestätigende Angabe. Was speoiell 
den frühzeitigen Defect an der Nase bei solchen Kranken anbelangt, 
erinnern Paschkis und Neumann an ähnliche Fälle aus ihrer Er¬ 
fahrung und der Literatur. 

Prof. Neumann Stellt einen Fall von acuter Dermatitis 
erythematosa et squamosa universalis vor, welcher 
von ihm, sowie von Kaposi und Hebra als Erythema toxicum auf¬ 
gefaßt wird und zu einer eingehenden Erörterung über letztere 
Krankheitsform und ihre verschiedenen Ursachen führte. 

Dr. HOROVITZ demonstrirt den im Vereine mit Dr. v. Zeissl 
bearbeiteten Verlauf des Lymphgefäßes des Vas deferens 
an drei anatomischen Präparaten. 

Prof. KAPOSI Stellt einen Fall von Xeroderma pigmen¬ 
tosum vor, der durch rapide und ausgedehnte Carcinomentwickluqg, 
sowie durch die Anwesenheit von zahlreichen Lentigines am ganzen 
Stamme besondere Beachtung verdient, und einen zweiten Fall 
von Xeroderma pigmentosum, der trotz mäßiger Ausbreitung bereits 
die charakteristischen Symptome der punkt- und fleckenförmigen 
Atrophie darbietet. 

Endlich führt Prof. Kaposi den Krankheitsfall einer 54jährigen 
Frau vor, an welcher er, trotz der großen Aehnlichkeit mit Eczem, 
solche Symptome hervorhebt, welche es wahrscheinlich machen, daß 
derselbe das Vorstadium der von ihm beschriebenen Lympbo- 
dermia perniciosa oder gar der Mycosis fuugoides repräsentirt. 


Notizen. 

Wien, 3. Mai 1890. 

(Das Mai-Avancement der Militärärzte.) Das dies¬ 
jährige Mai-Avancement, welches wir an anderer Stelle dieser 
Nummer veröffentlichen, hat, von den Beförderten selbst abgesehen, 
auch sonst in militärärztlichen Kreisen befriedigt, nicht etwa des¬ 
halb, weil es ein besonders ausgiebiges war, sondern vornehmlich 
aus dem Grunde, weil die meisten Aperturen in den höheren Chargen 
gleichsam erst vor Thorsperre bekannt wurden und man lange Zeit 
hindurch auf ein steriles Avancement gefaßt war. Es wurden im 
Ganzen 70 Militärärzte, d. i. 7*2% des organisationsgemäßen Standes 
von 972, befördert, und zwar 3 zu O.-St.-A. I. CI., 7 zu O.-St.-A. 
II. CI., 12 zu St.-A., 21 zu R.-A. I. CI. und 27 zu R.-A. H. CI. 
Der maßgebende Werthmesser eines militärärztlichen Avancements 
ist die Zahl der neuernannten Stabsärzte; diese beträgt diesmal 
um 3 weniger als im Mai 1887 und nur um 1 mehr als im Mai 
1889. Die Zahl der zu St.-A. Beförderten entspricht 2*1% der 
systemmäßig vorhandenen 576 R.-A., ein Verhältniß, welches jenem 
der neu ernannten 41 Majore der Infanterie und Jägertruppe zu den 
organisationsgemäßen 1903 Hauptleuten derselben Truppe genau ent¬ 
spricht. Schon hieraus ergibt sich, daß dem jüngsten Avancement keines¬ 
wegs eine so hervorragende Werthschätzung zukommt, wie mehrfach 
angenommen wird, und daß die Militärärzte in dieser Richtung, unge¬ 
achtet ihrer zwanzigjährigen Studien und akademischen Grade, nicht 
im Geringsten besser gestellt sind als die Officiere der Infanterie und 
Jägertruppe, von anderen Waffen und Branchen ganz zu schweigen. 
— Von den neuen St.-A. diente der rangsälteste seit 1. November 
1871, also durch volle 18 l / a Jahre, der jüngste — außertourlich 
beförderte — seit 1. Mai 1873, d. i. 16 1 /, Jahre in der Regiments- 
arztens-Charge, d. i. durchschnittlich um 5 Jahre länger als ein Haupt¬ 
mann der Infanterie und Jägertruppe in dieser Charge der Regel nach zu 
dienen hat. Gehen wir zur nächsthöheren Charge über, so avancirten 
von 96 St.-A. 7, d. i. 7*2%, zu O.-St.-A. II. CI., dagegen von 375 
systemisirten Majoren der obigen Waffengattungen 29 oder 7*7°/ 0 
zu Oberlieutenants, erstere nach einer 6 ’/ 3 —7jährigen, letztere nach 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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einer 3 —4jährigen Dienstzeit in der bisherigen Charge. In die 
I. CI. der 0.-8t.-A. gelangten 10°/ 0 der II. CI., während von 152 
Oberstlientenants 17 oder 11*1% Oberste worden. Die Generals- 
; eliarge ist «eit 2 Jahren von keinem activen Militärärzte erreicht 
j worden. Wie. man sieht, stellt sich das Verhältniß für die Militär- 
• Mrzto umso ungünstiger, je höhere Chargen man in Betracht nimmt. 
Zieht man überdies noch das durchschnittliche Lebensalter der Stabs¬ 
und Qber-Stabsflrzto gegenüber jenem der Officiere gleicher Charge, j 
ferner den Umstand iu Erwägung, daß die Militärärzte in Folge 
ihrer Studien durchschnittlich um ß Jahre mit ihrer anrcchnungs- 
fähi-.'cn l>ien<t/.eit geg n die Ofiu-ierc im Rückstände sind und daher 
bei der Ponsioniruug in gleicher Altersstufe mit einem bedeutend 
geringeren Ruhegehalt bedacht werden, nnd berücksichtigt man 
schließlich den gewaltigen Unterschied in der militär-hierarchischen 
nnd dienstlichen Position, der den Militärarzt vom Offioier des Sol- 
datenstandes in allen Chargengraden trennt, so wird man zugeben 
müssen, daß die gedrückte Stimmung, welche die überwiegende 
Mehrzahl der Militärärzte beherrscht, ihre guten Gründe hat. Nur 
■ die unverkennbare Wahrnehmong der in allen Staatsverwaltungs- 
, zweigen langsam wachsenden Bedeutung und Wichtigkeit sanitärer 
Fragen und Anforderungen hält in den Militärärzten die ermuti¬ 
gende Hoffnuug wach, daß ihnen, als den berufenen Vertretern des 
Sanitätswesens, auch in der Armee die gebührende Stellung und 
Würdigung mit der Zeit werde eingeräumt werden. 

(Militärärztliches Officierscorps.) In der Leitung 
mehrerer Garnisonsspitäler sind kürzlich folgende Personalverände¬ 
rungen vorgenommen worden: Der O.-St.-A. I. CI. Dr. Vincenz 
Blaschke, Leiter des GSp. Nr. 25 in Sarajevo, wurde zum San.-Chef 
des 15. Corps, die O.-St.-A. Dr. Josef Höfkrer, des GSp. Nr. 16 
in Budapest, zum Leiter des GSp. Nr. 20 in Kaschau, Dr. Franz 
Mrha , des GSp. Nr. 5 in Brünn, zum Leiter dieses GSp., und 
der St.-A. Dr. Franz Wolf, des GSp. Nr. 17 in Budapest, zum 
Garn.-Chefarzte in Peterwardein ernannt; der O.-St.-A. I. CI. Dr. 
Finanz Christ, San.-Chef des 15. Corps, in gleicher Eigenschaft 
zum 8. Corps, die O.-St.-A. II. CI. Dr. Ferdinand Laufberger, 
Leiter des GSp. Nr. 5 in Brünn, in gleicher Eigenschaft zum GSp. 
Nr. 25 in Sarajevo, und Dr. Roman Szeliga , Leiter des GSp. 
Nr. 20 in Kaschau, in gleicher Eigenschaft zum GSp. Nr. 15 in 
Krakau, die St.-A. Dr. Carl Pechy de Pech-Ujfalu, Garn.- 
Chefarzt in Peterwardein, zum GSp. Nr. 15 in Krakau, Dr. Anton 
Fischer, des 10. Corps Cdo., zum GSp. Nr. 5 in Brünn, und Dr. 
Ignaz Kaiser, des 13. Corps.-Cdo., zum 2. Corps-Cdo. transferirt. 
Endlich wurde die Uebernahme des 0.-St.-A. II. CI. Dr. Wenzel 
Philipp, Leiter des GSp. Nr. 6 in Olmütz, auf sein Ansuchen in 
den Ruhestand angeordnet, demselben bei diesem Anlasse der 
Charakter eines Oberstabsarztes I. CI. ad honores mit Nachsicht der 
Taxe verliehen und anbefohlen, daß ihm in Anerkennung seiner viel- 
jährigen , hervorragend pfiiohtgetreuen und auch vor dem Feinde 
ausgezeichneten Dienstleistung der Ausdruck der Allerhöchsten Zu¬ 
friedenheit bekannt gegeben werde. 

(Aus dem österreichischen Abgeordnetenhause.) 
Von den Enuneiationen, welche die Debatte über das Unterrichts¬ 
budget in diesem Jahre hervorgerufen hat, sind nur wenige be- 
merkenswerth. Die Klagen über den Aerztemangel auf dem Lande, 
sowie die sterilen Vorschläge zur Sanirung dieses überaus beklagens- 
werthen Zustandes durch Reaetivirung der Chirurgensohulen sind 
bereits ebenso stereotyp geworden, wie die Resolution bezüglich einer 
czechischen Universität in Mähren. — Die in Oesterreich und Deutsch¬ 
land neuerdings ventilirte Frage der Vorbildung für die Universitäts¬ 
studien wurde vom Unterrichtsminister berührt. Derselbe leugnet 
die Fehler der bestehenden Unterrichtsmethode in den classischen 
Sprachen nicht, stellt sieh jedoch in dem großen Kampfe 
zwischen Realismus und Humanismus auf die Seite des letzteren, 
indem er hervorhebt, man dürfe an den Gymuasien auf jenes 
Mittel geistiger Bildung nicht verzichten, das in den classischen 
Sprachen liegt. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung des obersten 
Sanitätsrathes vom 26. April d. J. reforirte Hofrath Kusy über die 
in Folge der neuen pharmaceutischen Studien- und Prüfungsordnung 
zu erlassende Verordnung, betreffend die Regelung der Lehr- und 
Servirzeit der Pharmaceuten. Prof. Dräsche erstattete ein Gutachten, 


betreffend die Bewilligung zur Errichtung einer neuen öffentlichen 
Apotheke im Currayon in Meran mit dem Standorte in Obermais. 
Prof. M. Gruber referirte Uber den hygienischen Theil einer im 
Manuscript vorliegenden Arbeit über die Erziehung des kleinen 
Kindes, die Proff. Polansky und Weichselbaüm über die beantragte 
Einführung von Schutz-Impfungen gegen die Lungenseuche. 

(Leichenverbrennung.) Das ungarische Ministerium des 
Innern hat den Beschluß des Stadtrathes von Preßburg, welcher dem 
Wiener Verein für Leichenverbrennung „Flamme“ die Errichtung 
eines Crematoriuras- in Preßburg gestattet hatte, aufgehoben, „da die 
Einführung der Leichenverbrennung in Ungarn wichtige öffentliche 
Interessen tangire und deshalb eine eingehende Berathung der Frage 
erfordere“. 

(Universitäts-Nachrichten.) Die Gesellschaft für Psy¬ 
chiatrie und Nervenkrankheiten iu Berlin hat am 20. April eine 
erhebende Feier zum Gedächtnisse ihres verstorbenen Präsidenten, 
Prof. Carl Westphal, veranstaltet, bei welcher der langjährige 
ehemalige Assistent des Verblichenen, Dr. Moeli, die Gedenkrede 
sprach. — Der Privatdocent Dr. Otto Pertik, Prosector am neuen 
städtischen Spitale in Budapest, ist zum a. o. Professor der 
pathologischen Histologie, der Privatdocent Dr. J. Gottstein in 
Breslau zum a. o. Professor der Laryngologie ernannt worden. 

(Statistik.) Vom 20. bis inclnsive 26. April 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4902 Personen behandelt. Hievon wurden 933 
entlassen; 129 sind gestorben (lvPl4°/o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Iliphtheritis 41, egyptischer Augeuentzündung l, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 10, Dysenterie I. Blattern 23, Varicellen 41, Scharlach 51, 
Masern 362, Keuchhusten 68, Wundrothlauf 27. Wochenbettfieber 5. — In 
der 17. Jahreswoche sind in Wien 445 Personen gestorben (—2 gegen 
die Vorwoche). .• 


(Man schreibt uns aus Rohitsch:) Die lange Reihe jener Ver¬ 
besserungen, welche der steiermärkische Landesausschuß in der Landes-Cur- 
anstalt Rohitsch-Sauerbrunn dprchznfilhren in der Lage war, hat ihren 
dermaligen Abschluß in der Errichtung und dem Baue eines neuen Füllschachtes 
gefunden. Durch diese neue, mit einem Kostenaufwände von über circa 
20.00 * Gulden hergestellte Central-Füllanlage wird jener Verlust an freier 
Kohlensäure vermieden, der bei der Anwendung einer Pumpe nothwendiger- 
weise erfolgen muß. Die Ausdehnung der Füllschacht-Anlage gestattet aber 
nicht blos die Säuerlinge unter vollkommenem Ausschluß von Kohlensäure- 
Verlusten, daher in stets gleichhaltiger ausgezeichneter Qualität zu füllen, 
sondern sie erlaubt auch eine viel ausgiebigere Ausnützung der Quellen, so 
daß die Direction der Curanstalt in der Lage ist, selbst den größten Be¬ 
stellungen umgehend durch stets frisch vorgenommene Füllung nachzukommen. 
Daß diese unschätzbare Neuerung nicht verfehlen wird, den Ruhm des altbe¬ 
rühmten landschaftlichen Rohitscher aufs Neue zu beleben, unterliegt keinem 
Zweifel und gebührt den Vertretern des Landes, welche mit richtigem Ver¬ 
ständnisse Alles anfbieten, was zum Gedeihen dieses herrlichen Curortes bei¬ 
zutragen vermag, alle Anerkennung. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Magnus H., Culturgeschichtliche Bilder ans der Entwicklung des ärztlichen 
Standes. Berlin 1890. J. U. Kern. 

Dollinger J., Die Massage. Mit 110 Abbildungen. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 
Kobert R., Arbeiten des pharmakologischen Institutes zu Dorpat. IV. Mit 
1 Tafel in Farbendruck. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. . 

Bauer M., Die Schutzpockenimpfung und ihre Technik. Stuttgart 1890. 
Ferd. Enke. 

Brass A., Tafeln zur Entwicklungsgeschichte und topographischen Anatomie 
des Menschen. Tafel 1—1 Leipzig 1890. Gebhardt & Wilisch. 
Pochtiiann E, Die Influenza. Linz 1890. Eigenverlag. 

Dämmer O., Handwörterbuch der öffentlichen und privaten Gesundheitspflege. 
Stuttgart 1890 Ferd. Enke. 

Uüncrfautll G., Uebor die habituelle Obstipation und ihre Behandlung mit 
Elektricität, Massage und Wasser. Zweite, neu bearbeitete Auflage. Wies¬ 
baden 1890. J. F. Bergmann. 


Mai-Avancement. 

Ernannt wurden: im militärärztlichen Officierscorps: zu 
O.-St.A. I. CI. die O.-St.-A. II. CI.. DDr.: H. Schipek, W. Tonn er, H. 
Po lack; — zu O.-St.-A. II. CI. die St.-A. und DDr.: F. Stangl, A. Orel, 
J. Vueinid, J. Wolfgang, A. Bellan, Ph. Schulhof, J. Tiroch; — 
zu St.-A. die R.-A. I. CI. und DDr.: J. Jeglinger, V. Hampl, M. Bau¬ 
mann, W. Noväk, J. Ebstein, G. Philipp, C. Sperlich, J. 
Pfehnal, J. Beyer, L. R. v. Berks, F. Mautendorfer, A. Durst; 
— zu R.-A. I. CI. die R.-A. II. CI. und DDr.: A. Großmann, S. Orn- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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staiu, J. Wolter, A. Fojjirewic*, A. Fischer, M. Schwargfcopf, 
J. Beiß, A> Fraepkel, S. Gerö, S. Ziehn, L. Baecker, L. Biber, 
W. Benedikt, B. Binder, J. Kanäsz, S. Tarnai, S. Stoekel, S. 
Freudenthal, L. Schmeichler, W. Bobitschek, L. Földessy; — 
au B.-A. II. CI. die O.-A. und DDr.: J. Friedberg, H. Bittigstein, 
C. Erdey, I. Fischer, E. Bass, L. Lichtenegger, A. Bogdän, 
J. Kapper, A- Trattner, E. Mazel, E. Krausz, F. Veself, H. 
Hinterstoisser, J. Wegrzynski, G Weil, F. Stadler, B. Simo- 
novid, J. Baab, C. Majewski, A Trieb, A. Jahnel, J. Colbäsi, 
J. Vosyka, J. Caermak, L. Niemilowic«, E. Wiesinger, L. Korn¬ 
hofer, B. Glaser; 

im mariueärztl ichen Officierscorps: zu Marine Stabsärzten 
die Jjinieoschiffsärzte und DDr.: C. Eisass und J. Potoöuik; — zu 
Linienschiffsäraten die Fregattenärzte und DDr.: A. Steiner, M. Brillant 
und W. Oapellmann; — au Fregattenärzten die Corvettenärzte und DDr.: 
F. Gispär, C. Flick, A. Nobel, L. Wittchen und M. Mäszlö. 

Verantwortlicher Bedacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Bei der Gemeinde N a § i o in Slavonien ist die Stelle eines 

Geraeindearztes in Erledigung gekommen. Derselbe wird gegen eine Jahres¬ 
bestallung von 800 fl ö. W., und zwar von der Gemeinde selbst mit 600 fl-, 
von Sr. Bxc. den Grafen Ladislaus Pejaöeviö mit 200 fl., Summe 800 fl-, vertrags¬ 
mäßig aufgenommen. Falls das Spital in NaSic in's Leben treten sollte, wird 
derselbe verpflichtet, die Spitalsvisiten gratis zu besorgen. Bewerber um diesen 
Bosten, welche Doctoren der gesammten Heilkunde und Chirurgie, sowie auch 
körperlich vollkommen geeignet sind, haben ihre mit dem Nachweise des er¬ 
langten Doctorgrades versehenen Gesuche bis 15. Mai 1. J. bei der königl. 
Bezirksbehörde in NaSic einzubringen. 597 

Gemeindevorstehung Naäic, am 15. April 1890. 

Stefan Kovocevich, Gemeinde Vorst and. 

ln der Gemeinde Göstling a. d. Ybbs, politischer Bezirk 

Scheibbs, ist die Stelle eines Gemeindearztes durch einen Med.-Doctor zu be¬ 
setzen. An fixen Bezügen hat derselbe 8( 0 fl., freie Wohnung (1. Stock in 
der Mitte der Ortschaft gelegenen Hauses mit 4 Zimmern und Küche) und 
freien Holzbezug, wofür derselbe die Todtenbtscbau und Sanitätsdienst in der 
Gemeinde, sowie die ärztliche Behandlung der Mitglieder der Bezirkskranken- 
casse (ca. 60) zu besorgen hat. Göstling hat ca. 1800 Einwohner, liegt in 
einer schönen Gegend, ist von Sommergästen stark besucht und hat ein von 
Baron Bothschild errichtetetes Kinderasyl. Nähere Auskünfte ertheilt der 
608 f - Gemeindevors teher. 

Ein zahnärztliches und zahnteohnisehes Etablissement mit 

vollständigem Inventar, als: alle erforderlichen neuesten zahnärztlichen und zahn- 
tecbnischen Instrumente und Maschinen, sowie elegante Einrichtungsstücke, in 
der inneren Stadt in Wien, auf einer stark freqoentirten Gasre, Gassenfront, 
seit mehreren Jahren bestehend und mit ansgebreitetem Kundenkreis, ist sofort 
ans freier Hand wegen Abreise preiswerth zn verkaufen nnd sogleich 
zu übernehmen. Offerten werden unter Chiffre „Zahnarzt Nr. 586' zur 
Weiterbeförderung an die Administration der „Wiener Mediz. Presse“ in 
Wien, I., Maximilianstraße 4, erbeten. 586 

Im städtischen öffentliches Krankenhause in Mödling 

ist die Stelle eines Secundararztes mit dem Bezüge von jährlich 300 fl. ö. W., 
freier Station und vollständiger Verpflegung vom 1. Juni 1890 au zu besetzen. 
Gesuche sind bis längstens 20. Mai 1890 an den Stadtvorstand in Mödling 
einzusenden. 603 

Mödling, am 19. April 1890. 

J. Thoma, Bürgermeister. 

In der Pfarr- nnd Marktgemeinde Strobnitz, Bezirk 

Kaplitz in Böhmen, mit 14 umliegenden Ortschaften, ist wegen Ablebens 
zweier Aerzte die Arztesstelle mit jährlich 400 fl. und Hausapothekehalten 
zu besetzen. Bewerber wollen sich an das Bürgermeisteramt Strobnitz 
wenden. 620 

Bürgermeisteramt Strobnitz, am 27. April 1890. 

Der Bürgermeister: Pöschka. 


ANZEIGEN. 



KEMMERICH ’S Fleisch -Pepton. 

Nach den von den Herren Prof, ladwlg— 
Wien, FreeealM— Wiesbaden, — Mlngter, 

Steuer—Boa» auageführten Analysen enthält das 
Keauaertch’sehe Pietsch-Peptoa ca. 18'/o leicht lös- 
lioheEiweisestoffe und ca. 39% Pepton. Keamerlch’s 
Fleisch-Pepton ist das gehaltreichste unter allen 
Peptonen des Handels and das elaslge, welches 
mit höchstes» Nährwert!» «inen angenehmen Ge¬ 
schmack und Geruch verbindet. Dasselbe ist über¬ 
all zu empfehlen, wo Etwslsssaffekr nöthig nnd 
wegen gestörter Verdauung in fester Form nicht 
möglich ist, besonders auch zur Ernährung durch 
Klystiere. — Keaamefleh’s Pepton ist käuflich la 
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Nr. 19. 


Sonntag den 11. Mai 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 Ws I Bogen Grose-Qn&rt-Fonnat stark. Hiezu eine Reibe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die ^/Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
ln Wien, I., Maximülanstrasse Nr. 4. zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik * 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Adnünistr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianatr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 




Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton und klinische Vorlesungen. Medicinische Klinik des Prof. v. Koränyi in Budapest. Untersuchungen über die Aetiologie des Lungen¬ 
brandes. Von Dr. A. Hihschlkh nnd Dr. P. Tkrrat, Assistenten der Klinik. — Ueber Rheostate nnd deren Verwendung in der Elektrodiagnostik 
und Elektrotherapie mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten Graphit-Quecksilberrheostates. Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, 
k. k. Professor in Wien. — Mittheilungen ans der Praxis. Ein Fall von Nona. Berichtet von Dr. Gustav Hammkrsciilao , Arzt der Bezirks- 
krankencasse Kolin. — Referate and literarische Anzeigen. Franz Boll (Breslau): Zur Desinfection der Hände. — E. Staffel (Chemnitz): 
Ueber Verengerung nud Verschluß in den verschiedenen Abschnitten des Magendarmcanals und deren chirurgische Behandlung. — Die Urämie. 
Von Dr. L. Landois, Geh. Medicinalrath, o. ö. Professor der Physiologie und Director des physiologischen Institutes der Universität Greifswald. — 
Feuilleton. Die Fran auf dem Gebiete der Medicin. — Kleine Mittheilnngen. Ueber die Wirkung des Orexinum muriaticum als Stomachicum. — 
Ueber die Verwendbarkeit des UsNA’schen Zinkleims in der Chirurgie. — Untersuchungen über die Magenverdauung bei Nierenentzündung. — 
Behandlung des Keuchhustens mit Uabain. — Anwendung von Borax bei Epilepsie. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. IX. Conyreß für 
innere Medicin. Gehalten zu Wien vom 15. — 18. April 1890. (Orig.Ber.) IV. — Neunzehnter Congreß der Deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie. Gehalten zu Berlin vom 9.—12. April 1890. (Orig.-Ber.) IV. — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher 
Aerzte in Prag . (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Itfedici-nische Klinik, des Prof. v. Koränyi in 
Budapest. 

Untersuchungen über die Aetiologie des 
Lungenbrandes. 

Von Dr. A. Hirschler und Dr. P. Terray, 

Assistenten der Klinik. 

(Schluß.) 

Aus der Reihe der zahlreichen Thierversuche, die wir 
mit der beschriebenen Bacterienart behufs Studiums ihrer 
pathogenen Wirkung ausfiihrten, sollen die folgenden erwähnt 
werden: 

1. Einem Kaninchen (3600 Grm.) wird J / 3 Ccm. einer mit 
sterilem, destillirtem Wasser bereiteten Aufschwemmung in die rechte 
Ohrvene injicirt. In den nächsten Tagen trat nebst continuirlichem 
40—40-5° Fieber auffallende Abmagerung ein, am 8. Tage läßt 
das Fieber nach, das Thier wird munterer, am 10. Tage sind die 
obigen Erseheinungen znrtickgegangen. Bei oftmaliger Wiederholung 
dieses Versuches war der oben skizzirte Verlauf stets der gleiche. 

2. In die rechte Pleurahöhle eines Kaninchens wird 1 / 2 Ccm. 
der Reincultur injicirt. Von diesem Tage an konnte continuirliches 
Fieber (40*5—41°) constatirt werden, das Thier wurde hochgradig 
dyspnoisch, zeigt raschen Kräfte verfall, der am 6. Tage zum Tode 
führt. Das Seetionsergebniß war folgendes: Auf beiderseitiger 
Pleura die Erscheinungen acuter Entzündung mit Blutextravasaten, 
auf den rechten Pleurablättern dicke mehrschichtige Fibrin- 
auflagerongen, auf dem parietalen Pericardialblatte zahlreiche Blut- 
extrava8ate. Auf der unteren Fläche des rechten mittleren Lappens 
mehrere linsen* bis halbkreuzerstückgroße, theils vereinzelte, theils 
durch Zusammenfließen solcher noch größere dunkelbraune, an ein¬ 
zelnen Stellen schmntziggrtinliche, breiig erweichte Herde, in deren 
Nachbarschaft das Lnngengewebe dnnkelroth, derb und luftleer ist. 


In den Colturen, die aus den pleuralen Auflagerungen und aus den 
erwähnten Lungenherden 1)ereitet wurden, konnte die eingeführte 
Bacterienart fast in Reiuculfur gezüchtet und deren charakteristische 
Wachsthumsverhältnisse und biologische Eigenschaften nachgewiesen 
werden. 

3. In die rechte Lunge eines Kaninchens wird 1 Ccm. der 
mit sterilem Wasser bereiteten Culturaufschwcmmung injicirt. Am 
nächsten Tage ist das Thier auffallend matt, hochgradig dyspnoisch, 
Temperatur 40-8°; diese Erscheinungen blieben constant bis zu dem 
Tode, der am 9. Tage eintrat. Bei der Section fanden wir hämor¬ 
rhagische Pleuritis, das Luugengewebe zeigt zwei kreuzergroße 
breiige, schmutzigbrauue, grünliche Herde, in deren Nachbarschaft 
das Lungengewebe dunkelbraun, luftleer ist. Die mikroskopische 
Untersuchung zeigte, daß die necrotischen Horde aus körnigem, 
kaum färbbarem Detritus und aus Coccenhaufen bestanden, in deren 
Nachbarschaft ira infiltrirten Lungengewebe Blutungen stattfanden, 
im interalveolaren Bindegewebe und in den Septis kleinzellige In¬ 
filtration, das Lumen der Lnngenalveolen durch reichlich desquamirte 
Epithelzellen ausgefüllt. Aus dom erwähnten Detritus isolirten wir 
die eingefübrte Bacterienart, während pyogene Bacterien nicht nach¬ 
weisbar waren. 

4. Bei directer Einführung der Aufschwemmung der Rein- 
cultur in die Luftröhre von Kaninchen (2—3 Tropfen) zeigten 
die Thiere rasch vorübergehende Dyspnoe und Temperatursteigerung; 
wurden die Thiere einige Tage später getödtet, fanden sich purulente 
Bronchitis, Lnngenatelektasen und catarrhalisch-pneumonische Herde ; 
Zerfall des Lungengewebes fehlte vollkommen. Im Bronchialsecret 
fanden wir reichlich die injicirten Mikrococcen. 

DieerwähntenThierversuchewiesenzweifel- 
los nach, daß die von uns gefundenen Mikro- 
coecen pathogene Wirkung entfalten, sowohl in 
die Blutbahn gelangt, als in ihrer localen Wir¬ 
kung auf die Pleura, das Lungengewebe und die 
Schleimhaut der Luftwege, obzwar ihre Wirkung 
auf dem Wege der Blutbahn mehr in allgemeinen Erschei¬ 
nungen (Fieber) sich entfaltet, während ihre locale Wirkung 


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auf der Schleimhaut der Luftwege und der Pleura die Form 
heftiger Entzündung, im Lungenparenchym jene circumscripter 
Necrose besitzt. 

* * 

* 

Nachdem die erwähnten Untersuchungen die specifisch 
pathogene Wirkung der eingeimpften Bacterienart erwiesen, 
untersuchen wir, welchen Einfluß die verschie¬ 
denen antifermentativen Arzneistoffe auf deren 
vitale Eigenschaften und Wachsthumsverhält¬ 
nisse ausüben. 

In erster Reihe richteten wir unser Augenmerk auf jene, 
die in der Therapie des Lungenbrandes den meisten Erfolg 
haben. So das Sublimat, über dessen ausgezeichnete Heil¬ 
wirkung in Form von Inhalationen Prof. v. Koränyi im 
„Orvosi Hetilap“, 1889, Mittheilung machte. Weiters wurden 
die Carbolsäure, Eucalyptus, Terpentinöl, Menthol, Myrthol 
und Alkohol untersucht. 

Der Gang der Untersuchung war stets der folgende: In 
die Reagensgläser, die 10 Ccm. Gelatine oder Agar enthielten, 
wurden von der 2 1 2 und 5% Carbollösung, der Sublimat¬ 
lösung 1 : 5000 und 1 : 10.000. V»o» V*o» Vso» %0 Ccm. hinzn- 
gefiigt. Von dem Terpentin- und Eucalyptusöl zur gleichen 
Menge des Nährsubstrats I, 3, 6, 10 Tropfen, vom 20% 
Mentholöl und Myrthol 8, 6 Tropfen, dem absoluten Alkohol 
0, 10, 12, 20 Tropfen. 

Im weiteren Verlaufe der Untersuchungen wurden von 
den mit verschiedenen Arzneimitteln versehenen und mit den 
Bacterien eingeimpften Nährmedien Impfungen auf Gelatine, 
Agar und Blutserum ausgeführt, um zu entscheiden, wie sich 
die Lebensfähigkeit der durch Arzneimittel beeinflußten Bac¬ 
terien verhält. 

I. Versuchsreihe: Am 23. März wurde zu 10 Ccm. Ge¬ 
latine jo V 20 Ccm. einer 5%, 2V 2 % Carbollösung, 1 : 50.-0, 

1 : 10.000 Sublimatlösung, je l Tropfen von Oleum terebin- 
thinae, Oleum eucalypti liinzugefügt. 

Die Entwicklung der Bacterien wurde kaum beeinflußt. 

II. Versuchsreihe: Am 18. April zu 10 Ccm. Gelatine 
je 20 Ccm. einer 5%, 2V 2 % Carbollösung, 1 : 5000, 

1 : 10.000 Sublimat, je 3 Tropfen Oleum terebinthinae und 
Oleum eucalypti. 

Die mit 5% Carbollösung und 1 : 5000 Sublimatlösung 
versehene Gelatine zeigte eine auffallende Abschwächung des 
Wachsthums der eingeimpften Bacterienart, so auch die mit 
Oleum eucalypti bereitete Mischung. 

III. Versuchsreihe: Zu 10 Ccm. Gelatine wurden je 
V 20 Ccm. einer 5%, 2 , /,% Carbollösung, 1 : 500t), 1 : 10.000 
Sublimatlösung hinzugefügt. 

Die mit 5% Carbollösung und 1 : 5000 Sublimatlösung 
bereiteten Mischungen lassen erst nach Monaten ein ganz ge¬ 
ringes Wachsthum der eingeimpften Bacterien erkennen, so 
auch die mit 2 %% Carbol- und 1 : 10.000 Sublimatlösung 
bereiteten Nährsubstrate. Je 6 Tropfen Oleum terebinthinae 
und 01. eucalypti hinderten das Wachsthum auffallend. 

In den weiteren IV., V., VI., VII. Versuchsreihen wurden 
je % 0 Ccm. den öfter erwähnten Nährsubstraten beigemischt, 
die insgesammt, so auch 3 Tropfen des 20% Mentholöls und 
Myrthols, ein unverkennbares, ganz auffallendes und durch oft¬ 
malige Wiederholung des Versuches bestätigtes Zurückbleiben 
des Waehsthnms erkennen ließen. In der VIII. Versuchsreihe 
wurde der Einfluß des Alkohols untersucht, von dem 10 bis 
20 Tropfen genügend waren, das Wachsthum der Bacterien 
auffallend hintanzuhalten. 

Fassen wir die Ergebnisse unserer Versuche zusammen, 
so lassen sich aus denselben folgende Schlüsse ziehen: 

1. In drei Fällen von Lungenbrand gelang es uns ständig, 
eine bisher nicht beschriebene Mikroeoccusart sowohl im 
Sputum als auch im brandigen Lungengewebe nacli zu weisen. 

2. Dieser Mikrococeus ist auf verschiedenen Nährsub¬ 
straten zu züchten, denen derselbe den charakteristischen Ge¬ 
ruch des brandigen Sputums verleiht. 


3. Uebt derselbe eine pathogene Wirkung aus, indem 
er, eingeimpft, im Lungengewebe sowohl pathologisch-anato¬ 
misch als histologisch dem Lungenbrand vollkommen ent¬ 
sprechende locale Veränderungen hervorruft. 

Demgemäß läßt sich der beschriebenen Bacterienart eine 
specifisch pathogene Wirkung zuschreiben und ist dieselbe 
somit als causales Moment des Lungenbrandes zu betrachten. 

Weitere Untersuchungen sind berufen, nachzuweisen, ob 
die beschriebene Bacterienart in allen Fällen des primären 
Lungenbrandes zugegen ist, oder, wie die bisherigen Unter¬ 
suchungen es wahrscheinlich machen, ob den pathologisch¬ 
anatomisch einheitlichen Fällen des Lungenbrandes vom bac- 
teriologischen Standpunkte verschiedene ätiologische Momente 
zu Grunde liegen. 

In den letzten Jahren haben auf empirischer Grundlage 
die antifermentativen Arzneimittel in der Behandlung des 
Lungenbrandes eine stets zunehmende Aufmerksamkeit erregt. 
In der Klinik wurden seit Jahren das Sublimat, die Carbol¬ 
säure, Terpentin-, Eucalyptus-Einathmungen mit mehr weniger 
Erfolg angewendet. 

Die mitgetheilten experimentellen Ergebnisse bestätigen 
auf bacteriologischcm Wege unsere empirischen klinischen Er¬ 
fahrungen , indem dieselben in Anbetracht der Wirkung auf 
den isolirten Mikrococeus die folgende Reihenfolge der Wir¬ 
kungsintensität erkennen lassen: am stärksten wirkte das 
Sublimat, Carbol und Eucalyptus, dann folgt das Terpentinöl, 
weiters Menthol, Myrthol und Alkohol. 

Das schwerwiegendste Hinderniß der erfolgreicheren 
Therapie des Lungenbrandes besteht zweifellos darin, daß die 
eingeathmeten antifermentativen Heilmittel, wenn sie auch 
genügend concentrirt angewendet werden, entweder gar nicht 
oder in zu geringer Menge zu dem Krankheitsherde gelangen. 
Diese Erfahrung führte auch uns in neuester Zeit zu dem 
Versuche, die erwähnten Substanzen auf dem Wege der In- 
jectionen in das Lungengewebe anzuwfcnden, ein Verfahren, 
dessen Resultaten wir mit um so regerem Interesse entgegen¬ 
sehen, als die Anwendung desselben zu einer Zeit, wo der 
Proceß noch umschrieben und physikalisch frühzeitig nach¬ 
weisbar ist, in der Bekämpfung dieser prognostisch so traurigen 
Erkrankung ein erfolgversprechender zu sein scheint. 

Ueber 

Rheostate und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Qnechsilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, k. k. Professor 

in Wien. 

(Fortsetznng.) 

Von diesem Resultate nicht befriedigt, machte ich mit 
weniger gut leitenden Flüssigkeiten Versuche, so z. B. mit 
einer Glycerin-Wassermischung; allein bei dieser war der 
sofortige Abfall der Stromstärke schon bei Einschaltung der 
kürzesten Flüssigkeitssäule noch rapider, während andererseits 
die ganze 120 Cm. lange Flüssigkeitssäule eine Stromstärke 
von 40 M.-A. nur auf 03 M.-A. zu reduciren vermochte. 

Diese Versuche, sowie frühere Erfahrungen mit Flüssig- 
keitsrheostaten verschafften uns die Ueberzeugung, daß man 
mit derlei Apparaten allerdings eine ganz gleichmäßige und 
bei entsprechender Einrichtung und Handhabung derselben 
auch nur ganz allmälige Vermehrung, beziehungsweise Ver¬ 
minderung der Stromstärke herbeiführen könne, daß aber im 
Ganzen jene Flüssigkeitsrheostate, die mit einer nicht allzu 
schlecht leitenden Flüssigkeit beschickt werden, vor jenen mit 
besonders schlecht leitenden Flüssigkeiten gefüllten den Vor¬ 
zug verdienen; daher sind entschieden die altbekannten Flüs- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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sigkeitsrheostate, bei denen Zinkstäbe in langen verticalen 
Glasröhren in verdünnter Zinkvitriollösung auf und ab ver¬ 
schoben werden können, die besten. Sie gestatten, den Strom 
in gewissen Grenzen ganz allmälig und ganz gleichmäßig 
ein- und auszuschleichen. Nur krystallisirt das Zinkvitriol in 
Folge der Wasser Verdunstung rasch heraus und behindert dann 
das Verschieben der Zinkstäbe in den engen Glasröhren. Bei 
Anwendung gewöhnlichen oder ganz schwach angesäuerten 
Wassers tritt wieder die Polarisation störend ein, auch müssen 
dann die Ausleitungen aus Platin bestehen. Für starke Ströme 
dagegen sind Flüssigkeitsrheostate einerseits wegen der hiebei 
unausweichlichen Zersetzung, sowie andererseits wegen ihres 
im Ganzen nicht sehr bedeutenden Gesammtwiderstandes nicht 
zu gebrauchen. 

Als wir mit unseren Versuchen so weit waren, publicirte 
Prof. Dr. A. Eulenburg (in Nr. 16 der „Berliner klinischen 
Wochenschrift“ ex 1889) die Beschreibung eines nach seiner 
Angabe von der bekannten Berliner Firma W. A. Hirsch¬ 
mann ausgeführten FJüssigkeitsrheostates für transportable 
Batterien, der nach einem ganz anderen Principe ausgeführt 
war: In einem parallelopipedischen Hartgummikästchen 
von 6 Cm. Höhe, 5% Cm. Länge und 4 Cm. Breite (Fig. 4) 

befindet sich eine mit der 
rechten, mit dem Plus¬ 
zeichen versehenen Draht¬ 
klemme leitend verbundene 
Metallfläche, sowie ein mit 
der linksseitigen, das Minus¬ 
zeichen tragenden Draht¬ 
klemme in Verbindung 
stehender Metallstab als 
Verlängerung der Achse 
der Drehscheibe K. Nach 
Entfernung derHartgummi- 
schraube A wird etwa bis 
zur Höhe der Klemmschrau¬ 
ben gewöhnliches Trink¬ 
wasser in das Hartgummi¬ 
kästchen eingetragen. Wird dieser Apparat in die Hauptleitung 
einer galvanischen Batterie geschaltet, so eirculirt der Strom 
von der positiven Klemme durch die Flüssigkeit zur negativen 
Klemme, und repräsentirt diese Anordnung das möglichste Mini¬ 
mum des Widerstandes, beziehungsweise das denkbare Maximum 
der Stromstärke. Mittelst der Drehscheibe K kann nun über 
den mit der negativen Klemme leitend verbundenen Metall¬ 
stab ein seitlich geschlitzter Hartgummicylinder ganz allmälig 
herumgedreht werden, durch welche Manipulation der Quer¬ 
schnitt der zwischen der Metallfläche und dem Metallstabe 
befindlichen Flüssigkeitsschichte stetig verkleinert wird, in 
Folge dessen der Widerstand derselben in gleichem Maße zu¬ 
nimmt. Ein unterhalb des Knopfes K beiderseits hervorragen¬ 
der horizontaler Metallstab fixirt die rechterseits wie linker¬ 
seits ausführbare Halbdrehung des Knopfes K am Sperrstifte 
Z. Ist letzterem die Signatur Maximum zunächst stehend, so 
repräsentirt diese Einstellung die möglichste Verkleinerung 
des Flüssigkeitsquerschnittes in der vorhin angegebenen Weise 
bis auf einen ganz feinen Spalt, somit das erreichbare Maximum 
des Widerstandes, beziehungsweise das Minimum der Strom¬ 
stärke. Umgekehrt repräsentirt die Einstellung der Signatur 
Minimum zunächst dem Sperrstifte Z das Minimum des Wider¬ 
standes dieses Apparates, beziehungsweise das Maximum der 
Stromstärke. Innerhalb dieser beiden Grenzen kann, was aus 
dem Angedeuteten schon an und für sich erhellt, das Ver¬ 
mindern, beziehungsweise Verstärken der Stromintensität ganz 
allmälig und ohne jede Stromessehwankung, geschweige denn 
Stromesunterbrechung, vorgenommen werden. 

W. A. Hirschmann zählt als Vorzüge dieses Rlieo- 
states folgende 6 Punkte auf: 1. Absolute Zuverlässigkeit, 
2. Unmöglichkeit einer Stromesunterbrechung oder Stromes¬ 
schwankung. 3. sehr einfache Handhabung. 4. sichere Trans- 


portirbarkeit und Dauerhaftigkeit, 5. geringe Größe und 6. 
leichte Vereinigung mit jedem Apparate. Ich bestätige nach 
eingehender Prüfung und einer langen Reihe von mit diesem 
Apparate angestellten Versuchen diese 6 Punkte vollinhaltlich. 

Allein es haften diesem Apparate auch gewisse Mängel 
an, die zum Theil allen Flüssigkeitsrheostaten eigen sind und 
zum Theil sich auf die Verwendung unedler oxydirbarer 
Metalle und reinen Wassers einerseits, sowie auf die eigen¬ 
artige Construction des Apparates andererseits beziehen. Statt 
einer kritischen Erörterung referire ich einfach über das 
Resultat eines der vielen mit diesem Apparate angestellten 
Experimente: Ich schaltete diesen Rheostat in die Haupt¬ 
schließung einer Batterie, die am großen EDELMANN’schen 
Einheitsgalvanometer bei kurzem Schluß 3) M.-A. anzeigte. 
Stellte ich den Knopf der Drehscheibe so, daß das Widerstands¬ 
maximum des Apparates eingeschaltet war, so reducirte dieser 
die Gesammtstromstärke von 30 M.-A. auf 0’6 M.-A. Machte 
ich sodann mit der Drehscheibe eine Halbdrehung nach rechts, 
wobei das Minimum des Rheostatwiderstandes eingeschaltet 
wurde, so zeigte das Galvanometer 17 M.-A. an; es gestattet 
somit dieser Apparat von der disponiblen Stromstärke nur 
die Benützung von 50% und sind die restlichen 44°/ 0 bei 
Anwendung desselben nicht benützbar. Läßt man übrigens 
diesen Rheostat in der angegebenen Weise eingeschaltet, so 
ändern sich dessen Widerstands Verhältnisse schon in kurzer 
Zeit. So z. B. zeigt das Galvanometer nach 5 Minuten als 
Maximum der Stromstärke 15 M.-A. (somit 50% der dispo¬ 
niblen Stromstärke der Batterie) und als Minimum der Strom¬ 
stärke 0’8 M.-A.; nach weitern 5 Minuten beträgt das Maximum 
der Stromstärke 13 M.-A., das Minimum 1 M.-A., nach 
weitern 5 Minuten zeigt das Galvanometer 12 M.-A. als 
Maximum und 1 M.-A. als Minimum der Stromstärke und 
nach noch fernem 5 Minuten war die Stromstärke auf 10 M.-A. 
gesunken, während das erzielbare Minimum 1 M.-A. blieb. 
Betrug somit das Maximum der verwendbaren Stromstärke 
unmittelbar nach dem Einschalten blos 56%, so sank dieses 
während des Schlusses innerhalb der nächsten 20 Minuten 
stetig bis auf 33% herab. Ein merkliches Absinken der 
Stroraesintensität war übrigens schon nach einer Minute nach¬ 
weisbar, was z. B. bei Erregbarkeitsprüfungen zu Fehlschlüssen 
Veranlassung geben könnte. 

Der neue Hirschmann ’sche Fliissigkeitsrheostat vermochte 
somit trotz seiner sinnreichen Construction und compendiösen 
netten Ausführung unsere über Flüssigkeitsrheostate gewon¬ 
nene Anschauung nicht zu alteriren. Aus diesem Grunde 
kehrten wir abermals zu den Versuchen, das vorgestreckte 
Ziel (einen Rheostat herzustellen, der das Zu- und Abnehmen 
der Stromesiutensität ganz gleichmäßig und ohne jede Stromes- 
schwnnkung ermöglichen sollte) mit Hilfe eines entsprechenden 
Graphitrheostates zu erreichen, zurück. (Fortsetzung folgt.) 

Mittheilungen aus der Praxis 

Ein Fall von Nona. 

Berichtet vou Dr. Gustav Hammerschlag, Arzt der Bezirks- 
kraukeucasse Ivolin. 

Am 8. April d. J. wurde ich zu dem 14jährigen Arbeiter 
W. B. gerufen, der als Vorlagenzoichner in der hierortigon Buch¬ 
druckerei beschäftigt ist. Im Januar d J. war derselbe durch drei 
Wochen au Influenza von mir behandelt worden. Am 7. April war 
Pat. noch in der Arbeit; am 8. Früh klagte er über allgemeine 
Abgescblagenheit und über Schmerzen in der Schläfegegend und im 
Hinterhaupte; um 5 Uhr Nachmittags legte er sich zu Bette und 
schlief sofort ein ; nach 6 Uhr wollte die Umgebung ihn wecken, 
konnte jedoch den Pat. nicht zum Erwachen bringen; erschreckt 
über diesen tiefen Schlafzustand ging man mich um sofortige ärzt¬ 
liche Hilfe an. Außer der oben schon bezcichneten Influenza war 
Pat. nie krank, versäumte nie einen Arbeitstag, erlitt nie ein Trauma, 



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war sehr mäßig, wurde geistigen Getränken fern gehalten, rauchte 
nie; der sonst sehr lebhafte und agile Junge kannte keine depri- 
mirenden Gemtlthsaffecte, ebensowenig leidet derselbe au epilepti- 
formen Anfällen. Der Pat. ist gut genährt, seinem Alter ent¬ 
sprechend von kräftiger Körperconstitution; Schwellung von Nacken¬ 
drüsen nicht tastbar. Ich fand das Gesicht normal gefärbt, die 
Stirn trocken, die Körpertemperatur ergab die normale Wärme; 
die Extremitäten nicht schlaff, am ganzen Körper kein Zeichen 
einer erlittenen Verletzung. 

Die Mundwinkel waren beiderseitig gleich, die Nasolabialfalten 
deutlich ausgeprägt; die Lidschließer contrahirten sich beim Ver¬ 
suche, die Lider zu Öffuen; die Augenachsen zeigten sich normal, 
nicht abweichend; die Pupillen, nicht verengt, reagirten auf Licht. 
Sämmtliche Muskelgruppen zeigten normales Verhalten, insofern sie 
nicht contrahirt waren; es waren weder Nackenstarre, noch convul- 
sivische Zuckungen vorhanden; motorische Lfthmungserscheinungen 
waren nicht nachweisbar. Bei der Prüfung auf die Sensibilität war 
an der Stirn-, beiderseitigen Wangen , Nasen- und Kinngegend eine 
bedeutende Anästhesie zu constatiren, ebenso an der oberen Partie 
des Halses, an der vorderen Thoraxmusculatur beiderseitig bis zur 
Axillarlinie reichend; an diesen bezeichneten Stellen wurden die 
stärksten Nadelstiche und sehr starkes Kneifen nicht empfunden; 
an der Übrigen Körperoberflächo war die Sensibilität vollends er¬ 
halten. Die Respiration war gleichmäßig, normal, nicht aussetzend, 
nicht schnarchend, nicht stertorös, sondern die eines normal 
Schlafenden. Der Puls 68 in der Minute. Die Wirbelsäule bot 
keine abnorme Empfindlichkeit. Die Herztöne waren rein, der 
Herzstoß normal. 

Nach dieser Untersuchung machte ich Weckversuche; ich 
comprimirte den Thorax, ließ denselben mit kaltem Wasser an¬ 
spritzen, goß aus ziemlicher Höhe einige Liter kalten Wassers auf 
das Hinterhaupt, rief Pat. sehr laut an; dies Alles war vergebens. 
Als starke Sinapismen auf die Nackengegend, die eine starke 
Röthung daselbst hervorriefen, gelegt wurden, wollte der Kranke 
dieselben entfernen. Diesen Moment benützte ich, rief denselben 
stark an, stellte ihm einige Fragen, die er in kurzen, gut articnlirten 
Worten beantwortete; Zungenlähmung war nicht vorhanden, ebenso 
öffnete ich ihm die Lider, hielt ihm verschiedene Gegenstände vor, 
die er sofort erkannte, im selben Momente jedoch setzte er seinen 
Schlaf wieder fort; auf die Frage, warum er denn schlafe, erwiderte 
er, „es zwinge ihn zu schlafen“. Spontan verlangte er nicht nach 
Nahrung, dazu mußte er gezwungen werden; das Schlingen war 
etwas erschwert, Geschmacksempfindungen waren correct. Dieser 
unfreiwillige Schlafzustand dauerte durch 5 Tage, ebenso die oben 
bezeichnete Anästhesie. Am 6. Erkrankungstage eonstatirte ich 
eine Zunahme der Sensibilität, und zwar zuerst an der Stirn und 
Wange; am 7. Erkrankungstage wurden die Ohren und das Kiun, 
sowie die Nase gegen Stiche empfindlicher, das Kneifen an der 
Musculatur der oberen und vorderen Thoraxfläche sowie an den 
Beugeseiten der oberen Extremitäten empfand er dagegen nicht; am 
17. April, also 9 Tage nach erfolgter Erkrankung, war die Sensi¬ 
bilität wieder normal. Mit der Abnahme der anästhetischen Stellen 
war auch die Schlafsucht nicht mehr eine so tiefe, er wurde leichter 
aufgeweckt, antwortete schneller. 

Ohrenklingen und Flimmern vor den Augen, sowie Kopfschmerz 
und Schwindel waren nicht vorhanden. Urin und Stuhl wurden in 
längeren Zwischenräumen, wenn er dazu ermahnt wurde, abgesetzt. 
In einem unbewachten Augenblick schlief Pat. auf dem in einer 
entfernten Ecke des Krankenzimmers befindlichen Nachtstuhle, im 
Begriffe seine Nothdurft zu verrichten, fest ein. 

Im Urin fand ich keine fremden Bestandteile, kein Albumen, 
keinen Zucker. Schritte werden von dem Kranken etwas wankend, 
jedoch ohne Störung der motorischen Nerven vor- und rückwärts 
vollführt. 

Vom 18. April an ist nur noch eine Schlafneigung und eine 
gewisse Schlaffheit bei seinen Verrichtungen bemerkbar; seit dem 
20. nimmt er schon an Allem regen Antheil, sein heiteres Tem¬ 
perament stellt sich wieder ein. 

Recapitulire ich noch die vorwaltenden Symptome, so be¬ 
standen dieselben in einem durch mehrere Tage anhaltenden tiefen 


Schlafzustand, aus dem der Kranke sehr schwer geweckt wurde, 
mit einhergehender herabgesetzter Sensibilität und herabgesetzter 
Erregbarkeit des Nervensystems an den oben bezeichneten Muskel- 
gruppen ohne Aufhebung des Bewußtseins und der Funetionirung 
der Organe bei normaler Körpertemperatur; diese hier vorwaltendon 
Symptome schließen eine Gehirnerkrankung aus, ebenso hat 
dieser Zustaud durchaus keine Gemeinschaft mit einem typhösen 
Leiden; er kann aber auch nicht als ein Fall von Hysterie oder 
aber Hypochondrie angesehen werden, da keine gesteigerte Erreg¬ 
barkeit des Nervensystems und keine Refiexactionen weder in der 
motorischen und secretorischen, noch in der psychischen Sphäre nach¬ 
zuweisen waron, und fasse ich den hierorts vereinzelten Fall diese« 
Schlafzustandes als Nona auf. Mein Augenmerk während der Be¬ 
handlung war darauf gerichtet, dem Kranken genügend Kräfte 
zuzuführen, sein Nervensystem durch öftere Darreichung von starkem 
schwarzen Kaffee, kräftiger Bouillon, etc. zu erregen. Innerlich 
verschrieb ich ein Infusum arnicae und in den Tagen der Con- 
valescenz Ti net. Bestuschefii. 

Anknüpfend au diesen Fall erwähne ich als Nachkrankbeit 
der Influenza bei einem 15jährigen Knaben folgende Erscheinungen: 
Sch. Jul., Schüler der hiesigen Bürgerschule, Sohn einer vermögen¬ 
deren Familie, war nie krank; im Januar erkrankte er an Influenza, 
in Folge derer er 6 Wochen bettlägerig war, u. zw. machte sich eine 
solche Schwäche der unteren Extremitäten geltend, daß er nach Ablauf 
der Influenza nur mit Hilfe Anderer einige Schritte mühsam machen 
konnte. Durch Roborantien und Massage erholte er sich vollends, 
konnte immer besser ohne jedwede Beihilfe gehen; da traten 
während des Tages bei den verschiedenartigsten Körperverrichtungen 
Schlafzustände ein, die von halbstündiger Dauer und darüber 
waren; er geht über die Treppe, schläft auf der lotzteu Stufe ein, 
schreit, macht fortwährende Beißversuche und schlägt um sich. 
Einmal holt er sich mit Hilfe Aufsteigens auf einen Sessel von 
einer höher angebrachten Credenz eine Orange; in demselben 
Moment verfällt er in einen tiefen Schlaf und geberdet sich dabei 
wie tobsüchtig; aufgeweckt, weiß er von dem Vorgefalienen nichts; 
diese Zustände wiederholen sich öfter im Tage; des Nachts aber 
liegt er in ruhigem Schlafe. 


Referate und literarische Anzeigen. 


Franz Soll (Breslau): Zur Desinfection der Hände. 

Die Widersprüche zwischen den Ergebnissen der diese Frage 
betreffenden Untersuchungen Landsberg’s einer- uud Kümmkli/s und 
Füubringeb’s andererseits regten den Verf. an, das auf der Königs- 
berger Klinik von Mikulicz geübte Verfahren der Desinfection der 
Hände bacteriologisch zu prüfen. Das von Mikulicz seit nunmehr 
5 Jahren geübte Verfahren besteht darin, daß die Hände nach Ent¬ 
fernung des makroskopischen Nagolschmutzes zunächst 3 Minuten 
lang mit Kaliseife uud warmem Wasser tüchtig abgebürstet werden. 
Sodann werden sie ungefähr je eine halbe Minute mit 3proc. Carbol- 
säurelösung — bei Laparotomien 5% — und dann mit Sublimat 
1 /s°/oo abgewaschen ; schließlich werden die Unternägelräume und 
Nagelfalze mit lOproc. Jodoformgaze, die in 5proc. Carbolsäure- 
lösung gelegen hat, sorgfältig ausgerieben. Diese letztere Procedur 
nimmt ungefähr eine Minute in Anspruch. 

Die Versuche wurden derart vorgeuommeu, daß die Hände 
in eine Bouilloncultur von Staphylococcus pyogenes aureus einge¬ 
taucht und 1 Minute lang in derselben horumbewegt wurden, und 
man die Cultur antrocknen ließ, nachdem man die an den Händen 
hängende Flüssigkeit noch ordentlich verrieben hatte. Hierauf wurde 
die Desinfection vorgenommen, wobei der Versuch in der Weise variirt 
wurde, daß die Hände in einer Reihe von Versuchen 3 Minuten 
lang mit warmem Wasser, Seife und Bürste, in einer zweiten Reihe 
2 Minuten lang, in einer dritten Reihe nur 1 Minute lang bear¬ 
beitet wurden. 

Die Zeitdauer der Einwirkung der eigentlichen Desinficientien 
— CarbolBäure und Sublimat — blieb in allen Versuchen unver¬ 
ändert (je 1 / a Minute). Die Zeit der Ausreibuug der Nägel mit 


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der Jodoformgaze wurde ebenfalls notirt. Die Dauer der Desinfec- 
tion betrug so in den einzelnen Versuchen 5, 4 und 3 Minuten. 
Nach der Deeinfeetion wurden die Hände 2 Minuten lang in steri- 
lisirtem Wasser abgewaschen und für 30—60 Secunden in lau¬ 
warme flüssige Gelatine getaucht, die nach dem Versuche erstarrte. 

Die Resultate dieser in Nr. 17 der „Deutsch, mcd. Woch.“ 
veröffentlichten Versuche sind sehr interessant. Bei allen Versuchen 
der ersten Reihe, bei denen die Seifenwaschungen 3 Minuten be¬ 
trugen, blieb die Gelatine steril. Unsicher erwies sich die Desin 
fection, wenn man die Seifenwaschung auf 2 Minuten oder auf 
1 Minute herabsetzte. Auch erwies sich bei diesem Dcsinfections- 
verfahren gerade die Combination der 2 kräftigen Antiseptica — 
Carboisäure und Sublimat — von sicherer Wirkung. Die Weg¬ 
lassung des einen oder des anderen Desinficiens ergab keine sichere 
Desinfection mehr. Nicht minder wichtig scheint — nach B. — 
das Ausreiben der Unternagelräume und Falze mit nasser Jodo 
formgaze. Bei 2 Versuchen, bei welchen dies unterlassen, das Des- 
infectionsverfahren aber sonst unverändert angewandt wurde, blieb 
die Gelatine nicht steril; einmal fanden sich 12, ein zweites Mal 
32 Keime von Staphylococcen. Die Wirkungsweise der nassen 
Jodoformgaze ist nach Verf. eine mehrfache; neben der mechani¬ 
schen, säubernden und desinfleirendon Wirkung bietet sie noch den 
Nutzen, daß kleine Jodoformpartikelchen die tiefsten Winkel der 
Unternagelräume ausfüllen und so gegen die Utngebuug absperren. 
Auch mögen hier minimale Mengen Carbolsäure zurückbleibeu, 
welche eine Nachwirkuug auf die in der Tiefe der Falte etwa fest¬ 
haftenden Keime ausüben. 

In 2 Versuchen wurde jedes Antisepticum weggelassen, und 
die Hände nur 3, resp. 5 Minuten mit Seife, Bürste und warmem 
Wasser bearbeitet, sodann 3 Minuten iu sterilisirtem Wasser abge¬ 
bürstet und schließlich die Unternagelräurae mit sterilisirter Gaze 
aus sterilisirtem Wasser ausgerieben. Beide Male wuchsen in der 
Gelatine unzählige Staphylococcen. 

Diese Versuche lehren also, daß das MiKULlcz’scho Desin fections- 
verfahren der Hände, wenn auch etwas umständlich, so doch sicher ist. 

M. 


E. Staffel (Chemnitz): Ueber Verengerung und Ver¬ 
schlug* in den verschiedenen Abschnitten des 
Magendarmcanals und deren chirurgische Be¬ 
handlung. 

Verf. theilt an 55 einschlägigen Fällen, welche er an der 
chirurgischen Abtheilung des Diakonissenhospitals zu Dresden im 
Verlaufe von 5 1 /* Jahren beobachtete, seine Erfahrungen hin¬ 
sichtlich Diagnose und Behandlung in Nr. 347 der Volkmann 'sehen 
Sammlung klinischer Vorträge mit. Der Beobachtung wurden haupt¬ 
sächlich unterzogen: 1. Fremdkörper im Oesophagus und imperme¬ 
able Stricturen desselben caroinomatöser oder narbiger Natur; 
2. carcinomatöse Stenosen des Pylorus; 3. Stenosen oder Ver¬ 
schließungen in den übrigen Darmabschnitten (Abknickung, Drehung, 
Darmwandcarcinome). 

Nicht einbezogen in die Erörterungen sind 1. die carcinoma- 
tösen Oesophagusstrioturen, insoweit sie permeabel waren, und 2. die 
Fälle von incarcerirten Hernien. 

Wegen der Erstickungsgefahr, sowie der Möglichkeit einer 
Perforation und Gangrän der Trachea mit septischer Phlegmone 
sind Fremdkörper im Oesophagus möglichst bald auf unblutigem 
Wege oder durch Oesophagotomie zu entfernen. 

Für Fälle von impermeabler carcinomatöser Oesophagusstrictur 
erscheint die Gastrostomie als das beste Verfahren. Bei narbigen 
Verengerungen besteht hiebei die Möglichkeit, nach vollzogener 
Operation die stricturirte Stelle zu dilatiren; für jeden Fall müssen 
die Patienten jedoch soweit bei Kräften sein, um die Operation 
selbst und die in den ersten Tagen noch unzureichende Ernährung 
durch die Magenfistel auszuhalten. 

An zwei Fällen von Pyloruscarcinom hat Verf. die Gastro¬ 
enterostomie ausgeführt, beidemal mit tödtlichem Ausgang. 

In den Fällen vou Stenosen in den tieferen Darmabschnitten, 
zu denen sich oft das Bild des Ileus hinzugesellt, handelt es sich 
zum Zwecke der Bestimmung therapeutischer Maßnahmen vorerst um 
Sicherstellung der Diagnose. 


Bei acutem Darmverschluß im oberen Duodenum und Jejunum 
fehlt fäculentes Erbrechen, der Leib ist muldenförmig eingezogen, 
Stuhl und Flatus sind vorhanden, es besteht hochgradige Gastrec- 
tasie; bei Verschluß im unteren Jejunum oder Ileum findet sich 
dagegen das volle Bild des Ileus; nur wenn der Tod sehr rapid 
cintritt oder bei unvollständigem Darmverschluß kann dieses Symptom 
doch fehlen. Neben ligamentösen Strängen, Adhäsionen, Ab¬ 
knickungen, Achsendrehung etc. bietet die Invagination am häufigsten 
die Veranlassung der Darmocclusion, und zwar speciell im Ileum. 
Verf. hat 7 derartige Fälle operirt. 

Bei acutem Verschlüsse des Colons ist der Krankheitsverlauf 
vom Anfang an weniger stürmisch; die Ursache der Stenose ist am 
häufigsten Ansammlung von Kothmassen, welche durch ausgiebige 
Wassereingießungen leicht zu beheben ist. 

Die nächst häufige Ursache des Colonverschlusses ist Achson- 
drehung der Flexura sigmoidea (zwei derartige Fälle wurden vom 
Verfasser beobachtet). Das Bild der chronischen Stenosen entwickelt 
sich am häufigsten in Folge von Carcinom des Colon und Rectum; 
dabei finden sich anfangs leichte Ileuserscheinungen, bis nach wochen- 
oder monatelanger Dauer absoluter Darraverschluß eintritt. — 
Bemerkenswerth scheint es noch, daß es in vielen Fällen, wo neben 
peritonitischen auch Erscheinungen des Ileus bestehen, die primäre 
Erkrankung zu erkennen nicht leicht fällt. Drei socho Fälle von 
8ecundärem Darmverschluß wurden vom Verf. behandelt. 

Die Therapie der Darmocclusion richtet sich nach deron Sitz. 
Hochsitzende Stenosen im Duodenum verlaufen so acut, daß auch 
von einem chirurgischen Eingriff wenig zu hoffon ist. Boi Sitz der 
Occlusion in den unteren Darmabschnitten dagegen ist ein solcher, 
falls Opium und Wassereingießungen nichts gefruchtet, direct indicirt, 
und zwar sind solcho Fälle mit Laparotomie und Aufsuchung des 
Hindernisses zu behandeln, dabei für Entlastung der geblähten 
Schlingen durch Punction zu sorgen; vor Reposition geblähter 
Schlingen, welche einen neuerlichen Ileus bedingen können, ist drin¬ 
gend zu warnen; zweckmäßig ist es, jeder Ueuslaparotomie eine 
Darmausspülung vorausgehen zu lassen. 

Bei herabgekommenen Individuen, bei denen eventuell schon 
Zeichen der Peritonitis bestehen, ist Enteroätomie die geeignete 
Operation, welche allein ausroicht, das Hindorniß dauernd zu besei¬ 
tigen. Bei secundärem Ileus erscheint jeder Eingriff aussichtslos. 
Carcinome des Rectums erfordern, wenn möglich, Radicaloperation, 
und zwar mittelst hinteren Rapbeschnittes mit gleichzeitiger Resection 
des Kreuz- und Steißbeines, Herabziehen und Einnähen des oberen 
Darmendes, womöglich mit Erhaltung des Muse, sphinct. ani ext. — 
Bei inoperablen Carciuomon des Colon und Rectum und bei vollstän¬ 
digem Colonverschluß mache man Colostomie, und zwar am besten 
nach der KöNlG’schen Methode, iudem man beide Darmlumina in 
die Bauchwunde einnäht. Ein solcher Anus praeternat. bietet relativ 
geringe Beschwerden ; sehr bedeutend sind dagegen dieselben bei einem 
Dünndarmafter, selbst bei tiefster Lage im Ileum. Bessere Resultate 
für die Zukunft verspricht in solchen Fällen die Enteroanastomose 
nach Billroth und Hacker. 

Zum Schlüsse fügt Verf. seinen Erörterungen eine tabella¬ 
rische Zusammenstellung über 20 Fälle von Excisio, resp. Rcsectio 
recti bei. G. 


Die Urämie. Von Dr. L. Landois, Geh. Medicinalrath, o. ö. Pro¬ 
fessor der Physiologie und Director des physiologischen Institutes 
der Universität Greifswald. Wien und Leipzig 1890. Urban 
und Schwarzenberg. 

Nach anderthalb Deoennion währenden Studien hat L.VNDOIS 
ein Gesammtbild der klinischen Erscheinungen der Urämie und 
der Versuche entworfen, die wirksamen Stoffe und die Angriffs¬ 
punkte derselben zu erforschen. 

Seit C. v. Voit’s Untersuchungen ist es wohl klar, daß nicht 
dem Harnstoff allein und fiir sich oder den angeblich wirksamen, 
thatsächlich nicht vermehrten Ammoniak und Kalisalzen des Blutes 
u. s. f., sondern der Zurückhaltung der gesammten Excretionsstoffe 
des Harnes die urämischen Erscheinungen zugeschrieben werden 
müssen. Es ist nun Landois gelungen, bei localer Application von 
solchen Körpern, von Kreatin, von Uratsediment, von Fleischextract 


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auf die Hirnrinde prägnante Bilder von Betäubung, Monospasmen, 
Hemispasmen, allgemeinen Convulsionen, Sopor etc. zu erzeugen; 
saures phosphorsaures Natron, kohlensaures Natron, Harnstoff zeigten 
sich nur schwach oder gar uicht wirksam. Application der an der 
Gehirnrinde wirksameren Substanzen zeigte, auf die Rautengrube 
applicirt, der Urämie fernestehende Erscheinungen, ebenso die Appli¬ 
cation am Rückenmark. So kam Landois zum Schlüsse, daß die 
Gehirnrinde auch bei der Urämie der Angriffspunkt jener reizenden 
Substanzen sei, unter denen dem Kreatin in erster Reihe eine 
mächtige Mitwirkung zugesprochen werden darf. Ein sorgfältiger 
Ueberblick der Reizerfolge von Gehirnrindenabschnitten nach der 
gesammteu vorliegenden Literatur läßt die Annahme berechtigt er¬ 
scheinen , daß, abgesehen von den selbstverständlich dem cen- 
tralou Nervensystem zugeschriebenen psychischen und motorischen 
Symptomen, auch den Verän derungen der Respiration, dem Speichel¬ 
fluß , dem Erbrechen etc. ein von der gereizten Gehirnrinde aus¬ 
gehender Anreiz zugesprochen werden darf. So scheint denn wirk¬ 


F e u i 11 e t o n. 


Die Frau auf dem Gebiete der Medicin. 

Das Bestreben des Weibes, die Arbeitssphäre des starken Ge¬ 
schlechtes zu nsurpiren, geht Hand in Hand mit der Zunahme 
der Bildung des zur Lebensgefährtin des Mannes bestimmten Ge¬ 
schöpfes, wie nicht minder mit den gesellschaftlichen Verhältnissen 
der Gegenwart, welcho es dem aufstrebenden Manne erschweren, 
eiu Heim zu gründen, Sorgen und Lasten für die Erhaltung einer 
Familie zu übernehmen, da er sich allein zu erhalten kaum vermag. 
Die Frauenemancipation ist ein Kampf um’s Dasein; die Frau will 
nicht länger warteu, bis ein Gatte, ein Ernährer ihr ersteht; un¬ 
abhängig von dem Willen des Manues, sucht sie eine selbstständige, 
ehrenvolle Existenz, die sie in einer dienenden Stellung zu erblicken 
nicht vermag. 

Der einsichtsvolle Mann steht der Frage der Emancipation des 
Weibes sympathisch gegenüber; er würdigt und billigt die Be¬ 
mühungen der Frau, ein traditionelles Joch abzuschütteln und durch 
eigene Kraft für die eigene Erhaltung zu sorgen; er unterstützt 
die Bestrebungen des anderen Geschlechtes, der Gesellschaft dadurch 
zu nützen, daß dessen Angehörige selbst zu nützlichen Mitgliedern 
dieser Gesellschaft werden. Zuweilen aber sieht er sich im Interesse 
der Frauenemancipation genöthigt, Bestrebungen ein Halt! zuzurufon, 
welche, seiner Meinung nach, weder der Gesellschaft, noch dom 
weiblichen Geschlechte nutzbringend sein können. 

Ein solches Halt! sei heute dem immer drängenderen Ver¬ 
langen des Weibes entgegengerufen, das Gebiet der Heilkunde zu be¬ 
treten , als weiblicher Arzt gleich dem Manne eiue ersprießliche, 
segensreiche Thütigkeit zu entfalten. 

Nicht das Studium haben wir im Auge, sondern den Beruf 
allein. Wer würde leugnen wollen, daß ein intelligentes Mädchen, 
welches die Mittelschule absolvirt hat und „reif“ erklärt ward, die 
Stufen zur Universitas litterarum emporzusteigen, miuder leicht und 
minder gründlich mcdicinischen Studien zu obliegen vermag, als der 
Jüngling? Trotz der Schwierigkeiten, welche die Vereinigung theo¬ 
retischer und praktischer Studien, die nervenerregende Thätigkeit 
im Secirsaale und Krankenzimmer naturgemäß mit sich bringen, 
wird der starke Wille des Mädchens während der wenigen, dem 
Studium gewidmeten Jahre im Stande sein, das einmal gesteckte 
Ziel zu erreichen. Man wende uns nicht die bei solchen Fragen 
kleinlichen Bedenken ein, welche mit dem Geschlechtsleben des 
Weibes Zusammenhängen sollen; man wiederhole nicht die so 
lächerlich oft und hartnäckig gestellte Frage, ob ein „anständiges“ 
Mädchen denn wirklich daran denken könne, sich in die Anatomie, 
Physiologie und Pathologie der männlichen Genitalien zu vertiefen. 
Sicherlich kann und wird dies auch das ernste, zielbewußte Mädchen, 
ohne auch nur ein Rostfleckchen auf dem reinen Schilde ihrer Ehre 
davonzutragen. Gleich der Malerin und Bildhauerin wird ihr Sinn 
und Gemüth auch bei diesen Studien unbefleckt bleiben, sicherlich 
reiner, als Sinn und Gemüth jener Modedame, welche in ihrem 


lieh eine festbegründete, mit den Thatsachen stimmende Theorie der 
Urämio aufgebaut zu sein. 

Es kann nicht fehlen, daß auch dieser Anschauung Versuche 
und Einwürfe mannigfachster Art entgegengesetzt werden dürften. 
Landois hat selbst zahlreiche, noch unbegründbare Voraussetzungen 
hervorgehoben, z. B. warum tbatsäcblich bei der Allgemeinintoxication 
vor Allem die Gehirnrinde mit Reizerscheinungen hervortritt, während 
andere Abschnitte des Nervensystems noch reactionslos blieben. 
Solchen und anderen noch nicht zu beantwortenden Fragen gegen¬ 
über hat er das noch reichlich zu Schaffende, durch Einen Forscher 
allein nicht zu Bewältigende offeu eingestanden, und er schließt sein 
schönes Werk mit dem wohl allzu bescheidenen Einbekennlniß: 
„Alle diese Erwägungen müssen uns die Ueberzeugung aufdrängen, 
daß wir uns bei der Aufgabe, das innere Wesen aller urämischen 
Erscheinungen zu ergründen, erst am Anfänge der Arbeit befinden.“ 

Docent Dr. v. Pfungen. 


Boudoir Zola’s Romane verschlingt, nicht obgleich, sondern weil 
diese das Geschlechtsleben behaudeln. 

Das Studium der Heilkunde, die Erlangung des Doctorgrades 
dürfte sich unserer Meinung nach dem fleißigen, strebsamen, intelligenten 
Mädchen nicht schwieriger gestalten, als dem jungen Manne, welchem 
überdies an Universitäten Ablenkungen in mannigfaltiger Gestalt 
drohen. Wie steht es aber mit dem ärztlichen Berufe? Genügt 
auch hier ernstes Wollen, Strebsamkeit, Fleiß und Intelligenz? Ist 
auch hier das Wisseu die einzige Garantie dos Erfolges, wie am 
Prüfungstische ? 

Der Beruf des Arztes ist der schwersten einer. Er erfordert 
einen ganzen Manu mit der Ruhe der Thatkraft, der geistigen und 
physischen Widerstandsfähigkeit, der Besonueuheit und Charakter¬ 
stärke des Man ne8. Wie kein anderer Beruf, den des Richters 
vielleicht ausgenommen, appellirt die ärztliche Thätigkeit an die 
guten Eigenschaften des Mannes. Welch umfassende Thätigkeit, 
welch schwere Verantwortung ruht auf den Schultern des prak¬ 
tischen Arztes! Hier Tröster, dort Helfer, vom frühen Morgen bis 
in die sinkeudo Nacht, ja selbst noch des Nachts der willige Sklave 
seines selbsterwählten Berufes, stets seinor Schutzbefohlenen be 
dacht, nur selten seiner Liebou, niemals seiner eigenen Porson ge¬ 
denkend, ohne Rücksicht auf eigenes Leid, eigenen Schmerz, voll 
und ganz der Gesammtheit lebend. Dor Arzt ist der Märtyrer 
seines Berufes; gelüstet es das Weib dieses Martyrium zu theilen? 
Es betrachte den vielbeschäftigten Praktiker in Stadt und Land; 
welche Summe geistiger und physischer Leistungeu drängt sich in 
seinen Arbeitstag zusammen ! Wie schwer ist der Beruf selbst derjenigen 
wenigen Aorzte, welchen es gelungen ist, in der Großstadt festen 
Fuß zu fassen, im Vergleiche zu anderen Berufszweigen! Es blicke 
aber auch hin in das einsame Gebirgsdorf, welches, nur lose zu¬ 
sammenhängend mit den Centreu der Civilisation, einen wissen¬ 
schaftlich gebildeten Arzt in seiner Mitte birgt. Es begleite den 
kräftigen Mann auf seinen Krankenbesuchen in die Hütten der Ar- 
muth, durch Sonnengluth und Winterkälte! Erfordert es Wissen, 
Erfahrung und Geschick, in wohldotirten Krankenhäusern mit ge¬ 
schulter Assistenz, unterstützt von allen Behelfen der Technik, zu 
operiren, um wie viel schwieriger und verantwortungsvoller gestaltet 
sich der Eingriff am Strohlager des Gebirgsbewohners, in dumpfer 
Hütte, allein, ohne Hilfe! Das Los des Arztes, das sich zwischen 
diesen beiden Typen bewegt, ist auch bei reichem Einkommen ein 
mühevolles, letzteres nur zu oft trotz harter Arbeit kärglich und 
unsicher. 

Gelüstet es das Weib nach solcher Existenz? 

Wie will die zarte, sensible Frau ertragen, was der kräftige, 
Willensstärke Mann zu leisten kaum vermag? Woher will sie die 
physische Kraft nehmen zur Ausübung eines Berufes, welchem der 
Vertreter des starken Geschlechtes nur allzu oft erliegt? 

Der erbitterte Kampf um’s Dasein, das rücksichtslose Ringen 
um die Existenz hat in unseren Tagen eine neue Steigerung er-' 
fahren. Die Ueberproduction von Aerzteu hat zur Unterbietung 
geführt, zur Unterschätzung ärztlicher Leistungen, und mit Recht 
warnen die ärztlichen Standesvcrtretungon Deutschlands die studi- 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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rende Jugend, eich dem Studium der Heilkunde zuzuwenden. Nicht 
Furcht vor allzu reichem Nachwuchs hebt den warnenden Finger, 
nicht Angst vor Vermehrung der Concurrenz spricht aus den 
mahnenden Worten. 

Der Frau gegenüber, welcher in der überwiegenden 
Mehrzahl europäischer Staaten die Ausübung des ärztlichen 
Berufes, ja selbst das Studium der Medicin nicht gestattet ist, 
kann jetzt und in absehbarer Zeit von Concurrenzfurcht keine 
Rede sein. Wenn den Frauen gegenüber unsere Warnung ertönt, 
den Beruf des Arztes sich zugänglich zu machen, so denken wir 
nicht an unsere, sondern an ihre Interessen. Selbst wenn nach 
hartem Kampfe der Frau die Pforten der Universitäten sich öffnen, 
der ärztliche Beruf freigegeben werden sollte, ist der Erfolg des 
Einsatzes werth? 

Es kann unsere Sache nicht sein, die Frau anf die zahlreichen, 
ehrenvollen Berufsarten hinzuweisen, deren Eröffnung ihr minder 
schwer gelingen dürfte. Heute schon versieht die in der Kunst 
dem Manne fast gleichstehende Frau in trefflicher Weise die auf 
ihren Ordnungssinn, ihre Pünktlichkeit nnd Verläßlichkeit berechnete 
Arbeit im Post- und Telegraphenbureau, im Comptoir, an der Casse; 
die ihrem Geschlechte znkommende Geduld nnd Nachsicht, die Liebe 
zu den Kindern prädestinirt die Frau zur Beherrscherin der Volks¬ 
schule; in nicht allzu ferner Zeit dürfte es ihr gelingen, die mit 
minder schwierigen Studien verbundene, minder aufreibende Thätig- 
keit des Apothekers zu theilen, wie sie neben dem Kaufmanne ihren 
Platz standhaft behauptet. 

Zahllose ehrenvolle Wege stehen der tüchtigen, ernst strebenden 
Frau offen, die alle zum Ziele, zur Selbstständigkeit, zur Unabhängig¬ 
keit vom Manne führen. 

Denkt sie wirklich daran, ihre schwachen Kräfte an den 
Mühen eines Berufes zu versuchen, welcher, wie kein anderer, 
eines Mannes, und zwar eines ganzeu Mannes bedarf? 

Was einzelnen Frauen jenseits des Oceans gelungen ist, was 
erst jüngst einer hochbegabten Frau von der Krone zugestanden 
ward, sind Ausnahmen, seltene Ausnahmen, welche unsere Ansichten 
nicht widerlegen können. In jeder Gemeinschaft gibt es hochbe¬ 
gabte, an Willenskraft und physischem Können die große Menge 
überragende Individualitäten. Die Erfolge solcher Menschen zur 
Regel zu erheben, ist unsinnig und gefährlich. „Daß Frauen 
sich emancipiren, ist nicht ihr Verdienst, sondern die Schuld der 
Männer“, sagte kürzlich ein Gegner der Selbstständigkeit des 
Weibes. Als Freunde der Fraueneraancipation möchten wir diesen 
Ausspruch variiren: Daß Frauen sich emancipiren, ist nur zum 
Theil ihr eigenes Verdienst, zum Theil Schuld der socialen Ver¬ 
hältnisse. Möge die Frauenemancipation Gebiete meiden, auf 
welchen ein Erfolg a priori ausgeschlossen ist, damit der Mißerfolg 
nicht schädigend auf die ganze Frage wirke! ' B. 


Kleine Mittheilungen. 

— Auf die warme Empfehlung Pentzoldt’s hin stellte Dr. 
Bela Imredy an der 2. medicinischen Klinik in Budapest Unter¬ 
suchungen über die Wirkung des Orexinum muriaticum als 
Stomachicum an 12 an Appetitlosigkeit leidenden Kranken an 
(„Pest, med.-ebir. Presse“, Nr. 17), doch vermochte er sich nicht 
von dem so gepriesenen Heilwerthe dieses Mittels zu überzeugen. 
Wegen der heftig reizenden Wirkung des 0. wandte es Pentzoldt 
bei Magenkranken nicht an, sondern bei im Anschlüsse an chronische 
Krankheiten auftreteuder Appetitlosigkeit. Von der corrodirenden 
Wirkung des Mittels Überzeugte sich Imb£dy auch persönlich. Auf 
der Zunge verursacht es einen heftig corrodirenden Schmerz. 
Mehrere Kranke klagen darüber, daß sie die zufällig verbissenen 
Pillen im Munde überaus schmerzten. Auch jene Kranken, die das 
Mittel kurz nach der Anwendung erbrachen, klagten über Schmerzen 
im Munde. Nach Pentzoldt soll die Wirkung auf die stärkere 
Absonderung des Magensaftes zurückzuführen sein. Das Mittel wurde 
auf obiger Klinik theils in Pulverform (0 25 pro dosi, 0'50—0’75 
pro die), theils in Form von mit Gelatine obducirten Pillen (pro 
dosi 0*30—0'50, pro die 0*30—0'90) verabreicht. Das Pulver 


nahmen die Kranken in Oblate gehüllt mit viel Wasser, die Pillen 
Mittags und Abends mit der Suppe. 

Rp. Orex. mur.2 - 0 

Extr. Gentian. et. pulv. Alth. 
q. s. ut f. pill. Nr. 20 
Obduce gelat. 

S. Täglich 2raal 3—5 Pillen. 

Es litten an Phthisis p. 3, an Vitium cordis 2, an Cirrhosis 
hepatis 2, an Typhus 1, an Tumor cerebri 1, an Tabes 1, an 
Herpes Zoster 1, an Tumor abdominalis 1. Nach deu gewonnenen 
Erfahrungen verursachte das Mittel Nausea nnd Erbrechen, wiewohl 
es die Kranken zumeist während der Essenszeit nahmen. Erwähnens- 
werth ist, daß Jene, die das Mittel längere Zeit hindurch nahmen 
und Anfangs gut vertrugen, später über Nausea klagten, selbst er¬ 
brachen, doch der Appetit besserte sich nicht. 7mal besserte sich 
der Appetit einigermaßen, 5mal war gar kein Erfolg wahrzunehmen. 
Am auffälligsten war der Effect bei den 2 an Cirrhosis hepatis 
leidenden Kranken, während bei den 3 Phthisikern der Versuch 
negativ aasfiel. Wiewohl das beobachtete Krankenmaterial nur ein 
geringes ist, glaubte Imredy dennoch, sich im Hinblick auf die 
überaus warme Empfehlung Pentzoldt’s mit dieser Mittheilung beeilen 
zu sollen nnd die Collegen bei Zeiten darauf aufmerksam zu machen, 
dieses Mittel insbesondere in der Privatpraxis zu meiden. Statt der 
erwarteten Vortheile wird man nnangeuehm überrascht. Von dem 
Wolfshunger, der sich nach diesem Mittel einstellen soll, vermochte 
Imredy nichts wahrzunehmon. Es fiel auf, daß die Wirkung in 
jenen Fällen, wo sie am meisten herbeigesehnt wurde, bei den 
Phthisikern und Herzkranken, ausblieb, denn abgesehen von den 
2 an Cirrhosis leidenden Kranken stellte sich ein Effect blos dort 
ein, wo nur kurz andauernde Appetitlosigkeit bestaud und es über¬ 
haupt zweifelhaft erscheint, ob diese Besserung dem Orexinum 
zuzuschreiben soi. Nach all dem ist das Orexinum mur. kein sicher 
wirkendes Stomachicum und kann znm allgemeinen Gebrauche nicht 
empfohlen werden, da es oft Nausea und Erbrechen verursacht. 

— Ueber die Verwendbarkeit des Unna’schen Zinkleims 
in der Chirurgie berichtete in der letzten Sitzung des ärztlichen 
Vereines zu Hamburg („Münch, med. Woch.“, Nr. 17) Dr. Cordda, 
der mit diesem Präparate sehr günstige Erfahrungen gemacht hat. 
Der Zinkleim, dessen Zusammensetzung wir in Nr. 18 (p. 709) der 
„Wiener Med. Presse“ mitgetheilt haben, ist besonders geeignet 
zur Fixirung größerer Verbandstücke auf Wunden, die entweder 
ganz trocken sind oder per seennd. int. heilen, nicht so praktisch 
bei ersten Verbänden nach größeren Operationen. Die Technik 
bei der Verwendung des Zinkleims geschieht nach Cordua 
folgendermaßen: Die Wunde wird desinficirt und möglichst ge¬ 
trocknet. Dann zieht man ca. 2 Cm. von der Wunde mit oiner mehr¬ 
fachen Schicht von Jodoformgaze, über die man nach Bedarf noch andere 
Verbandstücke legen kann, eine Grenze und leimt dann den ganzen 
Verband fest an. Zur schnelleren Trocknung empfiehlt es sich, den 
noch feuchten Leimverband mit Verbandwatte leicht und rasch zu 
betupfen. Dadurch entsteht sofort eine trockene weiche Ober¬ 
fläche. Ein solcher Verband ist ein Occlusi vverband, der trotz¬ 
dem eine Verdunstung der Secrete gestattet, welche direct den 
Leim durchdringen. Er gestattet somit Occlusion und Austrocknung 
der Wunde, was ja neuerdings von einem antiseptischen Verbände 
verlangt wird. Vortr. geht dann die einzelnen Körpertheile mit 
den entsprechenden Operationen durch, nach welchen der Zinkleim¬ 
verband angezeigt ist. Am Halse erspart man dadurch die großen 
Bindentouren um Kopf und Schultern, an Fingern und Zehen ist 
man im Stande, die gesunden Endglieder ganz frei zu lassen. Be¬ 
sonders günstig werden, wie mitgetheilt (1. c.), Varicen und varicöse 
Beingeschwüre dadurch beeinflußt. Auch bei großen Schlußverbänden, 
wo man die Grenzen des Verbandes schlecht abschließen kann (so 
nach Hüftresectionen etc.), hat man im Zinkleim ein Mittel, diesen 
Abschluß sicher zu erreichen. Cordua empfiehlt denselben dringend 
zu weiteren Versuchen. Außer zu den angeführten Zwecken möchte 
Unna denselben noch empfehlen: 1. bei artificiellen Hautentzün¬ 

dungen (nach Sublimat-, Jodoformgebrauch), die unter antiseptischen 
Verbänden Vorkommen, und 2. nach der Impfung, unmittelbar nach 
Eintrocknung des Imptstoffes aufgepinselt, wo er wirklich vorzüglich 
wirkt. Unna hat seit Jahren keine Complicationen nach der 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


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Impfung (besonders das sogenannte Impferysipel) mehr erlebt und 
möchte dies zum Theil auf den constanten Gebrauch des Zinkleims 
schieben. Einen nachtheiligen Einfluß auf die Entwicklung der 
Pusteln hat Zinkleim nicht. Auf eine Anfrage nach der Asepsis 
des Zinkleims erwiderte Unna, daß bei Benutzung steriler Gelatine 
auch der Leim aseptisch sei. Infcctionen durch den Leim hat Unna 
jedenfalls noch nicht erlebt. 

— Da nicht selten Nierenentzündungen, namentlich die inter¬ 
stitiellen, mit dyspeptischen Symptomen einhergehen, hat Dr. E. 
Bikrnacki auf der Klinik des Prof. Popoff in Warschau Unter¬ 
suchungen über die Magenverdauung bei Nierenentzündung an¬ 
gestellt, deren Resultate er kurz in Nr. 13 des „Ceutralbl. f. klin. 
Med.“ mittheilt. Die 6 untersuchten Fälle betrafeu junge Individuen 
ohne größere Circulations- oder Respirationsstörungen, ohne prä- 
oxistirende Magenaffection und ohne Fieber, die mit chronischer 
und subacuter parenchymatöser Nierenentzündung, kleineren oder 
größeren Oedemen behaftet waren und ziemlich beträchtlichen Eiweiß 
gehalt im Urin zeigten. Um Nebeneinflüsse zu vermeiden, wurde 
den Kranken nur Kali accticnm und von Zeit zu Zeit ein Wannen¬ 
bad verordnet, in einem Falle wurde von Anfang an nur Milchdiät 
beobachtet. Die Untersuchungen wurden eine Zeit lang fortgesetzt 
und in jedem Falle bei verschiedenen Probemahlzeiten vorgenommen. 
Es zeigte sich, daß die Quantität der freien Salzsäuro 
stark vermindert ist, ja daß diese meist gänzlich 
fohlt. Die Peptonisirung findet mehr oder weniger immer statt. 
Die künstliche Verdauung einer Eiweißscheibe im Magenfiltrat mit 
oder ohne Zusatz von HCl zeigt sehr oft sehr kleine Mengen von 
Pepsin. Milchsäure findet sich auch in unbedeutender Menge und die 
Gesammtacidität des Filtrates ist sehr gering. Bemerkenswerth ist, daß 
diese Eigenschaften des Magenfiltrates sich nicht allein in Fällen mit sub- 
jectiven und objectiven Verdauungsstörungen finden, sondern auch dort, 
wo letztere fehlen oder wenig ausgesprochen sind. Ungeachtet dieser 
Secretionsanomalien weisen die Kranken keine Motilitätsstörungen 
des Magens auf; selbst in den Fällen von gänzlichem Fehlen der 
Salzsäure hat Verf. des Morgens den Magen leer gefunden. 

— William GemmelL berichtet im „Brit. med. Journal“ vom 
26. April über die von ihm erzielten Resultate bei Behandlung des 
Keuchhustens mit Uabain. Uabain ist ein Alkaloid von der Zu¬ 
sammensetzung C 30 H 46 O, 2 , welches durch Krystallisation aus dem 
wässerigen Extracte der Wurzel von Uabaio, einer afrikanischen 
Giftpflanze, erhalten wird. Das Uabain bildet rechtwinklige, weiße, 
durchsichtige Krystalle von leicht bitterem Geschmack, die in 
kaltem Wasser schwerer, leichter in warmem, am besten in con- 
centrirtem Alkohol löslich sind. Verf. hat 49 Fälle von Keuchhusten 
mit Uabain behandelt, von denen 25 gesund entlassen wurden, 
4 (an Diphtherie, Basilarmeningitis, Bronchitis capillaris, Atrepsie) 
starben, dio übrigen noch in Beobachtung stehen. Ohne auf die 
Schilderung der einzelnen Fälle einzugehen, faßt Verf. seine Re¬ 
sultate in mehreren Sätzen zusammen, von denen folgende er- 
wähnenswerth sind: Das Uabain ist von auffallend wohlthuender 
Wirkung in allen Stadien des Keuchhustens, wenn es sorgfältig an¬ 
gewendet wird. Im ersten Stadium coupirt es die Anfälle, im 
zweiten reducirt es die Heftigkeit und Häufigkeit derselben, im 
dritten beschleunigt es bedeutend die Reconvalescenz. Das Uabain 
hat keino cumulative Wirkung. Es wird in Dosen von 1 / lft0 o Gran 
(= 0-00007) alle 3 Stunden, i. e. in täglichen Dosen von l j lt6 Gran, ge¬ 
geben. Am besten löst man 1 Gran (0‘07) in Wasser auf und gibt die 
Lösung tropfenweise. Das Uabain setzt die Temperatur, dio Puls- 
und Respirationsfrequenz etwas herab und befördert dio Hautthätig- 
keit. Auf die Verdauung hat das Mittel keinen ungünstigen Einfluß, 
im Gcgentheil, cs hebt den Appetit und somit auch das Allgemein¬ 
befinden. Bemerkenswerth ist, daß in 2 Fällen, bei welchen Zucker 
im Urin vorhanden war, derselbe 3, resp. 5 Tage nach Einleitung 
der Uabainbehandlung abzunehmen anfing und nach 18, resp. 19 
Tagen ganz verschwand. Es wäre von Interesse, das Mittel bei 
Diabetes zu versuchen. (Ref. muß constatiren, daß er aus der Mit¬ 
theilung Gemmell’s nicht entnehmen konnte, daß das Mittel einen 
Einfluß auf die Dauer dor Krankheit hatte. Die wenigen Fälle, die 
mitgetheilt werden, machen dem Uabain als Keuchhustenmittel keine 
große Ehre.) 


— In der medicinischen Gesellschaft zu Cardiff' berichtete 
Dr. Stewart („Lancet“, 26. April 1890) Über die Resultate der 
Anwendung von Borax bei Epilepsie. Im l. Falle, I4jähriger 
Patient, der seit der Geburt 2—12 epileptische Anfälle täglich 
hatte, betrug die Zahl der Anfälle in der ersten Woche des Spitals- 
aufentbaltes 26 ; unter Boraxbehandlung fiel dieselbe auf 24 in der 
2. und 5 in der 4. Woche. Nach einer anfallsfreien Zwischenzeit 
von 16 Tagen traten in 2 auf einander folgenden Nächten 4 An¬ 
fälle auf, dann kam ein Zeitraum von 9 Tagen mit blos 1 Anfall 
und seither, i. e. mehr als 1 Monat, blieben die Anfälle gänzlich 
aus. Der zweite Fall bekam nächtliche Epilepsie mit 18 Jahren, 
kam 5 Jahre später in dio Behandlung und war mit Stenose der 
Mitralis complicirt. Ohno Behandlung betrug die Zahl der monat¬ 
lichen Anfälle 101, unter der Boraxbehandlung wurde dieselbe auf 20 
im 1. Monat, 7 im 2., 1 im 3., 5 im 4., 9 im 5. und 1 im 6. 
reducirt. Aehnlich waren die Erfolge in weiteren 5 Fällen. Doch 
zeigte sich dabei die merkwürdige Thatsache, daß Brompräparate 
besser bei deu Tagesanfällen, Borax vorwiegend bei den nächt¬ 
lichen Anfällen wirkt. In Fällen, wo die Anfälle Tag und 
Nacht auftreten, empfiehlt daher Stewart eine combinirte Behand¬ 
lung mit Borax und Brompräparaten. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zn Wien vom' 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Bericbt der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

IV. 

L. Krehl (Leipzig): Ueber die Veränderungen der Herzmuskulatur 
bei Klappenfehlern. 

Der ZuBtand von Herzkranken mit Klappenfehlern ist nicht 
allein erklärt durch Art und Schwere der Ventilveränderungen. 
Die Leistung eines Muskelmotors mit Ventilen muß ebenso 
vom Zustande der Musculatur wie von dem der Klappen abhängig 
sein. Es wurde eine systematische Durchforschung von 7 Klappen¬ 
fehlerherzen vorgeuommen, um zu erfahren, ob regelmäßige Er¬ 
krankungen des Herzmuskels sich bei Klappenfehlern finden. An 
den systematisch untersuchten Herzen war 5mal Mitralinsufficienz 
und -Stenose, zweimal Aorteninsufficienz mit Mitralstenose vorhanden. 
In allen 7 Herzen fanden sich: verbreitete Endocarditis, Pericarditis, 
Endarteriitis der kleinen Muskelarterien und Bindegewebsvermehrung 
mit verbreitetem Muskelschwund. Diese anatomischen Veränderungen 
stimmen mit denen überein, welche H. Martin gefunden, und tragen 
den Charakter progredirender Entzündungen; sie sind bei den 
Herzen am verbreitetsten, deren Träger unter den Erscheinungen 
von Herzinsufficienz gestorben sind, und sind geeignet, die Leistungs¬ 
fähigkeit des Herzens herabzusetzen. Man wird also bei der klinischen 
Beurtheilung eines Klappenfohlerkranken versuchen müssen, sich 
ein Urtheil über Vorhandensein und Verbreitung progredirender Ent¬ 
zündungen im Herzmuskel und an den Arterien zu verschaffen. 

S. Leubuscher, (Jena): Beeinflussung der Darmresorption durch 
Arzneimittel. 

Nach den Untersuchungen der letzten Jahre wird die Darm¬ 
resorption nicht mehr, wie früher, als einfacher physikalischer Vor¬ 
gang, sondern als eine auf die Function der lebenden Epithelfelle 
der Darmwand zurückzuführende Erscheinung aufgefaßt. Demzufolge 
müssen alle Einwirkungen, welche die Lebensthätigkeit der Zelle beein¬ 
flussen, auch dio Resorption ändern. Diese Einwirkungen können 
gesucht werden in einer directen Beeinflussung des Zellprotoplasmas, 
in Störungen der Blutcirculation, in Beeinflussung seitens des Nerven¬ 
systems. Bezüglich des ersteren Punktes wurden Untersuchungen in 
der Weise angestellt, daß in eine abgebundene Darraschlinge eines 
lebenden Thieres eine starke Mineralsäurolösung injicirt und 
nach erfolgter Reinigung dann in dieselbe Schlinge eine bestimmte 
Quantität einer Traubenzuckerlösung gebracht wurde. Dabei zeigten 
sich dio Resorptionsgrößen des Traubenzuckers stets wesentlich 
herabgesetzt. Betreffs des zweiten Punktes wurden die zu einer ab- 
gebuudenen Schlinge im Mesenterium führenden Arterien in dem 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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einen, im anderen Fall die Venen unterbunden, einmal also Anämie, 
im zweiten Falle Stauung erzeugt. Bei beiden Arten von Störungen 
der Circulation, namentlich der letzteren Form, trat erhebliches Sinken 
der Resorption von Traubenzucker und Jodkaliumlösungen hervor. 
Das dritte Moment, das des nervösen Einflusses, wurde mangels 
eines Abschlusses der diesbezöglicben Versuche bei Seite gelassen. 

Nach diesen Vorversuchen erschien es wahrscheinlich, daß auch 
von Seite einer Reihe von Arzneimittelu sich, auf diesem oder jenem 
Wege zu Stande gekommen, eine Beeinflussung der Darmresorption 
geltend machen wird. Zur Prüfung der Resorptionsgröße dienten 
Jodkalium und Traubenznckerlösuugen, als Arzneimittel Chinin, 
Opium, Morphium, Alkohol, Glycerin, ferner schwache Kochsalz¬ 
lösungen und Carlsbader Mühlbrunnen. 

Bei Hunden und Katzen wurden zwei gleich lauge Darm¬ 
schlingen unterbunden. In die eine wurde nun wässerige Jodkaliura- oder 
Traubenzuckerlösung, in die andere dieselbe zu resorbirende Lösung 
mit Zusatz des Arzneimittels injicirt. Die Differenz der resorbirten 
Mengen in beiden Schlingen wies auf den Einfluß des Medicamentes 
bin. Da diese Versucbsmethode ziemlich ungenau ist, so wurden die 
Experimente an Hunden mit THiRY-VRLLA’schen Darmfisteln fort¬ 
gesetzt. Hier konnte an ein und derselben Schlinge mit gleich¬ 
bleibender Oberfläche die Resorptionsgröße studirt werden. 

Es ergab sich aus diesen Versuchen, daß Chinin, Opium und 
Morphium schon in schwachen Concentrationen die Resorption herab¬ 
setzen. Morphium wirkt in derselben Weise resorptionshindernd, auch 
wenn cs nicht direct mit der Schleimbaut in Contact kommt, sondern 
subcutan applicirt wird. Alkohol wirkt in schwachen Concentrationen 
(0*5%—2*0°/o) resorplion<steigernd; in größeren Mengen zngesetzt 
mehr und mehr die Resorption herabsetzend. Glycerin ist im Wesent 
liehen indifferent für die Resorption; schwacher Na Cl-Zusatz steigert 
dio Resorption; Carlsbader Mühlbrunnen läßt sie unbeeinflußt. 

Die am Menschen betreffs Jodkalium angestellten Versuche er¬ 
gaben, daß vom Darm ans die Ausscheidung durch den Speichel 
bei alkoholischen Lösungen stärkerer Concentration verlangsamt ist. 

, Wenn Menschen Jodkalium in wä^-seriger alkoholischer, glyce- 
riniger Lösung in Carlsbader Mühlbrunnen oder in Milch tranken, 
so wurde im Durchschnitt bei mäßigem Alkoholzusatz dio im Urin 
innerhalb einer gewissen Zeit ausgeschiedene Jodmenge gesteigert; 
bei Glyceriu etwa dasselbo Ausscheiduugsverhältniß wie bei Wasser 
beobachtet; Carlsbader Mühlbrunnen erhöhte ebenfalls die ausge- 
schiedeno Menge; Milch setzte sie herab. 

Schott (Nauheim): Zur acuten Ueberanstrengung des Herzens 
und deren Behandlung. 

Der Vortr. beginnt mit der Geschichte der chronischen Herz¬ 
überanstrengung. So klar das Wesen und die Entstehung dieser 
letztgenannten Erkrankung sei, eine so große Unklarheit herrsche 
noch bezüglich der acuten Ueberanstrengung des Herzens, deren 
Existenz sogar vom physiologischen Standpunkte aus noch bis in 
dio allerletzte Zeit angezweifclt wurde, obgleich von Leyden, 
Fkäntzkl und Schott eine Anzahl von Fällen beschrieben wurde, 
welche das Bestehen von acuten Horzüberanstrengungcn vom patho¬ 
logischen Gesichtspunkte aus rechtfertigen. 

Um alle etwa noch bestehenden Zweifel auch vom physiolo¬ 
gischen Standpunkte aus zu behoben, hat Schott eine Anzahl 
experimenteller Untersuchungen angestellt, und zwar derart, daß er 
eine acute Ueberanstrengung des Herzeus bei vollständig gesunden 
und kräftigen Männern mit Hilfe von bis zur Athemnoth gesteigertem 
Ringen künstlich erzeugte. Bei einer zweiten Versuchsreihe wurde 
den ringenden Personen der Leib unterhalb des Rippenbogens zu¬ 
sammengeschnürt, da durch das Hinauftreiben des Zwerchfells, sowie 
aus anderweitig bekannten , physiologischen Gründen der intracar- 
diale Blutdruck gesteigert, die Herzthätigkeit außerordentlich er¬ 
schwert wird u. dgl. m. 

Es gelaug Schott auf diese Weise den ganzen Symptomen- 
complcx, wie derselbe bei der acuten Ueberanstrengung des Herzens 
zur Beobachtung kommt, hervorzurufen, nämlich : Erhöhung des 
inlracardialen Druckes, Dyspnoe, Arhythmie des Pulses, Tachy- 
cardie etc., wie vor Allem Dilatation des Herzens nach beiden Seiten, 
und zwar sowohl der Ventrikel wie der Vorhöfe, ja die Ausdehnung 
des Herzens konnte bei der zweiten Versuchsreihe ganz bedeutende 


Dimensionen annehmen. Mit Hilfe von Tabellen, Pulscurven, sphygmo- 
manometrischen Messungen und Herzgrenzenzeicbnungen wurde dies 
vom Vortr. zur Anschauung gebracht. 

Schott skizzirt sodann eine Anzahl Krankengeschichten, an 
der Hand welcher er zeigt, wie durch Heben schwerer Last, Berg¬ 
steigen, Tanzen bei enggeschnürfom Corset, Velocipödefahren u. s. w. 
der Symptomencomplex der acuten Herzüberanstrengung zur Beob¬ 
achtung kam. Bei gesunden Individuen können alle Symptome wieder 
verschwinden, dagegen können langdauernde Störungen, ja die ge¬ 
fahrvollsten und bis zum Todo führenden Zustände sich einstellen, 
wenn das Herz, sei cs in seiner Ernährung, resp. Innervation gestört 
oder durch Klappenerkrankungen, Entartungen, die Herzarbeit 
ohnedies beeinträchtigt ist. Auch bei Thieren kommt, wie dies eine 
Rundfrage bei Veferinärmedicinern ergebeu, eine acute Ueberan¬ 
strengung mit denselben Erscheinungen wie beim Menschen zur 
Beobachtung. 

Bezüglich der Therapie empfiehlt Redner im Anfänge der 
Erkrankung absolute Ruhe und kräftige Ernährung. Wo 
dio Schmerzen in der Herzgegend sehr heftig auftreten, ließe sich 
die vorsichtige Anwendung von Morphium nicht umgehen, doch 
habe sich auch hier die von Schott empfohlene Ilitzeapplication 
oft trefflich bewährt. Ebenso seien Excitantien am Platze. Im 
späteren Verlaufe, wenn es sich darum handle, tonisirend auf 
das Herz einzuwirken, empfehle sich außer passender Ernährung 
und mäßiger Bewegung die vorsichtige Anwendung der von 
Schott ausführlich beschriebenen Bade- und gymnastischen 
Behandlungsmethode. 

Hürthle (Breslau): lieber den Semilunarklappenschluß. 

II. berichtet über eine neuo objective Methode zur Bestimmung 
der Zeitpunkte dor Oeffnung und Schließung dor Semilunarklappen ; 
diese beruht auf der Ueberlcgung, daß dio Kiappeu sich öffnen, 
sobald der Druck der Kammer höher wird, als in der Aorta, und 
sich schließen, wenn der Kammerdruck unter den Aortendruck 
sinkt; lassen sieh also diese beiden Momente bestimmen, so sind 
dadurch dio Zeitpunkte der Oeffnung und Schließung der Klappen 
fixirt. Der Vortr. hat nun mittelst eines von ihm construirten 
Differentialmanomcters dio Curvo der Druckdifferenz zwischen dom 
linken Ventrikel und dor Aortenwurzel an morphinisirten Hunden 
registrirt und dabei Folgendes gefunden: Ganz kurze Zeit (0 02 
bis 0‘05 Secunden) nach Beginn dor Systole öffnen sich die Semilunar¬ 
klappen. Von diesem Zeitpunkte an bleibt der Druck in dor Kammer 
bis zum Ende der Systole (0*20 Secunden lang) höher als in der 
Aorta; daraus folgt, daß es keine sogenannte Zeit der rückständigen 
Contraction gibt, sondern daß sich die Austreibung des Blutes in 
die Aorta bis zum Ende der Systole erstreckt und die Semilunar¬ 
klappen sich erst am Anfang der Diastole schließen können. 

Die Richtigkeit der Angaben des Differcntialmanometers wird 
durch einen Versuch bewiesen, in welchem dio Druckdifferenz zu 
beiden Seiten einer künstlichen Klappe registrirt und Oeffnung und 
Schluß dieser Klappe elektrisch markirt wird. Dabei stimmen die 
durch das Differentialmanometer bestimmten Momente der Klappen¬ 
bewegung zeitlich genau mit den elektrischen Marken überein. 

Durch gleichzeitige Verzeichnung des Herzspitzenstoßes und 
der Carotiscnrve beim Menschen läßt sich ferner nachweisen, daß 
die am Hunde gewonnenen Ergebnisse auch auf den Menschen über¬ 
tragen werden dürfen. Die dicrotische Welle der Pulscurve ist 
nämlich als Folge des Semilunarklappenschlusses zu betrachten, uud 
da die Welle beim Menschen wie beim Hunde am Anfänge der Diastole 
auftritt, so folgt daraus, daß auch der Semiluuarklappenschluß beim 
Menschen am Anfänge der Diastole erfolgt. 

Dolega (Leipzig): Zur Aetiologie der Malaria. 

Dolega berichtet über die Ergebnisse seiner Untersuchungen 
bei Malaria (Febris intormittens tertiana) als Beitrag zu der bisher 
beschränkten Zahl von diesbezüglichen Mittbeilungen deutscherseits. 

Der Vortragende beobachtete in den rothen Blutscheiben 
eigentümliche Gebilde, welche ganz einem Theile der von den 
italienischen Autoren, besonders von Marchiafava und Celli, ab¬ 
gebildeten glichen. Er konnte zwei Arten von Einschlüssen unter¬ 
scheiden : 


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1. überwiegend zahlreich, d. h. in jedem Gesichtsfelde mehrere, 
helle, scharf contourirte Figuren (Kugel-, Oval-, Hörnchen- und Ein- 
und Zweifortsatz, sowie ganz unregelmäßige Formen), welche aber 
nur in frischen Blutpräparaten charakteristisch sichtbar, in Trocken¬ 
präparaten nicht mehr erkennbar und nicht färbbar waren. Die¬ 
selben gaben gute Mikrophotogramme, von denen der Vortragende 
eine Anzahl vorzeigte; 

2. weniger zahlreiche, d h. in jedem 2. oder 3. Gesichtsfelde 
1—2mal sieh findende, ausnahmslos pigraentirte, unregelmäßig ge¬ 
staltete, im Trockenpräparate sich erhaltende und mit Methylenblau 
sich färbende, zart umschriebene Einschlüsse, welche bisher in unge¬ 
färbten Präparaten nicht zur mikrophotographischen Darstellung ge¬ 
bracht werden konnten. An letzteren Gebilden konnte D. im 
hängenden Tropfen auf dem heizbaren Objectträgertische amöboide 
Formveränderungen wahrnohmen. Außerdem fanden sich frei im 
Plasma helle Kugeln und pigmenthaltige Protoplasma Formen, welche 
an die Segmentations-Figuren der italienischen Autoren erinnerten. 

Goißelkörperchen hat D. nicht beobachtet. 

Nach Darreichung von Chiuin blieben die sub 1 genannten 
Veränderungen der rothen Blutscheiben noch eine Zeit lang be¬ 
stehen, nahmen aber an Zahl und Mannigfaltigkeit allmälig ab. 
Die sub 2 genannten Formen konnten nicht mehr gefunden werden. 

Dolega stellto nun vergleichende Blutuutcrsuchungen an und 
fand vereinzelt im Blute Gesunder, spärlich bei Phthisikern, reich¬ 
lich bei Typhus, Scharlach, anämischen Zuständen (Chlorose etc.), 
besonders aber bei Carcinom und Scorbut Veränderungen der rothen 
Blutscheiben, welche dou sub 1 beschriebenen ganz ähnlich waren. 
Auch freie, helle Kugeln waren vorhanden. Vereinzelt fand er bei 
Scharlach auch pigmenthaltige Einschlüsse. Von sehr deutlichen Ver¬ 
änderungen bei Carcinom und Scorbut wies der Vortragende eben¬ 
falls Mikrophotogramme vor. 

Auf Grund seiner Untersuchungen glaubt D. annehmen zu 
müssen, daß 

dio sub 1 bezeichncten Formen, wie sio sich bei Malaria be¬ 
sonders reichlich vorfanden, und welche denen vollkommen glichen, 
welche von Mauchiafava und Celli sowie anderen Autoren als 
die hyalinen Plasmodien-Formen beschrieben und abgebildet sind, 
wie sie sich aber auch bei anderen pathologischen Zuständen naoh- 
weisen ließen, nur als Alterations und Disgregations - Producte 
der rothen Blutscheiben und nicht für Malaria specifisch anzusehen 
seien ; 

die sub 2 beschriebenen Einschlüsse allein charakteristisch für 
Malaria aufgefaßt werden könnten. lu denselben nun, ebenso wie 
in den freien Formen, Parasiten anzunehmen, habe etwas Ver¬ 
lockendes, aber der Schluß sei auf Grund der bisherigen Arbeits¬ 
ergebnisse noch nicht berechtigt, weil nicht einwandsfrei bewiesen. 
Ueber die Natur derselben lasse sich noch nichts Bestimmtes sagen. 

- S. 

Neunzehnter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin vom 9.—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

IV. 

Hoffa (Wtirzburg): Ueber die operative Behandlung der an 
geborenen Hüftgelenkeluxation. 

In Anbetracht der wenig erfreulichen Erfolge der orthopädi¬ 
schen Behandlung bei angeborener Hüftgelenksluxation ist man vielfach 
zur Resection des Schenkelkopfes übergegangen. Allein in den 18 
bisher operirten Fällen waren die Resultate im Allgemeinen keines¬ 
wegs günstige. Es bleibt immer eine Verkürzung, oft auch eine 
Schwäche im Bein bestehen. Naturgemäß verkürzen sich bei der 
Hüftgelenksverrenkung die umgebenden Muskeln und Weichtheile 
und in Folge dieser Verkürzung lassen sich Schenkelkopf und Tro¬ 
chanter nicht herunterziehtn. Zur Beseitigung dieses Widerstandes 
hat Redner mit Hilfe des Lang EN BECK 'sehen Resectionsschnittes die 
Gelenkkapsel eröffnet, die Weichtheile völlig vom Trochanter los¬ 
gelöst und nun ohne Schwierigkeit den Gelenkkopf herunter¬ 
gezogen und ihn der Pfanne gegenübergestellt. Letztere ist bei 


Kindern in der Regel, wenn auch etwas verkleinert, vorhanden. 
Sie wurde nun an ihrem unteren Umfange Umschnitten, das Periost 
in die Höhe gehoben und der Trochanter unter entsprechender 
Kraftanwendung in die Pfanne hineingedruckt. 

Ist die Reposition erst unter hörbarem Ruck erfolgt, so bleibt 
der Kopf auch dauernd in der Pfanne. Zweimal war auch wegen 
ungenügender Beweglichkeit des Beines die Tenotomie der Fascia 
lata nothwendig. Hierauf wurde der periostalo Lappen über den 
Gelcnkkopf wieder zurückgeklappt und an Weichtheile und Kapsel 
angenäht. Durch dieses Vorgehen wird ein vollkommen neues Gelenk 
gebildet. 

Hoffa hat die Operation, welche sich besonders bei Kindern 
sehr empfiehlt, 5mal ausgoführt und bei doppelseitiger augeborener 
Hüftgeleuksverrenkung selbst auf beiden Seiten in einer Sitzung 
vollendet. Entfernung des Drainrohrs nach 8 Tagen; reactionsloser 
Verlauf. 

Discussion: 

James Israel (Berlin): Bei dem vorgeslelltcn Mädchen, 
welches vor 3 Monaten wegen angeborener Hüftgelenksluxation operirt 
wurde, ist nach dem Eingriff eine Verlängerung des Beines um 
3 Cm. und eine gute Fixation des Gelenkkopfes erzielt worden. Als 
Redner nach Ablösung der Gelenkkapsel koino Pfanne fand, rosecirte 
er ein Stück der Kapsel und nähte den Kopf mitleist einer starken 
Nadel an das Becken an einer der Pfanne entsprechenden Stelle 
an. Die Fixation der Weichtheile scheint dabei unwesentlich 
zu sein. 

König (Göttingen) wurde in seinem Bestrobon, eine künstliche 
Pfanne zu formiren, durch die Beobachtung geleitet, daß ein ab¬ 
geschälter und herumgebogener Knochen vollkommen fest anheilt. 
Er durchschnitt deshalb zunächst durch Bogenschnilt oberhalb des 
Gelenks sämmtliche Muskeln bis auf das Darmbein und Umschnitt 
oberhalb der ganz defecten Pfanne das Periost derart, daß der 
Kopf sammt Kapsel um l l / 2 Cm. davon ttborragt wurde. Nachdem 
darauf ein Bogen von Knocbensubstanz »bgemeißolt war, ließ sich 
das Periost herumrücken und mit dem Kopf vernähen. Das Resultat 
war ein günstiges, doch ging das Kind an Scharlach zu Grunde) 
Durch das Festwerden des Knochcnlappens erscheint die Methode 
noch leistungsfähiger als die zuerst angeführte. 

Riedel (Aachen) hat im Jahre 1883 bei einem 8jährigen 
Kinde in der Gegend der Pfanne ein großes Loch in’s Beckon ge¬ 
meißelt und den Kopf in diese neuconstruirte Pfanne hineingezogen. 
Noch nach mehreren Jahren konnte R. ein Verbleiben desselben in 
der Pfanne constatiren. Er fürchtet jedoch wegen Mangels von Epi¬ 
physenknorpel ein Zurückbleiben dieser Pfanne im Wachsthum 
und räth daher, in ähnlichen Fällen erst nach dem 16. Lebensjahre 
zu operiren. 

Heusner (Barmen) glaubt nicht an die Beständigkeit der auf 
diese Weise erzielten Resultate und stützt sich daboi auf einen von 
ihm operirten Fall, bei dem die Gelenkköpfe nicht in den Pfannen 
verblieben waren und starke Neuralgien entstanden. 

Hoffa würde bei Fehlen einer normal großen Pfanne von 
dieser einen Periostlappen nach oben klappen und dio Pfanne da¬ 
durch vertiefen. Es wird dann eine Nearthrose und keine Wachs¬ 
thumshemmung eintreten. 

TRENDELENBURG (Bonn) demonstrirt einen von ihm construirten 
Operationstisch, welcher namentlich für Beckenhochlagerungen 
sehr geeignet ist. 

THIERSCH (Leipzig) demonstrirt außerordentlich schöne Prä¬ 
parate von Harnblasen, deren Präparirung in folgender Weise 
geschieht: Man füllt die möglichst frühzeitig der Leiche entnommene 
Blase mit Alkohol und legt sie gleichzeitig in ein mit dieser Flüssig¬ 
keit gefülltes Gefäß. Dadurch wird die Blase innen und außen 
gleichmäßig gehärtet. 

Karg (Leipzig): Vorstellung von zwei Kranken mit schweren 
neuropathischen Knochenzerstörungen. 

Die beiden vorgestellten Patienten sind typische Beispiele für 
die sogenannte Syringomyelie. Dor erste Pat., ein kräftig ent¬ 
wickelter Mann von 39 Jahren, bisher stets gosund, erkrankto im 
Jahre 1878 mit Unsicherheit beim Gehen, besonders des linken 
Beins, sowie SchwindelanfiUlen. Allmälig traten Spasmus und Parese 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


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auf, sowie eigentümliche Zustande an den Händen. Im Jahre 1880 
entstand ein Panaritium am rechten Zeigefinger, welches nach Aus¬ 
stoßung eines kleinen Kuoeheustückchens heilte. In den folgenden 
Jahren traten allmälig neue Panaritien ohne besondere Schmerzen 
auf, welche schließlich zu starker Verunstaltung der Hände geführt 
haben. Sie w urden schwielig, stellten sich in Contraeturstellung und 
zeigten Atrophie, sowie Schwierigkeiten in der Bewegung. Im Jahre 
1888 entwickelten sich aus kleinen Blasen am Rückeu allmälig 
große schmerzlose Geschwüre. Im Jahre 1887 Sehnenscheidenent¬ 
zündung am kleinen Finger und Vereiterung des Handgelenkes mit 
Subluxation desselben. 

Was die Sensibilität betrifft, so werden Berührungen ziemlich 
gut empfunden und der Tastsinn ist intact; dagegen ist eino tiefe 
Analgesie vorhanden, sowie Störung des Localisationsvermögens an 
Extremitäten und Rumpf. Die Affeclion ist ferner charakterisirt 
durch vollständiges Erloschensein des Temperatursinnes, ausgenommen 
an den unteren Extremitäten. Erhöhter Patellarreflex, normale 
Pupillenreaction, keine Symptome von Tabes. Offenbar handelt es 
sich um eine Höhlcnbildung im Hals- und Rückenmark, welche auf 
die Vorder- und Hinterhörner ausläuft. — Der zweite Pat. zeigte 
ähnliche Erscheinungen. 

Discussion: Garbe (Tübingen) beobachtete im letzten Jahre 
ähnliche Fälle. In eiuem Falle gab ein Ulcus am Ellbogen, welches 
in Verjauchung überging, Veranlassung zur Amputation. Bei der 
mikroskopischen Untersuchung fand sich eine Neuritis mit Hyper¬ 
trophie des Bindegewebes, als deren Grundursache eine Meningitis 
cervicalis anzusehen ist. In anderen Fällen wurden Panaritien be¬ 
obachtet, in Folge deren ganze Finger zu Grunde gingen. —r. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 14. April 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: Docent 
Dr. Fürst. 

Dr. WlDOWITZ erzählt von einem Falle von Santonin¬ 
vergiftung aus seiner Privatpraxis. Ein schwächliches, drei¬ 
jähriges Kind hatte in kurzer Zeit 10 Santoninplätzchen ä 0‘03 
genommen. Bald darauf stellten sich Aufregung, Hallucinationen, 
zuerst heiterer, später schreckhafter Natur ein, schließlich traten 
clonischo Krämpfe auf. Das Kind bot ferner gesteigerte Reflexe 
dar und träge Pupillenreaction; der Puls war 120, die Temperatur 
37 - 4° C. Es wurden ein Clysma, ein Laxans und 0 20 Antifebrin 
gegeben. Bis zum nächsten Morgen war der Zustand bis auf größere 
Aufgeregtheit dos Kindes zur Norm zurückgekehrt. 

Prof. Schnabel; Ueber Cataracta-Operationen. 

Als der Vortragende vor etwa zwei Jahren in der gleichen 
Gesellschaft einen Vortrag über die Geschichte dieser Operation in 
den letzten 25 Jahren hielt, sprach er zum Schlüsse desselben die 
Hoffnung aus, cs werde eine Zeit kommen, in welcher die Augen¬ 
ärzte über ebensoviele Erfolge zu berichten haben werden, als sie 
Staaroperationen ausführen. 

Seit dieser Zeit hatte Prof. Schnabel auf seiner Klinik 
234 Fälle von Cataracta operirt (vom 26. Februar 1888 bis April 
1890). Von all diesen Fällen ging nur ein einziges Auge, das 
50. in der Reihe der operirten, durch Eiterung zu Grunde, alle 
anderen konnten in geheiltem Zustande entlassen werden. 

Bei 111 Fällen, welche im Jahre 1867 auf Jägkr’s Klinik 
von Jäger und Mauthner operirt worden waren, waren 18°/ 0 Ver¬ 
luste zu verzeichnen. Aehnlich erging es Anderen. Man suchte 
den Grund dieses Mißerfolges in drei Quellen: im Operateur, im 
Operirten, in verschiedenen nicht zu dofinirenden, nicht zu be¬ 
herrschenden Umständen. Es sollte auf die persönliche Begabung 
des Operateurs, auf seine Methode und Geschicklichkeit ankommen. 
Mau verließ die bisher geübte Methode des Lappenschnittes und 
wandte den linearen Scleralschnitt mit Ausschneidung der Iris an, 
ohne daß die Resultate, wie aus den verschiedenen Statistiken, die 
leider aus den mannigfaltigsten Gründen nicht recht verwerthbar 


sind, hervorgeht, wesentlich bessere geworden w'ären. Die Verluste 
schwankten zwischen 8 — 13%. Schnabel selbst hatte in den 
Jahren 1877—1883 14% verlorene Augen zu beklagen. 

Erst als die Erfolge der Antisepsis auf anderen Gebieten der 
Chirurgie auch die Aufmerksamkeit der Augenärzte erweckt hatten, 
wurden die Sachen besser. In den Jahren 1884—1886, wo Schnabel 
zuerst benzoesaures Natron und Borsäure, später Carbolsäure und 
Jodoform als Antiseptica bei den Staaroperationen verwendet hatte, 
war die Verlustziffer auf circa 4% gesunken uud jetzt, wo der 
Vortragende eine noch bessere Methode anwendet, beträgt sie nur 
033%, also beinahe Null. Die Vorbereitungcu zu den Operationen 
werden in folgender Weise ausgeführt: Die Lider und Umgebung 
des Auges werden mit Bürste und Seife gereinigt und mit Vi.% 
Sublimatlösung desinficirt, der Bindehautsack mit 1 / 40 % HgCl-Lösung. 
Die Instrumente kommen in Wasserdampf und werden dann in 2% 
Carbollösung eingelegt, die Hände nach der gewöhnlichen Reinigung 
mit % 0 % Sublimatlösung gewaschen und nicht abgetrocknet. 
Während der Operation gelangen keine Schwämme zur Anwendung, 
sondern nur mit Sublimat getränkte Wattebäuschchen. Vortragender 
ist vollkommen überzeugt, daß diese Art des antiseptischen Vor¬ 
gehens nicht ein Ideal ist, aber nach den damit erzielten Resultaten 
ist ein anderes bis jetzt nicht nothweudig. Auf Grund dieser Er¬ 
fahrung muß behauptet werden, daß die Schuld eines Mißerfolges 
frei einer Cataracta-Operation niemanden Anderen trifft, als den 
Operateur, dessen Verantwortlichkeit eine um so größere wird, 
je weiter wir in der Erkenntniß pathologischer Vorgänge und ihrer 
Ursachen dringen. 

Es ist also auf diese Weise möglich, mit Aussicht auf sicheren 
Erfolg eine Cataracta zu operiren; es kommen noch zwei Punkte zur 
Berücksichtigung: die Erzielung eiues möglichst schönen Resultates und 
die Möglichkeit, die Operation auch im Falle der Nichtreife dos 
Staares sehr rasch ausführen zu können. Was das erste Postulat 
betrifft, so ist die Operation auch allen Anforderungen der Schön¬ 
heit entsprechend, wenn es gelingt, auch die frei beweglicho, voll¬ 
kommen runde Pupille zu erhalten, d. h. wenn man kein Colobom 
anlegen muß. Verschiedene Versuche, we'che Prof. Schnabel iu 
mannigfacher Variation ausgeführt hat, führten ihn zu der Ueber- 
zeugung, daß dieses Resultat heute noch nicht immer erreicht 
werden kann, daß man das Streben, das Colobom zu vermeiden, 
mit einem eventuellen Prolapsus iridis, einem höchst bedenklichen 
Vorkommnisse, erkaufen müsse, und daß es sicherlich nicht zu ver¬ 
antworten sei, einer problematischen Schönheit zu Liebe einen 
sicheren Erfolg auf’s Spiel zu setzen. Dazu kommt noch, daß das 
Colobom bei Cataracta den Träger desselben durchaus nicht be¬ 
lästigt und ihm keine neunenswerthen Nachtheile bringt. 

Eine unverhältnißmäßig wichtigere Frage ist sicherlich die 
nach der künstlichen Maturation der Cataracta. Dio natürliche 
Reifung des Staares nimmt ja mituuter Jahre in Anspruch, und es 
ist für den Arzt gewiß sehr poinlich, für den Patienten höchst 
trostlos, sich mit so langen Zeiträumen vertrösten zu müssen. Die 
bisher geübten Verfahren, das der Discission und die Massage der 
Linse nach Iridectoraie nach Förster, sind das erstero nicht ver¬ 
läßlich , das letztere ein zu großer Eingriff. Schnabel hat daher 
ein neues Verfahren ersonnen, welches ihn in den bisher auf diese 
Weise behandelten Fällen stets zum Ziele führte. Er verwendet 
zur Discision nicht die Nadel, sondern ein Messer, welches parallel 
der Iris eingeführt wird, nachdem es nahe dem Cornearando eiu- 
gestochen wurde, und init dein man leicht die Linsenkapsel in ge¬ 
höriger Weise verletzen kann, um die Linse dem Kammerwasser 
preiszugeben. Die Operation ist ebenso einfach wie schonend. 
14 auf diese Weise behandelte Linsen waren in 4—12 Tagen zur 
Extraction reif. Bei 3 Augou mußte die Discission 2mal gemacht 
werden. 8 von diesen künstlich gereiften Cataracten wurden mit 
tadelloser Erhaltung der Pupille operirt. Hier waren also alle drei 
Postulate erfüllt: Sicherheit des Resultates, Schönheit des Auges 
und schnelle Befreiung von dem Uebcl. hs. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse",) 

Sitzung vom 14. März 1890. 

Docent Dr. Bayer: Demonstration eines Falles von glücklich 
operirter Spina bifida und Bemerkungen zur Operation 
der Meningomyelocele sacralis. 

Der vorgestellte Fall betraf ein Kind, das vor 4 Monaten 
vom Vortragenden auf die Weise operirt wurde, daß die Geschwulst 
bis zu ihren Polen bloßgelegt, der Sack von der Seite eröffnet 
und nach Reposition des vorliegenden Rückenmarkes zuerst die 
Dura vernäht, hierauf die Fascie und dann die beiden zuvor 
aufgefriscbten Musculi erectores trunci durch Nähte verschlossen 
wurden. Zum Schlüsse wurde die Haut über der Spina bifida 
mittelst Nähten vereinigt. Das Kind kann als vollständig geheilt 
vorgestellt werden. 

Anknüpfend an diesen Fall, nimmt Bayer Veranlassung, sich 
gegen die von de Rüyter im 40. Bande von Lanuenbf.ck’s Archiv 
befürwortete Einschränkung der Operation gewisser Fälle von Spiua 
bifida auszusprechen, de Rüyter will nämlich alle jene Fälle von 
der Operation ausgeschlossen wissen, 1. wo dem Kamme entlang in 
der Medianlinie des Meningoceleusackes der Rückenmarksrest zieht 
und von demselben die der Cystenwand anliegenden Nerven zu den 
entsprechenden Intervertebrallöchern hinziehen, und 2. solche Cysten, 
durch welche Rückenmark und Nerven frei zur Kuppe ziehen und 
dort fixirt sind, weil nämlich in solchen Fällen nicht einmal eiue 
Verkleinerung des Sackes möglich ist, ohne Nerven zu durchschneiden. 
Nach Redners Erfahrungen jedoch sind auch solche Fälle zu operiren, 
indem die Ablösung der in der Meningomyelocele sacralis vorliegenden 
Rückenmarks- und Nerventheile technisch möglich und von ihm 
wiederholt mit Erfolg ausgeführt worden ist. Wo Lähmungen be¬ 
stehen und das Rückenmark im Sacke selbst endet, hat die Opera¬ 
tion keinen anderen Zweck, als das mit großer Wahrscheinlichkeit 
verlorene Individuum zunächst von seinem . gefährlichen Rücken¬ 
marksbruch zu befreien. Gegen die nach einer solchen Operation 
zurückbleibenden Lähmungen dürften später die bei sonstigen 
infantilen Paralysen beobachteten Rücksichten in Frage kommen. 
Der Umstand, daß die Mehrzahl der mit solchen Meningomyelocelen 
behafteten Kinder ohnedies in den ersten Monaten an Meningitis 
oder anderen intercurrirenden Krankheiten starb, ist nach Redners 
Ansicht eher eine Aufmunterung zur möglichst frühzeitigen 
V ornahme der Operation, und wurde auch der demonstrirte Fall 
am 15. Tage nach der Geburt und ein anderer am 6. Lebenstage mit 
Erfolg operirt; von 4 früher operirten Fällen starb einer 2 Monate 
nach gelungener Operation durch Vernachlässigung (zu Hause) an 
Decubitus und ein zweiter durch Infection in Folge Vereiterung 
einer Seidennaht. — In der bei den zwei letzten Fällen mit sehr 
gutem Erfolge vorgenommenen Muskelverschiebung und Naht über 
dem suturirten Durarest erblickt B. eine Verbesserung der bisherigen 
Technik. 

Ferner demonstrirt BAYER ein 6jähriges Kind mit einer 
linksseitigen Lumbalhernie im Sessh aFT’ schen Dreiecke. 
Der gewöhnliche Durchtritt der bei Kindern schon an und für sich 
höchst seltenen Lumbalhernien erfolgt regelmäßig im Trigonum 
Petitii. Die Geschwulst, die hier viel höher, unmittelbar unter den 
falschen Rippen sitzt, trägt alle Merkmale einer Hernie. 

Assistent Dr. S. Lewith: Zur Methodik der Untersuchung des 
elektrischen Leitungswiderstandes der Haut. 

Messungen des Leitungswiderstandes der Haut wurden bisher 
hauptsächlich von zwei Gesichtspunkten aus vorgenommen. Der 
erstere und ältere war der, eine Erklärung für das auffallende Ver¬ 
halten der Stromstärke bei Durchströmung einer Hautstelle zu 
finden, indem nämlich ein Strom, dessen Intensität bekannt war, 
während eines Dauerschlusses oder nach wiederholten Oeffnungen 
und Strom Wendungen oft ganz bedeutende Vergrößerung erfuhr. 
Dieses Verhalten läßt sich am leichtesten aus einer Veränderung 
des Leitungswiderstandes erklären, und da dasselbe für die elektrische 
Nerven- und Muskelerregbarkeit von größter Bedeutung ist, waren 
es hauptsächlich Neuropathologen, welche sich mit der Untersuchung 
des elektrischen Leitungswiderstandes der Haut befaßten. Ein 


eminent klinisches Interesse fand dieser Gegenstand durch die zuerst 
von Vigooroux gemachte Beobachtung, daß der Leitungswiderstand 
der Haut bei den mit Morbus Basedowii behafteten Personen auf¬ 
fallend vermindert ist. Redner geht nun des Weiteren auf die bisher 
in Verwendung stehenden Methoden ein und findet, daß sich nicht 
alle zur Ausführung unter einander vergleichbarer Messungen eignen. 
So ist es nach L. nicht möglich, mit den sogonannten Brücken¬ 
methoden brauchbare Resultate zu erlangen. Messungen mit dem 
elektro-diagnostischen Apparato von Gaertnbr scheinen sehr ge¬ 
eignet, doch hat L. darüber keine eigenen Erfahrungen. Die Me¬ 
thode von Martius , welche eine Beobachtung des zeitlichen Ab¬ 
laufes der Widerstandsabnahrae gestattet, kann nur mit verschiedenen 
Modifieationen in Verwendung gezogen werden, da Martius die 
Stromstärke gar nicht und den zeitlichen Ablauf nicht hinlänglich 
genug berücksichtigt hat. 

Zu seinen Untersuchungen bediente sich Lewith eines Horizontal¬ 
galvanometers von Edelmann (Modell Lewandowski), sowie eines 
eigenen Umschalters für den Rheostaten, welcher bei ein¬ 
fachster Construction gestattet, den Rheostaten in Haupt- und 
Nebenschluß zu bringen, denselben allein mit der Batterie zu ver¬ 
binden, ohne ihn gänzlich auszuscbalten und deshalb auch für andere 
elektro diagnostische oder elektro - therapeutische Zwecke geeignet 
sein dürfte. (Wird demonstrirt) 

Zu achten ist bei derlei Untersuchungen auf Fixation der 
Elektroden, sowie auf Vermeidung einer Veränderung dos Wider¬ 
standes der Leitung, z. B. durch Aenderung des Widerstandes des 
Galvanometers. 

Zum Schlüsse demonstrirt Prof. CHIARI zwei Rinder¬ 
zungen mit besonders zahlreichen und ausgedehnten 
Herden von Actinomykose. —z. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Med. PruBS«“.) 

Sitzung vom 19. April 1890. 

Dr. M. MOHR zeigt einen Kranken mit acquirirter 
Myopia lentis. 

Dr. 0. PERTIK demonstrirt ein Präparat von Myeloma 
multiplex, welches von einem 29jährigen Manne stammt, der 
unter Erscheinungen von Blutarmuth und Marasmus gestorben ist. 
In vivo wurde eine mäßige Vermehrung der Blutzellen beobachtet. 
Die Autopsie zeigte eine theils schleimige, theils lymphoide Ver¬ 
änderung des Knochenmarks. Im Mark der beideu Oberarmknochen, 
der Ulna, des Radius, des Femur und der Tibia kirschen- bis klein¬ 
wallnußgroße, scharf umschriebene, graulichgelbe Herde, stellenweise 
von Hämorrhagien begleitet. 

Am Schädeldach einige flach aufsitzende Geschwülste im 
Periost und ähnliche in der schwammigen Substanz des Os ilei und 
sämmtlicher Wirbelkörper. Auch findet sich dieses Geschwulstgewobe 
zuweilen diffus im Netze des Knochenmarkes. 

An den Rippen Osteosclerose. Dieses Myeloma multiplex 
entspricht durch seine zahlreichen Metastasen und die Erkrankung 
der Lymphdrüsen dem Lymphoma malignum Billroth’s. 

Dr. F. SZ0NTA6H zeigt einen Fall von Nephritis acuta 
haemorrhagica nach Impetigo. 

Prof. K. Laufenauer: Ueber fünf Fälle von Chorea gravis mit 
anatomischem Befunde. 

‘ Uuter 17 Choreafällen, welcho L. im Laufe von 8 Jahren auf 
seiner Abtheilung beobachtet hat, starben 5 unter Erscheinungen, 
welche er auf eine Mikrobeninfection zurückführt. Dauer der ganzen 
Krankheit 8—30 Tage. Bei den tödtlich endenden Fällen bestanden 
die heftigsten Muskelcontractionen Tag und Nacht, so daß d e Pat. an’s 
Bett fixirt werden mußten; die Sprache war wegeu der ungeordneten 
Muskelbewegungen unverständlich, das Gesicht geröthet, die Pupillen 
ungleich, Puls und Athmung sehr frequent; es bestanden ferner Fieber, 
geistige Störungen und Illusionen. Die Autopsie zeigte starke 
Hyperämie der Hirnrinde und der großen Ganglien, acute Ence¬ 
phalitis, fast stets acute oder chronische Endocarditis. Bekanntlich 
wurden die von Broadbent gefundenen capillaren Embolien von 
Vielen nicht wiedergefunden, dafür aber wurde von Anderen ein 


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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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1890. — 


diffuser Proceß angenommen. Auch Vortr. fand eine diffuse Rund¬ 
zelleninfiltration in der Hirnrinde, Hyalinkörper im Corpus lenti- 
oulare, welche Vortr. als Amyloid anzuspreohen geneigt ist, da sie 
auf Jod reagirten. Auch die Medulla oblongata zeigte ähnlichen 
Befund ; am wenigsten zeigte sich das Kleinhirn verändert. 

Mit Rücksicht darauf, daß die idiopathische Chorea gewöhn¬ 
lich nach Infectionskrankheiten (Rheumatismus, Scharlach) auftritt, 
mit Rücksicht auf den diffusen encephalitischen Proceß, welcher 
die verschiedensten histologischen Befunde erzeugt, hält Vortr. die¬ 
selbe für eine subchronische, zuweilen aber acut verlaufende Infoc- 
tionskrankheit, welche wahrscheinlich durch Einwanderung der den 
Rheumatismus und die Endocarditis erzeugenden Mikrobe in das 
Centralnervensystero hervorgerufen wird. Diese Annahme erklärt 
sowohl die wechselnden klinischen Erscheinungeu, als auch die 
wechselnden anatomischen Befunde. Bei den leichteren Infectionen 
ist der Ausgang günstig, bei schweren die Prognose äußerst ungünstig 
und die Therapie machtlos. 

Dr. J. Donath: Für den cerebralen Ursprung der Chorea 
sprechen die Zuckungen im Oesichte, das häufige Ueberwiegen der¬ 
selben in den Extremitäten der einen Seite, die Chorea prae- und 
posthemiplegica, welche stets einseitig ist. Wahrscheinlich verläuft 
der Proceß in der Hirnrinde, wofür sowohl die so häufigen psycho¬ 
tischen Erscheinungen, als auch gefundenen encephalitischen Ver¬ 
änderungen sprechen. Die Mikrobeuthoorie erscheint aber noch nicht 
genügend gestützt, gegen welche unter Anderem auch die durch 
intravenöse Injectionen von Amylum an Thieren künstlich erzeugten 
choreatischen Erscheinungen, sowie auch die Chorea praebemiplegica 
sprechen. 

Prof. Laufenauer erwidert, daß er die Chorea prae- und 
posthemiplegica als symptomatische Chorea hier nicht erwähnt 
hat, weil er sie als nicht hieher gehörig betrachtet. Er fand das 
histologische Bild der Chorea sehr ähnlich dem der Lyssa, deren 
infectiöse Natur unbestritten ist. Doch ist es ihm bisher weder 
mikroskopisch, noch durch Cultur und Impfversuche gelungen, den 
Mikroorganismus nachzuweisen. 

Dr. R. TemESVARY hält den abschließenden Theil seines Vor¬ 
trages: Ueber die Anwendung der Elektricität in der Gynä¬ 
kologie. *) 

Der positive Pol des constantcn Stromes wirkt auf das Gewebe 
ätzend durch die entwickelte Säure, der negative Pol durch das 
entwickelte Alkali. Es wird dadurch die chemische Zersetzung der Go- 
webselementc, deren Fortschaffung, sowie die Einflußnahme auf das 
Blut- und Lymphgefäßsystem bewirkt. 

Der positive Pol wirkt außerdem blutstillend, der negative 
blutentziehend. Der schwache Strom, sowohl der constante als der 
faradische, wirkt schmerzlindernd. 

Die Vortheile des Verfahrens von Apostoli sind: Einfach¬ 
heit, die Möglichkeit genauer Dosirung, Entbehr¬ 
lichkeit der Assistonz in deu meisten Fällen, die 
Localisation und gänzlicho Gefahrlosigkeit der Be¬ 
handlung, die geringe Schmerzhaftigkeit oder gänz¬ 
liche Schmerzlosigkeit, die oft rasche Wirksamkeit, 
die Möglichkeit, daß die Kranken ihren Geschäften 
nachgehen, und daß sie endlich keine Verstümmelung 
der Geschlechtsorgane erleiden. 

Die Nachtheile des Verfahrens sind: Es ist nicht un¬ 
fehlbar; im Falle nicht erkannter G r a vi d it ä t k ann 
Unterbrechung derselben erfolgen; durch diagno¬ 
stische Irrthümer kann Schaden verursacht worden, 
eine chronische Perimetritis kaun acut gemacht 
werden; nach Galvanopuncturen können Abscesse 
und Fieber entstehen; auch wird von Manchen behauptet, 
daß darnach Unfruchtbarkeit auftreten kann. Alle 
diese Nachtheile lassen sich durch Aufmerksamkeit und Vorsichts¬ 
maßregeln vermeiden. 

Indicationen: Der schwacho constante Strom wird 
bei acuten Entzündungen der Gebärmutter und ihrer Anhänge an¬ 
gewendet, was jedoch Vortr. nicht empfiehlt, ferner bei Pruritus 
vulvae und Hyperplasia uteri; der starke constante Strom 

») S. r Wiener Med. Presse“, 1890, Nr. 12. 


(positiver Pol; mit sonden artiger Elektrode bei Endo¬ 
metritis , blutenden Myomen, Metritis haemorrhagica, Meno- und 
Metrorrhagien; der starke constante Strom mit positiver 
Kohlenelektrode bei denselben Krankheiten, wenn die Blutungen 
stark sind, oder bei weiter Gebärmutterhöhle; der starke con¬ 
stante Strom mit negativer Sondenelektrodo bei nicht 
blutenden Myomen, chronischen para- und perimetritischen Exsu¬ 
daten, Ovario Salpingitiden, Amenorrhoe und Dysmenorrhoe, Ver¬ 
engerungen des Cervicalcauales, alten Metritiden und altou Sub¬ 
involutionen ; gelangt man nicht in das Cavum uteri oder sind 
die Resultate nicht befriedigend, dann wird ebenso die spitze 
Elektrode applieirt. Der inducirte Strom mit starkem 
Draht (geringem Widerstand) ist iudicirt boi frischer Subinvolulio 
uteri, MotTitis, Atonia, Atrophia, Hyperplasia und Hyperinvolutio 
uteri; der inducirte Strom mit dünnem Draht bei ner¬ 
vösen uud entzündlichen Schmerzen, Ovaralgie, Vaginismus, der 
galvano-faradische Strom bei chronischer Obstipation. 

Contraindicationen siud: Idiosyncrasie, ferner, nach 
dem Vortr., jede acute Entzündung der Bcckcuorgane. Die Prognose 
ist erst nach 3—4 Sitzungen zu stellen und häugt von dem Nach 
lassen der Erscheinungen und der Toleranz der Krankeu gegen den 
Strom ab. 

Die Veränderung des Eudometriums durch die elektrische Be¬ 
handlung kann nur die Conceptiousfähigkoit, nicht aber die darnach 
erfolgte Gravidität beeinflussen. n. 


Notizen. 

Wien, 10. Mai 18 90. 

(K. k. Gesellschaft der Aorzte in Wien.) In der 
gestern unter dem Vorsitze des Prof. Chrobak stattgefundeneu 
Sitzung dieser Gesellschaft stellte Prof. Lang einen Pat. vor, bei 
welchem er eine Strictur der Urethra mittelst Elektro¬ 
lyse erweitert hat. Er bedient sich hiezu eines aus zwei in ein¬ 
ander geschobenen Bougics bestehenden Instrumentes, von welchen 
die innere gerade so stark ist, um die Strictur zu passiren, die 
äußere kürzer und von der Stärke, bis zu welcher die Strictur erweitert 
worden soll. Letztere Bougie läuft in einen Metallknopf aus, von dem 
Drähte gegen eine am anderen Ende befindliche Mctalleinfassung ziehen, 
die mit der Batterie verbunden ist. Eiue Stromstärko vou 17 M.-A. 
gouügt, die Zeitdauer der Einwirkung beträgt 10—11 Minuten. 
Die Wirkung beruht auf Eutziehuug des Wasserstoffga3es. — Prof. 
Dittel bemerkt, daß Versuche, die Prof. Benedikt vor mehreren 
Jahren an 3 Fällen gemacht hat, nicht gut ausfielen. — Prof. 
G rüber hat Elektrolyse bei Ohrpolypen angewendet, das Verfahren 
aber wegen der Schmerzhaftigkeit auf jene Fälle beschränkt, welchen 
man auf andere Weise nicht beikommen kann. — Prof. Lang consta- 
tirt, daß bei allmätigem Einschleichen dos Stromes die Schmerzhaftigkeit 
eine geringe ist. — Dr. Hajek hat die Elektrolyse bei Nasen- und 
Kehlkopferkrankungen versucht. Bei ersteren kommt man mit jeder 
Methode früher zum Ziele als mit der El-ktrolyse, bei letzteren ist 
das Verfahren wegen der langen Dauer und der großen Schmerzen, 
die es verursacht, nicht anwendbar. — Docent Dr. v. Zeissl be¬ 
richtet über Untersuchungen, die er im Vereine mit Dr. Horoviz 
über die Anatomie der Lymphgefäße der männlichen 
Genitalien angestellt hat. Er fand oberflächliche und tiefe Lymph¬ 
gefäße, von denen die letzteren nicht zu den Lymphdrüsen in die 
Leistenbeuge, sondern zu Lymphknoten in’s Becken ziehen. Auch 
fauden sie ein noch nicht beschriebenes Lymphgefäß, welches längs 
des Vas defereus zieht und in einem auf der Vena iliaca externa 
liegenden Lymphknoten endigt. — Dr. Kovacs berichtet über zwei 
Fälle von Orchitis parotidea ohno Parotitis. Die Fälle 
betrafen zwei Brüder im Alter von 24, resp. 25 Jahren, die früher 
stets gesund waren und plötzlich nach kurzen Prodromalerscheinungen, 
wie sie gewöhnlich bei Infectionskrankheiten Vorkommen, hohes 
Fieber, catarrhalische Affectionen der Schleimhäute des Respirations- 
tractus, Milztumor und Orchitis, resp. Periorchitis linkerseits bekamen; 
mit kritischem Abfall des Fiebers am 2. Tag schwanden auch die 
übrigen Erscheinungen rapid. In beiden Fällen fand Redner während 


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771 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


der Abschwellung der Hoden Peptonurie, offenbar durch Resorption von 
Entzündungsproductcn bedingt. — DoccntDr. Eisenschitz hat bei Kin¬ 
dern Massage gegen Parotitis versucht. Es gelang manchmal dadurch, 
den Proceß abzukürzen, aber nach einigen Stunden traten Allgemein- 
crscheinungen (Collaps, Erbrechen) ein, die auf eine Uebertragung von 
.schädlichen Stoffen in die Circulation hinweisen. Hodenschwellun 
gen kommen nach EiSKNSCHiTZ vorwiegend bei solchen Kindern 
vor, welche der Pubertät näberstehen. — Docent Dr. Kolisko 
demonstrirt das Präparat von einem Fötus in foetu. Bei einem 
5 Wochen alten Mädchen fand sich inlra vitam die ganze rechte 
Bauchhälfte von einer cystiscbcn Geschwulst erfüllt, welche sich 
bei der Section als Cystcnsack erwies, der deutliche Kindestheile 
(Gesicht, Kiefer, Zunge, Hand) enthielt. Es erklärt sich dieser Bo- 
fund durch Umwaehsung einer Fötalanlage durch eine zweite. — 
Prof. Kundrat demonstrirt eine Rippe eines 10jährigen Knaben, 
bei dem vor 10 Jahren wegen einer Pleuritis die subpcriostale 
Resection vorgeuouimen wurde, worauf sich letztere so regenerirt 
hat, daß kaum mehr ein Defcct zu erkennen ist 

(Aus dem österreichischen A bgeordneto nhauso.) 
Das Abgeordnetenhaus hat in der abgelaufenen Woche den Etat 
des Unterrichtsministeriums bewilligt. Das Gesammtcrforderniß für 
die Universitäten beziffert sieh mit fl. 2,927.075 (-+- fl. 19.479 
gegen das Vorjahr). Die Wiener Univoisität participirt an dieser 
Summe mit fl. 895.30», d. i. + fl. 913«) gegenüber dom Vor¬ 
jahre, ein Mehranspruch, welcher durch die Errichtung einer III. 
mcdicini8chen Lehrkanzel und Klinik, Systcmisirung einer ordent¬ 
lichen Lehrkanzel der Psychiatrie, durch Bewilligung eines Miet'u- 
zinses zur Unterbringung des zahnärztlichen Ambulatoriums, von 
Remunerationen für vier Assistenten, von Dotationen für das histo¬ 
logische Institut, für das zabnärtliche Ambulatorium und für die 
111. mediciuische Lehrkanzel und Klinik und Erhöhung der Dotation 
für die Gobärkliniken horvorgerufen wird). — Von den übrigen 
Universitäten erfordern: Innsbruck fl. 236.900, Adaptirung und 
innere Errichtung der ehemaligen Räumlichkeiten der Lehrkanzel 
für Anatomie für Zwecke des physikalischen Instituts fl. 12.700, 
Adaptirungen und Herstellungen im pathologisch-anatomischen InstU 
tute und in den Räumlichkeiten der Lehrkauzoln für gerichtliche 
Medicin und Hygiene, sowie für experimentelle Pathologie fl. 700« >, 
Vervollständigung der ersten wissenschaftlichen Ausstattung des 
Instituts für allgemeine und experimentelle Pathologie (2. und letzte 
Rate) fl. 600, zur wissenschaftlichen Ausstattung des Instituts für 
pathologische Anatomie (2. Rate) fl. 1000. — Graz fl. 3«)5.400, 
Anschaffung von Instrumenten und Apparaten für das Institut der 
allgemeinen und expcrimeutellon Pathologie (1. Rate) fl. 1500, An¬ 
schaffung von Instrumenten für das pathologisch anatomische Institut 
(1. Rate) fl. 600, Adaptirungen an der Augenklinik fl. 2500. — 
Prag fl. 766 472, böhmische Universität: Ergänzung der wissen¬ 
schaftlichen Ausstattung des pharmakologischen Instituts (1. Rate) 
fl. 1000, Tilgung und Verzinsung des Kaufschillings für den Bau¬ 
grund zur Herstellung eines Gebäudes für medicinische Institute 
(8. Rate) fl. 20.000. — Krakau fl. 280.400, Anschaffung von 
Wäsche und sonstigen Utensilien an der medicinischon, chirurgischen, 
oculistischeu und gynäkologischen Klinik (1. Rate) fl. 1000, Ver¬ 
vollständigung der wissenschaftlichen Ausstattung des pharmakologi¬ 
schen Instituts (2. und letzte Rate) fl. 500. 

(Die Frau auf dem Gebiete der Medicin.) Nachdem 
in einer der letzten Sitzungen des Abgeordnetenhauses der Abg. 
Adamek für die Zulassung von Frauen als ordentliche Hörer der 
medicini8chen und philosophischen Facultäten cingetreten war über¬ 
reichte der Abg. Dr. Jaques eine von zahlreichen Frauenvereinen 
gezeichnete Petition, welche dem gleichen Wunsche Ausdruck gibt. 
Wir präcisiren unseren Standpunkt in dieser Frage im Feuilleton 
der vorliegenden Nummer. 

(Die Zahl der Medicin-Studirenden) betrug nach 
dem neuesten Universitätskalender im Wintersemester 1889,90 an 
den Universitäten: Wien 2182, München 1422, Berlin 1373, Würz- 
burg 998, Leipzig 944, Dorpat 921, Graz 590, Greifswald 377, 
Breslau 358, Straßburg 353, Bonn 343, Erlangen 340, Freiburg 
327, Innsbruck 305, Halle 284, Heidelberg 284, Zürich 276, 
Königsberg 258, Kiel 241, Marburg 239, Tübingen 232, Jena 216, 
Göttingen 211, Genf 186, Gießen 158, Rostock 145, Basel 123. 


(Univer sitäts-Nachrichten.) Die Habilitirung des 
Dr. v. Eiselsbbrg, Assistenten der Klinik Billroth, als Docent 
für Chirurgie an dor Wiener Universität wurde vom Unterrichts¬ 
ministerium genehmigt. — Der Privatdocont Dr. Max Wolff ist 
zum a. o. Professor der Bacteriologio an der Universität Berlin 
ernannt worden. — Prof. Fischer in Breslan soll, wie mehrere 
Tagesblätter berichten, in Folge einer Differenz mit seinem Audi¬ 
torium vom Lehramte zurückgetreten sein. Eine Bestätigung dieser 
Nachricht, welche den Verlust eines der hervorragendsten Lehrer 
der genannten Universität bedeuten würde, bleibt abzuwarten. 

(Der internationale medicinische Congreß und 
die französischen Aerzte.) Das Syndicat der französischen 
Fachpresse hat in einer Resolution dor Ansicht Ausdruck gegeben, 
die französischen Aerzte sollten am internationalen medicinisehen 
Congreß zu Berlin theilnohmen. Behufs Begründung dieser im 
Uebrigen selbstverständlichen Anschauung wird angoführt: 1. Der 
Berliner Congreß sei eino Fortsetzung von wissenschaftlichen Ver¬ 
einigungen , welche der Reihe nach in verschiedenen Hauptstädten 
stattgefunden haben und deren erste — im Jahre 1867 — in Paris 
abgehalten worden sei. Die französischen Aerzte dürfen solchen 
großen medicinisehen Congressen umsoweniger fernbleiben, als gerade 
sie dieselben inaugurirt haben. Der ausschließlich wissenschaftliche 
Zweck solcher Congrcsse bestehe ja darin, allgemeine medicinische 
und specicll hygienische Fragen zu discutiren, welche alle Staaten 
intercssireu. 2. Die französische Sprache sei eine der drei officiollen 
Congreßsprachcn und diejenige, welcher die Mehrzahl der Vertreter 
Belgiens, Spaniens, Griechenlands, Hollands, Italiens, Rumäniens, 
Rußlands, «1er Schweiz, Türkei, Südamerikas etc. sich bedienen 
werden. Die Aerzte Frankreichs haben daher keinen Anlaß zur 
Besorgniß, unverstanden oder isolirt zu sein. 3. Die französischen 
Aerzte haben die Pflicht, sich hervorzuthun (se produire), ihre Me¬ 
thoden und die Resultate ihrer Arbeiten in einer wissenschaftlichen 
Versammlung bekannt zu machen, welche berufen ist, die Fort¬ 
schritte der Medicin zu verzeichnen und die wichtigsten, aotuollston 
Gegenstände zu besprechen. — Durch diese eingehende Motivirung 
wird auch wohl der onragirteste Chauvinist überzeugt werden. Im 
Uebrigen weisen die vorläufigen Programme dor einzelnen Ab¬ 
theilungen des Congresses schon jetzt zahlreiche, illustre französische 
Namen auf. 

(Statistik.) Vom 27. April bis inclusive 3. Mai 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 3730 l'ersonen behandelt. Hievon wurden 914 
entlassen; 117 sind gestorben (ll‘3'> 0 / 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Stalthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 40, egyptischer Augeiieutzlindung 4, Cholera —, Flecktyphus 1, 
Abdominaltyphus 5, Dysenterie —. Blattern 15, Varicellen 64, Scharlach 71, 
Masern 329, Keuchhusten 68. Wundrothlauf 23. Wochenbettfleber 6. — ln 
der 18. Jaliraswoche sind in Wien 435 Personen gestorben (—10 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien die praktischen 
Aorzte Dr. Ernst Braun sen., im 83. Lebensjahre und Dr. N. T. 
Fritz, 75 Jahre alt; in Böhm.-Trübau Dr. Franz RybiCka; in 
Gries Dr. Hugo Russegger aus Weyer, im 49. Lobonsjahre; in 
Meran Dr. Josef Hitschfeld , 77 Jahre alt; in Stockholm der 
Chef der schwedischen Medicinalverwaltung, Prof. Magnos v. Huss, 
83 Jahre alt; in Florenz der Professor der Anatomie, Dr. A. Tofanj; 
in St. Petersburg der ehemalige Professor der allg. Pathologie und 
Diagnostik an der med.-chirurg. Akademie, Geh.-R. Dr. Victor 
Besser, im 65. Lebensjahre. 

In einer großen Reihe von Erkrankungen erscheint oft eine dauernde 
Therapie mit Purgantien indicirt. In solchen Fällen bietet es oft Schwierig¬ 
keiten, ein Abfühl mittel zu finden, welches allen Anforderungen, die bei 
längerem Gebrauche gestellt werden, entspricht. Dia Wirkung muß eine prompte, 
dabei jedoch milde sein, Irritationserscheinungen des Darmes müsse i ver¬ 
mieden werden und muß die Wirkung, ohne daß mau die Dosen steigert, 
immer die gleich verläßlich: sein. Die wenigsteu pharmaceutisch hergestellten 
Purgantien jedoch vereinigen diese Eigenschaften in sich, wohl aber sind diese 
dem bestbekannten Hunyadi Jan os-Bitte rwasser von Saxlehner in 
hohem Grade eigen, so daß dieses Wasser auch in den weitesten Kreisen der 
Aerzte ungemeiu geschätzt und als ein wichtiger Behelf der Therapie in zahl¬ 
reichen Fällen verordnet wird. 


(Lev ico-Arsen-Ei sen wasser) vide Inserat. 


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Nr. 20. 


Sonntag den 18. Mai 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Ouart-Format Btark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertiona- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland : Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate weiden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

-— : - 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Origlnalien und klinische Vorlesungen. Zur Casuistik der präperitonealen Lipome. Von Prof. Dr. E. Heinrich Kisch in Prag-Marienbad. — 
Ueber Rheostate nnd deren Verwendung in der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Qnecksilberrheostates. Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, k. k. Professor in Wien. — Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. Ein 
experimenteller Beitrag zn deren Heilwerth von Dr. Akthuk Lokbel, Wien-Dorna. — Referate und literarische Anzeigen. Rohrer (Zürich), 
v. Swiecicki (Posen), Brocq (Paris), Hughes (Soden-Würzburg): Ueber Aristol. — Senn : The Treatment of Fractures of the Neck of the Femur by immediate 
Redaction and permanent Fixation. — Uterus und Auge. Eine Darstellung der Functionen und Krankheiten des weiblichen Geschlechtsapparates 
in ihrem pathogenen Einfluß auf das Sehorgan. Von Dr. Salo Kohn. Mit einem Vorworte von Dr. E Pflüger, o. ö. Professor an der Universität 
zu Bern. — Le suc gastrique et les phfenomfenes chimiques de la digestion dans les maladies de l’estomac par L. Stienon. — ZeitnngSSChau. 
Bericht über die Fortschritte in der Pathologie und Therapie der Krankheiten des nropoetischen Systems. Ref.: Dr. H. Lohnstein , Assistent 
des poliklinischen Institutes von Prof. Zuelzer zu Berlin. — Feuilleton. Militärärztliche Plaudereien. II. Auszeichnungen. — Kleine Mlt- 
theilnngen. Ueber die diuretische Wirkung des Milchzuckers. — Behandlung des eingewachsenen Nagels. — Zur Therapie des Keuchhustens. — 
Abnorme Geschmacksempfindung bei Neurasthenia sexualis. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. IX. Congreß für innere Medicin. Gehalten 
zu Wien vom ]5. bis 18. April 1890. (Orig.Ber.) V. — Neunzehnter Congreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin 
vom 9.—12. April 1890. (Orig.-Ber.) V. — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zur Casuistik der präperitonealen Lipome. 

Von Prof. Dr. E. Heinrich Kisoh in Prag-Marienbad. 

Durch die folgenden Fälle meiner Beobachtung soll ein 
kleiner Beitrag zur Casuistik der präperitonealen Lipome ge¬ 
liefert werden, welcher ein gewisses praktisches Interesse für 
sich beanspruchen dürfte, sowohl wegen des diagnostischen 
Irrthumes, zu welchem diese Fettgeschwülste Anlaß boten, als 
wegen des bei ihnen erzielten therapeutischen Erfolges. 

Es ist bekannt, daß von den im Unterleibe abgelagerten 
Fettmassen sich einzelne Partien durch eine Bruchpforte oder 
Gefäßlücke nach außen drängen können, sich dann im Unter¬ 
hautzellgewebe der Bauchdecken vergrößern und so den Anlaß 
zur Entstehung von Geschwülsten geben, welche man als 
Fetthernien bezeichnet. Trotzdem diese präperitonealen 
Fettgeschwülste eingehend von Heinecke in Pitha-Billrotr’s 
Handbuch der Chirurgie beschrieben wurden und erst jüngstens 
Prof. Thomayer (aus Prof. Eiselt’s Klinik in Prag) eine beaehtens- 
werthe Mittheilung einschlägiger Beobachtungen veröffentlicht 
hat („Wr. allg. med. Ztg.“, 1889), so scheint mir doch die 
Bedeutung dieser Lipome, namentlich in ihrer Beziehung 
zu krankhaften Erscheinungen von Seite des Magens und 
Darmcanals nicht gebührend gewürdigt zu sein, und deshalb 
wünschenswerth, einschlägiges Material zu sammeln. 

Herr H., 60 Jahre alt, ein kräftig gebauter, hochgradig 
fettleibiger Mann, gibt an, seit zwei Jahren an heftigen, anfalls¬ 
weise auftretenden Mage nscbmerz en zu leiden, welche ihn sehr 
quälen und durch welche er auch in seiner Ernährung herabgekommen 
sei, denn er war noch wesentlich reicher an Fett gewesen. Die 
Schmerzen sind täglich vorhanden, treten zu verschiedenen Zeiten 
auf, zuweilen an eine Mahlzeit anschließend, nicht aber stetig nach 
dem Essen, dauern verschieden lange, manchmal einige Minuten, zu¬ 
weilen auch mehrere Standen. Der Appetit ist ziemlich gut, das 
Geuossene wird gut vertragen, Erbrechen ist nur ausnahmsweise 


selten aufgetreten, die Schmerzen sind aber das Wesentlichste, wo¬ 
gegen jede bisherige Medication erfolglos blieb. Wegen chronischen 
Magencatarrhs, Dyspepsie, sogar auch als einer malignen Magener¬ 
krankung verdächtig vielfach behandelt, kam Pat. nun, um sein 
„Magenleiden“ zu heilen, nach Marienbad. Bei der Unter¬ 
suchung fand ich, die Magengegend abtastend, in der Mittellinie 
der Bauchwand, 4 Cm. unterhalb des Processus xiphoideus des 
Brustbeines, in den fettreichen Bauchdecken eine resistentero Stolle, 
bei deren Berührung der Patient über heftigen nachhaltigen Schmerz 
klagt. Die genauere Betastung ergibt, daß an dieser Stelle sich 
eine rundliche, weiche, haselnußgroße Geschwulst befindet, Uber 
welcher sich die Haut verschieben und in Falten erheben läßt und 
die gegen Druck empfindlich ist. Bei stärkerem, die kleine Geschwulst 
umfassenden Druck verschwindet diese plötzlich unter den Bauch¬ 
decken, und es ist an derselben Stelle, wo der Tumor war, eine 
bohnengroße Oeffnung in der Linea alba nachweisbar. Beim Auf¬ 
stehen des Patienten, nach mehreren Hustenbewegungen, kam die 
Geschwulst in derselben Weise wie vorher zum Vorscheine. 

Es war mir klar, daß dieses präperitoneale Lipom durch 
Zerrung den Anlaß zu den Schmerzen geben kann, und ich ließ 
darum eine passende Binde anfertigen. Nachdem ich den Tumor 
wieder zum Verschwinden gebracht hatte, ließ ich die Bandage an- 
legen und diesolbe nun stetig tragen. Die Wirkung war eine 
frappante. Die Schmerzen hörten mit einem Schlage auf und kamen 
während des mehrwöchentlichen Aufenthaltes des Patienten im Cur- 
orte nicht mehr zum Vorscheine. 

Ein zweiter Fall betraf einen 40 Jahre alten, außerordent¬ 
lich fettleibigen Mann (Körpergewicht 96 Kilo). Derselbe klagt 
seit mehr als Jahresfrist über sehr heftige Schmerzen, 
welche vom Epigastrium ausstrahlen, fast oontinuirüch anhalten, 
nur an Intensität wechseln und ihm allen Lehensmuth benehmen. 
Die seit dieser Zeit wiederholt vorgenommene genaue Untersuchung 
des Magens und des Mageninhaltes ergab keinen Anhaltspunkt für 
die Annahme einer Magenkrankheit, und Patient gewöhnt sich zur 
Linderung seiner Qualen an Narcotica, auch Morphiuminjectionen. 
Bei der Abtastung der Magengegend war es mir durch die außer¬ 
ordentlich fettreichen Bauchdecken nicht möglich, einen Anhalts¬ 
punkt zur Klärnng des ätiologischen Momentes zu finden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 

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Erst nach sechswöchentlicher Brnnnencur des Patienten, 
welche eine bedeutende Abmagerung desselben (um mehr als 
9 Kilo) und hiemit auch eine wesentliche Verminderung des sub- 
cutanen Fettpolsters zu Wege brachte, gelang es mir, in der Linea 
alba, etwa 3 Cm. unter dem Schwertfortsatzo des Brustbeines, einen 
kleinen Tumor von Haselnußgröße zu entdecken, welcher bei Druck 
unter die Bauchdecken verschwindet und an dieser Stelle eine kleine 
Ocffnung zurückläßt. Der reponirte Tumor kommt durch Husten¬ 
bewegungen wieder zum Vorscheine. Das Tragen einer geeigneten 
Binde nach Reposition der Geschwulst brachte auch hier die Schmerzen 
in überraschender Weise zum Schwinden und erzielte vollkommenes 
Wohlbefinden. 

Die Annahme erscheint wohl gerechtfertigt, daß besonders 
bei hochgradig fettleibigen Personen derartige präperitoneale 
Lipome öfter den Anlaß zu Neuralgien und dyspeptischen Be¬ 
schwerden geben. In diesen Fällen handelt es sich, wie schon 
die geringe Größe der Geschwulst anzeigt, nicht um eigent¬ 
liche Hernien, wohl aber können die Lipome im weiteren 
Verlaufe zu wirklichen Hernien führen. Die Obduction eines 
derartigen Falles durch Prof. H. Chiari in Prag (von Tao- 
mayer citirt) zeigt die Art des Vorganges, wie sich solche 
präperitoneale Lipome wohl gewöhnlich entwickeln mögen. 
Es ergab sich nämlich „eine partielle Ausstülpung des sub¬ 
peritonealen Fettgewebes, so daß Theile des letzteren polypen¬ 
artig aus der subperitonealen Schichte durch eine linsengroße, 
in der Aponeurose befindliche Oeffhung in das Unterhaut¬ 
zellgewebe durchdringen“. 


Ueber 

ßlieostate und deren Verwendung in der 
Elcktrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Qnecksilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, k. k. Professor 

in Wien. 

(Fortsetzung.) 

Die erste hiebei zu stellende Anforderung bestand darin, 
daß die Contactfeder, wie bei dem amerikanischen Graphit- 
rheostate, (Fig. 2, Nr.l 7) unmittelbar auf derGraphitbelegung und 
über Schleifcontacte zu gleiten hätte; um einen hinreichenden 
Widerstand zu erhalten, müßte dieser Graphitweg entsprechend 
eng und ausreichend lang sein ; endlich erschien es im Hinblick 
auf die Erzielung eines stets sicheren Contactes erwünscht, 
daß der Contact mit dem Graphitwege auf irgend eine Weise 
durch Quecksilber vermittelt würde. 

Inzwischen hatte ich mir einen derartigen Apparat in 
der Weise anfertigen lassen, daß an der Unterseite einer kreis¬ 
runden, mattgeschliffenen Glasplatte, die den Deckel einer 
3 Cm. hohen und 14 Cm. im Durchmesser betragenden Holz- 
büchse bildete, ein circulärer (an einer Stelle unterbrochener) 
Graphitweg hergestellt wurde, dessen Anfang mit einer der 
an der Peripherie der Holzbüchse angebrachten zwei Draht¬ 
klemmen in leitende Verbindung gesetzt war. Das Centrum 
dieser Glasplatte nahm eine metallene Achse ein, die ober¬ 
halb der Glasplatte einen Kurbelknopf aus Hartgummi und 
unterhalb derselben einen metallenen Kurbelarm trug, an 
dessen peripherem Ende ein Graphitstift mittelst einer Klemme 
in entsprechender Höhe fixirt werden konnte, so daß er beim 
Hotiren der Drehscheibe unmittelbar auf dem Graphitwege 
schleifte und so den Contact zwischen jedem Punkte des 
Graphitweges und der Kurbelachse vermittelte, die auf kür¬ 
zestem Wege mit der zweiten Drahtklemme an der Peripherie 
der Holzbüchse leitend verbunden war. Wurde dieser Apparat 
in die Hauptschließung eingeschaltet, so gestattete er, da der 
Contactstiffc aus Graphit unmittelbar auf dem Graphitwege 
fortbewegt wurde, ein ganz gleichmäßiges und nur ganz all- 
mäliges Steigern, beziehungsweise Vermindern der Stromstärke, 


allein wegen der Kürze des Graphitweges nur in beschränkten 
Grenzen. 

In Nr. 27 des ärztlichen Centralanzeigers vom 1. Nov. 
1889 beschrieb die Firma R. Blänsdorfs Nachfolger in 
Frankfurt a. M. auf pag. 2, Fig. 4, einen ähnlichen Apparat, 
bei dem jedoch der Graphitweg an der Oberseite frei zu Tage 
liegend angebracht und somit allen Insulten, sowie der 
Staubauflagerung ausgesetzt ist, bei dem übrigens auch noch 
eine unmittelbar auf der Graphitbahn gleitende Metallfeder 
den Contact herzustellen bestimmt ist. Obwohl dieser Apparat 
wegen seines kurzen Graphitweges nicht mehr zu leisten ver¬ 
mag, als der eben besprochene, und überdies noch voraus¬ 
zusetzen ist, daß die Contactfeder die Graphitlage beschädigen 
wird, falls sie innigen Contact vermittelt, und so häufige 
Ausbesserungen des Graphitweges nöthig machen dürfte, 
außerdem auch noch der erforderliche Contact durch Staub 
zu leiden haben wird, beweist seine Herstellung das lebhaft 
empfundene Bediirfniss nach einem Apparate, der wirkliches 
Ein- und Ausschleichen des Stromes ohne jede, auch nur die 
minimalste Unterbrechung oder eine Stromesschwankung ver¬ 
mitteln würde. 

Um einen größeren Gesammtwiderstand zu erreichen, 
bleiben nur zwei Wege übrig: entweder muß man den Graphit¬ 
weg erheblich vergrößern oder aber bei kurzem Graphitwege 
eine schlechter leitende Substanz als Bindemittel des Graphit¬ 
pulvers verwenden. Ein vorhandenes Material, das der letztem 
Anforderang entsprach, schien eines Versuches werth zu sein. 
Wir verwendeten einen Ring, der aus einem Graphit-Thon¬ 
tiegel hergestellt wurde und ließen unmittelbar auf der Graphit¬ 
thonmasse einen Metallcontact schleifen ; allein die Vorrichtung 
erwies sich nicht als zuverlässig; das einemal hatte die Metal 1- 
feder Contact, das anderemal aber nicht, und zwar einerseits 
wegen der Rauhigkeit der Oberfläche, andererseits wegen der 
nicht ganz gleichmäßigen Vertheilung des Graphites in der Masse. 

Schon bei früheren Versuchen hatte ich die Wahrnehmung 
gemacht, daß, wenn eine Metallfeder oder ein, selbst noch so 
kleines Metallröllchen direct auf der Graphitbahn schleift, des 
Oeftem Contactunterbrechungen stattfinden, bedingt durch die 
kleinen Erhabenheiten und Vertiefungen der Graphitoberfläche, 
die erst durch eine umständlichere Manipulation des Ab- 
schleifens oder Polirens wenigstens zum größten Theile ver¬ 
schwanden. Würde über derlei Flächen ein Quecksilbercontact 
schleifen, so müßte sich das Quecksilber allen Erhabenheiten 
und Vertiefungen anpassen und würde so jederzeit innigen 
Contact sichern. Um einen entsprechend langen Graphitweg 
mit dem Quecksilbercontact zu vereinen, dachte ich an eine 
Graphitspirale, die gleich der Spirale in dem besprochenen 
Flüssigkeitsrheostate in vielen Touren um einen Punkt ver¬ 
laufen sollte, und vermeinte nun von diesem Centrum aus 
durch Drehung eines Kurbelknopfes das den Contact herbei¬ 
führende periphere Ende des Kurbel armes dieser Spirale ent¬ 
lang hin und zurück fortzubewegen. Am peripheren Kurbel¬ 
arme sollte eine enge Röhre abgehen, die zur Aufnahme des 
Quecksilbers bestimmt war; ein von dem metallenen Kurbel- 
arme ausgehender feiner Platindraht hätte in diese Röhre 
ragen sollen, um die leitende Verbindung desselben mit dem 
Quecksilber herzustellen. Da Quecksilber, enge Röhren er¬ 
füllend, die Mündung derselben mit einer Kuppe überragt, 
gedachte ich diese Quecksilberkuppe zur Contactherbei- 
führung zu benützen. Allein die mechanische Ausführung, 
um bei einfacher Drehung eines Kurbelknopfes mit dem late¬ 
ralen Kurbelende einen Spiralweg beschreiben zu können, bot 
große Schwierigkeiten, so daß dieses Project nicht realisirt 
werden konnte. Inzwischen schrieb mir der Mechaniker 
K. Schall aus London, daß er ebenfalls mit der Herstellung 
eines Graphitrheostates beschäftigt sei, bei dem der Schleif- 
contact unmittelbar auf der Graphitlage zu gleiten hätte, die 
auf einer Hartgummischeibe in einer eingeritzten Spiralrinne 
einzutragen wäre, wobei am Ende des die Spiralbahn be¬ 
schreibenden Kurbelarmes ein kleines Röllchen aus Metall zur 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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Herstellung des Contactes über die Graphitlage gleitend ver¬ 
schoben werden sollte. Dies würde das nämliche Princip der 
Ausführung, das ich vorhin angedeutet hatte, repräsentiren 
und gilt als neuer Beweis für das verschiedenenorts lebhaft 
empfundene Bedürfniß nach einem Rheostate, der nur ganz 
allmälig und ohne jede Stromesschwankung das Einschalten, 
beziehungsweise Ausschalten des Stromes ermöglichen sollte. 
K. Schall versprach mir einen derartigen Apparat nach Fertig¬ 
stellung zu übersenden, was bisher noch nicht erfolgte und 
woraus ich den Schluß ziehen zu dürfen glaube, daß Schall 
noch nicht am Ziele seiner Versuche angelangt sein dürfte. 

(Fortsetzung folgt.) 


Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. 

Ein experimenteller Beitrag zn deren Heilwerth 
von Dr. Arthur Loebel, Wien-Dorna. 

(Fortsetzung. *) 

Bevor ich auf die Analyse dieser Erscheinungen eingehe, 
sei es mir gestattet, früher die Beobachtungen des dritten 
Falles vorzuführen. Fast gleichzeitig mit diesem Falle kam 
mir nämlich ein zweiter Hämorrhoidarier in Behandlung, 
dessen Leiden zwar nicht mit einem Lungenemphysem, aber 
ebenfalls mit einer hochgradigen Anämie und überdies mit 
paradoxen Erscheinungen von Seiten des Pulses complicirt war. 
Bei diesem Patienten verordnete ich der Controle wegen die 
gleichtemperirten Moorextracte in umgekehrter Ordnung wie 
beim vorangehenden Falle, um mir hieraus die Regel zu for- 
muliren, welche Art der Extracte die kräftigeren und ver¬ 


läßlicheren Reize ausübe, da ja noch immer der principielle 
Streit bei den Moorbädern darin gipfelt, ob der chemische 
oder der thermische Factor an der Erzielung der Heileffecte 
in hervorragenderer Weise betheiligt sei. 

S. Avram, 70 Jahre alt, Geschäftsmann aus Wiznitz in der 
Bukowina, leidet seit vielen Jahren an Hämorrhoidalblutungen mit 
Prolapsus ani. Er war zu wiederholten Malen in seinem Leben 
schwer krank, ohne augeben zu können, was ihm gefehlt hatte. Im 
letzten Winter hütete er mehrere Monate wegen Ascites das Bett. 
Seitdem fällt ihm das Gehen schwer. 

Der beleibte Patient hat leichenblasse Hautdecken und Schleim¬ 
häute; am Halse schwellen die Venen bei jeder Inspiration an. 
Der Thorax ist mäßig gewölbt, der Spitzenstoß im 4. Intercostal- 
raume deutlich zu fühlen, der Puls voll und kräftig, nach jedem 
3.—5. Schlage aussetzend, die unteren Extremitäten sind bis zu 
den Knien ödematös angeschwollen. Die Percussion der Lungen 
ergibt normale Befunde, die Herzdämpfung weist eine unbedeutende 
Verbreiterung nach, die Lebergrenze überschreitet nicht den Rippen¬ 
bogen. Im Abdomen sind nur geringe Flüssigkeitsmengen nachzuweisen. 

Die Auscultation der Lungen ergibt abgesohwächte Athmungs- 
geräusche, am Herzen sind über allen Ostien blasende und hauchende 
Geräusche zu hören, welche den systolischen Ton verdecken. Am 
Afterrande sitzen unterhalb des Sphincters theils geschrumpfte, theils 
bohnengroße multiple Knoten, die elastisch und compressibel sind 
und stellenweise mehr oder minder tiefgreifende Erosionen besitzen. 
Bei Anstrengung der Bauchpresse treten etwa faustgroße, wulstige 
Falten der Analschleimhaut vor, die sich leicht reponiren lassen. 
Der angebüch reichlicher gelassene Urin enthält kein Albumen. 

Der Patient begann mit 35° C. warmen Moorlaugebädern durch 
20 Minuten, wobei sich ergab: 


Tag 



*/j Stunde nach dem 
Bade 

6 Stunden nach dem 
Bade 


Blutdruck 

Pul 8 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 



Mm. Hg 


Mm. Hg 


Mm. Hg 



am 1 . 

im 1 . 

140 

64 ( 4) >) 

180 

84 (28) 

150 

84 (-) 


* 2 . 

n 2 . 

180 

72 ( 4) 

180 

74 (18) 

170 

72 ( 4) 

Nach einem opulenten Frühstück. 

& 4. 

. 3. 

180 

81 ( 4) 

160 

84 (-) 

150 

82 (16) 


. 5- 

. 4 

120 

84 (-) 

160 

96 (-) 

140 

86 (-) 


„ 7 . 

_ 5. 

130 

80 (-) 

150 

80 (-) 



1 Nachdem Pat. oine ganze Stunde im Bade geblieben war, traten Hamor- 









1 rhoidalblutungen ein. 

, 8 . 

* 6 . 

120 

78 ( 5) 

120 

66 (3-4) 

— 

— 


n 9. 

n 7. 

120 

84 (-) 

120 

84 (20) 

— 

— 


n 11 . 

„ 8 . 

150 

75 ( 5) 

170 

76 (-) 

150 

78 (-) 

Blutung sistirt. 

n 12 . 

. y- 

140 

78 (-) 

170 

78 (-) 

150 

84 (-) 




_ 








') Die Zahlen in der Klammer bedeuten den ausgebliebenen Polsschlag. 


Mit Ausnahme jener zwei Bäder, die nach dem Verbleiben des 
Patieuten durch eine ganze Stunde im Moorlaugenbade eine sichtliche 
Schwächung der Constitution herbeiführten, indem sie die Hämorrhoidal¬ 
blutungen erneuerten und die bereits ausgebliebenen Intermissionen 
des Pulses wieder hervorriefen, zeigt der Blutdruck unmittelbar nach 
den Bädern eine Erhöhung von 20—40 Mm. Hg, und 6 Stunden 
nach dem Bade theilweise denselben Blutdruck wie vor dem Bade, 
theilweiso eine Erhöhung von 10—20 Mm. Hg und nur an dem 
Tage, wo der Blutdruck vor dem Bado bereits 180 Mm. Hg betrug, 
fiel der Blutdruck um 10 Mm. Hg ab, nachdem durch die unmittel¬ 
bare Einwirkung des Bades keine Alteration bewirkt worden war. 

Die Pulsfrequenz war unmittelbar nach den ersten 4 Bädern 


nm 2—20 Schläge erhöht, und sie zählte noch 6 Stunden nach dem 
Bado oft bis 12 Pulsschläge mehr, wobei trotz Alledem die Inter¬ 
missionen so rar wurden, daß sie vom 4. Bade ab mit Ausnahme 
der obeitirten 2 Bäder wieder nicht mehr zur Beobachtung ge¬ 
laugten. Die letzten 3 Bäder zeigten sogar normale Schwankungen, 
die durch den Bäderreiz nicht mehr beeinflußt wurden. Gleichzeitig 
war die ödematöse Schwellung der Beine bis auf minimale Spuren 
zurückgegangen, die geistige Disposition gehoben und das Müdigkeits- 
gefülil in den Beugungsorganon einem erhöhten Drange nach Lebens- 
bethätigung gewichen. 

Die nächsten 5 Bäder ließ ich mit dom Zusatze von Moorsalz 
gebrauchen und fand: 


i 

Tag 

Bad 

V, Stunde vor dem 
Bade 

V a Stunde nach dem 
Bade 

6 Stunden nach dem 
Bade 


Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 



Mm. Hg 


Mm. Hg 


Mm. Hg 



am 14. 

im 10. 

150 

78 (-) 

170 

80 (-) 

150 

M (-) 


n 16- 

* 11. 

120 

70 ( 3) 

160 

70 (-) 

140 

84 (-) 

Nach ziemlich reichlichem Weingenuß. 

» 18- 

n 12- 

140 

84 ( 3) 

140 

84 (-) 

130 

84 (-) 


. 19- 

* 13- 

140 

84 (-) 

150 

84 (-) 

140 

87 (-) 



• 14. 

130 

72 -) 

140 

74 (-) 

150 

78 (-) 



*) S. Nr. 18. 


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l* 















791 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


792 


Die Blutdrucksteigerang erhob sich nach dem Bade bis auf 
40 Mm. Hg und mit Ausnahme einer einzigen Depression von 
10 Mm. Hg 6 Stunden nach dem Bade bis auf 20 Mm. Hg. Den 
Tag mit dem reichlichen Weingenuß abgerechnet, blieb der Puls 
constant oder stieg um 2—6 Schläge. Die Intermissionen des Pulses, 
die nach den ersten 3 Bädern immer nur vor dem Bade zu con- 
statiren waren, verschwanden vom 3. Bade ab, wahrscheinlich in 
Folge des täglichen Bädergebrauohes, der mit Rücksicht auf die 
restaurirte Constitution angeordnet worden war. Da die Herz¬ 
geräusche ebenfalls verschwunden waren, schritt ich zum Versuche 
mit den Moorbädern, die bei einer Temperatur von 35° C. und 
einer ßadedauer von 20 Minuten folgende Notizen ergaben: 


Tag 

Bad 

l l t Stande vor dem 
Bade 

*/„ Stunde nach dem 
Bade 

6 Stunden nach dem 
Bade 



Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

1 

am 22. 

im 15. 

Mm. Hg 

120 

64 ( 3) 

Mm. Hg 

130 

72 ( 6) 

Mm. Hg 
110 

84 (-) 

n 25. 

n 16- 

110 

78 (20) 

130 

72 ( 5) 

130 

70 ( 3) 

„ 28. 

7f 17. 

12 o 

81 (-) 

140 

81 ( 3) 

140 

81 ( 3) 

» 31. 

n 18- 

130 

72 ( 4) 

110 

68 ( 3) 

120 

66 ( 3) 


Demnach schwankte der Blutdruck unmittelbar nach den Moor¬ 
bädern um 20 Mm. Hg abwärts oder um 10—30 Mm. Hg aufwärts 
und 6 Stunden darauf ebenfalls in unbestimmbarer Weise, so daß 
er das einemal, wo er nach dem Bade gestiegen war, bis 20 Mm. Hg 
wieder fiel und ein anderes Mal, wo er um 20 Mm. Hg gesunken 
war, wieder um 10 Mm. Hg stieg. In gleicher Art war die Puls¬ 
frequenz ohne jede Beziehung auf das Steigen und Sinken des Blut¬ 
druckes bald beschleunigt und bald verzögert, was nicht mehr 
für die bestimmten Einflüsse des Bades auf den Organismus, sondern 
für das Ueberwiegen anderer, veränderlicher Einflüsse spricht. Auch 
die IntermisBionen des Pulses waren mit Ausnahme des zweiten 
Bades ausschließlich vermehrt. Merkwürdigerweise blieb demunge- 
achtet das Wohlbefinden des Patienten ein ausgezeichnetes, waren 
die Herztöne rein, wurde die Farbe der Hautdecken und Schleim¬ 
häute eine gesündere. 

Vergleichen wir jetzt diese beiden Fälle mit einander, die 
insofeme eine Aehnlichkeit haben, als beiderseits die Hämorr¬ 
hoidalblutungen zu hochgradiger Blutarmuth und in Folge davon 
zu Kreislaufstörungen geführt hatten und beiderseits äußerst zu¬ 
friedenstellende Heilerfolge zu verzeichnen waren, so finden wir 
in beiden Fällen nach dem Gebrauche der ersten zehn Moor- 
extractbäder eine Blutdrucksteigerung bis 40, bezw. 60 Mm. 
Hg notirt, die selbst nach 6 Stunden noch 10—40 Mm. 
Hg betrug. Die darauf folgende Serie von 3—4 Bädern zeigte 
nur mehr geringe Elevationen des Blutdruckes, zuweilen schon 
ein Absinken desselben. Hiebei blieb es ganz irrelevant, ob 
der Versuch mit dem Moorlaugen- oder dem Moorsalzbade 
gemacht wurde, und ob ihm eine andersgeartete Badeform 
vorausgegangen war oder nicht. Die Accommodation des 
Organismus an die Hautreize tritt als auffällige Erscheinung 
constant in den Vordergrund und qualificirt die Wirkung 
dieser Badeformen nur relativ zur Irritabilität des Individuums. 

Während aber bei demjenigen Patienten, der mit 108 Puls¬ 
schlägen in’s erste Bad stieg, die Pulsfrequenz nach den ersten 
zehn Bädern unmittelbar um 4—8 Schläge zurückging und 
sechs Stunden darauf noch immer eine Frequenzverminderung 
von 4—12 Schlägen auswies und nach dem 10. Bade erst, 
sobald die Pulsfrequenz auf 84 geregelt war, unbedeutende 
Schwankungen innerhalb der normalen Grenzen hervortraten, 
sehen wir umgekehrt bei jenem Patienten, der mit 64 
Pulsschlägen seine Badecur beginnt, unmittelbar nach den 
ersten vier Bädern die Pulsfrequenz um 2—20 Schläge 
zunehmen und 6 Stunden später noch immer um 2—10 
Schläge vermehrt, vom 6. Bade ab aber unabhängig vom 
Zeitpunkte des Bädergebrauches innerhalb normaler Grenzen 
schwanken und selbst beim Wechsel des Moorextractes nur 
zuweilen um einige Pulsschläge beschleunigt. 


Auch hier hat somit nicht die Form des Moorextractes 
einen bestimmten Einfluß auf die Beschleunigung oder auf 
die Verzögerung der Pulsfrequenz, sondern in erster und letzter 
Reihe ist das Individuum mit der Qualität seiner Reizbarkeit 
maßgebend, und trifft auch hier das Gesetz der Angewöhnung 
zu. Daß aber die in der Pulsalteration ausgesprochenen 
Reize keine minderwerthigen sind, beweist der präcise Erfolg, 
der in dem Falle mit der beschleunigten Pulsfrequenz dauernd 
das accelerirte Tempo zur Norm zurückzuführen vermochte 
und in dem anderen Falle mit dem retardirten Tempo nach¬ 
drucksvoll bis zur Norm erhöhen konnte. 

Die Hautreize ergänzen aber auch trotz der Verschieden¬ 
artigkeit der Phänomene den Erfolg mit einer gleichgearteten 
Tendenz, indem sie beiderseits die Intensität der Herzthätig- 
keit verschärfen und die einzelnen Herzactionen zu energischeren 
Leistungen anspornen. Während sie nämlich beiderseits den 
Blutdruck erhöhen, führen sie im Falle mit der beschleunigten 
Herzthätigkeit durch die ausgiebige Kräftigung jedes einzelnen 
Herzschlages, der jetzt mehr Zeit als früher in Anspruch 
nimmt, zur Verringerung der beschleunigten Pulsfrequenz und 
rütteln umgekehrt im Falle mit der retardirten Herzarbeit 
durch Erhöhung jeder Einzelleistung auch die gesammte Herz¬ 
energie derart auf, daß dadurch die retardirte Pulsfrequenz 
beschleunigt und die Intermissionen des Pulses zum Ver¬ 
schwinden gebracht werden. Daher folgt sowohl einerseits auf 
die Verlangsamung, wie andererseits auf die Beschleunigung 
des Kreislaufes die Verbesserung sämmtlicher Organfunctionen 
und in dem einen Falle überdies die Aufsaugung der Trans- 
sudationen, gleichviel, ob ein Emphysem oder ein paradoxer 
Puls den Stoffwechsel behinderte. 

Die Moorbäder sind mit ein Beweismittel, daß die thera¬ 
peutische Potenz der Moorextracte keine allzu geringe sei, 
allenfalls nicht niedriger liege, als die der ersteren. Denn 
wie im zweiten Falle schwankt der Blutdruck sowohl un¬ 
mittelbar nach dem Moorbade, als auch 6 Stunden später 
relativ nur innerhalb '* ganz minimalerGrenzen, und zwar 
ganz willkürlich bald auf-, bald abwärts, gerade so wie der 
Puls innerhalb der normalen Grenzen ganz unabhängig von 
den Alterationen des Blutdruckes auf- und niedersteigt. Würde 
also die Wirkung der Moorextracte nur deshalb abgeschwächt 
werden, weil sie minderwerthige Hautreize repräsentiren, dann 
müßten ja die Moorbäder als die Träger der kräftigeren Haut¬ 
reize auf dem Reflexwege um so eher die Circulationsverhält- 
nisse einheitlich beeinflussen, als sie ohnehin als andersgeartete 
Reizmittel mit einem neugearteten, ungewohnten Factor ein- 
setzen. Wir finden aber im Gegentheile, daß der Organismus 
des ersten Patienten, der an tägliche Bäder gewöhnt war, 
nicht einmal durch die jeden zweiten Tag appUcirten Moor¬ 
bäder und der Organismus des zweiten Patienten selbst nicht 
durch die jeden dritten Tag applicirten Moorbäder derart 
zu afficiren war, daß gesetzmäßige Veränderungen im organi¬ 
schen Leben hätten constatirt werden können. 

Vielmehr liefert der zweite Fall den Beweis, daß dem 
Moorbade nicht einmal die therapeutische Potenz innewohnte, 
die Intermissionen der Pulse um einen Tag länger zu beheben, 
als dies nach dem Gebrauche der Moorextracte geschah. Denn 
ist, wie dies Kussmaul betont, der paradoxe Puls mit dem 
inspiratorischen Anschwellen der Halsvenen dadurch zu Stande 
gekommen, daß die nach einer abgelaufenen Pericarditis zurück¬ 
gebliebenen sträng- oder fadenförmigen Verwachsungen zur 
Knickung oder Drehung der großen Gefäße geführt haben, so 
müssen diese mechanischen Hindernisse, die von dem durch 
die Moorextracte ausgelösten Hautreize überwunden werden 
konnten, gewiß dieselben geblieben sein, um im Falle der 
Aequivalenz auch vom therapeutischen Coefficienten der Moor¬ 
bäder bewältigt werden zu können. 

Der vierte Fall betrifft ein durch eine nicht genügend com- 
pensirte Insufficientia valvulae mitralis geschwächtes Individuum und 
erweist noch sinnfälliger die Abhängigkeit der Wirkungsweise 
dieser Bäderform von der Irritabilität des Badenden. Gleichzeitig 


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793 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


794 


aber spricht der Erfolg in diesem Falle für die Wichtigkeit der 
Moorextractbäder, 'deren chemische Potenz sich gerade so genau 
präcisiren und reguliren läßt, wie die thermische oder mechanische 
Potenz, nachdem die Extraotpräparate dosirbare Formeln reprä- 
sentiren. 

S. Moses, 29 Jahre alt, Geschäftsmann aus R. in der 
Bukowina, hat im verflossenen Winter einen acuten Gelenksrheuraa- 
tismus acquirirt, der ihn durch 6 Monate an’s Bett fesselte und der 
Reihe nach alle größeren Gelenke befiel. Der abgemagerte Patient 
hat schmutziggelbe Hautdecken und blaße Schleimhäute. Er ist von 
schwächlicher Constitution, athmet mühsam und klagt über heftiges 
Herzklopfen. An beiden unteren Extremitäten ist Oedem der Knöchel 
vorhanden. Die Percussion und Auscultation der Lungen ergibt 
normale Grenzen und Athmungsgeräusche. Die Herzgegend ist nicht 
vorgetrieben, der Spitzenstoß ist nach links verschoben und deutlich 
in der linken Mamillarlinie zu fühlen. Der Herzstoß ist diffns, greift 
nach rechts hinüber, erschüttert den unteren Abschnitt des Brust¬ 
beins und theilt diese Pulsationen dem Epigastrium mit. Beim Auf¬ 
legen der Hand ist namentlich die Erschütterung während der 
Systole lebhaft zu fühlen. Der Puls ist irregulär, die Frequenz 112. 
Die Herzdämpfung überschreitet rechterseits in der Höhe des 
5. Rippenknorpels um 2 Cm. den rechten Sternalraud. Das systolische 
Geräusch, welches über allen Ostieu zu hören ist, erscheint am inten¬ 
sivsten an der Herzspitze, der 2. Pulmonaltou ist verstärkt. In 
beiden Carotiden sind die fortgepflanzten systolischen Geräusche zu 
vernehmen. Im Abdomen nichts Abnormes, im Harn kein Eiweiß. 

Patient benützte zwischen 10—12 Uhr Vormittags die Bäder 
in einer Temperatur von 35° C. durch 20 Minuten mit dem Zusatze 
einer Flasche Moorlauge, wobei ich constatiren konnte: 


Tag 

Bad 

V, Stunde vor 
dem Bade 

.. - 

*/, Stunde nach 
dem Bade 

6 Stunden nach 
dem Bade 





Blutdruck 

t 

Pul8 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruak 

Pul* 

am 

l. 

im 

i. 

Mm. Hg 

140 

112 

Mm. Hg 
170 

102 

Mm. Hg 
160 

90 


2 . 


2 . 

140 

88 

170 

90 

150 

88 


3. 


3. 

130 

90 

140 

94 

160 

86 


5. 


4. 

140 

86 

160 

81 

140 

84 


7. 


5. 

140 

84 

— 

— 

140 

84 


8 . 


6 . 

130 

8 : 

160 

84 

130 

84 

n 

9. 


7. 

130 

84 

— 

— 

140 

84 


11 . 


8 . 

— 

•— 

150 

96 

140 

84 


12 . 


9. 

140 

82 

17 0 

96 

160 

86 


13. 

n 

10 - 



150 

92 

140 

84 


Die Bäder hatten somit eine unmittelbare Steigerung des Blut¬ 
druckes von 10—30 Mm. Hg zur Folge, die in den nächstfolgenden 
6 Stunden oft bis zur Norm herabsank, sobald der Patient ruhte 
und um weitere 10—20 Mm. Hg anstieg, sobald derselbe Bewegung 
machte. Diesen Einfluß behielten die Bäder, gleichviel ob sie hinter¬ 
einander oder mit Pausen gebraucht wurden. 

Hingegen wurde die Pulsfrequenz durch die Application der 
Bäder unmittelbar um 2—14 Schläge vermehrt und nur nach dem 
ersten Bade und der ersten Intermission um 4—10 Pulsschläge ver¬ 
mindert. Um so ausgesprochener wurde dafür die Verlangsamung 
der Pulse 6 Stunden nach dem Bade, derart, daß im Allgemeinen 
die Pulsfrequenz von 112 auf 82—86 gesunken war. 

Hiebei war, abgesehen vom gebesserten subjectiven Wohl¬ 
befinden , das sich namentlich in einer Erleichterung der Athem- 
beschwerden äußerte, das Oedem an den Knöcheln geschwunden, die 
Herzdämpfung bis auf den rechten Sternalrand zurückgegangen und 
der Puls regelmäßig geworden. 

Da mir der Patient auf den Vorschlag, einige Moorbäder zu 
versuchen, nicht eingehen wollte, überging ich zur Anwendung des 
Moorsalzes und fand auf den Zusatz je einer Schachtel zu jedem 
Bade: 


Tag 

Bad 

V, Stunde vor 
dem Bade 

! /j Stunde nach 
dem Bade 

6 Stunden nach ! 
dem Bade 



Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Puls 

am 15. 

im 11. 

Mm. Hg 
140 

84 

Mm. Hg 


Mm. Hg 

130 

96 

» 16. 

. 12- 

130 

104 

140 

96 

130 

90 

. 17. 

■ 13- 

140 

86 

*120 

96 

120 

96 

. 18 - 

» 14- 

130 

86 

’ 120 

96 

120 

96 

. 19 - 

. 15 - 

110 

88 

120 

88 

110 

90 

1 


Der Blutdruck fiel mit Ausnahme der unbedeutenden Steige¬ 
rung nach dem 2. und 5. Bade, die nicht einmal 6 Stunden an¬ 
dauerte, so constant, daß er nach dem 5. Bade von 140 Mm Hg 
auf 110 Mm. Hg abgesunken war. Dem gegenüber stieg die Puls¬ 
frequenz mit abermaliger Ausnahme des 2. Bades um 2—12 Schläge, 
die selbst nach 6 Stunden noch zu constatiren waren, so daß die 
Pulsfrequenz im Allgemeinen erhöht erschien. 

Da sich auch die Athembeschwerden trotz des unveränderten 
Auscultations- und Percussionsbefundes in den letzten Tagen wieder 
eingestellt hatten , verlangte der Patient die Wiederaufnahme der 
Moorlaugenbäder und da ergab sich denn wiederum: 


Tag 

Bad 

V, Stunde vor 
dem Bade 

V, Stunde nach 
dem Bade 

6 Stunden nach ! 
dem Bade j 



Blutdruck 

Puls 

[Blutdruck 

Puls 

Blutdruck 

Pul8 j 

am 21. 

im 16. 

Mm. Hg 
110 

96 

Mm. Hg 
130 • 

88 

Mm. Hg 

120 

i 

86 

n 22. 

n 17. 

140 

94 

170 

88 

140 

86 

„ 23. 

* 18. 

140 

86 

160 

78 

140 

84 


Im Gegensätze zu den Moorsalzbädern traf nach Wiederauf¬ 
nahme der Moorlaugenbäder derselbe Typus der Blutdrucksteigerung 
wie nach der erstmaligen Application derselben auf, so daß der auf 
110 Mm.'Hg herabgesunkene Blutdruck wieder die Norm von 
140 Mm. Hg erklimmt, während die Pulsfrequenz diesmal stetig in 
Abnahme begriffen war. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Ueber Aristol. 

Bohrer (Zürich): L’Aristol, un nonveau antiseptique. — v. Swiecicki 
(Posen): Das Aristol in der Gynäkologie. — Buocq (Paris): Large 6pith61iome 
ulcAre de la face cicatrisö par la poudre d’aristol. — Hughes (Soden-Würzburg): 
Ueber Aristol. 

Seit unserer ersten Mittheilung über Aristol (s. „Wr. Med. Presse“, 
Nr. 13) sind einige weitere Mittheilungen über dieses neue Anti- 
septicum erschienen, die hier in Kürze referirt werden sollen. 

Doc. Dr. Rohrer in Zürich berichtet in Nr. 2 der „Archivos 
internacionales de Laringologia“ über seine mit diesem Präparate 
gemachten Erfahrungen. Er wendete das Aristol zunächst bei acuten 
und subacuten eitrigen Affectionen des Mittelohres in Folge von 
Influenza an. Nach Ausspülung des äußeren Gehörganges mit 3°/„ 
Lösung von Natrium chloro-borosum, Trocknen mit Wattetampons 
und Luftdouche wird in den Meatus externus und die Trommelhöhle 
Aristolpulver eingeblasen und ein Wattetampou eingeführt, den der 
Kranke jede Stunde erneuern kann, wenn starke Seoretion besteht. 
Gleichzeitig wurde in den Fällen, wo auch subacute oder chronische 
Rhinitis bestand, Aristol in die Nase und bei Pharyngitis auch in 
den Pharynx eingeblasen. In keinem Falle trat irgend eine unan¬ 
genehme Reaction ein, auch wurde nie die geringste Intoxications- 
er8oheinung beobachtet. Mehr als 20 Fälle wurden mit Aristol be¬ 
handelt. Das Mittel übertrifft die Borsäure, das Jodoform und das Jodol. 
Die Secretion nimmt rasch ab, die Schleimhaut der Trommelhöhle 
glättet sich, die Schwellung beginnt in wenigen Tagen zu schwinden, 
die Perforation heilt, wenn keine bedeutenden Verluste vorhanden 
waren. Die Fälle von Otitis externa heilten rasch unter Aristol- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


796 


behandlung. Viele Fälle, die früher mit Borsäure, Jodoform oder Jodol be¬ 
handelt wurden, heilten nach Anwendung von Aristol in 1—2 Tagen. 
Auch bei Rhinitis und den verschiedenen Formen der Ozaena 
lieferten die Einblasungen von Aristol, nach vorausgegangener Aus¬ 
spritzung mit 3 / 4 °/o Kochsalzlösung, sehr gute Resultate. 

Swiecicki theilt in Nr. 2 des „Oest.-ung. Cbl. f. d. med. 
Wiss.“ die Resultate der Aristolbehandlung gynäkologischer Krank¬ 
heiten mit. Er benutzte folgende Präparate: 


Rp. Aristol.5’0 

Pulv. gummi arab. q. s. u. f. 

Bacill. Nr. V longit. cm. 5. 

Rp. Aristol. 0 50—1*0 

Butyr. Cacao q. s. u. f. 
suppos. ev. boli vagin. d. tal. dos. Nr. X. 
Rp. Aristol. 

Axung. porc. aa. 5*0 

Lanolin.. 40*0 

M. f. Ung. 

S. Salbe. 


Das Mittel erwies sich verwendbar bei Endometritis, Erosionen, 
Ilyperplasia cervicis, Parametritis und Eczema vulvae, ln keinem 
seiner Fälle hat S. irgend welche ungünstige Wirkung des Aristols 
beobachtet und obgleich er manchmal ziemlich große Mengen dieses 
Mittels gebrauchte, war nie lutoxication eingetreten. Durch die Ver¬ 
bindung des Jod mit dem Thymol wirkt es wenigstens ebenso, 
wenn nicht besser als das Jodoform, ohne dessen toxische Eigen¬ 
schaften, unangenehmen Geruch etc. zu besitzen. Weder im Urin 
noch im Speichel konnte Jod nachgewiesen werden. 

In der Sitzung der Soci6t6 mödicale des höpitaux vom 25. April 
stellte Brocq einen 50jährigen Mann vor, der seit 12 Jahren an 
einem oberflächlichen Epitheliom der linken Gesichtshälfte litt, 
welches trotz verschiedener Behandlungen sich immer mehr aus¬ 
dehnte und exulcerirte. Nach 20maliger Einstaubuug mit Aristol 
(5.—25. April) und 2maliger leichter Auskratzung der Geschwürs 
ränder trat fast vollständige Vernarbung ein. Die Anwendung des 
Aristols ist nicht schmerzhaft wie die des Kali causticum, das 
Mittel hat ferner den Vorzug, daß es geruchlos ist und keine all¬ 
gemeinen toxischen Erscheinungen hervorzurufen scheint. 

Hughes („Deutsch, med. Wochensch.“, Nr. 18—19) hat das 
Aristol auf der Poliklinik Seifert’s in Würzburg an 44 Patienten 
angewendet. Da das Mittel in Wasser unlöslich und nicht hygro¬ 
skopisch ist, so läßt es sich sehr gut zerstäuben. Es legt sich in 
feiner Schicht an die Wandungen der Nase und des Kehlkopfes an. 
Durch seine völlig gleichmäßige Vertheilung und vortreffliche Haft¬ 
barkeit überragt das Aristol wesentlich das Jodol. Direct nach der 
Anwendung des Aristols in der Nase traten in keinem Falle irgend 
welche Reizerscheinungen auf, die Patienten klagten niemals über 
Nießen oder unangenehme Empfindungen beim Eiublasen. Im Harn 
ließ sich das Aristol nicht nachweisen. 

Was die Haftbarkeit des Mittels auf der Schleimhaut betrifft, 
so erscheint noch nach 1 Stunde die ganze Nasen- und Rachen¬ 
schleimhaut dicht mit dem Pulver bedeckt, und in einem Falle 
konnte noch nach 4 Stunden am Dache des Nasenrachenraumes die 
gleichmäßige Ausbreitung des Pulvers constatirt werden. Bei 
Krustenbildung in der Nase war noch nach 2 Tagen das Aristol in 
den Krusten nachweisbar. 

Bei Rhinitis acuta hat sich das Mittel nicht bewährt. In 
3 Fällen traten nach einmaliger Anwendung des Pulvers weit hef¬ 
tigere Symptome hervor. Auch bei der chronischen Rhinitis der 
Kinder, welche sich durch starke Hypersecretion auszeichnet und 
deshalb leicht zu Eczem des Naseneingangs und der Oberlippe 
führt, machte sich ein günstiger Erfolg nicht bemerkbar. In der 
Mehrzahl solcher Fälle nahm sogar die Secretion noch mehr über¬ 
hand und das Eczem verschlimmerte sich beträchtlich. Dagegen hat 
sich das Aristol bei allen denjenigen chronischen Formen von 
Rhinitis bewährt, bei welchen die Secretion abnorm vermindert war 
(Rhiuitis sicca, häufig mit Pharyngitis und Laryngitis sicca combinirt 
und Rhinitis atrophicans simplex). Bei Rhinitis atroph, foet. wurde 
eine Besserung dadurch bemerkbar, daß die Krusten sich leichter 
ablösten, so daß sie durch Ausschnauben entfernt werden konnten. 


Ein ebenso günstiger Erfolg wurde bei specifischer Ozaena erzielt. Die 
mit Aristol behandelten Fälle von Kehlkopferkrankungen stehen noch 
zu kurze Zeit in Beobachtung, um ein abschließendes Urtheil zu er¬ 
möglichen. M. 


Senn: The Treatment of Fractures of the Neck of 
the Ferner by immediate Reduction and per¬ 
manent Fixation. 

Verf. schickt der Beschreibung seines Verfahrens eine patho¬ 
logische Einleitung voraus, in welcher er noch immer an der un¬ 
genauen Anschauung von intra- und extracapsulären Schenkolhals- 
fracturen festhält, aber nichts wesentlich Neues bringt. 

Als Hauptmomente seines Verfahrens gibt Verf. an: 

1. Möglichst genaue Coaptation der Bruchenden ; 

2. permanente Fixation derselben, welche nicht länger als 80 
bis 100 Tage betragen soll. 

Die Details des Verfahrens sind folgende: 

Nach möglichst genauer Coaptation der Bruchenden durch Ro¬ 
tation und Extension wird dem Pat. eine Hose aus Heftpflaster¬ 
streifen angelegt, in welche an der kranken Seite ein Bügel mit 
stellbarem Stempel eingeschaltet wird. 

Diese Vorrichtung soll dazu dienen, um ein seitliches Aus¬ 
weichen der Bruchstücke, resp. eine Winkelstellung derselben gegen 
einander und die subsequente Verkürzung unmöglich zu machen. 
Verf. gibt an, daß die Pat. diesen Verband vorzüglich vertragen, 
und sind die Resultate, die er meldet, sehr gute. K. 


Uterus und Auge. Eine Darstellung der Functionen 
und Krankheiten des weiblichen Geschlechts¬ 
apparates in ihrem pathogeuen Einfluß auf das 
Sehorgan. Von Dl*. SalO Kohn. Mit einem Vorworte von 
Dp. E. Pflüger, O. ö. Professor an der Universität zu Bern. 
Wiesbaden 1890. J. F. Berg mann n. 

Es besteht gegenwärtig eine Richtung in der Medicin, die be¬ 
strebt ist, Erkrankungen einzelner Organe, insbesondere des Seh¬ 
organs, zu Allgemeinlciden und Organerkrankungen in Beziehung 
zu bringen. Diese Richtung verfolgt auch dieses Buch. Der Autor 
bespricht die Veränderungen, welche das Sehorgan bei den normalen 
geschlechtlichen Functionen des Weibes, sowie bei pathologischen 
Zuständen des Genitaltractes erleidet. Es wird der Einfluß der 
normalen Menstruation, der Menstruationsanomalien, der Gravidität, 
Puerperium, Lactation und der Blutverluste auf das Auge be¬ 
sprochen und alle hierauf bezüglichen Literaturangaben angezogen. 
Interessant ist die Angabe, daß bei dysmenorrhoeischen Individuen 
das Gesichtsfeld eine Einschränkung zeigt, und daß diese am Tage 
der größten Beschwerden auch die größte Intensität besitzt. Finkel- 
stein hatte übrigens auch bei normal menstruirenden Individuen 
Gesichtsfeldeinschränkungen, wenn auch mit anderem Typus, ge¬ 
funden. Der Autor hat Alles aus der Literatur zusammengetragen, 
wo nur halbwegs eine Beziehung zu finden war, doch denke ich, 
daß er eben hierin manches Mal zu weit gegangen ist. Immerhin 
wird die Lectüre dieses Buches dem Gynäkologen wie dem Oculisten 
manches Interessante bieten. Königstein. 


Le suc gastrique et lea phönomenea chimiquea de 
la aigeation dana lea maladiea de l’eatomao 

par L. StienOfl. Extrait du Journal publie par la Soci6t6 
royale des Sciences mfedicales et naturelles de Bruxelles 20 mai 
1887—5 octobre 1888. Bruxelles 1888. Henri Lamertin. 

Ein treffliches Werk eines ebenso gründlich gebildeten 
Klinikers als Kenners der medicinischen Chemie liegt hier vor. Die 
Abhandlung ist auf einer intimen Kenntniß der deutschen Literatur 
aufgebaut, sie gibt eine, die Zeit bis zu dem Erscheinen des Werkes 
erschöpfende Uebersicht der thatsächlichen Erfahrungen auf dem Ge¬ 
biete des Magenchemismus, immer in jenen Grenzen sich haltend, 
welche die praktische Verwerthung am Krankenbette erfordert. 

Die Besprechung der einzelnen Magenerkrankungen mit 
chemisch-charakterisirtem Befunde ist mit lehrreichen eigenen Kranken- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 798 


geschichten und den Resultaten einer sorgfältigen, oft wiederholten 
Prüfung des Mageninhaltes der Patienten lebendig und belehrend 
gemacht. Das handliche, 192 Seiten umfassende Buch wird Jedem, 
der sich in die chemische Diagnostik der Magenkrankheiten ein¬ 
führen will, eine treffliche Vorschule zu eigener Arbeit bieten. 

Doc. Dr. v. Pfüngen. 


Zeitungsschau. 

Bericht 

über die 

Fortschritte in der Pathologie und Therapie 
der Krankheiten des uropoetischen Systems. 

Ref.: Dr. H. Lohnstein, Assistent des poliklinischen Instituts 
von Prof. Züelzer zu Berlin. 

(Schluß.)*) 

IV. Harnuntersuchung. 

Literatur. 196a. Annales de la Soci6t6 mMico-chirurgricale de Lifcge, 
März 1889- — 197. Wiener mcd. Wochenschrift, Nr. 21, 1888. — 198. Lancet, 
16. Juni 1888. — 198 a. British Medical Journal, 1888. — 199. Virchow’s 
A rchiv, Bd. 113, Heft 1. — 200. 1. c. — 201. 1. c. — 202. ibid. — 203. 
Pharmaceutische Ztg., 1888, p. 456.—204. Sitznngsber. d. Acad6mie de 
M6decine zu Paris, 2. April 1889. — 205. Sit/.ungsber. d. Acad6mie des 
Sciences zu Paris, 25 März 1889. — 206. ibid., 21. Aog. 1888. — 207. ibid., 
4. Juni 1888. — k08. Harnfennente bei verschiedenen pathologischen Affectionen, 
1888. — 209. Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 43. — 210. Wiener medic. 
Jahrbücher, 1887. — 211. Zeitschr. f. physiolog. Chemie, 1889. — 212. Semaine 
mödicale, Nr. 38, 1888. — 213. Repertoire de Pharmacie, März 1889. — 
214. 39. annual meeting of the American Medical Association, Mai 1888. 

Bezüglich des Nachweises der wichtigeren pathologischen Be- 
standtheile des Harnes ist eine Arbeit Crismer’s (196 a) zu erwähnen, 
der in dem Safranin ein neues Reagens auf Zucker entdeckt hat. 
Der Urin wird zum Sieden erhitzt, mit der Öfachen Menge einer l°/oo 
Safraninlösung versetzt und alkalisch gemacht. Entfärbung zeigt 
Zocker an. Von anderen Substanzen bewirken Albumen nicht, aber 
Harnsäure oder Chloroform gleichfalls eine Entfärbung des alkalischen 
Safranharns. Pollatschek (197) macht darauf aufmerksam, daß 
nach dem Genuß von Salicylsäure im Harn zuweilen die Fehling- 
eche Lösung deutlich reducirt wird. Eine Phenolvergiftung dorch An¬ 
wendung von unreinem Natrium salicylicum erwähnt Griffitbs (198) 
bei einem 22jähr. Weibe. Es traten Delirien ein, der Urin wurde 
dnnkelroth, stark sauer, spec. Gew. 1040, kein Albumen, kein 
Zucker. Erst am 90. Tage nach der Vergiftung ließ die Hyper¬ 
acidität des Urins nach. 

Eine neue Methode der quantitativen Eiweißbestimmung im 
Harn ist von Huppert und ZABOR(198a) angegeben. Eine Harn¬ 
probe wird filtrirt, mit Essigsäure versetzt und in 2 Theile getheilt 
(a und b). Portion a wird in ein verkorktes Röhrchen gegossen, 
10—15 Minuten in einem Wasserbade von 100° C. gehalten, ab¬ 
gekühlt und filtrirt. Nunmehr vergleicht man das spec. Gewicht 
des Filtrates mit demjenigen der Portion b. Die Differenz mit 400 
multiplicirt ergibt den Gehalt an Albumen in 100 Ccm. Harn. Das 
Princip dieser Probe nimmt also den Unterschied des specifischen 
Gewichtes einer albuminhaltigen und albuminfreien Lösung zum 
Ausgangspunkt. Eine calorimetrische Methode zur quantitativen 
Eiweißuntersuchung hat Cbrestensen (199) angegeben. Je nach der 
Menge des Harns, den man einer gegebenen Tanninlösung hinzu¬ 
fügen muß, um einen so dicken Niederschlag zu erzeugen, daß eine 
auf einer Glasplatte eingravirte Linie nicht mehr gesehen wird, 
wird hier die Menge des Eiweißes annähernd berechnet. Nach 
einer in der Pharmaceuticae Eira (200) sich findenden Notiz 
soll sich Gnajaktinctur mit eiterhältigem Urin nach Erhitzen auf 
100° F. blau färben. 

Einen eigentbümlichen Farbstoff im Harn einer an Nieren- 
und Leber-Affcction leidenden Patientin fand Guyot (201). Es 
handelte sich um einen Niederschlag von rosenrother Farbe, der 
sich auf Zusatz von Kupfersulphat braun Färbte. Die qu. Substanz 
gab ferner folgende Reactionen: Zusatz von Magnesia zu einer er- 

*) 8. Nr. 15. 


wärmten Mischung bewirkte eine Lösung der Substanz. Durch 
Na HO fällt ein schwachrother Niederschlag aus, der durch Ammo¬ 
niakzusatz Btärker wird, durch Schwefelsäure verschwindet. Fügt man 
dem den Farbstoff enthaltenden Harn Plumb. acet. hinzu, so entsteht 
ein weißer, an der Luft schwach roth werdender Niederschlag, 
der durch NH 8 - Zusatz intensiver roth , durch H a S0 4 blau wird. 

Bezüglich des Nachweises von Medicamenten im Harn sind 
einige Phenacetinproben nicht ohne Bedeutung. Nach Gaiffe (202) 
läßt sich das Medicament dadurch Dachweisen, daß es zusammen 
mit Na, C0 8 einen rothen Farbstoff bildet (Diazopbenetol). Durch 
Zusatz von Na CI zerfällt der qu. Farbstoff wieder. Nach Ritsert (203) 
färbt sich saurer Phenacetin-Harn nach Chromsäurezusatz dunkel¬ 
braun, sowie mit Schwefelsäure und Liquor ferri rothbraun. 

Eine neue Probe auf Quecksilber findet sich im „Journal de 
mödecine de Bruxelles“: säuert man den Harn mit HCl an, erwärmt 
mehrmals auf 60° C. und bringt in die Untersuchungsflüssigkeit eine 
Folie aus Zink-Kupfer, so schlägt sich das Quecksilber auf beide 
Metalle nieder, leitet mau noch Joddämpfe hinein, so entsteht 
auf den Platten HgCl, und Hgl a . 

Unsere Kenntniß über das Vorkommen von Fermenten und 
Bacterien im Harn ist auch in den letzten Monaten nicht un¬ 
wesentlich gefördert worden. Abgesehen von den bereits besprochenen 
Arbeiten über das Vorkommen von Bacterien im Harn von Patienten, 
die an acuten Infectionskrankheiten mit Betheiligung der Nieren 
litten, sind zu erwähnen eine Zusammenstellung Doyen’s (204), 
welcher nicht weniger als 15 pathogene Bacterien im Harn auf¬ 
zählt, theils Staphylococcen, theils Streptococcen, auch verschiedene 
BacilleDformen etc. Ueber einzelne Bacterienfunde im Harne be¬ 
richten Blanc (205), welcher, im Harn einer Eclamptischen einen 
Bacillus beobachtete, welcher, auf Kaninchen überimpft, auch bei 
diesen wiederum Eclampsie erzeugte. Allbarran (206) und Halle 
fanden unter 50 eitrigen Harnen 37mal einen eigentümlich pyo¬ 
genen Bacillus, welcher, auf Kaninchen überimpft, bei diesen 
multiple Abscesse erzeugte. Begreiflicher Weise gehen nicht nur 
die Bacterien selbst, sondern auch die durch sie gebildeten Stoff- 
wechselproducte in den Harn über, wie dies Bouchard (207) ein¬ 
wandsfrei hat nachweisen können. Bei einigen mit der Blaueiter¬ 
krankheit behafteten Patienten enthielt der Harn nicht nur die 
Bacterien, sondern auch ihre Stoffwechselproducte und von diesen 
sowohl die toxischen, wie die vaccinirenden Bestandteile. Dieser 
Befund beweist gleichzeitig, daß die Bacterien nicht nur im Reagens¬ 
glase, sondern auch im Organismus lösliche vaccinirende Stoffe 
bilden. Daß die im Organismus normal gebildeten Drüsenfermente 
zum Theil sich auch im Harn nachweisen lassen, ist seit einigen 
Jahren einwandsfrei nachgewieseu. Leo (208), dem wir auf 
diesem Gebiete bereits bemerkenswerte Arbeiten verdanken, hat 
jüngst in einer kleinen Arbeit nachgewiesen, daß das Vor¬ 
kommen von Pepsin im Harn, resp. das Fehlen dieses Ferments 
einen diagnostischen Rückschluß auf etwaige Verdau ungsanomalien 
nicht zuläßt. Dagegen konnte man bei normaler Verdauung ge¬ 
wöhnlich weit mehr diastatisches Ferment im Harn nachweisen, 
als bei Obstipationszuständen. Untersuchungen über den Nachweis 
des Labfermentes im menschlichen Harn hat Helwes (209) ange¬ 
stellt. Es ergibt sich aus denselben, daß bei Gegenwart von dünner 
Salzsäure der Harn, welcher Spuren von Labferment enthält, außer¬ 
ordentlich schnell Milch zur Coagulation bringt. Am deutlichsten 
fällt die Reaction aus, wenn man gleiche Theile von Milch und 
Labferment haltigen Harn wählt und ca. lCcm. 0*6% HCl hinzufügt. 

Ueber das Verhalten flüchtiger Fettsäuren im Harn des ge¬ 
sunden nnd kranken Menschen berichtet Rokitansky (210). Die¬ 
selben sind keineswegs in so geringer Quantität im Harn enthalten, 
wie es v. Jakscb seiner Zeit geglaubt hat. Dadurch, daß Verf. die 
Säuren mit Na aufnahm und so leicht fällbare Salze bildete, fand 
er im 24stüudigen Harn im Durchschnitt 0'055 Grm. flüchtige Fett¬ 
säuren (gegen 0 008 Grm. v. Jakscb ermittelter Verbindungen). Be¬ 
sonders intensiv ist ihre Excretion im Fieber, wo zuweilen bis 
0'5 Grm. pro die ausgeschiedon werden. Meist handelt es sich um 
Essigsäure, jedoch findet man, zumal bei Pleuritischen, auch Butter- 
säure, sowie Spuren der höheren Reihen. Das Verhalten der ge¬ 
paarten Schwefelsäuren im Harn bei verschiedenen Krankheiten 


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1890, — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


wird von G. Hoppe-Seyler (211) folgendermaßen geschildert: 
1. dio qu. Säuren verhalten sich in ihrer Menge umgekehrt pro¬ 
portional der Intensität der Bildung der Digestionsproducte. 2. Nur 
bei Typhus und Coprostase gehen die beiderseitigen Curven parallel. 
3. Bei gastrischen Affectionen mit Verlängerung des Aufenthaltes 
der Speisen im Magen ist gleichfalls die Menge der Aetherschwefel- 
säuren im Harn vermehrt, ebenso hei eitrigen Processen außerhalb 
des Tractus digestorius, und zwar bei chronischen Eiterungen con- 
stant erhöht. Im Normalharn überwiegt über der Scatolschwefel- 
säure die Indolschwefelsäure. Umgekehrt ist das Verhältniß bei 
Peritonitis. 

Ueber die chemische Beschaffenheit des Harns bei Variola 
ist Robin (212) zu folgenden Resultaten gelangt: Die Harnmenge 
ist vermindert, das specifische Gewicht erhöht, die U-Ausscheidung 
stets erheblich gesteigert, besonders in der Eiterperiode. Genau 
entgegengesetzt verlauft die Curve der Chloride. Die Phosphorsänre, 
zunächst vermehrt, sinkt im Reconvalescenzstadium, ebenso die 
Harnsäure. Albumin beobachtet man fast stets im Harn Pocken¬ 


F e u i 11 e t o n. 


Militärärztliche Plaudereien. 

II. Auszeichnungen. 

—ch. Es gibt wohl noch immer Krieger, welche der An¬ 
sicht huldigen, daß man Armeen nur mit Strenge Zusammen¬ 
halten kann. 

Man kennt noch heutzutage Heerführer, welche von ihren 
Untergebenen mehr gefürchtet, als geliebt sein wollen. Aber glück¬ 
licherweise werden diese Ansichten nicht allgemein und nicht von 
„oben“ getheilt. Und nicht erst in der neuesten Zeit wurde vom 
Throne herab diese Meinung vcrurtheilt und — wie dies im Januar 
dieses Jahres in Groß Lichtenfeld bei Berlin geschah — den Offi- 
cieren anbefohlen, gegen die Mannschaft nicht „forsch und schneidig“ 
zu sein, sondern Geduld und Langmuth zu üben. 

Von jeher hielten die Regierungen dafür, daß Lob wirksamer 
sei als Tadel , und daß Belohnungen mehr das Pflichtgefühl an- 
Rpornen, die Opferfreudigkeit erhöhen, daher mehr nützen als Be¬ 
strafungen. Demgemäß wurden die Belohnungen auch beim Militär, 
und zwar bei diesem ganz besonders, häutig zur Anwendung ge¬ 
bracht. Thatsächlich bat kein Stand so viele und so verschieden¬ 
artige Belohnungen und Auszeichnungen aufzuweisen, als der 
Militärstand. 

Die Auszeichnungen bestehen, wie bekannt, in allerband De- 
corationen, großen Ehrengaben und Standeserhöhungen. Es werden 
damit nicht allein hervorragende Leistungen honorirt, sondern auch 
schon das bloße längere Ausharren im Dienste ausgezeichnet. So¬ 
wohl der Mannschaft als auch Officieren wird nämlich ein solches 
— nur beim Militär bestehendes — Dienstzeichen verliehen. Das 
Militärdienstzeichen für Officiere zerfällt in 2 Classen, von 
denen — nach der Vorschrift — jeder Officier, der in der activen 
Dienstleistung 25 Jahre zubringt, jenes der I., und jeder, der eben 
dort 50 Jahre dient, jenes der II. Classo erhält. Beide Gattungen 
von Dienstzeichen ist jeder damit Betheilte nicht nur während seiner 
Militär-Dienstleistung, sondern auch nach dem Austritt aus derselben 
zu tragen berechtigt; doch hat jeder, der eine höhere Classe erhält, 
das ihm früher verliehene Officiersdienstzeichen der minderen Classe 
zurückzustellen. 

Nach dieser Verordnung sollte wohl jeder Officier, demnach 
auch jedes Mitglied des militärärztlichen Officier s-Corps nach 25- 
oder 50jähriger Dienstzeit diesen sogenannten Dienstvogel tragen. 
Haben Sie aber jemals diese Zierde bei einem, wenn auch in 
Methusalems Alter stehenden Militärarzt gesehen? Ich nicht! Still¬ 
schweigend ist man übereingekommen, dem Militärarzt dieses 
„Dienstzeichen“ zu verweigern. Es scheint mir aber denn doch 
zeitgemäß, an diese Frage näher zu treten. Sollte man nicht eine 
präcisere Bestimmung des Militärdienstes hervorrufen können? Sollte 
es sich nicht hcrausstcllen, daß dieses Dienstzeichen auch dem 
„Militär“-Arzte gebührt, welcher Officier ist und beim Militär Dienste 


800 


kranker. Verf. unterscheidet 4 Formen: a) Alb. prövariolique. 
Sie erscheint vor dem Beginne der Variola-Eruption , prognostisch 
von sehr ernster Bedeutung, b) Alb. transitoire. Sie tritt 
gleichzeitig mit der Eruption des Exanthems auf; sehr häufig. 

c) Abundante Albuminurie bei schweren Variola-Eruptionen. 

d) Aib. postvariolique in der Reconvalescenzperiode. Sie 
ist analog der Nephritis postscarlatinosa aufzufassen und auch pro¬ 
gnostisch von gleicher Bedeutung. 

Einen seltenen Fall von schwerer Nephritis, in welchem Glo- 
meruli und Tubuli uriniferi im Harn gefunden wurden, hat M. 
Schulze (213) beobachtet. 

Gegen Hämaturie aus verschiedenen Ursachen hat sich 
Didama (214) in 5 Fällen, in welchen alle anderen Mittel fehl¬ 
schlugen, die Application von Alaun, und zwar in je 3 Dosen pro 
die ä 1*2 Grm. aufs Beste bewährt. Constipation trat niemals ein, 
wahrscheinlich weil der Alaun, gut gelöst, sofort in die Blutbahn 
übertrat. 


leistet ? Oder gehört am Ende der ärztliche Dienst nicht zu den 
„guten“, wie ihn die Vorschrift verlangt? Die Entscheidung dieser 
Frage dürfte den Aerzten und dem Heere ein großes Interesse 
bieten. 

Eine andere, nur dem Militärstande allein zukommende Aus¬ 
zeichnung besteht darin, daß Officiere, welche „durch dreißig Jahre 
ununterbrochen in der Linie mit dem Degen“ gedient und sich 
während dieser Zeit durch stetes Wohlverhalten vor dem Feinde, 
sowie durch eine ganz tadelfreie Conduite ausgezeichnet haben — 
gemäß den Allerhöchsten Entschließungen von den Jahren 1757 
und 1811 — der Anspruch auf taxfreie Erhebung in den öster¬ 
reichischen Adelsstand gebührt. 

Ein geriebener Wortklauber könnte diese Gebühr der Officiere 
nicht ohne Schwierigkeit anfechten. Der Degen gehört ja nicht 
mehr zu der Ausrüstung und den Waffen der Officiere. Kein 
Officier der kaiserlichen und königlichen Armee dient jetzt mit dom 
Degen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes darf demzufolge 
auch kein Officier auf die Prärogative des Adels einen Anspruch 
erheben und um Erhebung in den Adelsstand einsohreiten. Selbst¬ 
verständlich käme dann der Militärarzt bei dieser Frage schon gar 
nicht in Betracht, da selböt den combattanten Officieren zur Er¬ 
langung des Adels die Dienstzeit nicht angerechnet wird, welche 
sie bei den Feld- und Garnisonsspitälern zugebracht haben. Dringt 
man aber in den Geist dieses Gesetzes, so sind allerdings die Offi¬ 
ciere auch berechtigt davon Gebrauch zu machen, dann erblickt 
man aber auch die Fensterspalte, durch welche der lebendige und 
humane Geist auch den Militärärzten den Sonnenschein eines An¬ 
spruches zufallen lassen könnte. 

In der von einem höheren Standpunkte in einem milden Sinne 
aufgefaßten „Vorschrift“ heißt es nämlich Seite 3, Alinea 2, wört¬ 
lich, wie folgt: 

„Ueberdies wurde Allerhöchst gestattet, daß bei solchen Indi¬ 
viduen, welche nicht zu den mit dem Degen in der Jjinie 
dienenden zu rechnen sind, für welche jedoch ganz außerordentliche 
Verdienste und Rücksichten sprechen sollten und die eine mehr als 
dreißigjährige Dienstleistung zurückgelegt haben, von Fall zu Fall 
Allerhöchsten Ortes eingeschritten werden dürfe.“ 

Ohne nach Würden zu streben oder aus kleinlichem Neide 
Parallelen zwischen dem dienstlichen Wirkungskreise der Militär¬ 
ärzte und demjenigen der Combattanten zu ziehen, wollen wir die 
gleichberechtigten Ansprüche aufsuchen oder abwägen. Wir wollen 
jedoch die Bemerkung nicht unterdrücken, dass auch die Militärärzte 
eine ausgezeichnete Dienstleistung aufzuweisen haben, und daß wohl¬ 
wollende Vorgesetzte bei gar vielen ihrer Untergebenen die von der 
„Vorschrift“ geforderten „Rücksichten“ ohne Schwierigkeit finden 
werden. Uns sind jedoch keine, selbst im Dienste stark ergraute 
Militärärzte mit hervorragenden Talenten bekannt, welche würdig 
gefunden waren, in den Adelsstand erhoben zu werden. Daß aber 
derartige Auszeichnungen den Diensteseifer wie milder Regen die 
Saaten zu befruchten geeignet sind, unterliegt erfahrungsgemäß 
keinem Zweifel. Dieser Gedanke wurde allerdings schon oft aus- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


802 


gesprochen, aber immerhin darf man ihn wiederholen und deu Herren 
Vorgesetzten znmfen: „Thut nichts, könnt’s noch öfter hören!“ 

Wenn wir nun schließlich zu den sichtbaren Auszeichnungen, 
zu den Ordens-Decorationen, übergehen, so kommt es uns wahrlich 
nicht in den Sinn, nach solchen Auszeichnungen langen zu wollen, 
welche den Militärärzten kaum je erreichbar sein dürften. „Nam¬ 
hafte Edelleute von altem Adel“, welche auf den Orden vom — 
goldenen Vließe Anspruch machen könnten, gehören nicht zu Aescu- 
lap’s Jüngern und nehmen niemals militärärztliche Dienste an. Dieser 
Orden hängt demnach gar zu hoch für uns. Auch auf den militä¬ 
rischen Maria Theresia-Orden wird von Mitgliedern des militär- 
ärztlichen Officierscorps nicht aspirirt. Erhalten doch statutengemäß 
diesen Orden nur diejenigen Officiere, welche sich „durch eine be¬ 
sondere „herzhafte That“ hervorthun, oder kluge und für den 
Militärdienst ersprießliche Rathschläge nicht nur ahnend gegeben, 
sondern auch solche mit vorzüglicher Tapferkeit anszuftthren ge¬ 
holfen haben“. Freilich werden die Officiere nicht genau bezeichnet. 
Es könnten am Ende auch — Mitglieder des militärärztlichen 
Officiers Corps eein. Aber leider ist noch fern die Zeit, in welcher 
der Dienst in den Spitälern dem von allen Seiten drohenden In- 
fectionstod ausgesetzten, rastlos dem Heile seiner Nebenmenschen 
sich widmenden Arzte als eine „herzhafte That“ angerechnet wird. 
Man vergisst gar leicht, daß auch der vorsorgliche Feldherr seine 
Kranken und Verwundeten so genau zählt, wie die ihm unter¬ 
gebenen Kampffähigen, und daß der Erretter der ersteren allerdings 
herzhafte Tbaten vollzieht. Verlangt man doch selbst von den 
Krankenpflegern Entschlossenheit, nm wie viel mehr von dem Arzte, 
der, nm das Leben und die Gesundheit zu schützen, gar nicht 
selten sein eigenes Wohl und Leben in die Schanze schlägt. Die 
Folgen davon weisen uns nur zu oft die statistischen Daten aus, 
welche uns belehren, wie viele Aerzte ihre Gesundheit in Folge der 
Anstrengungen, der gestörten Nachtruhe, der unregelmäßigen Mahl¬ 
zeiten und der verschiedenartigsten Gemüthsbewegungen untergraben 
und wie viele Aerzte im besten Mannesalter von ansteckenden 
Krankheiten weggerafft werden. 

Ist es nun noch nicht an der Zeit für die Militärärzte, um den 
höchsten militärischen Lorbeer, um den Maria Theresia-Orden, zu 
ringen, so ist es doch nicht einleuchtend, warum ihnen das Militär¬ 
verdienstkreuz vorenthalten wird. Wurden zu wiederholten 
Malen schon Auditoren damit ausgezeichnet, so dürfte dieses Ver- 
dienstkrenz auch den Mitgliedern des militärärztlichen Officierscorps 
zu Theil werden, welche doch häufiger den feindlichen Geschossen auf 
dem Sohlachtfelde ausgesetzt sind und überdies bei Eisenbahn- 
sanitätszügen und Schiffs-Ambulanzen das Befehlshaberrecht besitzen, 
wie die combattanten Officiere. Allerdings könnte man nach dem 
Wortlaute der Statuten, wonach das Militärverdienstkreuz nur an 
„wirkliche“ Officiere verliehen wird, die Militärärzte von dieser 
Auszeichnung auch in Zukunft fernhalten. Aber abgesehen davon, daß 
die Reglements die Gattung „wirkliche“ Officiere gar nicht kennen, 
dürfte man bei einigem guten Willen leicht in der Lage sein, die 
sonst notwendigen Qualificationen für diese Auszeichnung auch bei 
deu Militärärzten nachzuweisen. Die Militärärzte gerade sollten 
unter allen Verhältnissen ihre Ansprüche ebenso geltend machen, 
wie die anderen Mitglieder der Armee, schon allein des alten 
orientalischen Sprichwortes wegen, welches da lautet: 

„Ein Arzt, der keine Auszeichnung begehrt, 
ist der Anerkennung nicht werth.“*) 


*) In der alleijüngsten Zeit hat der Kaiser auf Antrag des Reichs- 
Kriegsministeriums neue Decorationen für das Officiersdienst- 
zeichen und ein sichtbares Zeichen für jene Mitglieder des Heeres, welchen 
eine a. h. Belobung zu Theil wurde, gestiftet. Das neue Dienstzeichen 
hat drei Kategorien, und zwar die erste für zwanzig active und effective 
Dienstjahre (die Feldzüge nicht eingerechnet) ist dem jetzigen 25jährigen 
Dienstzeichen gleich; die zweite für vierzig solche Dienstjahre ist dem jetzigen 
Dienstzeichen zweiter Classe gleich, jedoch mit schwarz emaillirtem Rande; 
die dritte Kategorie für fünfzig Dienstjahre hat noch oberhalb des Kreuzes die 
Krone des Leopold-Ordens. — Das Zeichen für die a. h. Belobung be¬ 
steht aus einer stark vergoldeten Bronze-Medaille in der Größe der Tapferkeits¬ 
medaille zweiter Classe, auf einer Seite das Brustbild Sr. Majestät, auf der 
anderen die Reichskrone und die Aufschrift: „Signum laudis“ und wird, wenn 
vor dem Feinde erworben, am Bande des Militär-Verdienstkreuzes, und im 
Frieden erworben, am Bande des Franz Joseph-Ordens getragen. 


Kleine Mitthellungen. 

— Von der Empfehlung Germain See’s ausgehend, hat Dr. 
Niesel an 12 Patienten der MosLER’schen Klinik mehrere Versuche 
Ober die diuretische Wirkung des Milchzuckers angestellt und 
über deren Resultate im Greifswalder medicinischen Verein berichtet. 
Zunächst wurden 5—6 Tage bei täglicher Aufnahme von im Ganzen 
2 Liter Flüssigkeit, wovon 1 Liter Wasser, Suppe und Milch, 
resp. Kaffee in bestimmten Mengen waren, genaue Urin- und Puls¬ 
messungen angestellt. Dieselben wurden natürlich während des 
eigentlichen Versuches, welcher 5—13 Tage dauerte und zumeist 
nach mehrtägiger Unterbrechung wiederholt wurde, fortgesetzt; es 
kamen noch hinzu häufige Zuckeruntersuchungen des Urins mit 
den gewöhnlichen Reductionsmethoden nach Trommer, resp. Fehling 
und Böttcher und mit der von v. Jaksch für Milchzucker 
empfohlenen Reaction mit essigsaurem Blei und Ammoniak. Die 
aufgenommene Flüssigkeitsmenge blieb natürlich auch im eigentlichen 
Versuche dieselbe wie vorher; der Milchzucker, in der Monge von 
100 oder 200 Grm., wurde in 1 Liter Wasser gelöst verabreicht. 
Die zu den Versuchen verwendeten 12 Fälle waren 6 Klappen 
fehler, zum Theil mit hochgradigsten Stauungserscheinungen, ferner 
2 Nephritiden und 4 pleuritische Exsudate, wovon 2 auf manifester, 
resp. latenter Tuberculose beruhten. Ein völlig negatives Resultat 
hatte Niesel bei den beiden letztgenannten 2 pleuritischen Exsu¬ 
daten, bei den beiden Nephritiden, sowie bei einem Herzfehler, wo 
es sich um einen senilen, mit allgemeinem Gefäßatherom behafteten 
Patienten handelte. Der Ausfall der Wirkung bei den beiden 
Nierenkranken bestätigt die Angaben See’s. Da nun auch seine 
Pulsmessungen kein sicheres Resultat ergaben, möchte sich Niesel 
auch dem Schlüsse See’s anschließen, daß die Wirkung des Milch¬ 
zuckers wohl auf einem Nierenreize beruhe. Die drei anderen, als 
völlig resultatlos bezeichneten Fälle betrafen geschwächte Individuen, 
bei welchen die Lebensenergie des ganzen Organismus und somit 
auch die der Niere eine herabgesetzte war. In den übrigen Fällen 
beobachtete Niesel eine Steigerung der Diurese, die jedoch niemals 
mehr als 400 Ccm. betrug. Die diuretische Wirkung war bei den¬ 
selben Patienten in einzelnen Versuchsreihen verschieden, ja sie 
blieb bei Herzkranken zuweilen ganz aus, was wohl auf eine vorüber¬ 
gehende Herzschwäche zu beziehen ist. Die Diurese stieg bei Beginn 
der Medication sofort an, erreichte bald die Höhe und fiel gegen 
Ende des Versuches etwas, um nach Aufhören des Versuches auf der 
Norm oder um Weniges höher zu stehen. Von Nebenwirkungen hat 
auch Niesel nur in 3 Fällen vereinzelte Diarrhoen, in einem Kollern 
und Schmerzen im Abdomen verzeichnet. Zucker konnte Niesel im 
Urin mit den oben angeführten Reactiouen auch bei Einfuhr von 
täglich 200 Grm. Milchzucker nicht deutlich nachweisen; es scheint 
die von See hiebei constatirte Lactosurie nicht in allen Fällen auf¬ 
zutreten. Es ergibt sich somit, daß der Milchzucker diuretisch wirkt 
in Fällen, wo die Nieren intact sind und schwere Ernährungs¬ 
störungen fehlen. Eine so beträchtliche Diurese und Blutentwässe¬ 
rung, wie Germain Säe gefunden hat, konnte Niesel nicht sehen. 

— Von der Ansicht ausgehend, daß der eingewachsene Nagel 
nur durch Druck zu enger Fußbekleidung entsteht, wodurch die 
Nagelplattenachse mit der Phalanxachse und daher auch speciell mit 
der Nagelbettachse einen sehr spitzen Winkel bildet, empfiehlt 
Unna in Nr. 1 der „Monatsh. f. prakt. Dermat.“ die Behandlung 
des eingewachsenen Nagels durch consequent ausgeübten Druck 
derart, daß die Nagelplatte genau in die Richtung des Nagelbettes 
gebracht wird. Die subjectiven Beschwerden verschwinden sofort, 
bei consequenter Fortsetzung des Druckes wird die ganze Affection 
mit Sicherheit beseitigt. Auf das Einfachste erreicht man dies nach 
Unna durch Einführen eines weichelastischen Keiles zwischen Nagel¬ 
falz und Nagelplatte, womöglich über den wunden Punkt nach hinten, 
damit die Wirkung dieses Keiles sich hebelartig verstärke. Unna 
verwendete früher dazu Charpiefäden, jetzt nur noch feine Blätt¬ 
chen von Feuerschwamm, die weich, elastisch und porös sind. 
Letzteres habe den Vortheil, daß man, nachdem der kleine Keil 
zwischen Nagelplatte und Nagelfalz mit einer stumpfen Nadel oder 
Sonde eingeschoben ist, ein flüssiges Medicament in die Tiefe des 
Nagelfalzes sich einsaugen und fixiren lassen kann. Unna braucht 
hiezu eine 2proc. alkoholische Höllensteinlösung. Dieselbe überzieht 


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sofort mit einer schützenden Decke die wunde Stelle, die nun — 
von keinem Drucke mehr belästigt — rasch ausheilt. Hält sich 
das Blättchen von Feuerschwamm von selbst gut eingeklemmt in 
seiner Lage, so genügt es, täglich ein paar Tropfen der Höllenstein¬ 
lösung von oben aufzuträufeln. Nach einigen Tagen zieht man den 
Keil heraus und ersetzt ihn durch einen etwas dickeren, denn schon 
macht sich die Verschiebung der Nagelplatte so weit geltend, daß 
der erste Keil anfängt, lose zu werden. Nach 14 Tagen und 2-bis 
3maligem Wechsel des Keiles kann man gewöhnlich die Behandlung 
der wunden Stellen durch Höllenstein bereits aufgeben und den Patienten 
anweisen, in Zukunft nur noch — aber stets neue Keile — jede 
Woche 1—2mal einzuschieben und mit deren Kaliber beständig 
etwas zu steigen. Nach der völligen Parallelität von Nagelbett und 
Nagelplatte ist nach Unna die Heilung definitiv erreicht. Hält sich 
der Keil — bei sehr flachen Nägeln — nicht gut von selbst im 
Falze, so leime man nach Aufträufelung von etwas mehr Höllenstein¬ 
lösung die betreffende Zehe mit Zinkleim auf der Oberseite ein und 
wattire sie. Dann wird dieser Verband 2mal wöchentlich abge¬ 
waschen und erneuert. Statt des Höllensteins kann man das nach 
Unna neuerdings empfohlene Eisenchlorid verwenden, statt des Keiles 
von Feuerschwamm können Charpiefäden, feine Korkspähne, Collo- 
dium-, resp. Traumaticinhäutchen dienen, doch findet Unna alle 
diese Ersatzmittel nicht so praktisch und sicher, wie den Feuer¬ 
schwamm und die alkoholische Höllensteinlösung. Ein Umstand er¬ 
schwert oft diese einzig rationelle Behandlung, nämlich das Kurz- 
schneiden der betreffenden Nägel, wie es von einigen Aerzten an- 
gerathen und auch von einigen Patienten instinctiv geübt -werde, um 
die scharfe Nagelkante außer Contact mit dem wunden Nagelfalze 
zu bringen. Diese „ganz unzweckmäßige“ und höchstens für kurze 
Zeit lindernde Manipulation beraube den Keil zum großen Theile 
seiner Stütze und ist daher streng zu verbieten. Sei es einmal ge¬ 
schehen, so müsse der Nagelfalz durch CocaTn anästhesirt werden, 
was durch blosses Aufpinseln gelinge, und nachdem die scharfe Ecke 
mit einer Pincette stark in die Höhe gezogen ist, muß ein Schwamm¬ 
blättchen unter den Rest des Nagels im Seitenfalze geschoben 
werden. Die Cur dauert dann um so viel länger als der Nagel 
braucht, um bei der wunden Stelle vorbei nach vorn zu wachsen. 

— Zur Therapie des Keuchhustens theilt Dr. Paul Ree 
(in Stibbe) in Nr. 19 der „Deutsch, mcd. Woch.“ folgende zwei 
Beobachtungen mit. Antipyrin verma* den Keuchhusten in den 
Fällen zu coupiren, in denen das Stad, convulsivum noch nicht 
länger als 3—4 Tage bestanden hat. In einem Falle hatte das 
convulsivische Stadium sogar mit ganz besonders heftigen und pro- 
trahirten Anfällen eingesetzt. Nach dem Gebrauche des Antipyrins 
(in der bekannten Dosis : so viel Decigramme, als das Kind Jahre 
zählt, 3mal täglich nach dem Essen) hörten die Anfälle bald auf 
und sind nicht wiedergekehrt. Hingegen war das Antipyrin wir¬ 
kungslos, wenn das Stadium convulsivum schon längere Zeit be¬ 
standen hatte. Schädliche Folgen des Antipyrin hat er in keinem 
Falle beobachtet, obgleich cs versuchsweise in jedem Falle ange¬ 
wendet wurde. Der zweite Punkt, der in den Handbüchern nicht 
genügend hervorgehoben wird, ist folgender: Wenn eineBroncho- 
pneumonie im Anzuge ist, so hören die Kinder plötz¬ 
lich auf zu husten. Während vorher die Anfälle stündlich und 
öfter auftraten, vergehen jetzt halbe Tage ohne einen einzigen 
Anfall. Bald steigt dann die Temperatur und die capillären Rassel¬ 
geräusche sind in größerer Ausdehnung hörbar. Will die Broncho¬ 
pneumonie einen guten Verlauf nehmen, so beginnen die Husten¬ 
anfälle mit verstärkter Heftigkeit auf b Neue. Hieraus ist die praktische 
Folgerung zu ziehen, daß man, wenn die Keuchhustenanfälle plötzlich 
fortbleiben, starke Expectorantien und PRiESSNiTz’sche Umschläge 
zu verordnen hat, auch dann, wenn die objective Untersuchung noch 
keine Bronchopneumonie nachzuweisen vermag. Benzoes. mit Camph. 
trit. ana 0 03 thut wohl recht gute Dienste, wird aber, des unan¬ 
genehmen Geruches wegen, sehr ungern von den Kindern genommen. 
Ipecacuanhainfus (mindestens 0 - 3 : lOO’O) ist vorzuziehen. 

— Dr. Alexander Peyer beschreibt im 7. Hefte des „In¬ 
ternat. Ctbl. f. die Physiol. u. Pathol. der Harn- u. Sexualorg.“ 
8 Fälle von abnormer Geschmacksempfindung bei Neurasthenia 
sexualis : Schwächung der Geschmacksempfindung (Hypogeusie 2mal 


undefinirbaren, widerlichen Geschmack 2mal, widerwärtigen, uner¬ 
träglich süßen Geschmack 2mal, brennendes Gefühl an der Zungen¬ 
spitze lmal, eigentliche Geschmackshallucinationen lmal). Sämmt- 
liche Fälle stehen in Zusammenhang mit krankhaften Samenverlusten, 
die sich theilweise an Abusus sexualis in der Jugend, theilweise an 
Coitus reservatus anschlossen. Ein Fall trotzte jeder Behandlung, 
verlor sich aber nach der Verheiratung des Patienten allmälig 
spontan. Die übrigen 7 Fälle heilten oder besserten sich, sobald 
das supponirte ursächliche Leiden gehoben war. In neuester Zeit 
beobachtete der Verf. noch eine eigenthümliche Sensibilitäts¬ 
neurose der Zunge bei einem 26jährigen, kräftigen Pharmaceuten, 
der von seinem 13.—15. Jahre bis zur Jetztzeit in Folge Mastur¬ 
bation an massenhaften Pollutionen litt. Seit seinem 17. Jahre hat 
Patient zeitweise ganz plötzlich das Gefühl von Ameisenlaufen in 
der Zunge. Dabei wird dieselbe schwer und der Betreffende kann 
sie nur mühsam bewegen. Die Sprache ist während der 3—5 
Minuten, so lange die Attaque dauert, unverständlich, lallend, oder 
ganz unmöglich. Die gleiche Affection zeigt sich zuweilen an den 
Lippen und verschiedenen Stellen des Körpers, am häufigsten aber 
in den Extremitäten, besonders in den Armen. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zn Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig. -Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

V. 

M v. Frey (Leipzig): Ueber die Beziehungen zwischen Pulsform 
und KlappenschluB. 

Die gleichzeitige Aufschreibung des Druckverlaufes im linken 
Ventrikel und in der Aorta des Hundes führt zu dem Ergebniß,. 
daß jede Pulsperiode in zwei ungleiche Hälften zerfällt: eine kürzere, 
in welcher der Druck im Ventrikel höher ist, als in der Aorta — 
es ist dies die Zeit der Herzentleerung — und in eiue längere, in 
welcher der Druck in der Aorta höher ist und einen selbstständigen 
Verlauf zeigt — in dieser Zeit muß die Klappe schließen. 

In dem ersten Abschnitt zeigt in vielen Fällen der Aortenpuls 
einen einfachen Gipfel, welcher dem systolischen Druckgipfel in der 
Kammer durchaus ähnlich, nur etwas niedriger ist. In dem Momente, 
in welchem der Ventrikeldruck nnter den Aortoudruck herabsinkt 
und der Schluß der Klappe erfolgt, erscheint in der Aorta in der 
Regel eine neue Drucksteigerung oder Welle, welche man daher als 
Klappenschlußwelle bezeichnet hat. 

Diese Bezeichnung ist aber nicht zulässig, weil sich zeigen 
läßt, daß die betreffende Welle vorhanden sein oder auch fehlen 
kann, obwohl die Klappe fortgesetzt ungestört functionirt Wenn 
man durch Reizung des Rückenmarks oder andere Verfahrnngsarten 
den Blutdruck eines Versuchstieres verändert, so findet sich die 
Lage dieser sog. Klappenschlußwelle und ebenso die aller übrigen 
seoundären Erhebungen der Pulscurve in der Weise, daß sie dem 
systolischen Druckgipfel um so näher rücken, je höher der Blut¬ 
druck steigt. Bei einem Drucke von 200 Mm. Quecksilber z. B. 
ist in der Regel beim Hunde die Annäherung schon soweit ge¬ 
diehen, daß die secundären Erhebungen mit dem. systolischen Gipfel 
unentwirrbar verschmelzen. 

Es läßt sich nachweisen, daß dies nicht von eitier veränderten 
Herzthätigkeit herrührt. Bei hohem wie niedrigem Druck findet, 
von der veränderten Arbeitsleistung abgesehen, die Druckschwankung 
im Herzen stets in derselben Weise statt. Die Thatsache der Ver¬ 
änderung des Aortenpulses ist nur begreiflich, wenn man sich er¬ 
innert, daß die Ausbreitung der Pulswellen und ihre Rückkehr aus 
der Peripherie um so rascher geschieht, je höher die Spannung des 
Arteriensystems ist. Daß die Pulswellen in den Capillaren nicht 
erlöschen, sondern zurückgeworfen werden, kann als ganz sicher- 
gestellt betrachtet werden. Treffen die reflectirten Wellen in der 
Aorta zu einer Zeit ein, in welcher das Herz eben zu erschlaffen 
im Begriffe ist, so wird die Schließung der Klappe beschleunigt und 
der Anschein entstehen, als ob der Klappenschluß selbst die Welle 
erzeugt hätte. Daß aber der KlappenschluB an und für sich ohne 


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merkliche Druckstörung verläuft, läßt sich, normale Verhältnisse 
vorausgesetzt, nicht allein für die Semilunarklappen, sondern auch 
für die Klappen zwischen Vorhof und Kammer experimentell nach- 
weisen. 

Die Auffassung sämmtlicher secundären Wellen der Pnlseurve 
als Reflexwellen, entstanden durch ein- oder mehrmaliges Hin- und 
Herwandern der systolischen Welle zwischen der Peripherie (Capil- 
laren) und dem Centrum (Semilunarklappen), führt zu der Forde¬ 
rung, daß die Gestalt der Pulscurve sowohl in Bezug auf zeitliche 
wie Druckverhältnisse von Ort zu Ort im Arteriensystem verschieden 
sein muß. Diese sphygmographisch längst festgestellte That- 
sacbe läßt sich, entgegen widersprechenden Behauptungen, auch 
manometrisch, und zwar gerade auch an den großen Arterien nach- 
weisen, so daß an der Berechtigung der vorgetragenen Auffassung 
nicht gezweifelt werden kann. 

Von besonderer Wichtigkeit erscheint in dieser Hinsicht die 
Erfahrnng, daß die Pulsform einer Arterie an einem und demselben 
Thiere, bei gleichem mittleren Blutdruck und gleicher Pulsfrequenz 
wesentliche Formveränderungen aufweisen, z. B. zuerst anakrot, 
später katakrot sein kann. Das Einzige, was sich in diesem Falle 
geändert haben kann, ist die vasom »torische Innervation oder mit 
anderen Worten : die Blutvertheilung im Körper. Indem das Puls¬ 
bild über diese wichtige Frage Auskunft zu geben verspricht, wächst 
seiner diagnostischen Verwerthung ein neuer Factor zu, ein Um¬ 
stand, der zu weiteren Untersuchungen auffordert. 

Peiper (Greifswald): Experimentelle Studien über die Folgen 
der Ausrottung des Plexus coeliacus. 

Durch die Untersuchungen von Cl. Bernabd ist bewiesen 
worden, daß Verletzungen am Boden des vierten Ventrikels, ober¬ 
halb der Zuckerstichstelle, vermehrte Harnabsonderung zur Folge 
haben. Zahlreiche Publikationen, welche sich an jene Experimente 
anreihten, führen durch die klinische Beobachtung, wie durch den 
pathologisch-anatomischen Befund den Nachweis, daß Erkrankungen 
in jenem Gehirntheile in ätiologischem Zusammenhänge mit der 
zuckerlosen Harnruhr stehen. Auch bei Affeotionen in anderen 
Theileh des Centralnervensystemes, weiterhin durch Einwirkung auf 
gewisse Theile der Brücke und des verlängerten Markes, schließlich 
auch nach Durchsohneidung der N. splanohnioi ist Diabetes insi- 
pidus beobachtet werden. Neuerdings werden von Dickinson und 
Schapiro degenerative Veränderungen im Plexus coeliacus als 'ur¬ 
sächliches Moment der zuckerlosen Harnruhr angegeben. Die bis¬ 
herigen physiologischen Beobachtungen über die Functionen jener 
Ganglien waren geeignet, die von jenen Autoren geäußerte Ansicht 
zu unterstützen. 

Pincus, Samuel, Büdge und Lamansky sahen nämlich nach 
Ausrottung des Plexus coeliacus fast völlig übereinstimmende 
Symptome. Sämmtliche Versuchsthiere gingen unter profusen Durch¬ 
fällen zu Grunde. Gerade dieses Symptom war von Schapiro auch 
bei seinen an Diabetes insipidus leidenden Patienten beobachtet 
worden. 

Hingegen hatte Adrian keine auffälligen Erscheinungen, Münk 
und Klehs Diabetes mellitus und Pancreasatrophie nach Exstir¬ 
pation des Gangliencomplexes gefunden. 

Eben im Begriff, eigene Untersuchungen über die Bedeutung 
des Plexus coeliacus anzustellen, erschien die Arbeit von A. Lustig 
in Turin. Dieser Forscher hat bei Kaninchen und Hunden die 
Exstirpation vorgenommen. Sämmtliche Versuchsthiere überlebten 
die Operation um 2—3 Wochen. In den ersten Tagen nach der¬ 
selben war der Harn in vielen Fällen zuckerhaltig. Nach dem 
Verschwinden des Zuckers trat Acetonurie, später Albuminurie auf. 
Die Thiere gingen schließlich unter comatösen Erscheinungen zu 
Grunde. Verdauungsstörungen, diarrhoische Stuhlentleerungen, Dia¬ 
betes insipidus, Pancreasatrophie beobachtete Lustig in keinem Falle. 

Unter Berücksichtigung aller Cautelen wurde vom Vortr. bei 
15 Kaninchen die Ausrottung des Plexus coeliacus vorgenommen. 
11 Thiere überlebten den operativen Eingriff mindestens 3—4 
Wochen; die anderen 4 gingen zum Theil in Folge der tiefen 
Aethernarcose, zum Theil an Blutungen oder Peritonitis zu Grunde. 

Bei den überlebenden Thieren erfolgte ohne Hervortreten 
anderer Erscheinungen starke Abmagerung. Bei keinem einzigen 


Versuchsthiere traten Durchfälle auf. Hyperämische Erscheinungen 
seitens der Abdominalorgane fehlten bei der Autopsie vollkommen. 
Ebensowenig wurde Diabetes insipidus beobachtet. Melliturie wurde 
in den ersten Tagen nach der Operation häufiger constatirt. In 
einem Falle, bei welchem aber eine ausgedehnte Resection des N. 
splanchnious vorgenommen war, betrug der Zuckergehalt des Urins 
2-5-40/c Atrophie des Pancreas fehlte in allen Fällen. 

Aceton konnte der Vortr. nur einige wenige Male (Nachweis 
des Acetons nach Lieben f Gunning und Reynolds) auffinden; 
Albuminurie ebenfalls nur bei 2 Kaninchen. Die Section ergab nur 
bei einem derselben geringe mikroskopisch wahrnehmbare Ver¬ 
änderungen. 

Vier Kaninchen, welche noch 2—4 Monate lebten , wurden 
getödtet. Die Section ergab keine besonderen Veränderungen. Die 
7 verendeten Thiere zeigten die Symptome eines hochgradigen 
Marasmus, so daß anzunehmen ist, daß durch die Exstirpation jener 
Ganglien erhebliche Störungen in der Verarbeitung der einge¬ 
führten Nahrungsmengen hervorgerufen werden, Störungen, die aber, 
wie die überlebenden Thiere zeigen, doch des Ausgleichs fähig sind. 
Die hin und wieder beobachtete Acetonurie führt Peiper auf den 
vermehrten Zerfall des Organeiweißes zurück. 

Sonach widerlegen die experimentellen Untersuchungen des 
Vortr. die Ansicht, daß der Diabetes insipidus auch auf Functions¬ 
störungen im Plexus coeliacus beruhe, daß durch die Ausrottung 
jener Ganglien profuse diarrhoische Erscheinungen, Pancreasatrophie 
oder Diabetes mellitus hervorgerufen werde. Auch die Acetonurie 
und Albuminurie ist kein charakteristisches Symptom nach Exstir¬ 
pation des Plexus coeliacus. 

A. Rothziegel (Wien): Ueber Strophanthin. 

Der Vortragende berichtet zuerst über die von ihm in Ge¬ 
meinschaft mit Herrn Drd. Roderich v. Kovalewski im Jahre 
1887/88 auf der Abtheilung des Herrn Prof. Dräsche im Wiener 
k. k. allgemeinen Krankenhause mit dem im Mai 1887 in den 
Handel gebrachten Merck’ sehen Strophanthin Angestellten Versuche, 
welche auch durch mit einem Präparate derselben Provenienz im 
Jahre 1890 vorgenommene Controlexperimente bestätigt werden 
konnten. 

Die Einzeldosis des Mittels betrug bei diesen Beobachtungen 
2—3 Decimilligramm, die Tagesdosis V} % —3—5 Milligramm. Das 
Medicament wurde entweder in der Form von Tropfen nach der 
Formel: Rp. Strophanthini 0*003—0-005, Aquae destillatae oder 
Aquae laurocerasi 10*0. S. 2stündlich 10—20 Tropfen, oder in Ge¬ 
stalt von Kapseln ä 0*0003 Strophanthin angewendet, manchmal 
auch in Form von hypodermatischen Injectionen ä 5 Decimilli¬ 
gramm. 

Resultate: 

1. Das Circulationssystem wird in evident günstigem Sinne 
beeinflußt. Die Wirkung besteht vorzüglich in einer Kräftigung und 
Regelung des Pulses, welche erstere schon nach geringen Gaben 
(0-0002—0-0003) in meist ganz kurzer Zeit (5 —10 Minuten) ein- 
tritt. Später erst erfolgt die Beeinflussung der Pulsarhythmie, meist 
erst am zweiten oder dritten Tage der Verabreichung des Mittels. 
Sie tritt im Allgemeinen später ein, als nach Anwendung der 
Digitalis, hält aber bei Fortgebrauch des Mittels durch bedeutend 
längere Zeit an und dauert auch nach dem Aussetzen desselben 
noch durch einige Zeit fort. 

2. Insbesondere werden die bei den verschiedenen organischen 
Erkrankungen des Herzens auftretenden Beschwerden, nämlich die 
Dyspnoe und das Herzklopfen, durch Strophanthin in günstigem 
Sinne beeinflußt. In der Regel werden die Athembeschwerden früher 
zum Verschwinden gebracht, als das Herzklopfen. Bei sogenannten 
nervösen Herzpalpitationen ist eine andauernde Wirkung mit Sicher¬ 
heit nicht zu constatiren. 

3. Die Harnsecretion wird nach Einnahme von Strophanthin 
bei Verminderung der Diurese in Folge von ungenügender Herz¬ 
arbeit entschieden gesteigert; doch tritt die Vermehrung des täg¬ 
lichen Harnquantums oft erst nach durch längere Zeit fortgesetztem 
Gebrauche ein. Auch werden durch Strophanthin in der Regel nicht 
so hohe Harnmengen erzielt, als durch Digitalis oder Tinctura 
Strophanthi. Die Steigerung der Diurese hält auch nach dem Aus- 

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setzen des Strophanthins noch durch mehrere Tage an und scheint 
nur durch Hebung des Blutdruckes, nicht durch directe Ein¬ 
wirkung auf die Nieren zu Stande zu kommen. Reizerscheinungen 
von Seite der Nieren wurden nicht beobachtet. 

4. Gastrische Störungen treten auch nach langem Fortgebrauche 
des Mittels nur in äußerst seltenen Fällen ein; und wenn dies der 
Fall ist, wird Strophanthin in Kapseln gut vertragen. Dagegen wurde 
wiederholt Steigerung des Appetits bei Anwendung des Präparates 
beobachtet. Das Verhalten des Stuhles wird durch Darreichung des 
Strophanthins nicht beeinflußt. Auch die Schweißsecretion wird nicht 
vermehrt. 

5. Das Nervensystem wird nur auf indirectem Wege, nämlich 
durch Regelung und Kräftigung der Herzarbeit, beeinflußt. 

6. Eine cumulative Wirkung wurde nach Anwendung des 
Strophanthins nicht beobachtet. Das Mittel kann durch 3 Wochen 
ohne Schaden gegeben werden. 

7. Subcutaue Injectionen von wässerigen Lösungen in der 
Dosis von 0*0005 bewirken in Fällen von Herzschwäche eine 
rasche und andauernde Kräftigung des Pulses und haben, indem 
sie unter streng antiseptischen Cautelen ausgeführt werden, keine 
localen oder allgemeinen Reizerscheinungen zur Folge. 

8. Im Vergleich mit Tinctura Strophauthi muß der letzteren 
im Allgemeinen der Vorrang vor dem Strophanthin eingeräumt 
werden. Die Tinctur wirkt sicherer, rascher und energischer als 
das Strophantin. Das letztere gilt namentlich in Beziehung auf die 
Diurese. Da es jedoch Fälle gibt, in welchen sowohl Tinctura 
Stropbanthi und Digitalis, als auch die anderen Herzmittel nicht 
vertragen werden, wohl aber Strophanthin, so ist das letztere 
als ein gutes Ersatzmittel der Tinctura Strophanthi 
zu bezeichnen. Es wurden sogar Fälle beobachtet, in welchen 
alle bekannten Herzmittel versagten, während die Darreichung von 
Strophanthin von gutem Erfolge begleitet war. 

9. Die Indication für die Anwendung des Strophanthins bei 
Klappenfehlern mit und ohne Affection des Myocardiums, sowie bei 
organischen Affectionen des Herzmuskels allein wird durch die In ] 
sufficienz der Herzarbeit und die daraus resultirenden Folgeerschei¬ 
nungen gegeben. Auch bei acutem und chronischem Morbus Brightii, 
sowie bei Pleuritis bewirkt Strophanthin eine Steigerung der Diurese 
nur dann, wenn dieselbe in Folge von ungenügender Herzarbeit 
vermindert ist. Bei tuberculöser Pleuritis ist es wirkungslos. 

Zum Schlüsse gibt der Vortragende eine kurze Uebersicht der 
Literatur über Strophanthin seit Beginn des Jahres 1888 mit aus¬ 
führlicherer kritischer Besprechung der in Frankreich angestellten 
Beobachtungen. S. 

Neunzehnter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zn Berlin vom 9.—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

V. 

Angeber (München): Die Endresultate der Kniegelenkresectionen 
unter 14 Jahren. 

Redner hat im letzten Jahre unter 83 Arthrectomien des 
Kniegelenks 63mal bei Kindern unter 14 Jahren operirt und in 
70% der Fälle Heilung erzielt. Zur Erreichung eines derartigen 
günstigen Resultates ist es nothwendig, die Seiten- und Kreuzbänder 
zu durchschneiden, um das Gelenkinnere in vollkommen übersicht¬ 
licher Weise auf etwa bestehende Herde zu controliren. In der 3. 
bis 4. Woche nach der Heilung läßt Redner zur Vermeidung von 
Contracturen passive Bewegungen und Massage vornehmen. 

Krause (Halle): Die Behandlung von tuberculösen Gelenksaffec- 
tionen mit Jodoforminjectionen. 

Redner stellt mehrere wegen schwerer tuberculöser Gelenk¬ 
leiden von ihm mit Jodoforminjectionen behandelte Kranke vor, 
welche seit mindestens einem Jahre geheilt geblieben sind. 

Bei Absceßbildung in oder außerhalb des Gelenks wird der 
Eiter mit einem dicken Bauchtroicar entleert, die Gelenkhöhle mit 
Borsäurelösung so lange ausgespült, bis die Flüssigkeit rein abfließt 


und alsdann 10—60 Grm. einer 10% Jodoformmischung injicirt. 
Bei fehlendem Absoeß wird die Injection sehr bequem mit einem 
etwa 2 Mm. starken Troioar vorgenommen und nach Verschluß der 
Einstichöflnnng durch einen Gazebausch passive Bewegungen und 
Massage vorgenommen, um das Jodoform gewissermaßen in die tuber¬ 
culösen Gewebe einzureiben. 

DisousBion: König (Göttingen) warnt vor der Arthrectomie 
und verhält sich etwas skeptisch zu der Annahme einer Heilung 
nach Jodoforminjectionen. Eine solche ist erst vorhanden, wenn die 
Patienten Jahre lang ohne Recidiv geblieben sind. Vorerst kann er 
nur zugeben, daß das Jodoform im tuberculösen Gelenk die acuten 
Erscheinungen rückgängig macht. Die Versuche, arthrectomirte Ge¬ 
lenke wieder beweglich zu machen, sind zwar mehrmals gelungen, 
allein zu berücksichtigen ist, daß durch allzu starke Bewegung ein 
etwa noch latent vorhandener tuberculöser Herd leicht ein Recidiv 
her vorrufen kann. 

Madelung (Rostock): Ueber die operative Behandlung der Nieren- 
tuberculo8e. 

Wenn auch die Zahl der praktischen Erfahrungen auf dem 
Gebiete der Nierenchirurgie noch nicht sehr groß ist, so ist doch 
das Vertrauen zu derselben mit Recht gewachsen. In dem Stadium, 
in welchem sich die Frage der operativen Behandlung der Nieren- 
tuberculo8e befindet, ist es Pflicht jedes Praktikers, seine Erfahrungen 
zu veröffentlichen. Madelung hat im Ganzen recht günstige Re¬ 
sultate gewonnen, allein in Bezug auf die wichtigste Frage, die 
Stellung der Diagnose, ist er nicht in der Lage, neue diagnostische 
Hilfsmittel mitzutheilen, vielmehr fühlt er sich veranlaßt, ver¬ 
schiedenen neueren Angaben in dieser Beziehung entgegenzutreten. 
Man ist berechtigt, Nierentuberculose zu diagnostioiren, wenn bei 
gesunder Blase der Urin charakteristische tubercnlöse Bestandtheile 
enthält. Andererseits spricht die Abwesenheit von Tuberkelbaoillen nicht 
gegen die Erkrankung, weil der periphere tubercnlöse Herd in der 
Niere noch nicht bis in’s Nierenbecken vorgerückt zu sein braucht 
oder die Niere, vollständig zerstört, in verkäste, Glaserkitt ähnliche 
Klumpen um ge wandelt ist. w 

Die Impfungen zu diagnostischen Zwecken sind praktisch nicht 
von besonderem Werthe, weil die Entwicklung der durch Impfung 
hervorgerufenen tuberculösen Knoten oft Wochen und Monate braucht 
und man meist mit der Operation nicht so lange warten kann. 
Die' Besichtigung der Wandungen der Blase mittelst des NiTZR’schen 
Cystoskops ergab wegen der häufig nicht durchführbaren Ent¬ 
fernung von Eiter und Blut wenig befriedigende Resultate bezüglich 
der Sicherung der Diagnose. 

Bei constatirter Nierentuberculose und gesunder Blase ist von 
besonderer Wichtigkeit, zu entscheiden, ob eine, bezw. beide Nieren 
krank sind, und ob der Patient überhaupt zwei Nieren hat. Redner 
demonstrirt an einem Beispiel, daß die hypertrophirte Niere in 
einem solchen Falle für die erkrankte angesehen werden kann. Vom 
Katheterismus der Ureteren hat Redner gänzlich Abstand genommen, 
weil dieses Verfahren äußerst schwierig und unsicher in seinen Re¬ 
sultaten ist und ferner, weil Redner nicht selten nach Erweiterung 
der weiblichen Harnröhre Incontinenz oder Schwäche des Sphinoters 
Zurückbleiben sah. 

Die Nephrectomie als diagnostisches Hilfsmittel erscheint dem 
Vortragenden wenig empfehlenswerth, da es nicht gelingt, den Urin 
oder Eiter der tuberculösen Niere vollständig abzuleiten; immer 
fließt ein Theil an dem Drain vorüber nach dem Ureter und der 
Blase. Die Empfehlung, die Nierentuberculose in den Anfangs¬ 
stadien anzugreifen, bekämpft Madelung durchaus; denn anfänglich 
ist sie einerseits nicht zu erkennen, andererseits spontan ausheilbar. 
Bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens sind wir nur be¬ 
rechtigt, einseitige Nierentuberculose zu operiren, wenn bereits der 
größere Theil der Niere zerstört ist und Schmerzen und Beschwerden 
uns das Messer in die Hand drücken. Auch bei schon geschwächten 
Patienten ist die Operation leicht und ohne Blutung auszuführen. 

Die Operation besteht in der totalen Exstirpation der Niere 
und geschieht stets extraperitoneal. Der die Niere freilegende Schnitt 
muß groß sein, um etwaige Reste der Nierenwandung und Cysten 
entfernen zu können. Der Ureter wird mit einigen Catgutnähten 
verschlossen, die Wunde mit Jodoformgaze ausgefüllt und der 


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Tampon durch Hantfaltennfthte fixirt. Sämmtliche Patienten er¬ 
hielten in der Nachbehandlung Monate lang Creosotkapseln. Wenn 
auch in der Literatur bisher nur 9 Fälle mitgetheilt sind, bei denen 
die Heilung nach der Operation Uber ein Jahr angehalten -hat, so 
hält Redner die Nepbrectomie bei Nierentubercnlose doch von hohem 
Werthe, vorausgesetzt, daß man bei ausgesuchten Fällen und zur 
rechten Zeit operirt. 

Discussion: 

König (Göttingen) betont die Wichtigkeit der Impfung zur 
Sicherung der Diagnose. Bei Injection in’s Auge oder Gelenk kann 
man schon nach 14 Tagen die tnberculöse Erkrankung constatiren. 
Redner hat zwei tnberculöse Nieren exstirpirt. In dem einen Falle 
war 3 Tage nach der Operation jeder Eiter aus dem Harn ver¬ 
schwunden. Der zweite Fall läßt die Schwierigkeit der Diagnose 
bei doppelseitiger Nierenerkrankung erkennen. Bei einem jungen 
Mädchen wurde wegen Blutharnens die eine vergrößerte und schmerz¬ 
hafte Niere exstirpirt. Sie erwies sich als käsig entartet, allein die 
Blutung dauerte fort, und da die Blase gesund ist, so muß die 
Blutung aus der anderen Niere stammen. 

v. Bkbgmann (Berlin) hat 3mal tuberculöse Nieren exstirpirt. 
Auf die kranke Niere haben ihn stets perinephritische Abscesse geführt. 
In einem 4. Falle hat er die Niere zurückgelassen und nur einen 
großen perinephritischen Absceß eröffnet und ausgekratzt. 

Heusner (Barmen) und J. Israel (Berlin) berichten ebenfalls 
über je eine mit Erfolg ausgeführte Nephrectomie bei Nieren- 
tuberculoBe. 

Mlkulicz (Königsberg) spricht zu Gunsten der einfachen 
Nephrotomie. In zwei Fällen von tuberculöser Pyonephrose hat er 
den Eiter durch Schnitt entleert, von der Fistel aus Jodoform¬ 
glycerin injicirt und eine deutliche Besserung beobachtet. 

Riedel (Jena) sah nach einer Nephrectomie erhebliche, aber 
nicht anhaltende Besserung eintreten, und in einem zweiten Falle 
mußte er sich wegen doppelseitiger Erkrankung der Niere auf Absoeß- 
eröffnung beschränken. 

Graser (Erlangen): Ueber Wurmfortsatz-Peritonitis und deren 
operative Behandlung. 

Redner betont, daß in der Mehrzahl aller Fälle von Peri¬ 
typhlitis eine Erkrankung des Wurmfortsatzes vorliegt. Darüber 
aber sind innere Kliniker und Chirurgen einig, daß die Perforation 
des erkrankten Wurmfortsatzes in die Bauchhöhle sehr gefährlich 
ist und meist zum Tode führt Aus diesem Grunde plaidirt Redner 
sehr lebhaft dafür, daß in allen denjenigen Fällen, wo sich das 
typische Bild der acut eingetretenen Wurmfortsatz-Peritonitis mit 
Wahrscheinlichkeit nach weisen läßt, der Chirurg nicht blos das 
Recht, sondern die dringende Verpflichtung zum operativen Ein¬ 
griff hat. —r. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 27. April 1890. 

Vorsitzender: Doc. Dr. Walser. — Schriftführer: Dr. Baaz. 

DOC. Dr. LAKER stellt einen Kranken im geheilten Zustande 
vor, bei dem ein typhoides Bild erzeugt worden war durch einen 
septischen Proceß im Nasenrachenraume. Bezüglich des Näheren 
über diesen Fall verweist der Vortragende auf seine gleichzeitig 
erscheinende Publication (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 17 und 
18, 1890). 

Dr. SLEJMER stellt einen 18jährigen Mann vor, welcher ein 
Tentamen suioidii verübt batte. Er wurde in soporösem Zu¬ 
stande mit einer Schußöffnung in der linken Orbitalgegend in das 
Spital gebracht. Koth und Urin gingen eine zeitlang, wahrschein¬ 
lich nur in Folge des Sopors, unwillkürlich ab. Pulsverlangsamung 
war vorhanden. 

Aus der Wunde entleerte sich schwärzlich gefärbte Gehirn - 
masse. Das Verfahren war in der ersten Zeit ein exspectatives. Erst 
3 Wochen nach der Verletzung ging man an die Entfernung des 
Projectiles. Im späteren Verlaufe traten Kopfschmerzen auf, wurde 

• 


eine Stauungspapille constatirt und stellten sich Zuckungen in der 
linken oberen und unteren Extremität ein, welche eine leichte Parese 
derselben hinterließen. Die diese Symptome begleitende Temperatur¬ 
steigerung war nur eine geringe. Die Symptome gingen alle zurück ; 
Pat. ist heute geheilt. 

Doc. Dr. Walser stellt einen Kranken vor, bei dem sich ein 
seit 10 Jahren bestehender Lupus an der*rechten oberen 
Extremität findet. Das Leiden soll im 28. Lebensjahre des 
Mannes begonnen haben. Jetzt ist die Hand in ein unförmliches, 
warzenförmiges Gebilde umgestaltet, die Phalangen der Finger und 
des Daumens sind zum größten Theile zerstört. Nur an dem Mittel¬ 
finger finden sie sich zum größten Theile erhalten. An der Stelle 
der Haut findet sich hypertrophisches, zum großen Theile lupös 
degenerirtes Narbengewebe. Der Lupus erstreckt sich als Serpi¬ 
ginosus auch über den Vorderarm hinauf. Es handelt sich nun 
um die Entscheidung der Frage, ob der lupöse Proceß im Stande 
sei, derartige Zerstörungen der Weichtheilo und der Knochen, wie 
sie in diesem Falle vorliegen, zu veranlassen. Daß der jetzt vor¬ 
handene Proceß Lupus ist, darüber kann kein Zweifel herrschen. 
Allein da der Patient eine höchst mangelhafte Anamnese angibt 
und vor Allem jede Auskunft über die Art und Weise des Verlustes 
seiner Fingerphalangen hartnäckig verweigert, so ist es immerhin 
möglich, daß zuerst ein vielleicht phlegmonöser Proceß voraus¬ 
gegangen war, der die vorliegenden Zerstörungen verursacht hatte 
und sich erst an diesen der Lupus angeBchlossen habe. 

Prof. Lipp meint, daß ihm derartige hochgradige Zerstörungen 
in Folge eines Lupus nicht bekannt seien. 

Derselbe stellt anschließend an diesen Fall eine hochgradige 
Mikrostomie in Folge von Lupus vor. 

Dr. V. KllTSCHERA demonstrirt ein von einer Graviditas 
extrauterina herrührendes Präparat, welches durch Laparotomie 
gewonnen wurde. Die jetzt gesunde Patientin wurde im Jahre 1883 
gravid und acquirirte gleichzeitig eine Peritonitis um dieselbe Zeit. 
Im Juni 1884 hätte sie entbinden sollen; die Entbindung fand 
nicht statt, jedoch trat nach einigen Wochen neuerliche Gravidität 
ein. Ebenso war dies noch der Fall mit 3 weiteren Graviditäten. 
Während dieser ganzen Zeit fand sich bei der Patientin ein 
Tumor im rechten Hypochondrium, der ihr erst jetzt unangenehme 
Sensationen machte ; da durch die Bauchdecken die Kopfknochen 
durchzaftthlen waren, so war die Diagnose sicher. Es handelte 
sich um eine Tubengravidität in der durch die Peritonitis 
obliterirten Tuba. hs. 


Notizen. 


• Wien, 17. Mai 1890. 

(K. k. Gesellschaft derAerzte in Wien.) Die gestrige 
Sitzung dieser Gesellschaft war durchaus administrativen Geschäften 
gewidmet. Die Versammlung ventilirte die Frage der Geldbeschaffung 
behufs Erwerbung eines Bauplatzes nächst dem Allgem. Kranken¬ 
hause, woselbst, falls die finanzielle Frage eine gedeihliche Lösung 
findet, in nicht zu ferner Zeit das Haus der „Gesellschaft der 
Aerzte“ erstehen wird, welches Skoda’s Namen tragen soll. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der am 10. Mai abge¬ 
haltenen Sitzung beschäftigte sich der Oberste Sanitätsrath mit der 
von den Aerzten seit langer Zeit befürworteten Regelung und sani¬ 
tären Ueberwachung der erwerbsmäßigen Ausübung der Entfer¬ 
nung von Hühneraugen (Ref.: Hofrath Albert) und nahm 
unter Anderem ein Gutachten über die Methoden zur verläßlichen 
Nachweisung von Saccharin und Bestimmuug des Saccharin¬ 
gehaltes in Nahrungs- und Genußmitteln zu sanitätspolizeilichen 
Zwecken (Ref.: Hofrath Barth) entgegen. 

(Hygienisches.) Der Verein der Aerzte des II. Wiener 
Gemeindebezirkes hat an den Bürgermeister der Stadt Wien ein 
Memorandum gerichtet, in welchem demselben nahegelegt wird, den 
derzeit bestehenden, durchaus sanitätswidrigen Modus der Stiegen- 
und Straßenreinigung abzustellen und zu verfügen, daß Vorhäuser, 
Stiegen uud Gänge seitens der Wohnparteien strenge rein zu halten 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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seien und das Bespucken der Wände und des Fußbodens vermieden 
werde; daß mit Wasser versehene Spucknäpfe auf keiner Flur, 
auf keiner Treppe fehlen sollen; daß Betten, Teppiche und Staub¬ 
tücher niemals im Stiegenbause, dessen Luft als ein gemeinsames 
Gut aller Passanten vor Verunreinigung zu schützen ist, ausgeklopft 
werden ; daß die Vorhäuser und Stiegen zu einer frühen Morgen¬ 
stunde gereinigt werden; daß beim Kehren der Stiegen, Gänge und 
Straßen stets Wasser, resp. feuchte Sägespäne zu verwenden und 
die Staubentwicklung zu vermeiden sei; daß Geländer, Fenster¬ 
bretter und andere Bestandtheile mit feuchten Lampen abzuwischen 
sind ; daß der Kehricht unter Vermeidung der Staubentwicklung 
abgeführt werde; daß die 8traßenreinigung mit derselben hygieni¬ 
schen Rücksicht wie die der Häuser besorgt werde, und endlich 
wären alle die betreffenden Organe, sowie das Publicum überhaupt 
fleißig darüber zu belehren, daß durch Reinlichkeit und Vorsicht 
viele und gerade die schwersten Krankheiten vermieden werden 
können. 

(Aus Frankfurt a. M.) wird berichtet: Der von Geh. 
Hofr. Dr. Stibbel dotirte, in Intervallen von 4 Jahren für die in 
diesem Zeiträume erschienene beste Arbeit Uber Entwicklungs¬ 
geschichte oder Kinderkrankheiten zu ertbeilende Preis im Betrage 
von 300 fl. ist dem Prof. Dr. Soxhlet in München für sein erfolg¬ 
reiches Studium „Ueber den Milcbsäuerungsproceß und die Milcbzer- 
setznng überhaupt und die geradezu mustergiltigen Folgerungen und 
Anweisungen, dem Säugling eine keimfreie Kuhmilch zu liefern“, 
zuerkannt worden. Die preisgekrönte Arbeit ist im Jahre 1886 in 
der „Münch, med. Wochenschr.“ erschienen. 

(Unerwünschtes Lob.) Es ist genugsam bekannt, daß 
Lob ungleich leichter ertragen wird, als Tadel; selbst ungerecht¬ 
fertigte Lobesäußerungen, gemeinhin Schmeicheleien genannt, haben 
unseres Wissens noch niemals verletzt. Wie aber Lobesattentate 
seitens Unberufener, aus — geschäftlichen Gründen inscenirt, dem 
liebenswürdigen Lobredner unangenehm werden können, lehrt fol¬ 
gender Fall: Bei einem der hervorragendsten jüngeren Syphilido- 
logen unserer Stadt, dem auch unseren Lesern vortheilhaft bekannten 
Docenten Dr. Finger, erschien jüngst der Vertreter der „Wiener 
belletristischen Blätter“ mit der Einladung, den Jahresabonnenten 
dieser in den weitesten Kreisen unbekannten Zeitung beizutreten, 
diese Forderung durch Vorlage der Nummer vom 25. April d. J. 
unterstützend, in welcher sich unter dem Titel „Das Lied vom 
braven Mann“ eine Lobeshymne auf den genannten Arzt findet. 
College Finger wies diese Insinuation mit begreiflicher Entrüstung 
zurück, begnügte sich aber nicht damit, den Herrn Vertreter des 
lobesüc^tigen Blättchens abzuschaffen, sondern that das, was in 
solchen Fällen von den Meisten leider unterlassen wird, er erstattete 
von dem Vorgefallenen die Anzeige bei der Polizeidirection. Bei der 
hierüber am 10. d. M. stattgehabten Verhandlung wurde der ver¬ 
antwortliche Redaeteur des genannten „Blattes“ mit einer Geldbuße 
belegt und verwarnt. Wir kommen dem Wunsche unseres geschätzten 
Mitarbeiters, diesen unliebsamen Vorfall zu veröffentlichen, um so 
bereitwilliger nach, als auch anderen Collegen derlei unangenehme 
Ueberrasohungen passiren könnten. 

(Die Gesellschaft deutscher Naturforscher und 
Aerzte) wird ihre 63. Versammlung vom 15.—20. September d. J. 
in Bremen abhalten. Bekanntlich bat die im Jahre 1882 ge 
gründete Gesellschaft im vorigen Jahre in Heidelberg neue Statuten 
angenommen, nach welchen dieselbe „eigenen Besitz und eigenes 
Vermögen erwerben kann“; sie hat ferner die Rechte einer juri¬ 
stischen Person in Sachsen erworben und ihren Sitz nach Leipzig 
verlegt. Die Arbeit für die Jahresversammlung tragen nicht mehr, 
wie früher, die Geschäftsführer der jeweiligen Versammlung, sondern, 
so weit es die Vorbereitungen betrifft, mehr oder weniger alle Mit¬ 
glieder des Vorstandes. Zu letzterem gehören gegenwärtig Geh. 
Rath Prof. A. W. v. Hofmann (Berlin) Vorsitzender, Prof. His 
(Leipzig) stellvertretender Vorsitzender, Geh. Rath Prof. v. Berg¬ 
mann (Berlin), Prof Hertz (Bonn), Geh. Rath Leückart (Leipzig), 
Geh. Rath Victor Meyer (Göttingen), Geh. Rath Quincke (Heidel¬ 
berg), Geh. Rath Siemens (Berlin), Geh. Rath v. Virchow (Berlin), 
Dr. H. Pletzer (Bremen), Prof. Buchenau (Bremen) und General- 
secretär Lassar (Berlin). — Nachdem der Vorstand am 16. März 


d. J. eine Vorbesprechung bezüglich der diesjährigen Versammlung 
abgehalten hat, haben die in Bremen ansäßigen Vorstandsmitglieder 
die Vorbereitungen begonnen. Die nöthigen Seetionen, 32 an der 
Zahl, sind bereits gebildet und die einführenden Vorsitzenden und 
Schriftführer derselben ernannt. Für die allgemeinen Sitzungen sind 
schon eine Reihe von Vorträgen namhafter Gelehrten angemeldet, 
doch bleiben Anmeldungen für diese, sowie für die Sectionssitzungen 
thunlichst bis Ende Mai d. J. erwünscht. 

(Gegen Verwechslung von Giften) wurde, wie der 
„Pharm. Ztg.“ berichtet wird, in Amerika ein Giftsohrank construirt, 
an dessen oberem Ende die Namen der betreffenden Gifte, welche 
gerade unter dem Namen in Glasflaschen aufgestellt sind, ange¬ 
schrieben sind. Zwischen diesen Etiquetten und den Glasflaschen 
ist ein Zeiger quer verschiebbar, welcher mit dem oberen Ende auf 
das Etiquett deutet, mit dem unteren Ende auf die Flasche. Der 
Mechanismus ist so eingerichtet, daß beim Herausnehmen eines Ge¬ 
fäßes zuerst der Zeiger auf den betreffenden Namen gerückt werden 
muß, worauf nur die correspondirende Flasche beweglich ist, während 
die anderen feststehen. — Auch eine Alarmvorriehtung für Gift¬ 
flaschen wird neuerdings aus Amerika in den Handel gebracht. Die¬ 
selbe besteht darin, daß ein kleiner Pfropfenzieher, in dessen Ring 
eine mit „Gift!“ undTodtenkopf signirte kleine Glocke angebracht 
ist, in die Stopfen der Giftflaschen eingeschraubt wird. Sobald man 
den Stopfen anfaßt, ertönt die warnende Glocke. 

(Literarisches.) Das bereits in französischer und englischer Sprache < 
erschienene bekannte Werk: J. Schbkibkb, Praktische Anleitung zur Behand¬ 
lung durch Massage und methodische Muskelübnng (Wien und Leipzig, 
Urban & Schwarzenberg) wurde von Dr. Goldendeck in St. Petersburg 
in russischer Sprache ausgegeben. 

(Statistik.) Vom 4. bis inclusive 10. Mai 1890 wurden in den 
Givilspitälern Wiens 3903 Personen behandelt. Hievon wurden 996 
entlassen; 104 sind gestorben (9'0‘>% des Abganges), ln diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Staithaltereials erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 49, egyptischer Augenentzündung 5, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus6, Dysenterie 1. Blattern 15, Varicellen 47, Scharlach 53, 
Masern 406, Keuchhusten 75, Wundrothlauf 28. Wochenbettfleber 2. — In 
der 19. Jahreswocbe sind in Wien 464 Personen gestorben (-j-29 gegen 
die Vorwoche). 

(DielSalvatorquelle) kommt als specifische Heilpotenz 
und als diätetisches Getränk in Gebrauch. In erster Beihe ist Sal¬ 
vator in Folge seines bedeutenden Gehaltes an kohlensa urein 
Lithion und borsaurem Natron von vorzüglicher Wirkung bei Blasen- 
und Nierenleiden, es wird ii diesen Fällen mit oder ohne Milch genommen, 
und zwar wird mit einem Viertelliter begonnen und damit successive auf einen 
Liter, auf den Tag vertheilt, gesteigert. Die Diät besteht hauptsächlich aus 
ungewürzten Fleisch- und Milchspeisen. Ferner werden auch bei Gicht und 
chronischem Rheumatismus in Folge des Reichthums an kohlen¬ 
saurem Lithion auffallend gute Erfolge er/ielt. Hier werden 1—2 Liier 
pro Tag getrunken, wobei Entha tsamkeit von fetten und sauien Speisen zu 
empfehlen, sowie der Genuß geistiger Getränke einzuschränken ist. Durch den 
Gehalt an Kohlensäure und alkalischen Salzen wirkt es anregend auf die 
Muskelthätigkeit des Magens und der Gedärme. Es steigert deren Secretion, 
beruhigt die Magennerven und bewährt sich daher in den verschiedenen 
Affectionen der Verdauungsorgane, »peciell aber bei Magen- und 
Darmcatarh als sehr wirksam. In diesen Erkrankungen wird Salvator 
Früh nüchtern getrunken, nnd zwar anfänglich ein Viertelliter, später ein 
halber Liter auf eine Stunde vertheilt, dabei ist angemessene Bewegung zu 
empfehlen. Die zu befolgende Diät besieht iu leicht verdaulichen Speisen, 
daher sind fette, saure und gewürzte Spei-en, sowie Gemüse und Mehlspeisen 
auszuschließen. Die Cur erstreckt sich auf 4—6 Wochen. Besondere Heil¬ 
wirkung zeigt Salvator auch bei Catarrhen des Rachens, des Kehl¬ 
kopfes, der Luftröhre und der Bronchien, indem es die Schleim¬ 
absonderung befördert, den Schleim verdünnt und den Auswurf erleichtert. 
Hier kann Salvator bei gewöhnlicher Temperatur oder bis auf 20 u R. er¬ 
wärmt getrunken werden, und zwar mehrere Male des Tages, in Mengen bis 
zu einem halben Liter. Bei diesen Krankheiten wird das Wasser auch sehr 
wirksam zur Inhalation gebraucht. Die leichte Verdaulichkeit, der 
angenehme Geschmack und da es eisenfrei ist, gestatten die Verwendung 
auch als ein rein diätetisches Getränk. Eis ist zu empfehlen ste's 
nur so viel Wasser in das Glas zu gießen, als augenblicklich getrunken wird; 
ebenso soll die Flasche stets wieder verkorkt werden, denn es ist wesentlich, 
daß die Kohlensäure erhalten bleibt. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Dr. Josef Hoffmann hat die ärztliche Praxis im Schwefelcnrorte Baden 
bei Wien angetreten. 




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Nr. 21. 


Sonntag den 25. Mai 1890. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Gross-Qoart-Format stark. Hiezu eine Reibe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Medlz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


XXXI. Jahrgang. 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse' und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. io fl., halbj. & fl., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Fiir das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Anslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlniatr. 
der „wiener Medlz. Presse“ in Wien,I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--sie-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Aus dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium der DDr. M. und A. Jollks in Wien. Beiträge zur 
Methodik der Harnuntersuchung. Von Dr. Adolf Jollks. — Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. Ein experimenteller Beitrag zu deren Heil¬ 
werth von Dr. Arthuk Loebel, Wien-Dorna. — Ueber Rheostate und deren Verwendung in der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie mit 
Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten Graphit-Quecksilberrheostates. Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, k. k. Professor in 
Wien. — Mittheilungen aus der Praxis. Ueber einen mit einer Querlage complicirten Fall von Placenta praevia centralis. Von Dr. Geller 
in Sadagöra. — Referate and literarische Anzeigen. Ch Talamon (Paris): Behandlung der Variolapusteln des Gesichtes mit Sublimat¬ 
zerstäubungen. — Voit (München): Bemerkungen über Gas- und elektrisches Licht. — Die Compressionsmyelitis bei Caries der Wirbelsäule. Eine 
pathologisch-anatomische und experimentelle Studie. Pro venia legendi der mcdicinischen Facultät vorgelegt von Dr. Hans Schmaus, II. Assistenten 
am pathologisch-anatomischen Institut in München. — Pseudo-isochromatische Tafeln für die Prüfung des Farbensinns. Von Dr. J. Stillino. — 
Feuilleton. Brief aus Stockholm. Dr. G. O. Wktterstrand und seine suggestive Psychotherapie. — Thürk Brandt. — Massage nnd Heilgymnastik in 
Schweden. — Kleine Mittheilungen. Veränderungen der Phosphate im Harn als diagnostisches Mittel der Schwangerschaft. — Das aseptische 
Operiren mit sterilisirter Kochsalzlösung. — Vergiftung mit Exalgin. — Behandlung des Gesichtserysipels mit Zerstäubungen von Sublimat¬ 
äther. — Ein geheilter Fall von Lepra. — A rsenigsaures Kupfer bei acuten Erkrankungen des Darmes. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 
IX. Congreß für innere Medicin. Gehalten zn Wien vom 15. bis 18. April 1890. (Orig.Ber.) VI. — Neunzehnter Congreß der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zn Berlin vom 9.—12. April 1890. (Orig.-Ber.) VI. — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — 
Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus dem chemlsch-mikroskopischen Laboratorium 
der DDr. M. und A . J olles in Wien. 

Beiträge zur Methodik der Harnuntersuchung. 

Von Dr. Adolf Jolles.*) 

Die Bedeutung, welche die chemische und mikroskopische 
Harnuntersuchung für die Diagnose, namentlich zur Er¬ 
kennung verschiedener Anomalien des Stoffwechsels, sowie 
zur Erlangung von Aufschlüssen über wichtige krankhafte 
Affeetionen einzelner Organe tbatsächlich hat, macht es er¬ 
klärlich , daß die Zahl der zum Nachweise pathologischer 
Harnbestandtheile empfohlenen Methoden eine sehr große 
und in steter Zunahme begriffen ist. Dieser Umstand er¬ 
fordert eine zeitweise Prüfung der vorgeschlagenen Proben 
auf ihre Zuverlässigkeit und Genauigkeit, welche Prüfung 
für die Praxis sich um so werthvoller erweisen wird, je 
größer das Material ist, an welchem dieselbe vorgenommen 
wird. Bei einer so complicirt zusammengesetzten Flüssigkeit, 
wie sie der menschliche Harn darstellt, kann man nur auf 
Grund eines großen Materials ein Urtheil über die Güte 
einer Methode fällen. Die große Anzahl der Harnanalysen, 
die wir in unserem Laboratorium auszuführen Gelegenheit 
hatten, brachte mich in die angenehme Lage, über ein hin¬ 
reichendes Untersuchungsmaterial zu verfügen und an dem¬ 
selben die Brauchbarkeit der verschiedenen Methoden zu prüfen, 
sowie etwaige für die praktischen Zwecke geeignetere Modi- 
ficationen zur Ausführung zu bringen. Ich werde mir er¬ 
lauben, im Nachstehenden zunächst die Resultate mitzutheilen, 
welche sich auf den Nachweis von Eiweiß und Gallen- 
bestandtheilen im Harne beziehen. 

Zur Ermittlung der Schärfe der in großer Zahl in 
Vorschlag gebrachten Albumenproben dienten einmal filtrirte 
Lösungen von käuflichem, getrocknetem Hühnereiweiß, welche 


*) Nach einem am 13. Mai 1890 in der Wiener chemisch-physikalischen 
Gesellschaft gehaltenen Vortrage. 


der Reihe nach 002 Grm., 0*01 Grm., 0*005 Grm., 0*0025 Grm. 
Albumen in je 100 Ccm. destillirten Wassers gelöst enthielten, 
dann Harne mit genau festgestelltem Eiweißgehalt. Die 
letztere Versuchsreihe wurde aus dem Grunde ausgeführt, 
weil die Empfindlichkeit der Eiweißproben in Hamen geringer 
ist, als in reinen Eiweißlösungen. Zur vergleichenden Prüfung 
wurden alle Proben herangezogen, welche in den gang¬ 
baren Lehrbüchern von Salkowski und Leube, Neubauer und 
Vogl, Lokbisch, Schotten und Ludwig verzeichnet sind. Von 
allen diesen Eiweißproben erwies sich diejenige mit Essig¬ 
säure und Ferrocyankalium als die sicherste und schärfste; 
ihre unterste Grenze liegt bei 0*0008 Grm. für 100 Ccm. 
Harn. Diese sehr empfindliche und empfehlenswerthe Probe 
wird am besten in der Weise ausgeführt, daß man 3—4 Ccm. 
des filtrirten Harnes in ein Reagensglas bringt, das gleiche 
Volumen einer öprocent. Essigsäure, hierauf 2, höchstens 
3 Tropfen Ferrocyankalilösung (ein Ueberschuß kann lösend 
wirken) hinzu fügt. In den Fällen, wo nur eine sehr geringe 
Trübung auftritt, empfiehlt es sich, die mit Essigsäure und 
Ferrocyankalium versetzte Probe mit dem filtrirten Harne zu 
vergleichen, wobei Eiweißspuren bis zu 00008 Grm. pro 
100 Ccm. zu constatiren sind. Die Zahl jener Harne, in denen 
mittelst der Essigsäure- und Ferrocyankaliumprobe sehr geringe 
Spuren von Albumen nachgewiesen werden können, ist, wie wir 
auf Grund unseres umfangreichen Analysenmaterials behaupten 
dürfen, größer, als namentlich in ärztlichen Kreisen ange¬ 
nommen wird. Solche Harne lassen sich nach ihrer chemi¬ 
schen und mikroskopischon Beschaffenheit in zwei Kategorien 
einreihen. Die eine Reihe stellt Harne von niedrigem specifischem 
Gewicht, schwach saurer Reaction, vermindertem Chlorgehalt 
und vermehrtem Phosphatgehalt dar, welche neben äußerst 
geringen, nur mittelst der Essigsäure- und Ferrocyankaliprobe 
nachzuweisenden Eiweißspuren, renale Elemente in mehr oder 
minder hohem Grade enthalten. In die andere Reihe fallen 
jene meistens von Erwachsenen stammenden Harne, welche in 
chemischer Hinsicht bis auf die äußerst geringen Albumen- 
spuren eine normale Zusammensetzung besitzen und nach dem 
mikroskopischen Befunde morphotische Elemente des Blasen- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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halses und der hinteren Harnröhre, Schleimfäden, Spermafäden 
enthalten. 

Bei den letzteren Hamen haben wir aber — namentlich 
bei Gegenwart einer größeren Anzahl von Spermafäden — con- 
statiren können, daß die durch Essigsäure und Ferrocy ankalium 
erzeugte Trübung nicht auf die Gegenwart von Serum¬ 
albumin, sondem auf Propepton zurückzuführen ist. 
Versetzt man nämlich solche Harne nach Zusatz von Essig¬ 
säure bis zur deutlich sauren Reaction mit dem gleichen Vo¬ 
lumen einer gesättigten Lösung von Kochsalz und Glauber¬ 
salz, so entsteht eine Trübung, die sich beim Erwärmen löst. 

Diese auf Propepton hinweisende Reaction ist meistens 
auf die im Harne vorhandenen Spermafäden zurückzuführen, 
in welch letzteren wir in Uebereinstimmung mit Posner und 
Senator Propepton nachweisen konnten. Wir empfehlen daher, 
alle jene Harne, welche trotz Abwesenheit renaler Elemente 
nach der Essigsäure- und Ferrocyankaliumprobe geringe Trü¬ 
bungen zeigen, einer speciellen Prüfung auf Propepton zu 
unterziehen. 

Bei der Bedeutung, welche der Nachweis selbst äußerst 
geringer Eiweißspuren schon aus dem Grunde hat, weil Harne 
mit renalen Elementen und überaus geringen Albumenspuren 
häufig, namentlich bei Nephritis, Vorkommen, der Arzt aber 
bei einem häufig erhaltenen negativen Resultat der Harn¬ 
untersuchung auf Eiweiß eine Erkrankung der Nieren aus¬ 
schließen kann, so hat man stets behufs sicherer Ausführung 
der Essigsäure- und Ferrocyankaliumprobe dafür Sorge zu 
tragen, daß sich in dem Urin keine Mikroorganismen ent¬ 
wickeln , weil diese später eine Eiweißreaction Vortäuschen 
oder doch die Untersuchung zweifelhaft machen können. Bei der 
Untersuchung von Bacterienharnen, welche bekanntlich 
durch ein gewöhnliches Filter, dessen Maschen und Lücken 
groß genug sind, um die Schizomyceten durchzulassen , voll¬ 
ständig trübe durchgehen, hat weiland Prof. Ultzmann das 
Schütteln mit Baryumcarbonat und nachheriges Filtriren em¬ 
pfohlen. Bei stark bacterienreichen Harnen vermag man jedoch 
nur schwer durch diese Manipulation ein klares Filtrat zu er¬ 
halten ; andererseits werden, wie wir uns durch genaue quan¬ 
titative Analysen überzeugt haben, mehr oder weniger geringe 
Eiweißmengen von dem Niederschlage zurückgehalten. Wir 
erlauben uns daher, bei Bacteriurie das Schütteln des 
Harnes mit Kieselguhr zu empfehlen, welche Substanz 
uns bessere Dienste geleistet hat. Allerdings muß man hiebei 
berücksichtigen, daß durch Schütteln schleimig-eiteriger 
Harne mit Kieselguhr nach dem Filtriren leicht geringe 
Spuren von Albumen auf dem Niederschlage haften bleiben 
können. In diesem Falle genügt es jedoch, den Niederschlag 
mit warmer Kalilauge auszuwaschen, das Filtrat mit Essig¬ 
säure im Ueberschuß zu versetzen und die Probe in oben an¬ 
gegebener Weise auszuführen. Durch dieses Vorgehen können 
auch die geringsten Eiweißspuren in Bacterienharnen nicht 
entgehen. 

Nächst der Essigsäure- und Ferrocyankaliumprobe gebührt 
der HELLER’schen Probe die Folge in der Empfindlichkeits- 
reihe. Diese Probe zeigt noch 0 0015 Grm. Eiweiß in 100 Ccm. 
Ham an und empfiehlt sich in folgender Ausführung: 2 bis 
3 Ccm. einer salpetrige Säure enthaltenden Salpetersäure 
werden in ein Reagensglas gebracht und der Trichter, in 
welchem sich der zu filtrirende Ham befindet, direct an die 
Wandung des Reagensrohres gebracht, wobei sich der Harn 
langsam über der Salpetersäure schichtet. Bei sehr geringen 
Albumenspuren tritt nach einigen Minuten an der Berührungs¬ 
fläche eine Trübung auf. 

Als eine neue Eiweißprobe, welche ebenfalls auf der 
Bildung eines Eiweißringes beruht, möchte ich die Be¬ 
handlung des Harns mit concentrirter Salzsäure 
und Chlorkalklösung empfehlen. Zur Ausführung der¬ 
selben bringt man 10 Ccm. Harn in ein Reagensglas, fügt, 
ohne umzuschütteln, mit Hilfe einer Glaspipette 2—3 Tropfen 
einer gesättigten Chlorkalklösung vorsichtig hinzu, damit 


letztere sich nicht mischt, sondern als getrennte Schicht über 
der Säure schwimmt; bei Gegenwart von nur sehr geringen 
Eiweißmengen tritt an der obersten Ringfläche eine weiße 
Trübung auf. 

Diese wegen ihrer leichten und bequemen Ausführbarkeit 
beachtenswerthe Probe zeigt im Harn Eiweißmengen bis zu 
Vxoo Proc. deutlich an. Wenn nun auch die Salpetersäureprobe 
weit empfindlicher ist, so verdient doch auch die von mir 
empfohlene Probe in allen den Fällen berücksichtigt zu werden, 
wo es sich darum handelt, auf schnelle und einfache 
Weise einen für klinische Zwecke genügend ge¬ 
nauen Aufschluß über die Eiweißmenge eines 
Harns zu erlangen, und diesen Zweck erreicht man 
durch Combination beider Proben. Zeigt nämlich ein Ham 
mittelst der Salzsäure - und Chlorkalkprobe keine Eiwei߬ 
reaction , tritt hingegen nach dem Ueberschichten des 
Harnes mit Salpetersäure ein Eiweißring auf, dann kann 
man mit Sicherheit annehmen, daß der Harn weniger als 
Vioo Procent Albumen enthält. Fallen hingegen beide 
Proben positiv aus, dann versetzt man ca. 8—10 Ccm. Ham 
mit dem gleichen Volumen destillirten Wassers, schüttelt 
um und stellt nunmehr in dem auf die Hälfte verdünnten 
Ham obige Proben an. Ist in letzterem Falle mittelst der 
Salzsäure- und Chlorkalkprobe keine Trübung sichtbar, dann 
beträgt der Albumengehalt des Harns weniger als 2 /ioo Proc., 
im anderen Falle fährt man mit der entsprechenden Ver¬ 
dünnung des Harns so lange fort, bis obige Probe negativ 
ausfällt. Diese leicht auszuführende Manipulation gibt in 
kurzer Zeit einen für klinische Zweckö genügend genauen 
Aufschluß über den Albumengehalt eines Harns. 

Bei sehr concentrirten und gleichzeitig sehr kalten 
Hamen könnte zuweilen — wie bei der Salpetersäureprobe — 
eine Zone von salpetersaurem Harnstoff entstehen; dieselbe 
ist jedoch krystallinisch und verschwindet bei gelindem Er¬ 
wärmen. Jedenfalls empfiehlt es sich, sehr kalte Harne vor 
Anstellung der Proben durch Eintauchen des Gefäßes in 
lauwarmes Wasser auf Zimmertemperatur zu erwärmen. 

Als zwei weitere empfehlenswerthe Eiweißproben sind 
die bekannte Kochsalz- und Essigsäureprobe, sowie die von 
Zodchlo.s J ) empfohlene Probe mit Rhodankalium und Essig¬ 
säure zu nennen. Die unterste Grenze beider Proben ist 
nahezu dieselbe, sie liegt bei 0‘006 Grm. Albumen in 100 Ccm. 
Harn. Bei der letzteren Probe möchten wir empfehlen, statt 
des von Z. vorgeschriebenen directen Zusatzes einer Mischung 
von Rhodankalium mit Essig, vorher den Ham mit essig¬ 
saurem Blei zu versetzen, zu filtriren und im Filtrat die 
Probe anzustellen, oder die Lösungen getrennt — genau so, 
wie bei der Essigsäure- und Ferrocyankaliumprobe — hinzu¬ 
zufügen , da bei Anwesenheit größerer Mengen M u c i n s im 
Harne die nach Z.’s Vorgehen entstehende Trübung eine Eiwei߬ 
reaction vortäuschen kann. 

Weniger empfindlich als diese beiden Proben ist die 
namentlich bei den Aerzten so beliebte Kochprobe, welche bis 
zu Vioo Proc. Albumen deutlich und auch sicher nach weist. 
Diese Probe erheischt aber große Vorsicht bei dem Ansäuern 
des Harns mit Essigsäure. Denn wir haben Fälle constatiren 
können, wo Aerzte Harne, bei denen angeblich die Kochprobe 
negativausfiel, aiseiweißfreibezeichneten, während dieselben 
thatsächlich nicht unerhebliche Eiweißmengen ent¬ 
hielten. Die Ausführung der Kochprobe ergab nun, daß 
in diesen Fällen der Zusatz von nur 2 Tropfen einer lOproc. 
Essigsäure genügte, um das Eiweiß in Acidalbumin überzu¬ 
führen, wodurch beim Kochen keine Reaction wahrzunehmen 
war. Diese Erscheinung ist namentlich bei solchen Harnen 
zu beobachten, die sich in beginnender Zersetzung befinden, 
und dürfte sich hiebei das Albumin vermuthlich in einer in 
Essigsäure überaus leicht löslichen Form befinden. 

Alle anderen Eiweißproben, namentlich auch die soge¬ 
nannten Farbenreactionen, Versetzen des Harns mit Eisessig 

l ) „Allg. Wr. med. Ztg.“, 1890. 


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und Schwefelsäure (Roth- bis Violettfärbung, Adamkiewicz), 
Zusatz von Kalilauge und Kupfersulfat (Biuretreaction), 
MiLLON’sches Reagens (salpetersaures und salpetrigsaures Queck¬ 
silberoxyd in wässeriger Lösung — rotber Niederschlag), 
Goldchlorid und Ameisensäure (blaurothe Färbung) etc. sind 
weniger empfindlich und haben gegenüber den oben genannten 
Proben für den Nachweis von Serumalbumin im Harne zu 
klinischen Zwecken keine Vorzüge. 

Was nun die quantitative Eiweißbestimmung be¬ 
trifft , so ist die allein sichere und zuverlässige Methode die 
gewichts-analytische. Nächst dieser liefert für klinische 
Zwecke ganz brauchbare Resultate die Bestimmung des Ei¬ 
weißes durch Fällung mit Pikrinsäure mittelst Esbach’s 
Albuminimeter. -) 

Wir haben eine größere Anzahl vergleichender Eiwei߬ 
bestimmungen nach Esbach und gewichts-analytisch ausgeführt, 
wobei — bei genauer Einhaltung der von Esbach gegebenen 
Vorschrift — die Differenzen sich zwischen 002 und 0‘06 be¬ 
wegten, d. h. man erhielt in der Regel den Eiweißgehalt nach 
Esbach etwas höher, und zwar um Zahlen, die für die Praxis 
nicht in’s Gewicht fallen. Diese Resultate bezogen sich aber 
nur auf Harne, deren Eiweißgehalt nicht unter O'l Proc. be¬ 
trug und die keine schleimig-eiterige Beschaffenheit zeigten. 
Im letzteren Falle waren die nach Esbach erhaltenen Resul¬ 
tate ganz unbrauchbar. Die Ungenauigkeit der EsBACH’schen 
Bestimmung in schleimig-eitrigen Harnen ist um so größer, 
je größer die Zähflüssigkeit oder ViscositätdieserHarne 
ist, und behalte ich mir nach Beendigung meiner Versuche 
über die sogenannte Viscosität der Harne vor, nähere Mit¬ 
theilungen hierüber zu machen. Zu berücksichtigen ist bei der 
EsBACH’schen Bestimmung, daß die Pikrinsäure nicht allein 
Serumalbumin, sondern auch Pepton fällt und in 
allen den Fällen, wo größere Mengen von Pepton in einem 
Harne enthalten sind, bezieht sich der nach Esbach erhaltene 
Albumengehalt auf Serum alb um in und Pepton, was in 
praxi, wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, nicht 
genügend berücksichtigt wird. 

Was den Nachweis von Pepton betrifft, so kann ich die 
bekannte Biuretreaction ebensowenig, wie die Ausfüllung 
mittelst Phosphormolybdänsäure nach Entfernung der übrigen 
Eiweißkörper empfehlen, denn bei Anwesenheit von Spuren 
von Pepton sind beide Proben sehr unsicher. Wir bedienen 
uns mit Vortheil der von Pos.ver 3 ) vorgeschlagenen Form 
der Schichtreaction. Man läßt die fast wasserhelle Kupfer¬ 
lösung vorsichtig mit einer Pipette auf die Oberfläche des 
alkalisch gemachten Harnes fließen. Bei Gegenwart von Pepton 
entsteht an der Berühruugsstelle ein rothvioletter Ring, 
welcher sich deutlich gegen die untere gelbe und gegen die 
obere grünblaue Zone abhebt. Die unterste Grenze dieser Probe 
liegt bei 0 0285 Grm. Pepton für 100 Ccm. Harn. 

(Schluß folgt.) 

Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. 

Ein experimenteller Beitrag zn deren Heilwerth 
von Dr. Arthur Loebel, Wien-Dorna. 

(Fortsetzung.) 

Vei suchen wir es, auch diese Daten auf ihren physiolo¬ 
gischen Werth zu prüfen, so müssen wir vor Allem berück¬ 
sichtigen, daß in Folge der Schluß Unfähigkeit der Bicuspidal- 
klappe bei der Systole de s linken Ventrikels das Blut aus 
dem letzteren theilweise in den linken Vorhof regurgitirt, 
und daß der linke Vorhof nicht nur mit Mühe die 
Mehrarbeit verrichtet, sondern bereits dem dilatirten 
rechten Ventrikel einen Theil der Mehrleistung auf bürdete. 
Bei diesem Ausgleiche werden im Gebiete der Lungenvenen die 

*) Guttmann, „Berl. klin. Woch.“, 23, 117, 1886. 

3 ) „Archiv für Physiologie“, 1887, 495. 


Stauungserscheinungen hervorgerufen, welche zuAthembesch wer¬ 
den führen und der ganze Blutkreislauf nur noch dadurch über¬ 
wältigt, daß das Herz, zu einer rascheren Thätigkeit ange¬ 
trieben, mit überstürzter Frequenz die Blutwellen durch die 
Organe jagt. 

Die Wirkung der Moorlaugenbäder erhöhte nun unmittel¬ 
bar den Blutdruck im Arteriensystem und vermehrte die Anzahl 
der Pulsschläge. Nachdem bei diesem Individuum die adstrin- 
girende Wirkung der Moorlaugenbäder auf die Hautoberfläche 
zu Tage trat, mußten die protoplasmatischen Zellen, welche 
die Wände der Capillarröhren bilden, die Widerstände im 
Blutkreisläufe erhöhen, so daß die Steigerung des Blutdruckes 
und der Pulsfrequenz erstens von einer präciseren Umgren¬ 
zung des Umfanges der einzelnen Herzschläge und zweitens 
von einer intensiveren Action derselben herrührte. Daß aber 
die erhöhte Leistungsfähigkeit des Herzens an Intensität und 
Energie eine durchgreifende war, beweisen die nach 6 Stunden 
aufgenommenen Beobachtungen, welche eine Verlangsamung 
der Pulsschläge trotz der zuweilen persistirenden Blutdruck¬ 
höhe verzeichnen und damit andeuten, daß, trotzdem das Herz 
mit Nachdruck arbeitete, es demungeachtet nicht mit der früheren 
Ueberstürzung arbeitete. Demgemäß wurden die Stauungs¬ 
verhältnisse im Venensystem der Lungen gemildert, konnte 
die Ueberladung des rechten Ventrikels theilweise behoben 
werden, war es auch eine gesetzmäßige Reihenfolge, daß das 
Stauungsödem an den Knöcheln verschwand. 

Ganz im Gegensätze vermehrten die Moorsalzbäder die 
Pulsfrequenz und verminderten den Blutdruck, was bei dem 
Umstände, als sich die Athembeschwerden wieder einstellten, 
auf Erschwerung der Circulationsverhältnisse in den Lungen 
hindeutete und zu der Annahme berechtigt, daß die Herz¬ 
action mit der Verminderung des Blutdruckes oberflächlicher 
und mit der Beschleunigung der Herzschläge unruhiger ge¬ 
worden war und somit auch den ganzen Kreislauf nicht mehr 
mit derselben, Intensität und Energie zu reguliren vermochte. 

Augenfällig ist es hiebei, daß der höhere Salzgehalt des 
Präparates die Irritabilitätsgrenze des Badenden bereits um 
so Vieles überschritten hatte, daß der vom Centralnerven¬ 
system abhängige Tonus der Herz- und Gefäßmusculatur schon 
krankhaft reagirte. Keineswegs darf aber die nach den 
Moorsalzbädern aufgetretene Schwächung des Herzens als Ueber- 
müdung zufolge der forcirten Badecur bezeichnet werden, 
weil wir nach der Rückkehr zu den Moorlaugenbädern die 
Verhältnisse Umschlagen sehen und durch die stetige Puls¬ 
verlangsamung wie die kräftigere Steigerung des Blutdruckes 
eine noch intensivere Zusammenziehung und ausdrucksvollere 
Arbeit des Herzens als das erste Mal bethätigt finden. 

Voreilig wäre es nun, aus diesen wenigen Beobachtungen 
Differenzen zwischen den Wirkungen der Moorextractbäder 
und der Moorbäder deduciren zu wollen, da der Gebrauch 
dieser zwei Badeformen in umgekehrter Ordnung möglicher¬ 
weise auch die umgekehrten Resultate ergeben hätte. Gerade 
so verhehle ich es mir auch keinen Augenblick, daß diese 
raschen Erfolge mit Unterstützung des subalpinen Klimas des 
Curortes und nicht zum geringsten Theile in Folge der psy¬ 
chischen Relationen erzielt wurden, welche die Kranken in eine 
Umgebung versetzten, die mit dem ganzen Zauber der mächtig 
angeregten Hoffnung auf Wiedergenesung in nicht zu unter¬ 
schätzender Weise das ganze Nervensystem in seiner Thätig¬ 
keit frisch belebte. Freilich sind das wieder Attribute, die sich 
auch vom Moorbade nicht abscheiden lassen und die im häus¬ 
lichen Kreise vielleicht nur durch längere Anwendung zu er¬ 
setzen sind. 

So sehr nun diese positiven Belege für die Wirkung 
der Moorextractbäder sprechen, ist es gewiß nicht überflüssig, 
jetzt die Frage zu ventiliren, ob dem Moorbade wirklich 
solche specifische Kräfte anhaften, die jede Möglichkeit eines 
Ersatzes ausschließen und ob in der That die effectiven Mo¬ 
mente dieser Heilform in keinem Extracte concentrirt sein 
können. 

I * 


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Das Moorbad besteht aas einer im heißen Mineralwasser . 
aufgeschwemmten Moorerde, wobei sich ein Theil der in der¬ 
selben enthaltenen Salze löst, während die schwerlöslichen 
und unlöslichen Substanzen je nach ihrem Quantum und Ver¬ 
hältnis zur Badeflüssigkeit die dünn- bis dickbreiige Dichte 
des Moorbades bilden. Ein solches Bad zeichnet sich somit 
nebst seinem Gehalte an chemischen Stoffen durch seine Con- 
sistenz aus und durch die physikalischen Eigenschaften der 
diese Consistenz bedingenden Masse. 

Beginnen wir mit der Erörterung der zufolge der größeren 
Schwere 4 ) des Moorbades vermutheten Druckwirkung desselben, 
der allgemein Massage Wirkungen zugeschrieben werden. 
Peters berechnet aus dem höheren specifischen Gewichte des 
Moorbreies für das Moorbad einen Mehrdruck von 90 bis 
168 Pfund, welcher die Menge der abgesonderten Lymphe 
steigern, den Strom derselben befördern, dadurch die Re¬ 
sorption erheblich vermehren — kurz, eine intensive Massage 
durchführen soll. 

Lassen wir es auch dahingestellt bleiben, um wie viel 
schwerer das Moorbad als das Wasserbad sein kann, wenn 
man das specifische Gewicht des Moorbreies kaum um Zehntel- 
procente schwerer als dasjenige des Wassers findet, so ist es 
interessant zu erfahren, daß der Druck eines Wasserbades, 
auf 600 Pfund berechnet, kaum den 50. Theil des uns constant 
belastenden Luftdruckes beträgt und daß die Schwankungen 
des Luftdruckes über oder unter dem mittleren Drucke zwei¬ 
mal und die Differenz zwischen dem Maximum und Minimum 
dieser Schwankungen viermal so groß ist als der Druck des 
Wasserbades. Welche Bruchzahlen resultiren da für den Mehr¬ 
druck der Moorbäder, der wieder kaum den 4.—7. Theil vom 
Drucke eines Wasserbades ausmacht? Und doch fällt es 
Niemandem ein, den gewiß namhafteren Fluctuationen eines 
Wasserbades oder der Luft eine Massagewirkung beizumessen. 

Folgen wir aber weiter den Rechnungen Peters’, der 
die Kraft des knetenden Fingers-auf 1—4 Kg. beziffert, so 
erfahren wir, daß er diesem Maßstabe nur den Druck von 
23—26 Grm. gegenüberstellen kann, wenn er den auf 345 
bis 384 Kg. supponirten Gesammtdruck des Moorbades auf 
die 15.000 Quaa.-Cm. der Körperoberfläche vertheilt. Das 
simple Wasserbad übt ja aber schon einen Druck von 20 Grm. 
aus und da soll noch demungeachtet das Moorbad ausschlie߬ 
lich die Massagewirkung besitzen? Und alles das blos wegen 
dieser 3—6 Grm. Mehrdruck, wo 1—4 Kg. erforderlich sind ? 
Wie verhält es sich aber überhaupt mit dieser Massagewir¬ 
kung, wenn man erwägt, daß der Mehrdruck des Moorbades 
constant auf dem Capillarsystem lastet, wogegen der bei der 
Massage ausgeübte Druck kein constanter ist, vielmehr durch 
die Manipulation den Säftestrom im ersten Tempo mit Gewalt 
weitertreibt und im zweiten Tempo denselben mit Gier auf¬ 
saugt? 

Will man trotzdem das euphemistische Epitheton Peters’ 
von der Massagewirkung der Moorbäder nicht entbehren, um 
nicht mit den viel- und volltönenden Variationen dieser An¬ 
sicht, welche in fast alle balneologischen Lehr- und Hand¬ 
bücher vertraulichen Eingang gefunden hat, in unliebsamen 
Conflict zu geratlien, dann gestehe man sans gene diese Action 
auch unseren Luftdruckschwankungen und vor Allem unseren 
Reinigungsbädern zu und inaugurire die neue Heil lehre von 
den Stoß-, Quetsch- und Druckwirkungen in der Luft und im 
Wasser. (Schluß folgt.) 


4 ) Wenn ich hervorhebe, daß man dem apeciflschen Gewichte des Wassers 
von 1 Grm. beim Franzensbader Moorbrei durchschnittlich ein specifisches 
Gewicht von 0‘005 Grm. entgegenstellen kann, befremde es nicht, auch in 
diesem winzigen Plus von 5 Milligrm. den Stoll' — zu einer Theorie kennen 
zu lernen. 


Ueber 

ßheostate. und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines nenen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Qnecksilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowski, k. k. Professor 

in Wien. 

(Fortsetzung.) 

Die Idee des langen Graphitweges und des Queck- 
silbercontactes wurde nun nicht mehr aufgegeben und bildete 
den rothen Faden, der sich durch alle ferneren Versuche zog. 
Zwei Modelle, das eine für stabile, das andere für trans¬ 
portable Apparate bestimmt, bilden den Abschluß einer langen 
Versuchsreihe, deren einzelne Phasen ich hier übergehe. 

Der für transportable Batterien bestimmte (und auch für 
Stationär-Batterien verwendbare) Rheostat mit Quecksilber- 
contact ist in Fig. 5 in halber natürlicher Größe veran¬ 
schaulicht. 

In einer 20 Mm. tiefen kreisförmigen Hartgummitasse 
ist um eine in deren Centrum fix eingesetzte Metallachse 
mittelst der Hartgummidrehscheibe D eine 6—8 Mm. dicke und 
120 Mm. im Durchmesser betragende Glasscheibe drehbar ein¬ 
gerichtet. Auf der Unterseite dieser Glasplatte ist eine Stem- 
figur eingeätzt, die aus 31 ein- und ebenso vielen aus¬ 
springenden Zacken besteht, die von 62 geraden Linien k 35 Mm. 
Länge gebildet sind. Dieser im Ganzen genau 2170 oder 
mit Abrechnung der Spitzen rund 2100 Mm. betragende Weg 
stellt eine im Querschnitt quadratisch begrenzte Rinne von 
05—1 Quadr.-Mm. (Querschnitt) dar. Diese Rinne ist mit einem 
Graphitgemische dicht ausgefüllt, und die Graphitlage sodann 
in der Ebene in der Glasplatte glatt geschliffen. Der Anfang 
dieses Graphitweges zwischen 0 und 1 steht an der Peripherie 
der Glasplatte mit der Fortleitung Z in Contact. Diese be¬ 
steht aus einer an der Oberseite der Glasplatte befestigten 
rigiden, wohlvernickelten Metalllamelle, deren lateraler, an der 
Peripherie der Glasplatte übergreifender und bis in die 
Graphitrinne geführter Fortsatz aus Platin hergestellt ist. 
Ein über die Peripherie der Glasplatte in der Verlängerung 
der zugleich als Zeiger dienenden Metalllamelle ragender 
Fortsatz bildet einen Sperrzahn, der an dem in die isolirende 
Wand der Hartgummitasse vertical eingesetzten Sperrstift 
(der oberhalb Null links vom Zeiger Z als lichter Punkt 
. sichtbar ist) anschlägt und bei Rechts- wie Linksdrehung der 
Drehscheibe D die Arretirung besorgt und die Rotation der 
Glasplatte nur innerhalb dieser zwei Grenzen gestattet. Das* 
centrale Loch der Glasplatte ist mit einem dickwandigen 
Metallcylinder, dessen Lumen genau der im Boden der Hart¬ 
gummitasse fix eingesetzten Metallachse entspricht, ausgekleidet 
und über die, sowohl oberhalb, wie auch unterhalb der Glas¬ 
platte ragenden Enden dieses Metallcylinders je ein 2 Mm. 
dickes und 15 Mm. im Durchmesser betragendes, central per- 
forirtes Metallscheibchen festgeschraubt. Mit dem oberen dieser 
Metallscheibchen steht der vorerwähnte, an der Oberseite der 
Glasplatte verlaufende Zeiger Z in metallischer Verbindung. 
Der das obere Metallscheibchen noch um 15 Mm. überragende 
Theil des die Perforationsöffnung der Glasplatte auskleidenden 
Metallcylinders trägt die Hartgummi-Drehscheibe D. Es stellt 
somit die Glasplatte mit dem Zeiger Z , der Drehscheibe D, 
sowie der Metallauskleidung ihrer centralen Perforations¬ 
öffnung ein Ganzes dar, das nach Entfernung der Schraube G 
aus der Hartgummitasse herausgehoben werden kann. Die 
Innenfläche der Hartgummitasse ist mit feinem weichen Tuch 
ausgekleidet. Im Boden dieser Hartgummitasse befindet sich 
zwischen N und 0 ein keilförmiger Ausschnitt Q von 40 Mm. 
Länge und 10 Mm. Tiefe, in welchem aus dem Sperrhahne Sp 
Quecksilber eingelassen werden kann. Geschieht letzteres 
während die Glasplatte aus der Hartgummitasse herausgehoben 
worden ist, so bildet die Quecksilberoberfläche in dem keilfÖr- 


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migen Quecksilbernapfe Q eine die Ebene der Bodenfläche convex 
überragende Kuppe; hat man jedoch vor dem Einlassen des 
Quecksilbers in den Napf Q die Glasplatte in die Hartgummi¬ 
tasse in der vorbesprochenen Weise eingesetzt und mittelst 
der Schraube G sanft gegen die Bodenfläche angedrückt, so 
bildet die Quecksilberoberfläche eine spiegelglatte, glänzende, 
vollkommen ebene und seitlich scbarframlig begrenzte Fläche. 
Diese ebene Quecksilberfläche Q bildet den festen Sehleifcontact, 
über welchen bei Rotation der Glasplatte der 2100 Mm. lange 
Graphitstreifen ganz allmälig direct gleitet. Der Kern (Kegel) 
des aus Hartgummi gefertigten Sperrhahnes Sp ist hohl und 
dient als Quecksilber-Reservoir, das nach Lüftung der Hart¬ 
gummischraube S eingefüllt, beziehungsweise entleert werden 
kann. Von den zwei um den Kopf der Schraube S durch 
verschiedene Schattirung kenntlich gemachten Ringen ent¬ 
spricht der S zunächst umgebende, dessen Marke in der Fig. 5 
centralwärts gekehrt ist, dem 10 Mm. hohen, randrirten Knopf 



Fig. 5. 


des vorerwähnten Sperrhahnkegels, während der diesen ein¬ 
schließende peripherste Ring Sp die Führung (Bohrung oder 
das Lager) für den Sperrhahnkegel darstellt. Letztere ist in 
einem an der Peripherie der Hartgummitasse sichtbaren An¬ 
satz, der mit derselben aus einem Stücke hergestellt wird, 
eingeschliffen. Dieser eben erwähnte Hartgummiansatz dient 
auch zur Befestigung der beiden Drahtklemmen L L, mittelst 
deren der ganze Apparat, wie in der Figur ersichtlich, in 
die Hauptleitung der Batterie B eingeschaltet werden kann. 

Die Contacte sind in diesem Apparate folgendermaßen 
gesichert: Ein von der linksseitigen, mit der positiven Elek¬ 
trode verbundenen Drahtklemme ausgehender Platindraht 
ragt mit seinem spiralförmig aufgewundenen Ende in das 
Quecksilbergefäß Q und vermittelt in möglichst sicherer Weise 
die metallische Verbindung zwischen dieser Drahtklemme und 
dem als Sehleifcontact dienenden Quecksilber. Der metallischen 
Verbindung des Anfanges des Graphitstreifens mittelst des 
Zeigers Z mit der Metallauskleidung der centralen Perforations¬ 
öffnung der Glasplatte und den beiden Metallscheibchen an 
der Ober- und Unterseite derselben wurde schon früher ge¬ 
dacht. Hier wäre noch nachzutragen, daß die 5 Mm. im Durch¬ 
messer betragende, verticale Metallachse am Boden der Hart¬ 
gummitasse in das Centrum eines Metallscheibchens von 15 Mm. 
Durchmesser, das 2 Mm. unterhalb des Niveaus der Boden¬ 
platte versenkt und daselbst festgemacht wurde, fix eingesetzt 
ist. Das vorbesprochene Metallscheibchen, das die metallene 
Auskleidung des Bohrloches der Metallplatte an deren Unter¬ 
seite abschließt, liegt eben auf diesem Fußplättchen der verti- 


calen Achse für die Glasplatte auf und würde schon an und 
für sich die metallische Verbindung zwischen dem Zeiger Z 
und der metallischen Achse besorgen. Um aber doch sicher 
zu gehen, ist eine kleine metallene Spiralfeder um den in die 
Hartgummidrehscheibe D ragenden Theil der Achse gelegt, 
um mittelst der Metallschraube C bis zum innigen Contact 
mit dem ebenfalls in den Hartgummiknopf D ragenden Theil 
der metallischen Auskleidung des Centralloches der Glasplatte 
niedergeschraubt zu werden. Diese kleine Spiralfeder, die zur 
Sicherung vor Verlust gleich an die Unterseite der Schraube C 
festgelöthet ist, besorgt zugleich ein sanftes Anpressen der 
Glasplatte gegen die Tuchauskleidung der Hartgummitasse. 
Vom Fußplättchen der Achse geht sodann eine directe metal¬ 
lische Leitung zur rechten zunächst mit der Batterie ß und 
von hier mit der negativen Elektrode verbundenen Draht¬ 
klemme L. 

Die Felder zwischen den 31 ausspringenden Zacken der 
Sternfigur sind mit fortlaufenden Ziffern 1—31 bezeichnet; 
N (Normalstellung bei Ausnützung der Gesammtstromstärke), 
sowie Null (d. h. völlige Unterbrechung des Stromes) sind 
unmittelbar auf die den Boden der Hartgummitasse aus¬ 
kleidende Tuchscheibe zu beiden Seiten des Quecksilber¬ 
gefäßes Q aufgedrückt. Wurde das Quecksilbergefäß in der 
vorbesprochenen Weise mit Quecksilber gefüllt, wonach man 
während der Benützung den Sperrhahn nach Belieben schließen 
kann oder auch nicht, so ist vorerst in der Stellung der 
Fig. 5 der Strom vollständig unterbrochen. Die Glasplatte 
kann aus dieser Stellung, wie aus der bildlichen Darstellung 
zu entnehmen ist, nur nach rechts gedreht werden. Geschieht 
dies langsam, so kommt zunächst das freie Ende des den 31. 
einspringenden Winkel begrenzenden Schenkels (zwischen 31 
und N) mit der breiteren Basis der keilförmig begrenzten Queck¬ 
silberoberfläche in Berührung und muß der galvanische Strom 
nun von der positiven Elektrode durch die linke Drahtklemme, 
die Platinspirale und das Quecksilber den ganzen 2100 Mm. 
langen Graphitweg bis an dessen Anfang (zwischen 0 und 1) 
durcheilen, um von hier durch den Zeiger Z und die Metall¬ 
achse zur rechtsseitigen Drahtklemme und von da zur Batterie, 
beziehungsweise zur negativen Elektrode zu gelangen. Es er¬ 
scheint somit in dieser angenommenen Stellung der Glasplatte 
der ganze Rheostatwiderstand eingeschaltet. Dieser Wider¬ 
stand vermag (an dem mir vorliegenden erstgefertigten Exem¬ 
plare dieses Apparates) eine Stromstärke von 40 M.-A. auf 
0'4l M.-A. zu reduciren. 

Das zweite Exemplar dieses Apparates mit nur , / a Mm. 
breiter Graphitrinne schaltete ich in den Stromeskreis einer 
32elementigen friscbgefiillten LEiTEifschen Braunstein-Zink- 
Kohlen-Batterie, die bei vorhergegangener Messung an einem 
Dr. M. Th. EuELMANN’schen Voltmeter eine Spannung von 
48 Volts und an einem EDELMANw’schen Amperemeter 2 5 Am¬ 
peres = 2500 M. A. ergab. Durch den ganzen 2100 Mm. 
betragendenGraphitweg dieses Reostates wurden die 2500 M. A. 
auf 0 9 M. reducirt. 

Dreht man die Glasplatte ganz allmälig weiter nach 
rechts, so schaltet man nach und nach ohne jede Unter¬ 
brechung Strecke für Strecke dieses zwischen 31 und N 
in Fig. 5 ersichtlichen Schenkels des 31. einspringenden 
Winkels ein. Erst wenn dieser ganze Schenkel bereits mit 
dem Quecksilber Contact hatte, gerätli die Spitze des 31. ein¬ 
springenden Winkels selbst mit der Quecksilberoberfläche in 
Berührung; bei weiterer Drehung erhält hierauf der dem 
Quecksilbergefäß zugekehrte Schenkel des zwischen den Ziffern 
30 und 31 ausspringenden Winkels, hernach dessen Spitze, 
endlich sein zweiter Schenkel, sodann die Spitze des 30. ein¬ 
springenden Winkels u. s. f. successive ganz allmälig und 
ganz gleichmäßig ohne Stromesscliwankung, einen Sprung odor 
eine Unterbrechung jede nächstkommende Strecke dieses zick¬ 
zackförmigen Graphitbandes mit dem Quecksilber leitende 
Verbindung. Nimmt man diese Rotation der Glasscheibe in 
der angedeuteten Weise unter Controle des großen Edelmann- 


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sehen Einheitsgalvanometers vor, so nimmt man ein ganz 
gleichmäßiges und ganz allmäliges Vorsehreiten des Galvano¬ 
meterzeigers wahr, der in jeder Lage eingestellt werden kann, 
was beispielsweise nicht einmal mit zwei hintereinander 
geschalteten Dr. Gärtner - J. LEiTKR’schen Patentrheostaten 
möglich ist. 

Es läßt sich mit diesem Rheostate wirkliches Ein- und 
Aussehleichen des Stromes vornehmen, jede beliebige Strom¬ 
stärke einstellen; das Zu- und Abnehmen der Stromintensität 
vollzieht sich bei Anwendung dieses Rheostates ganz gleich¬ 
mäßig, allmälig und nicht in Sprüngen wie bei allen übrigen, 
bisher bekannt gewordenen Draht- oder Graphitrheostaten (aus¬ 
genommen den Apparat der Firma R. Bi.änsdorf’s Nachfolger 
mit zu kurzem Graphitwege), deren Widerstand nur nach 
gleichen oder in irgend einer beliebigen Progression anstei¬ 
genden Widerstandsgrößen zunimmt. 

Nach diesem Principe lassen sich beliebig große Rheo¬ 
state mit beliebig großen Widerständen hersteilen. Auch kann 
man den Gesammtwiderstand des hier abgebildeten Apparates 
noch ganz erheblich steigern, wenn man zur Vereinigung 
des Graphitpulvers ein den Strom schlechter leitendes Material 
wählt. 

Soll der Apparat transportirt werden, so stellt man den 
Hahn so, wie in der Figur ersichtlich, mit der Marke gegen 
das Quecksilbergefäß und neigt den Rheostat so, daß der breite 
Theil des keilförmigen Quecksilbernapfes die tiefste Stelle 
einnimmt, wobei das Quecksilber in den Sperrhahn zurück¬ 
tritt. Dreht mau nun den Kopf des Sperrhahnes in dieser 
Stellung um 45° in der Richtung, in der die Uhrzeiger vor¬ 
schreiten , so ist das Quecksilber im Kerne des Sperrhahnes 
abgeschlossen, das keilförmige Quecksilbergefäß vollständig 
leer und der ganze Apparat leicht, bequem und sicher trans¬ 
portabel. 

Die Vorzüge dieses Apparates lassen sich in folgende 
Punkte zusammenfassen: 

1. Sichert dieser Apparat absolute Zuverlässigkeit der 
Leistung schon wegen des auf keine andere Weise herstell¬ 
baren, so innigen Contactes, als es das hier zu diesem Zwecke 
benützte Quecksilber ermöglicht, durch welche Einrichtung 
selbst für den Fall, daß die Graphitlage nicht glatt wäre, 
doch immer vollkommener Contact gesichert erscheint. 

2. Ist die Handhabung dieses Rheostates die möglichst 
einfachste und bequemste. Die Glasplatte gleitet beim Rotiren 
über der weichen Tuchunterlage sehr sanft und ohne jede 
Reibung. Das Einlassen und Versorgen des Quecksilbers 
erfordert die denkbar simpelste Manipulation. 

3. Ist die Größe dieses Apparates im Vergleich zu seiner 
Leistungsfähigkeit im Ganzen gering und übertrifft in dieser 
Hinsicht alle Drahtrheostate in Dosenform, unterscheidet sich 
auch nicht wesentlich von den Dimensionen des früheren 
Dr. GÄRTNKR-LEiTER’schen Patentrheostates. 

4. Gestattet dieser Apparat in höchst einfacher Weise, 
wie in der Figur schematisch dargestellt, die Einschaltung 
in jeden Stromkreis, sei es einer stabilen oder transportablen 
galvanischen Batterie oder sei es eines Inductionsapparates. 

ft. Ist dieser Apparat leicht und sicher transportabel. 

6. Ist dieser Graphitrheostat dauerhaft, kleine Repara¬ 
turen können ohne Weiteres vom Arzte selbst vorgenommen 
werden. Sollte beispielweise die Graphitlage irgendwie be¬ 
schädigt worden sein, so genügt es, von einem Bleistifte 
etwas Graphitpulver abzuschaben , dieses mit einem Tropfen 
Gummilösung zu einem steifen Brei anzurühren und mit Hilfe 
einer Federmesserklinge an die schadhafte Stelle bis in das 
Niveau der Glasfläche einzustreichen. Nach dem Trocknen wird 
die ausgebesserte Stelle vorsichtig mit dem Fingernagel 
geglättet. 

7. Ist es erst durch diesen Rheostat wirklich ermöglicht, 
den Strom ganz allmälig und ganz gleichmäßig ohne jede 
Stromesschwankung einen Sprung, geschweige denn eine 
Unterbrechung ein-, beziehungsweise ausschleichen zu können, 


was kein Metalldrahtrheostat zu leisten im Stande ist und 
was auch keiner der bisher bekannt gewordenen Graphit- 
rheostate innerhalb der hier in Betracht kommenden Grenzen 
zu leisten vermochte. Abgesehen davon, daß diese Leistung 
des Apparates schon in Folge der Construction desselben 
a priori supponirt werden muß, welche Supposition des 
Weiteren sich mittelst des Galvanometers controliren läßt, 
diene noch als ein fernerer Beweis dieses Hauptvorzuges des 
vorliegenden Apparates der Umstand, daß mit diesem Rheo¬ 
state sich auch der Strom der Lichtbatterien für elektro- 
endoskopische Zwecke reguliren läßt. Bekanntlich kommt es 
hier ebenfalls auf ein präcises, ganz allmäliges Einschleiehen 
des Stromes ohne jeden Sprung an, weil ansonsten der Kohlen¬ 
faden des Gliihlichtlämpohens durchbrennen würde. Man war 
daher bislang genöthigt, nur Tauchbatterien für vorliegende 
Benützung in Anwendung zu ziehen, die überdies noch mit 
einer Vorrichtung zum nur ganz allmäligen Eintauchen der 
ElemeTitplatten in die Erregungsflüssigkeit versehen sein 
mußten. Kein anderer der bisher bekannt gewordenen Rheo¬ 
state ermöglichte die Regelung des zur Intbätigkeitsetzung 
eines Kohlenfaden-Glühlichtlämpchens erforderlichen Stromes. 
Die Befürchtung, daß sich hiebei das Quecksilber lebhaft er¬ 
wärmen würde, erwies sich als ungerechtfertigt, da dasselbe 
nach einer halben Stunde kaum eine Temperaturzunahme um 
2° C. aufwies. 

8. Ist dieser Rheostat leicht in seine Theile zerlegbar 
und kann ebenso leicht wieder zusammen gestellt werden, was 
andere Apparate nicht gestatten. 

9. Functionirt dieser Apparat derart, daß die Leistung 
desselben sich jederzeit auch mit den Augen controliren läßt, 
indem man hier jede ein-, beziehungsweise ausgeschaltete 
Graphitstrecke, sowie die Quecksilberoberfläche stets deutlich 
sieht, da Alles frei zu Tage liegt, während die inneren Theile 
an anderen Apparaten nicht nur dem Auge, sondern auch 
der Hand des Arztes unzugänglich, verschlossen und so ab¬ 
gesperrt sind, daß man, ohne Gefahr zu laufen, den ganzen 
Apparat zu verderben, derselben gar nicht ansichtig werden 
kann. 

Einigen möglichen Ein würfen sei gleich hier begegnet: 

a) Die Dauerhaftigkeit des Apparates ist durch die Be¬ 
nützung einer Glasplatte durchaus nicht beeinträchtigt. Diese 
Glasplatte ist bei ihrer geringen Flächendimension 6—8 Mm. 
dick. Dies reicht vollständig hin, um den Apparat mit Recht 
als dauerhaft bezeichnen zu können. Läßt man einen der¬ 
artigen Apparat zu Boden fallen, so zerschlägt oder zerbricht 
ein jeder (zumal das Hartgummi bei plötzlichem Schlag oder 
Stoß sich als noch spröder erweist denn Glas), oder es ändert 
sich seine innere Einrichtung in der Weise, daß der ganze 
Apparat nicht mehr brauchbar ist. 

b) Die Verwendung des Quecksilbers bildet keinerlei 
Unbequemlichkeiten und birgt keinerlei Gefahren. 

Vorerst steht nur eine minimale Quantität Quecksilber 
(im Ganzen kaum 2 Ccm.) in Verwendung, die überdies noch 
stets vollständig abgeschlossen ist. Dies hindert einerseits 
das Verdunsten des Quecksilbers, andererseits dessen Oxyda¬ 
tion, so daß die Quecksilberoberfläche für die Contactherstellung 
stets blank bleibt. Der Quecksilberdruck ist ferner durch 
zahlreiche Experimente so gewählt, daß beim Rotiren der 
Glasplatte von dieser kein Quecksilber mitgeführt werden 
kann. Sollte dies das eine oder andere Mal bei Ueberfüllung 
des Quecksilberreservoirs geschehen, so tritt selbst hiedurch 
keinerlei Stromesschwankung, Nebenschließung oder Strom¬ 
unterbrechung ein, weil die Ableitung vom Graphitwege an 
der Oberseite der Glasplatte hergestellt ist. . Diesbezüglich 
merke man übrigens, daß das Quecksilber bei gesperrtem 
Hahne nach Entfernung der Schraube S (nicht aber bei ge¬ 
öffnetem Sperrhahn) einzufüllen ist. Sollte bei Neigung des 
Apparates, wahrend Quecksilber die keilförmige Vertiefung Q 
erfüllt, etwas Quecksilber rings um die Glasplatte oder unter 
dieselbe gerathen, so genügt es, die Schraube G zu lüften, 


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Nr. 21. 


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die Glasplatte abzuheben und durch Neigung der Hartgummi- 
tasse alles Quecksilber bei geöffnetem Sperrhahn in den Kern 
desselben treten zu lassen. 

a) Um ganz allmäliges und ganz gleichmäßiges Vorschreiten 
des Galvanometerzeigers zu erhalten, muß man die Glasplatte 
immer und immer in verzögertem Tempo, d. h. desto lang¬ 
samer drehen, je näher man der einzustellenden Stromstärke 
kömmt. Mit einem Worte, das Rotiren der Glasscheibe muß 
unter Controle des Galvanometers ebenso vorgenommen 
werden, wie die Handhabung der Mikrometerschraube eines 
Mikroskopes bei Benützung eines stark vergrößernden 
Objectivsystemes. 

Dieser Rheostat wurde nicht, wie es neuestens fast all¬ 
gemein beliebt wird, patentirt, sondern steht es Jedermann 
im Interesse dessen möglichst billiger Herstellung vollkommen 
frei, ihn anzufertigen. 

Es erfüllt somit obigen Auseinandersetzungen zufolge 
dieser Apparat, dessen zweckentsprechende Ausführung das 
Verdienst J. Leiter’s bildet, das mehrfacherseits geäußerte 
lebhafte Bedürfhiß nach einem Rheostate, der ohne jede 
Stromesschwankung die ganz allmälige und ganz gleichmäßige 
Verstärkung, beziehungsweise Verminderung des Stromes er¬ 
möglicht. 

Das zweite, für stabile Apparate bestimmte und bislang 
noch nicht transportabel ausgefuhrte Modell dieses Graphit- 
Quecksilberrheostates hat die äußere Gestalt eines Schleif¬ 
steines mit Kurbeldrehungsvorrichtung. Der dem Schleifstein 
vergleichbare Cylinder wird aus Holz dargestellt (kann übrigens 
auch aus jedem anderen beliebigen isolirenden Material bestehen), 
und ist der Zickzackweg an der Peripherie des Cylinders ein¬ 
geschnitten und mit der Graphitmasse erfüllt. Dieser schleif¬ 
steinartige Cylinder taucht mit einer schmalen Fläche seiner 
Peripherie unten in ein schmales Quecksilbergefäß und kann 
durch eine Kurbel rotirt werden. Die geringe Reibung an 
letzterer gestattet das Arretiren des Holzcylinders in jeder 
beliebigen Stellung. Der Anfang des Graphitweges ist, wie bei 
dem vorbesprochenen Apparate Fig. 5, mit der Achse und von 
hier mit einer, das Quecksilber hingegen mit der anderen 
Drahtklemme in leitende Verbindung gesetzt. Selbstverständ¬ 
lich lassen sich auch nach diesem Modelle Rheostate beliebiger 
Dimensionen mit beliebig großen Widerständen herstellen. 

(Fortsetzung folgt.) 

Mittheilungen aus der Praxis. 

Ueber einen mit einer Querlage complicirten 
Fall von Placenta praevia centralis. 

Von Dr. Geller in Sadagöra. 

So wenig auch die operative Geburtshilfe auf der Klinik 
geübt wird, mit Ausnahme der Operationen am Phantome, die man 
aueh bald vergißt, ist sie dennoch für den praktischen Arzt eine 
Conditio sine qua non. 

Auf dem Lande muß er in den schwierigsten Fällen selbst 
Hand anlegen, und von seinem Eingreifen hängt das Leben zweier 
Personen und unter Umständen seine Existenz ab. 

Die schönen Diagnosen der Kindeslagen, die er sich auf der 
Klinik angeeignet, kann er schon deshalb nicht verwerthen, weil er 
fast niemals in die Lage kommt, eine Frau in der ersten Geburts¬ 
periode zu untersuchen. Die Fälle, zu denen der Landarzt geholt 
wird, sind vernachlässigte Querlagen. An unseren Hebammen ist 
es, die Kindeslagen vor dem Blasensprunge zu erkennen. 

In meiner 26jährigen Praxis ist mir noch kein Fall bekannt, 
wo eine Hebamme vor dem Blasensprunge eine abnorme Lage er¬ 
kannt hätte. 

Als ich am 27.- März, eine Meile weit zu einer Kreissenden 
geholt wurde, fand ich die ganze Placenta aus den Geschlechts- 
theilen heraushängen und nur noch durch die Nabelschnur mit dem 
kindlichen Nabel Zusammenhängen und den rechten Arm vor¬ 


gefallen. Die Frau ist eine Multipara, groß gewachsen, gut ge¬ 
baut, kräftig, sie gibt an, im 9. Schwangerschaftsmonate sich zu 
befinden und während der Schwangerschaft nicht an Blutungen 
gelitten zu haben. 

Die Wehen dauern schon 3 Tage, die Blase ist 4 Stunden 
vor meinem Eintreffen gesprungen, nach dem Blasensprunge stellten 
sich heftige Blutungen aus den Genitalien ein, die mit dem Ab¬ 
gänge der Placenta sistirten. 

Die manuelle Untersuchung ergab einen tetanisch contrahirten 
Uterus, die kleinen Theile rechts und den Kopf links. 

Da durch den tiefen Sitz der Placenta das untere Uterus¬ 
segment aufgelockert ist und eine Decapitation für die Mutter ge¬ 
fährliche Folgen hätte haben können, entschloß ich mich für die 
W'endung auf die Füße. In der Narcope erschlaffte der Uterus 
derart, daß ich die Wendung mit Leichtigkeit durchführte und das 
Kind extrahirte. Auffallend ist, daß trotz der Placenta praevia 
centralis keine Blutungen aufgetreten sind. Der spontane Abgang 
der Placenta hat die Kreissende vor der sicheren Verblutung ge¬ 
schützt und uns den Weg gezeigt, den wir in ähnlichen Fällen ein¬ 
zuschlagen haben. 

Man kann somit ohne Weiteres den von Radford und 
Simpson gemachten Vorschlag, bei Placenta praevia centralis uud 
todtem Kinde zuerst die Placenta zu lösen, um die Mutter vor Ver¬ 
blutung zu schützen, acceptiren, denn im geschilderten Falle hat 
die Mutter keinen Schaden an ihrer Gesundheit erlitten, dieselbe 
befindet sich recht wohl und geht schon ihrer häuslichen Beschäf¬ 
tigung nach. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Ch. Talamon (Paris): Behandlung der Variol&pusteln 
des Geeichtes mit Sablimatzerstäubangen. 

Die Variolapusteln werden wahrscheinlich durch die Wirkung 
des Variolavirus auf die tiefen Zellen des Rete Malpighi erzeugt, 
aber mit der Entwicklung der Pusteln wird das Variolavirus in 
seinem zerstörenden Werk immer mehr von Eitercoccen uuterstützt, 
die wahrscheinlich von außenher eindringeu. Es folgt daraus, daß, 
wenn es gelänge, die Haut vollständig aseptisch zu machen, bevor 
noch die Eruption stattfindet, die Eiterung auf ein Minimum reducirt 
werden könnte. 

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, hat Verf. die Zer¬ 
stäubung ätherischer Lösungen von antiseptischeu Substanzen mit 
dem RiCHARDSON’schen Apparate versucht und berichtet in Nr. 7 
der „M6d. mod.“ über die Resultate dieser Untersuchungen. 

Versucht wurden 4 Substanzen: Tannin, Jodoform, Salol und 
Sublimat. Die Versuche mit dem Tannin wurden bald aufgegeben, 
weil dieses Mittel eine Art Lack bildet, welcher die Pusteln drückt 
und eine sehr schmerzhafte Spannung hervorruft. 

Die Jodoformzerstäubungen haben zwar keine schlechten Re¬ 
sultate geliefert, doch blieben dieselben weit hinter den zu schil¬ 
dernden mit Sublimat zurück und außerdem war der unangenehme 
Jodoformgeruch ein Hinderniß für dessen Anwendung im Gesichte. 
Die Zerstäubungen mit Salol (1 : 5 Aether), 3—4mal täglich wiederholt, 
lindern rasch den Schmerz und bringen die Schwellung des Ge¬ 
sichtes zum Verschwinden. Die Pusteln werden rasch in gelbe, 
weiche, leicht ablösbare Krusten umgewandelt, die eine kaum merk¬ 
liche Narbe zurücklassen. Der aromatische Geruch des Salols und 
die Abnahme der schmerzhaften Spannung im Gesichte machen 
diese Behandlung dem Kranken sehr angenehm, allein die Resultate 
derselben sind uur bei leichten Formen zufriedenstellend, nicht aber 
bei den schwereren. Bei diesen bewährten sich die Sublimat- 
zerstäubungen. 

Dieselben wurden mit folgender Lösung vorgenommen: 

Rp. Hydrarg. subl. corros. 

Acid. citric. s. tartar. aa. . . .1*0 

Alcohol.5'0 

Aether q. s. ut. f. 50 Ccm. 

Die Zerstäubung wird 3—4mal täglich gemacht und bis zur 
vollständigen Eintrocknung der Pusteln fortgesetzt. Bezüglich der 
Dauer jeder einzelnen Zerstäubung läßt sich kein bestimmter* Termin 


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angeben. Im Allgemeinen wird so lange zerstäubt, bis die Ober¬ 
fläche der Pusteln und der Haut unter der Sublimatschichte weiß 
wird ; gewöhnlich kommt man mit einer Minute aus, um das Gesicht 
mit der nothwendigen weißen Schichte zu bedecken. In keinem 
einzigen Falle wurden Erscheinungen von Mercurialismus beobachtet, 
ein Beweis, daß das Sublimat nicht resorbirt wird, und daß seine 
Wirkung die oberflächlichen Hautschichten nicht durchdringt. Während 
der Zerstäubungen werden die Augen mit einem in Borsäure ge¬ 
tränkten Wattetampon bedeckt. Bei den primären confluirenden 
und bei den hämorrhagisch- confluirenden Fällen haben diese Zer¬ 
stäubungen keine Wirkung, bei den mittelschweren Formen sind die 
Resultate um so besser, je früher die Zerstäubungen beginnen; 
selbst wenn die Eiterung bereits begonnen bat, beschränkt sie sich, 
die Pusteln hören auf zuzunehmen und trocknen rasch ein. 

Die Sublimatzerstäubung verhindert nicht vollständig die 
Narbenbildung, aber sie setzt ihre Zahl und ihre Tiefe bedeutend 
herab. Wenn die Zerstäubungen gleich am ersten Tage der Eruption 
begonnen werden können und die Kranken geduldig sind, so läßt 
eine cobärent-confluirende Variola nur sehr wenig Narben zurück. 
In solchen von Anbeginn an behandelten Fällen geht T. folgender¬ 
maßen vor: Wenn die Eruption sich im ersten oder zweiten Tage 
befindet, seift er das ganze Gesicht tüchtig ab, spült mit Borsäure, 
trocknet mit Watte ab. Am 3. Tage ist die Einseifung nicht mehr 
nothwendig. Hierauf wird eine Sublimatzerstäubung vorgenommen, 
die kaum eine Minute dauert. 

Nach einer Viertelstunde wird das Gesicht mittelst eines Watte¬ 
tampons mit einer Lösung von Sublimat in Glycerin (1 : 15) abgerieben. 

Die Zerstäubungen werden 3—4mal täglich vorgenommen. 
Vom 4. Tage an genügen blos 2 Zerstäubungen, doch müssen die 
Pinselungen mindestens 4mal täglich wiederholt werden. Am 6. oder 
7. Tage kann man mit den Zerstäubungen gänzlich aufhören und 
sich auf die Pinselung beschränken. Sind die Krusten abgefallen, 
so gebraucht man Bor- oder Salol Vaselin. Auch auf die Mortalität 
hatte diese Behandlung einen sehr wohlthuenden Einfluß, indem 
dieselbe bedeutend herabgesetzt wurde; so betrug bei den mittel- 
schweren Formen die Mortalität vor der Einleitung dieser Behand¬ 
lung 42°/ 0 , nach derselben blos 15%. 

Als Nachtrag theilt Verf. mit, daß er etwa 10 Fälle von 
Erysipel mit Zerstäubungen von Sublimatäther behandelt hat. *) Die¬ 
selben wurden Früh und Abends vorgenommen. Nach 3—4 Zer¬ 
stäubungen sinkt das Fieber plötzlich und wurde das Erysipel am 
4.—5. Tage beschränkt. S. 

Prof. Von (München): Bemerkungen über Gas- und elek- 
triches Licht. 

Im Anschluß an die jüngst von Pettknkofkr gemachten Be¬ 
merkungen über dasselbe Thema (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 11) 
hielt jüngst im ärztlichen Vereine zu München („Münch. med.Woch.“, 
Nr. 17) Prof. Voit einen sehr interessanten, diese Frage berühren¬ 
den Vortrag, in welchem hauptsächlich 3 Fragen behandelt wurden. 

Die erste betrifft die Farbe des elektrischen Lichtes, 
welche gewöhnlich als eine bläuliche angesehen wird. Diese 
Angabe ist indeß nach Voit unrichtig. Betrachtet man mittelst 
eines Glasprismas die verschiedenen Lichtquellen und stellt 
eine Scala derselben her, so ergibt sich, daß unser Gaslicht am 
meisten roth ist, dann kommt das elektrische Bogenlicht, dann das 
Sonnenlicht; das Glühlicht ist fast identisch in seiner Farbe mit 
unserem Gaslicht, es kommt etwas näher an das Bogenlicht heran, 
doch ist der Unterschied zwischen Bogen- und Glühlicht im Allge¬ 
meinen viel größer als der zwischen Glühlicht und Gaslicht. Wenn 
wir also unterscheiden wollen und etwa glauben, daß das blaue 
Licht für das Auge ungünstiger wäre als das gelbe, so würde in 
entsprechender Reihenfolge zuerst das Gaslicht, als das beste, dann 
das elektrische und erst nachher das Sonnenlicht kommen. Es ist 
jedoch keineswegs nachgewiesen, daß die verschiedenen Farben mehr 
oder weniger gefährdend auf das menschliche Auge einwirken, im 
Gegentheil scheinen die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen so ge¬ 
deutet werden zu können, daß die Intensität und der Glanz des 
Lichtes von hervorragendem maßgebendem Einfluß ist; wenn aber 

*) Vergl. die r Kl. Mittli.“ pag. 849 dieser Nummer. 


auch ein solcher Einfluß vorhanden wäre, so verfällt die neuere 
Gasbeleuchtung immerhin in gleiche Fehler wie die elektrische Be¬ 
leuchtung. 

Was die zweite Frage, nämlich die der Feuersgefahr, be¬ 
trifft, so ist zweierlei zu unterscheiden: die Lichtquelle und 
die Leitung. Bezüglich der Lichtquelle ist das Gaslicht ent¬ 
schieden feuergefährlicher als das elektrische Licht. Anders die 
Leitung. 

Die Gasleitung als solche ist ganz und gar nicht feuergefähr¬ 
lich, dagegen kann die Leitung einer elektrischen Beleuchtungs¬ 
anlage immerhin mit Feuersgefahr verbunden sein, wenn dieselbe 
nicht in der richtigen Weise hergestellt ist. Bei der jetzigen Bauart 
der elektrischen Beleuchtungsanlagen ist keine Gefahr vorhanden, 
da zwar ein großer Strom durch eine solche Leitung hinduroh¬ 
getrieben wird, die Erwärmung aber, die durch diesen Strom erfolgt, 
bei den gebräuchlichen Querschnitten des Leitungsdrahtes eine relativ 
kleine ist. Voit bezeichnet daher die elektrische Beleuchtung als 
weniger gefährlich in Bezug auf Brandursache als die Gasbeleuchtung. 

Die wichtigste Frage ist die der L e b e n s g e f a h r. In der That 
sind eine Menge Unglücksfälle durch elektrische Beleuchtung bekannt. 
Bemerkenswerth ist aber, daß alle Nachrichten über Unfälle durch 
elektrischen Strom beinahe ausschließlich aus Amerika kommen, 
während in Deutschland bis jetzt derartige Fälle nicht zu ver¬ 
zeichnen sind. Dies beruht darauf, daß bei den Anlagen in Deutsch¬ 
land ein Gleichstrom benutzt wird, dessen Spannung im höchsten 
Falle bis 120 Volt geht, während in Amerika die Anlagen zum 
großen Theile mit Wechselströmen betrieben werden, deren Spannung 
durchschnittlich 2000, in neuerer Zeit bis zu 10.000 Volt geht. 
Es fragt sich nun, wann wird ein Wechselstrom dem menschlichen 
Leben gefährlich? Nach den Untersuchungen von Brown läßt sich 
ein Gleichstrom mit einer Spannung von 1042 Volt vollständig ohne 
Gefahr durch den menschlichen Körper leiten, hingegen kann ein 
Mensch mit eiuem Wechselstrom im Allgemeinen bei einer Spannung 
von 100 Volt schon getödtet werden, so daß also im großen 
Garszen die Spannung bei d*n Amerikanischen Anlagen etwa um 
lOmal größer ist, als wir brauchen würden, um einen Menschen zu 
tödteu; daraus erklärt sich eben die Gefahr solcher Anlagen. Dazu 
kommt noch, daß die Drähte im Allgemeinen blank gespannt sind; 
bei jeder Berührung der blanken Drähte durch einen Menschen 
können beträchtliche Ströme seinen Körper durchlaufen, was durch 
eine vollkommen sichere Einhüllung des Drahtes in nicht leitende 
Substanzen vermieden werden könnte. Die Gefahren sind in den 
größeren Städten Amerikas noch bedeutend dadurch gesteigert, daß 
nicht etwa wenige Leitungen über die Straße gespannt sind, sondern 
es bilden Telegraphen-, Telephon- und die verschiedensten Beleuch¬ 
tungsdrähte ein buntes Gewirre und viele sind mit der Zeit herren¬ 
loses Gut geworden. Es ist daher eine ganz gerechtfertigte For¬ 
derung, daß alle Drähte unterirdisch verlegt werden; wenn dann 
die von starken Strömen durchlaufenen Drähte noch durch Isolirungen 
geschützt werden, so ist wohl eine Gefahr für das menschliche 
Leben nicht mehr zu befürchten. M. 


Die Compressionsmyelitis bei Caries der Wirbelsäule. 

Eine pathologisch - anatomische und experimentelle Studie. 
Pro venia legendi der medicinischen Facultät vorgelegt von 
Dr. Hans Schmaus , II. Assistenten am pathologisch-anato¬ 
mischen Institut in München. Mit 3 Farbentafeln und mehreren 
Textabbildungen. Wiesbaden 1889. J. F. Bergmann. 

Eine für einen einzelnen Beobachter reiche Zahl von fünf mit 
den feinsten Mitteln der heutigen Histologie geprüften Fällen von 
Sectionsergebnissen erlaubt dem Autor die u. A. schon von Strümpell 
bekämpfte Meinung, daß es sich, abgesehen von Quetschung, regel¬ 
mäßig um specifische entzündliche Vorgänge am Rückenmark 
handelt, für die Mehrzahl der Fälle zu verneinen. Die von Kahler 
in Experimenten am Thiere studirten Lähmungen durch Oedem- 
bildungen bei einem localen Druck, der nur den normalen Lymph- 
abfluß hemmt, würden für die Mehrzahl der Fälle zur Erklärung 
herangezogen werden müssen, lähmende Oedeme, auf welche that- 
sächlich später reactive entzündliche Vorgänge und AuBgänge in 
Myelomalacie oder Atrophie der Nervenelemente unter Bindegewebs- 


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Wucherung folgen können. Schmads hat zu diesen Untersuchungen 
noch‘eine umfängliche, sehr interessante Experimentenreihe gefügt, 
in der er bei Kaninchen mit epiduraler Infection mit Tuberculose 
(6 Fälle) durch eiterige Wundinfection mit nachfolgender Pachy- 
meningitis und Meningitis (6 Fälle) Paraplegie erzeugte und das 
Oedenv und die entzündlichen Vorgänge auf das Feinste studirte; 
weiter, indem er epidural sterilisirte Staphylococcencultur oder 
Ammoniak auftrug und die Lähmungserscheinungen wie die histolo¬ 
gischen Befunde feststellte. 

Der Autor beschließt seine überaus werthvolle Abhandlung 
mit den folgenden, den Inhalt seiner Arbeit resumirenden Sätzen : 
„Abgesehen von directen Quetschungen des Rückenmarkes durch 
Verschiebung von Wirbeln u. s. w. beruht die bei Wirbelcaries 
auftretende Rückenmarksdegeneration auf einem Oedem, welches bei 
längerem Bestände in eine diffuse Erweichung übergeht. Nur in 
seltenen Fällen entsteht durch Fortschreiten des an der Wirbelsäule 
bestehenden entzündlichen Processes nach innen eine echte Myelitis. 
So gut wie immer entsteht eine Pachymeningitis, oft eine Menin¬ 
gitis. Es kann eine Myelitis nur dann angenommen werden, wenn 
der im Rückenmarke bestehende Proceß alle Charaktere der außen 
vor sich gehenden Entzündung zeigt; bei tuberculöser Wirbelcaries 
also blos dann, wenn echte Tuberculose im Rückenmark entstanden 
ist. Alle übrigen hiebei vorkommenden entzündlichen Procosse ge¬ 
hören einer in Folge der Erweichung auftretenden reactiven Ent¬ 
zündung an, die ihren Ausgang in Sclerose nehmen kann. Sie ist 
analog der bei der Resorption von Infarcten entstehenden Ent¬ 
zündung. Das im Rückenmark auftretende Oedem ist in manchen 
Fällen ein Stauungsödem, in anderen ein entzündliches Oedem, 
meistens aber aus einer Combination beider Ursachen entstanden. 
Das collaterale Oedem ist auf Ptomain-Wirkung zurückzuführen; 
ein analoger Zustand kann durch chemische Mittel erzeugt werden. 

F e u i 11 e t o n. 

Brief aus Stockholm. 

Dr. G. 0. Wkttkhbtkand und seine suggestive Psychotherapie. — Tiiurk Brandt. — 
Massage und Heilgymnastik in Schweden. 

Bericht von Dr. Wilhelm von Vragaisy. 

Stockholm, Mai 1890. 

Der Liebenswürdigkeit Sr. Exc. des Freih. v. Pfusterschmid, 
österr.-ung. Gesandten am schwedischen Hofe, verdanke ich die Ein¬ 
führung zu Dr. Wetterstrand, bei welchem ich eine Reihe zu 
Heilzwecken ansgeführter Hypnosen und eine große Anzahl inter¬ 
essanter, auf dem Wege der Suggestion erzielter Heilerfolge zu be¬ 
obachten Gelegenheit batte. 

Im Jauuar 1887, ehe M. van Renterghem in Goes (Nieder¬ 
lande) die Suggestionstherapie inaugurirte, begann Wetterstrand 
in Stockholm seine Forschungen, nachdem er vorerst die Schule in 
Nancy besucht hatte. 

Seine Statistik weist heute 4614 Fälle auf und seine Erfolge 
bestätigen vollinhaltlich die Lehre Bernheim’s , Liebeault’s und 
de Jong’b. 

Er stimmt mit diesen darin tiberein, daß die Hypnose kein 
pathologischer, sondern ein rein physiologischer Zustand sei und auf 
blosser Suggestion beruhe. Weder Rasse, Alter noch Geschlecht oder 
besondere nervöse Beschaffenheit sind hier von erheblichem Einflüsse. 

Seine Erfahrungen gehen dahin, daß 98 Proc. der Menschen 
sich für die Hypnose eignen. 

Unter 4000 fand er blos etwa 79, die sich refraetär zeigten. 
Angesichts dieser Tbatsachen müßte Ewald (Berlin) zugeben, daß 
die neuropathische Veranlagung, die er angeblich unter der Bevöl¬ 
kerung Elsaß-Lothringens fand, auch in Stockholm sich manifestire. 
lind da die Schweden, gleich den Deutschen, rein germanisches Blut 
sind, erscheint v. Nussbaum’s Behauptung *), daß die germanischen 
Völker für die Hypnose eine Immunität zeigen, mithin sehr preeär. 

Wetterstrand hatte die Güte, mir seine Ideen und An¬ 
sichten über suggestive Psychotherapie bei verschiedenen Anlässen 
seines Vorgehens auseinanderzusetzen. Er sagt: „Jedermann hat die 

*) v. Nüssbaum, Neue Heilmittel für Nervenkrankheiten. 


Anämische und embolische Erweichungen spielen bei der Oompres- 
sionsdegeneration keine große Rolle. Das Auftreten einer echten 
Myelitis ist in erstej Linie von der Geschwindigkeit der Ausbreitung 
des Processes abhängig. Das Oedem des Rückenmarkes geht con- 
stant der Myelitis voran. Die Heilungen solcher Fälle von Wirbel¬ 
caries, bei denen das Rückenmark bereits mitbetheiligt war, sind 
auf Rückgang des Oedems zurückzuftihren.“ 

Die Schlüsse des Autors haben nicht blos ein theoretisch¬ 
pathologisch-anatomisches Interesse, das viele nach unzulänglichen 
oder veralteten Methoden vorgenommene ältere Untersuchungen 
richtig stellt. Sie lassen auch sehr wohl den bekannten klinischen 
Verlauf mit den acuten schweren Symptomen, dem meist günstigen 
Ausgange, den seltenen dauernden Lähmungen und der noch weit 
selteneren Entwicklung von speciflsch tuberculöser Meningitis oder 
von tuberculösen Knoten im Rückenmarke verstehen. 

Docent Dr. R. v. Pfdngen. 

Pseudo-isochromatische Tafeln für die Prüfung des 
Farbensinns. Von Dr. J. stilling. Dritte, vermehrte und 
verbesserte Auflage. (Der ganzon Folge neunte.) Leipzig 1889. 
G. Thieme. 

Die rasche Aufeinanderfolge der Auflagen seit dem Jahre 1876 
zeigt wohl schon, wie beliebt die STiLLiNG’sche Methode der Unter¬ 
suchung auf Farbenblindheit bei den Oculisten ist. Sie beruht be¬ 
kanntlich darauf, daß Zeichen, Buchstaben und Ziffern erkannt 
werden sollen, welche in Verwechslungsfarben dargestellt sind. Die 
erst erschienenen Tafeln waren von Fehlern nicht frei, weil die 
Zeichen stark glänzten und dann, weil viele auch von normal 
Sehenden schwer entziffert wurden. Diesbezüglich besserten sich 
die Tafeln von Auflage zu Auflage, und sind die letzterschienenen 
Tafeln hierin ganz vorwurfsfrei. Königstein. 


Facultät in sich, zu hypnotisiren, und jedes Individuum kann 
hypnotUirt werden. Freilich ist der Erfolg des Hypnotisirens Sache 
des Studiums und der Erfahrung, deren Gegenstand die mannigfal¬ 
tigsten Varianten des Temperaments und Charakters und die verschie¬ 
densten Aeußerungen der psychischen Beschaffenheit, zum Theil aber 
auch die Altersdifferenzen sind. Kinder und Greise lassen leichter auf 
sich eiuwirken. Diesen gemäß zeigen die verschiedenen Individuen 
bemerkenswerthe Unterschiede in der Susceptibilität für Hypnose und 
Suggestion, welche Momente bei der Anwendung des Verfahrens von 
größtem Belange sind. Dies muß der Hypnotiseur erkennen und in Ge¬ 
mäßheit ihrer Erkenntniß vorgehen, „Die Menschen sind wie die 
Kinder,“ sagt W etterstrand ; „wenn man von ihnen Gehorsam er¬ 
reichen will, muß man jeden nach seiner Eigenart behandeln“. „Dou 
Einen mit Güte, Geduld und Nachsicht, den Anderen mit Energie, 
Strenge, zuweilen sogar gebieterisch, ja selbst brüsk. In der 
Weise vorgegangen, werden Sie unfehlbar zum Ziele gelangen 
und stets Gehorsam finden.“ 

Wenn Sie heute, morgen, in 14 Tagen, wenn Sie in 4 Wochen 
nicht reussiren, dürfen Sie den Muth nicht sinken lassen; nur frisch 
mit Consequenz wieder an’s Werk gehen und Sie werden Erfolg 
haben. Zuweilen werden dabei Geduld und Ausdauer des Arztes 
aufs Aeußerste gespaunt; ich hatte bei einer Dame 73 Seancen 
durchzuführen, bis es mir gelungen ist, sie zu hypnotisiren; jetzt 
ist sie in vollem Gehorsam.“ Von Prof. Ewald sagte er: „Wenn 
es ihm, wie er angibt, unter 400 Kranken blos an zweien ge¬ 
lungen ist, die Hypnose durchzuführeu, so kann ich nicht anders, 
als erklären, daß sein Verfahren vom Grunde aus falsch ist, daß er 
der Sache einfach unkundig ist.“ — Ich kann bezeugen, daß ich eine 
sehr große Anzahl von Kranken sah, die schon beim ersten Male 
von Wetterstrand nach einigen Secunden, durch blosses Fixiren 
mit den Augen und Auflegen einer Hand an die Herz- oder Magen¬ 
gegend, sofort die Augen schlossen; und sanfte Berührung oder 
centripetale Streichung vervollständigten die Hypnose. 

„Die von Charcot gegen den hypnotischen Zustand als Ein¬ 
wand erhobene „Dissimulation“ beachte ich nicht, meint Wetter¬ 
strand. „Heute ist es mehr als erwiesen, daß man durch Hypnose 
ungeahnte Heilerfolge bewirken kann; wodurch Charcot’s Einwurf 
belanglos geworden ist.“ 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. '•— Nr. 21. 


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„Wenn Sie mich aber mit Charcot fragen, wodurch ich Ihnen 
den Beweis erbringen kann, daß sich ein oder der andere Patient im 
hypnotischen Schlafe befindet, so vermag ich es, mit Rücksicht auf 
leichte Hypnosen, allerdings nicht zu sagen. Ich kann nur dann 
mit voller Bestimmtheit sagen, daß der Kranke hypnotisirt war, 
wenn die Suggestion Erfolg gehabt hat, und Sie können schon in 
leichter Hypnose ohne Weiteres suggeriren, wie die Erfahrung lehrt.“ 

Zuweilen hört man Kranke sagen, daß sie die ihnen im Schlafe 
auferlegten Ordres ans Höflichkeit ausgeführt hatten. „Wenn ich sie 
aber aufforderte, meinen sugger. Befehlen zu widerstehen, vermochte 
es keiner von ihnen.“ 

Das Verfahren Wetterstrand’s ist ungemein einfach. Er 
läßt die Kranken sich setzen oder horizontal lagern, faßt sie sanft 
bei einer oder beiden Händen und blickt ihnen, je nach Umständen 
flehend, sanft oder energisch, selbst gebieterisch, und mit dem Aus¬ 
drucke voller Gedankenconcentration in’s Auge. 

Nach wenigen Secunden schließen sie die Augen, was entweder 
allmälig, durch Kleinerwerden der Lidspalte oder plötzlich, buch¬ 
stäblich wie im „Augenblicke“, erfolgt. Zuweilen bleiben die 
Augen, selbst in tiefer Hypnose, offen, dann pflegt Wetterstrand 
die Lider mit Zeigefinger und Daumen sanft niederzudrücken. Ich 
beobachtete hiebei die interessantesten Phänomene. 

Eine etwa 24 Jahre alte, mit Neurasthenia cerebral, behaftete 
Dame, die in seiner Behandlung war, erwiderte seinen Blick jedesmal 
gleichsam mit dem Ausdrucke einer Herausforderung; nach etwa drei 
Secunden veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen plötzlich; sie 
wurden weich, feuchtglänzend, die Lider contrahirten sich in der 
Weise etwa, wie dies Myopiker zu thun pflegen, wenn sie sich an¬ 
strengen, schärfer zu sehen; man konnte durch 3 —4 Secunden nur 
mehr eine ganz schmale Ritze sehen; plötzlich sank der Kopf nach 
der Seite hin und die Kranke verfiel in tiefen Schlaf, aus dem 
sie erst nach einer Stunde von Wettebstrand geweckt worden war. 

Niemals hat Wettebstrand irgend einen naohtheiligen Einfluß 
der Hypnose gesehen. 

Ich habe dort sämmtlicbe Kranke beobachtet und gefunden, daß 
sie ohne Ausnahme erfrischt, mit dem Ausdrucke des Behagens, der 
Erholung und Erquickung erwachten , mit rosigen Wangen und 
leichten Schrittes das Zimmer verließen. In einzelnen Fällen klagen 
die Kranken über intensives Kälte- oder Wärmegefühl, welche 
Sensation aber einer darauffolgenden Suggestion spurlos weicht. 

Bei einer jungen Dame beobachtete ich folgendes interessante 
Suggestionsphänomen: Dr. Wettebstrand batte ihr suggerirt — 
es war ihre erste S6ance — nach 7 Minuten zu erwachen, aufzu¬ 
stehen, bis zur Thflre zu gehen, umzukehren, sich abermals nieder¬ 
zulegen und tiefer als das erste Mal einzuschlafen. Da er die 
Suggestion in schwedischer Sprache machte, die mir nicht geläufig ist, 
konnte ich damals den Auftrag nicht verstehen. 

Er bat mich, die Dame zu beobachten und verließ das Zimmer. 
Sie führte den Auftrag prompt aus. Nach etwa 7—8 Minuten erhob 
sie sich von ihrem Lager, rieb sich die Augen, besann sich für einen 
Augenblick, schritt dann langsam in der Richtung der Thtlre, kehrte 
um, fiel wie bleiern auf den Balsao nieder und sank in tiefen Schlaf. 
„Nach 4—5 Söancen wird das eine wunderbare Somnambule sein,“ 
bemerkte später Wetterstrand. Den folgenden Tag, als ich in 
den Salon eintrat, winkte mir Dr. Wetterstrand zu und indem 
er mich zu derselben Dame, die schlafend auf einem Sopha lag, 
führte, sagte er: „Sehen Sie, die Dame, die ich gestern zum ersten 
Male sah, ist heute in vollem Gehorsam, und läßt willig auf sich 
einwirken. Und ohne sie zu berühren, fixirte er sie durch 2—3 
Secunden, worauf sie sich schlafend erhob, ihm in’s Nebenzimmer 
folgte, wo er sie auf ein Sopha sioh legen und weiter schlafen hieß. 

„Man muß von vorneherein trachten, die Kranken zu be- 
meistern, um ihrer Herr zu werden, und nicht etwa erst durch leichte 
Hypnosen, oder Somnolenz, auf sie einwirken; vermögen Sie dies, 
dann werden Sie auch Herr ihrer Leiden, die ja häufig nur Auto¬ 
suggestionen sind. Viele Kranke bilden sich ein, ohne Chloral oder 
Brom nicht schlafen, ohne Stomachica nicht verdauen, ohne Purgantien 
keinen Stuhl absetzen zu können. 

„Das sind Autosuggestionen; diese müssen Sie ihnen imperativ 
nehmen und Sie haben sio von ihrem Leiden befreit auf die ein¬ 
fachste und harmloseste Weise, was mit wenigen Ausnahmen nahezu 


unfehlbar zu erreichen ist, durch etwas Uebung, Vernunft, Tact und 
Geduld.“ • 

Ich habe beobachtet, daß einzelne Kranke, in leichter Hypnose, 
sich der Vorgänge um sie theilweise bewußt waren, andere wieder 
mit vollständiger Amnesie aus dem Schlafe erwachten. Wettebstrand 
machte mich darauf aufmerksam, daß die Amnesie suggerirt werden 
könne, wo sie wünsehenswerth erscheint. 

Man suggerirt den Kranken, daß sie sich dessen, was sie 
im Schlafe gehört oder gethan haben, das nächste Mal nicht 
erinnern dürfen. In dieser Weise beseitigte Wetterstrand bei 
vielen Kranken seit Jahren bestehende Schlaflosigkeit oder Consti- 
pation, indem er sie zu bestimmten Stunden einschlafen oder 
defäciren hieß. Solche Kranke, die keinerlei Kenntniß dieser Sug¬ 
gestionen hatten, kamen nach einiger Zeit und berichteten, daß ihr 
Schlaf oder Stuhlgang seit einiger Zeit, mit einem Male, ohne ihnen 
bekannte Ursache, normal und regelmäßig erfolge. Welche Macht 
die Suggestion auf eine fiotive Rückerinnerung der Sinne übt, er¬ 
hellt aus folgendem Experimente: Wetterstrand gab einem Hyp- 
notisirten die fictive Suggestion, einen Apfel zu essen. „Hier ist 
ein Apfel, essen Sie davon!“ Der Kranke machte Kau- und Schling¬ 
bewegungen, und als er nach dem Erwachen befragt wurde, wonach 
er im Munde schmecke, erwiderte er „nach Apfel“. 

An einem Kranken der wegen „ allarmirender nervöser Er¬ 
scheinungen“, wie es der Kranke nannte, behandelt wurde, demon- 
strirte mir Wetterstrand die Muskelstarre. Nur mit Aufgebot 
beträchtlicher Kraft war es mir möglich, den horizontal erhobenen 
Arm niederzudrucken. „Das Phänomen der Muskelstarre hat Charcot 
gänzlich mißverstanden und irrig interpretirt; es ist einfach ein 
kataleptischer Zustand, ein Stillstehen der Gedanken, wo es zu keinem 
Nervenimpuls kommt, bemerkte Wetterstrand; die Muskeln 
widersetzen sich der Auslösung von Bewegung, weil ihnen dazu die 
Induction fehlt.“ 

Als ich über die prompten Hypnosen, die alle in einem Zeit¬ 
räume von 2—10 Secunden erfolgten, erstaunt war, lächelte Wetter- 
stband und meinte: „Das Hypnotisiren ist ja so einfach, man 
muß nur beiderseits mit Vertrauen daran gehen und ein wenig 
Geduld haben. Sehen Sie, ich habe mehrere Patienten, die, wenn 
sie von Schmerzen erfaßt werden, sich selbst einschläfern, weil ich 
ihnen suggerirte, einzuschlafen, wenn sie leiden; sie verschlafen 
gleichsam ihre Schmerzen. Ich selbst kann auch einschlafen, freilich 
mußte ich vorerst etwa 30 Versuche an mir selbst machen, bis es 
mir doch gelungen ist. Geben Sie Acht, ich setze mich, nehme mir 
vor, nach 2 Minuten zu erwachen und schlafe ein.“ Ich nahm die 
Uhr in die Hand, ‘Zählte etwa 4 Secunden, seine Augen schlossen 
sioh und genau nach 2 Minuten erwachte er, erhob sich und befaßte 
sich weiter mit seinen Kranken. 

Dr. Wetterstrand versetzte von Stockholm aus mittelst 
Correspondenzkarte einen Kranken in Amerika in Schlaf. Er 
schrieb einfach auf die Karte: „Wenn Sie diese Karte gelesen haben 
werden, schlafen Sie ein, und erwachen nach einer Stande.“ Be¬ 
richt aus Amerika bestätigte die prompte Ausführung der Ordre. 
Die Sache ist gewiß sehr merkwürdig, und ich halte mich bei ihrer 
Wiedergabe verbo-tenus an Dr. Wettebstrand’s eigene Worte. 
Allein ich kenne Dr. Wetterstband als einen ernsten, wissenschaft¬ 
lich hochgebildeten, vielseitigen Arzt, der bei seinen Collegen sowohl 
in Schweden als auch im Auslande in hohem Ansehen steht, und 
halte Beine Glaubwürdigkeit über jedem Zweifel erhaben. 

Desgleichen heilte er einen hartnäckigen, quälenden Fall von 
„Recurrent Palpitatiou of the Heart“ bei einem sonst gesunden 
Manne, dem er vor seiner Abreise aus Stockholm eine mit folgenden 
Worten beschriebene Karte mitgegeben hatte: „Sobald Sie Herz¬ 
klopfen fühlen (das in der Regel Nachts kam), lesen Sie diese Karte, 
schlafen Sie ein und erwachen Sie nach 10 Minuten ohne Herz¬ 
klopfen.“ Nach einigen Versuchen, diese Ordre auszuführen, wurde 
der Mann von seinem Leiden dauernd befreit. 

Während meiner Besuche bei Dr. Wetterstrand kamen 
täglich etwa 50—70 Kranke zur Behandlung, und ich hatte 
die Genugthuung, sie insgesammt beobachten zu können. Mit 
vielen davon, die des Deutschen, Französischen oder des Eng¬ 
lischen mächtig waren, verkehrte ich persönlich, wodurch mir möglich 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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wurde, mich über die Art ihrer Leiden, Dauer und Erfolg der Be¬ 
handlung zu informiren. 

In dieser Weise erfuhr ich Einzelheiten von 3 Damen, die 
Wettbbstrand vom Morphinismus geheilt hatte, nachdem sie dureh 
lange Zeit in Deutschlands Anstalten und in Paris die Abstinenzcur 
erfolglos versucht hatten. Eine davon befand sich durch 6 Monate unter 
Oharcot’s Aufsicht ohne Erfolg. Zwei Hypnosen genügten, um 
dem Morphin dauernd zu entsagen. Die Gattin eines Collegen in 
Upsala würde in Deutschland Monate hindurch der Entwöhnung 
unterzogen. Sie erzählte mir von all den Qualen, die sie zu erdulden 
hatte; schliesslich kam sie zu W etterstrand, und nach 2 Söancen 
hinterließ sie ihm ihr Etui. Seither hat sie kein Bedürfniß nach 
Morphin, ist wohl, sieht blühend aus und bis auf geringe Phalangeal- 
schwellungen verschwanden während der Behandlung auch die 
quälenden Schmerzen und gichtischen Beschwerden, die ihr jegliche 
Loeomotion unmöglich machten und wegen welcher sie zur Morphi¬ 
nistin geworden ist. An dieser intelligenten und gebildeten Dame 
demonstrirte mir Wbttebstrand einige höchst bemerkenswerthe 
Suggestionsphänomene. Sie war seinem Einflüsse derart unterthan, 
daß es ihm möglieh war, ihr wachend verschiedene Ordres zu suggeriren. 
So sagte er ihr: „Falten Sie Ihre Hände, und nun versuchen Sie, 
dieselben zu öffnen, Sie werden es nicht im Stande sein.“ Die Dame 
versuchte es, vergeblich. Eines Tages sagte dieselbe Dame zu 
ihm: „Ich werde heute nicht einschlafen wollen.“ Wetterstrand 
nahm darauf die Uhr in die Hand und erwiderte lächelnd: „Ehe 
6 Minuten vergangen sind, werden Sie schlafen.“ Ich beobachtete 
die Dame; sie ging im Zimmer auf und ab, näherte sich dem 
Fenster und blickte auf die Straße (während dieser Zeit befand 
sich Wettbbstrand im Nebenzimmer); sie ging an den Wand¬ 
schrank, nahm ein Buch und flng an zu lesen. Wettbbstrand 
kam und holte mich, um mir im Nebenzimmer einen Kranken zu 
zeigen, und als ich nach einer Minute, die Uhr in der Hand, 
zu dieser Dame zurückgekommen war, fand ich sie, nicht ganz 
nach 5 Minuten, das Buch in der Hand, schlafend und kata- 
leptisch. 

Nach etwa 45 Minuten langen Schlafens wurde sie von Wetter¬ 
strand geweckt; sie lachte und war ungehalten über ihre Widerstands¬ 
losigkeit, nahm wieder dasselbe Buch, setzte sich an einen Tisch, 
stützte das Haupt auf die rechte Hand und fing an zu lesen. 
Wetterstkand kam aus dem Nebenzimmer, fixirte sie durch einige 
Zeit, ohne daß sie es jedoch bemerkt hatte und entfernte sich. 
Einige Minuten darauf machte mich eine andere Dame aufmerksam, 
daß sie wieder eingeschlafen sei. Nach dem Erwachen, sagte Wetter¬ 
strand zu ihr: „8ie müssen mir folgen,“ „Nein“, erwiderte sic, „ich 
will nicht“, allein nach einigem Bedenken folgte sie ihm willig mit 
dem grollenden Ausdrucke lebhaften Unwillens in’s anstoßende Zimmer. 
„Sehen Sie“, sagte Wetterstband zu mir, „die Menschen können 
sich dem einmal gefaßten Gehorsam nicht entschlagen. Man muß 
Anfangs stets mit leichten Suggestionen beginnen, allmälig an größere 
Aufgaben gehen, schließlich werden Sie auf diese Weise auch die 
Leiden bemeistern können.“ 

Ein etwa 11 jähriger Knabe kam mit folgendem salvus con- 
duotus seines Vaters zu Wetterstband : Der Junge ist faul, meidet 
die Schule, er lügt sehr oft, stiehlt gern, namentlich Geld, und 
ist ein unverbesserlicher Bettpisser.“ 

„In 14 Tagen ist der Junge ein ganz anderer Mensch,“ be¬ 
merkte Wetterstrand , „das kann ich mit absoluter Bestimmtheit 
sagen. — Auf dem Gebiete der Moral hat die suggestive Psycho¬ 
therapie eine enorme Zukunft; die Grenzen ihrer Verwcrthung sind 
heute noch nicht absehbar.“ Fälle von „Enuresis nocturna“ be¬ 
hauptet Wkttf.rstrand in 2—3 8eancen zu heilen, er habe deren 
eine Unzahl geheilt; einzelne davon habe ich da gesehen und 
ansgefragt. Bei der Persistenz dieses oftmals jeder Therapie Wider¬ 
stand leistenden Leidens muß seine Beseitigung auf so einfachem 
Wege wohl als „Erfolg“ der Suggestivtherapie bezeichnet werden. 

Ich habe da auch eine Dame gesehen , die im hypnotischen 
Schlaf 2mal glücklichen Partus durchgemacht hatte. Der letzte 


währte 3 Stunden. Sie brachte ein gesundes Kind zur Welt und 
erwachte mit vollständiger Amnesie; während sie die früheren 
Geburten, die 10—15 Stunden währten, unter unsäglichen 
Schmerzen und Qualen durchzumachen hatte, was sie auch bewog, 
sich hypnotisiren zu lassen. „Und sehen Sie, diese Dame, die jetzt 
eine der besten Somnambulen ist, die ich kenne, ließ anfänglich 
auf sich gar nicht einwirken; sie war ungemein schwer zu hyp¬ 
notisiren.“ 

Ueber Epilepsie sagt Wetterstrand: „Jene Formen, die 
nach regelmäßigen Intervallen, etwa alle 2 Monate, recidiviren, sind 
durch Suggestion sehr leicht zu heilen. Hartnäckiger erweisen sich 
Fälle, wo die Attaquen häufig und unregelmäßig erfolgen, indessen 
auch bei solchen habe ich Erfolge erzielt.“ Es gibt keine „hypo- 
genen Zonen“ bei Epileptikern, wie Charcot behauptet,“ — sagte er, 
während er eine an häufig rccidivirenden epileptischen Attaquen 
leidende junge Dame beim Ohrläppchen faßte — das ist eine völlig 
irrige Annahme. Die Kranke schläft ein, einfach, weil ich ihr 
suggerirt habe, daß sie einschlafen muß, wenn ich sie beim linken 
Ohrläppchen anfasse. Dieses Mädchen, das täglich 2—3 Attaquen 
hatte, war seit 10 Tagen davon frei. 

Er hat Fälle von geheilten Epilepsien aufzuweisen, wo die 
Anfälle seit 2 — 3 Jahren sich nicht mehr wiederholt hatten. 

Bei Psychosen mit Wahnvorstellungen und fixen Ideen hat 
Wetterstrand ebenfalls Erfolge erzielt. Die fixen Ideen und 
Hallucinationen seine auf dem Wege der Autosuggestion entstanden, 
können daher wegsuggerirt werden. Hier wenden die Gegner ein, 
daß dies blos vorübergehend der Fall sei. Aber pflegen die 
Psychopathologen jene auf medicamentöse oder andere Art erzielte 
Bannung solcher Vorstellungen nicht auch Erfolge zu nennen, er- 
wiederte Wetterstband. 

Im Uebrigen habe er solche Kranke auch dauernd geheilt, 
d. h. sie sind seit Jahren von fixen Ideen frei geblieben. 

Auch eine große Anzahl von Alkoholikern hat er auf sug¬ 
gestivem Wege mit glänzendem Erfolge behandelt. Einer dayon 
erklärte, daß nur der Tod im Stande sei, in ihm die Suggestion 
aufzuheben, und ist derzeit Vorstand eines Abstinenzvereines. 

Mittelst Suggestion gelang es Wetterstrand, auch direct auf den 
Vagus hemmend oder beschleunigend einzuwirken. Ich sah bei ihm 
Pulscurven, die in dem Momente der Aufnahme der Suggestion ein 
markantes Hemmungsphänomen zeigten. Die Curven zeigten fol¬ 
gendes Bild: 


Die Menstruationsanomalien seien ungemein dankbare Objecte 
für die Suggestivtherapie. Ich habe dort mehrere Damen gesprochen, 
die seit langer Zeit wieder regelmäßig menstruiren und kräftiges 
gesundes Aussehen zeigen. 

Ein junges Mädchen kam glückselig eines Tages in Wetter- 
strand’s Ordination mit der Eröffnung, daß sie seit 4 Tagen regel¬ 
mäßig menstruire. Mit Hinweis auf diesen Fall sagte Wetterstrand: 
„Wie glücklich das Mädchen ist! Ich habe ihr einfach suggerirt, 
daß die Menstruation an dem Tage (ich erinnere mich des Datums 
nicht) um 9 Uhr sich einstellen müsse; das Mädchen sagt, 
daß dies an jenem Tage etwas nach 9 Uhr der Fall gewesen sei.“ 

Bei einem Stotterer, der nicht bis fünf zählen konnte, ohne zu 
stottern, sah ich nach 'wenigen Söancen eine auffallende Besserung; 
ich ließ ihn bis 20 zählen; er vermochte es ohne die geringste 
Besinnung oder Stockung. 

Die Mutter eines schwerhörigen Kindes versicherte mir, daß 
es, seitdem es behandelt wird, viel besser höre. 

Die Schwerhörigen sind übrigens eine harte Geduldprobe für 
den Arzt und machen Wettf.rstrand oft völlig verzagt — be¬ 
greiflich ! 



A A \ \ \ 


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Bei Herzklappen-Affectioncn erzielt Wetterstrand, wie oben 
erwähnt, sehr schöne Resultate durch Regelung der Herzthätigkeit; 
die Oedeme und Lungencatarrhe schwinden, die Respiration wird 
leicht und die Kranken können ihre gewohnten Beschäftigungen wieder 
ohne weiteres verrichten. Jedenfalls wäre demnach die Suggestiv¬ 
therapie Digitalis vorzuziehen. 

Geradezu erstaunliche Resultate erzielte Wetterstrand bei 
anämischen, leukorrhoischen, dyspeptischen Mädchen. Zwei Söancen 
genügen, um all’ diese Symptome dauernd zu beseitigen, und in 
14 Tagen diese körperlich, psychisch herabgekommenen, abgehärm¬ 
ten Mädchen kaum mehr zu erkennen; sie sehen blühend und 
strotzend gesund aus. 

Diese Zustände seien auf suggestivem Wege mit solch’ absolut 
sicheren Erfolge zu behandeln , daß Wettekstrand jedem Arzte, 
der sich für die therapeutische Anwendung des Hypnotisirens inter- 
essirt, dringend räth, an solchen Fällen zu beginnen, weil der augen¬ 
fällige und erstaunliche Erfolg nicht verfehlen könne, volle Zuver¬ 
sicht in das Verfahren zu bewirken. 

Die hier angeführten Fälle und Erfolge sind nur ein kleiner 
Bruchtheil dessen, was ich bei Dr. Wetterstrand gesehen und be¬ 
obachtet habe; ausführlicher in die Sache einzugohen, als ich es 
ohnehin bereits gethan, gestatten mir Zeit und Raum nicht. So 
viel will ich noch erwähnen, daß Wetterstrand bei Tabes eine 
bedeutende Abnahme der lancinirenden Schmerzen und eine Besse¬ 
rung der Locomotionsfähigkeit erzielt hat. 

Ueber die Behandlung von Neurasthenie konnte ich nichts 
Genaueres erfahren. Ein Mädchen mit Cerebrasthenie ist gegenwärtig 
in seiner Behandlung und befindet sich auf dem Wege der Besserung. 

Auch über die Behandlung von hysterischen Lähmungen und 
Contraeturen kann ich nichts Genaues aussagen. Es sei Wetter¬ 
strand indessen gelungen, durch höchst bemerkenswerthe Experi¬ 
meute den Nachweis zu liefern, daß die Uebertragung der Charcot- 
schen „Hysterohypnose“ auf reiner Suggestion beruhe; daß sie mithin 
ein Suggestionsphänomen sei. Durch Berührung der Centren für die 
Motoren des Armes gelang es ihm, Krämpfe an der entgegen¬ 
gesetzten Seite auszulösen und die Katalepsie des linken Armes 
konnte auf den rechten übertragen werden. Alle diese Phänomene, 
wurden mit Prämeditation auf indirect suggestivem Wege erzielt, 
indem man den Kranken begreiflich machte, daß das Phänomen im 
Anzuge sei und kommen werde. 

(Schluß folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Bekanntlich wird die Quantität der Harnphosphate während 
der Schwangerschaft erhöht. Diese Erhöhung nimmt stetig und 
regelmäßig mit dem Fortschritte der Schwangerschaft zu. Büdd 
beschreibt nun in „Virginia medical monthly“ Veränderungen der 
Phosphate im Harn als diagnostisches Mittel der Schwanger¬ 
schaft. Während normaliter die Haruphosphate regelmäßige, durch¬ 
sichtige Krystalle bilden, zeigen dieselben zur Zeit der Schwanger¬ 
schaft Veränderungen, die so charakteristisch sind, daß sie die Dia¬ 
gnose der Schwangerschaft mehrere Wochen vor dem Auftreten jeder 
audercu Erscheinung ermöglichen. Die Krystalle verlieren allmälig 
ihre Haarbüschelform und zerfallen. Diese Veränderung beginnt an 
der Spitze des Krystalls und erreicht allmälig die Basis desselben.. 
Dieselbe tritt schon einige Tage nach der Conception auf und ver¬ 
liert sich vom 7. Monate angefangen, so daß gegen Ende der 
Schwangerschaft die Phosphate fast ihr normales Aussehen habon. 
Eine andere, in praktischer Beziehung sehr wichtige Thatsache ist 
die, daß, sobald der Fötus abstirbt, dio Phosphate ihro normalen 
Eigenschaften wieder erlangen. Büdd bat diese Veränderungen 
wiederholt klinisch geprüft und bestätigt gefunden. Folgende Be¬ 
obachtung ist von ganz besonderem Interesse: Eine mehr als; 
40jäbrigo, nie gravid gewesene Prostituirte gibt an, daß ihre letzte 
Menstruation, die vor 10 Tagen hätte eintreten sollen, ausgeblieben 
sei. Auf Gruud der Untersuchung der llarnphosphate diagnosticirte 
Büdd Schwangerschaft. Diese von der gravid bezeichneten Frau 
negirte, ja verhöhnte Diagnose bestätigte sich im Verlaufe der" 


nächsten Monate vollauf. Die klinische und gerichtlich-medicinische 
Bedeutung dieser Mittheilung bedarf keines weiteren Beweises und 
macht eine weitere Prüfung dieser Angaben sehr wünschenswert!]. 

— Immer mehr bricht sich die Ansicht Bahn, daß es nicht 
so sehr die Antisepsis, als vielmehr die Asepsis ist, die den Erfolg 
der chirurgischen Eingriffe sichert. So empfiehlt jüngst iu Nr. 19 
der „Deutsch, med. Wochenschr.“ Prof. Heinrich Fritsch das 
aseptische Operiren mit sterilisirter Kochsalzlösung. Die 
schwersten Myomenucleationen aus dem Beckenbindegewebe mit 
zurückbleibenden großen Höhlen, schwierige Laparotomien, einen 
Kaiserschnitt hat er allein mit sterilisirtem Wasser mit Glück 
vollendet. Alte Frauen über 60 Jahre, bei denen es sonst gewagt 
erschien, schwierige Laparotomien zu unternehmen, hat er in dieser 
Weise operirt. Denn der Eingriff verliert durch die fehlende Func 
tionsstörnng des Peritoneums die Hauptgefahr. Noch vor wenigen 
Tagen hat er eine Exstirpation der Adnexa, bei der beide Tuben 
aus unzähligen Adhäsionen herausgearbeitet werden mußten, bei welcher 
der Douglas als eine blutende, fetzige Höhle zurückblieb, nur mit 
sterilisirtem Wasser ohne Drainage vollendet. Nach diesen Resul¬ 
taten ist es unbedingt erlaubt und dringend geboten, bei allen Lapa¬ 
rotomien nur sterilisirtes Wasser in die Bauchhöhle zu bringen. 
Fritsch versetzt das sterilisirte Wasser vor der Sterilisation mit 
Kochsalz, so daß also eine O'Gproc. Lösung zur Spülung etc. ver¬ 
wendet wird. Man braucht nur einen Blick im Mikroskop auf eine 
frische Epithelzelle bei Wasserzusatz und bei Blutwasserzusatz zu 
werfen, um sich zu sagen, daß das unschädlichste — das physio¬ 
logisch gebotene — Reinigungsmittel der Wunde die 0 - 6proc. Koch¬ 
salzlösung sein muß. Während sonst eine Berieselung der Peritoneal¬ 
höhle mit Salicyl-, Carbol- oder Borlösung leicht Collaps oder doch 
Pulsbeschleunigung macht, hebt sich der Puls bei Collaps, wenn 
warme (bis 38 - 5°) Kochsalzlösung in die Bauchhöhle gelangt oder 
auch heiße Begießungen (43°) der Extremitäten vorgenommen werden. 
Fritsch räth von jetzt an bei allen Operationen nie (kalte) des- 
inficirende Lösungen, sondern nur sterilisirte, 0 - 6proc. Kochsalzlösung 
anzuwenden. Der Eingriff wird durch diese Methode geringer, die 
Schmerzen nach der Operation sind viel weniger quälend und die 
Patienten erholen sich auffallend schnell. Daß natürlich die Des- 
infection der Hände, Instrumente und äußeren Haut wie bisher ge¬ 
übt wurden muß, ist selbstverständlich. 

— Nun werden auch schon dem neuesten Nervinum toxische 
Wirkungen nachgerühmt. Zwei Mittheilungen wissen von Vergiftung 
mit Exalgin zu erzählen. Der erste Fall wird von Bokenham und 
Jones im „Brit. med. Journal“ vom 8. Februar mitgetheilt. Ein 
24jähriges Mädchen litt an Myelitis mit heftigen Schmerzen im 
Rücken und den Gliedmaßen. Dio Körpertemperatur war nicht erhöht. 
Sie erhielt 3mal im Tage 2 Grm. Exalgin (Methylaeetanilid), inner¬ 
halb 2 Tagen wurde aber bis 6 Grm. 3mal täglich gestiegen. Jetzt 
wurden Lippen und Wangen bläulich, Puls klein und weich; es 
entstanden Schwindelgefühl, Sehschwäche, nach kurzer Einathmung 
von Amylnitrit wuchs die Cyanose, Erbrechen stellte sich ein, des¬ 
gleichen Speichelfluß und Bewußtseinstrübung, die Füße waren weder 
bläulich, noch kalt. Unter subcutaner Application von Strychnin 
und innerlicher Verabreichung einer Digitalistinctur trat Genesung 
ein. — Der zweite Fall wird im „Brit. med. Journ.“ vom 3. Mai 
von G. Ainslie Johnston mitgetheilt. Ein 40—öOjähriger Arzt 
nahm wegen heftiger, schon seit Jahren andauernder Schmerzen in der 
Lenden- und Ileo-sacralgegend 1 Gm. (0 07) Exalgin um 9 l / 2 Uhr 
Vormittags und um IO 1 /* weitere 2 Grn. Kurz darauf bekam er 
heftigen Schwindel, Dyspnoe, Collaps, Prostration und war absolut 
unfähig, ein Wort zu sprechen. Nach etwa 1 / 2 Stunde trat g.eringe 
Besserung ein, worauf der Pat. in’s Bett gebracht wurde. Doch 
kaum war dies geschehen, behauptete der Kranke, in liegender 
Stellung nicht athmen zu können; er wurde daher in einen Lehn¬ 
stuhl gesetzt, woselbst er noch stärkere Athembeschwerden bekam, 
die sich zu einem asthmatischen Anfall steigerten. Die Respiration 
betrug 38 in der Minute. Das Gesicht war blaß und kalt. Dieser 
Zustand währte bis 1 Uhr, worauf der Krauke sehr schwach war 
und 1 Stunde an Dysurie litt. Die Nacht schlief Pat. gut, 
am anderen Morgen hatte er leichten Icterus. Bemerkenswerth in 
diesem Falle ist das Auftreten der Vergiftungserscheinungen schon 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


nach so geringer Dosis und die Aufeinanderfolge der 2 Anfälle 
entsprechend den 2 eingenommenen Dosen. Pat. hat nie an Asthma 
gelitten, nnr hatte er einen sehr empfindlichen und schwachen 
Magen. 

— Lovy berichtet in Nr. 20 der „Medecine mod.“ über die 
Resultate der Behandlung des Gesichtserysipels mit Zerstäubungen 
Von Subtimatäther. Die Behandlung besteht in Zerstäubung einer 
Lösung von 1 Th. Sublimat in 100 Th. Aether mit dem Richard- 
soN’schen Apparat. Die Flüssigkeit wird auf die ganze ergriffene 
Gegend und einige Centimeter Uber die Grenze des Erysipels gestäubt. 
Da die Lösung sehr caustisch wirkt, so muß die Zerstäubung sehr 
rasch vorgenommen werden: die Dauer schwankt je nach der Ent¬ 
fernung, aus der die Zerstäubung vorgenommen wird, und je nach 
der Schwere des Falles. Die Behandlung liefert um so bessere Re¬ 
sultate, je früher sie eingeleitet wird. Eine einzige, gut ausgeführte 
Zerstäubung genügt oft, um den Proceß vollständig zu coupiren. In 
einem der 14 beschriebenen Fälle fiel die Temperatur 12 Stunden 
nach einer einzigen Zerstäubung von 40 auf 37° und der Proceß 
wurde coupirt. Gewöhnlich müssen 2 Zerstäubungen täglich gemacht 
und bis zum Abfall der Temperatur fortgesetzt werden. Die Zer¬ 
stäubung erzeugt sofort etwas Schmerzen und ein leichtes Gefühl 
von Brennen, das 2—3 Stunden anbält. War die Zerstäubung sehr 
stark, so entsteht eine Phlyctäne, die aber ohne Zurücklassung einer 
Narbe heilt. Solche Blasen bilden sich aber nur im Gesichte, nie 
am Stamme und an den Extremitäten. Unter dieser Behandlung 
ergab sich eine durchschnittliche Dauer des Fiebers von 3 1 j 2 Tagen, 
während bei anderen Behandlungsmethoden die durchschnittliche 
Dauer des Fiebers 8 Tage beträgt. Sobald einmal das Erysipel dio 
Kopfhaut erreicht hat, ist von den Zerstäubungen nichts mehr zu 
erwarten, dieselben sind daher am besten einzustellen. 

— In einer der letzten Sitzungen der New-Yorker med. Ge¬ 
sellschaft stellte Fox einen geheilten Fall von Lepra vor. Ein 
auf den Sandwich-Inseln von amerikanischen Eltern geborener, 
hereditär nicht belasteter Mann wurde von Lepra befallen. Nach 
einigen Jahren wurden die Erscheinungen so heftig, daß Pat., um 
der Leproserie zu entgehen, nach New-York flüchtete. Er hatte 
damals deutliche Lepraflecken im Gesichte, am Rücken und an den 
Händen , anästhetische Plaques uud Difformitäten der Finger der 
rechten Rand, die den Gebrauch dieser Hand unmöglich machten. 
Die Diagnose der Lepra wurde überdies von sämmtlichen Mitgliedern 
der New-Yorker dermatologischen Gesellschaft, welcher der Pat. vor-' 
gestellt wurde, bestätigt. Eine 3monatliche Behandlung mit Nux 
vomica, anderen Tonicis und localer Anwendung von Cbrysarobin 
blieb erfolglos. Fox versuchte nun das Chaulmoograöl in Dosen 
von 15 Tropfen, allmäligauf 60 Tropfen täglich ansteigend. Schon nach 
6 Wochen zeigte sich eine merkliche Besserung, indem viele Flecken 
verschwanden und die Finger beweglicher wurden. Im September 
(die Behandlung wurde im Juni 1883 begonnen) waren die Flecken 
der Haut fast ganz geschwunden und es blieb nur noch eine Steifig¬ 
keit der Finger zurück. Ein Jahr später (September 1884) war 
keinerlei Veränderung mehr wahrzunehmen, doch empfaud der Kranke 
noch Ameisenlaufen in den Händen und der Nase. Ira October 1885 
bestand keine Spur mehr von der Krankheit. Das Chaulmoograöl 
wurde bis dahin fortgebraucht, und zwar bis zu einer Dosis von 
100 Tropfen täglich. Als nach einem Monate kein neues Symptom 
auftrat, wurde das Mittel ausgesetzt. Eine im Decewber 1889, also 
nach 4 Jahren, vorgenommene Untersuchung ergab, daß der Pat. 
ganz frei von Lepra war. Bei dem Umstande, daß ein so voll¬ 
ständiger spontaner Rückgang der Lepra nicht stattfindet, muß dem 
Chaulmoograöl die heilende Wirkung in diesem Falle zugesebrieben 
werden. Ob es sich um eine dauernde Heilung handelt, läßt sich 
nicht bestimmen; jedenfalls ist, wenn man es auch mit einer 
temporären Remission zu thuu hätte, die Wirkung eine höchst 
auffallende. 

— Arsenigsaures Kupfer bei acuten Erkrankungen des 
Darmes wird neuerdings von Prof. Hugo Schulz auf Grund einer 
Mittheilung von Aulde (Philadelphia) in Nr. 18 der „Deutsch, med. 
Woch.“ empfohlen. Die zweckmäßigste Art, es anzuwenden, besteht 
in Verabreichung kleiner, häufig wiederholter Dosen. Demgemäß 
beträgt z. B. für einen Fall von Cholera asiatica die Tagesdosis 


850 


0'0006, gelöst in 120‘0—180‘0 Wasser und zunächst alle 10 Minuten, 
dann stündlich oder, falls noch uothwendig, halbstündlich theelöffel- 
weise verabfolgt. Für die Fälle, bei denen Wasser nicht angezeigt 
ist, gibt Aüldk Tabletten, die */ 100 und selbst Vsoo Grm. enthalten. 
Den besten Erfolg liefert das Mittel in frischen Fällen, bevor die 
entzündlichen Vorgänge sich auf benachbarte Gebiete ausgedehnt 
haben. Im letzteren Falle empfiehlt es sich, gleichzeitig Opiate in 
kleinen Dosen zu geben. Es werden schwere Fälle von Cholera 
infantum, Dysenterie, Cholera asiatica mitgetheilt, in welchen das 
areenigsaure Kupfer eine geradezu coupirende Wirkung geübt hat. 
Nach Schulz hat man sich den Vorgang so zu erklären, daß eine 
organische Wirkung zu Stande kommt, d. h. daß die Lebensenergie 
des krankhaft afficirten Darmes durch die geringen Dosen des Mittels 
energisch angeregt und damit gegen das Krankheitsgift widerstands¬ 
fähiger gemacht wird. Intoxication ist bei den geringen in Frage 
kommendeu Dosen nicht zu befürchten. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zn Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Bericbt der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

. 

VI. 

H. Lenhartz (Leipzig): Ueber das Verhalten der linken Herz¬ 
kammer bei Mitralstenose. 

Vortragender ist durch mehrfache, über Jahre sich hinziehende 
Beobachtungen an Kranken mit klinisch reiner Mitralstenose zu 
einer von der bisherigen Darstellung abweichenden Auffassung über 
den Zustand des linken Ventrikels bei dieser Störung gelangt. Bisher 
ist klinischerseits für solche Fälle eine concentr. Atrophie der linken 
Kammer angenommen und werden diejenigen Fälle, in denen die¬ 
selbe sich nicht findet, als Ausnahmen aufgefaßt und anderweitige 
Störungen, wie Aortenfehler, gleichzeitige Mitral-Insufficienz u. b. f., 
als Ursachen des abweichenden Verhaltens beschuldigt. 

Nachdem Vortragender noch die von Friedreich, Traube 
und Gerhardt aufgestellten Hypothesen kurz erwähnt hatte, er¬ 
läutert er an einigen Beispielen, daß man auch für die complicirten 
Fälle eigentlich nur dann eine weite kräftige linke Kammer er¬ 
warten darf, wenn man überhaupt zugibt, daß auch bei 
hochgradiger Stenose durch die compensatorischen 
Vorrichtungen eine mittlere Füll ung des linkenVen- 
trikeU wohl möglich sei. 

5 weibliche Kranke, die Vortragender in seiner Poliklinik 
beobachtete, litten an klinisch zweifellos reiner Mitralstenose; 
gleichwohl waren sie im Stande, selbst schwere häusliche Arbeiten 
zu verrichten, legten den Weg zur Poliklinik zu Fuß zurück u. 8. f. 
Dies sollte man ihnen nicht Zutrauen dürfen, wenn in der That 
jedesmal eine concentr. Atrophie des linken Ventrikels bestände. 
Und in der That ergab die Autopsie, die dem Vortragenden bei 
einer seiner Kranken möglich war, daß trotz höchstgradiger, auch 
anatomisch reiner Stenose der linke Ventrikel normale Wandstärke 
darbot. 

Diese auch anatomisch gestützte Beobachtung veranlaßte den 
Vortragenden, von anderer Seite her die Frage zu beleuchten. Aus 
13 Jahren stellte der Vortragende aus den Listen des Leipziger 
pathologischen Instituts 75 und aus dem Hallenser 22 Fälle von 
Mitralstenose zusammen, unter denen 61, bezw. 16 Fälle als hoch¬ 
gradige zu bezeichnen siud, da das Ostium zwischen Federkiel- und 
Kleinfingerkuppe verengt war, die übrigen 20 als mäßige Stenosen 
anzii8prechen sind, da das Ostium noch für einen Finger durch¬ 
gängig geblieben. Nun zeigte sieb, daß bei nur 7 von 98 Fällen 
concentr. Atrophie gefunden ist; bei 2 war der linke Ventrikel 
„verhältnißmftßig klein“, sonst meist normal oder hypertrophisch, 
bezw. dilatirt. 

Als Complicationen bestanden Insuff. mitr., Aorteufehler, 
pericard. Verwachsungen u. s. f. Bei 34 Fällen war die Stenose 
so hochgradig, daß die „etwa“ bestehende Insuff. mitr. ohne jede 
Bedeutung war. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 21. 


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Absolut aieher war bei 11 von diesen die Insufficienz auszu¬ 
schließen nnd bei diesen anatomisch reinen Stenosen zeigte nur ein 
Fall 9 Mm., bei den übrigen fand sich meist 1—1*8 Cm. Wand¬ 
stärke. 

Aus diesen Betrachtungen zieht Vortragender den Schluß, daß 
die Compensations-Vorrichtungen auch für diesen Herzfehler günstiger 
sind, als bisher angenommen worden. Als wichtige Momente für 
die ausgiebige Füllung der linken Kammer erblickt Vortragender 
1. den mächtigen, vom hypertrophischen rechten Ventrikel bedingten 
Druck, 2. den Vorhofdruck, 3. die ansaugende Wirkung der 
linken Kammer, die nach den physiologischen Er¬ 
gebnissen sichergestellt ist. 

Einen weiteren Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung 
findet Vortragender in der oft überraschenden Wirkung der Digitalis, 
durch die wir künstlich wieder die frühere Compensation herstellen. 
Die Digitalis wirkt nicht nur auf den linken, sondern auch auf den 
rechten Ventrikel, der zweifellos oft der Ermüdung nahe ist und 
sich nicht mehr, wie dies doch physiologisch verlangt werden muß, 
maximal zusammenzieht. 

Außer dieser maximalen Contraction der beiden Ventrikel ist 
fraglos auch die Verlängerung der Diastole von Bedeutung, die 
ebenfalls als Folge der Digitaliswirkung zu beobachten ist, so daß 
auch nach dieser Richtung die Verhältnisse der klinisch wohl com- 
pensirten Stenose wieder hergestellt sind. 

Vortragender demonstrirt alsdann ein Herz, bei dem trotz 
höchstgradiger, schlitzförmiger, auch anatomisch reiner Mitralstenose 
der linke Ventrikel bei mindestens normaler Weite kräftige Wandung 
darbot. 

Jacob (Cudowa): Blutdruck und BlutgröBe im lauen, beziehungs¬ 
weise kohlensauren Bade und dessen Bedeutung fur’s Herz. 

Die Blutumlaufszeit kann bekanntlich nur auf vivisectorischem 
Wege bestimmt werden. Am Menschen dient uns die Geschwindigkeit 
des Blutes einer Arterie als Maß für die Geschwindigkeit des Blut¬ 
umlaufs. Wir suchen die der Arterie am Menschen auf 2 Wegen 
zu bestimmen, durch sphygmometrische Messung der Fortpflanzungs¬ 
geschwindigkeit der Pulswelle und durch das auf die unverletzte 
Arterie applicirte Manometer. Eine größere Zahl von Beobachtungen 
lehrt uns den mittleren Druck oder die mittlere Fortpflanzungs¬ 
geschwindigkeit der Pulsweile und deren Variationen kennen unter 
der Voraussetzung, daß das Lumen der Arterie dasselbe bleibt. Da 
dies aber oft nicht zutrifft, so wäre gleichzeitig die Messung des 
Lumens erforderlich. Auch hier Bind wir gezwungen, an Stelle des 
absoluten ein proportionales Maß zu setzen, d. i. die Größe der 
Pulswelle. Durch diese Werthbestimmung erhalten wir erst Auf¬ 
schluß über die Bedeutung der anderen beiden Größen, welche von 
dem Verhalten des Lumens, abgesehen von der Triebkraft des 
Herzens, sehr abhängig siud, bezw. zu ihm in umgekehrtem Ver¬ 
hältnisse stehen. 

Mit dem Sphygmomeler vermag ein geschickter Beobachter 
grobe Variationen des Lumens zu bestimmen, aber nicht feinere. 
Es fehlt an einer Scala zur Ablesung der Größo der Hebelausschläge 
des Sphygmometers. Auch steigt und fällt nach den Beobachtungen 
des Vortragenden mit dem Druck in der Arterie auch derjenige 
Druck, mit welchem die Pelotte auf die Arterie wirken muß, um 
die maximale Pulswelle jedesmal darzustellen. Diesen Druckschwan¬ 
kungen vermag das Sphygmomctcr nicht zu folgen. 

Es ließ sich nur das Manometer von Basch als geeignet zu 
beiden Zwecken ermitteln. Im Süßwasser von 29° R. wurde der 
Druck erniedrigt und die Pulswelle vergrößert gefunden. Das Re¬ 
sultat der Messung war nicht so genau, um mit Sicherheit ein 
Ueberwiegen des einen oder anderen Factors festzustellen und daraus 
auf die Geschwindigkeit einen sicheren Schluß zu ziehen. Es mußte 
auf die ältere vom Vortragenden herrühreude Beobachtung zurück¬ 
gegriffen werden, welche er mit der Bestimmung der Temperatur 
der Haut und des Innern gemacht hatto. Er hatte damit eine Be¬ 
schleunigung der Circulation gefunden, indem die Temperatur der 
Haut sich erhöhte unter gleichzeitigem Absinken der Innen¬ 
temperatur. 

Im kohlensauren Bade von 29" wurde Anfangs der Druck 
bald erhöht, bald erniedrigt gefunden. Es stellte sich bei einer 


größeren Zahl von Beobachtungen heraus (15 in 30 Minuten), daß 
ein fortwährender Wechsel in dem Contractionszustande der Gefäße 
und damit des Blutdruckes stattfand. Dasselbe Spiel der Vasomotoren 
findet sich auch im Süßwasser, nur weniger ausgeprägt. Die Be¬ 
rechnung der Mittelzahlen ergab, wie schon erwähnt, im Süßwasser 
Erniedrigung des Druckes und Erhöhung der Pulswelle, im köhlen- 
sauren Bade Erhöhung des Druckes und Erhöhnng der Pulswelle, 
also eine starke Beschleunigung des Blutlaufes, welche ohne erheb¬ 
lich erhöhte Leistung des Herzens, trotz verminderter Widerstände, 
nicht denkbar ist, während im Süßwasser die Vergrößerung der 
Herzsystole nur dann sicher ist, wenn die Zahl der Pulsschläge 
verringert wurde unter der gleichzeitig vorhandenen Beschleunigung 
des Blutlaufes. 

Nach beiden Bäderarten war auf 30 Minuten der Drück in 
gleicher Weise erhöht, die Pulswelle vergrößert; in den späteren 
Stunden unter gleichzeitiger Erhöhung der Pulswelle der Druck 
nicht gesunken, also die Leistung des Herzens gestiegen. 

Vortragender erinnert daran, daß er 1870, entgegen den 
herrschenden Anschauungen, welche im Baden eine große Gefahr 
für den Herzkranken sah, die Bäder als Heilmittel für Herzkranke 
empfahl unter Mittheiiung von beweisenden Krankengeschichten und 
unter Angabe guter physiologischer Gründe. Er sieht durch seine 
heutigen Mittheilungen die Balneotherapie des Herzkranken aus dem 
Bereiche der Mystik in das Licht physiologischer Thatsaehen 
gerückt. 

Er ermahnt dazu, sich so lange als möglieh der diätetischen 
Heilmethoden zu bedienen und die Digitalis nur in der acuten Hera- 
schwäche als Nothanker anzuwonden. 

Es ist somit das kohlen saure Bad dem Süßwasser überlegen 
in Anregung der Herzkraft, und die kohlensäurereichsten Bäder, die 
Stahlbäder, behaupten den Vorrang vor den anderen. 

Cantani (Neapel): Ueber Darm-Antisepsis. 

Die Unschädlichmachung der lebenden Krankheitserreger im 
Darme kann auf doppeltem Wege versucht werden, und zwar 
per 08 oder per anum. Auf dem ersteren Wege sind nur solche 
Mittel angezeigt, welche unverändert den Magen passiren und in die 
kranke Darmschlinge gelangen. Das zu diesem Behufe empfohlene 
Calomel hat sich zwar bei einfachen Gährungsprocessen als nützlich, 
bei langer Infection aber als unpraktisch erwiesen. Bouchakd hat 
bei Typhus große Mengen (bis zu 100 Grm. täglich) von feinem 
Kohlenpulver, ferner Naphtalin, Jodoform, salicylsaures Wismuth 
empfohlen. 

Diese Stoffe üben zwar eine gewisse antiseptische Wirkung auf den 
Darminhalt aus, auf die Darmwand selbst aber sind sie, weil unlöslich, 
ohne Einfluß, und in der That läßt sich ein entschiedener Einfluß 
auf don Verlauf des Typhus von diesen Mitteln in der Praxis nicht 
constatiren. Es ist klar, daß flüssige und der Darmresorption zu¬ 
gängliche oder im Darm veränderliche Desinfectionsmittel, wie 
Carbolsäure, Sublimat etc., per ob gegeben, nie den Zweck einer 
ausgiebigen Darmantisepsis erfüllen könLen, denn abgesehen von 
der Kleinheit der Dosis der für den Menschen selbst giftigen Mittel, 
werden die einen größtenteils schon im Magen resorbirt, die 
anderen langen in der übrig gebliebenen Menge so verändert in 
den zu desinficirenden Darmschlingen an, daß sie auf dem langen 
zurückgelegten Wege ihre antiseptische Wirkung mehr oder weniger 
ganz eingebüßt haben. 

Es bleibt also nur der Weg per anum offen, der in der That 
der beste ist, um antiseptische Mittel direct mit den Krankheits¬ 
erregern in Contact zu bringen. Daß die mit der Enteroklyse oder 
hohen Darminfusion einströmende Flüssigkeit die BäUHiifi’sche 
Klappe passirt und wirklich iu die höchst gelegenen Schlingen des 
Dünndarms eindringt, ist experimentell wiederholt erwiesen. Die Vor¬ 
teile dieser Methode sind, daß der mechanische Reiz, den jedes Pulver 
erzeugt, entfällt, daß ferner dem Magen jede mechanische oder 
chemische Einwirkung erspart wird, daß der Contact des Mittels mit 
der erkrankten Darmpartie ein directer ist und daß größere Dosen 
gesättigter Lösungen als durch den Magen eiugeführt werden 
können. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind ferner noch 
einige Nebenwirkungen dieser Methoden. So wird durch kalte 
Flüssigkeit die Temperatur herabgesetzt, durch heiße, wie bei Cholera, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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der erkaltende Körper erwärmt und erregt, der Darm wird ausge¬ 
waschen und eine Menge von Bacterien und Ptomainen mechanisch 
entfernt. 

Was nun die Stoffe betrifft, die zur Darmantisepsis angewandt 
werden, so steht allen voran die Gerbsäure und die Carbolsäure. 
Das Sublimat hat wegen der im Darm stattfindenden Verbindung 
mit Eiweiß gar keine desinficirende Wirkung. Die Gerbsäure ent¬ 
spricht der doppelten Indication einer rationellen Darmantisepsis, die 
vegetative Thätigkeit der Bacterien zu lähmen und die gebildeten 
ptomalnisehen Gifte unschädlich zu machen. Diese zwei experimentell 
erwiesenen Thatsachen bestätigen sich auch am Krankenbett. Es 
gibt kein besseres Mittel, als die gerbsaure Enteroklyse gegen die 
verschiedenen von Bacterien herrührenden, mit G ährungen einher¬ 
gehenden Darmcatarrhe, wo die Gerbsäure theils antiseptisch, theils 
adstringirend wirkt, ebenso ist dieselbe ein vorzügliches Mittel 
gegen die wahre specifische Dysenterie; hier wird oft der Zuaatz 
von Gummi arabicum erwünscht sein, wenn der Darm zu gereizt 
ist, und in den Fällen großer Schmerzhaftigkeit ist die Enteroklyse 
von 1—l 1 /, L. Oels vorzuziehen , die zuweilen auch mit der Gerb¬ 
säure mit Erfolg abgewechselt werden kann. Auch beim Abdominal¬ 
typhus ist die Enteroklyse ein hochschätzbares Mittel, der Meteoris¬ 
mus und die Diarrhoe nehmen rasch ab und die ganze Krankheit 
nimmt einen günstigen Verlauf. Im allerersten Anfang dieser Krank¬ 
heit scheint es sogar möglich, mit der Gerbsäure-Enteroklyse einen 
abortiven Einfluß auf die beginnende Typhusinfection im Darm aus- 
zvttbes. Beim Typhus bat C. in einigen Fällen auch von der Salz¬ 
säure-, in mehreren anderen besonders von der Gerbsäure-Enteroklyse 
(in der Dose von 10—50 Grm. reiner Carbolsäure in 2 Liter kalten 
Wassers mit Zusatz von 1 Grm. salzsauren Chinins) abortiven Ein¬ 
fluß auf beginnende Typhusinfection gesehen. S. 

Neunzehnter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalte* za Berlin vom 9.—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VI. 

i. Israel und Max Wolff (Berlin): Gelungene Züchtung des 
Strahlenpilzes außerhalb des tbierischen Organismus und 
Uebertragung seiner Reinculturen auf Thiere (mit Demon¬ 
stration). 

Von einer retromaxillären Actinomycose einer Patientin wurden 
die mohnsamenartigen Körnchen auf Agar und rohe Hühnereier 
übertragen. Die Culturen wurden bei Körpertemperatur mit posi¬ 
tivem Erfolg bebrütet. Auf der Agaroberfläche entwickelte sich eine 
weiße filzige Masse, welche sich mikroskopisch aus kurzen, am 
Ende etwas angeschwolleuen und abgerundeten Stäbchen zusammen¬ 
gesetzt darstellte. Beim Hühnerei kam es zur Bildung eines Mycels, 
welches aus in einander gefilzten Fäden bestand. Es ließ sich die 
eine Form beliebig in die andere überführen. In die Bauchhöhle 
von Kaninchen gebracht, riefen beide Formen echte Actinomycose 
hervor. Die Actinomyces sind zu den polymorphen Spaltpilzen 
zu rechnen. Bei 9 mit der 3.—5. Generation des Pilzes geimpften 
Kaninchen entwickelten sich in der Bauchhöhle Stecknadelkopf- bis 
pflaumengroße Tumoren mit gelblichen Einsprengungen. 

Lauenstem (Hamburg): lieber die Mac Ewen’eche Radical 
Operation der Hernien. 

Mit der Mac EwEN’schen Methode der Bruchoperation, welche 
im Wesentlichen in der Hineinziehung des Bruchsackes durch den 
Leistencaoal und Placirung hinter dem inneren Leistenring besteht, 
hat Ladenstein vorzügliche Resultate erzielt. Mac Ewen selbst 
hat bei circa 100 Operationen niemals irgend welche üble Folgen 
der Operation beobachtet 

König (Göttingen) : Eine Demonstration zur Klumpfußbehandiung. 

Die Bestrebungen, Klumpfüße auf operativem Wege zur 
Heilung zu bringen, haben entschieden Fiasco gemacht und man 
ist wieder zur orthopädischen Behandlung zurückgekehrt, zu deren 


Popularisirung namentlich Julius Wolff beigetragen hat. Die 
Heilung der Klumpfüße erreicht König anf sehr einfache Weise 
dnreh das Redressement. Nach vorhergegangener Durchschneidung 
der Achillessehne und der Plantaraponeurose wird der Klumpfuß des 
narcotisirten Kindes mit seiner größten Prominenz auf die Kaute 
eines hölzernen Prismas gelegt, während zu beiden Seiten des 
Stutzpunktes die eine Hand den Vorderfuß, die andere Unterschenkel, 
Tains und Fersenbein umgreifen. Alsdann lehnt steh der Operateur 
mit seiner ganzen Körperschwere so lange auf seine Hände, bis ein 
deutlich vernehmbares Krachen eintritt. Hierauf wird die Dorsal¬ 
flexion des Fußes erzwungen. In der Regel hat man 2—3 Sitzungen 
zur Beseitigung jedes Widerstandes nötbig. Unter Verzieht auf 
einen Gypsverband wird der Fuß in der errungenen Stellung mit 
Baumwolle und einer appretirten Binde umwickelt; schon frühzeitig 
läßt man Bewegungen und Gehversuche anstellen. 

Im letzten Jahrzehnt bat Redner keinen Klumpfuß behandelt, 
welcher auf die Dauer dieser Methode widerstanden hätte. 
Rosenberger (Würzburg): Traumatische Aphasie mit Amimie. 

Der vorgestellte 6jährige Knabe hatte Ende vorigen Jahres 
durch einen Hufschlag eine Verletzung des linken Seitenwandbeius 
erlitten , in Folge deren er nicht im Stande war zu sprechen oder 
sich mimisch verständlich zu machen. Im Uebrigen war das All¬ 
gemeinbefinden nicht gestört. Trepanation ; Entfernung verschiedener 
Schädelstücke; vollständige Heilung. 

Hans Schmid (Stettin): Fall von geheiltem Hirnabsceß. 

Der Pat. ist 6 Wochen nachdem er einen Schlag auf den 
Kopf erhalten hatte, von epileptischen Krämpfen befallen worden, 
welche in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrten. Trepa¬ 
nation in der Größe eines Markstückes. Die in die Tiefe gehende 
Fistel führte auf einen großen Absceß, welcher 4—5 Eßlöffel fettigen 
Eiters enthielt. Günstiger Verlauf, völlige Heilung mit dauernder 
Beseitigung der epileptischen Anfälle. 

v. Büngner (Marburg): Ueber Intra partum entstandene Unter- 
schenkelfracturen. 

Intra partum kommen Unterschenkelfracturen in der Weise zu 
Stande, daß bei forcirter Extraction an den Füßen die Tibia und 
Fibula in der unteren Hälfte brechen. In Folge dieses Biegungs- 
bruches kommt es allmälig zur Verkürzong und Pseudarthrosen- 
bildung. In Bezug auf die Operation empfiehlt Redner die einfache 
oder quere Keilosteotomie mit Verzicht auf Naht, auf prima intentio 
und Gypsverband. 

Schuchardt (Stettin): Zur Pathologie und Therapie der Peri¬ 
typhlitis. 

In 3 von 9 Fällen von Perityphlitis hat Redner operativ ein¬ 
gegriffen. In dem einen Falle bestaud die Erkrankung 3 Wochen, 
in den beiden anderen einige Tage. Nach Entleerung des vor¬ 
handenen Abscesses trat jedesmal Heilung ein. Die Perityphlitis 
ist nach Redners Ansicht nicht immer durch einen Kothstein und 
durch Perforation des Processus vermiformis bedingt, sondern zu¬ 
weilen auch auf Phlegmone des retrocoecalen Gewebes zurück¬ 
zuführen. Nur durch frühzeitige Operation ist eine gegründete Aus¬ 
sicht auf Heilung des Processes zu erwarten. 

Kümmell (Hamburg): Zur Radicalbehandlung der Perityphlitis 
durch frühzeitige Resection des Proc. vermiformis. 

Die demon8trirteu Präparate sind durch Resection des Proc. 
vermiformis bei chronisch recidivirenden Formen von Perityphlitis 
gewonnen. Aus den Krankengeschichten ergibt sich in einem Falle 
eine 6malige Wiederkehr der Erkrankung innerhalb weniger Jahre, 
in einem anderen Falle eine 15jährige Leidensgeschichte. Die früh¬ 
zeitige Resection des Proc. vermiformis in Fällen, welche wieder¬ 
holt Neigung zu Recidiven zeigen, wird letztere sofort beseitigen. 
Helferich (Greifswald): lieber die Ausführung der Herniotomie 
bei der Gangrän verdächtigem Darm. 

In Fällen von gangränösem Darm, in denen man die Grenze 
der Gangrän noch nicht genau übersehen kann, pflegt man bisher 
nach genügender Erweiterung der Bruchpforte den Darm noch 
weiter herauszuziehen und einfach liegen zu lassen. Dem gegenüber 
räth Helferich, in mindestens handbreiter Entfernung von der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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letzten gefährdeten Stelle eine Enteroanastomose zwischen 
dem zuführenden und abführenden Schenkel des Darms anzulegen. 
Bei wirklich eintretender Gangrän kann man die erkrankte, an der 
Bruchpforte liegende Darmschlinge einfach wegschneiden und die 
Fistel zum Verschluß bringen. Die Anastomose muß groß angelegt 
und durch eine doppelseitige Naht jederseits vernäht werden. Bei 
einer 54jährigen Patientin mit bedrohlichen Incarcerationserschei- 
nungen hat Redner mit diesem Verfahren Heilung erzielt. 

Discussion: Rehn (Frankfurt a. M.): Die gegen eine pri- 
‘ märe Darmresection sprechenden Gründe lassen sich in gleicher 
Weise auch gegen die Enteroanastomose anführen. 

Riedel (Jena) empfiehlt wegen der häufigen Recidive das 
DüPUYTEEN’sche Verfahren mit der Klammer; die Resection da¬ 
gegen ist nur in denjenigen Fällen indicirt, in welchen die Oeffnung 
im Darm sich innerhalb der drei ersten Meter desselben unterhalb 
des Magens befindet. —r. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 23. Mai 1890. 

Vorsitzender: Dir. Dr. Ullmann. — Schriftführer: Doc. Dr. 
Hochstettee. 

Prof. KAPOSI Stellt eine 22jährige, früher stets gesunde, 
hereditär nicht belastete Wärterin des allgemeinen Krankenhauses 
vor, die auf seine Klinik mit folgenden Erscheinungen kam: Ueber 
dem Rücken der rechten Hand befand sich eine braune Pigment¬ 
fläche ; ähnliche Pigmentflecke fanden sich über dem Handwurzel¬ 
gelenke, an der Rückenfläche des Mittelfingers. Ueber der Mitte 
des Vorderarmes waren in der Ausdehnung einer Handfläche die Haut 
geröthet und noch größere, unregelmäßig geformte Blasen mit 
klarem, serösem Inhalte vorhanden. Die Pat. gibt an, vor 4 Wochen 
sich einen eisernen Nagel in’s Nagelbett des rechten Mittelfingers ein- 
gestossen zu haben. Nach einigen Tagen erschien auf der Rückenfläche 
des Mittelfingers eine Blase, einige Tage später traten ähnliche Blasen¬ 
eruptionen am Handrücken und Vorderarm auf. Das Fehlen des 
eczematösen Charakters ließ eine Jodoformwirkung, jenes einer ent¬ 
zündlichen Lymphangoitis eine Infection ausschließen. Es blieb daher 
keine andere Annahme übrig, als die einer Art neuritiseben Er¬ 
regung. In Intervallen von einigen Tagen erschienen an der inneren 
und äußeren Oberarmfläche, an den Schultern, am Nacken solche 
Blasen, deren Entstehung genau verfolgt werden konnte: 'Zunächst 
trat ein schmerzhaftes Brennen auf, objectiv war nichts nachweisbar; 
nach wenigen Stunden war bereits die Haut rosenroth gefärbt, an 
den Rändern etwas erhaben und nach einigen Stunden waren Blasen 
vorhanden. Nachdem dies etwa 8—14 Tage so fortgegangen, traten 
unter Fieber und Schlaflosigkeit solche Blaseneruptionen auf der 
linken Halshälfte auf, die sich dann auf der linken Körperhälfte 
(Hals, Wange, Arm, Brust, Sprunggelenko) verbreiteten. Der weitere 
Verlauf der Blasen war ein normaler; sie platzten, das Serum 
entleerte sich, es bildeten sich Borken und schließlich erfolgte 
Ueberhäutung ohne Narbenbildung. Nach mehrwöchentlichen Pausen 
erfolgte, zuweilen nach einem Nadelstich, neuerdings Blasenbildung. 
Die bacteriologische Untersuchung des Inhaltes dieser Blasen ergab 
ein negatives Resultat. Das Zustandekommen der Blasen erklärt 
Kaposi dadurch, daß von der peripheren mechanischen Erregung 
e'me centripetal fortschreitende Erregung der Nerven stattfindet, die 
sich auf die vasomotorischen Centren des Rückenmarkes fortpflanzt 
und die Vasomotoren so anregt, daß Exsudation und Blasenbildung 
entsteht. 

Prof. HofMOKL Stellt 2 Fälle von Hernien vor. Der eine 
betrifft einen Mann, der seit 14 Jahren an beiderseitigen freien 
Hernien leidet, von denen die eine faust-, die andere kindskopfgroß 
war. Hofmokl führte die Radicaloperation beider Hernien in einer 
Sitzung aus. Durch Unterbindung des Bruchsackes knapp am Halse 
und Excision desselben gelingt es, eine feste und resistente Narbe 
zu bilden. Der Patient, der eine herniöse Prädisposition hat, 
wird ein Bruchband tragen müssen. Der zweite Fall betrifft eine 


48jährige Frau, die seit 14 Jahren an einer immensen Cruralhernie 
litt, die sich plötzlich incarcerirte. Bet der Operation fand sich ein 
zweikämmeriger Bruchsack; durch die gemeinschaftliche Bruchpforte 
traten die Därme heraus; in der äußeren Kammer befand sich das 
Colon ascendens mit dem kleinen Mesenterium, Coecnra und Processus 
vermiformis an den Bruchsack angewachseu, sowie ein Theil des 
Dünndarmes, in der zweiten Kammer eine Menge Dünndarmschlingen. 
Die Reposition gelang nur schwer, da der Bauchraum für die Därme 
zu eng war, es mußte ein Theil des Bruchsackes zur Deckung 
der Hernie verwendet werden. Die Wunde heilte theilweise per 
secundam, die Kranke ist jetzt genesen. 

Dr. Kört machte vor geraumer Zeit bei einem 6jährigen 
Kinde, das im Verlaufe des Keuchhustens von schweren Convul- 
sionen befallen wurde, die Entdeckung, daß man im Stande ist, von 
der Bindehaut des Auges, sowie von der Nasenschleimhaut aus, also 
durch Reizung des Trigeminus, hemmend auf den N. laryng. recurr. 
zu wirken. Von dieser Erscheinung machte Redner eine therapeutische 
Verwerthnng zunächst beim Spasmus glottidis und hat bis 
heute eine Reihe von Fällen mit auffallend überraschendem Erfolge 
behandelt. Zu dem Behufe ließ Küet den an Sp. gl. leidenden 
Kindern bei Beginn eines Anfalles und auch außerhalb desselben 
das Bartende einer Kielfeder, welche zur Erhöhung der Wirkung 
in eine Chininlösung eingetaucht worden war, in die Nase ein¬ 
führen, wodurch constant jeder Anfall nahezu momentan coupirt wurde. 

Dieses Verfahren hatte auch einen curativen Erfolg, indem 
uahezu durchwegs auf ein- oder mehrmalige Anwendung der Spasmus 
überhaupt erlosch. Redner stellt ein 8 Monate altes Kind vor, das 
er erst seit 4 Tagen in Behandlung hat. Dasselbe litt an Laryngo- 
spasmus seit dem 2. Lebensmonat; in den letzten 14 Tagen traten 
8 —10 schwere Anfälle täglich auf; auf einen 2maligen „Nasen¬ 
kitzel“ schwanden die Anfälle gänzlich. Seit 3 Tagen hat die Mutter 
keinen mehr beobachtet. 

Prof. Weinlechner : Chirurgische Demonstrationen. 

W. zeigt das Präparat einer in Psendarthrose geheilten 
Humeru8fractur mit consecutiver Radialislähmung, welche letztere 
nach Heilung der Pseudarthrose verschwand. 

In einem zweiten ähnlichen Falle suchte W. die Pseudar¬ 
throse, die verschiedenen Behandlungen widerstand, dadurch zur 
Heilung zu bringen, daß er Elfenbeinstifte schräg in die Knochen¬ 
enden einschlug und in die Markhöhle einen 5 Cm. langen Stift 
einführte, um eine centrale festere Stütze zu schaffen. Der Knochen¬ 
bruch consolidirte, das centrale Elfenbeinstück wurde aber nicht 
resorbirt, sondern mußte getheilt und entfernt werden. Um 
die Radialislähmung zur Heilung zu bringen, suchte W. die beiden 
Enden des Nerven auf, konnte aber nur das periphere, 
nicht auch das centrale auffinden. Er implantirte daher den Nervus 
cutaneus externus in das periphere Radialisende. Der Ausfall der 
Sensibilität war ein minimaler, von der Motilität ging nichts ver¬ 
loren. Obwohl das Resultat in diesem Falle kein günstiges war, 
hält W. dennoch dieses Verfahren für besser, als die Ueberpflanzung 
eines fremden Nervenstückes. 

Schließlich berichtet W. über einen Fall von Zoten krebs 
der Blase, bei dem er nach vorausgeschicktem hohen Blasen¬ 
schnitt 8ämmtlicbe in der Blase befindlichen Papillome excidirt, eaute- 
risirt, abgebunden hat. Pat. ging nach 32 Tagen an Pyämie zu 
Grunde. Die Section zeigte, daß die Geschwülste gründlich entfernt 
waren. Vielleicht würde das Resultat ein besseres gewesen sein, 
wenn man den Kranken früher operirt und den Perinealschnitt 
vorausgeschickt hätte, um von hier aus den Harn abzuleiten. 

Dr. V. Gerlach: (Wiesbaden): Lysol, ein neues Desinfectionsmittel. 

Bringt man in geschlossenem Gefäße entsprechende Mengen 
eines Alkali mit irgend einem Fette, Fettsäure, Harz oder Harz¬ 
säure und Theeröleu zusammen und kocht man einige Stunden am 
Rückflußkühler mit oder ohne Alkoholzusatz, so entsteht eine Masse, 
die nach dem Abkühlen die Fähigkeit hat, sich im Wasser in jedem 
beliebigen Verhältnisse vollkommen klar zu lösen. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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Dabei kann man beliebige Mengen der höheren Phenole in das 
Präparat bringen. Auch die Consistenz kann man von der einer 
Flüssigkeit bis zn der einer Schmierseife variiren. 

Die bacteriologische Wirksamkeit dieses, Lysol benannten 
Körpers ergebt aus folgenden Vergleichstabellen: 

Milzbrandsporen. 

5°/ 0 Carbolsfture, abgetödtet nach .... 10 Tagen 
5°/ 0 Carbolschwefelsänre, abgetödtet nach . . 8 „ 

5°/ 0 Creolin, abgetödtet nach.10 „ 

5°/ 0 Lysol, abgetödtet nach.5 „ 

Staphylococcns pyogenes aureus. 

2°/o Carbolsäure, abgetödtet in.50 Minuten 

2% Carbolschwefelsäure, abgetödtet in. . . 20 „ 

0 ‘b°l 0 Creolin, nicht getödtet in .... 1 Stunde 

0-25% Lysol, abgetödtet in.5 Minuten 

Ein ähnliches Verhältniß zeigt auch der Erysipelcoccus. Was 
die Giftigkeit des Lysols betrifft, so ist Gerlach der Ansicht, 
daß es ein ungiftiges Antisepticum nicht gibt. Die von einem Anti- 
septicum gewünschte Wirkung auf das Protoplasma einzelliger 
Organismen wird ohne Zweifel auch das Protoplasma vielzelliger 
Organismen zu schädigen im Stande sein. Es kann sich daher nur 
darum handeln, ob das Lysol sehr oder nur wenig giftig ist. 

Diesbezügliche Versuche zeigten nun, daß man Kaninchen 
während 14 Tagen täglich 2 Grm. reinen Lysols subcutan injiciren 
darf, ohne den Tod des ThiereS herbeizuführen. 

Auf die Frage v. Dittbl’s, ob das Lysol schon am Lebenden 
angewandt wurde und wie es auf Wunden wirke, bemerkt 
Dr. Gerlach, daß das Mittel in Wiesbaden bei Operationen,-zu 
Scheiden- und Uterusaasspülungen, sowie iu der Dermatotherapie 
mit Erfolg angewandt wurde. Es reizt die Wunden nicht, in 1—2proc. 
Lösung erzeugt es auf Schleimhäuten ein leichtes Brennen, das bald 
vergeht. Eine 0‘3proc. Lösung genügt, um alle bei der Wund¬ 
behandlung in Frage kommenden Mikroorganismen in 20—30 Secunden 
zu tödten. In 3proc. Lösung hat es die Eigenschaft einer Seife; es 
schäumt und läßt sich daher mit Vortheil zur Desinfection der Hände 
benutzen. 

Prof. L. Maüthnejb bemerkt r daß es wohl ein ungiftiges 
Desinfectionsmittel gibt, nämlich das von Stilling empfohlene, aus 
Anilinfarben dargestellte Pyoktanin. Untersuchungen, die Matjthner 
mit dieser Substanz bei Corneageschwüren, Iritis, Chorioiditis dissemi¬ 
nata (Affectionen, bei welchen das Pyoktanin nach Stilling geradezu 
wunderbar wirken soll) angestellt hat, haben ein absolut negatives 
Resultat ergeben. S. 

Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 12. Mai 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: Docent 
Dr. Fürst. 

OOC. Dr. L.AKER demonstrirt einen von ihm einem Patienten 
extrahirten Hammer mit cariösem Kopfe, ferner einen 
17jährigen jungen Mann mit einer Stenosis art. pulm. Patient 
bat eine Hypertrophie des rechten Herzens, ein weit ausgebreitetes 
Schwirren in der Gegend des zweiten linken Intercostalraumes und 
ein systolisches Geräusch an dieser Stelle. Beschwerden macht ihm 
dieses Vitium keine und hatte ihm auch niemals welche gemacht. 
Es scheint, daß der Zustand angeboren ist. 

Dr. Werdnir : Ueber juvenile Muskelatrophie. 

Vortragender bespricht die verschiedenen Formen der Muskel¬ 
atrophie, welche entweder angeboren sind oder auf entzündlichen 
Veränderungen im Rückenmarke beruhen, oder Inactivitätsatrophien 
sind. Es bleibt dann noch eine Gruppe übrig, das sind die pro¬ 
gressiven , bilateral - symmetrischen Formen, von denen es ver¬ 
schiedene Typen gibt. Die Erkrankung beginnt hier stets bilateral. 
Hieher gehört die Pseudohypertrophie, die EBß’sche Form der juve¬ 
nilen Muskelhypertrophie und der von Landouzy aufgestellte Typus. 

In dem Falle des Vortragenden handelte es sich um ein Kind, 
welches bis zum 10. Monate gesund gewesen sein soll. Die Er¬ 
krankung begann ohne Veranlassung mit allmälig eintretender und 


fortschreitender Schwäche in den unteren Extremitäten. Lues in 
der Familie nicht vorhanden. 

Später trat Abmagerung und Befallenwerden der oberen 
Extremitäten ein. Die Untersuchung, 14 Tage vor dem Tode des 
Kindes, welches einer Lungenentzündung erlegen war, ergab: Einen 
mäßigen Hydrocephalus, Fehlen von Bulbärsymptomen, schwache 
Wirbelsäule, abgemagerte Musculatur, die Extremitäten können bis 
auf geringe Bewegungen in den Fingern und den Zehen nicht bewegt 
werden, leichte Adduction und Abduction der Beine ist auch noch 
möglich. Das Fettpolster ist vermehrt. Patellarreflex fehlt. Bauch¬ 
decken- und Cremasterreflex ist vorhanden. Sensibilität nicht gestört. 
Herabgesetzte Erregbarkeit bei elektrischer Untersuchung. Die 
Autopsie ergab: Atrophie der Musculatur und erweiterte Hohlräume 
um die Gefäße des Rückenmarkes. Mikroskopisch fand sich eine 
durch das ganze Rückenmark reichende Atrophie der Vorderhorn¬ 
zellen des Rückenmarkes in allen Stadien der Entwicklung. Ferner 
zeigten die centralen Partien der Seitenstränge des Rückenmarkes 
eine Vermehrung der Neuroglia, Myelinkugeln und Armuth an 
Nervenelementen. Die Gefäße waren normal, die perivasculären Räume 
weit ausgedehnt (Härtungssymptom?). Außerdem war die Rinden¬ 
schichte des Rückenmarkes vermehrt, sonst Alles intact. 

Die Untersuchung des Muse, gastroen. zeigte einfache Atrophie 
ohne Spur entzündlicher Veränderung, so daß man nur an eine 
degeuerative Erkrankung denken kann. 

Der Bruder dieses Kindes, von dem vorstehender Befund her¬ 
rührt, wird mit genau, auch anamnestisch übereinstimmendem Krank¬ 
heitsbilde vorgestellt. Nur beginnen bei ihm Schlingbeschwerden, 
die Augen können nicht vollständig geschlossen werden und Schwäche 
der Kaumuskeln ist vorhanden. 

Es handelt sich auch hier um eine Pseudohypertrophie, der 
Charakter der Krankheit ist ein progressiver. hs. 


Notizen. 

Wien, 24. Mai 1890. 

(Von der Wiener Universität.) Am 18. d. M. hat in 
den Arkaden des neuen Universitätsgebäudes “die Enthüllung des 
Doppeldenkmales stattgefunden, welches der Erinnerung an das 
Wirken der Professoren Johann und Theodor R. v. Oppolzer, 
des berühmten Klinikers und seines Sohnes, des hervorragenden Astro¬ 
nomen, gewidmet ist. Der Rector Prof. Pölzl hielt die formvollendete 
Festrede. Nachdem die Hülle gefallen, brachte Prof. v. Stoffela, 
welcher dem verewigten Kliniker als Assistent und Schwiegersohn, 
dem jüngeren Oppolzer als Freund und Schwager im Leben so 
nahe gestanden, dem Denkmale den ersten, warm empfundenen Gruß. 

(Wiener dermatologische Gesellschaft.) Inder 
am 30. April d. J. abgehaltenen Sitzung dieser Gesellschaft stellte 
Dr. v. Hebra einon 2 Jahre alten, seit beinahe zwei Wochen er¬ 
krankten Knaben vor. H. erklärt die vorliegenden Krankheits- 
erscheinungen für die Symptome der Pityriasis pilaris rubra, 
welche streng von dem Lichen ruber (Hebra) zu trennen sei. 
Kaposi und Neumann erklären den vorgestellten Fall für Lichen 
ruber (Hebra) sive Lichen ruber acuminatus (Kaposi), und betont 
Kaposi noch besonders, wie schon in seinem Vortrage in Paris, 
daß er die Pityriasis rubra pilaris und den Lichen ruber acumi¬ 
natus für identische Krankheitsprocesse halte, welche von ver¬ 
schiedenen Autoren in Bezug auf ihre Erscheinungen ganz gleich¬ 
artig beschrieben, aber nunmehr mit verschiedenen Namen belegt 
werden. — Dr. Grünfeld stellt einen 32 Jahre alten Mann vor, welcher 
ein Gumma der Kopfhaut zeigte, welches in Folge seines Zer¬ 
falles zur Bloßlegung eines großen Theiles des rechten Seitenwand¬ 
beines geführt hatte. Die Infection mit Lues war im März 1889 
erfolgt und, obgleich 140 Frictionen ausgeführt worden waren, war 
doch im November 1889 das in Rede stehende Gnmma aufgetreten. 
— Prof. Kaposi stellt einen Fall von Pemphigus vegetans, dann 
interessante Fälle von Lupus vulgaris und Xeroderma 
pigmentosum vor. An den Fall von Pemphigus vegetans knüpft 

3 


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sich eine längere Discassion, an der sich Neumann und Hebra 
betheiligen. — Prof. Nkumann stellt einen Fall von acutem 
X a n t h o m und einen Fall von 8 y p h i 1 i s in Combination mit 
Naevus pilus vor. 

(Amtsärztliche Zeugnisse.) Der Bezirksscbulrath in 
Wien hält an dem Beschlüsse fest, daß behufs Constatirung eines 
krankhaften Zustandes, welcher die Befreiung eines Schülers von 
einem Unterrichtsgegenslande nötbig macht, die Vorlage eines amts- 
ärztlichen Zeugnisses obligatorisch sei. Ein jüngst herabgelangter 
Erlaß der Schulbehörde lautet: „Die Constatirung eines krankhaften 
Zustandes kann nur auf Grund einer amtsärztlichen Untersuchung 
erfolgen. Eine einfache Vidirung des Zeugnisses hätte mit Bezug 
auf den Inhalt desselben gar keinen Werth und könnte nur die 
Echtheit der Unterschrift bestätigen. Würde man sich mit der blossen 
amtsärztlichen Vidirung begnügen, so wäre zu befürchten, daß bei 
der Ausstellung solcher Zeugnisse öfters einelaxere 
Handhabung platzgreifen würde. Durch die amtsärztliche 
Prüfung wird das Ansehen des Privatarztes nicht geschädigt, sondern 
nur die strengere amtliche Auffassung zum Ausdrucke gebracht, 
welcher Zweck durch die einfache Vidirung nicht zu erreichen ist. 
Die Schulbehörde legt der amtsärztlichen Prüfung, wenn es sich um 
Befreiung der Schulkinder von einem Unterrichtsgegenstände handelt, 
besondere Wichtigkeit bei, und ist den Amtsärzten thatsächlich eine 
objective Beurtheilung aller Fälle zur Pflicht gemacht. Eine Aus¬ 
nahme hievon könnte allenfalls nur dann zugelassen werden, wenn 
es sich um ein von einem Fachärzte auf Grund specieller Unter- 
suebungsmethoden, wie bei Augen- und Ohrenleiden, ausgestelltes 
Zengniß handelt, wobei seitens des Amtsarztes auf Grund der in 
dem Zeugnisse gemachten wissenschaftlichen Angaben ein Urtheil 
abgegeben werden kann. u 

(Militärärztliches Offioierscorps.) Dem Oberstabs¬ 
ärzte I. CI. des Ruhestandes, Dr. Franz Krauss, ist der General¬ 
stabsarztes-Charakter ad honores verliehen worden. 

(Aus Bosnien.) Einem uns zugekommenen Schreiben ent¬ 
nehmen wir folgende, nicht uninteressante Mittheilungen: Was die 
Cultur in dem kleinen Ländchen Bosnien seit dem letzten Decennium, 
wfi es unter der- Botmäßigkeit Oesterreichs steht, daselbst geschaffen, ^ 
kann nur Derjenige ermessen, der es selbst mitgeseben, miterlebt 
hat. In einem Lande, wo die Segnungen des Handels, der Industrie 
und der damit einherschreitenden Bildung nahezu unbekannt waren, 
wurden in einer kurzen Spanne Zeit auf culturellem Gebiete so 
colossale Fortschritte gemacht, daß Bosnien gegenwärtig ein 
blühender, fruchtbarer, erträgnißreicher Erdstrich ist. Diese Con- 
sequenzen machen sich auf allen Gebieten der Civilisation geltend, 
Dach allen Richtungen der Kunst und Wissenschaft fühlbar. — 
Was die ärztliche Kunst anlangt, so müssen wir zugestehen, daß 
auch hier im Süden ein reges Leben und Streben herrscht. Jedes 
Land hat — wie Jemand sagte — die Aerzte, die es verdient; nun, 
vor der Oceupation hatte Bosnien höchstens — türkische Cur- 
pfuscher, heute prakticiren in Sarajevo, außer den Militärärzten, an 
20 Medicinae Doctores. Dieselben recrutiren sich zumeist aus emeri- 
tirten Militärärzten, so der Landes-Sanitätsreferent, die Physici und 
Bezirksärzte, sowie der Chefarzt der k. und k. Bosnabahn. Auch 
die kleineren Städtchen, die nicht mit Bezirksärzten dotirt sind, 
haben ihren daselbst stationirten Militärarzt. Was da in Bezug auf 
Sanirung der Städte und auf Durchführung der Hygiene Alles zu 
Hilfe genommen werden mußte, um die urwüchsigen Inwohner gegen 
sich selbst zu schützen, läßt sich bei der dort früher herrschenden 
türkischen Indolenz denken; immerhin kann man mit Genugtuung 
auf die goten Resultate zurückblicken und muß gestehen, daß 
in hygienischer Beziehung sehr viel erreicht wurde; freilich geht 
die Landeshauptstadt allen voran; gegenwärtig wird an einer 
Wasserleitung in Sarajevo gearbeitet und überall sieht man schon 
einen europäischen Anstrich und Aufschwung der Hygiene der 
Städte und Ortschaften. — Das Land selbst hat, wie bereits be¬ 
kannt, auch viele Heilquellen. So die bereits vielgenannte Guber- 
quelle in Srebrenica (Arsen, Eisen), Kiseliak und Trbuk (alkalische 
Säuerlinge), das Schlammbad IllidSe bei Sarajevo, die Moorbäder in 
Zepße etc. Es ist sicher, daß, wenn in den genannten Orten ein 
gewisser Comfort sich eingestellt haben wird, auch der Besuch dieser 
Quellen nichts zu wünschen übrig lassen wird. Andererseits gibt es wieder 


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ungesunde Landstriche, z. B. Gegenden, wo zwar nicht Orangen, aber 
Strumen blühen, wobei die Aetiologie letzterer bisher leider nahezu 
unergründet ist. Stellenweise ist auch Syphilis verbreitet, doch gibt 
es im Allgemeinen für dieses Leiden bei der strengen Controle der 
der VenHS vulgivaga geweihten Häuser eine gute Prognose, insbe¬ 
sondere wenn.man in Betracht zieht, daß das weibliche Landvolk 
in Bosnien moralisch sehr hoch steht, worüber man allerdings im 
Norden in der civilisirten Welt eine vollkommen unrichtige An¬ 
schauung zu haben scheint. Was freilich bisher unter Anderem fehlt, 
sind kleine Spitäler im Lande, die unter solchen Verhältnissen sehr 
nötbig wären, insbesondere für Ortschaften, die weit von der Capitale 
Bosniens entfernt liegen. Zwar finden die Landbevölkerung und die 
Bahnangestellten in Folge eines Uebereinkommens zwischen Militär- 
und Civilbehörden, zwischen Eisenbahndirection und Militärärar Auf¬ 
nahme in die Militärspitäler, aber es bleiben doch an Orten, wo 
solche Heilanstalten nicht existiren, bei der stellenweise sehr armen 
Landbevölkerung die Militärärzte die opferwilligen Samaritaner, welche 
mit den primitivsten Verhältnissen rechnen müssen, umsomehr, als 
sehr oft in den kleinen Ortschaften nicht einmal eine Hebamme 
zur Assistenz aufzutreiben ist, da diese gewöhnlich schon nach kurzer 
Frist wegen Ueberfluß an Beschäftigungsrnaugel das Weite suchen, 
es sei denn, daß ihnen eine reichere Gegend ein ergiebiges Aus¬ 
kommen bietet. Man kann auch billigerweise nicht verlangen, daß 
die vor nicht langer Zeit noch eigentlich uncultivirte Bevölkerung 
heute schon alle die angeführten Bemühungen zu schätzen versteht, 
doch in Kurzem wird auch ihre Zeit anbrechen — auch Rom ist 
nicht in Einem Tage erbaut worden. 

(Einen Fall von Nona) nach Influenza beschreibt neuer¬ 
dings Alfred E. Barret im „Brit. med. Journ.“ vom 10. Mai d. J. 
Es handelt sich um ein einjähriges, künstlich genährtes Kind, welches 
nach einem ausgesprochenen Influenza-Anfall in eiue eigenthümliohe 
Prostration und Somnolenz verfiel, die etwa 10 Tage anhielt. 
Während dieser ganzen Zeit schlief das Kind fortwährend und 
mußte behufs Ernährung geweckt werden. Die Reconvalescenz trat 
ziemlich rasch ein. Das Kind wurde um 6 Uhr 30 Minuten Nach¬ 
mittags in’s Bett gelegt und schlief bis um 3 Uhr des nächsten 
Tages. Um diese Zeit wurde es von der Mutter geweckt, es nahm 
etwas Nahrung und legte sich nieder, schlief etwa Vs Stunde und 
erwachte dann von selbst. Von nun an nahm es an der Umgebung 
Antheil und erholte sich von der enormen Prostration vollständig. 

(Statistik.) Vom 11. bis inclusive 17. Mai 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 38S8 Personen .behandelt. Hievon wurden 1013 
entlassen; 99 sind gestorben (9‘77°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
DiphtheritiB 40, egyptißcher Augenentzündung 5, Cholera—, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 8, Dysenterie 1 Blattern 14, Varicellen 65, Scharlach 31, 
Masern 516, Keuchhusten 70. Wnndrothlauf 21. Wochenbettfieber 2. — In 
der 20. Jahreswoche sihd in Wien 411 Personen gestorben ( — 53 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: iu Preßburg der Director der 
dortigen Hebammenschule Dr. Johann Ambro, 63 Jahre alt; im 
Gouvernement Kielce (Rußland) Dr. Constantin Möhler, seiner¬ 
zeit Assistent Hyrtl’b in Wien, im 65. Lebensjahre; in Odessa 
Stadtrath Dr. Paul Zimmermann, 79 Jahre alt. 


(Levico-Arsen-Ei senwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Reoension«-Exemplare.) 

Flatau Tll. S., Laryngoskopie nnd Rhinoskopie. Mit 1 Tafel. Berlin 1890. 
Otto Enslin. 

Krafft-Ebing, Der klinische Unterricht in der Psychiatrie. Stuttgart 1890. 
Ferd. Enke. 

Reibmayr A., Kurze Anleitung zur mechanisch-pliysikalisihen Behandlung 
der Fettleibigkeit. Mit 29 Holzschnitten. Leipzig und Wien 1890. Franz 
Deut icke. 

Wölfler A., Die chirurgische Behandlung des Kropfes. II. Mit 4 Tafeln. 
Berlin 1890. Aug. Hirschwald. 

Königstein L., Die Behandlung der häufigsten und wichtigsten Angenkrank¬ 
heiten. II. Krankheiten der Hornhaut. Wien 1890. Wilh. Braumüller. 


Verantwortlicher Redactenr: Dr. M. T. S c h n i r e r. _ 

Mit dieser Nummer versenden wir einen illustrirten Prospect 

Ober das naturwarme Stahlbad Szliäcs in Ungarn, welchen wir 
der geneigten Beachtung unserer Leser bestens empfehlen. 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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Sonntag den 1. Juni 1890 


Nr. 22. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiera eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die j/Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
auftrage sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Br. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik “ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,f., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--Ql©*-- 



Redigirt von 

Verlag von 

Begründet 1860. 

Dr. Anton Bnm. 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Nervöse und psychische Störungen nach Exstirpation beider Hoden nebst einigen Bemerkungen zur 
Pathogenese dieser Erscheinungen in der natürlichen und künstlichen Klimax. Von Dr. M. Wkiss in Prag. — Aus dem chemisch-mikroskopischen 
Laboratorium der DDr. M. und A. Jolles in Wien. Beiträge zur Methodik der Harnuntersuchung. Von Dr. Adolf Jolles. — Die Eisen-Moorbäder 
und deren Surrogate. Ein experimenteller Beitrag zu deren Heilwerth von Dr. Arthur Loebkl, Wien-Dorna. — Referate and literarische 
Anzeigen. A. Carl (Frankfurt a. M.): Ueber die Anwendung der Anilinfarbstoffe als Antiseptica. — A. Neisser (Breslau): Ueber das Aristol. — 
Egypten. Geschichtliche Studien eines Augenarztes. Von Dr. J. Hikschbkbo, a. ö. Professor an der Universität in Berlin. — Die Krankheiten der 
Frauen. Von Dr. H. Fritsch, Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie zu Breslau. — Feuilleton. Briefe aus Ungarn. (Orig.-Corresp.) II. — 
Brief aus Stockholm. Von Dr. Wilhelm v. Vraqassy. — Kleine Mittheilnngen. Erbrechen von Fliegenlarven. — Ueber die schlafmachende 
Wirkung des Ural bei Geisteskrankheiten. — Weitere mit der Chromsäurebehandlung der Fußschweiße in der Armee gemachte Erfahrungen. — 
Menthol gegen Erbrechen. — Kolasamen (Sterculia acuminata) gegen die Seekrankheit. — Japanisches Pflanzenfaserpapier als einfacher Ersatz 
der Oblaten und Gelatinekapseln zum Einhüllen pulverförmiger Arzneimittel. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. IX. Congreß für innere 
Medicin. Gehalten zu Wien vom 15. bis 18. April 1890. (Orig.Ber.) VII.— Neunzehnter Congreß der Deutschen Gesellschaß für Chirurgie . 
Gehalten zu Berlin vom 9. — 12. April 1890. (Orig.-Ber.) VII. — K. k. Gesellschaß der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verän deutscher Aerzte. 
in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaß der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — Offene Correspondenz 
der Bedaction und Administration. — AerztHche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Nervöse und psychische Störungen nach 
Exstirpation beider Hoden 

nebst 

einigen Bemerkungen zur Pathogenese dieser Erscheinungen 
in der natürlichen und künstlichen Klimax. 

Von Dr. M. Weiss in Prag. 

Unsere dürftigen Kenntnisse über die nervösen und 
psychischen Veränderungen nach Elimination beidei Testikel 
schöpfen wir hauptsächlich aus der traditionellen Schilderung 
des perversen Charakters der verschnittenen Haremswächter 
(Eunuchen) und den aus früherer Zeit stammenden, gegen¬ 
wärtig bei Culturvölkem kaum mehr zu machenden Beob¬ 
achtungen an den behufs Conservirung ihrer Sopranstimme 
Entmannten. Die vor der Pubertät Castrirten sollen sowohl 
somatisch als psychisch den Charakter des weiblichen Indi¬ 
viduums annehmen, während bei den nach der Pubertät 
Entmannten die körperlichen Veränderungen weniger hervor¬ 
treten und nur die psychischen in Form von Reizbarkeit, 
mangelnder Willensenergie und melancholischer Verstimmung 
sich bemerkbar machen sollen. — Die in früheren Zeiten 
durch das Beispiel 0 r i g e n e s’, der ans ascetischem Eifer 
unter Berufung auf Matthäus 19, 12, sich selbst entmannte, 
aus religiösem Fanatismus geförderte Sitte der Selbstcastration 
wird in Europa heutzutage nur bei der russischen Secte der 
Skopetzen geübt. Es kommen zwar hin und wieder auch bei 
uns Fälle von Selbstcastration zur Beobachtung, diese aber 
können deshalb nicht für unsere Abhandlung verwerthet 
werden, weil bei ihnen schon früher nervöse und psychische 
Störungen bestanden, welche eben den Entschluß zur That 
zeitigten. 

Die verhältnißmäßig seltenen Fälle von chirurgischer 
Exstirpation beider Testikel entziehen sich in der Regel nach 
der Wundheilung der weiteren Beobachtung, oder es werden 
bei den schweren Erscheinungen des Allgemeinleidens — 


meist Tuberculose — welches eben durch seine Localisation 
in den Testikeln die Indication zur Operation abgegeben hat, 
die eine geringere Dignität besitzenden nervösen Zustände 
entweder ganz übersehen oder auf jenes bezogen. So kommt 
es, daß die nervösen und psychischen Störungen nach Exstir¬ 
pation beider Testikel wenig oder, besser gesagt, gar nicht 
erforscht sind, im Gegensätze zur ausgebildeten Kenntniß, welche 
wir über diese genannten Alterationen nach dem Ausfälle der 
Eierstöcke besitzen; es dürfte daher die Mittheilung einer 
einschlägigen Erfahrung von Interesse sein. 

Ich beobachte gegenwärtig — Mai 1889 — einen vor 
einigen Jahren auch von Prof. Kahler gesehenen 54jährigen 
Mann, welcher seit fast 6 Jahren im Anschlüsse an eine 
doppelseitige Castration eine Reihe nervöser und psychischer 
Erscheinungen bietet, welche denjenigen ganz analog sind, 
welche bei Frauen nach Ausfall der Eierstöcke, dem physiologi¬ 
schen sowohl als dem anatomischen, aufzutreten pflegen und 
meiner Meinung nach im Causalnexus mit dem Ausfall der 
Testikel stehen. 

Herr N. N., Kaufmann, seit 25 Jahren verheiratet, Vater 
von 7 gesunden Kindero, ist ein von mütterlicher Seite neuro- 
pathiseh belasteter Mann, der von frühester Jugend bis zum Mannes¬ 
alter einen schweren Kampf um’s Dasein zu führen hatte, wodurch 
die ererbte Anlage zur ansgobildeten „Nervosität“ gezeitigt wurde. 
Unmotivirte Reizbarkeit, nervöse Kopf- und Rückenschmerzen u. s. w. 
veranlaßten ihn, seit einer Reihe von Jahren auf meinen nnd anderer 
Aerzte Rath sich einer methodischen Kaltwasserbehandlung zu unter¬ 
ziehen. 

Hin und wieder litt er an Bronehialeatarrhen, die sich mit 
besonderer Vorliebe an den Lungenspitzen localisirten und deshalb, 
und auch weil die Mutter an Phthisis zu Grunde gegangen war, 
den Verdacht auf Tubereulose erregten. Außer einer vor 30 Jahre 
durebgemachten Peritonitis perforativa war Pat. nie schwer krank ge¬ 
wesen und hat insbesondere an keiner anatomisch greifbaren Läsion 
des Nervensystems gelitten. Er ist immer seinem Berufe nach¬ 
gegangen , hat immer sehr mäßig gelebt, keine Excesse in venere 
gemacht und ist nie syphilitisch gewesen. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


876 


Ungefähr im Jahre 1881 habe sich eine immer mehr zu¬ 
nehmende Geschwulst an beiden Hoden gezeigt, welche von dem 
behandelnden Chirurgen als beiderseitiger Wasserbruch erklärt und 
wiederholt punctirt worden sei. Seit Anfang 1883 seien beide 
Testikel allmälig zu faustgroßen, höckerigen, stellenweise harten, 
stellenweise scheinbar fluctuirenden, schmerzlosen, mit verschieb¬ 
barer Cutis bedeckten Tumoren degenerirt, die als Tuberculosis der 
Testikel angesprochen wurden. Dabei war das Allgemeinbefinden 
gar nicht alterirt, die Ernährung ziemlich gut und auch die geschlecht¬ 
lichen Functionen haben keine Einbuße erlitten. Nachdem ihm die 
NothWendigkeit einer Operation nahegelegt wurde, ging er in’s 
Spital, woselbst ihm Ende August 1883 beide Testikel exstirpirt 
worden sind. Der Wundverlauf war ziemlich glatt und Pat. verließ 
Mitte September vollkommen geheilt das Spital. Er hatte während 
des Aufenthaltes daselbst an Körpergewicht zugenommen, die frühere 
düstere GemüthBstimmung wurde eine gehobene und lebensfreudige 
und unmittelbar nach dem Austritte aus dem Spitale ging Herr N. 
mit Lust und Liebe seiner Beschäftigung nach, war heiter und auf¬ 
geräumt wie nie zuvor, und von der früheren Nervosität war kaum 
eine Spur vorhanden. Der Aufenthalt in einem klimatischen Curort, 
wohin sich Pat. Ende September begab, wirkte weiter fördernd auf 
das Allgemeinbefinden. 

Leider sollte dieser angenehme Zustand nicht lange dauern. 
Bald nach seiner Rückkunft nach Prag kam, vielleicht begünstigt 
durch äußere Einflüsse, die frühere Nervosität wieder zum Aus¬ 
bruche, welche durch ein aufgeregtes, launenhaftes, mürrisches 
Wesen, Unlust zur Arbeit, geistige Abspannung, Schlaflosigkeit, ver¬ 
minderte Eßlust ihren Ausdruck fand. 

Ende November 1883, also ungefähr 3 Monate nach der 
Castration, traten ungewöhnliche, den Kranken quälende und beun¬ 
ruhigende Erscheinungen auf. Ohne jede äußere Veranlassung, auch 
bei ganz ruhigem Verhalten, bekam derselbe sehr oft im Tage nach 
einem vorausgegangenen spannenden Gefühle, das vom Abdomen 
und vom Kreuze seinen Ausgang nahm und sich rapid gegen den 
Kopf verbreitete, und einem momentanen Beklemmungszustande und 
Angstgefühle, Wallungen im Gesichte und am Stamme; er fühle, 
wie ihm dabei das Blut in’s Gesicht schieße uud es sei ihm, als 
werde er mit heißem Wasser übergossen. Nach ungefähr 1 Minute 
verschwinde das Hitzegefühl und unter Nachlaß der Beklemmung 
nnd des Angstgefühles fange er stark zu schwitzen an, so daß ihm 
der Schweiß vom Gesichte und Rumpfe fließe, das Hemd zum Aus¬ 
winden naß werde und gewechselt werden müsse. Nach jedem 
solchen Anfalle fühle er sich matt und abgeschlagen und sei kaum 
im Stande, eine stärkere Bewegung zu machen. Die Anfälle seien 
an keine Tageszeit gebunden, kommen verschieden häufig in unregel¬ 
mäßigen Intervallen bei Tag und Nacht. Sehr peinlich werden sie 
ihm, wenn sie sich während des Gehens auf der Straße einstellen. 
Pat. müsse dann stehen bleiben, eilig einen Anhalt suchen, damit 
er nicht umfalle, so daß er auf Passanten den Eindruck mache, als 
habe er sich einen Rausch angetrunken. Auch ohne Wallungen und 
ohne Schweißausbrüche treten häufig Schwindelanfälle auf, die zu¬ 
weilen so heftig werden, daß er sich am nächsten Gegenstände an- 
klammern müsse, und, wenn er einen solchen nicht schnell genug 
fassen könne, alle seine Kräfte aufbieten müsse, um nicht nieder- 
znstürzen. Komme der Schwindel während des Gebens, so habe er 
das Gefühl, als wenn er betrunken wäre nnd von einer unsichtbaren 
Hand vorwärts bewegt werde. Auch in der Nacht werde er häufig 
vom Schwindel befallen, und dann komme es ihm vor, als ob sich 
das Bett mit ihm drehe, und er müsse seine Frau wecken, daß sie 
ihn festhalte. Außerdem leide er an einem sehr peinlichen, kaum 
zu schildernden Gefühle im Kopfe. 

Es sei ihm, als wenn inwendig im Gehirne etwas hämmere, 
es seien keine eigentlichen Schmerzen, aber ein Gefühl, als wenn 
der Schädel auseinander gepreßt werde; er sei kaum zu denken 
und zu urtheilen fähig, sei ungemein vergeßlich und absolut nicht 
im Stande, einen Brief zu concipiren oder einige Posten zusammen¬ 
zuzählen. Er müsse unbedingt an einer unheilbaren Gehirnkrankheit 
leiden und ich möge ihm das offenherzig sagen, damit er bei 
Zeiten seine Verfügungen treffen könne. Er wisse, das Leiden sei 
unheilbar, nur möge es nicht zu lange dauern, damit er nicht sich 
und seiner Umgebung zur Qual werde. 


Der Kranke machte mir von diesen Beschwerden Anfangs nur 
immer gelegentliche Mittheilung, und erst als die Anfälle häufiger 
und intensiver wurden, kam er meiner Aufforderung nach, sich 
einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. 

Am 10. December 1883 notirte ich folgenden Status: 

49jähriger Mann, von kleiner Statur, mittlerer Ernähruug, 
geringem Panniculus. Gesichtsfarbe blaß, sichtbare Schleimhäute 
blaßroth, Schädelformation normal, Wirbelsäule nicht deviirt; das 
Beklopfen des Schädels und der Wirbelknochen nicht besonders 
schmerzhaft. Melancholischer und dabei intelligenter Gesiohtsausdruck. 
Bulbi weder promiuirend, noch eingesunken, die beiderseitigen mittel¬ 
weiten Pupillen reagiren prompt auf Licht und acoommodative Reize. 
Geringe Myopie, kein Strabismus, kein Nystagmus, Augenhintergrund 
normal. Keine Störung in den Functionen der Sinnesorgane. 

Sämmtliche, von Gehirn- und Rückenmarksnerven versehene 
Muskeln gehorchen exact den Willensimpulsen; die elektromusculäre 
Erregbarkeit gegen beide Stromarten normal, keine Spur von Coordi- 
nationsstörung. Keine Störung der Hautsensibilität, namentlich keine 
anästhetischen Zonen. Patellar- und Bauchreflexe normal; beide 
Testikel fehlen, kein Cremasterreflex. Ohrspeicheldrüsen nicht krank¬ 
haft verändert, Zungenbewegungen, Mastication, Deglutition unge¬ 
stört ; selbst bei forcirten Kau- und Scbluckbewegungen treten keine 
Wallungen oder stärkere Schweißsecretion auf. Druck auf das Ganglion 
supremum weder schmerzhaft, noch von Röthung der betreffenden 
Gesichtshälfte gefolgt. 

Claviculargruben beiderseits eingesunken. Ueberall am schmalen 
und flachen Thorax normale percutorische und auscultatorische Ver? 
hältnisse. Herzpalpitalion etwas verstärkt, Dämpfungsfigur des 
Herzens nicht vergrößert, Herztöne rein, Pulsfrequenz 84, Tempe¬ 
ratur 37*4, Eßlust gering, Defäcation träge, Unterleibsorgane normal. 
Im Urine keine abnormalen Bestandtheile. Libido sexualis zuweilen 
vorhanden. (?) 

Der Intellect nicht beeinträchtigt, Antworten prompt uud 
fließend; doch wird über Vergeßlichkeit, Unfähigkeit zu intensiver 
geistiger Tbätigkeit, Unsicherheit in der Ausdrucksweise geklagt. 
Der Kranke hat oft Schwindelanfälle, unangenehme Sensationen im 
Kopfe, Angstgefühl und Beklemmung. Die Gemüthsstimmung ist 
gedrückt, pessimistisch; Pat. glaubt an einer unheilbaren Gehirn¬ 
krankheit zu leiden. Die Willensenergie ist beeinträchtigt, Muth 
und Selbstvertrauen ist dem Kranken abhanden gekommen. Keine 
Hallncinationen. 

Während der längere Zeit dauernden Untersuchung konnte 
Folgendes an dem Kranken wahrgenommen werden: 

Inmitten des ganz ruhig gehaltenen Gespräches wird der Ge¬ 
sichtsausdruck ängstlich, er klagt über Angstgefühl und Beklemmung; 
ein unangenehmes Gefühl verbreite sich vom Unterleibe und dem 
Kreuze gegen den Kopf, er greift gegen die Stirn und das Gesicht, 
jammert, daß ihm eine Hitze, wie von einem glühenden Eisen aus¬ 
strahlend, gegen das Gesicht ströme, und er fühle, wie ihm das Blut 
gegen den Kopf schieße. In demselben Momente erscheint das sonst 
blasse und fahle Gesicht lebhaft geröthet, turgescirend. Die Röthe 
ist auf beiden Seiten gleich stark, reicht nach oben über die Stirn 
bis zur Haargrenze, greift über beide Ohrmuscheln und zieht sich 
nach abwärts über den Hals und die obere Thoraxhälfte, wo sie 
wie verwaschen aufhört. Auch die Conjunctiva beider Augen ist 
geröthet, ihre Gefäße injicirt. Das Verhalten der Mund- und Rachen¬ 
schleimhaut konnte nicht eruirt werden. Nach ungefähr 30—40 
Secunden sah man am Gesichte und an der Stirne perlenden Schweiß 
hervorbrechen, und während nach weiteren 20—30 Secunden die 
Röthe und mit ihr das Hitze- und Beklemmungsgefühl verschwand, 
dauerte die profuse Schweißabsonderung, die inzwischen auch am 
Halse und am Thorax Platz gegriffen hatte, durch 6—6 Minuten 
fort, worauf Pat. ganz erschöpft und abgeschlageu ist. 

(Fortsetzung folgt.) 


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877 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 22. 


878 


Aus dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium 
der DDr. M. und A, Jolles in Wien. 

Beiträge zur Methodik der Harnuntersuchung. 

Von Dr. Adolf Jolles. 

(Schloß.) 

Was nun den Nachweis von G alienbest and th eilen 
betrifft, so haben wir an icterischen Harnen theils direct, 
theils nach Verdünnung mit Wasser nachstehende Proben, 
welche zum Nachweise der Gallenpigmente im Harne vorge¬ 
schlagen wurden, in Bezug auf ihre Empfindlichkeit und Be¬ 
quemlichkeit der Ausführung geprüft: 

1. Probevon Gmelin. (Man läßt die Salpetersäure in 
den zu prüfenden Harn vorsichtig herablaufen. An der Be¬ 
rührungsstelle grüner Ring.) 

2. Hupj’EKT’sche Probe.*) (Ausfallen des Harns mit 
Kalkmilch, Ausziehen des Niederschlages mit schwefelsäure¬ 
haltigem Alkohol und Erhitzen. Grünfärbung.) 

8. Probe von Vitali. 3 4 * ) (Auf Zusatz von Schwefelsäure 
und Kaliumnitrit Grünfärbung, welche rasch in Gelb, dann 
Roth und Blau übergeht.) 

4. Rosenbach’s Probe. 6 ) (Der Harn wird filtrirt und 
auf das mit Harn getränkte Filter ein Tropfen Salpetersäure 
gebracht. Um den Salpetersäuretropfen farbige Ringe.) 

5. Probe von Ultzmann. 6 ) (Der Ham wird mit Kali¬ 

lauge gemengt und dann Salpetersäure hinzugefügt. Smaragd¬ 
grüne Farbe.) . ' 

6. HoppE-SEYLER’sche Probe. 7 ) (Der Harn wird mit 
Kalkmilch gefällt, Kohlensäure zur Ausfällung des Kalkes 
eingeleitet, der Niederschlag abfiltrirt, in wenig Wasser ver¬ 
theilt und mit Chloroform und Essigsäure geschüttelt: Bili¬ 
rubin färbt die Chloroformlösung gelb, Biliverdin die wässe¬ 
rige Lösung grün.) 

7. Probe von Dragendorff. 8 ) Einige Tropfen des 
Harns werden auf eine poröse Thonplatte gebracht und mit 
concentiirter Salpetersäure befeuchtet. Es entsteht ein Fleck, 
welcher die bekannten Farbenreactionen zeigt.) 

8. Ausschüttelung des Harns mit Chloro¬ 
form und Behandlung der Chloroformlösung mit etwas zer¬ 
setzter Salpetersäure oder mit Brorawasser. Die Lösung zeigt 
die Farbenringe. 

Von den angeführten Proben gaben die RosENBACH’sche, 
sowie die HüPiERT’sche Probe unter Berücksichtigung 
nachstehender Modification die besten Resultate, und 
empfehlen sich diese zwei Methoden aüch wegen ihrer be¬ 
quemen Ausführbarkeit namentlich für die Harnuntersuchung 
in der Praxis. 

Was zunächst die RosENBACH’sche Probe betrifft, so 
möchte ich empfehlen, in der Weise vorzugehen, daß man 
eine große Quantität des zu prüfenden Harnes durch reines, 
weißes Filtrirpapier filtriren läßt, auf die Innenfläche des 
Filtrirpapieres einen Tropfen concentrirter Salpetersäure, 
welche etwas salpetrige Säure enthält, tropft, 
dann den Trichter, in welchem sich das Filter befindet, 
8 bis 4 Mal langsam über eine B unsenflamme 
streichen läßt und nach einigen Minuten die. Ringe beob¬ 
achtet, welche sich um den Salpetersäuretropfen bilden. Durch 
die angedeutete Erwärmung werden selbst geringe Spuren 
von Gallenfarbstoffen, die sonst nicht zum Vorscheine ge¬ 
langen, in Folge des Hervortretens eines hellgrünen Ringes 
(Biliverdin) bemerkbar. 

3 ) Huppert, Archiv für Heilkunde, 8, 351 und 476, 1867. 

4 ) Jahresb. für Thierchemie, 1873, p. 149. 

*) Rosenbach, „Centralbl. f. med. Wissenschaften, 14, 5, 1876. 

6 ) Ultzmann, „Wiener Med. Presse“, 18, 1033, 1877. 

7 ) „Die Lehre vom Harn“, von Salkowski und Leubk, Berlin 1882, 
A. Hirschwald. 

®) Dragendorff, siehe Deubneb’s vergleichende Untersuchungen über 
die neueren Methoden zum Nachweise des Gallenfarbstoffes im Harne Icterischer. 
Inaugnral-Dissertation, S. 24, Dorpat 1885. 


Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der HüPPERT’schen 
Probe hängt wesentlich von der Concentration der 
Kalkmilch ab, über welche in der Literatur keine näheren 
Angaben zu finden sind. Wie wir uns überzeugt haben, kann 
die Verwendung sowohl einer zu concentrirten, als einer zu 
verdünnten Kalkmilch das Gelingen der Probe hinfällig machen, 
und empfiehlt es sich am besten, eine circa lproc. Kalk¬ 
milchlösung, d. h. eine Lösung, welche circa 10 Grm. Ca 0 
im Liter enthält, zu verwenden und wie folgt die Probe aus¬ 
zuführen : 

Ca. 8—10 Ccm. Harn werden mit dem gleichen Volumen 
obiger Kalkmilchlösung versetzt, die Mischung umgeschüttelt 
und der Niederschlag filtrirt. Hierauf wird der Niederschlag 
mit Alkohol und verdünnter Salzsäure in ein Reagensglas 
gespült und das Filtrat gekocht. Bei Gegenwart von nur 
Spuren von Gallenfarbstoffen färbt sich die Flüssigkeit grün 
bis blau, während sie bei Abwesenheit derselben ungefärbt 
bleibt. 

So empfehlenswerth nun auch die obigen Methoden zum 
Nachweise von Gallenfarbstoffen sind, so geben dieselben doch 
keinen oder nur geringen Anhaltspunkt zur Beurtheilung der 
Intensität der Ausscheidungsproducte von Gallenbestandtheilen. 
Um aber, wie es häufig erwünscht ist, einen Aufschluß über 
die Zu- oder Abnahme von Gallenbestandtheilen in einem 
Harn zu gewinnen, möchten wir folgendes Verfahren in Vor¬ 
schlag bringen: Dasselbe beruht auf der Bestimmung der 
Jodzahl des Harns, d. h. der Zahl, welche angibt, wie viel 
Gramm Jod von 100 Grm. Trockensubstanz des Harnes absorbirt 
werden. Die Jodzahl berechnet sich aus der Formel 

j - . 4-292, 

s — 1 

wobei g die Anzahl Gramme Jod, welche 10 Ccm. des filtrirten 
Harnes absorbiren, und s das specifische Gewicht des Harns 
bedeuten. Betreff der Ausführung der Bestimmung, sowie 
der Jodzahlen der normalen Harne verweisen wir auf unsere 
Arbeit „über die Jodzahl der Harne und ihre Bedeutung für 
die Semiotik ,J ) derselben“ und begnügen uns mit dem Hinweise, 
daß von den normalen Harnbestandtheilen 1. die Harnsäure, 
2. die Harnfarbstoffe, namentlich Urobilin, und 8. die Körper 
der aromatischen Fäulnißproducte, namentlich Phenole, das 
Vermögen, Jod zu absorbiren, besitzen, ln der Regel hängt in 
von pathologischen Bestandtheilen freien Harnen die Zu- oder 
Abnahme der Jodabsorption von der vermehrten oder ver¬ 
minderten Harnsäuremenge ab, was bei der Erwägung erklärlich 
erscheint, daß die Jodzahl der Harnsäure 180*83 beträgt, während 
die Jodabsorption der in geringer Menge im Harne vorkommenden 
Harnfarbstoffe und aromatischen Fäulnißproducte bei gewöhn¬ 
licher Temperatur sehr gering ist. Soweit unsere Beobach¬ 
tungen reichen, bewegen sich die Jodzahlen in von patho¬ 
logischen Bestandtheilen freien, jedoch stark harnsäure¬ 
reichen Harnen im Maximum zwischen 7*3 bis 7*8 und 
wurden höhere Jodzahlen nicht beobachtet. Diese Thatsache 
ist darauf zurückzuführen, daß das Löslichkeitsvermögen des 
Harns für Harnsäure hauptsächlich von der Temperatur ab¬ 
hängt, und jeder Harn bei 37\5° C., also bei Körpertemperatur, 
das Maximum an Harnsäure gelöst enthält. Mit Abnahme der 
Temperatur vermindert sich auch entsprechend der Gehalt des 
Harns an löslicher Harnsäure unter gleichzeitiger Ausscheidung 
von Uraten, und erklärt sich die verhältnißmäßig geringe Er¬ 
höhung der Jodzahl in. von pathologischen Bestand¬ 
theilen freien, jedoch stark harnsäurereichen 
Harnen aus der von uns vorgeschlagenen Bestimmung der 
Jodabsorption bei gewöhnlicher Temperatur in 10 Ccm. 
des filtrirten Harnes 

Ganz anders hingegen verhalten sich die Jodzahlen von 
Harnen, welche Gallenfarbstoffe und Gallensäuren enthalten, 
welche Producte, wie ich bereits nachgewiesen habe, ein nicht 
unbedeutendes Jodabsorptionsvermögen besitzen, und bei denen 


9 ) „Wiener Med. Wochenschrift“, Nr. 16, 1890. 


e 





879 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


880 


die Absorption nicht in constanten Verhältnissen vor sich geht, 
sondern von der Dauer der Einwirkung und der Temperatur 
abhängt. Wir haben die Jodzahlen nach obiger Angabe an 
60 Harnen bestimmt, bei denen die Anwesenheit von 
Gallenproducten, dagegen die Abwesenheit medica- 
mentöser Stoffe constatirt wurde, und erhielten Jodzahlen, die 
zwischen 6‘5 und 17*4 schwankten. Harne mit normalem 
Harnsäuregehalt und überaus geringen Spuren von 
Gallenfarbstoffen hatten Jodzahlen von 65 bis 8 - l, 
während die Anwesenheit deutlicher Spuren von Gallen¬ 
producten die Jodzahlen auf 0 6 und darüber erhöhten. 

Die Jodzahlen verhalten sich meistens proportional der 
Menge der im Harne enthaltenen Gallenproducte und kann 
man in der That mittelst der Jodzahl einen Aufschluß über 
die Intensität der Ausscheidung von Gallenproducten er¬ 
langen. 

Wir beschränken uns in Rücksicht auf den uns zur 
Verfügung gestellten Raum mit der Veröffentlichung nach¬ 
stehender vier in Zwischenräumen von je 14 Tagen ausge¬ 
führter Harnanalysen eines angeblich mit einem Leberleiden 
behafteten Patienten, deren Jodzahlen deutliche Anhaltspunkte 
zur Beurtheilung der ausgeschiedenen Mengen von Gallen¬ 
producten gewähren. 


Datum der Zu- j 
sendung 

14. December 
1889 

28. December 
1889 

12. Januar j 
1890 1 

26. Januar 1890 

Zeit der Aus¬ 
scheidung 

Horgenharn i 

nicht ange- j 
geben 

nicht an¬ 
gegeben 

Uorgenharn 

Uebersandte ! 
Ham menge { 

265 Ccm. 

132 Ccm. | 

412 Ccm. 

206 Ccm. 

Farbe, Aussehen 1 

weingelb 

röthlich-gelb |i 

röthlich-braun; 

gelb-braun 

Durchsichtigkeit 

klar bis auf 
einige suspen- 
dirte 

Schleimfäden 

klar 

klar 

schwach getrübt 
v. suspendirten 
Elementen 

Geruch 

normal i 

normal 

normal l 

normal 

Spec. Gewicht i 

1016 | 

1-018 

l'016 

1014 

Reaction 

schwach sauer; 
= 18 Ccm. | 

sauer = 24 

sauer = 32 

schwach sauer 
= 16 

Chlorgehalt j 

3-124 Gr. 

3-550 | 

2-510 

1-562 

Phosphate 

normal 

normal 

etwas ver¬ 
mehrt 

circa um die 
Hälfte vermehrt 

Blutfarbstoff 

negativ 

negativ | 

negativ 

negativ 

Gallcnfarbstoff 

i in Spuren 

vorhanden 

vorhanden 

i vorhanden 

Indican 

vermehrt 

vermehrt 

stark ver¬ 
mehrt 

stark vermehrt 

Albumin 

negativ 

negativ 

j in Spuren 
(Essigsäure- 
und Ferro- 
cyankali- 
Probe) 

in deutlichen 
Spuren 

Mucin 

negativ 

negativ 

| negativ 

negativ 

Reduction 

l normal 

normal 

normal 

normal 

Glycose 

i negativ 

| negativ 

negativ 

negativ 

Harnsäure 

,0-0210 Gr. in 0 0286 Gr. in 0 0322 Gr. in 
i 100 Ccm. ! 100 Ccm. 100 Ccm. 

: 0 0271 Gr. in 

1 100 Ccm. 

^Sediment 

.normales, wol¬ 
kiges Sedi- 
i ment (nnbe- 
| culae) 

| 

| 

Spärliches, 
wolkiges Sedi- 
i uient (nube- 
culae) 

1 

| 

spärliches 
Sediment, be¬ 
stehend aus 
einigen Leuko 
i cyten und 
Plattenepi- 
thelien des 
Blasenhalses 
und der 
hinteren 
Harnröhre 

1 

äußerst spärliches 
| Sediment, be¬ 
stehend aus 
einigen Leuko- 
cyten, sehr zahl¬ 
reichen Schleim¬ 
fäden,sowieverein- 
zelten, scharfcon- 
turirten hyalinen, 
stellenweise mit 
zerfallenen Leuko- 
cyten, sowie 
Nierenepithelien 
besetzten 
Cylindern 

Jodzahl 

| 6’4 

10-4 

122 

13*8 


Die Eisen-Moorbäder und deren Surrogate. 

Ein experimenteller Beitrag zu deren Heilwertb 
von Dr. Arthur Loebel, Wien-Dorna. 

(Schluß.) 

Als zweites wirksames Moment, das den Moorbädern 
specifisch anhaften soll, gilt die geringere Wärmecapacität und 
das schlechtere Wärmeleitungsvermögen des Moorbreies. Jacob 
hat nun gefunden, daß die wärmeentziehenden Moor- und 
Wasserbäder von gleicher Temperatur innerhalb der ersten 
10—20 Minuten auf die Wärmevertheilung und Circulation 
des menschlichen Körpers die gleiche Wirkung üben, und 
während von da ab das Wasserbad die centrale und periphere 
Temperatur auch fernerhin gleichmäßig herabsetzt, erhöht das 
Moorbad die Hauttemperatur auf Kosten der sinkenden Ach sei - 
temperatur. Trotz der abweichenden Beobachtungen Kisch’s, 
Fellner’s und Makajew’s überblickt die Ueberzahl der Bal- 
neologen diesen Gegenstand unter dem Gesichtswinkel Jacob’s, 
weil es diesem hervorragenden Forscher allein eingefallen ist, 
für die Moorbäder eine specifische Wärmetheorie aufzustellen. 
Man acceptirt demgemäß mit dem Antagonismus in der 
Temperatur beider Körperregionen das Schlagwort von der 
Wärmestauung in der Haut, die dadurch hervorgerufen wird, 
daß die Moorschichte, welche den Körper umgibt, mit dem¬ 
selben sich in’s Wärmegleichgewicht setzt, dadurch mit den 
entfernteren Moorschichten in Differenz kommt, und da sie sich 
nicht von der Stelle bewegen kann, eine Art Isolirschichte 
bildet, welche den Körper vor der Berührung mit der übrigen 
wärmeren oder kälteren Masse des Bades schützt. 

Ganz abgesehen von der unüberwindlichen Schwierigkeit, 
die Hauttemperatur am Brustkörbe oder am Oberarme präcis 
zu bestimmen, und ganz abgesehen von den regellosen Tempe¬ 
raturschwankungen, die man zwischen der geschlossenen Hohl¬ 
hand und den anderen Stellen der Körperoberfläche findet 
und die mir so widerspruchsvoll erschienen sind, daß ich es 
vorgezogen habe, ihre Publication in dieser Arbeit zu unter¬ 
lassen, setzt Jacob’s Theorie voraus, daß der Badende durch 
die ganze Badedauer bewegungslos im Moorbade sitzen bleibe. 
Bedenkt man, daß gerade in Folge des schlechten Wärme¬ 
leitungsvermögens des Moorbreies die dem Körper anliegende 
wärmeentziehende Moorschichte eine intensivere Abkühlung 
der Peripherie bewerkstelligen muß, jo wird die bald ein¬ 
tretende Kälteempfindung den Badenden zwingen, Berührung 
mit einer frischen Moorschichte zu suchen, und so sieht man 
selbst die phlegmatischen Temperamente instinctmäßig die 
Bademassen umrühren und ihren Körper im Moorbrei hin- 
und herwälzen und hört sie auf die Frage nach dem Grunde 
ihrer Unruhe antworten, daß sie sich so wärmer und behag¬ 
licher fühlen. Wenn man nun beobachtet, daß die Haut nicht 
blos im Bade, sondern auch einige Zeit nach demselben 
gefaltet und gewulstet, also adstringirt bleibt, dann begreift 
man nicht nur die Ungenauigkeit der thermometrischen An¬ 
gaben an den ungleichmäßig contrahirten Hautpartien, sondern 
noch mehr die Unruhe der Badenden, die durch Bewegung 
den Abgang an Wärme zu ersetzen bestrebt sind. 

Es erscheint also gewagt, die Gesammtwirkung des Moor¬ 
bades in seinen Wärmeverhältnissen concentriren zu wollen, 
weil zum Ueberflusse selbst die Temperirung des Moorbades 
auf Schwierigkeiten stoßt, indem von Seite der Moorjungen 
ein sorgfältiges und ausdauerndes Umrühren des Moorbreies 
und vom Bademeister eine zutreffende Bestimmung der mit 
einander zu mischenden Quantitäten heißen Moorbreies und 
kalter Moorerde verlangt wird. 

Wenn nämlich im Drange und Treiben der Saison die 
Moorjungen dem Gesetze menschlicher Uebermüdung verfallen 
und der Temperatursinn des Bademeisters bei der fortschreitenden 
Tagesarbeit sich abstumpft oder nicht zu allen Tageszeiten den 
heißen Moorbrei gleich heiß und nicht an allen Tagen die kalt 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


882 


Moormasse gleich kalt erhält, dann erwartet man vergebens 
eine Correction vom Thermometer, weil dieses Instrument 
in einer Masse steckt, die gerade wegen der schlechten Wärme¬ 
leitungsverhältnisse in den verschiedenen Schichten verschiedene 
Wärmegrade besitzt, so daß an der Scala, die über die Ober¬ 
fläche der Bäder hinausragt, nur die Resultate diverser Wärme¬ 
verhältnisse zum Ausdrucke kommen. 

Zugegeben aber, die Temperirung der Moorbäder werde 
ideal durchgeführt, die Bewegungslosigkeit der Badenden wäre 
automatisch geregelt, die Hau+temperatur sei durch die Con- 
traction der oberflächlichen Gewebe, die ja auch eine Art 
Isolirschichte bilden, gar nicht gefälscht, was frommt uns die 
schöne Theorie, wenn ihr Heil erst nach 20 Minuten beginnen 
soll, zu welcher Zeit uns die Wirkungsweise der Wasser¬ 
bäder gar nicht mehr interessirt, weil bekanntlich die Bade¬ 
dauer in denselben nur zwischen 10 und 20 Minuten 
schwankt, während uns diejenige der Moorbäder nur noch 
ausnahmsweise interessirt, da wir sie eben auch nur ausnahms¬ 
weise länger als 20 Minuten appliciren. 

Diese ganze Wärmetheorie Jacob’s kann uns nicht ein¬ 
mal erwärmen, wenn wir erfahren, daß ein Brei von Kleie 
und Schlempe ähnliche tkermometrische Ziffern zu Tage ge¬ 
fördert habe wie ein Moorbrei, und daß er darum diese thera¬ 
peutische Potenz ersetzen könne, denn hiemit sei es ja erwiesen 
worden, daß die chemischen Substanzen des Moors von jedweder 
Einwirkung ausgeschlossen sind. Die Beobachtung eines 
Experimentes ist aber noch grundverschieden und himmelweit 
entfernt vom Endresultate einer Cur, und wenn die Pflanze 
im Treibhause gerade so gut wie im Sonnenlichte gedeiht, ist 
cs nicht die Wärme des Treibhauses allein, welche wegen 
der gleichen Temperatur mit dem Sonnenlichte den Erfolg 
bedingt, obwohl schon im Treibhause viele Factoren der 
freien Natur eliminirt sind. Die thermometrische Differenz 
zwischen der Achselhöhlen- und Fingertemperatur grenzt, 
wenn man sie trotz der Widersprüche acceptirt, noch 
nicht den ganzen Einfluß eines Moorbades auf den Ge- 
sammtorganismus ab und läßt gewiß nicht einmal einen rela¬ 
tiven Schluß auf die Alterationen der Herzthätigkeit und auf 
die mit den geänderten Blutdruckverhältnissen abgeänderten 
Functionen der übrigen Binnenorgane zu. 

Vermögen wir aus den physikalischen Eigenschaften der 
Moorbäder keine specifischen Momente für ihre Heilkraft ab¬ 
zuleiten, so begegnen wir gerade im Phänomen, daß im wärme¬ 
entziehenden Moorbade niemals Hautröthe auftritt, daß viel¬ 
mehr, wie nach keinem anderen Bademedium, die Haut selbst 
i inige Zeit nach dem Bade noch blaß, gefaltet und wie gegerbt 
erscheint, einen Fingerzeig, der darauf hin weist, daß dieser 
Hautreiz von einer chemischen, adstringirend wirkenden Potenz 
ausgelöst wird. Hält man sich noch die specifische Wirkung des 
schwefelsauren Eisenoxyduls auf die Schleimhäute und den 
zusammenziehenden Geschmack vor Augen, den die kohlen¬ 
sauren Eisenwässer in dem minimalen Zeiträume hervorrufen, 
den sie beim Trinken auf dem Gaumen und dem Zungengrunde 
verweilen, dann wird man auch die Blässe und das Zusammen- 
schrumpfen der Lederhaut in einem Bade nicht anders denn 
als Einwirkung des schwefelsauren Eisenoxyduls deuten. 

Mag auch, wie dies besonders Reinl und Bbaun hervor¬ 
heben, der in Gebrauch kommende Moor in seinen Bestand¬ 
teilen außerordentlich variiren, je nachdem er aus den ober¬ 
flächlichen, der Verwitterung leichter anheimfallenden, oder 
aus den tieferen, der atmosphärischen Luft überhaupt weniger 
zugänglichen Schichten stammt, oder je nachdem er aus einer 
geschützten oder aus einer von Mineralquellen mit Gas-, Salz- 
und Säuregehalt durchströmten, oder von Niederschlägen durch¬ 
sumpften Lage entnommen wird, und mag man auch die Moor¬ 
analysen als Momentbilder oder als photographische Auf¬ 
nahmen bewegter Gruppen betrachten, es obwalten dieselben 
Verhältnisse, wie in den aus Mineralwässern bereiteten Bädern, 
wo auch nach Stür, Inostranzeff u. A. die mineralischen 
Bestandteile steten Wechselbedingungen unterworfen sind 


und an keinem Tage sich gleich bleiben. Die Menge der in 
der Moormasse vorhandenen unwirksamen Stoffe spricht in 
demselben Grade wie die colossalen Mengen der wirksamen 
Substanzen zu Gunsten der chemischen Heilkraft der Moor¬ 
bäder, weil in denselben selbst größere Schwankungen weniger 
in die Wagschale fallen. 

Es anerkennen daher auch die meisten Autoren, wie 
Flechsig, Fellner, Helfft, Kisch etc., in den Moorbädern 
hautreizende Bäderarten, und Leichtenstern steht nicht an, 
in seinem Skepticismus sich über alle kühn oder naiv con- 
struirten Hypothesen hinwegzusetzen und in den Moorbädern 
nichts anderes als warme oder heiße Bäder zu sehen, welche 
sich in ihren Wirkungen und Indicationen den hautreizenden 
Sool- und Mutterlaugenbädern anschließen. Im Grunde ge¬ 
nommen, kommt den chemisch wirksamen Bestandtheilen des 
Moores bis auf das schwefelsaure Eisenoxydul kaum ein höherer 
Werth zu, und selbst die Ameisensäure manifastirt keinerlei 
Erscheinungen auf der Haut und wird wahrscheinlich, wie 
schon Jacob hervorhebt, durch das Kochen des Moorbreies mit 
den anderen flüchtigen Stoffen ausgetrieben. 

Ob die antimycotisclie Wirkung, die Reinl an der con- 
centrirten Franzensbader oder Marienbader Moorlauge nach¬ 
wies und dem vorwiegenden Säuregrade zuschreibt, auch im 
originären Moorbade vorwaltet, gehört in das Bereich der 
Hypothese und schädigt wohl kaum den Ruf der anderen 
Moorarten, denen Reinl diese Eigenschaft ohnehin streicht, 
weil das Bade wasser stundenlang auf die Moorerde ein wirken 
müßte, bevor man die volle Gewißheit gewinnen könnte, daß 
auch gewiß alle löslichen Stoffe in die Badeflüssigkeit über- 
gegangeu sind, um den erforderlichen Concentrationsgrad her¬ 
zustellen. 

Nach diesen kritischen Ausführungen ergibt sich das 
Urtheil über den theoretischen Heilwerth der Moorextract- 
bäder ohne viele Umschweife, und füge ich nur hinzu, daß es 
vielen Baineologen nicht einmal ausgemacht erscheint, ob der 
Hautreiz wechselt, wenn ihn Chlomatrium oder ein anderes 
Salz auslöst. Um wie viel gleichgiltiger muß es dann sein, 
ob die chemischen Ingredienzien im Bademedium ganz auf¬ 
gelöst sind oder theilweise suspendirt bleiben? eine Lösung 
bilden, wie im Moorextractbad, oder eine Mischung, wie im 
Moorbad ? 

Der Umstand aber, daß das Badewasser für die Lösung 
der in der Moormasse enthaltenen Ingredienzien eine längere 
Zeit erfordert, widerlegt die Berechnungen Loiman’s und 
Steinschneider^, welche die Concentration eines Moorbades 
10—24mal so hoch veranschlagen als die der Moorextractbäder. 
Diese Differenzen werden auch noch dadurch wett gemacht, 
daß beim Hautreize des Moorbades eigentlich nur jenes Quantum 
schwefelsauren Eisenoxyduls in Rechnung zu bringen ist, 
welches der Hautoberfläche anliegt, nachdem das Moorbad 
wegen der Klebrigkeit und Schwerbeweglichkeit des Moor¬ 
breies die Fähigkeit verliert, die Körperoberfläche erneuerten 
Reizen auszusetzen und nicht wie das Wasserbad ') durch die 
Abkühlung, resp. Erwärmung der Wasserschichten Strömungen 
erzeugt, die mit den aufsteigenden wärmeren und den nieder¬ 
sinkenden kühleren Wasserschichten die Hautoberfläche in fort¬ 
währende Berührung mit den von den wechselnden Schichten 
erneuerten Hautreizen bringen, selbst wenn der Badende 
ruhig verweilt. 

Demnach bedürfen die mit dem Zusatze von Moorextracten 
bereiteten Bäder auch keines weiteren Zusatzes, denn sie 
können auf Grund ihrer chemischen und thermischen Momente, 
und wenn man die praktischen Vorschläge Kleinwächter’s 
berücksichtigt, auch auf Grund mechanischer Kräfte als ein 
baineotherapeutisches Ersatzmittel ausgenützt werden, das ohne 
Gefahr, mit wenigen Kosten, zu jeder Jahreszeit und unter 
aller Art ärmlicher und ungünstiger Verhältnisse Verwendung 


l ) Aeußerliche Dosirung des schwefelsauren Eisenoxyduls 100—150 Grm. 
auf ein Bad. (Nothnagel-Rossbach, Arzneimittellehre.) 


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1890- — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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finden kann, wobei der Arzt stets in der Lage bleibt, das 
wichtigste Interesse des Patienten, nämlich die Irritabilität, zu 
controliren und der Reaction durch die abstuf baren Dosirungen 
des Präparates zu begegnen. 


Referate und literarische Anzeigen. 

A. Carl (Frankfurt a. M.): Ueber die Anwendung der 
Anilinfiarbstoffe als Antiseptica. 

In einer jüngst erschienenen Broschüre berichtet Stiluxg, 
daß die Anilinfarbstoffe, namentlich das Methylviolett, für Hornhaut¬ 
geschwüre alle anderen bisher angewandten Mittel in jeder Hinsicht 
hinter sich läßt, und ist der Ansicht, daß das Methylviolett ganz 
gewiß sehr bald und mit großem Vortheile selbst die galvano- 
caustische Behandlung der eitrigen Hornhautgeschwüre ersetzen wird. 
Ebenso will Stilling bei einer weiteren Anzahl von äußeren Augen¬ 
leiden, wie Blepharitis, Conjunctivitis, Phlyctänen, Eczemen am Lid 
Erfolge von der Anwendung des Metbylviolctts und des Auramins 
gesehen haben, wie andere bisher gebräuchliche Mittel sie noch nicht 
geleistet haben. 

Verf. hat im Jahre 1887 gleiche Ziele auf demselben Wege 
verfolgt, aber sein in Nr. 10 der „Fortsch. d. Med.“ abgegebenes 
Urthcil über die therapeutische Wirksamkeit dieser Stoffe bei 
Augenkraukheiten weicht sehr von demjenigen Stilling’s ab. 
Er spricht dem Methylviolett einen die Heilung von Schleimhaut¬ 
erkrankungen begünstigenden Einfluß ab. Leichte Conjunctival- 
catarrhe, die milderen Formen der Blennorrhoea neonatorum, 
die croupöse Bindehautentzündung und der scrophulösc Schwellungs- 
catarrh der Kinder verliefen (alle 24 Stunden) mit Methylviolett 
colorirt so, wie sie verlaufen, wenn die Augen rein gehalten und 
den Einwirkungen der Schädlichkeiten entzogen werden. Intensive 
Catarrhe, voll cutwickelte Blennorrhoen konnten durch den Farb¬ 
stoff nicht in irgend erkennbarer Weise therapeutisch beeiuflußt 
werden; ebensowenig die Granulöse. Boi allen derartigen Fällea 
mußte schließlich doch zu den Causticis gegriffeu werden. 

Von Hornhauterkrankungen wurden obei flächlieh exulcerirte 
lymphatische Infiltrate, scrophulöse Gefäßbändchen und das Ulcus 
serpens mit Methylviolett behandelt. Von einer coupircndcn Wirkung 
des Mittels konute in keinem Falle die Rede sein. In manchen 
Fällen war erheblicher Nachlaß der Reizung am Tage nach 
der Anwendung des Methylviolett zu erkennen; in anderen Fällen 
aber fehlte die Remission. Fälle von nicht großer Ausdehnung des 
oberflächlichen eitrigen Infiltrates mit dem Charakter des Ulcus 
serpens heilten unter Methylviolett recht prompt, da aber gleich¬ 
zeitig Atropin in Anwendung gekommen war, so läßt sich kein 
Urtheil Uber die Wirkung des Methylvioletts fällen. 

Von Wichtigkeit ist schließlich ein Fall von Ulcus eerpens, 
bezüglich dessen Verf. argwöhnt, daß die angewandte Methylviolett¬ 
lösung einen ungünstigen Ausgang zur Folge hatte. Es handelte sich 
um einen 38jährigen Arbeiter, der mit einem Ulcus serpens und 
kleinem Hypopion am 13. Juli 1887 in Behandlung kam. Die 
Affection bestand seit dem 7. Juni. Ordination: Atropin, Sondirung 
des Thränencanals, Tinction des Geschwürs mit Methylviolett. Ver¬ 
band. Am 14.: 8chmerzen hatten in der Nacht zum ersten Male 
ausgesetzt, Hypopion war nur noch spurweise vorhanden. Die Tinctionen 
w urden täglich wiederholt. Am 17. nahm der Proceß eine für diese 
Affection ganz ungewöhnliche Wendung. Während nämlich der ober¬ 
flächliche Infiltrationsrand sich zurückgebildet und die eitrige Farbe 
verloren hatte, trat ein strahlenförmig, von eben dieser Stelle aus 
in die Tiefe und zugleich nach der Hornhautperipherie hinziehende 
interlamelläre Infiltration auf, am 19. bildete sich ein Riugabsceß 
und dann schmolz die Cornea ein. Ein solcher Verlauf mahnt jeden¬ 
falls zur Vorsicht. —hn— 


A. Neisser (Breslau): Deber das Aristol. 

Zugleich mit therapeutischen Versuchen stellte N. auch über 
die Wirkung des Aristols auf den thierischen Körper und dessen 
antibacterielle Eigenschaften einige Untersuchungen an, deren Re¬ 
sultate er in Nr. 19 der „Berl. klin. Woch.“ mittheilt. Aristol, in 


wässeriger Lösung dem Thierkörper einverleibt, scheint auf denselben 
nicht die geringste Einwirkung auszuüben, eine Zersetzung des be¬ 
kanntlich aus Jod und Thymol bestehenden Körpers (Dijodthymol- 
jodid) scheint nicht stattzufinden. Im Urin fänden sich weder Jod¬ 
alkalien , noch jodsaure Salze. Auch ist es nicht möglich, bei 
mechanischer Verreibung von Aristol mit Stärke eine Jodreaction 
zu Fehen, selbst wenn beide Substanzen Stunden und Tage lang am 
Licht standen. Das Aristol ist dagegen sowohl in Olivenöl, wie iu 
flüssigem Paraffin löslich. Paraffinlösungen zeigen schon sehr bald 
auch eine Spaltung derart, daß Zi^atz von Stärke die Existenz frei • 
vorhandenen Jods nachweisen läßt, ölige Lösungen dagegen nur 
dann, wenn sie im Licht gestanden haben. Andererseits gibt die 
Verreibung des Aristols mit Vaseline eine solche Jodreaction uicht. 
Auch die ätherischen Lösungen spalten sehr leicht Jod ab, des¬ 
gleichen solche in Traumaticin. In Alkohol werden, wie es scheint, 
nur Spuren gelöst. 

Die Versuche, die antibacterielle Wirkung festzustellen, wurden 
mit Staphylococcus pyogenes aureus, Diploooccus albus, Mikroc. 
tetragenus, Bacill. pyocyaneus, Bacill. prodigiosus, Milzbrand- und 
Cholerabacillen angestcllt. Alle Versuche, durch Aristolpulver diesen 
Bacterienarten beizukommen, scheiterten. Aristoläther tödtete zwar 
nach VaStündiger Einwirkung die genannten Bacterien mit Aus¬ 
nahme des Tetragenus und des sporenhaltigen Milzbrands, doch zeigte 
Acther sulf. allein dieselbe Wirkung. Ein Einfluß von etwa ver¬ 
dunstendem Aristol, speeiell auf Choleraculturen, wie er beim Jodo¬ 
form zu Tage tritt, ist nicht vorhanden. Aristolsalben erweisen sich 
so gut wie unwirksam. 

Was nun die therapeutischen Versuche betrifft, so fielen die¬ 
selben nicht so glänzend aus, wie die anderer Autoren. Ulcera 
mollia wurden an 7 Krankeu mit Aristolpulver und Aristoläther 
behandelt; der Erfolg war ein absolut negativer. Auf Gono- 
coccen übt das Aristol keinerlei Einfluß. Ein chronisches, ziemlich 
infiltrirtes Eczem der Kniekehle wurde, freilich nur wenige Tage, 
mit Aristolsalbe behandelt; obgleich keine auffallende Wirkung er¬ 
folgte, hält N. weitere Versuche gerade nach dieser Richtung hin 
für angezeigt. Lupus wurde in 13 Fällen mit Aristol behandelt. 
Vorher durch Auskratzen oder durch energische Aetzmittel gesetzte 
Ulcerationsflächen wurden sehr günstig beeinflußt, die Ulcerationen 
heilten schnell und glatt zu. Dagegen konnte auf Lupusknötchen 
und Lupusflächen nicht die geringste Wirkung constatirt werden. 
Auch andero Ulcera, luetische Spätformen, ferner ulceröses 
Scrophuloderma, ausgekratzte Drüsenabscesse, Bubonenoperations- 
wuudcn heilten in der That sehr gut unter Aristolbehandlung. 
Lichen ruber planus wurde in 2 Fällen mit Aristol behandelt. 
Nach 14 Tagen konnte noch nicht der geringste Effect constatirt 
werden. Psoriasis wurde in allen möglichen Formen, ganz 
frischen und ganz alten, in 12 Fällen behandelt. Zwei davon 
reagirten zwar langsam, aber relativ günstig, während bei den 
übrigen, nachdem etwa 2—3 Wochen lang gar kein Fortschritt 
constatirt werden konnte, eiue andere Behandlung eingeleitet werden 
mußte. Es ergab sich jedoch als ein gewiß zu verwerthender Vor¬ 
theil, daß manchmal auch nachträglich die vorher mit Aristol be¬ 
handelten Körperflächen bedeutend schneller, z. B. auf Chrysarobin 
abheilten, als diejenigen, wo kein Aristol in Anwendung gekommen 
war. Das Aristol ist daher für die Psoriasisbehandlung als eine 
nicht unwillkommene Bereicherung der Therapie anzusehen. Ganz 
abgesehen von den großen Unannehmlichkeiten, die eine energische 
Chrysarobinbehandlung mit sich bringt, Unannehmlichkeiten, von 
denen das Aristol absolut frei ist, da es weder Reizung, noöh 
intensive Verfärbung hervorruft, gibt es ja Kranke, welche Ghrysa- 
robin oder Pyrogallussäure absolut nicht vertragen. — Ein Fall 
von Eczema seborrhoicum reagirte auch auf 20% Aristol¬ 
salbe gar nicht. Chrysarobinsalbe brachte schnelle Beseitigung. M. 


Egypten. Geschichtliche Studien eines Augenarztes. 
Von Dl*. J. Hirschberg, a. ö. Professor an der Universität in 
Berlin. Leipzig 1890. Georg Thieme. 

Eine Reise nach Egypten hat Hirschberg Anregung zu mannig¬ 
fachen Studien gegeben, die er in diesem Buche in drei Abhand¬ 
lungen niederlegt, und die 1. Egypten als klimatischer Curort, 


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2. Ueber die Augenheilkunde der alten Egypter, 3. Ueber die 
egyptische Augenentzündung betitelt sind. Wo profundes Wissen mit 
Esprit in so reichem Maße gepaart sind, wie bei Hirschberg , da 
können wir immer auf eine belehrende und gleichzeitig anregende 
Lectttre rechnen. Wir lesen mit eben solchem Interesse seine Aus¬ 
führungen über das Nilwasser, wie seine historischen Erörterungen 
über die Kenntniß der Augenheilkunde bei der Priesterkaste, als 
seine Studien über das Trachom in Egypten und die über diese 
Krankheit im Lande selbst gemachten Erfahrungen. Königstein. 

Die K r a nkh eiten der Frauen. Von Dr. H. Fritsch, Pro¬ 
fessor der Geburtshilfe und Gyn&kologie zu Breslau. Vierte, 
vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin 1889. F. W reden. 

Binnen wenigen Jahren ist dieses Lehrbuch bereits zum vierten 
Male in erneuerter Auflage erschienen. Das beste Zeugniß für seine 
Brauchbarkeit. 


F e u i 11 e t o n. 


Briefe aus Ungarn. 

(Original-CorreBp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

n. 

Budapest, Ende Mai 1890. 

= Die mit vielem Hangen und Bangen und je nach dem 
Interessenstandpunkte der betreffenden Professoren mit sehr ver¬ 
schiedenen Gefühlen erwartete Enqußte Uber die Reform des 
Collegiengeld-Systeras wurde durch den Unterrichtsminister 
Graf Albin CsAky am 18. d. M. eröffnet. Von der Universität 
sind dazu delegirt der Rector, die Decane und je 1 Professor der 
4 Facultäten. 

Das der Berathung zu Grunde liegende Elaborat gipfelt in 
folgenden Sätzen: 

Statt der bisherigen Collegiengelder (pro Stunde in der Woche 
1 fl. 6 kr.) kahlen die Hörer gleichmäßig an allen Facultäten pro 
Semester 30 fl. Schulgeld. Für dieses Schulgeld können sämmtliche 
während des Semesters an der Universität angekündigten Vorlesungen 
nach Belieben gehört werden. Die Immatriculationsgebühren bleiben 
unberührt. 

Die Collegiengelder betrugen, aus dem Quinquennium 1883/4 
bis 1887/8 berechnet, durchschnittlich 120.000 fl. pro Jahr. Die¬ 
selbe durchschnittliche Hörerzahl znr Basis genommen, würde das 
Schulgeld in der Zukunft 17 6.000 fl. betragen. 

Die wie bisher zur Zeit der Insoription bei der Qnästur ein¬ 
gezahlten Schulgelder werden zinstragend angelegt. Die Professoren 
können den nach dem gleich anzuführenden Schlüssel auf sie ent¬ 
fallenden Antheil des Schulgeldes von der 8. Woche ab, vor Schloß 
des Semesters, beheben. 

Das Schulgeld wird in folgender Weise vertheilt: 

a) fünf Proc. werden an die Staatscasse abgeliefert; 

b) fünf Proc. entfallen zusammen auf die Titular-Extraordinarii, 
Privatdocenten und Lehrer. 

Die restirende Summe wird verwendet: 

c) zur Gehaltserhöhung sämmtlicher Ordinarii und Extra- 
ordinarii um jährlich 500 fl.; 

d) zur Erhöhung des Quartiergeldes um jährlich 200 fl. für 
die Ordinarii und um 100 fl. für die Extraordinarii. 

e) znr Erhöhung der bisherigen Decennialzulagen von 315 fl., 
auf Quinquennalzulagen von 300 fl. für die Ordinarii, beziehungs¬ 
weise zur Systemisirnng der Quinquennalzulagen von 200 fl. für 
die Extraordinarii; 

f) ferner zur Honorirung der anzustellenden Repetitoren 
(Adjuncten), wofür die Summe von 4097 fl. zur Verfügung stehen würde. 

In der Uebergangsperiode werden nach Abzug der unter 
a)—o) angeführten Summen von dem Schulgelde Entschädi¬ 
gungen jenen Professoren gezahlt, welche im Quinquennium 1883/4 
bis 1887/8 durchschnittlich pro Jahr mehr als 500 fl. Collegien¬ 
gelder eingenommen haben. Die Entschädigungen sollen im Ver- 
hältniß zu den früher bezogenen Collegiengeldern stehen. Die von 


ln der neuen, wesentlich bereicherten Auflage hat Fritsch 
besonderen Werth auf die therapeutischen Capitel gelegt und neuere 
Behandlungsmethoden, sowie die sogenannte kleine Gynäkologie ein¬ 
gehendst berücksichtigt, um dem praktischen Arzte Gelegenheit zu 
geben, sich nach dem Buche über das für ihn besonders Noth- 
wendige möglichst orientiren zu können. 

Eine frische Sprache und kritische Darstellung beleben die 
Ausführungen des Themas derart, daß man sich bei der Lectüre 
förmlich unter dem lebendigen Eindrücke eines fesselnden klinischen 
Vortrages fühlt. 

Beraerkenswerth ist, daß Fritsch der modernen Massage in 
der Gynäkologie gegenüber sich ziemlich skeptisch verhält. 

Brkus. 


jetzt ab zu ernennenden Professoren werden nach der Kategorie 
ihrer Lehrkanzel eine Schulgeldzulage erhalten. 

Die nach Ablauf der Uebergangsperiode nach Abzug der unter 
a), b), d), e), f) angeführten Posten verbleibende Summe dient zur 
Deckung der Schulgeldzulagen. 

Sämmtliche ordentliche Lehrkanzeln zerfallen in 3 Kategorien. 
Gehälter, Quartiergelder und Alterszulagen sind in allen gleich. 

Als Schulgeldzulage bekommen die Vertreter der Lehrkanzeln 
dritter Kategorie jährlich 500 fl., die der zweiten Kategorie 1500 fl. 
und die der ersten 2500 fl. Davon werden 500 fl. als Gehaltszulage 
betrachtet und in die Pension eingerechnet. Die Schulgeldzulage kann 
unter keinen Umständen unter 500 fl. sinken, dagegen darf sie die 
obige Summe nie überschreiten. 

Die eventuell noch verbleibende Summe wird zu Universitäts¬ 
zwecken verwendet. * 

Die für die Titular Extraordinarii, Privatdocenten und Lehrer 
oben bestimmten 5 Procente (8800 fl.) werden unter den Privat- 
dooenten nach Verhältniß der Vorlesungsstunden und Hörerzahl 
vertheilt. 

Jene Privatdocenten, welche solche theoretische Gegenstände 
vortragen, wo der Natur des Gegenstandes nach auf Collegiengelder 
nicht gerechnet werden kann, werden, wenn ihre Verdienste um die 
Pflege der Wissenschaft und den Unterricht ihre Erhaltung für die 
Universitätscarriere wünschenswerth macht, wie zuvor aus dem in 
das Budget zu diesem Zwecke aufgenommenen Voranschlag honorirt 
werden. 

Für die Uebuogen wird kein besonderes Honorar gezahlt. 

Das Erlassen der Schulgelder kann bis zu der aus dem fünf¬ 
jährigen Durchschnitt berechneten Höhe (13.000 fl.) durch die Facul- 
täton erfolgen. Ueber diese Summe kann aber nur das Ministerium 
die Erlaubniß ertheilen. 

Die Auftbeilung der Schulgelder nach obigen Grundsätzen 
wird in jedem Semester vom Universitätssenat mittelst Voranschlages 
bewerkstelligt, der dem Ministerium zur Prüfung und Gutheißung 
unterbreitet wird, wonach die Flüssigmachung der betreffenden Gelder 
erfolgt. 

Die außerordentlichen Hörer — die ordentlichen Hörer der 
Pharmacie werden hieher nicht gerechnet — welche sich für einen 
Gegenstand inscribiren, zahlen pro Semester 10 fl., wenn die Zahl 
der von ihnen belegten Stunden die Hälfte der in jener Facultät 
obligatorischen Vorlesuugsstunden nicht überschreitet, im anderen 
Falle 15 fl. 

Ebensoviel zahlen jene außerordentlichen Hörer, welche wohl 
mehrere Gegenstände hören, die Stundenzahl aber die Hälfto der 
an der betreffenden Facultät festgesetzten obligatorischen Stunden¬ 
zahl nicht überschreitet; im anderen Falle haben sie das ganze 
Schulgeld, d. h. pro Semester 30 fl., zu entrichten. 

So weit der ministerielle Entwurf, welcher gewiß auch für 
Oesterreich und Deutschland von Interesse sein dürfte, da das ver¬ 
altete System der Collegiengelder dort auch bereits zu wiederholten- 
malen angegriffen wurde und der Gegenstand trotz allem daselbst 
hen sehenden Conservatismus wohl wieder auf’s Tapet gebracht 
werden wird. 


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Wie man sieht, ist das Wesentliche an dieser Reform das 
einheitliche Schulgeld und dessen gleichmäßigere 
Vertheilung unter die ordentlichen Professoren. Der 
bescheidene Abzug von 5 Procent zu Gunsten der Extraordinarii 
und Privatdocenten tangirt die Collectiveinnahme der ordent¬ 
lichen Professoren nur wenig. Die theologische und ein großer 
Theil der philosophischen Facultät mit ihren spärlichen Collegien- 
geldern sind mit dieser Reform natürlich einverstanden; unzufrieden 
damit sind die Mediciner und ganz besonders die Juristen. 

Es ist bedauerlich, daß zu der Enquete keine Vertreter der 
Extraordinarii und Privatdocenten zugezogen wurden, deren materielle 
Interessen doch gleichfalls hier verhandelt werden und bei denen 
der UnterrichtBminister gewiß Unterstützung gefunden hätte. Wenn 
man schon nicht gewagt hat, ihnen in der Enquöte Stimmrecht zu 
ertheilen, hätte man doch wenigstens ihre Meinung hören sollen. 

Das zumüeberdruß verkündete Argument, daß durch Abschaffung 
der Collegiengelder der Wetteifer unter den Profeseoren, durch 
Leistungen auf dem Gebiete der Forschung und des Unterrichts 
möglichst viel Hörer anzuziehen, lahmgelegt wird, kann nicht ernst 
genommen werden. 

So lange es obligate Gegenstände gibt, die man hören muß, 
und so lange es „praktische“ und „theoretische“ Fächer geben 
wird, werden und müssen dieselben von den Studenten in sehr 
ungleicher Anzahl belegt werden und kann da von einem Wett¬ 
bewerb unter den Professoren nicht die Rede sein. Am ehesten 
könnte Aehnliches bei Parallellehrkanzeln der Fall sein, bei denen 
‘aber gerade die materielle Spitze dadurch längst abgebrochen ist, 
daß die Vertreter derselben das Prflfungsrecht gleichmäßig ausüben. 

Bliebe dann noch der edle Wettstreit unter den Extraordinarii 
und Privatdocenten übrig, deren Collegiengelder aber selten 
darnach angethan sind , um den Neid von oben her oder gegen¬ 
seitig wachzurufen. Wir mögen wohl zugeben, daß ein doppelt 
so großes Collegiengeld auch eine doppelte Freude bereitet, aber 
es ist nicht erwiesen, daß dabei auch eine doppelte Mühe beim 
Unterricht entwickelt wird. 

Hier tritt in sehr passender Weise die Einrichtung der Repe¬ 
titoren ein, welche dem Uebelstande der überfüllten Collegien theil- 
weise abhelfen sollen. 

Und wenn sich dieses System, welches sich dem modernen 
der französischen Schulen nähert, einmal eingelebt haben wird, dann 
wird der Professor vor dem blossen Anblick eines vollen Collegiums 
ebenso angeregt und befriedigt sein, wie irgend ein anderer öffent¬ 
licher Vorleser. Dagegen wird das Unrecht gemildert, welches die 
Inhaber rein wissenschaftlicher und theoretischer Fächer durch die 
naturgemäß beschränkte Anzahl ihrer Hörer erleiden, wo sie doch 
bei der Erreichung ihrer Qualification nicht weniger Mühe gehabt 
haben. Den Härten des Ueberganges aber vom früheren zum jetzigen 
System ist in dem Elaborat jedenfalls in weitem Umfange Rechnung 
getragen worden. 

Unterrichtsminister Graf Csäky hat sich in seinen bisherigen 
Reformen der Kindergärtnerei, der einheitlichen Mittelschule, der 
Frage der griechischen Sprache, als sehr feBt und zielbewußt er- 
wieseu, und es scheint, daß er auch auf dem Gebiete der Universitäts¬ 
reform Sieger bleiben wird. 

Brief aus Stockholm. 

Von Dr. Wilhelm von Vragaasy. 

(Schluß.) 

ThüRE Brandt’8 manuelle Behandlung der Vaginal-, Utcrinal- 
und Anal-Prolapse ist heute keine Neuheit mehr und dürfte den 
meisten der Leser*) bekannt sein, dessenungeachtet erlaube ich 
mir, an das, was ich bei ihm gesehen habe, einige Bemerkungen 
zu knüpfen. 

Sein Verfahren bietet in mancher Hinsicht viel Lehrreiches 
und Interessantes, und vorurtheilsfreie Collegen in Stockholm, die 
sich über seine Behandlungsmethode bei ihm Informationen holen, 
versicherten mich, daß er schöne Erfolge erzielt; aber die Behand¬ 
lung erheischt viel, sehr viel Zeit und Geduld von beiden Seiten; 

*) Vergl. Wiener M<d. Prcsso 1£88, Nr. 40; 1889, Nr. 1 u. 2. 


einzelne Fälle wurden von ihm durch 8—10 Monate behandelt. Es 
scheint mir, daß man in Schweden die dazu erforderliche Zeit 
und Geduld aufbringen kann. Dieser Umstand allein wäre in England 
beispielsweise, wo der Verdienst der Gesundheit gemeinhin vorangeht, 
ein schwer zu überwindendes Hinderniß für die Einbürgerung dieses 
Heilverfahrens. 

Bei Prolapsus, Descensus, Retroflexio und Retroversio uteri sah 
ich durch die „Hebung“ der Gebärmutter — was gar nicht so 
einfach und leicht ist, wie es aussieht — entschiedene Besserungen; 
desgleichen beobachtete ich eine merkliche Besserung eines Scheiden¬ 
vorfalles durch lange fortgesetzte Massage. Der Vorschlag Brandt’s, 
den Mastdarmvorfall durch lange Zeit hindurch und öfters im Tage 
geübte active Uebung, eine Art von Aspiration, erzeugt durch Con- 
traction des Sphincters und Aneinanderpressen der Glutaeen, zu 
beseitigen, hat viel von gesundem Menschenverstand an sich und 
mag ja wirklich in manchen Fällen zum Ziele führen. 

Ich bedauere nur, daß es mir an Zeit gebrach, die weiteren 
Fortschritte an einer Anzahl von interessanten Fällen zu verfolgen, 
die augenblicklich in seiner Behandlung sind. 

Wenn auch diese Behandlungsmethode heute, wie gesagt, keine 
Neuheit mehr ist, so ist sie doch jung und geht, wenn von Aerzten 
erst ausgeübt, vervollkommt und in passenden Fällen nach präciser 
Diagnose angewendet, einer gedeihlichen Zukunft entgegen. 

Es wäre daher wünschenswerth, wenn sich mehr Gynäkologen 
dafür interessirten, als es bis jetzt der Fall gewesen. Die Methode 
ist gewiß gut; allein sie bedarf der bestimmteren Formen, einer 
präcisoren wissenschaftlichen Fassung, um verstanden und gelehrt 
zu werden. 

Herr Thüre Brandt ist ein äußerst gewissenhafter, liebens¬ 
würdiger, entgegenkommender Mann, der es mit seiner Kunst 
ernst meint und dafür sein Bestes einsetzt. Er hat eine wunderbare 
Hand und ein selten entwickeltes Tastgefühl, welche Eigenschaften 
ihn zu einem Meister seiner Methode, allerersten Ranges, qualificiren. 
Jeder College, der sich für diese manuelle Therapie interessirt, findet 
bei ihm die allerbeste Aufnahme, sowie sie auch mir zu Theil wurde, 
wofür ich Herrn Brandt an dieser Stelle meinen besten Dank sage. 

Eine musterhaft eingerichtete und ebenso geleitete Anstalt ist 
jene von Dr. A. Wide für Orthopädie, Massage und Heilgymnastik. 
Dr. Wide ist einer der best qualificirten jüngeren Aerzte Stockholms 
und wendet eine sehr rationelle M&ssagetherapie an. 

Wer diese Art von manipulativer Behandlung, wie sie da 
geübt wird, gesehen hat, wird begreifen, daß die auf wissenschaft¬ 
lichen Principien fußende Massage von sogenannten Masseuren oder 
Masseusen ohne ärztliche Aufsicht nicht einmal verstanden, geschweige 
denu ausgeübt werden könne. 

Höchst bemerkenswerth sind die Resultate, die dort durch 
Massage an mit Herzklappenfehlern behafteten Kranken erzielt 
werden. Freilich heilt man dadurch das Vitium cordis nicht; aber 
man beseitigt die Incompensations-Erscheinungen und verleiht den 
Kranken eine relative Euphorie. Die Oedeme und das Eiweiß 
schwinden, die Kranken werden befähigt, namhafte körperliche 
Arbeit zu verrichten; sie laufen, steigen Treppen ohne Anstrengung 
und Beschwerden, turnen und springen herum mit einer Mitral- 
insufficienz, bei der man das „Frömissement“ durch die Oberkleider 
durchfühlen kann. Leider erheischen diese Fälle continuirliche Behand¬ 
lung oft durch das ganze Leben hindurch; aber daraus kann der 
Behandlung kein Vorwurf gemacht werden, wie man das zuweilen 
zu hören bekommt. 

Auch Tabiker habe ich da gesehen, deren Schmerzen, Ataxie 
abnahmen und die Locomotionsfähigkeit sich besserte. 

Das „Centralinstitut für Massage und Heilgymnastik“ ist in 
seiuer Art eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges und bildet heute die 
Central sch ule für die Erlernung der rationell geübten manipulativen 
Behandlung für die ganze Welt. Ich habe da, mit Ausnahme von Oester- 
rcich-Ungarn, Schüler aus allen Ländern Europas gesehen, die zum 
Theile im Aufträge der Regierung für Civil- und Militärdienste 
herangebildet werden. Hier werden Lehrer und Lehrerinnen pädago¬ 
gisch nach einem höchst systemisirten Lehrplane geschult unter 
der Leitung von Männern, wie Capt. v. Silow, Prof. Mürray 
und Prof. Törngren. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


Anstalten, wie jene des Dr. Zander und Dr. Levertin, wo 
Massage, active und passive Bewegung mittelst Apparaten be¬ 
werkstelligt werden, erweisen sich mehr uud mehr als allgemein 
empfundenes Bedürfniß nicht nur in Schweden, sondern überall dort, 
wo die Bevölkerung vorwiegend eine körperlich unthätige Lebens¬ 
weise in abgeschlossenen Räumen führt. 

In der königl. Gesellschaft der Aerzte hielt Dr. Wide einen 
Vortrag über die Scoliosenbehandlung und producirte dabei einige 
moderne Redressionsapparate, vorzüglich jene unseres Collegen 
Prof. A. Lorenz mit Hinweis auf dessen Principien Der Wiener 
Schule wurde hiebei die schmeichelhafte Genugthuuug zu Theil, daß 
die von ihrem Schüler Lorenz stabilirte Scoliosenbehandlung von 
Prof. Rossander, Dr. Wide und Anderen als eine der allerbesten 
betont und besprochen wurde. 


Kleine Mittheilungen. 

— Im Anschluß an einen jüngst von Senator in der Gesell¬ 
schaft der Charite Aerzte gehaltenen Vortrag über lebende Fliegen¬ 
larven im Magen theilt Dr. K. Hildebrandt (Borlin) in Nr. 19 
der „Berl. klin. Woch.“ folgenden Fall von Erbrechen von 
Fliegenlarven mit. Die Dame eines Hauses, dessen Arzt er seit 
15 Jahren ist, ließ ihn eines Abends rufen und brachte ihm einen 
Napf eutgegen, in dem auf eiuem Haufen ungefähr 60—70 Maden 
lagen. Sie waren gleichmäßig mit Schleim überzogen, krochen nicht 
auseinander, sondern bewegten sich über- und untereinander, waren 
von verschiedener Länge, die größten vielleicht einen Centimeter 
lang, hatten einen kleinen schwarzen Kopf und einen längeren, 
weißlichen, dünnen Körper. Die Dame gab an, daß sie Uebelkeiten 
empfunden und den gerade in der Nähe stehenden Napf ergriffen 
habe, um, wenn Erbrechen kommen sollte, den Teppich nicht zu 
beschmutzen und das Erbrochene aufzufangen. Mit einem Sturze 
wären alle diese Thierchen mit einem Male erbrochen worden. Es 
soll dies ungefähr eine halbe Stunde früher geschehen sein, und, 
obgleich aus Ekel und Abscheu die Dame noch immer Würge¬ 
bewegungen hatte, entleerte sie keine Maden weiter. Hilde¬ 
brandt nahm einige derselben in einem Gläschen mit und zeigte sie 
den anwesenden Mitgliedern des zufällig Sitzung haltenden ärztlichen 
Vereines vor. Alle erklärten sie für Fliegenmaden, und auch der 
Augenarzt Dr. Burmeister, welcher sie zur Untersuchung mit sich 
genommen hat, sagte, es seien Larven von Musca domestica. Be¬ 
fragt, ob sie eine Ahnung habe, wie diese Maden wohl in den 
Magen batten kommen können, gab die Dame nach vielem Hin- und 
Herfragen an, daß sie damals leidenschaftlich Weintrauben gegessen 
hatte und mit den Beeren vielleicht Eier solcher Maden verschluckt 
haben könne. 

— Dr. Cino Bernardino berichtet (im „Arch. ital. per le 
mal. nerv.“ — „Neurol. Cbi.“ Nr. 9) über die schlafmachende 
Wirkung des Ural bei Geisteskrankheiten. Bekanntlich hat Compari 
durch Mischen von Chloralhydrat und Urethan einen neuen Körper 
dargestellt, den er Ural nennt und der dem vou Bischöfe ent¬ 
deckten Chloralurethan ziemlich nahe zu stehen scheint. Er besteht 
aus bitter schmeckenden Krystallen, die bei 106° schmelzen, in 
Wasser fast unlöslich, dagegen in Alkohol sehr leicht lösbar sind. 
Nachdem die schlafmachende Wirkung des neuen Körpers durch 
Thierexperimente festgestellt war, wurdo er auf seine praktische 
Verwerthbarkeit beim Menschen geprüft, und zwar bei Schlaflosigkeit 
in Folge somatischer Erkrankungen, wie auch bei Geistesstörungen. 
Die Erfolge waren sehr befriedigend. Bei genügender Höhe der 
Dosis ließ der Schlaf weder an Tiefe, noch an Dauer etwas zu 
wünschen übrig. Meistens genügten 2 Grm.; in einem einzigen Falle 
von schwerer Tobsucht waren 5 Grm. erforderlich. Das Mittel ist 
sowohl in Pulverform, als in alkoholischer Lösung leicht zu nehmen 
und wirkt auch vom Rectum aus. Besonderen Werth legt Verf. 
auf den sehr geringen Einfluß, den das Ural auf das Herz und auf 
den Blutdruck ausübt, so daß es in dieser Beziehung selbst dom 
Chloral weit vorzuziehen ist. Außerdem ruft es aber selbst nach 
längerer und reichlicherer Anwendung keine Verdauungsbeschwerden 
hervor, macht keine nervösen oder Nebenerscheinungen und er¬ 
fordert keine allmälige Steigerung der Dosis, selbst nach lange fort¬ 
gesetztem Gebrauch. 


— Aus den Acten der medicinischen Abtheilung des preußischen 
Kriogsministeriums werden im Maihefte der „Deutsch, militärärztl. 
Zeitschr.“ weitere mit der Chromsäurebehandlung der Fuß- 
schweiße in der Armee gemachte Erfahrungen veröffentlicht. 
Es sind iu der preußischen Armee während des Frühjahrs, Sommers 
und der großen Herbstübuiigen ungefähr 36.240 Mannschaften 
der Chromsäurebehandlung unterworfen. Am zweckmäßigsten ist es, 
die Lösung mit einem starken Haarpinsel aufzutragen. Die An¬ 
wendung der Cbromsäure muß nur auf dem vorher gründlich ge¬ 
reinigten und getrockneten Fuß stattfinden; damit dieselbe auf die 
Haut unmittelbar ihre Wirkung entfalten kann, muß aller Schmutz, 
Schweiß und Fett durch ein sorgfältiges Seifenbad entfernt werden. 
Zwischen den einzelnen Pinselungen ist es vortheilhaft, 8—14tägige 
Pausen zu lassen. Wird eine Chromsäurelösung auf die Haut der 
Fußsohle aufgetragen, so färbt sich dieselbe schnell gelblichbraun, 
in wenigen Minuten ist die Flüssigkeit eingetrocknet und nun kann 
ohne Schaden die Fußbekleidung angelegt werden. Das hierauf 
eintretende prickelnde Jucken und Brennen vergeht in wenigen 
Stunden; 9chon nach einmaliger Pinselung tritt gewöhnlich eine be¬ 
trächtliche Abnahme der Schweißabsonderung ein, die Wirkung 
äußert sich auch ganz besonders auf die Zersetzung des Schweißes. 
Sie erklärt sich dadurch, daß die Chromsäure als starkes Oxydations¬ 
mittel Sauerstoff an die organischen Gewebe abgibt und sich zu 
Chromoxyd reducirt, welches mit der Haut einen gewissen Gerbungs- 
proceß eingeht, sie also ledern macht; denselben Einfluß übt sie 
wahrscheinlich auf die Zellen der Schweißdrüsen aus. Von den be¬ 
handelten Fällen wurden 59‘4° 0 geheilt, 33’l°/ 0 gebessert und nur 
7'5°jo nicht geheilt. Auf Grund dieses reichlichen Materiales läßt 
sich das Urtheil über den Werth der Behandlung der Fußschweiße 
mit Chromsäure dahin zusammenfassen: Die Chromsäure ist ein 
billiges, in gewissen Fällen brauchbares, reinliches und wohl das 
am schnellsten wirkende Mittel gegen die Fußschweiße, indessen 
stehen seiner ausschließlichen und allgemeinen Einführung nicht un¬ 
wesentliche Bedenken entgegen, so daß es als ein unter allen Um¬ 
ständen und allgemein anzuwendendes Mittel nicht zu bezeichnen ist. 
Die Anwendung kann nur unter ärztlicher Aufsicht wegen der 
Häufigkeit unangenehmer Nebenerscheinungen stattfinden. Niemals 
darf das Mittel den Leuten selbst in die Hand gegeben werden, 
während dies bei den Salicylpräparaten unbedenklich erfolgen kann. 
Die 5% Lösung ist für die meisten Fälle ausreichend; es empfiehlt 
sich, schwächere Lösungen nur in Ausnahmsfällen, stärkere überhaupt 
nicht zur Anwendung zu bringen. Während der Gebrauch der 
Salicylpräparate bei jeder Schweißfußerkrankung zulässig ist, darf 
die Anwendung der Chromsäure nur auf ganz wundenfreie Füße 
erfolgen, aber auch daun lassen sich nicht mit Sicherheit die 
störenden Nebeneinwirkungen vermeiden. Die vollständige Sauber¬ 
keit der Füße ist eine wichtige Voraussetzung. Wird die Chrom¬ 
säure auf Märschen u. s. w. mitgeführt, so darf dies nur in Glas¬ 
gefäßen mit eingeschliffenen Glasstöpseln geschehen. Auch müssen 
diese Gefäße mit rotber Schrift zur Bezeichnung des Inhaltes ver¬ 
sehen sein. Auf die Reinheit der Chromsäure ist besonderes Gewicht 


zu legen. 

— Angeregt durch Gottsciiai.k’s Empfehlung, hat Dr. Lahn¬ 
stein in Wiesbaden („Therap. Monatsh.“, Nr. 5) Menthol gegen 
Erbrechen bei einem Kinde mit traumatischer Peritonitis ange¬ 
wendet, nachdem gegen das copiöso gallige Erbrechen Opium und 
Morphium innerlich, sowie in Form von Klysmen, Suppositorien und 
subcutanen Injectionen erfolglos geblieben waren. Der Frfolg war 
ein frappanter; nach 5 Löffeln einer Lösung von 


Rp. Menthol.l'O 

solve in 

Spirit, vin.20'0 

Syr. sacch.30’0 


MDS. Stündlich 1 Theelöffel voll 

hörte das Erbrechen auf, kehrte zwar am nächsten Tage wieder, 
war aber nach Darreichung weiterer 3 Löffel vollständig verschwunden. 
In dieser von Weiss empfohlenen Lösung bleibt das Menthol 
emulsionsartig suspendirt, während es sich aus der Gottschalk- 
schen Lösung schnell ausscheidet und oben schwimmt. 

— Chas. W. Hamilton empfiehlt im „Brit. med. Journ. M 
vom io. Mai 1890 Kolasamen (Sterculia acuminata) gegen dleSee- 


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krankheit. In den 5 damit behandelten Fällen bewährte sich das 
Mittel vorzüglich. 2—4 Grm. der Kolasamen, langsam gekaut, 
brachten binnen ungefähr 40 Minuten sämmtliche Symptome der 
Seekrankheit zum Schwinden: die Depression, das Erbrechen, den 
Schwindel. Die Herzthätigkeit wurde regelmäßig und kräftiger und 
eine früher nie vorhandene Zuversicht, selbst bei sehr schwerem See¬ 
gang, stellte sich ein. Hamilton glaubt, den Kolasamen oder ihren 
Alkaloiden auch eine präventive Wirkung zuschreiben zu können 
und empfiehlt dieselben zu weiteren Versuchen. 

— Dr. Arthur Hoffmann (Darmstadt) empfiehlt in Nr. 6 
der „Therap. Monatsh.“ japanisches Pflanzenfaserpapier als ein¬ 
fachen Ersatz der Oblaten und Gelatinekapseln zum Einhüllen 
pulverförmiger Arzneimittel. Es ist dies ein Pflanzenfaserpapier, 
welches in Japan unter dem Namen Usego im Großen dargestellt 
wird. Das Papier ist äußerst dünn und zart, so daß man die 
feinste Druckschrift durchlesen kann, andererseits aber sehr schwer 
zerreißbar. Es besteht aus einem dichten Netzwerk von unregel¬ 
mäßig kreuz und quer verlaufenden, sehr dünnwandigen Bastfaserzellen. 
Zur Einhüllung eines gewöhnlichen Arzneipulvers im Gewichte von 0 - 5 
bedarf man eines quadratischen Stückchens dieses Papieres von circa 
6 Cm. Länge und Breite. Da der Bogen Papier etwa einen Pfennig 
kosten dürfte, so wird sich das Material zur Einhüllung einea 
Pulvers auf etwa 002 Pfennige stellen. Das Pulver wird auf die 
Mitte des Papierblättchens möglichst eng zusammengeschüttet, dann 
werden die vier Zipfel desselben an den Ecken in die Höhe ge¬ 
hoben und durch Zusammendrehen zwischen Daumen und Zeigefinger 
der rechten Hand zu einem kleinen Strang fest vereinigt. Es ent¬ 
steht auf diese Weise ein Papierbeutelchen, ähnlich den üblichen 
Knallerbsen. Am Uobergang in das das Pulver enthaltende Beutel¬ 
chen wird der zusammengedrehte Strang durch einen Scheerenschnitt 
abgetrennt und man erhält so ein etwa 0*5 Grm. enthaltendes 
Pulver in einem Volumen von kaum einer Erbse. Daß die Resorption 
des Arzneimittels durch die Einhüllung in Pflanzenfaserpapier nicht 
verzögert wird, hat H. in Schmiedebebg’s Laboratorium experimentell 
erwiesen. Das Papier wird im Darm offenbar zertheilt und geht 
in Form von Pflanzenfasern mit dem Stuhlgang ab. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zo Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VH. 

Browicz (Krakau): Bewegungsphänomene an rothen Blut 
körperchen in schweren anämischen Zuständen. 

Browicz demonstrirt Bewegungsphänomenc an rothen Blut¬ 
körperchen, welche derselbe bisher in 4 Fällen anämischer Zustände, 
und zwar in je einem Falle von Anaemia perniciosa progressiva und 
Krebskachexie, einem Falle von suspectem Leberkrebs und einem 
Falle von Anämie unbestimmbarer Art vorgefunden hat. Je zwei von 
diesen vier Fällen, und zwar der Fall von Anaemia progressiva und 
suspectem Leberkrebs, befinden sich seit mehreren Wochen in der 
medicinischeu Klinik des Prof. Korwijnski (welchem Browicz das 
Material verdankt) in Behandlung, und die fast täglich vorgenommenen 
Untersuchungen des Blutes ergeben stets dasselbe Bild, welches in 
letzter Zeit in dem Falle von Anaemia progressiva einen bedeutenden 
Umschwung zum Normalen aufweist. Diese Bewegungsphänomene 
sind sogleich in frischen, reinen, dem Kranken eben entnommenen 
Bluttropfen ohne Anwendung eines heizbaren Objecttisches, bei 
gewöhnlicher Zimmertemperatur und ca. GOOfacher Vergrößerung 
nachweisbar. Das Blut zeigte in diesen Fällen das Bild hochgradiger 
Poikilocytose. Die Formveränderungen der Erythrocyten waren 
äußeret bizarr, und zwar fanden sich unter Anderem blutegel-, kaul- 
quappen-, spermatozoen- und bimförmige, manche mit zwei an ent¬ 
gegengesetzter Seite befindlichen dünnen Fortsätzen', andere mit 
sternförmig aufgetriebenen Fortsätzen, wieder audere sogar stäbchen¬ 
artig. Ihr Diameter betrug 4, S, 10, ja die mit langen Fortsätzen 
versehenen batten sogar eine Länge von 18 Mikren. Die Fortsätze 


an den Erythrocyten bestanden aus solider, theils farbloser, theils 
gefärbter Substanz, oder aus perlschnurartig aneinander gereihten 
Kügelchen, ebenso die stäbchenartig mißgestalteten Erythrocyten. 

An diesen mißgestalteten Erythrocyten ließen sich dreierlei 
Bewegungsformen nach weisen: 1. rotirende Bewegungen um die 
Axe des Körperchens, so daß immer ein anderer Theil der Ober¬ 
fläche zur Beobachtung gelangte, wodurch Contractilitätserscheinungen 
vorgetäuscht werden 5 2. schwingende, pendelartige Bewegungen, 

besonders an den mit Fortsätzen versehenen; 3. fortschreitende, 
mit Ortsveränderung verbundene Bewegung, die manchmal wurm¬ 
förmig erschien. 

Die Bewegungen waren manchmal sehr lebhaft, so daß die 
z. B. stäbchenartig veränderten Erythrocyten parasitäre Gebilde Vor¬ 
täuschen könnten, weshalb Hayem, der diese Phänomene in 6 Fällen 
von Anämie verschiedenen Ursprungs beobachtet hat, sie auch ganz 
passend als Pseudoparasiten bezeichnet. Sobald die Blutschichte 
unter dem Deckgläschen (zur Blutuntersuchung wurden immer in 
der Gasflamme sterilisirte Object- und Deckgläschen verwendet und 
das Präparat unter allen aseptischen Cautelen angefertigt) nicht zu 
dünn ausfällt und das Blutpräparat durch Umrahmung mit Vaselin 
oder dergleichen vor Verdunstung geschützt ist, lassen sich diese 
Bewegungsphänomene stunden-, ja tagelang beobachten, ohne daß 
im Blute irgend welche andere bewegliche Gebilde zum Vorschein 
kommen. Manchmal konnte Browicz diese Bewegung nach 4, ja 
selbst einmal noch am G. Tage nach Anfertigung an demselben Blut¬ 
präparate constatiren, wobei das Blutpräparat bei gewöhnlicher 
Zimmertemperatur, 15—20 5 C., aufbewahrt worden war. 

Am Trockenpräparate färbten sich die im frischen Bluttropfen 
Bewegung aufweisenden Gebilde z. B. mit 1 Proc. wässeriger 
Gentianlösung intensiv, fast ebenso wie die Kerne der Leucocyten. 

Daß diese beweglichen Gebilde veränderte Erythrocyten und 
nicht parasitärer Natur sind, dafür spricht: 

1. der Umstand, daß dieselben Gebilde in grundverschiedenen 
Krankheitsprocessen vorfindlich sind, wie bei Anaemia perniciosa 
(obwohl dies ein collectiver Begriff zu sein scheint), Krebskachexie, 
Chlorose (wie es z. B. Hayem angibt); 

2. die frappante, im höchsten Grade vorfindliche Buntgestaltig- 
keit dieser Gebilde in einem und demselben Falle, welche 
parasitäre Gebilde nicht aufweisen, sowie die Farbe und ihr ganzes 
Aussehen; 

3. das Bild, welches ein Blutpräparat frischen normalen Blutes, 
welches nach dem Vorgänge von Talamon plötzlich stark über 
einer Gas- oder Spiritusflamme erhitzt wird, darbietet. Daselbst lösen 
sich oder entschlüpfen aus den Erythrocyten, wie bekannt, Kügelchen 
verschiedener Größe, Erythrocyten senden Fortsätze von bedeutender 
Länge , bilden sich stäbchenartige und monadenartige Gebilde, 
welche, wenn man eine Reihe derart behandelter Präparate normalen 
Blutes durchmustert, manche ähnliche Gestalten, wie die im patho¬ 
logischen Blute vorfindlichen, aufweisen und welche dieselben und 
auch andauernden Bewegungsphänomene darbieten, wie diejenigen 
im pathologischen Blute vorfindlichen, Bewegungsphänomene auf¬ 
weisenden Gebilde. Auf die Literatur, wie z. B. Angaben von Gaule, 
Hayem, Arndt u. A., geht Browicz hier nicht ein, ausführliche 
Mittheilungen hierüber und Uber Einzelheiten seines Befundes wird 
anderwärts veröffentlicht werden. 

Browicz hält die besagten Bewegungsphänomene nicht, wie 
es Hayem erklärt, für eine vitale Erscheinung, sondern für eine 
BROWN’sche Bewegungserecheinung in Folge veränderter Adhäsions¬ 
verhältnisse zwischen den durch irgend welche unbekannte Einflüsse 
in ihren chemischen Eigenschaften veränderten Erythrocyten und 
der Serumflüssigkeit. 

Dafür spricht 1. der Umstand, daß diese Bewegungserechei- 
nungen so lange (während die Leucocyten starr daliegen) bei ge¬ 
wöhnlicher Zimmertemperatur in entsprechend angefertigten Blut¬ 
präparaten sich erhalten, was mit den Lebenserscheinungen des 
Protoplasma, insofern sie uns bekannt sind, nicht ganz vereinbar 
ist, und 2. daß in dem plötzlich stark erwärmten Blute auftretende 
Bewegungsphänomene, welche angesichts der angewandten Tempe¬ 
ratur ja doch nicht Lebenserscheinungen sein können, unter den 
selben Bedingungen bei nicht zu dünner Blutschichte und Schutz 


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vor Verdunstung auch tagelang beobaehtet werden können, wie es | 
Browicz constatirte. 

Wernicke (Breslau): Ein Fall von Aphasie. 

Ein 4Hjäbriger Tischler wurde nach 2jähriger Geisteskrank¬ 
heit gebessert aus der Klinik entlassen. Er wäre als geheilt zu 
betrachten gewesen , wenn er nicht ein Gebrechen zurtickbehalten 
hätte, nämlich den Verlust der articulirten Sprache, während er noch 
im Stande war, sich durch Gesten und schriftlich verständlich zu 
machen. Es handelt sich in diesem Falle zweifellos um eine motorische 
Aphasie, denn obgleich der Kranke stumm ist, zeigt sich im Ge¬ 
biete der zum Sprechen dienenden Muskeln nirgends eine Lähmung. 

Es fragt sich nun, welche Art der Aphasie hier vorliegt? Die 
Aphasie kann nach Wernicke cortical, subcortical oder transcortical 
sein. Corticale motorische Aphasie kann hier nicht vorliegen, weil 
der Kranke lesen und auch schreiben kann. Die transcorticale 
Aphasie zeichnet sich dadurch aus, daß der Kranke zwar nicht 
sprechen kann, aber nachzusprechen im Stande ist und auch laut 
lesen kann; von beiden Fähigkeiten zeigt aber der vorliegende Fall 
keine Spur, hingegen stimmt das vorliegende Krankheitsbild mit der 
subcorticalen Form überein, indem der Kranke die Fähigkeit zu 
schreiben nnd zu lesen behält und nur das articulirte Sprechen ver¬ 
loren hat. Indeß stehen bei näherer Betrachtung dieser Annahme 
gewisse Bedenken entgegen. Pat. kann zwar lesen und schreiben, 
allein diese Fähigkeit ist nicht ganz intact, so ist Pat. nicht mehr 
im Stande, lateinische Schrift zu lesen und zu schreiben, was er 
vorher kannte, ferner zeigt er beim Sohreiben die Eigentümlich¬ 
keiten, die an Paraphasie erinnern; läßt gerne Buchstaben aus, 
schreibt oft einen Buchstaben für den anderen, so „kirne“ statt 
„gerne“, „Flasse“ statt „Flasche“ und schreibt Alles mit kleinen 
Bnchstaben. Zweitens ist es auffallend, daß bei subcorticalem Sitz 
der Aphasie der Kranke keine Spur von rechtsseitiger Hemiplegie 
zeigt. Drittens bestehen einige Complicationen, welche gegen den 
subcorticalen Sitz sprechen, nämlich der Verlust einer Reihe von 
Bewegungen, ohne daß eine Lähmung im eigentlichen Sinne vorläge. 
Pat. kann nicht willkürlich pfeiffen, kann kein Licht ausblasen, 
kann die Backen nur dann aufblasen, wenn ihm die Nasenöffnungen 
zugehalten werden, bedient sich aber derselben beim Schlingen und 
Kauen in ganz normaler Weise. Schließlich spricht auch die Ent- 
stehungsart der Sprachdefecte im Verlaufe einer Geisteskrankheit 
gegen den subcorticalen Sitz. 

Die erste Spur der Geisteskrankheit trat nämlich im September 
1885 auf, dann kam eine Remission von 2 Jahren, worauf sich der 
Zustand wieder verschlimmerte und ein Stupor von mehrmonatlicher 
Dauer eintrat. 

Mit dem Nachlassen desselben zeigte der Kranke das Symptom 
des Mutacismus, d. h. er sprach kein Wort und gab durch Geste 
zu verstehen, daß er nicht sprechen könne, erst nach mehreren 
Monaten begann er wieder zu sprechen, aber zunächst unver¬ 
ständlich flüsternd und wiederholte fortwährend dieselben Laute 
(Verbigeration); schließlich hörte, nachdem ein Stadium lebhafter 
Gehörshallucinationen vorüberging, die Verstimmung auf und Pat. 
trat in die Reconvalescenz ein, wobei die erwähnten Symptome 
zurückblieben. Es zeigte sieh also, daß die motorische Aphasie in 
diesem Falle aus gewissen Symptomen hervorgegangen ist, welche 
sich ebenfalls auf den centralen Sprachmechanismus beziehen, dem 
Mutaeismu8 und der Verbigeration. Es muß berücksichtigt werden, 
daß bei der transcorticalen Aphasie es sich nicht um eine Bahn, 
sondern um eine Unzahl von Bahnen handeln muß, die nur, wenn 
sie allesammt unterbrochen sind, das klinische Bild ergeben können, 
welches man von ihr kennt. Man hat diese Bahnen bisher so dar¬ 
gestellt, daß sie sich zwischen dem motorischen Sprachcentrum m und 
einer sogenannten Begriffsregion B erstrecken. Aus der kurz 
skizzirten Krankengeschichte läßt sich in der That das Kranken¬ 
examen des Geisteskranken so vorstellen, daß durch die Frage des 
Arztes eine Vorstellung A erwirkt wird, die Ansgangsvorstellung, 
daß die Antwort aus einer anderen Vorstellung Z hervorgeht, die 
Zielvorstellung, zwischen beiden der Denkproceß auf der Associations¬ 
bahn AZ abläuft. Die Antwort des Geisteskranken ist falsch oder 
unzutreffend oder verlangsamt, weil eine Störung jener transcorti¬ 
calen Leitung vorliegt, so kann auch eine transcorticale motorische 


Aphasie aus einer Geisteskrankheit hervorgehen und beruht auf 
Unterbrechung der Gesammtsumme der Bahnen Zm. Der in Frage 
stehende Fall bildet demnach ein wichtiges Document für den inneren 
Zusammenhang zwischen Aphasie und Geisteskrankheit. 

Schmid (Reichenhall): Zur Behandlung der Lungentuberculose 
mittelst des Weigerfschen Heißluftapparates. 

Redner hat den erwähnten Apparat bei einer größeren Anzahl 
von Tuberculösen angewendet und zunächst constatiren können, daß 
in keinem Falle irgend ein Schaden von Inhalation heißer Luft ein¬ 
getreten ist, in vielen Fällen trat eine Trübung der Stimmbänder 
ein, die aber zu keiner tieferen anatomischen oder functionellen 
Schädigung geführt hat. Die Kranken gaben oft eine Besserung 
des subjeetiven Gefühles an, objeetiv konnte aber S. in keinem 
Falle eine bedeutende Besserung nachweisen, als sie mit der gewöhn¬ 
lichen klimatischen Behandlung erzielt wird. In einem Falle von 
Bronchialfistel konnte er Temperaturmessungen anstellen, welche 
ergeben haben, daß die heiße Luft überhaupt nicht in den tieferen 
Respirationstractus gelangt, und daß die Heißlufteinathmungen auf 
falschen physikalischen und physiologischen Voraussetzungen beruhen. 
Die in der Mehrzahl der Fälle beobachtete Besserung des subjec- 
tiven Befindens führt S. auf die systematischen tiefen Inspirationen 
zurück, welche sowohl durch die Gymnastik der Respirationsmuskeln, 
als auch durch die Hebung des Gasaustausches eine bessere Er¬ 
nährung der Lungen bewirken. 

Cornet (Reichenhall) bemerkt, daß im Falle der Wirksamkeit 
des Heißluftapparates das den Bronchialwänden anhaftende Sputum 
seine deletäre Wirkung verlieren müßte. Es zeigte sich aber, daß 
Einverleibungen von Sputum von Kranken, die mit diesem Apparate 
längere Zeit behandelt wurden, auf Kaninchen keinerlei Abweichungen 
gegenüber dem Sputum von Phthisikern wahrnehmen ließen, die 
mit dem WEiöERT’schen Apparate nicht behandelt worden waren. 

Eppinger (Graz): lieber eine neue pathogene Cladothrix und 
eine durch sie hervorgerufene Pseudotuberculose. 

Eppinger hat eine unzweifelhafte Cladothrix gefunden, welche 
sich sowohl für Menschen als für Thiere als pathogen erwiesen 
hatte. Es handelt sich um einen 52jährigen Glasschleifer, der mit 
den Erscheinungen einer linksseitigen Hemiplegie in’s Spital eintrat 
und bei dem 5 Tage vor dem Tode Reizungserscheinungen von 
Seiten des Rückenmarkes hinzutraten, unter deren Zunahme er starb. 
Bei der Section fand Eppjnger im Marklager der rechten großen 
Hirnhemisphäre einen chronischen Absceß, der in den Ventrikeln 
durchbrochen war, von hier aus Senkung des Eiters und Entwicklung 
einer Meningitis cerebrospinalis, ferner kalkige Knoten und miliare 
Tuberkeln in den Lungen und Pleuren, Vergrößerung und Ver¬ 
steinerung der Bronchialdrüsen, Verkreidung einer supraclaviculären 
rechtsseitigen Lymphdrüse und ein Divertikel des Oesophagus. 

Mikroskopisch fanden sich im Absceß Eiter und im menin- 
gitischen Exsudate reichliche isoliite und zu Büscheln augeordneto 
unverzweigte und durch Scheinverzweigung ausgezeichnete Fäden. 
Aehnliche Fäden fanden sich auch in der Außenschichte der Absceß- 
wand und in den miliaren Fortsetzungen, ferner in den Bronchial¬ 
drüsen und den rechtsseitigen Supraclaviculardrüsen. Der Gehirn- 
absceß ist durch Infection entstanden, was die Menge und die An¬ 
ordnung der in ihm gefundenen Mikroorganismen beweist. Das Ein¬ 
dringen dieser als Cladothrix bekannten Fäden muß sehr wahr¬ 
scheinlich durch den Respirationsapparat stattgefunden haben, was 
ja bei der Beschäftigung des Kranken nicht auszuschließen war. 

Die Reinzüchtung dieser Cladothrix gelang vollständig. Auf 
Zuckeragarplatten wuchsen charakteristische sternförmige Colonien, 
auch ließen sich diese Organismen auf andere Nährböden, wie 
Bouillon, Kartoffeln, züchten; am günstigsten auf Zuckeragar, am 
ungünstigsten auf Gelatine. Wegen der charakteristischen Stern¬ 
form der Colonien bezeichnet Eppinger diesen Organismus als 
Cladothrix asteroldes. Dieselbe erwies sich als entschieden pathogen. 
An Ort und Stelle der Infection entwickelte sich bei Meerschweinchen 
ein localer Absceß, der mit dickem, käsigem Eiter erfüllt ist. Die 
locale Infection führt zur Entwicklung einer sehr typischen, miliaren 
Allgemeininfection. Dieselbe erfolgt bei subcutaner Impfung langsam 
und tödtet erst nach 24 Tagen, bei intraperitonealer Impfung rascher 
nnd tödtet erst nach 13 Tagen, bei intravenöser Impfung am 


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raschesten und tödtet nach 5—7 Tagen. Die Allgemcinerkrankung 
sieht einer allgemeinen miliaren echten Impftuberculose auf ein Haar 
gleich. In sämmtlichen Tuberkeln und Organen finden sich die erwähnten 
Fäden oder Fädenbüschel in großer Menge. Es handelt sich dem¬ 
nach um eine durch Cladothrix hervorgerufene Pseudotuberculose. 

Pfeiffer (Wiesbaden): Ueber kieselsauren Harnsand. 

Redner berichtet über den Fall eines Arztes, welcher an sich 
selbst den Abgang von Harnsand constatirte. Die Untersuchung 
ergab, daß es sich um kieselsauren Harnsand handelt, worüber sich 
in der Literatur nur sehr wenige Bemerkungen finden. In allen 
publicirten Fällen kam die Kieselsäure nur als Beimengung zu 
anderem Sand vor, in Pfeiffer’s Fall bestand aber der Sand aus 
90 Proe. Kieselsäure. Dieser kieselsaure Harnsand unterschied sich 
vom gewöhnlichen Sand dadurch, daß er beim Glühen zunächst 
schwarz wird wegen des Gehaltes an organischen Substanzen, bei 
weiterem Glühen aber weiße Farbe bekommt. S. 


Neunzehnter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin Tom 9.—12. April 1890. 

(Origiual-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

vn. 

Krönlein (Zürich): Zur Myotomiefrage. 

Während Heoab und Kaltenbach bei ausgedehnteren Myo¬ 
tomien gleichzeitig die Entfernung der Uterusanhänge, der Tuben 
und Ovarien empfehlen, haben in neuerer Zeit Schroeder und 
Hofmeier den Standpunkt vertreten, die Organe mit Rücksicht auf 
eine etwaige Conception und Geburt in situ zu belassen. Den Beweis 
für die Richtigkeit dieses Standpunktes liefert folgender Fall. Bei 
einer 24jährigen Dame hat Redner ein Uterusmyom von 3 l /a Kilo 
Gewicht, 25 Cm. Länge und 20 Cm. Höhe mittelst Keilschnitt aus 
dem Fundus uteri entfernt mit Zurücklassung von Ovarien und 
Tuben. Der Verlauf der Heilung war durchaus günstig. Patientin 
heiratete im folgenden Jahre, wurde gravid und gebar Ende des 
vorigen Jahres nach Verlauf einer normalen Schwangerschaft ein 
gesundes Kind. 

Helferich (Greifswald): Ein neues Verfahren zur Operation der 
winkeligen Kniegelenksankylose. 

Zur Beseitigung der starken Winkelstellung des Beins resecirt 
man gewöhnlich einen Keil aus Femur oder Tibia, hat jedoch den 
Nachtheil einer entsprechenden Verkürzung des Beins und die Gefahr 
einer eventuellen Verletzung des Intermediärknorpels. Redner hat 
deshalb in zwei Fällen mit Erfolg eine bogenförmige Keilresection 
vorgenommen, zugleich mit ausgedehnter Durchschneidung der Weich- 
theile (Haut, Fascie und Sehnen) mittelst zweier Längsschnitte. Man 
schiebt dann die beiden bogenförmigen Flächen der Tibia und des 
Femur über einander und erzielt so eine sichere Streckung des 
Beins. Unter Umständen wird nnr ein einziger bogenförmiger Schnitt 
nothwendig sein. 

Discussion: König (Göttingen) hat die meisten Kniegelenks¬ 
ankylosen mit dem breiten Meißel und einem Schnitt beseitigt. In 
einem unterhalb des Lig. patellae auf die Tibia geführten Bogen¬ 
schnitt wird ein Meißel von der größten Breite eingesetzt und Tibia 
und Femur durchgeschlagen bis in die Kniekehle, aber mit Schonung 
der Gefäße. Bei mobilem Gelenk läßt sich dann leicht die Streckung 
des Beins vornehmen. Die nicht vernähte Wunde wird in einen 
Gypsverband gelegt, in welchem nach 4 Wochen die Heilung erfolgt 
ist. Bei den tuberculösen Ankylosen ist man verpflichtet zu reseciren, 
um die tuberculösen Herde mit dem herausgenommenen Keil zu ent¬ 
fernen. 

E. Hahn (Berlin) operirt in ähnlicher Weise, nur mit einem 
Meißel von 1 Cm. Breite. 

Helferich : In Fällen mit breiter knöcherner Verwachsung 
ist es vortheilhafter, die Operation offen vorzunehmen. 

König (Göttingen): Ueber Darmresection. 

Trotz der seit der antiseptischen Aera erzielten Fortschritte 
bei Operationen am Verdauungscanal, existirt bis jetzt keine Casuistik, 


welche gestattet, ein klinisch abgerundetes Bild von den Erfolgen 
der operativen Behandlung der Darmgeschwülste und -Stenosen zu 
geben. 

Auf Grund seines eigenen Materials will König deshalb einen 
kleinen Beitrag liefern. Er hat 13mal durch den Bauohschnitt wegen 
Darmgeschwulst operirt. Einmal erwies sich die Diagnose als falsch ; 
die übrigen 12 Fälle betrafen ein Sarcom, eine tuberculöse Strictur 
und lOCarcinome, und zwar fast säramtlich des Dick¬ 
darms. Von 6 Fällen, in denen ein Probeschnitt vorgenommen 
wurde, war 3mal die weitere Operation unzulässig, 3mal wurde ein 
Anus praeternaturalis angelegt; 1 Pat. ging nach der Laparotomie 
zu Grunde. In 6 Fällen konnte die Neubildung entfernt werden, 
und zwar wurde die Resection des Darmes und Vereinigung der 
Enden vorgenommen, während in 3 anderen Fällen die Vereinigung 
nicht gelang. Drei Patienten starben, drei genasen. 

In diagnostischer Beziehung ist wichtig, daß eine be¬ 
wegliche, dicht unter den Bauchdecken fühlbare Geschwulst fast 
immer dem Darm, und zwar zumeist dem Dickdarm angehört, doch 
ist eine Verwechslung mit beweglichen Magengeschwülsten nicht 
immer zu vermeiden. 

Ein anderer Irrthum wird leicht dadurch hervorgerufen, daß 
durch Verwachsung am Zwerchfell fixirte Dickdarmtumoren die 
Athembewegungen mitmachen. In diesen Fällen sind gewöhnlich 
schon secundäre Veränderungen vorhanden, welche jeden operativen 
Eingriff als unzulässig erscheinen lassen. Eine solche Dickdarm¬ 
geschwulst braucht keineswegs immer, wie man annahm, Stenose 
hervorzurufen, ja sie bedingt oft nicht einmal eine erhebliche Obsti¬ 
pation. In manchen Fällen kommen ganz allmälig Stuhlbesch worden 
zu Stande, welche schließlich zu wirklicher Coprostase führen; in 
anderen Fällen weist eine periodisch auftretende Kolik auf Darra- 
stenose hin. Endlich ist eine früh auftretende Blutung ein wichtiges 
diagnostisches Merkmal für die Darmaffection. 

Nach sicher gestellter Diagnose kommen die Laparotomie mit 
Exstirpation der Geschwulst, sowie einige Hilfsoperationen, wie 
Enteroanastomosenbildung, bezw. Anlegung eines künstlichen Afters 
in Betracht, Eingriffe, welche zur Verlängerung des Lebens des 
Pat. um Jahre beitragen. Bei sehr fettleibigen Personen ist der 
Bauchschnitt wegen Zerrung der Bauchmusculatur nicht in der 
Mittellinie anzulegen, sondern bequem der Lage der Geschwulst. 

Nach vorsichtiger Lösung der Verwachsungen werden zunächst 
die erkrankten Mesenterialdrüsen exstirpirt und nach Entwicklung 
der Därme zur Fixirung derselben die Bauchhöhle durch eine provi¬ 
sorische Naht geschlossen und die Bauchwand, sowie die über die 
Därme gelegte Gaze mit Borsalbe bestrichen. Der Koth wird aus 
dem eröffneten Darm in aseptischen Schälchen aufgefangen, der 
Darm wird resecirt und dann genäht. Vom Mesenterium an wird 
zunächst eine dichte Schleimhaut-, dann eine Serosanaht mit Catgut 
angelegt. Für die Bauchwand ist die Etagennaht zu empfehlen. 

Discussion: Rehn (Frankfurt a. M.), welcher über 2 mit 
günstigem Erfolg operirte Fälle von Darmcarcinom, sowie über 2 
unglücklich verlaufene Resectionen berichtet, hält die Insufflation 
von Luft in ’8 Rectum zur Diagnose einer Darmstenose für sehr 
empfehlenswerth. 

Mikulicz (Königsberg in Pr.): Ueber den Hämoglobingehalt des 
Blutes bei chirurgischen Erkrankungen, mit besonderer 
Rücksicht auf den Wiederersatz von Blutverlusten. 

Redner hat auf der Königsberger Klinik in 400 meist operativ 
behandelten Fällen Hämoglobinuntersuchungen angestellt, um zu ent¬ 
scheiden , in welcher Zeit Blutverluste sich wieder ersetzen, ob 
Alter und Geschlecht, sowie gewisse Krankheiten eine Aenderuug 
des Hämoglobingehaltes hervorrufen und die Blutregeneration beein¬ 
flussen. Redner fand einen Durchschnittsgehalt des Blutes an Hämo¬ 
globin von 81*6 °/ 0 , einen Durchschnittsverlust von 15*5 0 / 0 , eine 
durchschnittliche Regenerationszeit von 17 Tagen. Der höchste 
Hämoglobingehalt war 92% bei Männern im 3. Lebensdecennium, 
der geringste fand sich bei Kindern unter 10 Jahren. Das Ge¬ 
schlecht bedingt ebenfalls einen gewissen Unterschied des Hämo¬ 
globingehaltes. Am schnellsten tritt die Regeneration bei jungen 
Männern ein, am langsamsten bei alten Frauen. Je größer der 
Blutverlust, desto später tritt das Minimum des Hämoglobingehaltes 


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ein. Es liegt zwischen dem 3. und 10. Tage nach der Operation, 
nnd zwar bei Frauen und älteren Personen später als bei Männern 
und jugendlichen Individuen. Im Allgemeinen sind für 5% Hämo¬ 
globinverlust 5 Tage Regenerationszeit nothwendig. Nach Exstirpation 
einer großen Bauchdeckengeschwulst sank der Hämoglobingehalt von 
70°/ 0 auf 22°/ 0 . In 4 Fällen, in denen sich der Hämoglobingehalt 
auf 20°/o und darunter verringerte, trat der Tod unter Collaps 
erscheinungen ein. In praktischer Beziehung läßt sich aus der vor¬ 
handenen Hämoglobin menge und dem für eine bestimmte Operation 
festgesetzten Blutverlust im einzelnen Falle berechnen, ob der Pat. 
die Operation noch vertragen kann oder nicht. Es konnte ferner 
festgestellt werden, daß die Narcose den Hämoglobinverlust nicht 
unerheblich vermehrt. Für die Tuberculose, sowie für maligne und 
mit Functionsstörungen einhergehende Geschwülste fand sich eine 
bedeutendere Hämoglobinabnahme und eine erheblich verlängerte 
Regenerationszeit, während bei eintretendem Recidiv überhaupt nur 
eine geringe Regeneration des Hämoglobins nachweisbar war. 

GLUCK (Berlin) referirt über die durch das moderne 
chirurgische Experiment gewonnenen positiven Resul¬ 
tate, betreffend die Naht und den plastischen Er¬ 
satz von Defecten höherer Gewebe und die Verwerthung 
resorbirbarer und lebendiger Tampons in der Chirurgie. 

Zabludow8KI (Berlin): Zur Technik der Massage. 

Redner berichtet über anscheinend für die Massage aussichts¬ 
lose Fälle, in denen es durch bestimmte Modifieationen der Massage¬ 
technik noch oft gelingt, Heilung zu erzielen, und zwar gehören 
hieher traumatische Neurosen mit Narben an den ursprünglich ver¬ 
letzten Stellen und hysterogenen Zonen, ferner Krankheiten der 
peripheren Nerven, wie Neuritiden etc , endlich nervöse Dyspepsie 
mit Stuhlverstopfung, gesteigerter Gasbildung und Schmerzhaftigkeit 
des Abdomens, durch Verlagerungen und Einknickungen der Därme 
bedingt, mit oder ohne Nierendislocation. In der Behandlung eines 
mit der Technik genügend vertrauten Masseurs wird in allen diesen 
Fällen eine Heilung nach einer 6—8 Wochen langen Cur zu er¬ 
reichen sein. —r. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 30. Mai 1890. 

Vorsitzender: Prof. Chrobak. — Schriftführer: Dr. Lihotzky. 

Pl*of. V. SCHRÖTTER stellt einen ihm befreundeten Patienten 
vor, der bis auf einen chronischen Kehlkopfcatarrh stets gesund 
war und im März während einer eiligen Geschäftsreise Schüttelfrost 
bekam, worauf sich Fieber und Schmerzen an der rechten Thorax¬ 
seite einstellten, für die keine Ursache zu finden war. Am 8. April 
hustete Pat. ein exquisites, gangränöses Sputum aus, so daß nun 
die Diagnose Lungengangrän klar war. Die Ursache derselben 
glaubt 8chrötter in dem Eindringen eines Fremdkörpers in die 
Luftwege (etwa beim raschen Essen) zu suchen, da Pat. im Mai 
fadige Gebilde, worunter auch einen 25 Cm. langen Faden, aus¬ 
hustete, der sich bei der mikroskopischen Untersuchung durch Prof. 
Ebner als aus fibrillärem Bindegewebe bestehend, herausstellte. 
Nachdem dieser Faden eliminirt worden, trat vollständige Heilung ein. 

Prof. URBANTSCHITSCH demonstrirt einen Fall von Renault- 
scher spontaner symmetrischer Gangrän an den Ohr¬ 
muscheln. Pat. leidet seit 2 Jahren an zunehmender Empfindlichkeit 
im oberen Drittel der Ohrmuscheln und bemerkte vor 14 Tagen 
eine schwarze, gangränöse Stelle an denselben. Nach Application 
eines Leinfleckes kehrte Alles zur Norm zurück, vor 6 Tagen 
aber stellten sich, nachdem Pat. einem Hagel anBgesetzt war, 
abermals Schmerzen, Röthung und Schwärzung der Ohrmuscheln 
ein. Die Anwendung einer Jodoformemulsion bringt die Gangrän 
wieder zum Schwinden. 

Prof. L. Mauthner: Zur Pathologie und Physiologie des Schlafes. 

Die Kunde von dem Auftreten einer mit Schlafsucht einher¬ 
gehenden tödtlichen Erkrankung, Nona, gab die Veranlassung zum 
gegenwärtigen Vortrage. Was die Frage betrifft, ob es eiue solche 


Krankheit gebe, so existiren ja einige Krankheiten, bei denen Schlaf¬ 
sucht das hervorstechendste Symptom bildet. Hieher gehören: 

1. Die im westlichen Afrika am Senegal endemisch vor¬ 
kommende Schlafsucht der Neger, bei der sich ohne Erhöhung 
der Temperatur eine fortschreitende Muskelschwäche, große Ab¬ 
magerung, Apathie, Abgeschlagenheit und eine immer mehr zu¬ 
nehmende Schlafsucht einstellt, die 2—3 Monate andauert und 
zum Tode führt. Dabei besteht aber keinerlei Störung der Motilität 
und Sensibilität. 

2. Eine ähnliche, in der Schweiz endemisch beobachtete Krank¬ 
heit hat Güerlier beschrieben, die allerdings gegenüber der 
Negerkrankheit als eine ganz abgeschwächte Form anzusehen ist. 
Diese als „Vertige paralysant“ bezeichnete Krankheit äußert sich 
durch Kopfschmerz, Schwindel, große Muskelschwäche, taumelnden 
Gang und beiderseitige Ptosis, ohne daß motorische Erscheinungen 
vorhanden wären. Die Krankheit dauert mehrere Monate, geht aber 
immer in Heilung über. 

Eine 3. Form wurde von Gayet beschrieben. Ein 28jähriger 
Kutscher erschrak bei einer Kesselexplosion sehr heftig, gerieth in 
große Aufregung und konnte wegen des Doppeltsehens nicht arbeiten. 
Es entwickelte sich beiderseitige externe Ocnlomotoriuslähmung, 
beiderseitige Ptosis, höchste allgemeine Apathie, ungeheure Muskel - 
schwäche und unüberwindliche Schlafsucht. Von motorischer Lähmung, 
Störung der Sensibilität oder der specifischen Sinnesorgane keine 
Spur. Der Kranke schlief einige Tage, erwachte, schlief wieder 
ein und schlief 5 Monate, um nicht mehr zu erwachen. 

An diesen Zustand kann man die Schlafsucht der Hy¬ 
sterischen anschließen. 

In allen diesen Fällen ist die Somnolenz nicht zu verwechseln 
mit Sopor, denn sowie die Patienten vom Schlafe erwachen, sind 
sie vollkommen geistesklar. 

Es handelt sich in solchen Fällen um Erkrankung des centralen 
Höhlengraus, um Poliencephalitis, von der 2 Formen unterschieden 
werden müssen: eine acute, die, wenn sie schwer ist, mit Hämor- 
rhagien einhergeht und im oberen Theile der grauen Substanz sitzt, 
Poliencephalitis superior acuta haemorrhagica, und 
eine chronische oder subacute. Zur acuten Poliencephalitis gehören: 
die Poliencephalitis acuta superior haemorrhagica, die Nona (wenn 
eine solche existirt) und der schwere Rauschschlaf. Zur chronischen 
oder subacuten Form gehören: die maladie de Gayet und die Neger¬ 
krankheit. 

Die Sectionsergebnisse der Poliencephalitis acuta sind sehr 
spärliche. Makroskopisch findet sich nichts als eine rosige Färbung 
des Centralhöhlengraus des 3. Ventrikels; nur eine sehr genaue 
mikroskopische Untersuchung läßt kleine Hämorrhagien und Ver¬ 
änderungen der Körnchen zellen wahrnehmen. 

Sollte daher wieder die Nachricht von Nonafällen auftreten, 
so wären die Aerzte darauf aufmerksam zu machen, daß sie nicht 
nur eine makroskopische Untersuchung vornehmen, sondern das Gehirn 
an einen geübten pathologischen Histologen zur genauen Untersuchung 
einsenden sollen. 

Zur Theorie des physiologischen Schlafes übergehend, bemerkt 
M., daß die Ansicht, daß der Schlaf ein Zustand sei, in welchem 
die von den Sinnesorganen aufgenommenen Reize nicht zum Bewußt¬ 
sein gelangen, weil die Zellen der Hirnrinde nicht functioniren, eine 
unrichtige sei. Unser Opticus oder Acusticus werden im Schlafe 
während eines Gewitters vom Blitze, resp. Donner errogt, ohne daß 
wir vom Gewitter Kenntniß bekommen. Dies liegt aber nicht in 
einer Nichtfunctionirung der Hirnrindenzellen, denn zur selben Zeit 
arbeiten unsere Rindenzellen: im Traume hören wir sprechen, sehen 
wir Gestalten etc. Wenn aber die peripheren Sinnesorgane und die 
centralen Rindenzellen normal functioniren, so muß die Ursache des 
Schlafes darin liegen, daß die Leitung zwischen Centrum nnd Peri¬ 
pherie unterbrochen ist. Aber nicht nur von der Peripherie zum 
Centrum, auch umgekehrt muß die Leitung unterbrochen sein, denn 
oft werden die motorischen Zellen innervirt, wir sehen Räuber vor 
uns im Schlafe, wir wollen fliehen, thun, resp. können es nicht, es 
muß also irgendwo der Reiz vom Centrum zur Peripherie unter¬ 
brochen sein. Die Unterbrechung der Leitung kanu nur im centralen 
Höhlengrau stattfindeu, weil hier die Kerne aller sensiblen Nerven liegen 


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und hier auch die motorischen Nerven passiren. Der Sitz des 
Schlafs befindet sich also im centralen Höhlengrau. Hier wird die 
Leitung von der Peripherie zum Centrum und umgekehrt (offenbar 
in Folge von Anhäufung von Ermüdungsstoffen) unterbrochen, und 
damit erklären sich ganz ungezwungen alle Erscheinungen des Schlafes. 
Dadurch erklärt sich auch der Somnambulismus, den man sich als 
oinen Zustand zu denken hat, bei welchem die motorischen Reize 
von der Rinde zur Peripherie, nicht aber umgekehrt das centrale 
Höhlengrau passiren können. 

Im Schlafe besteht aber nicht blos eine Aufhebung der centri- 
petalen und centrifugalen Leitung, sondern auch Herdsymptome: 
Ptosis (Zufallen der Augenlider) und Divergenz der Bulbi nach außen. 

S. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 11. April 1690. 

Assistent Dr. E. Frank: Demonstration eines Falles von glück¬ 
lich ausgeführter Darmresection wegen iocalisirter Tuber- 
culose des Darmes. 

Die vorgostellte 26 Jahre alte Frau kam im Februar d. J. 
mit chronischer Salpingitis und Oophoritis auf die Klinik des Prof. 
Schauta. Bei der am 20. Februar vorgenommenen Operation fand 
sich außer den genannten Affectionen auch ein kindskopfgroßer 
Lymphdrüsentumor im Mesenterium des untersten Abschnittes des 
Dünndarms, der sich bei genauerer Untersuchung als ein Convolut 
untereinander verwachsener und zum Theile in Erweichung tiber¬ 
gegangener Lymphdrüsen erwies. 

Ferner zeigte sich der Darm ungefähr 20 Cm. oberhalb der 
Ileocoecalklappe derb infiltrirt, die Serosa an dieser Stelle getrübt 
und mit fibrinösen Auflagerungen bedeckt; 30 Cm. oberhalb dieser 
Stelle fand sich eine zweite, ähnlich beschaffene und weitere 30 Cm. 
nach aufwärts eine dritte mit den gleichen Veränderungen. 

Bei dem Umstande, daß bei der Kranken eine physikalisch 
nachweisbare Infiltration der Lungen vorhanden war, wurden die 
so veränderten Darmstücko als v „localisirte“ Tuberculose des 
Darmes und der erwähnte Lymphdrüsentumor als secundäre Infection 
der regionären Lymphdrüsen aufgef&ßt, und es wurde deshalb die 
erkrankte Darmpartie auf eine Strecke von 75 Cm. sammt dem den 
Lymphdrüsentumor enthaltenden keilförmigen Stücke des Mesenteriums 
resecirt. Die anatomische Untersuchung des resecirten Darmstückes 
und Lymphdrüsencouvolute8 bestätigte die Annahme einer localisirten 
Darmtuberculose mit secundärer Infection der regionären Lymph¬ 
drüsen Der Verlauf war ein glatter; am 2. Tage gingen Flatus 
ab und am 3. Tage erfolgte ohne alle Beschwerden Defäcation. 
Die fortlaufende Untersuchung des Stuhles auf Tuberkelbacillen gab 
nach der Operation ein negatives Resultat. 

Resectionen des Darmes wegen Tuberculose desselben wurden 
bereits früher von Czerny in Heidelberg und Fink auf der Güssen- 
BAUER’schen Klinik gemacht; der vorgestellte Fall ist der achte von 
den in der Literatur verzeichneten. Bei der vorgeschrittenen Technik 
der Darmchirurgie wird in allen Fällen von Iocalisirter Tuber¬ 
culose des Darmes die Darmresection vorzunehmen sein. 

Dr. Hans Hammer: Ueber Actinomycesculturen. 

Seit der Entdeckung des Strahlenpilzes durch 0. Bollingeb, 
Israel und Ponfick hat man vielfach die Reincultivirung dieses 
Pilzes versucht, und nach vielen mißlungenen Versuchen sind erst in 
jüngster Zeit Reinculturen von Actinomyces hergestellt worden 
(Bostböm, 0. Israel, J. Israel, Paltaof, Afanassajeff). 

Die Untersuchungen, welche H. mit Docent Dr. Protopo- 
poff aus Charkow in den Laboratorien der Herren Proff. 
IIueppe und Chiar[ angestellt hatte, waren vornehmlich darauf 
gerichtet, das bis jetzt noch nicht vollkommen erforschte Ver¬ 
halten der Culturen in verschiedenen Nährsubstraten und die 
durch das Alter der Culturen bedingten Veränderungen der Actino- 
myccs zu studiren, wozu sie eine von Prof. Afanassajeff in Peters¬ 
burg stammende Reincultur des Pilzes auf schrägem Glycerinagar¬ 
agar benützten. Diese Cultur ließ an der Oberfläche üppig ge¬ 
wucherte, dicht bei einander stehende, central gestellte, hanfkorn- bis 


Hnsengroße, fest auf dem Nährboden haftende Körnchen von gelb- 
grüner Farbe erkennen. Unter dem Mikroskope zeigte diese 14 Tage 
alte Cultur ein Convolut von Fäden mit echten dichotomischen 
Verzweigungen, die sich durchwegs mit einer schwachen alkoholischen 
Fucbsinlösung gut färbten. Auf Glycerinagaragar angelegte Tochter- 
culturen zeigten durchwegs dasselbe Verhalten wie die Ausgangs - 
cultur. 

Weiter wurden die Actinomyces auf Bouillon gezüchtet. 
Nach 1—2 Tagen waren in der geimpften Bouillon milliare Knöt¬ 
chen zu erkennen, welche sich später zu linsengroßen Ballen ver¬ 
einigten ; in einem Falle konnte sogar ein haselnußgroßer Ballen 
beobachtet werden. Dabei war die Bouillon, wenn keine Verun¬ 
reinigung von außen bei der Impfung hinzugetreten war, vollkommen 
klar geblieben. War eine Verunreinigung unterlaufen, so trübte 
sich die Bouillon schon nach 24 Stunden, wurde aber nach 2- bis 
3monatlichera Stehen wieder rein, indem die mikroskopisch nachge¬ 
wiesenen Verunreinigungen sich als Bodensatz absetzten, während 
in der klaren Bouillon der Pilz weiter wuchs. 

Ein ganz typisches Verhalten zeigten Kartoffelculturen. 
Erst nach 5—7 Tagen entwickelten sich auf der Kartoffel anfangs 
hanfkorn-, später linsengroße, gelblichweiße, eigenthümlich trocken 
aussehende Knötchen, welche mikroskopisch aus einem Convolut 
dichotomisch verzweigter Fäden bestanden. Das Wachsthura der 
Culturen war sehr üppig, derart, daß sie nicht nur die ganze Cir- 
cumferenz der Kartoffel einnahmen, sondern daß auch das am Boden 
der Eprouvette befindliche Wattastückchen mit Knötchen bedeckt 
war, was dadurch entstand, daß die an der Oberfläche der Kartoffel 
mehrere Millimeter hoch über einander gethürmten Knötchen bei der 
Erschütterung des Glases zu Boden fielen. 

Die auf Milch gezüchteten Actinomyces brachten dieselbe nicht 
zur Gerinnung, peptonisirten jedoch ihre Eiweißkörper, so daß 
alte Milchculturen das Aussehen bekamen, als ob sie in Milchserum 
angelegt wären. Die weichen, gelblich gefärbten Knötchen und 
Ballen saßen an der Oberfläche und am oberen Rande der Milch. 

Gelatine wurde durch den Strahlenpilz langsam verflüssigt; 
die zu Ballen vereinigten Körnchen lagen am Boden der klar ge¬ 
bliebenen verflüssigten Gelatine. 

Auf erstarrtemEiweiß entstanden in kurzer Zeit massen¬ 
haft milliare Knötchen, die in dasselbe fest eingesenkt erscheinen. 
Die auf Eier in gewöhnlicher Weise angelegten Culturen ließen 
selbst bei monatelangem Wacbsthum nicht den geringsten Fäulniß- 
geruch wahrnehmen; daß Ei weis und das Eigelb waren mit zahl¬ 
reichen kleinen Körnchen durchsetzt, welche mikroskopisch dicke, 
dichotomisch verzweigte Fäden erkennen ließen. 

Bei Einwirkung von Temperaturen von 52—70° auf Bouillon- 
cultur war das Wachsthum des Pilzes schon bei einer Dauer von 
10 Minuten vollständig aufgehoben. Temperaturen von 40—45° 
hemmten zwar die Entwicklung des Pilzes, ohne sie jedoch ganz 
aufzuheben. 

Sehr interessant sind die durch das Alter der Culturen be¬ 
dingten Veränderungen derselben. Zuerst bemerkt man, daß sich 
nur einzelne Partien der Fäden färben, später pigmentirt sich der 
Faden meist in der Längsrichtung immer weiter, bis schließlich 
wirkliche Streptococcenformen und endlich reine Coccenformen ent¬ 
stehen. Aus letzteren, die wohl nichts Anderes darstellen, als die 
Dauerformen des Actinomyces, konnte man wieder Fäden heran¬ 
züchten und auf diese Weise die Entwicklungsformen des Strahlen¬ 
pilzes in aufsteigender und absteigender Richtung verfolgen. Nach 
diesen Befunden ist der Actinomyces zu den echten Cladotricheen 
zu zählen; er scheint den Uebergang zwischen Crenothrix und 
Cladothrix zu vermitteln und wäre am besten nach Afanassajeff mit 
dem Namen „A c ti n ocl ad o th r ix u zu belegen. 

Auch in anderer Beziehung veränderte sich das Aussehen des 
Pilzes in alten Culturen, besonders in alten Bouillonculturen; die 
Fäden wurden dick und plump, die Aeste rudimentär, es ent¬ 
wickelten sich intensiv färbbare Spirillen-, Kolben- und Coccen¬ 
formen. H. betrachtet diese Formen als regressive Metamorphosen 
der alten Culturen, während die im thierischen Organismus Vorge¬ 
fundene Drusenform als Ausdruck der Anpassung des Actinomyces 
an den Organismus zu betrachten sei, gerade so, wie man auch bei 


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den pathogenen Schimmelpilzen im thierischen Organismus Formen 
antreffen kann, die bei saprophytischem Wachsthum derselben nicht 
beobachtet werden. 

Das schließliche Aufhören des weiteren Wachsthums der 
Culturen ohne gleichzeitiges Aufhören der Entwicklungsfähigkeit des 
Pilzes ist bedingt durch Veränderungen des Nährbodens, indem die 
sich ansammelnden Stoffwechselproducte das weitere Wachsthum ver¬ 
hindern, was durch angestellte Versuche nachgewiesen wurde. 

—z. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 26. April 1890- 

Prof. L.AUFENAUER zeigt einen Fall von hysterischer 
Hemiplegie. Frl. J. M. wurde vor 16 Monaten in Folge eines 
Schrecks bewußtlos und bekam Krämpfe, welche sich durch sechs 
Monate wiederholten. Nach einem solchen Anfalle trat rechtsseitige 
Lähmung auf. Seit 7 Monaten befindet sie sich auf der Klinik, sie 
kann jetzt etwas schwerfällig gehen und auch die Arme heben. 
Interessant war das Verhalten der Kranken gegen den galvano- 
faradischen Strom. Rechts war die Erregbarkeit herabgesetzt, was 
auf Rechnung des vermehrten Widerstandes der Haut gebracht 
werden konnte. Dieselbe wurde im weiteren Verlaufe normal, mit 
Ausnahme des N. peroneus. Noch später zeigte sich der Widerstand 
der Haut über dem N. ulnaris vermehrt und die Erregbarkeit hier 
herabgesetzt. 

Die Behandlung bestand abwechselnd in inneren Mitteln, 
Elektricität, Suggestion. Die Anfangs bestandenen hystero-epilep 
tischen Krämpfe verloren sich später. 

Prof. K. Ketli stellt einen seltenen Fall von Rticken- 
markserkrankung vor. Die Krankheit begann vor einem Jahre 
mit stechenden Schmerzen im Brustkorb. Einige Monate darauf 
rasch fortschreitende Atrophie der Handmuskeln, Steifheit des 
Nackens und heftige Schmerzen im linken Vorderarm. Im Decembcr 
v. J. gesellten sich nach einem kurzen Intervall der Besserung 
spastische Lähmung der Unterextremitäten und Anästhesie, abwärts 
von der 6. Rippe. Außerdem findet sich ein kloiner Gibbus, der 
sich auf einige Nacken- und Brustwirbeln erstreckt. Das Bild 
stimmt weder zu der DuCHENNE-ARAN’schen progressiven Muskel¬ 
atrophie, noch zu Pachymeningitis hypertrophiea cervicalis oder 
Spondylitis, sondern wahrscheinlich handelt es sich um eine Ge¬ 
schwulstbildung, insbesondere ein zerfallendes Gliom, also Syringo¬ 
myelie, welche eine beträchtliche Strecke des Rückenmarks 
einnimmt. 

Prof. K. K£tli: Ueber die Aetiologie der Malaria. 

Nach einem geschichtlichen Ueberblick über die Aetiologie 
der Malaria wendet sich Verf. zu den Entdeckungen von Lavehan 
und Golgi, die uns mit der Morphologie und Biologie des Plas¬ 
modium malariae bekannt gemacht haben. Vortr. demonstrirt 
die von Golgi der hiesigen Universitätsklinik übersandten Mikro¬ 
photogramme, sowie eigene, hier von Malariakranken (mit Tertian- 
und Quartantypus) gewonnene mikroskopische Präparate, welche 
genau mit den Mikrophotogrammen stimmen. Es ist bekannt, daß 
Klebs, Tommasi-Crüdeli, Hayem und Fayod die Plasmodien für 
Kunstproducte erklären, welche sie auch durch Behandlung des 
Blutes mit verschiedenen chemischen Agentieu erzielt haben wollen. 
Golgi, Celli u. A. dagegen erklären die Plasmodien für Rhizo- 
poden, an denen sie amoebenartige Bewegungen, Kerntheilungen, 
beobachtet haben. Letztere konnten sie mit der von Celli und 
Garnieri modificirten Kernfärbungsmethode zur Anschauung bringen. 
Diese Rhizopoden gehören zu 2 Gattungen: Die Haemamoebe 
malariae erzeugt die Fieber mit regelmäßigem, dieLaveriana 
malariae mit unregelmäßigem Typus. n. 


Notizen 

Wien, 31. Mai 1890. 

(Vom Obersten Sanitätsrath.) Der Oberste Sanitäts¬ 
rath hat die Aufmerksamkeit des Ministeriums des Innern auf die 
sanitären Uebelstände gelenkt, welche bei den meisten 
Industriebetrieben, insbesondere Fabriken (Spiritusbrennereien, 
Zuckerraffinerien, Brauereien, Gerbereien, Leimfabriken, Spodium- 
fabriken u. dgl.), wo organische Stoffe verarbeitet und große Mengen 
von Abfallwässern erzeugt werden, durch die Entwicklung übel¬ 
riechender Gase und Dämpfe, sowie durch Verpestung der Wasser¬ 
läufe verursacht werden. Hiebei wurde betont, daß diese Belästi¬ 
gungen und Mißstände nachträglich mit den Mitteln, welche Wissen¬ 
schaft und Technik heute an die Hand geben und mit Rücksicht 
auf den dafür erforderlichen Geldaufwand überhaupt anwendbar 
sind, entweder gar nicht oder wenigstens nicht in ausreichen¬ 
dem Maße zu beseitigen sind. Dem Obersten Sanitätsrathe 
erscheint es deshalb von größter Wichtigkeit, daß seitens der Ge¬ 
werbebehörden bei der Neuconcessionirung derartiger Fabriksbetriebe 
mit äußerster Vorsicht und Strenge vorgegangen werde, daß die 
Betriebsanlage insbesondere nur dann genehmigt werde, wenn das 
Fabriksgrundstück in beträchtlicher Entfernung von Ortschaften und 
außerhalb der vorherrschenden Windrichtung der nächstgolegenen 
Ortschaft liegt, wenn ferner zur unschädlichen Beseitigung der Ab¬ 
wässer entweder Wasserläufe mit großem Wasserquantum und be¬ 
deutender Strömungsgeschwindigkeit oder Grundstücke von aus¬ 
reichender Größe und geeigneter Beschaffenheit für Berieselungs- 
anlagen zu Gebote stehen. Wie die „Pol. Corr.“ meldet, hat das 
Ministerium des Innern in Anerkennung der sanitären Bedeutung 
dieser vom Obersten Sanitätsrathe vorgeschlagenen Maßregeln im 
Einvernehmen mit den Ministerien des Handels und des Ackerbaues 
die Gewerbebehörden angewiesen, bei den Verhandlungen, welche 
die Erhebung der Zulässigkeit der Genehmigung von neuen gewerb¬ 
lichen Betriebsanlagen der erwähnten Art und des damit im Zu¬ 
sammenhänge stehenden wasserrechtlichen Consenses betreffen, die 
sich ergebenden, von amtswegen wahrzunehmenden sanitären Rück¬ 
sichten genauestens zu wahren und sich hiebei die vom Obersten 
Sanitätsrathe empfohlenen Gesichtspunkte, soweit es irgend thunlich 
ist, ohne die Entwicklung der Industrie allzu sehr zu beeinträchtigen, 
gegenwärtig zu halten. 

(Von der Wiener Universität.) Mit dem nächsten 
Wintersemester soll an unserer Universität eine Neuerung in Wirk¬ 
samkeit treten, die namentlich für die sich zur Neu-Immatriculirung 
meldenden Studirenden von Interesse ist. Der akademische Senat hat 
die Verfügung getroffen, daß künftig die zur Eintragung der Vor¬ 
lesungen und der Frequenzbestätigungen bestimmten Meldungsbücher 
(Indices) mit der Photographie ihres Inhabers versehen sein 
müssen, und soll diese Verfügung schon für die nächste Inscriptions¬ 
periode (October 1890) Geltung haben. Die an die Universität 
übertretenden Studirenden werden daher von nun an behufs Er¬ 
wirkung der Aufnahme nebst den sonstigen Documenten beim 
Decanate der von ihnen gewählten Facultät auch noch eine uuauf- 
gezogene Photographie (Kopf- oder Brustbild im sogenannten 
Visitekarten-Format) vorweisen müssen. Durch diese Ausstattung des 
Meldungsbucbes dürfte nunmehr für alle Fälle vorgesorgt sein, wo 
im Universitätsverkehre eine Identificirung des Meldungsbuchbesitzers 
noththut. 

(Aus Prag) wird uns berichtet: In der nach langer Pause 
im Vormonate abgehaltenen Sitzung der städtischen Sanitäts- 
Commission erstattete der Physicus Dr. ZÄHOft Bericht über die 
sanitären Verhältnisse unserer Stadt im Jahre 1889 und über die 
einzuschlagenden Maßnahmen zur Verbesserung derselben. Auf Grund 
der Erfahrung, daß die Mehrzahl der an Blattern Erkrankten und 
Verstorbenen nicht geimpfte Individuen betraf, plaidirte er für die 
Einführung einer obligatorischen Impfung und für die Errichtung 
einer städtischen Impfanstalt; auch mögen die öffentlichen Impfungen 
von den Bezirksärzten in den Schulen und nicht, wie es derzeit 
üblich, in deren Wohnungen vorgenommen werden, weil in die 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


904 


Ordinationsstuben der öffentlichen Aerzte häufig Kinder mit Infec- 
tionskrankheiten gebracht werden. Die Beobachtung, daß trotz des 
Sinkens der Sterblichkeitsziffer im Jahre 1889 die Krankheitsfälle 
an Typhus abdominalis sich gegen das Vorjahr nahezu verdoppelt 
haben, sei eine dringende Mahnung, die Durchführung der Canali- 
sirung und der Trink Wasserleitung ondlich in Angriff zu nehmen. 
Weiter gab Dr. ZÄBOft ziffermäßigon Aufschluß über die Agenden 
der städtischen Bezirksärzte, welche unter Anderem im verflosseneu 
Jahre 13.124 Kranken Hilfe geleistet haben. — Prof. Dr. Reinsberg 
referirte über die Errichtung eines Nothspitales für Infeetions- 
krankheiten und einer Desinfectionsanstalt. Er widerlegte in 
klarer und überzeugender Weise die Anschauung des Stadtrathes, daß 
nach dieser Richtung hin eine Verpflichtung für die Commune nicht vor¬ 
liege und überhaupt die Errichtung eines solchen Nothspitales nicht 
unbedingt nothwendig sei; er hält vielmehr die Herstellung eines 
solchen für ein dringendes Bedürfniß und eine Pflicht jeder 
Großconimune. In sehr wirkungsvoller Weise trat Statthaltereirath 
Dr. Pklc für die Errichtung eines Isolirspitales ein. Er schilderte 
in lebhaften Farben die mit den Begriffen von Humanität schwer 
voreinbaren Zustände, wie sie jetzt bestehen, wo mit Infectionskrank- 
hoiton behaftete Individuen wegen Raummangels von den Kranken¬ 
anstalten abgewiesen werden müssen, welche, da es sich meist um 
auswärtige Individuen handelt, zur Aufnahme solcher Kranker nicht 
vorpflichtet sind, und es errege das tiefsto Mitleid jedes Menschen¬ 
freundes, wenn man sieht, wie solche Kranke hilflos verkommen 
müssen. Redner schlägt vor, zwei getrennte Pavillons mit zusammen 
80 Betten zu errichten; im Falle der Noth könne durch Baracken¬ 
bauten weiterer Platz geschaffen werden. Nachdem noch der Stadt- 
physicus und Prof. Janovbky zu dem Gegenstände das Wort ergriffen 
hatten, wurde der Bericht des Prof. Reinsberg genehmigt und die 
Weiterborathung der Details einem Coraitö übergeben. 

(Au 8 Berlin) wird berichtet: Am Centralfriedhofe zu 
Friedricbsfelde bei Berlin wurde am 21. Mai, dem Todestage des 
im Vorjahre verstorbenen Geh.-R. Abarbanell, das Denkmal ent¬ 
hüllt, welches eine Anzahl Familien, welchen der verstorbene Arzt 
Jahre lang als ärztlicher Rathgeber, Freund und Tröster zur Seite 
gestanden, gestiftet hatte. Sicherlich ein überaus ehrendes Zeichen 
der Dankbarkeit. 

(Ein Menschenalter Militärarzt.) Dem in Nr. 29 
(1889) besprochenen ersten Theile der Memoiren des Oberstabsarztes 
Dr. W. Derblich ist nunmehr der zweite gefolgt. Erregten die 
im ersten Bande mitgetheilten Erlebnisse des jungen Militärarztes 
das Interesse der Leser, so besitzen die Mittheilungen Derblich’s 
über die sanitären Zustände während des Feldzuges im Jahre 1859, 
seine Schicksale in französischer Gefangenschaft, seine Thätigkeit 
im Mailänder Spitale unter Gritti zum nicht geringen Theile 
historischen Werth. Recht erheiternd wirkt unter Anderem die Er¬ 
zählung der Unannehmlichkeiten, welche dem Autor aus einem an 
den Redacteur eines Wiener Fachblattes gerichteten und von diesem 
abgedruckten Privatbriefe erwuchsen. Die fließend geschriebenen 
„Erlebnisse“ werden sicherlich einen großen, dankbaren Leserkreis 
finden. 

(Zur medioinischen Publicistik.) Der Mittheilung über 
die glückliche Geburt eines neuen „österr.-ungar.“ Referirblattes fügt 
die „D. Med.-Ztg.“ folgende, recht beachtenswerthe Glosse bei: 
„Unserer Ansicht nach liegt schon lange Zeit kein Bedürfniß mehr 
vor für deutsche medicinische Centralblätter, am allerwenigsten für 
separatistische, und man wird es uns nicht verübeln, wenn wir 
es einigermaßen erheiternd finden, daß unisono mit dem Verbrüde 
rungsfest des Congresses für innere Medicin eine Spaltung der Wissen¬ 
schaft in deutsche und österreichisch-ungarische vor sich geht. Wenn 
es nach uns ginge, würde statt der Vermehrung der Journale, 
Central blätter, Sammlungen klinischer Vorträge etc. eine Streichung 
mehr indicirt sein. Der Local Patriotismus hat kein Recht in der 
Wissenschaft. Auch nicht die Concurrenz und die Reclame. Und, 
wir können uns nicht helfen, diese drei Factoren scheinen uns fast 
die maßgebenden in der heutigen Publicität. Fast jede Universitäts¬ 
stadt, fast jeder Kliniker hat jetzt sein eigenes Blättchen ad majorem 
ipsius gloriam, die Literatur wimmelt von eintagswerthigen Assistenten¬ 


arbeiten; dieselbe Sache, dasselbe mit Anti beginnende und mit 
•rin endende Mittel wird in hunderten von Artikeln wiederholt; 
der Abschluß der Untersuchungen wird nicht abgewartet; kurz es 
besteht ein Haschen und Drängen nach Oeffentlichkeit, wie in der 
gesegneten Zeit der Polypragmasie nach neuen Mitteln und Methoden. 
Wohin soll der praktische Arzt hiemit gelangen ? Unseres Erachtens 
nur zum D6gout, der schließlich auch den gesunden Appetit unter¬ 
drückt , zur Uebermüdung und Uebersättigung. Und die Laboranten ? 
Ebendahin ! Daher denn auch das künstliche Dasein, das eine ganze 
Menge solcher Blätter fristet und das geringe Ansehen, in welchem 
sie oft unberechtigterweise (?) bleiben.“ 

(Preisausschreibung.) Die HuFELAND’sche Gesell¬ 
schaft in Berlin hat auf Vorschlag ihres Vorstandes beschlossen, 
zwei Preisaufgaben zu stellen: 1. „Die Influenza-Epidemie 
1889/90.“ Nach einem historischen Rückblicke auf frühere Epi¬ 
demien dieser Art soll ein Ueberblick über den Gang der Epidemie 
Uber die Erde im Jahre 1889,90 gegeben und daran eine Analyse der 
ätiologischen Verhältnisse, der Pathologie und Therapie dieser letzten 
Epidemie, ferner der beobachteten Nachkrankheiten geknüpft werden. 
2. „Uebcr die strafrechtliche Verantwortlichkeit 
des Arztes bei Anwendung des Chloroforms und 
anderer Inhalations-Anaesthetioa.“ Für jede dieser Auf¬ 
gaben wird ein Preis von 700 Mark ausgesetzt. Eiuzureiohen sind 
die Arbeiten bis zum 1. April 1891 au Prof. Dr. Liebreich, Berlin 
NW., Dorotheenstraßo 34 a; die Arbeiten müssen mit einem Motto 
versehen sein, welches auch auf einem dabei einzureichenden Brief¬ 
couvert, in dem eingeschlosscn der Name des Verfassers sich befinden 
soll, zu stehen hat. Zulässige Sprachen: deutsch, englisch und fran¬ 
zösisch. Die nicht preisgekrönten Arbeiten werden auf Verlangen 
bis zum 1. October 1891 den Einsendern zurückgegeben. Die 
Bekanntmachung der Zuerthcilung der Preise findet am 14. Juli 
1891 statt. 

(Humanitäres aus Rußland) Der jüngst in St. Peters¬ 
burg verstorbene Prof. Besser hat 100.000 Rubel für wohlthätige 
Zwecke testirt, von welchen ein ansehnlicher Theil zu Stipendien 
an medicinischen Facultäten und Gymnasien bestimmt ist. — Die 
Witwe eines russischen Arztes, des Dr. Kummer, hat der militär- 
medicinischen Akademie in St. Petersburg 8000 Rubel behufs Er¬ 
richtung eines Stipendiums für einen Studirenden dieser Anstalt 
übergeben. — Der Warschauer Gesellschaft der Aerzte sind von 
ungenannter Seite 10.000 Rubel mit der Bestimmung zugekommen, 
diese Summe zur Verbesserung der Sanitätsverhältnisse dieser Stadt 
zu verwenden. — Schließlich hat der bekannte Moskauer Chirurg, 
Prof. Sklifossowski , das Honorar für eine an einem reichen 
Odessaer Bürger ausgeführte Operation im Betrage von 11.000 
Rubel der Odessaer Universität zur Gründung eines Stipendiums 
an der zukünftigen medicinischen Facultät gespendet. 

(Statistik.) Vom 18 bis inclnsive 24. Mai 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 3770 Personen behandelt. Hievon wurden 1078 
entlassen; 114 sind gestorben (10 58% des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civil Bevölkerung Wiens and der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 46, egyptischer Augenentzündung 5, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 8, Dysenterie 1, Blattern 15, Varicellen 54, Scharlach 34, 
Masern 580, Keuchhusten 78, Wundrothlauf 18. Wochenbettfieber 7. — In 
der 21. Jahreswocbe sind in Wien 419 Personen gestorben ( + 8 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: ln Wien der k. k. Landes- 
Thierarzt Dr. Josef Werner, ein anerkannt tüchtiger Fachmann; 
in Troppau der praktische Arzt Dr. Emerich Singer; in Innsbruck 
der Stadt- und Armenarzt Dr. Joseph Glatz ; in Rom der 
Professor der Materia medica, Dr. Scalzi ; in Florenz der Professor 
der Anatomie und Histologie, Dr. Alexander Tafani; in Phila¬ 
delphia der Professor der Chirurgie an der Universität of Pennsyl¬ 
vania, Dr. H. Smith. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Dr. B. Gompkkz, emer. Assistent der k. k. Universitätskliniken für 
Ohrenheilkunde zu Wien, wohnt jetzt I., Operngasse 6. 


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Nr. 23. 


Sonntag den 8. Juni 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im aurohschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aurträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik 1 * 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnlstr. 
der „Wiener Mecüz. Presse“ in Wien,!., Maximlllanstr. 4 . 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Therapie der Syphilis. Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. — Nervöse und psychische Störungen 
nach Exstirpation beider Hoden nebst einigen Bemerkungen zur Pathogenese dieser Erscheinungen in der natürlichen und künstlichen Klimax. 
Von Dr. M. Weiss in Prag. — Ueber Rheostate und deren Verwendung in der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie mit Demonstration eines 
netten, für die Praxis bestimmten Graphit-Qnecksilberrheostates. Von R.-A. Dr. Rudolf Lkwandowski, k. k. Professorin Wien. — Hittheilnngen 
ans der Praxis. Epistaxis. — Oedema pulmonum acutum. Von Dr. Julius Sterk in Marienbad. — Referate und literarische Anzeigen. Huao 
St bbn feld (München): Ueber Bromäthyl und seine Verwerthnng in der ärztlichen Praxis. — E. Kraus: Die Ernährung der Säuglinge mit 
peptoniairter Milch. — Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft. Von Prof. Ludwig Kleinwächter — Kleine Mittheilnngea. Die 
neuen Behandlungsmethoden der Orchitis. — Ueber Desinfection ärztlicher Bürsten. — Löslichkeit des Jodoforms in mit Campher gesättigtem 
Olivenöl. — Zar Behandlung der eitrigen Pleuritis mit intrapleuralen antiseptischen Injectionen. — Die Ausspülung der männlichen Harnblase 
ohne Katheterismns. — Erfahrungen über Exalgin. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. IX. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wien 
vom 15. bis 18. April 1890. (Orig.Ber.) VIII. — Neunzehnter Congreß der Deutschen Gesellschaß für Chirurgie. Gehalten zu Berlin vom 
9 .—12. April 1890. (Orig.-Ber.) VIII. — Wiener dermatologische Gesellschaft. (Off.Protokoll.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — 
Berliner medicinische Gesellschaß. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Literatur. — Aerztllehe Stellen. — Anzeigen* 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof* KftpOjL _ . .. 

Ich möchte heute über die Therapie der Syphilis, und zwar 
aus dem Grunde sprechen, weil in prineipieller Beziehung 
Divergenzen obwalten und weil auch ich hier meine eigene 
Meinung habe, die mit den allgemeinen Anschauungen nicht 
immer übereinstimmt. 

Und da tritt an uns zunächst die Frage heran, welche 
rücksichtlich der Syphilis verschieden beantwortet werden 
kann: Wie soll man sich bei der primären Localisation des 
Virus, bei der primären Sclerose vernalten? 

Nachdem es doch a priori denkbar ist, daß das Gift eine 
gewisse Zeit braucht, um vom primären Herde über den ganzen 
Organismus sich zu verbreiten, so könnte man vermuthen, daß 
durch die Zerstörung des ersten Localisationsherdes eine all¬ 
gemeine Aufsaugung des Contagiums verhütet wird. Denn, 
daß die Syphilis, wenn das Virus inoculirt wird, nicht im 
Momente im ganzen Körper resorbirt wird, das ist klar. Man 
hat auch hier rücksichtlich der Zeit, welche erforderlich ist, 
damit das Virus bis zu den nächsten Lymphdrüsen gelange, 
gleich andern Infectionskrankheiten ein Incubationsstadium, 
welches 2—3 Wochen dauert 

Daß es sich bei der Therapie der Syphilis darum 
handelt, das Contagium überhaupt zu zerstören, und nicht blos 
den Primäraffect in 3 oder 4 Wochen zu heilen, ist begreif¬ 
lich, denn ob der Mensch 4 oder 5 Wochen eine Wunde trägt, 
ob sie etwas früher oder später zur Heilung kommt, darauf 
kommt es hei der ganzen Frage nicht an. 

Der Gedanke, durch Zerstörung des Contagiums an 
Ort und Stelle eine eventuelle Resorption und eine allgemeine 
Infection des Organismus hintanzuhalten, ist ein sehr alter. 
Ri cord hat schon darüber Versuche angestellt. Man hat, 
als die unistische Lehre allgemeine Anerkennung fand, diese 


Versuche in sehr ausgebreitetem Maße unternommen. Die Er¬ 
fahrung hat gelehrt, daß, wenn man das Virus nicht voll¬ 
ständig sogleich zerstört, man wieder einen Schanker bekommt 
und keine einfache Wunde. Zur Zeit Ricord’s hat man causti- 
sche Zerstörung versucht. Später, seit man , nach der 
Dualitätslehre, nur die Sclerose als Initialquelle der Syphilis 
betrachtet, die Excision der Sclerose. 

Die Resultate, die hiebei erzielt wurden, waren ver¬ 
schieden. 

Die Einen haben günstige Resultate erzielt, sie haben einen 
größeren oder kleineren Percentsatz in dem Sinne aufzuweisen, 
daß in einer gewissen Zahl von Fällen thatsächlich die Syphilis 
ansgeblieben ist. Sie begreifen, daß da doppelte Täuschungen 
unterlaufen können. Das Ausbleiben der Syphilis, nachdem 
man eine Sclerose exstirpirt hat, beweist nichts, weil es ja 
viele solcher „Primärläsionen“ gibt, die eben nicht ganz 
charakteristisch sind, über deren Bedeutung man erst Rechen¬ 
schaft geben kann, wenn einmal die Syphilis aufgetreten ist, 
ferner weil man die Excision vornimmt, sobald die Gelegen¬ 
heit dazu vorhanden ist, demnach möglichst früh, da es 
bekannt ist, daß zwischen der 2.—3. Woche diese Härten sehr 
häufig Schwankungen unterliegen, so daß die Entscheidung, 
ob eine Sclerose vorliegt oder nicht, gar nie positiv ist. Aber 
auch von den vermeintlichen typischen Sclerosen, nach deren 
Excision keine Syphilis gefolgt ist, hat sich im Laufe der 
Zeit ergeben, daß eine große Zahl scheinbar gesund Gebliebener 
später doch mit Syphilis sich vorgestellt hat, so daß die 
Zahl der quasi durch die Coupirungsmethode Geretteten auf 
ein Geringes sich redneirt. 

Als nun die dualistische Lehre seit Bärensprung festeren 
Fuß gefaßt hat, ist die Sache wieder flagrant geworden, denn 
jetzt hat man gemeint, das Wesen der Syphilis gefunden 
zu haben. 

Da die Sclerose in 2—3 Wochen erst entsteht und vor 
der fünften Woche allenfalls keine allgemeine Infection, keine 
allgemeine Drüsenschwellung erfolgt, so dachte man sich, 
man werde die Sclerose eliminiren und auf diese Weise die all¬ 
gemeinen Erscheinungen zum Schwinden bringen und die 
Resorption verhindern können. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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In der Tbat hat man diese Versuche überall an gestellt, 
und es gibt kaum einen Ort, kaum eine Schule, die nicht die 
betreffenden Excisionen in größerem Maßstabe vorgenommen 
hätte; von einzelnen Autoren sind über hundert Versuche 
gemacht worden, und das Resultat, das man da erzielt hat, 
war, daß man sich nach und nach überzeugt hat, daß dies 
nur Täuschung sei. 

Wenn Sie nämlich eine solche Sclerose möglichst günstig 
localisirt haben, z. B. in margine praeputii, wo die aller¬ 
günstigsten Bedingungen für die Excision vorhanden sind, so 
heilt die Wunde per primam intentionem. Am fünften 
Tage berstet die Wunde, es entsteht eine Sclerose und es folgt 
Syphilis. Günstige Resultate gaben zumeist solche Fälle, wo 
man zu einer Zeit exstirpirt hat, wo noch keine Sclerose da war. 

In einer Reihe von Fällen wieder, wo man durch Ent¬ 
fernung des Primäraffectes geglaubt hat, die Syphilis über¬ 
haupt hintanzuhalten, ist die allgemeine Infection nichtsdesto¬ 
weniger nachträglich doch erfolgt. 

Daß man also die Syphilis ganz hemmen, beziehungs¬ 
weise die Infection des ganzen Organismus hintanhalten kann, 
wofern man die primäre Sclerose sogleich nach ihrem Auf¬ 
treten excidirt, ist praktisch vielleicht in einzelnen Fällen 
realisirbar, aber doch selten darnach überhaupt ausführbar, weil 
die Leute nicht am zweiten, dritten Tage nach der Infection 
zum Arzte kommen, sondern in der Regel später, und weil 
sie sich selbst dann nicht sogleich zu einer Excision ent¬ 
schließen , sondern gewöhnlich warten, bis sich die günstige 
Gelegenheit bietet, und da ist es in der Regel zu spät. Das 
Contagium hat indeß Zeit gehabt, weiter zu wandern. 

Nun hat man gesagt, das Excidiren des Primäraffectes, 
wenn dasselbe noch so früh und noch so sorgfältig, geschieht, 
sei keine hinreichend radicale Methode; viel besser wäre es, 
dachte man sich, wenn man gleichzeitig den Weg absperrt, 
welcher zur Resorption führt, wenn man die Lymphgefäße 
sammt den Lymphdrüsen entfernt, die am Dorsum penis ver¬ 
laufen, und die das Virus von der Sclerose weiter verbreiten. 
Wenn man überdies auch die Inguinaldrüsen entfernt und 
jene Lymphdrüsen, die noch weiter stromaufwärts liegen, so 
glaubte man der allgemeinen Infection Thür und Thor ge¬ 
sperrt zu haben. 

Jeder von Ihnen, meine Herren, der ein anatomisches 
Präparat gesehen, wird mir beistimmen, daß es aus anatomischen 
Gründen a priori unmöglich ist, alle die Wege abzusperren, 
in denen das Contagium fortgeführt werden kann. Der Penis 
steckt in einem ungemein dichten Netz von Lymphgefäßen, 
die sich überdies in verschiedene Stromgebiete ergießen; man 
müßte einfach den ganzen Penis amputiren, wollte man 
sämmtliche Lymphbahnen durchschneiden. In letzter Zeit sind 
sehr schöne Arbeiten über die Lymphgefäßausbreitung und 
die zu ihnen gehörigen Drüsengebiete am Penis von Zeissl 
und Horovitz, die Injectionspräparate hergestellt haben, ver¬ 
öffentlicht worden, welche zeigen, wie enorm entwickelt dieses 
Lymphgefäßsystem ist, und, was besonders bemerkenswerth 
ist, daß manche dieser Bahnen in die Lymphdrüsen der 
Beckenhöhle einmünden, so daß von einer Excision sämmt- 
licher Gefäße und Drüsen nicht die Rede sein kann. 

Eines steht fest, daß auf das Verschwinden der Sclerose 
in praktischer Richtung ein großes Gewicht gelegt werden 
muß. Wenn bereits allgemeine Syphilis vorhanden ist, und 
deren Erscheinungen in Folge der allgemeinen Behandlung 
geschwunden sind, von der Sclerose jedoch, sei es nur das 
periphere Oedem derselben, vorhanden ist, muß man auf 
Recidiveil gefaßt sein. 

So lange also der primäre Herd nicht geschwunden ist, 
erkläre ich die Leute nicht für gesund. 

Es ist nun die Frage, ob man Geschwüre, welche wir 
als weiche Schanker bezeichnen, ob man diese venerisch-conta- 
giösen Geschwüre der Dualisten , nach welchen ebenso wie 
nach einfachen Erosionen und allerlei Formen von weichen 
Geschwüren nach meiner Ansicht allgemeine Syphilis auf¬ 


treten kann, wenn auch nicht so regelmäßig, auf irgend eine 
specifische Weise mit Aussicht auf Erfolg behandeln soll. 

Da gibt es nun eine Reihe von Mitteln, welche hier an¬ 
gewendet werden, von denen man aber mit Bestimmtheit be¬ 
haupten kann, daß sie an dem physiologischen Verlaufe kaum etwas 
ändern. Diese Thatsache war schon seinerzeit R coun bekannt. 

In dieser Beziehung möchte ich Ihnen doch einige 
praktische Behelfe geben. Sie werden nicht selten derartige 
Geschwüre sehen, die bereits von einem Arzte mit Jodoform 
oder Salicyl oder Creolin behandelt wurden. 

Was speciell das Jodoform anlangt, so wende ich es 
nicht gerne gegen derartige genitale Affectionen an, weil es 
nicht das einzig wirksame Mittel ist, und ich es inhuman und 
unnöthig finde, einen Kranken in einer so verrätherischen 
Gegend mit Jodoform zu behandeln, das ihn wegen seines Ge¬ 
ruches hindert, in seinem Berufe mit der Außenwelt zu verkehren. 

Im Allgemeinen möchte ich Ihnen rathen, keine solchen Ver¬ 
bände zu geben, welche leicht eintrocknen, also keine wässerigen 
Lösungen von Cuprum sulfuricum, von Carbol, auch keine 
Salben, wie Präcipitatsalbe u. A., theils weil diese Verbände 
si' h leicht verrücken und durch Uebertragung des Eiters auf 
Nachbarstellen Autointoxication erfolgt, theils weil sie ein¬ 
trocknen und den Eiter absperren, wodurch Lymphangoitis 
und Bubonen entstehen. 

Ich rathe Ihnen daher, Verbände anzuwenden, welche 
fest haften. Nichtdestoweniger gibt es Mittel, welche sehr 
zweckmäßig sind, indem sie nicht blos im Sinne einer raschen 
Resorption wirken, sondern welche, wie das Jodolpulver, eine 
ganz specifische Wirkung haben. 

Und da möchte ich Ihnen zunächst das Acidum sali¬ 
cyl i cum anführen, welches jeden Tag oder jeden zweiten 
Tag aufgelegt wird, und wenn es zu stark ätzt, so können 
Sie eine Mischung von Salicylsäure und Jodol nehmen. 

Ein vorzügliches Mittel ist das Emplastrum Hydrargyri 
gerade so, wie bei der Sclerose, auch beim virulenten Schanker. 

Denken Sie sich, welche Wohlthat das für einen Kranken 
ist, der 5, G Geschwüre trägt, die Sie mit einem grauen 
Pflaster decken, und die darunter ausgezeichnet heilen. 

Das Pflaster klebt ohne Hilfsverbände, verrückt sich 
nicht, ist durch ein neues leicht zu ersetzen, riecht nicht — 
ein Umstand, auf den ich besonderes Gewicht lege, — und mildert 
die Schmerzen außerordentlich rasch. Ich möchte aber nach 
meiner Erfahrung sogar behaupten, daß das graue Pflaster in 
Entwicklung begriffene Indurationen zur Rückbildung bringt, 
und auf diese Weise quasi specifisch, d. i. syphilishemmend wirkt. 
Der Schanker ist auch die einzige Geschwürsform, welche auf 
Application des grauen Pflasters in geradezu überraschender 
Weise sich bessert und heilt, während alle anderen Arten von 
entzündlichen Geschwüren, z. B. varricöse Geschwüre unter 
dem grauen Pflaster sich verschlimmern und schmerzhaft 
werden — ein Moment, welches ebenfalls geeignet ist, die 
Identität des Schankers mit Syphilis zu stützen. 

Verwenden Sie zu diesem Zwecke das graue Pflaster in 
Ihrer Praxis häufig und Sie werden mit den Erfolgen stets 
zufrieden sein. 

Indem man nun, wie ich vorhin gesagt, in Bildung be¬ 
griffene Indurationen, welche die Erwartung, daß Syphilis zu 
Stande kommen werde, nahezu rechtfertigen, unter dem grauen 
Pflaster wieder verschwinden sieht, mit der Bildung der Sclerose 
jedoch die Gefahr der allgemeinen Syphilis nahezu gewiß ist, 
kann man das graue Pflaster für dieses Stadium und diese 
Anwendung quasi als Präventivmittel der Syphilis betrachten. 

Jeder erfahrene Syphilidologe weiß es, und es ist diese 
Thatsache von Ricord, von Sigmund, von Hebra, von Zeissd 
und Anderen bestätigt worden, daß die Entwicklung der Sclerose 
mannigfachen Schwankungen unterliegt. Sie werden sich oft 
überzeugen, daß man ein Geschwür 2, 3 Wochen behandelt 
und immer im Zweifel ist, ob das eine Sclerose werden wird 
oder nicht. Der Schanker verhärtet, und man glaubt, der 
Patient bekommt Syphilis; nach und nach wird er wieder 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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weich und geht vollständig zurück. In anderen Fällen bleibt 
eine Induration zurück. 

Uebrigens dürfen Sie, um den Werth allgemeiner so¬ 
genannter Präventiv- und Coupirungsmethoden richtig zu be- 
urtheilen, nicht vergessen, daß es auch typische Sclerosen gibt, 
nach welchen keine allgemeine Syphilis folgt. Solche Beispiele 
haben Boeck und ich angeführt, und ein solcher Fall ist auf 
dem letzten Congreß in Paris von Dubois, Havenith und 
Leloir mitgetheilt worden. 

(Fortsetzung folgt.) • 


Nervöse und psychische Störungen nach 
Exstirpation beider Hoden 

nebst 

einigen Bemerknogen zur Pathogenese dieser Erscheinungen 
in der natürlichen und künstlichen Klimax. 

Von Dr. M. Weise in Prag. 

(Fortsetzung.) 

Der Kranke wurde nun aufgefordert, in den folgenden Tagen 
das jedesmalige Auftreten der Erscheinung zu notiren und auf ihre 
In- und Extensität zu achten. 

Um die Beobachtung nicht zu stören, wurde von jedem thera¬ 
peutischen Verfahren einstweilen Umgang genommen. Nachstehend 
sind die bezüglichen Aufzeichnungen des Kranken wörtlich wieder¬ 
gegeben : 

10. December, 12 Uhr Mittags: Leichte Wallungen 
gegen den Kopf, Schwitzen durch 3 Minuten. 

I Uhr 48 Minuten: Starke Hitze im Gesichte, auf der 
Brust und am Rücken. Geringes Schwitzen im Gesichte, auf Brust 
und Rücken sehr stark, durch fast eine Stunde andauernd; zwei 
Hemden gewechselt. 

4 Uhr 50 Minuten. Geringes Sehwitzen auf der Brust. 

7 Uhr 10 Minuten: Schweißausbruch auf Brust und Rücken, 
ununterbrochen geschwitzt bis fD/j Uhr; 3 Hemden gewechselt. 

In der Nacht 2mal aus dem Schlafe durch Hitze und starkes 
Schwitzen geweckt; jedesmal 1 Hemd gewechselt. 

11. December, 9 Uhr Vormittags: Starke Wallungen 
gegen den Kopf. Umgebung bemerkt, daß das Gesicht ganz roth 
ist. Nach 2 Minuten Schweißausbruch. 

II Uhr: Mäßige Wallungen, gefolgt von starkem Schwitzen. 

1 Uhr 10 Minuten Abends: Ebenso. , 

4 Uhr 18 Minuten: Sehr starke Hitze im Gesichte und 
auf der Brust, darauf starker Schweiß durch eine halbe Stunde; . 
1 Hemd gewechselt. 

6 Ubr: Geringe Wallungen, unbedeutender Schweiß. 

In der Nacht 3mal (11 Ubr, 2 Uhr, 3 1 / a Uhr) sehr stark 
geschwitzt; jedesmal 1 Hemd gewechselt; wiederholte Schwindel- ’ 
anfälle. 

12. December, 7 Uhr Vormittags: Wallungen und 
Schweiß. 

10 Uhr: Ebenso. 

II 1 /, Uhr: Starke Wallungen, Gesicht und Hals sehr roth, 
dann eine halbe Stunde stark geschwitzt. 

2 Uhr 40 Minuten Abends: Während eines Geschäfts¬ 
ganges starkes Wärmegefühl, Flimmern vor den Augen. Schwindel. 
Starker Schweißausbruch, worauf unangenehmes Kältegefühl, das 
mich zum Nachhausegehen behufs Wäschewechsel nöthigte. 

5 Uhr: Geringe Wallungen, mäßiger Schweiß. 

5 1 /, Uhr: Sehr starke Hitze im Gesichte, starker Schweiß. 

8 3 / 4 Uhr: Brust und Rücken schwitzen sehr stark. Wäsche¬ 
wechsel. Während des Tages öfters Schwindel. 

In der Nacht, gegen Mitternacht, starkes Schwitzen, 2maliger 
Wäschewechsel. 

Um 4 Uhr Morgens geringer Schweiß. Auch in der Nacht 
ein starker Schwindelanfall. 

12. December, 10 Uhr 20 Minuten Vormittags: 
Flüchtige Wallung. 


12 Uhr: Intensive Hitze und Röthung des Gesichtes. Die 
Hitze zieht sich gegen die Brust. Nach einigen Minuten Schweiß- 
ausbruoh, Wäschewechsel. 

5 Uhr Abends: Starke Wallungen. In der Nacht 3mal 
Wäschewechsel. 

13. December: Vormittags 2mal, Nachmittags bis 8 Uhr 
3mal Wallungen und Schweiße. In der Nacht Schwindelanfall, 2mal 
starkes Schwitzen, jedesmal Wäschewechsel. 

Diese Aufzeichnungen des Kranken sind dahin zu ergänzen, 
daß die Wallungen und Sehweißausbrüche ohne jede äußere Veran¬ 
lassung erfolgten, daß die Früh- und Abendtemperaturen zwischen 
37—37*4° schwankten. 

Am 14. December batte ich abermals Gelegenheit, einen 
solchen Anfall zu beobachten und konnte dabei constatiren, daß die 
Röthung sich auch über das Abdomen und den Rücken ausbreitete, 
und daß nebst der Conjunctiva auch die Schleimhaut der Mund- und 
Kachenhöblc an derselben participirten. Mit dem Erblassen des Ge¬ 
sichtes nach Eintritt der Schweißsecretion verlor sich auch die 
Röthung der Conjunctiva und der Mundschleimhaut; von einer ver¬ 
mehrten Thränenabsonderung und Schleimsecretion war nichts zu 
bemerken. Der Puls blieb während des ganzen Vorganges un¬ 
verändert. 

Was die Therapie betrifft, so suchte ich durch eine angepaßte 
psychische Gymnastik der Gemüthsstimmung eine andere Richtung 
zu geben; jede geistige und körperliche Anstrengung sollte ver¬ 
mieden werden und angemessene Beschäftigung in regelmäßigen 
Zeitintervallen mit Erholung und Zerstreuung abweohseln; jeder 
Anlaß zur psychischen Alteration soll ferngehalton werden. Kräftige, 
nicht reizende Diät, hauptsächlich reichliche Zufuhr von Milch, 
fleißige, nicht ermüdende Bewegung in frischer Luft, laue Bäder und 
Abreibungen sollten fördernd auf den somatischen und psychischen 
Zustand einwirken. Symptomatisch verordnete ich gegen die er¬ 
schöpfende uud belästigende Hyperidrosis Atropin 0*0005—0*001 
pro die, gegen die nervöse Erregung und Schlaflosigkeit Bromkali 
2—4 Grm. täglich; die Galvanisirung des Nerv, sympath. gegen 
die vasomotorischen Störungen lehnte Pat. ab. 

Der weitere Verlauf war in Kürze folgender: 

Die Schweißanfälle wurden durch das Atropin, Gesammtdosis 
0*012, nicht im Mindesten beeinflußt, und da sich Zeichen von In- 
toxication (Trockenheit im Halse, Mydriasis) einstellten, so wurde 
der Gebrauch des Mittels eingestellt. 

Die cerebralen und psychischen Erscheinungen nahmen an In¬ 
tensität zu. Die Sensationen im Kopfe wurden als unerträglich 
geschildert, die Schwindelanfälle kamen so stark und so oft, daß 
Pat. sich nicht traute, auf die Gasse zu gehen, die Vergeßlichkeit 
wurde immer größer, der Kranke verlor jede Willensenergie und 
die Verstimmung nahm geradezu den Charakter einer ausgesprochenen 
Melancholie an, ja sogar Selbstmordgedanken wurden geäußert. 

Nun wurde auch Prof. Kahler zu Rathe gezogen, und auf 
dessen dringende Empfehlung willigte der Krauke in die bereits 
von mir vorgeschlageno Anwendung des galvanischen Stromes. Es 
wurde vereinbart, eine Galvanisirung des Gehirnes Und des Nerv.- 
sympath. nach den bekannten Methoden vorzunehmen; das an¬ 
geordnete psychische und diätetische Regime sollto fortgesetzt und 
Bromkali weitergegeben werden. 

Diese durch 3 Monate, Januar, Februar, März 1884, fortge¬ 
setzte Behandlung war insofernc von Erfolg, als die bereits an der 
Grenze der Psychose angelangte melancholische Verstimmung eine 
freundlichere und hoffnungsvollere wurde, der Krauke anfing, seinem 
Geschäfte Interesse entgegen zu bringen, hin und wieder Anord¬ 
nungen traf und theilnehmend für seine Familie wurde. Auch der 
Appetit und der Schlaf wurden etwas besser und demgemäß auch 
der Kräftezustand und die Ernährung. Weniger beeinflußt blieben 
die vasomotorischen Störungen und die Hyperidrosis Nach wie vor 
bekam der Kranke mehrmals des Tages und auch boi Nacht die 
geschilderten Anfälle von „Wallungen“, „heißen Uebergießungen“ 
mit darauf folgendem Schweißausbruche, oder blosse „Schwei߬ 
anfälle“ ohne vorgängige Wallung; jedoch scheinen sie nicht so 
in- und extensiv zu sein als früher. 

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Nach Absolvirung der vorgesukriebenen 50 galvanischen 
Sitzungen entzog sich Pat. jeder planmäßigen weiteren Behandlung 
und Beobachtung. In den folgenden Jahren wurde ich nur hin 
und wieder wegen hinzugetretener Erscheinungen von Seite des 
Magens und der Gedärme zu ihm gerufen. Er bekam öfter ohne 
jede Veranlassung peinliche Empfindungen im Magen und in den 
Gedärmen, welche sich zuweilen zu krisenartigen Anfällen von 
Gastral- und Enteralgie mit Ueblichkeiten, Aufstoßen und Erbrechen 
steigerten. Entsprechende Gaben von Morphium schafften meist 
momentane Erleichterung. 

Gegenwärtig — Juni 1889 — besteht in Kürze folgender 
Status: Die Stimmung ist eine gedrückte, der Kranke geht seiner 
Beschäftigung nach, bei stärkerer Anstrengung kommen die unan¬ 
genehmen Sensationen, über Schwindel wird weniger geklagt, die 
Wallungen und Schweißausbrüche sind entschieden seltener und 
milder, dagegen stellen sich häufig die Erscheinungen von Seite des 
Magens und der Gedärme ein, die Motilität und Hautsensibilität, 
sowie die Functionen der Sinnesorgane sind vollkommen intact, 
keine auf Tuberculose der Lunge oder anderer Organe deutenden 
Erscheinungen, verhältnißmäßig guter Ernährungszustand. 

Fassen wir den Fall kurz zusammen, so sehen wir bei 
einem 48jährigen, nervös veranlagten Manne ungefähr drei 
Monate nach chirurgischer Exstirpation beider Hoden eine 
Reihe höchst interessanter nervöser und psychischer Erschei¬ 
nungen auftreten, von denen einzelne bis zum heutigen Tage, 
d. i. durch fast 6 Jahre, wenn auch in geschwächtem Grade, 
fortbestehen. Der Kranke bekam von einer deutlichen Aura 
mit Angstgefühl und Beklemmung eingeleitete Anfälle von 
„Wallungen“ im Gesichte und im Rumpfe, die äußerlich durch 
Röthung dieser Körpertheile kenntlich waren, mit darauf fol¬ 
gender profuser Schweißabsonderung oder auch Schweißanfälle 
ohne vorausgegangene Wallungen, ferner lästige Sensationen 
im Kopfe (Kopfdruck), Schwindel, Herzpalpitation, die Stimmung 
war eine tief melancholische, hart an der Grenze von Psychose 
stehende, die psychische Thätigkeit, namentlich das Erinne¬ 
rungsvermögen und die Willensenergie, erlitten eine bedeutende 
Einbuße, später traten auch nervöse Erscheinungen von Seite 
des Magens und der Gedärme hinzu. Dabei waren die Func¬ 
tionen der Sinnesorgane, die Hautsensibilität, die Motilität, 
die elektromusculäre Erregbarkeit, die Reflexe vollkommen 
normal. 

Für den ätiologischen Zusammenhang dieser Erscheinungen 
mit der Exstirpation beider Hoden spricht das zwar nicht 
unmittelbar nach der Castration, aber bald darauf stattge¬ 
fundene Auftreten derselben, sowie der Umstand, daß der 
Symptomencomplex ganz identisch ist mit den Veränderungen 
in der nervösen und psychischen Sphäre, welche bei Frauen 
nach physiologischem oder operativem Ausfall der Geschlechts¬ 
drüsen beobachtet werden. (Fortsetzung folgt.) 


Ueber 

Rheostate und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Qnecksilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowaki, k. k. Professor 

in Wien. 

(Fortsetzung. *) 

Ich kann diese Ausführungen nicht schließen, ohne noch 
eines Apparates zu gedenken, den Docent Dr. Gärtner am 
24. Januar 1. J. in der k. k. Gesellschaft der Aerzte demon- 
strirte und in Nr. 6 der „Wr. klin. Wochenschrift“ vom 

6. Februar 1890, pag. 109, Fig. 1 und 2, als Kaolin- 
rheostat, beziehungsweise RheostatgrifF beschrieb. Dr. Gärtner 
kam bei der Construction dieses vom Mechaniker L. Schul- 

*) Siehe Nr. kl. 


| mkister in Wien ausgefuhrten Apparates, was das Meri- 
torische anbelangt, einigermaßen auf den in Fig. 1 
dieses Aufsatzes schematisch abgebildeten E. M. Reiniger- 
schen Graphitrheostat zurück, während das Aeußere der 
Ausführung des Kaolinrheostates mit dem in Nr. 27 des 
„Aerztlichen Centralanzeigers“ vom 1. November 1889, Fig. 2 
und 3, abgebildeten STHiN’schen RheostatgrifF eine gewisse 
Aehnlichkeit aufweist. 

Ohne die Beschreibung dieser beiden Apparate recapitu- 
liren zu wollen, die ja entsprechendenorts nachgelesen werden 
kann, stelle ich hier nur diejenigen Momente, betreff deren 
der E. M. ReJNioER’sche und der Dr. GÄRTNER’sche Kaolin- 
rheostat verglichen werden können, nebeneinander: 

1. In beiden Apparaten sind Widerstandsplättchen ver¬ 
wendet ; 

2. bei beiden Apparaten bestehen diese Widerstands¬ 
plättchen aus Kohlenstoff in Verbindung mit einem den Strom 
schlecht leitenden Materiale; 

3. bei beiden Apparaten ist dieses schlecht leitende 
Material ein Silicat; 

4. bei beiden Apparaten sind metallene Verbindungs¬ 
stücke zwischen je zwei auf einander folgende Plättchen ge¬ 
schaltet ; 

5. bei beiden Apparaten stehen diese Verbindungsstücke 
mit Schleifcontacten in metallischer Verbindung, über welche 
der Schlußschieber gleitet; 

6. bei beiden Apparaten repräsentirt jedes einzelne 
Plättchen einen ziemlich erheblichen Widerstand; 

7. bei beiden Apparaten findet kein gleichmäßiges, 
sondern nur ein'sprungweises Zu- und Abnehmen des Wider¬ 
standes statt; 

8. dementsprechend gestattet auch keiner von beiden 
Apparaten ein veritables Ein- und Ausschleichen des Stromes; 

9. ist es bei beiden Apparaten unmöglich, die Größe des 
Widerstandes jedes einzelnen Plättchens im Vorhinein beein¬ 
flussen zu können 

Die Aehnlichkeiten zwischen dem REiNiGEß’schen Graphit¬ 
rheostat und dem GÄRTNER’schen Kaolinrheostat betreffen, 
wie schon vorerwähnt, nur das Meritorische und nicht 
das Nebensächliche; denn nur als nebensächlich ist 
es anzusehen, daß die Widerstandsplättchen beim Reinigkr- 
schen Rheostat in einer Reihe neben einander, beim Dr. 
GÄRTNER’schen Kaolinrheostat dagegen in einer Säule über 
einander angeordnet sind, gleichwie es nur als nebensächlich 
anzusehen ist, daß beim ersteren Apparate ein Alkalikalk¬ 
silicat mit Graphitpulver (Kohlenstoff) überzogen, hin¬ 
gegen beim letzteren ein Aluminiumsilicat mit Kohlenpulver 
(Kohlenstoff) durchtränkt sei. 

Was hinwieder die äußere Aehnlichkeit zwischen dem 
GÄRTNER’schen Kaolinrheostat und dem STEiN’schen Rheostat- 
griff betrifft, so besteht diese 

a) in dem säulenförmigen Aufbau beider; 

b) in der Einschließung dieser Säule in eine Metall- 
röhre; 

c) in der gleichen Anordnung der Schleifcontacte, die 
aus einem Schlitz der Metallröhre hervorragen und durch 
isolirendes Material von derselben geschieden sind; 

d) in dem Gleiten des mit der umhüllenden Metallröhre 
in leitender Verbindung stehenden Schlußschiebers über diese 
Schleifcontacte. 

Gar auffallend wird diese Aehnlichkeit zwischen dem 
Dr. GÄRTNEß’schen und dem Dr. STEiN’schen RheostatgrifF. 

Hiebei ist, wie schon vorher erwähnt, der Vergleich 
beider Apparate nur betreff ihrer äußeren Ausstattung und 
durchaus nicht bezüglich ihrer inneren Einrichtung oder 
Leistungsfähigkeit gezogen worden. Für das Aeußere der 
Ausführung bleibt es daher ganz irrelevant, daß der Dr. Stein- 
sche RheostatgrifF einen Metalldrahtrheostat von geringem 
Widerstand, der Dr. GÄRTNER’sche hingegen den Kaolinrheostat 
von großem Widerstande enthält. 


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Was die Leistungsfähigkeit des Dr. GÄRTNER’schen 
Kaolinrheostates anbelangt, so steht er ebenfalls auf der Stufe 
der alten Graphitrheostate (Fig. 1 und 3 dieses Aufsatzes); 
er gestattet nämlich nicht, wie der vorbesprochene Graphit- 
Quecksilberrheostat (Fig. 5), ein wirkliches Ein- und Aus¬ 
schleichen des Stromes, sondern nur ein Ansteigen und Ab¬ 
nehmen der Stromstärke in Sprüngen. 

An der die Widerstandsplättchen einschließcnden Metall¬ 
röhre sind 50 Widerstandsabstufungen von U —5 u. s. w. um 
je fünf fortschreitend notirt. Nehmen wir nun an, der Wider¬ 
stand dieses Rheostates betrage, wie Dr. Gärt.nkr es angibt, 
200.000 Ohms, so entfiele, wenn die Widerstände gleich 
wären, von einem Widerstandsplättchen zum anderen je ein 
Widerstand von 4000 Ohms. Nun sind aber die Widerstände 
ungleich vertheilt, somit die Abstände derselben gegen das 
Ende der Widerstandssäule noch erheblich größere. An dem 
mir vorliegenden Exemplare dieses Kaolinrheostates zähle ich 
im Ganzen 53 solcher Widerstandsplättchen, beziehungsweise 
54 solcher Metallzwischenlagen, welche die Ausleitungen 
(Schleifcontacte) bilden. Eigenthümlicher Weise sind diese 
Schleifcontacte nicht in ihrer Reihenfolge numerirt, sondern 
befindet sich 0 neben dem 2., 5 neben dem 7. u. s. f., 45 
neben dem 47. und 50 neben dem 52. Schleifcontacte, auf der 
die Widerstandsplättchen einschließenden Metallröhre einge¬ 
prägt. Dieser Numerirung entspricht auch in der That die 
mögliche Herstellung des Contactes zwischen den Schleif- 
contacten und dem Schlußschieber. Dieser ist nämlich so ein¬ 
gerichtet, daß er nicht mit dem ersten Schleifcontacte, aber 
auch nicht mit dem zweiten allein in Berührung gebracht 
werden kann, sondern, wenn man denselben ganz an den An¬ 
fang der Säule schiebt, so weit es nur geht, er erst mit dem 
2. und 3. Schleifcontacte zugleich metallische Verbindung 
herstellt, indem er bei dieser Anfangsstellung bereits in den 
Zwischenraum zwischen diese zwei Schleifcontacte zu stehen 
kommt, dabei aber beide berührt. Dasselbe findet statt, wenn 
man den Schlußschieber ganz an das Ende der Säule vor¬ 
schiebt ; auch hier kann er nur in den Zwischenraum zwischen 
dem 52. und 53. Schleifcontacte (wobei er beide berührt) ein¬ 
gestellt werden. Es kann demnach trotz der vorhandenen 
54 Schleifcontacte der Schlußschieber wirklich nur über 50 
derselben verschoben werden, und da diese Numerirung nicht 
etwa die Progression in dem Widerstande, sondern nur die 
Anzahl der Schleifcontacte andeutet, so hätte dies auch gar 
nichts auf sich, wenn diese Einrichtung des Rheostates nur 
die Ausnützung der Gesammtstromstärke gestatten würde. 
Dies ist aber aus dem Grunde einfach unmöglich, weil der 
Schlußschieber erst mit dem 2. und 3. Schleifcontacte Be¬ 
rührung erhält, selbst wenn man denselben, soweit es geht, 
an den Anfang der Widerstandssäule zurückschiebt. 

Ich stellte zu wiederholten Malen messende Versuche 
mit dem Kaolinrheostate an und kam jedes Mal zu dem 
gleichen Resultate. Um mir ein Bild von der Differenz der 
einzelnen Widerstandsplättchen zu verschaffen, schob ich den 
Schlußschieber ganz an das Ende der Widerstandssäule vor, 
bis zur Ziffer 50, schaltete diesen Kaolinrheostat in die Haupt¬ 
schließung eines Stromes von 40 M.-A. ein und bewirkte die 
metallische Verbindung zwischen jedem Schleifcontacte und 
der die Widerstandsplättchen einhüllenden Metallröhre mittelst 
eines Platindrahtes und controlirte hierauf den Effect der 
Stromschließung mittelst des Schlußschiebers, wobei sich ein 
ganz übereinstimmendes Resultat ergab. Das Galvanometer, 
das bei kurzem Schluß 40 M.-A. anzeigte, ließ bei Einschal¬ 
tung des ersten Schleifcontactes (den man mit dem Schlu߬ 
schieber nicht erreichen kann) 35 M.-A. ablesen und bei der 
Einschaltung des zweiten (mit dem Schlußschieber bereits zum 
Theil erreichbaren) Schleifcontactes 20 M.-A. notiren. Die 
letztere Galvanometeranzeige resultirte auch bei Vorschiebung 
des Schlußschiebers und Herstellung der metallischen Ver¬ 
bindung mit dem zweiten Schleifcontacte durch denselben. 

Es gestattet somit dieser Rheostat nur die 
Ausnützung der halben disponiblen Stromstärke. 


Ganz abgesehen hievon, macht der Galvanometerzeiger 
beim Uebergange des Schlußschiebers von einem Schleifcontacte 
zum anderen ganz erhebliche Sprünge, und kann hier von 
einem Ein- oder Ausschleichen des Stromes absolut keine 
Rede sein. Gibt dieser Kaolinrheostat beispielsweise bei Her¬ 
stellung des Schlusses mit dem ersten Schleifcontacte (mittelst 
des Platin drahte s) noch 35 M.-A , so sinkt die Stromstärke 
beim Uebergange auf den zweiten Schleifcontact sofort auf 
20 M.-A. Wäre es auch möglich (was sich ja leicht mechanisch 
durchführen ließe), den Schlußschieber auf den ersten und 
zweiten Schleifcontact einstellen zu können, so würde dieser 
Rheostat keine Mittelschaltung zwischen 20 und 35 M.-A. ge¬ 
statten. Bei Verschiebung des Schlußschiebers auf den diitten 
Schleifcontact (der wirklichen Reihe und nicht dei Bezifferung 
entsprechend) zeigt das Galvanometer 18 M.-A. an; lei Ein¬ 
stellung auf den 4. Schleifcontact ist die Galvanometeranzeigc 
16\5 M.-A.; bei Einstellung auf den 5. 13*5, auf den 6.12*1, auf 
den 7. (in der Bezifferung 5.) Schleifcontact 10 M.-A. Ver¬ 
schiebt man diesen Schlußschieber weiters auf den 8. Schleif¬ 
contact, so zeigt das Galvanometer 7*6, bei Verschiebung auf 
den 9. 6’3 , auf den 10. 5*3, auf den 11. 4'7, auf den 12. 4, 
auf den 13. Schleifcontact 3‘5 M.-A. etc. an. 

Statt eines wirklichen, allmäligen An oder Ab¬ 
schwellens der Stromintensität sind Sprünge von 40 auf 35, 
20, 18, 16-5, 13 5, 12 1, 10, 7•(>, 6 3, 53, 4’7, 4. 3 5 M.-A. 
u. s. w. zu verzeichnen. Alle Zwischenstufen der Stromstärke 
aber zwischen diesen angegebenen lassen sich mit dem von 
mir benützten Kaolinrheostate nicht einstellen. Andererseits 
sind die letzten 6 Schleifcontacte vollkommen überflüssig und 
verschlägt es gar nichts, daß man mit dem Schlußschieber 
nicht bis an das Ende der Widerstandssäule gelangen kann. 
Stellt man nämlich den Schlußschieber auf den 48. Schleif¬ 
contact ein, so zeigt das Galvanometer 0'02 M.-A. an; die¬ 
selbe Stromstärke bleibt aber unverändert, wenn man den 
Schlußschieber nun allmälig von Schleifcontact zu Schleifcontact 
bis an das Ende der Widerstandssäule vorschiebt. Desgleichen 
ist die Stromstärke unverändert, 1 M.-A. bei Verschiebung 
des Schlußschiebers vom 25.-29. Schleifcontact. Bei Ein¬ 
stellung des Schlußschiebers auf den 17. (markirt 15.) Schleif¬ 
contact zeigte das Galvanometer 2’3 M.-A. an; beim Ueber¬ 
gange auf den 18. Schleifcontact macht der Galvanometer¬ 
zeiger plötzlich einen Sprung auf 1*75 M.-A., also in dieser 
niedrigen Stromstärke noch um , / a M.-A. Kleinere Sprünge 
macht der Galvanometerzeiger bei Einschaltung der Strom¬ 
stärke von 0 02— 1 M.-A., wofür die zweite Häfte der Wider- 
standssäulo vom 54.—25. Schleifcontacte dient, wogegen die 
Sprünge in den höheren Stromstärken ganz erheblich sind. 

Selbstverständlich wird man mit jedem anderen Exem¬ 
plare des Kaolinrheostates eine verschiedene Vertheilung der 
Stromesschwankungen und Sprünge notiren, da sich natur¬ 
gemäß auch nicht zwei derartige Apparate mit gleicher Ver¬ 
theilung der Widerstände herstellen lassen. 

Es besitzt somit der Dr. GÄRTNRa’sche Kaolinrheostat 
zwei Hauptfehler, von welchen sich nur der eine corrigiren läßt, 
nämlich der, dessen schon früher Erwähnung geschah, daß 
der Kaolinrheostat in der derraaligen Ausführung des 
von mir benützten Exemplares nur die Verwendung der halben 
disponiblen Stromstärke gestattet; der zweite, indeß nicht 
corrigirbare Hauptfehler liegt darin, daß ein derartiger 
Apparat nie und nimmer ein wirkliches Ein- und Ausschleichen 
des Stromes bewirken kann, sondern nur ganz erhebliche 
Sprünge, ganz bedeutende Stromesschwankungen bei Ver¬ 
schiebung des Schlußschiebers von Contactpunkt zu Contaet- 
punkt verursacht. Gegen diese Unzukömmlichkeit aber richten 
sich alle neueren Bestrebungen von Dr. Stein, Prof. Eolen- 
bubg , mir u. A. einerseits, sowie von den Fabrikanten 
R. Blänsdorf’s Nachfolger A. H rschmann, J. Leiter, K. Schall 
etc. andererseits. 

Nicht der Aehnlichkeit mit dem E. M. Reinig ER’schen 
Graphitrheostat, beziehungsweise der STEiN’schen Rheostat- 
elektrode wegen, sondern um seiner Leistungsfähig- 


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keit willen, die aus dem voi aufgeführten Experimente 
erhellt, und die sieh weder durch Versicherungen, noch 
durch Beziehung auf die besten Metalldrahtrheostate hinweg¬ 
leugnen läßt, wegen des Rückschrittes in den Be¬ 
strebungen zur Herstellung eines Rheostates, 
der wirklich ganz allmäliges Ansteigen der 
Stromstärke ohne jede Stromesschwankung er¬ 
möglichen würde, geschah auch des Kaolinrheo- 
states hier eine objectiv kritische Erwähnung. 

(Schluß folgt.) 

Mittheilungen aus der Praxis. 


Epistaxis. — Oedenia pulmonum acutum. 

Von Dr. Julius Sterk in Marienbad. 

Die Seltenheit des Auftretens eiues hochgradigen Lungen 
Ödems ln Folge und mit gleichzeitigem Fortbestehen einer länger 
andauernden Epistaxis, veranlaßt mich, den nachfolgenden Fall zur 
Mittheilung zu bringen, und an denselben einige klinische, thera¬ 
peutische Bemerkungen zu knüpfen. 

Gegen 2 Uhr Nachts vom 20. auf den 21. Januar wurde ich 
zu Frau K., Hotelbesitzern in unserem Curorte, mit der Aufforderung 
geweckt, so rasch als möglich zu kommen, da die Dame sich ver¬ 
blute. Während ich im Begriffe war, mich anzukleiden, kam schon 
ein zweiter Bote mit der Hiobspost, lasch zu kommen, denn die 
Frau sterbe. 

Beim Eintritt iu’s Krankenzimmer bot sich mir eiu nächtliches 
Sehauerbild dar, dessen Eindruck ich nicht so bald vergessen werde. 
Die mir in Ausübung ihres Berufes als rastlos unermüdlich bekannte 
Frau, von kräftiger Constitution, gut genährt, mäßig adipös, lag, 
mit von Blut beschmutztem Gesichte und Bettwäsche, in höchster 
Atheronoth sich unruhig hin und her werfend, im Bette, in tiefer 
Cyanose, mit vorstehenden Bulbi, mit schaumbedeckten Lippen, mit 
dem Ausdrucke des höchsten Angstgefühles etc. 

Bei näherer Btsichtigung fand ich aus beiden Nasenlöchern 
tropfenweise Blut sickernd. Die Blutung soll schon seit 2 Stunden 
bestanden haben und durch Hansbehelfe zu sistiren versucht worden 
sein. Bei dem Umstande, als mir ein weit verbreitetes acutes 
Lungenödem mit all seinen charakteristischen physikalisch-diagnosti¬ 
schen, schon per Distanz erkennbaren Erscheinungen, mit kleinem, 
frequentem, arhytbmiscbem Pulse als das Leben in erster Reihe be¬ 
drohend entgegentrat, setzte ich der Epistaxis nur geringe therapeu¬ 
tische Maßnahmen entgegen, meine Hauptaufmerksamkeit der 
Herzschwäche zuwendend. Ich verabfolgte der mit höchster 
Athemnoth kämpfenden, mit kaltem Angstschweiß bedeckten, colla- 
birten Kranken, da meine Augen zufällig auf eine Flasche Cognac 
fielen, sofort ein Glas von diesem mächtigen Analepticum, eilte 
nach Hause, nahm eine Pravaz- Spritze und ein Fläschchen 
Aether mit mir und applicirte, zurückgekehrt, ohne Verzug 
zwei volle PfiAVAZ-Spritzen subcutan an der mir zugäng¬ 
lichsten Stelle, ließ eine Flasche Champagner entkorken, heiße 
Wasserlaken um die Extremitäten schlagen, geriebenen Meerrettig 
auf die Brust legen, kurzum es wurden alle vorhandenen Neben¬ 
behelfe, die in solchen Fällen vielleicht mehr zur Beruhigung der 
Umgebung oder aus Vorsicht einer etwaigen nachträglichen wohl¬ 
wollenden collegialen Kritik angewendet zu werden pflegen, heran¬ 
gezogen, um Hilfe und Rettung zu bringen. 

Bei der so eminenten Athemnoth konnte ich mich auch nicht 
so leicht entschließen, eine Tamponade der Nasenlöcher vorzu¬ 
nehmen , um nicht so dieseu Hauptweg der Athmung zu verlegen, 
zumal die Blutung nunmehr ganz minimal war. Trotz dieser 
energischen Maßnahmen, die nicht immer und überall dem Arzte und 
Kranken in so günstiger Weise zur Verfügung stehen, wollte es 
doch nicht so rasch gelingen, die Herzenorgie so anzuregen, wie es 
so dringend nöthig und wünschenswerth gewesen wäre. Die Cyanose, 
das Angstgefühl, das Lungenödem nahmen eine Weile noch zu, 


trotzdem ans dem Munde eine nicht unbedeutende Menge einer leicht 
blutig tingirten, serös-schaumigen Flüssigkeit stoßweise entleert 
wurde. Ich machte eine dritte Aetherinjeetion, verabfolgte ab¬ 
wechselnd in nicht allzu großen Intervallen Champagner und Cognac, 
applicirte Senfteige auf Brust und Waden etc. Fast eine volle 
Stunde verging in banger Sorge um das Leben der Patientin, bis 
ich zu meiner Freude ein langsames Ansteigen der fast ganz ge¬ 
sunkenen Herzkraft und mit ihr fast zugleich auch einen geringen 
Nachlaß der Dyspnoe constatiren konnte. Die Kranke wurde auch 
nach und nach ruhiger, das Angstgefühl legte sich, Wärme und 
Farbe verdrängten die vorhandene Kälte und Blässe. 

Die Besserung und Erholung nahmen mit der gesteigerten 
Herzthätigkoit auch stetig zu, so daß ich die Kranke gegen 5 Ubr 
Morgens als gerettet betrachten konnte und selbe mit der Anord¬ 
nung, ihr einige Löffel starken schwarzen Kaffees zu verabfolgen, 
verließ. Nach 2 Stunden besuchte ich die Kranke wieder und 
konnte von den das Leben bedrohenden Erscheinungen in den 
Lungen nur noch an manchen Stellen theils großblasiges Rasseln 
mit Schnurren und Pfeifen als Residuen des Lungenödems con¬ 
statiren. 

Erwähnen möchte ich nur noch der Vollständigkeit halber, 
daß weder eiu Herzfehler, noch Albuminurie, noch Arteriosclerose 
vorlag, und die Kranke nur ein Cor adiposum mäßigen Grades 
mit geschwächter Herzenergie hatte, wovon ich mich nachträglich 
überzeugte. 

Klinisch läßt sich das rasche Auftreten und das verhältniß 
mäßig rasche Schwinden des Lungenödems in diesem und ähnlichen 
Fällen am Ungezwungensten durch die kürzlich von v. Basch- 
Grossmann aufgestellte Theorie des Lungenödems erklären. Dieser 
Theorie zufolge bedingt ein Zustand der Herzschwäche einen be¬ 
hinderten Blutabfluß aus den Lungenveneu, wodurch das Blut in 
den Alveolarcapillaren unter hohem Druck sieh anstaut. Durch 
dieso starke Spaunung der Alveolarcapillaren geräth die Lunge in 
eine Art Erection, es tritt, wie v. Basch-Grossuann sich aus- 
drüeken, Lungenschwellung, Lungenstarrheit ein. Mit dem Eintritte 
dieser Zustäude entsteht schon die Dyspnoe, welche die Autoren auf 
verminderte Excursionsfähigkeit der Lungen zurückführeu. Im An¬ 
schlüsse an diese Dyspnoe komme es zur Transsudation in die 
Alveolen, denn diese ist ja auch nur eine Folge des verhinderten 
Blutabflusses aus den Lungenvenen. Es erklärt sich leicht, daß die 
Dyspnoe sich sofort mit dem Eintritte der Insufficienz des linken 
Ventrikels entwickelt und dann in dem Maße wächst, als mit der 
Entwicklung der Transsudation sich die Athmungshinderuisse steigern; 
Das relativ rasche Anfliören der bedrohlichen Erscheinungen, das 
hior der herzexcitirenden Therapie folgte, erklärt sich in gleicher 
Weise dadurch, daß mit der Restitution der Herzthätigkeit die 
Lungen das Blut in den linken Ventrikel entleerten, und dann in 
gleichem Maße die Lungenerection verschwand, und mit ihr auch die 
Athmungsinsufficienz etc. Dieser Fall spricht auch ganz entschieden 
für die Meinung v. Basch Grossmann’s, daß die Transsudation selbst 
eine nur nntergeordnete Rolle beim Lungenödem spielt. Denn- die 
Athemnoth tritt schon zu einer Zeit ein, da eine TranssuJation noch 
nicht nachweisbar ist, und schwand in diesem Falle, wie ich ganz 
genau beobachten konnte, unmittelbar mit dem Eintritte einer 
kräftigeren Herzaction, trotzdem das Bestehen weithin hörbarer 
Rasselgeräusche die Existenz reichlicher Transsudation noch anzeigte 
und nur allmälig schwand, als die Athmung schon fast normal war. 
Mit dem nachweisbar Kräftiger- und Völlerwerden des Pulses nahm 
auch die Dyspnoe ab. Zu meinem Bedauern habe ich in diesem 
Falle die Percussion verabsäumt, um mich von der angeblichen 
Volumszunahme der Lungen zu überzeugen. Ich glaube aber, daß 
in solcher peinlicher Situation die Vornahme einer Percussion eine 
Quälerei, um nicht zu sagen, eine Spielerei ist, und ich erwarte, 
daß die freundlichen Leser mir ihr „not guilte“ für dieses Ver- 
säumniß aussprechen werden. 

In solchen Fällen von Abführmitteln, Emcticis, Venaesection etc., 
wie solche in Lehrbüchern anempfohlen werden, Gebrauch zu 
machen, wäre ein Nonsens, hieße den Collaps nur steigern, das 
Finale herbeiführen; und wie wenig Nutzen eine Venaesection 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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bringen kann, lehrt gerade dieser Fall, in welchem trotz vorher 
gegangener Epistaxis sich . ein so leben bedrohliches Lungenödem 
entwickelte. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Hugo Sternfeld (München): Ueber Bromäthyl und seine 
Verwerthung in der ärztlichen Praxis. 

Obgleich an dieser Stelle bereits wiederholt über dieses in 
neuerer Zeit vielfach verwendete Narcoticum gesprochen wurde, 
müssen wir dennoch, angesichts des großen Interesses, welches diese 
Frage für die Praxis bietet, wiederum auf dasselbe zurückkommen, 
und zwar umsomehr, als es diesmal ein praktischer Arzt ist, der 
über seine zahlreichen Erfahrungen aus der täglichen Praxis Bericht 
erstattet. 

In der in Nr. 14 und 15 der „Münch, med. Woch.“ ver¬ 
öffentlichten Arbeit weist Verf. zunächst auf die wenig bekannte 
Eigenschaft des Bromäthyls als krampfstillendes Mittel hin. Bergrr 
hat schon vor 8 Jahren das Bromäthyl als schmerz- und krampf¬ 
stillendes Mittel bei neuralgischen Zuständen gebraucht, und auch 
Verf. hat während der letzten Influenza Epidemie Gelegenheit ge¬ 
habt, einen Fall zu beobachten, in welchem die heftigsten neuralgi¬ 
schen Schmerzen der linken Gesichtshälfte, welche nur mittelst 
Morphiuminjectionen (0*02) zu stillen waren, durch Einathmung von 
Bromäthyl, welches tropfenweise auf Watte gegossen wurde, momontan 
bekämpft werden konnten, ohne irgend welche unangenehme Nach¬ 
wirkung, während Chinin, Natrium salicylicum, Antipyrin, Phenacetin, 
selbst in großen Dosen fast gar keinen Erfolg hatten. Es scheint 
indeß dies nur bei jenen Fällen zuzutreffen, die mit Anämie einher¬ 
gehen, während bei der congestiven Form sich die Schmerzen sehr 
steigern können. Als locales anästhotisches Mittel hat Verf. das 
Bromätbyl wiederholt angewendet. 

Behufs allgemeiner Anästhesie wendet Verf. seit 2*/ a Jahren 
das Bromäthyl an und ist von seinen Resultaten derart befriedigt, 
daß er das Mittel den praktischen Aerzten aufs Wärmste empfiehlt. 
Grundbedingung für die Anwendung des Bromäthyls in der täglichen 
Praxis ist die absolute Reinheit des Präparates. Als einfachsten 
Apparat zur Narcose betrachtet Verf. die EsMARCH’sche Maske. Er 
gießt das Bromäthyl tropfenweise auf die Maske, was zwar den 
Eintritt der Narcose etwas hinausschiebt, aber dem Pat., der daun 
noch genügend atmosphärische Luft bekommt, viel angenehmer ist, 
als wenn er durch die Bromäthyldämpfe förmlich erstickt wird. 
Excitationszustände kommen bei diesem Verfahren viel seltener vor. 
Unter den Erscheinungen, welche fast immer im Beginn der Narcose 
auftreten, sind zu nennen: leichte Röthung des Gesichtes, welche 
sich hie und da sogar zu leichter Cyanose steigert, Zuckungen der 
Augenlider, Injection der Conjunctiven, leichter Thränenfluß, leichte 
Pupillenerweiterung, geringe Steifigkeit der Musculatur und mitunter 
sogar heftige Excitationsersoheinungen, namentlich bei Potatoren; 
der Cornealreflex bleibt erhalten, der Muskeltonus erlischt meist 
nicht vollkommen, Herz- und Gefäßnervensystem wird fast gar nicht 
beeinflußt. Der Puls ist zwar im Anfang meist um ein Geringes 
beschleunigt, die Respiration dagegen geht leicht und rasch vor 
sich, wird aber, wie der Puls, bald langsamer; dabei antwortet der 
Pat. auf alle Fragen, während er oft schon ganz gefühllos ist; 
aber bald reagirt Pat. auf Anrufen nicht mehr und bleibt im Zu¬ 
stande der Bewußtlosigkeit etwa 1—2 Minuten, welche durch weiteres 
Aufgießen von Bromäthyl bis zu höchstens 10—15 Minuten erhalten 
werden kann. Das Erwachen und die Erholung erfolgt meist sehr 
rasch. Außer seltenem Erbrechen hat Verf. nie üble Nachwirkungen 
gosehen, und auch das fast überall erwähnte Riechen der ausgeathmeten 
Luft nach Knoblauch oder Phosphor wurde von keinem seiner Pat., 
obwohl S. speciell danach fragte, beobachtet. Als ganz besonders 
werthvoll für die Praxis hebt Verf. hervor, daß das Bromäthyl ein 
ausgezeichnetes Narcoticum für Hysterische und Kinder ist; auch 
bei älteren Personen, bei denen eine große Brüchigkeit der Gefä߬ 
wände vermuthet werden muß, ist das Bromäthyl wegen seiner ge¬ 
ringen Einwirkung auf die Circulation jedem anderen Narcoticum 
vorzuzieben, insbesondere dem Lustgas. 

G'ontraindicationen kennt Verf. nach seinen bisherigen Er- 
ahrungen noch keine anderen, als die, welche im Allgemeinen für 


-jede Narcose gelten, also vor Allem schwere Affectionen des Cir- 
culations- und Respirationsapparates und acute, sowie chronische 
Entzündungsprocesse der Nieren. Auch die normale Schwangerschaft 
läßt er nicht als Contraindication gelten. Das einzig Unangenehme, 
was bei der Bromnarcose passiren kann, ist, daß dieselbe 
aus irgend welchem Grunde mißlingt oder daß die Betäubung nicht 
lange genug anhält, um eine begonnene Operation zu vollenden. 
Für kurz dauernde chirurgische Eingriffe hat die Bromäthylnarcose 
vor der Chloroformnarcose die Vortheile: 

1. des rascheren Eintrittes der Narcose, 

2. der kürzeren Dauer derselben, 

3. der schnelleren Erholung, 

4. der selteneren und, wenn vorhanden, sehr geringen Folge¬ 
erscheinungen (Nausea, Erbrechen), 

Vortheile, die es mit dem Lustgas theilt, wogegen es vor diesem 
den Vorzug 

1. der einfachen Applicationsweise, 

2. der Möglichkeit, ohne Assistenz zu operiren, was bei Lustgas 
fast unmöglich ist, 

3. der geringeren Gefahr bei Circulationsstörungen, insbesondere 
bei Atheromatoee, 

4. der leichteren Verwendbarkeit bei Hysterischen und Kindern 
(vielleicht auch Epileptischen), 

5. der Billigkeit, vorausgesetzt, daß der Arzt das Gas nicht 
selbst herstellt, 

beanspruchen kann. T. 

E. Kraus: Die Ernährung der Säuglinge mit peptoni- 
sirter Milch. 

Die Idee, die Kuhmilch durch Peptonisirung der Eiweißkörper 
verdaulicher zu machen, hat zur Darstellung einer großen Reihe 
verschiedener Milchpräparate geführt, von denen Verf. einige auf der 
poliklinischen Abtheilung für Kinderkrankheiten des Prof. Monti 
versuchsweise angewendet bat. Namentlich die LoEFLUND’sche 
„peptonisirte Kindermilch“ ist es, mit welcher Verf. eine größere 
Versuchsreihe angestellt hat, über deren Resultate er im XL Bande 
des „Archiv f. Kinderheilk.“ berichtet. Das in wohlverlötheten 
Zinnbüchsen verschlossene Präparat stellt eine condensirte Milch in 
Form einer bräunlich gelben Masse von Honigconsistonz dar, hat 
einen schwachen, angenehmen Malzgeruch und einen mäßig süßen 
Geschmack. Mit Wasser angerührt, liefert das Präparat eine 
milchartige, etwas gelbliche Flüssigkeit von schwacher alkalischer 
Reaction. 

Die von Prof. Soxhlet vorgenommene Analyse ergab: 


Proc. 

Maltose.33 - 84 

Milchzucker.12*63 

Dextrin.8-63 

Eiweißstoffe.9*86 

Milchfett.12-22 

Aschenbestandtheile mit Phosphor¬ 
säure .2 24 

Wasser.20*58 

Summa . . . 100*00 


Jede Büchse enthält 406 Grm. des Präparates. 

Die LoEFLüND’sche Kindermiloh ist also eine Verbindung 
eines extractartigen Malzpräparates mit condensirter, feinster, fett¬ 
reicher Alpenmilch, die vor ihrer Eindickung aufs Genaueste steri- 
lisirt wurde. Das Präparat wird vor dem Gebrauch je nach dem 
Alter des Kindes mit der 1*2-, 10-, 8- oder 6fachen Menge warmen, 
zuvor aufgekochten Wassers gelöst. Die Nahrung soll stets frisch 
aufgelöst werden, die geöffnete Büchse muß von jeder Bei¬ 
mengung mit anderweitigen Stoffen durch sorgfältiges Zudecken mit 
passendem Deckel bewahrt werden, in nicht zu warmer Temperatur 
stehen und ihr Inhalt binnen eines Zeitraumes von 6—8 Tageu 
verbraucht werden. 

Die LoEFLUND’sche Milch wurde vom Verf. in den Monaten 
Mai—Juli, also zu einer Zeit angewendet, in der Dyspepsien und 
Darmcatarrhe in vorwiegender Anzahl zur Behandlung kommen. 

Aus der vom Verf. angeführten Krankengeschichte ergeht, 
daß die LoEFLUND’sche Milch sich in fast allen länger beobachteten 


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Fällen von Dyspepsien der Kinder im Sänglingsalter bewährt hat. 
Die Vortheile, welche dieses Nährmittel bietet, sind nicht zu 
unterschätzen und bestehen erstens darin, daß die für das 
Kind nothwendige Mischung auf leichte und bequeme Weise her¬ 
gestellt werden kann; ferner wurde die Beobachtung gemacht, 
daß die Kinder diese Nahrung wegen ihres angenehmen Ge¬ 
schmackes leieht und gerne zu sich nehmen. Weiterhin hat die 
Erfahrung gezeigt, daß der Inhalt einer Büchse, welcher für 5- bis 
6tägige Nahrung hinreicht, sich während dieser Zeit unverdorben 
erhält und an Güte und Geschmack nichts einbüßt. Wenn man 
ferner in Berücksichtigung zieht, daß die condensirte Lobflund 
sehe Milch aus vorzüglicher Alpenmilch bereitet wird, deren constauter 
Fettreichthum dem kindlichen Organismus zu Gute kommt, und daß 
diese Milch vor der Eindampfung auf’s Sorgfältigste sterilisirt wird, 
so empfiehlt sich dieses Präparat zu weiteren Ernährungsversuchen 
in allen jenen Fällen, wo die naturgemäße Nahrung, die Mutter - 
und Ammenmilch, dem Säuglinge abgeht, eine gute Kuhmilch nicht 
zu beschaffen ist, oder aber wenn diese trotz gehöriger Verdünnung 
und Sterilisirung in manchen Fällen nicht vertragen wird. Des¬ 
gleichen kann man von diesem Präparat in der Entwöhnungsperiode 
Gebrauch machen, wenn es bei den Kindern zur Störung der Ver¬ 
dauung kommt, oder wenn Darmcatarrh eintritt. 

Zum Schluß sei noch das Resultat der von Dr. Schntrer 
vorgenommenen bacteriologischen Untersuchung der LOEFLDND’schen 
Milch beigefügt: 

Bei der bacteriologischen Untersuchung der LOEFLCND’scben 
peptonisirten Milch handelte cs sich darum, festzustellen, ob und 
welche Bacterien in derselben enthalten sind. Zu diesem Behufe 
öffnete Schnirer die Büchse mit einer ausgeglübten Scheere und 
entnahm von der oberflächlichen Schichte eine Platinöse voll vom 
Präparate, die er in verflüssigter Fleischpeptongelatine vertheilte. 
Es wurden nun nach der üblichen Kocu’schen Methode 3 Ver¬ 
dünnungen gemacht und Platten gegossen. Von jeder Büchse hat 
Sch. sofort nach dem Eröffnen derselben 3 Proben genommen und 
in der angegebenen Weise verarbeitet. Im Ganzen hat er 4 Büchsen 
untersucht. Das Resultat der Untersuchung resumirt er dahin, daß 
in keiner der entnommenen Proben Daoterief • enthalten waron. Die* 
auf 3 von den 48 in Summa ausgegossenen Platten gewachsenen 
Schimmelpilze bezeichnet er als Verunreinigungen aus der Luft, weil 
sie auf der obersten 3. Verdünnungsplatte am Rande der Gelatine 
vorhanden waren und weil sie nie auf der Originalplatte zu finden 
waren. 

Nachdem nun festgestellt war, daß das Präparat keimfrei ist, 
handelte es sich darum, zu erfahren, ob es bei geeignetem Verschluß 
auch keimfrei bleibt, da doch eine Büchse des Präparates für mehrere 
Tage dienen soll. Nach einigen Versuchen fand Sch. folgenden 
Verschluß für den geeignetsten: Nachdem die Büchse geöffnet und 
das nothwendige Quantum aus derselben entnommen worden ist, be¬ 
deckt man dieselbe mit einer ihre Umrandung überragenden Watte¬ 
schicht und stellt sie in ein größeres mit einem Deckel versehenes 
Gefäß (Topf). Aus derart aufbewahrten Büchsen hat Sch. zu ver¬ 
schiedenen Zeiten Proben entnommen und in Gelatine vertheilt. In 
keinem Falle konnte er Bacterien im Präparate nachweisen. Zwei¬ 
mal untersuchte er die Büchsen 10 Tage nach ihrer Eröffnung und 
fand bei obiger Aufbewahrungsweise die Milch keimfrei. —rl. 

Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft« 

Von Prof. Ludwig Kleinwächter. Zweite, gänzlich unbe¬ 
arbeitete Auflage. Wien und Leipzig 1890. Urban und 

Schwarzen berg. 

Nach einem kurzen historischen Ueberblick bespricht K. 
zunächst die Indicationen zur künstlichen Unterbrechung der 
Schwangerschaft (als Abortus und Frühgeburt), welche er sehr strenge 
begrenzt. Hiebei werden eingehend die einzelnen Beckenanomalien, sowie 
die verschiedenen Erkrankungen erörtert, welche die Indication zur 
künstlichen Fehl- oder Frühgeburt geben. 

Für Nierenaffectionen und namentlich für die Eklampsie lehnt 
K. entschieden die Berechtigung eines jeden, die Schwangerschaft 


unterbrechenden Eingriffes ab, gesteht dieselbe jedoch für extreme 
Fälle von Schwangersohaftserbrechen zu. 

Bei Betroflexio uteri gravidi hält K. die künstliche Unter¬ 
brechung der Gravidität nur dann für gerechtfertigt, wenn sich die 
Retroflexio im Verlaufe einer Schwangerschaft mehrmals wiederholt; 
bei irreponibler Retroflexio jedoch verwirft er die Indication. 

Schließlich werden die Methoden zur Einleitung vorzeitiger 
Wehen besprochen, und bezeichnet K. die Verwendung des Laminaria- 
stiffes, eventuell auch die Dilatatoren nach Hegar und Fritsch 
als die kunstgemäßen Mittel zur Einleitung des Abortus. 

Eihautstich und Sonde verwirft K. (nur bei Retroflexio eine 
Ausnahme), auch für die Einleitung der Frühgeburt läßt K. den 
Eihautstich nur ausnahmsweise zu, verwendet mit Vorliebe die 
Scheidendouche (Kiwisch) und läßt derselben eventuell eine Ein¬ 
spritzung in die Uterushöhle (Cohen) folgen. Die Katheterisation des 
Uterus (Kraüse) wird als ebenso sicher, wie rasch und schonungsvoll 
zum Ziele führend bezeichnet. Tarnier’s Dilatateur, Barne’s geigen¬ 
förmige Tampons lehnt K. als unnütze Spielereien ab. 

Die entschiedene Selbstständigkeit der Anschauungen, welche 
alle Publicationen K.’s charakterisirt, tritt auch in dieser Schrift 
hervor und verleiht ihr das eigenartige Gepräge. B&bus. 


Kleine Mittheilungen. 

— In der Sitzung vom 8. Mai der dermatologischen Gesell¬ 
schaft zu Paris besprach du Castkl die neuen Behandlungs¬ 
methoden der Orchitis. Das von Henderson empfohlene salicylsaure 
Natron hat sich ihm in vielen Fällen sehr gut bewährt. Die meisten 
Kranken zeigten schon in den ersten 24 Stunden eine bedeutende 
Erleichterung und die ganze Krankheitsdauer wurde abgekürzt. Man 
gibt gewöhnlich 6 Grm. pro die. Auch, die Anemone pulsatilla leistet 
ziemlich gute Dienste, doch zieht Verf das salicylsaure Natron vor. 
Von äußeren Behandlungsmethoden bewirken zwar die Watta- 
kantschuksuspensorien eine bedeutende Erleichterung, vermögen jedoch 
die bedeutende Verhärtung der Nebenhoden nicht zu beheben. Von 
ganz hervorragender Wirkung ist die Kälteapplication, doch ist 
continuirliche Anwendung von Eis ungemein schwierig und lang¬ 
wierig. Dü Castel wendet daher seit 4 Jahren zum Zweoke der 
Kälteerzeugung die Stypage mit Methylchlorid an. Ein einfacher 
Wattatampon, der einem Strahl von Methylchlorid ausgesetzt wurde, 
wird für einige Secunden auf die erkrankte Seite gebracht. Diese 
Behandlung wird jeden Morgen mehrere Tage hindurch fortgesetzt; 
in sehr heftigen Fällen kann man dieselbe sogar 2mal täglich an¬ 
wenden. Schon nach der ersten Stypage tritt eine bedeutende Er¬ 
leichterung und Abnahme der Schmerzen ein. Die ganze Krankheits¬ 
dauer wird erheblich verkürzt. Die Durchschnittsdauer der Behandlung 
betrug 7 V 8 und die durchschnittliche Krankheitsdauer ll 1 /« 
Tage. Die Behandlung ist äußerst leieht und einfach, da sie nur 
kurze Zeit in Anspruch nimmt, den Kranken den ganzen Tag frei 
läßt und jede andere innere wie äußere Hilfe entbehrlich macht. 

— Auf Anregung Bergmann’s hat Friedrich Spielhagen 
unter der Leitung Schimmelbüsch’s eine sehr interessante Arbeit 
über Oesinfection ärztlicher Büreten ausgeführt, deren nach der 
Inaugural-Dissertation des Verf. in Nr. 10 der „Fortsch. d. Med.“ 
referirten Resultate folgende sind: Verf. ging von der Vermuthung 
aus, daß die zur Desinfection der Hände des Arztes, der Haut des 
Patienten, der Instrumente etc. so unentbehrliche Bürste durch den 
Gebrauch leicht selbst ein Sammelpunkt von Mikroorganismen werden 
könnte und deshalb einer strengeren Ueberwachung bedürfe. Diese 
Vermuthung bestätigte sich vollkommen. Handbürsten, welche einige 
Wochen in der üblichen Weise neben der Seife auf den Wasch¬ 
tischen der Krankensäle und des Sectionszimmers gelegen hatten, 
enthielten an ihren Borsten unzählige Organismen. Ebenso hafteten 
sehr große Keimmengen an Bürsten, welche vorher sterilisirt und 
dann zu irgend welchen Manipulationen — zur Reinigung der Haut 
eines Patienten vor der Operation oder dem Abbürsten der Hände 
des Arztes nach Untersuchung des Rectums — verwendet worden 
waren. Der Keimgehalt wurde dabei stets durch Einträgen einer 
Anzahl Borsten in Gelatineplatte festgestellt. Desinfectionsversuche 
wurden zum Theil an gebrauchten Bürsten, zum Theil an solchen 


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Nr. 23. 


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ausgeführt, welche mit Eiter oder mit Reinculturen (Staphylococcus 
pyogenes aureus, Pyocyaneusj, Sporen von Bacillus subtilis und von 
Bacillus anthracis) inficirt waren. Als bestes Desinfectionsmittel be¬ 
währte sich kochendes Wasser, welches in einer Minute Staphylo 
coccen und grünen Eiter auf der Bürste vernichtete und in 20 Mi¬ 
nuten , resp. einer Stunde sehr widerstandsfähige Sporen und 
Milzbrand , resp. Heubacillen abtödtete. Von chemischen Desinfections- 
mitteln wurde nur Sublimat verwendet, und zwar in der in der 
Klinik üblichen Lösung von '/ 2 : 1000. (Bei der Prüfung wurde 
das an den Borsten etwa hängen gebliebene Sublimat mit Schwefel¬ 
ammonium ausgefällt.) Zur schnellen Desinfection erwies sich Sublimat 
als weit weniger leistungsfähig als kochendes Wasser. So wurden 
mit Staphylococcen und Pyocyaneus inficirte Bürsten erst nach 
10 Minuten langer Einwirkung von 1 / 3 : 1000 Sublimatlösung keim¬ 
frei, mit Heubacillen-Sporen imprägnirte Bürsten aber nach 24 Stuuden 
noch nicht steril. Dagegen erreichte man sehr günstige Resultate, 
wenn die Bürsten dauernd in der Sublimatlösung lagen. Wieder¬ 
holte Untersuchungen erwiesen selbst viel benutzte Bürsten aus den 
Krankensälen und dem Operationssaale bei fortwährendem Einlegen 
in Sublimat fast stets als keimfrei. Für die Praxis ergibt sich 
hieraus, daß man zur schnellen Desinfection der Bürsten am besten 
kochendes Wasser verwendet, im Uebrigen aber die Bürsten stets 
in Schalen mit Sublimatlösung liegen läßt. Beides vertragen die 
gebräuchlichen Bürsten-, deren Borsten in Holz eingezogen sind, 
ganz gut. 

— Die in Nr. 17 der „Schweiz. Wochenschr. f. Pharmacie“ 
enthaltene Angabe, daß mit Kampher gesättigter Alkohol 8mal so 
viel Jodoform löst, wie kampherfreier, veranlaßte Dr. E. Hafftee 
(„Corresp.-Bl. f. Schweiz. Aerzte“, Nr. 10), diese Untersuchung 
auch mit 01. olivarum vorzunehmen. Es stellte sich dabei die über¬ 
raschende Thatsache heraus, daß die Löslichkeit des Jodoform8 
in mit Kampher gesättigtem Olivenöl eine beträchtliche ist. Eine 
exacte Prüfung des Apothekers Haffter in Weinfelden ergab, daß 
sich 6°/o Jodoform in solchem Oel lösen lassen. Diese Thatsache 
dürfte für die parenchymatösen und intraarticulären Jodöforminjec- 
tionen von Wichtigkeit sein. 

— In der Sitzung der Soci6t6 mödicale des höpitaux in Paris 
berichtete Febnet als Beitrag zur Behandlung der eitrigen Pleu¬ 
ritis mit intrapleuralen antiseptischen Injectionen über den Fall 
eines 35jährigen Mannes, bei dem der Eiter sich nach wiederholten 
Punctionen immer wieder bildete und erst nach antiseptischen Injec¬ 
tionen verschwand. Es wurden 9 Injectionen mit einer Sublimat¬ 
lösung und 4 mit Naphtol vorgenommen. Letzteres nach folgender 


Vorschrift : 

Rp. Naphtol ß.5 *0 

Alcohol (90<>).33-0 


Aq. destill. ad 100 Ccm. 

Jedes Mal wurden 15 Grm. dieser Lösung injicirt. Nach den 
Sublimatinjectionen verschwanden rasch die Erscheinungen der All- 
gemeininfection, die Eiterbildung hörte aber erst auf die Naphtol- 
injectionen auf. Das Naphtpl setzt sich in der Pleurahöhle als ein 
fast unlösliches Pulver ab und wirkt als permanentes Antiscpticum. 
Die Methode der Behandlung der infectiösen Pleuritiden mit Punction 
und Injection antiseptischer Lösungen entspricht der zweifachen In- 
dication, die Infectionsproducte zu entleeren und den Krankheitsherd 
direct zu beeinflussen. Sie ist namentlich bei den umschriebenen 
Pleuritiden angezeigt und fast einzig anwendbar in den Fällen, 
deren Sitz der Thoracotomie unzugänglich ist, wie bei den inter¬ 
lobären, mediastinalen, diaphragmatischen Pleuritiden. 

— Oie Ausspülung der männlichen Harnblase ohne Kathe¬ 
terismus, wodurch die Einführung von Zersetzungskeimen in die 
Blase vermieden wird, empfiehlt und beschreibt Stabsarzt Dr. E. 
Rotter in Nr. 20 der „Münch, med. Wocb.“ folgendermaßen: Ein 
mit 1 Liter desinficirender und eventuell leicht adstringirender, 
warmer (28—30°) Flüssigkeit gefüllter Irrigator hat an seinem 
2 Meter langen Schlauche ein etwas spitz zulaufendes Mundstück. 
Dieses wird für mittlere und größere Orificia ext. mit Mull, deren 
Caliber entsprechend, umwunden, der vorher mit der desinficirenden 
Flüssigkeit durchtränkt wurde und nun noch mit antisoptischcm 
Vaselin schlüpfrig gemacht wird; für kleine Orificia steckt man an 


das Mundstück ein mehrere Centimeter lauges Gummidrain dünnster 
Sorte, für jeden Patienten ein besonderes. Nachdem der Schlauch 
bis zu seiner Mündung keine Luft mehr und warme Flüssigkeit 
enthält, führt der Arzt oder der Patient — dieser, der selbstver¬ 
ständlich unmittelbar vorher urinirt haben muß — nun in Rücken¬ 
lage mit etwas angezogeuen Beinen, ganz zweckmäßig auch mit 
Beckenhochlagerung den Anfangstheil des Schlauches 1—2 Cm. tief 
in die Harnröhre ein. Der Arzt hält ihn mit trockenen Fingern 
leicht in der Glans fest, indem er diese ringsum an ihn mit mäßigem 
Kraftaufwande andrückt, und läßt nun den Irrigator erst 1, dann 
gegen 2 Meter hoch emporheben. In der ersten halben Minute 
fließt gewöhnlich nichts ein; dann beginnt meistens zwischen 1 J i und 
2 Minuten, bei sehr kräftigem Sphincter nach 3—3’/a Minuten 
ruhigen Zuwartens, während ruhiger tiefer Respiration, gewöhlich 
zunächst während der Exspiration, bei manchen Patienten aber sofort 
continuirlich, das Einfließen der Flüssigkeit in die Blase. Man oon- 
trolirt dasselbe entweder bei gläsernem Irrigator direct in diesem, 
oder durch das Vibriren, welches während des Durchfließens der 
Flüssigkeit durch die Harnröhre die angelegten Finger an dem 
Corpus cavern. urethrae empfinden. Will man gänzliche Füllung 
der Blase, so kann man diese nun percutorisch oder oft anch 
sichtlich durch kugelige Vor Wölbung über der Symphyse constatiren. 
Der höher oder weniger hoch gehaltene Irrigator regelt einfach und 
zuverlässig Grad und Tempo der sich vollziehenden Füllung. Die 
gänzliche Füllung der Blase melden gewöhnlich die Patienten prompt 
als plötzlich auftretenden starken Harndrang und entleeren in diesen 
Fällen nach Wegnahme des Schlauches nit starkem Strahle die 
eingebrachte Flüssigkeit, die Einzelnen gewöhnlich die nämliche 
Quantität zwischen 500 und 700 Ccm. Verf. verwendet zur Aus¬ 
spülung der Cystitis mit bestem Erfolge die gewöhnliche Rotterin- 
lösung; diese wird selbst vou sensiblen Patienten ohne unangenehme 
Reaction vertragen und mindert rasch die .Quantität der Leuko- 
cyten und Epithelien, sowie die subjectiven Beschwerden. 

— Rabow theilt ia Nr. 5 der „Therap. Monatsh.“ seine 
Erfahrungen über Exalgin mit, das er 80mal bei 30 Personen, 
und zwar immer in Pulverform zu 0 25 angewendet hat. Das ge- 
ruch- und geschmacklose Pulver wurde gut genommen und ver¬ 
tragen. Die erhöhte Temperatur erfuhr in Dosen von 0’25—0'5 
keinerlei Beeinflussung. Dagegen konnte Verf. sich von der „eminent 
schmerzstillenden Wirkung“ des Mittels in der Mehrzahl der Fälle 
zur Genüge überzeugen: Bei Migräne und den verschiedensten Arten 
von Kopfschmerzen zeigte sich das Exalgin ganz besonders wirksam 
und leistete hier in einer Gabe von 025 mehr, als 1‘0 Antipyrin. 
Desgleichen hatte Verf. gute Erfolge bei Trigeminusneuralgien zu 
verzeichnen. Die von schadhaften Zähnen ausgehenden Schmerzen 
konnten fast immer durch Exalgin gemildert oder beseitigt werden. 
Auch heftige, die Nachtruhe raubende Ohrenschmerzen (in Folge von 
Furunculose oder Abscessen des Gehörganges) schwanden prompt; 
hier wirkte ein Pulver von 0*25 Exalgin so schnell und sicher, wie 
eine subcutane Injection von O’Ol Morphin. Bei Ischias konnte 
Verf. weniger günstige Erfolge verzeichnen, selbst nach Anwondung 
von 1*5 Exalgin innerhalb 24 Stunden. Ebenso war die Wirkung 
bei Muskelrheumatismus nicht auffallend. Die :lanciuirenden Schmerzen 
der Tabiker, sowie andere bei organischen Erkrankungen des Nerven¬ 
systems auftretende Schmerzen wurden häufig günstig beeinflußt. Bei 
schmerzhaften hysterischen Beschwerden wurde mit Exalgin wenig 
oder gar nichts erreicht. Ebenso war die Wirkung bei Epilepsie 
gleich Null. Bei psychischen Störungen, wie bei melancholischen 
Angstzuständen und maniakalischen Erregungen leistete das Mittel 
nichts. Als Nebenwirkungen traten oft schon 1 / 1 —’/a Stunde 
nach dem Gebrauch des Exalgins in verhältnißmäßig vielen Fällen 
kurzdauerndes Schwindel- und Truukenheitsgefühl, Flimmern vor 
den Augen, Ohrensausen und einmal auch Schweiß im Gesichte auf, 
dagegen nie Cyanose und Exantheme. Verf. glaubt daher, auf die 
zuweilen geradezu überraschend günstige Wirkung des Exalgins bei 
den verschiedenartigsten Schmerzen (besonders im Bereiche des 
Kopfes) aufmerksam machen und seine vorsichtige Anwendung 
empfehlen zu müssen, namentlich in denjenigen Fällen, in welchen 
ähnlich wirkende Nervina, wie Antipyrin, Antifcbrin uud Phenacetin, 
im Stiche lassen oder wegen Idiosyncrasie des betreffenden Patienten 


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,v. 




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nicht gegeben werden können. Man solle sich jedoch vor zu großen 
Dosen und lang fortgesetztem Gebrauche im Hinblick auf die Schä¬ 
digung, welche die Blutkörperchen durch ein derartiges Anilinderivat 
erleiden können, hüten. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zu Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VIII. 

Mosler (Greifswald): Ueber Pemphigus. 

Das Wesen des mit dem Namen Pemphigus bezeichneten Aus¬ 
schlages ist zur Zeit noch sehr strittig. Es fragt sich, ob derselbe, 
wie von mehreren Seiten angenommen wird, zu den Infectionskrauk- 
heiten zu rechnen ist, also eine bacilläre Krankheit darstellt oder 
nicht. In der zur Demonstration gelangenden photographischen Ab¬ 
bildung eines Falles von Pemphigus hat sich die Krankheit bei einem 
42jährigen, bisher völlig gesunden Manne entwickelt, und zwar 
zuerst an den unteren Extremitäten. Nach spontaner Abheilung 
recidivirte das Leiden und breitete sich allmälig über den ganzen 
Körper aus. Der Pemphigus vulgaris benignus ging in den Pem¬ 
phigus prurigino8U8 über, indem sich eine Reihe subjectiver Be¬ 
schwerden , besonders empfindliche Schmerzen an den excoriirten 
Stellen, Schlaflosigkeit, schließlich Ernährungsstörungen hinzugesellten. 
Die Blasenbildung trat symmetrisch, theilweise ähnlich wie beim 
Herpes Zoster längs des Verlaufes gewisser Nerven auf. 

Unter Beobachtung aller erforderlichen Cautelen wurden mit 
dem ßlaseninhalte durch Löffler zu wiederholtenmalen Cultur- 
versuche angestellt. Ein specifischer Mikroorganismus ließ sich nicht 
auffinden. Bei einem jungen Mediciner, welcher sich freiwillig dazu 
erboten hatte, wurden Impfungen des Blaseninhaltes an beiden Ober¬ 
armen vorgenommen. Sie verliefen ebenfalls resultatlos. 

Mit Rücksicht auf den intermittirenden Verlauf dos Pemphigus 
wurde, nachdem große Gaben von Atropin ohne Erfolg verabreicht 
worden waren, Chininum muriaticum, und zwar innerhalb 5 Wochen 
40'0 Grm., gegeben. Der Kranke schien darnach völlig geheilt; 
jedoch sind noch mehrere Male Recidive in leichtester Form auf¬ 
getreten. 

Bei einer anderen Patientin, die ebenfalls an Pemphigus litt, 
traten schon 24 Stunden vor Ausbruch der Blasen brennende 
Schmerzen längs des Verlaufes der Nerven an der betreffenden 
Stelle, dazu Kopfschmerz, allgemeines Unbehagen auf. 

Den Bahnen der Nervi cutanei externi und medii folgteu sie 
am Oberschenkel, an der Brust den Intercostalräuraen, an den 
Armen den betreffenden Hautästen. In Zwischenräumen von 11 bis 
14 Tagen recidivirte die Blasenbildung ganz regelmäßig. Im vor¬ 
stehenden Falle schien es nach den begleitenden Nebenumständen 
ganz sicher zu sein, daß es sich hier um eine Neurose handle. 

In der Literatur sind mehrfach Fälle bekannt, in denen sich 
zu bestehenden Neurosen der Pemphigus als Complication hinzu¬ 
gesellte. Auch hat der Schwere des Nervenleidens mitunter die 
Ausbreitung des Exanthems entsprochen. 

Ohne generalisiren zu wollen, haben die vom Vortragenden 
beobachteten Fälle von Pemphigus ihn selbst zur Ansicht gedrängt, 
daß gewisse Formen, darunter auch scheinbar genuiner Pemphigus, 
nicht als selbstständige Erkrankung, sondern als Symptom 
einer vasomotorischen Neurose aufzufassen sind. Auch be¬ 
züglich eines jüngst beobachteten und in der „Deutschen Med. 
Wochenschr.“ besprochenen Falles ist der Vortragende zu derselben 
Ansicht gelangt. 

Uebrigens blieb auch in diesem Falle die bacteriologische 
Untersuchung resultatlos, ebenso die Injection von Blaseninhalt bei 
einem gesunden Affen. Alle Bemühungen nach dieser Richtung hin 
sind demnach ohne Erfolg gewesen. Ein specifischer Mikroorganismus 
als Krankheitserreger ist nach den bisherigen Versuchen also nicht 
anzunehmen. 


Discussion: 

Schwimmer (Budapest) betont den neurogenetischen Stand¬ 
punkt des Pemphigus und führt als Beweis hiefür die Beobachtungen 
von Dejernie, Charcot, Chvostek, Leloir etc. an, welche 
Pemphiguseruptionen nach Verletzungen von Nervenzweigen beob¬ 
achtet haben. Ebenso ist bekannt, daß derartige Exantheme bei 
Latcralsclerose und amyotrophischen Centralerkrankuugen im Bereiche 
der erkrankten Nerven sich entwickeln. 

Ferner hat Schwimmer in einigen Fällen von Pemphigus im 
Vereine mit Prof. Babes pathologische Veränderungen im Rücken¬ 
marke nachgewiesen, wie Sclerosirung der GOLL’schen Stränge, 
Zellwucherung um die Gefäße der Hinterhörner und der hinteren 
Wurzel. 

In den letzten 4 Jahren hat Schwimmer 12 Fälle von Pemphigus 
beobachtet, von denen 5 tödtlich verliefen. Darunter 2 Fälle von 
Pemphigus foliaceus, 2 von P. acutus und 1 von P. vulgaris pruri- 
gino8us. In allen diesen Fällen fand sich lmal Sclerose der Goli.- 
schen Stränge, 3mal Zellwucherungen um die Gefäße der Hinter¬ 
hörner und der hinteren Wurzel; die peripheren Nerven jener 
Körperpartien, wo der stärkste Blasenausbruch bestand, zeigten 
auch stellenweise Veränderungen, doch sind die diesbezüglichen 
Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. 

1. Der Pemphigus ist eine Tropho- und nicht eine Angio¬ 
neurose, da wir bei selbem tiefe organische und die Gewebsetemente 
betreffende Veränderungen zu beobachten vermögen. Die Blasen¬ 
bildung selbst ist nur eine Theilerscheinung der Gesammterkrankung, 
und die anderen Efflorescenzen, welche vor und nach dem Blasen- 
ausbruche zu erfolgen pflegen, wie die eczematösen und erythema- 
tösen Veränderungen der Haut, haben die gleiche Dignität und sind 
als trophoneurotisohe Zufälle zu betrachten. 

2. Der Ausgangspunkt der Pemphiguserkrankung scheint in der 
Medulla oblongata zu sitzen, zum Theil dürften auch einzelne 
Ganglien hiebei mitbetheiligt sein. Die Veränderungen in den peri¬ 
pheren Nerven scheinen secundäre Erkrankungen darzustellen. 

3. Die Aetiologie dieses Leidens ist höchst dunkel, doch 
dürften psychische Momente nicht belanglos sein; in 4 Fällen unter 
den angeführten 12 Erkrankungen konnte zweifelsohne ein Zu¬ 
sammenhang zwischen tiefgreifenden psychischen Ursachen und 
Krankheitsausbruch constatirt werden. 

4. Der Pemphigus pruriginosus ist eine der schwersten Abarten 
des Blasenausschlages selbst. Der Ausbruch der Blasen bildet, trotz 
großer Zahl und Ausbildung derselben, eine verhältnißmäßig geringere 
Erscheinung als die quälenden und kaum zu beschwichtigenden 
Zufälle, die das Jucken veranlassen. Durch die Persistenz desselben 
und die dadurch gestörte Tag- und Nachtruhe wird das Allgemein¬ 
befinden empfindlich geschädigt. 

5. Die Therapie ist bislang ziemlich ohnmächtig gogen die 
Ausbreitung und Zunahme des Grundleidens. Atropin durch mehrere 
Wochen anhaltend und in steigender Dosis angewandt (von 1 / 2 Mgrm. 
bis 3 Mgrm. in 2 getheilten Tagesdosen in wässeriger Lösung) scheint 
auf die Blasenbildung einea hemmenden Einfluß zu üben. Prolon- 
girte Bäder, sowie deckende und das Jucken vermindernde äußer¬ 
liche Mittel sind von zweckdienlicher Einwirkung auf die localen 
Veränderungen der Haut. 

Kaposi (Wien) hat in den Jahren 1866—1889 an 300 Fälle 
von Pemphigus beobachtet. Unter 45.000 Hautkranken seiner Ab¬ 
theilung in den letzten 21 Jahren finden sich 182 Fälle = 4*7° 0 o 
Pemphigus. Von diesen starbeu 33 = 17°/ 0 . Von den übrigen 83°/ 0 
sind aber nicht alle genesen, sondern viele sind gewiß auswärts ge¬ 
storben oder noch Todescandidaten. Fälle, von denen man sagen 
kann, daß sie wirklich dauernd genesen sind, gibt es nur wenige. 
Es ergibt sich also bei einem großen Beobachtungs materiale für den 
Pemphigus eine schlechte Prognose. Maßgebend für die Prognose 
ist der Charakter der Hauteruption. Mancher leidet seit seiner Kind¬ 
heit an Pemphigus vulgaris leichtester Art — Pemphigus soli- 
tarius — er bekommt jeden 2.—8. Tag bald da, bald dort eine 
Blase, die längst verheilt ist, bevor die neue erscheint — das ist 
ein Pemphignus benignus. 

Hingegen bilden langdauernde Eruptionen von zahlreichen 
Blasen, namentlich zugleich der Schleimhaut, einen Pemphigus 


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m a l i g n u s. Bei einem Anderen stellen sieb von vornehereiu die 
Blasen circinär zu einer älteren centralen Blase — Pemphigus 
circinatus. Das kann auch noch gut ablaufen. Aber hier 
liegt schon die Gefahr vor, daß durch die randständige blasige 
Abhebung der Epidermis die Regeneration der letzteren im Centrum 
erschwert oder behindert wird, namentlich in späteren Eruptions- 
perioden, wenn der Pat. schon mehr herabgekommen ist. Damit ist 
die Gefahr gegeben, daß aus dem Pemphigus circinatus ein ser¬ 
piginosus wird, aus diesem ein foliaceus, eine fast direct zum 
Tode führende Form. Ein anderer Fall beginnt als Pemphigus 
pruriginosus, ein dritter als crouposus, andere wieder als 
foliaceus, vegetans, papillaris, diphtheriticus. Diese 
verschiedenen Formen können sich an einem und demselben Indi¬ 
viduum suecessive entwickeln; sie stellen alle einen klinischen 
Proceß, „Pemphigus“, vor. 

Was die Aetiologie betrifft, so gibt es zweifellos Fälle, 
für welche sich ein neurotischer Ursprung aufdrängt. In der über¬ 
wiegenden Majorität der Fälle ist aber eine neurotische Störung 
ganz ausgeschlossen. Manche Formen (P. vegetans) machen den 
Eindruck einer Infection von außen. Kaposi schließt seine Aus¬ 
führungen mit den Worten, daß wir erstens an dem klinischen Be¬ 
griffe Pemphigus festhalten sollen und zweitens, daß wir über die 
Ursache des Pemphigus nichts wissen. 

Ehrmann (Wien) erinnert daran, daß er schon vor einigen Jahren 
darauf hingewiesen hat, daß in manchen Fällen ein neurotischer 
Ursprung des Pemphigus nachweisbar ist, daß aber ein solcher nicht 
in jedem Falle bestehe. Ehbmann erwähnt eines Falles von Pem¬ 
phigus (28jähriges Mädchen), bei dem längs des N. ischiadicus 
Blasen entstanden, und einer 56jährigen Frau mit deutlich hyste¬ 
rischen Druckpunkten, die stets nach Gemüthserregungen neue 
Blasen bekam. 

Neumann (Wien) hat schon vor Jahren die Existenz eines 
Pemphigus acutus vertheidigt, indem er das Bestehen des P. vegetans 
nachgewiesen hat, welcher, kaum da die ersten Efflorescenzen ent¬ 
wickelt sind, schon nach kurzer Zeit acut eiueu tödtlichen Verlauf 
herbeiführt. Entgegen der Behauptung Mosler’s, daß er keinen 
Fall in der Literatur gefunden bat, wo die Pemphigusblasen zuerst 
in der Mundhöhle aufgetreten wären und dann erst auf der äußeren 
Haut, erwähnt Neümann zwei von ihm beschriebene Fälle von 
Pemphigus vulgaris, wo die Blasen zuerst am Larynx, resp. auf der 
Epiglottis auftraten. Beim Pemphigus vegetans ist es zunächst 
gerade die Schleimhaut der Lippen und Rachenhöhle, die zuerst er¬ 
krankt, und erst dann, die der großen und kleinen Labien. Was die 
durch Reflexe entstandenen Neurosen betrifft, so ist es allerdings 
noch fraglich, ob dieselben dem Pemphigusproceß als solchen ange¬ 
hören, oder aber, was wahrscheinlicher ist, secundär auftreton. In 
einzelnen Fällen von P. vegetans sah Neumann in der That schmerz¬ 
hafte Contracturen im Knie- und Ellbogengelenke, die nur 
wenige Minuten anhielten und sich öfter erneuerten. Sehnenreflexe 
waren erhöbt. In einem anderen Falle war der rechte Oberschenkel 
krampfhaft adducirt; bei der leisesten Berührung traten krankhafte 
Contracturen der Muskeln ein. 

In einem 3. Falle zeigten sich andauernde Contracturen in 
der Adductorengruppe des rechten Oberschenkels, erhöhte Reflexe, 
rechtsseitige Ptosis. Indeß kann der Zusammenhang mit Nerven¬ 
erkrankungen in einer großen Anzahl von Fällen nicht nachgewiesen 
werden, und harrt die Pemphigusfrage ihrer definitiven Lösung. 

Weber (Halle) hat in einem Falle von chronischem Pemphigus, 
bei dem eine letale Prognose gestellt wurde, nach vergeblicher An¬ 
wendung der verschiedensten Behandlungsmethoden, Bäder mit Kali 
hypermanganicum mit sehr gutem Erfolge gebraucht. Die Heilung 
dauert nun schon */ 4 Jahr. Impfungen des Pustelinhaltes auf Ge¬ 
sunde und auf die Kranken selbst blieben erfolglos. 

PüRJESZ (Klausenburg) erwähnt eines Falles von Pemphigus, 
der den Eindruck einer schweren Infectionskrankheit machte und 
bei dem die Temperatur nie unter 40° sank. Er glaubt, daß zwischen 
acutem und chronischem Pemphigus ein ähnliches Verhältniß bestehe 
wie zwischen acuter und chronischer Tuberculose. 

Mosler: Collegen Kaposi gegenüber erlaube ich mir noch¬ 
mals auf die Worte meines Vortrages hinzuweisen, mit denen ich 
ausdrücklich bervorgehoben, daß unter dem Namen „Pemphigus“ 


meiner Meinung nach zur Zeit noch mehrere Krankheiten zusammen¬ 
gefaßt werden, weshalb ein einseitiger Standpunkt in dieser Frage 
mir ferne liegt. Ich halte weiterhin betont, daß, ohne genera- 
lisiren zu wollen, die von mir beobachteten Fälle 
von Pemphigus zur Ansicht mich bedrängt haben, daß gewisse 
Formen, darunter auch scheinbar genuiner Pemphigus, nicht als 
selbstständige Erkrankung, sondern als Symptom einer vasomoto¬ 
rischen Neurose aufzufasseu sind. Ueber die Natur desselben wird 
College Kaposi mit mir derselben Ansicht sein, ebenso wie ich 
nach obigen Worten seine Meinung theile, daß es noch andere 
Formen gibt, darunter auch solche, über deren Entstehung wir 
noch nichts wissen. 

Um Collegen Neumann’s Angabe zu widerlegen, erübrigt nur 
aus meiner Publication über Pemphigus chronicus malignus („Deutsche 
Med. Wochenschr.“ 1890, Nr. 1) meine eigenen Worte zu ver¬ 
lesen, wonach ich nicht, wie College Neumann behauptet, in der 
Literatur überhaupt keine Störungen der Mundhöhle bei Pemphigus, 
sondern keine so hartnäckige Form des Pemphigus erwähnt gefunden 
habe: „In den mir bekannten Handbüchern der Krankheiten der 
Mundhöhle und der ZuDge finde ich diese hartnäckige Form 
des Pemphigus nicht erwähnt, zumal dieselbe so lange ohne Mitbe¬ 
theiligung der Haut existirt hat. In differential-diagnostischer Hin¬ 
sicht hat diese Beobachtung besonderen Werth.“ 

Herrn Pürjesz gegenüber muß ich wiederholen, daß ich den 
acuten Pemphigus gar nicht in den Kreis meiner Betrachtung ge¬ 
zogen, darum auch nicht behauptet habe, daß er keine infec- 
tiöse Krankheit sei. 

Da auf diese Frage die Aufmerksamkeit einmal gelenkt ist, 
sei mir zum Schlüsse zu erwähnen gestattet, daß meiner Meinung 
nach auf Grund bacteriologischer Untersuchungen die infectiöse 
Natur des Pemphigus acutus zweifellos noch nicht erwiesen ist. Ich 
bin autorisirt, folgende briefliche Mittheilung des Sanitätsrathes M. 
Schulz in Berlin, der seine Untersuchungen im Berliner 
hygienischen Institute vornimmt, hiefür zu erwähnen: 

„Im August v. J. habe ich Gelegenheit gehabt, aus dem Blasen¬ 
inhalt des Pemphigus acutus neonatorum einen Mikrococcus fast in 
Reincultur zu isoliren. Nachher ward derselbe durch mehrere Gene¬ 
rationen hindurch gezüchtet und später an mir selbst verimpft. Es 
stellte sich aber keine eigentliche Blasenbildung ein, sondern es 
entstand ein entzündlicher Proceß mit nachfolgender geringer Eite¬ 
rung und Heilung unter einem kleinen Schorfe. Nachdem ich mich 
hiedurch überzeugt hatte, daß der Mikrococcus bei Anderen kein 
Unheil anrichten werde, ward derselbe von mir auf drei andere 
Personen übertragen, ohne daß bei denselben sich andere Folge¬ 
zustände als die oben beschriebene entzündliche Reaction entwickelt 

hätten, namentlich zeigte sich keine Blasenbildung.“ S. 

• 

Neunzehnter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin vom 9.—12. April 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VIII. 

Rehn (Frankfurt a. M.): Die Operation hochsitzender Mastdarm- 
carcinome in zwei Zeiten. 

Gegenüber den außerordentlich ungünstigen Resultaten, welche 
die sacrale Operationsmethode hochsitzender Mastdarmcarcinome bis¬ 
her ergeben hat, empfiehlt Redner, in zwei Zeiten zu operiren. Erster 
Act dor Operation: Schnitt an der linken Seite des Kreuz- und 
Steißbeines und möglichst schonende Ablösung des Darmes unter 
Vermeidung irgend welcher Verletzung oder Zerrung des Darmes; 
Schutz der Peritonealhöhle durch Jodoformtampon. Zweiter Act: Ent¬ 
fernung dos Carcinomes. Vortheile der Methode: Geringere Gefahr 
des Collapses, größere Sicherheit des Wundverlaufcs, eventuell leicht 
ausführbare circuläre Darmnaht. 

Riedel (Jena) demonstrirt ein Präparat von Osteochon¬ 
dritis dissecans, d. i. Ablösuug größerer Theile von Knochen und 
Knorpeln aus den Gelenkflächen durch einen noch unerklärten Proceß. 

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HADRA (Berlin): Fall von Gastro-Enterostomie. 

Bei dem vorgestcllten 52jährigen Manne hat Hadba nach der 
von Hahn publicirten Methode die Gastrotomie wegen carcinomatöser 
Stenose der Cardia vorgenommen. Patient hatte seit 1 / 2 Jahr etwa 
30 Pfund abgenommen; dünnste Sonden fanden 44 Cm. hinter den 
Zahnreihen unüberwindlichen Widerstand. Gastrotomie in zwei Acten. 
Nach Eröffnung der Bauchhöhle fühlt die Hand unterhalb des Zwerch¬ 
felles eine kleinfaustgroße, höckerige, den sehr eontrahirten Magen 
fast ausfüllende Geschwulst. Eröffnung des 8. Intercostalraumes an 
der beschriebenen Stelle auf der eingeführten Kornzange. Der mit 
Daumen und Zeigefinger der linken Hand möglichst nahe der Car¬ 
dia gefaßte Magen wird mit der Kornzange leicht 1 1 / a Cm. vor die 
Intercostalwunde gezogen und dort mit 14 Serosaknopfnähten fixirt. 

3 Tage später Eröffnung der Magenfalte durch ‘/ 3 Cm. langen Schnitt; 
Einspritzung von Milch und Peptonlösung, welche gut zurückge¬ 
halten werden. Schluß der Bauchwunde. In der Nachbehandlung hat 
Redner ein Anfangs dünneres, später 12 Mm. dickes, durch einen 
Quetschhahn abgeschlossenes Nährdrain, welches die Wunde gut ob- 
turirt liegen lassen, kein Eczcm. Hahn hat dagegen die Ernährung 
durch ninen NKL ATON’scheu Katheter ausgeführt und die Wunde in 
der Zwischenzeit durch ein einfaches Gazeläppchen verschlossen und 
hiebei fast vollkommenes Trockenbleiben erzielt. Das Körpergewicht 
des Patienten hat sich seit der Operation (3 Wochen) um 4 Pfund 
gehoben, ein Beweis für die Retention des Mageninhaltes. Inzwischen 
hat sich die Durchgängigkeit der Cardia selbst für breiige Nahrung 
wieder hergestellt, so daß Patient die Ernährung per os vorzieht. 
Ein definitiver Fistelschluß erscheint zur Zeit noch unthunlich. 

Discussion: Hahn (Berlin): Die Vortheile dieser Methode, 
nach welcher Redner bisher 8mal operirt hat, bestehen darin, daß 
die Fistel mit der Zeit nicht größer wird und der Mageninhalt 
nicht ausfließt, daß ein Obturator überflüssig ist und keine Ver¬ 
letzung des Zwerchfells erfolgen kann. 

Lauenstein (Hamburg): Ein einfacher Weg, das Fußgelenk frei¬ 
zulegen. 

Die Schwierigkeiten der bisherigen Methoden zur Freilegung 
des Fußgelenks werden durch folgendes Verfahren vermieden. 
Zwischen Peroneus tertius und brevis wird längs der Fibula ein 
mehr als fingerlanger Schnitt gemacht, welcher nach oben etwas 
umbiegt und an der Stelle, wo die Köpfe des Exten. brevis liegen, 
unmittelbar vor der Sehne des Peroneus tertius verläuft. Eröffnung des 
Fußgelenkes am vorderen Rande des Malleolus externus, Durch¬ 
schneidung des Lig. cruciatum, Eröffnung der Kapsel bis zum Talus- , 
halse. Nach hinten zu Spaltung der Sehnenscheide des M. peroneus, 
Ablösung des M. flexor halluc. longus, Durchtrennung der Ligg. 
talo-fibulare ant. und post., wobei sämmtliche Gefäße und Nerven 
unverletzt bleiben. Rotirt man jetz^ den Fuß mit einiger Kraft, so 
kann man sofort das Gelenk derart aufklappen, daß man die untere 
Fläche des Unterschenkels und die obere Fläche des Talus ohne 
Läsion vor sich liegen hat. Will man die Ligamente des Malleolus 
ext. erhalten, so braucht man nur im oberen Wundwinkel die 
Fibula zu durchmeißeln, um ebenfalls in das Gelenk eindringen zu 
können. Von demselben Schnitt aus kann man ohne Eröffnung des 
Fußgelenkes die beiden Sprungbeingelenke freilegen. 

Bessel-Hagen (Heidelberg) berichtet über drei Fälle von Knochen- 
und Gelenkdeformitäten bei congenitaler Muskel¬ 
hypertrophie und bei multiplen Exostosen. 
Rydygier (Krakau) erachtet als eine neue Indication zur 
Wladimirow Mikulicz’schen Operation die Ver¬ 
kürzung des Beines nach Resection des Kniegelenks. 

Braun (Marburg) demonstrirt Präparate von Hydro- und 
l’yonephrose. 

Rehn (Frankfurt a. M.) berichtet über Fälle von sogenannter 
Wanderhydronephrose, welche meist eine große Be¬ 
weglichkeit zeigen und zu Verwechslungen mit Ovarien¬ 
tumoren Veranlassung geben. 

Tillmanns (Leipzig) demonstrirt ein diffuses Fibrom 
des Schädels. 

Schimmelbusch (Berlin): Ueber eine neue Krankheit der Milchdrüsen. 

Von französischen und dänischen Autoren ist eine Krankheit 
der Milchdrüsen beschrieben worden, welche mit Carcinom und 
chronischer Mastitis verwechselt worden ist. 


Dieselbe bietet jedoch ein typisches Krankheitsbild und ist 
durch folgende Erscheinungen charakterisirt: Ausnahmslos sind beide 
Brüste fast gleichzeitig befallen; diese sind groß und kräftig und 
geben bei der Palpation das Gefühl, als wenn man auf einen mit 
großen und kleinen Kieselsteinen gefüllten Beutel faßt. Der Drüsen¬ 
körper ist in eine Anzahl erbsen- bis haselnußgroßer Knollen ver¬ 
wandelt ; die Haut ist gut verschieblich. Die subjectiven Schmerzen 
sind sehr gering und bestehen in ziehenden Schmerzen, v. Berg¬ 
mann hat drei solche Fälle beobachtet, im dritten Falle mit Car¬ 
cinom complicirt. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß es 
sich um Neubildung von Drüsenaoini, Adenom mit Cystenbildung 
handelt. Der Aufbau des Tumors erfolgt aus epithelialen Elementen, 
während das Bindegewebe nur das Gerüst für dieselben abgibt im 
Gegensatz zur chronischen Mastitis, wo die Zwischensubstanz das 
Epithel erdrückt. 

In therapeutischer Beziehung ist bei der gutartigen Beschaffen¬ 
heit der Tumoren von der Amputation abzusehen, ebenso von der 
Exstirpation einzelner Knoten, vielmehr ein gut sitzendes Corset zu 
empfehlen. 

Iu der Di sc us sion bemerkt Lauenstein, er habe in seinen 
Fällen als diagnostisches Merkmal beobachtet, daß sich immer aus 
der Mamilla eine schwarzgrüne Flüssigkeit herausdrücken läßt. 

Riedel hat die geschilderte Krankheit schon früher wieder¬ 
holt beobachtet. 

Thiersch (Leipzig) bat die Affection bereits im Jahre 1855 
als Cystadenoma epitheliale beschreiben lassen. 

v. Tischendorf (Leipzig) hat wegen beiderseitiger Milchdrüsen¬ 
erkrankung der geschilderten Art im September v. J. bei einer 
jungen Dame die Exstirpation beider Mammae vorgenomraon und ein 
diffuses Carcinom constatirt. 

Heidenhain (Berlin) hat in den letzten Jahren 6 —7mal eine 
ähnliche diffuse Erkrankung der Mamma, und zwar nur an einer 
Brust beobachtet. In einigen Fällen ergab sich mikroskopisch Adenom 
der Mamma mit Cystenbildung, in anderen Fällen Carcinom. Alle 
diese diffusen Erkrankungen können auf die Dauer den Patientinnen 
sehr verhängnißvoll werden. 

Garr£ (Tübingen): lieber primäre Sehnenscheidentuberculose. 

Bei der primären Sehnenscheidentuberculose sind zwei Formen 
zu unterscheiden: die Tenovaginitis fungosa und das Hy- 
groma proliferum. Bezüglich der Heilung des letzteren ist 
häufig Incision und Drainage angewendet, jedoch sind zahlreiche 
Reoidive beobachtet worden. Nach den günstigen Erfahrungen mit 
Injectionen von Jodoformemulsion bei tuberculösen Höhlen dürfte es 
sich empfehlen, auch diese Hygromsäcke einer derartigen Behandlung 
zu unterwerfen. 

Was die Therapie der Tenovaginitis fungosa anlangt, so er¬ 
scheint die vielfach geübte Auskratzung wegen der Derbheit des 
Bindegewebes wenig erfolgreich. Garbe hat in 9 Fällen, bei denen 
die Affection meist die Flexionssehnen der Hand betraf, mit günstig¬ 
stem Erfolge eine ausgiebige Exstirpation vorgenommen, und zwar 
in der Weise, daß er mit- einem Schnitt die Sehne freilegte, aus¬ 
schälte und spaltete. Die Sehnen können zur Hälfte abgeschält und 
der Länge nach gespalten werden, und trotzdem stellt sich die 
Functionsfähigkeit wieder her. Die Heilung besteht in einzelnen 
Fällen seit Jahren unverändert. Die angegebene Operationsmethode 
wird auch die von manchen Chirurgen bei primärer Sehnen scheiden- 
tuberculose geübte Amputation überflüssig machen. 

Krause (Halle): Myofibrom des weichen Gaumens. 

Bei der 54jährigen Pat. hatte sich im weichen Gaumen ein 
kleines Knötchen, welches sie vor 15 Jahren zuerst bemorkte, in 
den letzten 3 Jahren zu einer so mächtigen Geschwulst entwickelt, 
daß das Sprechen, Schlucken auf das äußerste erschwert war und Pat. 
mit heftiger Dyspnoe in die Klinik kam. Der ganze weiche Gaumen 
war in eine cylindorförmige Geschwulst verwandelt, welche fest im 
Nasenrachenraum eingekeilt war. Der Mund ließ sich nur wenig 
öffnen. Die Operation war mittelst der LangENBEck. 'sehen Kiefer- 
durehsägung und Spaltung des ganzen Mundbogeus rechts neben der 
Zunge bis zum großen Zungenbein kaum möglich. Tracheotomie und 
1 Tamponade der Trachea. Quere Spaltung des weichen Gaumens und 


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Auslösung der Geschwulst, Tamponade der Mundhöhle mit Jodoform¬ 
gaze; Naht des Mundbodens und des durchsägten Unterkiefers mit 
Silberdraht. Heilung nach 4 Wochen; Entfernung des Silberdrahts 
nach 6 Wochen, nach Ablauf deren sich der Kiefer als knöchern 
geheilt erwies. 

Nasse (Berlin): Demonstration einer seltenen centralen Unter¬ 
kiefergeschwulst. 

Redner demonstrirt einen faustgroßen Tumor, welcher sich im 
Verlaufe von 10 Jahren central im Unterkiefer einer 4ljährigeu 
Frau entwickelt hat, und zwar offenbar aus Epithclresten um die 
Zahnwurzeln herum. Derartige paradentäre Epithelreste spielen 
bei der Entwickelung der Epithelialgeschwülste des Unterkiefers eine 
wichtige Rolle. 

Ritschl (Freiburg) demonstrirt eine Anzahl Präparate, 
welche nach einer neuen Methode von erkrankten 
Körpertheilen in einer besonderen Masse abgegossen 
sind. Die elastischen unzerbrechlichen Präparate bestehen aus einer 
Mischung von gleichen Gewichtstheilen Gelatine und Glycerin, welche 
erwärmt in den gleichfalls etwas angewärmten Gypsguß des betref¬ 
fenden Körpertheils eingegossen wird. Beim Erkalten erhärtet die 
Masse, zu deren Färbung man Zinkoxyd und Zinnober benutzt und 
die man später bemalen kann. Durch dieses Verfahren wird jedes 
Detail in vorzüglicher Weise zur Darstellung gebracht. 

Borck (Rostock): Ueber die Heilbarkeit maligner Neubildungen 
des Oberschenkelknochens durch Exarticulation des Ober¬ 
schenkels im Hüftgelenk. 

Die statistischen Untersuchungen des Vortragenden haben ihn 
belehrt, daß von 86 wegen maligner Neubildungen unternommenen 
Hüftgelenksexarticulationen die Operation in keinem Falle eine 
dauernde Heilung erzielt hat; daher erscheint ein Zweifel an 
der Indication der Operation in solchen Fällen vollkommen be¬ 
rechtigt. 

Trendelenburb (Bonn): Zur Radicaloperation der Hernien. 

Die Schwierigkeit, bei der Radicaloperation der Hernien einen 
dauernden Verschluß der Bruchpforte ohne Recidiv zu erzielen, hat 
Redner dadurch erfolgreich überwunden, daß er in die seitlich ein wenig 
aufgeschlitzte Bruchpforte ein 3 Cm. breites, 4 Cm. langes und 3 Mm. 
dickes Knochenplättchen eingeführt und mit Catgut festgenäht hat, 
so daß dasselbe als Verschluß gegen die Bruchpforte gedrückt wird. 
Kraske (Freiburg i. Br.): Ueber die Trepanation des Wirb®*- 
canals bei spondylitischen Lähmungen. 

Die radicale Entfernung aller fungösen Massen ist nur dann 
möglich, wenn die Tuberculose primär ihren Sitz in den Wirbel¬ 
bögen hat. In der Mehrzahl der Fälle befinden sich die tuber- 
culösen Herde aber im Wirbel kör per, und dann wird man sich 
begnügen müssen, die erkrankten Massen aus dem Wirbelcanal zu 
entfernen, um durch Entlastung des Rückenmarks vom Druck und 
Wiederherstellung der Nervenleitung einen Einfluß auf das Gesammt- 
leiden zu erzielen. Die Trepanation des Wirbelcanals bei primärer 
Erkrankung der Wirbelkörper empfiehlt Redner nur für diejenigen 
Fälle, bei denen eine Blasenlähmung und dadurch eine Gefahr für 
das Leben des Pat. besteht. 

In der Discussion treten v. Bergmann und James Israel 
diesen Ausführungen bei. 

Nach einer Mittheilung von Wolf (Hamburg) über einen von 
ihm operirten Fall von hohem Steinschnitt mit Entfernung 
eines 7 Cm. langen, 5 Cm. breiten Steines spricht zum Schluß 
Graser (Erlangen): Ueber die Behandlung von Oesophagus- 
8tenosen. 

Die Schwierigkeit für das normale Verfahren bei Oesophagus- 
stenose, die Sondirung der Speiseröhre, liegt darin, daß die meisten 
Patienten sich nicht zur rechten Zeit zur Durchführung dieses Ver¬ 
fahrens einstellen, sodann erst dann, wenn der Hunger sic dazu treibt. 
Redner schlägt in solchen Fällen die Oesophagotomia externa vor, 
weil von der Wunde am Halse aus eine Erweiterung der Stenose 
durch eine gerade Sondern noch möglich ist, wenn eine gebogene 
Sonde vom Munde aus sich durch die Stenose nicht mehr hindurch¬ 
führen läßt. Die Ernährung des Pat. wird dadurch in kurzer Zeit 
wieder wesentlich gehoben. —r. 


Wiener dermatologische (Gesellschaft. 

Sitzung vom 4 Mai 1890. 

(Off. Protokoll.) 

Vorsitzender: Prof. Kaposi. — Schriftführer: Dr. Luka- 
siewicz. 

Dr. V. HEBRA stellt einen Fall von Lichen planus vor 
wegen des relativ frühen Stadiums der Symptome, sowie einen 
zweiten Fall von Herpes Iris mit charakteristischer Blasenbildung 
an der Flachhand und der Fußsohle. 

Prof. KAPOSI führt als Corrolar einen zweiten Fall von schönem 
Herpes Iris und circinnatus mit reichlicher Blasenbildung 
an Flachhand und Fußsohle vor. 

Dr. V. HEBRA führt das in der letzten Sitzung demonstrirto 
Kind mit Pityriasis rubra pilaris (Dbvergie) vor und zeigt, 
daß ein großer Theil der Symptome ohne Therapie sich zurück¬ 
gebildet hat, was für die Richtigkeit der Diagnose spreche. 

Dr. EHRMANN zeigt ein hereditär luetisches mehrmonatliches 
Kind mit schuppender Syphilis, bei welchem als auffallende 
Erscheinung eine ausgebreitete Infiltralion und Abscedirung des sub- 
cut&nen Bindegewebes im Bereiche der oberen Extremitäten sieh 
fiudet. Die DDr. Ullmann und Hochsinger knüpfen daran Be¬ 
merkungen. 

Dr. HOCHSINBER Stellt ein Kind mit Präputialsclerose 
vor. Wegen der Zweifelhaftigkeit der Diagnose und der Möglichkeit 
einer anderen Deutung äußern sich Zeissl, Schiff, Kaposi. 

Prof. KAPOSI 8tellt einen Fall von Pemphigus ncuro- 
traumaticus vor. (Derselbe wurde drei Tage später in der 
Gesellschaft der Aerzte vorgestellt.) Hkbra, Lukasikwicz, Riehl, 
Ehrmann botheiligen sich an den bezüglichen Erörterungen. 

Prof. Kaposi führt einen juugen Mann vor mit ungewöhn¬ 
lichen Formen von rudimentärem Naevus angiomatodes 
et verrucosus striatus aller Finger und Zehen unter ent¬ 
sprechenden Erörterungen, über deren Beziehungen zu ausgebreiteten 
Naevis und über die Diagnose des Falles. Schiff , Ehrmann und 
Hebra erwähnen ähnliche Beobachtungen. 

Prof Kaposi führt einen merkwürdigen Fall von acuter 
Acne des Gesichtes vor, welche er, durch die histologische und 
klinische Beschaffenheit veranlaßt, als Acne teleangiectodes be¬ 
zeichnen mußte. 

Dr. EHRMANN bespricht unter Demonstration von mikrosko¬ 
pischen Präparaten die von Herxheimer dargestellten Fasern in 
der Epidermis, welche er als fadenförmige Ausläufer von Pigment 
führeuden Wanderzellen erklärt. 

Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 18. April 1890. 

Prof. Zaufal: Ueber die operative Behandlung des Cholesteatoms 
der Paukenhöhle und ihrer Nebenräume. 

Die so häufig vorkommenden Cholesteatome der Paukenhöhle 
sind in den seltensten Fällen auf fötale Anlage zurückzuführen; 
meist sind sie Folgezustände der eitrigen Mittelohrentzündung und 
beruhen auf einer Metaplasie der normalen Schleimhaut in eine 
epidermisbildende Membran. Diese metaplastische Umwandlung kann 
sich sowohl auf die ganze Schleimhaut der Paukenhöhle, oder nur 
auf einzelne Stellen derselben erstrecken, am häufigsten jedoch 
kommt sie im Autrum mastoideum oder am Tegraen tympani vor. 
Man findet dann statt der normalen Schleimhaut ein breites Malpighi- 
sches Stratum, dessen oberste polygonale Plattenzellcn in Form 
dünner Häute abgestoßen werden, welche sieb zwiebelscbalenartig 
an einander schichten und in mehr oder weniger dicken Lagen den 
Wänden anhaften oder in Form rundlicher oder eiförmiger Gebilde 
die Hoblräume ganz ausfüllen. Durch weitere Apposition können 
sie zu Usur des Knochens führen, in die benachbarten Räume 
(Labyrinth, Sinus, Schädelhöble) dringen und zu Sinusphlebitis, 
Meningitis, Abscessen im Processus mastoideus führen. Mit dieser 
genetischen Darstellung der Cholesteatome stimmt auch die Er¬ 
fahrung überein, daß durch die bloße Entfernung der cholesteatoma- 


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tosen Massen ohne gründliche Umwandlung der metaplastischen 
Membran nur ein temporärer Heilungserfolg erzielt werde, indem 
das Zurückbleiben einer ganz beschränkten Stelle dieser epidermis- 
bildenden Membran stets die Ausstoßung neuer cholesteatomatöser 
Massen zur Folge hat. Um dieses zu verhindern, dürfe man sich 
nicht begnügen, diese Massen, wenn auch noch so scrupulös, auszu¬ 
räumen , sondern man müsse trachten, ihre Wiederholung zu ver¬ 
hindern, was aber nur durch eine gründliche Zerstörung der meta¬ 
plastischen Membran erreicht werden könne; es dürfe kein Fleckchen 
von ihr übrig bleiben, und man müsse sorgen, daß es zur Bildung 
eines den Knochen überklcidenden, festen, callösen Narbengewebes 
komme. 

Z. stimmt Küster vollkommen bei, daß bei Trepanation des 
Proc. mastoid. der Krankheitsherd breit eröffuet und vollkommen 
bloßgelegt werden müsse, um unter der Leitung des Auges alles 
Krankhafte entfernen zu können. Da nach Z.’s klinischen und 
pathologisch-anatomischen Erfahrungen, mit denen die der meisten 
Ohrenärzte übereinstimmen, bei dem Vorkommen von cholesteato 
matösen Massen in den Höhlen des Proc. mastoid. in der Regel 
auch die eigentliche Paukenhöhle mit ergriffen ist, so verdiene jene 
Operationsmethode KüSTBR’s deu Vorzug, nach welcher die hintere 
obere, knöcherne Gehörswand entfernt und auf diese Weise das 
Eingehen in die Paukenhöhle bewerkstelligt wird. 

Das von Z. angewandte (modificirte KüSTER’sche) Verfahren 
ist folgendes: 

Wenn nicht etwa vorhandene Fistelöffnungon die Richtung 
des Haut- und Periostschnittes vorzeichnen, wird ein Schnitt von 
der Spitze des Processus mastoideus direct nach aufwärts bis in die 
Höhe der Verlängerung der oberen Wurzel des Proc. zygomaticus 
geführt; ein zweiter Schnitt geht senkrecht auf das Ende des ersten 
vom vorderen Rande der Ohrmuschel längs der oberen Wurzel 
des Proc. zygomaticus. Peviostschnitt und Ablösung des Lappens 
mit dem Raspatorium. Dieser Lappen, in dessen Breite sich die Ohr¬ 
muschel befindet, legt das Operationsfeld vollkommen frei und ge¬ 
stattet ein ungehindertes Arbeiten mit der LüER’schen Zange auch 
bis zu einer bestimmten Tiefe. Ist eine Fistel in der Corticalis, so 
wird diese erweitert, bis man im Stande ist, die LüER’sche Zange 
anzuwenden. Ist keine Fistel in der Corticalis, so wird erst mit 
einem breiten Hohlmeissel der hintere obere Rand des knöchernen 
Gehörgauges nach vorhergegangener Loslösung der Cutis bis zum 
Trommelfelle abgemeisselt. Ist ein Hohlraum vorhanden, so wird die 
ganze obere hintere Wand des knöchernen Gehörganges bis auf das 
innerste plattenförmigo Ende der unteren Platte der Pars horizontalis 
der Squama mit der LüER’schen Zange abgebrochen, und zwar 
bedient sich Z. einer von ihm modificirten schlanken geraden Zange, 
die mit Einem Schlage diese Knochenplatte abzwickt. 

Auf diese Weise werden die Paukenhöhle, das Antrum, die 
auf pathologischem Wege im Proc. mastoid. gebildete Höhle und 
das Lumen des Meatus aud. ext. in eine große, zusammenfließende 
Höhle mit breiten Communicationen umgeschaflfen, in welcher Stau¬ 
ungen nicht verkommen können; auch ist das Eiulegeu eines Drainage¬ 
rohres nicht nöthig, indem selbst bei vollständigem Vernähen der 
äußeren Wunde das Wundsecret aus allen Räumen sich frei in 
den äußeren Gehörgang ergießen kann. Um die Neubildung der 
cholesteatomatösen Massen zu verhindern, versuchte Z. in einem Falle 
alle Stellen der epidermisbildenden Membran durch Application von 
Causticis unter Führung des Auges so zu zerstören, daß es zur 
Bildung gesunder Granulationen und eines fibrösen, callösen Narben¬ 
gewebes kommen sollte. Aber weder das Touchiren mit Lapis und 
später mit Chromsäure in Substanz hatte den gewünschten Erfolg. 
Die cholesteatomatösen Massen bildeten sich immer von Neuem wieder. 
Z. schlug deshalb bei einem bereits vor 5 Jahren operirten und im 
Monate März 1. J. neuerdings zur Operation gelangten Falle folgenden 
Weg ein. Nach' Bloßlegung des Cholesteatoms in allen Räumen auf 
die angegebene Weise und Entfernung desselben mit dem scharfen 
Löffel wurde ganz systematisch die Höhle so ausgekratzt, daß der 
Knochen allseitig mit seiner gelben Fläche wie polirt vorlag. Um 
das Zurückbleiben einzelner Epidermiszellen zu verhüten, die ja be¬ 
kanntlich als Keime zur Bildung neuer Massen dienen können, 
applicirte er deu Paquelin in alle Räume der bloßge¬ 


legten Höhle. Der unterste Theil des senkrechten Wundschnittes 
wurde offen erhalten, um den Heilungsvorgang in der Höhle ver¬ 
folgen zu können. 14 Tage nach der Operation war der ganze 
Knochen bis auf eine linseogroße Stelle mit schönen rothen Granu¬ 
lationen bedeckt, die sich voraussichtlich zu callösem Narbengewebe 
umbilden werden. Die zurückgebliebenen Oeffnungen werden nach¬ 
träglich durch eine plastische Operation geschlossen werden. 

Gussenbauer glaubt, daß die Zerstörung der epidermisbildenden 
Membran am besten mit Chlorzink erzielt werden könnte; nur müsse 
die nöthige Vorsicht wegen der Nähe der Dura mator beobachtet 
werden. Der Gefährdung der beiden Fenster und der Gefahr des 
Durchbruches der Pasta in das Labyrinth könne durch ein Schutz¬ 
mittel, z. B. Heftpflaster, vorgebeugt werden. 

(Schluß folgt.) 

Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 7. Mai 1890. 

Prof. Gluck: Primäres Carcinom der Inguinalgegend. 

Boi der 52jährigen Pat. war aus Hautknoten der rechten 
Inguinalgegend allmälig eine beträchtliche Geschwulst entstanden 
und in die Tiefe gewachsen, welche sich als primäres Carcinom 
erwies. Die Operation wurde erschwert durch die nothwendige 
Unterbindung der Vena saphen. magna, der V. femor. int., sowie 
Naht und Seitenligatur der Ven. fern, communis. Heilung mit voll¬ 
kommener Functionsfähigkeit des Beins. 

Prof. B. Frankel : Knoohenblase in der Nasenhöhle. 

Bei der 27jährigen Pat. hatte eine*rothe, von Schleimhaut 
überzogene Geschwulst die rechte Nasenhöhle vollkommen ver¬ 
schlossen. Als Inhalt der sich hart anfühleuden Geschwulst ergab 
sich bei der Punction theils Sorum, theils dickflüssiger Eiter, wo¬ 
durch die Diagnose einer Knochenblase bestätigt wurde. Nach 
Wegmeißelung der vorderen Kuppe der Geschwulst und Entfernung 
des dickflüssigen Eiters gelangte man in eine tiefe Höhle mit dünnen 
Knochen Wandungen , welche sich leicht zerbrechen und entfernen 
ließen. Nach Angabe der Pat. ist die Geschwulst erst in den letzten 
drei Monaten zur Entwicklung gelangt. 

Dr. Zeller: Präputialsteine. 

Der 45jährige Mann, von welchem die demonstrirten Präputial¬ 
steine stammen, Vater von 4 Kindern, hat seit seiner Geburt an 
hochgradiger Phimose gelitten und seit Jahren schon die Verhärtung 
hinter seiner Vorhaut gefühlt. Die Steine konnten nach vorge- 
nommeuer Circumcision leicht entfernt werden und bestehen aus 
harnsauren Alkalien, Tripelphosphat, kohleu- und phosphorsaurem 
Kalk. Der größte Stein wiegt 8 1 Grm., die kleineren zusammen 
2 Grm. 

Prof. Schöler: Zur operativen Behandlung der Netzhaut¬ 
ablösung mittelst Jodinjection in den Bulbus. 

Die Methode der Jodinjection bei Notzhautablösung hat Schüler 
im Ganzen in 28 Fällen iu Anwendung gebracht. In 3 schon 
früher publicirten Fällen ist vollständige Anlegung der Netzhaut 
eiugetreten und dauernde Heilung erfolgt, während in 2 weiteren 
Fällen nur eine partielle, bezw. keine Netzhautanlegung wahrnehmbar 
war. Bei einigen anderen Fällen wurde das günstige Resultat durch 
eine starke Blutung vereitelt. 

In 15 weiteren Fällen ist die Netzhaut jedesmal zur An¬ 
legung gekommen, doch war das Resultat bezüglich der Dauer ein 
verschiedenes. In 7 Fällen war die Reaction eine zu geringe. Das 
anfänglich glänzende Resultat reducirte sich im Verlauf von 4 bis 
6 Wochen auf den Erfolg einer einfachen Punction, jedoch war zu¬ 
meist die Sehschärfe bedeutend gebessert worden. Boi den restirenden 
8 operirten Patienten ist zwar keine totale Anlegung der Netzhaut, 
aber doch eine vollkommene Heilung eingetreten. Das Gesammt- 
re8ultat ist demnach, daß von 17 in Betracht kommenden Fällen 
5mal eine völlige Wiederanlegung der Netzhaut, 
sowie eine selbst 1 1 / a und 2 Jahre andauernde Heilung zu 
constatiren ist. 


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Eine Reihe anderer Autoren hat ebenfalls zum Theil günstige 
Resultate mit Schöler’s Verfahren erzielt; nur Prof. Schweigger 
hat sich auf Grund von 8 Mißerfolgen gänzlich ablehnend ausge¬ 
sprochen. 

Nach Redners Ueborzeugung ist die Methode nicht blos ver¬ 
besserungsfähig, sondern auch -bedürftig, denn in manchen Fällen 
ist die Wirkung zu localisirt und die Reaetion zu stark, in anderen 
zu schwach. Vielleicht empfiehlt es sich, bei rückfälligen Pat. schon 
nach 3—4 Wochen die Jodinjection zu erneuern. 

Discussion: Prof. Schweigger muß sein abfälliges Urtheil 
auf Grund einer Prüfung an 10 Pat. aufrecht erhalten. Es trat 
niemals eine Besserung, öfters dagegen eine Verschlechterung ein. 

Dr. Uhthoff erklärt die erzielten Heilresultate Schöler’s für 
ganz ungewöhnlich und recht bemerkenswerth, zumal sie unbedingt 
auf den operativen Eingriff zurückzuführen sind. 


anregt. — Die erste Hälfte der Sitzung war administrativen , den 
projectirten Bau des Vereinshauses betreffenden Angelegenheiten 
gewidmet. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung des Obersten 
Sanitätsrathes vom 31. Mai d. J. wurde nach Vorlage der für die 
Bibliothek eingelangten Werke und Berichte über nachstehende An¬ 
gelegenheiten berathen: 1. Gutachten über das von der politischen 
Landesbehörde beantragte Verbot der Einfuhr und des Verschleißes eines 
bleihaltigen Haarwassers. (Ref.: Hofr. Prof. Dr. E. Ludwig.) 

2. Gutachten, betreffend die Ankündigung gewisser Arznei¬ 
mittel in öffentlichen Blättern. (Ref.: Hofr. Prof. Dr. A. Vogl.) 

3. Gutachten, betreffend den Verkauf der Brandt’schen Schweizer¬ 
pillen. (Ref.: Hofr. Prof. Dr. A. Vogl.) 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Aus Anlaß des vom 
Centralausschuß der Wanderversammlung der ungarischen Aerzte 
und Naturforscher übermittelten Gesetzentwurfes Uber die Aerzte- 
kammern hat der Directiousrath der kön. Gesellschaft der Aerzte 
in Budapest, welcher sich darüber zu äußern hatte, eine außer¬ 
ordentliche Generalversammlung der Aerzte für den 31. Mai ad 
hoc einberufen. Der Antrag des Directionsausschusses, die Errich¬ 
tung von obligatorischen Aerztekammcrn der Regierung zu empfehlen, 
wurde nach einer lebhaften Debatte mit 84 gegen 05 Stimmen ver¬ 


worfen. Dagegen wurde der Antrag des Prof. Högyes, die vor¬ 
handenen ärztlichen Vereine zu einem freiwilligen Landesverbände 
zu vereinen, zur Berathung dem Directiousrathe überwiesen. 

(Aus Paris) schreibt unser Correspondent: In den letzten 
Maitagen beging die altehrwürdige Universität zu Montpellior 
die seltene Feier ihres 600jährigen Bestandes. Welche wichtige 
Rolle die durch eine Bulle des Papstes Nicolaus IV. vom 26. October 
1289 gegründete Universität einst gespielt hat, welch helles, glän¬ 
zendes Licht von hier aus über die ganze Welt ergossen wurde, 
welchen Antheil die medicinische Facultät Montpelliers an dem 
Aufbau unserer Wissenschaft genommen hat, das Alles steht in der 
Geschichte der Wissenschaften mit goldenen Lettern geschrieben, 
davon gibt auch die lebhafte Theilnahme Zeugniß, welche alle civi- 
lisirten Länder an dieser erhebenden und schönen Feier nahmen. 
Die Universitäten Berlin , Leipzig, Prag, Oxford, Gand, Lüttich, 
Kopenhagen, Athen, Amsterdam, Groningen, Leyden, Rom, Modena, 
Bologna, Christiania , Coimbra, Helsingfors, Upsala, Stockholm, 
Basel, Bern, Lausanne, Genf, Neuchätel und Zürich ließen durch 
ihre Delegirten Adressen übermitteln, welche dem Archiv der Uni¬ 
versität Montpellier einverleibt wurden. Auch die Studenten ließen 
es sich nicht nehmen, Vertreter in voller Wichs nach Montpellier 
abzusenden. Es erschienen Studenten-Deputationen aus: Amerika 
(Californien, Pennsylvanien), England (Cambridge, Oxford, London), 
Schottland (Edinburgh, Glasgow , Andrew), Irland (Dublin), Bul¬ 
garien , Egypten, Griechenland, Italien (Bologna, Rom, Turin), 
Rumänien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz. Selbst¬ 
verständlich waren sämmtliche Universitäten Frankreichs reichlich 
vertreten. Wien glänzte durch seine Abwesenheit. Die Feier nahm 
einen höchst würdigen und glänzenden Verlauf. Die Begrüßung der 
fremden Gäste, die Uebergabe der neuen Fahne durch den Präsi¬ 
denten der Republik an den Vorstand der Association des ötudiauts, 
das Döfilö der auswärtigen Studenten in ihren prachtvollen Ge¬ 
wändern vor Herrn Car not, der imposante Zug der Vertreter der 
fremden Universitäten in ihren ehrwürdigen akademischen Trachten, 
das Festbankett, sind die wichtigsten Momente dieser herrlichen 
Feier. Für Montpellier bedeutet dieses Fest den Beginn einer neuen 
hoffnungsvollen Aera, wie der Unterrichtsminiser Bourgeois in 
seiner glänzenden Rede versprach, will die Regierung demnächst 
im Parlamente einen Gesetzentwurf einbringen, durch den die 
Autonomie der Universitäten gesichert und jener für Frankreich 
fatalen Centralisation ein Ende gemacht wird. Für die Wissen¬ 
schaft und die Welt ist diese Feier ein Fest der Verbrüderung, 
denn, wie der Unterrichtsminister sagte, „kann aus dem Contacte 
der jungen Leute aus verschiedenen Ländern, als natürliche Frucht, 
die Beschwichtigung des Zornes und Hasses, das Beklagen der 
physischen Kämpfe, die zunehmende Achtung des Rechtes der 
Individuen und Nationen und das Gefühl hervorgehen, daß über 
den Streitigkeiten sich für jeden guten Willen ein Gebiet des 
Friedens, der Versöhnung und der Annäherung erhebt, in dem die 
Verschiedenheit der Sprachen die Gemeinschaftlichkeit des Gedankens 
nicht hindert und in welchem die der Wahrheit unterworfenen Geister 
sich in der Bewunderung der ewigen Gesetze beruhigen“. 

(Statistik.) Vom 25. bis inclusive 31. Mai 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4625 Personen behandelt. Hievon wurden 882 
entlassen; 118 sind gestorben (118°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 51, egyptischer Augenentzöndung 3, Cholera—, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 6, Dysenterie 1, Blattern 8, Varicellen 46, Scharlach 34, 
Masern 512, Keuchhusten 80, Wundrothlauf 19. Wochenbettfieber 3. — In 
der 22. Jabreswoche sind in Wien 395 Personen gestorben (—25 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in München der Privatdoccnt 
und klinische Assistent Dr. Ernst Gröber, 31 Jahre alt; in Bor¬ 
deaux der Professor der medicinischen Klinik, Dr. Bergonil. 

(Das Bad Wildungen im Fürstenthume Waldek) ist2^8 Meter 
hoch in romantischer Gegend gelegen und besitzt zahlreiche, kohlensäure¬ 
reiche, erdige Quellen, von denen besonders die Georg-Victor- und die 
Helenen-Quelle in Gebrauch sind. Das Wasser beider Quellen ist ein 
erfrischendes, moussirendes Getränk, vollständig klar und geruchlos, der Ge¬ 
schmack ist rein und angenehm, der der Helenen-Quelle leicht salzig, während 


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Prof. Schöler betont, daß die Verschiedenheit der Instrumente 
wie der Operationstechnik sicher zu den verschiedenen Resultaten 
beigetragen habe. —r. 


Notizen. 

Wien, 7. Juni 1890. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung dieser Gesellschaft machte Doc. Dr. Frankel eine 
Mittheilung überHeilung von Trepanationswunden. Behufs 
Deckung von durch Trepanation entstandenen Defecten hat Fränkel 
das Celluloid angewendet. Durch seine glatte Oberfläche, Leichtigkeit 
und Festigkeit eignet sich dasselbe sehr gut zu diesem Zwecke. Ein aus 
Celluloid geschnittenes Plättchen wurde in dem ausgebohrten Defecte 
eines Hundeschädels eingeführt und ein vollständiger Verschluß 
der Lücke erzielt. Fränkel hält das Verfahren auch beim Menschen 
für angezeigt, und zwar auch dort, wo der Trepanationsdefect 
narbig ausgeheilt ist; man kann in solchen Fällen die Narbe 
excidiren und ein Celluloidplättchen einführen. Das Celluloid hat 
der Narbe gegenüber die Vortheile, daß es glatt ist, keine Reizung 
hervorruft und zu keiner Granulationsbildung führt. — Prof. 
Weinlechner hat in einem Falle von complicirter Fractur des 
Schädels die äußeren Knochenstücke sammt Weichtheilen abgehoben, 
die Vitrea entfernt und die äußeren Lamellen sammt Weichtheilen 
reponirt; Alles ist geheilt und es besteht keine pulsirende Lücke. 
— Hofr. BrLLROTH scheint das Celluloid nicht mehr Widerstand 
zu leisten, als eine feste Narbe. Er fragt, ob das Material zur 
Formirung von Nasengerüsten und zur Heilung von Pseudarthrosen 
sich eignet. — Prof. Salzer glaubt nicht, daß das Celluloid für 
Pseudarthrosen geeignet ist, weil es keiue mächtige Callusbildung 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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der Grorg-Victor-Quelle die stärkere Beimengung von Eisen einen kräftigeren, 
aber keineswegs tintigen Beigeschmack gibt. Die den Quellen eigentümliche 
chemische Zusammensetzung macht das Wasser wohlbekömmlich und leicht 
verdaulich, selbst bei schwacher Verdauungskraft. Dies gilt besonders von 
der Helenen-Quelle. Die Verschiedenheit der chemischen Zusammensetzung 
macht es begreiflich, daß die Verwendung der beiden Quellen sich auf ver¬ 
schiedene Heilgebiete erstreckt, die übersichtlich folgen: Die Georg- 
Victor-Quellc bei Blutarmuth in Folge von Blut- und Säfteverlnsten oder 
nach erschöpfenden Krankheiten, ferner Bleichsucht; Krankheiten des 
Nervensystems auf anämischer Basis, Hysterie, Neuralgien; Krank¬ 
heiten der weiblichen Geschlechtsorgane. Schleimflüsse, Un¬ 
regelmäßigkeiten der Menstruation. Die Helenen-Quelle bei Krank¬ 
heiten der Schleimhäute, der Athmungs- und Verdauungs¬ 
organe. Luftröhren-, Brustcatarrh , Magen- und Darmcatarrh, Appetitlosig¬ 
keit, Säurebildung, Aufstoßen, Blähungen, träge Verdauung, Neigung zur 
Stuhlverstopfung, Hämorrhoiden. In hervorstechender Weise haben sich die 
Wirkungen dieser Quellen herausgestellt bei Krankheiten der Harn¬ 
organe und zwar bei Krankheiten der Nieren, sparsamer Harnabsonde¬ 
rung, damit zusammenhängender Wassersucht, Abscheidung von Eiweiß, 
Schleim, Eiter, Rlnt und bei Gries- und Steinbildung; bei Krankheiten 
der Blase, Blasencatarrh mit entzündlichen Beiz- und Schmerzzuständen, 
bei chronischem Blasencatarrh mit Schleimabsonderung und üblem Geruch des 
Urins, bei Blutungen, Schwäche der Blase; bei Steinbildung; bei Krank¬ 
heiten der Vorsteherdrüse, Vergrößerung derselben in Bezug auf den sie beglei¬ 
tenden Catarrh; bei Krankheiten der Harnröhre, chron. Schleimfluß etc. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Veit J., Gynäkologische Diagnostik. Mit 24 in den Text gedruckten Holz¬ 
schnitten. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Brandt L., Lehrbuch der Zahnheilkunde. Mit besonderer Berücksichtigung 
der Medicin und Chirurgie. Mit 155 Abbildungen. Berlin 1890. Aug. 
Hirschwald. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Ein Doctor 

hat Gelegenheit, sofort ein zahnärztl. und zahntechnisches Atelier, welches 
auf einer stark frequentirten Gasse gelegen, mit eleganter Möbel-Einrichtung, 
sowie allen erforderlichen neuesten Instrumenten, Maschinen, ebenfalls der Ein¬ 
richtung der technischen Abtheilung etc. versehen, wegen Abreise für den 
Preis von fl. 3500 zu übernehmen Gefällige Offerten werden unter r Zahnarzt 
Nr. 633“ zur Weiterbeförderung an die Administration erbeten. 633 

In der Gemeinde Gr.-Schönan, Niederösterreich, kommt 

die Stelle des Gemeindearztes zu besetzen. Mit derselben ist eine Jahres¬ 
subvention von 200 fl., Aussicht auf Erhöhung bis 40U fl., für Todtenbescbau 
67 fl., verbunden. Hausapotheke. Die Stelle ist gleich zu besetzen Gesuche 
können an obige Gemeinde eingebracht werden. 630 

Joh. Pregartner, Bürgermeister. 

Stelle des k. k. Landesthierarztes in der VIII. Rangs- 

classo bei der k. k. Statthalterei in Niederösterreich zu besetzen. Ge¬ 
suche bis längstens 10. Juni 1890 beim k. k. n.-ö. Statthalterei - Präsidium 
zu überreichen. 

Wien, den 2. Juni 1890. 

Bezirksarzt für Hederv&r (Raaber Com.). Gehalt400 fl. 

etc Gesuche an das Ober-Stuhl richteramt in Raab. 

Gemeindearzt für Lajosfalva. Gehalt 800 fl. etc. Ge¬ 

suche an das Ober-Stuhlrichteramt in Antalfalva. 


ANZEIGEN. 



KEMMERICH ’S Fleisch -Pepton. 

Nach den von den Herren Prof. Ludwig— 
Wien, Fresenius — Wiesbaden, Koenlg — Bünster, 
Ktutaer— Bonn ausgeführten Analysen enthält das 
Kemmerlfh’Bche Fleisch-Pepton ca. l8'/ 0 leicht lös- 
licheKiweissstoffe und ca. 39%Pepton.Kemmerfeh’s 
Flelsch-I’epton ist das gehaltreichste unter allen 
Peptonen des Handels und das einzige, welches 
m.t höchstem Nihrwerlh einen angenehmen Ge¬ 
schmack und Geruch verbindet. Dasse.be ist über¬ 
all zu empfehlen, wo Klnelssznrahr nöthig und 
w. gen gestörter Verdauung in fester Form n icht 
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der Veniohornng inbegriffen. Id der Gesohäftsperiode v. 1. Mai 188 ? bis 31. Dec. tss7 
worden 3. W. fl. 014.410*44 fnr Unfall -SchSdan ansbezahlt. 

Der therapeutische Werth des 

Artmann’schen Creolin. 

Saake schliesst seine Abhandlung wie folgt: 

„Dagegen bedarf es eines anderen Hinweises, dass das Artmann’sche 
Creolin mit ausgezeichnetem Nutzen in der Geburtshilfe bei allen endometritischen 
Zuständen, wie Desonders bei faulender Nachgeburt, abgestorbenen Foeten u. s. w., 
in Anwendung zu bringen ist. Zn den Gebärmutter-Ausspülungen verwende ich das 
Creolin mit 100 Aqua diluirt. Es kommt hier meistens mehr darauf an, grosse 
Quantitäten zu infundiren, als starke Lösungen anzuwenden. 

Vergiftungserscheinungen habe ich von dem Artmann’schen Creolin 
niemals beobachtet.“ 506 



Neues, von Prof. Dr. S t i 11 i n g-Strassburg entdecktes und erprobtes, vollkommen 
geruchloses, ungiftiges 


Antiseptikum 


für chirurgische und augenämliche Zwecke. Im Einverständnis mit Prof. Dr. S t i Hin g 
stelle ich zunächst folgende Pyoktaninpräparate dar: 
Verbandstoffe i°/ m (blau und gelb): Gaze, Watte, Seide; 2 % Streu¬ 
pulver (blau und gelb); Streupulver für ophthalmologiscbe Zwecke 
*%n(B e lbl; Stifte (blau und gelb) grosse und kleine Form; Salben (blau und gelb); 
„Pastillen :< i Grm. u.o'i Grm. Pyoktanin (blau u. gelb) zur Bereitung von Lösungen. 
Besondere Wünsche der Herren Aerzte bezüglich anderer Formen 
von Pyoktaninpräparaten werden thunlicnst berücksichtigt. 

Man achte auf die eingetragene Schutzmarke: „Pfeil“. 600 

E. MERCK, Darmstadt. 


rationellste Arznei form 609 

für die Behandlung der 

Gonorrhoe in allen Stadien, 

unübertroffen in ihrer Wirknug hei subasuten und chronitchen Fällen, zeichnen sich 
durch grösste Elnfaohhelt in der Anwendung aus und erzielen bei möglichst wenig 
009 Applioatlonen bedeutende Herabsetzung der Krankheitsdauer. 

C. Stephan’s Antrophore sind In den Apotheken des ln- und Auslandes zn haben. 


„ re ul^ ie '‘ 




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Nr. 24. 


Sonntag den 15. Juni 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich anch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Medlz. Presse" 
in Wien, I., Maximlllanstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halb). 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.l., Maximilianatr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 31 ©.-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Zur Wundbehandlung ohne Drainage Von Prof. Emkuich Rkczkt in Budapest. — Therapie der 
Syphilis. Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. — Nervöse und psychische Störungen nach Exstirpation beider Hoden nebst einigen Bemerkungen 
zur Pathogenese dieser Erscheinungen in der natürlichen und künstlichen Klimax. Von Dr. M. Wkiss in Prag. — Ueber Rheostate und deren 
Verwendung in der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie mit Demonstration eines neuen, für die Praxis bestimmten Graphit-Quecksilberrheostates. 
Von R.-A. Dr. Rudolf Lkwandowski, k. k. Professor in Wien. — Referate und literarische Anzeigen. A. Biddek: Therapeutische Versuche mit 
Thiol. — Köhler: Der Bericht der zweiten „Hyderahad-Chloroform-Commission“. — Die Mikroorganismen der Mundhöhle. Von Dr. W. D. Miller, 
Professor am zahnärztlichen Institute der Universität Berlin. — Beiträge zur Him-Chirurgie. Von Dr. Emf.kich Navratil, a. ö. Professor und 
Primararzt in Budapest — Feuilleton. Die Hygiene in den Cnrorten. — Kleine Mlttbeilnngen. Eine Epidemie von hysterisch-religiöser Ekstase. — Zar 
Behandlung der harnsauren Nierensteine. — Fall von auf orthopädischem Wege geheiltei Podagra. — Behandlung der Dysenterie und des Oxyuris 
vermicnlaris mit Naphtalinklysmen und -Suppositorien. — Sulfonal gegen Chorea. — Die Behandlung der Blepharitis squamosa. — Verhandlungen 
ärztlicher Vereine. IX. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wien vom 15. bis 18. April 1890. (Orig. Ber.) IX. — K k. Gesellschaß 
der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaß der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. Eine Reform im „Wiener medicinischen Doctoren-Collegium“. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalton und klinische Vorlesungen. 

Zur Wundbehandlung ohne Drainage. 

Von Prot Emerich Röozey in Budapest. 

* Das Grundprincip der modernen Wundbehandlung ist — 
die Reinlichkeit: die Asepsis. Diese schwebte schon dem 
großen Begründer der modernen Richtung, Lister, vor Augen, 
als er Alles, was für die Wunde als Schmutz gelten konnte, 
von der Wunde zu entfernen, oder wenigstens fiir die Wunde 
unschädlich zu machen eitrigst bestrebt war. Heute wissen 
wir es Alle, daß die Reinlichkeit, die Asepsis, auf vielerlei Art 
erreicht werden kann, ja selbst auch ohne Antiseptica. Wir 
dürfen keinen Augenblick Zweifel darüber hegen, daß jene 
guten Resultate, welche Köberle , Lvwso.v Tait mit sterili- 
sirtem Wasser und sterilisirten Verbandmitteln, Neüber, 
Landaü, Senger u. A. mit Kochsalzlösungen angeblich er¬ 
reichten, wirklich erreicht wurden. Aber das Sterilisiren des 
bei der Wundbehandlung gebrauchten Wassers und der Ver¬ 
bandmittel, der Gebrauch von Kochsalzlösungen dienen nur 
demselben Zwecke, welchem die antiseptischen Mittel dienen ; 
alle wollen die Reinlichkeit der Wunde im chirur¬ 
gischen Sinne erreichen. Es sind eben nur andere Mittel 
zu demselben Zwecke: zurchirurgischenReinlichkeit. 
Die ganze Entwicklungsgeschichte der antiseptischen Wund¬ 
behandlung wird in erster Linie durch das lebhafte und rast¬ 
lose Bestreben charakterisirt, welches absolut verläßliche und 
leicht anwendbare Methoden zu ersinnen trachtet, mit denen 
die zur Wundheilung nothwendige absolute Reinlichkeit er¬ 
reichbar wäre. Dies ist die Ursache jener fast fieberhaften 
Jagd nach neuen und immer wieder neuen antiseptischen 
Mitteln, welche innerhalb eines Zeitraumes von kaum zwei 
Decennien einen ganzen Wust von Antisepticis an das Tages¬ 
licht brachte. Und so wie Lister die Ursache der den Wund- 
heilungsproceß störenden Eiterung in den Mikroorganismen 
suchte, so war unsere ganze Wundbehandlung seit Lister — 
wie dies Senger ausführt — antimycotisch, oder — wie 
sich Küstrr ausdrückt — antiparasitär, d..h. unsere 


Wundbehandlung war nicht so sehr gegen die „Sepsis“ der 
Wunde gerichtet, als vielmehr zur Verhütung der Eiterung 
gegen die Ursache der Eiterung — gegen die pyo¬ 
genen Bacterien. Jedes neu empfohlene Antisepticum wurde 
nur insoferne geprüft, ob es die der Wunde schädlichen Mikro¬ 
organismen sicherer und schneller tödtet, als die früher ge¬ 
brauchten Mittel. Und selbst heute noch weichen die dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen und Ansichten der einzelnen Chirurgen 
so sehr auseinander, daß wir in der Wundbehandlung nocli 
alles weniger>als einig sind, daß wir noch immer jene festen, 
auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Principien ver¬ 
missen, welche zur Begründung einer allgemein anerkannten 
Wundbehandlungsmethode nothwendig sind. 

Dies ist aber auch heutzutage noch unmöglich. Der 
Wundheilungsproceß ist das Resultat höchst complicirter 
Lebensfunctionen, wobei die Wirkung des zur Wundbehandlung 
gebrauchten Antisepticums nur einen Factor bildet und in 
erster Linie die complicirten chemischen Vorgänge des Orga¬ 
nismus — die „vitale Energie“ der Zellen — für das Endresultat 
ausschlaggebend sind (Senger) ; wissen wir etwa, wie viel und 
welcher Art der Einfluß der so sehr gefürchteten Mikro¬ 
organismen bei der Wundheilung sei? So lange wir alle Factoren, 
welche bei der Wundheilung mitthun, durch sorgfältiges Studium 
nicht gehörig erkannt haben — so lange wir die vitale Energie 
der Zellen im Organismus — den „Kampf der Zellen mit den 
Bacterien“, wie Vjrchow sich ausdrückt — nicht in seinen 
Einzelheiten erkannt haben, so lange wir uns keine Auskunft 
darüber verschaffen können, wie viel und in welcher Art jeder 
einzelne der zur Wundheilung noth wendigen Factoren — die 
vitale Energie der Zellen, der Einfluß der Mikroorganismen 
und die Wirkung der antimycotischen (antiseptischen) Mittel 

— bei der Wundheilung mitspielt, können wir auch keine 
allgemein giltige und unter allen Umständen sich bewährende 
Wundbehandlungsmethode haben (Senger). Die Erforschung 
des Wundheilungsprocesses nach dieser Richtung hin ist der 
Zukunft Vorbehalten. 

Bisher haben wir uns nur mit dem einen Factor der 
Wundheilung — mit dem Einfluß der antiseptischen Mittel 

— besonders beschäftigt. Die diesbezüglichen Studien sind 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 956 


demnach zwar einseitig, aber dieselben inaugurirten eine neue 
Aera in der Chirurgie, welche wir Alle durchgelebt haben. 
Möglich, daß diese Aera nur das Vorstadium einer noch 
größeren Umwälzung ist, welche die chirurgische Praxis mit 
dem gründlichen und detaillirten Erkenntnisse sämmtlicher 
Factoren der Wundheilung erleben wird; vorderhand können 
wir jedoch nur mit diesen einseitigen Studien rechnen und 
aus diesen die Consequenzen ableiten. Heute können wir bei 
der Wundbehandlung jene Verfahren, welche die Mikroorga¬ 
nismen von der Wunde fernhalten oder die Mikroorganismen 
vernichten, noch nicht entbehren. 

Das Grundprincip, das Wesen der modernen Wund¬ 
behandlungsmethode, das Streben nach Reinlichkeit, ist Allen 
schon zum Gemeingut geworden und überall anerkannt — 
aber die Wege und Mittel, welche zu diesem Ziele führen, 
sind durch die Erfahrung der Einzelnen bestimmt. Wenn es 
Chirurgen gibt, die jenes Ideal der modernen Wundbehandlung 
mit Ausschluß jedwedes antiseptischen Mittels nur durch das 
sehr umständliche und mit vielen Schwierigkeiten verbundene 
Sterilisiren der Instrumente, Verbandmittel etc. erreichen; 
wenn es Chirurgen gibt, die mit solchen antiseptischen Mitteln 
zum Ziele gelangen, welche bisher für weniger verläßlich 
galten, so ist es gewiß noch vollkommen berechtigt, daß 
Andere die chirurgische Reinlichkeit mit vollkommen verlä߬ 
lichen antiseptischen Mitteln — wie es z. B. das Sublimat 
ist — herzustellen trachten. Zu dieser letzten Gruppe zählen 
auch wir. 

Seit nahezu sechs Jahren haben wir auf unserer Ab¬ 
theilung die Sublimatbehandlung nach Schede’s Princip ein¬ 
geführt und als Antisepticum ausschließlich das Sublimat 
gebraucht. 

Und wenn wir uns heute nach mehrjähriger Erfahrung 
noch immer als treue Anhänger der Sublimatbehandlung be¬ 
kennen. so ist kein strammer Conservatismus daran schuld, 
sondern einzig und allein die bei mehreren tausend Fällen er¬ 
lebten Resultate, die Einfachheit und Billigkeit des ganzen 
Verfahrens. 

In einer früheren Arbeit 1 ) haben wir unser Verfahren 
bei der Wundbehandlung ausführlich beschrieben; wir hatten 
dort Gelegenheit, genau zu erörtern, was wir von den Ver- 
Siftungsgefahren der Sublimatbehandlung zu halten haben. 
Hier wollen wir nur so viel bemerken, daß wir bisher nicht 
nur keine schweren, sondern selbst keine leichteren Vergiftungs¬ 
fälle zu registriren hatten. Wir können es an dieser Stelle 
nicht unterlassen, nochmals und ausdrücklich zu be¬ 
tonen, daß zur Vermeidung von Vergiftungen hauptsächlich 
darauf zu achten sei, daß a) die Sublimatlösung nicht in 
übermäßigen Quantitäten angewendet werde, wie dies 
noch an vielen Stellen üblich ist; b) nichts von den Sublimat¬ 
lösungen in der Wunde zurückgelassen werde; c) bei 
jenen Kranken, welche an Darmunregelmäßigkeiten, Nieren¬ 
erkrankungen leiden, bei anämischen, decrepiden Kranken mit 
der Anwendung der Sublimatlösung sehr vorsichtig umge¬ 
gangen werden muß. Es ist unsere feste Ueberzeugung, daß 
— mit Ausnahme von einzelnen überaus seltenen Fällen — 
nicht das Sublimat als solches, sondern die nicht correcte An¬ 
wendungsweise des Sublimats die Schuld an der aufgetretenen 
Vergiftung trägt. 

Unsere Wundbehandlungsmethode ist die möglichst ein¬ 
fachste. Dieselbe hat die Einheit des Antisepticams 
zum Grundprincip, da doch das gebrauchte Antisepticum, wenn 
es diesen Namen wirklich verdient, allein genügen muß, um 
die Asepsis herzustellen. Wir können beim besten Willen 
keinen ernsten Grund dafür finden, daß man — wie es heute 
noch vielfach Gebrauch ist — die Antiseptica combinirt und 
für die prophylactisehe Desinfection des Operationsterrains, 
zur Asepsis der Wunde und in den Wundverbandmitteln ganz 
verschiedene Antiseptica gebraucht, wo dann bei einer Operation 

') „Orvosi Hetilap“, 1885, Nr. 19-21. 


Jodoform, Sublimat, Carbolsäure und Salicylsäure in Anwen¬ 
dung kommen. Hat man genug Grund und Ueberzeugung, 
daß das gewählte Antisepticum zur Herstellung der Asepsis 
genügt, so können wir uns darauf verlassen Ist das ge¬ 
brauchte Antisepticum unverläßlich, wird es einfach bei Seite 
zu legen und ein verläßlicheres zu wählen sein. Nur die 
Einheit des Antisepticums kann uns deutliche, verlä߬ 
liche Daten über den Werth unserer Wundbehandlungsmethode 
liefern, nur so können wir vollwerthige Statistiken über den 
Werth der Wundbehandlungsarten bekommen, welche dereinst 
Klarheit bringen werden in das heutige Chaos der Wund¬ 
behandlungsverfahren und zum Aufbau einer allgemein gütigen, 
auf fester wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Wund¬ 
behandlungsmethode führen können. 

Zur Wundbehandlung gebrauchen wir ausschließlich 
Sublimatlösungen in der von Schede angegebenen Concentration 
von 1 : 1000 und 1 : 2000. Die prophylactisehe Desinfection 
des Operationsterrains, der Hände und Schwämme geschieht 
mit 01% wässeriger Sublimatlösung. Die Wunde wird nach 
der Operation — größere Wunden bei länger dauernden 
Operationen auch während der Operation einige Male — mit 
0'1% Sublimatlösung abgespült. Der Verband besteht aus 
gewöhnlicher, nicht appretirter Gaze und aus BjtUNs’scher 
Watte derart, .daß auf die vereinigte Wunde unmittelbar 
mehrere Stücke mit 0*1 % Sublimatlösung getränkte und gut 
ausgedrückte Gaze als Krüllgaze gelegt werden. Solche Gaze¬ 
stücke werden in der stärkeren Sublimatlösung in gut ver¬ 
schlossenen Gläsern stets vorräthig gehalten. Die in mehreren 
Schichten aufgelegte Krüllgazelage wird nun je nach Größe 
und Form der Wunde mit mehreren größeren und kleineren 
Bauschen gewöhnlicher, nicht getränkter BauNs’scher Watte 
bedeckt, welche alle Unebenheiten des Operationsgebietes aus¬ 
füllen und das feste Aneinanderdrücken jener Theile. deren 
schnelle Vereinigung nothwendig ist, sicher und genau be¬ 
werkstelligen lassen. Der Verband wird mit Gazebinden, oder 
wenn ein ausgiebiger Druck nothwendig erscheint, mit er¬ 
härtenden Futtergaze- (Organtin-) Binden fixirt. Während der 
Operation wenden wir zum Abtupfen der Wunde Tampons 
aus BRüNs’scher Watte an, welche in der stärkeren Sublimat¬ 
lösung getränkt und ausgedrückt wurden; zur Ligatur der 
Gefäße wird Sublimatcatgut, zur Naht Sublimatcatgut und 
Sublimatseide gebraucht. Bei Wunden, welche genügend 
feste Unterlage fiir den anzuwendenden Druck bieten und 
deren Ränder genau an einander gepaßt werden können, wird 
die Naht vermieden. Die Instrumente werden — da die 
Sublimatlösung hiezu nicht gebraucht werden kann — bei 
größeren Operationen in dem STBAUß’schen Sterilisator sterilisirt, 
bei kleineren Operationen mit 5% Carbollösung desinficirt. 
Bei offenen oder solchen Wunden, welche nicht vereinigt 
werden können, oder deren Vereinigung nicht wünschens- 
werth erscheint, wird dasselbe Verfahren angewendet. Der 
erste Verband bleibt — wenn kein Fieber auftritt und das 
Wundsecret den Verband nicht früher durchtränkt — 5 bis’ 
8 Tage liegen; beim Verbandwechsel wird die schwächere 
Sublimatlösung gebraucht. (Fortsetzung folgt.) 

Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. 

(Fortsetzung.) 

Nun ist die Frage, ob es angeht, gleichviel ob der 
Patient in dieser oder jener Weise die Primärläsion acquirirt 
hat oder ob er überhaupt gar keinen Primäraffect zeigt — 
ich erinnere Sie an die sogenannte Syphilis d’emblee — nun 
ü Wochen verstreichen, und der Patient über Kopfschmerzen, 
die namentlich bei Nacht auftreten, zu klagen beginnt, in 
weiterer Folge eine Angina, Roseolen, Periostitiden und 
andere allgemeine syphilitische Erscheinungen auftreten, ob 
es nun, sage ich, in der Ordnung ist, daß ich da ruhig zusehe, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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wie das Contagium sieh weiter verbreitet und eine Krankheit 
sich unter unseren Augen entwickelt, welche unter Umständen 
sehr gefährlich werden kann, eine Krankheit, welche außer¬ 
ordentlich lange dauern kann, das ganze Leben hindurch 
Recidiven mit sich bringt, eine Krankheit, welche gefährlich 
für das Individuum, gefährlich für die Umgebung, gefährlich 
für die Nachkommenschaft ist. Sollen wir nun ruhig zuwarten, 
bis die Allgemeinerscheinungen auftreten, und dann erst thera¬ 
peutisch verfahren, oder erwächst nicht vielmehr eine directe 
Aufgabe für uns, da, wo die Leute ihren Primäraffect 
bekommen haben, gleichviel ob an dieser oder jener Stelle, von 
vorneherein der Ausbreitung des Contagiums zu begegnen und 
den Patienten gegen Syphilis zu behandeln obgleich er noch 
keine Syphilis hat? Da man weiß, daß mit der Entwicklung 
der Symptome der Mikroorganismus im Körper sich vermehrt, 
gerade wie bei Variola, bei Scarlatina. bei den Morbillen und 
bei anderen acuten Infectionskrankheiten, und da man weiß, 
daß . sobald das Contagium in die Blutbahnen gelangt, eine 
Zerstörung desselben nicht mehr so leicht ist, wie wenn das 
Gift noch an einer Stelle localisirt ist, so ist die Frage umso 
berechtigter, ob es denn doch nicht angezeigt wäre, im Voraus 
eine syphilitische Cur einzuleiten, sogleich nachdem der Patient 
mit einer Sclerose zum Arzte kommt, gewissermaßen der 
Syphilis entgegenzutreten. 

Auch auf dem letzten Congresse ist dieser Gegenstand zur 
Discussion gekommen, und ein Theil der Aerzte hat ge¬ 
funden, daß es geradezu inhuman und unwissenschaft¬ 
lich sei, wenn man die frühzeitige Behandlung unterläßt 
und wartet, bis allgemeine Erscheinungen aufgetreten sind. 

Wenn ich nach einer Verletzung irgend welcher Art, 
nach einem Schlangenbiß, nach einer Infection mit Leichen¬ 
gift, nicht warte, bis allgemeine Sepsis eingetreten, bezie¬ 
hungsweise bis das betreffende Gift von der Läsionsstelle 
in die Blutbahnen aufgenommen wird und allgemeine Ver¬ 
giftungserscheinungen aufgetreten sind, sondern sofort daran 
gehe, das Gift aus dem Organismus zu entfernen, — warum 
sollte ich das nicht auch bei einer Infection mit dem syphili¬ 
tischen Virus machen? 

Es gibt also eine Reihe von Collegen, welche sofort die 
antisyphilitische Cur einleiten, sobald der Patient mit einer 
Sclerose zu ihnen kommt. Es gibt aber sehr viele und er¬ 
fahrene Syphilidologen — und ich selbst huldige dieser Meinung 
und benehme mich darnach — daß man solange nicht be¬ 
handeln soll, bis eine Roseola aufgetreten ist; Einige glauben 
selbst dann noch mit der Behandlung warten zu sollen, wenn 
selbst Roseola aufgetreten ist. 

Ich rathe Ihnen, Ersteres ebenfalls zu thun; erstens aus 
dem Grunde, weil kein Mensch weiß, ob der Kranke, wenn er 
auch eine typische Sclerose vor sich hat, Syphilis bekommt, 
und zweitens — und das ist ein weit triftigerer Grund — hat 
die Eifahrung gelehrt, daß, wenn man vor Ausbruch der all¬ 
gemeinen Erscheinungen eine antisyphilitische Behandlung 
einleitet, die Erscheinungen des ersten Ausbruches der All¬ 
gemeinsymptome sich hinausschieben über die Zeit, die dem 
physiologischen Verlaufe entspricht. Es tritt also die Roseola 
nicht nach 7—8 Wochen, sondern viel später, nach mehreren 
Monaten und später auf. 

Wenn nun der Patient innerhalb dieser Zeit, in welcher 
Sie den Ausbruch des Exanthems erwartet haben, kein Exan¬ 
them bekommt, so ist man im Zweifel, ob er keine allgemeinen 
Erscheinungen bekommt, weil er überhaupt keine bekommen 
hätte, oder — weil er behandelt wurde. Der Patient wird 
also eine gewisse Zeit antisyphilitisch behandelt, er bekommt 
keine Erscheinungen und wird als gesund erklärt. Nun bekommt 
der Mann erfahrungsgemäß dennoch Syphilis! — und man ist 
demnach gezwungen. zum zweiten Male die Syphilis zu 
behandeln. 

Ein zweiter Nachtheil, der aus der frühzeitigen Behand¬ 
lung derartiger Patienten erwächst, ist der, daß die Erschei¬ 
nungen nicht mehr in jener Reihenfolge auftreten, wie es 


der spontanen Entwicklung der Syphilis entspricht. In dieser 
Beziehung gibt es nämlich eine gewisse Constanz. Zuerst 
tritt ein leichtes Exanthem auf, ein maculopapulöses Syphilid 
an Rumpf und Extremitäten, gleichzeitig mit Angina und 
Papeln im Mund, Drüsenschwellungen, und zwar Schwellungen 
der Inguinal-, Cervical-, Cubital- und Submentaldrüsen. 

Innerhalb einer gewissen Zeit, innerhalb weniger Monate, 
verschwinden gewöhnlich diese Erscheinungen mit oder ohne 
Behandlung. Diese Periode, die man als erste Eruptionsperiode 
bezeichnet, hat, ich möchte sagen, in der Regel einen physio¬ 
logischen Verlauf. Dann kommen einige Monate oder einige 
Wochen, wo der Patient scheinbar vollkommen gesund ist; es 
ist dies die Periode der latenten Syphilis. Nach dieser Zeit 
treten Recidiven auf, wenn überhaupt Recidiven Vorkommen, 
oder der Patient bleibt von nun an gesund. 

Wenn aber der Patient Recidiven bekommt, dann kommen 
in der Regel die Erkrankungen der tieferen Gewebe, der Mus¬ 
keln, der Knochen, der Fascien u. s. w. zum Vorschein. Wenn 
man aber die Behandlung einleitet, bevor die eigentlichen 
Syphilis-Symptome aufgetreten sind, so bleiben diese Eruptionen 
nicht aus. Sie treten auf, u. zw. in atypischer Weise, sehr häufig 
in stärkerem Grade und intensiverer Form schon zu einer Zeit, 
wo sie bei physiologischem Verlaufe nicht auftreten, d. i. die 
Patienten bekommen schon in der ersten Periode Periostitiden, 
z. B. Periostitis des Stirnbeines, ulceröse Affectionen, selbst 
Gehirnerscheinungen. Der sehr gewissenhaften Arbeit von 
Rumpf über Gehirnsyphilis, in der fast die gesammte in der 
Literatur mitgetheilte Casuistik angeführt und kritisirt wird, 
entnehmen wir, daß die Gehirnsyphilis sehr häufig bei der so¬ 
genannten anticipirten Behandlung auftritt. 

Ich sehe also erstens gar keinen Vortheil darin , wenn 
wir frühzeitig die Behandlung beginnen, weil dadurch keines¬ 
wegs das Contagium zerstört wird, und zweitens tappen wir 
dann im Finsteren herum, denn, wenn der Kränke keine 
Syphilis bekommt, weiß ich nicht, was davon zu halten, ich 
weiß nicht, ob er überhaupt Syphilis bekommen .'hätte, und 
bekommt er dennoch Erscheinungen, .so muß ich .wieder die 
Behandlung von vorne anfangen und habe mit meiner 
früheren Behandlung nichts gewonnen. Dagegen ist der Ge¬ 
winn ein doppelter, wenn ich gewartet. Es ist dies eine Er- 
fahrungsthatsache, in der allerdings keine Logik liegt, aber 
meine Herren: „Grau ist alle Theorie.“ Wenn- ich einen 
Patienten in Behandlung nehme, erst nachdem Roseolen auf¬ 
getreten, und damit mindestens dieselben Erfolge erziele, wie 
wenn ich schon von Anfang die Cur eingeleitet hätte, so habe 
ich gar keine Veranlassung, letzteres zu wählen. Habe ich 
den Patienten früher nicht antisyphilitisch behandelt, und er 
bekommt noch im vierten Monate keine Roseolen und keine 
sonstigen Erscheinungen, dann weiß ich, daß er überhaupt 
keine Syphilis bekommt, daß er sicher keine bekommen wird. Ich 
kann dies aber von Demjenigen nicht sagen, bei dem ich eine 
anticipirte Behandlung eingeleitet habe; er muß immer k 
la guette sein, und acht bis zehn Monate ist der Patient in 
Zweifel, ob er gesund ist oder ob er die Erscheinung der all¬ 
gemeinen Syphilis noch zu erwarten hat. Fernerhin ist aber diese 
Methode direct schädlich , weil, wie ich schon erwähnte, die 
Erfahrung lehrt, daß die Leute schwerere Symptome in einer 
früheren Periode bekommen. Also: Nicht behandeln, bevor 
nicht evidente Erscheinungen allgemeiner Lues da sind, und 
diese pflegen in der Regel nicht vor der achten und nicht 
nach der zwölften Woche aufzutreten. Man hat gesagt: man 
solle so lange warten, bis die Drüsenschwellungen an der ent¬ 
fernten Stelle, also Cubital- und Cerviealdrüsen, auftreten, 
weil diese Erscheinung ein genügendes Zeichen von allgemeiner 
Syphilis sei. Ich kann diese Anschauung nicht theilen und 
rathe Ihnen, das Exanthem immer abzuwarten. 

(Fortsetzung folgt.) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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Nervöse und psychische Störungen nach 
Exstirpation beider Hoden 

nebst 

einigen Bemerkungen zur Pathogenese dieser Erscbeinnngen 
in der natürlichen nnd künstlichen Klimax. 

Von Dr. M. Weiftfl in Prag. 

(Fortsetzung.) 

Seit lange ist es bekannt, daß der als Menopause oder 
natürliche Klimax bezeichnete Ausfall der Eierstöcke bei 
manchen Frauen mit einer Reihe nervöser und psychischer 
Störungen einhergeht. Allen Aerzten geläufig sind die Anfälle 
von „Wallungen“, („fliegende Hitze“, „aufsteigende Wärme“, 
„heiße Uebergießungen“), eingeleitet durch lebhafte Röthung 
des Gesichtes, gefolgt von profuser Schweißsecretion. Es ist 
ferner seit jeher bekannt, daß mit dem Cessiren der Menses 
der Charakter und das Temperament der Frauen sich zu ändern 
pflegt. Nach Briüre de Boismont äußert sich zu dieser Zeit 
häufig ein Hang zur Schwermuth, die sogar in Melancholie 
übergehen kann. Börner 2 ) gibt an, daß die geistigen Störungen 
zu den häufigsten Begleiterscheinungen der Wechselzeit ge- 
gehören. Die Aenderung der Sinnesart bilde sehr oft einen 
Vorläufer der Klimax; die Frauen werden reizbar, verdrie߬ 
lich, lassen sich sehr oft zu Zornausbrüchen hinreißen oder 
es treten melancholische Verstimmungen ein, die sich zuweilen 
zu wirklichen melancholischen Psychopathien steigern. Tilt 3 ) 
beobachtete unter 1320 Fällen weiblicher Geisteskranker 437 
im Alter von 40—50 Jahren. Krafft-Ebing *) findet in fast 
7 Proc. der weiblichen Irren den Zusammenhang der psychi¬ 
schen Störung mit dem Ausbleiben der Menstruation, und 
Meynert konnte bei 126 weiblichen Paralytikern in 16 Fällen 
das Klimacterium als Ursache der Paralyse constatiren. 

Alle diese Erscheinungen treten in stärkerem oder ge¬ 
ringerem Grade, combinirt oder einzeln, in zahlreichen Fällen 
nach Castration beider Ovarien (künstliche Klimax, Hegar) 
auf. Hegar 6 ) hat diese Zustände sofort nach seiner ersten 
Castration beobachtet und gleich ihm haben alle Gynäkologen, 
welche diese Operation öfter auszuführen in der Lage waren, 
analoge Veränderungen bei castrirten Frauen wahrgenommen 
und beschrieben. In jüngster Zeit hat Glaewecke in einer 
ungemein interessanten Abhandlung 6 ) die durch den anatomi¬ 
schen Fortfall der Ovarien hervorgerufenen körperlichen und 
geistigen Veränderungen zusammengestellt, von denen die uns 
interessirenden hervorgehoben werden sollen. 

1. „Wallungen. (Synonyma: „Fliegende Hitze“, „Con- 
gestionen nach dem Kopfe“, „Brühhitze“, „heißeUebergießungen.“) 
Sie sind von allen Beschwerden die häufigsten und auffälligsten. 
Hegar 7 ), Schmalfuss«), Pean 9 ), Tissier 10 ) haben sie überein¬ 
stimmend bei den meisten castrirten Frauen gefunden. Unter 
42 auf Werth’s Klinik in Kiel castrirten Frauen fehlten sie 
nur 9mal. 1 *) 

Nach der übereinstimmenden Schilderung aller Frauen 
laufen die Anfälle auf eine ganz typische Weise ab. Sie werden 
gewöhnlich mit einer Art Aura, einem im Abdomen localisirten 
Schmerzgefühle eingcleitet, blitzschnell folgt darauf das von 
unten nach dem Kopfe aufsteigende Hitzegefuhl, welches sich 


! ) Die Menstruation in ihren physiologischen, pathologischen nnd tliera- 
penti sehen Beziehungen. Ans dem Französischen von Kkaeet. Berlin 1842. 

*) Die Wechseljahre der Frau. Stuttgart 1886. 

3 ) On uterine and ovarian inflaimnation and on the Physiology and 
diseases of menstruation. London 1862. 

<) „Zeitschrift für Psychiatrie. 

b ) Die Castration der Frauen. Leipzig 1878. 

,: ) Körperliche und geistige Veränderungen im weiblichen Körper nach 
künstlichem Verluste der Uvarjen u. s. w. „Archiv für Gynäkologie.“ 1890. 
35 Band, 1. Heft. 

*) 1. c. 

•) Zur Castration bei Neurosen. „Archiv für Gynäkologie“, Band 26. 

*)<,, Gazette medicale de Paris“, 1880. 

,0 ) De la castration de la femme. „These de Paris“, 1885. 

“) Vergl. Glaewecke 1. c. S. 23. 


äußerlich durch lebhafte Röthung des Gesichtes kenntlich 
macht. Nach , / 2 —3 Minuten verschwindet die Hitze, und unter 
Nachlaß der Beklemmung erfolgt Schweißausbruch, worauf 
die Frauen matt und abgeschlagen sind. 

Diese Anfälle setzen nicht sofort nach der Castration, 
sondern erst mehrere Wochen später ein, sowie auch 
bei der natürlichen Klimax die heißen Begießungen erst 3 bis 
4 Monate nach dem Cessiren der Menses auftreten. 
Sie kommen verschieden häufig und nach unregelmäßigen Inter¬ 
vallen, in der Regel 10—12raal des Tages, zuweilen blos 
2—3mal, oder auch alle 5 Minuten; die Durchschnittsdauer 
ihres Bestehens ist 2—3 Jahre, die kürzeste 1 Jahr, dielängste 
bisher beobachtete 6 Jahre; bei längerem Bestände verlieren 
sie allmälig an Intensität. 

2. Schweiße. Sie werden sowohl bei natürlicher als 
künstlicher Klimax beobachtet. 

Nach einer Tabelle von Tilt 12 ) litten von 500 Frauen 
im kritischen Alter 300 = 60 Proc. an mehr oder weniger 
profusen Schweißen. Hegar 13 ) sah dieselben auch bei castrirten 
Frauen. Glaewecke u ) fand sie in 43 operirten Fällen 14mal 
= 32’5 Proc. Die Schweiße sind über den Körper verbreitet, 
am stärksten aber erscheinen sie im Gesichte. Der Schwei߬ 
ausbruch erfolgt ohne jede Veranlassung, zuweilen auch ohne 
vorangegangene Wallungen, ist an keine Tageszeit gebunden 
und wird oft durch seine Intensität sehr lästig. Die Schwei߬ 
anfälle kommen gewöhnlich erst 3 Monate' nach der Operation 
und bestehen durchschnittlich l 1 s Jahre, in seltenen Fällen 
sogar 5 Jahre. 

3. Schwindel. Er kommt bei der natürlichen Klimax 
sehr häufig vor und erreicht zuweilen eine solche Heftigkeit, 
daß Tilt von einem „Pseudo Narcotismus“ bei klimacterischen 
Frauen spricht. Glaewecke 16 ) hat ihn bei seinen 43 castrirten 
Frauen in 8 Fällen = 18'6 Proc. beobachtet. 

Die Schwindelanfälle kommen verschieden häufig, dauern 
einige Minuten und waren bei einigen Frauen so heftig, daß 
sie sich am nächsten Gegenstände anklammerten, manchmal 
auch niederstürzten. Eine Frau bekam die Anfälle in der Nacht 
und sie hatte das Gefühl, als ob sie mit dem Bette durch die 
Luft flöge. Bei einer anderen Operirten erinnerten die An¬ 
fälle an petit mal, indem sie mit Erblassen des Gesichtes, 
momentaner Bewußtlosigkeit, aber ohne Zuckungen einher¬ 
gingen. 

4. Herzpalpitationen, Kopfschmerzen. Auch 
diese Erscheinungen sind bei der natürlichen Klimax ein sehr 
häufiges Vorkommen. Bei castrirten Frauen konnte sie Glae¬ 
wecke in 9 Proc. aller Fälle beobachten. Die Herzpalpitationen 
schlossen sich immer an die Wallungen an und erreichten nie 
einen besonders hohen Grad, die Kopfschmerzen dagegen be¬ 
reiteten sehr oft durch ihre Heftigkeit und Intensität eine 
große Qual. 

5. Gedächtnißschwäche. Pean 16 ) sah nach der 
Castration mehrfache „des pertes de connaissance“ auftreten. 
Von Glaewecke’s Operirten litten 2 an zunehmender Gedächtni߬ 
schwäche. 17 ) 

6. Erscheinungen vom Magen- und Darm¬ 
schlauch sah Glaewecke in einigen Fällen auftreten. Eine 
Kranke hatte öfter im Tage Ueblichkeiten, eine andere mehr¬ 
maliges Erbrechen; einige hatten Diarrhoen , andere hart¬ 
näckige Stuhlverstopfung. (Förmliche gastrische Crisen, wie 
sie mein Kranker bot, werden nicht angegeben.) 

7. Psychische Störung. Hegar 18 ) hat bei castrirten 
Frauen ähnliche Veränderungen im psychischen Verhalten wie 
zur Zeit der Menopause gesehen. 

**) 1. c. nnd Krieger: Di© Menstruation. Berlin 1869. 

,a ) 1. c. 

M ) 1. c. S. 27. 

,l ) 1. c. S. 28. 

16 ) „Gazette mödicale de Paris“, 1880. 

”) 1 e. Seite 31. 

“') Die Castration der Frauen. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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Nach Werth 19 ) sind psychische Störungen nach Castration 
durchaus nicht selten. 

Sie sind gewöhnlich melancholischer Natur, gehen oft in 
wirkliche Psychosen über, und mehrere Kranke haben sogar 
durch Selbstmord geendet. Unter 33 seiner operirten Fälle, 
von welchen Glaewecke genaue Angaben über das psychische 
Verhalten nach der Castration erlangen konnte, zeigten 11 = 
33*3 Proc. einen schwerraüthigen, melancholischen Zustand. 
„Die Frauen hatten keine Lust zur gewohnten Beschäftigung, 
es fehlte ihnen der Muth und das Zutrauen zu sich selbst; 
in schweren Fällen brüteten sie dumpf vor sich hin und weinten 
ohne bestimmte Veranlassung.“ Die Schwermuth steigerte 
sich oft zur wirklichen Melancholie. In 3 Fällen entwickelten 
sich ausgesprochene Psychosen, welche sich bei einem zu einer 
schweren und unheilbaren gestaltete. Bei dieser erblich schwer 
belasteten Kranken entwickelte sich 6 Wochen nach der 
Castration vollkommene Melancholie, sie machte einen Selbst¬ 
mordversuch und mußte längere Zeit in einer Irrenanstalt 
zubringen. 

Halten wir nun die bei meinem Kranken na ch 
der Castration aufgetretenen nervösen und psy¬ 
chischen Erscheinungen mit denjenigen zusammen, 
die nach dem Ausfall der Eierstöcke beobachtet 
werden, so sehen wir, daß sie sich nicht nur be¬ 
züglich ihrer Form, In- und Extensität voll¬ 
kommen decken, sondern daß auch eine Congru- 
enz betreffs des zeitlichen Auftretens und Ab¬ 
klingens vorhanden ist, und daß daher die An¬ 
nahme eines causalen Connexes zwischen der 
Exstirpation der Hoden und der aufgetretenen 
Störungen ihre volle Berechtigung hat. 

(Schloß folgt.) 


Ueber 

Bheostate und deren Verwendung in der 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie 

mit Demonstration eines nenen, für die Praxis bestimmten 
Graphit-Quecbsilberrheostates. 

Von R.-A. Dr. Rudolf Lewandowaki, k. k. Professor 

in Wien. 

(Schloß.) 

. Da der Graphit-Quecksilberrheostat (Fig. 5; Nr. 21), nur in 
horizontaler Lage zu gebrauchen ist, sich aber nicht gut in ver- 
ticaler Lage fixiren läßt, was beispielsweise bei Verbindung 
des Rheostates mit einem Inductionsapparate nöthig werden 
kann, habe ich im Verein mit J. Leiter noch andere 
Graphitrheostate ausgeführt, die einerseits einen erheblichen 
Widerstand besitzen, andererseits aber in gleicher Progression 
des Widerstandes zu-, beziehungsweise abnehmen. Der eine 
dieser Rheostate ist indeß, was hier gleich erwähnt werden muß, 
nur zur fixen Vereinigung mit Inductionsapparaten bestimmt. 
Bei diesen kommt es ja gar nicht auf ein gapz allmäliges Zu¬ 
oder Abnehmen des Widerstandes ohne jede Stromesschwankung 
an, da jeder Inductionsschlag nicht nur eine Stromesschwankung, 
sondern vielmehr eine complete Stromesunterbrechung, ja sogar 
eine Richtungswendung des Stromes herbeiführt, aus welchem 
Grunde auch für diesen Zweck vom directen Gleiten des 
Schleifcontactes unmittelbar am Graphitwege Abstand ge¬ 
nommen werden konnte. Dafür ließ sich aber der Graphitweg 
erheblich verlängern und dadurch ein sehr großer Widerstand 
erzielen. Die Ausführung ist in Kurzem wie folgt: An der 
Unterseite einer kreisförmigen Hartgummiplatte von 10 Cm. 
Durchmesser sind 70—100 zündhölzchendünne und je 30 Mm. 
lange Holzstäbchen, die vorher in eine recht dünnflüssige 
Graphitmischung getaucht waren, radiär angeordnet und be- 

,9 ) „Centralblatt Air Gynäkologie“, 1888. Nr. 24. 


festigt. Das Ende des einen und der Anfang des nächsten 
Stäbchens ist an der Oberseite der Hartguramischeibe durch 
je eine Metalllamelle verbunden. Diese Metalllamellen sind 
so breit, daß der Schlußschieber (Contactfeder) beim Ver¬ 
schieben über dieselben nirgends die Hartgummischeibe be¬ 
rührt. Diese, wie eben besprochen, montirte Platte bildet 
den Deckel einer kleinen Hartgummibüchse. Dieser Rheostat 
vermag den secundären Strom einer 10 Cm. langen Spule 
von 5000 Windungen nahezu vollständig auszulöschen, 
dagegen würde er bei Einschaltung in die Hauptschließung 
eines constanten Stromes ebenfalls nur Stromesschwankungen 
verursachen, welchem Uebelstande innerhalb der hier in Be¬ 
tracht zu ziehenden Strombreiten unter allen in diesen Zeilen 
besprochenen Rheostaten einzig und allein nur der Graphit- 
Quecksilberrheostat (Fig. 5) zu begegnen vermag, der veri- 
tables Ein- und Ausschleichen, Einstellung jed¬ 
weder Stromesstärke, sowie Ausnützung der ge- 
sammten disponiblen S t r o m e s i n t e n si t ä t der 
Batterie gestattet, somit dem Bedürfnisse dei 
Praxis entspricht 

Die Ausführung dieses, vertieal zu befestigenden Graphit- 
rheostates ergab, daß er sich nicht zu einem für die prak¬ 
tischen Bedürfnisse eignenden Preise hersteilen lasse, weshalb 
daran gedacht werden mußte, das Princip des Graphitqueck- 
silberrheostates auch fiir verticale Aufstellung auszunützen. 
Es lag nahe, auf die Idee, die meinem ersten Graphitrheostat 
zu Grunde lag, zurückzukehren. Eine Glasröhre, ein Hart- 
gummicylinder mit einem in engen Spiralwindungen aufge¬ 
tragenen Graphitstreifen, in die Glasröhre etwas Quecksilber, 
das beim Hinabschrauben des Hartgummicylinders verdrängt 
wird und nach aufwärts steigt und so allmälig eine Graphit¬ 
windung nach der andern berührt, beziehungsweise einschaltet, 
während vom Quecksilber und vom Anfänge des Graphit¬ 
weges am Oberrande des Verdrängungscylinders die Zu¬ 
beziehungsweise die Ableitung ausgeht, waren die Prin- 
cipieu, nach denen J. Leiter einen zweckentsprechenden 
Rheostat für verticale Aufstellung ausführte. Um der Zerbrech¬ 
lichkeit des Glases aus dem Wege zu gehen, wurde gleich 
das nächste Exemplar aus Hartgummi hergestellt, und zwar 
in folgenden Dimensionen: Eine Hartgummiröhre von 13 Cm. 
Länge und 15 Mm. Querschnitt ist mittelst einer Klemme 
vertieal fixirbar. In diese Hartgummiröhre werden 5 Cubikcm. 
Quecksilber eingetragen. Der Hartgummicylinder, der in 
89 Touren an der Peripherie seiner Mantelfläche den Graphit¬ 
streifen besitzt, mißt 9 Cm. in der Länge und 13 Mm. im 
Querschnitt. Der Anfang des Graphitweges ist oben mittelst 
eines Platindrahtes mit einem wohl vernickelten 6 Cm. langen 
und 3 Mm. dicken Metallstab verbunden, der in dem Hartgummi¬ 
cylinder festgemacht wurde. Dieser Metallstab geht durch die 
Stopfbüchse, die als Deckel über die Hartgummiröhre ge¬ 
schraubt werden kann, nach aufwärts und ist innerhalb eines 
auf diese Stopfbüchse aufgeschraubten seitlich geschlitzten 
Hartgummirohres von 5 Cm. Länge und 20 Mm. Querschnitt 
an die (mit einer Polklemme armirte) Schraubenmutter einer 
seitlich in diesem geschlitzten Rohre mittelst eines Hartgummi¬ 
knopfes um ihre Axe drehbaren Schraubenspindel fixirt. Dreht 
man diesen Schraubenkopf nach links, so senkt sich der die 
Graphitwindungen tragende Hartgummicylinder allmälig nach 
abwärts und verdrängt das Quecksilber, welches höher steigend 
immer mehr Windungen ausschaltet, somit den Widerstand 
vermindert. Dreht man den Schrauben köpf dagegen nach rechts, 
so wird der Hartgummicylinder nach und nach emporgehoben, 
bis er ganz außerhalb des Quecksilbers zu stehen kommt, 
in Folge dessen der Widerstand stetig zunimmt. — Die von 
der Schraubenmutter, an welche der Führungsstab befestigt 
ist, ausgehende Polklemme bildet die Ausleitung vom Anfänge 
des Graphitbandes. Durch den Boden der Hartgummiröhre geht 
ein Platinadraht nach Innen, der außerhalb an der Peripherie 
: der Hartgummiröhre mit einer zweiten Polklemme in Verbin- 
I düng steht, welche die Ausleitung vom Quecksilber besorgt. 


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Das Aufträgen der Graphitmisehung auf den Hartgumrai- 
cylinder war nicht leicht und gelang J. Leiter erst bei An¬ 
wendung einiger mechanischer Kunstgriffe. Nunmehr ist 
jedoch die Graphitmasse in den Vertiefungen des Schrauben¬ 
gewindes als zusammenhängender Graphitstreif aufgetragen 
und in der Ebene der Mantelfläche dieses Cylinders glatt¬ 
geschliffen. Die Polklemme, welche die Ableitung vom An¬ 
fänge des Graphitweges besorgt, steigt beim Drehen des 
Hartgummidrehknopfes in dem Schlitze des der Stopfbüchse 
aufgesetzten Rohres nach abwärts, beziehungsweise beim 
Zurückdrehen nach aufwärts. Die Schlitzränder sind ent¬ 
sprechend dem Spielräume dieser Bewegung in 10 Theile 
getheilt und mit Querstrichen und Ziffern beiderseits markirt, 
um über den Stand des Verdrängungscylinders orientirt zu 
sein. In seiner Functionirung entspricht dieser Rheostat eben¬ 
falls ganz und gar dem Dr. Lewandowski und J. LKiTER’schen 
Graphit - Quecksilberrheostat (Fig. 5 dieses Aufsatzes). Der 
HO 0 Mm. lange Graphitweg ermöglicht ganz allmälig eine 
Stromstärke von 00 M.-A. bis auf 0 zu reduciren, voraus¬ 
gesetzt, daß der Hartgummicylinder vertical steht, man reines 
Quecksilber verwendet und darauf sieht, daß es nicht vor dem 
Gebrauche durch Adhäsion an dem Graphitbande hängen bleibe. 
Das langsame Drehen ist hier schon durch die lange Schrauben¬ 
spindel bedingt. Beim Horizontal-Apparate (Fig. 5) muß man auch 
besonders gegen Ende des Graphitweges immer langsamer 
und langsamer drehen — wie eine Mikrometerschraube unter 
steter Controle des Galvanometers, an dem man mit den beiden 
Graphit-Quecksilberrheostaten jede beliebige Stromstärke ein- 
sehalten und den Strom ganz allmälig ansteigen lassen, somit 
wirklich ein- und ausschleichcn kann, was das Ziel bei Con- 
struction dieser für die Praxis bestimmten Apparate war, der 
sie hiemit (mit Umgehung der sonst üblichen Patentirung) 
übergeben sein mögen. 


Referate und literarische Anzeigen. 

A. Bidder: Therapeutische Versuche mit Thiol. 

Zahlreiche Versuche, die Verf. mit Thiol gemacht hat und 
deren Resultate er in Nr. 22 der „Deutsch, med. Woch.“ veröffent¬ 
lichte , haben ergeben, daß das Mittel nur äußerlich angewendet, bei 
acuten und subacuten Affectionen der Haut, seien sie nun nervöser, 
infectiöser oder traumatischer Natur, seien sie durch chemische oder 
physikalische Einflüsse entstanden, in der Kegel vorzüglich und schnell 
heilend wirkt. Aehnlieh ist der Erfolg bei vielen anderen acuten 
chirurgischen Leiden der unter der Haut und tiefer liegenden 
Gewebe. 

Wirkungslos scheint das Mittel nach Verf. aber meistens 
bei chronischen Infectionen der Haut und der dai unter liegenden 
Gewebe und bei den Dermatomycosen zu sein; auch bei tuber- 
culösen Affectionen der Haut und Lymphdrüsen ist ein Nutzen vom 
Thiol nicht zu erwarten. Chronische Entzündungen müssen eben 
zunächst in acute übergeführt, und Pilzbildungen müssen durch 
energische Mittel zerstört werden. Zu beiden eignet sich das selbst 
in concentrirtester Form milde, nicht reizend und nur in gewisser Art 
antiseptisch wirkende Thiol nicht. Das Thiol wirkt auf das Gewebe 
Sauerstoff entziehend, dadurch verschlechtert es vielleicht den Nähr¬ 
boden für Schimmelpilze und ähnliche Bildungen nicht, während im 
Gegentheil wahrscheinlich der schnelle Erfolg des Thiols bei Ery¬ 
sipel, Lymphangoitis u. s. w. gerade dadurch zu erklären ist, daß 
es durch Sauerstoffentziehung den Nährboden für Spaltpilze unbrauchbar 
macht. 

Bemerkenswerth ist weiters, daß Thiol von sehr wohlthätigem 
Einfluß auch bei einigen mehr chronischen Erkrankungen ist, so bei 
fixirtem pararticulärem Rheumatismus, bei Acne vulgaris und rosacea, 
und zwar selbst bei nur innerlichem Gebrauch. B. hat das Thiol 
fast in allen Fällen in ziemlich concentrirter Form angewendet, oft 
nur mit so wenig Glycerin verdünnt, daß es flüssig erhalten bleibt. 
In der Regel wurde das Mittel zu gleichen Theilen mit Wasser 
oder Glycerin und Wasper verdünnt und die Mischung mit einem 


Pinsel auf die erkrankte Stelle aufgetragen; darüber wurde dann 
entweder nur eine dünne Wattaschichte oder ein Stück Gnttapercha- 
papier gelegt. Oft genügt nur eine einmalige Einpinselung, öfters 
wurde sie. in 2—Htägigen Intervallen wiederholt. Muß das Gesicht 
behandelt werden, so genügt es bei erwachsenen Personen, die ihren 
Geschäften nachgehen müssen, die Einpinselung Abends vorzunehmen 
und die behandelte Stelle am anderen Morgen durch Waschung mit 
gewöhnlichem Wasser zu reinigen. 

Das Thiolum siocum eignet sich vortrefflich zum Bepudern 
intertriginöser Hautstellen, nässender Eczeme uud auch zum Be- 
etreucn von Excoriationen und kleinen oberflächlichen oder tiefer 
dringenden Wunden. Dabei wurden niemals Reizerscheinungen, 
meistens rasche Eintrocknung und Heilung unter dem Schorf beob¬ 
achtet, bei Eczem wurde in der Regel, wenn nöthig, die bedeckende 
Kruste zunächst entfernt, darauf eine Abspülung mit Sublimatwasser 
uud endlich die Bepinselung oder Bepuderung mit Thiol vorge¬ 
nommen. Es tritt oft schon nach einmaliger Behandlung, meist 
erst später Heilung oder Besserung ein. Wirkungslos ist es in 
chronischen Fällen, dagegen hat es die angenehme Eigenschaft, 
daß cs bei Mischformen des Eczems mit anderen Processen, z. B. 
Kratzeffecten etc., eine Art Auslese bewirkt, die eine Affection be¬ 
seitigt und somit eine klarere Einsicht in die zurückbleibenden 
Leiden gestattet. Recidive sind selbstverständlich nicht ausge¬ 
schlossen. Ueberraschend ist die Heilwirkung des Thiols bei Ery¬ 
sipel und ähnlichen Erkrankungen. 

Bepinselt man nicht nur die gerötbetc Hautstelle, sondern 
auch eine breite Zone der umgebenden gesunden Haut, so ist am 
anderen Tage nicht allein die Röthung schon fast verschwunden, 
sondern auch das Fieber und afle unangenehmen Begleiterschei¬ 
nungen gewichen. Nach einer zweiten Einpinselung erscheint die 
Heilung definitiv. Bei phlegmonösen Schwellungen ist die Wirkung 
nach einer einmaligen Anwendung des Mittels oft ganz verschwunden. 
Bei Herpes hören die Schn.erzen rasch auf, die Pusteln trocknen 
und fallen ab und schon nach 2—3 Tagen tritt Ueberhäutung ein. 
Ebenso rasch schwinden die Symptome der Periphlebitis, die so 
häufig in Begleitung von Varicen der Unterschenkel eintritt, hin¬ 
gegen hat das Thiol auf die Fußgesohwüre gar keinen Einfluß. Bei 
Frostbeulen tritt auf Thiolanwendung eine rasche Abnahme der 
Schwellung ein und eitrige Geschwüre heilen rasch. In 2 Fällen 
von Verbrennungen erfolgte die Heilung binnen wenigen Tagen 
unter dem Schorf-. Eine eben solche unmittelbare Schorfheilung 
tritt auch ein bei kleinen Wunden, bei Trennung der Epidermis vom 
Corium, bei oberflächlichen eiternden Wunden, bei deuen aus ver¬ 
schiedenen Gründen die Prima intontio verhindert war. Bei acuten 
Drüsenschwcllungen, Ergüssen in’s Gelenk und in Sehnenscheiden« 
schien unter Einwirkung des Thiols die Resorption beschleunigt zu 
werden. Ein ähnlich guter Einfluß ließ sich bei Distorsionen, sub- 
cutanen Blutergüssen n. s. w. bemerken. Innerlich kann das Mittel 
in Form von Tropfen, Pillen oder in anderer Weise in Dosen von 
0'5—2 Grm. täglich gegeben werden. Die Patienten nehmen es 
nicht ungern. Es scheint die Verdauung nicht zu schädigen und 
einen befördernden Einfluß auf die Stuhlentleerung zu haben. S. 


Köhler : Der Bericht der zweiten „Hyder&b&d-Chloro- 
form-Commission“. 

Diese Commission hat in ihrem in „The Lancet“ veröffent¬ 
lichten Berichte die Resultate der an verschiedenen Thieren (auch 
an Affen) vorgenommenen Versuche über die Wirkung der Chloro¬ 
formdämpfe veröffentlicht und bezüglich des praktisch wichtigsten 
Theiles der Untersuchungen — des Einflusses des Chloroforms auf 
das Fettherz — gefunden, daß das Chloroform an und 
für sich dabei in keiner Weise gefährlich ist, daß es 
im Gegentheil durch Herabsetzung des Blutdruckes die Arbeit des 
Herzens erleichtert. Da aber das Inhaliren von Chloroform nur ein 
Thcil der Procedur in der Praxis ist, kann ein Kranker mit Fett¬ 
herz bei der Anstrengung, den Operationstisch zu besteigen, sterben, 
so gut, wie er beim Treppensteigen oder vor Schreck beim Gedanken 
an Narcose oder Operation oder während des unwillkürlichen 
Sträubens im Beginne der Narcose zu Grunde gehen kann. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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Die praktischen Schlußfolgerungen sind — nach 
Mittheilung Köhler’s („D. med. W. M , 1890, Nr. 14) — folgende: 

1. Absolut nothwcndig sind: Rückenlage und volle Frei¬ 
heit des Athmens. 

2. Wenn aus irgend einem Grunde die Rückenlage während 
der Chloroformbetäubung nicht beibehalten werden kann, dann muß 
ganz besonders auf die Athmung geachtet werden, um Asphyxie 
oder zu große Dosis zu vermeiden. Besteht dabei über den 
Zustand der Athmung irgend ein Zweifel, dann muß 
der Patient sofort wieder flach auf den Rücken ge¬ 
legt werden. 

3. Um absolute Freiheit der Respiration sicherzustellen, ist 
enge Bekleidung an Hals, Brust und Bauch streng zu ver¬ 
meiden. Keiner der Assistenten oder Znschauer darf auf 
irgend einen Theil der Brust oder des Bauches 
des Pat. einen Druck ausüben, auch wenn dieser sich heftig 
sträubt. Er ist ausschließlich durch Druck auf die Sohultern und 
Becken oder Beine, also ohne die Möglichkeit einer Behinderung 
der Athembewegungen, niederzuhalten. 

4. Ein besonderer Apparat ist um so weniger nothwendig, 
als er möglicherweise in gewissem Grade die Asphyxie begünstigt. 
Außerdem absorbirt er einen Theil der anderweitig nöthigen Auf¬ 
merksamkeit. Kurz, wie er auch beschaffen sei, er bildet eine 
Gefahr für die Narcose. Ein passender Inhalator (Maske) ist eine 
offene Düte mit etwas Watte in der Spitze. 

5. Bei Beginn der Narcose darf man die Maske nicht 
zu dicht auf Mund und Nase halten, um Erregung, Sträuben oder 
Anhalten des Athems zu vermeiden. Wenn dies eintritt, dann 
maß sehr vorsichtig darauf geachtet werden, daß bei den tiefen 
Inspirationen, welche folgen, nicht zu viel Chloro¬ 
form eingeathmet wird. Ist der Athem ruhig und fängt der Pat. 
an einzuschlafen , dann darf die Maske dicht vor das Gesicht ge¬ 
halten werden; Alles, was dann zu beobachten ist, ist die Horn¬ 
haut und die Athmung. 

G. Bei Kindern ermöglicht das Schreien freiesten Zutritt von 
Chloroform zu den Lungen; da aber bei ihnen Strampeln und An¬ 
halten des Athmens kaum zu vermeiden ist und ein oder zwei 
Züge Chloroform ausreiehen können, um Anästhesie 
herbeizuführen, sollte man während der ersten tiefen Inspira¬ 
tionen, welche folgen, immer etwas frische Luft mit ein- 
athmen lassen. — Bei allen sich sträubenden Individuen, besonders 
bei Kindern, muß die Maske nach 1 oder 2 tiefen Inspirationen 
entfernt werden, weil schon genug Chloroform eingeathmet sein 
kann, um Anästhesie herbeizuführen; einerlei, ob dies nur scheinbar 
ist, oder ob die Anästhesie nach dem Fortlassen des Chloroforms 
noch tiefer wird. Convulsionen lassen sich bei Erwachsenen am 
leichtesten vermeiden, wenn während der Inhalationen nach jeder 
Einathmung energisch ausgeathmet wird. 

7. In der Regel ist die Narcose tief genug, wenn Berührung 
der Oberfläche des Bulbus (es braucht nicht die Hornhaut zu sein) 
kein unwillkürliches Blinken mehr hervorruft. Niemals soll ein 
Anästheticum bis zum Aufhören der Athmung gebraucht werden. 
Ist die Hornhaut unempfindlich, dann soll der Pat. durch gelegent¬ 
liche Inhalationen vorsichtig betäubt gehalten werden, damit er 
nicht erwacht, und das Stadium der Excitation und des Widerstandes 
wieder eintritt. 

8. Die Operation darf nicht eher begonnen werden, 
bis der Pat. gut betäubt ist, damit die Möglichkeit des Todes 
durch Shock, Angst oder Schreck ausgeschlossen ist. 

9. Der Chloroformirende hat nur auf die Athmung 
zu achten; dafür zu sorgen, daß diese ungestört 
bleibt, ist seine einzige Pflicht. 

10. Womöglich soll während der Narcose Brust und Bauch 
frei sein, damit die Athembewegungen beobachtet werden können. 
Tritt eine Störung der Athmung ein (Anhalten des Athems oder 
Stertor), sei sie auch noch so gering, oder ganz zu Anfang des 
Chloroformirens, dann muß man pausiren, bis sie wieder normal ist. 
Das mag zuweilen zeitraubend und unbequem sein; aber die Er¬ 
fahrung wird mit der Athmung in Narcose bald so vertraut machen, 
daß man Störungen früh genug bemerkt, um sie ohne Zeitverlust 
zu beseitigen, ehe Gefahr vorhanden ist. 


11. Wenn die Athmung schwierig wird, dann 
muß der Unterkiefer vorgeschoben werden, so daß die 
untere Zahnreihe vor der oberen steht. Dadurch wird die Epiglottis 
gehoben und der Kehlkopf frei. Zugleich kann man, bis die Störung 
vorüber ist, die Athmung künstlich unterstützen. 

12. Wenn aus irgend einem Grunde die Athmung aufhört, 
dann muß sofort die künstliche Respiration eingeleitet werden; der 
Kopf wird tiefgelegt, die Zunge hervorgezogen und rhythmische 
Compression der Brust ausgeführt. Die künstliche Athmung soll bo 
lange fortgesetzt werden, bis sich die natürliche zweifellos vollständig 
wiederhergestellt hat. 

13. Kleine Gaben Morphium kann man vor der Narcose 
injiciren, weil dies die Patienten für lang dauernde Operationen 
länger anästhetisch macht. Es spricht nichts dafür, daß 
Atropin dabei irgend einen Nutzen hat; es kann im Gegentheil 
schädlich sein. 

14. Alkohol kann, wo er keine Erregung hervorruft, vor der 
Narcose mit Vortheil gegeben werden; er bat nur die Wirkung, 
dem Patienten Vertrauen einzuflössen und die Circulation zu regeln. 

Die Commission zweifelt nicht daran, daß das 
Chloroform, nach diesen Regeln ge braucht, in jedem 
Falle leicht und gefahrlos zu verwenden ist. 

Ein bei geringen Gaben gefährlich es IIerzgift 
ist das Chloroform daher nicht; es bewirkt nur bei 
zu großer Dosis und bei Behinderung der Athmung 
eine gefährliche Herabsetzung des Blutdruckes. 

_ R. 

Die Mikroorganismen der Mnndhöhle. Von Or. W. 
D. Miller. Professor am zahnärztlichen Institute der Universität 
Berlin. Leipzig 1889. Georg T h i e m e. 

Das Capitel über die Mikroorganismen der Mundhöhle ist eines 
der schwierigsten und wenigst gekannten der Bacterienkunde, und 
dennoch ist die Kenntniß dieser Mikrobien nicht nur für den Zahn¬ 
arzt, sondern für jeden Arzt von der größten Wichtigkeit. Gibt 
es doch, ganz abgesehen von Erkrankungen der Zähne, eiue Reihe 
von Krankheiten in der Mundhöhle, die durch Mikroorganismen 
hervorgerufen werden, und bildet doch die Mundhöhle die Eingangs¬ 
pforte für. eine Reihe von Mikrobien, die ihre Verheerungen an 
ganz entfernten Stellen im Organismus anrichten und deren Kenntniß 
ein wohlthuendes Licht auf viele, gegenwärtig dunkle Fälle werfen 
könnte. Es war daher eine dankenswerthe Aufgabe, der sich der 
auf diesem Gebiete rühmlichst bekannte Verfasser unterzogen hat, 
unsere Kenntnisse von den Mikroorganismen der Mundhöhle syste¬ 
matisch darzustellen und dieselben durch zahlreiche eigene Unter¬ 
suchungen und Studien beträchtlich zu erweitern. 

Der Inhalt des dem Sanitätsrathe Dr. S. Guttmann gewid¬ 
meten Buches zerfällt in 2 Hauptabschnitte: Der erste behandelt 
den allgemeinen Theil, der zweite die pathogenen Mundpilze und 
die durch dieselben erzeugten Erkrankungen. Nach einem kurzen, 
aber prägnanten Umriß der Morphologie und Biologie der niederen 
Pilze beschreibt Verf. die im Munde vorhandenen Nährstoffe für 
Bacterien. Im 3. und 4. Capitel werden die Entwicklung der Lehre 
von den Mikroorganismen der Mundhöhle und die Mundpilze als 
Krankheitserreger besprochen. Das 5. Capitel behandelt die Wir¬ 
kung der Gährungsproducte auf die verschiedenen Gebilde der Mund¬ 
höhle und die verschiedensten Theorien der Zahnoaries. 

Der interessanteste und lehrreichste, weil auf zahlreiche eigene 
Untersuchungen und Erfahrungen des Autors fußende Theil des 
Buches ist der der Histologie, Aetiologie und Prophylaxe der Zahn- 
caries gewidmete. Namentlich das Capitel über die Bekämpfung der 
Zahncaries durch pilztödtende Mittel und die antiseptische Wirkung 
von Füllungsmaterialen sind in praktischer Beziehung von großem 
Interesse. 

Während der erste Abschnitt vorwiegend das Specialgebiet 
der Dentistik betrifft, weist der zweite zahlreiche Berührungspunkte 
mit der allgemeinen Medicin auf. Von großer Bedeutung für die 
Pathogenese der Infectionskrankheiten ist die Besprechung der 
toxischen Eigenschaften des gemischten Mundspeichels, diejenige der 
pathogenen Mundpilze und besonders das Capitel über die Eingangs- 


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pforten der pathogenen Mundpilze. Einige kurze Bemerkungen 
über Sproß-, Schimmel- und Schleimpilze bilden den Abschluß dieses 
interessanten Werkes, dessen eingehendes Studium jedem Arzte 
dringend zu empfehlen, für jeden Zahnarzt geradezu unentbehrlich ist. 
Aber auch der selbst forschende Fachgelehrte wird in diesem Buche 
eine Fundgrube von lehrreichen Anregungen finden. 

Zum Schlüsse wollen wir nicht unterlassen hervorzuheben, daß 
die Verlagshandlung dem gediegenen Inhalte eine würdige äußere 
Form gegeben hat. Sch. 

Beitr&ge sur Hirn-Chirurgie. Von Dr. Em. Navratil, a. ö. 

Professor u. Primarius in Budapest. Stuttgart. 1889. Ferd. Enke. 

Verf. legt an der Hand von 11 Krankengeschichten seine seit 
10 Jahren gewonnenen Erfahrungen und Ansichten betreffs Schädel¬ 
operationen wegen Hirnabsceß, traumatischer Epilepsie, sowie offener 
Hirnverletzungen nieder und empfiehlt wärmstens ein energischeres 
chirurgisches Verfahren, als es bisher in solchen Fällen allgemein 
üblich war. 

Bezüglich der technischen Details hält Navratil auf genaue 
Asepsis während der Operation, antiseptische Verbandmittel, nament¬ 
lich Jodoform, und ist sehr freigebig mit Irrigationen vou 1%0 
Sublimatlösung, welche lauwarm zur Anwendung gelangt. Navratil 


F e u i 11 e t o n. 


Die Hygiene in den Curorten. 

Die epochalen Entdeckungen der Mikroorganismen, das Studium 
ihrer biologischen Eigenschaften und ihrer Beziehungen zu Luft, 
Boden, Wasser etc. haben eine fundamentale Umwälzung in allen 
Zweigen der medicinischen Wissenschaften hervorgerufen, eine Um¬ 
wälzung, die nicht nur auf unsere theoretischen Anschauungen, 
sondern auch auf unser tägliches Handeln einen mächtigen Einfluß 
ausübt. Vor Allem ist es die Hygiene, die Gesundheitslehre, welche 
unter der Einwirkung der Bacterienlchre eine so gründliche Reform 
durchgemacht bat, ja zum Theil noch durchmacht, daß selbst von autori¬ 
tativer Seite Hygiene und Bacteriologie in einen Topf zusammen¬ 
geworfen werden. Luft, Licht, Boden, Wasser, Nahrung, Kleidung etc. 
bilden aber die Gegenstände unserer nächsten und constantesten 
Umgebung und die wichtigsten Hilfsmittel für unser Leben, und so 
sehen wir denn die Bacteriologie auch auf unser alltägliches Thun 
und Lassen, auf unsere socialen Verhältnisse einen Einfluß üben, 
dessen Effecte heute noch unabsehbar sind. Ist aber die stricte Be¬ 
folgung der hygienischen Vorschriften für den gesunden Menschen 
zur Erhaltung seiner Gesundheit von eminenter Bedeutung, um wie 
viel mehr muß diesen Anforderungen dort entsprochen werden, wo 
es sich darum handelt, Kranken zur Wiedererlangung ihrer Ge¬ 
sundheit zu verhelfen, in Orten, die durch ihr Klima, ihre Lage 
und ihre Naturheilschätze zu diesem Zwecke bestimmt sind — in 
Cur- und Badeorten. Man sollte nun glauben, daß die von der 
modernen Hygiene ausgestreuten Samen hier den fruchtbarsten Boden 
gefunden und die schönsten Blüthen getrieben haben. Dem scheint 
aber nicht so zu sein. Der Bericht der von der Baineologischen 
Gesellschaft eingesetzten Commission zur Feststellung der hygienischen 
Verhältnisse und Einrichtungen in den Curorten hat kein sehr er¬ 
freuliches Bild geliefert. 

Wichtiger als die ungenügenden Einrichtungen zur Erkennung 
der meteorologischen Verhältnisse der Curorte ist das Vorkommen 
von Epidemien in Curorten, deren Entstehung nur einer ungenügenden 
Prophylaxe zuzuschreiben ist, und Liebreich urtbeilt milde, wenn 
er sagt: „Wenn in einem Curorte größere Epidemien ausbrechen, 
wie dies vorgekommon ist, dann muß dort etwas in hygienischer 
Beziehung nicht in Ordnung sein.“ Berücksichtigt man die neueren 
Arbeiten über die Infectiosität des Fleisches und der Milch 
kranker Thiere, so wird man einseben, daß in Curorten, in welchen 
ohne jede Controle geschlachtete Thiere zur Nahrung dargeboten 
werden und eine Controle der Milch gar nicht stattfindet — und 
dies kommt nach dem Berichte der Commission der Balneologischen 
Gesellschaft nicht selten vor — die Gefahr des Krankwerdens für 


verwirft die blosse Ausmeißelung des Knochens, trepanirt mit dem 
Handtrepan und meißelt bei Setzung größerer Knochendefecte die 
Brücken zwischen den einzelnen Trepankreisen weg; der Knochen 
wird durch entsprechend geformte, in der Dicke die ganze Kopf¬ 
schwarte begreifende Lappen freigelegt, die Durawunde möglichst 
entfernt von der Hautwunde angelegt, um Narbenverwachsungen, 
welche zu störenden Consequenzen (s. Fall II) führen, zu vermeiden. 

Abscesse werden möglichst breit gespalten, die Höhle vorsichtig 
excochleirt und drainirt; nach Excisionen wegen traumatischer 
Epilepsie strebt Navratil möglichst Prima intentio an und verwirft 
Drainrohr und Gazestreifen wegen der Reizung der Hirnsubstanz. 

Die Operation bei frischeren Fällen der traumatischen Epi¬ 
lepsie bietet günstige Chancen der Radicalheilung; bei älteren 
Fällen mit ausgebreiteten Degenerationen und consecutiver allge¬ 
meiner Alteration des Nervensystems ist die Operation palliativ, wenn¬ 
gleich noch immer berechtigt, aufzufassen. 

Bei Sinusverletzungen empfiehlt Navratil auf Grund eines 
mitgetheilten geheilten Falles die tiefe, umschlungene Naht zur 
Stillung der Blutung. 

Die Resultate des Verf. sind im Allgemeinen günstig und er- 
muthigend. K. 


den dort Gesundheit Suchenden keine geringe ist. Auch die Bo : 
schaffenheit der Wohnungen und der Aborte läßt in manchen Cur¬ 
orten gar vieles zu wünschen übrig und steht unter keinerlei ärzt¬ 
licher Controle. 

Welche wichtige Rolle das Trinkwasser als Nahrungsmittel, 
sowie als Vehikel für zahlreiche pathogene Mikroorganismen spielt, 
ist heutzutage nicht nur jedem Arzte, sondern auch jedem Laien 
bekannt, und dennoch „liegt die Trinkwasserfrage bei manchen 
Badeorten so ungünstig, daß man vor ihnen warnen müßte“ (Lieb¬ 
reich). Auch mit der Isolirung der Infectionskrankheiten, mit der 
Reinigung der Straßen und Häuser und anderen hygienischen An¬ 
forderungen steht es nicht sehr günstig in vielen Curorten. Wie 
traurig es in manchen Badeorten mit den hygienischen Einrichtungen 
bestellt ist, geht daraus hervor, daß nach einem Berichte des leider 
zu früh verstorbenen Brbhmer in einem der größten Badeorte an 
Infectionskrankheiten 20% aller Todesfälle und 10°/ 0 der dorthin 
geschickten Patienten zu Grunde gegangen sind. 

In den jüngsten Tagen lenkte Dr. Günther (Montreux) in 
Nr. 22 der „Berl. klin. Wochenschr.“ die Aufmerksamkeit der 
ärztlichen Welt auf die Prophylaxe der Tuberculose in 
den Curorten. „Wo liegt, fragt Günther, der Curort, der sich 
rühmen könnte, vollständig den wissenschaftlichen Anforderungen 
gerecht geworden zu sein? Wie zahllos sind aber noch die Plätze 
(darunter solche mit glänzenden Namen), an denen spurlos die 
Wandlungen der Erkenntniß vorübergezogen, ja, die sich geradezu 
mit höhnischem Trotz darüber hinwegsetzen? Und in diesen Cur¬ 
orten verweilen zahllose ahnungslose Ge8unde neben Kranken.“ 
Wenn man auch nicht mit den Infectionisten pur saug annimmt, daß 
die Tuberkelbacillen ohne Weiteres den Gesunden inficiren können, 
so muß man dennoch zugebon, daß die in solchen Curorten zahlreich 
vorhandenen, mit Affectionen der Respirationsorgane behafteten 
nicht tuberculösen Patienten in ihrer erkrankten Respirationssohleim- 
haut günstige Eingangspforten für das Eindringen der Tuberkel¬ 
bacillen bieten, und wenn man eine Infection mit Tuberkelbacillen 
nur bei den hiezu Prädisponirten annimmt, so ist — die Inhalation 
als wichtigster Infectionsmodus zugegeben — zweifelsohne für die 
in derartigen Curorten nicht seltenen Prädisponirten bei ungenügender 
Prophylaxe genügende Infectionsmöglichkeit gegeben. 

Es fragt sich nun, was thun, um den in großen Umrissen 
skizzirten Uebelständen abzuhelfen? Die Belehrungen und Vor¬ 
stellungen ärztlicherseits finden bei den meisten nichtärztlichen 
Hotel-, Curorte- und Etablissementbesitzern, diesen „Pachydermen 
für Humanität und Hygiene“, wie sie Günther nennt, kein Gehör. 
Günther macht nun den Vorschlag, es mögen die ärztlichen Ge¬ 
sellschaften (mit deren Wohlwollen Curorte rechnen müssen) ein 
Augenmerk auf diese Zustände werfen. Wenn eine ärztliche Gesell¬ 
schaft auf Gruud berechtigter Klagen seitens der Curärzte die dort 


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tonangebende Hötelindustrie vor die Alternative stellte, entweder 
die geforderten hygienischen Maßregeln ohne Umstände auszuführen, 
oder fernerhin auf die Empfehlung des Curortes zu verzichten, so 
wird der Effect um so gewaltiger sein, je schwerer der Name der 
Gesellschaft wiegt — meint Günthek. 

Ganz abgesehen davon, daß eine solche polizeiliche Aufsicht 
einer gelehrten Gesellschaft nicht gut zugemuthet werden kann und 
von einer solchen auch undurchführbar ist, halten wir diese Ma߬ 
regel auch für ungenügend. Denn bei aller Hochschätzung der 
löblichen Bestrebungen und der wissenschaftlichen Thätigkeit der 
Curärzte, glauben wir nicht, daß sie die ihnen von Günther zuge- 
muthete Klägerrolle allzu strenge auffassen werden, denn mit dem 
angedrohten Entzug der Kranken oder Relegation am „schwarzen 
Brett“ würde der Kläger ebenso getroffen sein wie der Angeklagte, 
was doch gewiß nicht in der Absicht des ersteren liegen kann. 
Wir fürchten daher, daß man „die schmutzige Wäsche im Hause 
waschen wird“ und somit der alte Schlendrian'vergnüglich fort¬ 
blühen wird. 

Hingegen gibt es eine viel mächtigere Quelle, von welcher Abhilfe 
erwartet werden kann und darf, mächtig sowohl durch die Mittel, 
als auch durch ihre Kraft, wir meinen den Staat. „Wir wünschen 
nun freilich nicht die Einmischung des Staates in unsere Angelegen¬ 
heiten,“ sagte Liebreich bei Besprechung dieser Frage auf dem 
jüngsten Balneologen-Congresse. Eines von Beiden: Entweder ist 
das „unsere“ (i. e. der Badeärzte) Angelegenheit, dann ist nicht 
zu begreifen, wie Günther diesen eine Klägerrolle zumuthen kann, 
oder ist dies die Angelegenheit der Curverwaltungen, dann ist nicht 
einzusehen, weshalb der Staat sich nicht einmischen soll. Der Ein¬ 
wand Günther’s: „Wenn aber die Regierung mehr Zuneigung zu 
ihrer landsmännischen Hötelindustrie wie zu hygienischen Grund¬ 
sätzen hat, was dann ?“ kann doch nicht ernst genommen werden, 
denn mit demselben Rechte könnte man an dem Ernst des Staates 
in der Ueberwachung der Arzneimittel zweifeln, weil etwa derselbe 
mehr Zuneigung zur landsmännischen chemischen Industrie hätte, 
als zu medicinischen Grundsätzen. Im Gegentheil glauben wir, daß 
Niemand mehr berufen ist, die hygienischen Verhältnisse in den 
Curorten zu überwachen und Niemand diese Aufgabe wirksamer 
und besser durchführen kann, als der Staat. Gehört es zu den 
Obliegenheiten des Staates, unsere therapeutischen Mittel einer Prü¬ 
fung zu unterziehen, so muß es auch zu seinen Obliegenheiten ge¬ 
hören, die nicht weniger mächtigen therapeutischen Behelfe, die in 
den Cur- und Badeorten gelegen sind, zu überwachen. Der Staat 
schützt das Publicum vor Täuschung und Uebervortheilung durch 
Anpreisung von Geheimmitteln, sollte es nicht auch seine Aufgabe 
sein, dafür zu sorgen, daß der Kranke, der schwere materielle Opfer 
bringt, um in einem Curorte Hilfe zu suchen, oder der Gesunde, 
der zur Erholung, zum Vergnügen einen Badeort besucht, dort- 
selbst nicht Einbuße an seiner Gesundheit erleide? 

Sowie der Mensch das kostbarste Capital des Staates ist, so 
ist die Gesundheit das kostbarste Eigenthum des Menschen, und 
der Staat hat die Verpflichtung für die Sicherheit des Lebens und 
des Eigenthums seiner Bürger zu sorgen. T. 


Kleine Mittheilungen. 

— Eine Epidemie von hysterisch-religiöser Ekstase be¬ 
schreibt J. W. Hjelmann im „Finska Läkare Sällskap. Hand].“, 
Bd. 31, Heft 6 („Fortschr. d. Med.“, Nr. 10). Er beobachtete die¬ 
selbe im Jahre 1888 im Nilsiä-Bezirk im nordöstlichen Theile von 
Finnland. Der erste Fall betraf ein lßjähriges Mädchen, das zu 
Pfingsten, da die Jugend zum Tanze versammelt war, plötzlich von 
heftigen Krämpfen befallen wurde. Einige Tage später erkrankte 
ein zweites junges Mädchen, das au derselben Stelle diente, wie 
das zuerst befallene, und binnen kurzer Zeit hatten 20—30 Per¬ 
sonen, zumeist junge Weiber, ähnliche Krampfanfälle. Im Anfänge 
der Epidemie kamen nur Krampfanfälle vor, später fingen einige 
von den Erkrankten nach den Krämpfen an, Predigten zu halten, 
das Volk strömte zu, um diese von Gott inspirirten Predigten 
anzuhören und Viele bekamen bei diesen Predigten ihre ersten 


Krampfanfälle. Im Ganzen kamen ungefähr 50 Krankheitsfälle vor; 
von diesen betrafen nur 5 Männer. Die Anfälle waren den hyste¬ 
rischen Anfällen ganz ähnlich, auch konnte man bei einigen Er¬ 
krankten Anästhesien nachweisen, bei den leichten Fällen kamen 
keine Krämpfe vor, nur hysterischer Singultus. Mit dem Eintritte 
des Winters, wo durch die schlechten Communicationen die Natur 
selbst die Isolirung der Kranken ermöglichte, hörte die Epidemie 
von selbst auf, nachdem sie ein halbes Jahr gedauert hatte. Verf. 
hebt hervor, daß die Gegend, wo die Epidemie sich zeigte, durch 
die schlechten Communicationen von der Außenwelt beinahe ganz 
abgeschlossen und darum auch die Bildungsstufe der Bevölkerung 
ungewöhnlich niedrig war. Dieselbe Gegend war noch dazu vor 
50 Jahren der Sitz einer sehr ekstatischen religiösen Bewegung, die 
noch im frischen Gedächtniß der Leute war. 

— Zur Behandlung der Harnsäuren Nierensteine stellt 
Em. Pfeiffer in Nr. 20 der „Berl. klin. Woch.“ folgende Grund¬ 
sätze auf: Die harnsauren Nierensteine verlangen zu ihrer Ent¬ 
fernung und um die Bildung neuer Concremente zu verhindern, den un¬ 
ausgesetzten Gebrauch eines alkalischen Mineralwassers. Als empfehlens- 
werthe Mineralwässer können sowohl nach experimentellen wie klinischen 
Erfahrungen von deu deutschen Wässern Fachingen und die Offenbacher 
Kaiser Friedrichs-Quelle hingestellt werden. Neben dem ständigen 
Gebrauche der alkalischen Säuerlinge erweisen sich Mineralbäder 
überaus nützlich, um die harnsaure Diathese für längere Zeit zurück¬ 
zudrängen. Dieselbe begünstigen gleichzeitig eine möglichst schmerz¬ 
lose Ausscheidung der Steine. Bei allen Fällen von harnsauren 
Nierensteinen muß außer der Anwendung der oben entwickelten 
Grundsätze auch noch eine Regelung der Diät stattfinden. Die ge¬ 
eignetste Diät für die an harnsauren Steinen leidenden Patienten 
ist die auch für Gichtkranke angeze r gte Diät. Für die Zwecke des 
Praktikers gibt Pfeiffer einen Diätzettel, wie er* für an harnsauren 
Steinen Leidenden paßt. Auf demselben sind links alle erlaubten, 
rechts alle verbotenen Speisen verzeichnet. 


Diätzettel für an harnsauren Steinen Leidende: 


Frühstück. 


Erlaubt. Verboten. 

Kaffee, Theo, Milch, 1 Weißbrod, Chocolade, Zucker, mehr als l 
oder 1 Stück Schwarzbrod, Butter, ! "'eißbrod oder l Stück Schwarzbrod, 
Eier, Fleisch. j Kuchen, Süßigkeiten. Zweites Frühstück 

| ist ganz verboten. 

Mittagessen. 

Erlaubt. Verboten. 

Dünne Wassersuppen, Fleisch- Dickere Suppen, Kartoffeln (in 
suppen, Fleisch (jeder Art), Geflügel jeder Form), Kastanien, Brod (jeder 
(jeder Art), Fisch (jeder Art), Wild j Art), trockene Hülsenfrüchte, Reis, 
(jeder Art), Eier (in j* der Form), Fett Mehlspeisen, Macearoni, süße Speisen, 
(jeder Art), Käse (saftige), Gemüse \ Kuchen, Süßigkeiten, Wein, Bier, 
(jeder Art), rohe Wurzeln (jeder Art), j 
Obst, roh und gekocht, Wasser oder | 

Mineralwasser. 


Abendossen. 

Erlaubt. 

Fleisch (jeder Art), Eier, Käse, 

1 Weißbrod oder 1 Stück Schwarzbrod, 

Butter, Gemüse, Salat, Obst, Rettige, 

Wasser oder Mineralwasser. 


Verboten. 

Saure Milch, mehr als 1 Stück 
Weißbrod oder I Stück Schwarzbrod, 
Kartoffeln, Wein, Bier. 


— Dr. Kuby in Augsburg berichtet in Nr. 21 der „Müuchener 
med. Woch.“ über folgenden Fall von auf orthopädisohem Wege 
geheilter Podagra. Ein Herr „in den besten Jahren“, bis dabin 
nie krank , civilisirter Ernährungsweise zugetban und dem Weine 
nicht abhold, wurde plötzlich Nachts von wüthenden, bohrenden 
Schmerzen im Ballen der großen Zehe befallen, die entsprechenden 
Weichtheile schwollen an und glänzten wie Karfunkel. Die üblichen 
Mittel waren erfolglos und es wurde der Kranke zu Hessing nach 
Göggingen gebracht; dieser verkleinerte durch Massage die bei 
jeder anderen Berührung so schmerzhafte Geschwulst, comprimirte 
und fixirte die Zehe sammt Mittelfuß und Fußwurzel mittelst leim¬ 


bestrichener Binden, wodurch ein fester, bald erhärtender, unnach¬ 
giebiger Verband entstand, construirte einen Schuh mit der Fußsohle 
genau angepaßter Eisensohle, nach dessen Anlegung Pat. seinem 
Berufe nachgehen konnte. Nach Verlauf von 14 Tagen wurde der 
Verband versuchsweise entfernt, worauf die Schmerzen sofort unver¬ 
ändert wiederkehrton; der Verband und die Eisensohle wurden 


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wieder angelegt und der Dienst wieder angetreten; nach weiteren 
14 Tagen war (ambulando) das Hebel abgelaufen, ohne Diät, ohne 
Schonung, ohne Arznei. Oeiime, Riegel und Küby haben die 
günstige Wirkung des immobilisirenden Verbandes auch bei Rheu¬ 
matismus articulorum acutus festgestellt; derselbe ist nicht minder 
bei Arthritis nodosa zu empfehlen, zumal auch unter dessen Anwen¬ 
dung gröberer Mißstaltung vorgebeugt werden kann. 

— Dr. Cesabe Minerbi berichtet in Nr. 89—91 der „Rif. 
medica 1 ' über die von ihm erzielten Resultate bei der Behandlung 
der Dysenterie und des Oxyuris vermicularis mit Naphtalin¬ 
klysmen und -Suppositorien. In einem Falle von Dysenterie, 
bei welchem Calomel, Creosot, Sublimat innerlich und per klysmam, 
gerbsaure Enteroklyse erfolglos angewendet worden war, versuchte 
Minerbi Suppositorien aus 10 Grm. Cacaobutter und 1 Grm. fein 
gepulvertem Naphtalin, von denen je eines nach jeder Entleerung 
hoch in’s Rectum eingeführt wurde. Acht Tage nach Beginn dieser 
Behandlung war Pat. geheilt. Seither hat Minerbi alle Fälle von 
Dyseuterie mit Naphtalin behandelt. Da aber die dysenterischen 
Geschwüre sehr selten blos auf die unterste Partie des Dickdarms 
beschränkt sind, während die Suppositorien ihre Wirkung nur auf 
diese entfalten, griff Minerbi zu Klysmen. W'egen der geringen 
Löslichkeit des Naphtalins in Wasser ließ er dasselbe in Olivenöl 
lösen, welches gleiche Theile Naphtalins löst. Die Lösung wird 
durch Erwärmen begünstigt. Er läßt also Klysmen machen aus: 

Rp. Naphtalin.5*0 

01. olivar. calor. sterilis. . . . 200 - 0 

S. Für ein Klysma. 

Die etwa syrupdicke Flüssigkeit läßt sich durch den Irrigator 
ganz gut infundiren. Von den 5 Grm. Naphtalin gelangen sicher 
4 'jo Grm. in den Darm, ln den ersten Krankheitstagen, wenn 
wegen des Tenesmus die Lösung nicht genügend lange im Darme 
behalten werden kann, läßt man 3—4 Klysmen in 24 Stunden geben. 
Sind die Reizungserscheinungen geschwunden und die dysenterischen 
Entleerungen seltener geworden, können die Kranken die Klysmen 
5—8 Stunden halten, dann genügen 2 in 24 8tunden. In den 
letzten Tagen wird nur 1 Klysma des Morgens gegeben. Die Klysmen 
werden sofort nach den Entleerungen verabreicht. Um den Gährungs- 
proceß im Darme zu verhindern, gibt Minerbi innerlich 3 Pillen 
täglich aus je 0’003 Sublimat und 0’05 Creosot. Mittelst dieser 
Behandlung hat Minerbi constant in 22 Fällen in 2 Wochen Heilung 
erzielt — Auch bei Oxyuris vermicularis wurde in 11 Fällen in 
längstens 1 Woche Heilung erzielt. Kindern werden Klysmen aus 
1—1*5 Naphtalin auf 50—60 Grm. Olivenöl, Erwachsenen solche 
aus 5—6 Grm. Naphtalin auf 60—80 Grm. Oel gegeben. In keinem 
einzigen Falle hat Minerbi irgend welche unangenehme Neben¬ 
wirkung beobachtet. 

— John A. Jkffries bat Sulfonal gegen Chorea in 10 Fällen 
(5 von primärer und 5 von recidivirender) angewendet und be¬ 
richtet über die Resultate in „Medical News“ vom 15. März 1890. 
Von den zum ersten Male an Chorea leidenden Patienten hatten 
2 bereits ohne Erfolg eine längere Arsenikcur durchgemacht. Von 
diesen 5 Fällen heilten 4, nachdem das Medicament erst 4 Wochen, 
bei einer Tagesdosis von 036—0 90 Grm. , angewendet worden 
war, vollkommen aus. In dem 5. Falle war man gezwungen, gleich¬ 
zeitig Arsenik anzuwenden, und zwar 3mal täglich 3 Tropfen des 
officinellen Liquor Fowleri. Unter den 5 zur zweiten Kategorie 
gehörigen Fällen, in welchen bereits früher zeitweise Chorea-Anfälle 
aufgetreten waren, stellte sich in 3 Fällen eine wesentliche Besse¬ 
rung nach einmonatlicber Behandlung ein, in 2 Fällen blieb das 
Sulfonal vollkommen ohne Wirkung. Am zweckmäßigsten erscheint 
es dem Verf., nach den von ihm bis jetzt gesammelten Erfahrungen, 
das Sulfonal mit dem Arsenik combinirt anzuwenden. Wahrschein¬ 
lich wirkt das erstcre mehr auf die choreatischen Bewegungen, das 
letztere mehr auf die Besserung des Allgemeinbefindens ein. Aus 
diesem Grunde hat sich auch das Arsenik bei den meist bleich- 
süchtigen Cboreakranken, welche einer tonisirenden Behandlung 
dringend bedürftig sind, seither ausgezeichnet bewährt. Gegen die 
eigentlichen choreatischen Bewegungen hat sich indessen kaum ein 
Mittel so exquisit bewährt, wie das Sulfonal, mit alleiniger Aus¬ 
nahme vielleicht des Arsenik. 


— Die Behandlung der Blepharitis squamosa vermittelst 
der gebräuchlichen Quecksilberpräparate führt selten in weniger als 
2—3 Wochen zum Ziele. Häufig ist die Heilungsdauer eine längere 
und Rückfälle sind gar nicht selten bei dieser Behandlungsweise. 
Dr. M. Gbadle in Chicago („Ctbl. f. Augenheilk “, April 1890) 
hat deshalb Versuche mit verschiedenen anderen Heilmitteln ange 
stellt in der Absicht, dieses hartnäckige Uebel rascher und dauernder 
zu beseitigen. Bekanntermaßen wird Chlorallösung von Dermatologeu 
gebraucht, um die Schuppenbildung bei Seborrhoe der behaarten 
Kopfhaut zu beseitigen. Da diese Hautkrankheit der Blepharitis 
squamosa ziemlich gleicht und wohl auf demselben Vorgang beruht, 
hat Gbadle auch bei jenem Leiden Chloralhydrat angewandt. In 
der That hat die Einreibung einer 5proe. wässerigen Lösung in den 
Lidrand einen entschiedenen Einfluß auf die Schuppenbildung. Von 
dem abwechselnden Gebrauch dieser Lösung mit einer Pyrogallol- 
salbe (1 auf 8 Vaselin) hat Gradle viel promptere Erfolge zu ver¬ 
zeichnen gehabt, als von den bekannten Quecksilbersalben. Viel 
sicherer jedoch läßt sich die Blepharitis durch eine Schwefelsalbe 
beherrschen. Von Dr. Zeissler auf den Einfluß dos Schwefels gegen 
Seborrboea capitis aufmerksam gemacht, hat sich Verf. seit den 
letzten neun Monaten dieses Mittels zur Behandlung der Blepharitis 
bedient. Eine 2—3proc. Vaselinsalbe wird vom Lidrand meistens 
gut vertragen ; reizt dieselbe, so nimmt man weniger Schwefel. Der 
Zusatz einer gleichen Menge Resorcin scheint die Reinigung von deu 
Schuppen zu begünstigen. Selbst recht heftige Lidrandentzündungen 
lassen sich durch diese Behandlungsweise in etwa 2 Wochen, manch¬ 
mal aber schon in der Hälfte dieser Zeit, gänzlich beseitigen. Zur 
Vermeidung von Rückfällen hat Gradle die Salbe noch längere 
Zeit gebrauchen lassen. Thatsächlich hat er bei etwa 35 so 
behandelten Patienten keinen Rückfall gesehen, obgleich noch nicht 
genügend Zeit verstrichen ist, um ein endgiltiges Urtheil darüber zu 
fällen. Auf die Blepharitis ulcerosa hat Schwefelsalbe keinen gün¬ 
stigen Einfluß, selbst nicht nach Vernarbung der Geschwüre. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

IX. Congress für innere Medicin. 

Gehalten zn Wien vom 15.—18. April 1890. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

IX. 

Winternitz (Wien): Ueber eine eigentümliche Gefäßreaction 
der Haut. 

Fährt man mit einer stumpfen Spitze mit sehr mäßigem Drucke 
Uber die Haut, so beobachtet man ein sehr verschiedenes Verhalten 
derselben. Bald contrahiren sich an der getroffenen Linie nur die mus- 
culären Gebilde der Haut; man sieht der Spur des Stäbchens entlang 
ein Hervortreten der Hautdrüsen und Haarbälge, eine ganz locale 
Gänsehaut folgen. Die Haut verändert dabei ihre Farbe nicht, oder 
sie wird etwas blässer. Bald zeigt die mechanische Spur eine ganz 
weiße Verfärbung, bald wird sie rosenroth, bald zeigt sie eine in¬ 
tensive Injectionsröthc. Diese Erscheinungen folgen dem mechanischen 
Reize entweder unmittelbar, oder es kann kürzer oder länger währen, 
bis sie auftreten, und ebenso verschwinden sie schnell oder langsam. 
Die Erscheinungen bleiben auf die gereizte Stelle beschränkt oder 
sie breiten sich mehr oder weniger weit aus. Die Spur des mecha¬ 
nischen Eingriffes bleibt flach. 

W. macht nun auf eine Reactionsform aufmerksam, die sich 
von den geschilderten wesentlich unterscheidet und gerade nicht 
sehr häufig zu beobachten ist. 

Man siebt nämlich zuweilen bei ganz leichtem Hinstreifen, am 
besten am Thorax in der Parasternallinie, momentan eine ganz 
anämische Spur dem Stäbchen folgen. Nach wenigen Augenblicken 
schon erhebt sich diese anämische Linie über das Niveau der benach¬ 
barten Haut wie ein ödematöser Striemen, wie eine Urticariaquaddel. 
Zu beiden Seiten dieses ganz blassen Wulstes tritt Anfangs eiu leb¬ 
haft rother lnjectionssaum auf. Dieser Saum wi'd immer breiter. 
Er verbreitet sich zungenförmig fortschreitend längs der ganzen 
Linie, wie etwa ein Flüssigkeitstropfen in einem Fließpapier sich 


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verbreiten würde. Diese Reaction hält gewöhnlich sehr lange an, oft 
eine halbe Stunde und darüber, und wird als Autographismus 
bezeichnet. 

Bei zwei von - diesen Fällen beobachtete W. nun eine sehr 
überraschende Erscheinung. Ganz allmälig veränderte sich die 
Färbung der erythematösen Injectionsröthe. Die ursprünglich sehr 
lebhafte Röthe wurde entschieden dunkler, um allmälig zahl¬ 
reiche, zinnoberrothe Flecke zu zeigen. Solche zinnoberrothe, fleckige 
Hautinjectionen hat W. schon anderweitig beobachtet, und er vermag 
sic auch künstlich willkürlich hervorzurufen. 

Man siebt sehr häußg solche zinn ober färben e Flecke an der 
Haut peripherischer Theile, an Händen und Füßen, wenn das 
Blut an solchen Theilen stagnirt, die Haut dunkel geröthet oder 
cyanotisch ist, gewöhnlich an sogenannten abgefrorenen Händen oder 
Füßen. In den cyanotisclien Partien treten verschieden gestaltige 
kleinere oder größere, zahlreichere oder spärlichere zinnoberrothe 
Flecke auf. Frottirt oder streicht man solche Stellen, so ver¬ 
schwindet die Zinnoberfärbung, eine der gewöhnlichen purpurnen 
Injectionsröthe gleiche tritt hervor; bald nach der Massage treten 
nur um so deutlicher an diesen Stellen zinnoberrothe Flecke wioder 
auf. Ganz anders verhalten sich die cyanotischen Hautstellen bei der 
Streichung. Hier bewirkt der mechanische Reiz zumeist einen 
länger nachhaltendcn weißen blutlosen Fleck. Es macht den Eindruck, 
als ob das Erstickungsblut die Gefäßmusculatur viel erregbarer ge¬ 
macht hätte und der einfache mechanische Reiz diese geradezu in 
spastische Contraction versetzte. Dieser Unterschied in dem Ver¬ 
halten der zinnoberrothen Flecke auf den mechanischen Reiz 
scheint Winternitz für Erklärung dieser Erscheinung ein wichtiges 
Argument 

Aber auch willkürlich vermag man solche Zinnoberreflexe hervor¬ 
zubringen. 

Hemmt man in einer Extremität den venösen Rückfluß, z. B. 
durch Anlegung einer Aderlaßbinde am Oberarm, so werden Vorder¬ 
arm und Hand zuerst gleichmäßig cyanotisch. Besteht nun diese 
Cyanose längere Zeit hindurch (10—20 Minuten), so treten an ein¬ 
zelnen Stellen mitten in den dunkelsten Partien zuerst kleinere, bald 
größere, deutlich ziegel- oder zinnoberrothe Flecke auf. Auch diese 
lassen sich Anfangs durch Streichung oder Massage vollständig ver¬ 
drängen ; an der massirten Stelle schwindet auch die Cyanose; 
es tritt meist der geschilderte Gefäßkrampf ein. Bald nach der 
Massage kehrt die Cyanose wieder und sehr bald auch reichlichere 
Zinnoberflecke als früher. W. hat zahlreiche Anhaltspunkte dafür, 
anzunebmen, daß diese Zinnoberfärbung, die viel Aehnlichkeit hat 
mit der Farbe, die ein Blutkucben an seiner Oberfläche an der Luft 
annimmt, iu derselben Weise entstehe. 

Es sind in den oberflächlichen Capillaren stagnirende Blut¬ 
körperchen, die durch die Haut hindurch C0 3 abgeben uni 0 auf- 
uehmen, durch die Haut hindurch respiriren und arterialisirt werden. 
Diese Thatsache ist ein Beweis der respiratorischeu Hautfunction. 

Interessant ist dabei der Umstand, daß man daraus bis zu 
einem gewissen Grade, wo diese Erscheinung deutlich bervortritt, 
auf eine beträchtliche Verlangsamung der Circulation zu schließen 
berechtigt ist. 

Die Erscheinung des Autographismus in ihren exquisiten Formen 
ist W. in letzter Zeit in 3 Fällen zur Beobachtung gekommen. Alle 
3 Fälle batten schwere Influenza überstanden und boten auf den 
leisesten mechanischen Reiz bin die ödematöso* Schwiele, zwei die 
Fließpapierhaut mit der erythematösen Ausbreitung der Injections¬ 
röthe zu beiden Seiten derselben, die sich in Zinnoberfärbung ver¬ 
wandelte. Der dritte Fall zeigte auf den leisesten mechanischen 
Reiz hin Extravasate, die sich ebenfalls schnell ziegelartig verfärbten 
und unter dem Fingerdruoke nicht verschwanden. In diesem Falle 
beobachtete W. eine Erscheinung, die er am Lebenden noch nicht 
gesehen hatte. Ließ man den Kranken die Rückenlage einnohmen, 
so verfärbte sich der ganze Rücken cyanotisch, wahre Todtenflecke 
entstanden, und auch der nach abwärts gerichtete Rand des inneren 
Ohres nahm eine tief cyanotiscbe Verfärbung an. Erscheinungen 
hochgradiger Herzschwäche, Athemnoth, Zehenschwellung waren der 
objective Befund nebst acut auftretendem Hydrops. 


Bäumler (Freiburg i. B.): Ueber die Influenza. 

Redner gibt einen Ueberblick Uber die bei der jüngsten Influenza- 
Epidemie gemachten Beobachtungen und hebt dabei hervor, daß die 
Mehrzahl der Aerzte der Krankheit als etwas Unbekanntem entgegen¬ 
getreten sei; das Krankheitsbild habe sich in der großen Mehrzahl 
der Fälle ganz iind gar nicht gedeckt mit dem eines mißbräuchlich 
sogenannten Influenza- oder Grippe-Catarrhs. Es habe im Gegen- 
theil in vielen Fällen Catarrh überhaupt dabei vollständig gefehlt, 
und die Krankheit sei als ein einfacher kurzer Fieborsturm ver¬ 
laufen. Redner geht sodann auf die ätiologischen Verhältnisse 
der Krankheit näher ein, schildert die Art der Ausbreitung der¬ 
selben, insbesondere an einem einzelnen Orte, hebt die häufig 
nachweisbar gewesene Einschleppung durch Zugereiste, ihre Ver¬ 
schleppung in vom Verkehr im Winter ganz abgeschlossene Wohn¬ 
stätten, auf Bergeshöhen (Grimsel u. A. in der Schweiz, Feldberg im 
Schwarzwald), das Freibleiben dagegen an einzelnen, ganz vom 
Verkehr abgeschlossenen Anstalten inmitten von durchseuchtem 
Städten und andere Erfahrungen hervor, welche der großen Mehrzah 
der Aerzte die Krankheit dieses Mal als eine eminent contagiöse 
hätten erscheinen lassen. Dieser Annahme stehe auch die rasche 
Art der Ausbreitung, die übrigens überschätzt worden sei, durch¬ 
aus nicht im Wege. Das schnelle Umsichgreifen erkläre sich voll¬ 
kommen durch die große Contagiosität, verbunden mit sehr allge¬ 
meiner Empfänglichkeit für die Krankheit und mit einer sehr kurzen 
Incubationszeit von oft nur 24 Stunden und weniger. Das Contagium 
müsse übrigens ein sehr vergängliches sein, doch könne es wohl 
auch eine Zeit lang in wirksamem Zustande Gegenständen anhaften 
bleiben, wofür u. A. eine von Schaüta mitgetheilte Beobachtung 
spreche. Die Beobachtungen von Uebertragung auf Hausthiere 
(Katzen und Hunde in Cairo) seien sehr selten gemacht worden; 
insbesondere berechtige das Verhalten der Pferde während dieser 
Influenza-Pandemie erst zu dem Schlüsse, daß die als Pferde-Influenza 
bezeichnete Krankheit wohl eine Krankheit sui generis sei. 

Der Nachweis des specifischen Infectionskeimes der Influenza 
sei trotz eifrigsten Suchens dennoch nicht gelungen. Dagegen sei 
eine Reihe von bacteriologischen Thatsachon festgestellt worden, 
welche für die Beurtheilung der Complicationen von größter Wichtig¬ 
keit seien und unsere Kenntniß eines Mikroorganismus, nämlich des 
FRÄNKEL-WEiCHSELBAüM’schen Pneumoniediplococcus wesentlich er¬ 
weitert haben. Die Influenza-Ursache bewirke offenbar im Organismus 
solche Veränderungen, daß das Gedeihen dieses und anderer Bacterien 
in außerordentlicher Weise begünstigt wurde, und daß daher früh¬ 
zeitiger als bei irgend einer anderen Infectionskrankheit secundäre, 
durch diese Bacterien erzeugte Complicationen zu Stande kämen. 

Nach Berührung der Frage, in welchem Verhältniß die mehrfach 
beschriebenen, isolirt bleibenden kleinen Epidemien zu der pandemisch 
sich verbreitenden Influenza stehen, ferner der Fragen der Empfäng¬ 
lichkeit und Immunität gegenüber der Krankheit, sowie der 
Rückfälle derselben, geht Redner zur Erörterung der Krankheitserschei¬ 
nungen über und hebt zunächst hervor, daß die Krankheit häufig 
als ein reiner, kurzer Fieberanfall verlaufe. Die dabei zur Beob¬ 
achtung kommenden Erscheinungen und das schwere Ergriffen werden 
des Gesammtorganismus deuteten darauf hin, daß das Blut ein¬ 
greifende Veränderungen erleide: dafür sprechen nicht nur die häufig 
zurückbleibende Blässe, sondern besonders auch die mit Eintritt des 
Fiebers oder am Anfang der Krankheitserscheinungen in der großen 
Mehrzahl der Fälle mehr oder weniger bervortretende, wahrscheinlich 
als Urobilinicteru8 aufzufassonde Gelbfärbung der Sclera und nicht 
selten auch der Haut, ferner die von dem Vortragenden und ver¬ 
schiedenen anderen Aerzten bei den meisten Kranken nachweisbare, 
zuweilen sogar fühlbare Milzvergrößerung. Die mikroskopische 
Untersuchung des Blutes habe charakteristische und ausschließlich 
der Influenza zukommende Veränderungen nicht nachweisen lassen, 
denn die von Klebs gefundenen und als Monadien gedeuteten be¬ 
weglichen Körperchen kommen, wie A. Kou.mann angibt und wie 
von Browicz auf dem Congresse demonstrirt wurde, auch im 
Blute von Gesunden vor. 

Die tiefgreifenden Blutveränderungen chemischer Natur, auf 
welche die besprochenen Symptome hindeuteten, in Verbindung mit 
der ausgesprochenen Blutgefäßerweiterung, welche im Fieberstadium 

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vorhanden sei, trugen wesentlich dazu bei, nm für alle möglichen 
Infectionen durch den FRÄNKEL’schen Diplococcua, den Streptococcus 
pyogenes und den Staphylococcus aureus und albus (Levy), sowie 
für die verschiedenartigsten anderweitigen Complicatiouen und Nach - 
krankheiten den Boden vorzubereiten, von denen ein Theil, sowie 
die schweren Nervenerscheinungen, wohl als Töxinwirkungen auf 
die Bacterien aufzufassen sei. Auch die frühzeitige Schädigung des 
Herzens gehöre wahrscheinlich in dieses Gebiet und diese trage dann 
ihrerseits wesentlich bei, um neue Complicatiouen (Gangrän der 
unteren Extremitäten u. a.) zu veranlassen. 

So habe sich die Influenza durchaus nicht als die harmlose 
Krankheit erwiesen, wie zu Beginn der Epidemie angenommen 
worden war. Es habe sich vielmehr gezeigt, daß schwere Compli- 
cationen sehr häufig seien, und daß schon vorher Kranke oder Ge¬ 
schwächte erheblieh geschädigt werden können. 

Nach Besprechung der Diagnose der Influenza, für welche 
der icterischen Verfärbung der Sclera und der Milzvergrößerung eine 
gewisse Bedeutung beigemessen wurde, berührt der Vortragende noch 
kurz die Therapie und schließt mit der Bemerkung, daß die in 
dieser Pandemie an vielen Orten gemachten Beobachtungen über 
Verschontbleiben der vom Verkehr Abgeschlossenen einen Fingerzeig 
abgeben könnten, in welcher Weise zur Zeit einer Epidemie Solche, 
die durch die Influenza sehr gefährdet würden, vor der Krankheit be¬ 
hütet werden könnten. S. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 13. Juni 1890. 

Vorsitzender: Hofr. Billroth. — Schriftführer: Dr. Bam- 

BERGKB. 

Doc. Or. S. KLein berichtet über eine Beobachtung, die er 
an Patienten gemacht, die einer Dunkelcur oder, richtiger 
gesprochen, einer Finstercur unterzogen werden. Es zeigt sich 
nämlich constant, fast gesetzmäßig bei solchen Pat. eine bedeutende 
Steigerung des Appetits. Die Gesetzmäßigkeit, mit der diese 
Erscheinung auftritt, regt K. zu der Bemerkung an, ob es nicht 
zweckmäßig wäre, die Finstercur in Fällen anzuwenden, bei welchen 
die Ernährung stark darniederliegt. 

Prof. SALZER jun. demonstrirt eine 11jährige Patientin, die 
seit vielen Jahren an Ohrenfluß litt und bei der im Februar auf 
der hiesigen Ohrenklinik die ßorsäurebebandlung eingeleitet und 
linkerseits das Evidement vorgenommen wurde. Im unmittelbaren An¬ 
schluß an die Operation traten schwere Erscheinungen, wie Mattig¬ 
keit, Fieber, Erbrechen und Krämpfe auf der rechten Körperhälfte 
auf. Bei der Aufnahme in’s Spital zeigte die Pat. nebst anderen 
cerebralen Erscheinungen Paraphasie und einen fötiden Ausfluß aus 
dem linken Ohre. Da die Erscheinungen einen das Leben def Pat. 
bedrohlichen Charakter annahmen, wurde oberhalb des Proc. mastoideus 
trepanirt. Gleich nach Eröffnung der Schädelhöhle stieß man auf 
einen Sphacelus der Dura mater, der exstirpirt wurde, worauf das 
Gehirn bloßlag. Da ein Absceß an dieser Stelle vermuthet wurde, 
machte S. einige Probepunctionen, die aber ein negatives Resultat 
ergaben. Nun wurde der Sinus sygmoideus untersucht; die Punction 
desselben ergab eine jauchige, übelriechende, dünne Flüssigkeit. Der 
Sinus wurde in ziemlicher Ausdehnung eröffnet, die Wand desselben 
exstirpirt; Reinigung mit Sublimat, Tamponade; die Wunde wurde 
offen behandelt. Der weitere Verlauf war ein günstiger. Das Fieber 
schwand, das Sensorium stellte sich wieder vollkommen ein, das 
Allgemeinbefinden besserte sich. Der einige Tage nach der Operation 
wahrgenommene, nach links taumelnde Gang und ein von der Pat. 
angegebenes Gefühl, als ob sie nach link» aus dem Bette fiele, 
könnte vielleicht auf eine Affection der Bogengänge zurückgeführt 
werden. 

In einem ähnlichen, einen 24jährigen Mann betreffenden 
Fall wurde dieselbe Operation ausgeführt, doch ging Pat. wegen 
der bereits vor der Operation bestandenen, zu weit vorgeschrittenen 
Pyämic zu Grunde. 

Auf Grund des deraonstrirten Falles glaubt S., daß in den 
Fällen, wo eine Sinusthrombose vermuthet wird, oder wo cerebrale 


Erscheinungen im Anschluß an Ohreiterungen auftreten, die Tre¬ 
panation und Exploration (mittelst PfiAVAz’scher 8pritze), resp. weite 
Eröffnung des Sinus sygmoideus angezeigt ist. 

Prof. Politzer bemerkt, daß der demonstrirte Fall das Bild 
einer mit einem Gehirnabsceß complieirten Meningitis bot. Für Hirn- 
absceß schien die Sprachstörung und die gegenständige Lähmung 
zu sprechen. Daß es sich nicht um einen solchen handelte, dafür 
sprach nicht so sehr das negative Ergebniß der Probepunction, als 
vielmehr das Schwinden der Symptome nach der Operation. Letztere 
waren wahrscheinlich durch eine Hyperämie und seröse Dnrch- 
tränkung der Dura bedingt. Daß in diesem Falle trotz der jauchigen 
Masse im Sinus keine Pyäraie auftrat, erklärt sich dadurch, daß 
wahrscheinlich der Sinus nach oben und unten mit Thromben verlegt 
war. P. empfiehlt ebenfalls für solche Fälle die baldige Bloßlegung 
des Eiterherdes. . 

Docent Dr. R. Paltauf demonstrirt die Organe eines 21jährigen 
Mannes, der mit der Diagnose „tuberculöse Pericarditis“ zur Section 
gelangte. Es fanden sich in den Lungen nur wenige zerstreute 
Knötchen und kreidige Herde, dann mehrere hämorrhagische Infarcte, 
in deren Centrura mit Eiter gefüllte Aeste der A. pulmonalis lagen. 
Das Pericardium war mit Eiter gefüllt. In demselben fanden sich 
zahlreiche Actinomyceskörner. In der Wand des rechten Ventrikels 
fanden sich größere actinomycotische Geschwülste. Es handelt sich 
also um Actinomycose der Lunge und des Herzens, 
wobei die primär afficirte Lunge so gering betheiligt ist. Im Peri- 
cardialeiter fanden sich viele Körner, während in dem der Gefäße 
und in den jauchigen lnfarcten keine Körner, sondern verzweigte 
Fäden und feinste Körnchen vorhanden waren. 

Dr. PlLZ demonstrirt einen Fall von Schindung der Geni- 
t a 1 i e n. Pat. blieb beim Herabgleiten an einem Seile an einem 
Nagel hängen, wobei die ganze Haut von den Leistenbeugen bis 
zum After abgelöst wurde, so daß die Genitalien bloßlagen. Anfangs 
wurde der Hautlappen reponirt; da er sich aber löste, mußte die 
große Wunde mittelst Plastik und TmERSCH’scher Transplautation 
gedeckt werden, was vollständig gelang. 

Dr. HlNTERSTOISSER Stellt einen geheilten Fall von per- 
forirender Schußverletzung des Abdomens vor. Der 
Schuß ging in die linke Hinterbacke, das Projectil drang rechts von 
der Symphyse gegen die Mitte und gelangte nach Zertrümmerung 
des Schambeines nach außen. Es trat sofort Erbrechen und heftige 
Blutung aus der Wunde, der Harnröhre und dem Rectum auf. Durch 
die Wunde kam Koth und Urin, der Mastdarm war an zwei Stellen 
perforirt, die Symphyse zertrümmert. Der Wundcanal wurde der 
ganzen Länge nach drainirt, und mit Jodoformgaze verbanden. Nach 
Abstoßung mehrerer Sequester heilte schließlich die Wunde voll¬ 
ständig. Vor 4 Wochen wurde mittelst Urethrotomie ein Knochen¬ 
stück aus der Harnröhre entfernt. Bis auf eine geringe Strictur 
der Pars membranacea und des Rectums ist Pat. geheilt. S. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 18. April 1890. 

(Schluß.) 

Docent Dr. Dittrich: Ein Beitrag zur Diagnose stattgehabter 
Geburten. • 

Die Beantwortung der Frage, ob eine Frauensperson kürzere 
oder längere Zeit vor ihrem Tode überhaupt jemals geboren habe, 
kann sowohl zur Feststellung der Identität, oder auch in forensischer 
Beziehung von großer Bedeutung sein. Sehr zu statten kommt bei 
derlei Untersuchungen der Umstand, daß der Uterus gegenüber den 
anderen Weichtheilen des Körpers sehr resistent gegen Fäulniß ist; 
ja es sind Fälle vorgekommen, in denen außer dem Uterus keine 
anderen Weichtbeile des Körpers erhalten geblieben waren. So hat 
Prof. v. Maschka vor mehreren Jahren die in einem Canale auf¬ 
gefundene Leiche eines 1 Jahr zuvor plötzlich verschwundenen 
Mädchens obducirt, bei welchem der Verdacht auf Fruchtabtreibung 
bestand, wo sämmtliche Weichtheile des Körpers mit Ausnahme der 
nur geringe Fäulnißspurcn zeigenden virginalen Gebärmutter durch 
hochgradige Fäulniß vollkommen zerstört waren. 


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Was nun die Merkmale einer stattgehabten Geburt anbelangt, 
so gestatten, wie bekannt, die veränderte Form des Muttermundes, 
sowie die an demselben wahrnehmbaren vernarbten Einrisse einen 
ziemlich sicheren Rückschluß auf voran gegangene Geburten, aber 
nur bei Frauen, welche mehrere Male geboren haben. Ist jedoch 
nur eine Geburt vorhergegangen und ist seitdem längere Zeit ver¬ 
strichen, so kann der Muttermuud sowohl, als die Portio ein voll¬ 
kommen virginales Aussehen haben; hat nun gar ein Abortus oder 
eine Frühgeburt stattgefunden, so kann die Diagnose einer statt¬ 
gehabten Entbindung ungemein schwierig oder auch unmöglich werden. 
Hier kann nur eine genaue mikroskopische Untersuchung des Organs 
die Diagnose ermöglichen. 

Von den mikroskopischen Merkmalen vorangegangener Ge¬ 
burten in nicht frisch puerperalen Uteris sind in erster Reihe die 
von Balin beschriebenen Veränderungen an den Arterien der Ge¬ 
bärmutter (hyaline Degeneration und Necrose der Media) hervorzu¬ 
heben, welche jedoch in Fällen von Abortus oder frühzeitiger Geburt 
gar nicht oder kaum merklich entwickelt sind. 

Bei seinen Untersuchungen über die Involution des puerperalen 
Uterus unter pathologischen Verhältnissen hat D. eine längere Zeit 
persistirende Marcidität des Uterus constatirt und dieselbe auf die 
vorhandene Necrose eines größeren oder geringeren Theiles der 
Uterusmusculatur zurückgeführt. Auch die sehr oft vorhandene 
Marcidität der Uteri alter Frauen glaubte D. auf die gleichen Ver¬ 
änderungen der Uterusmusculatur zurückführen zu müssen, weil er in 
mehreren von ihm untersuchten marciden Uteris alter Frauen, welche 
jedoch sämmtlich mehrere Male geboren hatten, eine mehr oder 
weniger ausgebreitete Necrose der Muskelfasern gefunden hat. In 
jüngster Zeit jedoch bat Redner den Uterus einer 61 Jahre alten, 
an Tuberculose verstorbenen Virgo intacta untersucht und trotz 
hochgradiger Marcidität keine Spur von Degeneration oder Necrose 
der Musculatur gefunden; er glaubt deshalb die Necrose der 
Muskelfasern als Ursache der Marcidität der Uteri alter Frauen 
nur auf jene Fälle beschränken zu müssen, bei welchen Geburten voraus¬ 
gegangen sind. 

D. hält deshalb nach seinen Erfahrungen eine vorhandene 
Necrose der Uterusmusculatur als ein untrügliches Zeichen einer 
stattgehabten Geburt, welches eine umso größere forensische Be¬ 
deutung hat, weil dadurch unter Umständen ein selbst lange Zeit 
vor dem Tode stattgebabter Abortus diagnosticirt werden kann. Es 
läßt sich ferner daraus schließen, daß wenigstens nach einer Ge¬ 
burt die Involution keine normale war. Umgekehrt kann man aus 
dem Fehlen der Necrose nicht schließen, daß niemals eine Geburt 
stattgefunden hat. Auch bezüglich der Zeit der vorausgegangenen 
Geburt lasBe sich daraus kein Schluß ziehen. —z. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 3. Mai 1890- 

Dr. J. GYURMANN demonstrirt das Präparat einer Syringo¬ 
myelie. Das Leiden begann 1886, dann trat 1887 Schwäche 
und Abmagerung auf, dabei Kältegefühl in den Oberextremitäten. 
Die schon vor 2 Jahren auf der KORÄNYl’schen Klinik gestellte 
Diagnose wurde auch vom Vortr. selbstständig gemacht. Der Kranke 
ging stark gebückt, so daß das Kinn das Sternum berührte. Allge¬ 
meine Muskelatrophie, Störung des Muskel- und Tastgefühls. Haut¬ 
reflexe fehlten, ausgenommen den Cremaster- und den gesteigerten 
Patellarreflex. Heiß und kalt wurden nicht unterschieden. Sinnes¬ 
functionen intact. Spastische Erscheinungen. Die Krankheit verlief 
ohne Schmerz und Fieber. Die Obduction des am 26. April ver¬ 
storbenen Pat. ergab (Dr. Pertik) : Ependymitis chronica granu- 
laris, Hydrocephalus internus. 

Die sichere Entscheidung, ob Syringomyelie oder Hydromyelie, 
kann nur durch die histologische Untersuchung erfolgen. 

Dr. H. Preisz bemerkt hiezu, daß nicht immer die Hydro¬ 
myelie durch Stauung und die Syringomyelie durch Geschwulst be¬ 
dingt ist, wie dies von ihm beobachtet wurde. 


I Prof. KorAnyi führt aus, daß man in diesem Falle Hydro¬ 

myelie ausschließen könne, weil kein Hydrocephalus vorhanden war 
und das Leiden nicht in der Kindheit begonnen hatte. 

Prof. BÖKE stellt einen durch Pilocarpin geheilten Fall 
von Trommelhöhlen - Catarrh und Labyrinthaffec- 
tion vor. 

Vortr. hat in 14 Fällen von Taubheit, wo jede andere Be¬ 
handlungsweise in Stich gelassen hatte, subcutane Pilocarpininjec- 
tionen versucht. Nur in 3 Fällen trat Besserung ein. Aus diesem 
Grunde sprach er sich auf dem Brüsseler Congresse die Ohrenärzte 
dahin aus, daß man in solchen Fällen vom Pilocarpin nicht immer 
gute Resultate erwarten dürfe. Der vorliegende günstige Fall betrifft 
einen 37jährigen Schlosser, der am 11. März auf die Ohren¬ 
abtheilung des Rochus-Krankenhauses aufgenommen wurde. Das 
Schlechthören hatte vor etwa 5 Monaten begonneu; zur Zeit der 
Aufnahme war er taub und klagte über Schwindel. Taschenuhr, 
Stimmgabel, selbst vom Schädel aus, Flüstersprache wurden nicht 
gehört. Trommelfell beiderseits abgeflacht, dunkclroth, der glänzende 
Kegel und der Hammer nicht wahrnehmbar. Katheterisation und 
Jodkalium bewährten sich nicht. Der Kranke stand schon einmal 
im Rochus-Krankenhause wegen Syphilis in Behandlung und litt 
derzeit auch an Acne syphilitica auf der Stirn. Am 20. März bekam 
er 5 Mgrm. Pilocarpin subcutan, so daß bis 31. März 6 Cgrm. ein¬ 
verleibt wurden. Dabei besserte sich stetig das Gehör, besonders 
links. Im Laufe des April bekam er Injectionen zu 1 Cgrm., so 
daß zusammen 36 Cgrm. verbraucht wurden. Der als vollständig 
geheilt zu betrachtende Kranke hört die Taschenuhr beiderseits auf 
0'3 M., Fittstersprache auf 4—5 M. Distanz. Das Pilocarpin wirkt 
nach dem Vortr. günstig bei Taubheit syphilitischen Ursprunges, in 
sonstigen Fällen aber nicht. 

Dr. A. HaVAS zeigt einen Fall von Acne varioliformis. 
Dieselbe, von Hebra zuerst beschrieben, kommt besonders auf der 
Stirn vor und besteht aus* einzeln -stehenden oder oonfluirenden 
bräunlichen Infiltraten von Linsengröße und darüber, welche, nach 
einigen Tagen sich verflüssigend, zu Bläschen werden, deren 
Mitte eine Delle zeigt. Nach Ablösung des Schorfes bleibt eine 
Narbe wie nach Variola zurück. Die Acne varioliformis heilt zu¬ 
weilen nach kurzem Bestehen, zuweilen recidivirt sie Jahre hindurch 
mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Therapie: Seifenwaschungen 
und Emplastr. cinereum. In der neuesten Zeit wurden Mikroben ge¬ 
funden, weshalb Sublimatwasohuugen angewendet werden. Gegen 
den folliculären Ursprung des Leidens spricht die Abwesenheit von 
Comedonen an der Spitze der Infiltrate. 

Dr. i. BokAI zeigt einen sehr seltenen Fall von Mast¬ 
darmpolypen. 

Dr. K. Buday: Die Entstehungsweise der hämatogenen Ge¬ 
lenksentzündungen. 

Wir verstehen darunter jene Gelenksentzündungen, bei welchen 
der Infectionsstoff durch den Blutstrom den Gelenken zugeführt wird. 
Diese Gelenksentzündungen sind entweder secundär, wie bei 
Pyämien, Endocarditis ulcerosa, Febris puerperalis u. s. w., oder 
primär, als welche wir die Polyarthritis rheumatica betrachten 
können. Die feineren histologischen Veränderungen bei secundärer 
oder metastatischer Arthritis waren bisher wenig studirt. Allgemein 
nimmt man an, daß bei denselben kein metastatischer Embolus von 
Eiterungsbacterien nachweisbar ist, sondern es handle sich dabei 
um sogenannte secretorische Metastasen, d. h. um Ausscheidung 
von mit pathogenen Bacterien inficirter Synovia aus dem Blute. 
Vortr. fand, daß in die Ohrenvene von Kaninchen eingespritzte 
Eiterungsbacterien gewöhnlich nicht in die Synovia übertreten, 
sondern nur dann, wenn in den Blutgefäßen der Synovialhaut 
Mikrococcusemboli entstehen, welche zu Hämorrhagien, Necrose und 
Bildung von Eiterherden führen. Zwei Obductionsbefunde, deren 
einer Pyämie und der andere Endocarditis ulcerosa betraf, ließen 
bei genauerer Untersuchung in der zu Stande gekommenen meta¬ 
statischen Gelenksentzündung die Mikrococcenembolien in den Capillaren 
erkennen. Vortr. fand in einem von ihm obducirten Falle von 
Polyarthritis rheumatica in der Gelenksausscheidung den Strepto¬ 
coccus pyogenes. Die Todesursache war Pleuropneumonie, bedingt 
durch einen embolischen Eiterherd, wo derselbe Coccus nachzuweisen 


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war. Für die ätiologische Bedeutung der pyogenen Coccen bei 
diesen Fällen von Polyarthritis rheumatica spricht Folgeudes: 
Zwischen metastatiseher und rheumatischer Polyarthritis besteht 
weder anatomisch, noch klinisch ein wesentlicher, sondern nur ein 
gradueller Unterschied. Die Neigung zu Recidiven, welche für so 
charakteristisch bei Rheumatismus angesehen wird, spiolt gerade 
bei den durch Eiterungsbacterien hervorgerufenen Affectionen eine 
Rolle, wie bei Osteomyelitis infectiosa, Endocarditis ulcerosa. Auch 
ist die nach Polyarthritis so häufig auftretendo Endocarditis durch 
pyogene Bacterien bedingt; desgleichen sind die Pneumonien bei 
Rheumatismus, wie auch im gegenwärtigen Falle, Streptococcus 
Pneumonien, bedingt durch capilläre Mikrococcus-Embolien. Die Gut¬ 
artigkeit der rheumatischen Gelenksentztlndungen könnte dadurch 
erklärt werden, daß dabei weniger pyogene Bacterien im Blute 
circuliren, als beispielsweise bei Pyämie. Ausgedehntere Unter¬ 
suchungen werden testzustellen haben, ob die Eiterungsbacterien in 
den Gelenksexsudaten bei Rheumatismus constant und ausschließlich 
vorhanden sind. 

Dr. J. Bokai bekämpft vom klinischen Standpunkto die An¬ 
nahme einer Verwandtschaft zwischen rheumatischer und metastatischer 
Gelonksentzünduug. Letztere hatte er Gelegenheit nach Scharlach, 
Diphtherie, Variola und Varicella zu beobachten Während Salicyl 
säure-Präparate bei rheumatischer Polyarthritis specifisch wirken, 
sind sie bei ersteren unwirksam und heilen jene von selbst. 

Prof. Koranyi hebt gleichfalls den günstigen Verlauf der bei 
rheumatischer Polyarthritis auftretenden Pleuritiden, Pneumonien, 
Peritonitiden und Meningitiden hervor — eine Ausnahme bilden die 
Endo- und Pericarditiden — gegenüber den meist ungünstig endenden 
pyämischen Gelenkscntzündungcn, welche gewöhnlich nur auf wenige 
Gelenke beschränkt sind. Es ist anfänglich oft schwer, die Differential¬ 
diagnose zwischen Arthritis rheumatica und pyaemica zu stellen, 
aber der klinische Verlauf bringt die Entscheidung. 

Dr. Buday erwidert, daß es nicht unmöglich sei, daß dieselbe 
Bacterieuart zwei klinisch verschiedene Krankheiten erzeuge. Man 
neigt heute in der Bacteriologie zur Anschauung, daß nicht der 
Nachweis der Bacterien die Hauptsache sei, sondern das Verhältuiß 
des Organismus zu denselben, d. h. die Widerstandsfähigkeit des 
Organismus. n. 


Notizen. 

Wien, 14. Juni 1890. 

Eine Reform im „Wiener medicinischen Doctoreu- 
Collegium“. 

Der ärztliche Stand geht seiner Organisation entgegen. Trotz 
zahlreicher Hindernisse und heftiger Gegnerschaft ist der Tag 
nicht mehr fern, an welchem das Gesetz über die Creirung von 
Aerztekammern zur Annahme und Sanction und, unterstützt 
und getragen von der überwiegenden Mehrheit der Aerzte, zur 
Durchführung gelangen wird. 

Es ist hohe Zeit, daß unser Stand eine officielle, frei gewählte 
Vertretung finde, an welcher es demselben bisher vollständig gefehlt. 
Wir sagen „vollständig“, weil selbst die größte ärztliche Corporation 
unseres Vaterlandes, das „Wiener medicinische Doctoren-Collegium“, 
ihre Verpflichtung, die Interessen des ärztlichen Standes energisch 
zu vertreten, wohl erkannt, leider aber nicht erfüllt hat, zum Theile 
wohl auch nicht erfüllen konnte. Wohl vernahm man zeitweilig 
von wichtigen Beschlüssen im Schoße des Geschäftsrathes; es kam 
sogar vor, daß diese Beschlüsse in den gelesensten Tagesblättern 
promulgirt wurden (wir erinnern an die Beschlüsse bezüglich des ärzt¬ 
lichen Minimalhonorars, sowie betreffs des Pauschalhonorars der Kranken- 
cassen); der Erfolg blieb sowohl beim Publicum, als auch bei den 
Acrzten aus. Das Collegium entwickelte mit großem Apparate und 
entsprechender Schwerfälligkeit eine rein akademische Thätigkeit, 
welche dem ärztlichen Stande keinerlei Vortheil brachte. Gleich- 
giltig las man — zumeist erst nach Wochen und Monaten — die 
Beschlüsse des Geschäftsrathes in dessen „Mittheilungen“; gleich- 
giltig ging man über dieselben zur Tagesordnung über; man dis- 


cutirte sie nicht einmal. Wie Hohn erscheint ein Passus des 
Referates, welches der morgigen außerordentlichen Generalversamm¬ 
lung des Collegiums vorgelegt werden soll und in welchem es heißt, 
der einzige von Erfolg begleitete Schritt des Collegiums sei die 
Agitation desselben gegen die Errichtung von Aerztekammern im 
Jahre 1880 gewesen , eine Agitation , welche in der That die Ableh¬ 
nung des betreffenden Gesetzentwurfes im Parlamente zur Folge hatte. 

Wen wird es Wunder nehmen, daß nach solchen Erfolgen 
einzelne, jüngere Geschäftsräthe schon vor längerer Zeit dem 
Wunsche Ausdruck gaben, es möge Nichts unversucht gelassen 
werden, um dem Collegium, das seit seinem unfreiwilligen Aus¬ 
scheiden aus dem Verbände der Universität (1873) nur als Hüter 
der I’ensions und Witwen- uud Waisenversorgungs-Instituto Existenz¬ 
berechtigung besaß, eine „officicll anerkannte“ Stellung wieder zu 
verschaffen ? 

So beifällig dieser Wunsch aufgenommen ward, so schwer war 
er zu erfüllen; ja, heute wird er vom Referate pure et simple als 
undurchführbar erklärt, da man endlich zur Ueberzeugung gekommen 
ist, daß die einzige zweckmäßige Organisation des ärztlichen Standes 
in der Einführung gesetzlicher Zwangscorporationen zu 
suchen ist, deren Stimme bei allen den ärztlichen Stand betreffenden 
Verfügungen gehört worden muß, bevor dieselben Gesetzeskraft er¬ 
langen, die daher einzig und allein berufen sein können, die Inter¬ 
essen dieses Standes erfolgreich zu vertreten. 

Mit dieser Erkenntuiß ist wohl die Stellung charakterisirt, 
welche das Referat den einst so befehdeten Aerztekammern gegen¬ 
über einnimmt. Damit abdicirt das Collegium von dem bislang 
krampfhaft festgehaltenen, wie hervorgehoben, lediglich ideellen 
Prestige, Vertreter der Aerzte zu sein, uud will sich für die Zukunft 
mit einer Stellung bescheiden, die sicherlich leichter errungen 
und unsebwerer behauptet werden wird, als die bisherige fictive 
Position. 

Das Ziel des Collegiums, als des größten und durch seine 
Institute hervorragendsten ärztlichen Vereines der Monarchie, muß, 
wie der Bericht mit anerkennenswerthem Ernste hervorhebt, in Zu¬ 
kunft darin gesucht werden, mit Unterstützung der kleineren, jedoch 
zumeist rührigen ärztlichen Bezirksvereine Wiens die Führung der 
Aerzte Wieu8 zu erringen, auf daß es in wichtigen Standesfragen 
mit der Vertretung der Interessen seiner Mitglieder die Interessen 
aller Aerzte unserer Stadt zu vereinigen und einen entscheidenden 
Einfluß auf die Wahlen in die Kammern zu nehmen vermöge, 
nachdem die Idee, selbst in der n. ö. Aerztekammer aufzu¬ 
gehen , d. h. das Collegium in dieselbe zu verwandeln, mit 

Recht endgiltig aufgegeben wurde. Diesem Ziele sollen jene 
Reformen dienen, welche der morgigen Versammlung vorge¬ 
schlagen werden sollen; sie gipfeln in den Anträgen, die Ent¬ 
scheidung über wichtige Fragen nicht dem Geschäftsräthe, sondern 
dem Plenum, also allen Mitgliedern des Collegiums anheim¬ 
zustellen, in Erleichterung des Eintrittes in die Humanitäts¬ 

institute , Gründung eines „Rechtsschutzvereines“ nach Berliner 
Muster und einer Stellenvermittlung für Aerzte der gesamraten 
Monarchie, sowie Pflege der Wissenschaft durch wissenschaftliche 
Versammlungen, in welchen, soweit dies möglich ist, systematische 
Fortbildung8Curse für praktische Aerzte abgehalten werden sollen, 
und durch Vermehrung der Bibliothek. Gleichzeitig wird der Beitritt 
des Collegiums zum österr. Aerztevcreinsverbande und die Annahme 
einer Resolution empfohlen, welche sich für baldige Einführung der 
Aerztekammern ausspricht. 

Dies der wesentliche Inhalt des Referates, welches morgen 
dem Plenum unterbreitet werden wird. Die Entscheidung der 
Mehrheit der Mitglieder in diesen vitalen Fragen ist mit Sicherheit 
nicht vorauszuseben. Gar Mancher dürfte aufstehen, um das Be¬ 
harren auf dem bisher eingeschlagenen, nicht zur Höhe, sondern in 
sumpfige Niederungen führenden Wege zu vertreten; gar Mancher 
dürfte seiner Gegnerschaft in der Aerztekammerfrage beredten Aus¬ 
druck verleihen, in der eitlen Hoffnung, das Collegium vermöchte 
durch eine neuerliche Petition gegen die Kammern einen zweiten 
Pyrrhussieg zu erringen. Und doch wird es sich morgen nicht um 
die Errichtung der Kammern handeln, die mit oder gegen den 
Willen des Collegiums in nicht allzu ferner Zeit erstehen werden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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Morgen wird die Zukunft des Doctoren-Collegiums den Gegenstand 
der Verhandlung bilden, die Zukunft unseres größten Vereines, 
welcher unter richtiger, zielbewußter Leitung, in weiser Erkenntniß 
seiner Pflichten und Rechte, frei von altersgrauen Vorurtheilen und 
Prätensionen zu neuem Leben erblühen möge ! 


(Wiener medioin. Doctoren-Collegiura.) Montag, 
den 16. Juni 1890, findet eine außerordentliche Generalversammlung 
dieses Collegiums mit folgender Tagesordnung statt: 1. Antrag des 
Geschäftsrathes auf folgenden Zusatz zu den Statuten: „Das Wiener 
medicin. Doctoren-Collegium hat das Recht, dem österreichischen 
Aerzteveroins-Verbände beizutreten.“ — 2. Vorlage einer Resolution 
betreffs der Errichtung von Aerztekammern. — 3. Antrag des Ge¬ 
schäftsraums: Das Wiener medicin. Doctoren-Collegium ist einer 
zeitgemäßen Reform zu unterziehen. Der Geschäftsrath wird beauf¬ 
tragt, diesbezügliche Vorschläge zu erstatten. 

(Niederö8terreichischerLande8-Sanitätsrath.)In 
den im Monate Mai d. J. abgehaltenen Sitzungen des n.-ö. Landes- 
Sanitätsrathes referirte u. A. Dr. Gauster über die NothWendigkeit 
der Errichtung von Pflegeanstalten für Schwachsinnige 
im Lande, woselbst es trotz des Vorhandenseins einzelner Privat¬ 
institute für schwachsinnige Kinder an einer Pflegeanstalt für nicht 
gemeingefährliche Epileptische vollständig mangelt. Der n. ö. Landes- 
Sanitätsrath ersuchte daher den Statthalter, der dringend nothwen- 
digen Errichtung von Pflegeanstalten für Epileptische, ferner der 
Gründung von Schulen für Geistesschwache und dem Asylwesen für 
Geistesschwache höheren Grades seinen Einfluß zuzuwenden. 

(Rückzahlung militärärztlicher Stipendien.) Das 
Reichs-Kriegsministerium hat bezüglich des Ersatzes jener Stipendien, 
welche Studirenden der Medicin seitens der Militärbehörde unter 
der Bedingung bewilligt wurden, daß dieselben nach Erlangung des 
Doctorgrades als Berufsmilitärärzte dem Heeres verbände beitreten, 
folgende Entscheidung getroffen: Bei Ersatz-Nachsichtsgesuchen über 
rückzuzahlende militärärztliche Stipendien jener Militärärzte, welche 
vor ihrer Anstellung als Berufsoberärzte mit solchen Stipendien zur 
Bestreitung der Rigorosen- und Promotionstaxen betheilt waren, 
können selbst wesentliche Aenderungen der Verhältnisse der Ersatz¬ 
pflichtigen nie zu Gründen der angesuchten Ersatznacbsicbt gemacht 
werden. Die Vorschüsse wurden mittellosen Aspiranten des militär- 
ärztlichen Officierscorps deshalb bewilligt, um sie in der Ablegung 
der Rigorosen nicht anfzuhalten; eine weitere materielle Begünstigung 
ist damit nicht verbunden. Die Gesuche um Befreiung von der 
Rückzahlung sind gegen den fünften Abschnitt der Vorschrift Uber 
das Verfahren bei Aufrechnungs-Bedeckungen, Passirungen und Er¬ 
satzverhandlungen, und die Instruirung der Gesuche ist für die Bitt¬ 
steller nur mit unnützen Auslagen verbunden. 

(Aerztliche Abgeordnete.) Während der österreichische 
Reicbsrath eine verschwindend geringe Zahl von Aerzten zählt, ein 
Umstand, der bei Fragen, welche das Interesse unseres Standes 
tangireu, sich stets fühlbar machte, gehören den beiden Kammern 
des französischen Parlamentes nicht weniger als 80 Aerzte an, 
welche — ohne Rücksicht auf ihre Parteistellung — Angelegen¬ 
heiten des ärztlichen Berufes einer Vorberathung unterziehen und 
im Sinne der gefaßten Beschlüsse votiren. Hiedurch wird den Aerzten 
Frankreichs die Gewißheit, daß ihre Angelegenheiten gründlich und 
sachgemäß behandelt und ihre berechtigten Wünsche berücksichtigt 
werden. 

(Jahrbuch der praktischen Medicin.) Der neueste 
Jahrgang des von San.-R. Dr. S. Guttmann in Berlin unter Mit¬ 
wirkung zahlreicher Fachreferenten herausgegebenen, von uns wieder¬ 
holt gewürdigten Jahrbuches ist soeben erschienen. Auch der Jahr¬ 
gang 1890 rechtfertigt das ungetheilte Wohlwollen, mit welchem 
die Kritik den Bestrebungen aller Factoren gerecht wurde, einen 
aus der Fluth der gegenwärtigen Publicutionen sorgfältig aus¬ 
gewählten , für den Praktiker berechneten summarischen Bericht 
über die Fortschritte der Heilkunde und der grundlegenden Fächer 
(descriptive und pathologische Anatomie, Physiologie), sowie der 
gerichtlichen Medicin, der Hygiene, des Medicinalwcsens (der Oester¬ 
reich betreffende Theil ist von Dr. Heinrich Adler trefflich bear¬ 


beitet), der Militärmedicin und der Geschichte unserer Wissenschaft 
zu erstatten. Die Einzelreferate sind knapp und präcis gehalten 
und derart angeordnet, daß der Leser mit erwünschter Raschheit 
orientirt ist, wozu ein sorgfältig zusamraengestelltes Sachregister 
nicht wenig beiträgt. Zweifelsohne wird das umfangreiche, von der 
Verlagsbuchhandlung F. Enke in Stuttgart sehr gefällig ausge¬ 
stattete Sammelwerk nicht nur unter den medicinischen Schriftstellern, 
sondern auch im großen ärztlichen Publicum zahlreiche neue Freunde 
und Leser finden. 

(Aus Berlin) wird uns geschrieben: Das neu erbaute 
städtische Krankenhaus am Urban, welches in reicher 
äußerer Ausstattung hergestellt und im Inneren mit allen neueren, 
das Hospitalwesen betreffenden Einrichtungen versehen ist, wird in 
diesen Tagen mit Kranken belegt werden. Die Pavillons der Nord¬ 
seite und die in der Mitte belogenen sind für die Männer, die süd¬ 
lichen für die Frauen bestimmt. Der chirurgischen Abthei¬ 
lung unter Leitung von Dr. Körte sind auf der Männerseite 
3 Pavillons mit 153 Betten, auf der Frauenseite gleichfalls 3 Pa¬ 
villons mit 137 Betten, der inneren Abtheilung unter Prof. 
A. Frankel auf der Männerseite 138, auf der Frauenseite 126 
Betten überwiesen; ein Pavillon mit 16 Betten ist für Diphtherie- 
kranke bestimmt. Im Ganzen enthält das Krankenhaus 570 Betten, 
darunter 75 Kinderbetten. Die acht größeren Pavillons haben am 
Corridor zunächst dem Eingänge einen vom Keller bis zum zweiten 
Geschoß reichenden hydraulischen Fahrstuhl, um Schwerkranke im 
Tragkorb bequem nach oben befördern zu können und den im 
oberen Geschoß liegenden Kranken den Besuch der Gärten zu er¬ 
leichtern. Sämmtliche Pavillons stehen unter einander und mit dem 
Leichenhause durch einen unterirdischen Gang in Verbindung, welcher 
es gestattet, die I^eichen ans den Kellern der Pavillons nngeseheu 
nach dem Keller des Leichenhauses zu schaffen. Die ganze Kranken¬ 
anstalt ist mit einer Centralheizung, und zwar theils mit Dampfwasser¬ 
oder Dampfluft-, theils mit direoter Dampfheizung und mit elektrischer 
Beleuchtung ausgestattet. Die elektrische Beleuchtung soll hier zum 
ersten Mal ausschließlich in Anwendung kommen, im Vertrauen auf 
eine ausgedehnte Accumulatorenanlage nach TODOR’schem • System, 
welche beim Stillstände der Maschinen von selbst in Thätigkeit 
tritt und im Stande ist, die Beleuchtung der ganzen Anstalt während 
der Nachtstunden ohne maschinellen Betrieb zu bewerkstelligen. 
Sämmtliche Innenräume sind mit Glühlampen ausgestattet, der Hof- 
raum wird mit Bogenlampen erleuchtet. — Nach dem neu er¬ 
scheinenden amtlichen Verzeichniß des Personals und der Studirenden 
der Friedrich Wilhelm-Univerität beträgt die Gesammtzahl 
der zum Hören Berechtigten im laufenden Sommerhalbjahr 6603, 
von denen 4781 immatriculirte Studenten (darunter Prinz Rupprkcht 
von Bayern) sind. Von diesen gehören 1184 zur medicinischen 
Facultät; außerdem haben 264 Zöglinge der militärärztlichen Bildungs 
anstalten ebenfalls das Recht zum Hören der Vorlesungen. An 
Lehrern zählt die medicinische Facultät 15 Ordinarii, 1 Honorarius, 
46 Extraordinarii und 64 Privatdocenten. — Zum internationalen 
medicinischen Congreß sind die weitesten Kreise bereits in 
regster Thätigkeit, da mindestens 5000—6000 Besucher erwartet 
werden. 

(Statistik.) Vom 1. bis inclusive 7. Juni 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4613 Personen behandelt. Hievon wurden 878 
entlassen; 112 sind gestorben (11 31% des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 32, egyptischer Augenentzündung 2, Cholera—, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 9, Dysenterie —, Blattern 14, Varicellen 41, Scharlach 37, 
Masern 507, Keuchhusten 65, Wundrothlauf 15, Wochenbettfieber 3. — Iu 
der 23. Jahreswoche sind in Wien 400 Personen gestorben (-(-5 gegen 
die Vorwoche). 


(Levico-Arsen-Eisonwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction «ingexendete Recensinns-Exemplare.) 

Kircliboff Tll., Grundriß der Geschichte der deutschen Irrenpflege. Berlin 
1890. Ang. Hirsch wähl. 

Miller A., Die Wirkungsweise der Seebäder. ITI. Auflage. Mit 1 Urbersichts- 
karte. Berlin 1890. Äug. Hirschwald 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


984 


Wesener F., Lehrbuch der chemischen Untersuchungsmethoden zur Diagnostik 
innerer Krankheiten. Mit 28 Abbildungen in Holzschnitt. Berlin 1890. 
F. Wreden. 

Gerhardt C,, Lehrbuch der Auscultation und Percussion. V., vermehrte und 
verbesserte Auflag**. Mit 49 Holzschnitten. Tübingen 1890- H. Lau pp. 
Bertilion A., Das anthropometrische Signalement. Mit 1 Tafel. Berlin 1890. 
F i 8 c h e r. 

Bannigarten P., Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den 
pathogenen Mikroorganismen. IV. Jahrgang, 1888. 2. Hälfte. Braunschweig 
1890. Harald Bruhn. 

Gnttinann S., Jahrbuch der praktischen Medicin. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 
Aerztliclier Bericht des k. k. Allgem. Krankenhauses zu Wien vom Jahre 
1888. Wien 1890- Selbstverlag. 

Lncianl L., Das Hungern. Studien und Experimente am Menschen. Mit einem 
Vorworte von Prof. J. Moleschott in Rom. Autorisirte Uebersetzung 
von San.-R. Dr. M. O. Fraenkel. Mit 8 Abbildungen und 2 Tafeln. 
Hamburg und Leipzig 1890. Leop. Voss. 

Arnold C.« Kurze Anleitung zur qualitativen chemischen Analyse. III. Auf¬ 
lage. Mit 12 Tafeln. Hannover 1890. Carl Meyer. 

Szadek, Index Bibliographicus Dermatologiae. I. 1888. Hamburg und Leipzig 
1890. Leop. Voss. 

Gcyl, Beobachtungen und Ideen über Hypertrichose. Mit 2 Tafeln. Hamburg 
und Leipzig 1890. Leop. Voss. 

Latiger C. v., Lehrbuch der systematischen und topographischen Anatomie. 
IV. Auflage. Bearbeitet von Dr. C. Toi dt. Mit 3 lithoaraphirten Tafeln 
und 5 Holzschnitten. Wien 1890. Wilh. Braumüller. 

_ Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abon¬ 
nenten der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das Juni- 
Heft der „Wi ener Klinik“. Dasselbe enthält: „Pellagra.“ 
Von 0r. Ludwig Berger, k. k. Bezirksarzt in Gradisca. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Bei der Betriebskrankenoasse des k. und k. Marine-Aerarp 

in Pola gelangen mit 1. Angnst 1. J. zwei Posten der Casseärzte gegen eine 
sechsmonatliche beiderseitige Kündigung zur Besetzung. Bewerber um diese 
Stellen, welche mit einem Jahresgehalte von je 1200 fi. dotirt sind, haben 
ihre mit den entsprechenden Belegen versehenen Gesuche bis 1. Juli 1. J. bei 
der genannten Casse einzubringen. Dieselben müssen der österreichisch-unga- 
richen Staatsbürgerschaft angebören, dann der deutschen, italienischen und 
womöglich auch in einer der südslavischen Sprachen mächtig sein und dürfen 
keine wie immer gearteten anderweitigen contractlichen Verbindlichkeiten 
haben, noch eingeben; die Privatpraxis, jedoch ohne Beeinträchtigung der 
Krankenpflege der Mitglieder oder deren Angehörigen, steht ihnen frei. 

Von der Betrie bskrankencasse des k. und k. Marine-Aerars 

in Pola. 

Pola, am 10. Juni 1890. 737 

Der Obmann: J. Jüptner. 

Kundmachung, 

betreffend die Besetzung der zweiten Arztes- (Hilfsarztes-) Stelle im öffent¬ 
lichen Krankenhause in Rann. 

Die zweite Arztes- (Hilfsarztes-) Stelle im öffentlichen Krankenhause in 
Rann kommt zur Besetzung. Mit dieser Stelle ist eine Jahres-Remuneration 
von 400 fl- verbunden. Bewerber um diese Stelle, welche auch der slovenischen 
Sprache mächtig sein müssen, haben ihre entsprechend documentirten Gesuche 
bis 1. Juli 1. J. an den gefertigten Landes-Ausschuß einzusenden. 

Graz, am 6. Juni 1890. 635 

Vom steierm. Landes-Ausscbusse. 

In der Gemeinde Gr.-Schönau, Niederösterreich, kommt 

die Stelle des Gemeindearztes zu besetzen. Mit derselben ist eine Jahres¬ 
subvention von 200 fl., Aussicht auf Erhöhung bis 400 fl., für Todtenbescbau 
67 fl., verbunden. Hausapotheke. Die Stelle ist gleich zu besetzen. Gesuche 
können an obige Gemeinde eingebracht werden. 630 

Joh. Pregartner, Bürgermeister. 


ANZEIGEN. 



KEMMERICH ’S Fleisch -Pepton. 

Nach den von den Herren Prof. Ludwig— 
Wien, Fresenius—Wiesbaden, Koenlg— Münster, 
Stutzer— Bonn ausgeführten Analysen enthält das 
Kemmerleh’sche Fleisch-Pepton ca. 18Vo leicht Iöb- 
licheEi weissstoffe und ca. 89%Pepton.Ke««erieh’s 
Fleisch-Pepton ist das gehaltreichste unter allen 
Peptonen des Handels und das einzige, welches 
mit höchste« Nihrwerth einen angenehmen Ge¬ 
schmack und Geruch verbindet. Dasselbe ist über¬ 
all zu empfehlen, wo Elwelsszufnhr nöthig und 
wegen gestörter Verdauung in fester Form nicht 
möglich ist, besonders auch zur Ernährung durch 
Klystiere. — Kemaerich’s Pepton ist käuflich in 
den Apotheken. Kn gros-Niederlage für OeBterreich- 
Ungnrn bei: G. & K. Fritz. Wien. I. Brännerst.r. 1. 



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Wasserheilanstalt, Soolbäder, Elektri- 
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1 iueiilliclifi Nerven- nnd GemntMran^e 

zu Görlitz (PreuBBiflOh'Sohlesien). 

Ansführliohe Prospecte zu erhalten von 

130 Dr. Huhlhuum. 


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Nr. 25. 


Sonntag den 22. Juni 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Gross-^nart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
atuserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
anfträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährf. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
K li ni k“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern nnd Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximillanatr. 4. 


Medizinische Presse. 

Organ für praktische Aerzte. 


-3S8' 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag yon 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Zur Wundbehandlung ohne Drainage. Von Prof. Emerich Rkczey in Budapest. — Therapie der 
Syphilis. Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. — Nervöse und psychische Störungen nach Exstirpation beider Hoden nebst einigen Bemerkungen 
znr Pathogenese dieser Erscheinungen in der natürlichen nnd künstlichen Klimax. Von Dr. M. Weibs in Prag. — Mittbeilungen ans der 
Praxis. Ein Fall von multipler, acuter, eiteriger Myositis ohne vorausgegangene Verletzung. Von Dr. Busch in Bad Hall (Oberösterreich). — 
Referate nnd literarische Anzeigen. Braunschweio (Halle), O. W. Petkhsen (Petersburg), Ehrlich und Leppmann (Berlin), Maximilian Bresgen 
(Frankfurt a. M.): Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. I. — M. Hajek (Wien): Das perforirende Geschwür der Nasenscheidewand. — Atlas 
von Belenchtnngsbildern des Trommelfelles. Von Prof. K. Bürkner in Göttingen. — Zwölf Vorlesungen über den Bau der nervösen Centralorgane. 
Für Aerzte nnd Studirende von Dr. Ludwig Edinoer in Frankfurt a. M. — Feuilleton. Briefe aus England. (Orig.-Corresp.) II. — Kleine Mit- 
thellongen. Inhalationen von Perobalsam gegen Lungenphthise. — Wirkung des Bromoforms bei Keuchhusten. — Strychnin als Hirnmittel. — 
Behandlung der rheumatischen Neuralgien mit Aetherinjectionen. — Behandlung der Chorea mit salicylsaurem Natron. — Ueber Schnellhärtnng 
des Rückenmarkes vermittelst des elektrischen Stromes. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.- 
Ber.) — Wiener dermatologische Gesellschaft. (Off. Protokoll.) — Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Berliner medicinische Gesell¬ 
schaft. (Orig.-Ber.) — Aus den Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) Sociötö de Chirurgie. — Notizen. — Literatur. — Eingesendet. 
Aufforderung des österreichischen nnd ungarischen Landescomitö znr Förderung des Besuches des X. internationalen medicinischen Congresses und 
der Beschickung der damit verbundenen Ausstellung. — Aerztliehe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Zur Wundbehandlung ohne Drainage. 

Von Pro£ Emerich Räozey in Budapest. 

(Fortsetzung.) 

Schon im Jahre. 1885, als wir über die Resultate dieser 
Wundbehandlungsraethode zu berichten Gelegenheit hatten, 
publicirten wir 20 Fälle, bei denen das Drain fortge¬ 
lassen wurde und die ohne Drain nnd ohne Naht per primam 
heilten. Diese damals angestellten Versuche gelangen so 
gut, daß wir seither gar kein Drain mehr gebrauchen. 

Die Drainröhren bei den antiseptischen Verbänden hatten 
bekanntermaßen keinen anderen Zweck, als daß dieselben dem 
— trotz aller Cautelen sich eventuell bildenden — Eiter, 
dem Blute oder solchen Wundsecreten, welche zur Entwick¬ 
lung der die Wundheilung störenden Mikroorganismen gün¬ 
stigen Nährboden abgeben könnten, raschen und pünkt¬ 
lichen Abfluß sichern. Mit anderen Worten: die — öftere in 
größerer Anzahl — eingelegten Drainröhren sollten das Sicher¬ 
heitsventil sein, und indem dieselben diejenigen Versäumnisse, 
welche bei der Operation oder beim Anlegen des Verbandes 
eventuell mit unterliefen, wieder gut zu machen hatten, zu 
gleicher Zeit den aseptischen Heilungsverlauf sichern. Also 
Mißtrauen gegen jene Vorkehrungen, welche zum Her¬ 
stellen der Asepsis getroffen wurden, Mangel an Ver¬ 
trauen zur angewendeten Blutstillungsmethode waren die 
hauptsächlichsten Motive, welche das Einlegen der Drain- 
röhren bei solchen Wunden forderten, welche vor der Opera¬ 
tion nicht eiterten. 

Wenn wir beim Herstellen der Asepsis von selbst ge¬ 
machten Wunden — also von Operationswunden — ent¬ 
sprechende Genauigkeit einhalten und genügende Schulung 
haben, so müssen wir es für möglich erachten, daß eine gleich¬ 
viel wie große Wunde nach exacter Blutstillung unter dem 
pünktlich und zweckmäßig angelegten Verbände, welcher die 
Wundflächen mit strenger Genauigkeit an einander preßt nnd 
die Wunde comprimirt — also unter dem zweckmäßig ange¬ 


legten antiseptischen Druckverbande — ganz geschlossen 
werden kann und die schnelle Vereinigung derselben erreicht 
werden kann, ohne daß sich in der Wunde Wundsecret 
oder Eiter bildet, daß demnach unter dem genügend lang 
liegen gebliebenen Verbände die Wunde mit einer linearen 
Narbe verheilen muß. Dieser schon von H. Schmio aufge¬ 
stellten theoretischen Aufgabe ist die aseptische Operation 
und der antiseptische Verband vollkommen gewachsen. Eine 
lange Reihe von Thatsachen, eine große Gruppe von ganz 
ideell geheilten Operationswunden verkünden heute schon laut 
genug, daß die moderne Wundheilungsmethode die an dieselbe 
gestellten principiellen Aufgaben in der Praxis auf das 
Glänzendste zu lösen vermag. 

Soll ein solches Verfahren zum Ziele führen, so sind 
hiezu die folgenden vier Factoren unerläßlich: 

1. Genaue Asepsis während der Operation; 
2. vollkommene exacte Blutstillung; 3. Auf¬ 
deckung jeglichen Hohlraumes, wenn nöthig mit 
großen Incisionen; 4. gut angelegter und ge¬ 
nügend lang liegen gelassener antiseptischer 
Druckverband. 

Wir müssen zugeben, daß die chirurgische Praxis noch 
kein einheitliches Verfahren besitzt, welches immer und 
in der Hand Jedermanns die Aufgaben der Asepsis auf 
gleich verläßliche Weise lösen würde, andererseits können 
wir aber nicht leugnen, daß die moderne Chirurgie in der 
Wundbehandlung zu einer Vollkommenheit gediehen ist, 
welche den ideellen Zweck mit einer Wahrscheinlichkeit zu 
erreichen gestattet, die beinahe der Sicherheit gleichkommt. 
Gewissenhafte Desinfection vor der Operation, vollkommen 
aseptisches Operiren und verläßliche antiseptische Verband¬ 
mittel bürgen mit genügender Sicherheit dafür, daß die Wunde 
während der Operation keinen solchen schädlichen Einflüssen 
ausgesetzt war, daß diese die Heilung per primam stören könnten, 
d. h. der Eiterung Vorschub leisten würden. Derjenige Chirurg, 
der mit den Principien der modernen Asepsis im Reinen ist, 
der im Anlegen antiseptischer Verbände genügende Fertigkeit 
besitzt, kann die selbst gemachten Wunden ruhig schließen, 
denn er hat Alles gethan, was er zur ungestörten Heilung 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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der Wunde thun konnte; — er kann seinem Verfahren voll¬ 
kommen vertrauen. Durch die gewissenhafteste Asepsis und 
durch die TJebung beim Anlegen der antiseptischen Druck¬ 
verbände gelangen wir schnell zur Erfahrung, welche uns 
das Vertrauen in unser antiseptisches Verfahren lehrt, und 
dies Vertrauen fuhrt uns alsbald zu der Ueberzeugung, daß 
die Drainröhren beim Behandeln der Operationswunden 
— also der nicht eiternden Wunden — überflüssig 
sind. 

Das Drainrohr genügt in den meisten Fällen nicht der 
Aufgabe, deren wegen dasselbe in die Wunde gelegt wurde, 
ja nicht selten ist es der letzteren schädlich. Das 
Drainrohr ist vor Allem ein Fremdkörper in der Wunde, 
deren schnelle Heilung es verhindert; und mag das Drain 
noch so aseptisch sein, es unterhält einen offenen Canal, durch 
welchen die Wunde mit der Außenwelt communicirt, und 
durch welchen nicht nur die sich etwa bildenden Wund- 
secrete nach außen, sondern auch schädliche Mikroorganismen 
nach innen den Weg finden. Hiedurch wird der aseptische 
Zustand der Wuude stets gefährdet, denn der antiseptische 
Verband kann sich trotz der sorgfältigsten Controle lockern, 
verschieben etc. und der eventuelle Schaden ist vielleicht 
größer, als jener imaginäre Nutzen, den das Drainrohr durch 
die Ableitung des sich etwa bildenden Wundsecretes leistet. 
Außerdem müssen die drainirten Wunden eben wegen der 
Controlirung der Drainwirkung, ja wegen Entfernung der 
Drains häufiger verbunden werden; jeder Verbandwechsel aber 
birgt die Möglichkeit einer Infection in sich und stört die 
zur raschen Heilung der Wunde so sehr nöthige Ruhe. Unter 
welchen ganz anderen Verhältnissen befindet sich die Wunde 
ohne Drainage! Vollkommen geschlossen, geschützt vor jeder 
äußeren- Infection, kann die Wunde bis zum Eintritt der 
Heilung — 8 — 14 Tage lang, ja länger noch — in Ruhe 
verharren. 

Aber das Drainrohr entspricht nicht immer, kann sehr 
oft seiner Aufgabe nicht entsprechen. In vollkommen aseptisch 
behandelten Wunden bildet sich kein Wundsecret; es ist eben 
nichts da, was abgeleitet werden müßte. 

Bekanntlich wendet man das Drainrohr dort an, wo 
nach der Wundvereinigung ein Hohlraum Zurückbleiben könnte, 
in welchem sich das etwa auftretende Wundsecret sammeln 
würde. — Da wir beim Verbände in erster Linie und haupt¬ 
sächlich eine Heilung per primam anstreben, so müssen wir 
einen Verband anlegen, welcher nicht nur die Wundränder 
aneinander, sondern auch die Wundflächen in solch exacte 
Berührung bringt, wie es eben die Heilung per primam er¬ 
heischt. Diese Aufgabe kann nur ein Druckverband 
erfüllen. Wird ein solcher Druckverband genau angelegt, so 
comprimirt derselbe in den meisten Fällen auch das zwischen 
die Wundflächen (in den zurückbleibenden Hohlraum) einge¬ 
legte Gummirohr (Drain), und die Ableitung des eventuell 
sich bildenden Wundsecretes wird nicht bewerkstelligt werden 
können. Ist hingegen der angelegte Verband so locker, daß er 
das Drainrohr nicht zu comprimiren vermag, so ist auch der 
Contact zwischen den Wundflächen ein unvollkommener, und 
die Heilung per primam wird gefährdet sein. 

Bei Operationswunden also, wo zuvor keine Eiterung 
bestand, ist das Drainrohr nur hinderlich und kann, wenn 
der Verband nach heutiger Auffassung präcise angelegt wurde, 
seinem Zwecke nicht entsprechen. 

Seit langer Zeit fühlten die Chirurgen diesen doppelten 
Fehler des Drainrohres und begannen die Zahl der früher so 
verschwenderisch — an 6—8, ja an mehr Stellen — ange¬ 
wandten Drains zu verringern, bald wandten sie statt der 
langen Drains kurze — kaum 2—3 Cm. lange — an, welche 
in die Wundöffnung gelegt wurden und ihrer Aufgabe noch 
weniger entsprechen konnten, reichten sie doch nicht dorthin, 
wo sich eventuell das Secret ansammeln könnte! Das Resultat 
der behufs Vermeidung dieser Uebelstände angestellten Be¬ 


mühungen und Versuche war einerseits das resorbirbare 
decalcinirteKnochendrainrohr, andererseits das nicht 
comprimirbare Glasdrainrohr. Wie wenig beide den Er¬ 
wartungen entsprochen haben, ist aus der einschlägigen 
Literatur sattsam bekannt. 

Doch worin besteht die so sehr gefürchtete Gefahr der 
Wunden, der man mit der Drainage Vorbeugen müßte ? In 
der aus nicht gelungener oder unvollkommener Asepsis ent¬ 
springenden Infection. Diese Infection kann eine rein 
locale, auf einen Theil der Wunde beschränkte, oder eine all¬ 
gemeine, auf die ganze Wunde übergreifende und so den Or¬ 
ganismus gefährdende sein. Die Folge der localen, auf ein 
kleineres Terrain beschränkten Infection wird ein langsam 
sich entwickelnder Absceß oder die Vereiterung des in der 
Höhle der nicht gehörig comprimirten Wunde angesammelten 
Blutes oder des blutig-serösen Wundsecretes sein. Das Resultat 
der allgemeinen Wundinfection tritt hingegen als Gangrän 
der Wundflächen, als Wunddiphtherie oder als phlegmonöse 
Entzündung des Bindegewebes auf. Während die Infection 
im ersten Falle für das Leben des Kranken keine Gefahr 
bringt, bedroht sie im letzteren Falle, von der Wunde aus¬ 
gehend, den ganzen Organismus. 

Das Resultat der localen Infection äußert sich nur lang¬ 
sam, die Absceßbildung schreitet nur langsam vorwärts, zeigt 
sich jedenfalls erst nach jenem Zeitpunkte, innerhalb dessen 
man (3.-5. Tag) die Drains selbst nach der heutigen Ge¬ 
pflogenheit zu entfernen pflegt, und die Erfahrung an einer 
großen Anzahl von Fällen hat es uns gelehrt, daß sich solche 
Abszesse nur höchst selten, man kann sagen, blos zufällig auf 
dem Gebiete der eingelegten Drainröhren bilden; nicht selten 
entstehen sie am Ende des Drains, sozusagen als Beweis 
dessen, daß die als Ursache des Abscesses geltende Infection 
gerade durch den Canal des Drainrohres stattfand. Der 
Blutung zwischen die Wundflächen beugt man durch exacte 
Blutstillung nach der Operation vor, und die Bildung von 
Wundsecret behindert man durch genau angelegten Druck¬ 
verband. Je geringer die Möglichkeit ist, daß zwischen 
die Wundflächen Blut oder Wundsecret gelangen kann, desto 
geringer ist natürlich auch die Möglichkeit der Zersetzung 
dieser Stoffe. Das Drainrohr eignet sioh daher nicht zur Be¬ 
hinderung der localen, auf einen kleineren Theil der Wunde 
beschränkten Infection, und andererseits vermag man diese 
Infection dadurch hintanzuhalten, daß man die Möglichkeit 
einer Blutung zwischen die Wundflächfeh und die Bildung 
von Wundsecret — d ; h. also die Bildung eines günstigen 
Nährbodens für die inficirenden Mikroorganismen — ver¬ 
hindert. 

Die allgemeine Wundinfection: Gangrän der Wund¬ 
flächen, Wunddiphtherie und infectiöse Entzündung des sub- 
cutanen Bindegewebes wird das Drainrohr nie hintanhalten 
können. Derartige Infectionen — wiewohl dieselben jetzt 
schon selten sind — können ebenso bei den drainirten Wunden, 
als bei Wunden ohne Drainage Vorkommen. Wir selbst haben 
derartige Fälle nicht beobachtet. 

Wenn nun nach alldem bei der Behandlung der Opera¬ 
tionswunden, wo früher keine Eiterung bestand, das Drain¬ 
rohr den Erwartnngen nicht entspricht, ja in gewisser Be¬ 
ziehung noch schädlich ist, wenn wir andererseits über solche 
Verfahren verfügen, die jenen Gefahren, deren wegen man 
das Drainrohr bisher anwandte, vorzubeugen im Stande sind, 
dann setzen wir wirklich nichts aufs Spiel, wenn wir das 
Drainrohr bei der Wundbehandlung ganz bei Seite lassen. 

(Schluß folgt.) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 25. 


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Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof. K&posL 

(Fortsetzung.) 


Nachdem wir uns nun darüber klar geworden, daß rück- 
sichtlich der Coupirungsmethode meine Anschauung eine von der 
allgemein herrschenden vielfach abweichende ist, und daß ich 
glaube, daß man keine Vortheile von der frühzeitigen Ein¬ 
leitung einer antisyphilitischen Cur zu erwarten hat, so tritt 
an uns die Frage heran, nachdem wir bei constatirter allge¬ 
meiner Syphilis die allgemeine Behandlung beginnen, mit 
welchen Mitteln und Methoden wir das syphilitische Virus 
im Organismus zerstören können, in welcher Weise wir der¬ 
artige Patienten behandeln? Was steht uns in dieser Beziehung 
zur Verfügung? 

Bevor wir auf die speciellen Mittel und Methoden der 
Behandlung der Syphilis eingehen, will ich Ihnen im Folgen¬ 
den einiges Allgemeine mittheilen. 

Wir haben in Bezug auf die Therapie der Syphilis seit 
dem Ende des 15 und Beginn des 16. Jahrhundeids eigentlich 
nur diuch ein einziges Mittel unseren therapeutischen Vorrath 
gegen Syphilis bereichert. Damals hot man das Quecksilber 
als das wirksamste Mittel befunden, und man hat anfangs 
gar nichts Anderes sonst angewendet. Da aber die Leute ge¬ 
sehen haben, daß das Quecksilber gegen die Lues venerea 
(denn damals hat man noch nicht den Namen Syphilis ge¬ 
kannt; dieser Name ist erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts 
von Fracastokiis eingeführt worden; früher sprach man nur 
von einem Morbus gallicus, welcher Name gleich mit dem 
epidemischen Auftreten der Syphilis etwa um das Jahr 1792 
entstanden ist, oder von einer Lues venerea) nichts nütze, 
die. Patienten nichtsdestoweniger Knochengeschwüre und 
andere ulceröse Formen bekamen, so hat man diese Erschei¬ 
nungen auf das Quecksilber geschoben, wie dies so häufig 
geschieht, und hat für einige Zeit diese Methode verlassen. 
Da sind, um die Zwanziger-Jahre des 16. Jahrhunderts, von 
West-Indien Holztränke (Lignum Guajaci, Sarsaparilla) zu uns 
her Libergekommen, und einzelne Schriftsteller, namentlich Ulrich 
v. Huitkn, der eine Apologie überdieseiben geschrieben hat, haben 
nun dieser Methode sehr eifrig das Wort gesprochen. Nur kurze 
Zeit blieb man bei diesem Mittel, denn nur zu bald überzeugte 
man sich, daß man auch bei den mit Holztränken behandelten 
Kranken nach Jahren allerlei schwere Erscheinungen auftreten 
sieht, und kehrte wieder zum Quecksilber zurück. 

Seit der Zeit ist das Quecksilber eigentlich mit kurzen 
Unterbrechungen, und mit Ausnahme einiger Schulen, 
das als wirksamst bekannte und gebräuchlichste Mittel gegen 
Syphilis bis auf den heutigen Tag geblieben. 

Ich sagte zu Anfang dieses Capitels, daß wir mit Aus¬ 
nahme eines einzigen Punktes keine Fortschritte in der 
Therapie der Syphilis seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts, 
gemacht haben, und diese Ausnahme ist die Behandlung mit 
Jod, das man zu Anfang unseres Jahrhunderts in den Arznei¬ 
schatz eingefiihrt und erst in den Fünfziger-Jahren als Anti- 
syphiliticum in Anwendung gebracht. 

Andere Mittel, denen man im Laufe der Zeit einige 
Wirksamkeit gegen die Syphilis nachgerühmt, sind gar 
nicht des Erwähnens werth; sie hatten alle eine mehr oder 
weniger ephemere Bedeutung und sind heute ganz verlassen 
worden. 

In den letzten Jahren hatGüN’TZ in Dresden über Chrom¬ 
wasser als ein specifisches Mittel gegen Syphilis Mittlieilung 
gemacht. Ich habe darüber gar keine Erfahrungen und bin 
auch nicht geneigt, welche zu machen. 

Wir hätten also als specifisches Mittel nur das Queck¬ 
silber und Jod, und nach Umständen die Holztränke in 


Betracht zu ziehen; von letzteren will ich besonders auf 
ein Medicament aufmerksam machen, das sehr beliebt ist, 
nämlich das Decoctum Zittmanni. In Italien wird statt dessen 
das Decoctum Pollini angewendet. 

Ich spreche zuerst vom Mercur. Indem ich darauf hin¬ 
gewiesen habe, daß zu Anfang des 16. Jahrhunderts die 
Meinung sich geltend gemacht hatte, daß das Quecksilber 
gewisse krankhafte Erscheinungen verschulde, welche aber 
thatsächlich nur weitere Folgen der Syphilis sind, indem die¬ 
selben auch da auftreten, wo die Syphilis gar nicht be¬ 
handelt worden war, brauche ich nicht weitere Worte dar¬ 
über zu verlieren. Daß dieselbe Idee heutzutage wieder 
gelegentlich auftaucht und gewisse Formen der Syphilis 
(Spätformen, Knochenerkrankungen, tiefe ulceröse Formen) 
von den Antimercurialisten aller Zeiten auf Rechnung des 
Quecksilbers geschoben wurden, ist in eingehenden Arbeiten 
erörtert und längst als imbegründet dargethan worden. 

Ich will das hier nur an gedeutet haben, damit Sie nicht 
glauben, daß ich das vollständig ignorire, und um Ihnen ein- 
für allemal den Rath zu ertheilen, sich darum nicht zu 
kümmern. Es sind das Absonderlichkeiten, die von dem Einen 
oder dem Anderen erdacht wurden. 

Es hat derartige Perioden gegeben, wo in ausgedehnter 
Weise Quecksilbercuren angewendet wurden, andere Perioden, 
wo die Leute ganz ohne Behandlung gelassen wurden, 
und da hatte sich ergeben, daß genau dieselben Formen der 
Syphilis später zum Vorschein kommen, wie bei der Queck¬ 
silberbehandlung. Es ist also für die Unbefangenen ein über¬ 
wundener Standpunkt, obgleich er heute noch hin und wieder 
geltend gemacht wurde. Die Frage rücksichtlich der Therapie 
ist nur die, mit welcher Aussicht auf Erfolg das eine oder aas 
andere Mittel angewendet wird, zunächst, mit welcher Aussicht 
das Quecksilber gebraucht wird. Nach meiner Ansicht und 
der Ansicht der erfahrensten Syphilidologen ist die ur¬ 
alte Quecksilbersalbe wohl das wirksamste Mittel gegen 
Syphilis. Das Unguentum cinereum, wie es in der einen oder 
in der anderen Pharmacopöe zubereitet wird, ist zur cutanen 
Anwendung ganz vortrefflich. Man muß nämlich bei der Queck¬ 
silbereinverleibung die cutane, und wie Sie später hören 
werden, die subcutane Einverleibungsweise unterscheiden, und 
ferner d e Einverleibungweise durch den Digestionstract, nach¬ 
dem die Methode der Räucherungen in der Verbindung des¬ 
selben mit Schw'efel als Zinnober heutzutage bei uns außer 
Mode ist. In gewissen Gegenden, namentlich im Orient, wird 
dieses Mittel allerdings heute noch angewendet. 

Wa-i nun die erste Einverleibungsmethode, die 
cutane Anwendung der grauen Salbe in Form von Einreibungen, 
betrifft, so sind dieselben in verschiedenen Zeiten und in ver¬ 
schiedener Weise gemacht worden. Speciell zu Anfang unseres 
Jahrhunderts war die LoiVRiKu’sche Methode in Gang, in 
den Siebziger-Jahren ist die SiuMUNü-HeB.iA’sche Form der Ein¬ 
reibungen zu einer gewissen Methode erhoben worden, indem 
man gewisse Nachtheile zu vermeiden und manche werthvolle 
Momente zu beachten suchte. In früheren Zeiten glaubte man 
nämlich, daß man die graue Salbe so lange einreiben müsse, 
bis Salivation auftrete. Das war im 17. und selbst im Anfang 
dieses Jahrhunderts noch Brauch. Es wurde so lange einge¬ 
rieben, bis eine gewisse Menge Schleim und Speichel, die nach 
Pfunden berechnet wurde, vom Patienten ausgesondert wurde; 
ferner war bis zu den Dreißiger-Jahren noch die Methode in 
Anwendung, daß man die Leute, welche man einer antisyphi¬ 
litischen Cur unterzog, vor friscl.er Luft, vor jeder Temperatur¬ 
veränderung schützte, die Patienten mußten das Bett hüten, 
in geschlossenen Räumen bleiben. 

Sie begreifen, daß das möglichst antihygienisch war, 
und der Fortschritt, der in dieser Methode im Laufe der 
Zeit gemacht wurde, bestand wesentlich darin, daß man alle 
diese Schädlichkeiten wegräumte, und vor Allem, daß man 
trachtete, die Salivationcn zu vermeiden. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


1000 


Ich will, um die Sache principiell zu erledigen, hervor¬ 
heben, daß das Quecksilber, in die Haut eingerieben, so wirkt, 
daß es die Haut durehdringt, mit den Gewebssäften dann 
lösliche Albuminate bildet und derart mit dem specifischen 
Virus der Syphilis in Contact kommt, und dasselbe vernichtet, 
und daß es dann ausgeschieden wird, und zwar durch das 
Capillargefäßsystem der Speichel- und Schleimdrüsen der 
Mundschleimhaut, der Schleimhaut des Magens und Darms, 
der Leber, der Nieren. 

Ich will nur hervorheben, daß die neuen Untersuchungen, 
die von Prof. Lüdwig gemacht wurden, ergeben haben, daß 
die Ausscheidung nicht blos durch die Speicheldrüsen erfolgt, 
sondern daß dieselbe auch durch andere Organe stattfindet, 
hauptsächlich durch die Leber, Niere und Darm, am aller¬ 
meisten durch die Niere. Daiauf beruht eine Reihe von 
sehr bedenklichen und perniciösen Erscheinungen, die man 
bei gewissen Methoden beobachtet. Das Vermeiden der 
schädlichen Wirkung bei Einreibungen bezieht sich haupt¬ 
sächlich darauf, daß man nicht so lange einreibt, bis 
Salivation auftritt, sondern im Gegentheil, daß man sofort 
sistirt, sobald sich Reizerscheinungen der Mundschleimhaut, und 
zwar Auflockerung und Blutung des Zahnfleisches, Zähewerden 
des Speichels zeigen. Letzteres Symptom charakterisirt sich 
am besten durch das Auftreten von Schleimfäden, die sich 
beim Oeffnen des Mundes zwischen Zunge und Zähnen hin¬ 
ziehen. Der Mund dieser Patienten muß also täglich unter¬ 
sucht werden, und die Einreibungen müssen sofort sistirt 
werden, sowie sich eine stärkere Salivation zeigt. 

Die Einreibungen dürfen nicht stets auf einer Körper¬ 
stelle vorgenommen werden, nachdem Sie wissen, daß das 
Quecksilber Eczeme macht. Es gibt Leute, die nach der ersten 
Einreibung mit grauer Salbe ein intensives Eczem am ganzen 
Körper bekommen — Leute, die man niemals mit grauer 
Salbe behandeln kann und darf. In Ihrer Praxis müssen 
Sie sich stets zur Regel machen, nichts Derartiges zu riskiren, 
sondern vorsichtig zu prüfen, wie der Patient auf Quecksilber 
reagirt. Es gilt als Regel in dieser Methode, daß man mit den 
Körpergegenden wechselt, so daß eine Körperstelle erst nach 
6—8 Tagen an die Reihe kommt. Auf diese Weise können 
Sie diese sehr unangenehme Complication bei der Behandlung 
der Syphilis mittels Einreibungen in den meisten Fällen ver¬ 
meiden. Es gibt aber, wie gesagt, Patienten, bei denen alle 
Vorsicht nichts nützt, und die niemals einer Einreibungscur 
unterzogen werden dürfen. 

Was die Dosirung anbelangt, so gibt man das Unguentum 
cinereum bei Erwachsenen in Dosen von 3 Grm., natürlich 
hängt die Dose davon ab, ob der Kranke sich selbst einreibt 
oder die Einreibungen durch einen Anderen besorgen läßt. 
Geschieht letzteres, dann werden Sie selbstverständlich die 
Dose entsprechend steigern. Bei Kindern gibt man 0*50 Grm. 
pro dosi, bei erwachsenen Kindern 1 Grm. Unguentum 
cinereum zur Einreibung, wobei ich aber betonen möchte, daß 
der Effect nicht so gut ist, wenn sich der Patient durch einen 
Anderen einreiben läßt, weil der Zweite die Hälfte der Salbe 
sich selbst ein verleibt. Darum bestehe ich, wenn der Heilerfolg 
zögert und im Allgemeinen darauf, daß die Kranken sich selbst 
einreiben, selbst bei hochgestellten Leuten, die sich überall gern 
bedienen lassen. 

Wie viel Einreibungen soll der Kranke machen? Wenn 
man so vorgeht, daß man das Zahnfleich immer im Auge be¬ 
hält und der Patient keine Diarrhöen bekommt — und ich 
will bemerken, daß auch diese Erscheinung bei den Ein¬ 
reibungen vorzukommen pflegt — so kann man so viel ein¬ 
reiben als man braucht. Die Zahl der Einreibungen, die nöthig 
sind, um die Erscheinungen zum Schwinden zu bringen, ist 
individuell sehr verschieden. Man kann, wenn nöthig, 80 oder 
100 Einreibungen vornehmen. 

Ich will bemerken, daß an unserer Klinik einmal versuchs¬ 
weise an mehreren Patienten derReihe nach 100 Einreibungen nach 
der damaligen Art mit 5 Grm. Unguentum cinereum vor¬ 


genommen wurden; Keiner von ihnen bekam Salivation, und 
bei Keinem traten die Erscheinungen des Mercurialismus auf. 
Man kann also einreiben, soviel man braucht, aber — wohl 
gemerkt —nur, wenn die Haut es verträgt. Die Furcht vor der 
Salivation darf Sie nicht in der Cur als solcher stören. Dieselbe 
kann man hintanhalten; sobald Salivation kommt, muß man 
mit den Einreibungen aussetzen, und wieder beginnen, sobald 
der Speichelfluß sistirt, oder man kann die Einreibungen so 
vornehmen, daß man je nach der 4. oder 6. 1—2 Tage aussetzt und 
dann wieder beginnt. In diesem Falle pflegen in der Regel keine 
Salivationen aufzutreten. In einer wissenschaftlichen Ver¬ 
sammlung in Kopenhagen habe ich bei Gelegenheit der Be 
sprechung der neuen Methoden der Behandlung der Syphilis 
Gelegenheit gehabt, zu behaupten , daß die Einreibung von 
Unguentum cinereum bei der Behandlung der Syphilis die 
wirksamste und verläßlichste Methode ist, und ich kann mit 
Genugthuung bemerken, daß diese meine Behauptung all¬ 
gemeine Zustimmung gefunden hat. Und ich erkläre heute 
wieder: Wo periculum in mora, bei Gehirnsyphilis, Syphilis im 
Larynx, in der Trachea und Gefahr der Suffocation, bei Iritis spe- 
cifica, Neuritis optica ist, wo andere schwere Erscheinungen 
im Gefolge der Syphilis auftreten, da finde ich es nicht gerecht¬ 
fertigt, wenn man ein anderes Verfahren einschlägt, als die 
Einreibungscur. Sie werden sich in Ihrer Praxis oft über¬ 
zeugen , daß die Einreibungen unter allen Umständen die 
rascheste und beste Wirkung herbeiführen. 

In Bezug auf die Salivation will ich noch hinzufügen, 
daß man alle Jahr neue Gargarismen und Zahntincturen da¬ 
gegen empfiehlt; besonders das Kali chloricum ist es, das sich 
eines besonderen Rufes erfreut. Eine Zeit lang war das Kalium 
hypermanganicum vielleicht wegen seiner schönen violetten 
Farbe in Gebrauch. Letzteres ist aber wieder verlassen wor¬ 
den, weil es schmerzhafte Empfindungen hervorruft und prak¬ 
tisch nicht gut verwendbar ist. Prophylactisch empfiehlt es 
sich, dem Patienten einzuschärfen, sich den Mund -rein"zuh 
halten und denselben häufig mit Wasser auszuspülen, dem man 
einige Tropfen Tinctura Myrrhae oder Tinctura Ratanhiae 
zugesetzt hat. Sie werden aber zugeben, daß dadurch die Sali¬ 
vation keineswegs hintangehalten werden kann, weil sie doch 
nicht durch äußere Reize auf die Mundschleimhaut entsteht, 
sondern in Folge der Einwirkung des sich ausscheidenden 
Quecksilbers auf die Follikel, die Speicheldrüsen. Daß Leute, 
die ihren Mund nicht pflegen, leichter Entzündung und Macera- 
tion der Schleimhaut bei der Salivation bekommen, als Leute, 
die den Mund rein halten, ist selbstverständlich, und aus diesem 
Grunde und ferner, weil man die Syphiliskranken nicht 
disciplinarisch genug behandeln kann, werden wir bei der 
Inunctionscur stets auf die Reinhaltung und Pflege des Mundes , 
unser Augenmerk zu richten haben. (Fori setzung folgt) 


Nervöse und psychische Störungen nach 
Exstirpation beider Hoden 

nebst 

einigen Bemerkuogen znr Pathogenese dieser Erscheinungen 
in der natürlichen und künstlichen Klimax. 

Von Dr. M. Weise in Prag. 

(Schluß.) 

Was nun die nächste Ursache, d. h. den Mechanismus 
der Erscheinungen betrifft, so ist dieser nur bei einzelnen 
ziemlich klar. Bei der vollkommenen Analogie der von meinem 
Kranken gebotenen Erscheinungen mit denen bei der natür¬ 
lichen und künstlichen Klimax beobachteten wäre zu unter¬ 
suchen, ob nicht die Pathogenese dieser Vorgänge bei meinem 
Kranken und den weiblichen Castrirten eine identische ist, resp. 
inwieweit die für letztere gegebenen Erklärungen auch für 
meinen Kranken herangezogen werden können. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 25. 


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Die sich äußerlich durch intensive Röthung der Haut 
verrathenden „Wallungen“ kommen zweifellos durch func- 
tionelle Störung der vasomotorischen Nerven zu Stande, und 
käme entweder Lähmung der Stricturen oder Krampf der 
Dilatatoren in Betracht. Die Einleitung der Erscheinung mit 
einer Art Aura, ihr blitzähnliches Auftreten und Verschwinden, 
der Abgang aller auf Lähmung der sympathischen Fasern 
hinweisenden Momente sprechen für einen activen Vorgang im 
vasomotorischen Centrum, und würde daher das Phänomen auf 
einem Krampfe der Vasodilatatoren beruhen. Wir hätten es 
also mit einem essentiellen oder idiopathischen neurotischen 
Erythem zu thun, dem als physiologisches Analogon das Ery¬ 
thema pudoris und iracundiae an die Seite zu stellen wäre. 

— Derselbe Vorgang spielt sich auch ganz gewiß bei den 
Wallungen der Frauen in der natürlichen und künstlichen 
Klimax ab. Ganz unzutreffend ist die Erklärung dieser Er¬ 
scheinung als Folge der Blutstockung (Kisch u. A.), die ihren 
Grund darin haben soll, daß durch das Aufhören der Men¬ 
strualblutung eine Plethora im Gesammtorganismus entstehe. 
Die Wallungen treten ja auch bei hochgradig anämischen 
Frauen auf, und übrigens ist es, wie Glakw ecke 911 ) richtig 
bemerkt, sehr zweifelhaft, ob der Ausfall der relativ unbe¬ 
deutenden Menstrualblutung eine Plethora des Gesammt¬ 
organismus veranlassen könne. Dieser Autor nimmt deshalb 
mit Börneb an, daß die sogenannten Congestionen nervösen 
Ursprunges seien und auf Störungen der Vasomotoren beruhen. 
Nicht zu vereinen mit der Blutstockungs-Theorie ist die That- 
saclie, daß, wie mein Fall zeigt, dieselben Wallungen auch 
bei einem castrirten Manne auftreten können. 

Auch die Schweißanfälle müssen wir nach dem ganzen 
Ablaufe des Anfalles und nach Ausschluß einer Lähmung des 
Sympathicus auf einen activen Vorgang in den Schweißnerven 
beziehen. Die Durchfiuthung der Schweißdrüsen mit arteriellem 
Blute in Folge der Wallung wirkte gewiß fördernd auf die 
S«hweißeruption; daß' aber dieses Moment allein nicht die 
Hyperidrosis bedingte, geht daraus hervor, daß die Schweiß- 
anfälle auch häufig ohne vorausgegangene Wallungen kamen. 

— Aus den eben angeführten Gründen muß auch bei der 
Hyperidrosis in der Klimax Reizung der Schweißnerven und 
nicht, wie Geber 21 ) meint, Lähmung von Fasern des Sym¬ 
pathicus angenommen werden. Auch kann man sie nicht, wie 
Kisch 22 ) meint, für ein Symptom der Blutstockung erklären, 
die ihren Grund in der allgemeinen Hyperämie hat, da ja 
auch ganz anämische Frauen solche Schweißanfälle bekommen, 
und umgekehrt wieder kann man sie nicht auf Anämie 
(Reizung der Schweißcentren durch Hämoglobin- und Sauerstoff¬ 
mangel des Blutes, Börnku) beziehen, da auch blühend aus¬ 
sehende klimacterische Frauen daran leiden. 

Die Schwindelanfälle dürften bei meinem Kranken 
auf transitorische circulatorische Störungen im Centralnerven¬ 
systeme beruht haben. Es fehlten alle Zeichen von Gehim- 
Hyper- oder -Anämie und anderer intercranieller anatomischer 
Veränderungen, es waren keine Erkrankungen der Sinnes¬ 
organe vorhanden, es waren toxische Einflüsse auszuschließen 
und auch mit der M Eni ERE’schen Krankheit hatte diese Erschei¬ 
nung nichts gemein. Auf ähnliche Weise scheint auch Glae- 
wecke 2 -) die Schwindelanfälle bei der natürlichen und künst¬ 
lichen Klimax zu deuten. 

Er schließt sich jenen Autoren an, welche dieses Symptom 
auf Himhyperämie beziehen, „die ganz gut durch nervöse 
Einflüsse auf die vasomotorischen Nerven zu Stande kommen 
könne“. 

Die psychischen Erscheinungen, als: Unfähig¬ 
keit zur geistigen Arbeit, Gedächtnißschwäche, Launenhaftig- 

”) 1. c. S. 25. 

,l ) Anomalien der Schweißdrüsen and ihrer Function in Zikmssks’s 
H andbuch der speciellen Pathologie und Therapie. 14. Band. 2. Hälfte. 

* 11 ) Das klimacterische Alter der Frauen in physiologischer und patho¬ 
logischer Beziehung. Erlangen 1874 und Eulenburg, „Real-Encvklopädie“, 
2. Auflage. 

”) 1. c. S. 29. 


keit, gemüthliche Depression, gesunkene Willensenergie, Furcht* 
und Angstzustände stellen im Zusammenhänge mit Kopfdruck) 
Schlaflosigkeit, Herzpalpitation, nervöser Dyspepsie den als 
„Neurasthenie“ bezeichneten Symptomencomplex dar, und 
weil die cerebralen Erscheinungen gegenüber den anderen in 
den Vordergrund traten, so können wir bei unserem Kranken 
von „cerebraler Neurasthenie“ sprechen. Damit ist 
freilich nur ein Collectivname für eine Gruppe von Erschei¬ 
nungen gegeben, dem Wesen der Sache aber nicht näher ge¬ 
treten worden. Wir können nur so viel sagen, daß keine 
dieser Erscheinungen auf einer anatomischen Organverände¬ 
rung beruht, und müssen uns mit der Hypothese be¬ 
scheiden, daß, wie nach Erb bei Neurasthenie überhaupt, 
auch bei unserem Kranken durch functionelle Störung der 
Vasomotoren eine abnorme Blutvertheilung im Gehirn und 
dadurch eine feinere Ernährungsstörung der Nervenapparate 
bedingt wurde. Auch bei der natürlichen und künstlichen 
Klimax können die leichteren Formen von psychischer Störung 
im Zusammenhänge mit der Schwere und Eingenommenheit 
des Kopfes, der Gedächtnißschwäche, den verschiedenen unan¬ 
genehmen Sensationen, Herzpalpitationen, den Schmerz- und 
Krampfanfällen im Magen und den Gedärmen als Neurasthenie 
aufgefaßt werden. Durch Ausfall von motorischen Krampf¬ 
oder Lähmungserscheinungen und anästhetischen Zonen würde 
die Neurasthenie der klimacterischen und castrirten Frauen 
von Hysterie zu trennen sein. Daß die psychischen Ver¬ 
stimmungen durch ungünstige Einflüsse, zumal bei nervös be¬ 
lasteten und veranlagten Individuen, in wirkliche Psychosen 
übergehen können, gilt nicht nur für die natürliche Klimax, 
sondern auch nach den Erfahrungen von Hkgar, Börner, 
Werth und Glaeweckk auch für castrirte Frauen. Und auch 
bei meinem sehr nervösen Kranken stand die melancholische 
Gemüthsstimmung hart an der Grenze von Psychose. 

Es bliebe noch die Frage zu erörtern, in welchen inneren 
Beziehungen die Exstirpation beider Testikel zu den nachfol¬ 
genden Erscheinungen gestanden ist. 

Zuerst wäre an Zerrung der Nerven in der Narbe zu 
denken. 

Daß die Quetschung der Nerven gewisse nervöse Erschei¬ 
nungen auslösen könne, geht aus ( den Beobachtungen hervor, 
wo nach Totalunterbindung und ^crasement heftige, in die 
Bauchhöhle ausstrahlende Schmerzen auftreten. 24 ) Man könnte 
sich nun vorstellen, daß durch Zerrung der sensiblen Nerven 
in der Narbe die Vasodilatatoren und Schweißerreger reflec- 
torisch erregt und so die Wallungen und Schweißausbrüche 
veranlaßt wurden. Diese Auffassung stünde einerseits mit den 
physiologischen Thaisachen im Einklänge, andererseits fände 
sie eine Stütze in dem auffallenden Auftreten dieser Erschei¬ 
nungen und in dem Umstande, daß diese Anfälle von einer 
Art Aura eingeleitet wurden. Es wären dieselben analog mit 
der von einer Narbe ausgehenden Reflexepilepsie. Auf die¬ 
selbe Weise könnten die vasomotorischen Störungen in den 
Nervenapparaten zu Stande gekommen sein, welche die Schwindel¬ 
anfälle bedingten. 

Für die Neurasthenie käme hauptsächlich das psycholo¬ 
gische Moment in Betracht. Die (zwar nicht eingestandene) 
Verstimmung über den Verlust der Potestas virilis könnte bei 
dem nervös belasteten Manne einen „functioneilen Schwäche¬ 
zustand des Nervensystems“ (Zikmssen) veranlaßt haben, der 
durch den Symptomencomplex der Neurasthenie zum Aus¬ 
drucke kam. 

Auch bei den castrirten Frauen ließe sich der ganze 
Vorgang mutatis mutandis auf dieselbe Weise erklären. Die 
Wallungen und Schweißausbrüche reflectoriseh durch Reizung 
der sensiblen Nerven in der Narbe, die psychische Alteration 
durch das psychologische Moment, Verlust der Attribute der 
Weiblichkeit und Fortpflanzungsfähigkeit. 

* 4 ) Vergl. Kocher in Billrotii und Pitha und „Deutsche Chirurgie“, 
Op. Castration. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


1004 


Die einfache und anscheinend plausible Erklärung erleidet 
aber einen Stoß, indem sie für die ganz gleichen Phänomene 
bei der natürlichen Klimax nicht herangezogen werden kann. 
Von einer durch Reizung sensibler Nerven ausgelösten reflec- 
torischcn Erregung der Vasodilatatoren und der Schweißnerven 
bann ja bei dem blos functionellen Ausfall der Ovarien keine 
Rede sein und für die psychischen Veränderungen kann nach 
Börner auch das psychologische Moment deshalb nicht gelten, 
weil die melancholische Stimmung häufig als erste Erscheinung 
die nahende Klimax anzeige und die Frauen sich zu dieser 
Zeit oft gar nicht klar über ihren Zustand seien. Es bliebe 
ferner noch die Reflextheorie unaufgeklärt, warum diese Er¬ 
scheinungen nicht auch zuweilen nach blos einseitiger Castration 
auftreten. Gi.akwecke meint, „daß das Ovarium normalerweise 
ein Glied der Kette der das vasomotorische Nervensystem be¬ 
einflussenden Momente bildet, und daß durch seinen Fortfall 
einerseits vasomotorische Störungen zu Stande kommen, deren 
Ausdruck die heißen Begießungen sind, andererseits auch ein 
nervöser Einfluß auf das Schweißnervensystem hervorgerufen 
wird“ , und auch die psychischen Erscheinungen läßt er auf 
dem Wege des Sympathicus, dessen Zusammenhang mit dem 
Ovarium zweifelos sei, zu Stande kommen. Diese Annahme 
jedoch ist eine ganz hypothetische, auf keiner physiologischen 
Thatsache beruhende und ich unterlasse es deshalb, aus der¬ 
selben Consequenzen zur Erklärung meines Falles zu ziehen. 

In der Sitzung der Soeiöt£ de Biologie vom 1.Juni 1889 
hat Bkuwn-Seqi aiid merkwürdige Mittheilungen über den Einfluß 
der Drüsen auf das Nervensystem gemacht. Verschiedene That- 
saehen und namentlich die bei den Eunuchen manifeste Ein¬ 
wirkung der Castration auf das ganze Nervensystem weisen 
nach der Meinung des berühmten französischen Physiologen 
darauf hin, daß die Drüsen nebst den specifischen Pro- 
ducten auch gewisse Substanzen absondern, welche, in 
die Circulation gebracht, einen gewissen Einfluß auf das 
Nervensystem üben, und er suchte deshalb dieser Frage auf 
dem Wege des Experimentes näher zu treten. Eine Trans¬ 
plantation von Hoden haben einem alten geschwächten Hunde 
die genitale Kraft wieder gegeben. Nach vorausgegangenen 
Versuchen an Thieren injicirte er sich subeutan eine Flüssig¬ 
keit, welche durch Verreibung der Hoden und Samenbläschen von 
anderen Thieren gewonnen war, und das Resultat dieses Versuches 
sei eine bedeutende Erhöhung der Nerventhätigkeit in allen 
ihren Formen gewesen, und auch die psychische Thätigkeit 
habe an Stärke und Energie gewonnen. Daß er nicht, wie 
F£rk einwarf, das Opfer einer Auto Suggestion gewesen sei 
und die injicirte Flüssigkeit wirklich eine specifische Wirkung 
auf das Nervensystem geübt habe, gehe daraus hervor, daß 
keine andere Flüssigkeit, subeutan injicirt, eine ähnliche Wir¬ 
kung hervorgerufen habe. Angeregt durch diese Mittheilung 
hat Variot Versuche an fl durch verschiedene Ursachen ge¬ 
schwächte Individuen im Alter von 54, 50 und 68 Jahren 
an gestellt und darüber in der Sitzung dieser Gesellschaft vom 
29. Juni v. J. berichtet. Die Wirkung bei allen fl Versuchs¬ 
personen, die von der Natur und der Provenienz der injicirten 
Flüssigkeit keine Ahnung hatten, war ein allgemein nervöser 
Erregungszustand, Erhöhung der Muskelkraft, geringe cerebrale 
Erregung, Regulirung der Functionen des Darmcanals und bei 
2 eine deutliche Erhöhung der sexuellen Potenz. 

Es wäre gewagt, diese geradezu verblüffenden Mit¬ 
theilungen, die man als Humbug betrachten müßte, wenn sie 
nicht von so ernsten Forschern stammten, für die Erklärung 
der nervösen und psychischen Störungen bei meinem Kranken 
und den klimacterischen und eastrirten Frauen heranzuziehen. 
Es muß weiteren Forschungen überlassen bleiben, den inneren 
Zusammenhang zwischen Ausfall der Geschlechtsdrüsen und 
den folgenden nervösen und psychischen Störungen klar¬ 
zulegen. 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Ein Fall von multipler, acuter, eiteriger 
Myositis ohne vorausgegangene Verletzung. 

Von Dr. Busch in Bad Hall (Oberösterreich). 

Da die idiopathischo acute Muskelentzündung; so selten ist, 
daß E. Wai thkr, um die Existenz derselben zu beweisen, 19 Fälle 
aus der mcdiciniscbcn Literatur zusammensuchte, die aber nach 
Löbkkr im höchsten Grade anfechtbar sind, so erlaube ich mir, 
einen solobcn Fall, den ich in Beirut (Syrien) beobachtete, mit- 
zutheilen. 

Im August 1889 verließ ein kräftiger Arbeiter (Gärtner) in 
der Nacht sein Bett, weil er in demselben vor Hitze nicht schlafen 
konnte und legte sich auf den Marmorboden seiner Hallo nieder, 
wo er dann auch bald einschlief. 

Am Morgen erwachte er mit einem intensiven Schmerze auf 
der linken Schulter, der von Stunde zu Stunde zunahm und sich 
bald über den ganzen Rücken ausdehnte. Opodeldok-Einreibungen 
brachten nur geringe Erleichterung; es folgte eine schlaflose Nacht. 
Am anderen Morgen begab er sich zu einem Arzte, der seine schmerz¬ 
haften Stellen faradisirte. Gegen den faradischen Strom sollen aber 
die Muskelu der kranken Stellen mit so energischen und schmerz¬ 
haften Contractionen reagirt haben, daß der Kranke bei aller 
Selbstüberwindung nicht im Stande war, die Elektrode an diesen 
Stellen mehr als je eine Secunde zu ertragen, obgleich der Strom 
schwach gewesen sein soll, was daraus hervorzugehen scheint, daß 
derselbe Pol, z. B. auf die Vordcrarmmuskeln aufgesetzt, nur geringe 
und schmerzlose Muskelzuckungen bewirkte. 

Auf diese elektrische Behandlung wurden die Schmerzen noch 
intensiver, es stellte sich Fieber ein, wie er mir erzählte, als er am 
5. Tage seiner Krankheit sich än mich wendete. Ich fand an seiuer 
linken Schulter drei deutlich fluctuirendo, mit normaler Haut be¬ 
deckte Geschwülste, die ihrer Form und Lage nach genau ded 
Mm. supra- und infraspinatis, sowie der äußeren Portion des M. 
deltoides entsprachen. Auf der rechten Seite waren nur 2 solche 
Geschwülste über dem rechten Schulterblatte, ebenfalls den Mm. 
supra- und infraspinatis entsprechend, ebenso deutlich fluctuirend, 
nur etwas kleiner al9 die der linken Seite. 

Ich öffnete sämmtliche 5 Abscesse mit dem Bistouri, wobei 
sich schöner, dicker Eiter und etwas Blut entleerte. 

Nach 14 Tagen wendete sich der Kranke wieder an mich, 
weil er seine Arme noch immer nicht recht gebrauchen könne, 
obgleich keine Spur von den Schmerzen mehr vorhanden sei. 

Ich fand die Schnittwunden verheilt und an der Stelle der 
Abs< esse waren jetzt Vertiefungen; die Kanten und Ecken der 
Schulterblätter, besonders die Spinae derselben, waren vorspringeud 
wie bei abgemagerten Individuen, was bei unserem Kranken um so 
auffallender war, da er an den anderen Körperthcilen stark markirte 
Muskeln hatte; ebenso auffallend war die Einwärtsrollung der 
Arme in Folge des gestörten Gleichgewichtes zwischen den Ein- 
und Auswärtsrollern, wodurch sich die mangelhafte Brauchbarkeit 
der Armo, über die der Patient sich jetzt beklagte, hinlänglich er¬ 
klären läßt. 

Ich gab ihm dm Rath, sich an der erkrankten Stelle massiren 
zu lassen, um die Narbenbildung des Perimysiums der noch be¬ 
stehenden Muskelbündel möglichst bintanzubalten, damit dieselben in 
ihrer Ernährung und Function nicht gehindert werden (vielleicht 
wird dadurch auch das Ausetzen neuer Muskelfasern erleichtert) und 
später diese Partien clektrisireu zu lassen; ich glaube aber kaum, 
daß er meinen letzten Rath befolgen wird. 

Wenn ich nach der Badesaison wieder nach Beirut komme, 
werde ich weitere Erkundigungen über den Zustand dieses Patienten 
einziehen. 


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1005 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. 

I. 

Braunschweig (ETalle): Ein Beitrag zur Kenntniß des Pyoktanin. — 
0. W. Pktkhsen (Petersburg): Ueber die desii.ficirende Wirkung der Anilin¬ 
farbstoffe (russisch). — Ehelich und Leppmann (Berlin): Ueber die schmerz¬ 
stillende Wirkung des Methylenblau. — Maximilian Bkesgen (Frankfurt a. M.): 
Die Verwendung des Pyoktanin (Merck) in Nase und Hals. 

Untersuchungen, die Braunschweio mit dem von Stilling 
so warm empfohlenen Pyoktanin angestellt hat uud deren Resultate 
er in Nr. 31 der Fortschr. d. Med. veröffentlicht, haben zunächst 
gezeigt, daß keinerlei bedrohliche oder unangenehme Allgemein¬ 
erscheinungen seitens des Pyoktanins zu befürchten sind. Dagegen 
stellten sich häufig locale Beschwerden ein , von leichtem Brennen 
in den Augen, das in wenigen Augenblicken verschwand, bis zu 
heftigen Schmerzen, die selbst durch Cocain sich nur wenig dämpfen 
ließen. Auf normale Bindehäute blieb eine geringe Reizung fast nie 
aus. Ein Tropfen einer Lösung von 1 : 1000 oder einmaliges Be¬ 
streichen mit dem Stift erzeugte häufig eine starke Ciliarinjection, 
die zum Aussetzen des Mittels nöthigte. Auch die Bindehaut der 
Lider reagirte einige Mal mit tiefer Röthang und Schwellung auf 
Pyoktanin. In 3 Fällen von parenchymatöser Keratitis mit gesunden 
Conjunctiven trat eine heftige Schwellung der Unterlider auf und 
es entwickelte sich eine heftige Conjunctivitis mit croupartigen Be¬ 
legen. Aehnliche Auflagerungen auf der Bindehaut zeigten sich auch 
bei einigen Fällen von Trachom, sowie bei 4 Fällen mit Schwellungs- 
catarrh und Phlyctänen, doch gingen diese Erscheinungen nach Aus¬ 
setzen des Mittels rasch zurück. 

Mehrere Patienten bekamen nach Auraminanwendung Xan- 
thopsie, die oft bis zu einer halben Stande anhielt, hingegen trat 
nie Blausehen auf. Zur Verwendung kamen die Stifte und Lösungen 
der reinen Farbstoffe von 1—5 : 5000. Im Ganzen wurden etwa 
70 Kranke während 6 Wochen mit Pyoktanin behandelt. — Die Fälle 
Iasben sich in drei verschiedene Gruppen theilen. 

In die erste, welche die Erfolge enthält, gehören recht wenige; 
in einem Falle von perforirender Verletzung scheint das Pyoktanin 
eine beginnende Panophthalmitis, wenn auch nicht coupirt, so doch 
in ihrem Verlaufe wesentlich verlangsamt zu haben. Vielleicht eignen 
sich auch eiternde Operationswunden für diese Behandlungsmethode. 
Die anderen Fälle, in deuen durch Anilinanwendung eine Besserung 
verzeichnet wurde, sind, mit Ausnahme vielleicht von Blepharitis 
ciliaris, so wenig eindeutig, daß sie als Erfolg kaum bezeichnet 
werden können. 

Die große Mehrzahl der Fälle gehört in die zweite Gruppe, 
bei denen kein evidenter Vortheil erzielt wurde. Sämmtliche Horn- 
hantge8chwüre heilten unter Anilin nicht besser, als unter jeder 
anderen Behandlung; ebensowenig glaubt Verf., daß die Chorioiditis 
disseminata durch Bacterieu erzeugt wird und daher ein geeignetes 
Eingriff8object für das Pyoktanin ist. 

Die dritte Gruppe umfaßt die Fälle, in welchen durch das 
Anilin eine directe Schädigung der Kranken, Steigerung des be¬ 
stehenden Proccsses und Hervorrufung neuer Krankheitssymptome 
bewirkt wurde. Leider sind das, wie die Krankengeschichten zeigen, 
nicht gar so wenige. Ganz und gar ungeeignet für die Behandlung 
dürften entzündliche Zustände der Bindehaut sein, insbesondere 
solche mit reichlicher Secretion. 

Petersen theilt in Nr. 20 des „Wratsch“ seine bei 48 vor¬ 
wiegend mit venerischen Krankheiten behafteten Patienten mit der 
Anilinbehandlung gewonnenen Resultate mit. Er kommt zu dem 
Schlüsse, daß das Pyoktanin in Form von Pulver 2 : 1000 oder Lösung 
1 : 2000 oder 1 : 1000, oder als Stift sowohl bei inficirten als auch 
nicht inficirten Wunden und Geschwüren nicht schlechter antisep¬ 
tisch wirkt als Jodoform, vor welchem es aber den Vorzug der 
Geruchlosigkeit besitzt. In mehreren Fällen von weichem Schanker 
und gummösen Geschwüren, sowie in einigen Fällen von gummöser, 
stinkender Ozaena leistete das Pyoktanin vorzügliche Dienste. Auch 
in einigen Fällen von Augenerkranknngen, wie Keratitis, Iridocy- 
clitis und Augenblennorrhoe will Petersen mit Pyoktanin gute 


1006 

Resultate erzielt haben. Irgend welche unangenehme oder gar giftige 
Nebenwirkungen hat er nie beobachtet. 

Von der Verwandtschaft des Methylenblau zum Nervensystem, 
namentlich zu den Axencylindern der sensiblen und sensorischen 
Nerven ausgehend, stellten Ehrlich und Leppmann Untersuchungen 
über die schmerzbeeinflussende Wirkung des Methylenblau an, deren 
Resultate sie in Nr. 23 der „Deutsch, med. Woch. w veröffentlichten. 
Das Mittel wurdo subcutan (001—0 - 08 einer 2proc. Lösung) und 
innerlich in Form von Pulver in Gelatinkapselu in Dosen von 01 
bis 0'5 verabreicht. Die höchste Tagesdosis betrug 1 Grm. Die 
Injectionen waren schmerz- und reactionslos und erzeugten ebenso¬ 
wenig wie die inneren Gaben irgendwelche schädliche Neben¬ 
wirkung. Der rasche Uebergang des Mittels in die Blutbahn erwies 
sich selbst bei der geringsten Gabe zweifellos; denn schon 1 / i bis 
eine Stunde nach der innerlichen Verabreichung oder nach der In- 
jection war der gelassene Urin hellgrün, nach 2 8tunden blau- 
grün, nach 4 Stunden dunkelblau. Eine blaue Färbung war auch 
im Speichel und in den Stühlen zu bemerken, dagegen wurde 
nie ein bläulicher Anflug der Haut, der Schleimhäute oder der 
Scleren beobachtet. Die Ergebnisse dieser Versuche waren sehr 
zufriedenstellend. Bei bestimmten Formen schmerzhafter Localaffec- 
tionen, d. h. bei allen neuritiseben Processen und bei rheumatischen 
Affectionen der Muskeln, Gelenke und Sehnenscheiden wirkt das 
Mittel schmerzstillend. Die Wirkung beginnt erst einige, gewöhnlich 
2 Stunden nach der Einverleibung und steigert sich bei gehöriger 
Dosirung, d. h. bei Injoction von 0-06 und bei innereu Gaben 
von .0*1—0 - 25 allmälig, d. h. in Stunden, bis zu erheblichem Nach¬ 
laß, ja bis zur völligen Schmerzlosigkeit. Die Wirkung erklärt sich 
durch die von Ehklich festgestellte Thatsaohe, daß nach Injection 
von Methylenblau in das lebende Thier die sofort eintretende Fär¬ 
bung der Nerven im Laufe der ersten Stunden eine Aonderung 
dadurch erfährt, daß die zunächst diffuse Bläuung verschwindet und 
dafür unregelmäßige, intensiv blaue Körnchen in den Axencylindern 
der Nervenstämmchen auftreten, die schließlich wohl auf mechanischem 
Wege aus den Nerven eliminirt werden. Es scheint sich mithin um 
Bildung einer unlöslichen Verbindung zwischen Farbstoff und gewissen 
Bestandtheilen der Norvensubstanz zu handeln, welche den chemischen 
Zustand der Nerven ändert und dadurch zeitweise schmerzstillend 
wirkt. 

Die Wirkung ist eine rein schmerzstillende; ein Einfluß auf ent¬ 
zündliche Schwellungen und Ergüße wurde nicht bemerkt. Ein Nach¬ 
laß der Wirkung bei längerem Fortgebrauch trat nicht ein. Das 
Mittel wurde in ca. 25 Fällen der genannten Localaffectionen ange¬ 
wendet, die Wirkung blieb nie aus. Bei anderen organischen Leiden, 
wie z. B. bei syphilitischen Knochenschmerzen, bei neurasthenisbhen 
Schmerzen, bei einem Magengeschwüre, blieb die Wirkung aus. Ein 
günstiger Erfolg wurde ferner in 2 Fällen von angiospastischer Migräne 
erzielt; bei dem einen coupirte es den Anfall völlig, bei dem 
anderen kürzte es ihn ab und erleichterte ihn. 

Bei seinen, in Nr. 24 der „Deutsch, med. Woch. u veröffent¬ 
lichten Versuchen mit dem Pyoktanin ging Bresgen von dem Gedanken 
aus, es müsse sich die nach Aetzungen mit Chromsäure oder dem 
Brenner auftretonde Entzündung und Eiterung der Schleimhaut 
durch Behandlung mit Pyoktanin günstig beeinflussen lassen, und er 
hoffte in erster Linie von diesem Einfluß Milderung der Beschwerden 
und Abkürzung der Behandlungsdauer. 

Im Ganzen wurden 18 Fälle mit Pyoktanin behandelt, daneben 
zur Controlo 6 in bisher üblicher Weise. Sogleich nach Cauteri- 
sirung mit dem Brenner wurde die Brandwunde mit einer Pyok- 
taninlösung, 2 : 1000, eingerieben. Während früher und in den 
erwähnten 5 Controlfdllen in der Regel für die nächsten Nächte 
die Nasenathmung in Folge starker Schwellung sehr behindert war, 
daneben auch nicht selten Kopf- und Augenschmerzen das Allgemein¬ 
befinden beeinträchtigten, traten alle diese Beschwerden bei den mit 
Pyoktanin Behandelten nicht auf, die Entzünduugscrscheinungen 
blieben aus. Während früher der Brandschorf selten vor dem 4. Tage, 
häufig erst am 6. Tage abgestreift werden konnte, vermochte man 
das bei Pyoktaninbehandluug bereits am 2. Tage. 

Das Abstreifen des Brandschorfes nimmt B. vorsichtig mit der 
Sonde vor, nachdem er deren Spitze mit Pyoktaninwatte bewickelt und 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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diese in Pyoktaninlösung getaucht bat. Nach der Entfernung des 
Schorfes wird die Wundfläche noch 2mal mit Pyoktaninlösung ein¬ 
gerieben, sodann verschließt er das betreffende Nasenloch für etwa 
2 Stunden mit Pyoktaninwatte; später werden regelmäßig halb¬ 
stündlich Einstreichen und Aufziehen von Lanolinsalbon vorgeschrieben. 
Die Pyoktaninbehandlung findet für die ersten 6 Tage in gleicher 
Weise statt. Nach dem 6. Tage konnte dieselbe in den meisten 
Fällen mit einem Tag Unterbrechung fortgesetzt werden. 

Nach derselben pflegt B. jedoch noch eine Einblasung von 
Sozojodolkali und Borsäure zu gleichen Theilen vorzunehmen. Es 
zeigt sich also, daß die Pyoktaninbehandlung die durch Brennen in 
der Nase bedingte Eiterung günstig beeinflußt, indem dieselbe weniger 
stark war. 

Aber eine eiterzerstörende Kraft in dem Sinne, daß eine 
Eiterung beseitigt und ferner verhindert wurde, vermochte B. im 
Pyoktanin nicht wahrzunehmen. Die gleiche Erfahrung wie bei An¬ 
wendung der Galvanocaustik in der Nase machte B. auch in Fällen, 
in denen Aetzungen mit Chromsäure (10) und Meißelungen (8) 
stattfanden. 

ln einigen Fällen hat B. das Pyoktanin mittelst wattebewickelter 
Sonde im Nasenrachenraum in der mittleren Spalte angewendet und 
gefunden, daß die vorhandene Eiterung rascher als bei sonstiger 
Behandlung verschwand. 

In einem Falle wurde das Pyoktanin auch im Kehlkopf an¬ 
gewendet. Es handelte sich um Syphilis der Nase und des Kehl¬ 
kopfes. 

Die erstere war schon seit längerer Zeit gänzlich geheilt, 
und auch im Kehlkopf fanden sich keine gesehwürigen Stellen mehr 
vor, doch belästigte den Kranken noch immer die schleimig-eitrige 
Absonderung an der hinteren Kehlkopfwand, die durch die ver¬ 
schiedenen Behandlungsmethoden sich nur langsam besserte. Es 
wurde nun der Kehlkopf mittelst Wattebausch mit Pyoktanin ge¬ 
tränkt. Schon nach dem ersten Male erklärte der Pat. des anderen 
Tages, daß sein Befinden erheblich besser sei, und nach viermaliger 
Anwendung des Pyoktanin war er frei von Beschwerden. Die Aus¬ 
sagen wurden durch Spiegeluntersuchung vollständig bestätigt. 
Schließlich sei noch erwähnt, daß in Fällen, wo nach Brenuen oder 
Aetzen in der Nase an solchen engen Stellen früher leicht, starke 
ddcmatÖ8e Schwellungen der äußeren Nase und des Gesichtes auf¬ 
traten , diese Erscheinungen unter Pyoktaninbehandlung nicht ein¬ 
traten, und daß auch die ganze Behandlung ohne besondere Schmerz- 
empflndung durchzufübren war. Als Schlußergebniß seiner Versuche 
bezeichnet B. die von ihm geübte Pyoktaninbehandlung als entzüu- 
dungs- und schmerzlindernde. Nachtheile irgend welcher Art hat 
B. nicht beobachtet. S. 

Dr. M. Hajek (Wien): Das perforirende Geschwür der 
N&senscheidewand. 

In einer kurzen Einleitung, in welcher die Befunde Zucker- 
kandl’s und Weichselbaum’s auf pathologisch-anatomischem Ge¬ 
biete und die Erfahrungen Voltolini’s und Rossbach’s in klinischer 
Hinsicht gewürdigt werden, theilt Verf. in der in Weichselbaum’s 
Laboratorium ausgeführten und in Vircho'W’s Archiv (Band 120, 
Heft 3) veröffentlichten Arbeit die Resultate seiner eigenen patho¬ 
logisch-anatomischen und klinischen Erfahrungen mit. Es ist uns 
nicht gut möglich, hier eingehender in die histologischen und bac- 
teriologischen Details einzugehen, und wollen wir daher aus der uns 
vorliegenden Arbeit nur so viel anführen, als es zur Klärung des 
Wesens der so lange verkannten Geschwürsform unbedingt noth- 
wendig erscheint. 

Was zunächst die pathologisch-anatomischen Unter¬ 
suchungen betrifft, so sind dieselben auf 38 an der Leiche ge¬ 
sammelte Fälle begründet. Diese repräsentiren verschiedene Ucber- 
gänge des perforirenden Geschwüres vom Beginne dor Ge¬ 
schwürsbildung bis zum vollständigen Durchbruch und zur Ver¬ 
heilung. Aus der histologischen Untersuchung aller dieser Fälle 
geht hervor, daß die Ulceration zuvörderst durch eine Coagulations- 
necrose der oberflächlichen Schleimhautschichten hervorgerufen wird. 
Wahrscheinlich geht der Bildung der Pseudomenibranen eine Ver¬ 


letzung, resp. Blutung in der Schleimhaut voraus. Es wird diese 
Annahme sowohl durch die mitunter in der Schleimhaut erfolgende 
Blutung vor der Bildung der Pseudomembranen, als auch durch 
einen genau beobachteten Fall am Lebenden wahrscheinlich ge¬ 
macht. Charakteristisch ist für diesen necrotischen Vorgang, daß 
die necrotische Schichte sich öfters abstoßen und erneuern kann, 
welchen Vorgang der Autor als einen etappenmäßigen Verlauf 
des necrotisirenden Processes bezeichnet. Eine große Rolle spielt 
in der Geschwürsbildung die frühzeitig eintretende Perichondritis, 
wodurch der Knorpel in großem Umfang abstirbt. Das Uebergreifen 
auf die entgegengesetzte Schleimhautseite kündigt sich ebenfalls 
durch eine Perichondritis an. Nach Durchbruch des Septums be¬ 
grenzt sich der necrotische Proceß von selbst und heilt. 

Die Symptomatologie des perforirenden Geschwürs ent¬ 
hält die genaue Darstellung von vier eigenen Beobachtungen. Die 
an diesen Fällen beobachteten Eigenthümlichkeiten decken sich voll¬ 
ständig mit den aus der pathologischen Anatomie gewonnenen Er¬ 
fahrungen. 

Nach der Definition des Wesens des Ulcus perforans führt 
der Autor mit besonderem Nachdruck die differential-diagno¬ 
stischen Momente zwischen dem Ulcus perforans und syphilitischer 
Ulceration einerseits uud Tuberculoso dgr Nasenschloimhaut anderer¬ 
seits an. Wir müssen bezüglich des hier Angeführten auf das 
Original verweisen. Hier wollen wir nur erwähnen, daß den Kern¬ 
punkt der differential-diagnostischen Momente zwei charakteristische 
Eigenschaften des Ulcus perforans bilden, 1. daß das Ulcus perforans 
immer nur den knorpeligen Theil der Scheidewand einnimmt, 2. daß 
in der Umgebung des perforirenden Geschwüres gewöhnlich keine 
erheblichen Reactionserscheinungen auftreten, und daß das Ulcus 
perforans nach Durchbruch des Septums von selbst heilt. 

Den letzten Theil der vorliegenden Abhandlung bildet die 
A etiologie des perforirenden Geschwüres. Die Syphilis, sei die¬ 
selbe acquirirt oder hereditär, kann als Ursache nicht in Betracht 
kommen; denn erstens war in keinem der bisher beobachteten Fälle 
Lues vorhanden, ferner tritt das Ulcus p er f° rana häufig ersY’Tm 
vorgeschrittenen Alter auf, wo sich die hereditäre Lues nicht mehr 
zu äußern pflegt. Auch die Tuberculose läßt sich nach eingehender 
Prüfung nicht als Ursache des Ulcus perforans betrachten, denn 
obwohl die Autopsie fast bei allen Fällen Tuberculose der inneren 
Organe ergibt, läßt sich der locale Proceß an der Scheidewand 
absolut nicht auf Tuberculoke zurüokführen. 

Ob indeß nicht eiue indirecte Abhängigkeit des Ulcus perforans 
von Tuberculose dennoch statthat, bleibt noch zukünftigen Beobach¬ 
tungen Vorbehalten. Die eingehende histologische und baeteriologische 
Untersuchung des perforirenden Geschwüres macht es wahrscheinlich, 
daß der necrotisirende Proceß der Schleimhaut in Folge von in der 
Nase gelegentlich anwesenden eitererregenden Coccen: dem Strepto¬ 
coccus pyogenes und Staphylococcus pyogenes aureus abhängig ist. 

S. 


Atlas von Beleuchtungsbildern des Trommelfelles. 

Von Prof. K. Bürkner in Göttingen. Zweite, verbesserte Auf¬ 
lage. Jena 1890. G. Fischer. 

Wie gerechtfertigt die günstige Beurtheilung war, welche die 
chromolithographischen Belcuchtungsbilder des Trommelfelles von 
Bürkner bei ihrem ersten Erscheinen vor 3 Jahren erfuhren, be¬ 
weist deren 2. Auflage nach einer so kurzen Zeit. Verfasser hat 
mittlerweile einige weniger gut gelungene Abbildungeu geändert und 
dadurch den Werth seines Atlas noch weiter erhöht. Wir finden 
auf 14 Tafeln 84 Troramelfellbildor möglichst naturgetreu in einer 
Weise dargestellt, welche der feinen Beobachtungsgabe des Autors 
alle Ehre machen. Der Atlas ist nicht nur dem Lehrer sehr will¬ 
kommen, um den Schülern die verschiedensten Trommelfellbilder 
deutlicher erklären zu können, sondern er wird auch dem Anfänger 
die Deutung so vieler ihm unverständlicher Trommelfellbilder er¬ 
möglichen und also dem Selbstunterrichte in vorzüglicher Weise dienen. 
Die schönen Ausführungen der Trommelfellbilder erhöhen den prak¬ 
tischen Werth des Atlas besonders. Urbantschitsch. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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Zwölf Vorlesungen über den Bau der nervösen Cen¬ 
tralorgane. Für Aerzte und Studirende von Dr. Ludwig 
Edinger, Arzt in Frankfurt am Main. Zweite vermehrte Auf¬ 
lage. Mit 133 Abbildungen. Leipzig 1889. F. C. W. 
Vogel. 

Was dem Chirurgen die genaue Kenutniß des Verlaufes der 
arteriellen Blutgefäße und der periphereu Nerven ist und ihn davor 
behütet, vielleicht mit einem kleinen Schnitt unheilbaren Schaden 
anzurichten, was dem Internisten die scharfe Vorstellung der nor¬ 
malen Percussionsgrenzen für die Diagnostik, das ist im selben 
Sinno dem Neuropathologen eiue klare Vorstellung von der Lage 
der Nervencentren, dem Verlauf der Bahnen, ihrer radiären, die 
specifisch differenten Elemente trennenden Ausstrahlungen, ihrer 
Verdichtungen auf engem Areal, der stellenweise nahe angelagerten 
Gehirnnervenkernen und -Wurzeln u. s. f. Diese wichtigen, in den 
Lehrbüchern über Neuropathologie bald flüchtig berührten, bald als 
selbstverständlich dem Leser bekannt angenommenen Thatsachen 
hat Edinger in seinen Vorlesungen leicht verständlich an der Hand 
von reichlichen Abbildungen vorgetragen. 


F e u i 11 e t o n. 


Briefe aus England. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

London, im Juni 1890. 

Einer freundlichen Einladung der Brüder Carter und Türner, 
Zahnärzte in Leeds, folgend, hatten wir jüngst Gelegenheit, eiuer 
Reihe von interessanten Demonstrationen beizuwohnen, welche die 
Bedeutung des Hypnotismus als Anästheticum auf das 
Ueberzeugendste darthaten. Die Hypnose wurde meisterhaft eingeleitet 
^urch Dr. Milne Bramwell. Der erste vorgeführte Fall betraf 
, eine 25jährige Frau, die auf eine kurze Ansprache Bbamwell’b in 
hypnotischen Schlaf versetzt wurde. In diesem Zustande extrahirte 
ihr Thomas Carter drei Zähne, ohne daß die Patientin d-n ge¬ 
ringsten Schmerz verspürt hätte, lieber Aufforderung Carter’b öffnete 
sie den Mund, spie das Blut aus und spülte sich den Mund aus. 
Der zweite Fall betrifft ein 19jähriges Dienstmädchen, das ebenfalls 
von Bramwell bypnotisirt wurde, und dem Hewetson vor 14 Tagen 
einen dacryocystischen Absceß eröffnet und ausgekratzt batte. Die 
Operation verlief ganz ruhig und ohne den geringsten Schmerz für 
die Patientin. Der tägliche Verbandwechsel und die Ausspülung 
der Höhle wurde ebenfalls in Hypnose vorgenommen. Bemerkens¬ 
werth in diesem Falle ist die rasche Heilung binnen 10 Tagen, ein 
sehr kurzer Zeitraum für die mit constitutioneller Syphilis behaftete 
Patientin. Bramwell erklärt dies dadurch, daß er der Kranken 
nach der Operation die Suggestion zur raschen Heilung eingegeben 
hatte, eine Erklärung, für deren Richtigkeit froilieh nicht gebürgt 
werden kann. Diese Patientin konnte auch brieflich durch Bramwell 
bypnotisirt werden. So wurde sie durch folgenden Brief Bramwell’s 
an Turner in Hypnose versetzt: 

„Mein lieber Dr. Turnkr! ich sende Ihnen eine Patientin mit ein¬ 
geschlossenem Befehl. Wenn Sie ihr denselben zeigen, wird sie gleich ein- 
sclilafen und Ihren Anordnungen Folge leisten. 

J. Milnk Bramwell. 

Befehl. Auf Befehl Dr. Bramwell’s schlafe ein und gehorche den 
Anordnungen Dr. Turnkr’s. 

J. Milnf. Bramwell.“ 

Das Experiment gelang vollständig. Gleich nachdem die 
Patientin Obiges gelesen hatte, schlief sie ein, und zwar so fest, 
das Turver ihr 16 Zahnwurzeln extrahiren konnte, ohne daß sie 
den geringsten Schmerz verspürte. Sie erwachte lächelnd und er¬ 
klärte, nichts gefühlt zu habeu. Ferner führte Bramwell einen 
8jährigen Knaben als nicht ganz geeignet zur Hypnose vor. Das 
jugendliche Alter und ungenügende Vorbereitung ließen Zweifel an 
dem Gelingen aufkommen. Indeß konnte der kleine Pat. doch so 
weit hypnotisirt werden, daß eine knöcherne Geschwulst an der 
großen Zehe sammt einem Theil der ersten Phalanx entfernt werden 


Die neue Auflage hat in Text und Abbildungen Erweiterungen 
erfahren. 

Die klare Beschreibung, die sich auf die Mittheilung der 
klinisch bedeutsamsten Thatsachen beschränkt und Alles bloß dem 
Anatomen Interessante vermeidet, wird eine wichtige Lücke beim 
Unterrichte der Nervenpathologie ausfüllen. Wenn manches zur 
Zeit noch klinisch nicht verwerthbare Detail noch nicht übersprungen 
werden konnte, so ist damit, ohne den Leser zu ermüden, eine 
Reihe sichergestellter Thatsachen aufgeführt, die zum Theil vielleicht 
morgen schon eine diagnostische Verwerthung finden. 

Wenn wir einen Wunsch aussprechen sollen, so wäre es der, 
daß der Autor neben den topographischen Schilderungen auch 
Skizzen der klinischen Bilder bei Herden der verschiedenen Regionen 
zur Illustration, zur völlig in’s Blut gehenden Belehrung einschieben 
möchte. Jede völlige Trennung der Anatomie von der Physiologie 
und der Klinik läßt ihre Bedeutung tief unterschätzen, jede auch 
nur hingeworfene Illustration durch klinische Bilder befeuert den 
Eifer und sichert das wärmste Interesse des Lesers. 

Docent Dr. R. v. Pfüngen. 


konnte. Erst gegen Ende der Operation schrie der Kranke ein 
paar Mal auf, doch erklärte er auf Befragen, nichts von dem zu 
wissen, was vorgegangen ist. 

Einem 15jährigen Mädchen sollte eine hypertrophische Ton¬ 
sille entfernt werden. Der Operateur Hewetson war jedoch nicht 
im Staude, die Operation in Ruhe auszuführon; erst auf Suggestiou 
Bramwell’s befolgte die Pat. gonau die Anordnungen des Opera¬ 
teurs und verfiel in tiefe Anästhesie, worauf dann die Operation 
mit Leichtigkeit vor sich ging. In derselben Weise entfernte 
Hewetson eine bohnengroße Cyste aus der Nase einer jungen Frau, 
die durch Hypnose vollständig anästhesirt wurde uud nach Voll- 
führung der Operation protestirte, daß dieselbe noch nicht begonnen 
wurde. 

Einen Pat.; dem Turner 2 Zähne in der Hypnose extra¬ 
hirte, hatte Bramwell durch hypnotische Suggestion von der Trunk¬ 
sucht gänzlich geheilt. Um dieses interessante psychologische Re¬ 
sultat zu zeigen, versetzte er den Mann in Hypnose und zeigte ihm ein 
Glas Wasser mit der Angabe, es sei „schlechtes Bier“. Nun er¬ 
weckte er ihn und reichte ihm das Glas Wasser. Doch kaum brachte 
der Mann das Wasser in den Mund, als er es mit dem Rufe ausspie: 
„Fort mit dieser schädlichen Flüssigkeit.“ Schließlich extrahirte 
Carter einem Manno eine festsitzende- Zahnwurzel in Hypnose. 
Diesen Pat. hatte Bramwell früher von einer sehr hartnäckigen 
Facialisneuralgie mittelst Ilypnoso goheilt. Die Heilung stellte sich 
in 4 Tagen ein und hält nun bereits mehrere Wochen an. Der 
Mann kann auch durch seiuo Tochter mittelst eines Briefes oder 
Telegrammes von Dr. Brvmwell in Hypnose versetzt werden. 

In einer über diese Frage abgehaltenen Discussion der Islington 
medical society suchte Andrew Clark eine Erklärung für die Er¬ 
scheinungen des Hypnotismus in den Beziehungen dessen, was wir 
Willen nennen, zum Körper. Die relative Häufigkeit, in welcher 
die Einwirkung der Hypuose möglich ist, ist, nach ihm, umgekehrt 
proportional der Entwicklung der höheren Ganglien. Leute, deren 
höhere Ganglien höher entwickelt sind, sind für die Einwirkung der 
Hypnose schwerer empfänglich, während solche, deren niedere 
Ganglien höher entwickelt sind, für derlei Einwirkungen sehr ge¬ 
eignet sind. Die Beeinflussung steht in umgekehrtem Verhältuiß zur 
intellectuellen Fähigkeit und in directem Verhältniß zur automati 
sehen Tbätigkeit des Gehirns. Andrew Clark hält die Anwendung 
der Hypnose beim Weibe für moralisch und intellectuell schädlich, 
übrigens ist dieselbe, nach ihm, nur eine beschränkte und erstreckt 
sich ihre Wirkung haupt äehlich auf functionell hysterischo Er¬ 
scheinungen. 

In der jüngsten Sitzung des Royal medical and chirurgical 
society wurde eine Mittheilung Bakewell’s verlesen, der als Arzt 
des Lepraspitals in Trinidad die Heilbarkeit der Lepra im 
Beginne der Erkrankung behauptet. Seine Behandlung ist eine 
combinirte und besteht aus 3 Faetoren: 1. Hygienische und diäte¬ 
tische Mittel. Der Kranke wird aus dem kranken Orte entfernt, 
von Leprakranken isolirt, gut genährt, rein gehalten und vor 

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Insectenstichen geschützt, da diese nicht selten der Ausgang neuer 
Tuberkeleruptionen bilden. 3. Innere Anwendung von kleinen 
Dosen alkalischer Salze. 2. Das Hauptgewicht liegt in der äußeren 
Behandlung mit dem Ocl der Mahagoninuß (Anacardiura occi- 
dentale) und in Application von Silbernitrat auf die anästhetischen 
Stellen. Die Mahagoninuß enthält zwischen den Schalen eine saure 
Flüssigkeit, die auf der gesunden Haut eine leichte, auf den Tuberkeln 
aber eine heftige Reizung erzeugt. Die Anwendung geschieht in 
längeren Zeiträumeu und in einer Ausdehnung von nicht mehr als 
20 Quad. Cm. In mehr chronischen Fällen mit ausgedehnter 
Anästhesie liefert eine Mischung von Silber- und Kupfernitrat die 
besten Resultate. Mac Namara und Abraham glauben nicht an 
die Wirksamkeit des Mahagoniöls. Letzterer hält das Chaulmoograöl 
für das wirksamste Lopramittel. —w— 


Kleine Mittheilungen. 

— Auf Empfehlung Landerer’s versuchte Dr. Josrf Szohner 
(Visegräd) Inhalationen von Perubalsam gegen Lungenphthfee 

(„Pest med.-chir. Presse“, Nr. 21). Eine 3proc. Emulsion des 
Perubalsams wurde auf 53° erhitzt und deren 48° warmer aus¬ 
strömender Dampf bei einem Luftdruck von Vuo auf gleiche Weise 
zur Inhalation benützt, wie zuvor der mit Borax, Campher und 
Menthol vermengte W’asserdampf. Insgesammt wurden dieser Be¬ 
handlungsmethode 16 Phthisiker unterworfen, die sich je nach dem 
Grade ihrer Krankheit in 4 Gruppen theilten. In die I. Gruppe 
gehörten 2 Kranke; bei ihnen zeigte die Lungencapacität einen 
Verlust von 20—30%, die Erkrankung war erst im Anfangs- 
Btadium. Dämpfung zeigte sich nur in geringer Ausdehnung. Temp. 
37‘6°. Bei der II. Gruppo (5 Kranke) büßte die Capacität bereits 
35—45% ein; die nachweisbare Infiltration war ausgebreiteter und 
es kam bereits zu Gewebsdestruction. Die ersten Krankheitszeichen 
zeigten sich vor 8—10 Monaten, Temp. 38°. Die Abmagerung war 
schon bemerkbarer. Einen noch größeren Fortschritt der Krankheit 
konnte man bei der III. Gruppe (7 Kranke) constatiren. 45 —60% 
Verlust der Capacität, hochgradige Ausdehnung des Processes. Dauer 
der Krankheit 1 — 1% Jahre. Temp. 39°. Die vegetative Function 
beträchtlich gestört. Bei der IV. Gruppe (2 Kranke) war die 
Capacität um 65—80% verringert. Klingende Rasselgeräusche, 
1—2 Cavernen, ausgedehnte Dämpfung. Dauer der Krankheit 
1—2 Jahre. Temp. 39*5—40°. Die auf Pcrubalsam-Inhalation sich 
einstellcnden Veränderungen ähneln sehr jenen auf Inhalation medi- 
eamentösen Wasserdampfes folgenden. Die rasche Erweichung uud Ent¬ 
fernung des Kiankheitsproductes, die Besserung der Verdauung und 
Blutbildung, die Verringerung und Sistirung des Fiebers wurde 
sowohl durch das eine, wie das andere Heilverfahren herbeigeführt. 
Demungeachtet konnte man wahrnehmen, daß die cat&rrhalischen 
Erscheinungen auf die balsamische Inhalation rascher sistirten. Das 
cavernöse Sputum änderto sieh rascher in ein ziehendes, durch¬ 
sichtiges um. Nebst rascher Zunahme der Capacität steigerte sich 
auch das Gewicht, und das Allgemeinbefinden ward befriedigeuder. 
Sz. machte die Erfahrung, daß sich bei jmen Kranken, die keinen 
größeren Verlust als 45, höchstens 60% der Capacität aufweisen, 
noch immer mittelst dieser Behandlung auf Heilung rechnen läßt. 
Jene Kranken hingegen, wo die Capacität bereits auf 65—80%ver- 
ringert wurde, lassen nur eine flüchtige Besserung, doch keine 
Heilung hoffen. Interessant war eine Beobachtung bei einem 
Phthisiker, der nebenbei auch au Diabetes litt. Nach lOtägiger 
Inhalation ließ der Durst ganz nach, der Harndrang und die Harn- 
raenge verringerte sich und war im Urin mittelst der FEHLiNG’schen 
Probe kein Zucker mehr nachzuweisen. Ein anderer Phthisiker litt 
an einer Ataxia locomotrix. Nach 3wöchentlicher balsamischer In¬ 
halation wurde sein Gang viel sicherer und ausdauernder. 

— Angeregt durch die Empfehlung Stepp’s (s. „Wiener 
Med. Presse“, Nr. 33 und 46, 1889) hat Dr. Hugo Löwenthal 
auf der Klinik Senator s die Wirkung des Bromoforms bei 
Keuchhusten studirt und theilt in Nr. 23 der „Berl. klin. Woch.“ 
mit, daß das Bromoform in der That eine günstige, fast specifische 
Wirkung auf den Keuchhusten hat, gleichviel ob es bei Beginn der 
Erkrankung , im eatarrhalischen Stadium oder später im Stadium 


convulsivum gegeben wird. Löwenthal behandelte im Ganzen 100 
Kinder, 45 Knaben und 55 Mädchen; das jüegste Kind war 8 
Wochen, das älteste 7 Jahre alt. Er verschrieb stets 5 Grm. Bromo¬ 
form und ließ davon 3—4mal täglich 2—5 Tropfen geben, und 
zwar erhielten Kinder bis zu 1 Jahre 3mal täglich 2—4 Tropfen, 
Kinder von 2—4 Jahren 3—4mal täglich 3—4 Tropfen, Kinder 
bis zum 8. Jahre 3—4mal täglich 4—5 Tropfen, je nach der An¬ 
zahl und Heftigkeit der Hustenanfällo. Er ließ diese Tropfen in 
einen Kinderlöffel Wasser fallen und prägte don Müttern ein, daß 
die in Wasser als Perlen schwimmende Arznei auch wirklich von 
den Kindern hinuntergeschluckt werden müsse. Man gibt gewöhn¬ 
lich 10—15 Grm., selten kommt man mit 5 Grm. Bromoform aus; die 
höchste Dosis war 20 Grm. Nebenbei bemerkt, muß das Bromoform, 
das eine helle klare Flüssigkeit von der chemischen Zusammen¬ 
setzung CHB 3 , mit specifischem Gewichte 2'9 ist, vor der Sonne ge¬ 
schützt werden, weil es sonst roth wird und verdirbt. Die günstige 
Wirkung des Bromoforms trat zuweilen schon am 2. Tage ein, 
manchmal erst am 3. oder 4. Tage. Es hing dies meist mit der 
Heftigkeit des Slickhustens zusammen. Die schwersten Anfälle 
wurdeu in den ersten 8 Tagen sichtlich schwächer, die häufigen 
Hustenstöße, die vorher alle Viertelstunde aufgetreten waren, wurdeu 
seltener. Erbrechen war in der ersten Woche des Bromoform- 
gebrauches geschwunden. Blutungou aus Mund und Nase hörten 
nach 3—5 Tagen auf. W r aren bronchi tische Erscheinungen, 
Schmerzen und Pfeifen vorhanden, so gingen auch diese innerhalb 
einiger Tage zurück. Das Expectoriren des Schleimes wurde mithin 
jedesmal erheblich abgekürzt; in 2—4 Wochen konnten die Kinder 
als geheilt entlassen werden, dieselben hatten sich stets schnell 
während des Einnehmens erholt, besonders war der Appetit besser 
geworden. Als Complication trat 4mal Pneumonie auf, alle vier 
Kinder gesundeten jedoch. Auch Recidiven stellten sich ein, wenn 
das Bromoform zu kurze Zeit gegeben wurde. In vereinzelten 
Fällen trat Müdigkeit und Schläfrigkeit nach jedesmaligem Ein¬ 
nehmen des Bromoforms ein. Von schädlichen Wirkungen des Bromo¬ 
forms hatte Löwenthal eiumal Gelegenheit, die eigenthttmlichen Er¬ 
scheinungen der Intoxication oder Narcose zu'beobachten. 11 

— Auf Grund von Reizungsversuchen an psychomotorischen 
Centren bei Strychninvergiftnng gelangt Bernazki („Wratsch“, 
Nr. 6—8, 1890) zu dem Resultate, daß das Strychnin als Hirn- 
mittel anzusehen ist, da bei seiner subcutanen Anwendung, ebenso 
wie bei directer Einwirkung auf die graue Hirnrinde zuweilen 
Herabsetzung der Erregbarkeit der psychomotorischen Sphäre be¬ 
obachtet wird. Zweifelhaft ist es, ob das Strychnin eine directe 
Wirkung auf die graue Substanz der Hemisphären besitzt; die 
Herabsetzung der Erregbarkeit der Psychomotoren wird aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach durch die Reizung des Rückenmarkes oder auch 
anderer Theile des Centralnerveusystems bedingt. Den günstigen 
Einfluß des Strychnins bei chronischem Alkoholismus, Epilepsie und 
Schlaflosigkeit muß man seiner Fähigkeit, die Reizbarkeit der grauen 
Hirnrinde herabzusetzen , zuschreiben. Es wäre angezeigt, die 
Strychninwirkung bei allen Reizzuständen des psychomotorischon 
Gebietes, besonders bei Manie, zu prüfen. 

— Dr. Kums (Antwerpen) empfiehlt in „La Semaino m6d.“, 
Nr. 24, die Behandlung der rheumatischen Neuralgien mit 
Aetherinjectionen. Zu jeder Injection wird l Grm. Aetber sulfuricus 
oder eine Mischung von gleichen Tbeilen Aether und Alkohol benutzt. 
Die Injection wird möglichst nahe der Stelle gemacht, von der aus 
die Schmerzen ausstrahlen; nach der Injectiou wird massirt, um 
die Flüssigkeit zu verbreiten. Mittelst dieser Injectionen konnte 
Kums oft verschiedene Fälle von rheumatischen Neuralgien der 
Schulter, Torticollis, Ischias, Facialisneuralgien etc. rasch und radical 
heilen. Oft genügt eine einzige Injection, um definitive Heilung zu 
erzielen. In manchen Fällen mußte man 2—3 Injectionen machen. 
In einem Falle brachte eine Aetherinjection die eine Neuralgie be¬ 
gleitenden Magenbesch werden wie durch Zauber zum Schwinden. 
Eine ähnliche Beobachtung machte Kums in einem zweiten Falle. 
Die Aetherinjectionen scheinen demnach auch auf die begleitenden 
Magenstörungen einen wohlthuenden Einfluß zu üben und haben 
keine der unangenehmen Nebenwirkungen der Narcotica. 


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— Von der Anschauung geleitet, daß die Ühorea-eiuo infectiose, 
durch Mikroorganismen hetvorgerufene Krankheit ist, deren Erreger 
allerdings noch nicht bekannt ist, empfiehlt Dr. Dresch in Nr. 16 
des „Bull. g6n. de therap.“ die Behandlung der Chorea mit 
salicyl8aurem Natron. Seiner Ansicht nach sind die choreatischen 
Bewegungen als durch Mikrobieninfection hervorgerufene Reflexe 
auzusehen, die ihr Analogou in dem Keuchhustenanfall, in den 
Krämpfen bei Tetanus, in dem Schüttelfrost beim Fieber etc. finden. 
Das salicylsaure Natron wird hier weder als Antirheumaticum, noch 
als antimycotisclies Mittel gegeben ; dasselbe setzt die choreatischen 
Bewegungen in Folge seiner Wirkung auf die centrale graue Substanz 
des Rückenmarkes uud des verlängerten Markes herab. Wichtiger 
als die sedative Wirkung des salicylsauren Natrons ist die durch 
dasselbe bedingte Erhöhung der Ausscheidung der organischen Zer- 
sctzungsproducte. Da die choreatischen Bewegungen die Acidität 
der Körpersäfte und die Oxydatiousprocesse erhöhen uud enorme 
Mengen von toxischen Zersotzungsproducteu aus dem Muskel- und 
Nervensystem iu die Blutbahn übertragen, so ist die die Nieren¬ 
function begünstigende Wirkung des salicylsauren Natrons von nicht 
geringer Bedeutung. Das Mittel wird sehr gut vertragen. Ein 
12jfthrigcs Kind z. B. verträgt ganz gut bis zu 4 Grm. salicylsaures 
Natron in leicht alkalischer Lösung in 24 Stunden, wenn man nur 
die Vorsicht übt, es in fractionirten Dosen zu geben. DfeESCH läßt 
das salicylsaure Natrou nicht länger als 8—10 Tage hindurch 
nehmen Das Mittel wirkt nur im Beginne der Erkrankung. Nebst 
salicylsaurem Natron empfiehlt Dresch folgende Verhaltungsma߬ 
regeln: In der ersten Zeit bleibt der Kranke im Bette, in einem 
möglichst ruhigen Zimmr. AlsNahrung erhält er Milch. Fleischbrühe ist 
zu verbieten, da dit Silbe für den Choreatiker nichts als eine Giftlösung 
darstellt. Tägliche Darminfusion mit Borax. Wenn nach 10 bis 
14 Tagen eine Besserung eintritt, daun treten die üblichen Me¬ 
thoden (roborirende Diät, Luftwechsel, Eisen, Hydrotherapie) in 
ihr Recht. 

— In einer in Nr. 10 des „Neurolog. Centralbl.“ veröffent¬ 
lichten vorläufigen Mittheilung über Schnellhärtung des Rücken¬ 
markes vermittelst des elektrischen Stromes berichtet Doc. Dr. 
Minor (Moskau), daß er gefunden hat, daß wir vermittelst des 
elektrischen Stromes die mit Kaliumbichromat vorgenommene Härtung 
eines Rlickeninarksstückes bis auf’s Aeußerste beschleunigen können. 
Bei genaueren uud wiederholten Versuchen ergab sich eine höchst 
interessante Thatsache, nämlich die, daß diese Schnellhärtuug nicht 
nur vom blossen Durchleiten des Stromes, sondern auch von der 
relativen Lage des P/äparates an den Polen abhängig ist. Es 
erwies sich dabei, daß diese härtende Wirkung in gewisser Beziehung 
zum positiven Pole steht, und eine ganz entgegengesetzte erweichende, 
macerirende Einwirkung am Zinkpole stattfindet. Lassen wir einen ; 
bestimmten Strom im Laufe von höchstens 4—5 Tagen (bei gewissen i 
Umständen noch weniger) auf ein in Kaliumbichromat frisch eilige- j 
legtes Rückenmark, bei geeigneter Anordnung des Versuches, 1 
einwirken und legen wir dabei noch Controlstücke desselben Rücken- \ 
markes in ein mit Kaliumbichromatlösung von derselben Concen- { 
tratiou gefülltes Gefäß, so gelangen wir am Ende dieser 4—5 Tage j 
zu äußerst überraschenden Resultaten: 1. Die Controlstücko sind 
nur aufgequollen; es sind in diesen kaum irgend welche Spuren 
von beginnender Härtung zu bemerkeu. 2. Das Rückenmarkstück, • 
welches sich unter der Einwirkung des positiven Pols befand, ist l 
völlig durch und durch gehärtet, als ob es 2—3 Monate in einer • 
Kaliumbichromatlösung gelegen hätte. Die Farbe ist dunkelbraun. \ 
3. Das Rückeiimark8tiiek, welches sich unter der Einwirkung des ' 
negativen Pules befand, ist aufgequollen, erweicht, insbesondere • 
im Centrum, die Consistenz schmierig. Dio Farbe ist weißgelb. Die 
histologische Structur der bearbeiteten Gewebe schien dabei in keiner 
Hinsicht gelitten zu haben. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 20- Juni 1890. 

Vorsitzender: Dr. Ullmann. — Schriftführer: Doc. Dr. Hoch- 

STETTER. 

Hofr. NOTHNAGEL stellt einen Mann vor, der mit einem harten 
Lebertumor behaftet ist. Die Uutersuehung des Harns auf Aoeton 
nach Legale ergab ein positives Resultat. Setzt mau zum Harn 
Nitroprussidnatrium und danu Kalilango hinzu, so entsteht eine 
dnukel burgunderrothe Farbe, die auf Zusatz vou Essigsäure noch 
intensiver wird. Bei Abwesenheit von Aceton verschwindet dio Farbe. 
Diese Reaction gestattet mit großer Wahrscheinlichkeit den Schluß 
auf Anwesenheit eines melanotischen Tumors. Es handelt sich im 
vorliegenden Falle wahrscheinlich um ein Melanosarcom. Außer den 
Beschwerden in der Lebergegeud hat der Pat. noch eine Seh¬ 
störung am linken Auge. Die ophthalmoskopische Untersuchung er¬ 
gab : Die Venen im vorderen Ciliargebiet unten uud vorn stark er¬ 
weitert, die Netzhaut von unten abgehoben. Es handelt sieh also 
wahrscheinlich um ein primäres melanotisohes Neugebilde im Bulbus 
mit Metastase in der Leber. 

Hofr. NOTHNAGEL deraonstrirt ferner eiue 39jähr. Armenierin 
aus Tiflis, die über ein Gefühl von Taubsein in den Fingern und 
allgemeines Gefühl von Frösteln klagt. Die bis vor 7 Jahren weiße 
Frau sieht jetzt wie eine Negerin oder Mulattin aus. Die Pigmen- 
tirung betrifft den ganzen Körper mit Ausnahme der behaarten 
Kopfhaut. An den Fingern zeigt sich eine ganz besondere Härte, 
eine Art von Sclerodermie; an den Fingerspitzen finden sich ver¬ 
narbte Substanzverluste, wie sie bei symmetrischer Gangrän Vor¬ 
kommen. An den Fingern sieht man ferner angiospastische Erschei¬ 
nungen, wde sie Nothnagel als vasomotorische Neurose der Extre¬ 
mitäten beschrieben hat und die iu Krämpfe mit Blaß- und. Kalt¬ 
werden und gleichzeitiger Abnahme der Sensibilität bestehen. Außer¬ 
dem kommt auch ein Cyanotischwerden der Finger vor, das auf 
Reizung der Vasodilatatoren beruht. Schließlich besteht noch ein- 
Oedem der Kopfhaut, während die Haut der Wangen und der Stirn 
derb ist. 

Die Verfärbung der Haut hat die größte Aehnlichkeit mit Mor¬ 
bus Addisonii; ein solcher liegt aber nicht vor. Gegen M. Addisonii 
spricht der Mangel von Pigmentirung an den Schleimhäuten und 
selbst am Kehlkopf, das Fehlen der Adynaraie und die lange Dauer 
des Prooesses, ferner die Sclerodactylie, die angiospastischen Erschei¬ 
nungen an den Finger- und Zehenspitzen. Nothnagel glaubt, daß 
es sich hier um Sclerodermie mit starker Pigmentirung, um eine 
Erkrankung des Nervensystems, namentlich im Bereiche des Sym- 
pathicus, handelt. 

Schließlich berichtet Hofr. NOTHNAGEL über eine von Dr. v. Becker 
ans Cairo zugesandte Mittheilung einer einfachen Methode, Zucker im 
Harn nachzuweisen. Sie beruht darauf, daß die fabriksmäßige Bereitung 
Visitkartenpapiers eine größere Quantität Kali benützt, um das Papier 
schwerer und voller zu machen. Streicht man über eine Visitkarte 
eine concentrirte Kupfervitriollösung, so krystallisirt das schwefel- 
saure Kupferoxyd an der Oberfläche beim Trocknen. Zuckerhaltiger 
Harn mittelst eines Zündhölzchens aufgetragen, au der Luft oder 
über der Flamme getrocknet und bis zu einem gewissen Grade er¬ 
hitzt, ergibt folgende Erscheinung: Das Krystallwasser der kleinen 
Kryställchen bringt das Kupfervitriol zum Schmelzen und unter dem 
Einfluß des alkalischen Papiers zeigt sich sofort die lebhafte Bräu¬ 
nung der Zuckerreaction. Je zuckerhaltiger die Flüssigkeit war, 
desto dunkler bräunt sich die bestrichene Stelle. Am besten gelingt 
die Reaction, wenn man etwa 4—5 Cm. über dem Glascylinder 
einer Rundbrennerlampe langsam auf- und ab fährt Es ist angezeigt, 
neben der zuckerhaltigen Flüssigkeit auch absolut zuckerfreie aufzu- 
tragon, um den Unterschied augenscheinlicher zu machen. 

Prof. WEINLECHNER demonstrirt ein von ihm exstirpirtes Sar- 
comderNiere, 2 große Uterusmyomo, einen wegen E1 e- 
phantiasis auf lupösera Grunde amputirten Unter¬ 
schenkel und 1 Exostose. 

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Prof. v. DlTTEL berichtet über die Krankengeschichte eines ^jäh¬ 
rigen Mannes, der mit 7 Jahren an Harnbeschwerden litt. Vor 
Jahren entleerte er unter heftigen Nierenkoliken weißliche, weiche 
Concremente. Seither wurde er erfolglos an Blasencat arrh behandelt. 
Bei Untersuchung per anum fand D. den rechten Prostatalappen 
vergrößert und steinhart; die Untersuchung mit der Sonde ergab 
einen Stein in der Gegend der Prostata. Mittelst hohen Blasen¬ 
schnittes und energischer Erweiterung des Blasenhalses mit dem 
Finger extrahirte D. einen 22 Grm. schweren Stein. Es ist dies 
kein Prostatastein, sondern ein Stein in der Prostata, der 
wahrscheinlich während der Nierenkoliken in die Prostata gelangte 
und sich hier allmälig vergrößerte. 

Prim. GERSUNY stellt ein 22jäbriges Mädöhen vor, das er sei* 
4 Jahren erfolglos an Lupus der rechten Wange behandelt und bei 
dem er vor 5 Wochen die ganze kranke Stelle exstirpirte und die 
wunde Fläche mit Thiekscii' ’schen Lappen deckte. In 8 Tagen war Alles 
geheilt. G. empfiehlt dieses Verfahren zur Behandlung des 
Lupus. G. demonstrirt ferner eine Pat., die sich vor 4 Jahren 
die Haut des ganzen Unterschenkels verätzt hatte und bei der er 
den Defect im Laufe von 11 Monaten durch verschiedene Plastiken 
gedeckt hat. 

Hofr. MEYNERT hält hierauf einen Vortrag über Paranoia, 
in dem er nachweist, daß die Wurzel der Entwicklung der Paranoia 
in der hypochondrischen Sensation zu suchen ist und daß die Para¬ 
noia mit einer Atrophie der Hirnstammgebilde einhergeht. S. 


Wiener dermatologische Gesellschaft. 

Sitzung vom 28 Mai 1890. 

(Off. Protokoll.) 

Vorsitzender: Prof. Kaposi. — Schriftführer: Dr. v. Zeissl. 

GrÜNFELD stellt einen Syphiliskran'ken vor, der neben 
nässenden Papeln am Anus gleichzeitig solche an der unteren 
Fläche eines schwammartig am Rücken aufsitzenden Tumor cavernosus 
darbietet. 

HEBRA zeigt deu in den letzten Sitzungen von ihm als 
Pityriasis pilaris rubra dtynonstrirten Krankheitsfall. Die 
Erscheinungen an der Haut sind unter localer Behandlung größten¬ 
teils zurückgegangen. Nur die Handteller und die Fußsohlen zeigen 
noch leichte Röthung mit Abschilferung der Epidermis. 

Kaposi hält den Fall für noch nicht abgelaufen und glaubt, 
daß man, um Klärung in der strittigen Frage, ob Pityriasis pilaris 
rubra und Lichen ruber acuminatus identische Processe seien oder 
nicht — was für ihn aber eine ausgemachte Sache sei — herbei¬ 
zuführen , nicht nur den vorgestellten Fall, sondern auch noch 
weitere Fälle beobachten müsse. Man darf nicht vergessen, daß 
der vorgestellte Fall ein acuter sei, bei Lichen ruber acuminatus 
es aber auch acut auftretende und rasch verschwindende Eruptionen 
gibt, andererseits von den unter dem Namen Pityriasis rubra be¬ 
kannt gemachten Füllen wieder viele lange Jahre bestanden haben 
und manche erst unter einer Arscnbehandlung heilten. 

HEBRA stellt einen Fall von warzenartiger Verdickung der 
Hohlhände und Fußsohlen vor. Die Finger sind trommelschlägelartig 
verdickt, dio Nägel vergrößert. Als Kind litt die jetzt 27 Jahre 
alte Kranke an llyperidrosis der Hände und Füße. 

Kaposi setzt des Längereu auseinander, wie die Entwicklung 
derartiger Schwielen und Hühneraugen häufig auf Grund voraus¬ 
gegangener Hyperidrosis bei Anämischen zu Stande komme. 

SCHIFF Stellt einen Fall von completem Kryptorchismus und 
dann ein Kind vor, welches an hereditärer Syphilis leidet. Das 
3 Jahre alte Kind zeigt seit seiner Geburt Erscheinungen von Lues, 
von welchen Papeln an der Schleimhaut der Mundhöhle, die geradezu 
riesige Dimensionen angenommen haben , jeder Behandlung trotzen. 
Diese Efflorescenzen schwinden nach energischer Aetzung, um nach 
einiger Zeit wieder aufzutreten. 

KAPOSI demonstrirt einen Fall von excessiver Elephantiasis 
Arabum der linken unteren Extremität in Folge von Lupus 


vulgaris. Bbi diesem war es zur Phlegmone gekommen. Incisionen 
hatten den Eiter entleert, in Folge des Sublimatverbandes war 
Salivation aufgetreten. Im Wasserbette heilte die Phlegmone rasch. 
Kaposi führt weiters , an diesen Fall anknüpfend, einen Kranken 
mit Elephantiasis Arabum dorsi manus verrucosa in 
Folge von Lupus vulgaris vor, welcher wegen dieser beschränkten 
Localisation und der excessiven Ausbildung eine Seltenheit ist. 

Kaposi zeigt sodann ein kleinpapulöse3 Syphilid, das leicht 
mit Lichen scroph. verwechselt werden könnte, und stellt 2 schon 
früher demonstrirte und einen neuen der Klinik zugewachsenen 
Pemphigusfall vor. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 2. Juni 1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: l)r. Baar. 

Docent Dr. LAKER demonstrirt einen Patienten, der an sich 
oft wiederholendem Nasenbluten seit Jahren leidet. Nach Ver¬ 
schorfung der afficirten Stelle, die sich auf dem Nasenseptum, nicht 
weit vom Eingänge, befand, mit dem Galvanokauter hat dasselbe 
seit mehreren Wochen aufgehört. 

Hierauf demonstrirt Derselbe drei Patienten, welche Neu¬ 
bildungen an den Stimmbändern besitzen und in Folge dessen an 
mehr minder hochgradiger Heiserkeit leiden. Bei einem der vor¬ 
gestellten Fälle, einer verhältnißmäßig jungen Frau, schwankt die 
Diagnose zwischen multiplen Papillomen und einer bösartigen Neu¬ 
bildung. 

Weiters zeigt L. eine Caries des Proc. mastoideus, ver¬ 
anlaßt durch ein Cholesteatom. Es wurde die Auskratzung mit dem 
scharfen Löffel vorgenommen. *<» 

Ferner gibt Derselbe einige Daten zu dem in der letzten 
Sitzung (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 21, p. 857, 1890) demon- 
strirten cariösen Hammerkopfe. Es handelte sich um ein 2üjähriges 
Mädchen, welches an einem seit Monaten dauernden Eiterausfluß aus 
einem Ohre, zeitweilig an Schwindel, einseitigem Kopfschmerze und 
Fieberanfällen litt, welche Symptome stets dann exacerbirten, wenn 
der Ausfluß aus dem Ohre sistirt hatte. Es fand sich eine große 
herzförmige Oeffnung im Trommelfelle und bei genauester Unter¬ 
suchung bis auf einen kleinen cariösen Theil des Hammerstieles kein 
Grund zur Eiterung. Der Hammer wurde nach der von Kessel aus 
gebildeten Methode extrahirt, der Kopf war in größerem Maße cariös. 
Der Eiterausfluß und die anderen Symptome sistirten sogleich , die 
Patientin hat ein gutes Hörvermögen (Flüsterstimme auf 8 Meter 
Distanz) und das Trommelfell fängt wieder an, sich zu regenerireu. 

Dr. IPAVITZ demonstrirt das seinerzeit vorgestellte Kind mit 
Hygroraa colli cysticum congenitum (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 13, 
p. 511, 1890) in geheiltem Zustande. Es war mit antisoptischor Drai¬ 
nage nach Prof. Wölfler’b Angabe behandelt worden (Einführung 
von mit Jodoformgazestreifen umwickelten Drainröhren nach vor¬ 
heriger Incision und Gegenincision). 

Dr. NaRMANN demonstrirt einen Fall von Verletzung des 
Trommelfelles. Er bespricht die verschiedenen Ursachen der Trommel¬ 
fellverletzungen und die Diagnose derselben, welche aus der Form 
der Verletzung, der Beschaffenheit der Ränder und dem Vorhanden¬ 
sein von Blutungen gemacht werden kann, ln diesem Falle fand 
sich eine runde Perforationsöffnung mit eingerollteu Rändern, so 
daß aus diesem Umstande ein Schluß auf das schon längere Be¬ 
stehen gemacht werden kann. Nur die außerdem vorhandenen 
Blutungen sind auf das Trauma (eine Ohrfeige) zurückzuführen. 
Eine genaue Untersuchung solcher Fälle und genaue Würdigung 
aller sich vorfindenden Verhältnisse ist in gerichts ärztlich er Beziehung 
vornehmlich von Wichtigkeit. hs. 


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Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 11. Juni 1890. 

Dr. Hermes: Exstirpation einer verschluckten Nähnadel. 

Auf -der Klinik von Prof. Sonnenburg wurde vor einigen 
Tagen ein 17jähriges Mädchen operirt, welches im September v. J. 
eine Nähnadel verschluckt hatte. Seitdem klagte Patientin über 
heftige Magenbeschwerden, namentlich bei plötzlichen Bewegungen, 
sowie über lebhafte Schmerzen beim Gehen und zeitweises Erbrechen. 
Bei der Untersuchung fand sich in der Mittellinie zwischen Nabel 
und Processus ensiformis eine localisirte Schmerzhaftigkeit und nach 
Durchtrennung der Bauchdecken am hinteren Rande der Fascia 
transv. eine hervorragende Stelle. Als Sitz der Geschwulst erwies 
sich nach Eröffnung des Peritoneums ein Netzklumpen, in welchom 
die Nähnadel saß. Diese wurde herausgezogen, die Wunde sofort 
geschlossen; Heilung. 

Dr. James Israel.- Fall von geheiltem Nierensarcom. 

Der vorgestellte Fall ist um deswillen besonders beachtens- 
werth, weil die Zahl der definitiven Heilungen nach Exstirpation 
maligner Nierentumoren bisher eine sehr kleine ist. Der 16jährige 
Patient klagte seit dem Jahre 1881 im Anschluß an eine peri- 
typhlitische Affection zuweilen über Schmerzen in der rechten Seite. 
Im Juni 1888 war nach einem Fall eine Exacerbation der Schmerzen 
eiugetreten, doch war der Urin normal. Dagegen fand Redner im 
rechten Hypochondrium einen ovoiden Tumor von 11 1 / a Cm. größtem 
Durchmesser. Die Geschwulst bewegte sich mit der Inspiration und 
sank bei Lagerung auf die linke Seite medianwärts und abwärts; 
sie war prall elastisch und glatt an der Oberfläche anzufühlen. Die 
linke Niere fand sieh an ihrer normalen Stelle unvergrößert und 
unbeweglich. Die Probepunction ergab in dem aspirirten Blute ver¬ 
fettete und epithelartige Zellen und bestätigte dadurch die Ver- 
muthung, daß es sich um einen malignen Tumor handle. Exstir¬ 
pation des mit dem Colon asceudens verwachsenen Tumors mittelst 
T-Schnitt; Enucleation der Lymphdrüsen. Heilung per priraam 
intentionem. Seit der Operation hat Pat. um circa 30 Pfund an 
Körpergewicht zugenommen. Die linke Niere bat sich inzwischen 
zu einer Wanderniere umgewandelt, offenbar bedingt durch die 
Druckerniedrigung im Abdomen und durch die Vergrößerung der 
zurückgebliebenen Niere. 

Der Fall ist zunächst durch das jugendliche Alter des Pat. 
bemerkenswerth, da das zweite Decennium des Lebens geradezu als 
immun gegen maligne Tumoren gilt, während am meisten das jugend¬ 
liche Alter bis zum 5. Lebensjahre und die höheren Altersstufen 
jeuBeits des 40. Lebensalters dafür disponiren. Eine gut geübte 
Probepunction uud Aspiration erscheint für die Diagnose maligner 
Tumoren als ein außerordentlich gut verwerthbares Hilfsmittel. 

Von den übrigen drei Fällen, bei welchen Redner wegen 
maligner Nierengeschwulst operirt hat, betraf der eine ein Carcinom. 
Pat. ist seit 2 Jahren geheilt geblieben. In einem zweiten Fall 
mußte die Operation eines großen Nierencarcinoms unvollendet 
bleiben, da auch die Darmschlingon earciuomatös durchwachsen waren. 
In einem dritten Falle erfolgte der Exitus am 3. Tage nach der 
Operation unter urämischen Krämpfen, wahrscheinlich in Folge von 
J odoformintoxicationen. 

Was das demonstrirte Präparat betrifft, so handelt es sich 
um einen tibermannskopfgroßen Tumor, welcher von einer dünnen 
Schale Nierensubstanz überzogen ist; diese verschmälert sich all- 
mälig zu einer dünnen Kapsel. Die aus einer Anzahl graugelber 
Knollen zusammengesetzte Geschwulst erwies sich mikroskopisch als 
ein alveoläres Sarcom. 

Trotz der bisher ungünstigen operativen Resultate hält Redner 
die malignen Nierentumoren dennoch bei rechtzeitiger Diagnose für 
sehr geeignet zur Operation, weil sie die Neigung haben, lange Zeit 
local zu bleiben und erst spät zur Erkrankung der Lymphdrüsen 
Veranlassung geben. Immer aber ist es geboten, eine genaue Unter¬ 
suchung des ganzen Körpers in Bezug auf Metastasen vorzunehmen, 
weil diese nach des Vortragenden Erfahrung sich an ganz uner¬ 


warteten Stellen, wie z. B. in der“ Rllckenhaut oder im Ober¬ 
schenkelknochen, vorfinden. 

In der Disoussion bestätigt Prof. Küster die Wirksamkeit 
der Probepunction zu diagnostischen Zwecken und ebenso die un¬ 
günstige Statistik der Operation. Er selbst hat 4mail die' Exstir¬ 
pation von malignen Nierengeschwülsten unternommen; '^voii den 
Kranken ist ein wegen Niorenadenom operirter Pat. nodh jetzt ge¬ 
sund ; ein Pat. starb unmittelbar nach der Operation, zwei ander» 
gingen an Recidiven zu Grunde. ; 

(Schloß folgt.) " '' :i 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse?.) ; - 

Soci6t6 de ehirorgle. 

Sitzung vom 14. Mai 1890.. 

Verneuil: Behandlung der acuten Erkrankungen der Brustdrüse. 

In einer größeren Reihe von acuten iufeetiösen Erkrankungen 
der Mamma hat V. seit mehreren Jahren Zcrctiluhungeaimit.anti 1 - 
septischen Substanzen vorgenommen. Die Technik besteht -darin; daß 
man (am bosten) einen Dampfzerstäuber auf einen Tisch oder Sessel 
in entsprechender Entfernung von der kranken Partie stellt und 
längere Zeit functioniren läßt. Obgleich die Menge der duroh die 
Zerstäubung gelieferten Flüssigkeit keine große int,, ist es doch 
zweckmäßig, einige Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, um Verkühlung 
zu vermeiden. Die Kranke wird möglichst am Rande des Bßtles 
gelegt und nur die zu behandelnde Körpergegend entblößt, während 
die Umgebung derselben mit wasserdichtem Stoff bedeckt: wird. In 
der großen Mehrzahl der Fälle genügen ; 2—*3 Sitzungen von ,je 
2—3 Stunden täglich. In den Zwischenzeiten bedeckt man . die 
kranke Gegend mit einem cütsprechenden antiseptischen Verband. 
Diese lange dauernden Zerstäubungen verhindern dafc :H»m5utre$en 
von Infectionen, welche gerade in dieser. Gegend nicht selten; SSmL 
Bei manchen Kranken mit ausgedehnter acuter Mastitis: mit tiefer. 
Eiteransammlung und Fisteln, die nur schwer unter einander com- 
municiren, setzten die erwähnten Zerstäubungen die Scb-wellüngs- 
und Entzündungserscheinungen bedeutend herab und erleichtern 
die eventuell sich aufdräugende chirurgische- Behandlung. : Naoh 
Operatiooen angewendet, kürzen sie die Dauer der Erkrankung ab 
und schützen die Kranken vor infeetiösen CompHeationen. ; Diese 
Behandlungsmethode hat in einer Reihe von oleerirtep, inoperablen 
Mammacarcinomen sehr gute Dienste geleistet. Dank den 3 MM 
täglich wiederholten Zerstäubungen konnten leicht der penetrante, 
fötide Geruch und die heftigen Schmerzen zum Verschwinden gebracht 
werden. In einem Falle, in welchem wegen der heftigen,Entztit)duDgs- 
erecheinungen die Exstirpation des Neugebildes nicht gemacht werden 
konnte, brachten die duroh 10 Tage fortgesetzten Zerstäubungen 
mit Carbol die Entzttndungserscheinunge» zum Schwinden : und die 
Operation konnte vollzogen werden. . Es fand sich nun. hinter der 
Geschwulst und vor dem Peetoralis eine ausgedehnte Eiteransammlung* 
welche den Erfolg der Operation in Frage stellte, Die Zerstäubungen 
wurden fortgesetzt und binnen 2 Monaten vernarbte Alles;. die 
Heilung hält bereits 2 Jahre an. 

Bekanntlich treten nach Entbindungen bedeutende Schwellungen 
der Brüste auf, deren Diagnose oft nicht leicht ist, da mau zwischen 
einer schmerzhaften Milchretention und einer beginnenden Phlegmone 
schwankt. In einem solchen Falle hat V. von der Anwendung der 
Zerstäubungen durch einige Tage eine bedeutende Besserung gesehen; 
Die Schwellung nahm stark ab und es blieben nur 2-^-3 kleine 
Abscesse zu incidiren. Schließlich leisten die Zerstäubungen wesent¬ 
liche Dienste in Fällen von chronischer Mastitis, deren Diagnose 
von gewissen Epitheliomen schwer zu differenziren ist. 

K. 


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1019 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 25. 


1020 


Notizen. 


Wien, 21. Juni 1890. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Vor 
leeren Bänken hat am 16. d. M. die außerordentliche General¬ 
versammlung dieses Collegiums stattgefunden. Wenn die bekannte 
Indolenz der Mitglieder dieser größten ärztlichen Corporation unseres 
Vaterlandes eines neuerlichen Beweises bedurft hätte, ihr Fort 
bleiben von dieser, für die Zukunft des Collegiums eutscheidenden 
Versammlung hätte ihn geliefert. Die Statuten des Collegiums er¬ 
klären eine Generalversammlung für beschlußfähig, wenn 20 Mit¬ 
glieder in derselben erscheinen; bei dem Umstande, als der „Ge¬ 
schäftsrath“ nicht weniger als zwei Dutzend Mitglieder zählt , eine 
im Vereinsleben wohl vereinzelte, jedoch offenbar durch die Er¬ 
fahrungen der letzten Jahre begründete Bestimmung. Die An¬ 
wesenden, welche etwa den 15. Thcil der Mitglieder repräsentirten, 
nahmen nach kurzer Debatte die von Dr. Hopfgartnkr sehr ener¬ 
gisch vertretenen Anträge des Geschäftsrathcs an, welche lauten: 

1. Es wird felgender Zusatz zu den Statuten beschlossen: „Das 
Wiener medicinische Doctorcu Collegium hat das Recht, dem öster¬ 
reichischen Aorzte Vereins - Verbände beizutreten.“ — 

2. Resolution bezüglich der Aerztekammern: „Nachdem die 

vie\jährigcn Erfahrungen seit Neuconstituirung des Wiener medicini- 
schon Doctoreu Collegiums gelehrt haben, daß nur durch Errichtung 
von legaleu Corporationon mit obligatorischem Beitritte eine ersprie߬ 
liche Organisation des ärztlichen Standes zu erwarten ist, indem 
nur eine solche legale Vertretung im Staude ist, die Interessen des 
ärztlichen Standes gegenüber deu gesetzgebenden Factoren wirksam 
zu vertreten und die Wahrung der Standosohre zur Geltung zu 
bringen; nachdem die ärztlichen Vereine zur Erreichung dieser Ziele 
sich als ungenügend erwiesen haben, spricht das Wiener medi¬ 
cinische Doctoren-Collegium in der Ueberzeugung, daß nur durch 
Errichtung von Aerztekammern dem dringenden Bedürfnisse 
nach Organisation des ärztlichen Standes Genüge geleistet werden 
kann, den dringenden Wunsch aus, daß Aerztekammern nach dem 
vorliegenden Gesetzentwürfe des Abgeordneten Dr. Roser möglichst 
bald errichtet werden mögen.“ — 3. Das Wiener medicinische 

Doctoren Collegium ist einer zeitgemäßen Reform zu unterziehen. 
— Wir haben in der Vorwoche die einzelnen Reformvorschläge be¬ 
leuchtet, welche der Gescbäftsrath der nächsten, hoffentlich be¬ 
suchteren Generalversammlung vorlegen wird. 

(Vom Tage.) In ärztlichen Kreisen Wiens erregte die vor 
eiuigen Tagen erfolgte Verhaftung eines jungen Mannes peinliches 
Aufsehen, welcher nach Verübung zahlreicher Schwindeleien in den 
lotzten Wochen als Secundararzt des k. k. Krankenhauses Wieden 
fungirt hat. Wohl besteht derzeit kein Zweifel darüber, daß der 
Verhaftete auch diese Stellung durch Vorweisung eines gefälschten 
Doctordiplome8 der Innsbrucker Universität erschlichen hat, eine 
Entdeckung, welche begreiflicherweise das ärztliche Corps dieses 
Krankenhauses, das einen Collegen im Gefangenbause glaubte, auf- 
athmen läßt, andererseits aber zu Erwägungen Veranlassung gibt, 
welche nicht nur im Interesse des Publikums und der Kranken¬ 
anstalten, sondern des gesammten ärztlichen Standes liegen. Ein 
Unbekannter erscheint in der Spitalsdirection, stellt sich dem Director 
vor und erbittet auf Grundlage eiues österreichischen Doctordiploms 
seine Einreihung in die Aspirantenliste. Der Director nimmt nach 
Einblick in das Document, dessen Fälschung er zu bemerken außer 
Stande ist, keinen Anstand, den vermeintlichen jungen Arzt einer 
Abtheilung zuzuweisen, deren Visite der neue Aspirant begleitet, 
nach Anweisung des ersten Secundararztes etwa das wichtige Geschäft 
der Evidenzbaltung des Diätbogens verrichtend. Wohl fällt den 
Collegen gelegentlich der Führung des Medicamentenextractes die 
Unselbstständigkeit des jüngsten Aspiranten auf, allein — das soll 
auch schon bei Promovirteu passirt sein. So vergeht die Zeit bis 
zur Ernennung zum Secundararzt zweiter Classe, eine Stellung, 
welche in der That einige Selbstständigkeit voraussetzt. In unserem 
Falle zog es der Schwindler vor, die nunmehr fast unausbleibliche 
Entdeckung nicht abzuwarten, und trat einen Urlaub an, während 
dessen er verhaftet wurde. — Wie ist es möglich, Anstaltsleitungen 
vor ähnlichen Vorkommnissen zu schützen? Eine Prüfung des 


Diploms durch Sachverständige in jedem Falle vornehmen zu lassen, 
ist aus äußeren Gründen undurchführbar, die Sicherheit der Echt¬ 
heit des Documentes jedoch für die Anstalt, welche der Oeffent- 
liohkeit gegenüber verantwortlich ist, eine unabweisbare Bedingung. 
Wenn die Rectorate der Universitäten verhalten würden, nach Schluß 
jedes Semesters die Liste der im abgclaufenen Halbjahre daselbst Promo- 
virten — etwa im* Amtsblatte — zu veröffentlichen, so wäre die 
Wiederholung eines ähnlichen Betruges erheblich erschwert. Falls 
etwa ein Promovirter vor Erscheinen der Liste Dienste in einem 
Krankenhause zu nehmen beabsichtigt, könnte ja im Wege einer 
amtlicbeu Anfrage an das Rectorat oder Decanat jeder Zweifel an 
der Echtheit des Diploms binnen kurzer Frist zerstreut werden, 
falls man es uicht vorziehen würde, einen eventuellen Betrug durch 
die Verordnung erheblich zu erschweren, es sei in solchen Fällen, 
sowie bei don Anmeldungen zur Praxis der Sanitätsbehörde gegen¬ 
über nicht nur das Diplom, sondern auch das Absolutorium und 
der ip Zukunft die Photographie des Inhabers tragende Index bei¬ 
zubringen. Welcher Weg auch beliebt wird, die Nothwendigkeit 
steht fest, einer Wiederholung des mitgetheilten Betrugsfactums zu 
steuern. — Der ärztliche Verein der südlichen Bezirke Wiens hat 
in seiner vorgestrigen Plenarversammlung eine Resolution in diesem 
Sinne beschlossen. 

(Oberster Sanitätsrath) In der am 14. Juni d. J. 
abgehaltenen Sitzung referirte Hofr. Prof. Vogl über die Anträge 
des pharmaceutiscben Comitö, betreffend die Hintanhaltung des 
unstatthaften Arzneiwaarenhandels und die Regelung des Verkaufes 
von Arznei Specialitäten in den Apotheken, worauf Prof. 
Weichsf.lbaum ein Gutachten, betreffend die Aufbewahrung der 
Aschenroste von Leichen, welche im Auslande verbrannt 
wurden, erstattete. 

(Cholera-Nachrichten.) Aus dem Osten und Süden 
Spaniens kommt die Nachricht vom Auftreten der Cholera. Die¬ 
selbe ist fast gleichzeitig in Valencia und Malaga beobachtet worden, 
und die Gefahr der Verschleppung der Seuche aus den genannten 
Küsten8tä(lten durch den Schiffsverkehr eine drohende. Oesterreich, 
Frankreich und Italien haben sofurt nach Eintreffen der ersten 
Meldungen maritime Sanitätsmaßregeln getroffen. Inzwischen hat 
sich die Zahl der Todesfälle, zumal an der Ostküste Spaniens, 
nördlich von Valencia, vermehrt; am 18. Juni starben in Rugat 6 von 
8 Erkrankten, in Montichelvo 5 von 12 Cholerakranken. Die 
Localbehördeu sollen alle „gebotenen“ Maßregeln behufs Isolirung 
der Krankheitsherde veranlaßt haben. — Auch aus Mesopotamien 
wird das Auftreten der Cholera gemeldet. Das inficirte Gebiet 
betrifft hier die Stadt Mossul und Umgebuug. Die türkische Re¬ 
gierung soll um dasselbe einen Militärcordon gezogen haben. 

(Personalien.) Den Docenten des Militär - Thierarznei- 
Institutes, und zwar dem Adjuncten Dr. Hugo Schindelka und 
dom Assistenten Dr. Johanm Latscubnberge t ist der Titel eiues 
a. o. Professors, dom Adjuncten und Docenten des genannten Iu 
stitutes, Franz Konhäuser, das goldene Verdienstkreuz verliehen 
worden. — Der Oberstabsarzt I. CI. und Leiter des Garnisonspitales 
Nr. 2 in Wien, Dr. Theodor Matzal, ist in den Ruhestand getreten. 

(Universitäts-Nachrichten.) Znm Decan der Wiener 
med. Facultät ist für das nächste Studienjahr Prof. Emil Zucker- 
kandl gewählt worden. — Das medicinische Professoren-Collegium 
der Universität Budapest hat zum Decan pro 1890/91 don Pro¬ 
fessor der Hygiene, Dr. Fodor, gewählt. — Aus München 
kommt die betrübende Nachricht von dem aus Gesundheitsrücksichten 
gebotenen Rücktritt des berühmten Chirurgen Geh.-R. Prof, von 
Nussbaum vom Lehramte, welchem er durch 30 Jahre in erfolg 
reichster Weise vorgestanden. An Stelle Nussbaum’s, dessen viel¬ 
seitige Verdienste durch Verleihung dos Michael-Ordens II. CI. ge¬ 
würdigt wurden, tritt unter Ernennung zum ordentlichen Professor 
der bisherige Extraordinarius Dr. Ottmar Angerkr. — Der 
Privatdocent, Titularprofessor Dr. L. Bkieger in Berlin, ist zum 
a. o. Professor der dortigen medicinischen Facultät ernannt worden. 

(Aus Berlin) wird uns geschrieben: Der Bundesrath hat 
beschlossen, daß der von der ständigen Commission für Bearbeitung 
der Pharmakopoe vorgelegte Entwurf eines Arzneibuches für 
das Deutsche Reich mit einigen Abänderungen vom 1. Januar 
1891 ab an Stelle der mit dem 1. Januar 1883 in Wirksamkeit 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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getretenen Pharmacopoea Germanica, editio altera, treten soll. — 
Der preußische Landtag hat eine Petition des Allgemeinen deutschen 
Frauen Vereines in Leipzig, betreffend den Zutritt der Frauen 
zu dem ärztlichen und wissenschaftlichen Lehrberuf 
als zur Erörterung im Plenum nicht für geeignet errachtet. — Der 
Berliner Magistrat hat sich mit der Errichtung einer Heim¬ 
stätte für genesende Wöchnerinnen auf dem städtischen 
Gute Blankenfelde einverstanden erklärt und für das laufende Jahr 
einen Betrag von 140.000 Mark für diesen Zweck bewilligt. — 
An dem internationalen medicinischen Crongreß in Berlin wird neben 
der Abordnung französischer Militärärzte auch eine 
vou dem französischen Unterrichtsminister entsandte Deputation von 
drei hervorragenden Vertretern der medicinischen Wissenschaft, den 
Professoren Leon lr Fort, Bouchard und Charles Richet theil- 
nehmen. Von Seiten der nordamerikanischen Union sind 
nach einer von der hiesigen amerikanischen Gesandtschaft an den 
Generalsecretär Dr. Lassar gelangten Mittheilung als officielle Ver¬ 
treter die Herren C. H. Alden und Major S. Billings entsandt 
worden. — Auf Anregung des Organisations-Ausschusses hat sich 
für den internationalen Congreß auch ein Damencomitö gebildet. 
Die Damen wollen den Gattinnen der auswärtigen Aerzte möglichst 
viel Annehmlichkeiten und Erleichterungen bei Gelegenheit des 
Congreßbesuches verschaffen. 

(Statistik.) Vom 8. bis inclnsive 14. Juni 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4621 Personen behandelt. Hievon wurden 849 
entlassen; 107 Bind gestorben (1149’/odes Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wien3 und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 49, egyptischer Augenentzündung —, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 12, Dysenterie —, Blattern 13, Varicellen 25, Scharlach 36, 
Masern 394, Keuchhusten 86, Wundrothlauf 529. Wochenbettfieber 8. — In 
der 24. Jahreswoche sind in Wien 386 Personen gestorben (—14 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der langjährige 
Chefarzt der Südbahn Dr. Max Richter; in Tschardshui (Trans- 
caspien) der deutsche Arzt, Staatsrath Dr. 0. Heyfelder ; in 
Chicago der Professor der Gynäkologie an der dortigen medicinischen 
Sehülej' Dr! H. Byford. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Eingesendet. 

Aufforderung 

des österreichischen und ungarischen Landescomitö zur För¬ 
derung des Besuches des X. internationalen medicinischen 
Congresses und der Beschickung der damit verbundenen 

Ausstellung. 

Der vom 4.—9. August des laufenden Jahres in Berlin 
tagende X.* internationale medicinische Congreß ist den Aerzten 
Oesterreich-Ungarns durch seinen Sitz in anziehender Weise nahe¬ 
gerückt, und erfahren wir, daß dort der ehrende und sehr lebhafte 
Wunsch herrscht, innerhalb einer nationalen Vereinigung das be¬ 
freundete Nachbarreich hervorragen zu sehen. 

Es liegen Gründe genug vor, daß die gefertigten Aerzte aller 
Kronländer, sowie ein Vertreter Ungarns als ein Ländercomitö, wie 
Bolche schon in 8candinavien, England, Rußland, Amerika erfolgreich 
thätig sind, mit aller Wärme ihre gesaramten vaterländischen Collegen 
auffordern, diesen Congreß auf das Zahlreichste zu besuchen und 
die damit verbundene fachliche Ausstellung durch Beschickung zu 
einem glanzvollen Ueberblicke über das hervorragende heimische 
Können zu gestalten. 

Es ist ein erhebender Zweck, sich im Anschluß an das Ganze 
der internationalen Leistung zugleich im vollen patriotischen Werthe 
für dieses Ganze zu fühlen, was nur durch reiche Betheiligung er¬ 
reichbar ist, besonders erreichbar jedoch auf medicinischem Gebiete, 
wo unsere Leistungen sich einerseits zur Zeit in die ganze Breite 
des in neuen Wissens- und Anwendungsgebieten anwachsenden Feldes 
lückenlos erstrecken, andererseits in zeitlichem Rückblicke auch mit 
bahnbrechenden, ruhmvollen Traditionen in den ärztlichen und ein¬ 
schlägig organisatorischen Leistungen der österreichisch-ungarischen 
Monarchie sich verknüpfen. 


Was von Oesterreich und Ungarn ausgeht, trägt ja schon im 
Engeren einen internationalen Charakter, der Alles mit um so zahl¬ 
reicheren Fühlfäden in eine internationale Leistung einfügt. Die 
ehrenvolle Beschickung, die wir leisten, soll einmal die Aerzte 
selbst, ihr Wort als Lehre, und zu erfolgreicher Klärung der sich 
messenden Ansichten nach Berlin führen, andererseits ihre Schöpfungen 
als eine Darstellung der vornehmsten Ergebnisse und Arbeitsmethoden 
unserer Institute und Kliniken zur Anregung und Vergleichuug der 
bei dieser besonderen Gelegenheit versammelten Aerztewelt, sowie 
ein Bild des organisatorischen Geistes auf hygienischen Gebieten und 
Einrichtungen durch Pläne und Modelle geben, worin sehr ehren¬ 
voll auch der aufstrebende Geist unserer ungarischen Staatsverbündeton 
auf den Schauplatz treten wird. 

Das Berliner Organisationscomitö hat uns durch seinen Secretär, 
Herrn Dr. 0. Lassar, noch unter dem heutigen Datum unterrichtet, 
daß der Anmeldungstermin für die Ausstellung mit <Je ra 15. Juni 1. J. 
noch nicht als abgeschlossen zu betrachten ist und daß gerne noch 
spätere Anmeldungen angenommen werden. Diese sind, sowie alle 
Mittheilungen für den Congreß an Herrn Dr. 0. Lassar, Berlin, 
Karlstraße 19, zu richten, dagegen die Mitgliederbeitrkge von 
20 Mark an den Schatzmeister, Herrn Dr. Bartels, Berlin, SW. 
Leipzigerstraße 25, zu adressiren, und aus Gründen mehrfachen 
Vortheils für die Congreßbesucher möglichst bald zu erfolgen. 

Es tritt auch ein Vertreter Ungarns diesem österreichischen 
und ungarischen Landescomitö bei, Herr Sanitätsrath Dr. Czatäri 
de Czatary, dem die detaillirte Organisation für sein nationales 
Gebiet zufällt. 

Möge unser Aufruf auch eine Gelegenheit vielfacher freudiger 
Begrüßung der eigenen Staatsangehörigen schaffen, und die ärztliche 
Weltversammlung auch ein reiches Zusammenßnden entlegener 
Standesgenossen aus der weiten Heimat in sich schließen. 

Wien, am 11. Juni 1890. 

Theodor Meynert, Wien; Hans v. Hebra, Wien, Schriftführer; 

CzatAri de Czatary, Budapest, als Bureau. 

Eduard Albert, Wien; Th. Browicz, Krakau ; HansChiari, Prag; 
Rudolf Chrobak, Wien; Theophil Eiselt, Prag; Sigmund Exner, 
Wien; Ernst Fuchs, Wien; Ewald Hering, Prag; Eduard Hofmann, 
Wien; Rudolf Jaksch, Prag; Adolf Jarisch, Innsbruck; Otto 
Kahler, Wien ; Richard y. Krafft-Ebing, Wien; Hans Kundrat, 
Wien; Carl Maydl, Wien; Alois Monti, Wien; Hermann Noth¬ 
nagel, Wien; Carl Pawlik, Prag; Alfred PAibram, Prag; 
Alexander Rollett, Graz; Eduard Schiff, Wien; Johann- 
Schnitzler, Wien; Carl Toldt, Wien; Hermann Widerhofer, 
Wien; Wilhelm Winternitz, Wien; Anton Wölfler, Graz, 
als Comitömitglieder. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Kundmachung 1 , . 

betreffend die Besetzung der zweiten Arztes- (Hilfsarztes-) Stelle im iiffent-: 
liehen Krankenhanse in Rann. 

Die zweite Arztes- (Hilfsarztes-) Stelle im öffentlichen Krankenhanse in 
Rann kommt zur Besetzung. Mit dieser Stelle ist eine Jahres-Remuneration! 
von 400 fl- verbunden. Bewerberum diese Stelle, welche auch der sloveniscben' 
Sprache mächtig sein müssen, haben ihre entsprechend dccumentii ton Gesuche • 
bis 1. Juli 1. J. an den gefertigten Landes-Ausschuß einzusenden. . , 

Graz, am 6- Juni 1890. 635 < 

Vom steierm. Landes-Ausschüsse. 

Bel der Betriebskrankencasse des k. und k. Marine-Aerars 

in Pola gelangen mit 1. August 1. J. zwei Posten der Casseärzte gegen eine 
sechsmonatliche beider-eitige Kündigung zur Besetzung. Bewerber nm diese 
Stellen, welche mit einem Jahresgehalte von je 1200 fl dotirt sind, haben 
ihre mit den entsprechenden Belegen versehenen Gesuche bis 1. Juli 1. J. bei 
der genannten Casse einzu ningen. Dieselben müssen der österreichiscü-miga- 
richen Staatsbürgerschaft angehören, dann der deutschen, italienischen und 
womöglich auch einer der südslavischen Sprachen mächtig sein und dürfen 
keine wie immer gearteten anderweitigen contractlichen Verbindlichkeiten 
haben, noch eingehen; die Privatpraxis, jedoch ohno Beeinträchtigung der 
Krankenpflege der Mitglieder oder deren Angehörigen, steht ihnen frei. 

Von der Betrie bskraukencasse des k. und k. Marine-Aerars 

in Pola. 

Pola, am 10. Juni 1890. 637 

Der Obmann: J. Jüptner. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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. In.dem zum Unterländer Bezirk des Kronstädter Gomitats ge¬ 
hörigen . Marienburger Sanitätskreis, zu «reichem die Großgemeinden 
Ma'rlenbnrg,'Krizba, Kothbach, Nußbach und Apäcza mit zu- 
^nimetf 7324 Inwöhnörn gehören, ist die Kreisarztesstelle erledigt und ich 
schreibe au* Besetzung derselben auf Grand des §. 82 des XXII. G.-A. vom 
Jahre 1886 hienait den Conenrs aus. 

Die mit d eser Stelle verbundenen festen Bezöge sind: Jahresgehalt 
800 fl.,, Quartiergeld 120 fl., Reisepauschale 280 fl., zusammen 1200 fl. ö. W. 

11 • " Ata "Sitae des Kreisarztes — in der Marktgemeinde Marienburg — be¬ 
tragen die Visitentaxen bei Tag 30 kr., bei Nacht 60 kr., in den übrigen Ge¬ 
meinden sind dieselben nach der Entfernung vom Amtssitze geregelt. Der 
Kreisarzt ist verpflichtet, die Gemeinden Apäcza und Krizba, von welchen die 
erstere 16'4, die letztere 9'7 Km. entfernt ist, wöchentlich zweimal, die Ge¬ 
meinden Kothbach und Nußbach, von welchen die erstere 4 Km., die letztere 
10*5 Km. entfernt kt, wöchentlich dreimal zu bereisen. Marieubnrg hat 
Post-, Eisenbahn- und Telegraphenstation, ebenso sind Nußbach und Apäcza 
PosV und Bahnstationen 

Die geographische Lage aller im Sanitätskreis gelegenen Gemeinden 
ist derart, daß dieselben an einem halben Tage bereist werden können. Die 
Bevölkerung besteht der Spreche nach fast zu gleichen Theilen aus Magyaren, 
Den ticken ^Sachsen), und Rumänen, folglich ist die Kenntniß dieser drei 
Sprachen nothwendig. 

Die Bewerber werden aufgefordert, ihre im Sinne des §. 9 desl. G.-A. 
vom Jahre 1^83, beziehungsweise des §. 43 des XIV. G.-A. vom Jahre 1876 
instruirten Competenz-Gesuche sammt Nachweis d--r Sprachkenntnisse längstens 
bia 5. Juli beim. Gefertigten, einzureichen. 

Die Wabl erfolgt am 9. Juli in meiner Amtskanzlei und es wäre 
wünschenswerth, wenn der neugewählte Arzt seine Stelle möglichst schon im 
Laufe des Monats Juli antreten könnte. 

.- Marienburg, am 10. Juni 1890. 638 

Der Oberstuhlrichter: Franz Bildner. 


InZnaim in Mähren, einer Stadt von mehr als 12.000 

Einwohnern, $its eines Kreisgerichtes, einer I ezirkshauptmannschaft, mit 
Ober-GymnaSium, Ober-Realschule und vielen anderen Unterrichtsanstalten, 
Garnfedn6ort etc. domkilirt derzeit kein Zahnarzt. 643 


bistrictSÄrzt für Pürnitz bei Iglau in Mähren. Ein¬ 
kommen circa 1000 fl. Gesuche an den Districts-Aussch uß. 

..Der Gemeinderath der Landeshauptstadt Graz hat die 

Stelle eines Physicats-Adjnnkten mit 1400 fl. Gehalt, zwei Qninquennien 
und einem in die Pension' einzurechnenden Quartiergelde von 360 fl. ans¬ 
geschrieben. 


Steiermark. 


ftaiixerBelUiintalt Soulbäder, Klrk'ri 
cität, >ss«s(fe, HeUgraiBMttk. Massige 
Preise. Pension nicht Bedingung. 

Dr. J. Schreiber, Aussee. 

(Bla 15. Mal a. o. Meran.) 


KEMMERICH ’S Fleisch -Pepton. 


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Nr. 26. 


Sonntag den 29. Juni 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Groas-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich anch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnement»- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Medlz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, *u richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind eu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halhj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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dee Weltpostvereines: Jährl. 84 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


•Oie- 


Begründet 1860, 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Ueber die sabcatanen Drüsenerkrankungen im Spätstadium der Syphilis. (Lymphoma oder Bubo 
gummös, s. tertiär.) Von Dr. Sigmund Lustgarten in New-York. — Zur Wundbehandlung ohno Drainage. Von Prof. Emericii Rkczky in Budapest.— 
Therapie der Syphilis. Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. — Referate und literarische Anzeigen. J. Stillino (Straßburg), Jänickp. (Braun¬ 
schweig): Ueber die Wirkung der Anilinfarbätofle. II. — B. Gomperz (Wien): Der Ohrschmerz und seine Behandlung. — Handbuch der 
Ohrenheilkunde für Aerzte und Stndirende. Von Dr. Wilhelm Kirchner, Professor der Ohrenheilkunde und Vorstand der otiatrischen Universitäts- 
Poliklinik in Würzburg. — Casuistique et diagnostic pholographique des maladies de peau par van Haren Noman, professeur de la cliniqne derma- 
tologique et syphiligraphique ä la facnlt6 mädicale de l'universiti d’Amsterdam. — Zeitungsschau. Gynäkologie and Geburtshilfe. Ref.: Prof. 
Ludwig Kleinwächteb. — Kleine Mittlieilungen. Die äußere Anwendung der ScXwefelbluraen. — Behandlung des eiogewachsenen Nagels. — 
Zwei Fälle von sogenannter Nona. — Die therapeutische Verwendung de3 Pancreas. — Die Anwendung des Resorcins bei Diphtherie. —- Verhand¬ 
lungen ärztlicher Vereine. K. Je. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. 
Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Berliner tnedicinische Gesellschaft. (Orig.-Ber.) — Notizen. -- Literatur. — Aerztllche 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die subcutaneu Drüsenorkrankungen 
im Spätstadium der Syphilis. 

(Lymphoma oder Bubo gommos. s. tertiär.) 

Von Dr. Sigmund Lustgarten in New-York.*) 

Einige Beobachtungen, die ich im Laufe der letzten 
Jahre gemacht habe, geben mir Veranlassung zur folgenden 
Mittheilung. Das Capitcl, das dieselbe betrifft, bat vcrhältniß- 
mäßig wenig Beachtung gefunden, und wir suchen es vergeb¬ 
lich in einer Reihe moderner Werke über Syphilis und Chirurgie, 
obwohl es als klinisches Grenzgebiet in gleicher Weise das 
Studium des Chirurgen und Sypliilidologen herausfordert. 

Fall I. 36jähriger, kräftig gebauter Mann, seines Zeichens 
Kutscher, kam Februar 1885 au der Klinik Kaposi zur Aufnahme. 
Die Anamnoso ist in Bezug auf vorausgegangene syphilitische Affec- 
tionen negativ. Seit zwei Jahren bemerkt er an beiden Regioncs 
parotideo-maseoterieae eine bei Dreck empfindliche, selten spontan 
sebmorzhafto Anschwellung. Der Status bei der Aufnahme ergab: 
Wachsartig blasses Colorit, schlaffe Musculatur. Innere Organe normal. 
In der linken Halsregion eine Geschwulst, welche die Größe einer 
Faust weit überragt und sich vom Processus mastoideus längs des 
M. sternocleido-mastoideus und des Unterkieferrandes bis über die 
Medianlinie erstreckt. Der Tumor ist nach keiner Richtung hin be¬ 
weglich und erweist sich als aus derben bis erweichten, untereinander 
verlötheteu Knoten zusammengesetzt. 

Die Begrenzung uach oben ist scharf, sonst diffus. An ein¬ 
zelnen Stellen Fluctuation nachweisbar. Die über dem Tumor stellen¬ 
weise verschiebliche, in größerer Ausdehnung fixirte Haut ist an 
den derben Partien desselben normal gefärbt oder etwas hyperämisch, 
an den erweichten dunkelrotb, gespannt, glänzend. In der linken 
Supraclaviculargegend befindet sich eine zweite, deutlich fluctuirende 
und gleichfalls von dunkelrother, stark glänzender Haut bedeckte 


*) Nach einem in der Deutschen Med. Gesellschaft in New-York ge¬ 
haltenen Vortrage. 


Geschwulst von Wallnußgiröße. Beiderseitige indolente Schwellung 
der Leisten, sowie der linken Cubitaldrüse. Normale Milzgreuzen. 

Therapie: Einreibungen, Dococtum Zittmaun, Jodkali. In dom 
Maße, als unter der Einwirkung der specifischon Behandlung die 
Rückbildung der Geschwulst beginnt und stetig fortschroitet, wird 
die Zusammensetzung dorselbon aus größeren und kleinorcn Kuollon, 
die zum Theil durch knotige Lympligefäßsträngo verbunden er¬ 
scheinen, immer deutlicher, die erweichten Stellen schrumpfen, die 
Fluctuation verschwindet. Nach 8 Wochen wird Pat. bei wesentlich 
gebessertem Allgemeinbefinden entlassen, nachdem die Drüsentumoren 
sich zu mandel- bis haselnußgroßen, fibrinösen indolenten Kuoten 
zurückgebildet haben. Pat. wird angewieson, durch weitere zwei 
Monate wöchentlich altoruirond Jodkali, 2 Grm., und Ilydr. taunic. 
0*2 pro die cinzunchmeu, sowio Dampfbäder zu gebrauchen. 

Fall II betrifft einen 27jährigen, anämischen, abgemagerten 
Schneider, der vor 3 1 / 2 Jahren in gewöhnlicher Weise Syphilis 
acquirirt und im Anschluß daran die typischen Consecutiva durch¬ 
gemacht hatte. Bei seiner Aufnahme auf die Klinik Kaposi im 
April 1886 bot er keine anderen floriden Erscheiuungon dar, als 
die folgenden: In der rechten Inguinalgegend ein orangeugroßer, 
aus zu8ammengebackenou, bis wallnußgroßen, größtenteils sehr 
derben, bei Druck und mitunter bis Nachts spontan schmerzhaften 
Knoten bestehender, der Unterlage fest ‘adhärirender Tumor. Auf der 
Höhe desselben die Haut blauroth glänzend und daselbst Fluctuation 
nachweisbar, an den übrigen Stellen die Haut über dem Tumor etwas 
verschiebbar. In der Nachbarschaft und in den anderen palpablon 
Lymphdrü8enbezirken mäßige indolente Seleradenitis. Therapie wie 
oben, daneben Tonica und local Empl. Hydrargyri. Gleichmäßig fort¬ 
schreitende Involution bis zu der Dach 6 Wochen erfolgenden Heilung. 

Beide Fälle sind Typen von uncomplicirten, isolirten gum¬ 
mösen Symptomen. Etwas abweichend davon war der Verlauf im 

Fall III, bei einem 35 Jahre alten , blassen, sehr kräftig ge¬ 
bauten Mann, dessen chirurgische Behandlung mir von Prof. Kaposi 
übergeben worden war. Weder der schwachsinnige, aus einer alten 
Familie stammende Patient, noch sein Gesellschafter konnten ver¬ 
läßliche Angaben über vorausgegangeue Syphilis machen. Der Status 
praesens ergab: Ulcera mollia im Sulcus coronarius, apfelgroßer, 
acuter, snppurironder Bubo der rechten Leiste, innere Organe 
normal, keine Anzeichen von Syphilis. Breite Spaltung des Bubo, 


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1890. — Wionor Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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Ausräumung mit dem scharfen Löffel, Jodoformvcrband. Der Verlauf 
gestaltete eich bis in die 4. Woche normal; cs stießen sich necrotische 
Drtlsenpartien ab, die Wunde reinigte sich und die Höhle hatte sich 
fast geschlosseu. Da änderte sich das Bild. Schmerzlos und fieberlos 
begann von Neuem Umgebung und Grund der Wuude zu induriren, 
dio Wunde klaffte, die Granulationen erblassten, der Grund zeigte 
ein speckiges, grauweißes Aussehen. Trotz aller therapeutischen Be¬ 
strebungen, Wechsel der Wundbehandlung, Touica etc. hatten wir 
in weiteren drei Wochen einen fast faustgroßen, sehr derben, 
höckerigen, indolenten, struraöseu Bubo vor uns. Ich konnte mich 
um diese Zeit des Gedankens nicht erwehren, daß cs sich um eine 
wahre Metamorphose in situ, eine Art Mischaffection, da3 Hinzu- 
treten eines neuen Krankheitsprocosses zu einem noch bestehenden 
handle. Da weder Verlauf noch sonstige Erscheinungen fiir Scröphu- 
lose oder einen malignen Tumor sprachen, so hatte eine gumraöso 
Infiltration, eiu Bubon syphilo-strumoux, die größto Wahrscheinlichkeit, 
was der Effect einer cingeleitetcn spccifischcn Behandlung eclatant 
bestätigte. Fast prompt mit letzterer einsetzend, begann die gleich¬ 
mäßig vor sich gehende Rückbildung der Geschwulst, die Wunde 
schloß sich, und nach drei Wochen zeigte nur eine vermehrte, fibröse 
Resistenz die Stelle der vorausgegangenen Erkrankung. 

Es ist wahrscheinlich, (laß in diesem Falle die voraus¬ 
gegangene Erkrankung in dem betreffenden Lymphdrüsen- 
gebicte eine Pars m noris resistentiae geschaffen, an der sich, 
eine Prädisposition vorausgesetzt, e ne syphilitische Infiltration 
lejelit entwickeln konnte. Wir werden im weiteren Verlaufe 
auf ähnliche Fälle aus der Literatur hinweisen können. Die 
auffallend rasche Involution erklärt sich wohl aus dem kurzen 
Bestände der Affection. 

Fall IV betrifft ein 11 jähriges, köiperlich gut entwickeltes, 
taubstummes Mädchen, das ich gelegentlich einer Consultation in 
einem kleineren Wiener Spitale im Frühjahr d. J. zu sehen bekam. 
Die an nächtlichen Ccphalalgien leidende Patientin zeigte in der 
linken Supraclaviculargcgeud einen länglich-runden, hühnereigroßen, 
graugclben, verkästen Tumor, über dem die Haut in einem längeren 
Durchmesser von 6 Cm. abgängig war, während der Hautrand, was 
Farbe, Consistenz, Randbeschaffenheit betrifft, die Charaktere der 
syphilitischen Infiltration darbot. Die Drüsen der Nachbarschaft 
mäßig goschwollt und derb. Auf Etnpl. Hydrargyri und Jodkali trat, 
wio mir der Hausarzt reforirte, rasche Heilung bei Verschwinden 
des Kopfschmerzes und Hebung des Allgemeinbefindens ein. 

Ob cs sich m vorl egenden Falle um Syphilis heredi* 
taria tarda oder acquirirtc Syphilis handelte, war bei dem 
Fehlen der Anamnese und sonstiger Auxiliarmomente n cht 
möglich zu entscheiden. Der Fall ist auch deshalb interessant, 
we l er uns d : e Form der Verkäsung bei subeutanen gum¬ 
mösen Drüsen zeigt, d e bisher nur bei visceralen beobachtet 
worden ist. (Fortsetzung folgt.) 

Zur Wundbehandlung ohne Drainage. 

Von Pro£ Emerich Reczey in Budapest. 

(Schluß.) 

Zur Behinderung der Wundinfeetion und zur Sicherung 
des aseptischen Heilungsverlaufes ist, wie erwähnt, die erste 
Bedingung die gehörig exact bewerkstelligte 
Asepsis während der Operation. Diese wird auf 
unserer Abtheilung nach der oben beschriebenen Weise durch 
0*1% und OOf» 0 ,,) Sublimatlösungen erreicht. Nicht minder 
wird auf eine genaue Blutstillung nach der Operation geachtet, 
wobei auch die parenchymatöse Blutung gestillt und die 
Wunde erst nach vollkommener Blutstillung geschlossen wird. 
Diesem Umstande haben wir es zuzuschreiben, daß wir bei 
mehreren hundert Fällen nie einer Nachblutung begegneten, 
und auch zwischen die Wundflächen kaum einige Mal eine 
Blutung stattfand. In jenen wenigen Fällen, in denen wegen 
ungenügender Wirkung des Druckverbandes ein Blutextravasat 
zwischen den Wundflächen zu Stande kam (nach Exstirpation 
von Mammagoschwülsten. Unterschenkelamputation, Castration), , 


vereiterte dieses Blutgerinnsel nicht, sondern es zerfloß zu 
einer dicken, theerartigen, in späteren Tagen lackartigen, ge¬ 
ruchlosen Flüssigkeit, welche im Verhältnisse zu ihrem Alter 
immer lichter gefärbt wurde und die rasche Verheilung der 
Wunde nicht störte. Aehnliehe Beobachtungen machte auch 
MIKULTC2. 

Nebst diesen beiden Bedingungen wird großes Gewicht 
gelegt auf zwei andere Factoren, deren gemeinschaftliches 
Ziel das Behindern der Seeretbildung und dadurch die Siche¬ 
rung der raschen Heilung ist — nämlich : auf große Ein 
schnitte und auf den Druck verband. Um der Bildung 
von Hohlräumen, welche der Ansammlung von Tnfections- 
stoffen so überaus günstig sind, vorzubeugen, machen wir 
immer große Einschnitte, welche alle Ausbuchtungen 
der Wunde bloßlegen und somit das etwaige Ansammeln von 
Wundsecret unmöglich machen. Um das exacte Aneinander¬ 
halten der Wundflächen zu sichern, legen wir immer einen 
antiseptischen Druckverband an. Das Anlegen eines 
solchen Verbandes ist nicht leicht und erfordert eine gewisse 
Uebung, denn dieser Verband trägt zur raschen Heilung am 
meisten bei. 

Man darf aber nicht außer Acht lassen, daß alle jene 
Eventualitäten, welche den Verlauf der drainirten Wunden 
ungünstig gestalten — obzwar in geringerem Maße — auch 
bei den nicht drainirten Wunden bestehen, und die Vermeidung, 
resp. die rechtzeitige Erkennung derselben ist liier gerade so 
wichtig, wie bei den drainirten Wunden, denn eine absolut 
und unter allen Umständen verläßliche Wundheilungsmethode 
gibt es, wie wir weiter oben ausführten, derzeit noch nicht. 

Auch bei den nicht drainirten Wunden kann eine locale 
oder eine allgemeine Infection auftreten, welche ebenso dureli 
die eingetretenen Temperaturerhöhungen rechtzeitig erkannt 
werden kann, wie bei den drainirten Wunden. Nicht so sehr 
die Höhe des Fiebers, als vielmehr das Allgemeinbefinden des 
Kranken, der Zustand der Zunge, des Appetites, des Pulses 
werden uns in dieser Beziehung die Orientirung erleichtern. 
Jetzt wird das Abnejimen des Verbandes nöthig sein, und je 
nach der Ausdehnung der Infection werden wir die Störungen 
in der Wundheilung zu beheben trachten. Bei kleineren 
Abscessen oder bei Ansammlung von blutig-serösem oder seltener 
eitrigem Wundsecrete, welche sich durch Temperaturerhöhungen 
und durch Schmerzhaftigkeit der Wunde verrathen, wird eine 
Incision, eventuell das Entfernen von 1—2 Wundnähten und 
das partielle Oeffnen der Wundlinie immer genügen, um die 
Wundheilung wieder in das richtige Geleise zu bringen. 
Sollte eine Blutung zwischen die Wundflächen geschehen sein, 
so ist das Entfernen des Blutgerinnsels nicht nöthig; sich 
selbst überlassen, wird es anfgesaugt so wie jedwedes sub- 
cutane Blutextravasat, oder aber es zerfließt, wie wir schon 
erwähnten, zu einer dichteren theerartigen, resp. dünneren 
lackartigen, geruchlosen Flüssigkeit, deren ein Theil durch 
die Wundlinie ausfließt, deren anderer Theil hingegen aufge¬ 
saugt wird und die rasche Verheilung der Wunde nicht 
weiter stört. 

Bei extensiveren Infectionen, wo die phlegmonöse Ent¬ 
zündung des subeutanen Bindegewebes von den Wundflächen 
ausgeht, oder wo die Infection den Charakter der Malignität 
angenommen hat, bei der Wunddiphtherie, Gangrän etc., 
müssen wir unsere Hoffnung auf rasche Heilung der Wunde 
natürlich ganz aufgeben und durch das Oeffnen der ganzen 
Wundlinie, durch neuerliches, genaues Desinficiren, wenn 
nöthig durch Einschnitte, eventuell durch den Thermocauter 
und dabei durch häufigen Verbandwechsel dem Uebel Einhalt 
zu thun trachten. Knrz, wir verfahren bei den in Folge der 
mißlungenen Asepsis eintretenden Complicationcn auf dieselbe 
Art, wie wir dies bei den drainirten Wunden untor ähnlichen 
Umständen zu thun gewöhnt sind, seitdem wir das moderne 
Wundbehandlungsverfahrcn üben. 

Hiemit glauben wir das modifieirte Verfahren, welches, 
von der bisher geübten Wundbehandlungsweise abweichend, 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2G. 


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die Operationswunden — also die nicht eiternden Wunden 
— ohne Drainage behandelt, genugsam motivirt. 

Schon von Anfang an nahmen wir keinen Anstand, das¬ 
selbe Princip auch bei jenen Wunden in Anwendung zu bringen, 
welche vor der Operation schon eiterten, daher schon infieirt 
waren, also bei den Wunden, welche nach der Eröffnung von 
Absceßliöhlen entstehen. Durch große, alle Recesse der Wund¬ 
höhle aufdeckende Einschnitte wurde jeder Winkel der Wund¬ 
höhle zugänglich gemacht, einerseits um gehörig desinficirt 
werden zu können, andererseits um dem sich etwa noch 
bildenden Eiter einen je rascheren und je leichteren Abfluß 
zu ermöglichen. Nach gehöriger Desinfection und Abkratzung 
der Wundflächen wurden dieselben durch einen antisep¬ 
tischen Druckverband an einander gepreßt. In den meisten 
Fällen waren die Wundflächen ohne Eiterung verklebt. Schon 
im Jahre 1885 thoilten wir 12 so geheilte Fälle mit. 2 ) Wo 
topographische Verhältnisse ausgiebige und lange Einschnitte 
nicht gestatteten (Psoas-Abscesse, manche Senkungsabscesse), 
oder wo ein Druckverband nicht gut anwendbar war, wo 
demnach die rasche Verheilung der Wundflächen schon a priori 
nicht zu erwarten war, begnügten wir uns mit kleineren In¬ 
eisionen (doch nie mit kleineren als 8-4 Cm.), legten, um 
den Eiterabfluß zu sichern und die Wundöffnung offen zu 
erhalten, in Sublimatlösung getauchte Gazestücke ein und 
wechselten den Verband häufiger (in 1—2tägigen Zwischen¬ 
zeiten). 

Am meisten bewähren sich die großen Einschnitte 
eigentlich bei der Behandlung bereits eiternder Processe 
(Abscesso, Hohlwunden), denn in diesen Fällen hängt der 
Erfolg nicht davon ab, ob der Eiter frei abfließen kann, 
sondern davon, daß die äußere Wundöffnung so lange offen 
erhalten werde, bis an den tieferen Stellen die Heilung zu 
Stande kam. Durch die großen Einschnitte werden die Hohl- 
wunden in einfache offene Wunden umgewandelt, in denen 
sich gar kein Eiter oder Wundsecret ansammeln kann; was 
das Drainrohr nur mangelhaft erreichen kann, bewirken die 
Incisionen auf eine radicalere und vollkommenere Weise. 

Wir halten demnach nach eigenen Erfahrungen die Be¬ 
handlung ohne Drainage bei solchen Wunden, die bereits vor 
der Operation eiterten, für eine rationellere und voll¬ 
kommenere als jene, bei welcher die Absceßwand mit 
Drainröhren durchlöchert wird, wie dies heutzutage noch ein 
großer Theil der Chirurgen übt. 

Die Wundbehandlung ohne Drainage muß demnach als eine 
solche Modifieation der bisher geübten antiseptischen Wund¬ 
behandlung betrachtet werden, die ein nothwendiges Corollarium 
der richtigen Asepsis und Antisepsis ist. Die Modifieation mußte 
sich nothwendigerweise auf Grund jener Principien entwickeln, 
welche Schede zur Anempfehlung des trockenen Dauerverbandes 
bewogen und welche denselben veranlaßten, mit dem Weglassen 
der Drainage Versuche anzustellen. 3 ) Die Spuren dieser Be¬ 
strebungen finden sich schon bei Kocher 4 * ), welcher die Se- 
cundärnaht der Wunden empfahl und die Wunden erst 
nach der vollkommenen Blutstillung und nach Austrocknung 
derselben, 12—48 Stunden nach der Operation ohne jede 
Drainröhre schloß, die so vereinigte Wunde mit Bismutlmm 
subnitricum bestreute und durch 36 angeführte Fälle die Vor¬ 
theile seines Verfahrens bekräftigte. Dieselbe Idee beschäftigte 
auch Neurer 6 ), obwohl sein Verfahren etwas umständlicher 
ist. Neurer vereinigt, wie bekannt, die Wände der zurück¬ 
bleibenden Hohlräume mit Etagenähten, dort hingegen, wo 
ein Ansammeln von Wundsecret zu befürchten ist, wird die 
Wunde durch Verschieben der Wundränder oder durch Im 


2 ) l. c. 

“) Schede, Vortrag am XV. Chir.-Congreß und: U ber die Heilung von 
Wunden unter dem feuchten Blutschorfe. „Deut. med. Woth. u , 18 c tj, 23. 

*) Kocher, Ueber die einfachsten Mittel zur Erzielung einer Wund¬ 
heilung durch Verklebung ohne Draiurühren. Sam ml. klin. Vortr., Nr. 224. 

4 ) Nkubeb, Vorschläge zur Beseitigung der Drainage für alle frischen 

Wunden Mitth. aus der ehir. Klinik zu Kiel, 11. lieft 


plantation eines Hautläppchens derart vereinigt, daß an einem 
Ende eine klaffende Oeffnung oder ein Spalt für den Abfluß 
der Wundsecrete offen bleibt. Diese — wie Neurer sie nennt 

— natürliche Canalisation wurde in 85 Fällen angewandt, 
wovon 41 (= 48 , 24 c /o) vollkommen per primam heilten und 
nur hei 3 Fällen (= 3’53%) Eiterung in der Wundhöhle auf¬ 
trat. Die Secundärnaht und die Jodoformtamponade von 
Bergmann °) beruhen auch auf diesen Principien. Rydygier 7 ) 
versuchte das Verfahren von Schede mit demjenigen Neuber’s 
zu verbinden, und zwar, seinen statistischen Daten nach zu 
urtheilen, mit gutem Erfolge. Auf das Weglassen des Drains 
ist zum Theil auch die Wundbehandlung von Länderer 8 ) 
basii t, der die Wunden während und nach der Operation ganz 
trocken behandelt und dann mit Etagenähten gänzlich ver¬ 
schließt; er gebrauchte dieses Verfahren in 90 Fällen mit 
durchwegs gutem Erfolg. Sohkde’s Verfahren fand in Henne- 
wig 9), Wilms 10 ), Lauenstein 11 ) u. A. treue Anhänger. Voll¬ 
kommene Geltung verschaffte jedoch den erwähnten Principien 
Schede, dessen Beispiele Hans Schmid 12 ), Mikulicz 13 ), Chaput 14 ) 
und Mac Gill 16 ) folgten, welche neuestens diesem Verfahren 
das Wort reden, obzwar die Letzteren ausnahmsweise noch das 
Drainrohr gebrauchen und Chaplt der Asepsis wegen ein derart 
umständliches Operationsverfahren übt, daß seine Vorkehrungen 
wahrlich jeden vom Operiren abhaltcn könnten, wenn es 
kein anderes Operationsverfahren gäbe! Der Kranke bekommt 

— so beschreibt Chaput sein Verfahren — am Tage vor der 
Operation ein alkalisches Vollbad; die Operationsstelle wird 
mit Seife, Bürste, Sublimat gründlich gereinigt und auf diese 
Stelle wird dann ein Jodoform verband angelegt mit derselben 
Sorgfalt, als wäre die Operation schon geschehen; am nächsten 
Tage wird dieser Verband entfernt, die Operationsstelle neuer¬ 
dings mit Alkohol, Aether und Sublimat gründlich abge¬ 
waschen und um dieselbe mit Carboisäurelösung getränkte 
Compressen herumgelegt; die Instrumente werden sterilisirt; 
die RßVERDiN’sche Nadel wird bis zum Momente, wo sie ge¬ 
braucht wird, beständig in Chloroform auf bewahrt; die 
Messer stehen fortwährend in Naphtol-Campherlösung etc. etc. 

Schon vor Neurer und Kocher hat Albert in der Inns¬ 
brucker Klinik Versuche angestellt mit der Behandlung der 
Wunden bei vollständigem Nahtverschlusse ohne Drainage. 
Seit dem Jahre 1884 wurden diese Versuche im ausgiebigsten 
Maße wieder aufgenommen, und zwar, wie Maydl ,u ) berichtet 
mit vollkommen zufriedenstellendem Resultate; Maydl glaubt 
jedoch das Weglassen der Drainage bei allen Wunden nicht 
empfehlen zu können, da nach seinen Erfahrungen größere, 
complicirte Wunden bei vollständiger, dichter Naht drainirt 
werden sollen. 

Wir haben schon im Jahre 1885 mehrere Fälle veröffent¬ 
licht, welche auf diese Weise behandelt wurden. Unser Ver¬ 
fahren ist, wie es aus dem Angeführten zu sehen ist-, das 
denkbar einfachste und bewährte sich in der Privatpraxis 
ebenso, wie im Spitale. Die Einheit des antiseptischen Mittels, 


®) Bergmann und Bkaman, Wundbehandlung mit Jodoform tamponade ctc. 
Langen heck's Arcli., Bd. 3b, p. 72- 

7 ) Rydyoiek. Ueber Wundbehandlung ohne Drainage. Langenbkck’s 
Arch., Bd. 37. 

b l Landkrf.h, Trockene Operationen. Langknukck’s Aich., Bd. 39, 1. 

I ) Hennewig, Ueber die B d> uluug der Wundbehandlung unter dem 
Blutschorfe nach Sciiedk etc. Greifswald 1383, Diss. 

,u ) Wh.ms, Ueber die Heilung von Wunden unter dem feuchton Blut¬ 
schorfe. Berlin 1883, Diss. 

“) Laienstein , Zur Heilung der Wuuden unter dem feuchten Blut- 
sclio fe. Langeniieck’s Arcli., Bd. 37 

II ) H. Schmid, Wandlungen im Werthe uud in der Art der Wund¬ 
drainage. Berliner Klinik 18'9, -Hai. 

la ) Mikulicz, Erfahrungen tib<-r den Dauerverband und dio Wundbe¬ 
handlung ohne Drainage, iu: Gcttstadt, Klinisches Jahrbuch, I. Bd , Berlin 

1889, p lö7. 

14 ) CiiArüT, De la r6>.nion sans drainage. Semaine medicale, 1839, 21. 

15 ) Mac Gill. On pressure as a substitutc for drainage tubes in tho 
treatment of wouuds. „Brit. med. Journ.“, 183-1, Mai, 18. 

“’) Maydl, Erfahrungen über Wnndheilung bei vollständiger Naht ohne 
Drainage. „W.ener Med. l’iosse“, 1883, Nr. 7—50. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


die leichte und überaus billige Anwendungsweise der nöthigen 
Verbandmittel, wobei jede Vorbereitung wegfällt, machen 
unser Verfahren für die Praxis leichter durchführbar, als es 
solche Behandlungsmethoden sind, welche mehrere antiseptische 
Mittel gebrauchen, die Verbände mit mehreren Antisepticis 
compliciren oder aber die Operationen mit so schwerfälligen 
Vorbereitungen belasten, wie das CHAruT’sche Verfahren. 

Die Versuche, welche wir im Jahre 1885 bezüglich der 
drainlosen Wundbehandlungsweise mittheilten, bezogen sich 
vornehmlich auf die Wunden nach der Exstirpation von Neo¬ 
plasmen, Drüsen, Castration, kleineren Amputationen, auf die 
Behandlung größerer acuter und chronischer Absceßhöhlen. 
Seither behandeln wir nicht nur alle ähnlichen Wunden, 
sondern anch die großen Amputationswunden ohne Drainage, 
und auf Grund von mehreren hundert Fällen gewannen wir 
die Ueberzeugung, daß das Ideal der aseptischen Operationen 
und der antiseptischen Wundbehandlung in der Wundbehand¬ 
lung ohne Drainage liege! 

Unsere Resultate wollen wir an anderer Stelle aus¬ 
führlicher zusammcnstellen. Von den Resultaten anderer 
Chirurgen wollen wir nur jene von Mikulicz erwähnen, der 
genauere statistische Daten veröffentlicht über die an der 
Krakauer und Königsberger Klinik gemachten Erfahrungen. 
Von den 160 Fällen Mikulicz’s (worunter 85 Resectionen, 
Amputationen, offene Fracturen, Sequestrotomien etc. und 
75 Operationen an den Weichtheilen: Exstirpation von Ge¬ 
schwülsten, Radicaloperation von Hernien, Neurectomien, kalte 
Abscesse, Gefäßligaturen) heilten 133 vollkommen aseptisch 
per primam, 17 mit oberflächlicher Eiterung und 10 mit 
Eiterung; Complicationen traten nie auf; Fieber wurde selten 
beobachtet; nur in 3 Fällen war Fieber und Schmerz in der 
eiternden Wunde; von den 160 Fällen starb einer am 16. Tage 
an Lungenphthise, nachdem die Operationswunde (Ober¬ 
schenkelamputation) schon gänzlich per primam geheilt war. 

Wir selbst hatten bis Ende 1889 auf unserer Abtheilung 
146 derartige Fälle behandelt (53 Operationen an den Knochen: 
Amputationen, Arthrotomien, Exarticulationen, 93 an den 
Weichtheilen, hierunter sehr ausgedehnte Abscesse, Hcmio- 
tomien etc.). Von diesen heilten 122 vollkommen aseptisch 
per primam; 15 mit oberflächlicher Eiterung und 5 mit Eite¬ 
rung; 4 Kranke starben. Unter den Verstorbenen waren 
3 Herniotomirte, bei denen das Weglassen des Drains nicht 
in Betracht kommen konnte, — die Betreffenden starben kurz 
nach der Operation; in einem Falle von Arthrotomie stellte 
sich Eiterung ein und der Kranke verschied nach längerem 
Siechthum an Lungenphthisc. Unsere Heilnngspercente stimmen 
nahezu mit jenen Mikülicz’s überein; es heilten nämlich: 
vollkommen per primam bei Mikulicz 8312°/o, bei uns 85 , 3l% 
partiell „ 10 63 „ , „ „ 10*49 „ 

mit Eiterung . . . . „ „ 6*25 „ , „ „ 419 „ 

Der Todesfall von Mikulicz figurirt unter den voll¬ 
kommen per primam geheilten Fällen. Unsere 3 tödtlich ver¬ 
laufenen Herniotomien schieden wir ganz aus dieser Berechnung 
aus und den 4. Todesfall rechneten wir zu den in Eiterung 
übergegangenen Fällen. 


Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. 

(Fortsetzung.) 

Eine sehr zweckmäßige Anwendungsweise des Queck¬ 
silbers, nicht indem Sinne einer allgemeinen Behandlung, ist das 
Emplastrum hydrargyri auf syphilitische Geschwüre. Man kann 
diese Behandlung nicht als eine methodische Cur in dem Sinne 
bezeichnen und nicht behaupten, daß von da aus genug Quecksilber 
aufgesaugt wird, daß es in die Circulationsbahnen geräth und 
gegen das Syphiliscontagium wirkt, sondern nur als eine ört¬ 
liche Behandlung. Allerdings wird, wenn Sie ein Kind auf 
großen Strecken mit Emplastrum hydrargyri belegen, die Wir¬ 


1040 


kung dieselbe sein, als ob Sie dasselbe eingerieben hätten, 
weil da das Quecksilber auf einer großen Fläche aufgesaugt 
wird; bei einem erwachsenen Individuum kommt man aber 
selten in die Lage, auf diese Weise das graue Pflaster anzu¬ 
wenden. Wenn aber Jemand ausgedehnte ulceröse Formen hat, 
die man bedecken muß, dann ist es räthlich, statt eines indiffe¬ 
renten Pflasters das Emplastrum hydrargyri anzuwenden, zu¬ 
nächst, weil das Secret nicht eintrocknet, fernerhin weil 
Sie die schmerzhafte Stelle mit einem Mittel decken, das die 
Schmerzen entschieden lindert und weil Sie das Geschwür 
vor Infectionskeimen und anderen Schädlichkeiten schützen und 
vor Allem, weil das graue Pflaster auf das Virus zerstörend 
und auf die Aufsaugung des Infiltrates fördernd einwirkt. 

Als sehr zweckmäßig erweisen sich neben den Ein¬ 
reibungen die Sublimatbäder, die unter gewissen Verhält¬ 
nissen das einzig mögliche Mittel sind. Wenn Jemand 
z. B. Rupia syphilitica oder hunderte und hunderte von 
Pusteln mit Blasen am ganzen Körper hat, so daß 
für die Einreibungen kein genügender Raum gesunder 
Haut zur Verfügung steht, dann ist das Sublimatbad das 
beste Mittel, das Sie anwenden können. Wenn Sie einen 
solchen Patienten in ein Bad mit 10 Grm. Sublimatzu¬ 
satz setzen, dann erweisen Sie ihm eine große Wohlthat, in¬ 
dem Sie ihm die Schmerzen ersparen, die ihm die Einreibungen 
wunder Stellen bereiten würden; namentlich bei kleinen Kin¬ 
dern, die man auf andere Weise nicht behandeln kann, denen 
man namentlich innerlich nichts darreichen kann, weil sie 
einen Darmcatarrh haben, erweist sich ein Sublimatbad mit 
0'75 Sublimat als ein ganz vortreffliches, 'durch nichts Anderes 
zu ersetzendes Mittel. Sie lassen das Individuum 2—3 Stunden 
im Bade, und der Effect ist stets ein ganz überraschender. 

Wir hatten einst an unserer Klinik einen Kranken, der 
zahlreiche gangränöse Geschwüre und ein ausgebreitetes 
papulöses Syphilid hatte; der Mann war ganz herabgekommen, 
und Sie wissen, daß bei gewissen kachectischen Individuen 
sehr frühzeitig solche Spätformen der Syphilis auftreten. Wir 
legten den Kranken in das Wasserbett, damit die Geschwüre 
gereinigt werden. Am zweiten Tage ließ ich 10 Gramm Sub¬ 
limat zufügen, ließ den Kranken weitere 12 Tage in diesem 
Bade und war nicht wenig erstaunt, als wir nach zweiwöchent¬ 
lichem continuirlichen Sublimatbade — d. i., das Wechseln 
des Wassers in Anschlag gebracht, etwa 8 Stunden Sublimat¬ 
bad per Tag — Alles resorbirt und den Kranken vollständig 
geheilt fanden. 

Ich weiß nicht, ob sich mir später dazu die Gelegen¬ 
heit bieten wird, und darum möchte ich hier die Bemerkung 
einfügen, daß nach der Theorie, welche heutzutage unsere An¬ 
sichten über die Infectionskrankheiten beherrscht, zwar ange¬ 
nommen werden kann, daß die Medicamente, welche man gegen 
Syphilis angewendet, dadurch wirken, daß sie das Syphilis¬ 
virus vertilgen, daß aber diese Annahme nicht die ganze 
Wahrheit enthält. Denn wenn sie sich nur darauf be¬ 
schränken würden, das Syphilisvirus zu vertilgen, und nur 
darin deren Wirksamkeit läge, so könnten wir nicht begreifen, 
warum die colossalen Gewebsneubildungen (Infiltrate, Gum- 
mata), welche im Verlaufe der Syphilis, namentlich bei den gum¬ 
mösen und ulcerösen Formen auftreten, in so kurzer Zeit unter 
der specifischen Behandlung wieder zugleich resorbirt werden. 

Die antisyphilitischen Mittel hingegen wirken auch in 
dem Sinne, daß sie in dem neugebildeten Gewebe eine fettige 
Metamorphose einleiten und dasselbe zur Resorption bringen. 
Die Wirkung dieser Mittel ist also eine doppelte. 

Um nun zur cutanen Anwendungsweise des Quecksilbers 
zurückzukehren, will ich noch bezüglich des grauen Pflasters 
hervorheben, daß dasselbe dort vorzüglich angewendet wird, 
wo es sich darum handelt, eine besonders localisirte und durch 
diese Localisation besonders gefährdete Stelle zu heilen. Wenn 
also Jemand Gummata exulcerata an der Nase oder im Gesichte 
hat, dann ist die Indication für das graue Pflaster gegeben, 
weil es unter diesen Umständen von großem Wertlie ist, die 


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Zerstörung des Gewebes möglichst frühzeitig hintanzuhalten 
und die Hautsehichte, selbst eine noch so dünne, zu erhalten. 

Es handelt sich hier darum, daß das Quecksilber an Ort 
und Stelle resorbirt und das Virus hier zu einer Zeit zerstört 
wird, wo noch nicht sehr viel vom Gewebe verloren gegangen, 
und der weitere Gewebszerfall sofort gehemmt wird. 

Nebst der cutanen Anwendungweise des Quecksilber 
ist in früheren Zeiten die interne Application des Mereurs 
besonders fleißig geübt worden. Schon im XV. und XVI. Jahr¬ 
hunderte ist diese Methode, die sich bis auf den heutigen Tag 
erhalten hat, anpewendet worden, und in Frankreich und thcil- 
weise auch in England hat sie heute noch bei gewissen 
Syphi lidologen und an gewissen Schulen eine Präponderanz. 

Ich werde von diesen innerlichen Medicamenten erst 
später sprechen, weil sich an die cutane Anwendungsweise 
viel natürlicher die subcutane Anwendung des Queck¬ 
silbers anfügt, eine Methode, die historisch allerdings viel später 
sich entwickelt hat als die interne, indem sie erst eine 
Errungenschaft der neuen Zeit ist. Die Methode, Medicamente 
unter die Haut zu bringen und auf diese Weise die Resorption 
zu verursachen, ist zum ersten Male vor etwa 3 Dccennien auf¬ 
gebracht worden, und waren es die Narcotica und insbeson¬ 
dere das Morphin, welche zuerst zu subcutanen Injectionen an- 
gewendet wurden. Ich kann mich noch der Zeit erinnern, 
wo man das Morphin zuerst eubcutan an wendete. Es hat noch lange 
gedauert, bis man auch andere Medicamente auf diese Weise 
dem Organismus einverleibte — jetzt wei den ja fast von allen 
Medicamenten Injectionen gemacht — bis man specicll das 
Quecksilber auf diese Weise zur Anwendung brachte. Nach¬ 
dem von einzelnen Seiten sporadisch Versuche dieser Art 
mitgetheilt worden, ist in Berlin Lewin derjenige gewesen, 
welcher die Injectionen mit Quecksilber zum Zwecke einer 
vollständigen Heilung der Syphilis methodisch geübt hat. 
Lewin gebührt in erster Linie das große Verdienst, die Ein¬ 
spritzungen zu einer Methode erhoben und ihr eine wissen¬ 
schaftliche Berechtigung verschafft zu haben. Seine Methode 
hat nicht sofort Anerkennung gefunden, sie hatte Anfangs 
viele Anfechtungen erfahren, aber gegenwärtig allgemeine 
Anerkennung gefunden. Lewin hat Jahre und Jahrzehnte 
das Sublimat eingespritzt und ist auch bis in die letzte 
Zeit nur bei diesem Mittel geblieben. Nachdem aber die 
Methode als solche allgemein bekannt und geschätzt wurde, 
ist man auch daran gegangen , nach anderen Queck¬ 
silberverbindungen zu suchen, welche für diese Zwecke besser 
sich eignen, als das Sublimat, von dem man im Laufe der 
Zeit manche Nachtheile kennen gelernt hatte. Man bat auf 
Sublimatein Spritzungen hie und da heftige Schmerzen von 
dem Kranken angeben gehört. Manche Patienten haben Ent¬ 
zündungen darauf hin bekommen, und man ist zur Einsicht 
gelangt, daß der theoretische Standpunkt, so gerechtfertigt 
er auch sei, praktisch nicht gut zu behaupten ist, und man 
dachte sich, daß es besser wäre, solche Verbindungen nach 
dieser Methode zu verwenden, daß das unter die Haut und 
in die Gewebe gelangende Quecksilber mit den Eiweißsub¬ 
stanzen Verbindungen eingehe und lösliche Substanzen bilde, 
ohne Gerinnungen zu verursachen. Bei diesen Versuchen, die 
von allen Seiten angestellt wurden, ist eine große Zahl von der¬ 
artigen Präparaten zu Tage gefördert worden. Zunächst möchte 
ich das von dem zu früh verstorbenen Bamberger bereitete 
Quecksilbers!buminat erwähnen, das von Hamburger nach 
einer anderen Methode dargestellt wurde ; fernerhin das gegen¬ 
wärtig sehr viel gebrauchte, fabriksmäßig zubereitete, in Wasser 
sehr gut lösliche Pepton - Quecksilber, sowie das Hydrar- 
gyrum formamidatum und cyanatum, von den zahlreichen anderen 
Präparaten nicht zu sprechen, die in letzter Zeit mit mehr 
oder weniger Glück in die Welt gesetzt wurden. Im Großen 
und Ganzen sind alle diese löslichen Quecksilberverbindungen 
in der subcutanen Anwendungsweise von guter Wirkung, ein¬ 
zelne haben aber Nebenwirkungen, welche nach einer oder 
nach der anderen Richtung unangenehm sind. So kann es 


z. B. geschehen, daß bei der subcutanen Injection, ähnlich 
wie bei den Einreibungen, das eine Mal der Darm, das 
andere Mal die. Nieren, ein andermal die Mundschleimhaut 
gereizt wird und Salivationen entstehen, wieder ein anderes Mal 
die Magenschleimhaut; auch andere Nebenwirkungen scheinen 
die Injectionen zu begleiten, die man erst im Laufe der 
Zeit genau zu studiren haben wird. Die verschiedenen Prä¬ 
parate haben verschiedene Nebenwirkungen; so erzeugt das 
Hydrargyr. formamidatum viel mehr Diarrhoeen als das 
Hydr. cyanat., welches wieder leichter zu Salivation führt. 
In der neueren Zeit sind diese Präparate zum Tlieil vielfach 
modificirt und insbesondere mit Phenol und Carbol und mit 
anderen ähnlichen Mitteln vereinigt worden, damit sie neben 
der specifischen Wirkung auch eine antiseptische entfalten. 

Was die Dosirung anlangt, so will ich bemerken, daß 
man gewöhnlich 1 Centigrm. des Präparates auf eine Spritze 
nimmt, wobei man die Dosen allerdings derart modificiren 
kann, daß man die Einspritzungen jeden Tag oder jeden 
zweiten Tag, n. z. in verschiedene Körperregionen vornimmt; 
der Eine liebt die Gegend ad nates, der Aridere die Ober¬ 
schenkel. ein Dritter die Seitentheile des Thorax u. s. w. Bei 
den Einspritzungen in die seitlichen Tlioraxparticn möchte 
ich Sie auf eine sehr unangenehme Complieation aufmerksam 
machen, daß Sie nämlich durch eine Einspritzung in diese 
Gegend mitunter eine furchtbare Neuralgie oder Atliem- 
beschwerden hervorrufen können. Fernerhin ist vor einer Reihe’ 
von Jahren die intramusculäre Einspritzungsmethode eiugeführt 
worden. Zunächst werden aber auf mechanische Weise die Muskcl- 
fibrillcn auseinandergepreßt und mitunter zerrissen, sodann 
wirkt die Injeetionsmasse. wie jeder andere in den Orga 
nismus gebrachte Körper, als fremder Körper reizend uud ver¬ 
ursacht Schmerzeu. Außerdem sind in mehreren Fällen Eite¬ 
rungen und selbst Gangrän nach derartigen Injectionen beob¬ 
achtet worden. Obgleich man letzteren Umstand auf eine 
Infection zurückführt, so hat man doch bei dem sorgfältigsten 
Vorgehen Abscesso beobachtet, was man sich nur auf die 
Weise erklären kann, daß bei der chemischen Zersetzung der 
Injeetionsmasse Partikelchen entstehen, welche genügen, um 
die Infection zu verursachen. Diese Nebenwirkungen und ins¬ 
besondere der Schmerz sind es, welche diese Methode bei dem 
Publicum in Mißcredit gebracht haben, und man kann sagen, 
daß die Leute nach dieser Richtung in zwei Lager gctheilt 
sind. Die Einen ziehen die Injectionen, die Anderen die Ein- 
reibungscur vor. Die erste Methode bietet den Vortheil, daß 
die Kranken ihrem Berufe nachgehen können, daß Niemand von 
ihrer Krankheit etwas weiß, daß die ganze Cur weniger umständ¬ 
lich und zeitraubend ist. 

Angesichts der Uebelstände, welche mit den häufigen 
Injectionen verbunden sind, war der Gedanke, daß man selte¬ 
ner einspritzt, eigentlich ein ganz rationeller und sehr nahe¬ 
liegender, und gleich von Anfang, nachdem die Methode ein¬ 
geführt wurde, ist man auf diesen Gedanken gekommen. 
Damit aber eine entsprechende Quantität von Quecksilber in 
den Organismus gelange, müßten in dem^blbcn Maße, als die 
Injectionen seltener gemacht wurden, größere Quantitäten ein¬ 
gespritzt werden. Seit einer Reihe von Jahren sind nun von 
einzelnen Autoren Versuche gemacht worden, indem man 
unlösliche Quecksilber-Präparate, die man in Oel oder in 
anderweitigen ähnlichen Vehikeln suspendirte, in diesen 
Suspensionsvehikeln unter die Haut, z. B. in die Schulter¬ 
gegend subeutan, oder in die Glutaei brachte. Anfangs wurde 
Calomel in dieser Weise dem Organismus einverleibt (Scarknzio) ; 
nachdem nun diese Frage viele Jahre literarisch ventilirt 
wurde, sind von allen Seiten Versuche mit den verschie¬ 
densten Quecksilber-Präparaten in großem Maßstabe mit mehr 
oder weniger Glück gemacht worden, und in den letzten 
4 Jahren ist die Literatur über Injectionen mit unlöslichen 
Quecksilberverbindungen zu einer ganz enormen angewachsen. 

(Fortsetzung folgt.) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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Referate und literarische Anzeigen. 


Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. 

II. 

J. Ftilling (Straßlmrg): lieber die Anwendung der Anilinfarbstoffe. — 
Jänickk (Sraunschweig): Ein Beitrag zur Kenutuiß des Pyoktanins. 

Auf verschiedene Anfragen gibt Stilling in Nr. 24 der 
„Berliner klin. Wocb.“ eine kurze Anleitung über die Anwendung 
der Anilinfarbstoffe. Er hat dieselben als Antisepticum aus folgenden 
Gründen empfoblen: 1. sind sie als völlig ungiftig zu bezeichnen, 

2. sind sie sehr diffusionsfähig, 3. coaguliren sie vor allen Dingen 
koin Eiweiß, was man keinem einzigen der bisher angewandten 
antiseptiseben Mittel nachsagcn kann, 4. kommt die antibncterielle 
Wirkung der Anilinfarbstoffe der des Sublimats am nächsten. Verf. 
spricht die festo Ucberzcugung aus, daß in den Anilinfarbstoffou ein 
Mittel gegeben ist, eine große Anzahl infectiöser Proccssc, in erster 
Linie Eiterungen, erfolgreich zu bekämpfen. Dies kann aber nur 
dann möglich seiu, wenn die Anwendung derselben in ganz systema¬ 
tischer Weise geschieht, indem nach und nach die Technik so aus- 
gebildet wird, daß man den Stoff auch dahin bringen kann, wo 
keine offenen Wund- und Geschwilrsflächen vorhanden sind. Jeden¬ 
falls darf man das Mittel nicht au Fällen versuchen, bei denen von 
vorneherein kein Erfolg in Aussicht ist, wie z. B. bei Blasen- und 
Gelcnktuberculose, iutraoeulärem Cysticercus u. s. w. 

Die bisher dargestcllten Präparate sind folgendermaßen zu 
dosiren und anzuwenden: 

1. Substanz. Boi offenen größeren Wunden und Geschwüren. 
Es muß so viel aufgestreut werden, bis sieh ein fester Schorf bildet, 
welcher der spontanen Abstoßung zu überlassen ist. 

2. Große Stifte. In der kleinen Chirurgie der täglichen 
Praxis, bei NagclbettcuLündung, kleinen eiternden Wunden und 
Geschwüren, Brandwunden von nicht zu großer Ausdehnung, durch¬ 
geriebenen Hautstellen etc. anzuwenden. Die Bestreichung der 
kranken Flächen mit dem vorher befeuchteten Stift ist so intensiv 
zu machen, daß sich eine violette oder gelbe feste Decke bildet. 
I nter Umständen genügt eine einmalige Sterilisation nicht und ist 
dieselbe zu wiederholen. Bei einfachen Hautabschürfungen u. dgl. 
genügt der gelbe Farbstoff (Auramin), für eiternde Wunden- 
gesehwtire etc. ist jedoch der blaue Farbstoff seiner viel größeren 
autiseptischen Wirksamkeit halber vorzuziehen. 

3. Kleine Stifte. Hauptsächlich iu der augenärztlichen 
Praxis zur Sterilisation von Ilautgoschwüren etc. anzuwcndcu. Auch 
hier ist im Einzelfall zu ermitteln, ob eine wiederholte Sterilisation 
nötbig Ist. 

4. Streupulver. In der Augenheilkunde 1°, 00 bei leichten 
Conjunctivalerkrankungen, bei schweren das 2°/ 0 Blaupulvcr. Die 
Streupulver könneu bei Erkrankungen der Nasenschleimhaut als 
Schnupfpulver mit gutem Erfolge gebraucht werden, auch bei ab 
geriebenen Hautstellen, kleinen Brandwunden u. dgl. 

5. Salbe. In der Regel 2°/ 0 , nach Bedürfniß stärker bis 
1 : 10, bei Blepharitis ciliaris, Eczeraen u. s. w. 

6. Lösung. l°/ 00 bis l°/ 0 , unter Umständen in der Augen¬ 
heilkunde. Für leichtere Erkrankungen ist der gelbe Farbstoff vor¬ 
zuziehen, da derselbe eine sehr angenehm kühlende Wirkung ausübt. 
Je nach der Beschaffenheit des Falles sind Einträufelungen ein- oder 
mehrmals täglich vorzunehmen. Die Lösungen zersetzen sich binneu 
einiger Zeit am Licht, sie sind daher iu duuklen Gläsern aufzu¬ 
bewahren und etwa alle 8 Tage zu reinigen. Mau erkennt sehr 
leicht bei Einträufelungen in’s Auge, wenn die Färbekraft abge¬ 
nommen hat, und damit erkennt man die beginnende Zersetzung. 

Jänjcke hat auf der GRAEFE’schen Augenklinik in Halle 
eine Reihe bacteriologischer Untersuchungen mit Pyoktanin vorge- 
nommen, deren sehr interessante Resultate er in Nr. 12 dor „Fort¬ 
schritte der Med.“ mittheilt. Er arbiitete mit Reinculturen der¬ 
jenigen pathogenen Spaltpilze, welche den Arzt besonders inter- 
essiren, uud ist dabei zu theilweise recht überraschenden Resultaten 
gelangt, welche geeignet scheinen, für die günstigen Heilerfolge, von 
welchen Stilling berichtet, eine Erklärung abzugeben. Zunächst 
haudelt es sich darum, den entwicklungshemmenden "Werth der 


Anilinfarben zu ermitteln, d. h. festzustellen, welcher Gehalt des 
Nährstoffes nöthig ist, um die Lebensäußerungen der verschiedenen 
Krankheitserreger zu unterdrücken. Am empfindlichsten erwies sich 
bei diesen Versuchen dem Methylviolett gegenüber der Staphylo- 
coccus aureus. Während das Controlglas schon nach 12 Stunden 
üppiges Wachsthura zeigte, ging das Glas, in welchem das Ver- 
hältniß von Farbstoff zu Nährboden 1 : 6,000.000 war, nach 
24 Stunden, das Glas 1 : 4,000.000 nach 9 Tagen an, das Glas 
1 : 2,000.000 und die übrigen blieben steril. Diesem Eitercoccus 
am nächsten steht der Milzbrandbacillus, dessen Wachsthum 
sich bei 1 : 2,000.000 gegenüber dem Controlglas um 30 Stunden 
verspätete, bei 1 : 1,000.000 überhaupt nicht mehr stattfand. Der 
Stroptococcus pyogenes wuchs nicht mehr bei einer Ver¬ 
dünnung von 1 : 250.000. Cholerabacillen zeigten vollständige 
Entwicklungshemmung bei 1 : 62.500. Am wenigsten empfindlch 
für das Methylviolett erwies sich der Typhusbacillus, welcher noch 
bei 1:5000 wuchs, wenn auch mit Verspätung. Ein dem Pneumonie- 
ooccus ähnlicher Bacillus versagte bei 1 : 1,000.000; bei derselben 
Concentration wuchs auch der Bacillus subtilis nicht mehr. Es zeigte 
sich demnach ein ungeheurer Unterschied im Vorhalten der verschiedenen 
Bacterienarten gegen das Metbylviolett, und es fällt ferner auf, daß 
diejenigen Bactcrien, welche durch die Gegenwart des Methyl violett, 
am meisten beeinträchtigt werden, sich in destillirtem Wasser am 
schnellsten und intensivsten mit demselben färben. Viel schwächer 
äußert sich die Wirkung des Methylviolett im Blutserum, welches 
doch unter allen künstlichen Nährböden den Gewebssäften des 
Thieres am nächsten steht, doch auch hier ißt die entwicklungs¬ 
hemmende Wirkung eiue außerordentlich mächtige, indem Staphylo- 
coocus aureus bei 1 : 5 *00 nicht mehr wächst und Milzbrand bei 
1 : 1,000.000 erst nach 7 Tagen in sehr kümmerlicher Weise auf¬ 
ging. Die entwicklungshemmende Eigenschaft des Auramins steht 
weit hinter dem Methylviolctt zurück. 

Was nun die keimtödtende Wirkung des Mctbylvioletts betrifft, 
so zeigt es sich, daß in Bouillon, welche Methylviolett im Verhältuiß 
1 : 1000 enthielt, der Streptococcus pyogenes nach 5 Minuten 
sporonfrei , Milzbrandbacillcn nach 2 */ 2 , Staphylococcus aureus 
schon nach 1 Minute abgetödtet war, während Typhusbacillen sich 
über 50 Stunden keimfähig erhielten. Auch in diesen Versuchen 
zeigte sich wieder das verschiedene Verhalten gegen Methylviolett, 
und daß diejenigen Bacterienarten am empfindlichsten roagiren, 
welche deu Farbstoff am besten aufuehmen. Im Blutserum ergaben die 
Versuche eine geringere Wirksamkeit. Wurde nämlich abgeschabte 
Culturmasso im Blutserum aufgeschwemmt und mit Methylviolett 
versetzt, so wurden die Staphylococcen durch Lösungen 1 : 20.000 
und 1 : 5000 noch nicht in 30 Stunden und durch 1 : 100) erst 
nach 1 Stunde abgetödtet. Versuche Uber die keimtödtende Wir¬ 
kung des Methyl violett gegenüber angetrocknetem Bactcrien material, 
wie es unreinen Händen, Instrumenten u. s. w. anbaftet, ergaben, 
daß eine 2°/ 00 Methylviolcttlösung die Staphylococcen binnen fünf 
Miuuten vernichtete; 2°/ 00 Auraminlösung that dies erst nach einer 
Stunde. 

Was nun die Anwendung der Anilinfarben betrifft, so dürften 
Gonococcen schon wegen ihrer leichten Färbbarkeit durch Methyl¬ 
violett sehr wenig widerstandsfähig sich zeigen. Der Bacillus der 
Cholera dürfte wegen seiner leichten Zugänglichkeit, vorausgesetzt, 
daß das Methylviolett auf seinem Wege durch Magen und Darm nicht 
unwirksam wird, der Einwirkung des Methylvioletts unterliegen. 
Für die Behandlung des Typhus läßt sich vom Methylviolett wenig 
oder gar kein Nutzen erwarten. Bei seiner geringen keimtödteuden 
Wirkung ist das Methylviolett zu einer erfolgreichen Desiufection 
von Geschwüren, inficirten Wunden, erkrankten Scbloimhäuton etc. 
nicht zu verwenden, ebenso wenig zur prophylactischen Berieselung von 
Operationswunden, deren Details überdies durch die tiefe Bläuung 
in lästiger Weise verdeckt würden. 

In viel höherem Grade kommt für die Therapie die ent¬ 
wicklungshemmende Wirkung in Betracht, weil dieselbe auch im 
Blutserum eine sehr bedeutende ist. Boi der Diffusionsfähigkeit des 
Mothylvioletts dürfte es gelingen, schon mit dünnen Lösungou die 
Krankheitserreger in ihrer Entwicklung aufzuhalten; zu diesem 
Zwecke muß aber der Contact dos Farbstoffes mit den Spaltpilzen 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


ein beständiger sein. Verf. legt Nachdruck auf die Anwendung ver¬ 
dünnter, ganz reizloser Lösungen in kürzeren Zwischenpausen, da 
Lösungen, welche concentrirter als 1 : 1000 sind, die Gewebe schon 
ziemlich leicht reizen und leicht zu croupösen Entzündungen fuhren. 

Die fqj die Anwendung des Mittels am meisten geeigneten 
Orte dürften inficirte Hohlwnnden, Abscesse und • erkrankte Hohl¬ 
organe sein. 

Was schließlich die toxische Wirkung betrifft, so vertragen 
Mäuse die subcutane Anwendung einer Lösung von blauem Pyok- 
tanin von 1 : 1000 in einer Menge, daß der eingefflhrte Farbstoff 
zur Substanz des Versuchsthieres sich im Verhältniß von 1 : 50.000 
und 1 : 35.000 befand, anscheinend ohne Störung des Allgemein¬ 
befindens, hingegen starben die Thiere schon nach V s — l l / % Tagon, 
wenn Lösungen von 1 : 5000 in die Bauchhöhle injicirt wurden, so 
daß das Vorhflltniß zum Körper 1 : 100.000 und 1 : 200.000 be¬ 
trug. Das gesunde Kaninebenauge reagirt auf den angofeuchtetcn 
Pyoktaninstift, sowie auf Lösungen von 1 : 1000 mit heftiger Ent¬ 
zündung; erst eine Lösung von l : 5000 erwies sich als unschädlich. 
Eine Einspritzung von 0’3 Ccm. einer 2°/oo I jösung unter die Haut 
des Kanincheuohres führte zu einer lange dauernden entzündlichen 
Anschwellung des ganzen Organs. S. 


B. Gomperz (Wien): Der Ohrschmers und seine Be¬ 
handlung. 

Drei Gruppen von Erkrankungen des Ohres gehen unter ganz 
besonders heftigen Schmerzen einher; cs sind dies die Otitis externa 
circumscripta und diffusa des äußeren Gehörganges, die acute catar- 
rhalische und eitrige Mittelohrentzündung und die Otalgia nervosa, 
die Neuralgie im Bereiche des Plexus tympanicus. Die Linderung 
oder Beseitigung der sich bis zur Unerträglichkeit steigernden 
Schmerzen ist die erste Aufgabe des Arztes gegenüber diesen Er¬ 
krankungen , ein Ziol, das sowohl nach symptomatischer , als auch 
nach causaler Richtung erreicht werden kann. 

Zunächst bespricht Verf. im V. Heft des „Centralblatt f. d. 
gos. Therapie“, 1890, die Diaghose der einzelnen Affectionen, die 
speciell bei der ersten der angeführten Erkrankungen aus der 
flachen oder halbkugeligen Vorwölbung einer oder mehrerer Wände 
des äußeren Gehörganges und den Erscheinungen der Entzündung 
und Eiterung sich ergibt. Tiefer sitzende Furunkel erkennt man 
an der Schmerzhaftigkeit der Sondirung. Bei dei* diffusen Entzündung 
des äußeren Gehörganges kommt es zu hochgradiger Verengerung 
desselben und einer Betheifigung des Trommelfells. Die enorme 
Schmerzhaftigkeit selbst kleiner Furunkel hat ihren Grund in der 
straffen Befestigung der Haut des Gehörganges an ihre Unterlage, 
und hier kann schon frühzeitige Incision durch Entspannung der Ge¬ 
webe eine große Erleichterung herbeiführen. Barth verwendet dabei 
die Cocalnanästhesirung mittelst elektrischer Kataplioreso. Wird, wie 
dies häufig geschieht, die Incision verweigert, so wird man auf eine 
Reihe abortiver Methoden rccurriren müssen. Man pinselt mit Ar¬ 
gentum nitricum oder mit coucenitrirtem Zinkvitriol. ZAOFAL empfiehlt 
die essigsaure Thonerde in Form von Einlagen in den äußeren Ge¬ 
hörgang und feuchtwarmen Ueberschlägen nach der bekannten Ver¬ 
ordnung : • 

Rp. Plumbi acetici . . . .' . . 5'0 

Aluminis erndi ...... 1*0 

Aqu. dest..100*0 

Zu erwähnen wären ferner: Eiuträufeluug von 3proc. Carbol- 
Clycerinlösung und von Alkohol, der mit Borsäure übersättigt ist, 
dessen Eingießung, 2—3mal vorgenommen , sich nach Verf. sehr 
wirksam erweist. Schließlich Opium, Belladonna und CocaYn in der 
von Grober angegebenen Applicationsform der Amygdalae aurium, 
bei denen Gelatine das Vehikel filr die narcotischo Substanz ist. 
Sie zerfließen im Gehörgange, binden dabei Wärme und wirken 
durch das narcotische Constituens nicht blos schmerzlindernd, sondern 
erzeugen auch bei noch nicht vereiterten Furunkeln einen Rückgang 
des Infiltrates. 

Diese Bougies haben eine Länge von 1 Cm. und einen Durch¬ 
messer von 4 — 8 Mm. und werden nach Gruber’s Angaben dis- 
pensirt: 


1046 


Rp. Extr. opii aquos. 

Gelatinae albae q. s. ut f. 

Amygdalae aurium Nr. X. 

Bei der diffusen Entzündung dos äußeren Gehörganges bekämpft 
man die Schmerzen mit Erfolg durch Einträufelung lauwarmer 5- bis 
lOproc. CocaYnlösung oder durch Insufflation fein gepulverter Bor¬ 
säure, mit der man, wenn, keine Mittelohrentzündung vorliegt, den 
Gehörgang vollfüllen kann. Bei Otomycosis füllt man den Gehör¬ 
gang 3mal täglich mit lauwarmem absoluten Alkohol und beläßt den¬ 
selben l / t — J s Stunde darin. 

Die heftigen Schmerzen bei der catarrhalischen und eitrigen 
Mittelohrentzündung, welche aus - ihrem acuten Auftreten, der 
Trommelfclientzündung, der Eiteransammlung in der Paukenhöhle, 
der Herabsetzung in der' Hörweite und der Veränderung der 
Ausqullationsgeräusche bei der Lufteintreibnng erkannt wird, haben 
ihren hauptsächlichen Grund in der Setzuug des Exsudates und der 
schließlichon Vortreibung und Perforation des Tromclfells, wobei die 
reichen Nerven Verzweigungen des knöchernen Gehörganges, dos 
Trommelfelles und der Paukenhöhle gleichzeitig betroffen sind. Auch 
hier wird 5—lOproc. CocaYnlösung lauwarm eingeträufelt, ein Ver¬ 
fahren, das 2—Sstündlich wiederholt und mit der Application feucht- 
warmer Ucberschläge von essigsaurer Thonorde auf die Ohrgegend 
combinirt wird. Ebenso gut wirken auch Injectionen von 4 bis 
5proc. CocaYnlösung in die Paukenhöhlo. Versagt das CocaYn, so 
wirkt 20proc. Carbolglycoriu conpirend auf Schmerzen und Ent¬ 
zündung. Man träufelt 2—3mal täglich 10 Tropfen lauwarm in 
den Gehörgang, beläßt sie 1 j A — 1 / a Stunde darin und spritzt dann 
das Ohr aus, was jedoch bei Perforation des Trommelfells contra- 
indicirt ist. — Bei starker Vorwölbung des Trommelfelles und 
Durchscheinen des Exsudates — es ist dies die Zeit, wo die sub- 
jectiven Beschwerden ihreu Höhepunkt erreicht haben — macht 
man mit Vortheil die Paracentese dos Trommelfells möglich früh¬ 
zeitig. Bei Empfehlung der möglichst frühzeitigen Punction schließt 
sich Verf. vollständig Schwartze und Grubbr an. Die Para- 
•contese wird mit einem tenotomartigen oder lanzenförraigen Messer, 
der Paracentosennadel, unter guter Beleuchtung vorgenommen, 
indem man einen Schnitt von mindestens 3 Mm. Länge senkrecht 
auf den radiären Fasorverlauf der Substäntia propria führt. Das 
Exsudat wird mittelst Luftdoüche in den äußeren Gehörgang ge¬ 
blasen und nachher ein Verband angelegt. Bleibeu, was selten ist, 
nach spontaner oder künstlich erzeugter Perforation die Schmerzen 
noch bestehen, so wird man von 5proc. CocaYneinträufelungen einen 
noch viel größeren Nutzen sehen, als bei intactem Trommelfell, be¬ 
sonders dann, wenn die Injectionen sofort nach der Durchspülung 
der Paukenhöhle mit 0'6proc. lauwarmer Kochsalzlösung,. welche 
letztere Politzer sehr wirksam gegen die Schmerzen bei acuten 
Mittolohreiterungen findet, vorgenoramen werden. Bei Fortloitung 
der Entzündung auf don Warzenfortsatz legt man den Leiter’schen 
Kühlapparat hinter dem Ohre an. 

Die Otalgia nervosa ist entweder eine Complication von Tri- 
gominus- oder Cervicoocipitalneuralgien, oder sie ist bedingt durch 
Affectionen der Mundhöhle und des Kehlkopfes. Die „idiopathische“ 
Form ausgenommen, liegt dio Ursache meist in Caries der Zähne, 
Geschwüren an Rachen oder im Kehlkopfe catarrhalischer, tuber- 
culöser und syphilitischer Natur. 

Bei einem mit luetischen Narben im Kehlkopf bohafteten Pat. 
trat die Otalgio immer im Anschlüsse an die Einführung von Bolzen 
in den Larynx auf, und zwar auf derselben Seite, wo ein kleines 
Geschwür am Stirambando bestand. Nach vorheriger CooaYnisirung 
des Larynx konnten die Bolzen anstandslos eingoführt werden. 

Zur Behandlung der idiopathischon nervösen Otalgio empfiehlt 
Verf. das Antipyrin nach der Vorschrift Ungar’s während des 
Anfalls, später, wenn noch Sehmerzen vorhanden sind, 0*5 Grm. 

Ebenso wie Antipyrin bewährte sich in solchen Fällen das 
Phenacetin, 0‘7 pro dosi, 2 - 0 pro die. 

In einzelnen Fällen erwies sich das Auflegen warmer trockener 
Tüchor und Galvanisation des Ohres, mit der Anode auf der Ohr- 
gegond, von Nutzen. G. 


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1047 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1048 


Handbuch der Ohrenheilkunde für Aerzte und Stu- 
dirende. Von Dr Wilhelm Kirchner, Professor der Ohren¬ 
heilkunde und Vorstand der otiatriseben Universitäts-Poliklinik 
in Würzburg. 3. Auflage. Mit 41 Abbildungen in Holzschnitt. 
Berlin 1890, Friedrich Wreden. 

Wir haben bereits zu wiederholtenm&len (s. „Wiener Med. 
Presse“, 1885, Nr. 49 und 1888, Nr. 15) auf die außerordentliche 
Brauchbarkeit dos KiRCRNBR’schen Handbuches der Ohrenheilkunde 
aufmerksam gemacht. Und daß das ärztliche Publikum derselben 
Ansicht ist, beweist wohl der Umstand zur Genüge, daß in dem 
kurzen Zeiträume von 6 Jahren drei Auflagen dieses Buches erfor¬ 
derlich wurden. Fragt man nach der Ursache eines derartigen, 
immerhin seltenen Erfolges, so lautet die. Antwort: Der Autor ver¬ 
sieht es eben, den Leser in knapper, aber nichtsdestoweniger ge¬ 
fälliger Form über die verschiedenen Erkrankungen des Gehör¬ 
organes rasch und dennoch hinreichend zu orientiren, und das ist 
ein Vorzug, den namentlich der viel beschäftigte Praktiker zu 
würdigen weiß. 

Bei der bedeutenden Stellung des Verfassers in der otiatrischcn 
Literatur ist es selbstverständlich, daß er von den neueren Errungen¬ 
schaften auf dem Gebiete der Ohreuheilkundo, so weit cs der enge 
Rabmeu eines kurzgefaßten Handbuches zuläßt, gebührend Notiz 
nimmt. 

Und so unterliegt es für uns gar keinem Zweifel, daß das 
Buch, welches sieh in der Gunst der Leser schon festgesetzt hat, 
auch in der dritten Auflage seinen Weg machen wird. 

Dr. A. Eitelbrro». 


C&suiatique et diagnostic photographique des mala¬ 
dles de peau par van Haren Noman, professeur de la 
clinique dermntnlogiqiic et syphil grapliique ä la facultä raedicale 
de l’universite d’Amstordam. Paris und Wien 1890. llaarlem. 

Vor uns liegt das erste Heft eines großen, mühevollen Unter¬ 
nehmens, eines photographischen Atlas der Hautkrankheiten. Das¬ 
selbe enthält 9 Photographien und Text. Wahrhaft ein großes Unter¬ 
nehmen , denn es erfordert nicht nur einen guten Dermatologen, 
Kliniker, der die Wahl der Bilder zu treffen weiß, einen guten 
Lehrer, der die krankhaften Erscheinungen gut zu schildern weiß 
sondern auch einen guton Photographen. Und alle diese Vorzüge 
vereint Prof. Noman in einer Person. Die vorliegenden Tafeln, 
Herpes Zoster, Gangraona cutis multiplex und Psoriasis darstellend, 
sind wahre Muster von Deutlichkeit und Klarheit, wenn ihnen auch 
die Farbe, die wir gerado bei Hautkrankheiten ungern vermissen, 
mangelt. Der Text ist kurz, präcis und klar gehalten. Um eine 
Vorstellung von dem ganzen, nach dem Prospect groß angelegten 
Werke zu machen, vermögen wir zur Zeit, da einige Bilder und 
einige Seiten Text zusammonhaiigslos vor uns liegen, nicht, zweifeln 
aber nicht, daß bei der weiteren analogen Behandlung auch der 
anderen Objecto in Bild und Text wir ein Werk vor uns haben, das 
Lehrern und Schülern unserer Discipliu gleich willkommen sein wird. 

Wir kommen nach Erscheinen weiterer Lieferungen nochmals 
auf das Work zu sprechen. Doc. Dr. E. Finger. 


Zeitungsschau. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Ref. : Prof. Ludwig Kleinwächter. 

Literatur: Sänger : Centralblatt für Gynäkologie, 1888, pag. 17, 
H4 und 102. — Klotz: ibid., pag. 69. — Leopold ; ioid., pag. 161, 211 und 
795. — ScnücKiNQ: ibid., pag. 181 und 682. — Laptiioun Smith: Americ. 
Journ. of Obstetr., 1888, pag. 5^3. — Zweifel, Fbitscii: Verhandl. der 

Deut. Gea. für Gynäk., II. Congreß, Leipzig 1888. — Albekt: Wiener Med. 
Presse, 1888, Nr. 13, 16 und 17. — A Martin: Verhandl. der Deut. Ges. 
für Gynäk. etc. — Martki: C. f. G., 1888. pag. 585. — Scott: Americ. 
Journ. of Obstetr., 1888, pag. 270. — Wkrner: ibid., pag. 384. — Martin: 
ibid,, pag. 643. — Shaw: ibid., pag. 892. — Jacobi: ibid., pag. 806. — 
Beroesio: Gazz. med., 1883, Nr. 1. — Skf.ne Keitii: Elinb. Med. Journ., 
1883, Febr. — Stirton: Glasgow. Med. Journ., 1888, Juni. — Spencer Wells: 
Med. Record., 1888, p»g. 625 — Plavfavr: Lancet, Juli 188 *, pag 101. — 
Georg Engelmann: Ztschrft. für Geb. u. Gynäk., Bd. XV, pag. 1198. Americ. 
Journ. of Obstetr., 1888, pag. 1057 und Transact. of the Americ. Gynec. 


Soct., Vol. XIII, Philadelphia 1838, pag. 337. — Gehrung : Americ. Journ' 
cf Obstetr. 1883, pag. 820. — Harrison: Ibid., pag. 314. — Brothers 1 
ibid., pag. 474. — Fry: ibid., pag. 40 und pag. 573. — Steavenson: ibid., 
pag. 891. — Gibbons: ibid., pag. 892 — Parsons: Brit. Gyn. Journ., 1838, 
pag. 71. — Ely van de Wahrer: Transact. of the Americ. Gynec. Soct., 
Vol. XIII, Philadelphia 1888, pag. 262. — M. Danion : Brit Gyn. Journ., 
1838, pag. 384. — Coe: Med. Rec., 18. Januar 1888. — Kaltenbach: C. f. 
G., 1888, pag. 729. — W. M. Freund : Volkmann’s Sammlung klinischer Vor¬ 
träge, Nr. 323, 1883. — Schauta : Archiv für Gynäk., Bd. XXXIII, pag. 27, 
1898. — H. J. Roldt: Amer. Journ. of Obstetr., 1883, pag. 122. — Gdsse- 
row: Arch. für Gyn., Bd. XXXII, pag. 165. — Meynkht: C. f. G., 1888, 
pag. 505. — Brrruti : Revue des maladies des femmeg, Brit. Gyn. Journ., 
1888, pag. 415. — Nagel: Arch. für Gyn., Bd XXXIII, pag. 1. — Sänger: 
C. f. G., 188"*, pag. 765. — Zweifel: Verhandl. der Deutsch. Gjs. f. Gynäk., 
II. Congreß, Leipzig 1888. — Winiwarter: Wiener klin. Wochschft., Nr. 31 
bis 33. — C. Rokitansky: ibid, Nr. 11. — Fritsch: C. f. G., 1838, pag. 804. 
— Firnis : Tageblatt der 61- Naturforscher-Versammlung in Cöln. — Cohn: 
Ztschrft. für Geb u. Gyn., Bd. XIV., pag. 500. — Schücking: C. f. G., 1888, 
pag. 561. — Sänger : C. f. G., 1888, pag 377. — Williams: Am. Joorn. of 
Obstetr., 1888, pag. 121. — Byford: ibid., pag 337. — Sänger: C. f. G., 
1888, pag. 441. — Hardon: Americ. Journ. of Obstetr., 1°88, pag. 1009. — 
Meyers: ibid., pag. 1074. — Montgomery: ibid, pag. 1076. — Podbkz: 
Ballet g6n. de Thferap., Brit. Gyn. Journ., 1888, pag. 143. — Boldt, 

Americ Journ. of Obstetr., 188*, pag. 408. — Scuurinoff: C. f. G., 1838, 

pag. 238. — Cohnstein: Berl. klin. Wclinscbrft., 1888, Nr. 10. — Veit: 

C. f. G., 1888, 156. — Olshausen: C f. G., 1888, pag. 4*»6. — Olshausen: 

Ztschft. f. Geb. n. Gyn, Bd. XIV, pag. 619. — Nieberding: C. f. G., 18S8, 

pag. 183. Hirsch: Arch. für Gynäk., Bd. XXXII, pag. 247. — Reichel: 
Z’schft für. Geb. u. Gyn., Bd. XV, pag 37. — Ullmann : C. f. G., 1883, 
pag. 177. — Mendes de Leon; ibid., 337. — Minkowski: Berliner klin 
Wchschrft., 1888, pag. 31. — Schramm: C.f. G. 1883, pag. 471. — Schultzb: 
Corrcspndbltt d allgem. ärztl. Ver. von Thüringen, 1888, Nr. 3. — Alexander : 
Brit. Gyn. Journ., 1888, pag. 215- — Schatz: C. f G, 188*, pag 394. — 
Winckel: Münchner med Wchnschr., XXXV, 28, 1888- — Bumm: Volkmann’s 
Sammlung klin. Vorträge. Nr. 318, 1888 — Wvdeb: Arch. für Gynäk., 

Bd. XXXII, pag. 1. — Detkbmann : Ztschft. für Geb. u. Gyn, Bd. XV, 
pag. 323. — Leopold: Der Kaiserschnitt etc., Stuttgart 1888. — Fleisch¬ 
mann: Ztschft. f. Heilkd.. 1883, pag. 347. — Bandl: Wien. Med. Bl, 1888, 
Nr. 43. — Olshausen: Verhandl. der Deut. Ges. für Gyn, II. Congr., Leipzig 
1888, pag. 244. — Sutügin: Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge, Nr. 310, 
1888. — James Foulib3 : Transact. of the Edinburgh Obstetr. Society, Vol. 
XIII, Edinburgh 1888, pag 80. — Ahlfeld: Ztschrft. für Geb. u. Gyn., 

< *Bd. XIV, 405. — Günther: C. f. G. f 1888, pag. 465. — JaffA: Volkmann’s 
S ammlung klin. Vorträge, Nr. 305, 1888. — Lantos: Arch. t Gyn., Bd. 
XXXII, pag. 364. — Nordmann: ibid., pag. 122. — Obermann: ibid., pag 148. 

— Kramer: Ztschrft. für Geb. u. Gyn, Bd. XLV, ,pag. 489. — Rossieb: Arch. 

für Gyn., Bd. XXXIII. pag. 400. — Köttnitz: Dent. Med. Wchnschrft, 1888, 

Nr. 430. — v. Ott: Arch. für Gyn., Bd. XXXII, pag. 436. — Winter: 

Ztschft. für Gob. n. Gyn , Bd. XIV. pag. 443. — Czekniewski : Arch. für 
Gyn., Bd. XXXIII, pag. 73 — Fritsch: Deut. Med. Wc’ischft., 1888, Nr. 11 
und 12 — Ehbendobfer: Klin. Zeit- und Streitfragen, 1888, Bd. II, H. 5, 

und Wiener klinische Wochenschrift, 1888, Nr. 16. — Fischel: C. f. G., 
1888, pag. 513 and 529. — Leopold: ibid., pag. 637. — Pfannknstikl : 
ibid., pag. 616. — Fehling: Arch. für Gyn, Bd. XXXII, pag. 425. — 
Underhill: Transact. of. the Edinb Obstetr. Soct., Bd. XIII, Edinb. 1883, 

pag. 120. — Fehling: Arch. für Gyn, Bd. XXXII, pag. 427. — Kboner: 

ibid.. pag. 414. — Pawlowsky : Berl. klin. Wchschrft, 1888, Nr. 13. — 
Majek: ibid, Nr. 14. — Meyer: Ztschrft. für Geb. u. Gyn., Bd. XIV, pag. 289. 

— Steffeck: ibid., Bd. XV, pag. 395. — Kortüm: C. f. G., 1888, pag. 81 
und 82. — Bitmm : ibid., pag. 321. — Born : ibid., pag. 324. — Minopoulos : 
Münchn. Med. Wclischft., 1883, Nr. 45. — Steffeck: C. f. G., 1888, pag. 64. 

— Sommer, Charit^-Annalen, XIII. — Wkinhold: Inaug.-Dissert., Breslau 1888. 

— Düukssen: „Die Anwendung der Jodoformgaze in der Geburtshilfe“, Berlin 

1888. — Polk: Transact. of the American Gynecological Society, Vol. XIII, 
Philadelphia 188*, pag. 282. — Solowij: C. f. G., 1888, pag. 221. — Norl 
Hallü: Gaz. des Höp., 1888, Nr. 18, C. f. G., 1888, pag. 581. — Rhkin- 
städtek: C. f. G., 1838, 515. — Bröse: ibid., pag. 461. — Fbänkel : ibid-, 
pag. 593. — Ehlers: ibid., pag. 487. — Schramm: ibid., pag. 213. — Adel: 
Arch. für Gyn., Bd. XXXII, pag. 271. — Frankel: ibid, Bd. XXXIII, pag. 
146. — Saurenhaus: C. f. G., 1888, pag. 755. — Fürst: Ztschft. für Geb. 
n. Gyn., Bd. XIV, pag. 352. — Gehrung: Amer. Journ. of. Obstetr., 1888, 
pag. 1138. — Nagel: C. f. G., 1888, pag. 227 und Archiv für mikroskopische 
Anatomie, Bd. XXXI. — Janosik : Sitzungsberichte der kais. Akademie in 
Wien, Bd. XCVI, Abthlg. III. — Podwyssozki: Verhandl. der gynäk. Ges. 
in Kiew, 1883, November 28 (rassisch), C. f. G., 1888, pag. 566. — Palmer 
Dudlky : New-York Med Journ., 1888, August, pag. 147 und 174. — Werth : 
Verhandl. der Dent. Ges. für Gyn , II. Congreß, Leipzig 1888, pag. 60. — 
Sänger: ibid., pag. 64. — Hansen: Ztschrft für Geb. u. Gyn., Bd. XV, pag. 
6 — Lawson Tait: Brit. Gyn. Journ, 1888, pag 310. — P. Müller: „Die 

Krankheiten des weiblichen Körpers in ihren Wechselbeziehungen zn den Ge- 
sclilechtsfunctionen etc.“, Erlangen 1888. — Sinclair: „On Gonorrhoeal 
Infection in Women“, London 1883, Brit Gyn. Journ , 1883, pag. 121 und 
C. f. G , 1888, pag. 303. — Neumann: Internat, klin. Rdsch., 1888, Nr. 7 
bis 8. — Gehiieim: Verhdl. der phvs-med. Ges. zn Wür zburg, 1888 Bd. XXI. 

— Nbhrl: C. f. G., 18S8, pag. 499. — Acker: Amer. Journ. of Obstetr., 
1888, pag. 427. — Börner: Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge, Nr. 312, 
1888. — Rohe: Amer. Journ. of Obstetr., 1883, pag. 1091. — Roller: Berl. 
klin. Wchsclift., 1888, Nr. 48. — Mathews Duncan : Transact. of the Edinb 


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1049 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1050 


Obstetr. Soct., Bd. XIII, Edinburgh 1888, pag. 105. — Siklski : Wiatl. lek., 

1888, H. 10. —Grandin : New York Med. Record, 14. Juli 1883, pag. 38, C. f. G , 

1889, pag. 6. —Chouitk: Journal d'acc , Brit. Gyn. Journ., 1888, pag. 142. 

— Cheron : Rev. des malad, des femmes, Brit. Gyn. Journ., 1888, pag. 382. 

— Chambkrs: Med. Rec., 7. Jnli 1888, pag. 12, C. f. G., 1883, pag. 72. — 
La Moukk : Journ. of Med. Sciences, Brit. Gyn. Journ., 1888, pag. 487. — 
Blumensaadt: Arch of Gynec. Brit. Gyn. Journ., 1888, pag. 479. 

Werfen wir einen Rückblick auf die das Gebiet der Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie berührenden Arbeiten, welche im Jahre 1888 
in den verschiedenen medicinischen Journalen erschienen, so fallen 
uns vor Allem jene auf, welche die jüngste gynäkologische Opera¬ 
tion, die Ventro-fixatio uteri re flexi behandeln. 

Der Enste, welcher in diesem Jahre über die genannte Ope¬ 
ration schreibt, ist Sänger in Leipzig. Nach eröffneter Bauchhöhle 
zieht er rechts und links den Silkwormfaden durch die Bauchdecken, 
sowie durch das Anfangsstück des Ligamentum rotundum und die 
vordere Lamelle des Ligamentum latura. Je nach dem Falle werden 
beiderseits 2—3 solcher Ligaturen angelegt. Bei freiem Uterus ist 
die Operation leichter, schwerer dagegen dort, wo man erst den 
fixirton Uterus lösen muß. Je nach den Umständen nimmt man 
gleichzeitig die Entfernung der Uterusadnexa — Ovarien und 
Tuben — vor. Entfernt man die letzteren aus einem anderen 
Grunde bei gleichzeitiger Retroflexio uteri, so nehme man, gleich- 
giltig ob der verlagerte Uterus fixirt oder frei ist, die Ventrofixation 
desselben dann vor, wenn entweder Beschwerden in Folge der Retro- 
Hexion da waren oder solche späterhin zu erwarten stehen. Die 
einseitige Ventrofixation bietet nicht genug Sicherheit dar und 
involvirt die Gefahr einer späteren Torsion des Uterus. Um einer 
Einklemmung von Darmschlingen zwischen dem fixirten Uterus und 
der Blase vorzubeugen, lasse man zwischen Uterus und fast leerer 
Blase nur eine schmale Spalte stehen. Der Uterus kann der Blase 
dicht an liegen. Etwaige Verletzungen der A. epigastrica inferior 
sind nicht von allzu großer Bedeutung. Der Uterus wird späterhin 
beweglicher, doch verbleibt er fixirt. S. operirte 7 Fälle mit Glück 
und Erfolg. Mißlich ist es nur bei dieser Operation, daß man sie 
auf dem Wege der nicht gleichgiltigon Laparotomie vornehmen 
muß. Gleichzeitig wendet sich S. gegen Klotz in Dresden, der 
nach den verschiedenen Methodon der Ventrofixatio Lockerung des 
Uterus beobachtete und deshalb dem Uterus dadurch eine bessere 
Stütze zu geben sucht, daß er nach der Castration und nach Ein- 
nähnng einer Tuba oder eines Ovarialstieles in die Bauchwunde 
hinter dem Uterus bis auf den Boden des Douglas einen dicken 
Glasdrain einlegt, der nur 2—4 Tage ruhig liegt, worauf er täglich 
gedreht und allmälig durch ein dünneres Rohr ersetzt wird, wodurch 
eine direetc Stütze für den Uterus geliefert wird und sich später 
an dieser Stelle ein dicker Bindegewebsstrang bildet, der die Hinter¬ 
wand des Uterus verdickt und einen zweiten Fixationspunkt für 
die Bauchdecken liefert. Leopold in Dresden geht anders vor. Er 
näht den Fundus uteri in die Bauchwunde ein, und zwar verwendet 
er hiezu denselben Faden, mit dem er die Bauchwunde schließt. 
Die Nadel geht mit dem Seidenfaden durch den einen Bauchwund¬ 
rand, dann unter die Serosa des Fundus uteri und schließlich durch 
den anderen Bauchwundrand wieder nach außen. Je nach Bedarf 
wird nur eine oder werden mehrere Nähte angelegt, die dann unter 
einander liegen. Um eine innigere Verwachsung zwischen Fundus 
uteri und Innenwand der Bauchdecken zu erzielen, schabt er im 
Bereiche der durch den Uterus gelegten Nähte die Serosa des Uterus 
oberflächlich ab. Bei den 3 Operirten war der Uterus noch nach 
11 —14 Monaten gehörig fixirt. Ein gleiches Operationsverfahren, 
aber ohne vorausgehende Laparotomie, ersann SCHÜCKING in Pyrmont. 
Der bewegliche retroflectirte Uterus wird anteflectirt und das vordere 
Vaginalgewölbe mit der Blase, sowie mit etwa vorgelagerten Därmen 
in die Höhe gedrängt, worauf eine cachirte, mit einem Seidenfaden 
armirte, gekrümmte Nadel von der Vagina aus den Fundus uteri 
durchsticht und vor ihm wieder durch das vordere Scheidengewölbe 
hervortritt. Schließlich wird der Soidenfaden angezogen und ge¬ 
knüpft. Im ersten Falle blieb der Seidenfaden 6 Tage liegen, 
worauf der Uterus wieder zurtickfiel, im zweiten lag er 14 Tage, 
und blieb darauf der Uterus fixirt. Nachahmung wird dieses Ope¬ 
rationsverfahren wohl kaum finden, da die Gefahr der Durchstoßung, 
sowie Strangulirung der Blase oder einer Darmschlinge zu nahe liegt.. [ 


Gefahrloser und rationeller ist das Verfahren L U'THORN Smith’s, 
der, von der Ansicht ausgehend, daß bei Uterusverlagerungen die 
Erschlaffung der Musculatur dieses Organes selbst, sowie jener der 
Ligamente, der Vagina und des Dammes ätiologisch, von größter 
Bedeutung sei, den faradischen Strom sowohl intrauterin, als auf 
die Musculatur der Vagina und des Dammes einwirken läßt. 

Bezüglich der Stiolbehandlung nach vorgenommener 
Myomotomie liegen einige erwähnenswerthe Publicationen vor. 
Zweifel in Leipzig ist tttr die iutrauterine Versorgung und legt 
das größte Gewicht auf eine vor Nachblutung sichernde Naht des 
Uterusstumpfes. Die Ligamenta lata werden mit BRUNs’sehen Nadeln 
partienweise durchstochen und werden Fäden angelegt, deren Enden 
in Klemmpincetten liegen. Nach Anlegung aller Fäden werden die¬ 
selben , mit Ausnahme der letzten, beiderseits ligirt und wird das 
Ligamentum latum bis zur Höhe der letzteu Faden durchschnitten. 
Dann wird der Gummischlauch angelegt und werden die Endfäden 
im Bereiche des Schlauches angezogen. Der Uterus wird quer, 
parallel der provisorischen Ligatur abgetragen, und zwar so, daß 
vorn und hinten ein Lappen aus Peritoneum und eine möglichst 
dünne Muskelschichte gebildet wird. Nach Ausbrennen des Cervical- 
canales wird der Stumpf mit der BitUNS’schen Nadel, wobei durch 
jeden Stichcanal zwei Enden gehen, in mehreren Partien ligirt. Zum 
Schlüsse folgt noch die Decknaht des Stumpfes, indem die beiden 
Peritoneallappen eingeschlagen, aneinandergelegt und mittelst einer 
fortlaufenden Catgutnaht zusammengenäht werden. Fritsch in 
Breslau dagegen geht extraperitoneal vor. Nach Vorwälzung des 
Uterus wird der obere Wundwinkel zur Verhütung eines Darm¬ 
vorfalles geschlossen, worauf die Ligamenta lata beiderseits unter¬ 
bunden werden und der Gummischlauch angelegt wird. Der Uterus 
wird so abgetragen, daß die Schnittwunde desselben parallel der 
Bauchwunde liegt. Seine Schnittwunde wird daher von rechts nach 
links vernäht. Mit einigen kleinen Nähten werden noch die Liga¬ 
menta lata an den Stumpf angenäht: Der obere Theil des mit 
Peritoneum tibernähten Stumpfes kommt extraperitoneal zu liegen. 
Der mit Jodoform bestreute Wundtriebter wird mit Jodoform¬ 
gaze ausgefflllt. Bei großem, nach hinten Hegendem Myome des 
Ligamentum latum schält er das Ncugebilde aus, resecirt den zurück¬ 
gebliebenen Mantel, drainirt nach der Scheide und vernäht dann 
den Mantel. Lag das Myom nach vorne, so näht er jden zurück¬ 
gebliebenen Mantel in den unteren Wundwinkel. Auf die Weise 
wird in beiden Fällen die Wunde von der peritonealen Höhle ab¬ 
geschlossen. Fritsch nähert sich da Albert, denn letzterer näht 
gleichfalls , wenn das Myom in der vorderen Uteruswand gesessen 
— selbstverständlich wonn die Utorushöhle bei der Enucleation nicht 
eröffnet wurde — die Ränder des zurückgebliebenen Mantels in die 
Bauchwunde ein. 

Sehr wichtig sind die Mittheilungen A. Martin’s betreffs der 
pathologischen Veränderungen der Myome. Unter 
mehr als 200 Myomen, die er operativ entfernte, zeigten sich 
32mal Umbildungen der verschiedensten Art, gutartige — Oedeme, 
Verfettungen u. s. w. —, sowie bösartige — Sarcome, Carcinome 
u. s. w. —, so daß man thatsächlich berechtigt wird, zu bezweifeln, 
ob man das Uterusmyom noch fernerhin zu den gutartigen Neoplasmen 
zu zählen habe oder nicht. 

Auch dieses Jahr wurde eine Reihe von Arbeiten, meist von 
amerikanischen Federn, publicirt, welche über die günstigen Erfolge 
der elektrischen Behandlung bei gy näkologischon 
Leiden, speciell bei Gegenwart von Uterusmyomen 
berichten. Häufig sollen die Tumoren bedeutend kleiner geworden, 
manchmal sogar ganz geschwunden sein. Von Allen aber wird ge¬ 
meldet, daß, wenn sich auch der Tumor nicht verkleinerte, wenig¬ 
stens die Metrorrhagien schwanden oder doch bedeutend geringer 
wurden. Mittheilungen dieser Art liegeu von Martei, Scott, 
Werner, Martin und Shaw vor. Sehr interessant ist die Publi- 
cation Jacobi’s. Durch den elektrischen Strom wurde die Uterus- 
thätigkeit in einem Falle erregt und so bedeutend verstärkt, daß 
späterhin die vaginale Euucleation des Tumors ohne besondere 
Schwierigkeiten gelang. Nicht unwichtig ist die Erscheinung, daß 
sich dieses Jahr auch nicht amerikanische Stimmen für diese Be- 
1 handluug aussprechen, wie z. B. Bergesio in Italien, Skene Keith, 

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Stirton, ja selbst Spencer Wells und Playfayr in England. 
Spencer Wells lobt dieselbe und Playfayr meint, wenn auob die 
ganze Frage noch nicht spruchreif sei, so sei doch so viel sicher, 
daß der intrauterine positive Pol blutstillend wirke. Georg Exgel¬ 
mann in St. Louis, der hervorragendste jener wenigen Gynäkologen, 
welche die elektrische Behandlung auf Grund einer wirklich wissen¬ 
schaftlichen Basis in die Gynäkologie einführten, sieht dieselbe nicht 
als ein Speeificum oder Universal mittel an, sondern als eine Ver¬ 
vollständigung unseres Instrumentariums, ein worthvolles Hilfsmittel, 
welches unter gewissen Indicationen ein wichtiges therapeutisches 
Agens darstellt. Unbedingt nötbig ist die genaue Messung der 
Stromstärke, die Anwendung starker Ströme, sowie die Anwendung 
der polaren Methode, d. h. die Beschränkung der Wirkung des Stromes 
auf den erkrankten Tbeil. Außer den Genannten sind noch Gehrung, 
IIarrison, Brothers, Fry, Steavenson, Gibbons und Parsons 
zu erwähnen. Sie wenden den elektrischen Strom bei Uterusmyomen, 
aber gleichzeitig auch bei anderen gynäkologischen Leiden an. Sie 
beuützen ihn statt intrauteriner Aetzungen, so unter Anderem 
bei nicht operirbaren Carciuomen, bei der mangelhaften Involution 
des Uterus, bei der sog. chronischen Metritis, bei Stenosen des 
Cervicaleanales, bei Dysmenorrhoe, bei Sterilität, bei Erbrechen der 
Graviden, bei zurückgebliebenen Nachgeburtsrestei», bei Blutungen, 
bei der Extrauterinalgravidität, um die Frucht zu tödten u. dgl. m. 
Sehr beachten6werth sind aber die vereinzelten Stimmen, die hier 
zur Vorsicht mahnen. Ely van de Ware er erwähnt, daß in drei 
Fällen von Fibromen, bei denen die Elektropunctur gemacht worden 
war, einmal Vereiterung und zweimal cystische Degeneration eintrat. 
Der Strom scheint daher zuweilen, wahrscheinlich dort, wo größere 
Lymphräume im Myome da sind, Veränderungen übler Art zu er¬ 
zeugen. M. Danion wieder warnt vor zu intensiven Strömen, 
da diese Congestion, Entzündung oder gar den Tod nach sich ziehen 
können. 

Ueber die palliative Behandlung bei durch Uterus¬ 
myome bedingten Blutungen schrieben Coe und Kaltenbach. 
Der Erstere empfiehlt die Cürettirung der Uterusmucosa und 
Letzterer die stumpfe Dehnung des Collum oder, besser gesagt, 
die Dilatation des Cervicaleanales mit den SCHULTZB’schen Dila- 
tatorien. 

(Fortsetzung folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Die äußere Anwendung der Schwefelblumen hat, wie 
in diesen Blättern wiederholt mitgetheilt wurde, bei Ischias sehr 
gute Resultate geliefert. Dr. Alessandro R\ndi hat in der medi- 
cinischen Klinik zu Padua auch in anderen Fällen die Schwefel¬ 
blumen angewendet und berichtet in Nr. 97 der „Riform. med.“ 
über die erzielten Resultate. Bei einem 45jährigen, an chronischer 
Myelitis leidenden Pat., der seit einem Monate an heftigen Fu߬ 
schmerzen litt, die verschiedenen Mitteln trotzten, wnrden Schwefel¬ 
blumen applicirt. Schon nach einer Stunde fühlte Pat. Brennen in 
den Füßen, das in den nächsten drei Tagen zunahm. Am 2. Tage 
nach der Anwendung des Schwefels waren die Schmerzen ver¬ 
schwunden. In einem 2. Falle von Spinalmeningitis mit heftigen 
Schmerzen im Halse, in den Schultern und im linken Oberarm 
brachten Schwefelblumen dieselben in 12 Stunden zum Schwinden, 
nachdem Antipyrin, Antifebrin, Vesicantien etc. nutzlos angewendet 
worden waren. Die nach einigen Tagen wieder aufgetretenen 
Schmerzen schwanden rasch auf Schwcfelblumenanwendung. Ein 
dritter Fall betrifft einen 55jährigen, mit einem Gliom der linken 
Centralwindungen, rechtsseitiger Hemiparese und partieller Epilepsie 
behafteten Mann. Die heftigen Schmerzen in der Schulter, dem 
Halse und in der Hand trotzten den verschiedenen Mitteln und 
verschwanden in wenigen Tagen auf Schwefelapplication. Im 
weiteren Verlaufe traten neuerdings Schmerzen im Knie und in der 
Hüfte auf, die ebenfalls durch Schwefelanwondung rasch zum 
Schwinden gebracht werden konnten. In einem Falle von Scorbut 
gelang es, heftige Lendenschmerzen mit Schwefelapplication rasch 
wegzubringen. In einem Falle von alter Ischias mit Muskelatropbie 
und in einem Falle von Neuralgie des Brachialis nach Influenza 


versagte diese Medication. Vcrf. schreibt die Wirkung des Schwefels 
der Hautreizung zu. Von einer Resorption des Schwefels kann 
keine Rede sein, da die chemische Analyse in keinem einzigen 
Falle das Vorhandensein von Schwefelwasserstoff im Urin nachwie3. 

— Von Dr. Pürckhauer (Bamberg) wird in Nr. 24 der 
„Munch, med. w.“ eine Methode der Behandlung des einge- 
wachsenen Nagels empfohlen, welehe, ohne die RadicalOperation 
verdrängen zu wollen, bei mcsserscheuen Patienten geübt worden 
möge. P. befeuchtet die abzutragende Stelle des Nagels mit er¬ 
wärmter 40proc. Kali caust.-Lösung und schabt die nach wenigen 
Secuuden butterweich gewordene oberste Schichte mit einem (allen 
anderen Instrumenten vorzuziehenden) scharfrandigen Glasstücke 
so lauge ab, bis sie papierdünn geworden ist, ab und zu die 
Schabttäche mit der erwähnten Lösung befeuchtend. Sodann wird 
der Nagel mit der Pincette in die Höhe, resp. aus den ihn 
überwuchernden Weichtheilcn herausgehoben und mit der Scheere 
von der anderen Hälfte abgeschuitten. Die kleine Operation ist 
weder von Schmerz noch von Blutung begleitet und der von seinem 
Uebel für längere Zeit befreite Pat. in seinem Berufe nicht behindert. 
Stellt sich mit dem Nachwachsen des Nagels dor Schmerz wieder 
ein, so genügt nach P.’s Erfahrung die chemische und mechanische 
Verdünnung des Nagels zur Beseitigung des Leidens, wobei eine 
abermalige Abtrennung des Nagels unnöthig ist. 

Dr. Tranjen (Sistow-Bulgarien) beschreibt in Nr. 22 der 
„Bcrl. klin. Wochenschr.“ zwei Fälle von sogenannter Nona. Der 
erste betrifft ein zweijähriges Kind aus gesunder Familie. T. sah 
das Kiud in seiner dritten Krankheitswochc. Dasselbe macht den 
Eindruck eines Schlafenden. Ab und zu stöhnt und wimmert es, 
greift nach seinem Kopfe. In solchem Zustande soll es sich seit 
drei Wochen befinden. Aus diesem Schlafe kann es leicht geweckt 
werden, um ihm Wasser und etwas Milch und Brod zu gebon. Oft 
wacht es von selbst auf und verlangt mittelst unverständlicher Laute 
nach Wasser. Beim Wiedereinschlafen, das fast momentan geschieht, 
zieht es die Mutter an ihrem Ohrläppchen, als ob es die Mutter 
zwingen wollte, sich mit ihm niederzulegon — eine Gewohnheit, die 
das Kind sich von jeher angeeignet hatte. Das Kind ist verstopft, 
und ohne 01. ricin., das ihm die Mutter alle 3—4 Tage eiugab, 
kam es zu keinem Stuhlgang. Zum Uriniren wacht es auf, um 
sofort wieder einzuBchlafen. Das normal und ziemlich kräftig ge¬ 
baute Kind liegt auf der Seite mit etwas nach hinten zurückge¬ 
worfenem Kopfe. Die große Fontanelle verwachsen. Die Pupillen 
gleich, erweitert und träge reagireud. Die Zunge weiß belegt. Der 
Bauch eingezogen. Keine Exantheme, keine Milzvergrößerung. 
Nirgends nachweisbare organische Erkrankungen. Temperatur nicht 
über 38‘0. Puls und Athmung ansoheinend normal. Dieser Zu¬ 
stand dauerte noch 16 Tage, dann stellte sich ein tiefes Coma ein, 
und nach 2 Tagen erfolgte der Exitus. — Der zweite Fall betrifft 
ein lOjähriges, anämisches, stark abgemagertes Mädchen aus ge- 
gunder Familie, das unter gleichen Erscheinungen nach 7tägiger 
Krankheit starb. Das Mädchen soll geistig besonders begabt ge¬ 
wesen sein. Im Januar dieses Jahres war es drei Wochen an Influenza 
krank. Am 23. April erkrankte es au tiefer Schlafsucht mit Fieber 
und Verstopfung. Bei der Untersuchung fand T. den Bauch ein- 
gezogen, die Zunge belegt, den Kopf nach hinten gezogen, die 
Pupillen ungleich, weit und träge reagirend; das Kind erwacht oft, trinkt 
etwas Wasser, schmeichelt und küßt seine Mutter und schläft wieder 
fast momentan ein. Spricht kein Wort und verlangt auch sonst 
nach nichts. Zum Uriniren erwacht es. Kurz vor dem Tode trat 
ein leichter Trismus ein. Temperatur nie über 38 0, Puls und 
Athmung nichts Auffallendes. — Ein Soldat starb nach 1.0tägiger 
Krankheit unter denselben Erscheinungen. T. hält die Krankheit 
für infectiöse Cerebrospinalmeningitis, die, gleich der Pneumonie, 
durch die vorausgegangene Influenza eine Veränderung er¬ 
fahren hat. 

— Die therapeutische Verwendung des Pancreas wird von 
Abelmann in einer in Nr. 12 der „Fortschritte der Medicin“ von 
Kobert referirten Dorpater Inaugural - Dissertation besprochen. 
Abelmann experimentirte an den von Minkowski vom Pancreas be¬ 
freiten Hunden. Die Ergebnisse dieser Versuche sind von hohem 
Interesse. Was zunächst die Eiweiß Stoffe der Nahrung anlangt, 


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ao ergaben die Versuche, daß dieselben beim Fehlen des Bauch- 
speichel8 doch noch theilweise zur Resorption gelangen, und zwar 
boi ganz pancreasfreien Hunden in einer Menge von 44°/ 0 und bei 
Hunden, die noch ein Restchen der Drüse besaßen, in einer Menge 
von 54%. Der Rest der Fleischnahrung fand sich in den Fäces, 
welche penetrant stankeu nnd schon makroskopisch sichtbare Muskel- 
btlndel enthielten. Wurde jetzt den Thieren frisches Schweinepancreas 
in Substanz eingegeben, so stieg die Menge des resorbirten Eiweiß 
auf 74, resp. 78°/ 0 . Damit ist bewiesen, daß bei Menschen mit 
functionsunfähigem Pancreas von der Darreichung der zerkleinerten 
frischen Bauchspeicheldrüse des Schweines Vortheil für die Eiweiß- 
verdanung erwartet werden kann. Reines Pancreatin wirkte viel 
schlechter. Was die Ausnutzung der Fette der Nahrung anlangt, 
so ergaben die Versuche an pancreasfreien Thieren, daß bei diesen 
alles eingegebene Fett in den Fäces unresorbirt wieder erscheint, 
während die Spaltung desselben keineswegs ganz aufgehoben war, 
da in den Fäces 30—85% des Fettes als freie Fettsäuren, resp. 
als deren Seifen angetroffen wurde. Damit ist bewiesen , daß das 
Pancreas, ganz abgesehen von Fettspaltung, zur Fettresorption un¬ 
bedingt nothwendig ist. Der zweite Beweis für die Richtigkeit dieser 
Anschauung ließ sich durch Zugabe von frischem Pancreas zur Fett 
nahrang erbringen, indem jetzt die Fettresorption sofort eine vor¬ 
treffliche wurde. Daraus erwächst uns die Pflicht, unsere Patienten 
mit Steatorrhoe mit frischem Schweinepancreas zu behandeln, trotzdem 
Ergesser nach einigen ungenügenden Versuchen über diese Medi- 
cation schon vor 10 Jahren den Stab gebrochen hat. Inwiefern 
dadurch Diabetikern in Bezug auf ihren Kohlehydratstoffwechsel 
genützt werden kann, müssen gleichfalls schon die ersten damit an- 
gestellten Versuche lehren. 

— Die Anwendung des Resorcin bei Diphtherie wird von 
Andrer auf Grund einer Arbeit von Lehlond und Baddier in 
Nr. 20 der „St. Petersb. med. Woch.“ dringend empfohlen. Diese 
Autoren haben das Resorcin 8 Jahre hindurch im Pariser Hopital 
Saint Lazare bei schweren Fällen angewendet und nicht Einen Mi߬ 
erfolg zu verzeichnen gehabt. Sie empfehlen stündlich bei Tage 
und zweistündlich bei Nacht mit Hilfe eines iu die Lösung von: 

Rp. Resorcini puriss.3 0 

Glycerini.30'0 

eingetauchten Pinsels einzupinseln; zugleich im Krankenzimmer be¬ 
ständige Pulverisation mit LisTKR’schem Apparat von der Lösung: 

Rp. Resorcini puriss. 50*0 

Aq. destill.JOOO’O 

oder Räucherungen vermittelst Leblond’s und Baudier’s neuen eigens 
dazu construirten Apparates, jedesmal mit l'O Resorcin alle 2 bis 
3 Stunden, beziehungsweise 4—5mal täglich und ebenso des Nachts. 
Ein gutes Adjuvans, wovon man 2—3 Eßlöffel binneu 24 Stunden 
nimmt, ist auch nach Leblond und Baudier : 


Rp. Resorcini puriss.10'0 

Syrup. Terebinth. 500 0 


Die Zugabe des Glycerin zum Resorcin scheint nach Leblond und 
Baudier günstig auf die Schleimhäute zu wirken. Das Wasser an¬ 
ziehende Glycerin absorbirt die in den Drüsen enthaltene Flüssigkeit 
und verengt dadurch die Canäle derselben. Es verändert somit auf 
die günstigste Art und Weise den Boden, auf welchem der pseudo¬ 
membranöse Proceß sich entwickelt. Wie nützlich die Resorption 
des Resorcin durch die Verdauungswege ist und wie günstig dieses 
mächtige Antisepticum von hier aus auf den Blutstrom wirkt, be¬ 
weist die rasche Abschwellung der Unterkieferdrüsen binnen 24 
Stunden und das gänzliche Verschwinden derselben schon nach 
48 Stunden. Bei Nasendiphthcritis hatten Leblond und Baudier 
von 1% Resorcinwassereinspritzungen und tiefen Eintröpfelungen 
von 5% Resorcinwasserlösung sehr günstigen Erfolg. Als eine der 
besten Errungenschaften bei der Resorcinbehandlung erwähnen 
Leblond und Baudier die Abwesenheit jeder Ansteckung in der Um¬ 
gebung des Kranken. Diese Immunität schreiben sie den Resorcin- 
dämpfen zu, welche die von den Kranken in der Luft und auf 
allerhand Gegenständen und Personen verbreiteten Diphtheriemikroben 
unschädlich machen und zufällig anwesende Personen mit einer anti- 
septischcn Atmosphäre umgeben. Wenn der Kehlkopf dipbtheritisch 
nicht mit erkrankt ist, sehen wir das Loiden im Allgemeinen schon 


nach 6—10 Tagen verschwinden. Wird diese Behandlung im Be¬ 
ginn der Diphtheritis angewendet, so ist die Plaquesbildung Behr 
gering und der Kehlkopf bleibt immer davor geschützt. Das All¬ 
gemeinbefinden der Patienten bleibt gut, der Appetit und die gute 
Stimmung bleiben erhalten, zum sicheren Zeichen, daß keine Allge- 
meinintoxication eingetreten ist. Ist der Kehlkopf in seiner Totalität 
diphtheritisch erkrankt, so ist die Resorcinbehandlung weniger 
wirksam. Indessen gibt die Anwendung von Resorcin in Form von 
Räucherungen und Zerstäubungen noch gute Heilergebnisse, wenn 
die Luftröhre weit genug ist, um eine Asphyxie auszuschließen, 
oder wenn die Tracheotomie noch möglich ist. In schweren Fällen, 
wo die innere (per os) örtliche Anwendung des Resorcin in irgend 
einer Form unmöglich sein sollte, wie bei diphtheritischer Erkrankung 
dos Kehlkopfes oder der Luftröhre in ihrer Totalität und bei 
drohender Asphyxie überhaupt, versuche man die Resorcinlösung 
von Leblond und Baudier, oder solche von Resorcin-Vaselinöl 
percutan durch das Ligamentum conoldes vel laryngo-cricoYdeum mit 
passender Injectionsspritzc, wo möglich ä jet reflex, beizubringen. 
Auch bei Nasendiphthcrio werden Einspritzungen mit Refloxstrahl 
von Resoreiu-Vaselinöl, resp. -Glycerin, oder Einlegen von Resorcin- 
cacaobougies oder -Tampons, jo nach Umständen, eventuell empfehlens- 
worth sein. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 27. Jnni 1890. 

Vorsitzender: Prof. Chrobak. — Schriftführer: Dr. Lthotzkv. 

Dr. SALZMANN demoustrirt 2 Fälle von symmetrisch auf¬ 
getretenen exuleerirten Gummata au den Lidern. 
Der erste betrifft einen 29jährigen Mann, dor vor 4 Jahren eine 
Sclerose acquirirte und bis vor 1 Monate keinerlei Erscheinungen 
von Syphilifc zeigte. In dieser Zeit traten Rupia au den Armen 
und wallnußgroße Tumoren an den Vorderflächen beider Unter¬ 
schenkel auf. Bald darauf entwickelten sieh an den Lidern Tumoren, 
die zunächst das Aussehen von Hordeola hatten; dieselben zer¬ 
fielen, die Substanzverlusto nahmen immer mehr zu. Gegenwärtig 
bestehen in der Mitte dos Lides halbkreisförmige, die ganze Dicke 
desselben einnehmende Defecto, mit scharfen, steilen Rändern, deren 
Grund früher speckig belegt war. Dio Umgebung ist mäßig in- 
filtrirt. Ara rechten unteren Lid besteht noch ein flacher, schmaler 
Substanzverlust im Bereiche des Intcrmarginalsaumos. Eine Inunc- 
tionscur und locale Anwendung von grauem Pflaster haben binnen 
8 Tagen das Geschwür gereinigt. 

Der zweite Fall betrifft eine 43jährige Frau, die vor 1 Jahr 
ein papulöses Exanthem an den Unterschenkeln hatte. Vor 7 Wochen 
bekam sie Thränenfluß, vor 3 Wochen Anschwellungen an den 
Lidern, die an der inneren Fläche exulcerirtou; die Geschwüro 
griffen immer mehr um sieh, haben einen speckigen Grund 
und derb infiltrirte Umgebung. Die antiluetischo Behandlung hatte 
bis nun noch kein nennenswerthes Resultat. 

Interessant ist hier das fast gleichzeitige und symmetrische 
Auftreten auf beiden Seiten. Die Prognose ist in solchen Fällen 
eine sehr gute. 

Prof. WEINLECHNER stellt einen Mann vor , den er wegen 
Rhinophima mit sehr gutom Erfolge operirt hat. 

Ferner demonstrirt er eine Frau, dio am 10. Januar d. J. 
mit einer linksseitigen incarcerirtcn Hernie auf seine Abtheilung 
kam. Nach vergeblichen Taxisversuchen wurde die Herniotoraie ge¬ 
macht, doch konnte die Vorgefundene Dickdarmschlinge nicht reponirt 
werden. Bei den Repositionsversuchen riß der Darm, die 
Lücke wurde zwar vernäht, aber es traten bald Inoarcerations- 
erscheinungen auf, der Darm mußte geöffnet werden. Durch die 
Lücke floß Koth nach außen, es bestand also ein Anus praeter¬ 
naturalis. Dieser Zustand dauerte bis zum 12. Februar. Nun 
machte W. die Darmresection. Dabei zeigte sich eine innige Ver¬ 
wachsung des abführenden Stückes mit dor Umgebung, wclcho die 


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Unmöglichkeit der Reposition erkliirt. Der Verlauf war ein günstiger, 
die Frau ist geheilt. 

DOC. Dr. ULLMANN stellt ein Kind vor, das mit einer apfel- 
großen Spina bifida behaftet war. Da Durchbruch zu befürchten 
war und keine dicken Stränge vorhanden waren, exstirpirte U. den 
Sack (es war eine Meningo-Myelocele) und nähte die Haut 
darüber vollständig zu. Das Kind war binnen 14 Tagen geheilt. 
Seit 3 Monaten entwickelt sich ein sichtlich zunehmender Hydro- 
cephalus. Außerdem zeigt das Kind noch andere Difformitätcn, wie 
beiderseitige Leistenbrüche und Klumpfüße. 

Prof. Salzer hat in den letzten 1 % Jahren 2 Fälle von 
Meningocele in derselben Weise mit Erfolg operirt. 

Prof. CHROBAK berichtet über einen Fall von Extrauterin- 
Gravidität. Derselbe betrifft eine 32jährige Frau, die 2mal entbun¬ 
den und im December die letzte Periode hatte. Im Januar bekam 
sie heftige Schmerzen im Unterleibe und Collaps, wahrscheinlich 
durch Ruptur des Sackes und Bildung einer Hämatocele bedingt. Im 
April traten wieder Schmerzen auf, die aber geringer waren als die 
erwähnten. Am 1. Mai fand Chrobak einen, etwa einem 
lichen graviden Uterus entsprechenden Tumor, dem rechts eine Geschwulst 
aufsaß, die als Uterus anzusehen war. Die Diagnose schwankte zwischen 
eiuer Extrauteriu-Gravidität und einer partiellen Retroflexion. Da 
Chrobak die Ansicht Werth’s nicht theilt, man solle die Extrauterin- 
Gravidität wie ein malignes Neoplasma betrachten und operiren, so 
bald die Diagnose gestellt ist, sondern in der zweiten Hälfte der 
Schwangerschaft auch die Extraction eines lebenden Kindes für 
wünschenswerth und möglich hält, so entliess er die Frau mit der 
Weisung, sofort zu kommen, sowie etwas Abnormes eiutreten werde. 
Am 16. Juni kam sie mit heftigen Schmerzen, schwachem und 
frequentem Puls und prall gespanntem Bauche. Es wurde sofort 
der Bauch eröffnet, worauf sich ein sehr dünner Fruchtsack präsen- 
tirte, dem rechts hiuten der Uterus aufsaß. Beim Herausheben des 
Fruchtsackes riß derselbe. Nun wurde die Frucht lebend extra- 
hirt. Der Fruchtsack war mit der linken hinteren Wand des Uterus 
fest verwachsen. Beim Fassen der vorderen Uteruswand in die ela¬ 
stische Schlinge trat eine furchtbare Blutung auf. Der ganze Frucht¬ 
sack sammt Placenta wurde rasch entfernt, der Uterus oberhalb der 
elastischen Schlinge abgesetzt und der Stiel wie bei der extraperi¬ 
tonalen Exstirpation des Uterus versorgt. Das Befinden der Patientin 
ist ein zufriedenstellendes 

Die Wand des Uteruskörpers ist mächtig verdickt, die Adnexa 
sind anscheinend normal. Ob die Tuba bei dieser sccundären Ab¬ 
dominalschwangerschaft bethoiligt war, läßt sich nicht bestimmen. 

Prof. Csokor: Zur Aetiologie der Tubercutose. 

Vortr. bespricht die Tuberculose des Rindes. Dieselbe ist iden¬ 
tisch mit der des Menschen und wie diese durch den Tuberkel¬ 
bacillus bedingt. Dieser findet sich in den Säften (Milch, Schleim, 
Harn, Blut) und in allen Organen des Rindes (Haut, Eierstöcke, 
Tragsack, Eihäute, Scheide, Saraenstrang, Hoden, Schleimhäute, 
Knochen, Knorpel, Muskel, Herz, Arterien, Auge), selbst im Fötus. 

Die Infection der Thiero findet oft schon im Mutterleibe statt, 
am häufigsten durch Inhalation. 2—4% sämmtlicher geschlachteter 
Rinder sind tuberculös. In Städten, wo mehr Fleisch verzehrt wird, 
ist dieser Procentsatz ein viel höherer. Nach Lydtin dürfte die Zahl 
der tuberculösen Rinder unter den Zuchtthieren 20% betragen. 

Die Tuberculose tritt bei den Rindern als Bronchopneumonie 
(die durch Inhalation erworbene), als Perlsucht in chronischer Form, 
ferner als miliare Form auf, endlich als primäre Tuberculose der 
Pleura und des Peritoneums, als primäre Erkrankung der Milch¬ 
drüsen und auch der Lymphdrüsen. 

Was den Ausgang betrifft, so verlaufen die infiltrirten 
Formen, die Inhalationstuberculoso, bösartig, während die chronische 
Tuberculose gutartig ist. Es kommt zu Verödung, Verkalkung oder 
Verhornung des Tuberkels. 

Die Diagnose beruht auf der bactcriologischen Untersuchung 
und den klinischen Erscheinungen. 

Für den Menscheu sind die Milch (ja sogar der Käse) und 
die Producte der geschlachteten Tbiere, namentlich die verschiedenen 
Flcischconscrvcn, Wurstwaaren, das Fleisch tubcrculöser Rinder 
gefährlich. 


Nun bestehen für das flache Land in Niederösterreieh Ver¬ 
ordnungen , welche tubcrculöse Rinder nicht zum Consum zulassen. 
Für die Haupt- und Residenzstadt Wien bestehen dergleichen Ver¬ 
ordnungen nicht, und nur der Wachsamkeit der als Marktcommissäre 
fungirenden Thierärzte ist es zu verdanken, dass auch in Wien 
tuberculöse Rinder nicht zum Consum zugelassen werden. 

Um die Tuberculose der Rinder einzuschräuken, würde es sich 
nach Csokor empfehlen: 

1. Die Tuberculose in das Seuchengesetz aufzunehmen. 

2. Den Percentsatz der tuberculösen Rinder in den Schlacht¬ 
häusern genau zu bestimmen. 

3. Zur Zucht nur gesunde Thiere heranzuziehen und von Zeit 
zu Zeit amtliche Revisionen in den Zuchthöfen anzustellon. 

S. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 25. April 1890. 

Prof. Schauta: Demonstration einer zum zweiten Male glück¬ 
lich cäsarirten Zwergin. 

Die 29 Jahre alte Frau wurde das erste Mal am 27. Octobcr 
1887 wegen absoluter Indication — rhachitisches, plattes, asym¬ 
metrisches Becken mit einer Conj. vera von 6'4 Cm. — unter 
günstigen Bedingungen operirt. Der Uterusschnitt wurde damals 
durch 11 sero-musculäre Silberdrähto und 17 oberflächliche Seiden¬ 
nähte geschlossen. Im Puerperium durch 9 Tage Fieber, dann 
regelmäßiger Verlauf. Nach 2% Monaten Menses, seitdem regel¬ 
mäßig; Uterus normal gelagert, frei beweglich, unempfindlich. 
Ende Juni 1889 Beginn der zweiten Schwangerschaft. Am 4. April 
1890 stellten sich Wehen ein, worauf sofort zur Sectio caesarea 
geschritten wurde. Der Schnitt wurde in der alten Bauchnarbc 
geführt; nach Durchtrennung der Bauchdecken zeigte•' sich die 
Uterusnarbe von Pseudomembranen bedeckt, die sich als fächer¬ 
förmiger Strang nach der Narbe in der Bauchwand hinzogen, 
welcher dadurch zu Stande kam, daß die nach Entleerung des 
Uterus ursprünglich tiefer gelegene Narbe während der Schwanger¬ 
schaft nach aufwärts gezogen wurde. Durchtrennuug dieser Membran ; 
Uterusschnitt rechts von der ersten Incisionsstelle; Extraction des 
lebenden Kindes; Lösung der Placenta; provisorische Schließung 
der Bauchdecken hinter dem Uterus; Excidiruog der alten Uterus¬ 
narbe sammt den Nähten und Vereinigung der Wunde mittelst 
10 tiefer Silberdraht- und 23 oberflächlicher Seidennähtc. Um die 
bei der ersten Operation durch die Drahtenden hervorgerufene 
Reizung zu vormeiden, wurden dieses Mal die Drähte kurz abge- 
schnitten, die Enden horizontal gebogen und das Peritoneum darüber 
gezogen, so daß die Nähte vollständig gedeckt waren. Ganz glatter 
Verlauf. Nach 14 Tagen stand Pat. auf und befiudet sich jotzt 
vollständig wohl. 

Der vorgestellte Fall ist der erste von wiederholter Sectio 
caesarea, die seit der SÄNGERVchen Modifikation ausgoführt wurde. 
Von den 171 bisher nach Sänger’s Methode cäsarirten Fällen 
werden 132 als geheilt angeführt; davon starben 3 Frauen bald 
nach der Operation und bei 5 war wegen bestehender Complicationen 
eine weitere Conception ausgeschlossen. Von den restironden 124 
conceptionsfiihigen Frauen haben blos 13 wieder concipirt. Der 
Ausgang war in einem Falle spontane Frühgeburt; zweimal wurde 
dieselbe künstlich eingeleitet, einmal trat Ruptur ein; in 7 Fällen 
wurde der Kaiserschnitt wiederholt, bei 2 ist das Resultat noch 
ausständig. 

Die relativ geringe Fertilität von 9 —10° 0 auf 124 nach 
Sänger’s Methode cäsarirten Frauen berechtigt aber durchaus nicht 
zu dem Schlüsse, daß durch dieses Verfahren die Conceptionsfähigkeit 
überhaupt beeinträchtigt werde. Es komme hier besonders der Um¬ 
stand in Betracht, daß die operirton Frauen große Furcht vor einer 
neuerlichen Operation haben und auf directes Befragen unumwuuden 
erklären, aus Furcht vor einer neuerlichen Sectio den Coitus nicht 
mehr zugelassen zu haben. Erst durch genaue fortgesetzte Beob¬ 
achtungen können die Fragen, ob durch den Kaiserschnitt die 
Conceptionsfähigkeit der Frauen alterirt werde, spruchreif werden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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Schauta hat bis jetzt im Ganzen 14mal den Kaiserschnitt 
ausgeführt, 11 mal den conservativen, 3mal nach Pobro ; bei allen 
war das Resultat ein günstiges. Kr schreibt diese glänzenden Er- 
* folge folgenden Umständen zu: 1. Der strengen Antisepsis, welche 
bei den letzten Operationen durch Asepsis ersetzt wurde, indem er 
während derselben nur sterilisirtes Wasser anwendet. 2. Der Art 
der Beherrschung der Blutung; er legt nicht mehr den elastischen 
Schlauch an, indem er nach Lösung der Ligatur mehrfach starke 
atonische Blutungen beobachtet hat. 3. Der Vervollkommnung der 
Naht, wobei es ziemlich gleichgiltig ist, welches Material man ver¬ 
wendet. 

Ferner demonstrirt Prof. SCHAUTA eine Frau mit voll¬ 
kommener Cloakenbildung bei gleichzeitiger nor¬ 
maler Ansmündung von Anus und Urethra. 

Fälle von Einmündung des Rectums in das Vestibulura bei 
gleichzeitigem Vorhandensein einer normalen Anusöffnung sind von 
Reichel und Rosthorn beschrieben worden, doch hat bei beiden 
keine Abweichung der Urethra von der Norm stattgefunden. Bei 
der vorgestellten Frau hingegen, welche behufs Operation der Cloake 
auf die Klinik des Vortragenden kam, münden Rectum und Urethra 
in das Vestibulum, und besteht noch außerdem eine normale Auus- 
und Urethralöffnung. Dieser Fall ist bis jetzt der einzige 
seinerArt und findet keinAnalogon in der Literatur. 
Schauta faßt diese Erscheinung als Hemmungsbildung auf, da kein 
Anhaltspunkt vorliegt, an ein durch Verletzung oder Geschwürs¬ 
bildung entstandenes Artefact zu denken. Dieser Befund läßt sich 
durchaus nicht mit den heutigen Anschauungen von der Bildung 
der weiblichen Urethra in Einklang bringen und zeigt recht 
deutlich, wie mangelhaft unsere Kenntnisse dieser Entwicklungs¬ 
vorgänge sind. 

Docent Dr. v. Limbeck.- lieber entzündliche Leukocytose. 

Anknüpfend an seino früheren Mittheilungen über die Zunahme 
der Leukocyten bei Infectionskrankheiten, die mit Exsudation einher¬ 
gehen (vgl. „Wiener Med. Presse“, 1889, S. 1708), berichtete 
v. Limbeck über weitere Untersuchungen, welche er im Vereine 
mit Med. stud. Pick auf früher nicht berücksichtigte Pro- 
cesse ausgedehnt hat. In Uebereinstimmnng mit den früheren Beob¬ 
achtungen wurde constatirt, daß bei Infectionskrankheiten ohne 
Exsudation in die Gewebe (Typhus abdom., Intermittens) niemals 
Leukocytoso vorkommt. Bei Processen, welche mit Exsudation 
einhergehen, müsse man wohl unterscheiden, ob die Exsudatbildung 
durch das tuberculöse Virus hervorgerufen werde oder durch ein 
anderes specifischcs Agens zu Stande komme. Bei der durch 
Tuborkelbacillen bedingten Exsudation war niemals eine Vermehrung 
der Leukocyten nachweisbar; bei der durch andere Agentien ver- 
anlaßteu hingegen war stets Leukocytose vorhanden. Redner betont 
die hoho diagnostische Bedeutung dieses Verhaltens, indem in drei 
Fällen von Meningitis aus dem Fehlen der Leukocytose allein die 
Diagnose auf Meningitis tuberculosa gestellt und durch die Section 
bestätigt wurde. Bei Tuberculöse der Lunge war das Verhalten des 
Blutes ein schwankendes; doch scheint bei reiner, tuberculöser Er¬ 
krankung der Lungen ohne Mischinfection die Leukocytose zu 
fehlen. Bei Masern und Scharlach fand sich keino Zunahme der 
Leukocyten, dagegen regelmäßig in drei untersuchten Fällen von 
Diphtheritis, und cs schien, daß die Vermehrung der weißen Blut¬ 
körperchen in geradem Verhältnisse mit der Massenhaftigkeit des 
diphtheritischen Belages stehe. 

Bei der croupöscn Pneumonie konnte L. in Uebcreinstimmung 
mit seinen früheren Beobachtungen die interessante Thatsache con- 
statiren, daß die Zunahme der Leukocyten nicht gleichzeitig mit dem 
Schüttelfröste, sondern später erfolge, und daß der Abfall der 
Leukocytoncurve jenem der Temperaturcurvc um mehrere Stunden 
vorhergehe; letzteres Verhalten könne mitunter für die Prognose 
vorwerthet werden. 

Prof. v. Jaksch konute gleichfalls in 7 daraufhin unter¬ 
suchten Fällen von croupöser Pneumonie eine beträchtliche Zunahme 
der Leukocyten im Blute constatiren; in einem Falle wurdo aus 
der Leukocytose, dem Auftreten von Pepton im Harno und dor Ver¬ 
minderung der Chloride in demselben trotz des Fehlens der physi¬ 
kalischen Symptome die Diagnose auf lobuläre Pneumonie gestellt 


und durch den weiteren Verlauf bestätigt. — In einem Falle von 
Typhus abdominalis, bei dem keine Vermehrung der Leukocyten 
vorhanden war, stellte sich mit dem Auftreten einer eitrigen Pleuritis 
eine sehr bedeutende Leukocytose ein. — Auch in 2 Fällen von 
malignen Tumoren des Abdomens beobachtete J. starke Leukocytose. 

—z. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 10. Mai 1890- 

Dr. M. Liebmann Stellt eine Frau mit vollständigem 
Mangel derinnerenGenitalienvor. Die 45 jährige Frau stellte 
sich wegen eines seit einem Jahre sich vergrößernden Lipoms in 
der linken Leistengegend vor, bei welcher Gelegenheit diese Ent¬ 
wicklungshemmung entdeckt wurde. Die äußeren Genitalien sind 
verkümmert, die Urethralmündung weit, aber die Harnröhre ist nicht 
erweitert. Es fehlt der Introitus vaginae und besteht 
complete Atresie. Die Untersuchung per rectum zeigte gänz¬ 
lichen Mangel dos inneren Genitalapparatos. Sie hat nie monstruirt, 
auch keine Monstruationsanomalien gehabt. Im 27. Lebensjahre 
heiratete sie einen 60jährigen Mann, und beide haben diesen Mangel 
nicht wahrgenommen. Die Mammae sind in diesem Falle gut ent¬ 
wickelt. 

Dr. K. Schaffer: lieber die elektrischen Verhältnisse bei 
Hysterie. 

Es wird allgemein angenommen, daß bei hysterischen Läh¬ 
mungen die elektrische Erregbarkeit der Muskeln und Nerven nicht 
verändert ist. Dem entgegen hat Vortr. in 2 Fällen von hysterischen 
Lähraungeu mittelst Widerstandsmessungen eine Aenderung der 
elektrischen Erregbarkeit constatirt. In dem einen Falle, wo es 
sich um hysterische Hemiplegie handelte, war die faradische und 
galvanische Muskel- und Nervenerregbarkeit auf der gelähmten Seite 
beträchtlich herabgesetzt, auf der anderen Seite stark gesteigert. 
In einem anderen Falle schwerer Hysterie, wo hochgradige Parese 
der Rumpf- und Extremitätenmusculatur vorhanden war, konnte er 
sogar partielle Entartungsreaction nachweisen. Mit der Besserung 
der hysterischen Erscheinungen schwindet auch allmälig dieses 
abnorme elektrische Verhalten. Zur Erklärung dieser Erscheinungen 
zieht Vortr. die von Borgrerini und Quincke aufgestellte Hypo¬ 
these heran, welche in der Hirnrinde trophische Centren für die 
Körpermuscnlatur anniramt. Man findet demnach bei Hysterie 
sowohl quantitative als qualitative Aenderungen der 
elektrischen Erregbarkeit. 

Dr. E. Jendrässik bemerkt hiezu, daß das vom Vortr. ge¬ 
fundene Ueberwiegen der Anodcnschließungs Zuckung über Kathoden- 
8chlicßungs-Zucknng auch bei Gesunden vorkommeu kann, dessen 
Ursache in der sogenannten virtuellen Kathode liegt. Auch ist 
ferner die Erregbarkeit der Muskeln und Nerven verschieden, je 
nachdem sie mehr oder weniger gebraucht werden; so ist der 
Peroneus in gebirgigen Gegenden viel erregbarer als bei Bewohnern 
in der Ebene 

Vorlr. hebt zum Schluß hervor, daß das Ueberwiogen der 
Anodenzuckung über dio Kathodenzuckung an 12 Punkten des 
Körpers bei demselben Individuum nicht mehr als physiologisch an¬ 
gesehen werden kann. 

Dr. R. TEMESVARY referirt über Apostoli’s Arbeit: Uober 
dieWirkung des galvanischon Stromes aufMikroben 
und besonders Anthraxbacillen. 

Apostoli und Laguerriere haben sich 2 Jahre mit der 
Frage dor autiseptischen Wirkung des galvanischen Stromes befaßt. 
Dieso am 28. April d. J. der Pariser Akademie mitgetheilten Ver¬ 
suche haben ergeben, daß, wenn beide Pole oiner galvanischen 
Batterie in eine Authrax-Bouilloncultur eingeführt werden, die 
Bacterien bei einer Stromesstärko von 300 Milliamperes in 5 Minuten 
getödtet werden. Ein Strom von 200—250 Milliamperes schwächt 
nur die Infectionsfäbigkcit derselben und darunter ist derselbe 
wirkungslos. Wird aber nur der positive Pol in die reine Anthrax- 
bacilleneultur eingeführt, dann folgt Schwächung derselben schon 


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bei 50 —100 und Tödtung bei 100—150 Milliamperes. Der positive 
Pol hütte also außer seiner kräftigenden und blutstillenden, auch 
antiseptische Wirkung, was besonders bei Behandlung der Endo¬ 
metritis von Wichtigkeit ist. n. 


Berliner modicinische Gesellschaft. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 11. Jnni 1890. 

(Schluß.) 

Dr. Th. Landau: Zur Untersuchung und Diätetik der Schwangeren 
und Wöchnerinnen. 

Der Vortragende weist zunächst auf die hohe Bedeutung 
der von Thure Brandt angegebenen heilgymnastischen Behand¬ 
lung weiblicher Unterleibskrankheiten hin und betont, daß man 
durch die strenge Befolgung der äußerst scharfsinnigen und zu 
hoher Vollkommenheit entwickelten Methode dahin geführt werde, 
nicht nur mit Kritik eine Reihe von Frauenkrankheiten zu be¬ 
handeln, sondern sie auch besser zu erkennen. So sehr nun auch 
die Gynäkologie sich diese Methode zunutze gemacht hat, so wenig 
hat dieselbe auffälligerweise auf dem verwandten Gebiete der Geburts¬ 
hilfe Beachtung gefunden, und doch kann man auch hier durch 
„Hebung des Uterus“ und Gymnastik nach Thure Brandt in 
praktischer Beziehung wichtige Erfolge erzielen. 

Eingehend auf die Art der Untersuchung, hebt Redner 
zunächst hervor, daß Brandt, unter vorläufigem Verzicht auf die 
bimanuelle Untersuchung, jede Kranke im Stehen nur mit einem 
Finger, und zwar mit dem gut eingesalbten Zeigefinger der linken 
Iland untersucht, den Daumen stark extendirt, die drei anderen 
Finger nicht in dio Hand einschlägt, sondern ebenfalls gestreckt 
nach hinten richtet. Diese Untersuchung mit einem Finger ist 
auch beim Stehen der Schwangeren, da der Uterus sich dabei nach 
unten senkt, vollkommen ausreichend auszuführen und hat den Vorzug, 
daß der Untersucher sich daran gewöhnt, den Uterus, statt ihn 
körperlich zu umgreifen und zu drücken, flächenhaft in seinen 
Theilen abzutasten. Auch bei bimanueller Untersuchung in halb- 
liegender Stellung der Schwangeren sind die Schmerzen derselben 
bei Einführung eines Fingers geringer, während man Muttermund 
und Promontorium durchaus sicher abtasten kann. 

Als Heilmethode für Schwangere tritt die Bedeutung des 
BRANDT’schen Verfahrens indessen noch viel stärker hervor. Wenn 
bei eingetretener Befruchtung die Gebärmutter sich im kleinen und 
später im großen Becken ausbreitet, so tritt meistentheils eine Reihe 
mechanischer Störungen der Nachbarorgane ein, namentlich Blasen- 
uud Darmbeschwerden, quälende Schmerzen im Kreuz, in den 
Beckenorganen und den unteren Extremitäten, Oedeme, Varicen etc. 
Eine über derartige „Schwangerschaftsbeschwerden“ klagende Gravida 
tröstet der Arzt dadurch, daß er ihr spontane Heilung durch die 
Geburt in Aussicht stellt, oder er verordnet ihr Seitenlage und 
Bäder und greift schließlich zu den Nervinis. Und doch können 
diese durch reiu mechanische Veränderungen hervor- 
gernfenen Beschwerden in wahrhaft überraschender Weise durch 
rein mechanische Behandlung schnell beseitigt werden, 
indem man neben planvoll ausgeführten mechanischen Uebungen 
vorsichtig die Hebung der schwangeren Gebärmutter 
ausführt. Gerade in den ersten Schwangerschaftsmonaten kann man 
den Uterus vollkommen mühelos nicht nur von rechts nach links 
und umgekehrt verschieben, sondern ihn auch aus dem Becken 
heraushobon. In frühen Monaten der Schwangerschaft kann man 
dabei den Finger des Assistenten zu Hilfe nehmen, iu späteren ist 
dies überflüssig. Die Gebärmutter behält nach dieser Hebung eine 
etwas elevirte Lage. Der eclatante Erfolg geht deutlich aus dem 
Schwinden aller Drucksymptome hervor. Vielleicht, daß durch die 
Uterushebung die Darmschlingcn Zeit finden, in den DouGLAb’schen 
Raum hinabzufallen und Darmgase in's Rectum treten. Kehrt die 
Gebärmutter aber selbst in ihre ursprüngliche Lage zurück, so wird 
durch den bloßen Act der Hebung das gesammte Venenblut nach 
oben getriebcu und der Fortbewegung desselben in den Becken¬ 
organen Luft gemacht. Die Comprcssion der Bcckenorgano durch 


die Gebärmutter aber ist es gerade, welche auch den Gesammt- 
organismus schädigt und sich besonders durch wesentliche Störungen 
in der Circulation, der Digestion und in den Nerven äußert. 

Die locale Therapie bei schwangerem Uterus ist Ubrigeus längst 
bekannt und hat namentlich bei Hyporemesis gravidarum vielfache 
Anhänger gefunden. Mau wendet, abgesehen von dem energischeren 
Verfahren des künstlichen Abortus, häufig das CoPMANN’sche Ver¬ 
fahren, die manuelle Dehnung des Cervix, an, deren Erfolg viel¬ 
leicht hauptsächlich darauf zurückzufübren ist, daß man die Gebär¬ 
mutter dabei unbeabsichtigt in die Höhe schiebt und durch Aspiration 
das Becken vom venösen Druck entlastet. Jedenfalls wird bei un¬ 
stillbarem Erbrechen Schwangerer dieses harmlose Mittel zunächst 
Beachtung finden müssen. 

Neben der localen Behandlung sind gymnastische Bewe¬ 
gungen von besonderer Wichligkeit. Man wird in erster Linie Respi¬ 
rationsbewegungen machen lassen, um den Lungenkreislauf, bezw. 
die Circulation im kleinon Becken günstig zu beeinflussen. Man wird 
durch active und passive Bewegungen den Unterextremitäten mehr 
Blut zuleitcn und das stagnirende Venenblut durch leichte Walkungen 
au der Innenseite der Oberschenkel in seiner Strömung beschleunigen. 
Ferner erweisen sich in dieser Beziehung die Knieaus- und Knie- 
oinführungen, sowie Rollungen im Fuß- und Hüftgelenk, während 
die Füße auf einer Bank ruhen, als vortheilhaft. 

Besondere Aufmerksamkeit verdienen ferner nicht blos zur 
Beseitigung der Obstipatiou, sondern wegen ihrer gewissermaßen 
für den Geburtsact vorbereitenden Wirkung solche Bewegungen, 
welche eine kräftigende Wirkung auf die Bauchmuskeln üben. 
Während die vielfach im Gebrauch befindlichen Schwangerschafts - 
binden nur im Stande sind, die Bauchdecken gegen den wachsenden 
Druck der Gebärmutter zu schützen, erreicht man durch vorsichtige 
gymnastische Bewegungen, daß die Muskeln zu größerer Leistungs¬ 
fähigkeit herangebildet werden. Man läßt die sitzende Schwangere 
in der Rumpfbeugung nicht zu große Excursionen machen. 

Der Arzt, weicher die Schwangere iu zielbewußter Weise vor¬ 
bereitet, wird auch dafür sorgen müssen, daß nach der Geburt bei 
der durch das Wochenbett zur Passivität verurtheilten Entbuudenen 
nicht eiue mangelhafte Involution der Bauchdecken eintritt. Redner 
will zwar keineswegs dio Entbundene bald nach der Geburt gym¬ 
nastische Bewegungen machen lassen, sonderu ist ein Anhänger der 
14tägigen Bettruhe bei Erstgebärenden, der 9tägigen bei Mehr- 
gebärendeu, und empfiehlt auch zur Verhütung des Hängebauches 
die Einwieklung des Leibes mit Handtüchern oder breiten Binden 
nach Art der Engländer; allein er verwirft die absolute Rücken¬ 
lage während der ganzen Dauer des Wochenbettes und gestattet 
sehr bald active Bewegungen, wie Legen auf die Seite und selbst¬ 
ständiges Erheben in Halblage, um dadurch die Thätigkeit der 
Bauchmusculatur anzuregen. Bei Erschlaffung derselben räth er 
Außerdem, nach Verlauf der ersten 14 Tage mit Massage und Gym¬ 
nastik vorzugehen. 

Neben dieser mechanischen Behandlung ist in jüngster Zeit 
die Frage aufgetaucht und namentlich von Ernst Brandt in Stettin 
sehr eingehend erörtert worden, ob man nicht Schwangere durch 
bestimmte Ernährung zum Geburtsact vorbereiton könne. Er fordert 
bei Aufstellung seines Speisezettels, daß die Schwangeren alle mehl-, 
zucker- und fetthaltigen Speisen, welche das Fett der Bauchdecken 
vermehren, vermeiden sollen. So sehr Redner diesen Standpunkt 
billigt, so wenig kann er sich mit dom weiteren Bestreben einver¬ 
standen erklären, durch eine der Mutter vorgeschriebene Nahrung 
auch auf dio Größe der Frucht einzuwirken; höchstens könnte der 
Versuch bei Schwangeren mit engem Becken gestattet sein, bei 
denen mau durch Verminderung und Auswahl der Nahrung die 
Einleitung der Frühgeburt verhinderu will. Was indessen ein Fötus 
für seine spätere Entwicklung verliert, wenn man die Mutter de- 
potenzirt, läßt sich durchaus nicht blos aus dem Körpergewicht er¬ 
messen und deshalb ermahnt Redner bezüglich der gewaltsamen 
Ernährungsverminderung Schwangerer zu großer Vorsicht. 

Das Resuroe des Vortrages lautet: 

1. Dio von Thure Brandt gelehrte Untersuchungsmothode 
verdient auch bei der Unter»uchung Schwangerer in Anwendung ge¬ 
zogen zu werden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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2. Während der Schwangerschaft sind neben den allgemeinen 
hygienischen Vorschriften planvoll vorgoscbriebene gymnastische 
Bewegungen am Platze. Sie bezwecken, mechanische Beschwerden 
durch mechanische Mittel, so z. B. durch Hebungen dos Uterus, 
zu beseitigen und die für das Geburtsgeschäft wichtigen Muskeln 
zu stärken. 

3. Bei Schwangoron, welche ein normales Bocken haben, 
sollen strenge diätetische Curen zum Zwecke der Verkleinerung der 
Frucht als zweifelhaft im Erfolge, möglicherweise sehr gefährlich 
für Mutter und Kind, nicht vorgenommen werden. Eine vernünftige 
Auswahl der Speisen ist gewiß geboten. Hingegen mögen Versuche 
an Frauen mit engem Becken, bei denen sonst die Frühgeburt in 
Frage kommt, mit diätetischen Curen angcstellt werdou. 

4. Im Wochenbett ist den Entbundenen der Leib sofort zu 

wickeln und hinterher verschiedene Lagerung und verständig ge 
leitete Bewegung zur Wiederstärkung der Bauchpresse anzuempfehlen, 
eventuell unterstützt durch Massage und Elektricität. — r. 


Notizen. 

Wien, 28. Juni 1890. 

(Cholera-Nachrichten.) Wie aus Madrid telegraphisch 
gemeldet wird, hat der Gesundheitsrath das Vorhandensein der 
asiatischen Cholera in der Umgebung von Valencia constatirt 
und die Aufhebung der für einzelne inficirte Orte gotroffenen, bei 
der Ausdehnung der Epidemie undurchführbaren Absperrungsma߬ 
regeln veranlaßt. Neuere Depeschen verzeichnen erhebliche Abnahme 
der Intensität der Seuche, deren Extensität nicht zugenommen bat. 
— Frankreich hat alle Maßregeln ergriffen, um der Epidemie den 
Uebergang über die Pyrenäen sowohl, wie von der See aus zu er¬ 
schweren. Die Einfuhr von Nahrungsmitteln aus Spanien ist unter¬ 
sagt und gegenüber den aus diesem Lande kommenden Waaren und 
Reisenden sind Ueberwachungsmaßregeln angeordnet worden. Die 
Aerzte Charrin und Netter befinden sich im Aufträge des Ministors 
des Innern an der französisch-spanischen Grenze, um daselbst den 
Sanitätsdienst zur Abwehr der Choleragefahr zu organisiren. — In 
Mesopotamien, woselbst die Cholera an Extensität zugenommen 
hat, indem sie auch die Orte Hassad und Nahi6 de Solvaniö befiel, 
mußte der Cordon erweitert werden. — Der österr. Oberste 
Sanitätsrath trat am 21. Juni zu einer außerordentlichen 
Sitzung zusammen, in welcher die vom Ministerium des Innern 
bereits angeordneten, sowie die weiterhin noch durchzuführenden 
Maßnahmen zur Verhütung der Einschleppung der Infection in das 
Gebiet der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder den 
Gegenstand der Berathung bildeten. Ministeiialrath Dr. Kusf 
machte über die vom Ministerium des Innern sogleich beim Eintreffen 
der ersten Nachrichten von dem Auftreten der gedachten Epidemie 
getroffenen Einleitungen, betreffend die Erlangung authentischer 
Nachrichten und die rechtzeitige Vorkehrung der seo-sanitätspolizei- 
lichen Maßnahmen Mittheilung und brachte den Erlaß des Ministeriums 
des Innern vom 18. Juni d. J. zur Kenntniß, mit welchem alle 
politischen Landesbehörden aufgefordert wurden, der Assanirung der 
Ortschaften, deren sanitäre Verhältnisse im Falle einer Infections- 
einschleppung zur Entstehung einer Epidemie Anlaß geben könnten, 
ein besonderes Augenmerk zuzuwenden, auf die Beseitigung von 
Vorunreinigung von Trink- und Nutzwasser, sowie von Grund und 
Boden durch Abfallstoffe, auf Abstellung von sanitären Unzukömm¬ 
lichkeiten überhaupt, in öffentlichen Gebäuden und Massenquartieren 
insbesondere hinzuwirken und diesfällige, durch die ldf. Bezirksärzte 
anläßlich ihrer im Zuge befindlichen Bereisungen erhobene Miß3tände 
abstellen zu laesen. Der Oberste Sanitätsrath stimmte diesen Ma߬ 
nahmen zu und befürwortete die vom Ministerium des Innern in 
Aussicht genommene Erneuerung des Verbotes der Ein- und Durch¬ 
fuhr von Hadern, altem Tauwerke, für den Handel bestimmten 
alten Kleidern, gebrauchter Leibeswäsche und gebrauchtem Bettzeug 
aus den choleraverdächtigen Ländern, unter welche derzeit außer 
Spanien mit Rücksicht auf den Bestand der Cholera in Mesopotamien 


und der Pest an der persischen Grenze auch die asiatische Türkei 
eiuzubeziehen ist. 

(Universitäts-Nachrichten.) Prof. J. Schnabl ist 
zum Decan der Grazer, Prof. Rabl zum Dccan der Prager 
medicinischen Facultät für das nächste Studienjahr gewählt worden. 
— Die seit dom Tode Lenhossek’s erledigte Lehrkanzel der descrip- 
tiven und topographischen Anatomie der Universität Budapest 
ist durch die nunmehr erfolgte Ernennung des o. Professors der 
Physiologie am Th ierarznci-Institute und a. o. Professors der Histo¬ 
logie an der Universität, Dr. Ludv ig Thanhoffeb, besetzt worden. — 
Prof. Mikdlicz in Königsberg soll zum o. Professor der Chirurgie 
an der Universität Breslau ernannt worden sein. — An der 
czochischen Universität Prag hat sich Dr. Johann MittalSky, 
Redactcur der „Zeitschr. böhm. Aerzte“, als Docent für Ophthal¬ 
mologie habilitirt. 

(Die Districtsärzte Mährens) werden am 5. August d. J. 
eine allgemeine Versammlung iu Prorau abhalten, um u. A. über 
die zur Verbesserung ihrer Lage zu unternehmenden Schritte zu be- 
rathen. Schriftliche Zustimmung mit Beilage von 1 fl. zur Be¬ 
streitung weiterer gemeinschaftlicher Auslagen werden an Dr. Gottlieb 
in Brezolup oder eines der übrigen Comit6mitglieder erbeten. 

(Aus Berlin) wird uns geschrieben: In das neu e deut sehe 
Arzneibuch, welches laut Beschluß des Bundesrathes am 1. Januar 
nächsten Jahres in Kraft treten wird, sind 50 Arzneimittel 
neu aufgenommen worden, darunter Bromäther, ' Antipyrin, 
Guttapercha, Naphtalin. Naphtol, Phenacetin, Salol, Sulfonal, Condu- 
rangowein. Bei 18 dieser Mittel sind Vorschriften zur Darstellung 
gegeben. Aus der letzten Pharmakopoe sind 58 Mittel, z. B. China¬ 
wein, in das neue Arzneibuch nicht übernommen worden. — In 
der vergangenen Woche fand im Norden Berlins in Gegenwart der 
Kaiserin Friedrich die Grundsteinlegung für das „Kaiser 
und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhaus“ statt. 
Die Festrede hielt Geh.-R. R. Virchow. Bisher sind auf dem 
Bauterrain aus dem Fond der Kaisor Friedrich-Stiftung eine Poli¬ 
klinik und zwei von einander getrennte Pavillons errichtet worden. 
In einem dieser Pavillons werden ausschließlich Diphtherie-, in dem 
auderen Scharlachkranke behandelt werden. Der Bau von zwei 
weiteren Pavillons für an Keuchhusten, bezw. Masern erkrankte 
Kinder ist in Aussicht genommen. Zur möglichst sicheren Ver¬ 
hütung vor Ansteckung wird jeder Pavillon unter die Obhut eines 
besonderen Assistenzarztes gestellt werden. Es werden ferner die 
Krankenwärterinnen des einen Pavillons keinen Verkehr mit denen 
anderer Abtheilungen unterhalten dürfen. Personen, denen der 
Zutritt aus zwingenden Gründen gestattet werden muß, werden beim 
Verlassen des Pavillons ein Bad nehmen und ihre Kleider einem 
Desinfectionsproceß unterwerfen lassen müssen. Außerdem wird, 
um den Verkehr mit der Außenwelt auf ein möglichst geringes 
Maß zu beschränken, das Essen nach den Pavillons für ansteckende 
Krankheiten nicht von Bediensteteu der Anstalt getragen, sondern 
dorthin durch eine mechanische Vorrichtung auf unterirdischem Wege 
befördert werden. Garteuanlagen werden die Pavillons von dem 
Hauptgebäude trennen. Nach seiner Fertigstellung wird das Kinder¬ 
hospital im Ganzen 258 Betten enthalteu. 

(Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte.) Der Wettkampf um die Naturforscherversaramlung des 
nächsten Jahres beginnt bereits. Nachdem Hallo a. S. im 
vorigen Jahre zu Heidelberg die Gesellschaft deutscher Naturforscher 
und Aerzte für das Jahr 1891 eingeladen, hat jetzt auch die Stadt 
Frankfurt a. M. eine ebensolche Einladung erlassen. Die Ver¬ 
anlassung dazu, mit Halle in Concurrenz zu treten, bildet die im 
nächsten Jahre stattfindonde elektrotechnische Ausstellung, welche 
bei dem immer wachsenden Einfluß der Elektrotechnik auf Natur¬ 
wissenschaften und Heilkunde die Wahl Frankfurts der diesjährigen 
Versammlung in Bremen (15—20. September) empfehlen soll. 

(Stanley und die Schutzpockenimpfung.) Stanley 
und sein ärztlicher Begleiter Dr. Parke wurden von Lord Herschell 
aufgefordert, vor der englischen Vaccinatious-Commission über die 
Beobachtungen Bericht zu erstatten, die sie während ihres Zuges 
durch Afrika bezüglich des Einflusses der Schutzpockenimpfung auf 
die Morbidität und Mortalität an Variola gemacht haben. Dr. Parke 


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1800. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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tbeilto mit, daß er 40 einheimische Träger der Karawane geimpft 
hatte. Als nun eine sehr heftige Variola-Epidemie ausbrach, blieben 38 
von ihuen gesund; die übrigen 2, die sehr unansehnliche Impfnarben 
hatten, bekamen leichte Pocken und genaseu ohne jede Entstellung. 
Ringsum fielen in Folge der Variola die nicht geimpften Einheimi¬ 
schen wie die Fliegen. 

(Mortalität in Spitälern und der Privatpraxis.) 
In der Pariser Soci6t6 de medecine publique et d’hygiene professio¬ 
nelle theilte jüngst Dr. Lagnkau eine vergleichende Statistik aus 
den Jahren 1879—80 mit, welche in prägnanter Weise die Unter¬ 
schiede zwischen der Sterblichkeit an Infoctionskrankheiten iu den 
Spitälern und jener in der Privatpraxis illustrirt. 


Es starben von 100 Kranken 

ln d«r 

Privat praxis 

I den 
Spital' ru 

au Abdominaltyphus .... 

. 12-24 

19-50 

„ Variola.. . 

. 12-85 

17-31 

„ Masern. 

. 5-72 

23-56 

„ Scharlach. 

. 6-83 

9-20 

„ Keuchhusten. 

. 6 32 

23-53 

„ Diphtherie. 

. 30-40 

6423 

(Statistik) Vom 15. bis inclusive 

2 . Juni 1890 

wurden iu 


Civilspitälern Wiens 4680 Personen behandelt. Hievon wnrdon 902 
entlassen; 99 sind gestorben (8"89’.'o da* Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Staitballerei als er k rauk t gern el d o t: An 
Diphthcritis 49, egvptischer Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 15, Dysenterie 1. Blattern 15, Varicellen 12, Scharlach 60, 
Maseru 431, Keuchhusten 8t, Wundrothlanf 21. Wochenbettfieber 7. — In 
der 25. Jahreswoche sind in Wien 349 Personon gestorben (-37 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Prag der Stabsarzt des 
Ruhestandes Dr. Moitiz Giias, 79 Jahre alt; in Graz der Regi¬ 
mentsarzt d. R. Dr. Dominik Mandklski im 81. Lebensjahre. Der 
Verblichene hat sein beträchtliches Vermögen der Grazer studirenden 
Jugend, und zwar die Hälfte seines Nachlasses zu Stipendieu für 
Mcdiciner, testirt. 


(Ueber das Marillathal) schreibt Pr of. Dr. Stiller 
in Budapest im „Orvosi betilap“, es sei, gleich wie SzliAcs, 
eine Specialität wegen seiner örtlichen und klimatischen Verhältnisse. 

Das Marillathal liegt 2500 Fuß über dem Spiegel der Adria, im 
Schoße einer aus dem beißen Kessel der südungarischen Ebene sieb plötzlich 
erbebenden Gebirgskette und ist gesättigt von einer dünnen Gcbirgslul't, 
welche viel milder ist, als es mit Rücksicht auf die Höhe vermuthet werden 
könnte. Die tonisch wirkende, durch die natürliche Feuchtigkeit der um¬ 
gehenden meilenweiten Nadelholzwaldungen erquickende hohe Lnft verliert 
hiedurch ihre sonst aufregende Wirkung und die heiße, deu Niederungen ent¬ 
strömende Luft bewirkt eine außerordentlich gleichmäßige Temperatur in den 
verschiedenen Tages- und Nachtzeiteu. Stillkb glaubt deshalb Lungen- 
nnd Herzkranken, an veralteten Catarrhen Leidenden, sowie 
Nierenkranken einen besseren Aufenthaltsort kaum anratheu za können, 
als es das schöne Marillathal ist. Für solche Kranke sind die wirklichen 
Alpenhöhen, darunter Tätra-Füre 1, zumeist sehr aufregend; die mild n sub¬ 
alpinen Orte, zu reich an Regen, welcher im Marillathale eine relative 
Seltenheit ist, weshalb dieser Curort mit seinem milden, tonisch wir¬ 
kenden Klima für sehr erregbare oder erschöpfte, blutarme, nenrasthenische 
Individuen, sowie für Reconvalescente eine Perle genannt zu werden verdient. 
Die unter der Leitung des bekannten Dr. Hofeknbeioh stehende Cur- 
Anstalt in diesem herrlichen Gehirgsthale ist mit allen Heilapparaten 
reichlich versehen; es werden außer den Kaltwasser-, Warmbädern, 
Dampfbädern, Elektricität, Massage, auch In h al a ti on s - und 
pneumatische Curen angewendet. Die Verköstigung ist eine einfache, 
gute bürgerliche Küche, ohne jeden Gasthaus-Beigeschmack und bei sehr 
mäßigen Preisen. Trotz aller Vorzüge ist der Curort, selbst wenn er angezeigt 
ist, nicht für jeden Krauken passend, meint Stii.lkb. Wer sich nnterhalten 
und zerstreuen, wor sehen und gesehen werden und täglich iu anderer 
Richtung Ausflüge machen will, der gehe nicht dorthin. Es ist dies eine ruhige 
Waldesein9amkeit, wohin man den senden soll, der seine Gesundheit ernstlich 
wieder zu erlangen sacht Schließlich wird in so enge zusammenwohnender 
und auf einander angewiesener Gesellschaft kaum Jemand Langweile haben. 
Je mehr dieser Höbencurort anfblüht, desto mehr kann uueh zur Bequem¬ 
lichkeit und Zerstreuung der Gäste getban werden — eiu Ziel, we'ches zu er- 
l eichen Dr. Hoffexkeicii, der Entdecker, Begründer und Leiter dieses C ur- 
ortes, auch fortwährend zu erreicbeu bemüht ist. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Id dem znm Unterländer Bezirk des Kronstädter Comitats ge¬ 
hörigen Marionburger Sanitätskrds, zu welchem die Großgemeinden 
Marionbnrg, Krizba, Kothbach, Nußbach uud Apäcza mit zu¬ 
sammen 7324 Inwohnern gehören, ist die Kreisarztesstelle erledigt, und ich 
schreibe zur ßosetzung derselben auf Graud des §. 82 des XXII. G.-A. vom 
Jahre 1886 hiemit den Concurs aus. 

Die mit d eser Stelle verbundenen festeu Bezüge sind: Jahresgehalt 
800 Ü., Quart ergeld 120 fl., Reisepauschale 280 fl., zusammen 120 J fl. ö. W. 

Am Sitze des Kreisa'ztes — in der Marktgemeinde Marienburg — be¬ 
tragen die Visitentaxen bei Tag 3) kr., bei Nacht 60 kr., in d«n übrigen Ge¬ 
meinden sind dieselben nach der Entfernung vom Amtssitze geregelt. Der 
Kreisaizt ist verpflichtet, die Gemeinden Apäcza und Krizba, vo» welchen die 
erstere 164, die letztere 9*7 Km. entfernt ist, wöchentlich zweimal, die Ge- 
raeindou Kothbach und Nußbacb, von welchen die erstere 4 Km., die letztere 
10 5 Km. entfernt ist, wöchentlich dreimal zu bereisen. Marienburg hat 
Post-, Eisenbahn- und Telegraphenstation, ebenso sind Nußbach und Apäcza 
Post- uud Bahnstationen. 

Die geographische Lage aller im Sanitätskreis gelegenen Gemeinden 
ist derart, daß dieselben an einem halben Tage bereist werden können. Die 
Bevölkeruug besteht der Sprache nach fast zu gleichen Theilen aus Magyaren, 
Deut.-cneu (Sachsen) und Rumäneu, folglich ist die Keuntniß dieser drei 
Sprachen nothwendig. 

Die Bewerber werden aufgefordert, ihre im Sinne des §. 9 deal. G.-A. 
vom Jahre 1?83, beziehungsweise des §. 43 des XIV. G.-A. vom Jahro 1876 
instruirten Corapctoiu-Gesuche samrnt Nachweis d r Spracbkenntnisse längstens 
bis 5. Juli beim Gefertigten einzureichen. 

Dio Wahl erfolgt am 9. Juli in meiner Amtskanzlei und es wäre 
wünsclicnswertli, wenn der neugewählte Arzt seine Stel e möglichst schon im 
Laufe des Monats Juli antreten köunte. 

Marien barg, sin 10. Juni 1890. 638 

Der Oberstuhlrichter: Franz Bildner. 


In Znaim in Mähren, einer Stadt von mehr als 12.000 

Einwohnern, Sitz eines Kreisgerichtes, einer i ezirkshauptmanuschaft, mit 
Ober-Gymnasium, Ober-Realschule und vielen andereu Uuterriclitsanstalten, 
Garnisousort etc. domicilirt derzeit kein Zahnarzt. 643 

Kundmachung, 

betreffend die Besetzung der zweiten Arztes- (Hilfsarztes-) Stelle im öfl'ent- 
lichen Krankenbause in Rann. 

Die zweite Arztes- (Hilfsarztes-) Stelle im öffentlichen Krankenhau.se in 
Rann kommt zur Besetzung. Mit dieser Stelle ist eine Jahres-Kerauueration 
von 400 fl- verbunden. Bewerberum diese Stelle, welche auch derslovenischen 
Sprache mächtig sein müssen, haben ihre entsprechend documentirteuGesuche 
bis 1. Juli 1. J. an den gefertigten Landes-Ansschuß cinznsenden. 

Graz, am 6. Juni 1890. 635 

Vom steierm. Landes-Ausschüsse. 


Abonnements-Einladung. 

Mit 1. Juli 1889 beginnt ein neues Abonnement anf die 

Wiener Medizinische Presse 

mit 

Wiener Klinik. 

Abonnements-Preise pro 1890: 

Inland: 

Jährlich.fl 10.- 

Halbjährlich.„ 5.— 

Vierteljährlich . „ 2.50 

Wiener Klinik separat: 

Jährlioh 4 fl. ö. W. — 8 Reichsmark. 

Man abonnirt im Inlande durch Einsendung des Betrages per Postanweisung 

an die 

Admiiiitralioi der Wiener Medizinischen Presse 

in Wien , Max Vmilianstraase Nr. 4. 

Iin Auslande bei allen Postämtern und iluchbändlern. 


Für das Deutsche Reich, dio Postämter 
und Buc'.ihäudler : 

Jährlich.20 Reichsmark 

Halbjährlich .... 10 „ 

Vioi tdjähilich ... 5 » 


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Sonntag den 6. Juli 1890. 


Nr. 27. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Fresse“ erscheine jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Gross-Qoart-Fonnat stark. Hiezu eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
EUgleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertion*- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
ln Wen, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften Bind eu adresslren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Fresse* und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., h&lhj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für dieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. *4 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnlstr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximlllanstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Aus dem k. und k. Truppen-Spitaie zu Czernowitz. Ein Beitrag zur Aetiologie der Eiterung. Von 
Dr. Ferdinand Kapper, k. und k. Regimentsarzt, derzeit in Doboj (Bosnien). — Ueber die subcutanen Drüsenerkrankungen im Spätstadium der 
Syphilis. (Lymphoma oder Bubo gummös, s. tertiär.) Von Dr. Sigmund Lustgarten in New-York. — Therapie der Syphilis. Klinischer Vortrag 
von Prof. Kaposi. — Referate nnd literarische Anzeigen. Garr& (Tübingen), Troje (Tübingen), Julius Fehler (München), Roeloffs (Leipzig): 
Ueber die Wirkung der Anilinfarbetoffe. III. — Paul Skndlkr (Magdeburg): Ein Vorschlag zur Behandlung der Fistula recti und des peri- 
proctitiscken Abscesses. — Schuster: Wann dürfen Syphilitische heiraten? — Klinik der Verdanungskrankheiten. Von Dr. C. A. Ewald, Professor 
e. o. an der Universität, dirigirender Arzt am Angusta-Hospital zu Berlin. II. Die Krankheiten des Magens. — Zeitungsschau. Gynäkologie und 
Geburtshilfe. Ref.: Prof. Ludwig Klkinwächter. — Kleine Mittheilungen. Ueber die Giftigkeit der bösartigen Geschwülste (Krebse). — 
Sulfaminol. — Beitrag zur Aetiologie der Actinomycose. — Ueber den Einfluß des Pilocarpin, mur. und des Atropin, sulf. auf die Magen¬ 
verdauung. — Fall von Kaffeevergiftung. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Verein 
deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Aus den Pariser Gesellschaften. (Orig.- 
Ber.) Sociätö m6dicale des höpitaux. — Notizen. — Eingesendet. — Literatur. — Offene Corregpondenz der Redaction und Administration — 
Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus dem k . und k. Truppen-Spitaie zu Czernowitz . 

Ein Beitrag zur Aetiologie der Eiterung. 

Von Dr. Ferdinand Kapper, k. und k. Regimentsarzt, derzeit 
in Doboj (Bosnien). 

Außer den von Koch 1 ), Rosenbach a ), Passet 3 ) u. A. durch 
Versuche und experimentelle Untersuchungen festgestellten 
und als mit der Eiterung in ätiologischem Zusammenhänge 
stehenden Mikrobien (zumeist Coccen) kommen, zum Mindesten 
für bestimmte Thierspecies, noch andere Mikroorganismen in 
Betracht, die ebenso wie die oben angeführten für sich allein 
als Grundursache irgend einer Eiterung auftreten können. 

Wir müssen demnach außer den bekannten, von den oben 
erwähnten Forschern sichergestellten auch den Bacillus pro- 
digiosus 4 ), den Bacillus pyocyaneus und pyofluorescens 6 ), den 
Mikrococcus tetragenus 6 ) als pyogen bezeichnen. 

Meerschweinchen antworten anf snbeutane Injectionen 
von Reinculturen des letztangeführten Mikroorganismus ent¬ 
weder local mit Abscessen, oder mit der analogen Allgemein¬ 
erkrankung, mit der Septicämie; weiße Mäuse sterben nach 
3—10 Tagen, und erweist die Section Massen dieser Mikro- 
coccen im Blute, zahlreiche punktförmige Metastasen derselben 
in der Milz (so daß letztere schon bei makroskopischer 


') Untersuchungen über die Aetiologie der Wundinfectionskrankheiten. 
Leipzig 18J8. Mit 5 Tafeln. 

*) Mikroorganismen bei Wundinfectionskrankheiten des Menschen. Wies¬ 
baden 1884. Mit 5 Tafeln. 

*) Untersuchungen über die Aetiologie der eiterigen Phlegmone des 
Menschen. Berlin 1885. 

4 ) P. Grawitz nnd W. de Bary, Ueber die Ursachen subcataner Ent¬ 
zündung und Eiterung. Virchow’s Archiv, 1887, Bd. CVIII. 

s ) G. Leddehhosk, Ueber den blauen Eiter. „Deutsche Zeitschrift für 
Chirurgie“, 1888, Bd. XXVIII, Heft 3. 

8 ) Julius Steinhaus, Zur Aetiologie der Eiterung. Separat-Abdruck aus 
der „Zeitschrift für Hygiene“, V. Bd., 1889. 


Besichtigung ganz fleckig erscheint) und Haufen dieser Mikroben 
in der Niere. 

Aus dem Eiter sowohl des todten, wie lebenden 
Versuchsthieres läßt sich dann wieder der Mikrococcus 
tetragenus als Reincultur züchten. 

Diese Versuche, wie sie auch Steinhaus 7 ) bereits durch¬ 
geführt, wurden von mir, wie oben erwähnt, geprüft und 
controlirt; ich kam zu denselben Resultaten. Auch bei mir 
zeigten sich Hausmäuse, Kaninchen und Hunde als refraetär 
dem Mikrococcus tetragenus gegenüber. Wie Steinbaus an¬ 
führt, wurde beim Menschen der Mikrococcus tetragenus im 
Sputum Tuberculöser 7 ) und in den Wänden von Cavernen 
nachgewiesen; welcho Rolle derselbe dort spielt, ist bisher 
noch nicht genügend sichergestellt. 

Jakowski 8 ) konnte in zwei Fällen von acuter Eiterung 
der Hand aus dem Absceß Eiter entleeren, in welchem 
außer dem Mikrococcus tetragenus kein anderes Mikrobion 
sich vorfand, weshalb er den gefundenen Coccus als pyogen 
bezeichnete, was allerdings, wie auch Baumgarten 9 ) mit Be¬ 
rechtigung hervor hebt, ohne Sicherstellung durch Culturen 
und Impflingen damals noch nicht als erwiesen angenommen 
werden konnte; inzwischen wurde in der unten zu schildern¬ 
den Weise hiefür der Beweis von mir angetreten. 

Indessen wurde auch am 19. October 1888 im War¬ 
schauer BEBSON-BAUMANx’schen Privatkinderkrankenhause im 
chirurgischen Ambulatorium von Poznanski 10 ) ein nußgroßer, 
acut entstandener Absceß in der Gegend des rechtsseitigen 
Angulus mandibulae durch Incision einem 8jährigen Mädchen 
entleert nnd in dem aufgefangenen Eiter mikroskopisch wie 
durch Reinculturen Mikrococcus tetragenus mit überzeugender 
Sicherheit nachgewiesen; daneben fand sich jedoch noch ein 
Bacillus vor — wahrscheinlich Bacill. lut. Flügge. u ) Ein 

9 1. c. 

®) Koch ud<1 Gaffky, „v. Langknbeck’s Arch.“ Bd. 28, Heft 3. Mit¬ 
theilungen aus dem kais. Gesundheit.-amte, Bd. II. 

8 ) Die pathogenen Mikrobien. („Grzybki chorobotworcze“), Warschau 
1886 (polnisch). Mit 7 Tafeln und 11 Holzschnitten. 

,0 ) Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den patho¬ 
genen Mikroorganismen. Brannschweig 1888. Dritter Jahrgang (1887), S. 9. 

“) 1. c. 


V. 


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1075 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


vierter Fall wurde vpn B. 'Vajigel 1 *) beobachtet und endlich 
ein fünfter von Park 13 ) an einem von einem-Zahn ausgehenden 
Abscesse; 

In meinem Falle, also den) sechsten bisher beobachteten, 
handelte es sich um Aehnliches wie bei Steinhaus und Park. 

Der 14jährige Musikeleve Carl M. (Sp.-P.-Nr. 208) wurde am 
8. März 1889 in das k. und k. Truppen-Spital zu Czemowitz auf- 
genommen. Derselbe hat seinen Angaben nach nie eine ernstliche 
Erkrankung durchgeraacht und soll stets gesund gewesen sein. 

Seit 5 Tagen bemerkte Pat eine schmerzhafte Anschwellung 
am rechten Unterkiefer, welche mit Kaubeschwerden einherging. Der 
Knabe fiebert wenig und hat seit 2 Tagen nur flüssige Nahrung 
zu sich nehmen können. 

Stat. praesens vom 8. März: Pat. gut genährt, entsprechend 
kräftig, von gesundem Aussehen. Temperatur 38, Puls regelmäßig, 
etwas beschleunigt, -voll. - - : 

-In der Gegend des rechten horizontalen Unterkieferastes findet 
sich Röjhung, Schwellung der .Haut up4 des Unterhautzellgewebes; 
die Temperatur daselbst erhöht; .brettkarte Infiltration der ganzen 
Umgebung; hochgradige Schwellung• der Weiohtkeile um die letzten 
zwm Molarea, die cariös sind; bedeirtOitdetf ^Opdem des Mundhöhlen¬ 
bodens; der Mund kann nur wenig; gecjlft^f'Werden; Urin frei von 
Eiweiß und Zucker. . 

Nach feuchtwarmen Einpackungen mit' essigsaurer Thonerde, 
sowie Ausspülungen mit Kali chlor, kam.',cs t nach 3 Tagen zur 
Fluctuation an der die cariösen Mahlzfthne unmittelbar umgebenden 
Partie — ausgiebige Incision, sowie Sublimatirrigation, Drainage. 
Der Knochen vom Periost nicht entblößt. Die Temperatur sank 
auf 37*5. Das Oedem, die Anschwellung' ging* bis auf eine um¬ 
schriebene, an der Knocbenpartie um die cariösen Zähne localisirtp 
Periostitis zurück, die sich erst später nach Extraction der schad¬ 
haften Mahlzähne behob. 

Der aus dem Absceß entleerte, grünlieh gefärbte, fötide Eiter 
wurde in ein sterilisirtes, mit sterilisirtem Wattapfropfe versehenes 
Probirglas aufgefangen ; überdies wurden Gelatine-Stich- und Plaken- 
culturen angelegt. . 

Mikroskopisch (Gram) wurde eine sehr bedeutende Menge der 
charakteristischen Tetraden- des Mikrococcus tetragenus festgestellt;- 
andere Mikrobien konnten nicht nachgewiesen werden. Die Eprou¬ 
vetten ergaben mir die typischen Reinculturen. * 

Das Auftreten der Eiterung in unserem Falle (welcher 
zugleich der einzige bisher beobachtete, ist, in welchem außer 
dem M. tetragenus überhaupt kein anderes Mikrobion feät- 
gestellt werden konnte) bei Abwesenheit anderer Mikroorga¬ 
nismen, bei Existenznachweis einzig und allein des Mikrococcus 
tetragenus, die oben erwähnten Thierexperimente, die Züchtung 
von Culturen, die Impfungsversuche und deren Conseqnenzen 
und Resultate erweisen auf das Präciseste, daß die aufgetretene 
Eiterung und der Mikrococci^s tetragenus im Causalnexus 
stehen, daß wir demnach den Mikrococcus tetragenus 
unbedingt als pyogen bezeichnen müssen. 

Die Infection ist in unserem Falle offenbar von den 
cariösen Molares ausgegangen, die hier als Eingangspforte 
der Infection anzusehen sipd. 

Die vorläufige Untersuchung des Einflusses der Carbol-. 
säure und des Sublimats auf die Culturen im Reagensglase 
ergab, daß letzteres in der entwicklungshemmenden Wirkung 
auf den Mikrococcus tetragenus gegen ersteres prävalirt. 
(Nährboden: Agar-Agargelatine.) 


tr ) B. Vanget,, Mikrococcus tetragenus in einem Nasengeschwür. „Gyö- 
gyäszat“, 1888, Nr. 32, ungarisch. 
u ) Park, „Med. News -1 , 1888. 


1076 

Ueber die subcutanen Drüsenerkrankungen 
im Spätstadium der Syphilis. 

{Lymphoraa oder Bnbo gurnmes. s. tertiär.) 

Von Dr. Sigmund Lustgarten in New-York. 

(Fortsetzung.) 

Es sei m‘r zunächst gestattet, in thunlichster Kürze eine 
Uebersicht der Literatur dfer gummösen Lytnphdrüsener.krankung 
zu geben. 

Die erste Mittheilung rührt von Potier (1842) her, der 
einen Fall beschrieb, welcher in vieler Beziehung Aehnl chkeit 
mit obigem Fall II hat. Salneuve (1852) weist auf die Mög¬ 
lichkeit der tertiären Adenitis hin. Des Ruelles, Sarrhos, 
Cahen bringen vereinzelte Beobachtungen über Driisenerkran- 
kungen im Verlaufe der tertiären Syphilis, über welches 
Thema auch Potain in seiner Thöse sur les lesions des 
ganglions visceraux spricht. 

Allgemeinere Aufmerksamkeit erregte erst das Erscheinet 
der „constitutionellen Syphilis“ (1860) von Virchow und des 
bekannten Syphiliswerkes von Lanceraox (1866). Auf das 
erstgenannte grundlegende Werk werde ich mich im Verlaufe 
noch wiederholt zu beziehen haben. Lanceraux beschäftigt sich 
nur mit den tiefliegenden Drüsen. „Das Studium der syphi¬ 
litischen Alterationen dieser Drüsen,“ sagt er, „datirt erst aus 
den letzten Jahren. Swediaüii gesteht, daß zu seiner Zeit keine 
einzige authentische Beobachtung über diese Läsionen existirte. 
Heute ist die tiefe tertiäre Adenopathie anatomisch besser 
bekannt, als die oberflächliche und subcutane. Der Grund dafür 
liegt darin, daß sie viel häufiger Gelegenheit zur mikroskopischen 
Untersuchung bietet. “' Am häufigsten “befallen erscheinen die 
Abdominal-, in zweiter Linie die Bronch al- und Mediastinal- 
drüsen. Und weiter: „Die (visceralen) Drüsenerkrankungen müssen 
unter die häufigsten und constantesten Alterationen der ter¬ 
tiären Periode gezählt werden ; sie sind für die Visceralsyphilis 
das, was die subcutanen Drüsenschwellungen für die Syphilis 
-der Haut sind, d. h. eine nothwendige Begle terscheinung.“ 
Von da ah war die Syphilis der visceralen Drüsen ohne Wider¬ 
streit anerkannt. 

Verneuil beobachtete bei einem Manne nach einer Fu߬ 
amputation das Entstehen eines großen, harten Tumors in der 
Hüfte, der nach der Fläche und nach der Tiefe zerfällt, die 
Arteria femoralis arrodirt und durch Verblutung zum Tode 
führt. Vebneuil spricht den Tumor als Drüsengumma an- 
und bringt seine Entstehung mit dem vorausgegangenen 
chirurgischen Trauma in Verbindung. Zwei we.tere Fälle, 
unter seinen Auspicien publicirt, berichtet Bourdon : Frauen 
mit Drüsentumoren der Inguinaigegend durch Jodkali geheilt,- 
resp. gebessert. 

Aus derselben Zeit stammt eine wichtige Arbeit von 
C ampana über Drüsenschwellungen bei constitutioneller Syphilis. 
Aus der großen Anzahl der bis auf vier dem secundären 
Stadium angehörigen Fälle heben wir nur folgenden hervor: 
Frau, vor 10 Jahren inficirt, ulcerirtes Gumma unter dem 
Kinn, am Halse rechts zwei wallnußgroße Drüsen, links eine 
eben so große, fluctuirende Schwellung, die bei Incision eine 
geringe Menge gelber Flüssigkeit und Gewebstrümmer ent-' 
leerte. Heilung durch Jodkali. Desgleichen sah Fournier sub- 
maxilläre Bubonen coincidirend mit einem ulcerösen Syphilid 
der Lippe und Wange, sowie Homolle eine supraclaviculäre 
Adenitis mit einem Gumma der Tonsille und ein Gumma der 
Cubitaldrüse im Anschluß an Hautgummen des Vorderarmes. 
Ferner enthalten zwei der vier Beobachtungen Virchow’s über 
Drüsengummen Mittheilungen über das Befallensein der ober¬ 
flächlichen Drüsen. 

Fast alle der genannten Fälle, sowie eine Reihe der 
noch zu erwähnenden betreffen Complicationen von Drüsen¬ 
gummen mit anderweitigen tertiären Processen. Viel wichtiger 
und auch viel spärlicher referirt 1 ) sind die Beobachtungen,- 

*) Circa 20 Fälle, unsere eigenen vier mitgeznhlt. 


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1077 


1078 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


wo, wie in unseren obigen, die Lymphdrüsen isolirt befallen 
waren. Während die erste Gruppe durch die Complicationen 
die syphilitische Natur der Affection documentirt und das 
Vorkommen über jeden Zweifel erhebt, ist die zweite wichtig, 
weil sie die Schwierigkeit der Diagnose mancher Fälle und 
die klinischen Beziehungen zu malignen Tumoren, besonders 
den malignen Lymphomen, erkennen läßt. 

Was gerade die letzteren betrifft, citire ich nach Homolle 
eine Beobachtung Birch-Hirschfeld’s , wo die gummöse Infil¬ 
tration eine so. große Zahl der Drüsen befallen hatte, daß 
man bis zur Autopsie an ein generalisirtes malignes Lymphom 
dachte, sowie einen Fall von Lymphosarcom von Wunderlich, 
das Wagner als Drüsengumma interpretirt. 

Mauriac (1878) signalisirt die Aehnlichkeit gewisser 
Drüsengummen mit chancrösen Bubonen an drei Fällen, wo 
bei Mäunern ziemlich acut auftretende, suppurirende Bubonen 
sich in serpiginöse Ulcerationen umwandelten. Der acute 
Verlauf in diesen Fällen macht es mir nicht unwahrscheinlich, 
daß es sich hier, ähnlich wie im obigen Falle III, um eine 
einer (vielleicht im Gefolge.von Blennorrhoe aufgetretenen) 
acuten Eiterung folgende syphilitische Infiltration handle. 

Gönnet bringt zwei Beobachtungen von Fournier und 
Besnier : Mann, ulceröses Syphilid der Lippe mit submaxillärem 
Drüsengumma, und Frau, die nach Ulcerationen des Gesichtes, 
der Nase und Perforation des Gaumens Gummen der Supra- 
elaviculardrüsen darbot. Ramage drei Beobachtungen aus 
Foüknier’s Klinik von ulcerirenden Drüsengummen der Inguinal- 
und Submaxillardrüsen bei sonst nachweisbar syphilitischen 
Individuen, sowie je einen Fall von Qüinquaud und Foy von 
gummösen Clavicular-, resp. Cervicaldrüsen. 

In einer bedeutsamen Arbeit über Gummigeschwülste 
berichtet Langenbeck (1881) über folgenden Fall: Eine 42- 
jährige Frau mit in Bezug auf Syphilis zweifelhafter Anamnese 
zeigt rechts unter dem PouPART’schen Bande eine faustgroße, 
rundliche, derbe Geschwulst mit uneben höckeriger Oberfläche, 
in der Tiefe verwachsen und sehr schmerzhaft. Die Diagnose 
der in einem Zeiträume von 6 Monaten entstandenen Neu¬ 
bildung schwankt zwischen Carcinom und Sarcom. Die Ope¬ 
ration gestaltet sich durch narbig schwielige Verwachsungen 
sehr schwierig, so daß der die Gefäße umhüllende. Th eil des 
Tumors zurückgelassen wurde. Die exstirpirte Masse wird 
nach der mikroskopischen Untersuchung von Langenbeck und 
Vikchow als Gummigeschwulst erklärt. Die Patientin geht 
an Pyämie zu Grunde. 

Noch ein zweiter Fall Langenbeck’s ist vermuthlich 
hieher zu rechnen: Hühnereigroße , bei Berührung schmerz¬ 
hafte Gummigeschwulst an der rechten Seite des Halses bei 
einer 53jährigen Frau. Unter der Diagnose Carcinom wird 
die Exstirpation vorgenommen, die ebenso wie im obigen Falle 
wegen zahlreicher fester Verwachsungen sehr große Schwierig¬ 
keiten bereitete und die Mitexstirpation der Vena jugul. noth- 
wendig machte. Heilung per secundam. Der Tumor erweist 
pich mikroskopisch als Granulom und Langenbeck zweifelt 
umsoweniger, ein Gumma operirt zu haben,- als die Patientin 
nach 2 Jabren an einem Recidiv in Form einer specifischen 
Ulceration der Zunge und des Gaumensegels erkrankte. 

Wäre .letzteres nicht der Fall gewesen, so wäre vielleicht 
dieser lehrreiche Fall, wie wohl viele andere, unentschieden 
geblieben. Langenbeck , auf der Höhe seiner klinischen Er¬ 
fahrung stehend, kann sich nicht enthalten, in demselben Ar¬ 
tikel folgenden Satz auszusprechen: „Es wäre von der.größten 
Wichtigkeit, Mittel zu finden, um die Gummigeschwülste mit, 
Sicherheit erkennen zu können, was um so schwieriger sein 
wird, als ihnen charakteristische Merkmale vielfach abgehen, 
und man muß leider bekennen, daß weder der äußere Habitus 
der Geschwulst, noch die sie begleitenden objectiven und sub- 
jectiven Erscheinungen vor diagnostischen Fehlern sicher¬ 
stellen. Dazu kommt noch, daß der makroskopische und mikro¬ 
skopische Befund der exstirpirten Geschwulst nicht immer so; 
.charakteristische Merkmale bietet, um Irrthiimer mit Sicherheit >' 


auszuschließen.“ In ähnlichem Sinne äußern sich die patho¬ 
logischen Anatomen. Virchow („Geschwülste“) findet, daß die 
Unterscheidung der Granulationsgeschwülste Von den Sarcomen 
sehr schwierig ist, und „daß man sie als Unterabtheilung der 
Sarcome führen konnte, mit deren kleinzelliger Varietät sie 
manche Verwandtschaft haben“. 

In der vorbäeteriellen Zeit war auch die Bezeichnung 
„scrophulöses Sarcom a ganz gebräuchlich. Ziegler sagt: „Nicht 
selten kommen Gewebsformationen vor, die sehr an Geschwulst¬ 
bildung erinnern, und es hält oft schwer, nach der histolo¬ 
gischen Untersuchung zu bestimmen, ob eine zu einem Tumor 
vergrößerte Lymphdrüse zu den Geschwülsten gerechnet werden 
müsse oder zu den entzündlichen und hyperplastischen Wuche¬ 
rungen. Die Entscheidung liegt gerade hier oft mehr in dem direct 
durch die Erfahrung bekannten klinischen Verhalten der be¬ 
treffenden Tumoren, als in der histologischen Untersuchung.“ 

(Schluß folgt.) 

Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof. KftpOsL 

. (Fortsetzung.) 

Bevor ich aber diese Methode kritisire, möchte ich noch 
einen wissenschaftlich berechtigen Vortheil der subcutanen 
Einverleibung der Quecksilber-Präparate gegenüber den Ein¬ 
reibungen hervorheben, damit Sie sehen, warum ich erstere in 
ein höheres Licht stelle als die letzteren. Die Einreibungen 
sind meiner Ansicht nach eigentlich doch eine rohe, inhumane, 
wissenschaftlich speciell ganz und gar unberechtigte Methode. 
Zunächst kann ich kein Urtheil über die Wirksamkeit des 
Unguentum cinereum mir verschaffen, weil ich nicht weiß, in 
welcher Verbindung das Quecksilber und in welcher Menge 
dasselbe in der einen oder in der anderen Salbe enthalten ist, 
die nach den verschiedenen Pharmacopoen verschieden zube¬ 
reitet werden. Es heißt zwar in denselben: es muß soviel Fett 
gegeben werden, und so lange verrieben werden, bis das 
Quecksilber exstinguirt ist; in welchem Verhältnisse aber das 
Quecksilber chemisch umgewandelt ist, nachdem wir doch 
wissen, daß das Quecksilber mit verschiedenen Fettsäuren ver¬ 
schiedene Oxydationsproducte bildet, und wie viel einfach 
durch die Verreibung mechanisch vertheilt ist, und fernerhin 
wie viel bei jeder Prolongation der Zeit vom Quecksilber 
durch Verdunstung verloren geht, das wissen wir freilich 
nicht. Und selbst wenn ich die Zusammensetzung des Präparates 
wüßte, so weiß ich doch nicht, wie viel davon, beziehungsweise 
von dem Quecksilber, aufgesaugt und wie viel mechanisch auf 
der Haut einfach kleben bleibt und — was keineswegs außer 
Acht gelassen werden darf — wie viel bei der Einreibung 
von Quecksilber verdampft und eingeathmet wird. Ist doch 
von Manchen behauptet worden, daß die Quecksilberdämpfe, 
die bei den Einreibungen sich entwickeln, eine große Bedeutung 
bei der lnunctionscur haben. Die Inunctionscur ist also eine 
wissenschaftlich unberechtigte und unexacte Methode. Prak¬ 
tisch aber ist sie eine ganz vortreffliche. Dagegen ist die 
subcutane Injectionsmethode von Quecksilberpräparaten eine 
außerordentlich wissenschaftliche und exacte, denn ich weiß ja 
ganz genau, in welcher Menge das Quecksilber in dieser oder 
jener Verbindung vorhanden ist, wie viel Quecksilber ich also 
dem Patienten in einer PRAvAz’schen Spritze einverleibe. Da 
ich genau die chemischen Formeln kenne, so kann man bis 
auf 1 Mgrm. die Menge des Quecksilbers berechnen, die der 
Patient bekommen soll, und wenn ich lösliche Quecksilber¬ 
verbindungen injicirt habe, berechnen, wie viel Quecksilber 
aufgesaugt wurde. Durch die Einspritzungen kleiner Mengen 
von Quecksilber geben wir demselben Gelegenheit, unter dem 
Einflüsse der Chloride, die es in den Gewebssäften vorfindet, 
vollständig mit den Eiweißsubstanzen in lösliche Albuminate 
überzugehen und in derselben Weise zu wirken, wie wenn 

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man Sublimat innerlich dargereicht hätte, so daß wir in jeder 
Hinsicht haarscharf die Menge des aufzunehmenden Quecksilbers 
berechnen können. Bis zu diesem Punkte ist also die Methode 
der subcutanen Injectionen eine außerordentlich wissenschaft¬ 
liche, insofeme wir anzunehmen berechtigt sind, daß die löslichen 
Verbindungen total aufgesaugt werden. Ganz anders stellt 
sich aber die Sache dar, wenn man die subcutane Injection 
mit unlöslichen Verbindungen macht, da die Erfahrung 
gelehrt hat, daß dieselben nur zum Theil in den Organismus 
aufgenommen werden. 

Die Zahl der unlöslichen Quecksilberverbindungen, die 
man zu Zwecken der subcutanen Injection gebraucht hat, ist 
eine große. Es vergeht kein Jahr, wo nicht neue Präparate 
vorgeschlagen werden. Das zuerst angewendete und meist 
gebrauchte war das Calomel; in späteren Zeiten hat man 
das Quecksilber als Hydrargyrum oxydatum, und zwar in ver¬ 
schiedenen Suspensionsmitteln verwendet. Lustgarten hat das 
Hydr. tan nicum eingeführt, welches allgemeine Anerken¬ 
nung fand. Prof. Lang hat ein Oleum cinereum hergestellt, 
das er durch Verreibung von Quecksilber mit Oleum olivarum 
bereitet hat. Dasselbe ist eigentlich ein Unguentum cinereum, 
aber in dünnerer Form. Ferner hat man Präparate herge¬ 
stellt durch Verreibung von Hydrarg. mit weichen Fetten, 
Paraffin, Vaselin u. dgl. Neösser hat ein Präparat her¬ 
gestellt durch Verreibung von Quecksilber mit Benzol, das 
Unguentum cinereum benzoicum; von Araüjo ist eine Ver¬ 
bindung von Quecksilber mit Salicylsäure in Anwendung 
gebracht worden u. s. w. Wir haben also jetzt eine ganze 
Reihe von derartigen Verbindungen, von denen man sagen 
kann, daß, wenn man sie unter die Haut bringt, man größere 
oder geringere Heileffecte erzielen kann. Sie haben alle vor 
den löslichen Verbindungen den Vortheil, daß sie seltener 
eingespritzt zu werden brauchen, denn sie enthalten ziemlich 
große Quantitäten Quecksilber; so ist in der von Prof. Lang 
angegebenen Verbindung, die aus 3 Theilen Mercurius vivus, 
3 Theilen Paraffin und 4 Theilen Vaselin besteht, 30% reinen 
Quecksilbers enthalten. Er hat jetzt eine noch viele stärkere 
Combination seines grauen Oeles hergestellt, von der man 
nur einen bis 1 */* Theile einer PuAVAz’schen Spritze unter die 
Haut einmal in 8 Tagen einzuverleiben braucht. Bei diesem 
letzten Präparate ist auch der Nachtheil vermieden, daß 
man große Quantitäten eines fremden Körpers in den Organis¬ 
mus bringt und dadurch die Gewebe nicht so sehr mechanisch 
zu reizen braucht. 

Der Vortheil, mit unlöslichen Quecksilberverbindungen 
Einspritzungen zu machen, ist nach meiner Meinung der, daß 
man unter die Haut eines syphilitisch Kranken ein Depot von 
Quecksilber unterbringt, welches allmälig gelöst und resorbirt 
wird. Unter dem Einflüsse der Chloride, insbesonders unter 
dem Einflüsse des Chlornatriums, geht das Quecksilber mit 
den Eiweißsubstanzen lösliche Verbindungen ein, und diese 
löslichen Albuminate werden nach und nach aufgesaugt, 
gelangen in die Blutbahnen und zerstören das darin enthaltene 
Virus. 

Das, was man bei anderen Applicationsmethoden künst¬ 
lich angestrebt hat, das geschieht da von selbst, und das 
geschieht schon hier, nachdem man nur einmal in der Woche 
oder einmal in 2 Wochen eine Einspritzung gemacht hat. 
Nach 6—8wöchentlicher derartiger Behandlung sollen die 
Symptome der Syphilis wirklich vollständig schwinden. 

Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß mit dieser Methode 
Nachtheile verbunden sind, die man bei keiner anderen Methode 
kennen gelernt hat. Es sind nämlich von Smirnow, Hallopeau, 
von mir und Anderen Beobachtungen gemacht worden, die 
ganz abschreckend sind; man hat nämlich die Erfahrung 
gemacht, daß, wenn man die Patienten mit Calomel oder mit 
anderen unlöslichen Quecksilberpräparaten behandelt hat und 
die Symptome völlig geschwunden sind, die Kranken doch nach 
6 bis 8 Wochen mit gangränöser Stomatitis zurückkehren; 
oder es geschah auch, daß sie nach erster Einspritzung eine 


acute Nephritis oder eine unstillbare Diarrhöe bekommen, oder 
furchtbare Magenschmerzen, und es sin l selbst einige Todes¬ 
fälle nach einer derartigen Behandlung bekannt geworden. Bei 
der Obduction einer solchen Kranken von unserer Klinik fand 
man, daß die gesammte Schleimhaut im ganzen Dickdarm 
mißfarbig, gangränös und zerfetzt und wie in ein Jauche- 
cavum verwandelt war, und entsprechend waren auch die 
Erscheinungen in der Niere, in der Leber und in den meisten 
Organen; auch die Mundschleimhaut war gangränös verändert. 

Die unangenehmste Erscheinung, die diese Behandlungs¬ 
methode so complicirt, sind die enormen Salivationen, die 
jeder Behandlung trotzen. Zur Zeit, als man noch Ein¬ 
reibungen machte, damit die Patienten reichlich Salivationen 
bekommen, und die Cur so lange fortsetzte, bis eine gewisse 
Menge von Speichel secernirt wurde, hat man kaum solche 
Stomatitiden beobachtet, wie man sie bei diesen Patienten 
gefunden. 

Wie Sie sehen, hat diese Methode eine Klippe, an der 
die Erfolge scheitern: Bis zu dem Punkte, wo man ein¬ 
gespritzt hat, ist die Methode wissenschaftlich, von dem 
Momente aber, wo sie sich praktisch bethätigen soll, wird sie 
unzweckmäßig und mehr als alle anderen, u. z. aus Gründen, 
die ich Ihnen eben erörtert habe und des Weiteren ausführen 
will. Ich frage: Weiß ich, wenn ich eine Quantität einer solchen 
Quecksilberverbindung unter die Haut gebracht, wie viel davon 
aufgesaugt wird, und in welcher Zeit ? Wenn ich eine gewisse 
Quantität der Verbindung einspritze, so berechne ich, wie viel 
Quecksilber in so und so viel Wochen aufgenommen werden 
soll, nachdem ich voraussetze, daß stets die gleiche Menge 
Quecksilbers aufgesaugt wird. Die Erfahrung hat aber gelehrt, 
daß das Quecksilber die Umwandlung in lösliche Albuminate 
in unberechenbarer Weise macht, daß dies schubweise ge¬ 
schieht, und daß unter solchen Umständen eine Quecksilber- 
menge gelöst werden kann, welche die zulässige Menge weit 
übersteigt, die vom Organismus vertragen wird, 1 • und daß 
dadurch die Gewebe, insbesondere der Darm und die Niere, 
mächtig geschädigt werden. Ich habe also nur scheinbar eine 
berechnete Quantität von Quecksilber hineingebracht, in der 
Wirklichkeit habe ich aber nur eine berechnete Quantität 
unter die Haut und Muskeln gebracht, ich habe aber nicht, 
worauf es doch im Wesentlichen ankommt, berechnete Quan¬ 
titäten zur Resorption befördert, und letzteres hängt ja gar 
nicht von mir ab. 

Mein Assistent, Dr. Lükasiewicz, hat von einer Patien¬ 
tin, die nach einer einzigen Injection die intensivsten 
Darm- und Nierensymptome bekommen hat und 6 Wochen 
nach dieser Einspritzung gestorben ist, einen Hautlappen 
herausgeschnitten. Prof. Mauthner im Laboratorium Prof. 
Ludwig’s hat nun über 70% des Quecksilbers, welche in der 
einen, zwei Theilstriehe großen Injectionsmasse enthalten waren, 
noch abgelagert gefunden, u. zw. 6 Wochen nach der Injection. 
Sie sehen also, wie wenig Quecksilber aufgesaugt wurde, und 
doch ist es zum letalen Ausgang gekommen. An allen anderen 
Hautstellen, welche histologisch untersucht worden sind, fand 
man regulinisches Quecksilber, so daß man annehmen konnte, 
daß auch hier nur ein geringer Theil des Quecksilbers that- 
sächlich resorbirt wurde; überdies zeigt die histologische 
Untersuchung, daß um die Injectionsstellen herum eine schwie¬ 
lige Verdickung sich gebildet hat, welche die Resorption er¬ 
schwert und auf diese Weise den Umstand erklärt, warum so 
geringe Mengen des Quecksilbers in den Organismus auf¬ 
genommen wurden. Trotz dieser Hindernisse und obgleich 
70% des injicirten Quecksilbers an einer Injectionsstelle 
abgelagert gefunden wurde, trat doch eine so colossale 
Wirkung ein, daß die Patientin, wie ich Ihnen erwähnte, zu 
Grunde ging. 

Nun kommt noch ein zweiter, praktisch sehr wichtiger 
Unterschied zwischen den Einreibungen und den Injectionen. 
Wenn ich Jemand mit Unguentum cinereum einreibe und 
er Salivationen bekommt, dann setze ich die Einreibungen 


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aus und warte, bis die Salivationen verschwunden sind. Und 
wenn das zum zweitenmale geschieht und ich sehe, daß der 
Mann wieder Salivationen bekommt, daß er, sagen wir, 
Eiweiß im Harn zeigt, daß Diarrhöen eich einstellen und 
der Mann herabkommt, dann führe ich ihm kein Quecksilber 
mehr zu, und erkläre dem Patienten, daß er für diese Behand¬ 
lung sich nicht eigne. Wenn aber bei der Einverleibung einer 
gewissen Menge einer unlöslichen Verbindung unter die Haut 
6—8 Wochen, nachdem alle Symptome geschwunden sind und 
nachdem der Patient sich vollständig gesund fühlt, die ersten 
Zeichen von Gingivitis auftreten und eine gangränöse Stoma¬ 
titis und die intensivsten Salivationen sich einstellen, so kann 
ich gar nichts thun, trotzdem ich weiß, daß der Mann noch 
ein großes Depot von Quecksilber unter der Haut trägt, daß, 
wie die Untersuchungen von Lukasiewicz und Mauthner gezeigt 
haben, noch 70—80% des Quecksilbers aufgesaugt werden 
können, und trotzdem ich weiß, daß der Mann unvermeidlich 
seinem Untergange entgegen geht. Wir müssen uns also geste¬ 
hen, daß es eine Illusion ist, wenn wir annehmen, daß man 
mit dieser Methode eine durchwegs exacte Taxation des zur 
Resorption kommenden Quecksilbers gewonnen habe — im 
Gegentheil, die Methode ist in praxi nichts weniger als exact; 
wir haben nur die Macht, eine gewisse Menge von Quecksilber 
unter die Haut zu bringen, nicht aber eine gewünschte Quan¬ 
tität desselben zur Resorption zu befördern. Die Resorption 
der unlöslichen Quecksilberverbindung geht, wie die Erfahrung 
gelehrt, nur schubweise vor sich, und bei dieser schubweisen 
Resorption kann eine solche Menge von Quecksilber in’s Blut 
gelangen, daß dadurch eine unmittelbare Lebensgefahr oder 
wenigstens gangränöse Enteritis, eine Nephritis oder Saliva¬ 
tionen in solcher Intensität erfolgen, wie sie bei keiner ande¬ 
ren Methode nur annähernd Vorkommen. Nichtsdestoweniger 
ist diese Methode zu empfehlen, wenn man geringere Mengen 
injicirt. Die späteren Erfahrungen werden noch zu lehren 
haben, ob diese Methede größere- Vortheile anderen gegenüber 
bietet, ob sie eine dauernde Heilung bewirkt und weniger 
Recidiven bei derselben beobachtet werden, oder umgekehrt, 
ob häufiger Recidiven und schwerere Formen auftreten, wie 
es von manchen Beobachtern angegeben wurde. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. 

in. 

Garbk (Tübingen): Klinische Beobachtungen über das Pyoktanin. — 
Troje (Tübingen): Baiteriologische Untersuchungen über das Pyoktanin. — 
Junos Fksslkr (München): Erfahrungen über die bncterientödtende Wirkung 
der Anilinfarben. — Rorloffs (Leipzig): Ueber Methylviolette als Antisep- 
tica in der chirurgischen Praxis. 

In den auf der Tübinger chirurgischen Klinik angestellten 
Untersuchungen mit Pyoktanin, über deren Resultate Garre in 
Nr. 25 der „Münch, med. Woch.“ berichtet, wurde besonders das 
blaue Pyoktanin in Lösung von 1 0 / 00 — 1% verwendet. Zunächst 
wurde das Mittel bei fistulösen, tuberculösen Processen angewendet, 
um den Einfluß desselben auf die Fisteleiterung zu studiren. 

Die Fisteln wurden täglich mit l°/ 00 Lösungen ausgespritzt, 
worauf ein feuchter Verband angelegt wurde. Es waren auf diese 
Behandlung keine Mißerfolge zu verzeichnen, aber auch keine so 
eclatanten Erfolge, welche zur Fortsetzung dieser Therapie in 
ähnlichen Fällen aufgemuntert hätten. 

Ein ferneres Versuchsfeld für dieses Mittel boten eiternde 
oder jauchende Geschwüre, vor Allem Ulcera cruris. Es wurden 
•längere Zeit hindurch feuchte Umschläge angewendet mit in lproc. 
Pyoktaninlösung getränkter Gaze. Die Erfolge unterschieden sich in 
nichts von jenen, die Garre früher bei Anweudung von Umschlägen 
mit Sublimat oder essigsaurer Thonerde oder Borsäure erzielt hatte. 

Entsprechend der Anregung Stjlling’s wurden zu allererst 
Panaritien und die von vereiterten Blasen oder Hautschürfungen 


herrühronden Geschwüre an den Händen nach der Incision oder 
Abtragung der Epidermis mit dem Pyok tau in stift touchirt, zum Theil 
mit 2proc. Streupulver bedeckt und gleichzeitig Umschläge mit der 
Lösung gemacht. Auch hier konnte Verf. mit dem besten Willen 
keine raschere Heilung als gewöhnlich, kein Coupiren des Eiterungs- 
processes beobachten. Ein Mißerfolg war nicht zu verzeichnen. Das 
Pyoktanin ist nicht giftig. Bei einer chronischen Mastitis hat Verf. 
von einer 1% 0 Lösung in Zwischenräumen von je 4 Tagen 3mal 
8—10 Grm. in das Gewebo der Mamma injicirt. Diese Einspritzungen 
waren absolut von keinen unangenehmen Nebenerscheinungen, weder 
allgemeiner, noch localer Art begleitet. Nach der Einspritzung traten 
keine Schmerzen auf und keine Reizerscheinungen. Nach 14tägigcr 
Beobachtungszeit ließ sich ein Zurückgehen der knolligen Infiltra¬ 
tionen dos Drüsenkörpers constatireu, leider aber entzog sich der 
Kranke der weiteren Behandlung. Percutane Injection von täglich 
8 Ccm. einer %<> Pyoktaninlösung in einem Falle von acuter Eiterung 
über dem Kreuzbein und phlegmonöser Infiltratiou der Hant hatte 
gar keinen Erfolg, denn nach 12tägiger sorgfältiger Behandlung 
kam es zu einer Eitersenkung, die dann nach-den gewöhnlichen 
Regeln behandelt wurde. In einem zweiten Falle von phlegmonöser 
Schwellung der linken Poplitea hatte das Pyoktanin wohl eine 
bessere Wirkung, die aber auch mit einem anderen Antisopticum 
zu erzielen wäre. Nach seinen klinischen Erfahrungen hält daher 
Garre das Pyoktanin für ein lediglich ungiftiges Antisepticura, 
das aber keine specifiscb antipyogene Wirkung besitzt und in dieser 
Hinsicht nicht mehr leistot, als audere bekannte Antiseptica. 

Bacteriologische Versuche, die Dr. Troje im pathologischen 
Institute zu Tübingen angestellt bat, und deren Resultate er in 
Nr. 25 der „Münch, med. Woch.“ veröffent ! ichte, haben gelehrt, 
daß eine Methylviolettlösung 1 : 1000 zwar ein deutliches entwick¬ 
lungshemmendes, aber selbst bei 12 Stunden langer Einwirkung 
Eitercoccen noch nicht sicher tödtendes Mittel ist. Fraglich ist 
sogar, ob dasselbe Staphylococceu überhaupt zu tödten vermag, und 
kann dies nicht eher als bewiesen gelten, als bis es gelingt, die 
mit ihm imprägnirten Bacterien durch einen indifferenten Stoff so zu 
entfärben, daß dasselbe dem Bacterienleibe sicher entzogen ist. 
Trotzdem könnte das Mittel wegen seines höchst bemerkenswerthen 
entwicklungshemmenden Einflusses immerhin praktisch mit Vortheil 
verwendet werden. 

Fessler hat auf der chirurgischen Klinik zu München eine 
Reihe von theoretischen und praktischen Versuchen mit wässerigen 
Lösungen des Methylvioletts angestellt, deren in Nr. 25 der „Münch, 
med. Woch.“ mitgetheilte Resultate weit günstiger, als die obigen, 
lauten. Frische Kopfwunden wurden mit einer solchen Farblösung 
1 : 10.000 leicht ausgewaschen, daun mit hydrophyler Gaze, die 
mit der gleichen Lösung angefeuchtet war, und BRUNS’scher Watta 
verbunden. Sie heilten in 4—8 Tagen unter vollkommen trockenem 
Schorf ohne jede Reaction. Eiternde, bis zum Knochen gehende 
Kopfwunden mit gequetschten, mißfarbigen Rändern wurden in 
mehreren Fällen auf bezeichnete Art ausgewaschen und unter Ein¬ 
lage eines Methylviolettgazestroifens in die Tiefe der Wunde ver¬ 
bunden. Immer trat fieberlose Heilung in kurzer Zeit ein, einige 
Male ohne Reaction, unter trockenem Schorf, in der Mehrzahl aber 
unter geringfügiger dicker Eiterung mit reichlicher Granulation; 
die Secretion war immer gering, so daß der Verband 5—8 Tage 
liegen bleiben konnte. Nach Anwendung von Methylviolett bekamen 
eiternde, stark entzündete Wunden immor sehr rasch ein frisches, 
rothes Aussehen, die umgebenden Weichtheile verloren bald die ent¬ 
zündliche Schwellung und Härte. Die Wundheilungsresultate wurden 
durch bacteriologische Versuche bestätigt, indem Staphylococcen in 
Bouillon, welche 0'1 Mgrm. des Farbstoffes auf 5—8 Ccm. Nährlösung 
enthielt, nicht mehr wuchsen; eine Lösung 1 : 1000 tödtete Staphylo¬ 
coccen in 15 Minuten. 

In der chirurgischen Poliklinik des Doc. Dr. Köll'KER in 
Leipzig stellte John Roeloffs mit dem Pyoktanin Versuche an, 
deren Resultate kurz in Nr. 25 der „Berl. klin. Woch.“ mitgetheilt 
werden. Es wurden auf Grund der STiLLiNG’schen Angaben nach 
und nach in 15 Fällen eiternde Processe und granulirende Wunden 
mit der wässerigen Pyoktaninlösung (1 : 2500) behandelt und dabei 


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analog dem Lister- Verband verfahren, allein in keinem Falle konnte 
die von Stilling in Aussicht gestellte Coupirung der Eiterung oder 
auch nur eine Beschleunigung des Heilungsprocesses bemerkt werden. 
Bereits gut granulirende Wunden fuhren hiemit auch unter dem 
Pyoktaninverbande fort, jedoch keineswegs in einer Weise, welche 
von jedem anderen Antisepticum nicht auch erreicht worden wäre; 
noch nicht gereinigte Geschwüraflächen aber zeigten, mit Pyoktanin 
behandelt, nicht die geringste Neigung zur Reinigung, es trat viel¬ 
mehr in einigen Fällen geradezu eine Verschlechterung des Zustandes 
ein, während Sublimat oder Jodoform sofort Besserung schafften. 
Ueberdies stellte sich in 5 von den 15 Fällen, also bei 33 x / s °/ 0 , 
als besondere Complication in Folge der Pyoktaninbehandlung ein 
Eczem rings um den Wundrand ein, welches auf Anwendung vou 
Borsalbe sofort wieder verschwand. Berücksichtigt man außerdem 
noch die durch das Pyoktanin hervorgebrachte intensiv violette 
Färbung, welche für Operateur uud Patienten gleich unangenehm 
und durch Alkohol oder verdünnte Salzsäure nur schwer und un¬ 
vollkommen zu beseitigen ist, so ergibt sich, daß das von Prof. 
Stilling auf Gruud von bacteriologischen Untersuchungen so 
enthusiastisch als Antisepticum empfohlene Mittel zu weiteren Ver¬ 
suchen nicht ermuntert, zumal da auch von ophthalmologiseher 
Seite ähnliche Mittheilungen über ungünstige Erfahrungen vorliegen. 

S. 

Paul Sendler (Magdeburg): Ein Vorschlag* zur Behänd 
lung der Fistula recti und des periprootitischen 
Abscesses. 

Die von Verf. in 11 Fällen mit sehr gutem Erfolge ausge- 
führto, in Nr. 14 der „Deutsch, med Wochenscb.“ mitgetheilte 
Operation wird folgendermaßen ausgeführt: 

Zunächst wird der Kranke einer zwei- bis dreitägigen Vor- 
boreitungscur unterworfen. Er badet, bekommt Abführmittel und 
Darmausspülungen, bis man die Gewißheit hat, daß kein Darminhalt 
mehr das Operationsfeld verunreinigen wird. Kurz vor der Operation 
wird die Umgebung des Afters rasirt, abgeseift, mit in Aetber ge¬ 
tränkter Watte sorgfältig abgeriebeu und mit 1 °/ 00 Sublimatlösung 
energisch abgewaschen. Hierauf wird das Rectum selbst noch einmal 
mit 3°/o Borsflurelösung ausgespült. 

Der tief narcotisirte Kranke befindet sich in Rückenlage mit er¬ 
höhtem Becken; die Oberschenkel werden scharf im Hüftgelenk 
flectirt gehalten. Nun wird zunächst in gewöhnlicher Weise eine 
Hohlsonde von der äußeren Fistelöffnung her in das Rectum ge¬ 
führt und zur Analöffnung herausgeleitet und auf dieser Sonde die 
Fistel sammt Schleimhaut und Sphincter exteruus gespalten. Nach 
Stillung der meist unerheblichen Blutung durch Compression wird 
jetzt mit Pincette und Scheere oder Messer die ganze Fistel exstir- 
pirt, so daß überall blutendes, gesundes Gewebe zu Tage liegt. In 
derselben Weise werden Recessus und etwaige Abscesse breit ge¬ 
spalten, die Granulajionen berausgeschabt, die Absceßwände abge¬ 
tragen, bindegewebige Brücken oder Scheidewände herausgeschnitten, 
so daß auch hier überall normales Gewebe zum Vorschein kommt 
und der Absceß womöglich in eine einzige glattwandige Höhle ver¬ 
wandelt wird. Die Blutung ist hiebei verhältnißmäßig gering und 
läßt sich jedenfalls beherrschen. Meist genügt eine kurze Compression; 
spritzende Arterien werden unterbunden. 

Der Hauptact der Operation ist die jetzt folgende genaue Ver¬ 
einigung der Wundflächen durch die Naht. Bei großen Abscessen 
ist eine sorgfältige, von der Tiefe beginnende Etagennaht unerläßlich, 
bei kleineren läßt sich die Vereinigung sehr gut in der bei Lawson 
Tait’s Methode der Dammplastik gebräuchlichen Weise der Naht 
bewerkstelligen. Aber auch bei großen Abscessen führt Verf. die 
tiefsten Nähte unter dem Grunde der Wunde hindurch. Zuletzt 
wird die Fistel ganz in derselben Weise genäht, wobei darauf zu 
achten ist, daß auch die Ränder der durchschnittenen Musculatur 
wieder genau vereinigt werden. Den Schluß bildet die Naht der 
Schleimhaut des Rectums. Hat die Spaltung hoch hinauf stattge¬ 
funden, so wird bei dieser Vornahme am besten ein Rinnenspeculum 
eingesetzt. 

Als Nähmaterial empfiehlt sich für die versenkten und Schleim- 
hautnähte sorgfältig zubereitetes und desinficirtes Catgut verschiedener 


Stärke, das vollkommen ausreicht; nur für die Hautränder pflegt 
Verf. ausschließlich Jodoformseide zu verwenden. 

In dieser Weise gestaltet sich das Verfahren in den ein¬ 
facheren Fällen, bei welchen man höchstens mit Abscessen auf einer 
Seite des Rectums zu thun hat; aber auch bei den schweren, aus¬ 
gedehnten Absceßbildungen, bei denen wir den größten Theil des 
Mastdarms abgehoben und umspült finden, läßt sich wenigstens ein 
Theil des Operationsterrains jedesmal in der beschriebenen Weise 
herrichten. Den Rest kann man zuweilen durch Hilfsschnitte noch der 
Naht zugänglich machen. Geht auch das nicht an, so wird man 
durch eine energische Ausschabung die Gefäßwände säubern und 
nach dem tiefsten Punkte drainiren. In solchen Fällen kann sich 
der Eingriff zu einer plastischen Operation gestalten, deren 
zweckmäßigste Anlage der Invention des Einzelnen überlassen 
werden muß. 

Der Verband der so versorgten Operationswunde ist höchst 
einfach. Nach Bepuderung der Nahtlinie der Schleimhaut und der 
äußeren Haut mit Jodoform empfiehlt es sich bei großen Fisteln 
und Abscessen, einen Jodoformgazetampon in das Rectum einzu¬ 
führen; in leichteren Fällen ist diese Vorsicht entbehrlich. Im 
Uebrigen genügen etwas gekrüllte Jodoformgaze und Watte, oder 
ein unterlegtes Mooskissen, das mittelst einer doppelten T-Binde 
festgehalten wird, vollkommen allen Anforderungen. 

Auch die Nachbehandlung ist die denkbar einfachste und 
Bchonendste. Der Kranke wird mit lose zusammengebundenen Beinen 
zu Bette gebracht und hat ungefähr 5—6 Tage hindurch eine 
möglichst ruhige Lage einzuhalten. Während dieser ganzen Zeit 
erhält er Opium zur Anhaltung des Stuhles und ganz leichte Diät. 
Nach dieser Zeit werden die Hautnähte und, wo ihre Anwendung 
nöthig erscheint, auch die Drains entfernt, und durch 01. Ricini und 
Eingießungen für leichte Stuhlentleerung gesorgt. Auch von unge¬ 
duldigen Krankeu wird dieser Zwang gern ertragen, da sie keine 
Schmerzen oder sonstige Unbequemlichkeiten zu erleiden haben, 
sich im Gegentheil meist vollkommen schmerzfrei und behaglich fühlen. 

Ist glatte prima intentio eingetreten, so ist hiemit die ganze 
Behandlung beendigt, und thatsächlich sind einige so operirte Kranke 
in 5—6 Tagen vollständig geheilt gewesen. Ein so günstiges 
Resultat kann man aber natürlich nur in ganz leichten, uncompli- 
cirten Fällen erwarten. Meist ist noch eine nach allgemein gütigen 
chirurgischen Regeln durebzuführende Nachbehandlung nöthig, aber 
auch in den schwersten Fällen war nach annähernd 4—5 Wochen 
die Heilung vollendet, und spätestens nach 14 Tagen jeder so 
operirte Kranke im Stande, das Bett zu verlassen. 

Außer der kurzen Heilungsdauer hat die Methode noch einen 
anderen beachtenswertben Vortheil. Wie aus der Durchsicht der bei¬ 
gefügten Krankheitsgeschichten hervorgeht, ist es nicht in jedem Falle 
gelungen, eine vollkommene oder wenigstens theilweise prima intentio 
herbeizuführen, ausnahmslos ist aber eine primäre Vereinigung der 
Musculatur und des Darmrohres erzielt worden, so daß kein einziger 
der Kranken je Mühe gehabt hat, den andrängenden Stuhl 
zurückzuhalten; alle besitzen vollständige Continenz auch gegen 
flüssigen Stuhl und Flatus. 

Daß die Methode für das Anfangsstadium der aciiten septischen 
Phlegmonen des perirectalen Zellgewebes, die gelegentlich auch in 
den Mastdarm durchbrechen, nicht paßt, ist selbstverständlich. 
Zweifelhaft könnte man nur bei außergewöhnlich ausgedehnten tuber- 
culösen Processen sein. Hier entscheidet die Rücksichtnahme auf 
das Allgemeinbefinden und der Zustand der übrigen Organe des 
Körpers. Daß man Tuberculöse in vorgeschrittenem Krankheits¬ 
stadium nicht ohne zwingenden Grund einer eingreifenden, radicalen 
Behandlungsweise unterwirft, ist allgemein anerkannter Grundsatz 
der Chirurgie. Im Anfänge der Tuberculöse aber ist die empfohlene 
Operationsmethode der Fistula recti eben wegen der abgekürzten 
Heilungsdauer die beste Therapie. M. 


Schuster: Wann dürfen Syphilitische heiraten? 

Eigentlich sollte der Titel der vorliegenden Monographie 
lauten: Wie sollen Syphilitische behandelt werden ? Denn ganz 
abgesehen von den nur Bekanntes bringenden theoretischen Aus¬ 
einandersetzungen der Uebertragung der Syphilis durch Contact und 


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Heredität kommt Schuster der oben gestellten Frage in keiner 
Weise näher. Desgleichen acceptirt er, ohne tiefergehendes Ein¬ 
gehen den von allen Syphilidologen längst anerkannten Satz mehr¬ 
jähriger Pause zwischen Infection und Ehe, die er aber, im Gegen¬ 
satz zu den Meisten, die 3—4 Jahre verlangen, auf 2 Jahre 
herabdrückt. Während dieser 2 Jahre verlangt Schuster mit Recht 
wiederholte antiluetische Therapie, deren Wiederholung er im 
Gegensatz zu der von Fournier, Neisser, Finger geforderten 
chronischen intermittirenden Behandlung in 5—lOmonatlichen 
Pausen verlangt und dann an Energie steigert. Daß er bei recenter 
Infection einer graviden Mutter, sowie bei wiederholter Gravidität 
luetischer Frauen während der Gravidität auf energische Behand¬ 
lung dringt, geschieht gleichfalls conform alten, schon längst aner¬ 
kannten Grundsätzen. ' f. 


Klinik der Verdauungskrankheiten. Von Dr. C. A. 

Ewald, Professor e. o. an der Universität, dirigirender Arzt 

am Augusta-Hospital zu Berlin. II. Die Krankheiten des Magens. 
.. Zweite, neu bearbeitete Auflage. Berlin 1889. Aug. Hirschwald. 

Der Leser der ersten Auflage hat die überaus gründliche 
Bearbeitung des Gebietes der Magenerkrankungen kennen und 
schätzen gelernt. Es lag eben vor, was an Erkenntnissen, zum nicht 
geringen Theil durch die eigenen Untersuchungen Ewald’s über den 
klinischen Befund, die chemischen Merkmale, Äetiologie und Behandlung 
der einzelnen Krankheitsgruppen geschaffen worden. 

Die neue Auflage hat gehalten, was von dem unermüdlich 
weiter productiven Autor erwartet werden konnte: eine sorgfältige 
Berücksichtigung aller neuen Thatsachen und eine vorurtheilslosere 
Würdigung fremder Verdienste, endlich ein Abstreifen der im raschen 
Federzug einer ersten Auflage so leicht miteinfließenden polemischen 
Spitzen. Mit dem Inhalt hat auch der Umfang des Werkes merklich 
zugenommen, und ist dabei die anziehende Lebendigkeit der Darstellung 
erhalten geblieben. Wenn wir daran erinnern, daß das Werk in 
bewundernswerter Beherrschung der gesammten älteren und neueren 
Literatur tatsächlich das vorliegende Wissen umfaßt, so ist damit 
auch sein hoher Wert für Jeden gekennzeichnet, der über das 
Gebiet des praktisch Wichtigen sich zu eigenem Schaffen ausrüsten will. 

DaS Buch Ewald’s, zumeist aus der Sammlung der Literatur 
entstanden, bietet auch gewisse Einseitigkeiten, vielbeschriebene, wenn 
auch seltenere Krankheiten breiter zu behandeln, als die alltäglichen 
Leiden. So ist das Capitel Mageuerweiterung nahezu ausschließlich 
der Besprechung der classischen Dilatation mit schwerer Hemmung 
der Magenentleerung, mit abundantem Erbrechen u. s. f. gewidmet, 
die mechanische Insufficienz und die atonische Muskelschwäche sind 
nur in flüchtigen Bemerkungen gestreift, weder klinisch geschildert, 
noch bei der Therapie berücksichtigt. Und doch kann jeder Arzt, 
nicht blos etwa ein Specialist für Magenkranke, sich überzeugen, 
daß die mechanische Insufficienz und die Atonie des Magens weit 
mehr als zehnmal öfter den Arzt beschäftigen als die classische 
Dilatation. Weiter kann man sich recht leicht davon überzeugen, 
daß, was therapeutisch für die classische Dilatation gilt, durchaus 
nicht für die Atonie sich eignet. Wenn sich gelegentlich neben 
Megastrie nur Atonie findet, so ist doch sicher in keiner Weise 
auch nur wahrscheinlich gemacht, geschweige denn durch mehr als 
das Vorangehen blos leichter dyspeptischer Beschwerden vor dem 
Einbruch peinlicher Magenbeschwerden nahegelegt, daß die Atonie und 
die classische Dilatation ätiologisch und dem klinischen Verlauf nach 
als verschiedene Stadien einer Erkrankung anzusehen wären, wie 
das pseudohypertrophische und das atrophische Stadium der juvenilen 
Dystrophie Erb’s. Jeder Arzt erlebt es recht häufig, Fälle von Atonie 
von 5-, 10- und löjährigem Bestände zu beobachten, die auch dann 
noch kein Symptom der classischen Dilatation geben, weder über 
die Nabelhöhe weit herabreichende untere Magengrenze, noch das 
typische Erbrechen; Fälle, die mit Ausspülungen des Magens in der 
Regel keine merkliche Besserung erlangen, ebenso mit einer ängstlichen 
und spärlichen Getränkezufuhr nur flüchtige Erfolge zeigen, dagegen 
mit Alkalien, wie Natrium bicarbon, wie wir erprobt haben, zwei Stunden 
nach den großen Mahlzeiten, bald symptomenlos werden. Und so ließen 
sich noch lange Reihen zwingender Gründe anführen, daß die mecha¬ 


nische Insufficienz und die Atonie des Magens eine breite und völlig 
von der classischen Dilatation getrennte Behandlung verdienen 
und erfordern. Dann wird auch, wo sich mechanische Störung 
der Magenentleerung als selbstständiges Leiden, nicht blos als 
Folge oder Begleiterscheinung von Ulcus, Pylorusnarben, paren¬ 
chymatösen Erkrankungen der Magenwand, Carcinom, Gastritis, 
Cirrhose, Atrophie zeigt, ein aushilfsweises Einschieben der Atonie 
an mehreren Orten entfallen können. Wir können wohl außer der 
präcisen Differenzirung der classischen Dilatation und der Atonie 
durch Kussmaul, insbesondere auch W. Leube’s jüngst erschienene 
Ausführungen zur Bekräftigung heranziehen, daß wir nicht unserer 
vorgefaßten Meinung folgen, sondern eine von den maßgebendsten 
Autoren getragene Ueberzeugung aussprechen. 

Es kann gewiß nicht geleugnet werden, dass es nicht selten 
neben mechanischer Insufficienz oder Atonie des Magens auch 
nervöse Erscheinungen gibt. Eine ziemlich hohe Zahl solcher Kranker 
kommt darum auch in die Consultation von Neuropathologen. Das 
uns vorliegende Krankenmateriale ergibt aber ziemlich ausnahmslos, 
daß die Magenbeschwerden, oder wenigstens das Sinken der Appetenz, 
die Abmagerung, das sich matter Fühlen das Primäre sind und erst 
später die mannigfachsten nervöses Zustände : Kopfschmerz, Migräne, 
Schwindel, Angstzustände, Cardiopalmus, Schlafmangel, mannigfache 
Neuralgien, oder unzweifelhafte kachetische Neuritis, oder typische 
neurasthenische oder hysterische Symptome sich eingestellt haben. 
Dann wäre es aber unberechtigt, die längstvorangegangenen Störungen 
der Verdauung als eine Neurose zu bezeichnen. Es ist ja richtig, 
daß manche solcher Kranken erst bei genauem Examen sich erinnern, 
wie lange sie schon sichtlich herabgekommen sind, weniger Lust am 
Essen hatten, ihre Kleider zu weit fanden, oder sich bei etwa vor¬ 
genommener Körperwägung von einer Gewichtsabnahme überzeugten. 
Doch darüber ließe sich am Ende öfters streiten, wenn man etwa 
die Hypothese macht, daß eine Magenneurose besonders häufig andere 
nervöse Zustände einleite. 

Sowie man aber an die Therapie dieser vermeintlichen Neurose 
geht, dann kommt man gewiß von dieser Diagnose zurück, wenn 
man solche Fälle verfolgen und den Werth verschiedener therapeu¬ 
tischer Versuche beobachten kann. Nervina, Reisen, Badeorte, 
Aufenthalt an der See sind entweder vollständig ohne Einfluß oder 
höchstens nur soweit, als über ihren Büchern, ihren Acten, ihren 
Correspondenzen brütende Menschen nun Zeit haben, sich etwas mehr 
Bewegung zu machen und dabei weniger als bei der Arbeit 
an Obstipation leiden. Im Uebrigen ist das Schicksal dieser 
Kranken dasselbe, ob sie nebenbei an Neurasthenie oder an Hysterie 
oder an bloß anämisch-nervösen Symptomen leiden. Sowie man 
aber bei solchen, bei Percussion des Magen auch objectiv mäßige 
Vergrößerung des Magenschalles zeigenden Personen 2 Stunden 
nach Tisch und 2 Stunden nach dem Abendessen Alkalien reicht, 
dann schwindet bald nach Tagen, bald nach wenigen Wochen die 
ganze Reihe von Beschwerden. Es ist richtig, daß etwa 3 / 4 aller 
Magenkranken an den Symptomen der Atonie des Magens leidet, 
wie Ewald hervorhebt. Wenn nun thatsächlioh mindestens in der 
großen Mehrzahl der genannten Kranken, wenn sie objectiv einen 
vergrößerten Magenschall zeigen, so wie unsere Erfahrungen und die 
einer Reihe von Collegen bestätigen, durch Alkalien die Symptome 
schwinden, wenn wir experimentell an dem Magen eines Fistel- 
kranken mit objectiven Erscheinungen von Atonie zeigen konnten, 
daß ein normaler Salzsäuregehalt schon einen schmerzhaften und 
unüberwindlichen Krampf der Muskulatur des Antrum pylori auslöst, 
der durch Alkalien sofort gehoben wird, dann dürfte es denn doch 
gewagt sein, mit Ewald von einer bloßen Hypothese zu sprechen, 
oder gar zu fürchten, „in das breite Fahrwasser der Speculation“ zu 
gerathen. Es wäre passender gewesen, den Versuch zu wiederholen 
und sich zu überzeugen, ob sich ein gepriesenes Mittel eines ernsten 
Beobachters bewährt oder nicht. Die von uns vor mehr als zwei 
Jahren berichteten Krankengeschichten beweisen, daß mit dieser 
Methode sich monatliche Körpergewichtszunahmen von 1 — 5 Kgr. 
und Gesammtzunahmen bis zu 24 Kgr. erzielen ließen. Auch unsere 
seitherigen Erfahrungen gaben analoge Resultate, die doch als recht 
objective Beweisgründe gelten können. Allerdings wurden auch 
diätetische Vorschriften gemacht, die einen Stoffansatz ermöglichten. 


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Wenn der bekannte physiologische Chemiker Docent Dr. Immanüel 
Münk empirisch bei Fütterungsversuchen eine andere alkalische 
Verbindung, das Calcium carbonicum, bewährt fand, und neuestens 
Docent Dr. Klemperer ebenfalls damit erreichte, daß sonst nicht 
zuträgliche, enorme Fettmengen vertragen wurden, dann sollte man 
denn doch meinen, daß etwas daran sein müsse. 

Gegenüber den sonst wahre Krankheitseinheiten behandelnden 
übrigen Capiteln macht auch in Ewald’s Darstellung die Besprechung 
der Neurosen noch immer den Eindruck einer regellosen Mengung 
von bloßen gastrischen Symptomen anämisch-nervöser, oder direct 
eine Neurose darbietender Kranken, und anderen, eine selbst¬ 
ständigere Stellung einnehmenden Leiden. Wir gestehen gerne die 
ungeheure Schwierigkeit, bei dem heutigen Stande des Wissens eine 
völlig natürliche Gruppirung dieses Vielerlei vorzunehmen. Aber das 
von Ewald durchgeführte Trennen des descriptiven Theiles von 
der Therapie, das aphoristische, rein symptomatische der letzteren 
kann wohl nicht zu mehr führen, als zu einem wenig überlegten 
Probiren, ein Symptom los zu werden, statt die individuell vor¬ 
liegenden Bedingungen zu heben, als Atonie oder mechanische In- 
sufficienz oder liypersecretion etc. des Magens, Anämie, Emaciation, 
Adipositas, Chlorose, Coprostase, Schlafmangel, profuse Menstruation 
u. 8. f., oder bestimmter neurotischer oder psychischer Vorbedin¬ 
gungen , was in der Regel alleiu mehr als ein bloßes Stillen eines 
Symptomes leisten kann. Eine Trennung der Indicationeu in causale, 
symptomatische und Indicatio morbi ist gerade hier dringend 
nöthig und dem Lernenden an’s Herz zu legen, wenn er nicht zu 
einem gedankenlosen Receptschreiber werden soll. 

Docent Dr. R. v. Pfungkn. 

Zeitungsschau. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Ref.: Prof. Ludwig Kleinwächter. 

(Fortsetzung.) 

Ueber Tubenerkraukungcn und deren Therapie 
erschienen nur wenige, aber dafür umso wertbvollcro Arbeiten. Die 
wichtigste ist jene W. A. Freund’s. Die Neigung zur Erkrankung, 
sowie die Schwere derselben, die Iutensität der subjectiven, sowie 
der objectiven Krankheitssymptome, die verschiedenen Formen der 
anatomischen Krankheitsbefunde und endlich der Verlauf der Tubar- 
gravidität werden in bisher unbekanut gebliebener Weise sehr 
wesentlich dadurch bedingt, ob die Tuba sich normal entwickelte, 
oder ob sie „im Zustande einer partiellen Insufficieuz“ auf einer 
fötalen Entwicklungsstufe stehen blieb. Die normale Tuba ist ge 
streckt, die mangelhaft gebildete gekrümmt. Die Gegenwart oder 
das Fehlen dieser abnormen Krümmungen ist es, wodurch das 
Krankheitsbild ein anderes wird. Graviditäten oder Kraukheiten 
abnorm gewundener Tuben sind viel bedeutungsvoller, als solche 
normal gebauter, gestreckter. Sackförmige Tuben braucht man 
häufig nur aufzuschneiden und auszuwaschen, während solche er 
krankte, die mangelhaft entwickelt sind, oft eliminirt werden müssen 
u. dgl. m.— Eine bisher an der Lebenden nicht beachtete und ana¬ 
tomisch nur von Chiari beobachtete Tubenerkrankung beschreibt 
Schauta in Prag. Es handelt sich um eine Frühform einer chroni 
sehen Salpingitis, bei der nur das uterine Ende der Tuba zu einem 
erbsen- bis bohnengroßen Tumor verdickt erscheint, bedingt durch 
eine locale Hyperplasie und Hypcrtrophio der Muscularis, in welche 
hinein die Mucosa Ausbuchtungen treibt, die sich zuweilen abschnüreu, 
so daß sich hanf- bis halberbsengroße Cysten bilden. Hervorgerufen 
wird das Leiden, die „Salpingitis isthmica nodosa“, durch Fort¬ 
leitung entzündlicher Processo der Utcrusmucosa. Daß sich diese 
Knoten gerade am Isthmus bilden, ist dadurch bedingt, daß die 
Tuba hier am engsten ist und die entzündlich geschwellte Tubar- 
mucosa Ausstülpungen nach außen mit folgender Hyperplasie der 
Muscularis erzeugt. Die Symptome sind die der Salpingitis mit 
charakteristischen Koliken, Folgen der Contractionon der Tubar- 
muscularis. Die Therapie ist eine symptomatische; bei schweren, 
den Lebensgenuß und die Arbeitsfähigkeit aufhebenden Erkraukuugs- 
formen muß die Tuba entfernt werden, wie dies Schauta that. 


Einen gleichfalls wichtigen Beitrag zur Lehre der Tubenerkrankungen 
liefert H. J. Boldt unter dem Titel „Interstitial-Salpingitis“. Die 
Entzündung der Tuba ist nie eine primäre, sondern immer eine, 
meist vom Uterus aus, fortgeleitete. Sie befällt nur die Mucosa 
oder die ganze Wand. Im ersten Falle ist sie catarrhalisch oder 
eiterig, im zweiten ist sie interstitiell, befällt das Bindegewebe 
zwischen den Muskelfasern und variirt. zwischen einfacher Ent¬ 
zündung und vollständiger Zerstörung des Gewebes durch Eiterung. 
Die ersten anatomischen Zeichen der interstitiellen Entzündung sind 
Oedeme des Bindegewebes zwischen den Muskelbündeln. Dabei sind 
die Blutgefäße stark gefüllt, erweitert, und um dieselben liegen 
weiße Blutkörperchen und Entzündungskörperohen. Das zweite 
Stadium charakterisirt sich durch eine bedeutende Menge von Ent- 
zflndungskörperchen, in welche auch ein großer. Theil der Muskel¬ 
fasern zerfällt. Zuerst zerfallen die Kerne der Muskelfasern und 
dann letztere selbst in die erwähnten Entzündungskörperchen. Hält 
das Gewebe nicht mehr zusammen, so kommt es zur diffusen oder 
circumscripten Eiterung, zu einem Abscesse, zur sog. folliculären 
Salpingitis. Nach der Zerstörung des Muskelgewebes kann die 
chronische interstitielle Salpingitis zu einer Neubildung fibrösen 
Bindegewebes führen, wodurch die einfache Hyperplasie oder Pseudo¬ 
hypertrophie entsteht. Auch Hyperplasie des Muskelgewebes allein 
kommt vor. Schließlich kann der Proceß in Atrophie enden. Dann 
nehmen hauptsächlich die Falten der Muoosa daran Theil. Die 
Epithelien werden kürzer und schmäler, die Cilien schwinden, die 
Kerne theilen sich, und finden sich an der Grenze der Mucosa 
Nester von Entzündungskörperchen. Nach Gussbrow fällt die Aetio- 
logie des Pyosalpinx mit jener der Perimetritis zusammen, denn 
immer geht letztere der ersteren voraus. Häufig ist die Gonorrhoe 
das krankheitserregende Moment, aber nicht immer. In Folge der 
vorausgegangenen Perimetritis sind immer die Ovarien mitbetheiligt 
Sie sind mit der Tuba verwachsen, oft ist das Ovarialgewebe nebenbei 
ergriffen u. s. w. Die geschwellte Tuba und die Krankheits¬ 
symptome stellen sich erst nach Ablauf des acuten Stadiums ein. 
Die Symptome Druck-Schmerzempfindung im Becken treten immer 
nach körperlichen Anstrengungen und nicht selten zur Menstruations* 
’ieit ein. Häufig'sind''die kofikärtigen Schmerzen mit peritonitischen 
Erscheinungen complicirt. Die Kranken schweben in der Gefahr 
der Ruptur des Pyosalpinx, die namentlich dann groß ist, wenn der 
Eiter Infectionsträger (z. B. Gonococcen) enthält. Die DiagnoBe ist 
nur aus dem Tastgefühle zu stellen. Man findet die Zeichen der 
Perimetritis, unter einander verklebte und fixirte Beckenorgane, 
Stränge im Douglas. Außerdem findet man dem Uterus mehr oder 
weniger innig anliegend eine, resp. zwei längliche Geschwülste, von 
einer Seite zur anderen meist etwas beweglich, die sich aber nicht 
aus dem Beckeu verdrängen lassen. Bei ausgedehnten perimetrischen 
Zuständen ist die Diagnose oft schwierig, weil Ovarien und Tuben 
nicht selten in ein Knäuel mit einander verbunden sind. Die Therapie 
besteht meist nur in der Entfernung der Tuben, wobei gewöhnlich 
auch das betreffende Ovarium mit eliminirt werden muß. — Ueber 
zwei Fälle von Pyosalpinx, von denen einer erwiesenermaßen gonor¬ 
rhoischen Charakters war, berichtet Meinert in Dresden. Er nahm 
die Incision von der Vagina aus mit glücklichem Erfolge vor. Berrüti 
dagegen macht den Vorschlag, um den Gefahren der Laparotomie 
bei Pyosalpinx zu entgehen, den Uterus zu dilatiren, seine Muoosa 
mit dem Löffel in den Tubenecken namentlich abzukratzen und 
hierauf die Tuba zu katheterisiren. Dieses Vorfahren ist möglichst 
früh vorzunehmen, denn wenn einmal der Proceß länger angedauert, 
vermag man die Tuba nicht mehr zu katheterisiren. 

Ueber Ovarialgeschwülste veröffentlichte Nagel eine 
wichtige Arbeit. Die bei chronisch entzündeten Ovarien unter der 
Oberfläche liegenden Cystchen, die zuweilen noch mit Einsenkungen 
des Oberflächenepithels in das Ovarialgewebe nachweisbar commu- 
uiciren, sind nur Folgen einer chronischen Oophoritis und geben 
den Ausgangspunkt zur Bildung epithelialer Geschwülste, namentlich 
der Cystome, ab. Ein Aulauf zur Neubildung von Follikeln und 
Eiern sind diese Gebilde, wie man meinte, nicht, denn die post 
embryonale Entstehung solcher Gebilde ist eine Unmöglichkeit. Die 
in diesen Cysten liegenden, concentrisch geschichteten Kugeln sind 
nur Epithelproducto und den Ilornperlen der Hautcarcinome gleich¬ 
zustellen. Auch die größeren Cysten sind keine GRAAF’schen 


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Follikel, denn sie haben nnr eine Auskleidung von einfachem kubi¬ 
schem Epithel, keine eigentliche Wandung, enthalten kein Ovum 
und besitzen eine unregelmäßige Gestalt. Diese Epitheleinsenkungen 
bilden den Ausgangspunkt epithelialer Ovarialgeschwülste. Aus der 
Epithelwucherung gehen die typischen Cystome und alle anderen 
Abarten epithelialer Neubildungen, wio Adenome und Carcinome, 
hervor. Abzutrennen von diesen Neoplasmen sind die Flimmer-- 
epitbclcysten, die aus den Paraovarialsohläuchen bervorgehen, die 
wahreu Cysten des Ligamentum latum und die epithellosen ein- 
kämmerigen Cysten. 

Die Lappenperineorraphie, namentlich die sogen. 
Lawson TArr’scbe Operatiönsmetbode, welche die Gynäkologen im 
Jahre 1887 lebhaft beschäftigte, hat auch 1888 für die Fachmänner 
nicht an Interesse verloren, Gestützt auf literarische Forschungen, 
vindioirt Sängeb die Priorität dieses Operationsmodus Voss. Sänger, 
der die-er Operatiousmcthode in Deutschland Eingang verschaffte, ver¬ 
besserte die Operation in neuester Zeit insoferne, als er für die tiefen 
Nähte weichen, nicht legirten Silberdraht, und für die oberflächlichen 
beliebig Silkworm, Seide oder Catgut verwendet. Seine weiteren 
technischen Verbesserungen bestehen in Folgendem: 1. Bei voll¬ 
ständigem Dammrisse spaltet er von dem feinen Saume des Septum 
recto-vaginale aufwärts zuerst mit dem Messer, dann, wenn der 
Scheidenlappen so weit frei präparirt ist, daß man ihn mit einer 
Klemmpincetto fassen und anspannen kann, vollendet er die Spaltung 
mit der Scheere. 2. Bei Einlegen der Silberdräbte faßt er jetzt den 
Hautrand mit, aber höchstens bis zu einer Entfernung von 1 Mm. 
von der Wunde. 3. Zwischen die Silberdrähte legt er keine oberfläch¬ 
lichen Zwischennähto mehr an, nur nach dem Rectum hin verwendet 
er noch solche. 4 Um die Rosette oder Falte des Scheidenlappens 
vor nachträglicher Necrose zu schützen, führt er am vorderen Theile 
die seitlichen Schnitte recht tief in die großen Labien hinein, um 
einen rocht dicken Lappen *u erhalten und ferner dadurch, daß er 
deu oberen queren Rand des Scheidenlappens durch einen durch die 
Fläche hindurch gelegten feinen Silberdraht so schließt, daß höchstens 
ein feiucr Spalt sichtbar bleibt. 5. Vom 8. Tage post operationem 
an werden die • Silberdrähte einzeln entfernt, der letzte gewöhnlich 
am 12. Tage. Zweifel, der ebenfalls ein warmer Freund dieser 
Operation ist, wendet sie auch bei unvollkommenem Dammrisse an. 
Behufs Querspannung werdeu 2 Finger in das Rectum gelegt. Nun 
schneidet man in der Mitte der hinteren Vaginalwand, resp. über 
die Narbo des Risses herunter durch die ganze Dicke der Vaginal¬ 
schleimhaut, dann quer nach beiden Seiten an die Stelle der neu 
zu bildenden hinteren Commissur. Es werden so 2 dreieckige 
Lappen umgrenzt, selbe mit Messerzügen unterminirt und dann die 
Höhlenwunde durch eine fortlaufende versenkte Catgutnaht vereinigt. 
Dann wird nach Knotung der letzten Vaginalnaht die hintere Com¬ 
missur nach vorn gespannt, und kommen noch so viele Nähte an 
den Damm, als zur Vereinigung nöthig sind. Sehr warm lobt auch 
Winiwarter die sog. LAWSON’sche Perineorraphie, während dies 
C. Rokitansky nicht thut. 

Fritsch überträgt das Charakteristische und Wesentliche der 
Lawson TAiT’schen Perineorraphie, die Lappenbildungen, auf pla¬ 
stische Operationen der Vagina. Bei der EMM&T’schen 
Lacerations-Ectropium-Operation trennt er den oberen Winkel, in den 
oft die Vagina in den Riß hineingezerrt ist, ab, und spaltet dann 
die Partie durch einen Längsschnitt von oben nach unten. Durch 
die einander entsprechenden Wundränder werden abwechselnd innen 
und außen Suturen gelegt. Bei Blasenscheidenfisteln dagegen legt 
er über die Fistel hinweg einen Längsschnitt, präparirt dann seitlich 
die Lappen etwa 0*75 breit, worauf er sie durch wenige Nähte 
vereinigt. Die Wundränder müssen dabei auf das Genaueste an 
einander gelegt werden. Bei Fisteln, welche fest an den Knochen 
angewachsen siud, wird der feste Rand in der alten Weise ange¬ 
frischt und aus dem freien, beweglichen Rande ein Lappen ge¬ 
bildet, der den Defect deckt. Bei hochgelegenen Mastdarmscheiden¬ 
fisteln wird einfach angefrischt, wie bei der Prolapsoperation. Bei 
den häufigeren Anovestibulusfisteln wird ein halbmondförmiger Schnitt 
dicht oberhalb der Fistel mit der Convexität nach unten geführt 
und rin großer Lappen, die Columna rugamm, abgelöst. Ein con- 
centrischer Schnitt wird so unterhalb gelegt, daß der dazwischen 


liegende Halbmond abpräparirt wird. Beide Schnittlinien lassen sich 
durch das Herabziehen des oberen Lappens leicht vereinigen. Die 
Prolapse operirt er meist nach Franck. Vor dem After führt er, 
der hinteren Commissur parallel, einen halbmondförmigen Schnitt von 
6—7 Cm. und von diesem aus löst er 6—7 Cm. tief den Zusammen¬ 
hang zwischen Rectum und Vagina mit der Scheere. In der Tiefe 
vereinigt er das Gewebe sagittal durch versenkte Nähte. Die ovale 
Dammwunde verzieht und vernäht er so, daß ebenfalls eine sagittale 
Naht entsteht. 

Nach einer neueren Methode operirt Firnio. Die Scheide 
wird an der Grenze zwischen äußerer Haut und Schleimhaut huf¬ 
eisenförmig Umschnitten. Die Länge der Schenkel des Hufeisens 
bedingt die spätere Höhe des Dammes. Die Scheide wird dann in 
ihrer ganzen Ausdehnung bis zum hinteren Scheidengewölbe mit 
stumpfer Gewalt vom Mastdarme abgelöst. Es wird kein Scheiden¬ 
gewebe excidirt, sondern das scheinbar überflüssige Gewebe wird 
durch versenkte Catgutligaturen, welche in der ganzen Länge der 
losgelösten Scheide auf der dem Mastdarm zugekehrten wunden 
Fläche etagenförmig gelegt werden, zu einem Wulste nach der 
vorderen Scbeidenwand hin umgestaltet. Es entsteht so ein lebender 
Tampon, der mit der Unterlage fest verwachsen ist. Der Vaginal¬ 
wulst wird mit der Zeit niedriger, die Vagina aber bleibt mit der 
Unterlage fest verwachsen. Die Vereinigung der durch Ablösen der 
Vagina entstandenen Dammwunde mit tiefen und oberflächlichen 
Silbersutureu erfolgt auf bekannte Weise. In einem Falle nähte er 
gar nicht, sondern stopfte die Wuudhöhle nach Ablösung der Vagina 
einfach aus und ließ sie per granulationem von inuen nach außen 
heilen. Der Damm wurde dann auf einfache Art in der 3. Woche 
vereinigt. Cohij äußert sich, gestützt auf die Erfahrungen der 
Olshausen’ sehen Klinik in Berlin, dahin, daß man, um bei Prolaps¬ 
operationen eine definitive Heilung zu erzielen, auf folgende Momente 
zu achten habe: 1. Prolapse, namentlich der hinteren Vaginalwand, 
sind möglichst früh zu operiren. 2. Die Vagina ist in toto möglichst 
zu verengen (hoho Colporraphia posterior). 3. Es ist ein möglichst 
hoher Damm mit Verlagerung des verengten Introitus herzustellen. 
Je höher der Damm, jo fester der Beckenboden und jo mehr da¬ 
durch die Vagina nach vorne gezogen wird, desto günstiger sind 
die Chancen einer definitivon Heilung. Seine bereits oben angeführte 
Operationsmethode wandte Schücking in zwei Fällen, angeblich mit 
Erfolg, auch bei Prolapsus uteri an. 

Vesicocervicalfisteln sind bekanntlich am schwierigsten 
zu operiren. Sänger und Williams geben jeder für sich eine 
neue Operationsmethodo an, mittelst welcher es ihnen gelang, die 
Fistel zum Verschlüsse zu bringeu. Ersterer brachte Patientin in 
die Seitenlage uud spaltete die Cervix beiderseits hoch hinauf. Dann 
wurde auf der rechten (oberen) Seite die Cervicalmucosa mit der 
Vaginalmucosa vernäht. Auf der linken Seite wurde die Fistel 
hinüber aufgefrischt, wie bei der EMMET’schen Lacerationsoperation, 
und ebenso wie bei dieser eine Naht mit 4 Seidensuturen angelegt. 
Williams fixirte die Cervix und trennte von dieser vorne, wo die 
Fistel lag, die Vaginalwand ab, und zwar bis über die Fistel 
hinaus. Dann verschloß er das Loch in der Blase und hierauf jenes 
in der Cervix. Schließlich wurde die Vagina wieder an die Cervix 
angenäht. (Fortsetzung folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— In einer in der k. Akademie der Wissenschaften 
in Wien am 6. Juni gemachten Mittheilung über die Giftigkeit 
der bösartigen Geschwülste (Krebse) gelangt Prof. Adamkiewicz 
(Krakau) zu dem Schlüsse, daß in den Geweben der wahren Krebse 
ein sjift enthalten ist. Da es eine hervorragende Charaktereigen- 
thümlichkeit der Krankheitsgifte ist, nicht nur unter den Individuen, 
die man als „disponirt“ bezeichnet, sondern in den befallenen In¬ 
dividuen auch noch unter ihren Organsystemen eine bestimmte 
Wahl zu treffen — was man eine „prädilectorische“ Eigenschaft 
der Krankheitsgifte nennen kann — so lag es nahe, auch der Ver- 
mutbung Raum zu geben, daß ein menschliches Krankheitsgift bei 
der Uebertragung auf ein Thier vielleicht l. seine Eigenschaften 
ändere und 2. in seiner Wirksamkeit wesentlich von der Natur 


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der Impfstelle abhänge. • Wie diese Vermutbungen einerseits die 
bisherigen Mißerfolge der Krebsübertragungen von Mensch auf Thier 
dem Verständniß näher rückten, so stellten sie andererseits neuen 
Forschungen auf diesem Gebiete ganz bestimmte Fragen. Diese 
Fragen sind: Läßt sich eine irgendwie geartete Giftwirkung der 
Krebssubstanz auf den thierischen Organismus überhaupt nach- 
weisen? Und ist die Wirksamkeit des Krebsgiftes auf den Orga¬ 
nismus des Thieres von der Natur der Impfstelle abhängig? — 
Seine an Kaninchen angestellten Versuche geben auf diese Fragen 
zunächst folgende Antworten: Das frisch aus dem Körper des 
Kranken entnommene unveränderte Krebsgewebe enthält einen 
Giftstoff. Dieses Krebsgift tödtet Versuchsthiere in wenigen Stunden. 
Das Krebsgift wirkt nur vom Nervensystem aus und führt den Tod 
durch Lähmung des Gehirns herbei. . Siedehitze und desinficirende 
Stoffe (Carboisäure) heben die Wirksamkeit des Krebsgiftes auf. Die 
im Gewebe der Carcinome und an den Orten ihrer Uebertragung 
stets nachweisbaren Mikroorganismen scheinen indessen die Träger 
jenes Krebsgiftes nicht zu sein. Durch Uebertragung des Krebs¬ 
gewebes auf geeignete Nährböden gewinnen auch diese giftige 
Eigenschaften. In wie weit die in diesem Boden sich gleichzeitig 
entwickelnden Organismen an der Entstehung dieser Eigenschaften 
betheiligt sind, ließ sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Kein 
anderes lebendes Gewebo, weder physiologischen, noch pathologischen 
Ursprungs, besitzt die giftigen Eigenschaften des Krebses. Giftig 
ist der atypisch gebante Krebs, also das echte Carcinom und das 
Cancroid. In Sarcomen und Adenomen hat A. bisher die Gegen¬ 
wart eines analog wirkenden Giftes nicht fcststellen können. Die 
Wirkung des Carcinomgiftes ist so prompt, daß sie als Reagens zur 
Feststellung der bösartigen Krebsnatur einer pathologischen Wuche¬ 
rung verwerthet werden kann. Dem frischen Krebsgewebe voll¬ 
kommen analoge giftige Wirkungen entfaltet das Leichengewebe. 
Aus dieser Analogie geht jedenfalls so viel hervor, daß die bös¬ 
artigen Geschwülste schon während des Lebens Stoffe produciren, 
welche dem Leichengift ähnliche Eigenschaften besitzen. 

— Unter dem Namen Sulfaminol wird von Merck eine 
schwefelhaltige Verbindung, das Thiooxydiphenylamin, in den Handel 
gebracht, ln Berührung mit den Körpersäften soll dasselbe in 
Schwefel und Phenol zerfallen und dadurch antiseptisch wirken. 
Das Sulfaminol stellt ein hellgelbes , geruch- und geschmackloses 
Pulver dar, welches sich leicht in Alkalien, schwieriger in kohlen¬ 
sauren Alkalien löst und auch von Alkohol und Eisessig auf¬ 
genommen wird. Nach Kobkrt ist der Körper ungiftig und besitzt 
keine örtlich reizenden Eigenschaften. Moritz Schmidt sah bei 
Eiterungen in der Kieferhöhle nach Gebrauch des Mittels den sehr 
starken Geruch schwinden. Rabow („Therap. Monatsh.“, Nr. 6) 
hat Sulfaminol äußerlich in mehreren Fällen als Streupulver bei 
Wunden, Fußgeschwüren und Decubitus mit auffallend raschem und 
gutem Erfolge angewandt. Auch innerlich hat er es zwei Male bei 
Cystitis (in Folge von Myelitis) mit sichtbarem Resultate versucht. 
Die Einzeldosis (in Pulverform) betrug 0*25, die Tagesdosis 10. 
lieber 2 Tage hinaus hat er das Mittel nie gegeben und niemals 
unangenehme Nebenerscheinungen beobachtet. 

— Die Art und Weise, wie Strahlenpilze in den Organismus 
eindringen, ist trotz der zahlreichen Beobachtungen über Actinomy- 
cose beim Menschen noch zweifelhaft. Manehe Befunde sprechen 
dafür, daß die Pilze auf Pflanzen, namentlich Gerste, sich ent¬ 
wickeln und mit Theilen derselben in die Gewebe gelangen. Es 
dürfte daher folgender, von Dr. W. Fischer in Nr. 22 des 
„Ctbl. f. Chirurg.“ mitgeiheilter Beitrag zur Aetiologie derActi- 
nomycose von Interesse sein. Ein 29jähriger Arbeiter aus der 
Nähe von Schleswig steckte beim Dreschen von Gerste ein Korn 
in den Mund, um es aufzubeißen. Hiebei drang ihm die Granne 
in die Zungenspitze und blieb stecken, wie Pat. deutlich fühlte. 
Ungefähr 8 Tage darauf schwoll die Zunge an dieser Stelle an. Er 
gibt ausdrücklich an, daß er mit krankem Vieh nicht in Berührung 
gekommen sei. Ungefähr in der Mitte der rechten Zungenhälfte 
findet sich eine umschriebene Geschwulst von Haselnußgröße, die 
ziemlich weich ist und undeutlich fluctuirt. An der unteren Fläche, 
nahe dem Zungenrande derselben, bemerkt man 3 kaum hirsekorn- 
große, neben einander liegende gelbe Knötchen. Die übrige Zunge 


ist normal. Druck auf die Geschwulst ist wenig schmerzhaft. Pat. 
hat überhaupt noch keine Beschwerden von derselben. Es wird die 
Diagnose auf Zungenabsceß, und zwar wahrscheinlich auf Actino- 
mycose, gestellt. Da ein starker Foetor ex ore besteht, wird vorläufig 
nur die Mundhöhle desinfioirt. Erst am 4. Tage wird die Geschwulst 
gespalten. Es findet sich etwas Eiter und eia Granulatiousherd, 
der in einzelnen Gängen in die Zungensubstanz hineinführt. Diese 
Gänge werden sorgfältig ausgeschabt und mit Borsäure ausgerieben, 
eine Behandlungsmethode der Actinomycose, die auf der Kieler 
Klinik stets den besten Erfolg gehabt hat. Auch in diesem Falle 
wird Pat. nach einigen Tagen geheilt entlassen und ist bis jetzt 
gesund geblieben. Eiter und Granulationen enthalten zahllose gelbe 
Körnchen, die sich mikroskopisch als typische Strahlenpilze er¬ 
weisen. Daneben findet sich die Granne, welche von den Pilzen 
durchwachsen ist. Auch an den Stachelchen der Granne haften 
zahlreiche Pilzdrusen. Daß ihr Eindringen die Ursache für die 
actinomycotische Erkrankung der Zungo geworden, steht außer 
allem Zweifel. Ob aber die Pilze nur zufällig an dom Gerstenkorn 
gehaftet, .oder ob sie sich an demselben entwickelt haben, läßt sich 
mit Sicherheit nicht entscheiden. Immerhin ist das Durchwachsensein 
der Granne mit denselben verdächtig. Jedenfalls dürfte dieser Fall 
von Neuem dazu auffordern, actinomycotischen Eiter sorgfältig auf 
Pflanzentheilchen zu untersuchen, um endlich einmal der Aetiologie 
der Erkrankung auf die Spur zu kommen. 

— In einer unter der Leitung der Professoren Penzoldt 
und Fleischer in Erlangen ausgeführten, iu den Sitzungsberichten 
der Erlanger physikalisch - medicinischen Societät („Münch, med. 
Woch.“, Nr. 24) zur Veröffentlichung gelangenden experimentellen 
Arbeit über den Einfluß des Pilocarpin, mur. und des Atropin, 
sulf. auf die Magenverdauung kommt Dr. Kaudewitz zu folgenden 
Resultaten: Pilocarpin wirkt in Dosen vpn 0*01 noch nicht be- 
merkenswerth verzögernd auf die Magenverdauung. 0 02 Grm. be¬ 
wirkten eine Verlangsamung von 3 / 4 —1 Stunde, 0*03 eine solche 
von ungefähr IVa Stunden, 0 04 hatten-*}. Stunden, 0*05 annähernd 
2 l /j Stunden Verlangsamung. Dieses Ergebniß steht in einem schein¬ 
baren Widerspruch mit der Beobachtung von Prof. Heidenhain, 
der bei Hunden, denen die Speiseröhre nach der Fütterung abge¬ 
bunden war, auf Pilocarpin eine Beschleunigung der Magenver- 
dauung fand. Es läßt sich dieser Widerspruch wohl leicht dadurch 
aufklären, daß im letzteren • Falle das Verschlucken des alkalisch 
reagirenden Speichels, der in so großen Mengen secernirt wird, 
verhindert war, während bei obigen Versuchen durch den Speichel 
die Salzsäure des Magensaftes sehr verdünnt, ja bisweilen ganz 
neutralisirt wurde, wie dies aus den negativen Reactiouen auf Salz¬ 
säure ersichtlich ist. Magensaft mit neutralisirter Säure ist aber 
vollkommen wirkungslos; deshalb fand Verf. bei größeren Dosen 
von Pilocarpin größere Verlangsamung, weil mit zunehmender Menge 
auch die Speichelsecretion .zunimmt. — Atropin hatte in Dosen von 
0*0005 keinen nachweisbaren Einfluß auf die Magenverdauung. Bei 
0*001 betrug die Verlangsamung s / l Stunden, bei 0 002 1 und 
bei 0003 l’/a Stunde. Bei suboutaner Injection waren 0 0025 
Pilocarpin ohne besonderen Einfluß, während 0*005 Atropin die 
Verdauung um kurze Zeit zu verlangsamen schienen. 

— Dr. Otto Müller beschreibt iu Nr. 6 der „Therap. 
Monatsh.“ einen Fall von Kaffeevergiftung. Derselbe betrifft einen 
25jährigen jungen Mann, Musiklehrer, der, immer etwas nervös 
erregt, jedoch nie krank gewesen, nach dem Genüsse von nur 
4 Tassen, allerdings nach seiner Angabe ausnahmsweise starken 
Kaffees, trotzdem er an ziemlich starken Kaffee gewöhnt ist, deut¬ 
liche Intoxicationserscheinungen zeigte. Drei Stunden nach dem 
Genüsse des Kaffees befand sich Pat. in einem ausgesprochenen 
Excitationsstadium. Gesicht und Stirn stark geröthet, mit Schweiß 
bedeckt, Pupillen von normaler Weite und Reaction, heftiges Zittern 
in den Extremitäten, Puls- und Respirationsfrequenz vermehrt; die 
auf den Thorax aufgelegte Hand fühlte auffallend starke Herzaction, 
dabei batte Pat. Brechneigung ohne eigentliches Erbrechen, fühlte 
sich etwas benommen und von geistiger Unruhe geplagt, die ihn 
veranlaßte, sich im Bett hin und her zu werfen. Nach der Dar¬ 
reichung von Eispillon, sowie Morph. 0*01 ließen die Beschwerden 
nach, Pat. schlief aber noch sehr unruhig. Tags darauf fühlte er 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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sich noch matt und hatte geringes Schwindelgefühl. Nach dem 
Gebrauch von Natr. broraat. konnte er am folgenden Tage seine 
gewohnte Thätigkeit wieder aufnohmen. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 16. Juni-1890. 

Vorsitzender: Prof. Schnabel. — Schriftführer: Dr. Baaz. 

Prof. LlPP dcmonstrirt ein aus einer Harnblase extrahirtes 
Stück eines von Harnconcrementen incrustirten Gummiröhrchens. Das 
Röhrchen war vor Monaten von einem jugendlichen männlichen In¬ 
dividuum in die Urethra eingefflhrt worden und konnte man sich 
von dessen Existenz auf cystoskopischem Wege überzeugen. 

Prof. Escherich: lieber Milchsterilisation mit Demonstration 
eines neuen Apparates. 

In den einleitenden Worten seines Vortrages bespricht Prof. 
Escherich die Gründe, welche uns veranlassen, die Milch zu 
sterilisiren, sowie in kurzen Zügen die Geschichte der Milchsterili- 
sirung seit der Entdeckung des Ferment lactique durch Pasteur. 
Nach den Untersuchungen des Vortragenden baden sich bereits in 
der unmittelbar dem Euter entnommenen Milch eine große Menge 
von Keimen (60—70.000 in 1 Ccm. Milch) vor. Bei nicht sorg¬ 
fältiger Aufbewahrung steigt diese Zahl bis auf 6,000.000 im Ver¬ 
laufe einiger Stunden. Schimmelpilze bnden sich nur sehr wenige 
vor, hauptsächlich sind es Sproßpilze, Coccen und Stäbchen, welche 
letztere der Vortr. als die eigentlichen Erreger der Milchzersetzung 
bezeichnet und m saccharolytische und in proteolytische, je nach 
der Art, der Producte, welche sie liefern und durch welche sie die 
normale Zusammensetzung der Milch verändern, eingetheilt hat. 

Die Aufgabe der Milchsterilisation ist nun eine zweifache; 
1. die Tödtung der vorhandenen Keime und 2. die Erhaltung der 
so gewonnenen Keimfreiheit der Milch. 

Das erste Postulat ist leichter zu erfüllen als das zweite. 
Durch länger dauerndes Kochen oder durch Erhitzen in strömendem 
Dampfe geliugt cs, die saccharoly tischen Pilze mit Sicherheit zu 
tödten, nicht vernichtet werden die sporenbildenden proteolytischen 
bei diesem Verfahren. 

Soxhlei’s Verdienst ist es, auch dem zweiten Postulate Rech¬ 
nung getragen zu haben, und die in verschiedenen Städten Deutsch¬ 
lands nach seinen Principien eingerichteten Unternehmungen zur 
Verbreitung keimfreier Milch zeugen von der Fruchtbarkeit seiner 
Ideo. Der von Soxhlkt construirte Apparat ist.in mehrfacher Weise 
von Anderen und auch von Prof. Escherich modißeirt und verbessert 
wordeu, besonders was die Form der Flaschen und die Axt und 
Weise ihres Verschlusses betrifft. Trotzdem ist es nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen nicht möglich, von dem SoxHLET’schen Ver¬ 
fahren in großem Maßstabe Gebrauch zu machen , ja ihn auch nur 
in Spitälern, wo es sich darum handelt, eine größere Zahl von 
Kindern nach diesem System zu ernähren, zu verwenden. 

Der größto Nachtheil des Verfahrens besteht darin, daß man 
eine große Zahl von Einzelportionen täglich sterilisiren muß, und 
daß dadurch der Aufwand an Zeit und Arbeit ein enormer wird, 
ganz abgesehen davon, daß bei der Zerbrechlichkeit der verwendeten 
Glasfläschchen auch die Kosten desselben sich als ganz beträchtliche 
herausstellün. 

Prof. Escherich construirte daher einen Apparat, bei dem 
die Milch gleich für den ganzen Tag in toto sterilisirt wird , und 
einmal sterilisirt, es auch bleibt. Der Apparat besteht im Wesent¬ 
lichen aus Folgendem : Einem Topfe aus Eisenblech, ca. 2 Liter 
fassend, mit luftdichtem Excenter-Verschlüsse zur Aufnahme der 
Milch bestimmt. In dem Deckel desselben befindet sich ein Sicherheits¬ 
ventil und ein eigenartig construirter Luftfilter, welcher den Bacterien 
den Eintritt zu der Milch nicht gestattet. Ira Boden dieses Topfes 
findet sich im Centruin ein glatter Hahn ohne Abflußrohr. Derselbe 
ist abschraubbar, leicht zu reinigen und durch drei Füße, auf denen 
das Gefäß ruht, und die länger sind, als der Hahn selbst, vor jeder 
Lädirung geschützt. 


Der ganze Apparat kommt nun mit der dem Alter entsprechenden 
Verdünnung mit Milch gefüllt in ein zweites größeres verschlie߬ 
bares Blechgefäß, iu welchem die Sterilisirung durch strömenden 
Wasserdampf vorgenommen wird. Die einzelnen Portionen können 
nun in beliebiger Menge und zu beliebigen Tageszeiten in die 
Hauptflasche abgelassen werdeu, um sofort ohne weitere Procedur 
als die zum Trinken nöthige Vorwärmung verwendet zu werden. Man 
hat also nur einen einzigen Behälter mit Milch täglich einmal zu 
sterilisiren und täglich einmal nur die Reinigung desselben vorzu¬ 
nehmen statt der zahlreichen Fläschchen bei dem SoxHLET’schen 
Apparate. Derselbe hat außerdem den Vorzug der Unzerbrech¬ 
lichkeit. 

Dem Apparate ist nur eine einzige Saugflasche beigegeben, 
welche nicht rund, sondern beiderseits abgeflacht ist und welche an 
ihren beiden Seiten die den Lebensaltern entsprechenden Ver- 
dünnungs- und Mengen Vorschriften eingebrannt trägt. Die Gummi¬ 
sauger, die Prof. Escherich verwendet, sind ebenfalls nach seiner 
Angabe angefertigt. Sie sind nicht conisch, sondern cylindrisch und 
so beschaffen, daß der Säugling sie nicht tiefer als circa 4 Cm. in 
den Mund bekommen kann. 

Die Versuche, die Vortr. mit seinem Apparate angestellt hat, 
zeigten, daß er thatsächlich Alles leistet, was heute auf dem Ge¬ 
biete der Milchsterilisation mit strömendem Wasserdampfe geleistet 
werden kann. Da jedoch der Apparat auch ein Erhitzen auf einen 
höheren Temperaturgrad, als der des strömenden Dampfes ist, ge¬ 
stattet, so glaubt der Vortragende, daß es eventuell möglich sein 
durfte, auch die proteolytischen sporenbältigen Bacterien, die durch 
die heutige Sterilisirungsart nicht beeinflußt werden, zu tödten, ohne 
die chemische Beschaffenheit der Milch weiters zu alteriren. hs. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 


Sitzung vom 2. Mai 1890. 

Prof. Schauta: lieber Castration bei Osteomalacie. 

Bezüglich der Forschungen über die Aetiologie der Osteo¬ 
malacie ist in letzter Zeit insoferne ein Fortschritt zu verzeichnen, 
als gewisse Momente, welche man früher als im Causalnexus zu dieser 
Kraukheit stehend betrachtete, gegenwärtig nicht mehr für das Zu¬ 
staudekommen derselben verantwortlich gemacht werden. Wir wissen, 
daß feuchte Wobnnngen, ungenügende Ernährung, kurz schlechte 
hygienische Verhältnisse gar koine Bedeutung für das Entstehen 
der Osteomalacie haben. Dasselbe gilt von wiederholter Schwanger¬ 
schaft und prolongirter Lactation, wenn man auch zugeben muß, 
daß alle diese Schädlichkeiten auf eine bereits bestehende Osteo¬ 
malacie einen sehr ungünstigen Einfluß ausüben. Auch für den 
parasitären Ursprung ist bis jetzt nicht nur kein positiver Befund 
erbracht, sondern die Annahme von Parasiten als Krankheitsursache 
erscheint schon deshalb als hinfällig, wenn man die prompten Heil- 
erfolgö in Betracht zieht, welche in neuerer Zeit durch gewisse 
Operationen erzielt wurden. 

Nicht besser als bezüglich der Aetiologie stand es mit der 
Therapie dieser Erkrankung. Weder durch mcdicamentöse, noch 
durch diätetische Behandlung, noch durch Besserung der hygienischen 
Verhältnisse konnten günstige Erfolge erzielt werden, und erst in 
jüngster Zeit wurden der Therapie der Osteomalacie neue Bahnen 
geöffnet durch die Sectio caesarea nach Porro, welche zunächst aller¬ 
dings nicht gegen die Krankheit selbst, sondern wegeu des durch 
sie gesetzten Geburtshindernisses unternommen wurde. Während 
von 12 mittelst des conservativen Kaiserschnittes entbundenen Frauen 
nur 2 eine leichte Besserung zeigten, konnte unter 24 nach PORRO 
Operirten bei 20 vollkommene Heilung und bei den restlichen 
4 entschiedene Besserung constatirt werden. Schauta hat gerade 
jetzt an seiner Klinik eine Patientin, welche durch die Sectio caesarea 
nach Porro von ihrer ungemein schweren Osteomalacie in kurzer 
Zeit geheilt wurde. 

Von dem Gedauken ausgehend, daß der günstige Einfluß der 
PORRO-Operation in dem Wegfall der Gesohlechtsthätigkeit zu suchen 
sei, glaubte Fehling die Heilung der Krankheit auch bei nicht 
schwangeren Frauen durch Castration erzielen zu können. Eine 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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von ihm auf dieso Weise im Januar 1887 opeiirte Frau, die schon 
seit einem Jahre bettlägerig, konnte nach 6 Wochen gehen und ist 
seitdem vollkommen genesen. Weitere Fälle, im Ganzen 8, wurden 
von Winckel, Müller und Hoffa publicirt, bei welchen floride 
Osteomalacie durch Castration prompt und rasch zur Heilung ge¬ 
bracht wurde; selbstverständlich kann unter Heilung der Osteo¬ 
malacie nur eine Consolidirung der erweichten Knochen und Wieder 
erlangung der Gehfähigkeit, aber nicht eine Wiederausgleichung 
der Knochen di fformitäten verstanden werden. 

Ein neunter, von Schauta selbst durch Castration geheilter 
Fall betrifft eine 32jäbrige, in nicht ungünstigen äußeren Verhält¬ 
nissen lebende, seit dem 16. Lebensjahre unregelmäßig menstruirende 
Frau, welche 4mal, immer in Zwischenräumen von mehreren Jahren, 
das letzte Mal vor einem halben Jahre, geboren hat. Nur die ersten 
3 Kinder hat sie selbst, und zwar jedes nur durch einige Monate, ge¬ 
säugt. Drei Tage nach der vor 5 Jahren erfolgten dritten Ent¬ 
bindung bekam sie Schmerzen im Kreuze, später auch in den unteren 
Extremitäten, den Hüften und den Rippenbögen. Seit Beginn der 
vor l 1 /* Jahren erfolgten 4. Schwangerschaft ist sie in Folge ihres 
Leidens bettlägerig; die Geburt des vierteu Kindes erfolgte , wie 
die der früheren, spontan am normalen Schwangerschaftsende. Am 
20. Juni v. J. kam sie auf die Klinik des Vortragenden und hier 
constatirte man bei der 140 Cm. langen, sehr reducirten Frau 
hochgradige floride Osteomalacie mit der für diese Krankheit 
charakteristischen Verkrümmung des Brustkorbes und des Beckens, 
nebst Kyphoscoliose der Wirbelsäule. Am 22. Juli wurde die von 
der Pat. zugestandene Exstirpation beider Eierstöcke vorgenommen, 
und seit der Zeit trat eino sichtliche Besserung der Krankheit ein, 
so daß die seit 1 1 / 4 Jahren bettlägerig gewesene Frau am 15. August 
das Bett verlassen und unterstützt im Zimmer herumgehen konnte. 
Gegenwärtig erfreut sie sich des bestens Wohlbefindens und geht 
den ganzen Tag den häuslichen Geschäften nach. Die Menses traten 
nicht mehr ein. 

Bezüglich der Erklärung der Heilwirkung sowohl der PORRO- 
Operation, als der Castration auf die Osteomalacie recurrirt Zweifel 
auf die Verhinderung einer neuerlichen Schwangerschaft, während 
Fehling die therapeutische Bedeutung dieser Eingriffe auf die Aus¬ 
schaltung der Ovulation und den durch die aufgehobene Geschlechts¬ 
function auf den Gesammtorganismus ausgeübten Einfluß zurückfübrt. 
Gegen die Hypothese von Zweifel spreche jedoch der Umstand, 
daß durch das spontane Ausbleiben einer neuerlichen Schwanger¬ 
schaft das Fortscbreiten des Processes nicht immer gehemmt wird. 

Für die Richtigkeit der FEHLixo’schen Ansicht spreche wohl 
der Erfolg, doch glaubt Redner derselben gegenüber den von ihm 
im Jahre 1877 auf der SPÄTH’schen Klinik beobachteten Fall er¬ 
wähnen zu müssen, welcher durch die PoRRO-Operation zur Heilung 
gebracht wurde, trotzdem die Eierstöcko aus technischen Gründen 
nicht mitexstirpirt worden sind. Nach dieser Erfahrung müsse man 
annehmen, daß der Wegfall der Conception und Menstruation auch 
bei fortdauernder Ovulation hinreiche, den günstigen Erfolg zu er¬ 
zielen. Eine einwandfreie Erklärung der Heilwirkung dieser Ope¬ 
rationen auf dio Osteomalacie sei bei unseren mangelhaften Kennt¬ 
nissen des Wesens dieser Krankheit überhaupt nicht möglich. 

Nicht alle Fälle eignen sich zur Operation. Immer müsse 
man abwarten, ob nach erfolgter Geburt nicht spontane Besserung 
erfolge, und erst wenn diese trotz Ausbleibens einer neuerlichen 
Schwangerschaft nach 6 Monaten nicht erfolge, dürfe zur Castration 
geschritten werden. 

Prof. v. Jaksch: Ueber Stoffwechsel bei Osteomalacie. 

Redner hat den Harn der beiden von Schauta operirten 
Fälle einer systematischen Untersuchung unterworfen, welche sich 
vornehmlich auf die quantitative Bestimmung der Harnsäure, des 
Gesammtstickstoffes, der Phosphorsäure, des Kalkes und der Magnesia 
beschränkte. Vor der Operation war die Ausscheidung aller dieser Bo- 
standtheile eine abnorm niedrige; speciell sank die ausgeschiedene 
Menge des Gesammtstickstoffes auf 3 — 4 Grm. pro Tag gegen das normale 
Quantum von 13- 14 Grm. pro Tag, auch die Kalk- und Magnesia- 
ausscheidnng war eine viel geringere. Nach der Operation war an¬ 
fänglich die Ausscheidung dieser Stoffe nicht größer, erst später 
war eine allmälige Zunahme bemerkbar. 


Ferner fand v. Jakscii die Menge der durch den Harn 
innerhalb 24 Stunden ausgeschiedenon Fettsäuren bedeutend ge¬ 
steigert. Im normalen Harn beträgt das Maximum der 24stündigen 
Ausscheidung der Fettsäuren (als fettsaures Natron berechnet) 
0*008 Grm., bei febrilen Processen 0 05—0*06 Grm. (von Redner 
als febrile Lipacidurie bezeichnet; bei schweren Leberleiden 0*5 bis 
0 6 Grm. (hepatogene Lipacidurie). In den Fällen von Osteomalacie 
ein der hepatogenen Lipacidurie gleich großes Quantum von 
0*5—0*6 Grm. Bezüglich der Herkunft dieser abnormen Menge 
von Fettsäuren glaubt v. J., sie auf vermehrten Eiweißzerfall 
zurückführen zu müssen. Auch hat Redner iu Uebereinstimmung 
mit den Untersuchungen von Winckel oine bedeutende Ver¬ 
minderung der Blutalkalcscenz gefunden. Man könne sich vorstellen, 
daß das Wesen der Osteomalacie in einem Processe bestehe, bei 
welchem es zur vermehrten Säurebildung im Organismus und dadurch 
bedingter Herabsetzung der Blutalkalcscenz und mangelhaften Kalk- 
ansatze komme. 

Redner hebt noch hervor, daß er in keinem Falle von 
Osteomalacie Albumoso nachweisen konnte, und ferner, daß bei 
Rhachitis eine derartige Vermehrung der Fettsäuren im Harne nicht 
vorkomme. 

Schließlich hält Assistent Dr. Czerny einen Vortrag über 
Colostrum. —z. 


Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapost. 

(Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 17. Mai 1890. 

Dr. S. Scheiber : Ueber Fälle von Trophoneuroeis. 

Unter Trophonourosis versteht man die unter directem Nerven¬ 
einfluß‘entstehenden Ernährungsstörungen. Ueber die Ernährung der 
Gewebe bestehen 2 Anschauungen. Nach der älteren steht die 
Ernährung der Gewebe in innigem Zusammenhänge mit deren Func¬ 
tion und steht deshalb unter der Herrschaft derselben Nervencentren 
wie die Function selbst. Nach der zweiten, von Samuel stammenden 
Anschauung dienen dazu eigene, von ihm als trophische bezeichueto 
Nerven. Für letztere spricht eine Reihe von klinischen Erschei¬ 
nungen: Der acute Decubitus, welcher schon am 3.—4. Tage der 
acuten Hirn- oder Rttckenmarkserkrankung auftreten kann, der 
Herpes, das rasche Ergrauen der Haare bei starken Gemüthsauf- 
regungen und Neuralgien. 

Samuel tbeilt die Trophoneurosen in 3 Gruppen ein: Atro¬ 
phien, Hypertrophien und Dystrophien, zu welchen 
letzteren er die Entzündungen und Gangräne neurotischen Charakters 
zählt. Von den Beobachtungen des Verf. gehört eine zu der ersten, 
zwei zur dritten Kategorie. 

1. Der erste Fall gehört der seltenen Gattung von Hemi- 
atrophie an, welche von Virchow als Hemiatrophia cruciata 
bezeichnet wurde. Derselbe betrifft eine 49jährige, verheiratete 
Tabikerin mit so raschem Verlauf der Krankheit („acuto“ oder „sub- 
acuto“ Tabes), daß sie binnen 9 Monaten in Folge der hochgradigen 
Ataxie weder gehen, noch stehen konnte. SchonJ die bloße äußere 
Betrachtung, welche durch Messungen bestätigt wurde, zeigte die 
Atrophie der linken Schädel- und Gesichtshälfte (auf der linken 
Gehirnhälfte), sowie der r cht- n Thoraxbälfto u d der rechten Ober¬ 
extremität. An der rechten Hand waren nicht nur die Knoohen 
atrophisch, sondern auch die Musculatur zeigte den höchsten. Grad 
von progressiver Muskelatrophie. 

2. Der zweite Fall betraf einen 68jährigen Mühlenaufseher, 
der seit 2 Monaten an Trigeminus- und Occipitalneuralgien litt, in 
deren Begleitung im Bereiche des I. TrLerainusastes als trophische 
Störungen Pemphigus, Eczem und catarrbalische Ophthalmien auf¬ 
getreten waren. Während dieser ganzen Zeit konnte Pat. trotz 
innerlicher Medication von Antipyrin, Chloralhydrat u. 8. w. keine 
Nacht der Schmerzen halber schlafen. Aber schon nach den ersten 
Faradisationen wurden die Nächte ruhiger und nach 3wöchentlicher 
faradischer Behandlung trat vollständige Heilung ein. 

3. Ein sehr complicirtes Krankheitsbild bot der dritte Fall 
dar. Bei einem 58jährigen Kaufmanne bestand: a) linksseitige 


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Nr. 27. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — 


motorische und sensitive Hemiparese, b) Paraplogic mit einfacher, [ 
nicht degenerativer Muskelatrophie der Unterextremitäten, c) ebenda- ' 
selbst dünne, atropbirte Haut mit dichten Gefäßnetzen, d) Schmerz 
und Kriebeln in den Füßen, e) Atypie und Frequenz der Athmung 
und des Pulses. Die Krankheit bestand seit 2 Jahren und es war 
anfangs bläulichschwarze Verfärbung der Füße vorhanden, so daß 
man Gangrän befürchtete. Vortr. stellte die Diagnose auf Asphyxia 
symmetrica, deren Sitz er in die Medulla oblongata verlegt. Nach 
den vasomotorischen Störungen an den Füßen traten eine ganze 
Reihe trophischer Störungen auf: Oedem, Eczem , Muskelatrophie 
und Periostitis. Elektrische Räder thaten hier gute Dienste. 

Prof. E. Schwimmer : Die Existenz der trophischen Nerven 
wird von den Klinikern behauptet, von den Physiologen geleugnet. 
Er schließt sich den Ersteren an, denn die Erscheinungen im Bereiche 
der Haut: Herpes Zoster, Pemphigus, Sclerodermie u. s. w. sprechen 
für Nerveneinflüsse. Er hat während der 4 letzten Jahre 12 Fälle 
von Pemphigus beobachtet, von denen 5 mit Tod abgingen; davon 
wurden 4 obducirt, aber die Untersuchung ist noch nicht abge¬ 
schlossen. 

Dr. Pertjk fand in einzelnen Fällen Veränderungen im Rücken¬ 
mark, aber auch in den peripheren Nerven. Er erwähnt den Fall 
einer 60jährigen Hysterien, welche im Herbste an ausgebreitetem 
Jucken zu leiden begann. Der 5.—7. Brustwirbel war druckschmerz¬ 
haft. Nach einigen Wochen trat Herpes Zoster auf, später ein 9/ 10 
der Körperoberfläche bedeckender Pemphigus, was ihn zu einer 
letalen Prognose veranlaßte. Die Krauke jedoch genas davon bei 
consequenter Atropincur. Nach dem Pemphigus aber trat ein stark 
juckendes allgemeines Eczem auf, so daß die Kranke sich den 
Pemphigus zurückwünschte, wobei das Jucken nachgelassen hatte. 
Redner vermuthet in diesem Falle eine Erkrankung der Intervor- 
tebralganglien. 

Dr. A. Schwarz bemerkt gegen Prof. Schwimmer , daß die 
Hautleiden denn doch bei den typischen Rückenmarks- und Nerven¬ 
leiden, wie Tabes, Myelitis, Neuritis u. s. w., verhältnißmäßig selten 
sind, und daß er auf der KAPOSi’schen Abtheilung in Wien bei 
Hautkranken■ die Reflexe .#ur sfilteß. verändert fand. Er leugnet nicht 
die Berechtigung der Lehre von dor Trophoneurose, aber eine 
Localisation sei bisher nicht möglich. 

Dr. 0. Pertik fand bei der Obduction eines an localer 
Asphyxie verstorbenen Individuums weder Veränderungen im centralen, 
noch im peripheren Nervensystem. Er ist geneigt, die Asphyxie 
eher für eine vasomotorische Störung, als für eine Trophoneurose 
zu halten. Im Uebrigen erinnert diese Asphyxie an die Erschei¬ 
nungen bei Ergotinismus. n. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Orig.-Bericbt der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Soclötö mödicale des höpitaux. 

Sitzung vom 16. Mai 1890. 

Ueber Pneumococcen-Meningitte und -Peritonitis ohne Pneumonie. 

Bekantlich sind die extrapulmonalen Localisationen des Pneumo- 
coccus nicht selten und Fälle von durch Pneumonie erzeugter Peri- 
carditis, Endocarditis, Pleuritis im Verlaufe von Pneumonie sind in 
neuerer Zeit häufig raitgetheilt worden. Boulay und Courtois- 
Suffit berichten nun über einen Fall von durch Pneumococcen er¬ 
zeugter Meningitis und Peritonitis ohne vorausgegangene oder gleich¬ 
zeitig bestehende Peumonie. Der 54jährige Alkoholiker kam mit 
heftigen Delirien in’s Spital, welche den Alkohol-Delirien ganz ähnlich 
sahen. In den übrigen Organen war keinerlei Veränderung nach¬ 
zuweisen. Am zweiten Tage fand man den Bauch leicht auf¬ 
getrieben und schmerzhaft. Am 3. Tage starb der Patient im Coma. 
Bei der Soction fand sich eine allgemeine Peritonitis, aber keinerlei 
Darmperforation, Herz und Lunge intact, von Seiten des Nerven¬ 
systems eine allgemeine eiterige Meningitis ohne irgend welche 
Knochenläsion. Die mikroskopische und bacteriologische Unter¬ 
suchung ergab die Anwesenheit von Pneumococcen in Reincultur im 
meningitischen Exsudate und ein Gemisch von Pneumococcen und 


anderen Mikroorganismou im Peritoncaleitcr. Im Blute fand sich 
ebenfalls der Pneumococcus vor. 

Die Beschaffenheit des Eiters fiel schon makroskopisch auf, 
seiue grünliche Farbe, seine rahmartige Consistenz, sowie die Pla- 
sticität sind für den Pneumococceneiter charakteristisch, so daß man 
vor jeder bacteriologischen Untersuchung in solchen Fällen sicher 
sein kann, Pneumococcen zu finden. Die Ursachen der doppelten 
Localisation auf die Meningen und das Peritoneum ist schwer zu 
findeu, an eine localo Iufeetion war nicht zu denken, da keinerlei 
Läsion im Felsenbein oder in anderen Schädelknochen zu finden 
war. Selbst wenn man einen dirocten Transport der Pneumococcen 
durch die Blut- und Lymphgefäße der Ohren- und Nasennerven an- 
nehmen wollte, so lioße sich noch immer nicht das gleichzeitige 
Auftreten der Peritonitis erklären, die mit der Meningitis gleich- 
alterig war. Wahrscheinlicher ist daher anzunehmen, daß es sich von 
vornherein um eine allgemeine Infection handelt, die sich gleich¬ 
zeitig auf die Meningen und das Peritoneum localisirt hat. Was 
die Eintrittspforte dieser Mikroorganismen betrifft, so läßt sich 
darüber nichts Bestimmtes sagen, möglicherweise sind cs die sonst 
im Munde und in den oberen Luftwegen befindlichen Puenmococcen, 
die hier eine Rolle spielen. Der Alkoholismus scheint im vorliegenden 
Falle von Wichtigkeit zu sein, da derselbe iu einer großen Anzahl 
von durch Pneumococcen erzeugter Meningitis vorhanden ist, und 
wenn der Alkohol auf das Gehirn einen schädlichen Einfluß hat, so 
könnte er auch auf das Pfortadersystem einen solchen ausüben. 

Netter constatirt die große Seltenheit der durch Pneumo 
coccen hervorgerufenen Peritonitis. Unter 108 Sectionen von Indi¬ 
viduen, die verschiedene Manifestationen der Pneumococcen zeigten, 
fand sich nur ein einziges Mal Peritonitis, die mit Meningitis ver¬ 
gesellschaftet war. In einem anderen Falle fand N. Pneumococcen 
im Eiter einer Peritonitis bei einem Kinde. Die Seltenheit der 
Pneumococcen-Peritonitis ist eigentlich auffallend, wenn man bedenkt, 
wie häufig sich diese Mikroorganismen an der Oberfläche der Serosa 
bei fast allen Sectionen von Pneumonie finden. Viel häufiger ist 
die Pueumococcen-Meningitis. Nach Netter’h Statistik kommt die¬ 
selbe in 11*11% vor. Im Vergleich mit anderen eitrigen Menin¬ 
gitiden nimmt dieselbe den ersten Platz ein. Die mikroskopische 
Beschaffenheit des Eiters ist zwar sehr charakteristisch, doch darf 
die bacteriologische Untersuchung nie unterlassen werden. 

Netter: lieber die Nützlichkeit bacteriologischer Untersuchungen 
für die Prognose und Behandlung der eitrigen Pleu¬ 
ritiden. 

Die eitrigen Pleuritiden sind immer raycotischer Natur, aber 
die sie hervorrufenden Mikroorganismen sind verschiedener Art, be 
sitzen verschiedene Eigenschaften und die Erkrankungen, die sie 
bervorrufen, tragen ganz den Stempel-der specifischen Thätigkeit 
dieser Bacterien. Von 109 eitrigen Pleuritiden, die Netter unter¬ 
sucht hat, fanden sich verschiedene Bacterien, welche gestatten, 
vier große Gruppen von eitrigen Pleuritiden zu unterscheiden : 1. solche, 
die durch Pneumococcen, 2. solche, die durch den Streptococcus 
pyogenes erzeugt werden, 3. durch Fäulnißorganismen und 4. durch 
Tuberkelbacillen hervorgerufene. Die Diagnose dieser vier Gruppen 
läßt sich durch die bacteriologische Untersuchung stellen. Dieselbe 
erfordert in den ersten drei Gruppen nur wenig Zeit, nur die 
letztere dauert etwas länger, da man zuweilen die Resultate 
der Thierimpfungen abwarten muß. Bei den tubercnlös-eitrigen 
Pleuritiden zeigt die mikroskopische Untersuchung zuweilen den 
Tuberkelbacillus, zuweilen den Staphylococcus aureus und manchmal, 
wie im Eiter der kalten Abscesse, findet man gar keine Mikro¬ 
organismen. Was die Häufigkeit dieser Varietäten betrifft, so kommt 
die erstere in 29*5%, die zweite in 46-8%, die dritte in 13*7%, die 
vierte in 10% vor. Die durch Pneumococcen und Eitercoccen 
hervorgerufenen Pleuritiden bilden demnach fast % der Fälle der 
eiterigen Pleuritiden. 

Die Pneumococcen-Pleuritis ist am häufigsten bei 
Kindorn, während die durch Streptococcen erzeugte seltener vor¬ 
kommt; bei Erwachsenen ist das Verhältniß gerade umgekehrt. 
Erstere ist die wenigst gefährliche, sie folgt häufig nach Pneumonie 
und kann spontan ausheilen. Die therapeutische Indication besteht 


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darin, den Eiter zu entleeren. Dazu geuügt gewöhnlich die Function, 
antiseptische Injectionen sind nicht nöthig. Bei den Mischformen 
von Pneumococcen- und Streptococcen-Pleuritis verhalt man sich, 
wie bei der Streptococcen-Pleuritis. Diese erfordert eine 
rasche und energische Intervention, der Eiter muß rasch und voll¬ 
ständig entleert werden, hier sind auch starke antiseptische Aus¬ 
waschungen (mit Sublimat) nöthig. Die putride Pleuritis er¬ 
fordert die Thoracotomie mit nachfolgenden Auswaschungen. Die 
eiterige tuberculöse Pleuritis darf nicht verwechselt 
werden mit eitriger Pleuritis bei Tuberculösen. Dieselbe verläuft 
gewöhnlich schleichend, latent, chronisch. Wiederholte Punetionen 
in langen Zwischenräumen bringen zuweilen merkliche Erleichterung. 
Die Empyemoporatiou liefert unvollständige, zuweilen sogar un¬ 
günstige Resultate. K. 


Notizen. 

Wien, 5. Juli 1890. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 28. Juni 
d. J. beschäftigte sich der Obcrsto Sanitätsrath zunächst mit den seit 
seiner letzten Sitzung eingclangtcn officiellen Nachrichten über den 
Stand der Cholera in Spanien, denen znfolge sich diese Krank¬ 
heit vou dem ursprünglichen lnfectionshorde in Puebla Rugat nach 
den benachbarten Orten Montichelvo, Gandia, Fenallel, Benipanim, 
Palma, Carcngcnte, Cuatrefonda, Benieola, Albaida und Ilotova ver¬ 
breitet hat, und nahm die Mittbeilung über die von der k. k. Seo- 
behörde in Triest getroffenen Maßnahmen wegen sanitätspolizeilicher 
Beaufsichtigung der aus Spanien cinlangenden Seeprovenieuzen zur 
Kenntniß. Weiterhin wurde vom Ministerial-Sanitätsreferenten eine 
Darstellung der gegenwärtigen Vertheil uug derDampf-Infections- 
Apparate in den im Reicbsrathe vertretenen Königreichen und 
Ländern gegeben und constatirt, daß die seitens des k. k. Mini¬ 
steriums dos Innern seit der Hinausgabe der Desinfectio ns Vorschrift 
vom Jahre 1887 auf die thunlichsto Verbreitung dieser Darapf- 
Desinfections Apparate gerichteten Bemühungen nicht erfolglos ge¬ 
blieben sind. Es sind derzeit nicht blos zahlreiche größere Spitäler mit 
stabilen oder transportablen Dampf Desinfections-Apparaten versehen 
derartige Apparate auch von den Vertretungen größerer Städte und 
einzelner Gemeinden, ferner seitens der Verwaltungen mehrerer 
Straf- und Gefangen Anstalten angeschafft worden, sondern über Ver¬ 
mittlung des k. k. Handelsministeriums auch in zahlreichen Haupt¬ 
stationen österreichischer Eisenbahnen und insbesondere in den 
Eisenbahn-Grenzstationen zur Aufstellung gelangt. Es ist sohin in 
den Einbruchsstationen die Desinfection verunreinigter Kleider und 
Wäsche, falls die Revision der Effecten von Reisenden, welche aus 
Cholera Gegenden kommen, an der Grenze angeordnet werden müßte, !; 
gegenwärtig in einer weit vollkommeneren Weise ermöglicht, als es jj 
während der letzten Cholera-Epidemie der Fall gewesen war. — Des j 
Weiteren wurde mit der Bcrathung einer zeitgemäßen Revision i 
der bestehenden Hebammeu-Instruction begonnen. 

(Koch über die Cholera in Spanien.) ln einer an 
die „Semaine mödicale“ gerichteten Zuschrift äußert sich Koch über 
die gegenwärtige Choleraepidemie in Spanien, die übrigens nach 
den letzten Nachrichten an ln- und Extensität abgenommen hat, 
folgendermaßen: 

„So viel mir aus den bis nun über die Cholera er.- chienenen Arbeiten 
bekannt ist, wurde noch nie beobachtet, daß diese Krankheit, wenn sie einmal 
aus einem Orte seit mehreren Jahren verschwunden war, daselbst wieder auf- 
getret*-n wäre, olme von Neuem importirt zu wer-ien. Ebensowenig wurde 
bisher das Auftreten der Cholera eine gewisse Zeit nach Exliumirung von 
Choleraleichen constatirt, wie dies von der gegenwärtigen Choleraepidemie be¬ 
hauptet wurde. Ich glaube daher, daß man kein definitives Urtheil über den 
Ursprung der Cholera in Puebla de Rugat fällen darf, ehe nicht glaubwürdige 
Untersuchungen an Ort nnd Stelle angestellt worden s nd und ehe man nicht 
nur die Informationen politischer Blätter, sondern auch wissenschaftliche 
Mitteilungen vor Augen hat. Wie dem auch sei, die Hypothese einer neuen 
Importation der Cholera ist nichl von der Hand zu weisen, zumal ji die 
letzten Telegramme von einer Eiuschleppung durch Cholerakranke aus Gibraltar 
und den Philippinen zu beriöhten wissen. Hoffentlich wird die Zukunft eine 
zufriedenstellendere Erklärung für die sonderbare Thatsache bringen, daß die 
Infectionskrankheiten, obgleich sie gewissen Gesetzen unterworfen sind, dennoch 
oft bizaire Eigentümlichkeiten in ihrer Verbreitung zeigen.“ 


(Universitäts-Nachrichten.) Der a. o. Prof. Dr. Momz 
Loewit in Innsbruck ist zum ordentlichen Professor der allgemeinen 
und experimentellen Pathologie an dortiger Universität, Dr. Ismail 
Bkssinn Effendi zum Prof, der Anatomie in Constantinopel, 
Docent Dr. Ratimow zum o. Prof, der Chirurgie in St. Peters¬ 
burg, Dr. Ernst Laplace, ein Schüler Koch’s und Pasteür’s, 
znm Prof, der Chirurgie in Philadelphia ernannt worden. — 
Prof. Jolly in Straßburg ist zum Nachfolger Westphal’s an 
den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neuropathologie in Berlin berufen 
worden. — Die in letzter Nummer gerüchtweise gebrachte Meldung 
von der Berufung des Geh. R. Prof. Mikulicz in Königsberg an die 
Universität Breslau, als Nachfolger des scheidenden Directors der 
chirurgischen Klinik, Prof. II. Fischer, wird bestätigt. 

(Au8 Prag) wird uns berichtot: Zum Rector magni- 
ficus der Prager deutschen Carolo - Ferdinand ea 
wurde für das nächste Studienjahr Prof. Dr. Philipp Kxoll 
gewählt. Durch diese Wahl wurde an die Spitze der Universität 
ein Mann gestellt, der sich nicht nur in wissenschaftlicher Be¬ 
ziehung eines besonderen Rufes erfreut, sondern von dem auch nach 
seiner Vergangenheit und Veranlagung zu erwarten ist, daß er die 
Interessen der ältesten deutschen Hochschule wahrnehraen und mit 
ganzer Kraft fördern werde. Der neugewählte Rector magnificus 
gehört zu den wenigen Vertretern der Naturwissenschaft, die, wie 
Virchow in Berlin nnd SüRSS in Wien, auch am politischen Leben 
den regsten Antheil nehmen und als muthige Vorkämpfer des Fort¬ 
schrittes, sowie als treue Söhne ihrer Nation ein leuchtendes Bei¬ 
spiel abgeben der heranwachsenden Generation. Am 4. Juni 1841 
in Carlsbad geboren, wurde er nach Absolvirung der medicinisohen 
Studien an der Prager Universität im Jahre 1864 zum Doctor pro- 
movirt. Im Februar 1869 habilitirte er sich als Docent an der 
Universität Gießen, im September 1870 als Docent für specielle 
Pathologie und Therapie an der Prager Universität, an welcher er 
im Jahre 1872 zum außerordentlichen Professor für experimentelle 
Pathologie und im Jahre 1879 zum ordentlichen Professor für 
allgemeine Pathologie ernannt worden ist Zweimal, und zwar 1884 
und 1888, war er Decan der deutschen raedicinischen Faoultät. 
Seiner Feder entstammt eine Reihe hochbedeutsamer wissenschaft¬ 
licher Arbeiten, von denen viele in den Sitzungsberichten der Wiener 
Akademio der Wisseuschafton veröffentlicht wurden. Epochemachend 
waren seine Arbeiten „Ucber den Einfluß des Halsmarkes auf die. 
Schlagzahl des Herzens“, „Ueber die Veränderung des Herzschlages 
bei reflcetorischer Erregung des vasomotorischen Nervensystems“, 
„lieber die Wirkung des Chloroforms und Aethers auf Athmung 
und Blutkreislauf“, „Ueber den Einfluß modificirter Athembcwegungen 
auf d-n Puls dos Menscheu“, „Ueber die Druckschwankungen in 
der CcrebrospinalflUssigkeit“ u. s. w. In deu Siebziger - Jahren 
begann er im deutschen und politischen Loben Prags und Böhmens 
hervorzutreton; er stand eine zeitlang an der Spitze des Prager 
deutschen Turnvereines; er war der Erste, welcher die Theilung der 
Universität iu eine deutsche und czechische in Wort und Schrift 
empfahl. Zu Beginn der Achtziger-Jahre trat er in den Kreis der 
deutschböbmischon Vertrauensmänner ein, und im Jahre 1883 wurde 
er von seiner Vaterstadt Carlsbad in den böhmischen Landtag ent¬ 
sendet, wo er neben Herbst, Schmeykal und P len ER eine führende 
Stellung oinnahm. Um sich der Wissenschaft voll und ganz widmen 
zu können, hat er in der letzten Zeit seine politische Thätigkeit 
eingeschränkt und deshalb bei den letzten Neuwahlen ein Mandat 
für den Landtag nicht angenommen; es wird deshalb von den 
Deutschen Böhmens mit freudiger Genugtuung aufgenommen, daß 
Prof. Knoll durch seine Wahl zum Rector magnificus wieder für 
den Landtag gewonnen wurde. 

(Au8 Budapest) schreibt man uns: Der Chef des General¬ 
stabes FZM. v. Beck hat nach genauer Iuspicirung der Pionnier- 
Caserne in Pressburg, in welcher nun schon seit einem Jahre das 
Trachom grassirt nnd auch gegenwärtig an 200 Pionniere daran 
erkrankt sind, angeordnet, dass die Pionnier-Caserne am 15. Juli 
unbedingt vollständig gesperrt und durch 3 Monate einer gründlichen 
Reinigung unterzogen werden müsse. Die erkrankte Mannschaft 
wird für diese Zeit im Garnisinsspital untergebracht. Sollte die 
Reinigung erfolglos bleiben, so wird das Pionnier-Bataillon von 
hier vollständig nach Tulln und Krems verlegt. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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(Amtliches.) Das Ministerium des Iunern hat dunh Erlaß vom 
21. Juni 1890 den Verkauf der B B ra n d t’schen Schweizerpillen“ jeder Art 
verboten. 

(Mi litär-ärztlichcs Officiersoorps) Der Oberstabsarzt 
II. CI. Dr. Josef Kbänkl, bisher Chefarzt des Militär-Invaliden- 
bauses in Wien, ist zum Leiter des Garnisonsspitales Nr. 2 in Wien 
ernannt worden. Zum Chefarzt des Militär-Invalidenhauses wurde 
der Oberstabsarzt Dr. Johann VcOiniö vom Platzcommando in Wien 
ernannt, zu welchem der Stabsarzt Dr. Wenzel Mrlzer vom 
Garnisonsspital Nr. 15 in Krakau transferirt wurde. 

(Zahnärztliche Ferialcurse.) An dem neuen, vom Universitäts- 
Docenten Dr. Julius Scherf jnn. geleiteten zahnärztlichen Universitäts-Ambu¬ 
latorium wird von dem Assistenten Dr. M. Karolyi eiu sechswöchentlicher 
Ferialcurs über operative und conservative Zahnheilkunde und ein solcher 
über Zahnersatzkunde gelesen werden. Beginn des Curees am 21. Juli d. J. 
Anmeldungen werden im genannten Ambulatorium, IX., Garnisonsgasse 8, 
täglich von 5—7 Uhr Abends, entgegengenommen 

(Statistik.) Vom 22. bis inclusive 28. Juni 1890 wnrden in den 
Civilspitälarn Wiens 4641 Personen behandelt. Hievon wurden 897 
entlassen; 118 sind gestorben (11*62°/ 0 des Abganges), ln diesem Zeiträume 
wnrden ans der Civilbevölkerung Wiens nnd der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheriti8 57, ägyptischer Äugenentzündung 6, Cholera —, Flecktyphus 1, 
Abdominaltyphus 9, Dysenterie —, Blattern 11, Varicellen 23, Scharlach 41, 
Masern 689, Keuchhusten 97, Wundrothlauf 25, Woohenbettfieber 2. — In 
der 26. Jahreswoche sind in Wien 362 Personen gestorben (+13 8 e K en 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der Primararzt 
der Rudolfstiftung Dr. Franz Kiemann, 52 Jahre alt; in Hietzing 
bei Wien der Oberstabsarzt I. CI. Dr. Rohm v. Hermannstädten ; 
in Feldkirchen der praktische Arzt Dr. Rem BOLD im 73. Lebensjahre; 
in Madrid der Professor der Histologie Dr. A. Maestre de Sanjuan; 
in Chicago der hervorragende Gynäkologe Prof. H. T. Bycford. 

(Zur Auswahl unter den Arsenwässern.) In Nr. 14 
des Londoner „Lancet“ vom 5. April d. J. lesen wir u. A. folgende 
bemerkenswerthe Aeußernng des bekannten Internisten und Pharma¬ 
kologen Dr. Wynn Wbstcott, London: 

„Die meisten der bisher bekannten Eisenwässer enthalten kein Arsen; 
die sogenannten Arsenwässer, wie Bourboule, Royat und St. Etifenne, bei ge¬ 
ringem Arsengehalt hingegen gar kein ELen. Es hat daher die Einführung 
des Levico-Wassers ans Süd-Tirol nach England einem thatsächlichen Bedürf¬ 
nisse entsprochen nnd sollte kein Arzt verfehlen, dasselbe kennen zu lernen, 
da in demselben sowohl Eisen als Arsen in derart entsprechenden nnd die 
Wirkung verbürgenden Quantitäten vorhanden sind, daß durch die vorge¬ 
schriebene Dosis von 2—6 Löffel täglich, in 10— I2facher Diluirung mit Roth 
wein, Bier oder Wasser genommen, der Heilzweck rasch und sicher zu er¬ 
reichen ist. 


Eingesendet. 

Ein Denkmal für Bi cord. 

Zur Errichtung eines Monumentes für Ricord im Höpital du midi, an 
der Stätte der ruhmreichen Thätigkeit dieses Gründers der wissenschaftlichen 
Syphilidologie, ist in Paris ein Comitä hervorragender Kliniker, an deren 
Spitze Fouknier , zusammengetreten. Dasselbe wendet sich biemit an die 
österreichisch-ungarischen Collegen mit der Einladung, ihrerseits durch Bei¬ 
träge das geplante Werk zu fördern nnd damit auch die gerechte Hoffnung 
erfüllen zu helfen, daß, wie das Wirken Ricord's, so auch die seinem An¬ 
denken zngedachte Ehrenbezeugung einen internationalen Charakter gewinne. 

Beiträge werden von Dr. A. Pionot, 93. Rue de Seine, Paris, und von 
dem Gefertigten entgegengenommen. 

Wien, Juli 1890. : Prof. Kaposi. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Bum A., Therapeutisches Lexikon für praktische Aerzte. Liefernng 5—8 
Wien und Leipzig 1890. Urban & Sch wa rzen b-er g. 

Seitz C., Grnndriß der physikalischen Untersuchnngsmethoden innerer Or¬ 
gane. Mit 9 Holzschnitten und l Tafel in Buntdruck. Leipzig und Wien 
1890. Franz Denticke. 

Braun v. Fernwald Egon, Beiträge zur Lehre der Laparotomien. Leipzig 
nnd Wien 1890. Franz Deut icke. 

Mouce E. J., Lecons sur les malndies du larynx. Avec des tigures en noir 
dans le texte. Paiis 1890. Octave Do in. 

Coroet G.j Ueber Tnberculose. Mit 4 Figuren im Text. Leipzig 1890. 
Veit & Co. 


Bing A., Voilesnngen über Ohrenheilkunde. Mit 82 Holzschnitten und 
1 Doppeltafel. Wien 1890 Wilh. Braumüller. 

Cornll A. V. et Bubes V., Les Bactöries et leur röle dans l’ötiologie, 
l’anatomie et l’histologie pathologiques des maladies int'eetieuaei. III. 
Edition refondue et augmentöe. Paris 1890. F. Ale an. 

Verhandlungen der Dejtschen Gesellschaft für Gynäkologie. III. Congreß 
(1889). Mit 15 Abbildungen. Leipzig 1890. Breitkopf & Härtel. 
Ballet G., l'ie innerliche Sprache und die verschiedenen Formen der 
Aphasie. Uebersetzt von Dr. Paul Bongers. Mit 12 Abbildungen. 
Leipzig nnd Wien 1890. Franz Denticke. 

Thiry, Des r6tr6cissements du caual de l’uröthre. Bruxelles. Becquart- 
A riew. 

Wender N., Kurzgefaßte Anleitung zur chemisch-mikroskopischen Unter¬ 
suchung des Harns. Wien 1890- M. Per les. 

Dräsche, Influenza. Wien 1890. M. Perles. 

Fraenkei C., Grnndiiß der Bacterienkunde. III. Auflage. Berlin 18"0 Ang. 
H i rsch w al d. 

Penzoldt F., Lehrbuch der klinischen Arzneibehandlung. II., veränderte 
Auflage. Jena 1890. Gustav Fischer. 

Pfeiffer L., Die Protozoen als Krankheitserreger. Mit 34 Abbildungen und 
1 Tafel. Jena 1890. Gustav Fischer. 

Ledderhose G., Die chirurgischen Erkrankungen der Bai chdecken und di 3 
chirurgischen Krankheiten der Milz. Mit 5 Holzschnitten. Deutsche 
Chirurgie. Lief 45b). Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Ufer Chr., Nervosität und Mädchenerziehung in Haus und Schule. Wies¬ 
baden 1890- J. F. Bergmann. 

Vogel A., Lehrbuch der Kinderkrankheiten. Umgearbeitet von Dr. Ph. 
Biedert. X. vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 3 lithoiraphirten 
Tafeln und 39 Holzschnitten. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Knnze C. F. und Schilling Fr., Handbuch der spociellen Therapie, mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Prophylaxe. Stuttgart 1390. Ferd. Enke. 
Zlemssen H. v. und Bauer J., Arbeiten aus dem medicinisch-klinischen 
Institute der K. Ludwig Maximilian-Universität zn München. II. Band. 
1. und 2. Hälfte. Mit 16 lithographirten Tafeln. Leipzig 1890. F. C. 
W. Vogel. 

Verantwortlicher Redactenr: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


Ofene Correspondenz der Redaction und Administration. 

Herren Dr. A. S. in Saybusch. Ihr Abonnement reicht bis Ende 1. J. 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Concursansschreibung für die Gemeinde arztessteile 

in Niederndorf im Unterinntlialo (Tirol). Mit derselben ist verbunden ein 
Jahrespauschale von 4')0 fl-, wofür der Gemeindearzt die unentgeltliche Be- 
handlung einschließlich der Medicamenten-Verabreichung an die wenigen, in 
dem V* Stnnde entfernten, in der Gem-inde Ebbs gelegenen Armenhause be¬ 
findlichen Pfründner zu leisten und die Besorgung der sanitäts polizeilichen 
Agenden im Sinne der DieDstes-Instruction der Gemeindeärzte für Tirol zu 
übernehmen hat. 

Die Haltung einer Hausapotheke ist nothwendig nnd ist die Einrichtnug 
zur freien Benütznng vorhanden. 

Die Todtenbeschau und die öffentliche Impfung hat der Gemeindearzt 
gegen die normirten Gebühren zu besorgen. 

Der Sanitätsdistrict des Gemeindearztes umfaßt 5 Gemeinden mit 2600 
Einwohner. 

Die Gesuche sind bis Ende Jnli d. J. an die k. k Bezirkshaupt¬ 
mannschaft zu richten. 

Kufstein, am 26. Juni 1890. 651 

Der k. k. Bezirkshauplmann: Fischnaler m. p. 

Die vereinigte Districts- und Graf v. E g g e n’sche Fabriks- 

arztesstelle zu FeiBtritz im Rosenthale, im Gerichtsbozirke Ferlach ist er¬ 
ledigt. Mit dieser Stelle sind folgende Bezüge verbanden: 1. Eine Jahres¬ 
remuneration von 150 fl. aus dem Landesfonde 2. Ein Jahresbeitrag von 85 fl. 
von Seite der beiden Gemeinden des Sanitätsdistrictes Feistritz im Rosenthale. 

3. Ein Jahresgehalt von 600 fl. aus der Feistritzer Fabrikskrankencasse. 

4. Freie Wohnung, sowie 15 Meter-Klafter Holz pro Jahr von Seite der 

Fabriksinhubung. 5. Für die Vornahme der Todtenbeschau, für die Armen¬ 
behandlung, für die Durchführung der Impfong, für die Reisen in Sanitäts¬ 
angelegenheiten der politischen Verwaltung und der Gemeinden die in der 
diesbezüglichen Vorschrift enthaltenen Gebühren (Kundmachung der hoben 
Landesregierung vom 12. Februar 188\ Z. 1156). Der Anzustellende hat 
eine Hausapotheke zu halten und die Medicameute für die Mitglieder der 
Krankenca«se nach seinerzeit mit der Fahr ksdirection zu vereinbarenden Be¬ 
dingungen zn liefern. Die wechselseitige Kündigungsfrist beträgt 2 Monate 
Bewerber um diese Stelle wollen ihre vollständig belegten Gesuche bis zum 
26. Juli 1890 hieramts überreichen • 

K. k Bezirkshaupt man n sc lieft Klagen fnrt, 
am 27. Juni 189J. 

Der k. k. Regierun.•sratli: Kronig. 

Geriohtiarzt beim k. k. Landesgerichte in Troppau. Gesuche 

bis 17. Juli. 


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9. Bel 8ohwlohezuatfinden naoh erschöpfen- 5. Bei Nervenkrankheiten, 
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inzensbad. _ ' vie “ Karlsbs 

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geringen Eisengehaltes ausnehmend gut verlragen wurde. Dies habe ich 
speciell tinigemale bei solchen Kranken constatiren können, welche andere 
ähnlich zusammengesetzte Mineralwässer zu vertragen nicht im Stande waren. 

Wien, den 4. April 1889. Dr. Rudolf Clirobak, 

k. k. o ii. Professor, Vorstar d der gebur sbilfl. 

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Nr. 28. 


Sonntag den 13. Juli 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die .Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format Btark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener K l i n ik , 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21 . 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 6 fl., viertelj. 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk„ nalflj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslände 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mecuz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


■sie* 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT* Originalien und klinische Vorlesungen. Notizen über die Denguefieber-Epidemie und die Influenza-Epidemie zu Smyrna. Von Dr. G. 

’ Diamantopulos. — Therapie der Syphilis. Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. — Ueber die snbcutanen Drüsenerkrankungen im Spätstadium 
der Syphilis (Lymphoma oder Bubo gummös, s. tertiär.) Von Dr. Sigmund Lustgarten in New-York. Referate und literarische Anzeigen. 

C. Gaur* (Tübingen): Myxödem beim Kinde. — Roux und Nocabd: Wann erscheint das Watbgift im Speichel wathkranker Thiere? — Grundriß 
der klinischen Diagnostik. Von Dr. G. Klempkber, Privatdocent an der Universität, Assistent der I. med. Klinik in Berlin. — Feuilleton. Der 
neue „Weltcnrort“ Wörishofen in Bayern und die Kneipp’sche Wassercar. (Ein Reisebrief.) — Kleine Mittlieiinngen. Uuber die Immuutät 
der Bevölkerung in Ortschaften mit Kalkindustrie gegen Lungenschwindsucht. — Heilung der Sterilität wegen Cervicalcatarrhs durch Jod in 
statu nascenti. - Abortivbehandlung des Herpes. — Snspensionsbehandlnng bei Tabes und anderen Erkrankungen des Nervensystems. — 
Mechanische Behandlung der Frostbeulen an den Händen. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Köntgl. Gesellschaft der Aerzte tn Budapest. 
(Orig.-Ber.) — Berliner medicinische Gesellschaft. (Orig.-Ber.) — Notizen. Congreßvorbereitungen. — Literatur. — Offene Correspondenz der 
Redaction und Administration — Aentliehe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Notizen 

über die 

Denguefieber-Epidemie und die Influenza- 
Epidemie zu Smyrna. 

Von Dr. CK Diamantopalos. 

Ende Juni vorigen Jahres wurde unsere Stadt von einer 
bis dahin bei uns unbekannten epidemischen Krankheit über¬ 
rascht, welche durch ihre rasche und ausgedehnte Verbreitung, 
durch ihre Neuheit und ihren noch nicht bekannten Charakter 
das Publicum in hohem Grade alarmirte. Die Aerzte schenkten 
der Epidemie große Aufmerksamkeit und studirten und discu- 
tirten mit Eifer Alles, was auf sie Bezug haben könnte. Die 
Krankheit wurde bald als das Denguefieber erkannt. 

Diese, in mehrfacher Beziehung interessante Krankheit 
war vielen meiner Collegen bereits aus der neueren Literatur 
wohl bekannt, indem sie in einigen Ländern und auf Inseln 
des östlichen Mittelmeeres in den letzten Decennien mehrmals 
epidemisch aufgetreten ist und in verschiedenen raedicinischen 
Zeitschriften beschrieben wurde. Ich führe hier die Literatur 
an, welche die Epidemien des Denguefiebers unseres Orients 
betrifft, so weit sie mir bekannt wurde. 

Der Chronikschreiber Ga berti (citirt von Bruner in seinen 
„Krankheitendes Orients“, 1847, S. 311) war der Erste, welcher 
die Krankheit erwähnt; er schreibt, daß im Jahre 1779 in 
Cairo eine Krankheit epidemisch herrschte, welche abu-rokab 
(= Knieübel) hieß, wie das Denguefieber noch heutzutage 
von der arabisch sprechenden Bevölkerung Egyptens und 
Syriens genannt wird. 

Bruner selbst (1. c.) beschreibt ziemlich ausführlich und 
trefflich unter der Bezeichnung „acuter fieberhafter Rheuma¬ 
tismus“ die uns beschäftigende Krankheit nach einer von ihm 
in Cairo im Jahre 1845 beobachteten Epidemie. Die Patienten, 
welche in’s Spital kamen, klagten vorzugsweise über ihre Knie, 
was die obengenannte Volksbezeichnung erklärt. 


In den Jahren 1856 und 1878 erschien das Dengue¬ 
fieberin Benghasi von Iripolis (Pasqua, Bull. gen. de TÜerap., 
1880, Janvier), in den Jahren 1868 und 1871 in Port-Said 
(Vauvray, Arch. de möd navale, 1872, XVII, 74), 1877 
in Suez , Ismailia und Alexandrien (Üacarogna), 1878 und 
1880 in Alexandrien und Cairo (Strkoulis, Gaz. möd. d’Orient, 
1880, S. LI), im Sommer 1881 in Canea auf Kreta (Warouchas, 
Verhandl. des I. Congr. griech. Aerzte, 1882, S. 84, französisch 
von Dr. C. Stekoulis) und auf Syra (Papalekopulos , eben¬ 
daselbst, S. 522). Mein Studiencollege und Freund Dr. Makkas 
gibt an, im selben Jahre in Athen unzweifelhafte Fälle von 
Denguefieber beobachtet zu haben, ohne daß es zu einer 
Epidemie gekommen wäre. Im Jahre 1888 trat die Krankheit 
auf Cypem auf (Kakageorgiodis, Revue mödico-pharmaceutique, 
Constantinopel 1889, Nr. 6). Im Jahrgang 1889 dieser Zeit¬ 
schrift findet man Berichte aus mehreren türkischen 
Städten. Seit dem Jahre 1861, wo das Denguefieber 
zuerst in Beiruth erschien, bis 1889 ist es daselbst vierzehn 
Male aufgetreten (H. i e Brunn, Sem. medicale, 1889, p. 75 
und 462). Die Krankheit erschien im October 1889 in Piräus 
und Athen, und zwar zuerst bei Leuten, welche aus Smyrna 
und den kleinasiatischen Inseln dahin reisten. Sie ist nach¬ 
gewiesenermaßen dahin von unseren Gegenden eingeschleppt 
worden , gewann aber bei weitem nicht die ungemein große 
Verbreitung wie bei uns. 

Nach der Schweigsamkeit der Literatur und nach den 
Angaben meiner älteren Collegen zu urtheilen, ist das Dengue¬ 
fieber im Vorjahre zum ersten Male bei uns erschienen. 

Ich beabsichtige hier nicht das Denguefieber in 
jeder Hinsicht ausführlich zu beschreiben, sondern manche 
wichtige Momente unserer Epidemie und manche wichtige, zum 
Theil seltene Localisationen des Processes hervorzuheben, welche 
in den Handbüchern entweder nur berührt oder gar nicht er¬ 
wähnt werden. 

Die Krankheit ist in unsere Stadt von Alexandrien oder 
Beiruth eingeschleppt worden und erschien zuerst in der oberen 
Stadt, wo sie etwa 10--15 Tage beschränkt blieb und dann 
in die untere Stadt, in die Vorstädte und die naheliegenden 
Dörfer sich verbreitete, in welchen viele Smyrnaer Familien 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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ihren Sommeraufenthalt nehmen, und welche mit der Stadt 
viel verkehren. Es muß hervorgehoben werden, daß die Krank¬ 
heit die ganze Stadt und die umliegenden Dörfer nicht zu 
gleicher Zeit befiel, vielmehr verbreitete sie sich ziemlich 
langsam und allmälig nach allen Richtungen, und daß die 
entfernten, wenig bevölkerten Viertel zuletzt und um eine 
Zeit heimgesucht wurden, wo die Epidemie in den zuerst be¬ 
fallenen und in den centralen Vierteln der Stadt bereits er¬ 
loschen oder im Erlöschen begriffen war. Die nahe der oberen 
Stadt gelegenen und mit derselben am stärksten verkehrenden 
Vorstädte wurden früher als andere heimgesucht. Im selben 
Viertel wurden nicht alle Straßen und Häuser in gleicher In¬ 
tensität ergriffen, ebensowenig ganz nahe liegende Straßen um 
dieselbe Zeit. 

Die Epidemie verbreitete sich allmälig auch nach außen, 
zu Land und zu Wasser, nach Chios, Samos, Mytilene, Wurla, 
Cydoniae, Magnesia, Hidin etc. Nachgewiesenermaßen wurde 
die Krankheit von Smyrna nach Athen eingeschleppt. 

Die Erkrankungsfälle waren in unserer Stadt so enorm 
zahlreich, daß in allen Häusern gleichzeitig mehrere Patienten 
bettlägerig waren'), und nach wenigen Tagen folgten die übrigen 
Familienmitglieder, einzeln oder gruppenweise je 2—3—4, so 
daß binnen 4 Monaten */ 4 der Bevölkerung, wenn nicht mehr, also 
150.000 Menschen, am Dengue erkrankten. Von den 105 Aerzten 
sind kaum 4—5 verschont geblieben. In manchen Straßen der 
oberen Stadt erkrankten, als die Krankheit daselbst in der 
Blüthe stand, fast alle Bewohner gleichzeitig, so daß die armen 
Patienten jeder Pflege entbehrten und sogar die Darreichung 
von Wasser zum Löschen des Durstes wie Almosen von einem 
gesund gebliebenen Nachbar erbaten; die Patienten selbst 
erzählen solche Ereignisse. Was. die orientalische Tradition 
über die von Guberti erwähnte Epidemie erzählt, „daß ganze 
Familien durch die Krankheit aufs Lager gestreckt wurden, 
und daß bei dieser Gelegenheit Diebe in die Häuser einbrachen, 
jedoch nicht selten während der Ausführung ihrer üblen Ab¬ 
sichten plötzlich von der Kniekrankheit ergriffen und an Ort 
und Stelle zu bleiben gezwungen wurden (Broner, 1. c., S. 311), 
darf nach den bei uns gemachten Erfahrungen kaum über¬ 
trieben erscheinen Viele Patienten erkrankten plötzlich so 
schwer, daß sie nach Hause getragen werden mußten, und ein 
Dieb kann mitten in seinem Geschäfte ebenso gut von der 
Krankheit, wie von der Polizei überrascht werden. 

Man hat oft die Beobachtung gemacht, daß die Krankheit 
die Personen großer Familien gruppenweise ergriff, indem 
2—3—4 Personen am selben Tage erkrankten, und 10 bis 
15 Tage später folgte eine zweite Gruppe und dann eine dritte. 

Anfangs November hatte die Epidemie stark abge¬ 
nommen und erlosch bald, man könnte sagen, aus Mangel 
an erkrankungsfähigem Material, ln dieser Zeit wurden 
sporadisch solche Leute befallen, welche die Krankheit noch 
nicht überstanden hatten, oder in entfernten Vierteln wohnten, 
und Einige wurden zum zweiten Male ergriffen. 

(Fortsetzung folgt.) 

Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. 

(Fortsetzung.) 

Eine zweite Methode der Syphilisbehandlung mittelst 
Quecksilber ist die innerliche Anwendungsweise desselben, die 
in früheren Zeiten häufig gebraucht, heute noch bei Vielen 
beliebt und namentlich in Frankreich sehr gangbar ist. Man 
gibt Calomel, Sublimat, Protojod. hydrargyr., Hydr. tannic. 
oxydul. (Lustgarten', Hydr. jodat. fiav. u. A. im Allgemeinen 
in Pulvern von 1 Ctgr., bei Erwachsenen 2—3 Ctgr. pro die. 

*) Im Orient wohnt jede Familie in einem Hause, welches, je nach dem 
Wohlstände und der Größe der Familie, mehr oder weniger geräumig ist. Die 
europäischen Miethcasernen sind hei nns unbekannt. In den großen Städten 
gibt es jedoch Häuser, welche, meist ebenerdig, 10—20 Familien beherbergen. 


Da aber diese Mittel gleich allen Quecksilberpräparaten auf die 
Darmschleimhaut reizend wirken und Diarrhöen verursachen 
können, so verbindet man dieselben gerne mit Opium. 

Als man das Jod in den Fünfziger-Jahren als gegen 
Syphilis wirksames Mittel methodisch anzuwenden begonnen 
hatte, entwickelte sich bald die Vorstellung bei den Aerzten, 
daß es nicht nur in gleichwerthigem Sinne wie Quecksilber 
wirke und daher ad libitum in Abwechslung mit diesem bei 
Lues gegeben werden könne, sondern daß es auch als eine Art 
Antidot gegen das Zuviel von Hg sich geltend mache, von 
dem man, wie im 16. Jahrhunderte, auch heute noch vielfach 
allerlei böse Folgen für den Organismus fürchtet, oder das man als 
Veranlassung der späten ulcerösen Formen ansicht. Undsohatsich 
vielfach der Usus eingeführt, nach der Hg-Cur die Kranken 
eine Jodcur machen zu lassen. 

Die Voraussetzung ist wohl irrig. Das war schon klar, 
da man nach dem Beispiele der Franzosen die Verbindungen 
von Jod und Hg als Proto- und Deutojodur. hydrargyri stets 
mit gutem Erfolge gegen die floriden Syphilis-Symptome an¬ 
gewendet hat, während nach jener Vorstellung das eine die 
Wirkung des andern hätte paralysiren sollen. Man muß annehmen, 
daß das Präparat sich spaltet und beide Constituentia ihre 
Wege gehen und ihre besondere Wirkung entfalten. Ich will 
hier hervorhebeu, daß das Jod in Form von Jod-Natrium 
oder Jod-Kalium, oder als Tinctura jodina in Lösungsform 
in der Behandlung der Syphilis eine große Rolle spielt und 
neben dem Quecksilber das einzig specifische Mittel gegen die 
Lues ist, und die Erfahrung hat gelehrt, daß das Jod bei 
gewissen Formen der Syphilis, wie bei den Periostitiden, 
nächtlichen Kopf-, Gelenks- und Knochenschmerzen, bei Gummen 
und sonstigen ulcerösen Formen, ferner dort, wo Darm- 
erscheinungen auftreten, besonders gute Dienste leistet, indem 
die Symptome, welche auf Einreibungen nur schwer alterirt 
werden, auf Jod sehr prompt und im günstigen Sinne sich 
ändern und schwinden. 

ln ähnlichem Sinne wirken Jodoform und Jodol intern. 

Die Behandlungsweisen mittelst dieser Mittel und 
Methoden, zu welchen noch die mittelst Sublimatbädern und 
die durch Belegen großer Hautflächen . mit grauem Pflaster 
gehören, sind diejenigen, welche man als die allgemeine Behand¬ 
lung der Syphilis bezeichnet, an welche sich die mittelst der 
Holztränke anreiht. Bei uns steht in häufigstem Gebrauch das 
Decoctum Zittmani, in Italien ist das Decoctum Pol- 
lini gebräuchlich. Das Decoctum Zittm. wird nach gewissen 
Vorschriften in den Apotheken zubereitet und man findet darin 
unter Anderem auch Folia sennae; auch etwas Quecksilber soll 
in manchen Präparaten enthalten sein. Wie immer das Decoct 
auch hergestellt sein mag, Thatsache ist, daß es sich durch 
die Praxis als ein sehr bewährtes Mittel erprobt hat, wovon 
der Umstand Zeugniß gibt, daß in manchen Oertlichkeiten die 
Aerzte nur mit Decoctum Zittmani Syphilis behandeln und 
dasselbe als das einzig wirksame Mittel preisen, nicht davon 
zu sprechen, daß es in den Zwanziger-Jahren des 16. Jahr¬ 
hunderts wesentlich schon in Form der sog. Holztränke von 
Guajak und Sarsaparilla in die Therapie eingeführt, Decennien 
hindurch als das einzige antisyphilitische Mittel in Verwen¬ 
dung stand und das Quecksilber für einige Zeit vollständig 
zu verdrängen im Stande war. Auch Bärensprung , der 
Begründer der deutschen dualistischen Lehre, hat mit Decoct. 
Zittmani behandelt. Dann gab es eine Zeit, wo Sigmund 
behauptete, daß das Decoct. Zittmani gar nichts nütze. Wenn 
ich meine Anschauung über dieses Mittel mittheilen darf, so 
kann ich sagen, daß es ein vorzügliches Mittel ist, u. z. 
wie die Erfahrung gelehrt, besonders für die Spätformen der 
Syphilis. Der Werth desselben bei den früheren Formen 
der Syphilis ist ein ganz geringfügiger; dagegen werden 
Sie jedesmal dasselbe mit Vortheil anwenden, wenn es sich 
um ulceröse Formen handelt, wenn Sie mit Gummen des 
Rachens, des Gaumens, mit einer Leber- oder Darmsyphilis 
zu thun haben. Ich habe jetzt einen Patienten in Behandlung, 


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der die Zeichen eines acuten Darmcatarrhs zeigt, bei dem 
ich einige schmerzhafte Stellen im Darm fand und nach der 
objectiven Untersuchung und nach der Angabe der Anamnese 
mit ziemlicher Sicherheit die Diagnose auf eine Colitis syphi¬ 
litica stellen konnte. Auf Grund dieser Diagnose habe ich 
scheinbar gegen die Raison, da der Patient 10—12 Stühle 
täglich hatte, Decoct. Zittmani gegeben, und der Erfolg war 
ein überraschend guter. Die Schmerzen gingen zurück, die 
Stühle wurden seltener und geformt, und der Patient ist 
bald genesen. Sie können dies Präparat auch geben, wenn hef¬ 
tige Cardialgien vorhanden sind, Sie können es selbst bei 
Leuten geben, die an habitueller Diarrhoe leiden, weil man nicht 
wissen kann, unter welchen Verhältnissen die Darmsyphilis 
auftritt. Sie dürfen sich von dem Darreichen dieses Mittels 
nicht abhalten lassen, selbst wenn die Leute erklären, es nicht 
zu vertragen. 

Zu bemerken ist, daß manchmal durch diese Behandlung 
sehr heftige Coliken entstehen können; ist das der Fall, 
dann setzt man das Mittel aus. Oder man läßt das Präparat 
mit Folia sennae sine resina zubereiten, das weniger reizend 
auf die Darmschleimhaut wirkt. 

Nun gibt es noch eine ganze Menge von Mitteln, welche 
man gegen Syphilis angewendet hat, u. z. nicht als directes 
Mittel zur Zerstörung des Virus, sondern alseine Art Behelf 
in gewissen zweifelhaften Fällen. Wenn man nämlich einen 
Patienten eine gewisse Zeit behandelt hat, und er mit der anti¬ 
syphilitischen Cur fertig ist, dann ist man noch im Zweifel, ob 
der Mann vollkommen gesund ist, oder ob er noch Recidiven 
bekommt. Die Erfahrung lehrt, daß die Meisten Recidiven 
bekommen. Von diesen Mitteln sind zunächst die Bade¬ 
euren in Betracht zu nehmen, u. z. vor Allem die Jod- 
und Schwefelbäder. Was die Jodbäder anlangt, so sind 
sie zweifellos wirksam und für derartige Patienten zu em¬ 
pfehlen. Von unseren Badeorten sind Hall, Darkau, Iwoni^a 
und Linik in erster Linie zu erwähnen und zu empfehlen. Alle 
diese Bäder sind, wie gesagt, nur gegen die späteren Sym¬ 
ptome der Syphilis, also gegen die Knochenaffectionen, gegen 
die ulcerösen Formen von Wirkung, während die recente 
oder die exanthcmatische Syphilis von Jodbädern kaum beein¬ 
flußt wird. Ich habe die schlechtesten Syphilisformen recenter 
Form ungeheilt von Jodbädern zurückkehren gesehen, wenn 
nicht dortselbst gleichzeitig anderweitige Behandlung gemacht 
vurde. 

Was die Schwefelbäder anlangt, so ist namentlich ein 
Schwefelbad, nämlich Aachen, welches eines besonderen 
Rufes, in der ganzen Welt sich erfreut. In jedem Lande, auch 
bei uns, gibt es eine große Zahl von Schwefelbädern, wie Baden 
bei Wien, aber Aachen ist mit Rücksicht auf die antisyphilitische 
Wirkung zu einer historischen Berühmtheit gelangt. Was die 
Wirksamkeit der Schwefelbäder gegen die Syphilis anlangt, so 
haben sich die Ansichten mit dem Fortschritte der Medicin 
verschiedentlich geändert. Es hat eine Zeit gegeben, wo man 
behauptete, daß die Schwefelbäder gegen Syphilis gar nicht 
wirken, dann gab es eine Zeit, wo die Anschauung herrschte, 
die Schwefelbäder locken die latente Syphilis heraus und 
schaffen dadurch den Zweifel weg, ob Jemand vollkommen 
gesund ist, oder ob er noch Recidiven zu gewärtigen hat. In 
demselben Sinne werden auch Leute mit Schwefelbädern behan¬ 
delt, wenn wir nicht wissen, ob sie nach einer Infection über¬ 
haupt Syphilis bekommen. Dann hat es eine Zeit gegeben, 
wo man behauptete, daß Schwefel auf das Quecksilber in 
ähnlicher Weise wirke, wie das Jod, indem es das im Orga¬ 
nismus abgelagerte und schädlich wirkende Metall zur Aus¬ 
scheidung bringe. Jetzt ist man zur Einsicht gelangt,, daß, 
wenn Jemand Syphilis hat, er neben den Einreibungen auch 
Schwefelbäder nehmen kann, und Aachen hat in dieser Be¬ 
ziehung nichts voraus vor Baden bei Wien oder einem anderen 
Schwefelbade. 

(Schluß folgt.) 


Ueber die subcutanen Drüscnerkrankungen 
im Spätstadinm der Syphilis. 

(Lymphoma oder Bubo gummös, s. tertiär.) 

Von Dr. Sigmund Lustgarten in New-York. 

' (Schluß.) 

Kehren wir nch dieser kurzen Abschweifung zu unserem 
Thema zurück. Cunningham berichtet unter dem Titel: „Case of 
supposed Lymphadenoma“ über einen 35jährigen Mann mit 
einem enormen Tumor, welcher rechts von der Mitte des 
Halses bis mehrere Zoll unterhalb der Brustwarze reichte, 
während linkerseits die Drüsen ebenfalls vergrößert waren. 

M’Call Anderson, der hervorragende Kliniker in Glas¬ 
gow, der zu einer Consultation beigezogen worden war, hielt 
Syphilis nicht für ausgeschlossen und verordnete Jodkali, das 
einen so auffallend günstigen Effect hatte, daß an der syphi¬ 
litischen Natur der Affection kaum gezweifelt werden kann. 
CoorER berichtet kurz über einen Patienten, dessen beider¬ 
seitige Supraclaviculargegenden von großen weichen Drüsen 
angefüllt waren. Der blaße und kachectische Mann war 
zweifellos syphilitisch. Heilung durch specifische Behandlung. 

Ferner beschreiben Lannois und Lemoine folgende zwei 
interessante Fälle: 1. Bei einem 34jährigen Manne, der vor 
4 Jahren Syphilis acquirirt hatte, bildet sich in der linken 
Leiste ein orangengroßer, harter, bei Berührung schmerzhafter 
Tumor, der erweicht und suppurirt. Im weiteren Verlaufe 
greift der Proceß auf die Vena femoralis über und führt zu 
Phlegmasia alba dolens. Heilung unter specifischer Behand¬ 
lung in 2•/# Monaten. 2. I9jähriges, kräftiges, aber sehr 
anämisches Mädchen mit 3 Jahre alter Syphilis zeigt in beiden 
Leisten bis wallnußgroße, sehr harte, wenig schmerzhafte, 
wenig verschiebbare Bubonen. Heilung unter Traitement 
mixte. Mein Freund, Prof. Lannois , citirt auch meine Fälle 
I und II, von denen ich den letzteren ihm gelegentlich seines 
Wiener Aufenthaltes demonstriren konnte., während meine 
mündliche Mittheilung ihn von dem ersten in Kenntniß ge¬ 
setzt hat. Ich selbst habe über die vorliegende Frage mich 
in gedrängter Kürze im .Artikel Bubo des von Villaret 
herausgegebenen Handwörterbuches der gesammten Medicin 
ausgesprochen und daselbst als 4. Art der Bubonen den gum¬ 
mösen oder tertiären Bubo aufgestellt. 

Als Letzter hat Esmakch in einem Aufsehen erregenden 
Vortrage (Ueber Aetiologio und Diagnose der bösartigen Ge¬ 
schwülste) auf dem diesjährigen Chirurgen-Congresse in Berlin, 
ohne Mittheilung specieller Fälle, das Vorkommen tertiär¬ 
syphilitischer Drüsengeschwülste aus eigener Erfahrung aus¬ 
gesprochen. Der Vortragende hat die Ueberzeugung gewonnen, 
daß ein großer Theil der Geschwülste, die gewöhnlich als 
Sarcome angesehen und exstirpirt werden, zu den Syphilomen 
gehören. „Syphilome können jahrelang als Geschwülste be¬ 
stehen, : ohne zu ulceriren. Werden Syphilome exstirpirt, so 
stellen sich rasch Recidiven und alle anderen Zeichen der 
Bösartigkeit ein.“ Der Vortrag ist vorwiegend den Lippen- 
und Zungengeschwülsten gewidmet, aber man ist wohl be¬ 
rechtigt, das im Allgemeinen über das Vcrhältniß von Syphilom 
zu Sarcom Gesagte auch auf das Drüsensyphilom zu über¬ 
tragen. Esmarch geht so weit — zu weit, wie ich glaube — 
die Hypothese aufzustellen, daß in vielen Fällen die Ent¬ 
stehung von Geschwülsten, namentlich Sarcomcn, Zusammen¬ 
hänge mit einer von syphilitischen Vorfahren herrührenden 
Disposition. 

Bevor wir aus dem vorliegenden Material ein klinisches 
Bild construiren, verdienen einige Momente specielle Beachtung. 

Sowohl bei unseren Fällen I—TIE, sowie von anderen 
Beobachtern ist eine deutliche, mehr minder hochgradige 
Anämie constatirt worden. Ich zweifle nicht, daß sic mit 
der Drüsenerkrankung als solcher in Beziehung stehe, ohne 
daß sie für den Grundproceß als charakteristisch gelten könne. 
Es ist bekannt, daß bei Erkrankungen über viele Lymph- 

l * 


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drüsen sich in der Regel Bläße, Chloranämie, Digestions¬ 
störungen einstellen. In einer Gruppe derselben erweist sieh 
das Blut, um nur ein Hauptmoment hervorzuheben, auf Kosten 
der rothen Blutkörperchen viel reicher an lymphoiden Zellen 
(Leucämie und Leucocytose bei Syphilis), in der zweiten ist 
das Blut verarmt an geformten Elementen, Hämoglobin und 
gelösten Eiweißstoffen, Oligämie (Pseudoleucämie, Drüsen- 
affection bei Syphilis, Scrophulose etc.). In beiden Fällen 
kann die consecutive Störung des Stoffwechsels und Gas¬ 
austausches zu einer Art von Kachexie und Marasmus führen. 
Zwischen beiden Formen kommen übrigens Uebergänge vor, 
und es ist sehr wahrscheinlich, wie schon Vjrchow angenommen, 
daß auch mechanische Momente eine ausschlaggebende Rolle 
spielen können. Functioniren die hypertrophischen Lymph- 
drüsen und sind deren abführende Wege frei, so wird das 
Blut mit lymphoiden Zellen überschwemmt werden; ist da¬ 
gegen, was der häufigere Fall ist, die Productivität der 
Drüsen unterbrochen, durch Necrobien oder durch Hindernisse 
in der Lymphbahn, dadurch, daß in dem hyperplastischen 
Gewebe die Zellen sehr dicht gedrängt sind, so wird die Bil¬ 
dung der weißen Blutkörperchen verlangsamt. 

Diese Momente sind im klinischen Sinne wichtig, weil 
sie einem relativ gutartigen Processe, wie im gegebenen Falle 
der Syphilis, wofern derselbe Lymphdrüsen befällt, den 
Charakter eines malignen Processes (Leucämie, Pseudoleucämie) 
geben können. 

Was den Verlauf des subcutanen gummösen Lymphomes 
betrifft, so entspricht dieser dem von Virchow für das Gumma 
aufgestellten Schema. Wir unterscheiden demgemäß drei 
Stadien: 1. Stadium einfacher Irritation. Die Zwischen¬ 
substanz bleibt gelatinös und bewahrt eine gewisse Cohärenz. 
Aehnlichkeit mit hyperplastischem Verlauf. 2. Medulläres 
Stadium. Die Zellproliferation nimmt überhand, die Zwischen¬ 
substanz erweicht, die Masse des Tumors schmilzt puriform. 
Aehnlichkeit mit heteroplastischen Processen, wie Medullar- 
krebs und Sarcom. Eine Reihe der oben angeführten Fälle 
illustrirt auch für das Drüsengumma das eben Gesagte. 
Endlich 3. Käsiges Stadium. Die Zellproliferation ist 
wenig reichlich, die Intercellularsubstanz vermehrt sich, die 
Zellen behalten den Charakter der Bindegewebs- oder Granu¬ 
lationszellen, verfetten und es kommt zur Bildung der trockenen 
gelben Knoten der inneren Organe. Für diese Form haben 
wir nur in unserem Fall IV ein Beispiel. 

Dieses pathologisch - anatomische Schema erläutert und 
ergänzt in klarer Weise das, was uns der klinische Verlauf 
zeigt, und es ist wichtig, es im Auge zu behalten, weil es 
uns auf die falschen Wege hin weist, welche die Diagnose nur zu 
leicht wandeln kann. 

Gehen wir nun daran, das klinische Bild zu resu- 
miren: 

Die tertiäre Syphilis befällt von den subcutanen Drüsen 
vorwiegend die Inguinaldrüsen , in zweiter Linie die Drüsen 
der Halsgegend, besonders die submaxillären und supraclavi- 
culären (Cunningham, Langenbeck, Homolle, Fall I und IV etc.), 
viel seltener die Cervical-, Axillar- (Cunningham) und Cubital- 
drüsen (Homolle j ). 

Selten ist eine einzige Drüse Sitz der Erkrankung 
(Langenbeck, Fall IV), in der Regel ein Drüsenpaquet, oder 
die Drüsen einer ganzen oder mehrerer Regionen (Cunningham, 
Fall I etc.). 

Die erkrankten Drüsen präsentiren sich als rundliche, 
ovale, derb elastische bis harte Tumoren (nur Cooper be¬ 
richtet über weiche Tumoren), von uneben höckeriger Ober¬ 
fläche, oder als vom Centrum aus erweichende, Fluctuation 


’) Vielleicht ist die lelative Häufigkeit der Ingninaldrtisen-Erkrankung 
nur eine scheinbare, weil sie weniger olt übersehen wird. Die Ideenassociation 
zwischen Inguinalbubo und Syphilis ist eben eine viel festere, als zwischen 
dieser Erkrankung und anderen Drüsen. Doch wäre es immerhin möglich, 
daß die Inguinaldrüsen, die im FrühstaJium der Syphilis bei genitaler In- 
fection am schwersten erkiankt sind, auch häufiger Recidiven des tertiären 
Stadiums darbieten. 


darbietende Geschwülste, oder sie liegen als verkäste Masse 
zu Tage. Die erstgenannten zwei Formen findet man oft 
neben einander, und die Beobachtung lehrt, daß die zweite 
mehr minder rasch aus der ersten hervorgeht. 

Die Größe der Lymphome schwankt von der einer 
Kirsche bis einer Orange. Die Mehrzahl der Tumoren hat 
Wallnußgröße. 

Die Drüsen sind in der Regel indolent oder bei Druck 
empfindlich, dann und wann, besonders Nachts, tritt dumpfer 
oder durchschießender Schmerz auf Selten scheint excessive 
Schmerzhaftigkeit wie bei bösartigen Tumoren vorzukomm* n 
(Langenbeck’s Fall). 

Die gummösen Lymphome erscheinen im Beginne auf 
ihrer Unterlage und unter einander mäßig verschiebbar. Bei 
längerem Bestände bilden sich schwielige und narbige Ver¬ 
wachsungen, welche die Drüsen untereinander und mit ihrer 
Unterlage fest fixiren. und die sich in die Septen der Fascien 
hinein erstrecken, sowie Gefäße und Nerven umwachsen, so 
daß sich der chirurgischen Auslösung der Lymphome sehr 
große Schwierigkeiten entgegenstellen. In einzelnen Fällen 
zeigen sich weiter von einander entfernte Drüsen durch 
knotige, bis federkieldicke Lymphstränge n it einander ver¬ 
bunden. 

Die Haut ist und bleibt über vielen Drüsen mäßig ver¬ 
schiebbar; an anderen, zumeist den prominentesten, verwächst 
sie mit der Drüsenkapsel. Erweicht oder verkäst dann die 
Drüse, so wird die Haut meist', ns einbezogen, sie röthet und 
infiltrirt sich, wird braunroth, livid, verdünnt sich sodann, 
wenn die Drüsenkapsel durchbrochen, und läßt nach ihrer Per¬ 
foration eine honigartige, Gewebstrümmer führende, klebrige 
oder eine mehr puriforme, graugelbliche Masse zu Tage treten. 
Seltener gangränescirt die Haut, um >ich dann als mehrere 
Centimeter im Durchmesser haltender Schorf abzustoßen und 
ein charakteristisches luetisches Drüsengeschwür oder eine 
verkäste Drüse zum Vorschein kommen zu lassen. In anderen 
Fällen greift der Proceß nach dem Durchbruch auf die Haut 
über und führt zu ausgedehnten serpiginösen, ulcerösen 
Syphiliden (Verneuil, Mauriac). Der letztgenannte Verlauf 
bildet eine interessante Analogie mit dem über scrophulösen 
Drüsen, besonders von der Perforationsstelle aus, mitunter 
auftretenden Lupus vulgaris. 

Die tertiären Lymphome präsentiren sich: 1. Concurrirend 
mit oder secundär nach anderen tertiären Erscheinungen 
(Virchow V, VI, XI, Campana I, II, III, Gönnet u. A.). 
Gleichzeitig können auch viscerale Affectionen vorhanden sein. 
2. Bei einem prädisponirten Individuum im Anschluß an chirur¬ 
gische oder anderweitige Traumen oder in Drüsen, die eine 
vorausgegangene Erkrankung zu einer Pars minoris resistentiae 
gemacht hatte (Vkrneüil, unser Fall HI, vielleicht Mauriac’s 
Fälle). 3. Als einzige Manifestation der Erkrankung (Potier, 
Verneuil, Bourdon, Cunningham, Cooper, Langenbeck, Lannois, 
Wagner, Birch-Hikschfeld, unsere Fälle I—IV). 

Die Krankheit entwickelt sich und verläuft in der Regel 
chronisch. Die Lymphome können Monate und selbst über 
2 Jahre als harte Tumoren bestehen, wenn auch häufiger nach 
mehrmonatlichem Bestände einzelne derselben zur Erweichung 
kommen. Wie im Allgemeinen bei tertiärer Syphilis, ist 
der spontane Heiltrieb ein sehr geringer oder ganz aufge¬ 
hoben. 

Im Beginn der Erkrankung ist Leucocytose (Virchow) 
beobachtet worden. Besteht die Affection längere Zeit und 
sind viele Drüsen befallen, so treten die Erscheinungen mehr 
minder hochgradiger, bis zur Kachexie gesteigerter Oligämie 
(Chloranämie) auf. 

Das Alter der erkrankten Individuen schwankt von 11 
bis 53 Jahren. Am häufigsten waren das 3. und 4. Decennium 
in Contribution gesetzt. 8 ) 

Daß bei der bekannten Disposition des 1. und 2. Decennimns zu 
Erkrankungen des lymphatischen Systems wenig Beobachtungen aus dieser 
Alfersperiode vorliegen, legt die Vermnthung einer Verwechslung mit Scro¬ 
phulose nahe. 


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Nr. 28. 


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Eine zweckmäßige antisyphilitische Behandlung hat in 
allen Fällen in kurzer Zeit Heilung herbeigeführt. 

Ein Blick auf das Gesagte zeigt, daß die uns beschäf¬ 
tigende Affection durch eine Anzahl klinischer Uebergänge 
eine große Aehnlichkeit mit einer Reihe anderer Processe dar¬ 
bietet. Es kommt auch hier wieder die proteusartige Eigen¬ 
schaft der Syphilis zum Ausdruck, andere Krankheitsprocesse 
gleichsam zu imitiren. Im Ganzen muß man sagen, daß 
man die tertiären Lymphome öfter richtig erkennen wird, 
wenn man überhaupt an ihr Vorkommen denkt. Ist letzteres 
der Fall, so wird man vielleicht auch eine Reihe von 
Nuancen erkennen, die diagnostisch belangvoll sind und die 
man besser selbst wahrnchmen als beschreiben oder Anderen 
begreiflich machen kann. Für alle zweifelhaften Fälle gilt 
der alte Erfahrungssatz: In dubiis suppose luem! 

Um die Frage der Differentialdiagnose nur zu berühren 
— zu erschöpfen ist sie nach dem derzeitigen Stande unserer 
Kenntnisse nicht —, ist zu bemerken, daß das Drüsengumma, 
wenn es nur eine Drüse befällt, verwechselt werden kann 
mit primärem Drüsencarcinom, Sarcom der Lyraphdrüso im 
engeren Sinne, Enchondrom, Scrophulose und Actinomycose. 
Das Sarcom wird sich unter Anderem in der Regel durch 
viel rascheres Wachsthum unterscheiden, das Enchondrom 
durch seine langsame Entwicklung und große Stärke, während 
die große Seltenheit von primärem Drüsenkrebs in 
Zweifelhaften Fällen zu Gunsten von Gumma wird stimmen 
lassen. Bei Scrophulose, resp. Tuberculose, käme außer 
Differenzen des Verlaufes, der Complicationen, der Farbe etc., 
theoretisch noch die bacteriologische Untersuchung in Betracht. 
Ich sage theoretisch, weil in der Praxis der Nachweis von 
Bacillen im Drüseneiter häufig nicht gelingt, Thierversuche 
nicht immer leicht anzustellen sind, und weil dieselben, wenn 
nicht mit allen Cautelen der modernen bacteriologischen 
Technik vorgenommen, erst recht zu diagnostischen Irre¬ 
führungen Anlaß geben können. Dagegen wird Actino¬ 
mycose leicht durch den Nachweis der Actinomycesdrüsen 
auszuschließen sein. *) 

Sind viele Drüsen befallen, so kommen die primären ein¬ 
fachen Hypertrophien in Betracht, eine nicht aufge¬ 
klärte Affection, die besonders von älteren französischen 
Autoren als beim Militär häufig vorkommend beschrieben 
wird, die scrophulösen , resp. tuberculösen Lymphome, 
die durch mehr flache Ausbreitung und Weichheit bei Be¬ 
rücksichtigung des Blutbefnndes gekennzeichneten leucämi- 
sc.hen Tumoren, sowie die malignen Lymphome (Pseudo- 
leuoämie, HoDGKiN’sche Krankheit). 

Wenn auch den letzteren gegenüber die gummösen 
Lymphome sich im Allgemeinen durch größere Neigung zum 
Zerfall, langsameren und gutartigeren Verlauf charakterisiren, 
so zeigen doch die oben angeführten Fälle von Wunderlich, 
BmcH-HmscHFELD, Cunningham, selbst unser Fall I, wie schwer 
unter Umständen die Diagnose sein kann. 

Sind die Drüsengummen secundär oder begleitet von 
anderen Erscheinungen der Syphilis, so wird ihre richtige 
Ausheilung keine Schwierigkeiten bereiten. 

In allen zweifelhaften Fällen ist der Weg der Diagnose 
e juvantibus zu betreten, und zwar um so rascher, als die 
Möglichkeit einer Entartung im klinischen Sinne (richtiger 
Complication) lange Zeit unbehandelter Gummen in bösartige 
Tumoren nicht ausgeschlossen ist. Der Schaden, den eine 
unzeitgemäße specifische Behandlung stiften kann, ist ver¬ 
schwindend klein gegen den therapeutischen Effect im ent¬ 
gegengesetzten Falle. 

Die Therapie soll eine energische sein, am besten ein 
Traitement mixte aus Einreibungen und Jodkali, verbunden 
mit mehrwöchentlicher Darreichung von Decoctum Zittmani. 

*) lieber bacterioskopische Untersuchung von Drüsengummen liegen bis 
jetzt keine Nachrichten vor. Wohl deshalb, weil die bei weitem größere 
Anzahl der Fälle aus der vorbacterielkn Epoche stammt und sich überhaupt 
so selten Gelegenheit zur mikroskopischen Untersuchung bietet. 


Nach dem Verschwinden der Erscheinungen Anregung des 
Stoffwechsels und der Ausscheidungen durch warme Bäder, 
Dampfbäder, Massage etc. und wöchentlich alternirende interne 
Verordnung von Jodkali und Mercur. Daneben diätetische 
Maßnahmen, Tonica etc., je nach den Verhältnissen des ge¬ 
gebenen Falles. 

Zum Schlüsse noch eine Bemerkung über die sowohl im 
Titel als auch wiederholt im Texte gebrauchte Bezeichnung 
„gummöses oder tertiäres Lymphom“. Es wäre zu wünschen, 
daß dieselbe sich einbürgerte, und zwar aus praktischen 
Gründen. Die pathologische Anatomie definirt zwar das 
Lymphom als eine Neubildung vom Charakter dos Lymph- 
drüsengewebcs. Dem gegenüber hat sich auch für rein hyper¬ 
plastische oder chronisch entzündliche Processe, die klinisch 
als Neubildungen imponiren (Leucämie, malignes Lymphom), 
die Bezeichnung „Lymphom“ mit dem entsprechenden Epi¬ 
theliom eingebürgert. Es ist in Analogie mit diesem Vor¬ 
gänge auch die tertiär-syphilitische Drüsenerkrankung den 
Lymphomen anzureihen, und es ist zu erwarten, daß dadurch 
— durch die Verknüpfung des letzteren Namens mit dem 
Suffix der Lucs — das richtige Erkennen der oben geschil¬ 
derten Affection gefördert wird. 


Literatar: Potieb: Bulletin de la Societö anatomique, 1842. 

— Salnbuve: Thöse de Paris, 1852. — Dt» Ruklles: Thöse de Paris, 1852. 
Sarrhos: Thöse de Paris, 1853. — Cahen: Un on mödicale, Octob. 1859 u. 
Januar 1860. — Gosselin: Gazette des höpitaux, 1861. — Vibcrow: Con¬ 
stitutionelle Syphilis, 1860. — Rollet: Traitö des maladies veneriennes, 2 vol. 

— Potain : Thöse d'agregation. Lösions des ganglions viseöraux, 1860. — 

Lanckraux: Traitö de la Syphilis, 1*66- — Verneuil: Archives de möd. et 
de chir., 1871. — Campana: Giornale italiano delle mal. ven. e della pelle, 

1871. — Bourdon: Ann. de Dermat. et Syphil., 1872—73. — Gönnet: Thöse 
de Paris, 187S. — Damage : Thöse de Paris, 1880. — Homolle : Art. Syphilis, 
Diction. Jaccoud. — Maüriac: Gaz. des höp., 1878. — E. Wagner: Das 
Syphilom. Arch d. Heilk., Vol. IV und VII. — Langenbeck: Arch. f. klin. 
Chirurgie, 1881. — Ziegler: Lehrb. d. path. Anat., II. Aufl. — Cunning- 
ham: Glasgow. Med. Joura., 1880. — Coopeb: In Bebxeley Hill et Coopeb, 
Syphilis. — Lannois et Lemoinb: Rev. do Möd., 1887. — Lustgarten: Art. 
Bubo, Villabet’s Handwörterbuch der ges. Medicin. — Esmabch: Deutscher 
Chirurgencongreß, 1889. 

(N e w - V o r k, 606 Hjulimn ATCDae.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

C. Garr£ (Tübingen): Myxödem beim Kinde. 

Die große Seltenheit des spontanen Myxödems beim Kinde (in 
der Sammelforsehuug der Clinical society of London befindet sieh 
unter 109 Fällen blos oiner, ein 13jähriges Kind betreffend) recht¬ 
fertigt die kurze Wiedcrgabo des folgenden, in Bruns’ „Bei¬ 
trägen zur klinischen Chirurgie“ ausführüoh mitgetheilteu Falles. 
Der 12jährige Pat. aus Kempten (Bayern) stammt von gesunden 
Eltern, die nie an Struma gelitten haben. Das etwas rachitische 
Kind soll im Alter von 2—4 Jahren 2mal Anfälle bekommen haben, 
wobei es plötzüch steif und bewußtlos wurde. Mit dem 4. Lebeus- 
jahre entwickelte sich das Kiud besser. Mit dem 5. oder 6. Jahre 
fiel es den Eltern auf, daß die körperliche Entwicklung des Kindes 
im Rückstand blieb • und auch das geistige Vermögen zu wünschen 
übrig ließ. Mit 7 Jahren wurde das Kind in die Schule geschickt, 
besuchte dieselbe 5 Jahre lang, doch konnte es mit seinen Mit¬ 
schülerinnen nicht Schritt halben. Bei beschränktem Auffassungs¬ 
vermögen ermüdete es geistig sehr rasch. Eine ausgesprochene 
Schlafsucht war ihm stets eigen. 

Stat. praes. Pat. auffallend klein. Keine Mißbildungen , keine 
Verkrümmungen der Extremitäten. Gesicht gedunsen. Haare auffallend 
voll und schön. Haut blaß, fühlt sich derb-elastisch, ähnlich wie 
beim chronischem Oedem, an, doch bleibt der Fingerdruck nicht 
stehen. Sonstiger Haarwuchs wie Pubes sehr spärlich. Trotz ener¬ 
gischer Muskelarbeit keine bemerkenswerthe Hauttranspiration. Tem¬ 
peratur 36'4—37’2° C. Herztöne rein. Puls 100—120. Das Blut 
zeigt aaßer einer Herabsetzung des Hämoglobins auf 62% ein Ver- 
hältniß der weißen zu den rothen Blutkörperchen von 1 : 680. (In 
den meisten Fällen von Myxödem ist die Zahl der weißen Blut¬ 
körperchen vermehrt.) Respirationssystem normal. Von der Schild- 


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1124 


drtlse findet sich nur rechts an der Trachea, ungefähr Uber dem 
3. Trachealriug, ein derbes, hasolnußgroßcs Knötchen und von diesem 
aus quer über die Luftröhre eine eben fühlbare Auflagerung, die 
auf der linken Seite in einem circa kirschkerngroßen Köpfchen 
endet. Diese Tlieüe sind fest mit der Trachea verwachsen. Sonst 
findet sich nichts, was einer Glandula thyreoidea ähnlich wäre. 

Vcrdauungstract normal. Die Milchzähne bestehen noch. Darm- 
thätigkeit träge. Keiue Lymphdrüsen sch well ungen. Urin normal. 
Ebenso Leber und Milz. Von Seiten der Sinnesorgane nichts Patho¬ 
logisches. 

Die Hautreflexe sind vorhanden. Die Sebnenrefloxe sogar etwas 
erhöht. Schwere Störungen von Seiten des Nervensystems nicht vor¬ 
handen. Convulsionen, Ohnmachtsanfälle, Schwindel sind nicht auf¬ 
getreten. Alle Bewegungen des Kindes sind langsam, unbeholfen. 
Der Gang ist plump, watschelnd. Die intcllectuellcn Eigenschaften 
sind sehr mangelhaft, bei schwerem Begriffs- und langsamem Auf¬ 
fassungsvermögen. Von Charaktereigenschaften ist Eigensinn und 
große Reizbarkeit hervorzubeben. Die Sprache ist langsam. 

Charakteristisch in diesem Falle ist das gedunsene Gesicht, 
die verdickte trockene Haut und vor Allem der Mangel an Schwei߬ 
bildung. Abweichend vom allgemeinen Bilde ist das üppige Haupt¬ 
haar. Hämorrl.agien scheinen bei Myxödem recht häufig zu sein; in 
diesem Falle häufiges Nasenbluten. Von der Schilddrüse sind in 
diesem Falle nur Reste vorhanden, denen unmöglich die volle Func¬ 
tion eines gesunden Organs zugeschricben werden kann; überdies 
sind diese Theile der Trachea adbärcut, was wohl auf irgend welche 
vorausgegangene Entzflndungserscheinungen schließen läßt. In psy¬ 
chischer Beziehung entspricht das Bild dem bei Myxödem gewöhn- 
1 ch beobachteten : Mangel an geistiger Regsamkeit, Schläfrigkeit, 
stupide finstre Physiognomie, langsames Denkvermögen, schwere 
Auffassungsgabe. 

Trotz sorgfältiger Beaufsichtigung und Nachhilfe in Schul¬ 
arbeiten kann ein Fortschritt in intellectueller Beziehung nicht con- 
statirt werden. Durch orthopädische Uebungcn scheint das Mädchen 
etwas gelenkiger und regsamer zu werden. An eine Heilung ist 
selbstverständlich nicht zu denken. Sch. 

Roux und Nocard: Wann erscheint das Wuthgift im 
Speichel wuthkranker Thiere? 

Jemand wird von einem Thiere gebissen, das zur Zeit des 
Bisses keinerlei Anzeichen von Wuth hat, welches aber nach 3 — 4 
Tagen wuthkrank wird. Läuft das geb'ssene Individuum Gefahr, 
wuthkrank zu werden und soll es sich der Präventivbehandlung 
unterziehen ? 

Der befragte Arzt weiß darüber um so weniger sichere Aus¬ 
kunft zu ertheilen, als die Wissenschaft noch ungenügende Arbeiten 
über dieses spccielle Thema besitzt. Es war daher eine dankens¬ 
werte Aufgabe, die sich die beiden ausgezeichneten Verff. gestellt 
haben, indem eie eine Reihe von Versuchen anstellten, um die Frage 
zu lösen: zu welcher Zeit erscheint das Wuthgift im Speichel wuth- 


F e u i 11 e t o n. 


Der neue „Weltcurort“ Wörishofen in Bayern 
und die Kneipp’sche Wassercnr. 

(Ein Beisebrief.) 

Fort sollte es gehen mit dem Dampfrosse ohne Unterbrechung 
von Isar-Athen an die herrlichen Gestade dos Bodenpocs nach der 
Inselstadt Lindau. Aber der Mensch entgeht seinem Geschicke 
nicht, und daher der Arzt nicht den Kranken. In greifbarer Ge¬ 
stalt tauchten sie plötzlich vor mir auf, die Geister, die ich floh, und 
lenkten mich weit ab von meinem Ziele in das bayerische Gebirgs- 
dorf Wörishofen, wohin tausende und tausende wirkliche und 
eingebildete Kranke pilgern, zum Apostel des Naturheilverfahrens, 
Pfarrer Kneipp, um Heilung zu suchen für ihre Gebrechen. 
Das kam so. 


kranker Thiere? Die Resultate dieser Versuche sind in Nr. 3, 
1890, der „Anuales de l’Institut Pasteur“ niedergclegt. In einer 
ersten Versuchsreihe wurde Hunden in die vordere Kammer Emulsion 
des Markes eines wutlikranken Thieres injicirt. Bekanntlich bildet 
eine Erhöhung der Temperatur das erste Krankhoitssymptom. So 
bald eine solche eintrat, wurde d«r Speichel dieser Hunde auf 
Kaninchen und Meerschweinchen übertragen., Es zeigte sich dabei, 
daß der Speichel 3 Tage vor Auftreten irgend eines Symptoms der 
Wuth virulent war. 

Es fragt sich nun, ob nicht die Infcction durch die. vordore 
Augenkammer den Uebergang des Giftes in den Speichel begünstigt 
und ob sich die Dinge bei subcutaner Infcction ebenso verhalten. 
Bei letzterer Infectionsweise zeigte sich der Speichel 30 Stunden 
vor Auftreten jedes Symptoms schon virulent. Bei subduraler In- 
fection mit Virus fixe ist der Speichel erst am 7. Tage, also gleich¬ 
zeitig mit dem Auftreten der ersten Wuthsymptome, virulent. Das 
Gift befindet sich in um so größerer Menge im Speichel, je vor¬ 
gerückter die Krankheit ist. 

Als Resultat dieser Versuche kann somit gesagt werden, daß 
ein Hund schon 3 Tage vor dem Auftreten jeder Er¬ 
scheinung der Wuth gefährlich sein kann. g CHNIßER 

Grundriss der klinischen Diagnostik. Von Dr. G. 

Klemperer , Privatdocent an der Universität, Assistent der 

I. med. Klinik in Berlin. Mit 56 Abbildungen. Berlin 1890. 

August Hirschwald. 

Unter den zahlreichen und kostbaren Ehrengeschenken, welche 
Berlins hervorragendster Kliniker, Prof. Leyden, gelegentlich seines 
kürzlich gefeierten 25jährigen Lchrerjubiläums erhalten, nimmt das 
vorliegende, unscheinbare Büchlein, die Gabe des dankbaren Schülers, 
einen der ersteu Plätze ein uud dürfte dem Jubilar eine Stunde der 
Freude bereitet haben. „Ich gebe nur wieder, was ich in glück¬ 
lichen Lehrjahren empfangen“, schreibt der Autor als W'idmung auf 
das erste Blatt seines Buches, und wahrlich, er hat. es gelernt, gut 
wiederzugeben. 

Nach Besprechung des Ganges der diagnostischen Untersuchung 
behandelt der Verf. die Aufnahme der Anamnese und des Allge¬ 
meinstatus, die Diagnostik und specielle Symptomatologie der In- 
fcctionskrankheiten, die Krankheiten des Nervensystems, des Dige¬ 
stions-, Respirations- und Circulationsapparatos, der Niere, die Stoff¬ 
wechsel- und Blutanomalien und'die tierischen Und pflanzlichen 
Parasiten in knappster und doch durchaus erschöpfender Dar¬ 
stellung. Wenn es versucht werden soll, aus dem Guten das Beste 
hervorzuheben, so möchten wir auf die Oapitcl „Symptome der 
acuten Infectionskrankheiten“, „Untersuchung des Mageninhaltes“ 
und „Harnuntersuchung“ hinweisen, welche dem Lernenden wie dem 
Praktiker das Wissenswerte in nuco wiedergeben. Ihnen sei das 
mit guten Holzschnitten und einem sdrgfältig angelegten Register 
versehene Taschenbuch, dessen Ausstattung rühmoud hervorzuheben 
ist, bestens empfohlen. b. 


Kaum hatte ich mich in meinem Coupe zurechtgesetzt, klomm 
ein wohlbeleibter Mann mit strotzendem Gesichte und verräterischen 
Ectasien an Na&e und Wangen keuchend und pustend die Tritt¬ 
bretter herauf, der, nachdem er sich ausgeschnauft, in unver¬ 
fälschtem Wiener Dialect zu raisoniron bogann. Nach ihm wurde 
ein schmächtiger Mann hineingehobon, der nach dem atactischen 
und stampfenden Auftreten und dem Schwanken beim Uradrehen zu 
schließen, an Tabes zu leiden schien. Diesem folgte, ein junges 
chlorotischps Mädchen, begleitet von der besorgt aussehendon Mutter ; 
und nach diesem hinkte einq blaßo Dame herein, welche das rechte. 
Bein auf einen mitgebrachten Fcldscheincl stützte. Eine hagere 
Norddeutsche mit schmachtendem Blicke und dem Riechfläschchen 
vor der Nase, ein junger Mann mit Psoriasisplaques an den sicht¬ 
baren Hautpartien und endlich eine dralle Person mit schmerzhaftem, 
Gesiebtsausdrucke und dio Hände auf dio Magengrube gestützt, 
waren dio weiteren Reisegefährten. Dieses sämmtliche „klinische 
Material“ fuhr, wie sich beim Coupiren der Fahrkarten heraus¬ 
stellte, bis Türkheim, der zweiten Station auf der Zweigbahn 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


1126 


Buohloe-Meinmiugen, und das gemeinsame Reiseziel brachte die bis 
dabin einsilbige Gouversatiou in Fluß. „Sie fahren wohl auch zum 
Herrn Pfarrer,“ sagte der Wiener zu dem neben ihm sitzenden 
Tabetiker, und auf die bejahende Antwort erscholl es unisono von 
den Uebrigen, daß auch sie zu dem „Herrn Pfarrer“ fahren. Nun 
begann ein allgemeiner Pancgyricus auf den „Herr Pfarrer“ ; jeder 
wußte von Wundereuren zu berichten, welche der „Herr Pfarrer“ 
an Verwandten oder Bekannten verrichtet hat, wie er Blinde 
sehend, Taube hörend, Lahme gehend gemacht und jahrelang be¬ 
standene Gebresten, an welchen die berühmtesten Aerzte ihre Kunst 
vergeblich erprobt hatten, in kurzer Zeit zur Heilung gebracht habe; 
jeder rühmte seine Menschenliebe und Selbstlosigkeit, wie er Alles 
des himmlischen Lohnes willen und nicht des Erwerbes wegen 
mache. Jeder gab nun seine eigene Leidensgeschichte zum Besten, 
wie lange schon die Krankheit dauere, welche Aerzte und Professoren 
eonsultirt wurden , wie die verschiedensten Mittel und Badecuren 
keine Hilfe brachten u. s. w. Selbstverständlich kamen Aerzte und 
Professoren, Apotheker und Curplätze übel weg, und besonders der 
Wiener zog scharf auf dieselben los und beklagte sich über das 
Inhaliren , Massiren und Elektrisiren, womit die Kranken in den 
Wasserheilanstalten bei Wien geplagt werden, wo man für schweres 
Geld nur saure Milch zu trinken bekomme. 

Unterdessen hatten wir uus Buchloe genähert und, begierig 
den „Herrn Pfarrer“ kennen zu lernen, stieg ieh schnell ent¬ 
schlossen ab und nahm ein Billet nach Türkheim, woselbst wir gegen 
10'/ 2 Uhr Vormittags anlangten. Außer uns stiegen noch etwa 30 
Personen ab, im Nu waren die der Fahrgäste nach Wörichshofen 
harrenden Omnibusse und Lobnfuhrwerke besetzt und mit knapper 
Noth erhielt ich einen Sitz in einer Droschke, welchen mir ein 
ungarischer Priester anbot. Dieser feingebildete Mann, ein Gym¬ 
nasialprofessor aus Kalocsa in Ungarn, machte die weite Reise, um 
bei Pfarrer Kneipp Hilfe für seine Neurasthenie und nervöse 
Schlaflosigkeit zu finden, von welcher ihn Pester und Wiener 
Kliniker nicht befreien könnten. Nach einer ungefähr 8 / t stündigen 
Fahrt auf einer zwischen Wiesen und Fluren sich hinziehenden, 
sehr gut gehaltenen Straße fuhren wir in das freundliche, äuf einer 
Hochebene gegen 700 Meter über der Meeresfläche gelegene Dorf 
Wörishofen ein. „Quartiermacher“ harrten der an kommenden 
Gäste und geleiteten dieselben in die zur Verfügung stehenden 
Quartiere. 

Bei dem großen Andrange herrscht in Wörishofen eine große 
Wohnungsnoth. Der bis in die weiteste Ferne, sogar über den 
Ocean gedrungene Ruf des „Herrn Pfarrers“ hat binnen wenigen 
Jahren dienen entlegenen Erdenwinkel, ohne zu übertreiben, zu 
einem Weltcurort gemacht. Nicht nur aus Bayern, sondern auch 
aus dem übrigen Deutschland, aus Oesterreich - Ungarn , Rußland, 
Frankreich, England, der Schweiz, ja selbst aus Amerika kommen 
Kranke nach Wörishofen, um daselbst Heilung zu suchen. Nebst 
vielen, den höchsten Gesellschaftskreisen angehöreuden Curgästen ,j 
findet man in der Wörishofer CnrÜBte viele Geistliche, Professoren, ' 
hohe Militärs, Lehrer, Beamte, freilich auch Handwerker, Bauern 
und Arbeiter. Die Zahl . der gegenwärtig (Anfangs Juli) hier 
weilenden Curgäste wurde mir auf <300 angegeben, darunter viele 
aus Oesterreich, besonders aus Wien. Schön im Mai war es schwer, 
ein Unterkommen zu finden; obgloich Viele in den umliegenden 
Ortschaften Wohnung genommen haben, fehlt es mit Fortschreiten 
der Saison an Wohnräumeo, ja sogar an Betten, um Alle unter- 
zubringtn. 

Es mußten, wie mir mitgetheilt wurde, Massenquartiere aus¬ 
gerüstet werden, in welchen dio Patienten auf Heu oder Stroh die 
Nachtruhe pflegen müssen. Um der Wohnungsnoth abzuhelfen, 
wurden bereits viele Projecte gemacht, aber cs scheint an Unter¬ 
nehmungslustigen zu fehlen, weil, wie mir ein Bäuerlein pfiffig be¬ 
merkte, der „Herr Pfarrer“ bereits ein Siebziger ist, und mau nicht 
wissen könne, ob dann später die Sache so fortgehon werde. Auch 
die Kost in Wörishofen vermag kaum den allerbescheidcnsten An¬ 
sprüchen zu genügen. In dem Gasthause, wo ich zu Mittag speiste, 
und das mir als das erste im Orte bezeichuct wurde, saßen in eiuer 
niedrigen Stube dichtgedrängt die Gäste auf grob gezimmerten 
Bänken oder wackligen Stühlen und stillten mit augenscheinlicher 


Resignation ihren Hunger an den ortsüblichen Gerichten; als 
Servietten mußten die eigenen Taschentücher dienen. 

Die „Curanstalten“ bestehen aus 2 auf das allerprimitivste 
hergestellten und eingerichteten Badehäusern; das für Männer be¬ 
stimmte ist ein niedriger Brettorbau, dessen kleine Baderäume mit 
hölzernen Wannen für Voll- und Sitzbäder ausgerüstet sind; das 
etwa 100 Schritte davon entfernto Badehaus für Frauen ist solider 
gebaut, die Badezimmor sind bequemer und mit Blech- oder Zinn¬ 
wannen versehen. Eine Wiese in der Nähe der Badehäuser ist der 
beliebte Proraenadeplatz der Wörishofer Curgäste. Hier lustwandeln 
Männer und Frauen, von letzteren viele verschleiert und in eleganter 
Toilette, der Anordnung des „Herrn Pfarrers“ gemäß auf dem vom 
Thau oder Regen befeuchteten Grase; auch auf der Gasse begegnet 
man hie und da einem barfußen Spaziergänger, da, wie später 
berichtet werden wird, das Barfußgehen mit zum Naturheilverfahren 
gehört. 

Von 12‘/a—l 1 /» Uhr hält der „Herr Pfarrer“ die nachmit¬ 
tägige Sprechstunde iin Kloster der Dominikanerinnen, während er 
Vormittags im Pfarrhofe ordinirt. In Schaaren zogen bald nach 
12 Uhr die Kranken dem Klostergebäude zu, und als ich dort an¬ 
langte, harrte bereitB eine große Anzahl des Einlasses an der Kloster¬ 
pforte. Immer mehr schwoll die Menge an, so daß in der Vorhalle 
kein Platz mehr war und Viele im Hofraume warten mußten. End 
lieh that sich die Pforte auf und jeder erhielt von einem Assistenz¬ 
ärzte des „Herrn Pfarrers“ eine Einlaßkarte mit der Nummer der 
Reihenfolge zum Eintritt. 

Im Corridor gingen etwa 50 Geistliche in der Soutane barfuß 
umher ; es waren geistlicheCurgäste, welche gegen ein verhältniß- 
mäßig geringes Entgelt im Kloster verpflegt werden und statt im 
feuchten Grase täglich durch mehrere Stunden auf dem kalten Ge¬ 
steine barfuß herumgehen. 

Ich war nicht wenig überrascht, unter den geistlichen Herren 
einen meiner Clienten aus Böhmeu zu erblicken, der freudig auf 
mich zukam und mich herzlich im czechischen Idiom begrüßte. 
„Czechische Worte hörten sie klingen“, und sofort waren wir von 
einer Gruppe czechischer Priester aus Böhmen und Mähren umringt, 
die sich freuten, daß auch ein Arzt aus dem geliebten Böhmerlande 
zu Besuch nach Wörishofen gekommen sei. Einer der Herren hatte 
die Güte, mich dem eben in sein Sprechzimmer sich begebenden 
Herrn Pfarrer vorzustellen, welcher mich sofort mit der größten 
Freundlichkeit einlud, der Ordination an seiner Seite beizuwohnen. 

Bevor ich den freundlichen Leser einlade, dieser interessanten 
Ordination im Geiste beizuwohnen, sei es mir gestattet, ihn mit 
der Person des Herrn Pfarrers nach seiner Selbstbiographie und 
mit seinem Heilverfahren näher bekannt zu machen. 

Sebastian Kneipp hat als Sohn eines armen Webers das 
Handwerk seines Vaters erlernt. In der Absicht, Geistlicher zu 
werden, fing er als 21jähriger Webergesolle zu studiren an. Große 
: Anstrengung und körperliche Entbehrungen brachten ihn so herab, 

I daß er, von den Aerzten aufgegeben, als augenscheinlicher Todes- 
candidat in das väterliche Haus zurückkehrte. Zufälligerweise bekam 
er damals (1848) ein Buch über Wasserheilkunde in die Hände ; 
er befolgte die darin enthaltenen Rathschläge, und eine planmäßig 
fortgesetzte Wasserbehandlung stellte ihn so weit her, daß er seine 
Studien vollenden und Priester werden konnte. Dieses an sich und 
gleichzeitig auch an einem kranken Collegen erprobte Verfahren 
empfahl er dann in seiner Eigenschaft als Priester und Seelsorger 
auch anderen Kranken mit bestem Erfolge, so daß die Zahl der 
seinen Rath cinholendcn Kranken beständig wuchs und jetzt 
alljährlich mehrere Tausende beträgt. Seine großen 
Erfahrungen brachten ihn dazu, die gebräuchlichen Methodon der 
Kaltwasserbehandlung in wesentlichen Punkten umzuändern, so daß 
er allmälig ein Verfahren herausbildete, das unter dem Namen 
„Kneipp’s Naturheilverfahren“ weit und breit bekannt ist. 
Auf die Vorstellungen seiner Frounde, seine Erfahrungen nicht mit 
in’s Grab zu nehmen und auf die Bitten seiner unzähligen geheilten 
Kranken entschloß er sich nach langem Sträuben, in einem populär 
geschriebenen Buche seine Ansichten über das Wesen der Krank¬ 
heiten und die von ihm geübte Behandlungsmethode niederzulegen. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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Dieses Buch erlebte in weniger als 4 Jahren 14 Auflagen von je 
6000 Exemplaren und wurde bereits in fremde Sprachen übersetzt. 

Jede Krankheit habe, wie Kneipp meint, ihren Grund in 
einer entweder durch unregelmäßige Circulation oder durch Bei¬ 
mengung von schlechten Stoffen hervorgerufenen Blutstörung, und 
Aufgabe der Behandlung müsse es demnach sein, die unregelmäßige 
Circulation wieder regelmäßig zu machen, beziehungsweise die 
schlechten Stoffe aus dem Blute auszuscheiden. Diese Zwecke 
werden durch Anwendung des Wassers erreicht: es löst die schlechten 
Stoffe auf und scheidet die aufgelösten ans, es bringt das gereinigte 
Blut in regelmäßige Circulation und außerdem stärkt es den ge¬ 
schwächten Organismus. 

Für die Kaltwasserbehandlung habe der Grundsatz zu gelten, 
je mäßiger und schonender, ferner je kälter, desto bester. Im Be¬ 
ginne der Cur, bei alten und sehr jugendlichen Personen, bei 
schwachen, blutarmen und nervösen Kranken möge anfänglich 
ein höher temperirtes Wasser (14—15°) genommen werden. „Fliegen 
müssen nämlich mit Honig, und nicht mit Salz und Essig angelockt 
werden.“ Vor der Anwendung müsse sich der Kranke behaglich 
warm fühlen; das Aus- und Ankleiden müsse sehr schnell, gleich¬ 
sam per Dampf geschehen; nur Gesicht und Hände dürfeu abge- 
trocknet werden, über den übrigen nicht abgetrockneten 
Körper müsse schnell ein trockenes Hemd und der übrige Anzug 
geworfen und durch Bewegung (Arbeit oder Spaziergang) die Er¬ 
wärmung herbeigeführt werden. 

Frottiren und Reiben sei völlig zu unterlassen. 
Zu Umschlägen und Wickeln sei nur grobe Flachsleinwand zu ver¬ 
wenden ; ärmere Leute können Dröll, einen Sack aus Hanf u. dgl. 
benützen. 

Das beste Abhärtungsmittel sei das beständige 
Barfußgehen, und wo dieses nicht möglich sei, empfehle sich 
das Barfußgehen im nassen Grase ( 1 / 4 — s / 4 Stunden), auf 
nassen Steinen (3—15 Minuten), auf frisch gefallenem 
Schnee (3—4 Minuten); auch das Geben in kaltem Wasser 
— am einfachsten in einer Badewanne, in welcher das Wasser bis 
zu den Knöcheln oder den Waden reicht — das Eintauchen 
der Extremitäten in kaltes Wasser, das Begießen der 
Knie seien zur Abhärtung sehr geeignet. J ) 

(Schluß folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— In einem in Nr. 23 der „Prag. med. Wocb.“ veröffent¬ 
lichten Aufsatz über die Immunität der Bevölkerung in Ort¬ 
schaften mit Kalkindustrie gegen Lungenschwindsucht stellt Dr. 
Grab auf Grnnd seiner während einer 40jährigen Praxis in dem 
kalkindustriellen Hlubotschep gesammelten Erfahrungen folgende 
Sätze auf: 1. Es ist thatsächlich eine Immunität der Kalkofen¬ 
arbeiter gegen Lungenschwindsucht zu beobachten. 2. Diese Wir¬ 
kung der Kalkindustrie erstreckt sich aber in Hlubotschep auf die 
gesammte Bevölkerung und tritt bei derselben in der Zahl der Er¬ 
krankungen deshalb deutlicher zu Tage, weil die meisten Kalkofen¬ 
arbeiter anämisch sind und an chronischem Magencatarrh leiden, 
während die übrige Bevölkerung diese Nachtheile der Kalkindustrie 
nicht zu tragen hat. 3. Die heilsame Wirkung der Luft in der 
Umgebung der Kalköfen gibt sich auch bei Personen zu erkennen, 
welche sich längere Zeit in Hlubotschep aufhalten uud an Lnngen- 
tuberculose 1. oder im Beginne des 2. Grades leiden. Als Beleg 
für die ersten 2 Sätze führt Verf. die Sterblichkeitsstatistik aus 
den Jahren 1874—1888 an, während als Beweis des 3. Satzes 
einige kurze Krankengeschichten mitgetboilt werden, welche hohe 
Beachtung verdienen. In den Vierziger-Jahren erkrankte der damals 
26jährige, in Karolinenthal bei Prag wohnhafte Bruder des Verf. 
an Lungentuberculose. Prof. Oppolzer zweifelte an seinem Auf- 


') Das Barfußgehen ist, wie der römische Kaiser Mabcus Auhelius 
(Antonios Philosophns) in seinen „Selbstgesprächen“ im 5. Bache, §. 8 be¬ 
richtet, schon von Askckcios als Heilmittel empfohlen worden. Barfußgehen 
im feuchten Grase hat bereits Prisssnitz und nach ihm der Hydropath Dr. 
v. Schlfx'hta in Wartenberg angeordnet. Anm. d. Verf. 


kommen, rieth aber, den Pat. aus Karolinenthal mit den zahlreichen 
Fabriken weg und nach Hlubotschep zu nehmen. Dies geschah und 
während eines Sommeraufenthaltes erholte sich Pat. so vollständig, 
daß er nach 1 Jahre heiraten konnte und nach Leitomisohl über¬ 
siedelte, wo er bei anstrengender Thätigkeit, 69 Jahre alt, an 
Herzklappen fehler gestorben ist. — Der berühmte Geburtshelfer 
Seyfert litt vor seiner Ernennung zum Professor an starkem 
Spitzen catarrh, hatte Fieber und magerte sichtlich ab. Er nahm 
2 Jahre nach einander Sommerwohnung in Hlubotschep und war 
bald so weit hergestellt, daß er vollkommen geheilt nach Prag 
zurückkehren konnte. — Die Frau des Hofrathes Prof. Arlt er¬ 
krankte an Spitzencatarrb, magerte sehr bedeutend ab, so daß die 
Diagnose auf beginnende Lungentuberculose gestellt und ihr Zustand 
als besorgnißerregend angesehen wurde. Prof. Arlt wohnte deshalb 
4 Sommer mit seiner Gemalin in Hlubotschep, während welcher 
Zeit sich das Befinden der letzteren so augenscheinlich besserte, daß 
Prof. Arlt entschlossen war, sich in Hlubotschep anzukaufen, als 
er nach Wien berufen wurde. — Vor etwa 20 Jahren wurde Med. 
cand. Schönfeld kurz nach dem letzten Rigorosum von Hämoptoe 
befallen, so daß er nicht einmal promoviren konnte. Nach mehr¬ 
monatlichem Aufenthalte in Hlubotschep erholte sich Pat. treff¬ 
lich, ließ sich in der Nähe von Brünn nieder, wo er noch seine 
Praxis ausübt. Welches Agens diese Wirkung erzielt, muß durch 
eingehendere Untersuchungen bestimmt worden. 

— Broudel berichtet („Deutsch. Med.-Ztg.“ Nr. 51) über 
einen Fall von Heilung der Sterilität wegen Cervicalcatarrbs 
durch Jod in statu nascenti bei einer 23jährigen Frau, die vier 
Jahre verheiratet war, ohne in dieser Zeit gravid gewesen zu sein. 
Bei der Untersuchung fand Verf. das Collum uteri bläulich gefärbt, 
das Orificium mit einem zähen Schleimpfropf verstopft. Während 
7 Wochen applioirte er hierauf 15 Glycerinmedicationen und 8mal 
Jod in statu nascenti nach der Charon’ schen Methode. Nach Ablauf 
dieser Zeitdauer war jede Schmerzhaftigkeit beseitigt, hatte das 
Collum seine normale Färbung erlangt und der Schleim sich fast 
gänzlich verzogen. Als Verf. nach 3 Monaten die Kranke znm ersten 
Male wieder sah, befand sich dieselbe im Schwangerschaftszustande. 
Nach Verf. ist die erwähnte Methode in Fällen von Endometritis, 
welche die oatarrhalisehe Form annimmt, die einzige, die ein gün¬ 
stiges Resultat erzeugt. Die beiden Formeln für die Präparate, die 
zum Freiwerden des Jods nothwendig sind, sind folgende: 


Rp. Kalii jodat.10'0 

Aq. de8tillat.50‘0 


Mit dieser Lösung wird vermittelst eines am Stäbchen be¬ 
festigten Wattetampons der Canalis cervicalis ausgewaschen und 
bald darauf mit einem anderen Wattotampon die zweite Lösung 
aufgetragen: 

Rp. Acid. citric. .10‘0 

Aq. destillat.50*0 

Bei Berührung dieser Lösung wird das Jod frei. Die Behand¬ 
lung muß jeden 2. oder 3. Tag ausgoführt werden. 

— In einer Inaugural - Dissertation ans der medicinisehen 
Facultät zu Lille theilt Dr. Dupas folgende, von Leloir geübte 
Abortivbehandlung des Herpes mit: Im Beginne der Eruption 
werden in Alkohol oder in alkoholischen Lösungen getränkte Com- 
pressen auf die Hautstellen applicirt, wo Brennen verspürt wurde. 
Leitet man diese Behandlung im erythematösen Stadium oder im 
Beginne des vesiculären Stadiums ein, so gelingt es, die Herpes¬ 
eruption sehr rasch, schon in wenigen Stunden, zu coupiren. Nicht 
so constant sind die Resultate beim Herpes der Genitalien. Bei 
Herpes Zoster scheinen die Bläschen unter dieser Behandlung rascher 
einzutrocknen; nnr selten gelingt es, die Eruption zu coupiren. 
Leloir verwendet folgende Lösungen: 

Rp. Resorcin. pur.2*0 

Alcohol (90°).100-0 

Das Resorcin ersetzt er manchmal durch Thymol (1 Grm.), 
Menthol (1 Grm.), Carbolsäure (0 - 25 Grm.) oder Tannin (6 Grm.). 

Rp. Alcohol. (90°).100-0 

Resorcin. 2-0 

Cocain, hydrochl. 0*50—2 0. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse; — Nr. 28. 


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ln tier Privatpraxis gebraucht Leloir folgende Formel: 


, Pp. Alcohoi. (90°).lOO’O 

Extr. cannab. indio... .... 10*0 

Gooaln. hydrochlor. t’O 

, Spir. menth.10 - 0 


Auf die Eruption wird die mit einer der genannten Lösungen 
getränkte Compresse gelegt und mit Guttapercha bedeckt, das Ganze 
mit Heftpflaster, Collodium oder Zinkleim fixirt. 

. — Gilles de la Toürette berichtet in Nr. 23 des „Progrös 

mödicale“ übpr, die auf der Klinik Charcot’s seit Ende März 1889 
gesammelten Erfahrungen, betreffend die Su9pen8ion8behandlung 
.bei Tabes und anderen Erkrankungen des Nervensystemes. 
Die behandelten Fälle zerfallen in drei Gruppen: Tabetiker, 
Kranke, dieanParalysis agitans und solche, die an chronischer 
Ischias leiden. Von den letzteren zeigten einige ermuthigende Er¬ 
folge. Fast alle mit Paralysis agitans behafteten Pat. erfahren durch 
die Suspensionsbehandiung eine wesentliche Besserung, die sich 
hauptsächlich auf den Allgemeinzustand, den Schlaf und die Ab¬ 
nahme der schmerzhaften Steifigkeit bezieht. Die Mehrzahl der Fälle 
betrifft die Tabes. Mehr als 500 Tabetiker wurden mit Suspension 
behandelt. Von 100 Fällen im mittleren Krankheitsstadium wurde 
bei 20.bis. 25 nach 30. bis 40-Suspensionen eine .Besserung des 
Gesammtbildes der Krankheit, namentlich der lancinirenden 8chmerzen, 
der Ataxie,, der geschlechtlichen Functionen , der Blasenstörungen 
eönstatirt; bei 30 bis 35 trat nur eine Besserung eines oder mehrerer 
Symptome ein, und beim Rest war das Resultat absolut negativ. 
Die erwähnten Erfolge sind anhaltend, wenn die Suspension in ent¬ 
sprechenden Zeiträumen fortgesetzt wird. Diese Schlußfolgerungen 
beziehen sich auf Fälle, die durch mehr als 1 1 / a Jahre in Beobach¬ 
tung stehen. Außer einigen Fällen von vorhergehender Ohnmacht, zwei 
Fällen von temporärer Radialislähmung in Folge von Compression, 
kam es unter 10.000 Suspensionen nie zu irgend welohen ernsten 
Zufällen. Was die Technik der Suspensionen betrifft, so gebraucht 
Charcot einen von MOXSCHütkowsky angegebenen Apparat. Der¬ 
selbe unterscheidet sich vom Sayre’ sehen dadurch, daß zwar das 
Nacken stück fix bleibt, der Kinntheil aber beweglich ist und mittelst 
eines kleinen Riemens verlängert und verkürzt werden kann. Dadurch 
legt sich der Apparat besser an, der Kopf wird in seiner physio¬ 
logischen Geradheit erhalten und jede Compressionsursache beheben. 
Wenn nach 20 bis 30 Suspensionen kein Erfolg zu verzeichnen ist, 
so muß die Behandlung unterbrochen werden, um nach einer Pause 
Yon 1 bis IV, Monaten wieder, vielleicht mit besserem Erfolge, 
aufgenommen zu werden. Zuweilen zeigt sich nach einiger Zeit ein 
.Stillstand itt der Besserung; setzt man in solchen Fällen 1 bis 
2 Monate aus, so tritt bei Wiederaufnahme der Suspension ein merk¬ 
licher Fortschritt in der Besserung ein. 

— Wilhelm Fischer empfiehlt in Nr. 6 der „Memorabilien“ 
eine mechanische Behandlung der Frostbeulen an den Händen, 
die darin besteht, daß man den Kranken Knetübungen machen läßt. 
Der Patient nimmt ein etwa bühnereigroßes Stück sog. Glaserkitt, 
«in Stflek eines durch Kneten frischen Brodes hergestellten Teiges 
oder irgend einer beliebigen anderen elastischen Paste; diesen 
Teigball, den Patient stets bei sieh in der Tasche trägt, knetet er 
in jedem freien Augenblick auf das Gewissenhafteste durch, was 
in jeder Arbeitspause leicht geschehen kann, da eine Beschmutzung 
der Finger hiebei vermieden wird. Durch die hiebei nothwendige 
Bewegung der einzelnen Fingerglieder wird ein zur Erzielung des 
Zweckes (der normalen Blutcirculation) hinlänglicher Reiz bewirkt, 
wodurch gleichzeitig die als Begleiterscheinung stets vorhandenen 
„kalten Hände“ verschwinden und einem angenehmen Wärmegefühl 
Platz machen. Selbstverständlich ist das Verfahren um so wirksamer, 
je constanter diese KnetUbungen ausgeführt werden; übrigens lassen 
sieh diese Uebungen, wenn Patient nur eraigermassen darauf bedacht 
ist, neben dem Lesen, Schreiben und ähnlichen Besobäftiguugen vor¬ 
nehmen, wo gerade von einem Aufträgen von Salben etc. wegen zu 
befürchtender Beschmutzung der Objecte abgesehen werden muß. 
Das Mittel ist allerdings der Hauptsache nach prophylactisch — 
denn nachdem die Glieder einmal steif angeschwollen sind, hat das 
Verfahren seine Schwierigkeit. Bei neu auftretenden Fällen muß es 
gleich, sowie sich die ersten Spuren zeigen, energisch angewendet 


werden, während in solchen Fällen, wo seit mehreren Jahren jeweils 
beim Beginn der ersten Kältegrade das Uebel eintritt, es sich zweck¬ 
mäßig zeigte, schon frühzeitig, ehe Spuren eines Rückfalls zu Tage 
treten, damit zu beginnen, wodurch dann nicht nur das Uebel selbst, 
sondern sogar dessen Spuren völlig fern bleiben. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

( Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 7. Juni 1890. 

Dr. J. D£ry demonstrirt eine zweifaustgroße Mola hydati- 
d o s a von einer Viertgebärenden. 

Dr. H. PREISZ demonstrirt ein Herz mit abnormem Ge¬ 
fäßsystem. Dasselbe stammt von einem mehrere Tage alten 
Kinde. Jener Theil des Aortenbogens, welcher von der linken Art. 
subclavia bis zur Einmündung des Ductus Botalli reicht, bildet einen 
gänzlich obliterirten Strang. Im Septum ventriculorum findet man 
zwei Defecte: einen linsengroßen unter dem Ostium aortae und einen 
bohnengroßen im hinteren Abschnitt des musculösen Septums. Diese 
Defecte sind selbstständige Entwicklungshemmungen, während der 
frühe Verschluß des Foramen ovale, ebenso wie die Aortenverenge¬ 
rung höchstwahrscheinlich Folgen der partiellen Obliteration des 
Aortenbogens sind. 

Dr. G. Dirner: Ein Fall von künstlicher Frühgeburt. 

J. T., 23 Jahre alt, IV-para, hat im 18. Jahre geheiratet. 
Erste Geburt im Mai 1886; nach 3tägigen Wehen ein todter Knabe. 
Zweite Geburt im Juni 1887; Vorfall der Hand, Wendung auf die 
Füße; todte Frucht. Dritte Geburt im September 1888; Reposition 
der vorgefallenen Nabelschnur mißlingt; die Frucht stirbt ab; nach 
Wendung auf die Füße Extraction. Das - geschah am . 313. Tage, 
vom 1. Tage der letzten Menstruation gerechnet. Während dieser 
Schwangerschaft medicinirte sie nach ärztlicher Vorschrift und be¬ 
folgte eine strenge Diät, um das Wachsthum der Frucht zu beein¬ 
flussen. 

Die vierte Schwangerschaft begann im April 1889. Vortr. 
fand am einfach verengten, flachen, rachitischen Becken folgende 
Maße: 

D. sp. 265 Cm. C. e. 18 Cm. 

D. er. 27 5 „ C. d. 10 „ 

Auf Grund dieser Befunde, sowie der bei den ersten Geburten 
gemachten Erfahrungen empfahl Vortr. die künstliche Frühgeburt. 

Dieselbe wurde in der 36. Woche (!7. December 1889) nach 
der Methode von Krause eingeleitet, nachdem Patientin am ersten 
Tage ein warmes Bad und 3 Mal warme Scheidenirrigationen be¬ 
kommen hatte. 

Auf die Einlegung der Bougie reagirte der Uterus sehr träge. 
Am 5. Tago wurde bei drei Querfinger weitem Gebärmuttermunde 
mittelst combinirten Handgriffes die Wendung auf die Füße aus¬ 
geführt, da der nach rechts abgewichene Kopf sich in den Eingang 
nicht stellen wollte. Nach Sprengung der Eihaut wurde der eine 
Fuß in die Scheide herabgezogen, weil sich an der Frucht Asphyxie 
einstellte. Das Durchbringen des Kopfes durch die verengte Stelle 
gelang mittelst eines von außen auf die Stirne ausgeübten Druckes. 
Der aßphyetisebe Knabe kam auf Hautreize und einige Schwingungen 
zu sich. Er entwickelt sich trefflich an der Mutterbrust und hat 
unlängst einen Keuchhusten überstanden Wochenbett verlief un¬ 
gestört. 

Vortr. hat die Fälle von in Ungarn ausgeführten Frühgeburten 
sowohl aus der Literatur, als auch aus brieflichen Anfragen, die er 
an Geburtshelfer gerichtet hatte, zusammengestellt. Ihre Zahl be¬ 
läuft sich mit dem vorliegenden Falle auf 23 und bezieht sich auf 
15 Frauen. 

Die ersten 2 Frühgeburten wurden 1856/57 auf der Semmel- 
WEiss’schen Klinik wegen Krämpfen ausgeführt. Prof. KezmAbszky 
zählt seit 1873 7 Fälle wegen Beckenenge, Prof. Tauffer 3, 
Dr. Mann 5, Dr. Ambrö 2, beide wegen Beckenenge, Dr. Goth 
hat 1 Fall wegen Morbus Brightii und Dr. G. Engel auf der 

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MAiZNEB’schen Klinik in Klausenburg einen wegen Herzfehlers aus¬ 
geführt. 

Von den 23 Frauen ging nur eine zu Grunde; kein einziger 
von den 18 Fällen von Beckenenge. Von den 23 Kindern wurden 
14 lebend, 6 todt geboren; über die übrigen konnte er nichts 
Sicheres erfahren. 

Dr. D. Szabö bemerkt, daß in Ungarn künstliche Frühgeburten 
deshalb selten sind, weil hier die engen Becken selten sind, 
desgleichen Rachitis und Osteomalacio. Die Zeit der künstlichen 
Frühgeburt ist die 32.—35. Woche; in der 36. Woche wird sie 
selten ausgeführt. 

Or. J. Abonyi : Ueber Narcotica mit besonderer Rücksicht auf 
das Bromäthyl. 

Vortr. hält das Chloroform für zahnärztliche Zwecke nicht 
geeignet. Das CocaYn ist nicht verläßlich, das Lustgas erfordert 
einen zu complicirten Apparat. Vortr. hält das Bromäthyl, C 8 H 6 Br, 
für kurz dauernde Operationen am geeignetsten. Nach seinen Ver¬ 
suchen an Thieren werden Athmung und Herzbewegung in nicht 
merklich schädlicher Weise beeinflußt, was durch sphygmo- und kymo- 
graphische Aufnahmen erhärtet wurde. Vortr. hat es in 500 Fällen 
bei Menschen angewendet, und es hat sich gezeigt, daß eine durch¬ 
schnittliche Menge von 14 Grm. Bromäthyl in einer halben Minute 
eine sichere Narcose erzeugt, welche nach Entfernung des Korbes 
1—l’/a Minuten währt. In 1—2 Proc. der Fälle trat danach leichtes 
Erbrechen auf. In der Literatur sind bisher 4 Todesfälle ver¬ 
zeichnet, welche theils der langen Dauer der Narcose — beim 
Vortr. betrug die längste Dauer der Narcose 5 Minuten — theils 
der Unreinheit des Bromflthyls zuzusohreiben sind. Er empfiehlt 
das Mittel auf das Wärmste bei kurz dauernden Operationen mit 
Rücksicht auf dessen sichere Wirkung, einfache Handhabung und 
Wohlfeilheit. 

Dr. 8. Szenes bemerkt hiezu, daß nach den Erfahrungen der 
ohrenärztlichen Klinik in Halle das Mittel die Nachtheile hat, daß 
der Eintritt der Narcose nicht sicher zu erkennen ist und dieselbe 
nicht verlängert werden kann. n. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 18. Juni 1890. 

Prof. Eue. Hahn: Fall von Tubarschwangerschaft. — Kehl' 
kopfexstirpationen. 

Das immerhin seltene Vorkommen eines Falles von Tubar¬ 
schwangerschaft im ersten Monat mit foudroyanter Blutung gab 
Veranlassung zur Gewinnung des demonstrirten Präparats. Dasselbe 
entstammt einer 35jährigen, sehr starken Frau, welche am 14. Juni 
wegen Schwangerschaftsbeschwerden in’s Krankenhaus Friedriohshain 
geschickt wurde. Nachdem bei ruhiger ßettlage in 2 Tagen alle 
Beschwerden verschwunden waren, traten am 16. Juni Mittags äußerst 
bedrohliche Collapserscheinungen auf. Bei der Untersuchung con- 
statirte Hahn starke Auftreibung des Leibes mit Dämpfung bis in 
die höchsten Stellen desselben. Diagnose: Intraabdominale Blutung, 
wahrscheinlich bedingt dnreh Beratung eines Sackes in der Tube. 
Sofortige Operation. Incision von 14 Cm. Länge an der höchsten 
Stelle des Leibes. Beim Einsebneiden in’s Pericardium stürzte eine 
colossale Menge Blut hervor, mindestens 2 1 /,—3 Liter, und mit 
demselben die Frucht, welche nach Umstechung der Tube leicht 
zu entfernen war. Während der zwei nach der Operation ver¬ 
flossenen Tage hat sich der auf 52 Schläge herabgesunkene Puls 
sehr gehoben; kein Fieber. 

Redner demonstrirt ferner zwei Kehlkopfpräparate, deren erstes 
von einem im Jahre 1880 operirten Patienten stammt. Es wurden 
damals ein Theil des Zungenbeins, die Hälfte des Kehlkopfes und 
der Epiglottis entfernt. Das tödtlicho Recidiv ist erst nach 9 Jahren 
eingetreten. 


Das zweite Präparat stammt von einem vorgestellten Patienten 
aus Odessa. In diesem Falle hatte sich das Carcinom in ganz be¬ 
sonderer Ausdehnung nach der Zunge hin verbreitet. Es war die 
ganze Epiglottis nnd die linke Seite des Kehlkopfes ergriffen. Bei 
der am 24. April d. J. vorgenommenen Operation mußte der Schnitt 
ln der Mittellinie bis zum Zungenbein hinauf verlängert werden, um 
die Epiglottis bequem exstirpiren zu können. Außerdem wurde die 
frontale Hälfte der Cartilago oricoidea entfernt. 

Im Ganzen bat Hahn seit seiner letzten Veröffentlichung im 
Jahre 1888 noch sechs Kehlkopfexstirpationen ausgeführt. Fünf 
Patienten haben die Operation glücklich überstanden, der sechste 
Operirte ist 10 Wochen später an jauchiger Pneumonie zu Grunde 
gegangen. Bezüglich der Ausführung der Operation bemerkt Hahn, 
daß er von seiner früheren Anschauung, es sei vortheilhaft, bei 
totaler Kehlkopfexstirpation zur Erleichterung des Schluckens auch 
den Ringknorpel mit fortzunehmen, ebenso wie von der totalen 
Kehlkopfexstirpation überhaupt zurückgekommen ist. Bei totaler 
Erkrankung des Kehlkopfes, bei welcher die Operation zumeist un¬ 
günstige Resultate ergibt, erscheint es am geratheuBten, die Operation 
gänzlich zu unterlassen. 

Docent Dr. L Landau: Fall von ectopischer Gravidität. 

In dem vorliegenden Falle handelte es sich um eine Gravidität 
mit rudimentärem Nebenhorn. Das Sperma hat seinen Weg durch 
den normalen Uterus, die rechte Tube zum rechten Ovarium ge¬ 
nommen und ist dann in die linke Tube gewandert, welche voll¬ 
kommen abgeschlossen war. Es hat hier also eine Ueberschwänge- 
rung aus dem rechten Ovarium stattgefunden. 

Prof. Ewald: Fall von Aneurysma dissecans. 

Der 56jährige, etwas kachectische Patient, von welchem das 
Präparat stammt, kam am 13. Juni mit Klagen über Brustbeschwerden 
in’s Augustahospital. Leichte Bronchitis, Herztöne rein, keine 
Zeichen einer Herzhypertrophie. Eine tumorartige Prosistenz zwischen 
Nabel und'Proc. ensiformis machte den Verdacht eines bestehenden 
Carcinoms des Magens rege. Probefrühstück, Einführung eines 
Gummischlauches. Während dieser Manipulation fiel Pat. plötzlich 
um und war nach wenigen Minuten todt. Section: Starke Ver¬ 
größerung des Herzbeutels, aus dem 750 Ccm. theils flüssigen, theils 
geronnenen Blutes entleert wurden. Ventrikel und Klappen voll¬ 
kommen intact, dagegen oberhalb der Aorta aacendens drei wie mit 
einem Messer eingeschnittene Risse in zu einander rechteckiger 
Form. Dieselben führten in eine lang sich hinstreckende flache 
Höhle zwischen Media und Adventitia, aus der man In eine ganz 
kleine Perforationsöffnung gelangte. An dieser Stelle war die 
Adventitia durch alte entzündliche Processe verändert und um die 
Perforationsstelle herum rareficirt. Oesophagus intact. Der intra 
vitam gefühlte Tumor der Bauchgegend erwies sich als der Kopf 
der Pancreas, welches in Folge von Enteroptose zwischen unterem 
Leberrand und kleiner Curvatur des Magens freilag. Nach Ansicht 
des Vortragenden ist die Einführung des weichen Gammischlauches 
als ätiologisches Moment für die Gefäßruptur absolut auszuschließen, 
diese ist vielmehr wahrscheinlich auf den plötzlich gesteigerten 
Aortendruck in Folge der psychischen Erregung zurückzuführen. 
Das Aneurysma ist offenbar durch einen Fall auf die Brust vor 
6 Jahren, seit welcher Zeit Pat. kränkelte, entstanden. 

Dr. H. Davidsohn: Fall von Herpes Zoster. 

Der 62jährige Pat. erkrankte vor 8 Tagen mit Fieber und 
Juckgefühl in der Analgegend. Rötbung der Haut und Bläschen¬ 
bildung in der gesammten Ausdehnung des Plexus pudendalis. Auch 
die linke Seite des Penis und des Scrotum zeigte einzelne Efflores- 
cenzen. Außerdem bestand Blasenlähmung und Trägheit der Darm¬ 
peristaltik. Letztere Erscheinungen sind vielleicht nach Analogie 
anderer Herpesstörungen auf die Herpeseruption zurückzuführen. 

(Schluß folgt) 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 28. 


1134 


Notizen. 

Wien, 12. Juli 1890. 

CongreBrorbereitungen. 

Das so weite Gebiet, aus welchem sieh die Theilnehmer an 
dem im August d. J. in Berlin tagenden internationalen ärztlichen 
Congresse recrutiren, bedingt eine so bedeutende Differenz in den 
Vorbereitungen der auswärtigen Mitglieder, die diesem kosmo¬ 
politischen Feste der Wissenschaft beizuwohnen gedenkeu, daß zur 
selben Zeit, wo die Delegirten der ärztlichen Gesellschaften Süd¬ 
amerikas und Indiens die Schiffe bestiegen, um die Reise nach dem 
ihnen so fernen Sammelpunkte anzutreten, in dem dem Congreßorte 
nahen Frankreich die Frage neuerlich discutirt werden konnte, ob 
die Franzosen sich an dem Congrosse in Berlin wirklich betheiligen 
sollen. Wiewohl selbst die officiellen Kreise durch Ernennung von 
Regierungsdelegirten, deren wissenschaftliche Namen auch in außer¬ 
französischen Landen eineo guten Klang haben, den Besuch des 
Berliner Congrcsses nicht blos gebilligt, sondern sogar initiirt haben, 
hat ein französischer Arzt es im letzten Augenblick für nothwendig 
gehalten, seinen Collegen von der Theilnahme an dem CongresBe 
abzurathen, und das Motiv, das er für sich und seinen so guten 
Rath in Anspruch nimmt, ist so charakteristisch für eine Reihe von 
Typen, die sich in jedem nationalen Lager zu finden pflegen, daß 
wir es unseren Lesern nicht vorenthalten möchten. 

In der „Revue gönörale de Clinique et de Thörapeutiqne“ 
läßt sich nämlich Prof. Huchard, wie folgt, vernehmen: 

Ich war dor Erste in der medicinischen Journalistik, der die Frage, 
ob die französischen Aerzte an dem internationalen medicinischen Congresse 
in Berlin sich betheiligen sollen und können, iu bejahendem Sinne be¬ 
antwortete. 

„Ich habe meine Meinung nicht geändert ... im Principe; Beweis hiefiir, 
daß ich mich als Theilnohmer an diesem Congresse einschreiben ließ. Und 
dennoch werde ich nicht nach Berlin gehen. 

Ueber die hiebei in Betracht kommenden Fragen sind wir nahezu einig. 
Hier sind diese Fragen: 

1. Sollen wir an einem internationalen Congresse theilnehmen, selbst 
wehn er in —■ Berlin stattfindet? 

Ich antworte: Ja. 

2. Können wir nach Berlin gehen? 

Gestern sazte ich Ja, heute antworte ich Nein. 

Von einem Tage zum anderen hat sich die Situation geändert. 

Am 23. Januar antwortete ich bejahend, weil ich damals den Namen 
des Präsidenten du Organisations-Comitös dieses Congresses n'cht wuß e. 
Heute antworte ich verneinend aus folgendem Grunde: Man hat zum Präsi¬ 
denten Rudolf Vibchow ernannt, denselben Mann, der 1871 gewisse Worte 
sprach, die ich heute in Erinnerung bringen muß: „Als ich vor längerer 
Zeit — sagte Vibchow — die Epidemien des Jahres 184S Revue passiren 
ließ, lenkte ich die Aufmerksamkeit auf die Thatsache, daß die Europäer an 
einem gewissen p-yehopathischen Zustand angelangt seien; ich bemerkte, daß 
die Krankheit, welche sich beim Individunm unter der Form des St llstehens 
der Gehirntbätigkeit manifestirt, mitunter auch in großer Ausbreitung als 
psychische Epidemie auftritt. Ein hervorragender Irrenarzt Süddentschlands, 
Cabl Stabk, ist durch das Studium der jüngsten Ereignisse bei ganz analogen 
Betrachtungen angelangt. (Ueber die psychische Degeneration der französi¬ 
schen Nation, deren pathologischen Charakter, Symptome und Ursachen, Stutt¬ 
gart 1871.) Er hat durch exacte Analyse isolirter Erscheinungen versucht, 
zn zeigen, daß der Geisteszustand der französischen Nation 
im Großen sich dem paralytischen Blödsinn oder der Ver¬ 
rücktheit (idiotie paralytique ou folie raisonnante) nähere.“ 

ln Rudolf Vibchow sind zwei Meuschen vertreten: der Politiker, dessen 
Thaten nnd Worte wir nicht zu beurtheilen brauchen, und der Gelehrte, als 
welcher er zu unserer Gemeinschaft gehört. Wohlan, in dieser letzten Eigen¬ 
schaft hatte er den leichten und traurigen Muth, einer unglücklichen Nation 
am Tage nach ihrem Mißgeschick Insulten in’s Gesicht zu schleudern ! Während 
der Feindseligkeiten, wenn die Leidenschaften tibererregt sind, kann man noch 
gewisse Roheiten der Sprache begreifen. Aber welchen Namen soll man 
dem Gebahren dieses Gelehrten geben, der den zu Boden getretenen Feind 
mit Beleidigungen überschüttet? . . . 

Hat Rudolf Vibchow genug Rücksicht für sich selbst gehabt, um diese 
gehässigen Worte zu desavouiren ? Nein. 

Ich frage mich nun, welche Haltung Diejenigen, denen die Würde 
Frankreichs am Herzen liegt, dem Präsidenten des internationalen Congresses 
gegenüber einnehmen könnten? Unter diesen neuen Bedingungen gibt es nur 
eine Haltung: Schweigen und Fernbleiben. 

Es handelt sich hier nicht nm Chauvinismus, welcher nicht immer der 
wahre PatriotLmus ist. Es handelt sich um eine Frage menschlicher Würde: 
Wenn wir wollen, daß man uns achte, müssen wir uns selbst achten; in 
Anbetracht dieser Selbstachtung und Würde köunen wir nunmehr nicht nach 
Berlin gehen. 

Noch ein Argument sei hier angeführt: 


Um dies -.lbe Zeit (zwischen 4. uni 15 August IS90) warden zwei Cou- 
gresse stattfinden. Der eine ist ein nationaler französischer Congreß; er 
heißt Congreß für die Fortschritte der Wissenschaft und soll in Limoges abge¬ 
halten werden; der andere ist ein internationaler deutscher Congreß; er 
heißt der Congreß Virchow’b 

Ich weiß nicht, was meine Land leute thuu werden, oder eigentlich ich 
vermuthe es. Was mich betrifft, ich werde an einem deutschen Congresse nicht 
theilnehmen. 

Ich gehe zum französischen Congreß. 

Henri Huchard.“ 

Wiewohl der Einfluß Huchard’s bei seinen Pariser Collegen, 
wie uns aus Paris berichtet wird, kein so weitgehender ist, als daß 
durch dessen Rescriptum irgend ein hervorragender Landsmann vom 
Besuche des Congresses sieh abhalten ließe, und man die Art, wie 
Herr Huchard jetzt von sich reden zu machen bestrebt ist, als 
etwas zn sehr nach Reclamebedürfniß riechend, in den ernsten wissen¬ 
schaftlichen Kreisen der französischen Metropole entschieden ver- 
urtheilt, haben die deutschen ärztlichen Kreise, die offenbar die 
Anwesenheit selbst der fremden dii minorum gentium nicht gerne 
missen möchten, und Allen voran Vibchow, diesen Versuch, das 
wissenschaftliche Fest durch kleinliche politische Kindereien zu 
stören, in nachsichtsvollster, wahrhaft vornehmer Weise aufgefaßt, 
und unsere Leser können aus der Lecture der nachfolgenden Stellen 
der Antwort Virchow’b , die dem letzten Hefte seines Archivs ent¬ 
nommen sind, sich selbst ein Urtheil bilden, auf welcher Seite das 
Recht und wo muthwillige Laune im Spiele ist. 

Virchow schreibt: 

„Der Artikel über die internationalen Congresse, mit welchem ich den 
letzten Band dieses Archivs (Bd. 120) eröffnete, hat in Frankreich zu Recri- 
minationen Veranlassung geboten. So bringt die „Revue gönörale de Clinique 
et de Thörapeutique vom 11. Juni (Nr. 24, p. 390) einen Passus daraus, in 
welchem ich die fremden Collegen zum Besuche des demnächstigen Congresses 
in Berlin unter der Zusicherung eines collegialen Empfanges einlade, fügt 
demselben einige Satze aus einem früheren Artikel von mir ans dem Jahre 
1871 hinzu und fragt dann: On demande si le signataire de cet article est 
le müme que de celui du prösident du Comitö d’organisation du Congrös 
international berlinois. Si c'est le möme, comme tout le fait supposer, oa 
demande si le R. Vibchow de 1890 a dßsavouö les paroles du R. Vibchow 
de 1871, et celles de Cabl Stark, de cet „aliöniste distinguö de l’Allemagne 
du Nord“. 

Eis handelt sich hier um einen Artikel von mir, der den Titel führt: 
„Nach dem Kriege.“ Herr R. D., der Verfasser der Notiz in der „Revue 
gönörale“, citirt dieselbe nach einer Uebersetzung in der „Revue scientiflque". 
In welcher Stimmung die Notiz geschrieben ist, geht daraus hervor, daß in 
dem Citat Herr Cabl Stabk genannt wird: Un aliöniste distinguö de 1'AlIemagne 
du Sud und in dem oben erwähnten Zusatz des Herrn R. D., noch dazu in 
Anführungszeichen: „alieuiste distinguö de l'Allemagne du Nord.“ Wenn ich 
nun hinzufüge, daß es in meinem Originalartikel einfach heißt: „Ein süd¬ 
deutscher Irrenarzt“ und daß jedes Epitheton ornans, wie distinguö, darin 
fehlt, so wird die Tendenz dieser Anführang ohne Weiteres klar. Uebrigens 
darf ich wohl ermähnen, daß ich in dem Originalartikel unmittel¬ 
bar hinter dem incriminirten Satze gesagt habe:„Wir führen 
dies an, nicht um eine Beleidigung ausznsprechen.“ 

Wollte ich den Sinn und Zweck meines damaligen Artikels klarlegen, 
Bo würde kaum etwas anderes übrig bleiben, als den ganzen Artikel noch 
einmal abdrucken zu lassen Ich will dies nicht thun, überlasse es vielmehr 
Denjenigen, welche sich selbst ein Urtheil bilden wollen, das Original oder 
eine Uebersetzung desselben nachzulesen. Es mag hier genügen, darauf hin¬ 
zuweisen, daß ich in demselben Artikel gesagt habe (S. 2l): 

„Die Politik scheidet, die Wissenschaft verbindet die 
Nationen, und wehe denen, welche dieses Band zerschneiden!“ 

„Möchten die vorstehenden Bemerkungen dazu beitragen, den Weg zur 
Versöhnung zu ebuen! Sie sind ehrlich und offen und Sie werden vielleicht 
deswegen hie und da verletz-n. Aber man gelangt zu keiner wahren Ver¬ 
söhnung ohne offene Verständigung, und man muß es mit der Offenheit 
wagen, auf die Gefahr hin, zu verletzen. Es ist nicht das erste Mal, daß 
ich diesen Weg betrete, und es ermuthigt mich die Erfahrung, daß meine 
früheren Versuche nicht vergeblich waren.“ 

Daß diese Hoffnung auf eine kommende Versöhnung nicht etwa eine 
augenblickliche Redewendung war, dafür kann ich mich auf ein anderes, gewiß 
unverdächtiges Zeugniß berufen Ein Jahr vorher, als der Krieg in seiner 
ganzen Schrecklichkeit wüthete, veröffentlichte ich einen Artikel: „Der Krieg 
uud die Wissenschaft “ Dieser, im September 1870 erschienene Artikel endigte 
in folgendem Schlußsätze (dieses Archiv, Bd. 51, p. 5), den ich mir nicht 
versagen will, hier unverkürzt zn wiederholen: 

„Möge doch gerade die Medicin, wie sie schon während des Krieges in 
beiden Heeren zu einem gewissen Zusammenwirken genothigt ist, frühzeitig 
vorangehon und die innere Verständigung vorbereiten. Möge die gesaminte 
Wissenschaft ihren Einfluß einsetzen, um in dem wie Ier gewonnenen Frieden 
die Versöhnung der Gemüther und die Einsicht in die Gemeinsamkeit der 
Interessen Aller zu fördern. Möge dann jedes der beiden Völker begreifen 
lernen, daß den Einzelnen nur auf dem Boden der nationalen Entwicklung 
die Grundlagen ihrer Wirksamkeit gesichert sind, und daß daher dieser Boden 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


frei uud sicher vor fremdem Eingriff sein muß. daß jedoch die nationale Entr 
wicklung ihren Abschluß in einer humanen Verständigung za finden hat, 
welche geeignet ist, den Einzelnen über die Beschränktheit des nationalen 
Wesens zu den höchsten Zielen der Menschheit emporzuheben. Es ist das 
jene erhabene Aufgabe, welche in dem Augei.blick, wo sie den Bänden der 
katholischen Kirche definitiv entfällt, nur von der Wissenschaft aufgenommen 
werden kann. Möge es der Wissenschaft beschieden sein, den schönen Spruch 
zu wahren und zu verwirklichen: 

Friede auf Erden!“ 

ln diesem Sinne sind alle meine späteren Artikel geschrieben, auch der 
incriminirte. Und in diesem Sinne bin ich auch im Jahre 1876 der an mich 
ergangenen Einladung zu dem damaligen anthropologischen Congresse in Paris 
gefolgt. Aber ich mußte leider die Erfahrung machen, daß einer meiner ehe¬ 
maligen Schüler, Herr Pouohkt, meine Anwesenheit in Paris dazu benutzte, 
um in ein< m der gelesensten politischen Journale einen heftigen Angriff gegen 
mich zu schleudern, der voll von unwahren Behauptungen war und der es 
mit persönlich unmöglich gemacht hat, einer neuen Einladung zu folgen. 

Vielleicht war diese Erinnerung zu lebendig in mir, als ich den Artikel 
über die internationalen Cougresse schrieb. Wenn ich jedoch das Einzelne 
dieses Angriffes darlegen würde, so dürfte kaum Jemand umhin können, mir 
Recht zu geben. Für mich lag es fern, auf solche Einzelheiten einzugehen. 
Ich empfand nur das Bedürfniß, unseren C'ollegen zu sagen, daß sie in Berlin 
eine Behandlung, wie sie mir in Paris zu Theil geworden ist, nicht nur nicht er¬ 
warten dürften, sondern daß sie in wahrhaft collegialem Geiste, mit allen den 
Rücksichten, welche die Gastfreundschaft auferlegt, und in der Hoffnung, 
wenigstens innerhalb des wissenschaftlichen Gebietes ein volles Zusammen¬ 
wirken herbeizuführen, aufgenommen werden würden. Diese Versicherung 
noch einmal zu wiederholen, dazu bietet mir der neue Angriff eiue erwünschte 
Gelegenheit. Mögen die französischen Collegen versichert sein, 
daß wir den internationalen- Congreß in der That als einen 
Beden der Versöhnung oder wenigstens der Verständigung be¬ 
trachten, und daß wir auch in der Presse Alles fernzuhalten 
suchen werden, was zu neuem Unfrieden führen könnte. - 

* * 

* 

In der letzten Sitzung der Berliner medicinisehen Gesellschaft 
machte Geh.-Rath Virchow eine Reihe von Mittheilungen über den 
Stand des internationalen medicinisehen Congresses: Bisher haben 
700 fremde Aerzte. ihre Theilnahme am Congresse angekttndigt, 
darunter viele aus Amerika, Frankreich und England. Seine Heim¬ 
stätte wird der Congreß im Landesausstellungs-Gebäude haben. Das 
Congreßcomitö hat mit der Kunstakademie ein Abkommen getroffen, 
wonach dem Congresse die Räume des Ausstellungspalastes für die 
Tagesstunden überlassen bleiben, während am Abend die Kunst¬ 
ausstellung ganz wie zuvor für Jedermann zugänglich sein wird. 
Durch dieses Abkommen ist es möglich geworden, für alle Sec- 
tionen des Congresses zusammenhängende Tagungs¬ 
räume in Einem Gebäude zu beschaffen, eine Einrichtung, 
welche die Einheitlichkeit der Congreßverhandlungen wesentlich 
fördern wird. Die Zahl der Sectionen, ursprünglich auf 18 fest¬ 
gesetzt, ist neuerdings auf 20 gestiegen. Neu hinzugekommen sind 
eine Section für orthopädische Chirurgie und eine für Eisenbahn- 
hygiene. Allgemeine Sitzungen worden 3 stattfinden, in welchen 
je ein Franzose, ein Engländer und ein Deutscher Vortrag halten 
werden. (In der ersten allgemeinen Sitzung sollen außer Virchow, 
welcher die Eröffnungsrede halten wird, Robert Koch und Sir 
Joseph Lister vortragen.) Festlichkeiten sind für die Congreß- 
theilnehmer in großer Zahl vorbereitet. Einen Theil der Aerzte, welche 
zu dem Congresse kommen, wird S. M. der Kaiser für einen Abend 
zu sich nach Potsdam entbieten. Ein großes Fest wird die Stadt im 
Rathhause geben, ein anderes die Berliner medicinische Gesell¬ 
schaft bei Kroll. Außerdem werden gemeinsame Besichtigungen 
der medicinisehen und hygienischen Elinrichtungen Berlins vor¬ 
bereitet. 

* * 

In Beantwoitung mehrfacher Anfragen theilen wir mit, daß es sich 
behufs Vermeidung von Zeitverlust und Mühe bei der Ankunft in Berlin 
empfiehlt, die Mitgliedskarte für den Congreß durch Einsendung von 20 Mark 
an den Schatzmeister des Congresses, Herrn San.-R. Dr. Baktels (Berlin, SW. 
Leipzigerstraße 75) vorher zu lösen. 


(Ernst Brücke.) Mit dem soeben erfolgten Schlüsse 
des Sommersemesters scheidet der Professor der Physiologie 
unserer Hochschule, scheidet der berühmte Gelehrte, der un¬ 
ermüdliche Forscher Ernst Brücke nach zurückgelegtem 
71. Lebensjahre vom Lehramte, welchem er 41 Jahre lang 
ununterbrochen vorgestanden. Was unsere Universität an 
Brücke besaß, was sie heute an ihm verliert, wir haben es 
vor Jahresfrist anläßlich der stillen, des bescheidenen Ge¬ 


1136. 


lehrten würdigen und doch so herzlichen Feier hervorgehoben, 
welche dem Tage galt, an welchem Brücke das siebente De- 
cennium seines Lebens vollendete. Mit gerechtem Stolze blickt 
der Scheidende auf eine glänzende Beihe erfolgreicher Lehr¬ 
jahre, auf eine stattliche Schaar hervorragender Schüler, auf 
eine seltene Fülle wissenschaftlicher Arbeiten und Errungen¬ 
schaften, auf ein reiches, auch der äußeren Ehren nicht ent¬ 
behrendes Leben zurück. Ihm folgen in das wohl weiterer 
wissenschaftlicher Arbeit zu widmende Privatleben die volle 
Anerkennung eines die Wissenschaft und ihre Vertreter 
ehrenden Monarchen, welcher den Scheidenden neuerdings in 
seltener Weise ausgezeichnet, die Bewunderung seiner Collegen, 
die Verehrung und Liebe seiner Schüler. Möge der Abend 
seines Lebens durch eine lange Folge ungetrübter Jahre ver¬ 
schönt werden! 

(Auszeichnungen.) Dem Hofrath Dr. Ernst R. v. Brücke 
wurde aus Anlaß seines Uebortrittes in den bleibenden Ruhestand 
das Comthurkreuz des Franz-Joseph-Ordens mit dem Sterne, dem 
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Rudolf Virchow in Berlin das k. öster¬ 
reichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft verliehen. 

(Cholera-Nachrichten.) Dank den umfassenden Ma߬ 
nahmen , welche nicht nur die Nachbarländer Spaniens, sondern 
auch die übrigen europäischen Staaten getroffen haben, um eioe 
Einschleppung der Seuche zu verhüten, ist dieselbe bisher auf die 
pyrenäisebe Halbinsel beschränkt geblieben, wo sie indeß im Laufe 
der letzten Tage erheblich an Ausbreitung gewonnen hat. Stadt 
und Provinz Valencia haben erhöhte Morbiditäts- und Mortalitäts¬ 
ziffern aufzuweisen. 

(Aichung der Iujectionsspritzen.) Das Wiener medi¬ 
cinische Doctoren-Collegium hat im vorigen Jahre ein aus den 
Herren Prof. Ed. Lang, Prof. Lewandowski, Prof. v. Rkder und 
Dr. H. Teleky bestehendes Comitö eingesetzt, welchem die Auf¬ 
gabe zufiel, Vorschläge betreffs Aichung der Pravaz 'sehen Spritzen 
zu erstatten. Das Comitö empfiehlt nun, zweierlei PRAVAz’sche 
Spritzen der Aichung zu unterwerfen, und zwar solche die 0 5 und 
die 1*0 Ccm. fassen. Die Stempelstange sei mit einer Stellmarke 
und mit einem vorderen und hinteren Anstoßknopfe versehen; die 
Dichtung (Lederung des Stempels) werde zwischen beiden Ansto߬ 
knöpfen angebracht und überrage letztere weder nach vorne, noch 
nach rückwärts. Die Länge der Glasröhre möge für beide Arten 
4—5 Cm. betragen, in welchem Falle selbstverständlich der Durch¬ 
messer der zwei Spritzengrößen entsprechend variiren muß. Da 
nicht zu erwarten ist, daß sich die hiezu nötbigen Glasröhren dem 
verlangten Volumen sehr leicht anpassen lassen, so adjustire man 
Spritzen, die annähernd das erwünschte Volumen von 0*5, resp. 
10 Ccm. fassen. Hierauf prüfe man, wie viel destillirtes Wasser 
die Spritze zum Ausflusse bringt, und schreite dann erst an die 
Graduirung. Letztere ist an der Stempelstange anzubringen. und 
derart auszuführen, daß 0‘01 und 002 Ccm. leicht ablesbar und 
genau dosirbar seien, je nachdem man sich der halbgrammigen oder 
grammigen Spritze bedient. Gesetzt, eine eben fertiggestellte halb- 
grammige Spritze hätte 0'54 oder 0‘47 Grm. destillirtes Wasser 
zum Ausflusse gebracht, so wäre das der Flüssigkeitssäule genau 
correspondirende Stück der Stempelstange vom Fabrikanten in 54, 
bezw. 47 gleiche Theile zu theilen; hiebei sollten die Zehntel (0‘1) 
und Halbzehntel (0*05) eigens markirt erscheinen. Das Comitö 
spricht sich für ein behördliches Aiohamt aus und empfiehlt, 
daß die erfolgte Aichung am Glasrohr und an der Stempelstange 
durch das gleiche Zeichen ausgedrückt werde. Es ist zwar sehr 
erwünscht, daß jede vom Arzt verwendete PRAVAz’sche Spritze auf 
ihren Inhalt geprüft, die Aichung somit obligatorisch sei; bei dom 
Umstande aber, daß die Durchführung dieser Maßregel voraus¬ 
sichtlich umfassendere Vorbereitungen erfordern dürfte, glaubt das 
Comit6, für die Uebergangszeit zunächst nur die Etablirung eines 
Aichamtes, für später aber die Einführung obligat geaichter Pkavaz- 
scher Spritzen als dringend zu empfehlen. Die Vorschläge sind an 
das Ministerium des Innern, als oberste Sanitätsbehörde, mit der 
Bitte zu leiten, daß dasselbe ehethunlichst das Erforderliche zur 
Einführung amtlich geaichter PRAVAz’scher Spritzen auordne. 

(Zur Nachahmung;) In Reichenhall ist auf Veran¬ 
lassung des Dr. Cornet seitens der Stadt ein Desinfectionsapparat 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. ,J — Nr. 28. 


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v 


mit obligatorischer Benützung fllr die Hötelwirthe in Betrieb gesetzt 
and gleichzeitig von der Polizei eine strenge Desinfectionsordnung 
erlassen worden. 

(Verletznngsanzeigen.) Durch einen Erlaß der k. k. Statthalter« 
in Wien vom 6. Juni 1890 wurden die Gemeindevorstehungen und Aerzte im 
Wege der k. k. Bezirkshauptmannschafc angewiesen, bei Ueberführung von 
Verletzten in ein Krankenhaus im Wiener Polizeirayon in dem Spital-Auf- 
nahmszengniäse, oder, falls d'es wegen Gefahr im Verzüge nicht gleich aus¬ 
gestellt werden kann, in einer nachträglichen Mittheilung an die Leitung des 
betreffenden Krankenhauses anzugeben, wann, wo, durch welche Umstände 
oder Schuld die Verletzung herbeigeführt wurde und welcher Behörde hier¬ 
über eine Anzeige erstattet wird, um hiedurch zeitraubende oder zwecklose 
Nachforschungen und unnöthige Kosten zu vermeiden. 

(Statistik.) Vom 29. Juni bis inclusive 28. Juli 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 4653 Personen behandelt. Hievon wurden 949 
entlassen; 116 sind gestorben (10‘89’/o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 28, egyptischer Augenentzündung 6, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 3, Dysenterie 3. Blattern 15, Varicellen 23, Scharlach 42, 
Masern 317, Keuchhusten 73, Wundrothlauf 14, Wochenbettfleber 4. — In 
der 27, Jabreswoche sind in Wien 387 Personen gestorben (+25 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Zuckmantel (Schlesien) 
der praktische Arzt Dr. Ignaz Lichtenstern aus Wien, 38 Jahre 
alt; in Heidelberg der Geh. Hofrath und em. Professor der Ana¬ 
tomie, Dr. Friedrich Abnold, im 88. Lebensjahre; in Kopenhagen 
der Professor der Medicin, Dr. Hornemann. 

Verantwortlicher Kedacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Offene Correspondenz der Redaction und Administration. 

Herren Dr. S. G.,. k. und k. Stabsarzt in Plevlje; Dr. J. W., Bahnarzt, in 

Leopoldsdorf. Bestätigen auf ausdrückliches Verlangen den 

Empfang des Abonnementsbetrages für „Wiener Med. Presse* und 

„Wiener Klinik“. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abon¬ 
nenten der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das J uli- 
Heft der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält : „lieber den 
gegenwärtigen Stand der Frage der Vererbung erworbener 
Eigenschaften und Krankheiten. 1 Von Or. E. Roth in Belgard. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Die DistrictsarztessteUe für den Sanitätsdistrict Himmel¬ 
berg, im Gerichtsbezirke Feldkirchen, ist zu besotzen. Mit dieser Stelle 
ist eine Jahresremuneration von 600 fl. verbunden, und zwar ein Jahres¬ 
beitrag von 300 fl. auB dem Landesfonde und ein gleicher Beitrag von Seite 
der 3 Gemeinden des Sanitätsdistrictes. Außerdem hat der Districtsarzt für 
die Vornahme der Todtenbeschau, für die Armenbehandlung, für die Durch¬ 
führung der Impfung, für die Reisen in Sanitätsangelegenheiten der politischen 
Verwaltung und der Gemeinden des Sanitätsdistrictes Anspruch anf die in 
der diesbezüglichen Kundmachnng der hohen Landesregierung vom 12. Februar 
1887, Z. 1156, enthaltenen Gebühren. Der Districtsarit hat eine Haus¬ 
apotheke zu halten, hat den Sitz in Himmelberg. Die Bewerber um diese 
Stelle wollen ihre mit dem Geburtsschein, Diplom und Zeugnisse über die 
bisherige ärztliche Verwendung belegten Gesuche bis zum 7. Acgust 1890 
hieramts überreichen 

K. k. Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt, 
am 7. Juli 1890. 

Der k. k. Regierungsrath: Kronig. 

Concursaassokreibuiig für die Gemeindearztesstelle 

in Niederndorf im Unterlnnthale (Tirol). Mit derselben ist verbunden ein 
Jahrespauschale von 400 fl., wofür der Gemeindearzt die unentgeltliche Be¬ 
handlung einschließlich der Medicamenten-Verabreichung an die wenigen, in 
dem V» Stunde entfernten, in der Gemeinde Ebbs gelegenen Armenhause be¬ 
findlichen Pfründner zu leisten und die Besorgung der sanitätspolizeilichen 
Agenden im Sinne der Dienstes-Instrnction der Gemeindeärzte für Tirol zu 
übernehmen hat. 

Die Haltung einer Hausapotheke ist nothwendig und ist die Einrichtung 
zur freien Benützung vorhanden. 

Die Todtenbeschau und die öffentliche Impfung hat der Gemeindearzt 
gegen die normirten Gebühren zn besorgen. 

Der Sanitätsdistrict des Gemeindearztes umfaßt 5 Gemeinden mit 2800 
Einwohnern. 

Die Gesuche sind bis Ende Juli d. J. an die k. k. Bezirkshaupt- 
mannschaft zn richten. 

Kufstein, am 26. Juni 1890. 651 

Der k. k. Bezirkshaupt mann: Fischnaler m. p. 


Fßr Herren Doetorenl 

Ein zahnärztliches und zahntechnisches Atelier in Wien., I., gelegen, 
mit gutem Kundenkreis, sämmtlichem Inventur, sowie allenzahnärztlichen Und 
zahntechnischen Instrumenten und Maschinen etc. isUogleichfür den festgesetzten 
Preis von nur fl. 2500 gegen Cassa zu übernehmen. Gefällige Anträge werden 
unter Chiffre „Zahnarzt Nr. 506“ zur Weiterbeförderung an die Admini- 
slration der „Wiener Mediz. Presse“, Wien, L, M aximili.a n s t raß e 4, 
erbeten _;_ ~ . 1 ■' __506 

Bei der k. k. Salinenverwaltung in Kaczyka (Buko¬ 
wina) ist die Stelle eines Salinenarztes, Doctors der gesammten Heilkunde, 
mit den jährlichen Bestallungsbezügen, und zwar vom Salinenärar 520 fl., 
von der Salinenbruderlade 100 fl., zusammen 620 fl., zu besetzen. Peusionirte 
Militärärzte werden bevorzugt. Gehörig belegte Gesuche sind bis 10. August 
1. J. bei der Salinenverwaltung Kaczyka einzubringen. 652 

K. k. Salinen Verwaltung Kaczyka, den 8. Juli 1890. 


ANZEIGEN. 



Nach den von den Herren Prof. Ludwig— 
Wien, Fresenius—Wiesbaden, Koonig— Münster, 
Stutzer—Bonn ausgeführten Analysen enthält das 
Kemmerich’sche Fleisch-Pepton ca. 18 f /o leicht lös- 
licheEiweissstoffe und ca. 39 0 /oPepton.Kenjinericb’s 
Fleisch-Pepton ist das gehaltreichste unter allen 
Peptouen des Handels und das einzige, welches 
mit höchstem Nährnerth einen angenehmen Ge- 
schmacs und Geruch verbindet. Dasselbe ist über 
all zu empfehlen, wo Elweisszuruhr nöthig und 
wegen gestörter Verdauung in fester Form nicht 
möglich ist, besondere auch zur Ernährung durch 
Klystiere. — Kemmerich’* Pepton ist käuflich in 
den Apotheken. En gros-Nicderlage für Oesterreich- 
Ungarn bei: G. & R. Fritz, Wien, I., Bränneretr. l. 


SANTA 


KEMMERICH ’S Fleisch -Pepton. 


Neues, von Prof. Dr. S t i 11 i n g-Slrassburg entdecktes und erprobtes, vollkommen 
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Nr. 29. 


Sonntag den 20. Juli 1890._ XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Gross-Onart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im anrchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adresairen an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien ,1., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

-««e- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Orban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton nnd klinische Vorlesungen. Ueber die Mikroorganismen der Krebsneubildungen. Von Dr. P. J. Kuiiasoef, Privatdocent an der 
Universität Moskau. — Noiizen über die Denguefieber-Epidemie und die Influenza-Epidemie zu Smyrna. Von Dr. <x. Diamantofulos. — Therapie 
der Syphilis. Klinischer Vortrag von Prof. Kaposi. — Referate nnd literarische Anzeigen. Apostoi.i und LAQUEKRifcuK (Paris): Ueber die 
Wirkung des positiven Pols des constanten galvanischen Stromes auf Mikroorganismen. — L- Pkochownick und F. Späth (Hamburg): Ueber die 
keimtödtende Wirkung des galvanischen Stromes. — L. Prochowmck (Hamburg): Die Behandlung des frischen Trippers beim VVeibc mit dem 
constanten Strome. — Zeitungsschau. Gynäkologie und Geburtshilfe. Ref : Prof. Ludwig Kleinwächter. — Feuilleton. Der neue „Weltcurort“ 
Wörishofen in Bayern und die Kneipp’sclie Wassercur. (Ein Reisebrief.) — Kleine Mlttheilnngen. Behandlung der Cholera mit Sublimat- 
injectionen. — Sirnulo bei acuter und subaenter Salpingo-Oophoritis. — Die tuberculöse Natur des Chalazion. — Zwei Fälle von außergewöhn¬ 
licher Palsverlangsamung. — Notizen. — Literatur. — Offene Corresponden* der Redaction nnd Administration — Aerztiiche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die 

Mikroorganismen der Krebsneubildnngen. 

Von Dr. P. J. Kub&ssoff, Privatdocent an der 
Universität Moskau. 

Im November 1887 machte Scheurlf.n in der Berliner 
medicinischen Gesellschaft eine Mittheilung über einen von 
ihm bei Krebsgeschwülsten gefundenen Mikroorganismus, die 
aber in der wissenschaftlichen Welt auf Widerstand stieß, 
und zwar aus folgenden Gründen: 1. wuchs der von ihm ge¬ 
züchtete Mikroorganismus nur bei 39° C., während ja be¬ 
kanntlich bei Krebskranken die Temperatur eine normale ist 
und nur selten unmittelbar vor dem Tode um 1 —lVa° steigt; 
2. gedeihen seine Bacillen sehr gut und rasch auf fast allen 
künstlichen Nährböden, was mit dem relativ langsamen Wachs¬ 
thum der Krebsgeschwülste im Widerspruche steht; 3. fand 
er in den Krebsgeschwülsten und seinen Reinculturen vor¬ 
wiegend Sporen und nur seiten Bacillen, was mit unseren 
Kenntnissen von der Biologie der Mikroorganismen nicht im 
Einklang steht; 4. gelang die directe Züchtung aus den Neu¬ 
bildungen nur selten, während die Uebertragung von einem 
Nährboden auf den anderen sehr leicht vor sich ging. Auch 
sind seine Thierversuche viel zu gering und für die Patho¬ 
genität seines Bacillus nicht beweisend. 

In derselben Gesellschaft berichtete Dr. Schill (Dresden), 
daß er auf Schnitten von Krebsgeschwülsten Bacillen ge¬ 
funden hatte, die sich nur an den Enden färben ließen, in 
der Mitte aber glänzend und durchsichtig blieben. Da aber 
die Untersuchungen Schill’s zu einer Zeit ausgeführt wurden, 
in welcher die bacteriologischen Untersuchungsmethoden noch 
wenig ausgebildet waren, müssen auch seine Angaben mit großer 
Reserve aufgenommen werden. 

Auf Grundlage von 350 Impfungen kam Sexger im 
Jahre 1888 zu dem Schlüsse, daß es durch keine Methode ge¬ 
lingt, von Krebsneubildungen Mikroorganismen zu züchten, 
die in einem ursächlichen Zusammenhänge mit diesen Ge¬ 


schwülsten stünden. Auch ist es ihm nie gelungen, mittelst 
Reinculturen, die ihm Scheurlen zugesendet hat, bei Hunden 
irgend welche pathologische Veränderung hervorzurufen. 
Senger behauptet ferner auf Grund histologischer nnd bacterio- 
logiseher Untersuchungen, daß der Erreger des Krebses kein 
Bacterium sein könne, wenigstens keines mit solchen Eigen¬ 
schaften, wie sie uns von den anderen Spaltpilzen bekannt 
sind. Schließlich bemerkt Sexger, daß es noch keinem Forscher 
gelungen sei, eine erfolgreiche Uebertragung von Carcinom. 
sei es von Thier auf Thier, oder von Menschen auf Thiere, 
oder endlich von einem Menschen auf den anderen vorzu¬ 
nehmen. 

Zur Aufklärung der Frage nach der Uebertragung des 
Krebses wurden im Laboratorium von Weigert unter den 
nöthigen Cautelen subcutan, intermusculär und intraabdominal 
bei Kaninchen und Hunden Partikelehen von Krebsgeschwülsten 
übertragen. Es zeigte sieh dabei dasselbe, was man bei Ueber- 
pflanzurig anderer physiologischer Gewebe beobachtete: die 
überpflanzten Partikelchen wurden fixirt, vergrößert und 
verhärteten anfangs, dann aber nahmen sie allmälig ab 
und resorbirten sich vom Centrum zur Peripherie, oder aber 
sie näherten sich der Hautoberfläche, verursachten daselbst 
Eiterung und Geschwulstbildung, und schließlich wurden sie 
eliminirt, worauf dann die Hautwunde binnen Kurzem ver¬ 
heilte; kurz, Weigert ist es nie gelungen, durch Uebertragung 
von Krebsraassen bei Thieren eine künstliche Entwicklung von 
Carcinom her vorzurufen. 

In jüngster Zeit erschien in Kasan eine Arbeit von 
Dr. Brandt, welche die Resultate Scheurlen’s ebenfalls wider¬ 
legte. B. behauptet, daß es überhaupt nicht gelingt, aus 
Carcinomen, welche nicht die regressive Metamorphose ein¬ 
gegangen sind, irgend welche Mikroorganismen zu züchten, und 
führt die Entstehung der Krebse, ähnlich Waldeykr, auf 
embryonale Reste zurück. 

Bekanntlich entstehen Krebsneubildungen vorwiegend an 
Stellen, welche leicht Insulten ausgesetzt sind, wobei die 
epitheliale Decke lädirt wird und die Theile häufig mit der 
Außenwelt in Contaet kommen, z. B. an der Unterlippe, an 
dem Orificium uteri, am Präputium, an der Brustdrüse, Zunge, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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Oesophagus etc. Es ist ferner bekannt, daß der Charakter 
und der Verlauf der Krebse analog den langsam verlaufenden 
Infectionskrankheiten ist, z. B. Syphilis, und nicht Pyämie, 
wie Sengrr behauptet. Die maligne Entartung des normalen 
Gewebes, seine Infection mit Krebselementen geht hauptsächlich 
in centripetaler Richtung vor sich, also in der Richtung des 
Lymphgefäßsystems, nach welcher sich das Krankheitsagens 
immer weiter verbreitet, sogenannte Disseminationsknoten 
bildend, bis es schließlich in’s Blut gelangt, von welchem es 
in die entferntesten Körpertheile getragen wird und dort 
Metastasen bildet. 

Darauf tritt früher oder später die sogenannte Krebs¬ 
kachexie oder -Intoxication ein, die einerseits durch die Ver¬ 
mehrung der Krebselemente, andererseits durch das Eindringen 
der Producte der regressiven Metamorphose und des Gewebs¬ 
zerfalls in die Circulation bedingt wird. Vielleicht trägt 
auch das Eindringen von durch die Krebserreger erzeugten 
Ptoma'inen in’s Blut zur Entstehung der Kachexie bei. Die 
Vermehrung des Epithels beim Krebs könnte man dadurch 
erklären, daß die den letzteren hervorrufenden Mikroorganismen 
eine besondere Neigung für das Epithel besitzen, etwa weil 
dasselbe ihnen einen besseren Nährboden abgibt, ähnlich wie 
andere pathogene Mikroorganismen sich mit Vorliebe in den 
einen oder den anderen Gewebszellen etabliren, so z. B. die 
Gonoeoeeen im Epithel der Urethra, die Tuberkelbacillen in 
den Riesenzellen. Hat sich einmal der angenommene Mikro¬ 
organismus im Epithel niedergelassen, so erzeugt er durch 
seine Anwesenheit einen Reiz, der eine Vermehrung des Epi¬ 
thels. eine Proliferation seiner Kerne u. s. w. zur Folge hat. 
Schwieriger ist es natürlich, das Auftreten von Krebsherden 
an Stellen zu erklären, wo normal gar kein Epithel vorhanden 
ist. Doch läßt sich dies durch das Verschleppen von Epithel¬ 
kernen erklären, welche wegen rascher Proliferation in dem 
schon inficirten Herde keine Zeit fanden, in Zellen überzu¬ 
gehen ; diese werden nun vom Lvmphstrom fortgerissen und 
an Stellen getragen, wo sie endgiltig heterotopisch sich ent¬ 
wickeln, und zwar am ehesten und häutigsten in den nächsten 
Lymphdrüsen, wo die günstigsten Bedingungen für ihre 
Stauung vorhanden sind. Da nun Kerne stets Zellen von 
einem gewissen Typus liefern, welche außerdem das Bestreben 
haben, sich in bestimmte Gruppen zu ordnen, so ist daraus 
auch die heterotopische Entwicklung nicht nur besonderer 
Arten von Epithelialgeweben, sondern auch ganzer Organe, 
wie Drüsen, Warzen etc. verständlich. 

Schon längst hat Viuchow darauf hingewiesen, daß die 
Verbreitung des Carcinoms den Eindruck einer Impfung macht. 
Besonders ist dies der Fall beim Careinom der inneren Organe 
(Magen, Darm, Leber), welche häufig secundäre Herde in ent¬ 
fernten, tiefer liegenden Organen setzen, so im vorderen und 
hinteren Douglas etc. Diese Thatsache ist geeignet, den Ge¬ 
danken wachzurufen, daß die Krebspartikelchen von den ur¬ 
sprünglichen Knoten sich abgelöst und an tiefer liegenden 
Stellen entwickelt haben. 

Aehnliche Beobachtungen publicirte auch Klebs. Er 
fand, daß bei großen Carcinomen des Oberkiefers, des Gaumens 
und der Zunge häufig Krebsknoten im Oesophagus und im 
Magen sich entwickeln. Ferner theilt Israel einen Fall von 
Carcinom der Zunge mit, bei dem bei der Section ein Krebs 
des Duodenums gefunden wurde. Weiters beschrieb jüngst 
Kraskk zwei interessante Fälle von Carcinom, das sich im 
Rectum entwickelte und Cylinderepithel enthielt; 10 und 
14 Cm. tiefer, beinahe im Anus, befand sich noch je ein Krebs¬ 
knötchen, welches vom höher liegenden Carcinom durch ganz 
gesunde Schleimhaut getrennt war und ebenfalls Cylinder¬ 
epithel enthielt. 

Wir kennen eine Reihe von Fällen aus der Literatur, 
in welchen das Carcinom scheinbar durch Contact entstand, 
so z. B. beschrieb Luecke einen Fall von Carcinom am Rande 
der Zunge, bei welchem an der gegenüber liegenden Stelle 
der Wangenschleimhaut Carcinomknoten gefunden wurden, 


die von dem ersteren durch gesunde Mundschleimhaut ge¬ 
trennt waren. Jüngst demonstrirte Bergmann in der Berliner 
medicinischen Gesellschaft einen Kranken mit zwei Carcinomen, 
von denen das eine an der Unterlippe, das zweite an der 
Oberlippe genau an der Stelle saß, wo sich beide Lippen in 
der Mitte berühren. Nach Angabe des Patienten soll zuerst 
ein hirsekorngroßes Knötchen an der Unterlippe und nach 
6—7 Wochen jenes an der Oberlippe gesehen worden sein. 
Bergmann wies bei dieser Gelegenheit auf die große Seltenheit 
des Carcinoms an der Oberlippe hin, welche manche Chirurgen 
sogar als immun gegen Krebs betrachten. 

Dr. Wiliams 1 ) beobachtete einen Kranken, der an der 
inneren Fläche des rechten Schenkels ein exulcerirtcs Carcinom 
hatte, und bei dem sich später ein eben solches am linken 
Schenkel entwickelte. W. ist der Ansicht, daß das Carcinom 
am linken Schenkel durch Impfung der Krebselemente nach 
vorheriger Erzeugung einer Hautabschürfung, etwa durch 
Reibung beim Gehen, zu Stande gekommen ist. 

Die angeführten Beispiele, beweisen die Möglichkeit einer 
Uebertragung des Carcinoms auf dasselbe Individuum auf dem 
Wege der sogenannten Auto-Inoculation. Wir kennen aber 
auch Fälle, wo die Carcinome von einem Individuum auf das 
andere übertragen worden sind. Hieher gehört z. B. die 
Infection von Eheleuten: Ein Fall von Duplouy 2 ), bei welchem 
ein Carcinom des Uterus auf (len Penis des Mannes über¬ 
tragen wurde und die Amputation des letzteren noth wendig 
machte. 

Ein Fall von Dr. Laslett s ), bei dem die Uebertragung 
des Uteruscarcinoms auf den Penis des Mannes stattfand. 

Der Fall von Hooper May 4 ), bei welchem im Jahre 1883 
eine Frau an Uteruscarcinom starb und im Jahre 1886 dem 
Manne der carcinomatöse Penis amputirt wurde. 

Ein Fall von Clemow 6 ), bei welchem ebenfalls ein Car¬ 
cinom des Penis bei einem Manne sich entwickelte, dessen 
Frau vor Kurzem an Uteruscarcinom zu Grunde gegangen war. 

Aehnliche Fälle sind in der Literatur mehrere ver¬ 
zeichnet , welche auf eine Uebertragbarkeit des Carcinoms 
schließen lassen. 

Ich übergehe nun zu den Versuchen, welche die Ueber¬ 
tragung des Carcinoms auf dem Wege der Impfung beweisen. 
Ich will aber zunächst ein Beispiel von Uebertragung des 
Carcinoms von Menschen auf Thiere anführen, welches von 
Dr. Budd beobachtet wurde. Ein an Carcinom der Unterlippe 
leidender Mann ließ sich häufig von seinem Zimmerhündchen 
belecken. Nach kurzer Zeit bekam dieses Carcinom der Zunge, 
dem es erlag. 

Der Erste, dem es gelungen ist, das Carcinom auf das¬ 
selbe Individuum zu überpflanzen, war Prof. Hahn. Er exci- 
dirte einer an einem sogenannten Carcinome en cuirasse 
leidenden Frau drei Knötchen und übertrug sie auf ent¬ 
fernte Körperstellen. Aus allen dreien entwickelten sich echte 
Krebsknoten. 

Viel lehrreicher sind die Untersuchungen von Dr. Wehr 
in Lemberg. Er übertrug Stückchen von Carcinoma medulläre 
aus der Vulva einer Hündin in das Unterhautzellgewebe einer 
anderen gesunden Hündin. Bei Beobachtung der antiseptischen 
Regeln heilte die Wunde per primam. Bald entwickelten sich 
an der geimpften Stelle kleine Knötchen, die allmälig größer 
wurden, bis sie die Größe einer Bohne und einer Wallnuß 
erreichten, worauf sie sich zurückbildeten und gänzlich ver¬ 
schwanden. Die mikroskopische Untersuchung dieser Geschwülste 
zeigte den Bau eines medullären Carcinoms, welcher identisch 
war mit der Structur der Neubildung, aus der die überimpften 
Stückchen entnommen waren. Daraus schließt Dr. Wehr, daß 
es an der Hand des Mikroskops gelungen ist, den Nachweis 

*) A. Wiliams, „The British Med. Journ.“, 1887, Dec., Seite 1369 

*) Duplouy, „The Lancet“, 1887, October, S. 727. 

a ) Laslktt, „The Lancet“, 1887, Oct., S. 888. 

4 ) Hoofkr May, ibidem, Nov., S. 919. 

A. Clemow, ibidem, Nov., S. 985. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


zu erbringen, daß die Vergrößerung der eingeimpften Par¬ 
tikelchen von r ihrem Wachsthum abhängt und nicht von der 
entzündlichen Reaction, wie S enger behauptet. Bei der Ueber- 
tragung von Gewebspartikelchen ist noch zu bedenken, daß 
viele ungünstige Momente für die Entwicklung der in den¬ 
selben enthaltenen Mikroorganismen vorhanden sind, welche, 
wie wir noch später sehen werden, sehr empfindlich und 
wenig widerstandsfähig sind. Partikelchen, welche den be¬ 
treffenden Mikroorganismus enthalten, und in den Körper oder 
in einen anderen Nährboden überpflanzt werden, können sich 
in ihrer Zusammensetzung derart ändern, daß sie den Unter¬ 
gang des Mikroorganismus bedingen, noch ehe er Zeit hat, 
sich zu vermehren und an die Peripherie zu gelangen, wo er 
eigentlich erst die Bedingungen für sein Leben und seine Ent¬ 
wicklung findet. 

Gelegentlich der Züchtung des Mikroorganismus des 
Krebses aus Krebsgeschwülsten constatirte ich, daß, wenn 
etwas größere Partikelchen gebraucht wurden, sich meist gar 
keine Colonien entwickelten ; wenn hingegen kaum bemerkbare 
Fragmente auf dem Nährboden verrieben werden, oder wenn 
Krebssaft auf denselben gestrichen wurde, trat fast immer 
üppiges Wachsthum ein. Es scheint ferner, daß nicht alle 
Theilchen der Krebsgeschwulst lebens- und entwicklungsfähige 
Bactcrien enthalten. (Fortsetzung folgt.) 


Notizen 

über die 

Denguefieber-Epidemie und die Influenza- 
Epidemie zu Smyrna. 

Von Dr. G. Diam&ntopulos. 

(Fortsetzung.) 

Zu den ersten Symptomen gehörten Temperaturerhöhung 
von meist viertägiger Dauer, Kopfweh, Schmerzen der Extre¬ 
mitäten, vorzüglich der unteren, und des Kreuzes. Die Invasion 
der Krankheit geschah eben mit diesen und ohne Prodrome. 
Manche Patienten wurden plötzlich von großer Schwäche und 
Unwohlsein ergriffen und stürzten wie ohnmächtig hin. Einige 
Stunden nach jenen Initialsymptomen trat häufig Frösteln auf, 
welches mehrere Stunden dauerte und sich bei jeder Bewegung 
im Bette oder beim Aufdecken des Körpers wiederholte. Die 
Temperatur schwankte meist zwischen 38 - 5—39’5° C. 

Die Kopfschmerzen sitzen meistens in der Stirne und 
werden am lebhaftesten über den Augenbrauen empfunden und 
häufig auch in den Augenhöhlen. In manchen Fällen schmerzt 
der ganze Kopf, in anderen mehr das Occiput. Diese Schmerzen 
dauern je nach der ^Schwere des Falles 2—4 Tage, sind äußerst 
stark, veranlassen die Patienten zu häufigen Klagen und ver¬ 
schwinden mit dem Abfalle des Fiebers. Das Gesicht ist 
mäßig geröthet, die Conjunctiven injicirt, die Augen gegen 
Licht empfindlich. Die heftigen Stirnschmerzen möchte ich 
theilweise in einigen Aesten des N. trigeminus localisiren, vor¬ 
züglich im N. supraorbitalis, umsomehr, als sie sieh in manchen 
Fällen im N. infraorbitalis, im Occipitalis und im Auriculo- 
temporalis nebenbei und meist einseitig deutlich localisirten. 
Ich machte an mir selbst folgende Beobachtung: Seit zehn 
Jahren leide ich an einer typischen Neuralgie des rechten 
Supraorbitalis, welche durch Behandlung mit Chinin und Ar¬ 
senik sehr viel von ihrer früheren Frequenz eingebüßt hat. 
Als ich nun im Monate September an dem Denguefieber ziemlich 
schwer erkrankte, hatte ich heftige Schmerzen in der linken 
Stirnhälfte, leichte dagegen an der rechten und zugleich ziem¬ 
lich starke auch im linken Infraorbitalis und Auriculo-tem- 
poralis. Der linke Infraorbitalis war bei Druck an seiner 
Austrittsstelle sehr empfindlich. Die Schmerzen an der linken 
Stirnhälfte kamen mir so vor, wie diejenigen meiner typischen 
Neuralgie. 

Manche Patienten empfinden die Schmerzen mehr im 
Occiput und manche an den Schläfen bis zu den Ohren. In 


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manchen Fällen treten während der Krankheit, aber auch 
während der Reconvalescenz flüchtige, sich oft wiederholende, 
ziemlich empfindliche, stechende Schmerzen, häufiger einseitig 
und fast immer auf derselben Seite auf. 

Es wird in den Handbüchern der Pathologie und in vielen 
Berichten angegeben, daß in den Gelenken der unteren Extre¬ 
mitäten heftige Schmerzen auftreten, und manche Autoren er¬ 
wähnen, daß die Gelenke stark anschwellen, und halten diese 
Anschwellungen sogar für pathognomonisch. Nach den bei unserer 
Epidemie gemachten Erfahrungen sitzen die Schmerzen in den 
Weiehtheilen, in den Muskeln, Fascien und Bändern der unteren 
Extremitäten, und die Anschwellungen der Gelenke waren so 
selten, daß sie für die Krankheit nichts Pathognomonisches 
haben. Solche Verschiedenheiten aber kommen auch bei anderen 
Infectionskrankheiten vor; im Jahre 1869 ging die Meningitis 
cerebrospinalis in Griechenland mit Gelenksanschwellungen 
einher, bei uns aber ohne solche. 

Viele Patienten fühlen so große Muskelschwäche, daß sie 
ihre Beine kaum bewegen können ; die unteren Extremitäten 
fühlen sich oft steif an, namentlich die Waden scheinen ihre 
Elasticität verloren zu haben. Viele Patienten klagten in den 
ersten Tagen über lebhafte Schmerzen im Bauche, vorzüglich 
zwischen Processus xiphoideus und Nabel; es handelte sich 
um Bauchwandmyalgien. Kreuzweh war ein ganz gewöhn¬ 
liches Symptom, seltener waren Rückenschmerzen. 

Viele Patienten klagten über ein unbeschreibliches Ge¬ 
fühl von Leere im Kopfe, welches oft auch während der Re¬ 
convalescenz fortdauerte, die Patienten verhinderte, ihre Ge¬ 
danken zu concentriren und Gedächtnißschwäche veranlaßte. 

Der Schlaf ist in den ersten 3—4 Tagen unruhig, von 
quälenden, beängstigenden, verworrenen Träumen gestöpt, im 
geringeren Grade auch während der Reconvalescenz. Der 
Inhalt der Träume ist fast jede Nacht derselbe und so ver¬ 
worren, daß Patient kaum im Stande ist. denselben anzugeben. 
Manche Patienten verfallen in Schlafsucht, andere jedoch, ge¬ 
ringer an Zahl, sind durch 3—4 Tage bis zur Verzweiflung 
schlaflos, umsomehr, als in manchen Fällen große Dosen 
Opium, Chloral etc. nicht den gewünschten Erfolg haben. 

Die meisten Patienten sehen traurig aus, sind mürrisch 
und unzufrieden, mit etwas gerunzelter Stirn und zusammen¬ 
gezogenen Augenbrauen, wahrscheinlich in Folge des Stirnweh. 

Sie werden vom Anfang an von einer intensiven Prostra¬ 
tion ergriffen, welche in keinem geraden Verhältnisse zu der 
Gutartigkeit der Krankheit steht; sie fühlen sich äußerst 
schwach, niedergeschlagen, haben keine Lust zu Körper¬ 
bewegungen. Diese Schwäche ist sehr charakteristisch für die 
Krankheit und dauert auch während der Reconvalescenz fort. 
Man erkent auf der Straße den Dengue-Reconvalescenten an 
seiner traurigen, melancholischen Miene, seinem langsamen, 
schleppenden Gang, dem nach vorne geneigten Kopfe; auch 
jene Personen, welche von Haus aus ein lebhaftes Temperament 
haben, lebhafte, rasche Bewegungen und lustiges Gemüth, ent¬ 
gehen diesem Zustande nicht. Die traurige Stimmung dauert 
bei manchen viele Wochen lang; sie kann so intensiv werden, 
daß mancher Patient das Leben für unerträglich hält, alles 
Interesse für Frau und Kinder verliert und nur an seinen, 
seiner Ansicht nach desperaten Zustand denkt, und das sind 
nicht etwa Leute, die früher nervös, reizbar oder schwacher 
Constitution waren. Mancher zeigt während der Reconvalescenz 
die Erscheinungen der Neurasthenie. Ich war überrascht, man¬ 
chen robusten, mir als apathisch bekannten Mann, fast weinend 
mich bitten zu hören, ich möchte mich seiner erbarmen und ihn 
aus seiner schrecklichen Lage befreien. Die traurige Stimmung 
war der ganzen Stadt eingeprägt; einer meiner Freunde, ein 
Deutscher, von einer dreimonatlichen Reise nach Wien zurück¬ 
gekehrt, sagte mir, daß er Smyrna eigenthümlich verändert 
und traurig finde. Das ganze Nervensystem ist beim Dengue 
so arg getroffen, wie kein anderes Organsystem. 

Viele Patienten neigen zu Ohnmacht oder verfallen leicht 
in solche, entweder ohne nachweisbare Ursache oder beim Auf- 

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stehen vom Bette behufs Verrichtung der Leibesbedürfnisse. 
Am Herzen tindet man nichts, das die Ohnmächten erklärt. 

Wenn bei diesen Störungen des Nervensystems unbe¬ 
trächtliche und feine Texturalterationen, welche sich repariren, 
vermutbet werden müssen, so sind auch Fälle vorgekommen, 
bei welchen man schwere pathologisch-anatomische Verände¬ 
rungen annehmen muß. Es sind nämlich einige Fälle beob¬ 
achtet worden, welche das klinische Bild einer acuten auf¬ 
steigenden (Lande Y’schen) Paralyse darboten, und zwar im 
Beginne oder während der Beconvalescenz, und nach einigen 
Tagen unter den Erscheinungen von Lähmung der Bespirations- 
muskeln tödtlich endeten. Die Patienten, darunter zwei Kinder 
von 10 und 12 Jahren, verspürten zuerst eine paretische 
Schwäche der unteren Extremitäten, welche bald zu voll¬ 
ständiger Paralyse wurde, dann die Muskeln des Rumpfes und 
der oberen Extremitäten ergriff. Alle Fälle zeigten dasselbe 
klinische Bild. Die Zahl solcher Fälle kann bei uns aus 
mehreren Gründen nicht eruirt werden; zu meiner Kenntniß kamen 
5 Fälle. Nicht ohne Interesse ist ein anderer Fall, den ich als 
Meningealhämorrhagie des Rückenmarks auffasse, und der mit 
Genesung endigte. Ein 12jähriger Knabe fühlte am 15. Tage 
sehr heftige Schmerzen im Lumbaltheile der Wirbelsäule, zu 
gleicher Zeit Ameisenlaufen in den unteren Extremitäten und 
große Schwäche derselben, ln einigen Stunden war er pare- 
tisch, genas aber nach mehreren Wochen bis auf eine geringe 
Schwäche der unteren Extremitäten. Daß Hämorrhagien häutig 
beim Dengue auftreten, wird aus dem weiter unten Gesagten 
ersichtlich. 

Einige Kinder verfallen in Convulsionen, und ein 7jähriger 
Knabe bot alle Erscheinungen einer acuten Meningitis während 
zweier Tage (heftiges Kopfweh, Erbrechen, hartnäckige Consti- 
pation, weite, nicht reagirende Pupille, Nackenstarre, Convul¬ 
sionen, Coma, Temperatur äO - ? 0 C.). Ich war über die vor¬ 
liegende Krankheit nicht im Klaren und in der Therapie 
zurückhaltend, als ich am Abend des zweiten Tages Calomel 
mit Jalapa, Eis auf den Kopf und Blutegel an die Processus 
mastoidei verordnete. Wie freudig war ich am folgenden 
Tage überrascht, als ich den kleinen Patienten auf seinem 
Bette sitzend, frei von allen jenen schweren Symptomen fand! 
Wenn noch ein Zweifel über die Denguenatur der Krankheit 
obwalten könnte, so hätte der am 5. Tage erschienene masern- 
ähnliche Ausschlag auch diesen beseitigt. 

Leichter Bronchialcatarrh begleitete fast jeden etwas 
intensiven Fall, verging jedoch bald während der Reconvales- 
cenz ohne weitere üble Folgen. Bei Patienten, welche an 
chronischen Lungenaffectionen litten, exacerbirte die Bronchitis, 
der Auswurf wurde reichlicher, dickflüssiger, eiteriger, dunkler 
gefärbt, oft roth, rothbraun, braun wegen Blutbeimischung. 
Das Blut war mit dem Sputum innig gemischt, jedoch 
nicht pneumonisch. Die physikalische Untersuchung ließ auf 
Congestion, hie und da auf schlaffe Infiltration des Lungen¬ 
gewebes schließen. Dies war bei älteren Leuten häufig der 
Fall. Es verging in solchen Fällen immer lange Zeit, bis 
die Patienten auf ihren früheren Zustand zurückkehrten. Das 
blutige Sputum dauerte mehrere Tage. 

Bei an Lungentuberculose Leidenden war die Sache nicht 
so unschuldig und einfach, denn das Denguefieber übte 
nach den iibcre nslimmenden Erfahrungen aller meiner Collegen 
auf die Lungentuberculose einen sehr pemieiösen Einfluß aus. 
Sehr viele von den an Lungentuberculose leidenden Patienten 
haben während des Denguefiebers und der Reconvalescenz 
wiederholte ] rofuse und langdauernde Lungenblutungen ge¬ 
habt, welche in etlichen Fällen die unmittelbare Ursache des 
Todes waren. Ich sah solche Blutungen 10—15—20 Tage 
dauern und nach einem Stillstände von wenigen Tagen wieder¬ 
kehren. Nicht wenige alte Lungentuberculose, welche, weil 
sich lange Jahre keine Erscheinungen mehr von Seite der 
Lungen zeigten, sich für geheilt hielten, haben zu ihrem 
Schrecken ihre gefürchtete Brustkrankheit wieder erwachen 
sehen. Bei manchen an beginnender Lungentuberculose Leidenden 


bildeten sich schnell neue und ausgedehnte Infiltrationen, nicht 
nur an den Lungenspitzen, sondern auch in den anderen 
Lappen, die Infiltrate schmolzen rasch und bildeten große 
Cavernen, und die Patienten erlagen den Hämorrhagien und 
den Erscheinungen galoppirender Phthisis. Wie sich die Tuber- 
culose anderer Organe verhielt, z. B. der Knochen, der Ge¬ 
lenke, hatte ich nicht Gelegenheit zu erfahren. 

Außer den ebengenannten Blutungen, welche entweder 
Leute betiafen, die früher an chronischen Lungenaffectionen 
und während des Denguefiebers an Lungencongestionen und 
pneumonischen Infiltrationen litten, oder Lungentuberculose, 
habe ich Blutspucken, und mitunter ziemlich reichlich, auch 
bei sonst gesunden Personen beobachtet, bei welchen die phy¬ 
sikalische Untersuchung nichts Abnormes nachwies. Die Zahl 
dieser Patienten, welche auch späterhin gesund geblieben sind, 
mag etwa 4—5% der Denguepatienten betragen haben. 

Die häufigsten von allen Blutungen waren die Nasen¬ 
blutungen während der Krankheit selbst, sowohl bei Erwach¬ 
senen, wie bei Kindern, bei letzteren häufiger erfolgend. Sie 
waren zuweilen so reichlich, dass sie die Tamponade der 
Nase nöthig machten, und wiederholten sich in manchen Fällen 
mehrmals täglich. 

(Fortsetzung folgt.) 


Therapie der Syphilis. 

Klinischer Vortrag von Prof. K&posi. 

(Schluß.) 

Was die Kaltwasserbehandlung anlangt, so nützt 
sie, wie es von vorneherein ersichtlich ist, als directes Mittel 
gegen Syphilis ganz und gar nichts, und die Kaltwasser- 
Aerzte sind in der Neuzeit alle derselben Meinung. Wenn 
sie aber einen derartigen Patienten bekommen, da unter¬ 
ziehen sie ihn einer antisyphilitischen Cur und daneben lassen 
sie ihn auch entsprechende hydrotherapeutische Cur machen. 

Die Kaltwasserbehandlung, in milder Form angewendet, 
schadet diesen Kranken nicht und mag in einem oder in dem 
anderen Falle irgend welche Wirkung gehabt haben. 

Etwas Anderes ist es, wenn an uns die Frage herantritt, 
ob wir einen derartigen Patienten in eine Kaltwasseranstalt 
schicken sollen, oder ob man Thermen, oder Schwefelbäder, 
oder sonst welche Bäder anwenden soll, ohne die eigentliche 
syphilitische Behandlung im Auge zu behalten. Da man weiß 
— und das ist eine wissenschaftliche Thatsache — daß das im 
Organismus angesammelte Quecksilber, wie Paschkis, Luka- 
siewicz u. A. nachgewiesen, nicht mit einem Male aus¬ 
geschieden wird, sondern schubweise in lösliche Formen über¬ 
geht, und da sie (die Bäder) den Vortheil bieten, daß sie 
Monate lang gebraucht werden können und dabei auf die secre- 
torische Function der Haut anregend wirken, so sind die Bade- 
Curen nach durch geführten Hg-Curen ganz rathsam. 

Ich möchte noch einige Worte rücksichtlich der Prog¬ 
nose der Syphilis sprechen. 

Es hat Zeiten gegeben, wo man ex cathedra gelehrt hat, 
daß die Syphilis niemals geheilt werden kann, daß ein Mensch, 
der einmal Syphilis acquirirt hat, selbst nach 15 und 20 Jahren 
Recidiven bekommen und daß er niemals gesunde Nach¬ 
kommenschaft zeugen kann. Das ist nun nicht richtig; gegen 
diese Anschauung muß man dem Publicum gegenüber an¬ 
kämpfen, u. z. aus moralischen und aus Wahrheitsgründen. Die 
Syphilis ist eine heilbare Krankheit, sie ist eine 
eminent heilbare Krankheit. Erstens haben wir Mittel, 
um das Virus zu zerstören, während wir gegen andere Krank 
heiten keine specifischen Mittel besitzen. Es ist allerdings wahr, 
daß die Leute in der großen Anzahl der Fälle mit einer einzigen 
Cur nicht ausreichen. Es gibt aber eine ganze Menge von 
Beobachtungen und Jedermann, der viel mit derartigen Patien¬ 
ten zu schaffen hat, verfugt über eine Reihe solcher Fälle, 


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wo Leute, die 3 Monate nach der Syphilisbehandlung 
geheiratet haben, gesunde Nachkommenschaft zeugten und 
nach mehr als 20 Jahren keine Recidiven bekommen haben. 
Fernerhin ist zu beachten, daß, wenn die Leute Recidiven 
bekommen, sie doch nicht so unglücklich sind, weil man 
sie wieder mit wirksamen Mitteln behandeln und endlich doch 
von ihrer Syphilis heilen kann. Weil nun die Meisten bei einer 
gründlichen Behandlung vollkommen gesund bleiben und gesunde 
Nachkommenschaft zeugen, darum halte ich die Syphilis für 
heilbar. Von der Heilbarkeit der Syphilis bin ich auf Grund 
vielfacher Eifahrung vollkommen überzeugt, und diesen Umstand 
kann ich nicht genug kategorisch betonen. Die Ursache, warum 
diese Ansicht so wenig Anerkennung findet, ist, daß die Gesund¬ 
bleibenden naturgemäß nicht zum Arzte kommen, sondern nur 
Diejenigen, die Recidiven bekommen. 

Ich will die Thatsache der Heilbarkeit der Syphilis 
hervorheben, weil auf Grund der entgegengesetzten Anschauung 
die Theorie in der Therapie der Syphilis geltend gemacht 
wurde, wonach derartige Patienten, selbst wenn die äußeren 
Symptome auf eine antisyphilitische Cur verschwunden sind, noch 
lange Zeit hindurch behandelt werden sollen. Ich meine hier die 
von mehreren Autoren und hauptsächlich von Fournier aufge¬ 
stellte Theorie der protrahirtenBehandlung der Syphilis. 
Von dem Grundsätze ausgehend, daß diese Patienten so 
lange nicht als gesund erklärt werden dürfen, bis sie nach 
einer gewissen Zeit keine Recidiven bekommen, pflegen diese 
Autoren ihre Patienten Jahre hindurch mit kleinen Unter¬ 
brechungen, einmal mit Jod, ein anderesmal mit Quecksilber, 
dann eine Zeitlang mit Decoct. Zittm. zu behandeln. 

Fournier. der früher nur für 2jährige Behandlung plai- 
dirt hat, fordert nun, daß man 3 Jahre fort und fort behan¬ 
deln müsse, weil auch dann noch Recidiven kämen. 

Da ist es, wie ich meine, wohl besser, zu individualisiren. 

Wir behandeln die Leute nur, wenn wir Symptome sehen. 
Ueb'ördies ist zu beachten, daß, wenn die Syphilis über 3 Jahre 
und später hinausgeschoben wird, sie, wenn sie recidivirt, in 
keiner ansteckenden Form auftritt. Wenn die Leute gesunde 
Kinder zeugen und ihre Frauen nicht inficiren, und wenn die 
Leute vielleicht dann erst nach 15 oder 20 Jahren ein Recidiv 
bekommen in Form eines serpiginösen, eines gummösen Syphilids, 
so frage ich: Wozu soll ich vorher so lange behandeln ? So sehr 
ich aber gegen diese prolongirte Behandlung bin, so sehr lege 
ich darauf Gewicht, in erster Zeit energisch gegen die Syphilis 
vorzugehen; nur wenn die Leute in erster Zeit nicht genügend 
behandelt werden, sondern eine nachlässige Cur ohne Methode 
durchmachen, dann bekommen sie sehr frühzeitig und schwere 
Recidiven. Dazu kommen noch individuelle Dispositionen: 
Tuberculose, kachektische Zustände und in dritter Reihe der 
Alkoholismus, welche auf die Prognose der Syphilis einen 
wesentlichen Einfluß üben. 

Es war nicht meine Absicht, Ihnen in Details die ver¬ 
schiedenen Mittel und Methoden der Syphilis auseinander zu 
setzen, sondern Ihnen in großen Zügen die Gesichtspunkte 
klar zu machen, wonach Sie bei der Behandlung der Syphilis 
in Ihrer Praxis sich zu orientiren haben, Gesichtspunkte, die 
eben für mich die leitenden sind, und ich glaube, wenn Sie 
diese festhalten und daran denken, daß sich die Behandlung 
der Syphilis nicht blos auf die Diagnose der Syphilis als 
solcher, sondern des individuellen Falles zu gründen hat, daß 
Sie in der Praxis fortkommen werden. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Apostou und Laüuerriere (Paris): lieber die Wirkung des 
positiven Pols des oonstanten galvanisohen 
Stromes auf Mikroorgfcnismen. 

L Prochownick und F. Späth (Hamburg): Ueber die keim- 
tödtende Wirkung des galvanischen Stromes. 
L. Prochownick (Hamburg): Die Behandlung des frischen 
Trippers beim Weibe mit dem constanten Strome. 

Apostoli und Laquerbiere habou der Pariser Academio des 
Sciences in der jüugston Zeit die Resultate einer Reihe von Unter¬ 
suchungen Uber das genannte Thema mitgetheilt. Dieselben 
lauten folgendermaßen: Die Wirkung des constanten galvanischen 
Stromes steht in dircctera Verhältniß zur Intensität des Stromes, 
nach Milliamperes gerechnet; bei derselben Intensität und den 
gleichen Umständen kommt es nicht auf die Dauer der Application 
an, sondern dio Intensität des Stromes allein bleibt immer der Haupt¬ 
factor ; ein Strom von 300 Milliamperes und mehr als 5 Minuten lang 
applicirt, vernichtet stets die Milzbrandbacilleu. Bei Uebertraguug 
der so behandelten Cultur auf Nährböden blieben letztore steril. 
Ebenso verlief die Impfung auf Meerschweinchen reactionslos. Ein 
Strom von 200—250 Milliamperes, 5 Minuten lang applicirt, ver¬ 
nichtet nicht stets und sicher die Virulenz. Einige Meerschweinchen 
starben noch, aber längero Zeit nach den Controlthieren, die mit der 
Cultur geimpft wurden, welche der Wirkung des elektrischen 
Stromes nicht ausgesetzt war. Ein Strom von 100 Milliamperes 
und darunter bei einer Application von sogar 30 Minuten vernichtet 
die Viruleuz nicht. Es kommt zu eiuer Abschwächuug, welche mit 
der Intensität des Stromes steigt. In diesem Falle sterben die 
geimpften Meerschweinchen 1—2 Tage später als die Controlthiere. 

Des Weiteren haben Verff. festgestellt, daß diese Thatsachen 
unabhängig sind von der thermischen Wirkung, welche alle 
Elektrolyse begleitet, und haben ferner die Wirkung der einzelnen 
Pole isolirt studirt. Die Resultate dieser Untersuchungen sind: 

1. Man kann die Wärmowirkung des Stromes ausschalten 
und trotzdem die Vernichtung oder Abschwächung der Bacterien 
erreichen. 

2. Der positive Pol allein vernichtet oder schwächt die patho¬ 
genen Mikroorganismen ab, für welche die intrapolare und die 
Wirkung des negativen Poles gleichgültig bleiben. 

3. Die antiseptische Wirkung des positiven Stromes (in einem 
Nährmedium ganz getrennt vom negativen Pol) zeigt sich darin, daß 
eine schwächere elektrische Dose als in dem ersten Experiment (wo 
die beiden Pole, nebeneinander stehend, ihre gegenseitige Wirkung 
abschwächen) erforderlich ist Also der positive Pol tödtet noch 
nicht bei 50 Milliamperes während einer Dauer, welche zwischen 
5—30 Minuten schwankt, aber schon über 50 Milliampere fängt 
die Abschwächung an, steigt allmälig und wird constant bei 
einer Applicationsdauer von 5 Minuten zwischen 50 und 150 Milli¬ 
amperes. 

4. Der allgemeine Schluß, welcher sich endlich aus diesen 
Versuchen ergibt, ist: daß dio sogenannte medicinische Dosis (50 
bis 300 Milliamperes) in einem homogenen Nährmedium keine Wir¬ 
kung sui generis auf die Culturen hat, daß vielmehr die allein dem 
positiven Pol zukommende Wirkung verursacht ist durch Erzeugung 
von Säuren und Sauerstoff. — 

Die zufällige Wahrnehmung, daß Cervicalsecret bei Application 
der galvanischeu Sonde auffallend schnell keimfrei wurde, leitete 
Prochownick und Späth auf den Gedanken, die Beziehungen 
zwischen galvanischem Strome und Mikroorganismen experimentell 
zu erforschen. Die Resultate sind in Nr. 26 der „Deutsch, med. 
Woch.“ mitgetheilt. 

Sie versuchten zuvörderst festzustellen, ob es gelingt, Bacterien, 
die in einer Nährflüssigkeit aufgeschwemmt sind, durch Hindurchleiten 
galvanischer Ströme zu vernichten, bezw. sie in ihrem Wachsthum 
nachtheilig zu beeinflussen. 

Es wurden zunächst Versuche mit Heubacillen gemacht. — 
Schien es auch, als ob das Wachsthum der Heubacillen auf den 
nach der Stromeinwirkung gefertigten Platten ein langsameres wäre, 


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als auf den Controlplatten, so konnte eine wesentliche Differenz 
doch nicht festgestellt werden, indeß die Beobachtung im hängenden 
Tropfen insofern eine Verschiedenheit ergab, als die zuvor sehr 
lebhaft sich bewegenden Bacterien sich nach der Einwirkung des 
Stromes (besonders wenn derselbe eine große Intensität besaß) 
ganz bewegungslos oder wenigstens sehr träge in ihrem Motilitäts- 
vermögen zeigten. Erst allmflüg, im Verlaufe einiger Stunden, kehrte 
die ursprüngliche Beweglichkeit wieder, hatten die Mikroben sich 
also gewissermaßen von der Erschütterung ihres Protoplasmas erholt. 

Eine nächste Versuchsreihe galt dem Staphylococcus 
pyogenes aureus. Das Resultat war auch bei Benützung 
stärkster Ströme (250—300 M.-A.) und mehrstündiger Dauer der¬ 
selben ein negatives; auf den angelegten Agarplattcn zeigte sich 
unbehindertes Wachsthum. Ebeusowenig ließ sich der hervor¬ 
ragendste Vertreter der stäbchenförmigen Mikroorganismen, der 
Milzbrandbacillus, durch den galvanischen Strom beeinflussen. 

Nachdem diese Versuche also, wie sich auf Grund klinischer 
Erfahrung voraussehen ließ, ein wenig zufriedenstollendcs Ergebniß 
geliefert, die Fernwirkung des Stromes sich also als eine sehr ge¬ 
ringe erwiesen hatte, lag es nahe, auch die polare Wirkung zu 
uutersueben. Es wurden zu diesem Zwecke die Platinelektroden mit 
Agar-Agar übergossen, und nach dem Erstarren dieses Nährbodens 
Mikroben auf denselben verimpft. Am anderen Tage wurden die 
Elektroden, auf denen inzwischen unter Anwendung der Brut¬ 
temperatur ein runder Bacterienherd gewachsen war, an Platin- 
dräbten aufgehängt und dem Strome ausgesetzt. Vor und nach der 
Einwirkung des Stromes wurden von der Cultur Proben auf Agar- 
und Gelatinröhrchen verpflanzt, letztere nach dem Vorgänge E. v. 
Esmabch’s „ausgerollt“. 

Die ersten Experimente galten einem aus frischem Absceßciter - 
gewonnenen, sehr rasch wachsenden Staphylococcus pyogenes 
aureus. Dabei zeigte sich nun sehr rasch eine ganz in die Augen 
fallende Differenz zwischen den nach der Stromwirkung von + und 
— Pol entnommenen Proben; letztere zeigten im Vergleich zu den 
Controlculturcn nur eine geringe Abi ahme der Waohsthumsenergie, 
indeß die vom positiven Pol stammenden Röhrchen absolut steril 
blieben, selbst wenn Material in großer Menge verimpft und auf 
Agarplatten tage- und wochenlang der Bruttemperatur ausgesetzt 
wurde. Der positive Pol wirkte also in hohem Grade 
local antiseptisch, dircot coccentödtend. 

In ähnlicher Weise experimentirten Verff. sodann mit einem 
sehr virulenten und stark sporentreibenden Milzbrandbacillus. 
In der That bewährte auch diesem resistentesten aller Mikroben 
gegenüber die Anode ihre emiuent bactericntödtende Kraft. Aller¬ 
dings mußten hier weit höhere Stromstärken in Action treten, als 
beim Staphylococcus, um die Bacillen sarnrnt ihren Sporen zu ver¬ 
nichten. 

Eine dritte Versuchsreihe endlich wurde einem aus frischer 
Phlegmone gezüchteten Streptococcus pyogenes gewidmet. 
Der Erfolg war derselbe, wie beim Staphylococcus; schon schwache 
Ströme (60—80 M.-A.) richteten ihn bei viertelstündiger Einwirkung 
zu Grunde. 

Die Erklärung der Anodenwirkung liegt nahe. In der Zer¬ 
setzung der als Medium benützten NaCl-Lösung durch deu Strom 
muß der Schlüssel zu derselben zu suchen sein. 

Da bekanntlich am -f Pol freies Chlor ausgeschieden wird, 
welches sich in dem Experimentirglas stets am Geruch bemerkbar 
machte, war a priori anzunehmen, daß diesem sehr energischen 
Antisepticum, welches in statu naseenti sicherlich noch viel kräf¬ 
tiger wirkt, die Ursache zuzuschreiben sei für das Erlöschen der 
Lebensfähigkeit der an der Anode angebrachten Cultur. Daß in der 
That auch freies Chlor bei Anwendung am menschlichen Körper 
abgespalten wird, bewiesen die Erfahrungen in der Galvanisation 
des Uterus, indem nämlich Kupfersonden, wenn dieselben den -f Pol 
repräsentirten, jedesmal einen hellgrünen Ueberzug erkennen ließen, 
dessen Hauptbestandteil bei der chemischen Analyse und bei der 
Flammenprobe Chlorkupfer bildete. 

Für die Praxis sind demnach jedenfalls Platinsonden zu em¬ 
pfehlen, da Kupfersonden einen Theil des ausgeschiedenen Chlors für 


sich in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite ist dem in Wasser, 
also auch in den Gewebssäften löslichen CuCl 2 eine gewisse anti¬ 
septische Kraft nicht abzusprechen, di es sich zeigte, daß geringe 
Mengen von diesem Salze Agar und Gelatine zu sterilisiren ver¬ 
mögen. 

Diese experimentellen Erfolge veranlaßten Verff. zu zweierlei 
Nutzanwendungen: 

1. Versuchten sie, den galvanischeu Strom in solchen Fällen zu 
verwerthen, wo bisher andere Applicationsweisen von Antisepticis sehr 
schwierig und mit Gefahren verknüpft waren. Vor Allem beim acuten 
Tripper. Die Mehrzahl aller bisherigen therapeutischen Bemühungen, 
denselben an seinen Prädilectionsstelleu, in der Urethra und besonders 
im Cervicalcanal im Beginne der Erkrankung aufzusuohen und zu 
vernichten, war entweder fruchtlos oder führte selbst bei größter 
Vorsicht dazu, die Gonococcen höher in den Uterus hinaufzubringen 
und dadurch die Krankheit zu verschlimmern. Einige wenige Ver¬ 
suche mit dem constanten Strom haben in kurzer Zeit gelehrt, daß 
wir voraussichtlich iu der Lage sein werden, hier Heilerfolge ohne 
nebenhergehende Schädigungen zu erzielen. 

2. Werden sie bei der galvanischen Behandlung im Uterus 
möglichst die Anode verwenden. — 

Die erwähnten Resultate legten es nahe, sämmtliche Formen 
von Cervix- und Gebärmuttercatarrh zur Behandlung mit dem con- 
stauten Strome heranzuziehen. Wenn auch nicht alle myootischer 
Ursache sind, so dürften für diejenigen, die nicht bacterieller Natur 
sind, auf die ätzende und verschorfende Wirkung des Stromes Hoff¬ 
nungen gehegt werden. 

In der That zeigte das Experiment an frisch der Leiche ent¬ 
nommenen Gebärmüttern und an solchen, die nach vorausgegangener 
Galvanisation an der Lebenden zur Ausschneidung gelangten, daß die 
verschorfende Wirkung der Anode auf die Schleimhaut eine sehr 
kräftige ist. Von den verschiedenen Formen der Endometritis, die mit 
dem constanteu Strome behandelt worden sind, hebt Verf. speciell 
den frischen Tripper hervor, dessen vollständige und dauernde 
Heilung in kurzer Zeit gelungen ist. 

Die vier von Verf. in Nr. 27 der „Münch, mod. Wocb.“ be¬ 
schriebenen Fälle sind in der Tbat außerordentlich beweisend und 
ermuthigend, weshalb sie hier in Kürze skizzirt werden sollen. — 
Der erste betrifft eine 32jährige Frau, die mit einer typischen 
Gonorrhoe der Harnröhre und der Cervix in Behandlung kam. Im 
Secret fanden sich Gonococcen fast in Reincultur. Sechsmalige 
Galvanisation im Laufe von 17 Tagen, 6—10 Minuten, 80 bis 
100 Milliamperes, mittelstarke Kupfersonde + Pol in utero. Nach 
der dritteu Anwendung ist d^ß Secret frei von Gonococcen, 
nach der sechsten bis auf die auch im gesunden Zustande vor¬ 
kommenden Bacterienformon gänzlich keimfrei. Der Cervixschleim 
nach sechs Sitzungen klar, die Heilung andauernd. In einem zweiten 
Falle verschwanden die Gonococcen nach 5 Sitzungen aus dem Secrete, 
nach der 8. Sitzung vollständige Keimfreiheit des klaren Secrets, 
dauernde Heilung, erneute Schwangerschaft. Im dritten Falle Gono¬ 
coccen nach 4, sämmtliche Krankheitserscbeinungcn nach 9 Sitzungen 
beseitigt; die Heilung durch 5 Monate dauernd. Im vierten Falle 
schwanden die Gonococcen erst nach 7 Sitzungen und Heilung 
trat nach weiteren zwei ein. 

Die Behandlung wird folgendermaßen durchgeführt: Reinigung 
von Vulva und Vagina, thunlichste Vermeidung von Spiegeln und 
Hakenzangen, Einführung der dem Einzelfalle anzupassenden + Pol¬ 
sonde unter Fingerleitung, sofortiger Stromschluß nach der Ein¬ 
führung, danach Ruhe von 1—2 Stunden; strengstes Verbot der 
Cohabitation. Mittlere Stromstärke bis zu 120 Milliamperes genügt. 
Man kann die Sitzungen bis auf 8—10 Minuten ausdehnen. Die 
Harnröhre kann man bei frischen Fällen sich selbst überlassen, bei 
anderen ist eine Therapie nothwendig. 

Versuche, auch hier galvanisch zu wirken, scheiterten daran, 
daß Ströme über 30—40 Milliamperes nicht vertragen werden, 
während solche von 80—100 erforderlich sind. S. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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1890. — 


Zeitungsschau. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Ref.: Prof. Ludwig Kleinwächter. 

(Fortsetzung*) 

Für die Castration von der Vagina aus legt neuerlich 
Byford eine Lanze ein. Er nimmt sie dann vor, wenn der Uterus 
nach rückwärts verlagert werden kann, die Ovarien leicht zu er¬ 
reichen sind und nicht die Größe einer Orange überschritten haben. 
Geleitet wird er in seinen Anschauungen durch die größere Lebens¬ 
gefahr bei Vornahme der Castration auf dem Wege der Laparotomie 
gegenüber jener von Seite der Vagina aus. 

In einer umfangreicheren Arbeit weist Brooks Wells an der 
Hand eines Materials von 1035 Fällen, verglichen mit 291 gesunden 
Individuen, nach, daß die Cervixlacerationen durchaus 
nicht so bedeutungslos sind, wie dies kürzlich Noeggkrath 
behauptete. Sie bedingen häufig Abortus, Lageveränderungen des 
Uterus, Erosionen, sowie Erkrankungen der Uterusraucosa. Auf 
ähnlichem Standpunkte befindet sich Sänger. Theilweise in das 
gleiche Thema einschlagend, ist eine Arbeit Hardon’s. Er nahm 
in einigen Fällen die EMMBx’sche Lacerations Ektropium-Operation 
bei Gegenwart einer chronischen Metritis vor. Sofort nach der 
Vereinigung der zerrissenen Muttermundslippen involvirte sich der 
Uterus, die Menstruations- und anderweitigen Beschwerden schwanden, 
die Kranken befanden sich wohl, doch dauerte dies nicht lange, die 
Menstruation cessirte, der Uterus verkleinerte sich, kurz gesagt, es 
stellte sich das zweite Stadium der chronischen Metritis, die binde¬ 
gewebige Degeneration des Uterus ein. Mittelst bei Zeiten einge¬ 
leiteter intrauteriner Faradisation gelang es, diese bindegewebige 
Degeneration des Uterus aufzuhalten. 

Für die Vornahme der Laparotomie bei Gegen¬ 
wart einer Peritonitis sprechen sich Meyers, Montgomkry 
und Podrez aus. Letzterer .nahm eine derartige Operation vor, 
desinficirte die Bauchhöhle und die Kranke genas. Die beiden 
Anderen sind für frühzeitiges Operiren, sei die Peritonitis durch 
welchen Proceß immer bedingt. Ihrer Ansicht nach wäre die Ope¬ 
ration namentlich bei Perforation des Processus vermiformis ange¬ 
zeigt. Hier habe man die Perforationsstelle aufzusuchen, den Pro¬ 
cessus vermiformis abzutragen, den Darm zu vernähen und hierauf 
die Bauchhöhle zu desinficiren. Boldt theilt einen Fall mit, in dem 
er bei puerperal-septischer Peritonitis die Bauchhöhle eröffnete, die 
Kranke aber starb. Montgomery stützt sich bei seinen Auseinander¬ 
setzungen auf die guten Erfolge der Laparotomie bei Peritoneal- 
tuberculose. 

In diagnostischer Beziehung nicht unwichtig ist eine Mit¬ 
theilung Scbdrinoff’s. Er beobachtete einen Fall von Ovarialcyste, 
bei dem sich plötzlich ein hochgradiger Ascites entwickelte, der die 
Kranke in Lebensgefahr brachte. Da zuweilen Ascites nach 
Stieltorsion eintritt, so diagnosticirte er eine solche, und wurde 
seine Diagnose bei der Operation bestätigt. Der Stiel war ein halbes 
Mal um seine Achse gedreht. Die gleichzeitige Peritonitis war durch 
den hochgradigen Ascites verdeckt. 

Sehr warm tritt Cohnstkin für dieExstirpatio uteri 
caroinomatosi nach Richelot ein, wobei keine Ligatur an¬ 
gelegt wird, sondern nur lange Klemmeu und Pincetten, die 48 
Stunden später entfernt werden. Er operirte 7 Fälle in dieser 
Weise, von denen nur einer letal ausging. Die Hauptvortheile dieser 
Operationsmethode liegen in der schnellen Ausführung der Operation, 
in der Ersparniß von Blut, in dem Schutze vor Nachblutungen und 
in dem Vermeiden von Verletzungen oder Verlegungen der Harn¬ 
leiter. Ein Uebelstand sind die heftigen Schmerzen nach der Ope¬ 
ration. Die anderen, sehr nahe liegenden Uebelstände, die Unmög¬ 
lichkeit, die Antisepsis nach dieser Operationsmethode so genau 
durchzuführen, wie nach der Anlegung von Ligaturen, und die Ge¬ 
fahr des Entstehens eines Decubitus durch das Gewicht der vielen 
schweren, eisernen Instrumente (es liegen 20 und mehr Klemmen 
und Pincetten) erwähnt Landau nicht. 

*) S. r Wiener Med. Presse“, 1890, Nr. 27. 


Bei der Sectio caesarea hält J. Veit die von Sänger 
empfohlene symperitoneale Naht für überflüssig. Ueberdies sah 
er, daß die an einander gezogenen peritonealen Flächen mit einander 
nicht verkleben. Die melonenschnittförmige, ebenfalls von Sänger 
empfohlene Resection der Uterusrausculatur hält er geradezu für 
schädlich. Er empfiehlt, den Gummischlauch nur möglichst kurze 
Zeit liegen zu lassen, um Nachblutungen zu vermeiden, und die 
Muskelnaht möglichst exact mittelst fortlaufender Naht vorzunebmen. 

Sehr interessant ist ein Vortrag Olshausen’s über wieder¬ 
holte Laparotomien. Unter 700—800 Laparotomien mußte 
er 20 Male (also in etwa 3°/ 0 der Fälle) die Operation wiederholen. 
4 Male wurde wegen Ileus operirt — und zwar 3 Male nach 
Ovariotomien, 1 Mal nach einer Myomotomie — 2 Kranke genasen. 
1 Mal wurde nach einer Castration myomotomirt. 1 Mal wurden 
nach einer Parovariotomio wegen starker Schmerzen Dünndarm- 
adhäsionen gelöst. 2 Mal wurde nach der Castration, da Neurosen 
zurückblieben (und auch keine Amenorrhoe eingetreten war), ver¬ 
sucht, die zurückgebliebenen Ovarialreste zu entfernen, doch mißlang 
dies. 1 Mal wurde nach einer Parovariotomie wegen Neuralgie das 
Ovarium der anderen Seite entfernt. 2 Mal bandelte es sich um 
Excision von Bauchhernien nach früheren Laparotomieu. In den 
meisten Fällen aber handelte es sich um Erkrankungen des zweiten 
Ovariums nach früherer Exstirpation des ersten oder um Recidiven 
im zurückgebliebenen Ovarialreste. Bei jÜDgeren Individuen ist es 
bei der ersten Operation schwer zu entscheiden, wie man sich ver¬ 
halten solle, wenn das andere Ovarium nicht ganz gesund aussieht, 
bei älteren thut man besser, das verdächtige zweite Ovarium zu ent¬ 
fernen. Die Zeitdauer zwischen der ersten und zweiten Laparotomie 
schwankte zwischen 13—26 Monaten. 9 Male versuchte 0., nach 
früher unvollständiger Operation, später nachgewachsene Reste des 
Organes (papilläre Tumoren) zu entfernen. 3 dieser Kranken 
starben. 2 Mal waren es Hydrosalpingitiden, die eine zweite Ope¬ 
ration erheischten. 1 Mal mußte er die Laparotomie 3 Male machen, 
1 Mal sogar eine bei einer Kranken, die bereits 4 Mal von Anderen 
laparotomirt worden war. 

Ebenso interessant, aber noch wichtiger ist Olshausen’s Vor¬ 
trag über eine besondere Todesursache nach Laparo¬ 
tomien. Nicht so selten sterben Laparotomirte, namentlich solche, 
bei denen die Eventration der Darmschlingen vorgenommen werden 
mußte. Sie collabirten meist einige Tage nach der Operation und 
bekommen ileusartige Symptome. Der Tod tritt gewöhnlich 5 bis 
10 Tage post operationem ein. Der Sectionsbefund entspricht einer 
Darmparalyse. Diese Darmparalyse ist die Folge von Circulations- 
störung in den Darmwandungen, welche nach längerer Eventration 
eintritt und sich durch venöse Hyperämie, sowie durch Extravasation 
in den Darmwandungen anatomisch charakterisirt. Fälle von Darm- 
occlusion nachOvariotomie melden Nieberding und Hirsch. 
Ersterer sah zwei Fälle. In einem Falle war eino Anlöthung des 
resecirten Netzes au eine Darmschlinge, im anderen die Verklebung 
einer Darmschlinge mit dem linken Peritonealwundrande die Ursache 
des Heus. Nieberding zieht daraus die Lehre, die Peritoneal- 
wunden sorgsam zu vernähen, um solchen Verklebungen auszuweichen. 
Hirsch theilt Fälle dieser Art folgendermaßen ein: 1. Directe, 

durch Narbcnconstruetion erzeugte Occlusion, erzeugt durch Ver¬ 
einigung der Darmserosa mit der granulirenden, sich späterhin 
contrabirenden Wundfläche der Bauchwand oder des Stieles. Der 
Darm wird hier durch Narbenschrumpfung geknickt. 2. Indirect 
vom Peritoneum ausgehender Darmverscbluß, eDtstauden durch eine 
aseptische Peritonitis. 3. Rein mechanische Occlusion, durch Ver¬ 
lagerung der Därme während der Operation entstanden oder nach 
derselben durch Darmeinklemmung zwischen Stiel und Bauch- oder 
Beckenwand. Zuweilen kann die Aetiologio auch eine gemischte 
sein. 1. und 2. tritt erst längere Zeit nach der Operation ein, 
3. bald nach dor letzteren. Ob frühere Darmerkrankungen zu 
Occlusionen prädisponiren, ist nicht entschieden. Wichtig ist die 
Prophylaxis. Die einzig richtige Therapie ist die Laparotomie, 
eventuell Enterotomie oder Colotomio, doch wird gewöhnlich der 
richtige Zeitpunkt dazu versäumt. Zwei Fälle von Ileus nach 
vaginaler Exstirpation des Uterus in Folge von Adhäsionen 
zwischen Dünndarmschliugen und der Scheidenwunde sah P. Reichel. 


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Neue Untersuchungsmethoden werden von Ui lmann 
und Mendes de Leon angegeben. Ersterer empfiehlt, um in 
schwierigen Fällen Uterus und Ovarien abzutasten, in das Rectum 
bei leerer Blase einen Kolpeurynter einzuführen, der mit 200 bis 
250 Ccm. Wasser gefüllt wird, worauf dann bimanuell untersucht 
wird. Der Andere überträgt die TfiENDELENBUBG’sche Lagerung 
der Kranken bei Exstirpation von Blasentumoren — Höherlagerung 
des Beckens bei Tieferlagerung des Kopfes —, die ihm eiumal bei 
einer Castration gute Dienste leistete ; auf die gynäkologische Unter¬ 
suchung. Die Därme sinken dadurch nach oben und die Kranke 
kann die Bauchpresso nicht anwenden. Minkowski füllt, um Ab¬ 
dominaltumoren besser diagnosticiren zu können, zuerst den Magen 
mit Kohlensäure, hierauf, nach Entfernung der letzteren, das Rectum 
mit Wasser. Das Verfahren hat den Zweck, die Tumoren dahin zu 
drängen, von wo aus sie ihren Ausgang nahmen. Ebenso soll 
Scbbamm’s Diaphanoskop zu diagnostischen Zwecken verwendet 
werden. 

Ueber operative Heilung urethraler Incontinenz 
schrieben B. S. Schdltze und William Alexander. Nach Ersterem 
wird, um die obere Portio der Harnröhre, sowie den Blasenhals zu 


verengern und den Sphinoter functionsfähig zu machen, eine Ellipse 
(3—1 Cm.) aus der Vesicovaginalwaud ausgeschnitlen, worauf die Naht 
angelegt wird. Es wird daher die Function des Sphincter internus 
am Blasenhalso durch Verengerung des Harnröhrenlumens leistungs¬ 
fähiger gemacht. Zwei in dieser Weise Operirte wurden gesund, 
doch mußte bei der einen zweimal operirt werden. Alexander 
präparirte die Harnröhre von ihrer Basis los und nähte dieselbe, 
nachdem er von der Vagina her eine Oeffnung in das Rectum 
gemacht hatte, in letzteres ein. Die Operation gelang. In einem zweiten 
Falle, wo eine große Blasenscheidcncommnnication wegfen Defect der 
Harnröhre und des Blasenhalses da war, eröffnete er das Rectum 
von der Vagina aus und nahm dann die Colpokleisis vor. Auch hier 
gelang die Operation. 

Bei Ichiuria puerperarum führt Schatz einen nach 
Art des Handschuhweiters construirten Dilatator bis in die Blase ein 
und dehnt, während der Harn abfließt, den Sphincter ganz allmälig, 
etwa zur Weite, daß die Spitze eines dünnen kleinen Fingers ein¬ 
geführt werden könnte. Der Sohmerz ist mäßig, öfters folgt eine 
geringe Blutung. Meist kann die Puerpera darauf den Ham spontan 
lassen. Selten wird eine zweite Dehnung nöthig. (Forts, folgt.) 


F e u i 11 e t o n. 

Dernene „Weltcurort“ Wörishofen in Bayern 
nnd die Kneipp'sche Wassercnr. 

(Ein Reisebrief.) 

(Schluß.) 

Die Methoden, deren sich Kneipp zur Wasserbehandlung 
bedient, sind folgende: 

A. Umschläge mit einem großen Stücke mehrfach zusammen¬ 
gelegter, in kaltes Wasser getauchter und gut ausgewundener Lein¬ 
wand und darüber eine eng anliegende Wolldecke. Je nach der 
Applicationsstelle unterscheidet er: a) Obere Umschläge (vom 
Halse über die ganze Brust und den Bauch) gegen Ansammlung 
von Gasen im Magen und Darm; b) Hinterer Umschlag 
(Schulter, Rücken bis zum Kreuze), gegen Hexenschuß und Blut¬ 
wallung; c) gleichzeitiger oberer und hinterer Um¬ 
schlag gegen große Hitze, Ansammlung von Gasen, Wallungen, 
Hypochondrie (!); d) Bauchumschläge gegen Magenbeschwerden, 
Krämpfe und zur Ableitung des Blutes von den Brustorganen. 

Anmerkung. Anstatt in Wasser wird der Umschlag zu¬ 
weilen in Essig oder in eine kaltgewordene Abkochung von Heu¬ 
abfällen, Zinngras, Haferstroh eingetaucht. 

B. Bäder: a) Fußbäder, kalte und warme; bei ersteren 
steht der Kranke 1—3 Minuten in kaltem, bis zu den Waden 
reichendem Wasser — zur Ableitung des Blutes von Kopf und 
Brust; warme mit Beimengung von Salz und Holzasche, haupt¬ 
sächlich für weibliche Kranke gegen Wallungen, Kopfschmerzen und 
Krämpfe; mit Abkochung von Heuabfällen gegen Fußgeschwüre, 
Anschwellungen, Gicht im Fuße, Geschwüre in Folge von Schuh¬ 
druck u. s. w., mit Abkochung von Haferstroh gegen Gichtknoten, 
Schweißfuße, Hühneraugen, eingewachsene Nägel; mit Malz¬ 
abkochung gegen Gicht und Rheumatismus; b) Halbbäder, wobei 
der Kranke durch 1—3 Minuten entweder bis zu den Knien im 
Wasser steht oder kniet, wobei auch die Schenkel in’s Wasser 
kommen, oder darin bis zum Nabel sitzt — zur Abhärtung im 
Allgemeinen, zur Kräftigung der Reconvalescenten insbesondere, das 
Sitzen auch gegen Hämorrhoiden, Kolik, Hypochondrie und Hysterie, 
c) Sitzbäder in den bekannten Sitzbadewannen, kalte */ a —3 
Minuten, gegen Verdauungsschwäche, trägen Stuhlgang, Hämor- 
rhagien und verschiedene Krankheiten der weiblichen Geschlechts¬ 
organe, ausgezeichnet gegen Schlaflosigkeit; warme mit Zinn¬ 
grasabkochung gegen rheumatische Schmerzen, Nervenkolik, Urin¬ 
beschwerden, mit Heuabkochung gegen Verstopfung, Hämorrhoiden, 
Windkolik; d) Vollbäder, kalte, durch J / 2 —3 Minuten, bei 
allen Krankheiten, die mit einer Temperatursteigerung von 39 
bis 40® einhergehen, wenn nöthig alle Stunden; bei großer 
Körperschwäche statt der Bäder Waschungen; alle innerlichen 


Antipyretica seien überflüssig und wegen ihrer Giftigkeit 

schädlich ; warme, denen auch je nach der Natur der Krank¬ 
heit Abkochungen verschiedener Substanzen beigemengt werden 
können, entweder von 26—28° durch eine halbe Stunde mit darauf¬ 
folgendem kalten Vollbad, oder von 30—35° dreimal durch je 10 
Minuten und darauf jedesmal durch 1 Minute ein kaltes Vollbad, 
e) Theil bäder, und zwar Handbäder, Kopfbäder (Strecker 
des oberen Theiles des Kopfes) in kaltes Wasser durch 1 Minute 
gegen Kopfschmerzen, in warmes durch 5—7 Minuten gegen 
Schuppen, Flechten, Borken und Ungeziefer; Augenbäder, kalte 
(Eintauchen der Stirne und der Augen raehreremale hintereinander 
durch je 1 Minute) gegen Augenschwäche, warme von 24—26° 
aus einer Abkochung von Sem. fbeniculi oder Herba Euphrosia offin. 
(Augentrost) (!) zur Erweichung von Anschwellungen oder zur Ab¬ 
lösung und Ausscheidung unreiner Stoffe im Inneren des Auges. (!!) 

C. Dampfbäder, immer nur für einzelne Körper- 
theile mit darauf folgender kalter Abwaschung: 
Kopfdampfbäder bei Affectionen der Kopfhaut, rheumatischen 
Kopfschmerzen, Ohrensausen, Catarrhen der ersten Luftwege, Bläh¬ 
hals, Schwellung der Lymphdrüsen, auch bei Wallungen und Schlag¬ 
fluß (!); Fuß da mp fbä der; Sitzdampfbäder aus Zinngras- 
abkochung bei Krankheiten der Nieren und Harnbeschwerden. 

D. Begiessungen. Aus einer Gießkanne wird je nach Bedarf 
ein stärkerer oder schwächerer Strahl auf den betreffenden Körper- 
theil gegossen: a) Knieguß; b) Oberguß, erste Kanne von 
dem rechten Arm und der rechten Schulter über den ganzen Rücken 
bis zur linken Schulter und der linken Hand, zweite und dritte 
Kanne zum Begießen der beiden sympathischen Nerven an beiden 
Seiten des 7. Halswirbels über den ganzen Rücken, die Wirbel¬ 
säule und Schultern, mit darauf folgender Abwaschung der Brust 
und schneller Ankleidung ohne vorgängige Abtrocknung. Beide vor- 
züglich zur Abhärtung; c) Rückenguß von einem Schulterblatt 
zum anderen; d) Unterguß auf beide Unterschenkel; e) ganzer 
Ueberguß, erste Kanne auf den ganzen Körper, die anderen 
drei auf das Hinterhaupt und die Magengegend. 

E. Waschungen des ganzen Körpers bei fieberhaften Krank¬ 
heiten, unter Umständen alle */a Stunden, oder einzelner Körper- 
theile bei verschiedenen Affectionen. 

F. Einwickelungen: a) Kopfwickel, Kopf und Gesicht 
werden naß gemacht und mit einem enganliegenden Tuche, das nur 
Stirne und Augen freiläßt, bedeckt und die Procedur 2—3mal, 
immer nach einer halben Stunde, erneuert — gegen rheumatische 
Kopfschmerzen, Hautschuppen und kleine Geschwüre am Kopfe, 
b) Halswickel, Anwendung wie bei a), gegen Halsentzündung, 
Schluckbeschwerden, gewisse Formen von Kopfschmerzen, c) Sh awl- 
tuch. Ein großes, viereckiges, in kaltes Wasser getauchtes und 
gut ausgewundenes Stück Leinwand wird in’s Dreieck zusaramen- 
gelegt und shawlförmig über den Rücken und die Brust und darüber 
ein trockenes Tuch gelegt und das Ganze 1—2 Stunden liegen 


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gelassen — gegen Wallungen und Catarrbe der Luftwege, d) Fu߬ 
wickel, am einfachsten nasse Strümpfe und darüber Einwicklung 
mit Wolldecke, entfernt kranke Säfte aus dem Fuße (!) und leitet 
das Blut vom Kopfe ab. e) U n t e r w i c k e 1. Ausgewundenes, 
grobes Leintuch und darüber wollene Kotze von der Achselhöhle 
bis zu den Fußspitzen, Arme bleiben frei, bei Gelenks- und Muskel- 
rheumatisraus, Bright’scher Krankheit, Blähungen, Krämpfen, 
f) Kurze Wickel von der Achselhöhle bis zu den Knien bei 
Stenocardie, Cardialgie, chronischem Magencatarrh u. s. w. g) Nasses 
Hemd, darüber ein wollenes Tuch, hauptsächlich bei Hautkrank¬ 
heiten, auch bei Geistesstörungen (!), Veitstanz, h) Spanischer 
Mantel. Ein bis zu den Zehen reichender, schlafrockähnlicher 
Ueberwurf aus grober Leinwand wird naß gemacht, ausgewunden 
und wie ein Schlafrock angezogen, und die Kranken dann im Bette 
mit einer entsprechend langen Kotze zugedeckt; nach 1 — 2 Stunden 
Abwaschung und Ankleidung. Bei Gicht, Muskelrhenmatismus, 
Blattern, Typhus. Unter Umständen statt des blossen Wassers 
auch die genannten Abkochungen. 

6. Wassertrinken. Man trinke nur dann, wenn man Durst 
habe, aber niemals viel oder gar unmäßig; während des Essens 
trinke man wenig, damit die Verdauung nicht durch allzu große 
Verdünnung des Magensaftes gestört werde. 

Die Kost sei eine kräftige, aber ganz einfache; stark ge¬ 
würzte und sehr künstlich zubereitete Speisen mögen vermieden 
werden. Als Getränke diene nur Wasser. Die Kleidung sei 
auch im Winter eine möglichst leichte; der beste Stoff für Hemden 
sei feste Leinwand. 

Zur Unterstützung der Wasseranwendung dient ihm je nach 
Bedarf die äußerlicho und innerliche Anwendung von Hausmitteln. 
Seine „Hausapotheke“ besteht aus Pflanzen und Pflanzcn- 
beBtandtheilen und wenigen anorganischen Substanzen, welche er als 
Thee, Tropfen, Pulver einnehmen oder in Abkochung, respective 
Lösung den Bädern, Umschlägen u. s. w. beimengen läßt Sehr 
gerne verordnet er den Thee oder die Abkochung von Equisetum 
arvense (Zinngras), Tusilago petasites (Huflattich), Heuabfällen, 
sauerem Heu, Haferstroh, Kleie, Lösungen yon Kochsalz und Lauge. 
Eine Verschreibung aus der Apotheke sei überflüssig und zu kost¬ 
spielig; arzneibegierigen Patienten gegenüber scheue er nicht den 
frommen Betrug, Pillen aus Brod mit einem „nach Apotheke 
riechenden Beisatze“ zu verordnen. —- Also auch in Wörishof 
wird unter Umständen dom Grundsätze gehuldigt: „Mundus vnlt 
decipi, ergo deoipiatur!“ 

Und nun folgen wir dem „Herrn Pfarrer“ in seine Ordi- 
nationsstube! 

An einer langen Tafel sitzt der rüstige alte Herr, inmitten 
von Aerzten, deren stets mehrere zum Studium des „Kneip p- 
schen Systems“ in Wörishofen anwesend sind. An einer schmalen 
Seite des Tisches sitzt ein Geistlicher, welchem er das Recept der 
Wasseranwendung für jeden einzelnen Kranken dictirt; außerdem 
wohnen noch andere Geistliche (ich glaube Adepten), ein Assistenz¬ 
arzt und der Badediener der Ordination bei, hin und wieder tritt 
eine Klosterfrau ein, um etwaige Anordnungen bezüglich der zu 
verabreichenden Hausmittel entgegen zu nehmen. Der vortretende 
Patient stellt sich dem „Herrn Pfarrer“ gegenüber. Nach Angabe 
des Alters, Standes, der Beschäftigung, des Sitzes und Dauer des 
Leidens ist das Examen beendet; zur Prüfung der Krankheit 
werden vornehmlich die subjectiven Beschwerden und der Kräfte- 
und Ernährungszustand berücksichtigt; eine Untersuchung des 
Körpers findet nur bei äußerlichen Affectionen der Extremitäten 
statt. Die Ausdrucksweise, deren er sich gegen Jedermann bedient, 
ist, wie die der älteren Landpfarrer überhaupt, eine urwüchsige. 
Von unbemittelten Patienten nimmt er durchaus kein Honorar; das 
ihm von Bemittelten aus eigenem Antriebe gegebene nimmt er 
dankend im Namen der Armen in Empfang und verwendet es auch, 
wie allseitig von ihm gerühmt wird, für Arme. 

Zuerst tritt eine Frau mit Ulcus varicosum am 
rechten Unterschenkel vor. Das komme von den schlechten 
Säften her, und damit diese nicht in den Körper zurückgedrängt 
werden, müsse die von den Aerzten angeordnete Bandagirung des 
Beines unterbleiben. Anordnung: Fußdampfbad, Fußwickel, Knie¬ 


guß, Oberguß, Thee von Zinngras und Huflattich, fleißiges Herum¬ 
gehen, kein Bier, kein Kaffee. — Dieser folgt meine Reise¬ 
gefährtin aus Mähren, die hinkende Dame. Bei der 
Entblößung des rechten Beines präsentiren sich 14 fistulöse Ge¬ 
schwüre am verdickten Ober- und Unterschenkel, welche beim ersten 
Blicke als vom Knochen ausgehend erkannt werden müssen. Sie 
hustet und hat ein tuberculöses Hautgeschwür an der linken Wange. 
Es wurde sichere Heilung in Aussicht gestellt und ein operativer 
Eingriff als unnöthig erklärt. Unterguß, Umschläge mit Abkochung 
von Heuabfällen, später Oberguß und Stehen im Wasser. — Ein 
junger Mensch mit Geschwulst am unteren Drittel 
des Unterschenkels, welche von uns anwesenden Aerzten als 
08teosarcom angesprocheu wurde. Umschläge mit Heuabkochung, 
Fußdampfbad, Knieguß, Halbbald. — Ein junger Mensch mit 
spastischem Gange und Parese der unteren Extremi¬ 
täten. Der von uns Aerzten untersuchte Patellarreflex ist hoch¬ 
gradig gesteigert, worüber der Herr Pfarrer und die anwesenden 
Geistlichen sehr erstaunt sind und auf unsere Erklärung der Be¬ 
deutung dieses Symptomes sich gleichfalls die Patellarsehnen be¬ 
klopfen lassen. Auch diesem Kranken wird Heilung versprochen. 
Wöchentlich 3 kurze Wickel, 4 Halbbäder, 1 Stunde vor dem Auf¬ 
stehen eine Ganzwaschung, Thee von Zinngras, Huflattichblätter. — 
Dem mit Psoriasis behafteten Reisegefährten wird als 
Vorbereitungscur durch 3 Wochen täglich 1 Vollbad mit Heuab¬ 
kochung, dann abwechselnd Kopfdampfbad und spanischer Mantel, 
Fußdampfbad und Unterwickel, spanischer Mantel und kurzer Wickel 
angeordnet. 

Auf diese Weise wurden in der Sprechstunde an 40 Kranke 
vorgenommen; das Mitgetbeilte wird jedoch genügen, daß sich der 
Leser selbst ein Urthcil bilde und die Spreu von den darin ent¬ 
haltenen Körnern unterscheide. Wollen wir aber nicht mit dem 
„Herrn Pfarrer“ wegen seiner, sagen wir, naiven Anschauungen 
über die Natur der Krankheiten allzustrenge zu Gerichte sitzen! 
Erinnern wir uns, daß die Humoralpathologie erst seit etwa drei 
Jahrzehnten aufgehört hat, die Geister zu beherrschen, daß bis 
dahin die vom Meister Rokitansky aufgestellte Krasenlehre als 
Dogma galt, daß bis vor gar nicht lange die meisten Hautkrank¬ 
heiten als die Localisation verdorbener Säftemasse galten, und daß 
sogar heute noch die Furcht vor schnell unterdrückten Fußschweißen 
in den Köpfen mancher Aerzte spukt. 

Auch die „Kneipp’sche Hausapotheke dürfen wir nicht be¬ 
spötteln, denn derselbe Wust von Blättern, Blüthen, Wurzeln, 
Hölzern paradirt auch in unserer neuesten Pharmakopoe. Am 
wenigsten aber haben wir das Recht, uns darüber aufzuhalten, daß 
der Laie in Medicinicis, „Pfarrer Kneipp“, ein eigenes „System 
der Wasserbehandlung“ aufstellt. War ja auch Pribssnitz , der 
Begründer der modernen Hydrotherapie, ein einfacher Bauer, dessen 
Lehrlinge die jetzigen Lehrmeister dieses Faches gewesen sind. 
Uebrigens sind nicht alle Methoden der Kneipp’schen Wassercur 
so ohne weiteres von der Hand zu weisen, und einige, z. B. die 
örtlichen Dampfbäder, der spanische Mantel (natürlich ohne Heu¬ 
abkochung), der Fußwickel, seine Anwendung der warmen Voll¬ 
bäder u. A. dürften wegen ihrer Einfachheit und Zweckmäßigkeit 
auch bei den Aerzten sehr bald Bürgerrecht erhalten. Kalte Sitz¬ 
bäder gegen nervöse Schlaflosigkeit dürften auch des Versuches 
werth sein. 

Es ist zum Staunen, wie verbreitet das „Kneipp’sche 
System“ in wenigen Jahren geworden ist. In allen größeren Städten 
Süddeutschlands, durch welche ich auf meiner Reise gekommen bin, 
bestehen „Naturheilvereine“ mit eigenen Aerzten, die auf Kneipp’s 
System eingeschworen sind. „Kneipp’sohe Wasserheilanstalten“ 
wuchern wie Pilze empor, und auch in Oesterreich gehen einige 
Aerzte daran, Wasserheilanstalten k la Knoipp zu errichten. 

Leider gibt es auch gewissenlose Aerzte, welche das „Natur¬ 
heilverfahren“ bis zum Excesse treiben. Vor mir liegt eine Flug¬ 
schrift des Naturheilarztes Dr. med. Häusler in Nürnberg, welche 
unter dem Titel: „Für Alle, die es angeht“ die Impfung und den 
Impfzwang auf die heftigste Weise verurtheilt. „Die Impfung möge 
nicht Schutzimpfung, sondern Schmutzimpfung genannt werden . . .“ 
„Durch die Impfung werde das Kind dem Siechtbura oder dem früh- 

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zeitigen Tode überliefert.“ Ueberall entstehen Impfgegnervereine 
und liegen Petitionen gegen den Impfzwang zur Unterschrift auf. 

Der Grund, warum das immerhin sonderbare ,,K n e i p p’sche 
System“ ungezählte Anhänger in allen Volksschichten gefunden hat, 
liegt meiner Meinung nach in dem den meisten Menschen ange¬ 
borenen oder anerzogenen Hange zum Mystischen und Ungewöhn¬ 
lichen, ferner in der rückschrittlichen Strömung der Gegenwart und 
der Propagirung des Glaubens an das Metaphysische, zum guten 
Theile in dem Umstande, daß der nach Wörishofen pilgernde 
Kranke in Pfarrer Kneipp den uneigennützigen Berather und 
nicht den auf Erwerb ausgehenden Heilkünstler sieht, und endlich, 
wie mir von Vielen unumwunden eingestanden wurde, in der Kost¬ 
spieligkeit der Cur in den meisten Wasserheilanstalten. 

Dr. M. Weiss (Prag). 


Kleine Mittheilungen. 

— Oswald Baker empfiehlt in der „Tberapeutic Gazette“ 
die Behandlung der Cholera mit Sublimatinjectionen. Der erste 
Fall, bei dem er diese Behandlung in Anwendung zog, betraf einen 
jungen Matrosen von 22 Jahren, der mit allen Erscheinungen der 
Cholera in’s Spital aufgenommen wurde. Trotz der sorgfältigsten 
Behandlung (mit Calomel, Cannabis indica etc.) verschlimmerte sich 
der Zustand des Kranken, der Puls wurde beschleunigt, schwach, 
unregelmäßig, die allgemeine Prostration nahm stetig zu. Nun 
wurde eine tiefe Injection in die Glutaeen mit (V03 Sublimat ge¬ 
macht. 2 Stunden nach der Iujection besserte sich der Puls und 
die Kräfte nahmen zu. Am nächsten Tage wurde der Puls regel¬ 
mäßig, die Körperoberfläche warm, und binnen 10 Tagen war Pat. 
geheilt. Seither hat Verf. diese Behandlung in 250 Fällen von 
Cholera angewendet und ist mit den Erfolgen sehr zufrieden. Zur 
Injection gebraucht er folgende Lösung: 

Rp. Ammon, chlorhydr.0'85 

Hydrarg. bichlor. corros . . . 3*50 

Aq. destill.60‘0 

DS. 10 Tropfen für eine Injection. 

Die Injectionen werden am besten oberhalb des Trochanters vor¬ 
genommen und nach Bedarf wiederholt. 

— Dr. Poulet hat in einigen Fällen Simulo bei acuter 
und 8Ubacuter Salpingo-Oophoritis mit ausgezeichnetem Erfolge an¬ 
gewendet. Er theilt in Nr. 20 des „Bull, de thörap.“ einige Fälle 
mit, bei welchen es ihm gelungen ist, mit diesem Mittel den Ent- 
zündnngsproceß zu coupiren. Simulo ist die Frucht einer in Peru 
und Bolivia wachsenden Capparisart, vielleicht Capparis 
coriacea. P. wendete eine Simulotinctur in Dosen von 3—4 Grm. 
täglich an. Gibt man das Mittel im Beginne des Processes, so ge¬ 
lingt es, den Entzündungsproceß zu coupiren und die eiterige Ein¬ 
schmelzung zu verhüten. Die Schmerzen, sowie das Fieber hören 
sofort auf, die Pulsfrequenz nimmt ab, der Meteorismus verschwindet. 
Die Resolution trat schon 5—6, gewöhnlich 8 Tage nach Einleitung 
der Behandlung ein und erfolgt selbst dann, wenn andere Methoden 
wirkungslos geblieben waren. Auch bei Hysterie und hysterischer 
Chorea hat Verf. von der Simulotinctur Erfolge gesehen. 

— Die tuberculöse Natur des Chalazion wurde von Dr. 
Franz Tangl in Baumgarten’s Laboratorium in Tübingen fest¬ 
gestellt. Die histologische Untersuchung eines Chalazion ergab, daß 
dasselbe aus großen, epithelioiden, granulirenden Zellen besteht, die 
zumeist im Gewebe des Tarsus sitzen, dessen Structur sie ganz 
bedecken und theilweise in das Gewebo der Conjunctiva hineinreichen. 
Das granulirende Gewebe besteht meistentheils aus diffus gelagerten 
Zellen, an denen irgend eine charakteristische Gruppirung nicht 
wahrnehmbar ist. Doch stößt man in denselben dennoch auf ziemlich 
zahlreiche, circumscripte, runde, ganz charakteristische Tuberkel, in 
der Mitte derselben eine Riesenzelle, mit necrobiotischem Centrum 
und mit an der Peripherie kranzförmig placirten zahlreichen 
Kernen. Tuberkelbacillen waren nur in geringer Zahl vorhanden. 
Bezüglich der Frage, wie die Tuberkelbacillen in das Gewebe des 
Lides eindringen, gibt es drei Möglichkeiten: Entweder gelangen sie 


durch die Conjunctiva oder Lidhaut in die Nachbarschaft der 
MEiBOM’schen Drüsen, oder sie dringen von einem in der Nähe be¬ 
findliehen Herde aus durch die Lymphwcge in die Gewebe des 
Lides, oder endlich Bie gelangen aus einem latenten oder wahr¬ 
nehmbaren tuberculösen Herde mit dem Blutstrome in das Lid, 
d. h. das Chalazion bildet sich durch hämatogene Infection. Auf 
Grund der bisherigen Kenntnisse über die Natur der tuberculösen 
Infection, sowie der klinischen Erfahrung der Entwicklung des 
Chalazion lassen sich die ersten zwei Möglichkeiten ansschließen. 
Was die hämatogene Infection betrifft, so steht man beim Chalazion 
demselben Problem gegenüber, wie bei der primären Tuberculose 
der Lymphdrü8en, Knochen, Gelenke und anderer Organe. Auch 
beim Chalazion muß man annehmen, daß die Bacillen oder deren 
Sporen aus irgend einem latenten Herde in den Blutstrom und 
hiemit in das Gewebe des Tarsus gelangen und dort den charakte¬ 
ristischen entzündlichen Proceß herbeiführen. Auf diesem Wege in 
das Gewebe des Lides gelangt, vermögen die Bacillen im Tarsus 
den specifischen Proceß zu verursachen, ohne daß gleichzeitig Con¬ 
junctiva und Lidhaut erkranken müssen. 

— Zwei Fälle von außergewöhnlicher Pulsverlangsamung 

werden in Nr. 20 und 23 des „Cbl. f. klin. Med.“ mitgetbeilt. 
Der erste von Dr. Bohm (Stettin) veröffentlichte betrifft einen 
67jährigen, immer gesunden Mann, der am 27. Februar in die Be¬ 
handlung des Verf. kam. Er hatte zu Neujahr eine nicht besonders 
schwere Influenza-Erkrankung überstanden. Das sofort auffallende 
Krankheitssymptom war eine enorme Verlangsamung der Pulsfrequenz, 
welche im Anfang der Beobachtung 24 Schläge in der Minute, 
3 Tage vor dem Tode nur noch 15 betrug und allmälig bis 
zum Tode weiter bis auf 10 Schläge und darunter sank. Der Puls 
war im Anfang voll und kräftig, wurde allmälig immer weniger 
kräftig und schließlich etwas unregelmäßig, die Herztöne wareu rein, 
Herzdämpfung nicht vergrößert, Urin eiweißfrei, am Herzen keine 
Abnormität. Lungen normal. Temperatur normal. Subjectiv be¬ 
standen die Krankheitsbeschwerden in großer Unruhe und Sehwindel¬ 
gefühl; wie die Frau behauptet, traten häufig wiederholte „Krampf¬ 
anfälle“ ein, die aber Verf. nie beobachtet hat. Das Sensorium 
war bis etwa einen Tag vor dem Tode vollkommen frei, alle 
Fragen wurden prompt und richtig beantwortet, Lähmungserschei¬ 
nungen an den Extremitäten waren nicht vorhanden. B. hat schlie߬ 
lich die Wahrscheinlicbkeitsdiagnose auf einen Tumor des Kleinhirns 
gestellt, leider war eine Obduction des interessanten Falles uicht 
zu erlangen. Der Tod erfolgte am 5. März unter zunehmender 
Herzschwäche. Der zweite, von Dr. Gilbert (Dresden) beschriebene 
Fall betrifft eine 60jährige Witwe, die schon längere Zeit an 
tertiärer Syphilis behandelt worden war. Am 15. März klagte sie 
über Stechen zwischen den Schulterblättern, Husten, zunehmende 
Mattigkeit und Appetitlosigkeit. Es fand sich eine leichte Pleuritis 
sicca dextra und Bronchitis, vorwiegend auf dem rechten Unter¬ 
lappen localisirt. Erscheinungen seitens des Herzens bestanden nicht, 
auch kein Brechen und Schwindel. Am 17. wurde bei gleichzeitiger 
Besserung des Lungen-Rippenfellbefundes und, ohne daß neue Krank¬ 
heitserscheinungen hiuzutraten, erstmalig eine Verlangsamung des 
Pulses auf 30—32 Schläge in der Minute constatirt, und wurde 
dieser auffallende Befund, wie stets fernerhin, auch durch Auscul- 
tation des Herzens festgestellt. Das Herz war für die Percussion 
nicht vergrößert, die Töne über allen Klappen rein; die Art. radial, 
war mäßig geschlängelt und rigid, der Puls regulär, groß, zeitweise 
deutlich dicrot. Kein Fieber. Am 18. sank trotz weiterer Besse¬ 
rung der catarrhalischen Erscheinungen der Puls auf 22 und wurde 
klein, während Dicrotie nicht mehr zur Beobachtung kam. Durch 
reichliche Gaben von Wein und Kampher hob sich am 19. und 20. 
der Puls bis auf 24 Schläge, blieb aber klein. Gleichzeitig wurde 
das Sensorium benommen, Durchfälle traten ein, zuletzt Incontinentia 
alvi et urinae und reichliche Schweiße. Am 21. erfolgte der Tod. 
Die subjectiven Klageu der Pat. bestanden, so lange das Sensorium 
frei war, nur in mäßiger Kurzathmigkeit, Schwindelgefühl und zu¬ 
nehmender Schwäche. Herztöne waren immer rein. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 29. 


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Notizen. 

Wien, 19. Juli 1890. 

(Internationaler mediciniseher Congreß.) Wie 
wir dem soebeu erschienenen Programm des vom 4.—9. August in 
Berlin statt findenden X. internationalen medicinischen Congresses 
entnehmen, werden in den allgemeinen Sitzungen folgende 
Vortrüge gehalten werden: 

1. Sitzung (Montag, 4. August, 11 Uhr). Sir Joseph Lister 

(London): The present position of antiseptic surgery. — 
Robert Koch (Berlin): lieber bacteriologische Forschung. 

2. Sitzung (Mittwoch, 6. August, 11 Uhr). Boüchard (Paris): 

Le mecanisme de l’infeetion et de l’immuuitä. — Axel 
Key (Stockholm): Die Pubertätsentwicklung und das 
Verhältniß derselben zu den Krankheitserscheinungen 
der Schuljugend. — Horatio Wood (Philadelphia): 
On Anaesthesia. 

3. Sitzung. (Samstag, 9. August, 12 Uhr). Cantani (Neapel): 

Ueber Antipyrese. — Meynert (Wien): Das Zusammen¬ 
wirken der Gehirntheile. — B. J. Stokvis (Amster¬ 
dam): Ueber Colonialpathologie. 

Deutschland, England, Frankreich, Italien sind in den allge¬ 
meinen Sitzungen durch Fürsten im Reiche der Wissenschaft ver¬ 
treten. Oesterreich entsendet auch zu diesem Anlasse den hervor¬ 
ragenden Gehirnanatomen, welchen wir seit Jahren bei Naturforscher - 
Versammlungen und medicinischen Congressen auf der Rednerbflhne zu 
sehen gewohnt sind. — Die Zahl der für die 18 Sectionen angemeldeten 
Vortrüge ist eine selbst für internationale Congresse ungewöhnlich 
hohe. Der Section für Anatomie sind 42, jener für Physiologie 
und physiologische Chemie 17, für pathologische Anatomie und 
allgemeine Pathologie 28, für Pharmakologie 7, interne Medicin 75, 
Kinderheilkunde 20, Chirurgie 25, orthopädische Chirurgie 23, Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie 57, Neurologie .und Psychiatrie 38, 
Augenheilkunde 51, Ohrenheilkunde 31, Laryngologie und Rhino- 
logie 43, Dermatologie und Syphiligraphie 22, Zahnheilkunde 36, 
Hygiene 19, medicinische Geographie und Klimatologie 13, gericht¬ 
liche Medicin 11, Militärsanitätswesen 8 Vorträge außer den vom 
Comit6 vorbereiteten Referaten angemeldet. Unter den Vortragenden, 
welche mit Rücksicht auf die beschränkte Zeit nur zum Theile zum 
Worte gelangen dürften, findeu wir von österreichischen Professoren 
und Aerzten Nothnagel, Hofmann, Billroth, Fuchs, Benedikt, 
M. Gruber, Seegen, Lorenz, 0. Chiari, Neomann, Finger, 
Zeissl, Hebra, Scheff (Wien), Sattler, Schauta, Epstein, Pick, 
Jaksch, H. Cb ahi, Janovsky (Prag), Escherich, Laker (Graz), 
Adamkiewicz, Browicz (Krakau), Kratter (Innsbruck) u. A. — 
Landes-ComitGs werden von Amerika, Belgien, Dänemark, 
Großbritannien, Italien, Mexico, Niederlande, Norwegen, Oesterreich- 
Ungarn , Rußlaud, Schweden, Schweiz und Spanien entsendet. — 
Aus den auswärtigen Aerzten, welche sich zur Zeit zu Studien- und 
Forschungszwecken in Deutschland aufhalten, haben sich besondere 
Comites gebildet, welche ihren Landsleuten und Sprachgenossen be¬ 
hilflich sein werden.*) — Das kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin 
wird auf der internationalen medicinisch-wissenschaft¬ 
lichen Ausstellung, welche mit dem Congreß verbunden sein 
wird, durch eine umfassende Sonderausstellung vertreten sein. Ebenso 
will die Medicinalabtheilung des preußischen Kriegsministeriums den 
zahlreichen, vom Ausland erwarteten Autoritäten ihre mustergiltigen 
Einrichtungen in größter Vollständigkeit zur Anschauung bringen. 
Die großen Präcisionswerkstätten, die Producenten chemisch-pharma¬ 
kologischer Präparate, die Instrumentenmacher und Optiker, die 
Vertreter der Verbandtochnik — die ganze Industrie, welche auf 
den Hilfsgebieten der wissenschaftlichen und praktischen Medicin in 
regem Fortschritt begriffen ist, wird durch ihre vornehmsten Er¬ 
zeugnisse betheiligt sein. — Das Organisations-Comitö publicirt soeben 


*) Die Redaction der „Wiener Med. Presse - ' 1 ist vor dem Congresse in 
Wien, sowie während desselben in Berlin (Hotel Continental) bereit, den öster¬ 
reichischen Collegen, welche den Congreß besuchen, jede gewünschte Auskunft 
u ertheilen. 


folgende allgemeine Zeiteintheilung für den internationalen 
Congreß: 

Samstag, den 2. August: 

11 Uhr Vormittags. Eröffnung der medicinisch-wissenBchaftlichen Aus¬ 
stellung im Landes-Aus8tellung8park (NW. Straße Alt-Moabit). 
Montag, den 4. August: 

11 Uhr Vormittags. Eröffnung des Congresses im Circns Renz (Ein¬ 
gang Karlstraße). I. Allgemeine Sitzung. 

4 Uhr Nachmittags. Coustiiuirung der Abtheilungen in den Sitzungs¬ 
räumen des Landes-Ausstellung8parkes (NW. Alt-Moabit). 

9 Uhr Abends. Gesellige Vereinigung der Congreßmitglieder und ihrer 
Damen im Ausstellungspark. 

Dienstag, den 5. August: 

8—5 Uhr. Sitzungen der Abtheilangen im Landes-Ausstellungspark. 

8 Uhr Abends. Festlicher Empfang des Congresses im Rathhause durch 

die städtischen Behörden. 

Mittwoch, den 6. August: 

11 Uhr Vormittags. II. Allgemeine Sitzung im Circus Renz. 

3—5 Uhr Nachmittags. Sitzungen der Abteilungen. 

7 Uhr Nachmittags. Sectionsdiners in den verschiedenen Festsälen, zum 

Theil mit Damen. 

Donnerstag, den 7. August: 

8—5 Uhr. Sitzungen der Abtheilungen. 

9 Uhr Abends. Ball. 

Freitag, den 8. August: 

Von 8 Uhr ab: Sitzungen der Abtheilungen. 

Nachmittags: Hof-Festlichkeit für eingeladene Personen. 

Samstag, den 9. August: 

8—11 Uhr. Sitzungen der Abtheilungen. 

12 Uhr. III. Allgemeine und Schlußsitzung im Circus Renz. 

8 Uhr Abends. Abschiedsfest, den Congreßmitgliedern und ihren Damen 

gegeben von den Aerzten Berlins im Kroll'schen Garten am 
Königsplatz. 

Das Bureau des General-Secretärs befindet sich bis zum 3- August 
NW. Karlstraße 19, jenes des Schatzmeisters SW. Leipzigerstraße 75, 
des Wohnungs- und Auss tellungs-Comit6 NW. Karlstraße 19, das 
Bureau für Reise und Verkehr Friedrichstraße 78. — Am 4. August 
werden alle disse Bureaux nach dem Central-Bureau des Congresses 
im Ansstellungsparke (NW. Alt-Moabit, Stadtbahobogen 21/22) verlegt. 

(K. k. Oberster Sanitätsrath.) Die Sitzungen des 
Obersten Sanitätsratbes vom 5. und 12. Juli d. J. begannen mit 
der Mittheilung der bis zum 9. Juli reichenden amtlichen Nach¬ 
richten Uber den Stand der Cholera in Spanien, laut 
welchen die Krankheit sich bisher auf 31 Gemeinden der Provinzen 
Valencia und Alicante erstreckt. In Valencia sind bis zum be- 
zeichneten Tage 8, in den übrigen Ortschaften gegen 500 Cholera¬ 
fälle constatirt worden. Ferner wurde mitgetheilt, daß das Verbot 
der Einfuhr von Hadern und gebrauchten Effecten aus Spanien und 
Kleinasien mittlerweile im Reiohsgesetzblatte kundgemacht worden 
ist, und wurden auch die von den auswärtigen Staaten getroffenen 
Maßnahmen zur Kenntniß gebracht, von denen die Anordnungen 
Frankreichs in Betreff dos Fremdenverkehres den seinerzeit während 
des Bestandes der letzten Cholera-Epidemie in Frankreich und Italien 
von unserer Regierung verfügten Maßnahmen analog sind. — Den 
zweiten Gegenstand der Berathuug bildete die endgiltige Feststellung 
der Formularien zur besseren Evidenzhaltung der Geistes¬ 
kranken, Cretinen, Taubstummen, Blinden, Krüppelhaften und 
Pflegekinder (Findlinge) bis zum 6. Lebensjahre, welche außerhalb 
der betreffenden specielleu Anstalten in den Gemeinden untergebracht 
sind. Es wurde das von der k. k. statistischen Central-Commission 
beantragte Princip der Anlage besonderer Evidenzhefte mit je einem 
Individual-Standesblatte für jeden einzelnen Pflegling zur Durch¬ 
führung empfohlen. — Weiterhin gelangten die Anträge des Fach- 
comitö für sanitäre Berichterstattung betreffend die allgemeine 
Regelung der Anzeigen von Infectionskrankheiten 
seitens der Aerzte und Gemeinden zur Verhandlung und wurde mit 
Rücksicht auf die vom k. k. Handelsministerium hinsichtlich der 
portofreien Beförderung von ärztlichen Infectionsanzeigen an die 
Gemeindeämter größerer Städte gewährten Erleichterungen empfohlen, 
den Infectionsanzeigen die Form von Postkartenbriefen zu geben, 
welche aus Juxtaheften von bequemem Format abzutrennen sind, 
mit denen die Aerzte durch die Gemeindevorstehungen zu 'betheilen 
wären. 

(Personalien.) Der Regierungsrath und Landessanitäts- 
referent Dr. Adolf R. v. Kissling in Salzburg ist zum Statt- 
haltereirathe und Landessanitätsreferenten bei der Statthalterei in 
Oberösterreich, der Bczirksarzt in St. Johann, Dr. Em. Sacher, 

2 * 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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zam Regierungsrathe und Landessanit&tsreferenten bei der Landes¬ 
regierung in Salzburg ernannt worden. — Der Badehausbesitzer 
Dr. J. G. Loemann in Franzensbad und der praktische Arzt 
Dr. Adolf Maegulles in Odessa erhielten das Ritterkreuz des 
Franz-Joseph-Ordens. 

(0 österreichischer Aerztevereinstag.) Auf der 
Tagesordnung des am 5. und 6. September d. J. in Troppau 
stattfindenden neunten ärztlichen Vereinstages werden außer geschäft¬ 
lichen Angelegenheiten folgende Referate zur Verhandlung kommen: 
1. Referat, betreffend die Errichtung von Aerztekammern (Ref. 
Dr. C. Kobn). 2. Die Reform des Apothekerwesens (Dr. 
DworZak). 3. Die Krankeucassen (Prof. Janowsky). 4. Die 
Alters- und Krankenversorgung der Aerzte, deren 
Witwen und Waisen (Dr. J. Scholz). 5. Referat, betreffend eine 
Standesordnung für Aerzte (Dr. Tb. Mayr). 

(In Gießhtibl-Puchstein beiCarlsbad, einer Schöpfung 
Mattoni’s, ist am 13. d. M. die nach den Plänen der Wiener 
Architekten Fellner und Helmer mit einem Kostenaufwand von 
etwa 40.000 fl. ausgeführte, schön ausgestattete neue Trinkhalle in 
Gegenwart eines zahlreichen Publicums eröffnet worden. Nach vor¬ 
heriger kirchlicher Ceremonie hielt Curdirector Dr. Gastl eine bei¬ 
fällig aufgenommene Ansprache, in welcher er die Heilkraft der 
Gießbtlbler Quellen schilderte. Sodann fand das erste Coucert in 
der neuen Trinkhalle statt. Gegenwärtig zählt die Gießhtlbler Cur- 
liste 250 Personen und mehr als 10.000 Passanten. 

(Literarisches.) Wie wir einem ans zagehenden Circular entnehmen, 
wird im Herbst d. J. eine neue medicinisch-literarische Unternehmung, und 
zwar eine Sammlung klinischer Vorträge in ungarischer Sprachein’s 
Leben gerufen werden. Der Herausgeber ist der Bndapester Neuropathologe Dr. 
Julius Donath, dem die hervorragendsten ungarischen Kliniker ihre Mitwirkung 
zugesagt haben. Jeden Monat wird ein 1—2 Druckbogen starkes Heft mit 
einer selbstständigen klinischen Abhandlung ausgegeben werden. Der Titel 
des neuen, im Verlage der Grill'schen Hofbuchhandlung erscheinenden 
Unternehmens wird lauten: „Klinikai füzetek; elöadäsok a gyakorlati or- 
vostan össze8 ägazataibol.“ (Klinische Hefte; Vorträge aus sämmtlichen 
Zweigen der praktischen Medicin.) 

(Statistik.) Vom 6. bis inclusive 12. Juli 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4521 Personen behandelt. Hievon wurden 978 
entlassen; 97 sind gestorben (9*Ö2°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 30, egyptischer Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 6, Dysenterie 6 Blattern 10, Varicellen 24, Scharlach 29, 
Masern 299, Keuchhusten 62, Wundrothlauf 30, Wochenbettfieber 3. — In 
der 28. Jahreswocbe sind in Wien 324 Personen gestorben (—63 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) In Vöslau bei Wien ist am 14. d. M. der 
Doeent für Pädiatrie an unserer Universität, Dr. Maximilian Herz, 
53 Jahre alt, gestorben. Mit ihm schied ein durch wissenschaftliche 
Leistungen ausgezeichneter, praktisch viel erprobter Kinderarzt, ein 
hochgeachteter College, ein trefflicher Mensch. Sein Andenken wird 
von Allen in Ehren gehalten werden, die ihm im Leben nahe ge¬ 
standen. — Gestorben sind ferner: In Podersam (Böhmen) der 
Stadtarzt Dr. Hieronymus Harner, im 60. Lebensjahre; in Paris 
Dr. Paul Loye, 29 Jahre alt, bekannt durch seine unter Broüardel’s 
Leitung ausgeführte Arbeit über die Decapitation. 


(Anerkennung.) Das Ministerium des Innern hat mit dem Erlasse 
vom 14. März d. J. dem Specialimpfarzte M. Hat für seinen auf die Vervoll¬ 
kommnung der Erzeugung animalischen Impfstoffes und die Förderung der 
Impfung mit animalischem Impfstoffe gerichteten Eifer die Anerkennung 
ausgesprochen. 

Dr. Taub, Leiter der Wasserheilanstalt im Badner Parke in Baden, Renngasse 13. 
(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 
llayem 0^ Lebens de Therapeutique. II. Serie. Les m£dications. Paris 
1890. G. Ma.ison. 

Kirniisson, Lerons diniqnes sur les maladies de l'appareil locomotenr. Avec 
40 Fig. dans le texte. Paris 1890. G. Masson. 

Aerztlicher Bericht des städtischen öffentlichen Krankenhauses in Mödling 
für die Jahre 1888 und 1889. Mödling 1890. Selbstverlag. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

In der Marktgemeinde K rapin a ist die Gemeindearztes- 

stelle mit dem Amtssitze in Krapina zu besetzen. Die Bezüge des anzu¬ 
stellenden Gemeindearztes bestehen: 1. Jährlicher Gehalt 800 fl 2. Todten- 
beschautaxe 40 kr. 3. Für ein in der Wohnung des Arztes verschriebenes 
Recept 30 kr. 4. Für einen ärztlichen Besuch im Wohnorte oder außerhalb 
desselben bei Tag 50 kr., bei Nacht 1 fl., nebst Kilometergebühren von 25 kr. pro 
Kilometer, für den Fall einer über 2 Kilometer betragenden Entfernung. Der 
nenanzustellende Arzt übernimmt die Verpflichtung, den Unbemittelten dieser 
Gemeinde unentgeltlich ärztliche Hilfe zn leisten, sowohl im Wohnorte, als 
auch außerhalb desselben. Die Bewerber um diesen Posten/ welche der 
croatischen Sprache mächtig zu sein haben, müssen Doctoren der gesummten 
Heilkunde sein und haben sich über ihre bisherige Verwendung, wie auch 
dreijährige Praxis genügend auszuweisen. Bewerber wollen ihre Gesuche bis 
1. August 1. J. beim Magistrate der königl. priv. Marktgemeinde Krapina 
eiubringen. 658 

Vom Magistrate der königl. priv. Marktgemeinde 
zu Krapina, den 14. Juli 1890- 

Drei k. k. Bezirksarztesstellen II. Glasse im Verwaltungs¬ 
gebiete der k. k. n.-ö. Statthalterei mit den Bezügen der X. Rangsclasse und 
zwei landesfürstl. Bezirksthiei arztessteilen mit dem Range und den Bezügen 
der XI. Rangsclasse zu besetzen. Die Bewerber haben ihre vollständig in- 
struirten Gesuche bis 1. August 1890 beim k. k. n.-ö. Statthalterei-Präsidium 
zu überreichen. 

Wien, 11. Juli 1890. 

Vom k. k. n.-ö. Statthalterei-Präsidium. 

In der Sanitätsgemeinde Persenbeug a. d. Donau (Be¬ 
zirk Amstetten, Niederösterreich), bestehend aus den Ortsgemeinden Persen¬ 
beug, Hofamt-Priel und Gottsdorf, ist vom 1. September oder 1. October 1. J. 
an die Stelle eines Gemeindearztes zu besetzen. Mit dieser Stelle ist fol¬ 
gender Jahresbezug verbunden: 1. Laudessubventiou 30) fl. 2. Subvention 
der Sanitätsgemeinde Persenbeug 300 fl., zusammen 600 fl. Die weiteren 
Bedingungen können bei gefertigtem Gemeindevorst inde eingesehen werden. 
Bewerber um diese Stelle, für welche in erster Reihe Doctoren der gesammten 
Heilkunde berücksichtigt werden, wollen ihre Gesuche mit Beilage des Diplom^ 
und der Nachweisungen über Geburts- und Heimatsverhältnisse, ärztliche 
Praxis etc. bei der Vertretung der Sanitätsgemeinde Persenbeug bis 31. August 
1. J. einbfingen. 654 

Persenbeug, 11. Juli 1890. 

Für die Vertretung der Sanitätsgemeinde Persenbeug: 

A. Froschauer, Bürgermeister. 


Für Herren Doctoren l 

Ein zahnärztliches nnd zahntechniscbes Atelier in Wien, I., gelegen, 
mit gutem Kundenkreis, sämmtlichem Inventar, sowie allen zahnärztlichen and 
zahntechnischen Instrumenten und Maschinen etc. ist ^ogieich für den festgesetzten 
Preis von nur fl. 2500 gegen Cassa zu übernehmen. Gefällige Anträge werden 
unter Chiffre „Zahnarzt Nr. 506 4 zur Weiterbeförderung an die Admini¬ 
stration der „Wiener Mediz. Presse“, Wien, I., Maximilianstraße 4, 
erbeten. 506 

Conoursausschreibung für die Gemeindearztesstelle 

in Niederndorf im Unterinnthale (Tirol). Mit derselben ist verbunden ein 
Jahrespauschale von 400 fl., wofür der Gemeindearzt die unentgeltliche Be¬ 
handlung einschließlich der Medicamenten-Verabreichnng an die wenigen, in 
dem Va Stunde entfernten, in der Gemeinde Ebbs gelegenen Armenhanse be¬ 
findlichen Pfründner zn leisten und die Besorgung der sanitätspolizeilichen 
Agenden im Sinne der Dienstes-Instruction der Gemeindeärzte für Tirol zu 
übernehmen hat. 

Die Haltung einer Hausapotheke ist nothwendig und ist die Einrichtung 
zur freien Benützung vorhanden. 

Die Todtenbeschau und die öffentliche Impfang hat der Gemeindearzt 
gegen die normirten Gebühren zu besorgen. 

Der Sanitätsdistrict des Gemeindearztes umfaßt 5 Gemeinden mit 2600 
Einwohnern. 

Die Gesuche sind bis Ende Juli d. J. an die k. k Bezirkshaupt¬ 
mannschaft zn richten. 

Kufstein, am 26. Juni 1890. 651 

Der k. k. Bezirkshauptmann : Fischnaler m. p. 


Bei der k. k. Salinenverwaltung in Kaczyka (Buko¬ 
wina) ist die Stelle eines Salinenarztes, Doctors der gesammten Heilkunde, 
mit den jährlichen Bestallungsbeztigen, nnd zwar vom Salinenärar 520 fl.,- 
von der Salinenbruderlade 100 fl., zusammen 620 fl., zu besetzen. Pensionirte 
Militärärzte werden bevorzugt. Gehörig belegte Gesuche sind bis 10. August 
1. J. bei der Salinenverwaltung Kaczyka einzubringen. 652 

K. k. Salinenverwaltung Kaczyka, den 8. Juli 1890. 


Un iv.- Dr. 

wird zur Ausführung von zahnärztlichen Operationen gesucht. Anträge unter 
Chiffre „Plombiren“ an die Annoncen-Expedition M. Dukes in Wien, I., 
Wollzeile Nr. 6—8, erbeten. 


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Nr. 30. 


Sonntag den 27. Jnli 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die »Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Grosa-Quart-Format stark. Hiezu eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die »Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 2L 


Wiener 


Abonnementspreise: »Mediz. Presse" und »Wiener Klinik * 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsohe Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. »Wiener 
Klinik" separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Adnünlstr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maxlmilianatr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--Gl©*- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Zur Rheostat-Frage. Von Prof. Dr. Güstav Gärtner in Wien. — Erwiderung auf vorstehenden 
Artikel. Von Dr. Rudolf Lkwandowski in Wien. — Ueber die Mikroorganismen der Krebsneubildungen. Von Dr. P. J. Kubasoff, Privatdocent 
an der Universität Moskau. — Mittheilungen ans der Praxis. Zur Wirkung des Bromäthyls als Anästheticum. Von Dr. Thomas Frank in 
Torontal-Szögcsäny. — Referate and literarische Anzeigen. L. Rütihkyer (Richen): Zur klinischen Bedeutung der Diazo-Reaction. — Laryn¬ 
goskopie und Rhinoskopie mit Einschluß der allgemeinen Diagnostik und Therapie. Von Dr. Theodor S. Flatau. — Zeitnngsschan. Gynäkologie 
und Geburtshilfe. Ref : Prof. Ludwig Kleinwächter. — Feuilleton. Briefe aus Amerika. (Orig.-Corr.) I. (Die Volkszählung. — Ein Pasteur- 
Institut. — Schluß der Colleges. — Berliner Congeß. — Eröffnung eines Dispensary.) — Kleine Mittheilungen. Lebende Fliegenlarven im 
Magen eines 6 1 /, Monate alten Kindes. — Intramuscnläre Einspritzungen von Hydrargyrum thymolo-aceticum bei Syphilis. — Pilocarpin gegen 
Laryngo-Bronchitis cronposa. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Berliner medicinische Gesellschaft. (Orig.-Ber.). — Aus den Pariser Gesell¬ 
schaften. (Orig.-Ber.) Soci6t6 de biologie. — Notizen. — Literatur. — Offene Correspondens der Redaction and Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zur ßkeostat-Frage. 

Von Prof. Dr. Gustav Gärtner in Wien. 

Ich werde mich in den nachfolgenden Zeilen auf die 
Abwehr einiger gegen mich gerichteter Angriffe, auf die 
Richtigstellung einzelner Irrtbümer, die mir in der Publi- 
cation des Herrn Dr. Lkwandowski >) begegnet sind, beschränken 
müssen. Wollte ich Allem, was ich darin für unrichtig 
oder unerwiesen halte, entgegentreten, dann müßte dieser 
Aufsatz ebenso lang werden, wie es der war, gegen dessen 
Inhalt ich ankämpfe. Ich wage es nicht, die Geduld meiner 
Leser auf eine so harte Probe zu stellen. 

Dem Herrn Dr. Lkwandowski gefällt der von mir er¬ 
fundene Kaolinrheostat nicht. Die Construction desselben er¬ 
scheint ihm erstens nicht originell genug. In der äußeren 
Form sei er einer Rheostatelektrode von Stein, „meritorisch“ 
aber einem Graphitrheostaten von Rkinigkb ähnlich. 

Ich werde in diesem Punkte mit Herrn Dr. Lkwandowski 
nicht rechten, auch werde ich ihm zu Liebe keine origineller 
erfundenen Rheostaten bauen lassen. Wohl aber muß ich be¬ 
merken, daß alle Sachkundigen, Aerzte sowohl, als Elektro¬ 
techniker, denen ich die Sache vorlegte, ausnahmslos genau 
entgegengesetzter Ansicht waren, und daß auch diejenige Be¬ 
hörde, welche die Neuheit von Erfindungen am allerstrengsten 
prüft und beurtbeilt, das deutsche Reichs-Patent-Amt, meine 
Widerstandsplättchen als „neu“ gelten läßt. 

Ich gebe mich damit zufrieden und verzichte gerne auf 
die Anerkennung durch Herrn Dr. Lkwandowski, ich verzichte 
aber gleichzeitig anf die Widerlegung seiner Argumentationen, 
die offenbar darauf berechnet sind, daß die Mehrzahl der 
Aerzte in elektrotechnischen Dingen weniger bewandert, daher 
auch weniger urtheilsfähig ist. 

Behauptungen wie die, daß es „meritorisch“ gleichgiltig 
sei, ob man Graphit auf die Oberfläche einer Glasplatte 
streicht, oder ob man ein mit organischer Substanz getränktes 

') ^Wr. Med. Presse“. 1890. Nr. 17-24. 


Porzellanplättchen bei Luftabschluß glüht und dessen Poren 
mit organischer Kohle erfüllt — widerlegt man nicht, die 
hängt man tiefer. 

Nur mit einem der 9 Vergleichspunkte, dem letzten, 
muß ich mich etwas eingehender beschäftigen. Herr Dr. L. 
schreibt: 

„9. ist es bei beiden Apparaten unmöglich, die Größe des 
Widerstandes jedes einzelnen Plättchens im Vorhinein beein¬ 
flussen zu können.“ 

Nichts ist bezeichnende! für den wissenschaftlichen Ernst, 
der Herrn Dr. L. bei der Abfassung seiner Schrift geleitet 
hat, als dieser Ausspruch. Es gilt nämlich nicht blos für 
meinen Apparat, sondern auch für den Apparat von Rkiniokr 
genau das Gegentheil von dem, was da ausgesagt wird. 

Der letztgenannte Apparat, dessen bis zur absoluten 
Unkenntlichkeit schematisirte Abbildung (es galt nämlich, eine 
Aehnlichkeit mit dem GÄKTNER-LKiTER’schen Graphitrheostaten 
herauszubringen) Herr L. seiner Abhandlung beifügt, ist ein 
ge&ichtes Meßinstrument. Die einzelnen Abschnitte des¬ 
selben entsprechen Widerständen von 1000, 5000, 10.000 Ohm 
etc. Da muß man doch auch in der Lage gewesen sein. 
Graphitwiderstände von bestimmter Größe nach Belieben zu 
erzeugen. Das hat nicht blos Herr Reiniger zu Wege ge¬ 
bracht ; geaichte Graphit widerstände werden in verschiedenen 
Werkstätten hergestellt. 

Soweit aber die Angabe meine Kaolinplättchen betrifft, 
stehe ich vor einem mir unlösbaren Räthsel. Wie kommt 
Herr Dr. L. dazu, mir in diesem Punkte zu widersprechen? 
Was weiß er von der Herstellung der Plättchen? 

Thatsache ist es, daß wir Plättchen von 10—20.000 Ohm 
Widerstand in allen Zwischenstufen erzeugen. Der Widerstand 
jedes einzelnen Plättchens wird sorgfältig gemessen, und diese 
Messung entscheidet über den Platz, der dem Plättchen im 
Rheostat zugewiesen wird. Die große Sorgfalt, mit welcher 
hiebei vorgegangen wird, ermöglicht die Herstellung 
von Instrumenten, die untereinander nahezu voll¬ 
kommen gleich sind. Die gegentheilige Behauptung des 
Herrn Dr. L. ist eine bloße Vermuthnng und widerspricht der 
Wahrheit. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 1180 


Ich wende mich nun dem Zweiten, wichtigeren Theil 
meiner Aufgabe zu, indem ich auf die „objective Kritik“, die 
Herr Dr. L. an meinem Kaolinrheostaten übt, erwidere. Die 
Mängel, welche Herr Dr. L. entdeckt hat, müssen wir in zwei 
wohl zu unterscheidende Gruppen theilen. Die erste umfaßt 
alle Fehler, welche dem von Herrn Dr. L. käuflich erworbenen 
Instrumente individuell anhaften, die zweite aber sämmtliche 
Fehler, welche allen Kaolinrheostaten generell eigen sind, 
welche in der Construction derselben an und für sich ihre Be¬ 
gründung finden. 

Für die Fehler der ersten Art, die doch größtenteils 
auf Unachtsamkeit in der Ausführung zurückzuführen sind, 
bin ich zwar nicht direct verantwortlich; ich halte es aber 
trotzdem für zweckmäßig, auch hierüber einige Aufklärungen 
zu geben. Das Exemplar, welches Herrn Dr. L. als Object 
seiner Untersuchungen gedient hat, gelangte nämlich unter 
eigenartigen Umständen in seinen Besitz. Dieses Exemplar, 
das erste, welches überhaupt ausgeführt wurde, war nämlich 
mir sowohl, als Herrn Schulmeister als fehlerhaft be- 
kannt und wurde auch als fehlerhaft verkauft. 
Das ging nämlich, wie mir Herr Schulmeister und zwei 
Ohrenzeugen versichern, so zu: Bald nach der Demonstration 
des Rheostaten in der Gesellschaft der Aerzte erschien ein 
Mann (der sich für einen Arzt ausgab) bei Herrn Schul¬ 
meister und verlangte dringend einen Rheostaten zu 
kaufen. Die Betheuerungen des Herrn Schulmeister, daß er 
nur ein einziges Exemplar besitze, daß er dieses, weil es nicht 
fehlerfrei sei, nicht aus der Hand geben könne, seine Bitten, 
sich noch einige Tage bis zur Fertigstellung vollkommener 
Instrumente zu gedulden, halfen nichts gegen das Anstürmen 
des ungestümen Käufers, der erklärte, er müsse das Instrument 
sofort besitzen, da er es zu einem Vorträge dringend be- 
nöthige. 

Herr Schulmeister war unvorsichtig genug, diesen 
Worten Glauben zu schenken. Von einem Vortrage ist uns 
aber nichts bekannt geworden. 

Dieser Rheostat befindet sich im Besitze des Herrn 
Dr. L., auf ihn bezieht sich Alles, was er aus eigener Er¬ 
fahrung über diese Instrumente weiß. 

Er ist leicht wieder zu erkennen an dem von Herrn 
Dr. L. in einer halben Druckspalte besprochenen, nur ihm 
allein zukommenden Mangel, daß der Schieber die drei ersten 
Plättchen nicht berühren kann, und an einigen anderen 
Lappalien, die er an demselben entdeckt hat, wie z. B. die 
unrichtige, eigentlich aber doch richtige Nummerirung der 
Plättchen. Wir wollen uns mit diesen Dingen nicht weiter 
beschäftigen. 

Das Exemplar des Herrn Dr. L. hat aber auch einige 
.wirkliche Fehler, wie z. B. den zu großen Widerstand des 
18. Plättchens. Diese waren es, die jenen Apparat vom Ver¬ 
kaufe ausschließen sollten. 

Es ist ganz selbstverständlich, daß die ersten Exemplare 
eines neuen Apparates nicht so vollkommen sind, wie die 
später gefertigten. Dies gilt vom Rheostat nicht weniger, 
als von jedem anderen Apparate. Die Erfahrung deckt Mängel 
und Fehler auf, die man anfangs nicht bemerkt hat, sie gibt 
aber auch die Mittel an die Hand, um ihnen zu begegnen. So 
geht es immer; so ging cs auch uns. 

Wie bereits erwähnt, wird der Widerstand jedes einzelnen 
Plättchens sorgfältig gemessen. Die Plättchen werden dann 
in einer, auf Grund einer einfachen Berechnung gefundenen 
Regel aneinander gereiht. 

Die Controlc der Widerstände im fertigen Apparate 
ergab nun anfangs in einigen wenigen Plättchen Abweichungen 
in dem Sinne, daß der Widerstand des eingereihten Plättchens 
größer war, als die Rechnung gefordert hätte, größer nämlich, 
als der Widerstand des einzeln gemessenen Plättchens. Die 
Ursache dieser Erscheinung habe ich bald ermittelt. Die be¬ 
treffenden Kaolinplättchen berührten die. angrenzenden Messing¬ 
scheibchen nicht der ganzen Fläche nach, sondern nur in 


einzelnen Punkten. Je kleiner aber die Contactfläche, desto 
größer der Widerstand. Die Abhilfe war auch bald gefunden. 
Die Widerstandsscheibchen werden an ihren beiden Grund¬ 
flächen galvanisch verkupfert. Der Widerstand eines solchen 
Plättchens ändert sich weder durch Verkleinerung der Contact- 
stellen, noch durch wechselnden Druck, und die aus denselben 
aufgebauten Rheostate entsprechen in ihren Widerständen 
ganz genau der von mir aufgestellten Formel und sind frei 
von jenem Fehler, der oben erwähnt wurde. 

Herr Dr. L. hat aber noch andere „Fehler“ am Kaolin¬ 
rheostaten entdeckt, und mit dieser zweiten Gruppe von Eigen¬ 
tümlichkeiten muß ich mich deshalb eingehender beschäftigen, 
weil sie, wie ich gleich bekennen will, allen Exemplaren des¬ 
selben zukommen, und andererseits, weil sie für den in elek¬ 
trischen Dingen weniger bewanderten Leser als geradezu 
haarsträubend erscheinen müssen. 

Herr Dr. L. findet nämlich, daß man bei Anwendung 
meiner Rheostaten nur „die halbe disponible Stromstärke“ 
f ausnützen kann, daß man zwischen 35 und 20 Milli-Amperes 
keinen Uebergang findet, daß also die Stromintensität Sprünge 
macht, die man sich schrecklicher und lebensgefährlicher gar 
nicht vorstellen kann. 

Ich werde nun nachweisen, daß alle diese Behauptungen 
grundfalsch sind. Die Sprünge hat nicht mein Rheostat, die 
■: hat Herr Dr. L. selbst gemacht. 

Die Widerstände meines Rheostaten haben die Bestim¬ 
mung, als Ballast zu den bei elektrotherapeutischen oder 
elektrodiagnostischen Proceduren im Stromkreise bereits 
vorhandenen Widerständen zugeschaltet zu werden und auf 
diese Weise eine genaue Abstufung der Stromstärke zu ermög¬ 
lichen. Auch in elektrischen Lichtanlagen geschieht die Regu¬ 
lirung der Stromintensität und damit auch der Leuchtkraft 
der Lampen durch sogenannte Zusatzwiderstände. 

Die Prüfung solcher Ballast- oder Zusatz widerstände 
auf ihre Brauchbarkeit kann in zweierlei Weise erfolgen; 
durch Widerstandsbestimmungen der einzelnen Abschnitte und 
Vergleichung dieser Größe mit den im Stromkreise stets vor¬ 
handenen Widerständen, d. i. den Widerstand der Batterie 
-f Widerstand der Leitungen und Nebenapparate + Wider¬ 
stand der Lampen, resp. Widerstand des eingeschal¬ 
teten menschlichen Körpers in unserem Falle. • 

Die zweite Art der Prüfung beruht auf Intensitäts¬ 
messungen. 

Man schaltet dabei den Zusatz widerstand in denjenigen 
Stromkreis ein, in welchem er Verwendung finden 
soll, und bestimmt mit Hilfe eines Galvanometers (Amp6re- 
meters) die Intensitäten bei den verschiedenen Stellungen der 
Kurbel oder des Schiebers des Rheostaten. 

Wenn man unseren Rheostaten prüft, dann nimmt man 
also eine Batterie, wie sie Aerzte benützen, schaltet in den 
Kreis derselben 1. einen menschlichen Körpertheil mit Hilfe 
feuchter Elektroden, 2. ein nach absolutem Maß geaichtes 
Galvanometer, 3. den Rheostat. 

An Stelle des menschlichen Körpers mit seinen inner¬ 
halb weiter Grenzen schwankenden Widerständen kann man 
einen anderen fixen Widerstand, und zwar, um die Prüfung 
ja recht streng zu machen, einen solchen setzen, der dem 
Minimum des bei therapeutischen Proceduren in Betracht 
kommenden Körperwiderstandes gleichkommt. 

Das ist aber ein Widerstand von 1500—2000 Ohm. 2 ) 

s ) Der Körperwiderstand, d* r, wie die Untersuchungen von Rüngk, mir, 
Jolly u. A. beweisen, von der Größe der Elektroden, Art der Application 
derselben, ferner von individuellen Eigenthümlichkeiten und anderen Umständen 
abhängt, ist im Allgemeinen viel größer als 2000 Ohm. Nur bei gynäkologisch- 
elektrolytischen Proceduren (Ai-ostoli) ist er viel kleiner, eigenen Messungen 
zufolge etwa 200 Ohm. Fiir diese Zwecke lasse ich besondere Kaolinrheostate 
mit einem Gesammtwiderstand vou 10.000 Ohm bauen. Im Maria Theresia- 
Hospital in Wien, wo Herr Prof. Rokitansky die Methode von Apostou übt, 
ist seit mehreren Monaten ein so'cher Rheostat, der sich nur durch die Größe 
der Widerstände von den gewöhnlichen Kaolinrheostaten unterscheidet, in Ge¬ 
brauch. Er entspricht vollkommen den Anforderungen, die an denselben ge¬ 
stellt werden. 


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— Nr. 30. 


Schließt man (len Kreis einer Batterie von 30 Volt 
Spannung (circa 20 LRCLANCUE-Elemente) durch 2000 Ohm 
(1500 ü Körper, 500 ü Batterie 4- Galvanometer'+ Elek¬ 
troden etc.), dann muß man eine Intensität von 20 M. A. be¬ 
kommen. Schaltet man das erste Plättchen vom Rheostaten 
hinzu, dann steigt der Widerstand auf etwa 2100 (die ersten 
Plättchen haben einen Widerstand von ungefähr 100 Ohm) 
und die Intensität sinkt auf 145; beim zweiten Plättchen 
steigt der Widerstand auf 2200, die Intensität ist nahezu 
14 0 M.-A. Das, was hier theoretisch ausgefährt wird, trifft, 
wie ich jedem Collegen gerne persönlich demonstriren will, auch 

thatsächlich zu. ,. 

Herr Dr. L. hat sich aber folgende Methode für die 
Prüfung ersonnen. Er schließt seine Batterie kurz. 
Im Stromkreise befindet sich außer dem Widerstande der 
Elemente nur der unbedeutende Widerstand des Galvanometers 
(unbedeutend deshalb, weil wegen der großen Intensität ein 
„Shunt“ eingeschaltet sein mußte). Dabei erhält er eine Inten¬ 
sität von 40 M.-A. Dann schaltet er das erste Widerstands¬ 
element des Rheostaten ein und liest 20 M.-A. ab. Aus dieser 
Thatsache kann man nur Eines mit Bestimmtheit ersehen, daß 
nämlich der erste Widerstand gleich war dem Widerstand von 
Batterie + Galvanometer. Sonst aber gar Nichts! Alles, 
was Herr Dr. L. daraus folgert, ist falsch und irrig. Glaubt 
Herr Dr. L. wirklich, daß man über 40 M.-A. verfügt, wenn 
man eine Batterie besitzt, die, kurz geschlossen, diese 
Intensität gibt, glaubt er nicht, daß durch die Zuschaltung 
von mindestens 1500 Ohm Körperwiderstand zu dem inneren 
Widerstand der Batterie jene Größe auf einen Bruchtheil des 
von ihm angegebenen Werthes herabsinken werde i 

Auf den Körperwiderstand hat eben Herr Dr. L. ganz 
vergessen und nur so ist er zu dem geradezu unbegreiflichen 
Schluß gelangt, daß mein Rheostat (und noch ein anderer 
Rheostat) nur die Ausnützung der halben disponiblen Strom¬ 
stärke gestattet. Seiner verfehlten Versuchsanordnung hat er 
es zuzuschreiben, daß er zwischen 40 und 20 M.-A. keine 
Uebergänge fand. Hätte er, wie es sich gebührt, einen ent¬ 
sprechenden Widerstand vorgeschaltet, dann hätte er gefunden, 
daß seine „disponible.“ Stromstärke nicht 40, sondern vielleicht 
10 M.-A. beträgt, er hätte aber gleichzeitig gesehen, daß die 
Zuschaltung der ersten Widerstände des Rheostaten diese 
Stromintensität nur um je einige Procent verändert. 

* Die Behauptung, das dem Kaolinrheostat überhaupt ein 
„uncorrigirbarer“ Fehler anhaftet, (1er darin bestehen soll, 
daß bei Verschiebung des Schlußschiebers die Stromstärke 
ganz erhebliche Sprünge, ganz bedeutende. Stromesschwan¬ 
kungen mache, ist durch die Thatsachen widerlegt. Soloho 
„Sprünge“ kommen, wenn man den Apparat in pra.xi anwendet 
oder sachgemäß prüft, überhaupt nicht vor. 

Wenn aber behauptet werden sollte, daß die sprungweise 
Aenderung der Stromstärke an sich schädlich oder unzu¬ 
lässig sei, so müßte darauf hingewiesen werden, daß das. mit 
allen physiologischen und klinischen Erfahrungen im Wider¬ 
spruch stehe. 

. Alles kommt nämlich darauf an, wie groß die plötz¬ 
lichen Intensitätsschwankungen beim Uebergang von einem 
Contact zum anderen sind. Wenn der Zuwachs, resp. die Ab¬ 
nahme der Stromstärke absolut klein ist (kleiner als O’l M.-A.), 
oder wenn sie relativ klein, d. h. wenn die bestehende Inten¬ 
sität nur um eine geringe Anzahl von Pcrcenten vermehrt 
oder vermindert wird, dann bewirkt diese Veränderung keiner¬ 
lei Reizerscheinungen, weder im motorischen, noch im sensiblen 
Nerven, nicht einmal an dem für Schwankungen so sehr em¬ 
pfindlichen Opticus. 

Gewiß besitzen neun Zehntheile aller Elektrotherapeuten 
heute noch kein anderes Abstufungsmittel des Stromes, als 
den Elementenzähler, der, wenn es sich um Chromsäure- 
elemente (2 Volt Spannung) handelt, bei dem eben ange¬ 
nommenen Widerstand von 2000 Ohm, für jedes zugeschaltete 
Element einen Stromzuwachs von 1 M.-A. geben müßte. 


Und doch ist es leicht nachzwweisen, daß auch diese 
Art der Abstufung nur ganz ausnahmsweise und nur für die 
ersten Elemente ungenügend ist, daß aber schon der Ueber¬ 
gang vom fünften zum sechsten Elemente, der einem Strom¬ 
zuwachs von 20° o entspricht, nicht die geringste Reizwirkung 
selbst auf den N. opticus ausübt. 

Beim Baue meines Rheostaten habe ich mir diese That- 
saehen wohl vor Augen gehalten. Die Stromschwankungen 
sind selbst unter den ungünstigsten Bedingungen., bei Ver¬ 
wendung starker Batterien und bei geringen Widerständen 
viel kleiner als diejenigen, die irgend einen Reiz auszuüben 
vermöchten. 

Eine der ersten Bedingungen für die Brauchbarkeit eines 
Rheostaten, wie jedes anderen elektrischen Apparates sind 
aber sichere und stets zuverlässige Contacte der gegen einander 
beweglichen Theile. Auf diesen Punkt habe ich , wie schon 
beim alten Graphitrbeostaten, so auch jetzt beim Kaolin- 
rheostaten mein besonderes Augenmerk gerichtet. Denn ein 
Rheostat, der in dieser Richtung Fehler besässe, wäre that¬ 
sächlich unbrauchbar. 

Erwiderung*) auf vorstehenden Artikel. 

Von Dr. Rudolf Lewandowski in Wien. 

Auf die vorliegende Entgegnung, betreffend- einen Theil 
meiner, in der „Wiener Med. Presse“, Nr. LT—24 1. J. ver¬ 
öffentlichten Arbeit: „Ueber Rheostate und deren Ver¬ 
wendung in der Heilkunde“, will ich nur zur that- 
sächlichen Berichtigung Einiges bemerken und nach 
Möglichkeit trachten, nicht in den odiosenTon der Ent- 
gegnung zu verfallen. 

Persönliche Invectiven , vage Beschuldigungen, leere 
Phrasen, willkürliche Entstellung aus dem Contexte heraus¬ 
gerissener Sätze, Verschiebung des Standpunktes des „Ter- 
tium comparationis“ bei Vergleichungen etc. etc. weise 
ich gebührend zurück. So wurde beispielsweise der Kaolin¬ 
rheostat mit dem Reiniger’ sehen Graphitrheostat nur 
von einem ganz allgemeinen principiellen Standpunkte aus 
verglichen, für welchen es ganz irrelevant ist, ob bei 
den verwendeten Widerstandsplättchen aus Kohlen¬ 
stoff in Verbindung mit einem Silicat der erstere 
auf das Widerstamlsplättchen aufgetragen, oder letzteres von 
demselben imprägnirt sei; das Vergleichsmoment liegt eben 
wo anders. Nun wird aber dieser Standpunkt willkürlich 
verschoben und werden an die Erörterung einer „ganz 
speciellcn Supposition“ inj uriöse Bemerkungen geknüpft, 
die den Tenor der ganzen Entgegnung charakterisiren. 

Das Gleiche gilt von der Infragestellung des wissen¬ 
schaftlichen Ernstes bei Abfassung meiner Arbeit betreffs des fl. 
Vergleichungspunktes zwischen dem Kaolin- und dem Reiniger- 
schen Graphitrheostate. Ich bleibe auch heute noch ganz 
dabei, daß es bei beiden Apparaten unmöglich sei, 
die Größe des Widerstandes jedes einzelnen 
Plättchens im Vorhinein beeinflussen zu können. Die Ent¬ 
gegnung begibt sich hier auf einen anderen Standpunkt, 
von woher sie versucht, ihr Licht leuchten zu lassen. Ich 
habe ja nicht bestritten, daß man einen Graphitwiderstand 
nachher messen und aichen kann; zwischen dem nach¬ 
hermessen und aichen un d dem vorher beeinflussen 
liegt doch eine unüberbrückbare Kluft; a priori ist doch be¬ 
kanntlieh etwas anderes, wie a posteriori, dann heißt auch 
messen und aichen doch etwas ganz Anderes als beeinflussen. 
Von einem ganz gleichmäßig gearbeiteten Drahte, dessen 
spee. Widerstand und Querschnitt ich kenne, kann ich zu 
einem bestimmten abgemessenen Widerstande im Vorhinein 
mir ein ganz bestimmtes Stück abschneiden und werde hernach 
nicht mehr viel zu oorrigiren haben; bei einem Kaolinplättchen 
hingegen kann ich nicht im Vorhinein bestimmen, daß es 

*) Womit die Angelegenheit für uns abgeschlossen ist. Die Red. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


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auch nur annähernd einen bestimmten Widerstand repräsentire, 
höchst wahrscheinlich dürfte hier übrigens das nachherige 
Corrigiren gar nicht mehr möglich sein. Daß der Widerstand 
eines mit Graphit überzogenen, oder eines mit Kohlenstoff 
imprägnirten Plättchens nachträglich gemessen werden 
kann, fiel mir ja nicht im Traume ein, in Frage stellen zu 
wollen. Werden aber solche Kaolinplättchen, selbst wenn 
ihre Lateralflächen verkupfert sind, zur Säule angeordnet, in 
eine Metallröhre gebracht und mit geschmolzenem Asphalt 
ausgegossen, so möchte ich gerne wissen, was den Asphalt 
hindern sollte, auch noch in die Poren der Kaolinplättchen 
zu dringen und deren gemessene Widerstände zu alteriren? 
Hatte ich doch Gelegenheit, mich von dem hier Gesagten 
praktisch zu überzeugen, als ich letzthin den Kaolinrheostat 
in den Strom einer frisch gefüllten LKCLANCHE-Batterie ein¬ 
schaltete und den Schlußschieber langsam vorbewegte, dabei 
das Galvanometer im Auge behaltend; plötzlich begann der 
Rheostat zu rauchen, der Asphalt war geschmolzen und nach 
Ausschaltung des Stromes waren die vorhin genau gemessenen 
Widerstände der einzelnen Kaolinplättchen verändert. 

Was die Widerstände im RKixiGKa’schen Rheostate be¬ 
trifft, betrugen sie auch nicht 1000, 5000, 10.000 Ohms etc., 
sondern 972, 4971, 11235 Ohms etc.; es gelang also auch 
hier nicht, was ich itu Punkt 9 sagte, die Widerstände im 
Vorhinein zu beeinflussen, sondern wurden approximativ 
corrigirte einfach nachträglich gemessen. 

Daß die Kaolin widerstandsplättchen in all an Zwischen¬ 
stufen von 10—20.000 Ohms zu erzeugen sind, factisch er¬ 
zeugt und nachträglich ihr Widerstand gemessen wird, 
habe ich ja nie bestritten! 

Was betreffs des Ankaufes des Kaolinrheostates gesagt' 
wurde, ist auf Folgendes zu reduciren: Am 24. Januar 1. J. 
wurde der Kaolinrheostat in der k. k. Gesellschaft der Aerzte 
demonstrirt; ich wollte sofort beim Erzeuger desselben ein 
Exemplar käuflich erwerben, wurde aber wegen der Unver¬ 
käuflichkeit der bisher fertig gestellten Apparate für 8 
Tage vertröstet; am 31. Januar 1. J. demonstrirte ich den 
Graphit-Quecksilberrheostat; am 6. Februar 1. J. ersuchte ich 
einen Freund, mir den für bereits 6 Tage vorher in Aussicht 
gestellten Rheostat zu kaufen, da ich ihn für Vorträge 
benöthigte. Der Rheostat wurde gekauft, ich demonstrirte 
ihn noch am 6. Februar in meinem Curse über Elektro¬ 
therapie im k. und k. Garnisons-Spitale Nr. 1 in Wien und 
besprach ihn hernach noch am 1. März in einem Vortrage 
„Ueber Rheostate“ im wissenschaftlichen Vereine der 
Militärärzte der Wiener Garnison, worüber kurze Referate 
in den medicinischen Zeitschriften erschienen. Mein Freund 
sagte mir übrigens auch gar nicht, daß ihm der Apparat 
als fehlerhaft verkauft wurde; einen mißlungenen 
Gegenstand verkauft man auch nicht und läßt 
sich ihn wie einen brauchbaren bezahlen, sondern 
man sagt höchstens: hier ist ein fehlerhafter, den ich seiner¬ 
zeit austauschen will. — Das Alles geschah aber 
nicht. Im Gegentheile: Der Erzeuger der Kaolinrheostate 
wußte durch einen Geschäftsgenossen, daß diesesExemplar 
sich in meinen Händen befände, er wußte, daß ich Manches 
beanstande, ließ mir aber nicht sagen, das sei ein verfehltes 
Exemplar: erst jetzt . . . . ! 

Ich unterschied in meiner Besprechung genau die 
Eigentümlichkeiten des mir vorliegenden 
Exemplares von den Eigenthümlichkeiten der 
Kaolinrheostate im Allgemeinen. So ist es nur als 
Eigenthümlichkeit des mir vorliegenden Exemplares klar und 
deutlich gesagt, daß dieser Rheostat, d. h. dieses Exem¬ 
plar nur dieAusnützung der halbenStromstärke 
gestatte, was vom Entgegner abermals durch Ver¬ 
schiebung des Standpunktes als Eigenschaft aller 
Kaolinrheostate hingestellt wird. Von dem wissenschaftlichen 
Ernste, der die ganze Widerlegung durchweht, zeugen die 
Phrasen von den Stromsprüngon, „die man sich schreck¬ 


licher und lebensgefährlicher gar nicht vor¬ 
stellen kann“. Auf die Widerlegung der weiteren breit¬ 
spurigen, im Gelehrtentone vorgebrachten Erörterungen kann 
ich verzichten, weil ihnen abermals eine willkür¬ 
liche Verschiebung des Standpunktes zu Grunde 
liegt. Ich habe nämlich gar nicht behauptet, was widerlegt 
wird, sondern klar und deutlich gesagt: „Ich stellte zu wieder- 
holtenmalen messende Versuche mit dem Kaolinrheostate an. 

. . . . Um mir ein Bild von der Differenz der einzelnen Wider¬ 
standsplättchen (selbstverständlich bezüglich deren 
Widerständen) zu verschaffen .... schaltete ich, wie die 
Entgegnung erwähnt, aber zu keinem anderen Zwecke. 
Zu den supponirten Prüfungen hatte ich andere Schaltweiscn, 
die mich aber trotzdem davon überzeugten, daß der Kaolin¬ 
rheostat selbst bei eingeschaltetem Körper kein 
allmäliges Zu- und Abnehmen der Stromstärk e, 
sondern nur in Sprüngen gestattet. Ich bin ja 
vollkommen damit zufrieden, wenn der Entgegner es selbst 
zugibt, daß man mit seinem Kaolinrheostate auch bei Ein¬ 
schaltung des Körpers von 20 auf 14*5 und sodann auf 
14 M.-A. gelangen muß — mehr will ich ja gar 
nicht behaupten. Das sind aber 3 Sprünge, die bei der 
absoluten Bestimmung der für die einzelnen Reactionsphasen 
erforderlichen Stromstärken weit größere Unterschiede, selbst 
bei Benützung des Pendelschlüssels, ergeben, als sie b -i Ein¬ 
wirkung verschiedener Ströme bis zur Messung mittels eines 
aperiodischen EoEi.MANN’schen Horizontalgalvanometers be¬ 
tragen. Wo bleibt dann die ex acte Erregbarkeits¬ 
prüfung, wenn der Rheostat keine Mittelschaltungon 
zwischen 20, 145, 14 u. s. w. M.-A. gestattet?! 

Bei meiner Schaltung fand ich 40, 35, 20, 18, 16*5, 
135 etc. M.-A. bei successiver Einschaltung der ersten fünf 
Widerstandsplättchen; daraus berechnete ich den Widerstand 
der einzelnen Plättchen wie folgt: Für das 1. Plättchen mit 
128, für das 2. Plättchen mit 768, für das 3. Plättchen mit 
1991, für das 4. Plättchen mit 181*2, für das 5. Plättchen 
mit 481 *7 Ohms etc. Das war das Ziel der erwähnten 
Versuche (um mir ein Bild von der Differenz der einzeln n 
Widerstandsplättchen zu verschaffen) und nicht das mir 
von der Entgegnung supponirte, und dieses mein 
Ziel konnte ich nur auf dem eingeschlagenen Wege erreichen. 

Alle anderen Abschweifungen vom Gegenstände kann 
ich übergehen. Die ganze Entgegnung charakterisirt den 
Standpunkt und das Bestreben des Verfassers vollkommen. ■ 
Daß derselbe nur Theoretiker und kein praktischer Elektro- 
therapeut ist, bringt es mit sich, daß ihm die Begriffe: „Ein- 
und Ausschleichen“ nicht geläufig sind, gleichwie die 
Begründung der bezüglichen Postulate. Ein- und Ausschleichen 
kann man aber nie und nimmer mit einem nach Procent¬ 
verhältnissen der Widerstände steigenden oder fallenden 
Rheostat, und wäre er selbst der beste Metalldrahtrheostat, 
somit auch nicht mit dem Kaolinrheostat. 

Ich muß daher in allem Gesagten auf meinem 
Standpunkte verharren. 

Die Aehnlichkeit zwischen dem REiNiGEa’schen und dem 
späteren Patent-Graphit-Rheostate in der schemati¬ 
schen Zeichnung scheint genirt zu haben; diese schematische 
Zeichnung ist aber richtig; die Skizze hiezu stammt von 
J. Leiter, jedenfalls dem objectivsten und geeignetsten Inter¬ 
preten in dieser Sache. 

Auch die Patentirung des Kaolinrheostates 
beweist nicht die Originalität oder Neuheit des ihm zu Grunde 
liegenden wissenschaftlichen Principes; denn nicht wissen¬ 
schaftliche Principien, sondern nur von einander verschiedene 
mechanische Ausführungen sind patentfähig; auch 
patentirt man nichts um seiner Neuheit oder Originalität 
willen, sondern einzig und allein nur „zur Wahrung 
rein geschäftlicher Interessen“. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


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Ueber die 

Mikroorganismen der Krebsneubildungen. 

Von Dr. P. J. Kubassoff, Privatdocent an der 
Universität Moskau. 

(Fortsetzung.) 

Ich übergehe nun zu meinen eigenen Untersuchungen. 
Zum 1. Male erhielt ich eine Reincultur von Krebsbacterien 
im Bouillon aus einem parametralen Knoten aus der Leiche 
einer im Jahre 1886 an Gebärmutterkrebs verstorbenen Frau. 
Die Cultur wurde einem Kaninchen eingeimpft, welches nach 
einem Monate starb und bei dessen Section in der Leber und 
in den Mesenterialdrüsen Knoten gefunden wurden , die dem 
menschlichen Carcinom sehr ähnlich sind. Eine 2. Cultur 
erhielt ich im Januar 1887, eine 3. im Sommer desselben 
Jahres, beide von an Uteruscarcinom verstorbenen Frauen; 
eine 4. züchtete ich aus Stückchen eines Careinoms des Cervix; 
die 5. Cultur erhielt ich aus einem Krebsknoten einer Brust¬ 
drüse , die 6. und 7. aus Uteruscarcinom, die 8. aus einem 
Magencarcinom, die 9. aus einem Darmcarcinom 

Ich will in Folgendem nur den Fall von Magenkrebs 
näher in Betracht ziehen. Etwa 20 Stunden nach dem Hin¬ 
scheiden der betreffenden Frau wurden 6 Züchtungsversuche aus 
Magen, Leber, Bronchial- und Mesenterialdrüsen. Ovarial¬ 
und Uterinalknoten vorgenommen, und zwar in Blutserum, in 
Glycerin-Agar, in Glycerin-Gelatine, in einfachem Agar und 
Gelatine, in Milch und Bouillon. Es wurden zu diesem Beliufe 
kleine, nicht erweichte Herde, sowie Krebssaft verwendet. 
Mittelst einer sterilisirten Seheere oder eines eben solchen 
Scalpells führte ich Schnitte in 2—3 senkrechten Richtungen, 
von den Schnittflächen schabte ich mittelst einer ausgeglühten 
Platinnadel ein Partikelchen der Pulpa oder etwas Flüssigkeit 
ab und übertrug dasselbe in einen flüssigen Nährboden oder 
schmierte es auf eine schiefe Ebene eines festen Nährbodens. 
Bei den eine flüssige, beinahe durchsichtige Masse enthaltenden 
Ovariencysten wurde die Wandung an einer Stelle mittelst 
eines glühenden Glasstäbchens durchgebrannt und mittelst 
einer sterilisirten Capillarpipette 1—2 Tropfen Flüssigkeit 
aufgesaugt, welche dann auf die entsprechenden Nährböden 
übertragen wurden. Außerdem wurden sowohl aus dem Saft, 
als auch aus der Pulpa der Knoten, die zu Culturzwecken 
benutzt worden sind, Deckglaspräparate angefertigt. Die be¬ 
impften Röhrchen wurden bei entsprechender Temperatur be¬ 
lassen, und zwar die Gelatine bei Zimmertemperatur, die 
übrigen in Thermostaten zwischen 30—36°. 

Nach Färbung der Deckglaspräparate mit verschiedenen 
Anilinfarbstoffen sah ich meist nur eine Art von Mikroorga¬ 
nismen, nämlich kürze und dicke Stäbchen mit zugespitzten 
Enden, die bald einzeln, bald in Haufen gelagert waren; 
manchmal fand man gar keine Mikroorganismen und in manchen 
sehr seltenen Fällen fanden sieh auch einzelne Exemplare 
anderer Stäbchen. Ich will gleich hier bemerken, daß ich 
gleiche Bacterien auch in den Präparaten der Uterus- und 
Mammacarcinome gesehen habe, welche etwas länger und 
dicker waren und zuweilen in der Mitte ihres Protoplasmas 
glänzende, nicht färbbare Körperchen wahrnehmen ließen. 

Was die Culturen betrifft, so entwickelten sich in circa 
einem Drittel der 6 für jede der 6 Serien beimpften Eprou¬ 
vetten, und zwar nach circa einer Woche verschiedene Colonien, 
von welchen nur wenige den in den Deckglaspräparaten in 
prävalirender Menge gefundenen Stäbchen gleich sahen. Von 
diesen Culturen wurden die Mikroorganismen mittelst Platten 
isolirt und studirt. Die Bacterien wuchsen überhaupt sehr 
langsam, besonders bei Zimmertemperatur, und stellten, nach¬ 
dem die Colonien eine bestimmte Größe und ein gewisses 
Alter erreicht hatten, ihr Wachsthum und ihre Entwicklungs¬ 
fähigkeit ein, d. h. sie konnten nicht mehr auf frische Nähr¬ 
böden mit Erfolg übertragen werden. Die Colonien gediehen 
nur auf der Oberfläche des Nährbodens und in Bouillon, in 


Stichculturen hingegen nur selten und äußerst schwierig, so 
daß man diese Stäbchenbacterien als exquisite Aerobien an- 
sehen muß. Am schönsten und besten war das Wachsthum 
auf der Oberfläche von Glyceringelatine und bei einer Tem¬ 
peratur von 20° in den Culturen, die durch Verreiben von 
Krebssaft oder Krebspartikelchen angelegt wurden. Die 
Colonien hatten das Aussehen von Flecken oder Schüppchen, 
die Stearin oder Perlmutter ähnlich waren, eine bläulich-weiße 
Farbe oben und eine weiße oder leicht gelbe unten hatten. Die 
gelbe Nuance wird in der Tiefe der Stichculturen intensiver. 
Die Oberfläche der Culturen zeigte eine deutliche concentrische 
Beschaffenheit, die Form war selten eine regelmäßig runde, 
sondern meist oval oder schuppenförmig. In Stichculturen 
auf 10% Glyceriu-Gelatine ging das Wachsthum sehr langsam 
vor sieh, und zwar sah man nach einer Woche eine dünne 
Linie, die später kleinzackig und einer runden Feile ähnlich 
wurde. Die Farbe dieser Linie war eine gesättigt gelbe, die 
später sogar in braun überging An der Oberfläche war das 
Wachsthum rascher als im Stich. Das Centrnra zeigte eine 
deutliche Vertiefung gegenüber den concentrischen Schichten, 
daher die ganze Cultur nach einiger Zeit das Aussehen eines 
Stethoskops hatte mit weißlich-bläulicher Muschel und gelbem 
Röhrchen. Eine Verflüssigung des Nährbodens trat nie ein. 
In Strichculturen auf Gelatine zeigen diese Bacterien ein ganz 
charakteristisches Wachsthum: auf der Oberfläche der Gelatine 
lagern sich die conflnirenden Schüppchen mit ihrer concentri¬ 
schen Zeichnung und ihrer scharf umrandeten Begrenzung 
derart an einander, daß das Ganze das Bild einer Schild¬ 
krötenmuschel zeigte. Dieses charakteristische Bild ist indeß 
nicht immer so schön ausgebildet. Auf Agar-Agar war 
das Wachsthum bei Zimmertemperatur ein sehr spärliches, 
hingegen bei Körpertemperatur ein sehr üppiges. Nach wenigen 
Tagen zeigte sich ein Strich von Milchfarbe, der dieselben 
Eigenschaften, wie der auf Gelatine zeigte. Auf geronnenem 
Blutserum wachsen die Colonien ebenfalls sehr gut in 
Form von dünnen weißen Häutchen. Die Milch wurde von 
den in Rede stehenden Bacterien nicht verändert, ihre durch 
Zusatz von Lackmus gebildete bläuliche Farbe wurde aber in 
eine rosarothe umgewandelt, was übrigens auch bei Agar 
beobachtet wurde. Eine stärkere Entwicklung dieser Bacterien 
in Milch trat aber ebensowenig ein, wie eine Gerinnung der 
Milch. In Bouillon erzeugten die Bacterien eine Trübung, 
die sich bald in der ganzen Flüssigkeit vertheilte, wobei sehr 
bald ein kleiner weißlicher Niederschlag sich bildete, während 
an der Oberfläche ein kleines Häutchen, ähnlich dem erstarrten 
Fett, herumschwamm. Das Wachsthum auf Kartoffeln 
erinnerte an das der Typhusbacillen, mit dem Unterschiede, 
daß die Krebsbacterien die ObeiHäche der Kartoffel über¬ 
ragten und dieselben etwas körnig machten. 

Auf den Platten wuchsen die Colonien schwach und nur 
auf der Oberfläche und erschienen unter dem Mikroskop bei 
schwacher Vergrößerung als feine Stäbchen von weißlicher 
Farbe, die bei stärkerer Vergrößerung das Aussehen von 
Wattaflocken zeigten. Bei der mikroskopischen Untersuchung 
der Reinculturen zeigten sich dieselben als aus denselben 
Stäbchen zusammengesetzt, wie sie aus den Präparaten aus 
Krebssaft gewonnen wurden, und zwar: Bacillen, die 2—3mal 
kürzer und 3—4mal dicker als die Tuberkelbacillen sind, eine 
Länge von l\ r >—2 und eine Breite von circa l u- besitzen. 
Die Enden der Stäbchen sind abgerundet, und zwar gewöhn¬ 
lich das eine mehr als das andere, wodurch diese Organismen 
das Aussehen eines Eies erhalten. Sie färben sich gut mit 
allen Anilinfarben, entfärben sich aber ebenso leicht, und 
zwar schon beim Abspülen in Wasser. Im hängenden Tropfen 
läßt sich eine Reihe von Bewegungen, und zwar zunächst 
zweifellose, selbstständige, progressive Bewegung entlang des 
Gesichtsfeldes, ähnlich denen der Typhusbacillen, nur bedeutend 
langsamer, wahrnehmen. Diese Bewegung, welche vorwiegend 
an den aus einigen Bacillen zusammengesetzten längeren Fäden 
zu sehen war, bestand in langsamen, pendelartigen Schwin- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 30. 


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gungen der hinteren Hälfte. Interessant ist. daß die Bacillen 
stets mit demselben Ende nach vorne sich bewegten. Andere 
Bewegungsarten bestanden in Rotation um die Längsaxe oder 
in Schwingungen um die Queraxe. Diese letzteren Bewegungs¬ 
aiten sind vornehmlich bei den kurzen Stäbchen wahrzunehmen, 
während die progressive bei den langen besser hervortritt. 
Diese Bewegungen blieben Tage lang und in Thermostaten 
selbst Wochen lang unverändert und hörten zuerst bei den 
längeren und zuletzt bei den kürzeren Stäbchen auf. 

Nach viertelstündiger Einwirkung von ‘/io 0 o Sublimat¬ 
lösung. f )°; 0 Salz- oder Salpetersäure, sowie von Eisenchlorid 
1 : 10 gingen diese Bacillen zu Grunde, während eine ge¬ 
sättigte alkoholische Lösung von salicylsaurem Natron ihre 
Entwicklungsfähigkeit in derselben Zeit nicht aufzuheben ver¬ 
mochte. Bei Austrocknung der Colonien in dünner Schichte 
stellten die Bacterien manchmal ihr Wachsthum in einigen 
Stunden ein, ein anderes Mal aber blieben sie selbst nach 
24 Stunden entwicklungsfähig. Sporen konnten mit Be¬ 
stimmtheit nicht nachgewiesen werden, obgleich in der Milch, 
Bouillon und Kartoffeln Stäbchen sich zeigten, die im Centrum 
keinen Farbstoff aufnahmen. Bei Versuchen an Thieren er¬ 
wiesen sich die besprochenen Bacterien als pathogen, besonders 
für Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen und Hunden. Die 
Dauer der erzeugten Krankheit war je nach den Thieren eine 
verschiedene: bei den Meerschweinchen 1—2 Wochen, bei 
Kaninchen 1—2 Monate, bei Katzen und Hunden noch länger, 
und hing von der Art der Infection (subcutane Injection oder 
Fütterung) ab. Die subcutane Injection bestand in Einführung 
von 2—3 Theilstrichen einer Suspension von 2—3 Plati¬ 
nösen der Reincultur in Wasser mittelst KocH’scher Spritze. 
Bei der Fütterung wurde den Thieren ein halber Cubikeenti- 
meter dieser Suspension 4—6mal in der Woche verabreicht. 

(Fortsetzung folgt.) 

Mittheilungen aus der Praxis. 

Z n r 

Wirkung des Bromäthyls als Anästheticum. 

Von Dr. Thomas Frank in Torontal Szögcsäny. 

So manches, recht marktschreierisch angepriesene neue Mittel 
ist schon nach kurzer Zeit genöthigt, mit einem recht bescheidenen 
Plätzchen, wenn ihm überhaupt noch eines im Arzneischatze geboten 
wird, sich zu begnügen. Kein Wunder, wenn ich auch das Brom- 
fltbyl mit dem Vorsatze versuchte, nach gehabter Enttäuschung den 
Versuch vergessen zu wollen. 

Die Fälle, in welchen ich Gelegenheit hatte, Bromäthyl zu 
versuchen, waren folgende: 

1. Am 19. Juni d. J. kam vom benachbarten Kreise ein Vater j 
mit seinem 11jährigen Sohne, um mich zu consultiren. Das Kind 
hatte am Zahnfleische des Unterkiefers eine etwa taubeucigroße 
Fleischgeschwulst mit ziemlich breiter und langer Basis aufsitzend 
(vom Eckzabn bis zum zweiten Mahlzahn). Nachdem ich dem Vater 
begreiflieh gemacht, daß nur durch eine Operation abgeholfen werden 
könne, bat er mich, dieselbe, aber wo möglich schmerzlos, vorzu- 
nehmen. Am 25. v. M. wurdo Pat. gelagert, der Narcotisirungs- 
korb mit Bromäthyl getränkt und dem Knaben vorgehalten. Nach 
10—12 Inspirationen sistirte die Respiration. Auf meine Aufforde¬ 
rung, nur weiter zu athmen, machte Pat. abermals einige Inspi¬ 
rationen, worauf er wieder aussetzte; auf mein Zureden, weitere und 
recht tiefo Athemzüge zu machen, hob er an, ziemlich tief zu 
respiriren Zugleich zwickte ich ihn in den Oberarm, um mich zu 
überzeugen, ob die Gefühllosigkeit bereits eingetreten sei, und nach¬ 
dem er kein Zeichen der Empfindung äußerte, begann ich zu ope- 
riren. Gleich nach dem ersten Schnitte, wodurch ich so ziemlich 
die Hälfte der Basis trenute, strömte viel Blut in die Mundhöhle. 
Ich gebot Pat. das Blut auszuspeien, was er auch that, sich vor¬ 
beugte, das Blut ausspio und sich wieder in seine frühere Lage 
brachte. 


Nach einigen Schnitten war das Neugebilde vollkommen ent¬ 
fernt, die Blutung mit Eiswasser und Ferr. sesq. sol. gestillt. 
Hierauf legte ich eine dünne Schichte Salicylwatte auf die Wunde 
und fragte den Kraukcn, ob er während der Operation Schmerzen 
gehabt habe. Er verneinte dies und bemerkte, er habe nicht ein¬ 
mal das unangenehme Gefühl empfunden, welches ihm die Geschwulst 
verursachte und auch bis jetzt (die Procedur beanspruchte 3—4 
Minuten) fühle er noch keinen Schmerz. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Geschwulst ergab: sarcomatöse Epulis. 

2. Der zweite Fall betraf eine Zahnextraction des linken 
unteren Eckzahnes. Nach circa 20—25 Athemzügen war die Ge¬ 
fühllosigkeit bei vollkommenem Bewußtsein eingetreten, ohne daß 
Aussetzen der Athmung stattgefunden hätte. 

Zum Schlüsse will ich nur noch bemerken, daß das Aussetzen 
der Athmung mich wohl befremdete, im Uobrigen aber kann icb, 
auf meine Erfahrungen gestützt, das Mittel aufs Wärmsteerapfehlen. 
Bei kleineren Operationen, wie Extraction von Zähnen oder Zahn¬ 
wurzeln muß es geradezu als eine Wohlthat betrachtet werden, da 
leichte Handhabung und schnelle Wirkung Zusammentreffen. 

Referate und literarische Anzeigen. 

L. Rütimeyer (Riehen): Znr klinischen Bedeutung der 
Di&zo-Reaction. 

Bekanntlich ist Ehrlich bei Einführung der Diazo-Reaction 
von dem Gedanken ausgegangen, die Eigenschaften der Diazo¬ 
verbindungen, mit zahlreichen Körpern der aromatischen Gruppe 
sich zu Farbstoffen zu verbinden, zu benützen, um im Urin nach 
etwa vorhandenen Stoffen zu suchen, die mit Diazo-Verbindungen 
klinisch brauchbare Farbenroactionen gäben. Als Reagens benützte 
Ehrlich nicht dio fertige Diazo-Verbindung, sondern Lösungen, in 
denen unter Einfluß von Nitriten und Mineralsäuren Diazokörper 
in statu nascendi sich bildeten. Das Reagens besteht aus einer uüt 
Salzsäure versetzten Sulfanillösung, d- r Natriumuitrit zugesetzt wird, 
und die so entstehende, zur Reaction verwendete Diazo-Verbindung 
ist das Sulfodiazobenzol. Versetzt man nun den Harn bei.gewissen 
Krankheiten — Gesunde geben niemals die Reaction — zn gleichen 
Thcilen mit diesem Reagens und fügt zur Alkalisirung Ammoniak 
im Ueberschuß hinzu, so entsteht eine hellrosa bis dunkel carmin- 
rothe Farbe von Flüssigkeit und Schüttelschaum. Zu dieser rotheu 
Reaction kommt als weiteres Charakteristicura, daß nach 12—34- 
stündigem Sedimcntiren sieh am Boden des Reagensglases ein 
Niederschlag zeigt, dessen oberste Zone je nach der Stärke der 
Reaction einen helldunkelgrilnen bis violettsehwärzlichen Saum zeigt. 
Dieser grüne Niederschlag ist für Fälle zweifelhafter Reaction für 
oder gegen das Vorhandensein derselben entscheidend. 

Vorf. hat nun diese in klinischer Hinsicht sehr worthvOlle 
Reaction au 260 Kranken mit 2750 Einzeluntorsuchungen studirt 
und theilt dio Ergebnisse derselben in Nr. 10 des „Corresp.-Bl. f. 
Schweizer Aerzte“ mit. Was zunächst die Ausführung der Reaction 
betrifft, so werden 2 Stamraflüssigkeiten aufbewahrt: 1. concontrirte 
wässerige Lösuug von Sulfanilsäure, 2. 1 ,' 3 proc. Lösung vom Natrium¬ 
nitrit. Aus diesen 2 Lösungen wird das Reagens jeweilig frisch 
bereitet, indem zu 200 Ccm. Sulfanillösung 10 Ccm. reine Salzsäure 
und 6 Ccm. ’/aproc. Lösung von Natriumnitrit gegeben wird. Die 
Probe ist sehr eiufach und von Jedem zu machen. 

Niemals gefunden wurde die Reaction bei Gesunden, von 
Krankhoiten bei Hysterie, Myelitis, Hepatitis specifica, Diabetes, 
Cystitis, Pyelonephritis, nicht malignen Ovarialcystomen, Choleli- 
thiasis und Icterus, verschiedeneu chirurgischen Krankheiten und 
als wichtigste Gruppe bei fieberhaften und nicht fieberhaften Gastro- 
Abdominalcatarrhen. 

Die Reaction trat nur in einzelnen Fällen auf, fehlte aber 
bei der Mehrzahl der Fälle von: Carcinoma vcntriculi et oosophagi, 
chronischer Nephritis, Caries und kalten Abscessen, Pyämie, Schar¬ 
lach, seröse Pleuritis, Meningitis tuberculosa, Herzfehler. 

Häufiger tritt die Reaction auf bei croupöser Pneumonie, pri¬ 
märer Lungenactinomycose, maligner Peritonitis (Carcinose, Sarco- 
matose, Tuberculose des Bauchfells). Für die Pneumonie scheint 



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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


die von Ehrlich entdeckte Eig elb-Reaction oder primäre 
Diazo-Reaetion charakteristischer zu sein. Nach Zusatz des 
Reagens, vor der Alkalisirung mit Ammoniak, entsteht eine ge¬ 
sättigt eidotter- bis safrangelbe Verfärbung des Schüttelschaumes, 
welche nach Zusatz von Ammoniak in ein helles Weißgelb umschlägt. 

Am wichtigsten ist die Reaction für Phthisis und Abdo¬ 
minaltyphus. Es geht nämlich aus den Beobachtungen des 
Verf., übereinstimmend mit denen anderer Autoren hervor, daß die 
Reaction gewissermaßen einen Ausdruck des Allgemeinbefindens der 
Phthisiker bildet und ein signum mali ominis darstellt. Sie beruht 
wohl auf Resorption gewisser Zerfallsproducte, vielleicht sogar von 
käsigen Substanzen, im Blut und Ausscheidung derselben durch den 
Harn. Bleibendes Fehlen der Reaction deutet auf leichten Verlauf 
der Phthise hin. Vereinzeltes Auftreten ist ohne Bedeutung. An¬ 
haltendes Bestehen, besonders bei intensiver Reaction, gibt für 
Lungenphthise eine ungünstige Prognose quoad vitam und läßt 
relativ bald ein letales Ende erwarten. Es verdient also die Diazo- 
Reaetion bei der Untersuchung und Beurtheilung der Phthisiker die 
größte Beachtung. Auch bei Empyemen hat die Reaction eine 
prognostische Bedeutung. 

Bei allgemeiner Miliartuberoulose fand sich in drei 
Fällen die Reaction fast constant. 

Neben der Phthise hat die Reaction die größte klinische Be¬ 
deutung für den Abdominaltyphus. Aus deu 1130 Untersuchungen, 
die Verf. an 87 Todesfällen angestellt hat, zieht er folgende 
Schlüsse: 

1. Die Diazo-Reaetion hat beim Typhus eine hohe diagnostische 
Bedeutung und ist neben Milztumor und Roseola eines der con- 
stantesten und frühesten Merkmale der Krankheit. 

2. Fieberhafte Darmcatarrhe geben niemals Reaction. 

3. Haben wir einen beginnenden Kraukheitszustand vor uns, 
den wir als Typhus auffassen können, so gewinnt diese Diagnose 
durch den Befund der Diazo - Reaction in hohem Maße an Wahr¬ 
scheinlichkeit; bleibt die Reaction aber in der ersten und zweiten 
Krankheitswocbe aus, so handelt es sich entweder um keinen, oder 
doch nur um einen ganz leichten Fall von Typhus. 

4. Die Reaction steht zum Fieberverlaufe in keinem festen 
Verhältnisse. Sie wird durch verschiedene Medicamente und Be¬ 
handlungsmethoden nicht gestört. Morgen- und Abendurine geben 
im Allgemeinen gleich intensive Reaction. 

5. Aufhören der Reaction in der 2. und 3. Krankheitswoche 
läßt im Allgemeinen auf baldige Entfieberung, resp. leichten Verlauf 
der Krankheit rechnen, während längeres Persistiren längeren, resp. 
schwereren Verlauf wahrscheinlich macht. 

6. Starke und anhaltende Reaction gibt für die Differential¬ 
prognose, ob letales Ende oder endliche Qenesung, keinen An¬ 
haltspunkt. 

7. Recidive geben fast ohne Ausnahme wieder Reaction, wenn 

dieselbe geschwunden war. M. 


Laryngoskopie und Bhinoakopie mit Einschluß der 
allgemeinen Diagnostik und Therapie. Von Dr. 
Theodor S. Flatau. Berlin 1890. Otto Enslin. 

Der Verfasser dieses Büchleins hat sich die Aufgabe gestellt, 
durch eine kurze, gedrängte Darstellung der Untersuchuugsmethoden, 
der dabei erzielten Befunde und der örtlichen Therapie das Selbst¬ 
studium der Laryngoskopie und Rhiuoskopie zu fördern und diese 
zum Gemeingute aller, oder doch wenigstens des größten Theiles 
der Aerzte zu machen. Diese Aufgabe ist ihm nach unserem Dafür¬ 
halten insoferne gelungen, als in dem Büchlein mit Vermeidung 
jedes die größeren einschlägigen Werke zierenden Beiwerkes, wie 
anatomischer und physiologischer Erörterungen, in äußerst kurzer, 
aber nicht minder übersichtlicher und selbst das kleinste Detail 
nicht vernachlässigender Darstellung die bei der Untersuchung der 
Nase, des Nasenrachenraumes und des Kehlkopfes in Betracht 
kommenden Factoren, wie Stellung des Patienten, Wahl der Licht¬ 
quelle, Methode der Beleuchtung, Wahl und Führuug der Unter¬ 
suchungsinstrumente, Beseitigung der bei der Untersuchung sich er¬ 
gebenden Schwierigkeiten etc. abgehandelt werden. Ebenso klar 


1190 

und übersichtlich gestaltet sich die Schilderung der bei diesen 
Untersuchungen gewonnenen Bilder und deren Deutung. 

Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß selbst die ein¬ 
gehendste und lichtvollste Schilderung nicht im Stande ist, den An¬ 
schauungsunterricht zu ersetzen, und wer öfters Gelegenheit hat, 
selbst sonst talentirte Aerzte in der Führung des Laryngo- und 
’Rhinoskops zu unterweisen wird sehr bald die Ueberzeugung ge¬ 
winnen , daß man da mit der Schilderung des zu beobachtenden 
Vorganges nicht viel erzielt; der Schüler muß die Proceduren oft 
und oft Wiedersehen und ebenso oft selbst prakticiren, um sie end 
lieh zu erlernen. Aus diesem Grunde halten wir dafür, daß das in 
Rede stehende Werk trotz seiner lichtvollen Darstellung und bei 
all seinen Vorzügen zur Autodidactik nicht geeignet ist, es kann 
nicht für den Anfänger im wahren Sinue des Wortes, sondern nur 
für Jonen bestimmt sein, der bereits das Laryngoskopiren und 
Rhinoskopiren gelernt hat und der blos zu seiner weiteren Ausbil¬ 
dung eines Wegweisers bedarf. Diesem aber wird es stets ein er¬ 
wünschter und sicherer Führer sein, und es sei ihm biemit bestens 
empfohlen. Dr. Wilh. Roth. 


Zeitungsschau. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Ref.: Prof. Ludwig Kleinwächter. 

(Fortsetzung.) 

Ueber den Verlauf und die Behandlung des 
Abortus und Partus praematurus spricht sich Winckkl 
aus. Er ist gegen die jetzige Polypragmasie und ist bezüglich der 
ersten Schwangerschaftsmonate für das Abwarten, selbst wenn Stücke 
der Decidua oder diese im Ganzen zurückbloibt. Das Curettement 
ist hier überflüssig nnd gefährlich. Nur wenn das ganze Chorion 
zurückbleibt und Blutungen da sind, möge man excochleireu. Ange¬ 
zeigt ist die Excochleation, wenn alle Fruchtanhänge nach Abgang 
des Fötus Zurückbleiben und keine Tendenz zur Ausstoßung zeigen. 
Bleiben Eireste zurück und fiebert die Kranke, so ist die Curette 
gefährlich und nicht anzuwenden. Hier muß man das Ovum ex- 
primiren, event. das Uteruscavum desinficiren und das Ovum mit 
dem Finger ausschälen. Durch wiederholte desinficirende Aus¬ 
spülungen kann man ebenfalls trachten, die zersetzten zurück¬ 
gebliebenen Eireste zum Abgänge zu bringen. Die Curette ist nur 
dann angezeigt, wenn keine Jauchung da ist und kleinere feste 
Eireste sich mit dem Finger nicht entfernen lassen. 

Einen sehr warmen Freund fand die Achsenzugzange in 
Bumm. Ihre Vortheile sind nach ihm folgende: 1. Kraftersparniß, 
2. behält der Kopf seine natürliche Beweglichkeit und 3. sind die 
Griffe die Wegweiser der Zugrichtung. 

Wyder, Determann, Leopold behandeln auf Grundlage eines 
großen Materials den Kaiserschnitt und dessen Stellung zur Wen¬ 
dung, sowie zur vorzeitigen Schwangerschaftsunterbrechung und zu 
den zerstückelnden Operationen. Dieses Capitel ist bereits so oft und 
so erschöpfend durebgearbeitet worden, daß die dieses Thema be¬ 
rührenden, im Jahre 1888 erschienenen Publicationeu dem Fach¬ 
mann absolut kein Interesse abgewinnen können. 

Ueber das enge Becken wurde sehr wenig publicirt. Eine 
Arbeit Fleischmann’s betrifft das Trichterbecken. Fleischmann 
sah 24 solcher Fälle. In diagnostischer Beziehung hebt er folgende 
Momente hervor: 1. Der allgemeine Habitus. Dabei ist auffällig 
eine starke Convergenz der Genitooruralfalten, Schmalheit der 
Hüften, sowio der Gesäßgegend, zuweilen Verminderung der Becken- 
neigung und der Lumbarlordose. 2. Die äußere Beckenmessung. 
Wichtig ist die Länge des Abstandes der Sitzbeinhöcker und des 
geradeu Diamoters, sowie jene des Abstandes der Spinae ischii. Von 
geringerem Werthe ist das Trochanterenmaß. 3. Die Austastung 
ergibt starke Convergenz der seitlichen Beckenwände, eine Annähe¬ 
rung der Spinae und Tubera ischii, sowio Verengerung des Scham¬ 
bogens. Das Kreuzbeiu ist oft schmal, gestreckt, weicht oben nach 
hinten zurück und nähert sich mit seiner Spitze der vorderen 
Beckenwand. Die Verengerung betrifft entweder den Ausgang — 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


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einfaches Trichterbecken — oder den Eingang und Ausgang. Die 
dritte Form ist das infantile Becken mit einer geringeren Längs¬ 
krümmung des Kreuzbeines, welches mit dem wenig vorspringenden 
Promontorium nach hinten zurückweicht. Der Eingang ist rundlich, 
fast oval. Die seitlichen Beckenwände nähern sich einander stark 
gegen den Ausgang. Die Beckenneigung ist vermindert, die Lenden- 
krümmung wenig ausgesprochen. Die Geburt ist schwierig und er¬ 
fordert häufig die Zange nach Vorausschickung längerer warmer 
Bäder und der knieend-kauernden Stellung der Gebärenden. Bandl 
mißt die Länge der Conjugata vera von den Bauchdecken aus, 
indem er mittelst 2 FiDgern die Bauchdecken so weit eindrückt, bis 
er das Promontorium erreicht. Mit dem Finger der anderen Hand 
markirt er sich am messenden Finger die Stelle der Symphyse. 
Die Untersuchende nimmt eine halbsitzende Stellung ein. Selbst¬ 
verständlich ist diese Messung nur bei Nichtschwangeren möglich. 

Eine neue richtige Anschauung über den Geburtsmecha¬ 
nismus bei Schädellagen hat Olshausen. Die Drehung des 
Rückens ist es namentlich, welche die Drehung des Kopfes verur¬ 
sacht. In der Austreibungsperiode liegt der früher seitlich gestandene 
Rücken schon vorn, nahe der Mittellinie. Der Rücken droht 
sich seiner Ansicht nach nach vorne: 1. wegen Abplattung des 
Uterus nach Abfluß der Wässer und 2. wegen Verminderung der 
Lateralversion und Lateralflexion während der Verkleinerung des 
Uterus. Die gleichen Ansichteh, aber unabhängig von Odshausen, 
bat Sutügin. Gleichzeitig nimmt er außerdem noch an, daß sowohl 
bei der I. wie bei der II. Scbädellage der Rücken ursprünglich 
nach der entsprechenden Seite und gleichzeitig etwas nach rückwärts 
gekehrt sei. Fernerhin meint er, daß bei der sog. IV. Schädellage 
(das Hinterhaupt nach hinten und links) sich die Frucht deshalb 
meist in die I. Lage begebe, weil der linke Uterusrand gewöhnlich 
mehr nach vorne gerichtet sei, als der rechte. JäMESFOüLIS erklärt 
die Ursache der Schädellage und insbesondere jene der I. Schädel¬ 
lage. Bis zum 6. Monate besitzt der Uterus in Folge einer relativ 
größeren Fruehtwassermenge eine Kngelform. Bis dahin kann die 
kleine Frucht ihre Lage beliebig verändern. Späterhin hat der Uterus eine 
Eiform, und zwar in Folge der Figur der Frucht. Der Hauptfactor für 
die Entstehung der Fruchtlage liegt in der Muskelkraft der Unter- 
extreraitäten der Frucht. Die Gravitation begünstigt blos die Wirk¬ 
samkeit dieser Kraft. Die rechts liegende Leber verleiht der Uterus- 
wand an dieser Stelle eine größere Widerstandskraft gegenüber den 
Stößen der Beine der Frucht. Der gekrümmte Rücken und der in 
Folge der schwachen Nackenmuskeln mit dem Kinn der Brust ge¬ 
näherte Kopf gleiten in Folge des Widerstandes, den die be¬ 
wegenden Beine rechts oben finden, immer tiefer nach links herab. 

In einer neuerlichen Arbeit trachtet Ahi.feld weitere Beweise 
für seine Annahme, daß das Fruchtwasser als Nahrungs¬ 
mittel der Frucht dient, zu liefern. Das Fruchtwasser ist wohl 
nicht die Hauptnahrung der Frucht, aber eine theilwoise Nährquelle 
derselben Die Gegenwart von Wollhaaren im Meconium erweist, 
daß dio Frucht Fruchtwasser schluckt, da aber im Darme derselben 
keine großen Wassermengen zu finden sind, so muß das verschluckte 
Fruchtwasser resorbirt werden. Das Fruchtwasser enthält immer 


F e u i 11 e t o n. 

Brief aus Amerika. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

New-York, Ende Juni 1890. 

(Die Volksz ililnng. — Ein PASTKUK-Instilnt. — Schluß der Colleges. — 
Berliner Congreß. — Eröffnung eines DUpensary.) 

Das wichtigste Ereigniß des Sommers ist die allgemeine Volks¬ 
zählung, welche am 1. Juni in den Vereinigten Staaten begonnen 
hat — die Ceususaufnahme erfolgt immer nach 10 Jahren. 
New-York zählt gegenwärtig 1,700.000 Einwohner, mit den ganz 
nahe gelegenen Städten Brooklyn, Gersey City, Long-Island City, 
Hoboken und Staten-lsland 3*, 2 Millionen Einwohner und ist 
auf diese Weise dio zweite Weltstadt, denn diese Städte sind 
von der Mauhattan-Insel nur durch schmale Wasserstreifen getrennt. 


Albumin, zuweilen sogar bis 25—30 Volums-Procent, besitzt daher 
nährende Bestandtheile. Ob es im Magen oder Darm resorbirt 
wird, ist unbekannt. Weiters berichtet er über gewisse zeitweilige 
fötale Fruchtbewegungen, die er mittelst der MAREY’schen Trommel 
fixirte. Es sind dies kurze rhythmische, in einigen Secunden wieder 
kehrende Stöße mit einer Frequenz von etwa 60 auf 1 Minute, 
die aber nicht dio Regelmäßigkeit der Herztöne zeigen. Diese 
Bewegungen sind wahrscheinlich dio Schluckbewegungen der Frucht. 

Nach Günther beruht die Hyperemesis gravidarum 
auf einem von den Uterusnerven ausgehenden und in den motorischen 
Magennerven zur Erscheinung kommenden Reize. Die Therapie muß 
daher auf den Uterus gerichtet sein und besteht nach ihm in der 
Anwendung des constanten Stromes, wobei die Anode auf die Cervix, 
die Kathode auf den 8.—12. Rückenwirbel zu liegen kommt. 5 in 
der Weise behandelte Frauen genasen binnen Kurzem. Jaffe 
schließt sich keiner der die Aetiologie betreffenden Hypothesen an. 
Ob das Leiden häufiger Primi- oder Multigravidae befällt, ist nicht 
entschieden. Es kann aber jederzeit, ausgenommen die 2 letzten 
Monate, ausbrechen. Im letzten Stadium tritt Nephritis hinzu, und 
gehen die Kranken an Verhungerungssymptomen zu Grunde. Die 
Diagnose ist leicht. Die dubiose Prognose hängt davon ab, zu 
welcher Graviditätszeit das Leiden ausbricht, ferner davon, ob die 
Frucht lebend oder todt ist u. dgl. m. Die Therapie ist exspectativ 
oder operativ. Im ersten Stadium ist ruhige Lage der Kranken 
und flüssige, leicht verdauliche Kost angezeigt. Wird letztere nicht 
vertragen, so sind Peptonklystiere indicirt. Brompräparate und 
Opiate sind die besten Mittel. Bei Lageveränderungen des Uterus, 
Entzündung des Uterus u. dgl. m. ist die entsprechende Therapie 
einzuleiten. Den besten Erfolg hat die künstliche Schwangerschafts¬ 
unterbrechung. 

Lantos glaubt nicht, daß die Eklampsie aus dem Ein¬ 
flüsse von im Harn nachweisbarer, chemisch wirkender Stoffe abzu¬ 
leiten sei. Die Nieren seien überhaupt nicht das Organ, welches 
den als Eklampsie bezeichneten Symptomencomplex hervorzurnfen 
vermöge. Derselbe finde vielmehr seine Erklärung in Störungen 
dos Nervensystems. Eine abnorme Erregung der Uterusnerven reize 
reflectorisch das vasomotorische Centrum in der Medulla oblongata, 
und die Folge davon sei Gefäßverengerung, resp. Anämie im Ge¬ 
hirne und diese könne wiederum Convulsionen, resp. Coma zur Folge 
haben. Da sich der gravide Uterus als eine reizauslösende, epilepto- 
gene Zone verhalte, so könne man das ganze Krankheitsbild als 
eine Epilepsia acuta peripherica bezeichnen. Für diese Auffassung 
spreche die nervöse Anlage vieler an Eklampsie Erkrankter und die 
Wirksamkeit des Morphiums, welches bekanntlich Gehirnhyperäraie 
erzeugt und dadurch die Anämie, sowie die Convulsionen bekämpft. 
Die häufig auftretende Albuminurie beruhe nicht auf Gewebsverände¬ 
rungen der Nieren, sondern stamme aus der durch die in der Utorus- 
wand verlaufenden Nerven hervorgerufenen reflectorischen Reizung 
der Nieren Vasomotoren. Die Albuminurie, wie die Oedeme seien 
demnach nur accidentelle, aber nicht essentielle oder occasiouelle 
Symptome der Eklampsie. Die Bahn, auf welcher die Anfälle und 
die Albuminurie ausgelöst werden, sei verschieden. (Forts, folgt.) 


Gelegentlich der Censusaufuahme hatten die prakticirenden Aorzte 
der obersten Sanitätsbehörde in Washington die Zahl und Namen 
der auf beiden Augen Erblindeten, der Tauben, der Geisteskranken, 
so wie aller am 1. Juni zum Erwerb in Folge Krankheit dauernd 
unfähigen Personen anzugeben. 

Eine der jüngsten Sommerblüthen ist das hiesige PASTEüR-Institut. 
Dank den Bemühungen des Dr. Gibier, eines jungen, tüchtigen anglo- 
amerikanischen Arzt s und Bacteriologen, der bei Pastbür in Paris 
gearbeitet hat, besitzt New-York jetzt auch ein solches Institut; 
ein Großcapitalist hat sich sogar erbötig gemacht, Gibibr ein Haus 
an der Tifth Avenue als Institut einzurichten; täglich kommen 
Patienten an, denn dio Hitze ist fast unerträglich, in New-York 
zwischen 90° und 100° Fahrenheit, in den Städteu des Westens 
und Südens im Juni und Juli meist über 100° Fahrenheit, und in 
Folgo dessen wallfahrten alle von Hunden Gebissenen zu Gibier. 

Während bei uns das Stillleben des heißen Sommers beginnt, 
werden alle Vorbereitungen zum Berliner Congreß getroffen. Die 


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hier zur So mm er modo gewordenen Europareisen^ das Aequivalent 
der Our- und Badereisenverordnung bei Ihnen — haben heuer auch 
die Acrzte ergriffen ; was Namen und Rang in der mediciniscben 
Welt Amerikas hat, besucht den Gongreß, nicht nur die deutschen, 
auch viele anglo amerikanische Aorzfe. Auf jedem einzelnen Dampfer 
iat selbst die letzte Schlafstelle belegt. Von den Aerzten der 
deutschen Poliklinik fuhren zum Congreß: der Laryngologe Dr. W. 
Frkudrnihal, die Gynäkologen Boldt und Cäsar v. Ramdobr 
und der Dermatologe Lüstgaktf.n. Letzterer hat nach kaum ein¬ 
jähriger Anwesenheit in Folge seiner wissenschaftlichen und didacti- 
schcn Tätigkeit durch den vorausgegangenen Ruf als Docent Ihrer 
Alma mator eine dominirende Stellung unter den ersten Aerzten und 
im Publikum. Dr. Lustgarten wird in Berlin eine neue Theorie 
des Verbrennungstodes vortragen. 

Eine andere Sommerblüthe ist die Ueberproduction von Aerzten 
aus den hiesigen zahlreichen Colleges, welche derzeit geschlossen 
sind. In Folge der jüngsten Schwierigkeiten wegen Anerkennung der 
hiesigen Diplome in Berlin ist eine Neuerung im Anzuge; die Studien¬ 
zeit soll auf 4 Jahre ausgedehnt und nebst theoretischen auch prak¬ 
tische Prüfungen eingeführt werden. Doch blieb auch die Gegen¬ 
maßregel nicht aus; Beit einigen Wochen kann kein eingewanderter 
Arzt registrirt werden, ohne zuvor ein medicinisches Examen in 
englischer Sprache zu bestehen ; ein erst kürzlich aus Wien ange¬ 
kommener Collego hatte schon darunter zu leiden; welche eminente 
Wichtigkeit das Sprechen und Verstehen des Englischen hat, fand 
ich übrigens selbst am besten, als es mir im Anfänge fehlte. 

Die letzte Neuigkeit aus New-York ist die Eröffnung eines 
der größten Dispensarys. Am 23. d. M. eröffnete nämlich das 
Mount Sinai - Hospital, eines der größten nnd reichsten hiesigen 
Hospitäler soin Dispensary. Aus Stein und Eisen mit einem Kosten¬ 
aufwand von 120.000 Dollars aufgebaut, durch ein Tunnel mit dem 
Hospital verbunden, enthält es alle Einrichtungen der modernen 
Baukunst, Ventilation und Heizung. Im ersten und zweiten Stock¬ 
werke befinden sich je eiu großer Warteraum für die Patienten mit 
den Zugängen zu den einzelnen Abtbeilungen, in der dritten Etage 
ist die Wärterinnenschule T ein ausgezeichnetes Institut des Mount 
Sinai-Hospitales (the Training-School for Nurses) und der Sitzungs¬ 
saal für den Frauen-Hilfsverein, der auch hier, wie in allen anderen 
Hospitälern auf die wohltbätigste Weise für die respectiven Institute 
arbeitet/ Im 4. nnd 5. Stocke sind die Beamlenwobnungen, im 6. 
die Küche und die Wäscherei. E. P. 


Kleine Mittheilungen. 

— Lebende Filegenlarven im Magen eines 6 1 /« Monate 
alten Kindes wurden von Dr. Laudon (Elbing) beobachtet. Der 
In Nr. 26 der „Deutsch, med. Woch.“ beschriebene Fall betrifft ein 
6 1 / a Monate altes Kind, welches sehr bald nach der Impfang, der 
denn auch, wie für viele andere Krankheiten, so auch für diese 
die Schuld beigemessen wurde, an Brechdurchfall erkrankte. Un¬ 
inittelbar darauf entleerte das Kind mit den wässerigen, dunkelgrün 
gefärbten Stühlen eine ungeheure Menge Würmer. Die Mutter gab 
mit Bestimmtheit an, daß die Entleerung der Thiere nicht täglich 
stattfinde, und daß sie nur in den 8tühlen, nicht im Erbrochenen 
enthalten seien. Die Krankheit dauerte verhältnißmäßig lange Zeit, 
im Ganzen 8 Wochen, und erfolgte dann der Tod unter den 
Erscheinungen der höchsten Erschöpfung. Das Kind war bei seiner 
Geburt gesund und kräftig gewesen und wurde von der Mutter, die 
häufig mit Arbeiten außerhalb des Hauses den ganzen Tag be¬ 
schäftigt war, künstlich ernährt, was eine andere Frau, zu 
der das Kind in Pflege gegeben war, mit dem Mehl- und Miloh- 
Scmmelbrei, deT in größerer Menge an demselben Morgen oder den 
Tag vorher bereitet war, zu besorgen hatte. Bei dem Mangel an 
Sorgfalt und Reinlichkeit, der in den ärmeren Kreisen häufig be¬ 
züglich der Kindernahrung beliebt ist, konnte es somit leicht ge¬ 
schehen, daß die Krankheit in Folge der durch die Fliegeneier ver¬ 
dorbenen Nahrung sich entwickelte, eine Entstebungsweise, auf die 
von Küchenmeister in seinem Lehrbuche hingewiesen wird. Die 
Parasiten wurden von Virchow und Prof. Chun in Königsberg ge¬ 
sehen. Chun nennt die Larve, als der Pferdebremse zngehörend, 


Tabanus, welche ihre Eier in die Nasenhöhle der Pferde legt. Die 
ausschlUpfenden Larven kriechen durch die Rachenhöhle bis in den 
Magen hinunter und setzen sich hier vermittelst des am Kopfe be¬ 
findlichen Häkchenpaares fest, so daß ein solcher Pferdemagen mit¬ 
unter damit austapezirt erscheint. Aebnlich dürfte sich auch das 
pathologische Bild des menschlichen Magens darstellen. Zu Sectionen 
scheint es wegen des im Allgemeinen günstigen Verlaufes dieser 
parasitären Krankheit selten oder gar nicht gekommen zu sein. 

— Intramusculäre Einspritzungen von Hydrargyrum 
thymolo-aceticum bei Syphilis werden von Dr. Hugo Löwenthal 
in Nr. 25 der „Deutsch, med. Woch.“ als eines der wirksamsten 
Mittel ompfohlen. Das essigsaure Thymolquecksilber ist eine Doppel¬ 
verbindung aus essigsaurem Quecksilberoxyd und Thymolqaecksilber. 
Es ist ein farbloses, krystallisirtes Salz und geruchlos im frischen 
Zustande. L. bediente sich im Anfang derselben Lösung, wie sie 
von Jadassohn und Zeis'NG angegeben wurde, nämlich 


Rp. Hydrargyrnm thymolo-acet. . . 1*0 

Paraffin, liquid.lO'O 


und injicirte von dieser Suspension eine Spritze in die Glutäen. 
Im Ganzen wurden auf der Poliklinik Senator’s 50 Männer und 
10 Frauen mit 293 Injcctionen behandelt. Wenn auch keine 
Abscesse und selten stärkere Infiltrationen auftraten, so warde doch 
häufig über lang anhaltende Schmerzen geklagt. Um diesem Uebel 
abzuhelfen, setzte L. dem Thymolquecksilberacetat Cocain hinzu und 
nahm statt des Paraffins Glycerin, weil letzteres für die Nadel der 
PRAVAz’schen Spritze sich besser durchgängig zeigte, so daß die 
Suspension folgendermaßen zusammengesetzt ist: 


Rp. Hydrargyr. thymolo-acetic. . . . 1*0 

Glycerin.10‘0 

Cocain, muriat.0 - l 


und hievon injicirte er eine Spritze. Der Erfolg entsprach den Er¬ 
wartungen. Die Klagen über Schmerzhaftigkeit hörten auf, kein 
Absceß, kaum eine Infiltration entstand. Fast alle Patienten setzten 
ihre Arbeit fort. Durchschnittlich wurde einmal wöchentlich injicirt. 
Was die Frage betrifft, nach wie viel Spritzen die syphilitischen 
Erscheinungen zurückgingen, so war dies bei den einzelnen Patienten 
sehr verschieden. Schon nach der zweiten Einspritzung waren die 
syphilitischen Erscheinungen bei mehreren jungen Männern gänzlich 
geschwunden, bei anderen verschwanden dieselben nach der 4. bis 
8. Injection vollständig. Indessen darf man sich nicht der Hoffnung 
hingeben, daß nach einor kurzen Cur von 2—6 Spritzen eiue voll¬ 
ständige Heilung, oder wenigstens eine Heilung für längere Zeit 
dadurch erzielt werde, man erhält schon in einigen Wochen Recidive, 
wenn man die Cur nicht bis auf 8—10 oder 12 Spritzen fortsetzt. 
Verf. faßt sein Urtheil folgendermaßen zusammen: Das Hydrargyrum 
thymolo-aceticum, intramusculär injicirt, bringt die syphilitischen Er¬ 
scheinungen schnell zum Schwinden; bei einer genügenden Auzahl 
von Injectionen, 10—12, treten Recidive nicht leicht auf; mit 
Cocain injicirt, verursacht es keinen wesentlichen Schmerz, keine 
Abscesae, selten eine stärkere Infiltration; Salivation ist fast aus¬ 
geschlossen, wenn nicht cariöse Zähne oder Cigarrenrauchen die 
Veranlassuug dazu abgeben; ferner ist niemals Enteritis beobachtet 
worden. 

— Dr. w. Plattfaut hat Pilocarpin gegen Laryngo-Bron- 
chiti8 cr0lip08a in einem in Nr. 6 der „Med. Monatschr.“ mitge- 
theilten Falle mit glänzendem Erfolge angewandt. Es handelte sich 
um ein 7jähriges Mädchen, das an echtem Croup so schwer erkrankt 
war, daß der Tod nach Aussage des behandelnden Arztes nahe 
bevorstand. P. fand das Bild einer hochgradigen Stenose der Luft¬ 
wege, Erscheinungen von eintretender Herzschwäche, ein Blasen an 
der Pulmonalis. Von der Erfolglosigkeit der verschiedenen Behand¬ 
lungsmethoden llberzongt, entschloß sich P., auf der stark secretions- 
beförderndeu Wirkung des Pilocarpins fußend, dieses Mittel zu ver¬ 
suchen, und zwar in ziemlich großen Dosen: 

Rp. Pilocarpin, muriatic.0 06 


Aq. dest.80 0 

Syrup.15*0 


MDS. Alle halbe Stunde einen guten Thee- 
löffel voll. 

Es war ungefähr 10 Uhr Abends, als die erste Dosis verabreicht 

2 


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wurde. Am anderen Morgen hatte sich die Scene rum Besseren 
geändert. Das Kind war nicht so cyanotisch, konnte etwas freier 
atbmen, der Puls war besser, Schweiß- und Speichelabsonderung 
enorm. Nach Angabe der Mnitcr hatte letzteres die ganze 
Nacht angehalten. Das Wichtigste aber war, daß das Kind gegen 
5 Uhr unter heftigem Husten und Würgen einen „lederharten“ 
Abguß des Larynx und der Trachea in den Eimer gespuckt batte. 
P. untersuchte die Lungen , fand jedoch nirgendwo wahrnehmbares 
Lungonathmen. Die kleinen Bronchien waren demnach noch mit 
membranösen Massen angefüllt. Da das Kind das verordnete 
Pilocarpin (0*06) anscheinend ohne Schaden genommen hatte, so ließ 
er die Verordnung repetiron und wieder alle halbe Stunde verab¬ 
reichen. Die Patientin hatte den ganzen Tag über zähe Massen 
aasgehustet, die in großer Zahl im Eimer schwammen. Die Unter¬ 
suchung ergab Abends vollständig freies Atbmen auf der rechten 
Lunge, die linke Lunge dagegen war noch nicht in Tbätigkeit. 
Das subjective Befinden der Pat. war ein ziemlich gutes, sie ver¬ 
weigerte aber alle Nahrung, nur von frischem Bior konnte sie nicht 
genug bekommen. Die weitere Verordnung war ein Senegadecoct 
mit Liq. ammonii anisat. und die Pilocarpinlösung, und ließ P. von 
beiden Medicamenten alle Stunde abwechselnd einen Theelöffel voll 
geben. Am nächsten Tage war auch die linke Lunge frei und das 
Befinden der kleinen Pat. ein recht befriedigendes, nur die Temperatur 
war noch nicht zur Norm zurückgekchrt. Am 8. Mai ist die Pat. 
wohlauf, ihre Stimme jedoch ist noch nicht klar und das anfangs 
erwähnte blasende Geräusch an der Pulmonalis ist noch ebenso 
deutlich. Auf Nachfrage wurde angegeben, daß das Kind vor zwei 
Jahren Gelcnksrhcumatismus durchgemacht hatte. Aus dem Verlaufe 
dieses Krankheitsfalles ergibt sich zweifellos, daß das Pilocarpin das 
Leben der kleinen Pat. erhalten bat. Im Ganzen war 5 Mal 
0‘06 — 0 3 in 60 Stunden zur Verordnung gekommen, also immerhin 
eine große Dosis für ein Kind, das dazu noch an einem Herz¬ 
klappenfehler litt. Ob das Mittel in jedem Falle von gemeinem 
Broncholaryngealcroup so prompt wirkt, kann nur eine größere 
Versuchsreihe ergeben. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 18. Jnni 1890. 

(Schluß. *) 

Dr. H. Oppenheim: Casutetischer Beitrag zum Capitel der Hirn¬ 
chirurgie. 

Redner will durch seine casuistischen Mittheilungen die An¬ 
regung geben, daß auch in Deutschland, wie das bisher bereits in 
Amerika etc. geschehen ist, die praktischen Resultate der chirurgi¬ 
schen Therapie der Hirntumoren in übersichtlicher Weise zusammen¬ 
gestellt werden. 

Was nun seine eigenen Mittheilungen anlangt, so betrifft der 
erste Fall eine 36jährige Frau, welche im September v. J. an Hirn¬ 
blutung mit linksseitiger vollständiger Lähmung und clonischen 
Muskelkrämpfen erkrankt war. Durch Darreichung von Chloral 
wurden die täglichen Anfolie auf 2—3 beschränkt. Ueber die Ent¬ 
wicklung der Erkrankung theilt Pat. mit, daß sie, bisher völlig 
gesund, am 1. September v. J. plötzlich eine Zuckung in der linken 
Schläfegegend empfunden habe, welche sich Uber die linke Gesichts¬ 
hälfte bis auf den linken Arm aasbreitete. Schwindel, Bewußt¬ 
losigkeit, allgemeine Krämpfe. Beim Erwachen verspürte Patientin 
Schmerzen in der rechten Stirngegend, der Mund war nach rechts 
verzogen. Von jetzt ab tägliche Wiederholung dieser Anfälle; 
Reizbarkeit, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen in der rechten Stirn¬ 
gegend. Sensorium und Augenbefund normal. Totale Lähmung des 
linken Armes, sowie deutliche Contractur. Im linken Bein Schwäche¬ 
gefühl; Steigerung der Sehnenphänomene. Die rechte Gesichtshälfte 


*) S. Nr. 28. 


ist für Berührung abgestumpft; Veränderung des Lagegefühles, fort¬ 
dauerndes Blinzeln, sowie Speichelfluß. Pulsverlangsamung, Er¬ 
brechen, Stauungspapille oder Nackenstarre nicht vorhanden. Trotz 
Fehlens dieser Symptome nahm Oppenheim als höchst wahrscheinlich 
eine Tumorbildung in der rechten motorischen Zone 
an. Dem allgemeinen Brauche gemäß leitete Redner zunächst eine 
antisyphilitische Cur ein, doch verschlimmerten sich in den folgenden 
Tagen die geschilderten Erscheinungen ganz bedeutend; es traten 
Erbrechen, Benommeosein, Lähmungsersoheinuugen in der Leitungs¬ 
bahn, Pulsbeschleunigung hinzu, so daß das Leben der Patientin 
offenbar nur noch durch eine schleunige Exstirpation des Hirntumors 
erhalten werden konnte. Auf den Umstand, daß Patieutin sieh im. 
6. Monate der Gravidität befand, konnte hiebei keine Rücksicht ge¬ 
nommen werden. 

Die Operation wurde am 26. April d. J. von Oberstabsarzt 
Köhler ausgeftihrt, nachdem Oppenheim demselben zuvor am 
Phantom die mutbmaßliche Stelle der Geschwulst, welche er für ein 
Sarcora oder Gliom hielt, bezeichnet hatte. Nach ungefährer Fest¬ 
stellung des Sulcus Rolandi wurde ein entsprechendes Stück des 
Schädeldaches herausgomeißelt. Keine Pulsation. Nach Durchtrennung 
der Dura mater wurden zwei Ilimzüge sichtbar, deren vorderer 
normale, deren hinterer dunkelblau gefärbte Gyri zeigte. Die 
letzteren enthielten den diagnosticirten Tumor, denn der eingeführte 
Finger stieß auf eine hühnereigroße Cyste und eine Coloidmasse von 
der Größe eines Daumens. Die Grenze der Geschwulst, welohe sich 
als ein cystisch degenorirtes Sarcom erwies, war nicht festzustellen, 
doch wurde der Tumor nach Entleerung einer großen Menge ge¬ 
ronnener Flüssigkeit zum größten Theil entfernt, alsdann mit Jodo¬ 
formgaze tamponirt und der Knochen an seine ursprüngliche Stelle 
znrückgebracht. Unmittelbar nach der Operation erreichte die Puls¬ 
frequenz wieder ihre normale Höbe. Am folgenden Tage waren die 
psychischen Anomalien, sowie die Benommenheit verschwunden, die 
Lähmung des linken Mundfaoialis zurückgebildet, die Armcontractur 
aufgehoben, die Schwäche des Beines vermindert. Auch die Sensi¬ 
bilität Heß Bich schon in den nächsten Tagen in .der linken Körper¬ 
hälfte deutlich nach weisen. Bei * andauerndem Wohlbefinden machte 
die Besserung der Patientin beständige Fortschritte, doch hielt die 
Lähmung des linken Armes noch längere Zeit an. Am 14. Mai 
wurde znm ersten Male eine geringe Bewegungsfähigkeit im linken 
Arm wahrnehmbar. Augenblicklich kann Patientin die früher total 
gelähmte Hand ziemlich gut bewegen. Die Operation hat demnach 
in dem vorgestellten Falle zu recht befriedigenden Resultaten geführt. 

Wesentlich anders lagen die Verhältnisse in dem zweiten vor¬ 
gestellten Falle, weil es hier weit schwieriger war, sowohl die 
Indication wie den Werth der eingeschlagenen Therapie scharf zu 
bezeichnen. 

Die 12jährige Patientin zeigte cerebrale Rindenlähmung, die 
sog. Hemiplegia Bpastica infantilis, von der Hemiplegie 
der Erwachsenen durch das Hinzutreten motorischer Reizerscheinungen 
der befallenen Seite, besonders der Epilepsie, unterschieden. Dieser 
Proceß ist entschieden als ein eigenartiger zu betrachten, bei welchem 
trotz der Verschiedenheit der anatomisch-pathologischen Veränderungen 
die encepbalitischen Symptome der Hemisphäre, besonders der 
motorischen Zone, mit Ausgang in Schrumpfung, Porencephalie, 
Narben- und Cystenbildung in den Vordergrund treten. 

Setzt daher dieser Proceß, wie anzunehmon ist, nach Art einer 
Narbe einen dauernden Reiz, so wird der operative Eingriff am 
schnellsten nnd sichersten Heilung bringen. Diese Fälle fordern 
umsomehr zur Operation auf, wenn man in Betracht zieht, daß sie 
weiterhin mit Epilepsie und schließlich mit Idiotie verlaufen, während 
jede andere Therapie erfolglos bleibt. 

Die vorgestellte Patieutin wurde zuerst im 4. Lebensjahre von 
Krämpfen der linken Körperhälfte befallen, in deren Verlauf eines 
Tages Bewußtlosigkeit, Parese des rechten Armes und Beins, Ent¬ 
wicklung einer Contractur und Athetose sich einstellten. Kein Kopf¬ 
schmerz, keine Dementia. Wegen der in der Folgezeit täglich mehrmals 
auftretenden Krampfanfälle, die durch jeden Schreck ausgelöst 
werden konnten, wurde auf Verlangen der Patientin im April d. J. 
die probatorische Aufmeißelung des Schädels von Prof. Sonnenbürg 
vorgenommen. 


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1890. 


Prof. Sonnenburu: Bisher sind nur die Fälle von eerebraler 
Rindenepilepsie nach Trauma, nicht aber die von infantiler spastischer 
Hemiplegie chirurgisch behandelt worden. Im Allgemeinen hält man 
diejenigen Fälle in operativer Beziehung för günstig, bei denen die 
Krampfanfälle, von bestimmten Muskelgruppen ausgehend, sich über 
eine Extremität ausbreiten, und zwar aus dem Gründe, weil ganz 
bestimmte Centren in der Rinde ganz bestimmten Muskelgruppen 
entsprechen und eine Reizung der erstercn Krämpfe der letzteren 
ftuslöst. Diese Momente ließen aueh in dem vorliegenden Falle die 
Aufmeißelung des Schädels und die etwaige Entfernung eines patho¬ 
logischen Productes indicirt erscheinen, zumal in letzter Zeit eine 
Wesentliche Verschlechterung des Zustandes eingetreten war. Am 
}&. April d. J. hat Sonnbnbdrg die temporäre Resection des 
Schädeldaches ausgeführt. Der Schnitt wurde in die Mitte der durch 
Messing festgestellten RoLANü’scben Furche verlegt. Nach Aus- 
pieißelung des Seidels war an der Dura keine Pulsation wahrzu- 
Bebmen. Die Dura wurde durch Kreuzsohnitt eröffnet, und sofort 
drängte sich eine bläulich gefärbte Geschwulst in die Schädelöffnung, 
doch konnte oiese die cysteoartige Geschwulst nur in ihrer oberen 
Hälfte fassen, während die untere noch unter dem Knochen ver¬ 
borgen lag. Nach Eröffnung der Cyste ließen sich an der bloßgelegten 
Hirnoberfläche durch faradieche Reizung sofort Zuckungen im Arm 
auslösen, ein Beweis, daß man den Sitz der Affection getroffen hatte. 
Resection der Cystenwandung; Naht der Dura mit Catgut, Zurück¬ 
pflanzung des trepanirten Schädelstückes, Vereinigung der darüber 
gelegten Haut durch Sutur, Verband; vollständige Heilung der Wunde 
nach 3 Wochen. 

Der unmittelbare Effect der Operation war zunächst eine Ver¬ 
ringerung der Athetose, sowie der Contracturen. Dagegen trat am 
5. Tage nach der Operation wieder ein epileptischer Anfall auf und 
wiederholte sich, indeß waren die Intervalle der Anfälle entschieden 
größer, die Heftigkeit derselben wesentlich geringer geworden. 
Immerhin bedarf die Operation bezüglich des Resultates einer vor¬ 
sichtigen Beurtheilung. Da aber der operative Eingriff an sich ohne 
Gefahr und ohne Nachtheil für die Patientin durchzuführen ist, so 
Kt derselbe im Interesse der Theräpie als berechtigt anzusehen; 

—r. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sottätä de biolog ie. 

Sitzung vom 14. Juni 1890- 

Brown-S tauARD. lieber die Wirkung der Testikeiflüssigkeit. 

Redner erinnert an seine bereits früher raitgetheilten Versuche 
über die roborirende und verjüngende Wirkung der subcutanen Iu- 
jectioncn von Testikelflüssigkeit und hebt nochmals hervor, daß die 
an sich selbstgemachten Beobachtungen gezeigt haben, daß die cerebrale 
und Rückenmarkstbätigkeit ganz besonders erhöht wurden. Im Laufe 
der nächsten 3 Monate wiederholte er an sich die Injectionen nicht 
mehr ond konnte folgende Wahrnehmungen machen: In den ersten 
6 Wochen nach den Injectionen blieben die erhöhten Functionen 
unverändert, erst nach Ablauf dieser Zeit trat eine Schwächung ein; 
zunächst nahm die Arbeitsfähigkeit ab, dann die Muskelkraft, hierauf 
die Kraft des Harnstrahls, später die Darmfunction. Bbown-Sequard 
hatte nicht die Absicht, die Injectionen weiter fortzusetzen; als er 
aber von einem heftigen Keuchhusten befallen und in Folge dessen 
sehr geschwächt wurde, mußte er wieder zu dem Mittel greifen, 
welches ihm bereits einmal so werthvolle Dienste geleistet. Da ihm 
aber die Mittel zur Sterilisirung der Injectionsflüssigkeit nicht zur 
Verfügung standen, mußte er zu einem anderen Modus greifen, nämlich 
zur Injection der Flüssigkeiten in’s Rectum, und konnte sich über¬ 
zeugen, daß auch bei dieser Verabreichungsweise dieselben Resultate 
erzielt werden, wie bei der subcutanen Injection. Die einzige Un¬ 
annehmlichkeit dabei ist eine leichte locale Reizung, die überdies 
auch nur dann auftritt, wenn die injicirte Flüssigkeit zu concentrirt 
ist, und die man daher leicht dadurch vermeiden kann, daß man 
die Injectionsflüssigkeit vorher verdünnt. Allerdings muß man, um 
das gewünschte Resultat zu erzielen, größere Quantitäten verwenden 


als bei der subcutauen Injection, doch fällt dieser Umstand nicht in 
die Wagschale, da die Injectionen vollständig unschädlich sind. 

Er injicirte demnach jedes Mal die durch Verreibung von 
zwei Meerschweinchenhoden bereitete Flüssigkeit, die mit 50 Kub.- 
Cm. destillirten Wassers verdünnt wurde. Die Wirkung dieser 
Rectalinjection war ganz dieselbe wie bei den subcutanen. 

Von den vielen seit seiner ersten Mittheilung in der Literatur 
erschienenen Publicationen über dieses Thema erwähnt Redner nur 
einige glaubwürdige und von bekannten Autoritäten mitgetheilte Fälle. 

Bei Malariakachexio hatte die Injection von Testikelflüssigkeit 
die besten Erfolge. In einem Falle war der Erfolg ein geradezu 
wunderbarer, trotz der Unvorsichtigkeit des Arztes: Ein im letzten 
Stadium der Kachexie stehender Maon, der sich wegen der enormen 
Schwäche kaum rühren konnte und ans Bett gefesselt war, erhielt 
eine Injection von Testikelflüssigkeit eines vor mehreren Stunden 
crepirten Schafes; die Temperatur der Flüssigkeit war 32°. Es 
entstand ein ganz kleiner, localer Absceß, aber die Allgemein- 
wirkuog war höchst auffallend und merkwürdig, denn schon am 
nächsten Tage stand der Kranke auf und trat in die Reconvalescenz. 
Weitere Injectionen beschleunigten die Heilung, die seit einiger Zeit 
anhält. 

In manchen Fällen von Tabes trat auf Injectionen von Testikel¬ 
flüssigkeit eine auffallende Besserung ein, allerdings versagte diese 
Behandlung in anderen Fällen; auch bei Hemiplegie in Folge von 
Gehirnläsionen erfolgte oft eine auffallende Besserung. 

Bei Lepra erzielte Süzor auf der Moriz-Insel und Redner 
selbst auffallende Besserung. Bei Dyspepsie, sowie bei gewissen 
Formen von Incontinentia urinae wurden ebenfalls auffallende Re¬ 
sultate erzielt. So beobachtete d’Arsonval einen französischen Ge¬ 
lehrten , der seine Arbeit wegen zweierlei Störungen unterbrechen 
mußte, die ihn seit langer Zeit plagten, nämlich Incontinentia urinae 
und häufige, ohne nachweisbare Ursache auftretende Schüttelfröste. 
Der Patient entschloß sich zu den Injectionen mit Hodenflüssigkeit. 
8cbon nach der ersten verschwanden die Schüttelfröste, und bald 
hörte auch die Incontinentia auf. Die Besserung war eine so be¬ 
deutende, daß Pat. seine Beschäftigung wieder aufnehmen konnte, 
bei der letzten Weltausstellung in Paris eine rege Thätigkeit ent¬ 
faltete und gegenwärtig vollständig seinem Berufe nachgeht. Bei 
Anämie, aus welcher Ursache immer, insbesondere bei solcher in Folge 
von Hämorrbagien, leistet die Hodenflüssigkeit wahre Wunder. 
Bhown-Sequabd eitirt namentlich folgenden, sehr beweisenden, wenn 
auch tadelnswertben Fall: Ein Arzt, dessen Frau naoh einer Metror¬ 
rhagie sehr erschöpft war und der blindes Vertrauen in diese In¬ 
jectionen batte, entschloß sich zu folgender, sehr seltsamen, aber in 
diesem Falle wirksamen Behandlung: Nach einer Cohabitation mit 
seiner Frau sammelte er das Sperma in einer Fischblase und in¬ 
jicirte der Patientin subcutan 1 Kub.-Cm. dieser Flüssigkeit; die 
Besserung erfolgte rasch. Die Metrorrhagie wiederholte sich noch, 
aber dieselbe Behandlung brachte endlich Heilung. Obgleich diese 
Behandlung sehr beweisend ist, so empfiehlt Brown-Seqüard durch¬ 
aus nicht, Sperma zu injiciren, sondern die durch Verreibung von 
Testikeln erhaltene Flüssigkeit. 

Schließlich weist Redner den Einwand zurück, als ob die 
durch Testikelflüssigkeit erzielten Wirkungen auf Suggestion zurück- 
zuführen wären. Dagegen spricht zunächst die Thatsache, daß häufig 
die Wirkung erst nach wiederholten Injectionen sich einstellt; ferner 
beweist folgendes Experiment das Gegentheil: Einem Kranken wurden 
Wasserinjectionen gemacht und wunderbare Wirkungen vorausgesagt, 
das Resultat war gl« ich Null. Als nun bei demselben Kranken In¬ 
jectionen mit Hodenflüssigkeit gemacht wurden, ohne ihm von dem 
Wechsel der Injectionsflüssigkeit Mittheilung zu machen, stellte sich 
die erwartete, aber nicht vorausgesagto Wirkung sofort ein. Der 
deutlichste Beweis für die Unhaltbarkeit der Suggestionshypothese 
ist aber die Wirkung der Testikelflüssigkeit bei Irren, die der Sug¬ 
gestion doch unzugänglich sind. 

Brown Seqdard schließt mit der Aufforderung an die Aerzte, 
die Anwendung der Testikelflüssigkeit häufig und mit aller Vorsicht 
zu versuchen. K. 


?.* 


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1199 


1Ö90. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


1200 


Notizen. 

Wien, 26. Juli 1890. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung des Obersten 
Sanitätsrathes vom 19. Juli d. J. wurde nach Mittheilung der 
neuesten Nachrichten über den Stand der Cholera in Spanien, 
wo dieselbe nur geringe Fortschritte gemacht hat, und in Kleinasien, 
wo sie in letzter Zeit mit großer Heftigkeit auftritt, zur Berathung 
über die Zulässigkeit der eventuellen zeitweiligen Einleitung 
von Schwarzawasser in die Wiener Hochquellen¬ 
leitung im Falle des unbedingten Bedarfes geschritten. Der 
Oberste Sanitätsrath präcisirte die Bedingungen, unter welchen im 
Bedarfsfälle provisorisch das Schwarzawasser in Benützung gezogen 
werden könnte, und befaßte sich überdies mit der in sanitärer Be¬ 
ziehung außerordentlich wichtigen Frage der Trink- und Nutzwasser- 
beschaffung für Wien, mit besonderer Rücksicht auf die in Ver¬ 
handlung stehende Vereinigung der Vororte mit Wien. Der Oberste 
Sanitätsrath erstattete in dieser Beziehung bestimmte Vorschläge, 
betreffend die Nothwendigkeit der Heranziehung neuer 
Wasserbezugsquellen, womöglich unter Aufrechthaltung des 
einheitlichen Systemes der Wasserversorgung, für welche die Hoch- 
quellen als keineswegs zureichend erachtet werden können. — 
Hierauf referirte Ober-Sanitätsrath Prof. Dr. M. Grober namens 
des Specialcomitcs, welches sich mit der Frage der Beschaffung 
animalen Impfstoffes zu befassen hatte, über die von dem¬ 
selben in Antrag gebrachten Maßnahmen und über die ausgear¬ 
beiteten Regulative, bei deren Verfassung die Ergebnisse der im 
Ministerium des Innern abgehaltenen Enquete vou Sachverständigen 
im Impffache berücksichtigt worden sind. Den Anträgen dieses 
Fachcomites beistimmend, beschloß der Oberste Sanitätsrath, dringendst 
zu empfehlen, daß ehestens, und zwar zunächst für den Bedarf an 
Impfstoff zu Noth-Impfungen, welche die verläßlichste propbylactische 
Maßregel bei Blattern - Epidemien bilden, ein Staats-Impf- 
Institut zur Erzeugung vollkommen verläßlicher animaler Impf¬ 
lymphe errichtet werde. — Außerdem wurden über Initiativ-Anträge 
Beschlüsse gefaßt, und zwar: 1. betreffend die Wahrnehmung der 
sanitären Interessen bei der eventuellen Vereinigung 
der Stadt Wien mit den Vororten durch eine Vervoll¬ 
kommnung der unzureichenden Sanitäts Organisation in Wien, die 
derzeit noch der Mitwirkung eines besonderen sanitären Faohrathes 
entbehrt*, 2. betreffend die Rücksichtnahme auf die Errichtung hin¬ 
reichender 8piel- und Turnplätze bei Auflassung der Wiener Linien- 
wälle, sowie auf die Begünstigung eines nicht geschlossenen 
Bausystem es und auf die Anlage öffentlicher Gärten. 

(Virchow contra Huchard.) In der von Herrn 
JIuchard vom Zaune gebrochenen unerquicklichen Discussion über 
die Frage des Besuches des internationalen (Kongresses dnreh fran¬ 
zösische Aerzte, eine Frage, welche im Uebrigen durch die zahl¬ 
reichen Anmeldungen hervorragender französischer Forscher im posi¬ 
tiven Sinne gelöst ist, hat nunmehr Vibchow das letzte Wort ge¬ 
sprochen. Seine in der letzten Nummer der „Deutschen med. W.“ 
veröffentlichte Enunoiation, welche einer vornehm gehaltenen und 
darum doppelt empfindlichen Abfertigung gleichkommt, lautet: 

„Herr Huciuud ist in seiner Agitation gegen den Besuch unseres (Kon¬ 
gresses durch französische Aerzte jetzt dahin gelangt,' daß «r von m.r ver¬ 
langt, ich sollte entweder meine Aussagen vom Jahre 1871 widei rufen oder 
das Präsidium des Organisations-Comics des (Kongresses niederlegen; falls 
weder das eine, noch das andere geschehe, sei es gegen die nationale Ehre, 
daß französische Aerzte sich nach Berlin zum Congresse begeben. 

Diese mit jeder Woche gesteigerte Hetzerei — das gerade Gegen¬ 
stück des „4 Berlin“ von 1870 — basirt auf der Voraussetzung, daß meine 
Ausführungen über den jisychischen Zustand vieler Franzosen in der Zeit vor 
und nach 1870 eine schwere Beleidignug enthalten hätten. Ich erkläre dem 
gegenüber, daß ich auch nach wiederholter Durchlesung meines Artikels „Nach 
dem Kriege“ nichts beleidigendes darin finde. Möge doch Jeder, der sich für 
internationale Verständigung intenssirt, sich der Mühe unterziehen, diesen 
Artikel nachzulesen; ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Niemand dies 
ohne einigen Nutzen thun wird. 

Der Inhalt dieses Artikels ist. kurz gesagt, die Untersuchung der Frage, 
ob der Chauvinismus eine krankhafte Erscheinung ist. Ich 
gelange zu dem Schlüsse, daß er eine Krankheit sei und daß er zu der großen 
Gruppe jener psychischen Epidemien gehöre, welche so oft die Geschichts¬ 
schreiber der Medicin beschäftigt haben, und über welche ich im Jahre 1849 
einen Artikel veröffentlicht habe, in dem ich unserem eigenen Volke, gewiß 
nicht in der Absicht der Beleidigung, ein Bild seines psycho-pathologischeu 


Zustandes entrollte. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß Chauvinismus 
und Größenwahn nahe an einander stoßen. 

In dem Artikel „Nach dem Kriege“ ist die damalige Situation nicht 
beiläufig, sondern uuter Beibringung zahlreicher Thatsachen und ausgiebiger 
Citate erörtert worden. Wir, die Deutschen, waren die Angegriffenen; ich 
selbst befand mich in der Abwehr, nicht im Angriff. Für mich bedingte * 
jedoch die Auffassung, daß der Chauvinismus eine krankhafte Erscheinung 
sei, eine Milderung im Urtheil. Denn wenn er das nicht ist, was könnte er 
sonst sein, ajs eine Niederträchtigkeit? Ich weiß, daß es zu allen Zeiten so¬ 
genannte „Patrioten“ gibt, die in chauvinistischer Agitation persönliche Vor- 
theile suchen, und denen eine Gelegenheit dazu höchst erwünscht ist. Aber 
diese Patrioten brauchen für ihre Agitation eine gewisse krankhafte Prä¬ 
disposition im Volke. 

Ist es nnn eine Beleidigung, eine solche Frage ernst zu erörtern? Herr 
Hüchard wird nicht müde, das zu behaupten Ich hoffe, er täuscht sich in 
der Zeit. Die französische Nation ist nach meiner Auffassung durch reciit : 
schwere Erfahrungen von den Verirrungen der chauvinistischen Periode geheilt 
worden. Sie nimmt ihren Platz unter den europäischen Völkern wieder ein, - 
wir begegnen einander mit Gefühlen der gegenseitigen Achtung und mit der 
Absicht friedlichen Wettstreits, und wir Anderen empfinden es als eine Pflicht, 
unseren Nachbarn darin in aller Loyalität und mit größter Freundlichkeit 
entgegenzukommen. Möge die Zukunft zeigen, daß die Störenfriede Sich über 
ihre Bedeutung getäuscht haben! 

Rudolf Virchow.“ 

(X. intern, med. Congreß.) Das Organisation s- 
Comitö des (Kongresses besteht bekanntlich aus den Herren 
Virchow (Vorsitzender), v. Bergmann, Leyden, Waldkyer (Stell 
Vertreter des Vorsitzenden) und Lassar (Generalseeretär). Zu diesen 
ist dann als Schatzmeister Sanitätsrath Dr. Bartels getreten, und. 
neuerdings haben die umfassenden Arbeiten und Repräsentations¬ 
pflichten den Beschluß herbeigefübrt, noch folgende Herren um ihren 
Eintritt zu bitten: Den Generalstabsarzt der Armee Dr. v. Colek, 
dessen Initiative die Antheilnähme der leitenden Sanitiltsofficiere des 
gesammten Auslandes, sowie die Einrichtung einer großartigen 
Ausstellung des preußischen Militär - Sanitätsweseus zu danken 
ist; Dr. A. Martin, auf dessen persönliche Vermittlung der IX. Congreß 
sich im Jahre 1887 zu Washington entschloß, im August d. J. iu 
Berlin zu tagen; Geheimrath Pistor, den Herausgeber der vom 
Deutschen Reich und vom preußischen (Kultusministerium dom 
Congreß gewidmeten Festschrift;.' den Decan der Berliner medi- 
cinischen Facultät Geheimrath Bardeleben und den Vorsitzenden 
des Deutschen AerzteVereinsbundes Geheimrath Graf (Elberfeld). 
Auf solche Weise verstärkt, darf das Organisation-Comit6 sich den 
großen Aufgaben, die noch vor ihm liegen, uni so mehr gewachsen 
fühlen und auf einen vollen Erfolg der Versammlung rechnen. 

(Personalien.) Am 16. (1. M.. beging der Altmeistor 
deutscher Kinderheilkunde, Prof. Eduard Henoch in Berlin, unter 
reger Betheiligung der ärztlichen und gelehrten Kreise der deutschen 
Metropole die Feier seines 70. Geburtstages. —- Doc. Dr. Gustav 
Gärtner in Wien ist zum a. o. Professor für allgemeine und 
experimentelle Pathologie an dieser Hochschule ernannt worden. — 
Dr. Franz Torggler hat sich als Privatdocent für Geburtshilfe 
und Gynäkologie an der Universität Innsbruck habilitirt. — Dr. 
Röchelt in Meran erhielt den Titel eines k. bayerischen Hofrathes. 

(Wiener allgem. Poliklinik.) Die seit der Erkran¬ 
kung des seither verstorbenen Doc. Dr. Hock vom Doe. Dr. König¬ 
stein supplirte zweite Angenabtheilung wurde jüngst durch die Wahl 
Prof. Mauthner’s, des bekannten ausgezeichneten Ophthalmologen, 
neu besetzt. Daß Doc. Königstein, welcher dem Institute durch 
15 Jahre angehörte und sieh wissenschaftlich wie didactisch hervor- 
gethan hat, die nöthige Stimmenanzahl nicht erhielt, erregt allge 
meines Erstaunen und ist, wie wir liöreu, der maßlosen Agitation 
einer einzelnen Persönlichkeit zuzuschreibon. Es bleibt immerhiu 
bedauerlich und gereicht der Anstalt nicht zur Ehre, daß ein junger, 
strebsamer Arzt und Lehrer, der durch Jahre seine ganze Kraft dem In¬ 
stitute widmete, persönlicher Rancune weichea mußte. Dem Vernehmen 
nach wird Dr. Königstein seine sehr gut besuchten (Kurse über 
Diagnostik und Therapentik der Augeukrankheiten nunmehr im 
Allgemeinen Krankenhause abhalten. 

(Amtliches.) Das Ministerium des Innern hat auf Gmnd eines Gut¬ 
achtens des Obersten Sanitätsrathes mit dem Erlasse vom 30- Juni d. J. den 
Verkauf und Vertrieb des sogenannten „amerikanischen Haarwassers 
von Prof. White* wogen naebgewiesenen Gehaltes an Blei als gesundheits¬ 
schädlich verboten. 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Wien der Polizeibezirks¬ 
arzt Dr. Adolf Jurie E. v. Lavandal, 53 Jahre alt, nnd der 
I praktische Arzt Dr. Ferdinand Dietl im 72 Lebensjahre; iu 


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1201 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 30. 


1202 


London der Anatom William Kitchbn Paeker, einer der hervor¬ 
ragendsten Hißtologen Englands, früher Professor der vergleichenden 
Anatomie am Royal College of Surgeons, und der älteste Vertreter 
der Hygiene in Großbritannien, Sir Edwin Chadwick, 89 Jahre alt. 

Dr. Taob, Leiter der Wasserheilanstalt im Badener Parke nnd Cararzt iu 
Baden, Benngasse 13._ 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Offene Correspondenz der Redaction und Administration. 

Herren Dr. H. in Auscha; Dr. S. K. in Netolitz; J. H., Districtsarzt in I 
Bergstadt (mit „Bundschau“). Bestätigen auf ansdriick liches Ver- j 
langen den Empfang des Abonnementsbetrages für „Wiener Med. Presse 4 
und „Wiener Klinik.“ 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Für Herren Doctoren l 

Ein zahnärztliches und zahntechnisches Atelier in Wien, I., gelegen, 
mit gatem Kundenkreis, sämmtlichem Inventar, sowie allen zahnärztlichen und 
zahntechnischen Instrumenten und Maschinen etc. ist »ogieich für den festgesetzten 
Preis von nur fl. 2500 gegen Cassa zu übernehmen. Gefällige Anträge werden 
unter Chiffre „Zahnarzt Nr. 506 4 zur Weiterbeförderung an die Admini¬ 
stration der „Wiener Mediz. Presse“, Wien, I., Maximilianstraße 4, 
erbeten. 506 

Für einen Doclor 

wird in einem der größten Ateliers in Wien für künstliche Zähne. Plombiren etc. 
gründlicher Unterricht, ohne Honorar zu zahlen, ertheilt und kann sofort ein- 
treten. Gef. Anträge werden unter Chiffre „Zahnarzt Nr. 506 1 zur 
Weiterbeförderung an die Administration der „Wiener Mediz. Presse“ in 
Wien, I., Maximilianstraße 4, erbeten. 506 

Bei der k. k. Salinenverwaltung in Kaozyka (Buko¬ 
wina) ist die Stelle eines Salinenarztes, Doctors der gesamuiten Heilkunde, 
mit den jährlichen Bestallungsbezügen, und zwar vom Salinenärar 520 fl., 
von der Salinenbruderlade 100 fl., zusammen 620fl., zu besetzen. Pensionirte 
Militärärzte werden bevorzugt. Gehörig belegte Gesuche sind bis 10. August 
1. J. bei der Salinenverwaltung Kac^yk a einzubringen. . 652 

K. k. Salinenverwaltung Kaczyka, den 8. Juli 1890. 

In der Sanitätsgemeinde Persenbeug a. d. Donau (Be¬ 
zirk Amstetten, Niederösterreich), bestehend aus den Ortsgemeinden Persen¬ 
beug, Hofamt-Priel und Gottsdorf, ist vom 1. September oder 1. October 1. J. 
an die Stelle eines Gemeindearztes zu besetzen. Mit dieser Stelle ist fol¬ 
gender Jahresbezug verbunden: 1. Landessubventiou 30J fl. 2. Subvention 
der Sanitätsgemeinde Persenbeug 300 fl., zusammen 600 fl. Die weiteren 
Bedingungen könuen bei gefertigtem Gemeindevorst<mde eingesehen, werden. 
Bewerber um diese Stelle, für welche in erster Reihe Doctoren der gesammten 
Heilkunde berücksichtigt werden, wollen ihre Gesuche mit Beilage des Diploms 
und der Nachweisungen über Geburts- und Heimatsverhältnisse, ärztliche 
Praxis etc. bei der Vertretung der Sanitätsgemeinde Persenbeug bis 31. August 
1. J. einbringen. 654 

Persenbeug, 11. Juli 1890. 

Für die Vertretung der Sanitätsgemeinde Persenbeug: 

A. Froschauer, Bürgermeister. 

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geruchloses, ungiftiges 

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fiir chirurgische und augenärztliche Zwecke. Im Einverstandniss mit Pvof. Dr. Stilliu g 
stelle ich zunächst folgende Pyoklaninprä parate dar: 
Verbandstoffe i°/„, (blau und gelb): Gaze, Watte, Seide: 2 % Streu¬ 
pulver { blau und gelb); Streupulver für ophtlialmologische Zwecke 
i°/m (gelb); Stifte (blau und gelb) grosse und kleine Foim; Salben (blau und gelb). 
„Pastillen hi Grm. u.o« Grm. Pyokiauin (b!?u u. gelb) zur Bereitung von Lösungen. 

Besondere Wünsche der Herren Aerzte bezüglich anderer Formen 
von Pyoktaninpraparaten werden thunlichst berücksichtigt. 

Mau achte auf die eingetingene Schutzmarke: „Pfeil*. 00t) 

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liegt 800 Meter üherdem Meeresspiegel, in einem dichten 
Nadelwalde. Windstille, vollkommene Staubfreiheit, reiue 
balsamische Lutt, kaum nenneDswerthe Temperatnr- 
• cüwankungen. sehr früher warmer Frühling, pracht¬ 
voller Spätherbst sind die B°dingungen, welche dieses 
Hochthal zu einemklimatiacheu Curort* par excel len ce 
stempeln, der ausser über oben erwähnte Heilfactoren 
noch über folgende unterstützende Heilpotenzen ver¬ 
fügt: Pneumatische Kammer, Jnhalationssaal, vorzüglich 
eingerichtete Wasserheilanstalt, hydro-elektrlsche Bader, 
Heilgymnastik und Massage. 

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Vou den ersten medicinischeu Autoritäten bestens empfohlen: 
bei Hautkrankheiten, bei Affectlonen des Nervensysteme, besonders 
bei Hysterla. Chorea, Hypochondrie, Hyperä«tbesle etc.; bei chronischen 
FrauenkrHiikhelten, h»upUAcbllch bei schleichenden Metritldm, Ulero- 
Vaglnalkatarrheu eto.; bei Säfteverlusten, bei Pellagra, bei Mn laria- and 
Wwhselfleber and bei Angina eis Qnrgelweeeer. 

Man trinkt za jeder Jahresseit 1—4 Etelöffel «oll ttglieh, je nach den 
Alter and der Constitution de« Patienten 

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tkimern Oebr. Doctorcu Wals, Reucegi». 

Depots: K. k. Hof-Hlseralwa-eer-Nlederlege, Wies, 1., Hildpret- 
markt 5; Apotheke eam schwarsea Bären, I., Legeck S; Heinrich Hatte ei, 
Wien, Tnchlanhee, Haltonihof; Apotheke I., HimMelpfortgssse 17; Apotheke 
I., Am Hof 8 und in allen Mineralwasserhaudlnugen und Apotheken. 

448 


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mit Erfolg Angewandt bei: 

ff 5 ^]) Rheumatismen aller Art, bei 

|; M% J Hals- und Nasenleiden, bei vielen 

Krankheiten der Haut, der Blase, 
des Magens and Darmosnals, sowie 
des Nervensystems. 

Wird empfohlen von den Herren 

Professor Dr Edlefsen in Kiel, Wirkl. Staaterath Dr. Edelberg in 
St. Petersburg, Oberarzt Dr. EtiQel-Reimers in Hamburg, Professor Dr. 
Eulenburg in Berlin, Privatdocent Dr. V 08 Hebra in Wien, Professor 
Dr. L. Hirt in Breslau, Dr. Ackermann in Weimar, Stabsarzt Dr. Lorenz 
in Metz, Dr. M Lange und Dr. von Hoffmann in Baden-Baden, Dr.~ 
L. G. Krau» in Wien, Professor Dr. E, Schwenlnger in Berlin, Stadt¬ 
arzt Dr. J. Mudra in Zebrac, Regimentsarzt und Truppenspitalsleiter 
Dr. Vincenz Svoboda in Göding (Mähren), Geheimrath Professor Dr. 
Tobold in Berlin, Dr. P. G. Unna, dir. Arzt der Privat-Heilanstalt für 
Hautkranke in Hamburg, Professor Dr. Zuelzer in Berlin, Geheimrath 
Prof. Dr. von Nussbaum in München ». a. m. 

Ausserdem wird das Mittel in verschiedenen Krankenhäusern 
angewandt, von denen nur die grösseren genannt seien: 

Allgemeines Krankenhaus in Hamburg (in verschiedenen Abtheilungen 
desselben), Königl Charite in Berlin (in verschiedenen Abtheilnngen 
derselben), St. Hedaigs Krankenhaus in Berlin (Director Geheimrath 
Dr. Volmer), Städtisches Krankenhaus Moatit in Berlin (Director Dr. 
P Guttmann), Heilanstalt für Nervenkranke (dir. Arzt Dr. AI brecht 
Erltnmeyer) in Bendorf am Rhein, German-Hospital, London-Hotpltal, 
St Mary’s Hospital in London u. a. m. 

Zur Anwendung 

kommt Iohthyol in folgenden Formen: 

Tchthyol - Ammonium (vulgo: „Ichthyol“), sowie auch Ichthyol - Natrium, 
-Kalium, -Lithium, -Zincum; ferner 10°/ o and 30”/ 0 alkohol-ätherische 
Ichthyol-Lösung, Ichthyol-Pillen, -Kapseln, -Pflaster, -Watte und -Seife 

und Ist zur Vermeidung von Falslflcaten genau auf unsere Schutz¬ 
marke zu achten. 

Vor anscheinend im Handel befindlichen Nachahmungen, 
welohe mit dem Ichthyol höchstens das Aussehen oder 
nur eine Aehnliohkeit des Namens gemein haben, wird 

gewarnt. 

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Nr. 31. 


Sonntag den 3. August 1890._ XXXI. Jahrgang. 


Di« „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Groee-Ouart-Format stark. Hiezn eine Reibe 
ausserordentlicher Beilagen. Ais rege lm äss ig e Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „WienerKlinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- and Insertions- 
auftrfige sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik" 
Inland: Jährl. io fl., halhj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halhj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 84 Mrk,, halb}. 1* Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland : 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse" ln Wien,!., Maximilians!?. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--Qle--:- 

Redigirt von Verlag von 

Dr. Anton Bum. Drb&n & Sehwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton und klinische Vorlesungen. Casoistiscbe Mittheilungen aus der I. chirurgischen Abtheilung des Prof. v. Mobetig-Moobhof im 
k k. Krankenhause Wieden zu Wien. Von Dr. Ferdinand v. Kliegl, Secundararzt I. Classe an obiger Abtheilung. I. Verbrennungen. — Ueber 
die Mikroorganismen der Krebsneubildungen. Von Dr. P. J. Kubasoff, Privatdocent an der Universität Moskau. — Notizen über die Denguefieber- 
Epidemie und die Influenza-Epidemie zu Smyrna. Von Dr. G. Diamantofulos. — Referate und literarische Anzeigen. G. See und Moreau 
(Paris), Lainatti und Denti, 0. Scheffels, O. Petersen, Combemale et Francois (Lille): Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. IV. — G. A. 
Sachabjin (Moskau): Die Lues des Heizens von der klinischen Seite betrachtet. — Ueber die subperiostale Resection des Ellbogengelenkes bei 
tuberculöser Osteo-Arthritis. Von Dr. M. Succin. — Zeitungsschau. Gynäkologie und Geburtshilfe. Ref : Prof. Ludwig Kleinwächtbb. — Kleine 
Mittheilungen. Der Gebrauch von hypodermatischen iDjectionen von Coffein in der Behandlung der Blutungen post partum. — Behandlung des 
Abdominaltyphns mit Carbolsäure. — Behandlung der Malaria mit Kaliumnitrat. — Therapie der Ozaena. — Ueber die Anwendungsweise des 
Orexin. — Beitrag zur Chemie des Samens. — Methode zur Abtreibung der Taenia solium. — Bromoform bei Keuchhusten. — Verhandlungen 
ärztlicher Vereine. Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — Berliner medicinische Gesellschaft. (Orig.-Ber.). — Aus den 
Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) Acadömie de Sciences. — Notizen. Zum X. Internationalen medicinischen Congreß zu Berlin. — Aerztliehe 
Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Casuistisclie Mittheilungen 

ans der 

I. chirurgischen Abtheilung des Prof, v, Mosetlg- 

Moorhof 

im k. k. Krankenhause Wieden zu Wien. 

Von Dr. Ferdinand ▼. Kliegl , Secundararzt I. Classe au 
obiger Abtheilung. 

I. 

Verbrennungen. 

I. Julie H., 17 J. alt, zog sich durch unvorsichtiges Ge- 
bahren mit einer Spirituslampe, wobei sich der brennende Spiritus 
Uber die Kleider ergoß, folgende Brandwunden Zn: 

Die rechte Bauehhälfte war II., der gleichnamige Oberschenkel 
und Gesäßbacke III., der Unterschenkel II. Grades verbrannt. Links 
kleinere Wunden II. Grades unmittelbar Aber der Fossa poplitea 
und an der Wade. 

Patientin klagt über heftige Schmerzen. 

Nachdem die Blasen abgetragen waren, wurde die ganze 
Wuudflftche mit Jodoformpulver bestaubt, mit Jodoformgaze bedeckt, 
worüber Kautschukpapier, Watte und ein Holzwollekissen kam, und 
mit einigen Bindentouren festgehalten. 

Am nächsten Tage äußerte Patientin keine Schmerzen, Sen- 
sorium frei, Appetit vorhanden, Temp. 37*8. 

Am 8.—10. Tage schlug der Verband durch und wurde daher 
erneuert. 

Nach dem zweiten Verbandwechsel waren die Wunden liuks 
vollkommen geheilt und durch eine glatte weiche Narbe ersetzt. 

An der Außen- und Vorderseite des rechten Oberschenkels, 
sowie an der rechten Gesäßbacke stößt sich die Cutis, bis au die 
Fascie verkohlt, in Fetzen ab, währenddem die anderen Wunden 

II. Grades eine lebhafte Granulation zeigten. Jodoformverband. 

Nach diesen werden die nunmehr kleinen Granulationen 
lapisirt. 

Da der Substanzverlust an der Außenseite des rechten Ober¬ 
schenkels sehr groß ist und jedenfalls eine sehr lange Heilungs¬ 
dauer zu erwarten ist, so wird von einem gesunden Amputations¬ 


stumpfe eine Plastik nach Thikrsch (Rkvrrdin, Eiselsberg) gemacht 
und der ganze Substanzverlust mit Hautstücken von 1 Cm. Breite 
und 12 Cm. Länge gedeckt, Jodoformverband. Die Hautstüeke 
heilen nach 10—12 Tagen prachtvoll an. 

Am 3. Tage der Transplantation bekam Patientin einen 
Schüttelfrost, Temp. 40'2. 

Die Umgebung der Wunde ist geschwellt, geröthet, ErysipeUs. 
Jodoform verband. Die Grenzen der Röthung werden 2—3 Cm. 
breit mit lOproc. Ichthyolsalbe eiugerieben und innerlich Antipyrin 
verabfolgt. 

Am 21. Tage wurde, nachdem das Erysipel beinahe den 
ganzen Körper, mit Ausnahme des Kopfes, durchwanderte, der Jodo- 
formverbaud abgenoramen und konnte zu meiner Freude constatiren, 
daß alle transplantirten Lappen, trotz des Insultes seitens des Ery¬ 
sipels, hielten. 

Patientin geht mit Krücken herum. 

Im rechten Kniegelenke besteht eine schwache Contractur, 
welche dasselbe nicht zur vollen Streckung gelangen läßt. 

Patientin verläßt nach 7 Monaten mit vollständig geheilten 
Wanden die Anstalt. 

Die Brandwunden, ein Drittel des Körpers einnehmend, 
wurden immer mit Jodoform verbunden, dem von Einigen so 
gefährlich geschilderten Antisepticnm Gelegenheit geboten, in 
großen Mengen aufgenommen zu werden — und doch trat 
keine Intoxication ein. 

Der Appetit war durchaus gut, das Sensorium, mit Aus¬ 
nahme zur Zeit des Erysipels, immer frei. 

Oder soll man die Abgeschlagenheit, Delirium während 
des Rothlaufes dem Jodoform in die Schuhe schieben? 

Ist die Thatsache, daß alle diese Erscheinungen erst mit 
dem Erysipel sich zeigten, nach dem Abklingen desselben ver¬ 
schwanden, nicht genügend Beweis, daß nicht das Jodoform 
als Ursache zu betrachten ist? 

Die Feinde unseres Antisepticums hätten aber gewiß das 
Bild einer Intoxication darin erblickt und das Mittel weg¬ 
gelassen. 

Wir gaben aber das Jodoform nach wie vor und die 
Symptome schwanden mit dem Tage, wo der Rothlauf ge¬ 
heilt war. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 81. 


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Es ist daher unrichtig, wenn man bei ausgebreiteten 
Brandwunden, oder Wunden überhaupt, vor Anwendung des 
Jodoforms als „einem höchst gefährlichen Mittel“ warnt, das 
Schreckensbild einer Intoxication vor Augen ^haltend. 

Ich sah mindestens 200 Verbrennungen, darunter viele 
schweren Grades, doch niemals eine Intoxication. 

Daß es zur Eiterverhaltung kommt, ist auch nicht richtig, 
da der impermeable Stoff die Wunde vor Verschorfung schützt, 
den Secreten freien Abfluß gestattet. 

Eczeme kommen allerdings vor, doch nur selten und bei 
Leuten mit sehr empfindlicher Haut, wo vielleicht ein anderes 
Antisepticum dasselbe bewirken würde. 

Ich sah einige Male Brandwunden II. Grades an beiden 
Händen und Vorderarm unter einem Verbände in 18 Tagen 
heilen und von einem Eczem keine Spur. 

Die Versuche mit anderen Mitteln, wie Sozojodol, Aristol, 
fallen in den Rahmen des laufenden Jahres und will ich daher 
im nächsten Berichte darüber referiren. 

Doch Eines kann ich voraussenden, daß sich bisher am 
besten noch das Aristol (in Salbenform 10%) bewährte. 

Ein zweiter, nicht minder lehrreicher und interessanter 
Fall verdient besprochen zu werden: 

Julie Pr, 16 J. alt, Dienstmagd, zog sich durch Ungeschick 
lichkeit beim Tragen eines mit heißem Wasser gefüllten Kübels an 
der ganzen Brust, linken Schulter, linken Ober- und Vorderarm und 
Hand, sowie an der linken Brusthälfte Brandwunden I., II. und 

III. Grades zu. Die linke Brust, Ober- und Vorderarm war III. 
Grades, der Bauch II., die Haud I. Grades verbrüht. 

Von der Freiwilligen Rettungsgesellschaft in’s Spital trans- 
portirt, hatte sie schon einen regelrecht angelegten Jodoformverband, 
der am 3. Tage durchschlug, und daher abgenommen wird. Die 
Brandblasen werden abgetragen, die ganze Wundfläcbe, so auch die 
111. Grades verbrannte pergamentartige dunkelbraun verfärbte Haut 
mit Jodoformpulver bestreut und mit Gaze, Kantschuk und Watte 
verbunden. Patientin klagte über keinerlei Schmerzen, war bei 
gutem Appetit, Temp. 37’0. Am 8. Tage änderte sich plötzlich 
das Bild. Erhöhte Temperatur, Nahrungsverweigerung, weinerliche, 
klägliche Stimme und Unruhe stellten sich ein. Symptome einer 
Jodoformintoxication. Nichtsdestoweniger wurden nach Abnahme des 
Verbandes die stark eiternden Wunden trotzdem wieder mit Jodo¬ 
form verbunden und siehe da, die oben beschriebenen Erscheinungen 
wichen am 7. Tage, obwohl Jodoform weiter gegeben 
wurde. 


U e b e r die 

Mikroorganismen der Krebsnenbildungen. 

Von Dr. P. J. Kubassoff, Privatdocent an der 
Universität Moskau. 

(Fortsetzung.) 

Ich will nun die Protokolle meiner Versuche kurz an¬ 
führen : 

I. Kaninchen, inficirt am 19. Mai 1888, starb am 3. Juni, 
nachdem es sehr stark abgemagert war nnd unfreiwillig Urin ließ. 
Section: Bedeutende Abmagerung, an der Injectionsstelle eine ein- 
gezogene Narbe, die sämmtliche Gewebsschichten bis zum Zwerchfell 
an einander lötbete, die Lymphgefäße an dieser Stelle verdickt und 
die Lymphdrüsen vergrößert. Schwellung säu mtlicher Lymphdrüsen, 
besonders in den Leistengegenden, geringe Hyperämie der subcutanen 
Gefäße. Die Harnblase strotzend gefüllt, die Mesenterialgefäße stark 
injicirt, die Mesenterialdrüsen bohnen- bis haselnußgroß. Die Leber 
enthielt 6 größere und kleinere Knoten von weißlicher Farbe, der 
Pylorus rosa gefärbt, seine Gefäße stark injicirt, der Pylorustheil 
des Magens bedeutend verdickt, an dieser Stelle ist die Magenwand 
blässer und leicht zerreißlicb. Auf der Schleimhaut des Magens, 
und zwar am Pylorus, befanden sich etwa 12 schwarze hanfkorn¬ 
große, die Oberfläche überragende Plaques, welche bis zur Muscularis 
drangen. Die Resultate der histologischen Untersuchung werden 
weiter angegeben werden. 


II. Kaninchen, am 9. Mai subcutan inficirt, starb am 10. Juni. 
Die Erscheinungen im Leben und die Abmagerung ebenso wie 
im ersten Fall. Section: Narbige Einziehung an der Impfstelle, von 
wo aus die verdickten Lymphgefäße ausgehen. Bedeutende Ver¬ 
größerung der Lymphdrüsen, bedeutende Hyperämie des Mesen¬ 
teriums , welches besonders im Centrum und an den Gekrösen des 
Coecums, Rectums und des S romanum mehrere oft bohnengroße 
Knoten aufweist. Das Netz zeigte circa 6 kleine Knoten, nach 
Entfernung derselben fand sich zwischen Mesenterium und der 
Harnblase ein bohnengroßer, weißlicher Knoten. Im Centrum des 
Mesenteriums 2 Knotennester, von denen eines bohnengroß ist, das 
zweite aus 2 parallelen Paqueten besteht. Die einzelnen Knoten 
haben eine graugrünlicbe Farbe. Von diesen großen Nestern gehen 
in radialer Richtung gegen das Gekröse der Därme stark erweiterte 
Gefäße. Die untere dem Magen aufliegende Fläche der Leber zeigt 
etwa ein Dutzend weißlicher, bis kirschgroßer Knoten, welche mikro¬ 
skopisch den Krebsknoten der menschlichen Leber vollkommen 
ähulich sahen. Die Leber war durch einen dieser Knoten an die 
Serosa des Magens fixirt; die Milz frei; auf der inneren Fläche 
des Pcricardiums linsengroße Knoten, deren einer der Aorta aufsaß. 
Lunge frei. Der Magen zeigte dieselben Veränderungen, wie im 
ersten Fall. Die Harnblase stark ausgedehnt. Unterhalb des linken 
Hodens ein bohnengroßer Knoten. 

III Kaninchen, am 19. Mai subcutan injicirt und am 
19. Juni todt. Sectiousbefund im Großen nnd Ganzen ähulich dem 
vorigen Fall. 

IV. Kaninchen, am 9. Mai subcutan injicirt, Tod am 11. Mai. 
Section: An der Iiijectionsstelle Röthe und geringes Oedem. Von 
hier aus die Lymphgefäße und -Drüsen verdickt, die Mesenterial¬ 
drüsen wenig verändert. Leber und Milz vergrößert. Der Sections- 
befund ist im Allgemeinen der einer allgemeinen Carcinose. 

V. Kaninchen, inficirt am 19. Mai, gestorben am 11. Juni- 
Section: Allgemeine Abmagerung. Die Erscheinungen während des 
Lebeus, sowie der Befund an der Impfstelle wie in den vorigen 
Fällen, die Mesenterialdrüsen vergrößert, die Ovarien auf das Vier¬ 
fache vergrößert und eine große Anzahl kleiner graulicher Knoten, 
sowie kleiner Cysten mit klarem oder trübem Iuhalt bergend, die 
Lterushörner und das Corpus stark hyperämisch uud schlammige, 
hämorrhagische Flüssigkeit enthaltend. 

VI. Kaninchen, 58 Tage nach der Infection todt. Die Er¬ 
scheinungen im Leben gleich den vorigen Fällen, Mesenterialdrüsen 
stark vergrößert, so daß sie an einer Stelle den Dünndarm bis zum 
Verschwinden seines Lumens comprimirten. In der Leber eine 
Menge weißlicher Knoten, das Lebergewebe ist fest und knirscht 
unter dem Messer. Am Duodenum und an der kleinen Curvatur 
des Magens einige Knoten, welche die Leber an den Darm an- 
lötheten. Die Schleimhaut des letzteren zeigt in der Pylorusgegend 
einige pigmentirte Stellen, welche die Oberfläche überragen und bis 
in die Muscularis dringen. 

VII. Katze, injicirt unter die Bauchhaut am 24. Juni, starb 
am 14. August. Section: Abmagerung, Schwellung der subcutanen 
Lymphdrüsen, an einigen Stellen des Dünn- und Dickdarras, be¬ 
sonders gegen das Peritoneum, haselnuß- bis mandelgroße Knoten 
von weißgrauer Farbe. Die parenchymatösen Organe, insbesondere 
die Leber, stark vergrößert. verdichtet, das Mesogastrium zeigt 
einige Knoten, die Schleimhaut des Magens mehrere schwarze 
Flecken. 

VIII. Meerschweinchen, geimpft am 25. October, gestorben 
am 7. November. Section: Abmagerung. Schwellung der subcutanen 
Lymphdrüsen. Das Mesenterium des Dünn- und Dickdarms, be¬ 
sonders des Coecums und des S romanum enthält bohnengroße, 
weißliche oder schiefergraue Knoten. In den Lungen diffuse Infiltrate. 
Die Schleimhaut des Magens zeigt in der Pylorusgegend kleine, 
pigmentirte Flecken, die bis zur Muscularis reichen, das linke 
Uterushorn hyperämisch und von mehreren hämorrhagischen Pünkt¬ 
chen durchsetzt. Auch die Schleimhaut des Uterus zeigte vielfache 
Hämorrhagien. 

Eine zweite Versuchsreihe wurde mittelst Fütterung 
von Reinculturen des erwähnten Mikroorganismus angestellt. 


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IX. Ein Hund wurde l*/ a Monate nach eiucr erfolglosen 
subcutanen Injection 6mal mit einer dem Futter beigemengten Krebs- 
bacilluscultur inficirt. Anfangs October, 3 Wochen nach der Fütte¬ 
rung, zeigte sich in der Vorderkammer des rechten Auges ein 
weißer Fleck, der immer größer wurde und im Bereiche der Pupille 
auf die durchsichtige Cornea Übergriff. Letztere wurde an dieser 
Stelle trüb und bedeckte sich alsbald mit mehreren Ulcerationen. 
Zu dieser Zeit war das Thier stark abgemagert. Seiue hinteren 
Extremitäten waren immer von Harn beschmutzt. Die Eßlust hat 
bedeutend abgenommen. Das Thier reagirte sehr schwach auf Reize. 
Bald zeigte sich eine Lähmung der hinteren Extemitäteu und am 
17 October erfolgte der Tod. Die Section ergab eine Abmagerung 
bis zum Skelette, Geschwüre der Cornea im Bereiche der Pupille 
am rechten Auge, die Scleren beider Augen gelblich gefärbt, Ge¬ 
schwürsbildung am Penis ohne merkliche Neubildung. Die subcutanen 
und hauptsächlich die Leistendrüsen bedeutend geschwellt. An der 
Impfstelle befanden sich keine Knoten, sondern nur eine Eiuziehung 
der Haut, die Harnblase mit hellem Harn gefüllt, das hyperftmischo 
Netz mit haselnußgroßen Knoten besäet, das S roraanum bedeckend 
und durch Pseudomembranen an das absteigende Colon und an die 
Harnblase fixirt, welch letztere an die Bauchwaud augewachsen ist. 
Leber, Milz und Pancreas vergrößert und verdichtet, vom letzteren 
ziehen einige Lymphstränge und lange Knotenketten von weißlich- 
grauer Farbe. Das das Colon transversum bedeckende Netz zeigte 
einen schiefergrauen, haselnußgroßen Knoten. Ein eben solcher 
findet sich in der kleinen Magenkrümmung in der Nähe des Pylorus. 
ln dieser Gegend ist anch eine bedeutende Hyperämie vorhanden. 
Ein eben solcher Knoten findet sich am Pericardium an der Stelle 
des Durchtrittes der Aorta. Das Herz ist vergrößert Der Herz¬ 
muskel blaß, verdichtet und knirscht unter dem Messer, ebenso die 
Leber. An der Bifurcationsstelle der Trachea finden sich zwei 
bobnengroße Knoten, ein ebensolcher liegt dem großen Zweig des 
rechten Bronchus an, dessen Lumen an dieser Stelle verkleinert ist. 
Die Lunge emphysematös aufgeblasen, blaß, etwas ödematös und 
fällt selbst nach Durchschneidung nicht zusammen. Neubildungen 
finden sich in derselben nicht. Auf der Lungenpleura finden sich 
weiße, in die Tiefe hineingezogene Flecken. Der Magen enthält 
einen kaffeesatzäbulichen, zähen, klebrigen Inhalt, seine Schleimhaut 
ist stellenweise hyperämisch, stellenweise bis auf die Muscularis 
reichende Geschwüre enthaltend. Hie und da sieht man auch schwarze, 
dio Oberfläche überragende Plaques, die bis zur Muscularis dringen, 
lu der vorderen Kammer des rechten Augeq ein Knoten von dem 
Aussehen eines Melonenkernes von ziemlich dichter Consistenz, auf 
dessen Querschuitt ein gleichförmiger ziemlich dichter Saft zu sehen 
ist, der mit dem Messer schwer herunter zu bringen ist. Dieser 
Tumor reichte bis zur Hornhaut, war aber mit dieser nicht materiell 
verwachsen; nichtsdestoweniger war an dieser Stelle dio Hornhaut 
exulcerirt und perforirte bei leichtem Druck. 

X. Einem Meerschweinchen wurde am 17. October eine Rein 
cultur des Krebsbacillus, mit dem Futter vermengt, gereicht. Das 
Thier starb am 31. October. Section: Schwellung der subculauen 
Lymphdrüscn, Hyperämie des Netzes und des Mesenteriums. Die 
Darm6cbleimhaut, besonders die des Duodenums, mit weißlichen, den 
PEYEE’schen Plaques ähnlichen Flecken bedeckt, welche durch die 
Darm wand durcbschienen und in die Darmhöhle hineinragten. An 
dieser Stelle war die Serosa röthlich gefärbt. In der Leber und 
Milz fanden sich weiße Flecken, welche durch die ganze Dicke des 
Organs drangen und nicht scharf abgegrenzt waren. Eben solche 
Herde, nur stark über die Oberfläche hervorragend und scharf ab¬ 
gegrenzt, befanden sich im Mesenterium. In den Lungen röthliche 
Verdichtungen, Herde an der kleinen Magencurvatur. In der 
Nähe des Pylorus, auf dem Duodenum, weißliche, erbsengroße 
Knoten, die Magenschleimhaut war in der Nähe des Pylorus 
durchwegs exulcerirt und mit kleinen Pigmentflecken besäet, die 
stellenweise ausgefallen sind und tiefe Wunden zurückgelassen 
hatten. 

XI. Am 1. November wurde ein Meerschweinchen 3mal mit 
einer Reincultur des Krebsbacillus gefüttert. Das Thier zeigte bei 
der Section dieselben Erscheinungen, wie die vorigen mit dem Unter¬ 
schiede, daß im Darm die beschriebenen Plaques fehlten. 


XII. Eine Katze, die 3mal mit Krebsbacillen gefüttert wurde, 
ging nach 2 Wochen zu Grunde. Die Section ergab ähnliche Er¬ 
scheinungen, wie in den vorigen Fällen, außerdem 2 große, mehrere 
Centimeter lange und breite Knoten im Mesenterium. 

XIII. und XIV. 2 Meerschweinchen wurden am 10. November 
mit Krebsbacillen gefüttert und gingen nach 1, resp. l 1 ^ Wochen 
zu Gruude. Das Sectionsergebniß war ideutisch mit dem in den 
früheren Fällen. 

XV. Ein Hund bekam am 10. November 3raal je einige 
Tropfen einer Reincultur des Krebsbacillus dem Futter beigemeugt. 
Tod am l.Decembcr. Section: Allgemeine Abmagerung, Schwellung 
der Leistendrüsen, bedeutende Hyperämie der Gefäße, des Netzes 
uud insbesondere des Mesenteriums, im Centrum der letzteren in 
der Richtung der Gefäße Knotenpackote verschiedener Größe, die 
nebeneinander parallel lagen, ferner weiße Knoten auf dem Duo¬ 
denum, auf der kleinen Magencurvatur, auf der Aorta, an der 
Theilungsstelle der Trachea, auf den Ovarien, am Blasenhals. Der 
Mageu mit einer kaffeosatzähnlichen, der Schleimhaut fest anhaftenden 
Masse gefüllt, uuter welcher schwarze, die Oberfläche überragende 
und bis in dio Muscularis dringende Plaques sich befinden. Die 
mikroskopische Untersuchung einer solchen excidirten Plaque ergibt 
das Vorhandensein einer großen Menge Krebsbacillen, große Pigment¬ 
zellen von epithelialem Typus, welche zuweilen mit den erwähnten 
Bacterien vollgestopft sind. Stellenweise fanden sich tiefe Geschwüre 
von unregelmäßiger Form und schwarzem Grund. Der Pylorus war 
in Folge der Verdickung des Sphincter kaum durchgängig und 
zeigte ein tiefes, längliches, etwa 1 j 2 Quadr.-Cm. großes Geschwür. 
Im Duodenum befand sich dieselbe kaffeesatzähnliche Masse, einige 
oberflächliche Geschwüre und schwarze Plaques auf der Schleimhaut, 
der übrige Darm zeigte weder Geschwüre, noch Plaques. 

XVI. Ein Kaninchen bekam am 26. October Krebsbacillen 
im Futter, worauf es am 3. December zu Grunde ging. Die Section 
ergab auch hier bedeutende Abmagerung, Schwellung der Lymph- 
drüsen , Knoten im Mesenterium, im Coecum und Rectum und an 
der kleinen Magencurvatur, welche an die Leber fixirt war. Letztere 
von einer großen Menge solcher dicht unter dem Messer knirschender 
Knoten durchsetzt, die Magenschleimhaut von den beschriebenen 
Plaques durchsäet und an mehreren Stellen von bis auf die Muscularis 
dringenden Knoten besetzt. Im Centrum des Mesenteriums waren 
einige Dünndarmsehlingen mit einander verwachsen und zeigten an 
dieser Stelle eine fast bis zur Undurcbgängigkeit reichende Ver¬ 
kleinerung des Lumens; die Harnblase mittelst Knoten an den 
Uterus adhärent, dieser, sowie dio Ovarien von mehreren weißlichen 
Knoten durchsetzt. 

(Schluß folgt) 

Notizen 

über die 

Denguefieber-Epidemie und die Influenza- 
Epidemie zu Smyrna. 

Von Dr. G. Diamantopalos. 

(Fortsetzung. *) 

Digestionsorgane. 

Dieses Organsystem ist in allen Denguefieberfällen mehr 
oder weniger affieirt; die Lunge ist stark weißlich, schmutzig- 
weißlich oder gelblich belegt, der Rand derselben geröthet. es 
bilden sich auf derselben durch Abstoßung des Epithels Ero¬ 
sionen, sogar aphthenähnliche Geschwiirchen; der Geschmack 
ist sehr schlecht, abscheulich, alle Patienten beklagen sicli darüber, 
finden alles Genossene ungenießbar, geschmacklos, faulig, sogar 
stinkend. Verhältnißmäßig besser schmecken säuerliche Ge- 
i tränke, z. B. Limonade und noch besser Wissvnade (ein aus 
Weichselkirschensyrup bereitetes, eigentümlich säuerlich-süßlich 
schmeckendes, im Orient viel gebräuchliches Getränk). 

*) S. Nr. 2tf. 

I ! 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


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Einer meiner Patienten hatte eine starke Blutung aus 
dem Zahnfleische gehabt und andere Collegen haben ähnliche 
Fälle beobachtet. 

Im hinteren Theile der Mundhöhle ist der Geschmack 
noch schlechter und dieser Zustand dauert zur Verzweiflung 
der Patienten noch lange während der Reconvalescenz, welche 
auch, wenn sich der Appetit wieder eingestellt hat, mit Wider¬ 
willen das Essen genießen. Ich kenne keine Krankheit, welche 
so sehr und so lange dem Patienten das Essen verleidet. 

Der Pharynx ist eatarrhälisch afficirt, die Schleimhaut 
desselben geröthet, geschwollen, belegt, die Tonsillen mäßig 
geschwollen, es ist Schmerz vorhanden, spontan und beim 
Schlucken. Sehr charakteristisch ist ein höchst unangenehmes 
Gefühl, als ob der Rachen mit einer dickflüssigen, klebrigen, 
fauligen Masse bestrichen wäre, welche man durch Räuspern 
umsonst zu entfernen sich bemüht. Die ausgeathmete Luft 
ist eigentümlich unangenehm, und wird in der Umgebung 
des Patienten und in seinem Zimmer gefühlt. Wenn mehrere 
Patienten in einem Zimmer liegen, so wird die Luft desselben 
höchst widerlich. 

Der Durst ist gegen alle Erwartung nicht lebhaft, viele 
Patienten trinken nicht mehr als in gesunden Tagen, trotz der 
erhöhten Temperatur (38'5—39'ö—40° C.). 

Die meisten Patienten leiden an Brechneigung oder er¬ 
brechen alles Genossene oder grünliche, wässerige Flüssigkeiten, 
während andere, die Minderzahl, in dieser Beziehung gar nicht 
leiden. Blutiges Erbrechen war selten. 

Im Anfänge ist meist Stuhl Verstopfung vorhanden, welche 
durch leichte Abführmittel. 01. ricini, irgend ein Bitterwasser 
etc. leicht gehoben wird. Wenige Patienten hatten Diarrhoe, 
welche sich häufiger im Beginne der Reconvalescenz einstellt 
und in manchen Fällen blutig ist. An Diarrhoe litten häufiger 
Personen, welche auch sonst Neigung dazu hatten. Sie hat 
nie schlechte Folgen gehabt. 

Harn- und Geschlechtsorgane. 

Der Urin ist in manchen Fällen reichlich, in den meisten 
jedoch von geringer Quantität, dunkel, was durch das Fieber 
und die Schweiße erklärt wird. Von Seite der Nieren habe 
ich nur bei einigen älteren Patienten Erscheinungen beob¬ 
achtet, Oligurie, leichte Albuminurie, Oedeme etc., welche 
auf eine Nephritis hindeuteten. Diese an Zahl sehr geringen 
Fälle zeigten auch endocarditische Geräusche und endigten mit 
dem Tode. Bei einigen, ebenfalls nicht zahlreichen Fällen 
trat Hämaturie auf, ohne daß man eine Nierenaffection nach- 
weisen könnte, welche keine anderen Folgen hatte, als Angst 
des Patienten und seiner Angehörigen. In einem Falle konnte 
ich sicher constatiren, daß das Blut aus der Urethra kam, 
indem es tropfenweise aus der Mündung der Urethra floß und 
sich aus derselben ausdrüeken ließ, wie ein Trippersecret. Es 
war dies ein 40jähriger Mann, der nie an einer Krankheit 
der Geschlechts- und Hamorgane gelitten hat. 

Eine seltene Localisation des Processes, die auch von 
anderen Collegen beobachtet wurde, ist die Hodenentzündung 
gewesen. Sie war fast immer einseitig und nur äußerst selten 
doppelseitig. Sie trat während der Reconvalescenz und manch¬ 
mal spät, 15—20 Tage nach der Krankheit auf und stand 
natürlich mit Tripper nicht im Zusammenhang. Sie heilte 
binnen einigen Tagen ohne weitere Folgen. Etwas Analoges 
beim Weibe, die Ovarien betreffend, ist nicht zu meiner 
Kenntniß gekommen. 

Das Denguefieber übte auch auf die Genitalorgane des 
Weibes sehr deutlich seinen Einfluß aus. Sehr viele Patien¬ 
tinnen, wenn sie während der Krankheit ihre Regeln bekamen, 
waren reichlicher als sonst menstruirt, andere hatten Genital¬ 
blutungen außer der Periode, oder dieselbe stellte sich früh¬ 
zeitiger ein. Viele Patientinnen, welche unregelmäßig und in 
großen Intervallen menstruirten, wurden während des Dengues 
von Genitalblutungen befallen, und solche, die seit vielen 
Monaten und Jahren die Climax überschritten hatten, bekamen 


wieder Blutungen. Mehrere Schwangere hatten abortirt oder 
kamen frühzeitig nieder, und manche ist an Verblutung ge¬ 
storben. 

Herz. 

Bezüglich des Herzens habe ich gleich anderen Collegen 
beobachtet, daß solche Herzkranke, welche in Folge Klappen- 
und Ostienaffectionen an ungenügender Compensation, oder 
welche an Altersveränderungen, oder an alter Myocarditis 
mit Herzschwäche litten, dem Dengue keinen großen Wider¬ 
stand leisteten, und ganz besonders ältere Leute. Einige 
dieser Pat., welche bis dahin ihr Leiden leidlich vertrugen, 
boten während der Reconvalescenz alle Zeichen einer Jlerz- 
insufficienz dar, kleinen, schwachen, frequenten, unregelmäßigen 
und aussetzenden Puls, starke Dyspnoe, Blutstauung in der 
Peripherie, wenig, dunklen, eiweißhaltigen Urin, Lungen¬ 
ödem etc. und starben. Ich glaube, daß in diesen Fällen 
vorzugsweise der Nervenapparat des Herzens zu beschul¬ 
digen ist. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. 

IV. 

6. See und H. Moreau (Paris): Die antiseptische Wirkung der Anilinfarb¬ 
stoffe und ihre Anwendung in der Therapie. — Lainatti und Denti: Ueber 
die antiseptische Wirkung der Anilinfarben in der Augenheilkunde. — 0. 
Scheffels : Ueber Pyoktaninbehandlung von Cornealgeschwören. — 0. Petersbn : 
Ueber die amibaclerielle Wirkung der Anilinfarben. — Cohbkmale et Francois 
(Lille): Recherches sur les propriät6s physiologiques et th6rapeutiques du bleu 
de m6thylöne. 

Die von den Verff. in Nr. 29 der „MMecine moderne“ mit- 
getheilten Untersuchungen beziehen sich auf das Safranin, Cyanin, 
Malachitgrün und Methylviolett. 

Zunächst wurde die toxischo Wirkung dieser Stoffe bestimmt, 
hierauf der antiseptische Einfluß derselben untersucht, dann der 
Einfluß dieser Farbstoffe auf die Eiterungen bei Thieren studirt und 
schließlich einige therapeutische Anwendungen von den Mitteln ge¬ 
macht. Die erste Versuchsreihe ergab, daß die phenol- und arsen¬ 
freien Anilinfarbstoffe der aromatischen Reihe nicht toxisch sind. 

Ihre antiseptische Wirkung ist verschieden, am stärksten 
wirken Methylviolett, Malachitgrün und Safranin. Was nun den 
Einfluß dieser Farbstoffe auf experimentell erzeugte Eiterungen be¬ 
trifft, so wurde bei einem Hunde, dem zu einem anderen Zwecke 
ein Anus praeternaturalis angelegt wurde und der 24 Stunden nach 
der Operation eine acute Peritonitis mit leichter Eiterung des Peri¬ 
toneums bekam, das Abdomen geöffnet, das Peritoneum mit 5 Liter 
einer warmen Lösung von Safranin 1 : 2500 abgewasohen, die 
Wunde vernäht und verbunden; das Thier genas in 10 Tagen. 

Ferner wurden mit derselben Lösung subentane Abscesse bei 
Meerschweinchen ausgewaschen und in allen Fällen trat naeh 2 bis 
3 Waechnngen Heilung ein. Aehnliche Resultate ergaben auch das 
Malachitgrün und das Methyl violett. 

Therapeutisch wurde das Safranin und das Malachitgrün in 
2 Fällen von Eiterung angewendet. Der eine betraf eine junge 
Frau, die mit einer spontan in’s Rectum durchgebrochenen peri¬ 
uterinen Phlegmone behaftet war, und bei der wegen schlechten 
Abflusses des Eiters eine Incision im Laquear gemacht werden 
mußte. Da noch am selben Tage die Temperatur 38—38‘5 betrag, 
so wurde eine Auswaschung mit einer Safraninlösung 1 : 2500 ge¬ 
macht; noch am selben Abend fiel die Temperatur auf 37°. Die 
Injectionen wurden noch durch 3 Tage wiederholt und die Eiterung 
hörte auf. Der zweite Fall betrifft eine leichte Angina tonsillaris 
bei einem 15jährigen Manne, bei dem 2malige Touchirung der 
Mandeln mit einer Lösung von Malachitgrün 1 : 2500 die Eiterung 
sistirte. 

Lainatti und Denti theilen in Nr. 4—6 der „Gazetta degli 
hospitali“ die Resultate ihrer Versuche über die Anwendung des 
Pyoktanins in der Augenheilkunde mit. Das Mittel wurde ange- 


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wendet bei Augenblennorrhoe, bei Conjunctivitis phlyctaenulosa, bei 
Daerioeystitis mit oder ohne Caries der Tbränenbeine, bei Keratitis 
phlyctaenulosa, bei Infectionsgeschwüren der Cornea mit Hypopion, 
Keratitis parencbymatosa, Iritis und Iridocborioiditis, im Ganzen in 
30 Fällen. 

Das Mittel wurde immer gut vertragen, hatte keinerlei unan¬ 
genehme Wirkung. In den Fällen infectiöser Natur blieb es ganz 
wirkungslos; in den anderen war der Erfolg nicht erheblicher als 
der der bis nun bekannten Antiseptiea; nur in einem einzigen Falle 
Yon eitriger Daerioeystitis mit Caries der Tbränenbeine war der 
Erfolg ein auffallender und die Besserung eine rapide. 

Scheffels hat auf der Augenklinik Pagenstecher’s zu 
Wiesbaden mit dem Pyoktanin eine Reihe von Untersuchungen an¬ 
gestellt, deren Resultate er in Nr. 28 der „Berl. klin. Woehenschr.“ 
mittheilt. Zur Anwendung kamen der gelbe Stift, Lösungen des 
gelben und blauen Farbstoffes (1 : 5000, später 1 : 150). Die Ver¬ 
suche ergaben sämmtlich negative Resultate. Ein Randgeschwür 
nahm trotz Pyokt&ninbehandlung an Flächenausdebnung zu, dasselbe 
fand in 3 Fällen von Ulens corneae serpens statt, die bei der Auf¬ 
nahme absolut keinen deletär-progressiven Eindruck machten. 

Petkesen theilt in Nr. 27 der „8t. Petersb. med. Wochen¬ 
schrift“ mit, daß er seit seiner ersten Mittheilung über diesen 
Gegenstand (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 25, 1890) reichlich 
Gelegenheit gehabt hat, weitere Beobachtungen mit Pyoktanin zu 
machen und bestätigt seine günstigen Aussagen auf Grund einiger 
Hundert Fälle von Ulcus molle. Seit l 1 /^ Monaten ist sowohl in seiner 
stationären Abtheilnng (augenblicklich 85 Betten), wie auch in der 
Ambulanz, wo täglich circa 40 Patienten versorgt werden, das 
Jodoform ganz weggelassen und durch Pyoktanin (1%) ersetzt, 
welches mit dem gleichen Erfolg wie früher das Jodoform applieirt 
wird. Im letzten Monat sind 8 Circumcisionen unter Pyoktanin 
per primam geheilt und 1 Fall von eitrigem Bubo mit Erfolg be¬ 
handelt worden. Nach der Inoision des gänseeigroßen Inguinal-Bubo 
wurde nioht exeochleirt, sondern direct mit Pyoktan. coerul. 1 °/ 0 
ausgepinselt und ein Druckverband angelegt, 3mal nach einander 
täglich gewechselt; dann blieb er 2mal je 4 und dann 6 Tage liegen, 
worauf Alies verheilt war. Auch bei Urethritis hat P. in einigen 
Fällen bereits gute Erfolge, nur muß die Lösung (l : 100—1000) 
mit Vorsicht gebraucht werden, um die Wäsche nicht zu verun¬ 
reinigen. 

Combemale und Francois tbeilten in der letzten Sitzung der 
Pariser Sociötö de biologie die Resultate ihrer Untersuchungen über 
das Methylenblau mit. Bei Hunden traten Magen- und Darm¬ 
störungen, blaue Färbung der erbrochenen Massen, des Urins und 
der Fäces ein. * In Dosen von weniger als 0*31 pro Kilogramm 
Körpergewicht erzeugte das Methylenblau bei Meerschweinchen ge¬ 
ringe MuskelBtörungen, in höheren Dosen verursachte es eine Er¬ 
schlaffung der Musculatur. Bei der Section waren fast alle Organe 
mit Ausnahme der Leber und Nieren blau gefärbt. Die grauen 
Hirncentren waren ebenfalls blau, während die weißen Fasern und 
die peripheren Nerven nicht gefärbt waren. Gleich Ehrlich und 
Leppmann (s. „Wiener Med. Presse“, Nr. 25, 1890) haben auch 
Combemale und Franqois das Methylenblau mit Erfolg bei ein¬ 
fachen Neuralgien angewendet. Weniger glänzend waren die Re¬ 
sultate bei Neuritis und tabischen Schmerzen. Bei acutem Gelenks- 
rbeumatismus, bei osteocopen Schmerzen und traumatischer Arthritis hat 
sich das Mittel ausgezeichnet bewährt. Die Schmerzen verschwanden 
2 Stunden nach dem Einnehmen des Mittels und traten nicht vor 
6—8 Stunden auf. 2 Pillen von je 0*10 Methylenblau genügten, 
um den Schmerz zu oalmiren. Unangenehme Nebenerscheinungen 
wurden nie beobachtet. Selbst nach einer einzigen Gabe war der 
Urin noch 4 Tage blau, läßt man denselben stehen, so sammelt 
sich der blaue Farbstoff an der Oberfläche. S. 


6. A. Sacharjin (Moskau) : Die Lues des Herzens von der 
klinischen Seite betrachtet. 

Bei der großen Seltenheit der syphilitischen Erkraukuug des 
Herzens sind die von Verf. im „Deutsch. Arch. f. klin. Med.“, 
46. Bd., 3. u. 4. Heft veröffentlichten vier, von zehn von ihm beob¬ 
achteten, Fälle von ganz besonderem Interesse. 


Der erste betrifft einen 40jährigen Mann, der in den letzten 
Jahren an Athemnoth, Herzklopfen und zeitweilig an.Erscheinungen 
von Circulationsstörungen (Oedem der Füße und Vergrößerung der 
Leber) litt. Der linke Ventrikel ist vergrößert, die Herztöne sind 
rein und es bestehen keine Erschei’ ungen von Arteriosclerose; die 
Nieren sind gesund. 

Eine Behandlung mit NaJ brachte alle Erscheinungen binnen 
6 Wochen zum Schwinden und im Laufe von weiteren 3—4 Jahren 
traten nur mitunter Anfälle von Athemnoth und Herzklopfen auf, 
die rasch auf Digitalis wichen. 

Der zweite Fall hat in Allem mit dem ersten Aehnlichkeit, 
nur daß der Kranke nicht an allgemeinen Circulationsstörungen litt, 
sondern nur an häufigen Anfällen von cardialem Asthma, das zu 
Lungenödem führte und weder der Digitalis, noch anderen Mitteln 
wich. Auch hier hörten die Anfälle auf NaJ vollständig auf und 
wenn sie sich, doch viel seltener und leichter, wiederholten, so 
wichen sie rasch der Digitalis. 

Der dritte Fall betraf einen 55jährigen Mann, der nebst 
Alkoholismus seit einem Jahre qualvolle Anfälle von Angina pect, 
hat, deutliche Erscheinungen von Arteriosclerose und Aorteuinsuf- 
ficieuz zeigt. Die Behandlung mit NaJ brachte rasch Erleichterung 
und eine später ausgeführte Inunctionscur hat die Anfälle von 
Angina pect, vollständig beseitigt. 

Als ganz typisch für die Mehrzahl der Fälle von Herzsyphilis 
möge der folgende gelten: 

Der 37jährige Kranke, starker Raucher und Trinker, acqui- 
rirte vor 2 Jahren Syphilis und vor 8 Monaten trat ohne jegliche 
nachweisbare Ursache Nachts ein Anfall von Angina pect, auf, der 
sich nachträglich noch einmal wiederholte. Kurz darauf wurde die 
Athemnoth stark, es kamen Oedeme der Füße hinzu, der Pat. 
magerte ab und wurde sehr schwach. Bei der Aufnahme in’s 
Spital fand sich die Leber vergrößert und schmerzhaft, Ascites, 
Anasa'ca, Herzklopfen. Schwacher Spitzenstoß in der linken 
Mamillarlinio, an der unteren Hälfte des Sternums, schwaches systol. 
Geräusch, enorme Athemnoth. Percussion der Lungen normal; die 
Auscultation ergibt ödematöses Rasseln unter beiden Schulterblättern; 
enorme Schwäche. Digitalis und Calomel hatten einen sehr geringen 
Erfelg, erst auf NaJ stieg die Harnmenge, dio Oedeme fingen an 
sich zu verringern, der Puls wurde langsamer, die Dyspnoe leichter, 
der Schlaf ruhiger. Trotz der bedeutenden Verringerung der Oedeme 
blieb die Schwäche in den unteren Extremitäten unverändert be¬ 
stehen ; Patellarreflexe nicht vorhanden. In Folge der Parese der 
Füße und der Gedächtnißschwäche wurde an eine syphilitische Er¬ 
krankung des Nervensystems gedacht und die Menge des NaJ er¬ 
höht. Auf diese Behandlung trat nun bedeutende Besserung ein, 
auch objectiv ließ sich nun ein Kleinerwerden der Herzdämpfung 
constatiren, das Gedächtuiß besserte sich, die Ernährung und die 
physische Kraft hoben sich, doch blieb die Schwäche in den unteren 
Extremitäten, wenn auch in geringerem Grade, bestehen; erst auf 
eine mit NaJ gleichzeitig vorgenommene Inunctionscur trat voll¬ 
ständige Genesung ein. 

Als hauptsächliche Basis für die Diagnose der Syphilis des 
Herzens, sowie auch für die anderer innerer Organe dienen selbst¬ 
verständlich die anamnestischen Daten und gleichzeitig das Vor¬ 
handensein von Syphilis in anderen Theilen dos Organismus. Als 
Stütze der Diaguose können auch Fehlen anderer Ursachen für die 
Herzkrankheit und geringe Wirkung einer nicht specifischen Therapie 
dienen. 

Die specifische, die Diagnose bestätigende Behandlung der 
Herzlues ist dieselbe wie die anderer Spätformen. Bei dieser Ge¬ 
legenheit erwähnt Verf. zweier Mittel aus dem Gebiete der Herz¬ 
therapie, der sog. Milchbehandlung und der Vesicatorien. 

Die Milchdiät beeinflußt nicht die Herzkrankheit selbst, sondern • 
deren Complicatiou mit Wassersucht, Störungen im Magen-Darm- 
tractus und allgemeiner Corpulenz. Die Milch ist zunächst das beste 
Diureticum, ferner ist es bekannt, daß die genannten Complicationen 
der Herzkrankheiten die hauptsächlichen Ursachen der hartnäckigen 
Dyspnoe, des cardialen Asthma, der Angina pectoris etc. sind. Da 
jedoch diese Diät nur auf die erwähnten Complicationen wirkt, so 
ist ihre Anwendung in Fällen, wo solche nicht bestehen, zwecklos 


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und kann (len Kranken schwachen. Nur in einem Fall kann die 
Milchdiät direct aufs Ilerz wirken: bei Verfettung dieses Organes 
als Folge allgemeiner Obesitas. Was die Vesicatorien auf die Herz¬ 
gegend betrifft, so bringen dieselben eine bedeutende und andauernde 
Erleichterung bei Angina pect., besonders wenn Erscheinungen von 
chronischer Arteriitis vorhanden sind. 

Ueber die aubperioatale Resection des Ellbogen¬ 
gelenkes bei tuberculöser Osteo-Arthritis von 
Dr.-M. SllCCin. Bukarest 1890. 

Eine sorgfältig und gut bearbeitete Dissertation aus der medi- 
cinischen Facultät zu Bukarest. Vcrf. theilt seinen Stoff in 7 Ca- 
pitel. Im 1. gibt er einen historischen Uebcrblick über die 
behandelte Frage; das 2. behandelt die topographische Anatomie 
des Ellbogengelenkes, insoferne sie sich auf Resectionen bezieht; 
das 3. enthält die Schilderung der Pathologie und Klinik der Ell- 
bogentuberculose. Erst im 4. Abschnitt werden die verschiedenen 
Operationsniethoden, sowie die postoperative Behandlung beschrieben, 
die für den Endausgaug von entscheidender Bedeutung äst. Die 
Vorzüge der subperiostalen Resection bilden den Gegenstand des 

5. Abschnittes und im 6. und 7. wird der Werth der Resection in 
verschiedenen Altersstufen, sowie deren Einfluß auf den Verlauf der 
Tuberculose besprochen, woraus sich die Contra-Indicationen ergeben. 
Zum Schluß führt Verf. 11 ausführliche Krankengeschichten au. 

Auf Grundlage eigener und fremder Erfahrungen gelangt Verf. 
zu folgenden Schlüssen: 

1. Bei fuugöser Osteo-Arthritis im Allgemeinen geben dio 
rechtzeitig und entsprechend den causaleu Indicationen ausgeführten 
Resectionen die besten und dauerndsten functioneilen Resultate. 

2. Das Ellbogengelenk ist von allen Gelenken das privilegirteste 
in Bezug auf das definitive Resultat. 

3. Die Ellbogen resection ist ira Allgemeinen den anderen con- 
8ervativen Operationen vorzuziehen. 

4. Bei jungen Iudividuen muß die subperiostale Resection im 
Interesse einer definitiven Heilung ausgiebig soin. 

5. Bei Erwachsenen mit gutem Allgemeinbefinden, die keinerlei 
Erscheinungen von Tuberculose innerer Organe zeigen und mit einer 
fungösen Arthritis des Ellbogengelenkes bohaftet sind, die einer 
mcdicinischen und hygienischen Behandlung trotzt, die aber nur auf 
das Gelenk beschränkt ist, kann man von einer gut ausgeführten 
Resection eine bewegliche Nearthrose und ein Auf halten, ja viel¬ 
leicht sogar eine definitive Heilung der Diathese erwarten. 

6. Die subcapsulär-periostale Methode von Ollier ist, sowohl 
was die Geringfügigkeit des Eingriffes betrifft, als auch im Interesse 
der Restitution des Gelenkes, wo nur möglich, anzuwenden. 

7. Das operative Resultat ist bei strenger Antisepsis ein sehr 
gutes (nach Ollier 2% Mortalität), das spätere Resultat ist von 
der Ausdehnung der Erkrankung, vom Alter, von hereditären Ein¬ 
flüssen , socialen und hygienischen Verhältnissen, in welchen der 
Kranke lebt, abhängig. 

8. Bei vorgerücktem Alter mit ausgedehnter Läsion, atrophi¬ 

scher Musculatur, degenerirten Nerven und namentlich mit Lungen¬ 
phthise ist die Amputation das ultimum refugium. —r. 


Zeitungsschau. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Ref.: Prof. Ludwig Kleinwächter. 

(Fortsetzung.) 

Nordmann prüfte, gestützt auf ein Material von 45 Fällen 
•der Dresdener Klinik, das Ergebniß der verschiedenen Behand¬ 
lungsmethoden der Placenta praevia. Die Fälle wurden in 
3 Gruppen getheilt, von denen die 1. mittelst der Colpeuryse, resp. 
mittelst des Wattataiupons, mit oder ohne Blasenstich, die 2. mittelst 
der Wendung und der dieser rasch nachfolgenden Extraction und 
die 3. nach der Berliner Methode — Ilerabholen eines Fußes und 
zeitlich Trennung der Extraction von der gemachten Wendung — 
behandelt wurde. Von der Gruppe 1 waren 15 Mütter, von diesen 


starb keiue, wohl aber 11 *l°/ 0 der Kinder (ausgenommen die schon 
früher abgestorbenen), von der Gruppe 2 waren 23 Mütter, von 
diesen starben 13'63°/ 0 (resp. 17 - 3%) und von deren Kindern 
5■ 8 °/ 0 . In Gruppe 3 waren 6 Mütter, von denen 16*66°/ 0 starben. 
In dieser Gruppe starben alle Kinder. Ein Fall betraf einen Abortus. 
Auf dieses Ergebniß hin meint Nordmann, daß die älteren Behand¬ 
lungsmethoden , gegenüber der modernen Berliner, durchaus nicht 
alle Berechtigung verloren haben. Obermann berechnet gleichfalls 
das MortalitätBprocent der Mütter und Kinder bei den verschiedenen 
Behandlungsmethoden. Von 64 Fällen wurden in Leipzig nach der 
Berliner Mothode 49 und 14 nach anderen Methoden behandelt. Von 
der 1. Gruppe starben 2*l°/ 0 , von der 2. 3S 1 / s °/ 0 . Auf diese 
Zahlen hinweisend, spricht er sich für die Berliner Behandlungs¬ 
methode aus. Einen sehr seltenen Fall von Lufteintritt in 
die Venen des Uterus bei Placenta praevia theilt 
Kramer mit. Eben als die Kranke auf dem Querbette horizontal 
lag und die Hand behufs der combinirten Wendung im Uterus war, 
setzte plötzlich dar Puls aus, die Kranke machte einige schnappende 
Athemzüge und war todt. Bei der Section fand sich eine Luft¬ 
embolie. Im rechten Ventrikel war eine große Luftmenge. Der 
Ort des Lufteintrittes war deutlich nachweisbar in einer Menge 
weiter Venenlumina, die in den tieferen Deciduaschichten an der 
Placentarstelle lagen und durch die man direct in die Venen der 
Uteruswand gelangte. 

Aus 3 Fällen glaubt Köttnitz zu erschließen, daß die 
Peptonurie in der Schwangerschaft ein charakteristisches 
Zeichen abgebe, daß die Frucht abgestorben sei. Nach dem Frucht¬ 
tode finde eine Resorption zerfallener Albuminate statt und seien 
dann die Bedingungen des Auftretens der Peptonurie gegeben. Bei 
normaler Schwangerschaft und Gesundheit der Mutter findet sich nie 
Pepton, ebensowenig bei Nephritis. 

Zur Bacteriologie der Lochien betitelt sich eine Arbeit 
Ott’8 und ergibt dieselbe, daß die Lochien einer gesunden Wöchnerin 
frei sind von krankheitserregenden Mikroorganismen und daher voll¬ 
kommen unschädlich sind. Zu einem ähnlichen Resultate bezüglich 
der gesunden, nicht kranken Frau kam Winter. Die normale 
Tuba enthält keine Mikroorganismen, ebensowenig die gesunde 
Corpushöhle. Die Gogeud des inueren Muttermundes enthält nur 
in der Hälfte der Fälle keine solchen. Das Cervixsecret dagegen 
zeigt reichliche Coccen und Bacillen, in der Gravidität vermehren 
sich dieselben ziemlich beträchtlich, besonders die Bacillen. Wie 
die Cervix, verhält sich auch die Vagina. Die gefundenen Mikro¬ 
organismen — 3 Stapbylococcenarten — befinden sich trotz ihrer 
pathogenen Natur in einem Zustande abgeschwächter, nicht voller 
Virulenz. Auch Czebniewski’s Forschungsergebnisse "sind so ziemlich 
die gleichen. In den Lochien Gesunder findet man in der Uterus¬ 
höhle nur ausnahmsweise Mikroorganismen. Die Lochien besitzen 
daher keine pyo- oder phlogogenen Eigenschaften. Meist findet man 
in den Lochien Leichterkrankter Streptococcen,, welche zweifellos 
die Erkrankung verursachen. Bei letal endender Septicaemia lym- 
phatica entwickeln sich Streptococcen in Culturen aus den Lochien 
und post mortem aus allen Flüssigkeiten und Organen. Tödtliche 
Fälle puerperaler Septicäraie hängen vom Eintritte des Streptococcus 
durch die Geburtswege in den Organismus ab. Die Streptococcen 
der leichten und schweren Erkrankungsformen sind identisch. Sie 
erzeugen Eiterung und erysipelatöse Entzündungen der Haut, Ent¬ 
artung der parenchymatösen Organe und Hyperämien seröser Häute 
mit größeren oder kleineren Exsudaten. 

Ueber das Puerperalfieber erschienen 1888 einige Ar¬ 
beiten. Fritsch nimmt in der Puerperalfieber-Frage den einzig 
richtigen Standpunkt ein. Die Selbstinfection ist nur in dem Sinne 
denkbar, daß Mikroorganismen, die außen an der Körperoberfläche 
oder in der Vagina sich befinden, in eine puerperale Wunde ge¬ 
langen. Die von ihm früher festgehaltene Eintheilung des Puerperal¬ 
fiebers in eino pathogene (infectiöse) und nicht pathogene Form 
(einfaches Wundfieber) läßt er fallen, da bei der letzteren Infection 
hinzutreten kann und das klinische Bild derselben dann nicht mehr 
rein vorliegt. Das Beste sei es, jede Eintheilung zu unterlassen und 
die Wochenbetterkrankungen nicht nach der Aetiologie, sondern 
nach dem Symptomencomplexe zu scheiden. Eine Eintheilung werde 


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man erst dann vornehmen können, bis man wissen werde, welche 
Mikroorganismen die verschiedenen puerperalen Erkrankungen hervor- 
rufen. Ehrendorfer sagt, der Geburtshelfer sei darauf angewiesen, 
die schädlichen Stoffe im Genitalcanale, so vollständig als möglich, 
mechanisch zu entfernen und deren Entwicklung mittelst antiseptischer 
Mittel und Reinlichkeit zu hemmen. Jedenfalls aber geht er zu 
weit, wenn er in einer zweiten Arbeit verlangt, es solle den Heb¬ 
ammen nicht gestattet werden, das Mutterrohr zu benützen. Eine 
Verordnung soll nur dann erlassen werden, wenn die Garantie vor¬ 
liegt, daß Bie auch durcbgeführt werden kann. Läßt sich die Be¬ 
folgung derselben nicht controliren, so macht sich der Schöpfer der 
Verordnung — einfach lächerlich. In nicht unzutreffender Weise 
weist Fischl darauf hin, daß unter der übertriebenen Sorge vor 
der Infection durch die Hand des Arztes die geburtshilfliche 
Schulung des Studirenden leide und die Gefahr der Uebertragung 
des InfectionBStoffes durch die Hebamme lange keine so große sei, als 
von manchen Seiten aus angenommen werde. Nichts wesentlich 
Neues bringt Leopold’s Arbeit über die Prophylaxis des Puerperal¬ 
fiebers^ Beaohtenswerther ist jene Pfannenstiel’s. Da in der 
Breslauer Klinik einigen Fällen schwerer Tonsillarangina eine kleine 
puerperale Epidemie mit 4 Todesfällen folgte, so hält er es für 
wahrscheinlich, daß letztere die Folge der vorausgegangenen Er¬ 
krankungsformen gewesen sei. Der Ausbruch des Puerperalfiebers, 
ohne daß die Hand der Hebamme oder des Arztes mit im Spiele 
ist, eine Annahme, die schon vor Jahren vom Ref. aufgestellt, 
aber entweder todt geschwiegen oder geleugnet wurde, wird endlich 
als berechtigt von Fritsch und Undehhill anerkannt. Beide 
sprechen sich dahin aus, daß dies möglich sei. Ersterer sucht das 
krankheitserregende Moment in Keimen von Mikroorganismen, die 
schon ante partum im Genitale sind oder post partum in dasselbe 
eindringen, letztere in der unreinen, inficirten Luft. Auch Fehling 
nimmt, gestützt auf Beobachtungen, an, daß eine Infection poBt partum 
durch die inficirte Luft der Wochenzimmer nicht unmöglich sei. 

Die Frage, ob der Mikrococcus, welcher das Erysipel erzeugt, 
derselbe sei, der das Puerperalfieber bedingt, läßt Kroner offen, 
während sich Pawlowsky und Majek dagegen aussprechen. 

Scarlatina puerperarum ist nach Meyer eine Krankheit 
per se und hat mit dem Puerperalfieber nichts zu thun, doch ist 
bei Gebärenden und Wöchnerinnen die Neigung zu dieser Er¬ 
krankung gegenüber anderen erhöht. Die Incubationszeit ist eine 
kurze. Die Diagnose ist bei rasch letal endenden Fällen schwierig. 
Bei soarlatinÖ8em, septischen puerperalen Exantheme werden nur 
einzelne Körpertbeile befallen und ist das Exanthem da mehr diffus 
oder hat es einen unbestimmten Charakter. Die Prognose ist bei 
Scarlatina nicht so schlecht, wie man gewöhnlich annimmt. 

Steffek prüfte auf bacteriologischem Wege den sterilisirenden 
Werth der verschiedenen Desinfectionsmittel. Er fand, daß 
eine Desinfection des Genitalcanales für geburtshilfliche Zwecke nicht 
in einer Sitzung, sondern nur allmäbg zu erzielen sei. Durch Aus¬ 
waschen der Vagina und des untersten Cervixabschnittes mit 1 Liter 
1 /a °/ 0 o Sublimates oder 3% Carboles und durch in 2stündlichen 
Intervallen folgende Vaginalausspülungen mit je 1 Liter dieser 
Flüssigkeiten gelingt es, die Fälle von s. g. Selbstinfection auf ein 
Minimum zu reduciren. Das Creolin dagegen steht in seiner des- 
inficirenden Eigenschaft beiden genannten Mitteln nach. Kortüm 
andererseits empfiehlt es sehr warm und hebt namentlich dessen 
blutstillende Wirkung hervor. Auch Born, der es in 2°/ 0 Lösung 
verwendet, lobt es, wenn er sich auch von dessen blutstillender 
Wirkung nicht überzeugen konnte. Minopoulos sieht das Creolin als 
werthvolles Ersatzmittel des Sublimates und Carboles an und hebt 
als großen Vortheil dessen Ungiftigkeit hervor. (Fortsetzung folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Der Gebrauch von hypodermatischen Injectionen von 
Coffein in der Behandlung der Blutungen post partum wird von 
Ch. Misrachi („Centralbl. f. Gynäk.“, Nr. 26) namentlich für jene 
Fälle warm empfohlen, wo schleunige Hilfe nothwendig ist, aber 
besonders, wenn der Arzt erscheint, nachdem schon ein bedeutender 
Blutverlust vorhergegangen ist. Zumal in der Laudpraxis kann das 


Mittel von großer Bedeutung sein, da der Arzt vielleicht kurz zuvor 
Diphtherie oder Erysipel behandelt hat und nun längere Zeit auf 
seine gründliche Desinfection verwenden muß, bevor er mit der 
Hand eingehen darf. CoffeYn soll schneller wirken als Ergotin und 
nachhaltiger in der beleben len Wirkung sein als Aether; letzterer 
wirke zwar schneller, aber die Wirkung sei flüchtiger. Die Anwen¬ 
dungsweise ist folgende: 

Rp. Natr. benz.3-0 

CoffeYn.2 0—2-5 

Aq. dest.6-0 

oder qu. 8. für 10 Ccm. 

Jeder Cubikcentimeter enthält 0'25 CoffeYn. Die Lösung ist warm 
zu machen. 6—10 Spritzen am Tage; sofort etwa 3—4 Spritzen zu 
injiciren. Durch die sehr günstigen Erfolge dieser Injectionen als 
Mittel zur schnellen Blutstillung und Hebung der Kräfte wurde 
Verf. bewogen, beständig Natr. benzoic. und CoffeYn in kleinen 
Päckchen auf der Praxis mitzuführen; das destillirte Wasser muß 
er freilich oft genug durch gewöhnliches ersetzen. 

— In einer aus der medicinischen Facultät zu Bordeaux 
herrorgegangenen Inaugural - Dissertation empfiehlt Dr. Jean die 
Behandlung des Abdominaltyphus mit Carbolsäure. Das Phenol 
wird innerlich oder per rectum in Tagesdosen von 0-25—5 Grra. je 
nach der Toleranz des Individuums gegeben. Das Mittel wirkt sehr 
energisch auf die Temperatur, welche zunächst etwas steigt, worauf 
Schweiß und eine deutliche Abnahme bis zu 2° eintritt. Auf die 
normale und künstlich erhöhte Temperatur bat das Phenol gar keine 
Wirkung. Hingegen übt es eine bedeutende Wirkung auf alle 
Pyrexien. Die Art der Wirkung ist noch unbekannt, doch scheint 
es zunächst auf das Nervensystem von Einfluß zu sein. 

—. J. D. Hunter hat mit der Behandlung der Malaria mit 
Kaliumnitrat ausgezeichnete Resultate erzielt. Die in „Ther. Gaz.“ 
angegebene Dosis beträgt 10—1 - 30. In den Fällen, in welchen 
das Mittel wirksam ist (und das war in 65°/o der während eines 
Zeitraumes von 5 Jahren behandelten Kranken der Fall) zeigt sich 
die Besserung schon nach der ersten Dosis. Die übrigen 35°/ 0 
wurden selbst durch wiederholte Dosen nicht beeinflußt. Die größte 
Wirksamkeit entfaltet Kaliuranitrat im Prodromalstadium während 
des Schüttelfrostes, wo es das Fieber vollständig hintanhält oder 
wenigstens auf ein Minimum reducirt. Rückfälle sind nicht häufig. In 
den meisten Fällen genügt eine einzige Dosis. Das Kaliumnitrat wirkt 
ebenso in den acuten wie in den veralteten Fällen. Die Malaria¬ 
formen, die ohne Schüttelfrost ejnhergehen, werden von dem Mittel 
nicht beeinflußt. Auch andere Aerzte, die das Kaliumnitrat angewendet 
haben, loben dessen rasche Wirkung in der Mehrzahl der Fälle. 

— Dr. W. Posthumus Mkyjes (Amsterdam) empfiehlt in 
Nr. 6. der „Monatsschr. f. Obrenheilk.“ folgende Therapie der 
Ozaena. Vorher tamponirt er abwechselnd beide Nasenlöcher und 
entfernt nach etwa 20—30 Minuten die mit hellem und dünnem 
Secret umhüllten Tampons. Viel leichter und zweckmäßiger als nach 
der Ausspritzung lassen sich damit die Borken entfernen. Mit 
trockenen Tampons wird dann die Schleimhaut von den letzten 
Resten des anhaftenden Schleimes befreit. Der hyperämische und 
geschwollene Zustand der Schleimhaut — als Folge der Tamponade 
— gibt an sich eine viel größere Resorptionsiähigkeit, als es bei 
bloßer Ausspritzung der Fall ist. Sodann führt er die lange Canüle 
eine Pulverisateurs (nach v. Troeltsch) tief in die Nasongänge 
ein und spritzt mittelst Doppelgebläse durch einmalige Compression 
10 — 12 Tropfen einer 2proc. Nitras argenti-Lösung ein, wobei man 
sich hütet, die Vordertheile der Schleimhaut zu befeuchten, weil 
dadurch öfters die bekannten unangenehmen Erscheinungen: Kopf¬ 
schmerz, Augenthränen u. s. w. auftreten können. M. fängt mit 
2 Proc. au, steigert täglich die Concentration und wendet nach 
4 Tagen schon 15proc. Lösungen an, innerhalb einer Woche 
25procentige benutzend. Bei dieser Concentration beharrt er während 
der zweiten Woche, ohne daß er je unangenehme Nebenerscheinungen 
beobachtet hätte. Kein anderes Mittel zeigt in so kurzer Zeit eine 
derartige und bleibende Wirkung. In der dritten Woche genügt 
die Einspritzung 3 Mal wöchentlich, von da ab eine 2 Mal wöchent¬ 
liche u. s. w., bis die Borken nicht mehr wiederkehren. Die früher 
Monate hindurch mit Tamponade, Ausspülung, Jodglycerin oder 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


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Alnmen acet. tart. — neulich wieder warm empfohlen — be¬ 
handelten Ozaenafälle zeigten nach Tagen bei Nitras argenti-An- 
wendung mehr Besserung, als früher ohne dieses Mittel in Monaten 
erreicht wurde. Wenn man weiß, wie langwierig die Ozaenabehandlung 
im Allgemeinen ist — Mackenzie z. B. läßt seine Patienten 2 bis 
3 Jahre (!) fortwährend dre Selbsttamponade ausführen — so dürfte 
wohl die geschilderte locale Therapie, welche nebst einer passenden 
allgemeinen Behandlung die Dauer auf Wochen reducirt, Beachtung 
verdienen. 

— Ueber die Anwendungsweise des Orexins theiit Prof. 
Penzoldt in Nr. 7 der „Therap. Monatsh.“ mit, daß er von der 
Verabreichung in gelatinirten Pillen abgekommen ist. Es hat sich 
in eigens darauf gerichteten Versuchen gezeigt, daß Pillen mit den 
verschiedensten Ueberzügen (Gelatine, Cacao, Graphit), sowie den 
mannigfaltigsten Constituentien in körperwarmem, salzsäurehaltigem 
Wasser nur sehr langsam, gewöhnlich erst nach Stunden und auch 
dann nur unvollkommen zerfallen, bezw. sich auflösen. Daher ist 
nicht unwahrscheinlich, daß manche negative Ergebnisse bei Beinen 
Versuchen, sowie denen anderer Autoren auf die verzögerte und un¬ 
vollständige Lösung dor Pillen im Magen zurückzuführen sind. Er 
empfiehlt also in erster Linie die Einhüllung des Orexins in Oblaten. 
Will man jedoch das Zweckmäßige einer pillenähnlichen Darreiohungs- 
form nicht entbehren, dagegen der leichten Löslichkeit versichert 
sein, so bedient man sich am besten der Gelatineperlen. Proben 
derselben lösten sich in wenigen Minuten in lauwarmem Wasser, 
boten dabei auch hinreichenden Schutz gegen den brennenden Ge¬ 
schmack des Mittels. Auch Tabletten entsprachen diesen Anforderungen. 
Es dürfte bei etwaigen Nachprüfungen dringend nöthig sein, sich 
davon zu überzeugen, daß die Form der Anwendung auch eine 
Möglichkeit der Wirkung gestattet. 

— Dr. C. Posner hat bereits vor 2 Jahren naebgewiesen, 
daß menschliches Sperma Propepton enthält; die Frage aber, an 
welche Bestandtbeile des Samens dieses gebunden ist, blieb offen. 
P. hat nun Gelegenheit gehabt, die Frage weiter zu verfolgen, 
indem ihm genügend reichliche Mengeu Ejaculats zu Gebote standen, 
welches sich bei mikroskopischer Untersuchung als völlig frei von 
Spermatozoen erwies -— übrigens den charakteristischen Geruch 
zeigte und bei einfachem Verdunsten massenhafte, schön ausgebildete 
Krystaiie ausfalien ließ. Als Beitrag zur Chemie des Samens 
theiit nun P. in Nr 27 des „Ctrbl. f. d. med. Wiss.“ mit, daß 
dieses Azoosperma genau die gleichen Reactionen auf Propepton 
ergibt, wie normaler Samen, daß demnach der Gehalt an dem 
fraglichen Eiweißkörper von dem Fehlen oder Vorhandensein der 
Samenfäden selber unabhängig ist. 

— Dr. Crkquy empfiehlt in Nr. 21 der „R6v. gön. de clin. 
et' de th6r.“ folgende Methode der Abtreibung der Taenia solium, 
die er seit 15 Jahren mit Erfolg anwendet : Am Abend vor Beginn 
der Cur darf Patient nur eine Tasse Mileh genießen. Am folgenden 
Tage nimmt er nüchtern alle 5 Minuten in einem Eßlöffel Zucker¬ 
wasser eine Kapsel, bestehend aus 

Rp. Extr. filic. mar. aetb.8*0 

Calomelan . ..0 - 8 

Divid. in Capsul. XVI. 

Gewöhnlich wird der Bandwurm wenige Minuten nach Einnehmen 
der letzten Kapsel oder schon etwa früher ansgestoßen. Geschieht 
das nicht, dann werden 2 Stunden nach Verschlucken der letzten 
Kapsel 80 - 0 Syrup. Aetheris auf einmal genommen und eventuell 
nach Verlauf von weiteren 2 Stunden dem Patienten 40*0 Ricinusöl 
in einer Tasse schwarzen Kaffee gereicht. 

— Bromoform bei Keuchhusten wurde von Dr. H. Neumann 
(Berlin) in 25 Fällen angewendet. Die Verabreichung geschah nach 
Angabe Stepp’s in Form von Tropfen, welche in Zuckerwasser 
su*pendirt werden. Das Mittel wurde von den Kindern nie zurück¬ 
gewiesen. Die Wirkung zeigte sich, wie Verf. in Nr. 7 der „Therap. 
Monatshefte“ mittheilt, in den günstig beeinflußten Fällen in wenigen 
Tagen. Die Intensität dor Anfälle wurde mit großer Regelmäßigkeit 
günstig beeinflußt. Daß aber das Bromoform den Verlauf der Per¬ 
tussis abkürzt, konnte N. nicht so wie Stepp beobachten. 8elbst 
bei andauernder und energischer Darreichung dauerte das Stadium 
convulsivum seine gewöhuliche Zeit. Selbst zu einer Zeit, wo man 


ein Abklingen des convulsivischen Stadiums erwarten dürfte, ver¬ 
mochte das Bromoform nur die Anfälle zu vermindern, ohne den 
Ablauf der Pertussis zu verkürzen. Auch im catarrhalischen Stadium 
verabreicht, vermag das Bromoform den Keuchhusten nicht zu 
coupiren. Verf. hat auch Phenacetin gegen Keuchhusten ange¬ 
wendet, und zwar gab er im 1. Jahr 3stündlich 0 01—0*02, bei 
2 Jahren 3stündlich 0‘1—0'2, bei 6—7 Jahren 3stündlich 0*2. 
Die Anfälle werden leichter, kürzer und nehmen an Zahl ab, die 
Dauer der Krankheit bleibt aber unbeeinflußt. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


Köuigl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest. 

f Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 7. Juni 1890. 

Dr. J. Bär SONY: Ueber Gynatresien mit Kranken Vorstellung. 

Nach der FuLD’schen Statistik sind unter 65 Frauen 48 ge¬ 
storben. Auf der Klinik von Prof. K£zmArszky sind 15 Fälle 
vorgekommen. Die angeborenen Atresien können in dreierlei Weise 
zu Stande kommen: 1. Der Canal ist normal entwickelt, aber zu¬ 
sammengeklebt ; 2. der Canal ist durch fötale Entzündungen zu 

Grunde gegangen ; 3. der Canal hat den Sinus urogenitalis nicht 

erreicht. Die acquirirten Atresien entstehen durch Verletzungen, 
ätzende Einspritzungen, infectiöse Uleerationen u. s. w. 

Das Menstruationsblut sammelt sich über dem Verschluß in 
der Scheide oder gleichzeitig anch in der Gebärmutter und den 
Eierstöcken an und kann sogar zu Beratung der Tuben führen. 
Die Schmerzen, besonders während der Menstruation, sind oft un¬ 
erträglich. 

Ohne operativen Eingriff ist die Prognose schlecht, denn das 
Blut geht in Fäulniß über oder es bricht in die benachbarten 
Höhlen durch. Die Zeit des Eingriffes wird durch die Bjütgeschwujst 
bestimmt, da man ohne letztere sich nicht zurechtfinden kann. Die 
Gefahren der Operation sind: 1. die Möglichkeit der Verletzung 
benachbarter Organe; 2. die Beratung der Tuben; 3. die Gefahr 

der Infection. Prof. Keämarszky legt bei hymenalen oder engen 
Scheidenatresien eine kleine Oeffnung an und sieht von einem Bauch- 
verbande ab. 

Breite Atresien werden nach einem Querschnitt stumpf mittelst 
Finger oder Scalpellstiel getrennt und die Wiederverklebüng durch 
Jodoformgaze, Glasdrain oder zeitweilige Erweiterung verhindert. 
Bei Gebärmutteratresien gebt man mit Sonde oder Messer vor. 
Bei Blutansammlung in den Tuben geht Vortr. lieber nach Kehrer 
als nach Schröder vor; es wird erst die Atresie eröffnet und 
nur, wenn die Tubengeschwulst nicht abnimmt, würde er die Salpin- 
gotomie vornehmen. Verzweifelte Fälle von acquirirten Atresien 
können die Castration indiciren. 

Unter den 15 Atresien der KEZMJLRSZKY’schen Klinik waren 
9 congenitale (5 hymenale, 4 vaginale, darunter 1 zugleich hymenal 
und vaginal). Unter den acquirirten war 1 nach Blattern, 1 nach 
Perforation, 2 spontan nach der Geburt, 2 angeblich während der 
Geburt, beziehungsweise nach dem operativen Eingriffe entstanden. 

Bei den vorgestellten 3 acquirirten Atresien sind große Blasen¬ 
scheidenfisteln vorhanden. Bei der einen ist die Fistel operirt, die 
Gebärmutter klein und das Menstruationsblut wird durch Blase und 
Harnröhre entleert; bei der anderen ist die Fistel noch nioht ge¬ 
schlossen und es bildet sich während det Menstruation eine faust¬ 
große Hämatometra, hierauf entleert sich das Blut langsam durch 
die Blase. Vortr. hält dafür, daß in solchem Falle zunächst die 
Fistel operirt werden muß. 

Dr. S. Szenes: Ueber den Werth einiger neuer Heilmittel in 
der ohrenärztlichen Praxis. 

Menthol in 20proc. öliger Lösung wurde gegen Furunoulose 
des äußeren Gehörganges empfohlen, indem ein damit getränkter 
Wattatampon täglich einmal eingeftihrt wird, bis .der Proceß abge¬ 
laufen ist. Manchmal erzeugt es starkes Brennen, so daß es von den 
Kranken nicht immer vertragen wird. Es ist jedoch zweckmäßiger, 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 81. 


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das Menthol nach Aufschneiden und Auslöffeln des Furunkels zu 
appliciren. 

Gegen dasselbe Leiden wurde Aluminium aceto-tarta- 
ricum in 20proc. , Sublimat in l°/ooig®r und Al um. 
acet. mit 4fachem Wasser empfohlen. Die ersten beiden haben 
sich bei gespaltenem oder spontan eröffnetem Furunkel als zweck¬ 
mäßige Antiseptica erwiesen ; letzteres mehr als schmerzstillendes 
Mittel bei diffuser Otitis externa, welche sich an chronische eitrige 
Mittelohrentzündung anschließt. 

löproc. Carbolglycerin wurde vom Vortr. im ersten 
Stadium der acuten Otitis media angewendet, wo noch diffuse 
Hyperämie vorhanden ist und in der Trommelhöhle noch kein Secret 
sich gebildet bat. Die Schmerzen werden dadurch nicht immer ge¬ 
stillt und in 3 Fällen unter 16 ist dennoch Eiterung eiugetreten. 

Creolin wurde zu 5 Tropfen auf 1 / 2 Liter Wasser gegen 
acute und chronische Mittelobreiterungen empfohlen, aber der schlechte 
Geruch und Geschmack des Creolinwassers wird selbst von indolenten 
Kranken schlecht vertragen und hat außerdem den Nachtheil, daß in 
der undurchsichtigen Flüssigkeit die Beschaffenheit des Eiters nicht 
zu erkennen ist. Immerhin ist es für Einspritzungen, die der Kranke 
selbst voroimmt, empfehlenswerther als die verschiedenen „Thee- 
arten“. Gute Dienste leistet 2proc. Creolinsalbe bei acuten Eczemen 
des äußeren Gehörganges und der Ohrmuschel. 

Von den pulverförmigen Arzneistoffen, welche bei chronischer 
Otitis media purulenta nach Reinigung und Trocknen des Ohres in 
den äußeren Gehörgang geblasen werden, sind Jodol, Bismuthum 
salicylicum, Aristol und die von Bezold schon früher ein¬ 
geführte Borsäure zu erwähnen. Die ersten 3 haben den Nach¬ 
theil , daß der in der Trommelhöhle hinter dem Pulver sich etwa 
gebildete Eiter nicht erkannt wird, weil diese Präparate trocken 
bleiben. Dagegen ist die Borsäure in allen jenen Fällen anwendbar, 
wo die Perforation des Trommelfells günstig sitzt und genügend 
groß ist, wo die Gehörknöchelchen und die Wandungen der Trommel¬ 
höhle nicht cariös sind, wo ferner der Zitzenfortsatz nicht ange¬ 
griffen ist, kurz, wo Eiterretention nicht zu befürchten ist. Bei der 
Berührung der wunden Stelle mit der Borsäure empfindet der Kranke 
ein rauschendes Geräusch, welches gewöhnlich nach 1—2 Stunden 
verschwindet. 

Wenn Tags darauf die Borsäure nicht mehr in demselben Zu¬ 
stande vorgefunden wird, dann wird nach Ausspritzung und Trocknen 
des Ohres wieder etwas Borsäure eingeblasen. Bei acuter eitriger 
Entzündung genügt die Reinhaltung, um Heilung zu erzielen. 

Die l&proc. Milchsäure greift die Haut des äußeren Gehör¬ 
ganges und der Muschel zu sehr an. 

4—lOproc. C o c a Y n lösung in einigen Tropfen mittelst Katheters 
durch die Tuba Eustachii in die Trommelhöhle gespritzt, wurde 
gegen Ohrensaasen empfohlen. In 14 Fällen hatte Vortr. trotz 
2—3wöchentlicher Fortsetzung der Behandlung keinen einzigen 
Erfolg zu verzeichnen, dagegen traten bei 3 Kranken trotz der 
geringen Mengen Vergiftungserscheinungen auf (Brechreiz, Schwindel, 
manchmal auch Erbrechen). Andere Autoren haben noch schwerere 
Vergiftungserscheinungen beobachtet. 

Die Massage lernte der Vortr. auf der Prager Ohreuklinik 
kennen und hat sie in 16 Fällen bei Exsudaten nach acuten Mittel¬ 
ohrentzündungen , welche durch Ballon- oder Katheterbebandlung 
nicht zur Aufsaugung gebracht werden konnten, mit sehr befriedi- 
geudem Erfolge angewendet. Bei eventueller Eiterung kann erst 
nach Aufhören derselben massirt werden. Er empfiehlt diese Be¬ 
handlungsmethode aufs Wärmste. 

Dl*. H. ALAPY demonstrirt sterilisirte Katheter. Die¬ 
selben werden einzeln in 1 / 3 Bogen Papier gewickelt, dessen Enden 
gleichfalls eingesohlagen werden. Auf der Papierhülle wird der Inhalt 
vermerkt und hierauf wird derselbe mit anderen Instrumenten in 
einer unten geschlossenen, oben mit Baumwollpfropfen versehenen 
Glasröhre : / s Stunde lang der Wirkung durchströmender Wasser¬ 
dämpfe ausgesetzt. Versuche zeigten, daß so behandelte Katheter 
durch 1 V '2 Jahre steril geblieben sind. n. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 2. Juli 1890- 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Prof. M. Schüller : I. Zur operativen Entfernung eingeklemmter 
Gelenkmäuse des Kniegelenks. 

Schüller hebt zunächst die relative Gefahrlosigkeit hervor, 
welche die Eröffnung der Gelenke in der antiseptischen Aera ge¬ 
wonnen hat, während früher nach einer Statistik von Volkmann 
unter 179 Operationen von Gelenkmäusen 38mal der Tod durch 
Vereiterung des Gelenks eintrat. Man eröffnet jetzt allgemein das 
Gelenk über der Stelle der Gelenkmaus durch einen freien Ein¬ 
schnitt und scheut selbst nicht vor einer Durchsuchung des Gelenks 
zurück. 

Ist die Gelenkmaus zwischen den Gelenkfiächen eingeklemmt, 
so wird wohl Niemand in der Einklemmung noch eine Indication 
zur Rcsection sehen. Es wird vielmehr an jedem Gelenke möglich 
sein, selbst eine derartig eingeklemmte Gelenkmaus unter Erhal¬ 
tung des Gelenks operativ zu entfernen. 

Im vorliegenden Falle handelte es sich um eine zwischen 
Tibia und Femurgelenkfläche eingeklemmte Gelenkmaus des linken 
Knies Pat., 23 J. alt, Kaufmann, ist immer gesund gewesen. Im 
Sommer 1880 Fall auf das linke Kniegelenk, das stark anschwoll. 
Behandlung unter Anderem auch mit Gypsverband. Er konnte nach 
Monaten wieder gehen, hatte aber gelegentlich Schmerzen im Knie. 
Neue Verletzung 1882 beim Tiefsprung während des Turnens, 
darnach wieder Bluterguß. Dritte Verletzung im Sommer 1885. 
Darnach erst entwickelten sich die für einen freien Gelenkkörper 
charakteristischen Erscheinungen. Er bemerkte ferner selbst öfter 
außen vom Lig. patellae einen beweglichen Körper, zu anderer Zeit 
merkte er ihn au der Innenseite des Bandes. Nachdem mehrmals 
Einklemmungon durch bestimmte Bewegungen von ihm hatten aus¬ 
geglichen werden können, trat am 4. September 1889 eine Ein¬ 
klemmung auf, bei der ihm dies nicht mehr gelang. Schüller 
fand das Bein in leichter Beugestellung, active Bewegung war fast 
bis zum rechten Winkel möglich, Streckung, activ oder passiv, un¬ 
möglich. Nachdem ein nach mehreren Tagen angestellter neuer 
Repositionsversuch auch mißlungen war, wurde am 14. September 
zur Operation geschritten. Einen freien Körper hatte Schüller 
freilich nicht uachweisen können, doch war aus der ganzen Krank¬ 
heitsgeschichte auf die Anwesenheit eines solchen zu schließen. 

Nach antiseptischcr Reinigung des Beines Längsschnitt Uber 
die inneren Condylen zwischen Patella und Lig. lat. int., da nach 
der Localisation der Schmerzen der Fremdkörper zwischen den 
Gelenkflächen der inneren Condyleu eingeklemmt sein mußte. Durch¬ 
trennung der Vastusfasern, der Fascien und der Gelenkkapsel, seit¬ 
liche Ablösung der Kapsel von den Condylen auf eine kleine 
Strecke, forcirte Abduction, es zeigte sich jetzt der Semilunar¬ 
knorpel etwas nach der Mitte verschoben. Man sah einen circa 
3-5 Cm. langen Gelenkkörper, dessen unteres Ende bimförmig ver¬ 
dickt war, zwischen den Condylen hervorragen, er entsprang von 
der Eminentia intercondylica tibiae. Durchtrennung des Stiels und 
Entfernung der Gelenkmaus. Das Gelenk war sonst normal. Keine 
Ausspülung des Gelenks, Fixation des Semilunarknorpels, Schluß 
der Kapsel, Schluß der Hautwunde bis auf eine kleine Stelle oben 
neben der Patella , von wo aus ein Jodoformgazestreifen in den 
oberen Recessus eingeführt wird, um durch den Reiz die erschlaffte 
Kapsel wieder zur Norm zu bringen. Darüber Jodoformeollodium, 
Watte, fester Verband, fieberloser Verlauf, erster Verbandwechsel 
nach 4 Tagen, Gazestreifen entfernt, neuer fester Verband, Nähte 
10 Tage post op. entfernt, Heilung per primam, Gypsverband, vier 
Wochen nach der Operation erste Gehversuche an Krücken im 
festen Verbände, später Knieschienenapparat mit etwas Beugung, 
endlich Massage. 

Die Herstellung der Functionen des Gelenks ist eine voll¬ 
kommene, Pat. macht weite Wege ohne Beschwerde und ist ein 
ausdauernder Tänzer. 

Bei der vorher erwähnten forcirten Abduction, die in leichter 
Beugestellung erfolgen muß, geht die Patella etwas uach außen, 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 31. 


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das Lig. lat. int. etwas nach hinten, ohne zu zerreißen. Uebertreibt 
man die Abduction nicht, so bleibt der Baudapparat ganz intact, 
wie Schüller früher an Leichen festgestellt bat. Die gleiche 
Operationsmethode empfiehlt sich auch beim Internal deraDgement 
of the knee point, ferner bei Subluxation und Abriß eines Meniscus 
mit Interposition, wenn Reposition unmöglich ist. Bezüglich der 
Entstehung des Gelenkkörpers liegt es nahe, anzunehraen, daß zu¬ 
nächst aus dem Gelenkknorpel ein Stück ausgesprengt wurde, 
welches allmälig gelöst und zuletzt frei zur Gelenkmaus wurde. 

Derselbe: 2. Günstiges Resultat einer geheilten Fußgelenk- 
resection. 

Knabe von 14 Jahren, vor 4 Jahren wegen osteomyelitischer 
Vereiterung des Fußgelenks resecirt (subperiostal nach Längenbeck). 
Er geht schon längst ohne Schienen Stiefel; sieht man ihn gehen, 
so ist schwer ft stzustellen, auf welcher Seite er resecirt worden ist. 
Die normale Form des Fußes hat sich vollkommen wiederhergestellt, 
besonders sind die Knöchel in normaler Form und Größe wieder 
gewachsen. Unterschenkel und Fuß sind beiderseits gleich lang. 
Von principieller Wichtigkeit ist, daß man zunächst 
fibröse Ankylose oder nur beschränkte Beweglichkeit anstrebt, 
um dauernde Gebrauchsfähigkeit zu sichern. 

Die Bewegungen sollen nur langsam, von Jahr zu Jahr freier 
werden. Eine gesteigerte Beweglichkeit der Fußwurzel unterstützt 
alsdann die Bewegungen im Fußgelenk. Der Knabe springt, läuft, 
turnt mit seinen Mitschülern um die Wette. Die altbewährten Re- 
sectionsmethoden können also sehr wohl auf natürlichem Wege 
zur Erzielung eines neuen Gelenkes führen, das in jeder Hinsicht 
dem normalen Gelenk gleichkommt und den großen Vorzug 
der Dauerhaftigkeit besitzt. 

Derselbe: 3. Demonstration eines Präparates von habitueller 
Schultergelenksluxation. 

Das Präparat stammt von einer 39jährigen, sonst gesunden 
Frau. Erste Luxation vor 14 Jahren in Folge heftiger Krämpfe 
während der Entbindung. Seitdem sehr häufig luxirt. Sie konnte 
den Arm nicht gebrauchen und batte große Beschwerden. Resection 
am 14. Mai 1890. 

Der Humeruskopf zeigt einen grubigen Defect an seiner 
hinteren Partie, wie ihn Cramer, Küster, Volkmann, Löbker in 
anderen Fällen von habitueller Luxation auch gefunden haben. 

Jössel gibt als Ursache der habituellen Luxation den Abriß 
der Schulterblattmuskeln vom Tuberc. majus und ihre Retrac- 
tion hinter das Acromion an, wodurch die Kapsel abnorm erweitert 
werden soll. Sie war hier nicht abnorm weit, alle Schulterblatt¬ 
muskeln functioniren auf faradische Reizung. In der Kapsel fanden 
sich ferner vier, tbeils knorpelige, theils knöcherne Gelenkkörper. 
Der Defect am Kopfe ist hier wahrscheinlich durch Druck desselben 
auf den inneren Pfannenraum entstanden. Die Pfanne war hier 
abgeschrägt, daneben stand der Kopf. Brüche der Pfanne werden 
zur Ursache habitueller Luxation dann, wenn zu früh mit Be¬ 
wegungen begonnen wird, ehe der Bruch in einem gut fixirenden 
Verbände geheilt ist. Die freien Gelenkkörper sind wohl durch 
Arthritis deformans entstanden, die sich auch am Kopfe vor¬ 
fand. Auch aus diesem Falle wird klar, daß bei habi¬ 
tueller Luxation nur ein operativer Eingriff die 
Gebrauchsfähigkeit des Armeswiederherstellen kann. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

(Orig.-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Acadämie des sdences. 

Sitzung vom 16. Juni 1890. 

Ueber die antiseptische und antipeptische Dosis verschiedener 

Substanzen. 

Dr. FeräNINI hat im physiologischen Laboratorium des Prof. 
Richet einige Versuche, betreffend den Vergleich zwischen der auti- 
septischen und antipeptischen Dosis verschiedener Stoffe, nngestellt. 
Unter antipeptische Dosis versteht er die Dosis, die zu einem 


Liter Flüssigkeit zugeaetzt werden muß, um die Umwandlung dee 
Blutfibrins in Pepton unter der Einwirkung des salzsauren Pepsins 
zu verhindern. Um eine sehr wirksame und constante peptische 
Flüssigkeit zu haben, benützte Feranini ein Infus der Magenschleim¬ 
haut eines Schweines. Läßt man eine solche 24 Stunden bei 38° 
mit 500 Kub.-Cm. einer Salzsäurelösung (5 '/ 00 ) digeriren, so erhält 
man eine fast vollständige Lösung der Schleimhaut und die filtrirto, 
an Pepsin sehr reiche Flüssigkeit kann zu künstlichen Verdauungs¬ 
versuchen dienen. Die Wirkung ist verschieden, je nachdem die 
Verdauungsflüssigkeit normal ist oder verdüunt (mit dem 20fachen 
Gewicht Wasser). 

Bei Anwendung der normalen Flüssigkeit wirken antipeptisoh 
bei l°/oo : Calomel, Sublimat und Phenol. In Concentrationen vun 
3% wirken autipeptisch: a-Naphtol, Thymol, Chloral, Resorcin. 
Nicht antipeptisch, selbst bei 5°/„, sind : Jodoform, Borsäure, Chininum 
sulfuricum, Terpin, Jodol, ß-Naphtol. 

Bei Anwendung der verdünnten Flüssigkeit wirken antipep¬ 
tisch in der Concentration von 1%: Thymol, Saccharin; in solcher 
von 5°/ 0 : Salol, Salicylsäure, bei 5% wirken nicht antipeptisch: 
Chinin, Menthol, Therpin, Jodoform , Borsäure, ß-Naphtol. 

Die antipeptische Dosis der verschiedenen Alkohole ist um 
so größer, je höher ihr Moleculargewicht ist. Für die Unter¬ 
suchungen über Magen - und Darmautisepsis ist die Kenntniß der 
antipeptischen Wirkung der Antiseptica von nicht zu unterschätzen¬ 
dem Werth. 


Sitzung vom 30. Juni 1890. 

Craniectomie bei Mikrocephalie. 

LANNELONGUE berichtet über einen Fall von Mikrocephalie bei 
einem 4jährigen Mädchen. Bis zum Alter von 3 Jahren bat das 
Kind nur flüssige Nahrung zu sich genommen, ist nie gegangen, 
kann sich auch nicht aufrecht halten. Erst seit einigen Wochen 
lallt es einige und immer dieselben Silben. Der Speichel fließt ihm 
aus dem Munde, es ist ganz apathisch und stößt von Zeit zu Zeit 
einen unarticulirten Schrei aus. Es bestehen keinerlei Lähmungen 
und Contracturen, die Sensibilität ist normal, die Reflexe sind nicht 
erhöht. Der Schädel ist sehr klein, im Querdurchmesser abgeplattet, 
der Typus eines Scapbocephalus. 

Lannelongue glaubte die Hemmung der Entwicklung des Ge¬ 
hirns dadurch zu sistiren, daß er das durch den Schädel gegebene 
Hinderniß entfernte, und zwar an der Stelle, an der sich die Centren 
befinden, die den größten Einfluß auf das animalische Leben üben. 
Es wurde daher parallel der Sagittalnaht und etwa 2 Querfinger 
von derselben entfernt, auf der linken Schädelhälfte eine 9 Cm. 
lange und 6 Mm. breite Lücke in den Schädel gesetzt. Die Blutung 
war sehr gering. Die Wunde wurde vernäht und heilte in einigen 
Tagen. Die Operation wurde am 9. Mai ausgeführt. Am 15. Juni 
ist der Zustand des Kindes ein bedeutend besserer. Es ist viel 
ruhiger. Die unarticulirten Ausrnfe haben schon am 2. Tage nach 
der Operation aufgehört. Das Kind zeigt Interesse für die Um¬ 
gebung. Es spielt sich, lacht und scheint sehr glücklich darüber, 
daß man sich mit ihm abgibt. Es versteht Vieles, versucht zu 
sprechen und spricht auch schon einige Worte; es kann sich 
von selbst aufrecht halten, geht mit sehr regelmäßigen Schritten. 
Die Entwicklung der Intelligenz macht stetige Fortschritte, das 
Kind ißt bereits bei Tisch und macht nicht den Eindruck eines 
Idioten. Daß der zweite wichtige Theil der Behandlung nunmehr die 
Erziehung bildet, ist klar, daß aber eine solche erst durch die be¬ 
schriebene Operation möglich geworden ist, steht außer Zweifel. 

Am 10. Juni hat L. einen 2 Fall von Idiotismus in ähnlicher 
Weise operirt. Der gesetzte Schädeldefect hatte in diesem Falle 
eine Länge von 14 Cm. Die Wunde heilte rasch und ganz reac- 
tionslos. Ueber die weiteren Folgen der Operation wird L. seiner¬ 
zeit berichten. K. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


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Notizen. 

Wien, 2. August 1890. 

Zum X. Internationalen medieinischen Congresse zn Berlin: 

„Das zur Ueberzeugung gewordene Gefühl der Zusammen¬ 
gehörigkeit aller Völker ruft in wachsender Menge Be¬ 
strebungen zu internationaler persönlicher Verständigung 
hervor, indem mit dem Fortschritte der Civilisation sich die 
Anlässe mehren. Je mehr derlei Bedürfnisse menschliche 
sind, je inniger sie Jeden in den verschiedensten Verhältnissen 
und Lebensstellungen berühren, je größer der Werth des zu 
erreichenden gemeinsamen Guten, je größer das abzuwendende 
Uebel ist, je unerläßlicher es zu dem einen wie dem anderen 
Zwecke der aufopfernden Mitwirkung Aller bedarf, desto wich¬ 
tiger ist der Congreß und desto deutlicher gestaltet sich der¬ 
selbe zu einer Versammlung von Vertrauensmännern der Völker. 

„Die nächste Aufgabe eines solchen Congresses besteht 
darin, daß alle über die zur Verhandlung und Erledigung 
vorliegender Fragen bestehenden Meinungen und Ansichten 
ihre persönliche Vertretung finden, daß sich über diese Fragen, 
nach dem sie in der Presse discutirt wurden, das lebendige 
Wort vernehmen lasse, und sich zur Stelle ergebe, welche die 
überwiegende, die herrschende Ansicht sei. Nicht nur sollten 
Diejenigen, welche sich durch die Schrift ausgesprochen, 
sondern auch Diejenigen, welche dies nach keiner Richtung 
hin gethan haben, hier persönlich bekennen und für ihre 
Meinung einstehen durch Rede und Abstimmung. — Der 
Congreß hat die Macht der Presse zu ergänzen, und zwar 
nicht allein durch Belehrung, sondern auch, und zwar ganz 
vorzüglich, durch das Beispiel von Opferwilligkeit, Ueber- 
zeugungstreue und Freimuth seiner Mitglieder; er soll durch 
rückhaltlose Discussion das allgemeine Interesse beleben, alle 
Schichten der Bevölkerung wecken, indem er darin von der 
Verurtheilung alter eingebürgerter Satzungen ebensowenig wie 
vor der Kritik civilisatorischer Neuerung zurückschreckt, 
— er soll, indem Jeder den Stand der auf die zu ver¬ 
handelnden Fragen bezüglichen Dinge in seinem Lande, unter 
seinem Volke nach allen Richtungen klar und offen darlegt, 
seine wahrhaft internationale Mission darthun und vermöge 
der Geltung seiner Mitglieder sich in seinem Ressort die 
Führerschaft begründen.“ 

Mit diesen Worten hat Rokitansky, der Präsident des 
im Jahre 1873 zu Wien abgehaltenen III. internationalen 
medieinischen Congresses, denselben eröffnet. Es ist nicht 
möglich, die Aufgaben und Zwecke solcher Vereinigungen 
präciscr zu bezeichnen, als dies in diesen Worten geschehen, 
und mit Befriedigung muß uns die Erkenntniß erfüllen, daß, 
was vor 17 Jahren als Wunsch ausgesprochen ward, heute 
der Realisirung zugeführt ist. 

Sehr langsam, in stetem Kampfe gegen Apathie, Sonder¬ 
bestrebungen und Hochmuthsdiinkel, gelangte die von Frank 
reich inaugurirte Institution der internationalen medieinischen 
Congresse zu Entwicklung. 1867 in Paris, 1869 in Florenz 
von einer verschwindend geringen Zahl einheimischer und 
fremder Gelehrter besucht, ungenügend vorbereitet und durch¬ 
geführt, 1873 in Wien in Folge mancherlei Umstände trotz 
aller Bemühungen nicht vollständig befriedigend, 1875 in 
Brüssel, 1877 in Genf so schwach besucht und wenig 
beachtet, daß ein tonangebendes Berliner Fachblatt in vollem 
Ernste dem Wunsche Raum gab, man möge die Reihe der 
internationalen medieinischen Congresse. welche keinem Be¬ 
dürfnisse entsprechen und das, was noththut, zu leisten nicht 
vermögen, abschließen, war es erst Amsterdam im Jahre 
1879 Dank dem unerhörtes Aufsehen erregenden Vortrage 
Lister’s über antiseptische Wundbehandlung, wie nicht minder 
V irchow’s classischen Ausführungen über Aerzteerziehung be- 
schieden, den internationalen medieinischen Congreß aus der 
Knospe zur Blüthe zu bringen und das Interesse der ge- ! 
sammten medieinischen Welt zu erregen. Wen wird es Wunder 


nehmen, daß unter solchen Umständen eine überaus große 
Zahl von Theilnehmern sich in Englands Hauptstadt 
zusammenfand, wo Virchow über den Werth des pathologischen 
Experimentes, Hüxley über den Zusammenhang der biologi¬ 
schen Wissenschaften mit der Medicin, Pasteur über animale 
Vaccination und die Keimtheörie sprachen? Die Wiedergeburt 
des internationalen medieinischen Congresses hat in St. James’ 
Hall stattgefunden, und Sir James Paget’s Präsidentenglocke 
war es, die sie verkündete. — Der majestätischen Themse¬ 
stadt folgte 1884 das liebliche, gastfreie Kopenhagen, wo 
Pasteür seinen weltberühmten Vortrag „Sur les microbes 
pathogenes et vaccins“ hielt, Virchow über Metaplasie, 
Tommasi-Crüdeli und Klebs über Malaria sprachen. Nachdem 
im Jahre 1887 Washington einen geringen Bruchtheü der 
europäischen Gelehrten über den Ocean gelockt, öffnet heute 
dem X. internationalen medieinischen Congresse Berlin 
zum ersten Male seine Thore, ziehen heute die Aerzte, die 
Forscher, die Gelehrten, die unermüdlichen Arbeiter an dem 
stets herrlicher prangenden und höher aufstrebenden Baue der 
Wissenschaft, in die prächtige, sich unaufhaltsam entwickelnde 
Hauptstadt des Deutschen Reiches, deren medicinische Schule 
in vollem Glanze erstrahlt. 

In umfassender Weise vorbereitet, allenthalben sympa¬ 
thisch begrüßt, wird der X. internationale medicinische Con¬ 
greß die hochgespannten Erwartungen voll und ganz erfüllen, 
mit welchen die Aerzte aller Nationen seinem Verlaufe ent¬ 
gegen sehen. Dafür bürgt der Name des Mannes, der an seiner 
Spitze steht, des als Gelehrter wie als Mensch mit Recht ge¬ 
feierten Rudolf Virchow , die ungewöhnlich große Zahl be¬ 
rühmter Forscher, welche die Errungenschaften stiller Ge¬ 
lehrtenarbeit vor einem Parterre von Aerzten aller Länder zu 
verkünden sich bereiten, dafür bürgt die gastfreie Kaiserstadt, 
vor Allem aber die Erkenntniß der Vortheile, welche der 
Wissenschaft und ihren Jüngern aus dem gesprochenen Worte, 
dem persönlichen Verkehr erwachsen. B. 

Die Stadt Berlin wird am Dienstag, den 5. August, 
dem internationalen medieinischen Congress einen gastlichen 
Empfang bereiten. Hiezu sollen an die Mitglieder der Ver¬ 
sammlung persönliche Einladungen ergehen, welche auf die 
Person des Empfängers lauten. Allerdings wird insofern eine 
gewisse Grenze gesetzt sein, als nur diejenigen Personen 
mit Einladungen bedacht werden können, welche vor dem 

1. August ihre Mitgliedskarte (Leipzigerstraße 75, SW.) gelöst 
haben. Dies wird für viele auswärtige und die meisten 
deutschen Aerzte zu treffen, um so mehr, als auch die Theil- 
nahme an der Eröffnung der medicinisch-wissenschaftlichen 
Ausstellung — außer für besonders eingeladene Ehrengäste — 
nur im Besitz einer solchen Mitgliedskarte möglich sein wird. 
— Dem Publikum wird die medicinische Ausstellung in der 
Maschinenhalle des Ausstellungsparks am Samstag, den 

2. August, von 1 Uhr an, gegen eine Mark an den übrigen 
Tagen — soweit die Räumlichkeiten nicht von dem Con¬ 
greß selbst mit Beschlag belegt sind — gegen 50 Pfennige 
Eintrittsgeld offen stehen. Ein vollständiges Berliner Adre߬ 
buch de« jenigen Mitglieder des X. internationalen medieinischen 
Congresses, deren hiesige Wohnung zur Zeit der Versammlung 
bekannt ist, wird augenblicklich ausgearbeitet. Allerdings haben 
von nahezu 2000 Aerzten — so viele waren 14 Tage vor Beginn 
der Versammlung bereits eingetragen — nur etwa der vierte 
Theil für rechtzeitige Sicherung von Wohnungen Sorge ge¬ 
tragen, und es wäre sehr erwünscht, wenn die Herren sich bald- 
thunlichst an das Wohnungscomitö (Carlstraße 19) wenden woll¬ 
ten, um hernach Aufenthalt und Verdrießlichkeit zu ersparen. Den 
Herien Vertretern der Presse wird man in jeder Weise durch 
angemessene Verthei hing der Schreibplätze und Karten an 
die politischen und fachwissenschaftlichen Zeitungen, beziehent¬ 
lich ihre Vertreter entgegenkommen. Gesuche um Plätze und 
Karten sind schriftlich an das Preßcomite, Carlstraße 19, 
zu richten. 


2 * 


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1231 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


1232 


(Personalien.) Der Kaiser hat dem k. und k. Leibarzte, 
Hofrath Prof. Dr. H. Widkrhofer, in Anerkennung seiner der 
Erzherzogin Marie Valerie geleisteten ausgezeichneten Dienste den 
Freiherrnstand und dem Hofzahnarzte Reg.-R. Raimund Günther 
den Adelsstand mit Nachsicht der Taxen verliehen. 

(Un i versitäts-Nachrich ten.) Prag. Der I. Assistent 
am physiologischen Institut der deutscheu Universität, Dr. Eug. 
Steinach, hat sieh als Privatdocent der Physiologie habilitirt. — 
München. Geh. Rath v. Ziemssen wurde zum Rector magnificuB 
für das Jahr 1890—91 gewählt. — Würzburg. Dr. Th. du 
Mesnel de Rochemont, Assistent Leube’s, hat sich als Privatdocent 
für innere Medicin habilitirt. — Basel. Habilitirt als Privat- 
docenten: für Augenheilkunde Dr. K. Mellinger, für Otologie und 
Laryngologie Dr. A. Schwendt, für pathologische Anatomie und 
Bacteriologie Dr. A. Dublee, für normale Anatomie und Histologie 
Dr. v. Lenhossek. — Genf. Dr. E. Kummer hat sich als Privat¬ 
docent für Chirurgie habilitirt. 

(Die Krankencassen und die Aerzte.) Aus Saaz in 
Böhmen erhalten wir folgende bemerkenswert^ e Zuschrift: „Daß 
die Bezirkskrankencassen die praktischen Aerzte in hohem Grade 
schädigen würden, wurde gleich bei Creirung derselben von den 
Aerzten lebhaft empfunden und oft genug, leider vergebens, er¬ 
örtert. Daß Conflicte nicht ausbleiben würden, konnte mit hand¬ 
greiflicher Gewißheit vorausgesagt werden. Thatsächlich droht nun 
in unserer guten Stadt ein solcher Conflict. Saaz besitzt bei einer 
Bevölkerungszahl von etwa 11 000 Seelen die stattliche Anzahl 
von vierzehn, meist jungen, thatkräftigen und eifrigen Aerzten. Als 
die Krankencassa sich constituirt und seltsamerweise einen Apotheker 
zum Obmann gewählt hatte, trat dieselbe im August v. J mit den 
hiesigen praktischen Aerzten in Unterhandlung und es kam ein 
Vertrag zu Stande, welcher vorläufig für ein halbes Jahr Giltigkeit 
haben sollte und kraft dessen die circa 2900 Köpfe zählenden 
Cassenmitglieder sich jeweilig ihren Arzt nach Belieben wählen 
konnten. Die Entlohnung der Aerzte sollte nach den einzelnen 
Leistungen erfolgen, und zwar in der Art, daß für jede Visite in 
der Stadt 40 kr.; für jede Hausordination 37 kr. seitens der Cassa 
zu leisten sei. Entbindungen,' Operationen, Wegegelder außerhalb 
des Stadtrayons wurden extra vergütet. Das Honorar sollte monat¬ 
lich bezahlt werden. (Nebenbei gesagt, wurde die letztgenannte Be¬ 
dingung niemals eingehalten.) — Nach Ablauf des ersten Halb¬ 
jahres wurde dieser Vertrag erneuert, nachdem man den Aerzten 
von ihrer spärlichen Entlohnung für das erste Halbjahr noch 15°/ 0 
„abgezwickt“ hatte. Am 1. August 1890 geht nun der Vertrag 
mit den Aerzten zu Ende. Am 19. Juli, also wenige Tage vor 
diesem Termine, versendete die Saazer Bezirkskrankencasse an die 
Saazer Aerzte ein Circular folgenden Inhaltes: 

„Euer Hochwohlgeboren ! Der Ausschuß der Bezirkskrankencasse in Saaz 
sieht sich genöthigt, ab 1. August 1890 mit dem Blocksystem zu brechen, 
laut Beschluß vom 18- Juli 189u den Concurs zur Besetzung von 3—5 Cassa- 
Aerztestellen für den Stadtrayon Saaz mit einem Gesammthonorar von 
ö. W. fl. 1000 — Eintausend Gulden ö. W. — incl. Entbindungen, Ope¬ 
rationen etc. (sic!) gegen vierteljährliche Kündigung auszuschreiben. Sollten 
Euer Hochwohlgeboren gesonnen sein, sich um eine dieser Stellen zu be¬ 
werben, so bitten wir, Ihre diesbezügliche Eingabe bis längstens 25. Juli 1890 
an den Vorstand der gefertigten Cassa gelangen zu lassen.“ 

Daraufhin wurde von sämmtlichen Saazer Aerzten in einer 
am 21. Juli abgehalteneu Versammlung mit Einmüthigkeit und ein¬ 
stimmig folgender Beschluß gefaßt, zu Protokoll gebracht und unter¬ 
fertigt: „Auf die Zuschrift der Bezirkskrankencasse zu Saaz vom 
19. Juli 1890 verpflichten sich die sämmtlichen Aerzte der Stadt 
Saaz mit ihrem Ehrenworte, daß sie diese Zuschrift unbeantwortet 
. und unberücksichtigt lassen, weder eine schriftliche, noch eine 
mündliche Vereinbarung mit der Cassa treffen und eventuell neuer¬ 
dings von Seiten der Cassa gestellte Anträge Dur im Einvernehmen 
mit den Collegen zur Entscheidung zu bringen. Diesen Schritt 
halten die betreffenden Aerzte im Interesse des Standes für noth¬ 
wendig.“ — Die so berechtigte Coalition der Saazer Aerzte, welche 
sich auch anderorts bestens bewährt hat, wird, wie wir hoffen, den 
begründeten Wünschen der Aerzte gegenüber den Krankencassen 
zum Siege verhelfen. 


Dr. Taub, Leiter der Wasserheilanstalt im Badener Parke nnd Curarzt iu 
Baden. Renngasse 13. __ 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Kundmaohung. 

Am öffentlichen Krankenhanse zu Pettau ist die Stelle des Ordinarios 
zu besetzen. 

Mit dieser Stelle ist eine Jahresremuneration von vierhundertGulden 
ö. W. verbunden. 

Bewerber um diese Stelle, Doctoren der Medicin und Chirurgie oder 
der gesammten Heilkunde, wollen ihre Gesuche mit den erforderlichen Belegen 
bis 15. August d. J. bei dem gefertigten Landes-Ausschüsse überreichen. 

Kenntniß der beiden Landessprachen erscheint nothwendig. 

Graz, am 22. Juli 1890. 662 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 

' Kundmaohung. 

An der Landes-Siechenanstalt zu Pettau ist die Stelle des Ordinarius 
zu besetzen. 

Mit dieser Stelle ist eine Jahresremuneration von dreihundert 
Gulden verbunden. 

Bewerber um diese Stelle, Doctoren der Medicin und Chirurgie oder 
der gesammten Heilkunde, wollen ihre Gesuche mit den erforderlichen Belegen 
bis 15. Aucust d. J. bei dem gefertigten Landes-Ausschusse überreichen. 

Kenntniß der beiden Landessprachen erscheint nothwendig. 

Graz, am 22. Juli 1890. 663 

Vom stei ermärkischen Landes-Ausschnsse. 

Ausschreibung von Oemeindearstesstellen. 

Obwohl ein Gesetz, betreffend die Regelung des Sanitätswesens in den 
Gemeinden für Steiermark dermalen noch niiht geschaffen ist, so hat der 
Sanitäts-Ausschuß doch mit Rück.-icht auf den vom hoben steiermärkischen 
Landtage zur Subventionirung von Gemeindeärzten schon pro 1890 bewilligten 
Credit von 10 000 fl. im Einvernehmen mit der k. k. steiermärkischen Statt¬ 
halterei jene Gegenden des Landes, welche eines Arztes entbehren, eirns 
solchen aber dringend bedürfen, in Sanitätsdistricte eingetheilt und aus dem 
Landesfonde Subventionen für die anzustellenden Aerzte bestimmt. Auch 
Gemeinden und Bezirksvertretungen haben Subentionen und zum Theil Natural¬ 
quartiere zitgesichert. 

Es kommen nun vorläufig in den 26 bisherigen provisorischen Sanitäts- 
districten 20 Aerzleposten mit nachfolgenden Subventionen für die Zeit vom 
]. October 1890 bis Ende September 1891 zur Besetzung: 


1 

Edelscbrott. 

( Gesammt- 
l Subvention 

fl. 

500 


2 

Kain ach . 


500 


3 

Schleinitz. 


500 


4 

Zellnitz a./Dr. 


460 


5 

Ober-St.-Kun"gund . . . 


600 

saramt Wohnung von 100 fl. 

6 

Jahring. 


500 


7 

St. Georgen i. W. B. . . 

n 

500 


8 

Montpreis. 

n 

500 


9 

Reifnig. 


900 


10 

Tragöß Pichl. 


500 


11 

Oberburg. 


800 


12 

Hohenmauthen. 


700 

und 350 fl- von der Betrieba- 
Krankencasse in Hohen¬ 
mauthen laut Mittheilung 

13 

Slainach . 


550 

der k. k. steiermärkischen 
Statthalterei 

und 250 fl. von der Eisen¬ 
bahn - Betriebs - Direction in 
Innsbruck laut Mittheilung 

14 

Schöder . 


400 

der k. k. steiermärkischen 
Statthalterei. 

15 

Arnfels. 


600 


16 

Leu« schach. 


450 

sammt Wohnung. 

17 

Heil. Kreuz b. Leibnitz . 


400 


18 

St. Martin i. Sulmth. . . 


500 

sammt Wohnung. 

19 

Unterrohr. 


400 


20 

Kumberg. 

T> 

400 



Bewerber um eine diese 

r Stellen, welche für die gemischtsprachigen 


Districte auch der slovenischen Sprache mächtig sein müssen, haben ihre ent¬ 
sprechend belegten Gesuche bis 15 August 1. J. an den steiermärkischen 
Landes-Ausschuß in Graz zu übersenden. 

Zu den Verpflichtungen der anzustellenden Aerzte gehört, sich zur 
Behandlung der Armen in ihrem Sanitätsdistricte den Gemeinden, bezw. den 
Bezirken, zur Verfügung zu stellen, daselbst unentgeltlich die Todtonbeschau 
vorzunehmen, resp. zu überwachen, und jene sanitätspolizeilichen Dienste zu 
leisten, welche den Gemeinden in den §§. 3 und 4 des Gesetzes vom 30. April 
1870, Nr. 68 R.-G.-Bl., vorgezeichnet sind. 

Graz, am 16. Juli 1890. 661 

Vom steiermärkischen La ndes-Aussch usfle. 


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Nr. 32. 


Sonntag den 10. Angnst 1890._XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse* erscheint jeden Sonntag 
3 bis 3 Bogen Oross-Qnart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Media. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien. I.. Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse* und „Wiener Klinik * 
Inland: Jährl. 10 fl., halb]. 5 fl., viertel], 9 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertel]. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halb]. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Elin¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnistr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wiener., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 




Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


2L Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin, 4. — 9. August 1890. 

(Original-Bericbt der „Wiener Med. Presse“.) 


Eröffnung und Begriissung des Congresses 

durch den Vorsitzenden des Organisations-Comites 

Geh.-R. Prof. Rudolf Virohow. 

Im Namen und im Aufträge des Organisations-Comites 
erkläre ich den 10. internationalen medicinischen Congreß für 
eröffnet. 

Hochansehnliche Versammlung! 

Sehr geehrte Herren Collegen! 

Am 9. September 1887 hat der internationale medicinische 
Congreß in Washington einstimmig beschlossen, als den Ort 
für den nächsten, im Jahre 1890 abzuhaltenden Congreß 
Berlin zu wählen. Die Benachrichtigung davon, und zugleich 
die Aufforderung, die Vorbereitungen für diesen Congreß in 
die Hand zu nehmen, erging, außer an mich, an die Herren 
v. Bergmann und Waldeykr. 

Wir nahmen dieselbe an in der Voraussetzung, daß der 
Congreß, seinen Traditionen entsprechend, nicht eine einzelne 
Stadt, sondern ein Land durch seine Wahl habe ehren wollen, 
und wir beriefen daher eine größere Versammlung von Dele- 
girten sämmtlicher medicinischer Facultäten und der größeren 
medicinischen Gesellschaften des deutschen Reiches, um durch 
sie die vorbereitenden Schritte bestimmen zu lassen. Die Ver¬ 
sammlung fand am 17. September 1889 zu Heidelberg statt. 
In derselben wurde das Statut und Programm des Congresses, 
wie es seitdem veröffentlicht ist, angenommen. Es wurde be¬ 
schlossen , den Congreß an den Tagen vom 4. bis 9. August 
1890 abzuhalten. In das vorbereitende Organisations-Comite 
wurden erwählt: als Vorsitzender der gegenwärtige Sprecher, 
als Stellvertreter die Herren v. Bergmann, Leyden und 
Waldeyer. 

Die Aufgabe, .welche uns gestellt war, hatte nach den 
Erfahrungen über die zunehmende Anzahl der Theilnehmer, 
welche die letzten Congresse besucht hatten, und nach dem 
Glanze, den die gastlichen Empfänge so vieler Hauptstädte 
über diese Congresse verbreitet hatten, etwas Bedrückendes. 
Noch heute, gegenüber einer so großen Versammlung, kann 
ich mich des Gefühls nicht entschlagen, daß wir vielleicht 
nicht im Stande sein werden, allen Anforderungen, welche an 
uns gestellt werden, zu entsprechen, und ich bitte Sie, mir 
gestatten zu wollen, schon jetzt an Ihre gütige Nachsicht 
appelliren zu dürfen, wenn manche Mängel hervortreten 
sollten, — Mängel, die wir selbst vielleicht am meisten em¬ 
pfinden, die wir aber nicht beseitigen können. 


Aber ich würde sehr undankbar sein, wenn ich nicht 
auch dem Gefühl der innigsten Freude und der tiefsten Be¬ 
friedigung Ausdruck geben wollte, das mich erfüllt, indem ich 
über die endlosen Reihen der werthen Gäste blicke, die unserer 
Einladung gefolgt sind. Wer selbst länger als 40 Jahre einen 
öffentlichen Lehrstuhl an deutschen Universitäten bekleidet 
hat, wer in seine Erinnerungen die zahlreichen Verluste an 
den besten Freunden, mit denen er gearbeitet, die er selbst 
mit erzogen hat, zurückruft, der darf wohl von Glück sagen, 
wenn er in dieser glänzenden Versammlung Männer wieder¬ 
sieht, die seine Lehrmeister waren, wenn er Vertreter fast 
aller Richtungen in der Medicin , die seit jener Zeit aufge¬ 
kommen sind, Begründer fast aller bahnbrechenden Ent¬ 
deckungen, welche die äußere Gestalt und das innere Wesen 
unserer Wissenschaft von Grund aus umgestaltet haben, wenn 
er unter den Collegen, die von Nah und Fern hier zusammen¬ 
gekommen sind, alte Schüler wiederfindet, die den Geist der 
neuen Zeit in sich aufgenommen und zu kräftigster Wirkung 
entfaltet haben. 

Ja, ich darf es wohl sagen, es ist ein glücklicher Tag, 
der es mir gestattet, geehrt durch die gute Meinung des 
vorigen Congresses, getragen durch das Vertrauen der Lands¬ 
leute, diesen Congreß in der Stadt eröffnen zu können, der 
seit so vielen Jahren meine öffentliche Thätigkeit gewidmet war. 
Und darum rufe ich Ihnen Allen aus vollem Herzen ein 
freudiges Willkommen zu, zugleich im Namen des ganzen 
Organisations-Comites, dessen Mitglieder in treuer, einträch¬ 
tiger Arbeit die ihnen gesteckte Aufgabe zu lösen versucht 
haben und die Ihnen dankbar sind für die wahrhaft collegiale • 
Gesinnung, in der Sie der an Sie ergangenen Einladung ge¬ 
folgt sind. 

Seien Sie überzeugt, daß Sie in unserem Lande überall 
als liebe Gäste werden aufgenommen werden. Unser Volk 
weiß es, daß die Medicin eine der aufrichtigsten Vertreterinnen 
der Humanität ist; es ist daran gewöhnt, daß bei den Aerzten 
Forschung und Praxis in der innigsten Verbindung wirken, 
daß in ihrem Denken die höchsten Ideale des Strebens mit 
der aufopfernden Sorge für das öffentliche Wohl und für das 
Wohl der Einzelnen, auch der Kleinsten und Aermsten, sich 
vereinigen. Die Medicin ist in Deutschland eine wirklich 
populäre Wissenschaft, und wenn unser hart arbeitendes Volk 
auch nur bei wenigen Aerzten den alten Satz zur Wahrheit 
macht: „dat Galenus opes“, so weiß es doch Geschick und Hin¬ 
gebung dureh Liebe und Anerkennung zu erwidern. Es ist 
stolz darauf, wenn seine Aerzte und seine sanitären Einrich¬ 
tungen auch in der Fremde geschätzt werden, aber es schätzt 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 32. 


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auch seinerseits die Namen der großen Mediciner in anderen 
Ländern und es weiß wohl, daß die medicini sehe Wissen¬ 
schaft nur eine ist, und daß die wahrhaft wissen¬ 
schaftlichen Aerzte der ganzen Welt demselben 
Streben zugewendet, derselben Principien theil- 
haftig sind. 

. Seine Majestät der Deutsche Kaiser theilt diese Empfin¬ 
dungen. Er bedauert, daß er von Berlin abwesend sein muß, 
aber er hat befohlen, daß eine größere Zahl von Mitgliedern 
des Congresses durch ein Mitglied seines Hauses empfangen 
werde. Die hohe Reichsregierung und der Reichstag haben 
eine beträchtliche Summe bewilligt, um uns vor Allem die 
Sorge um eine würdige Veröffentlichung unserer Verhand¬ 
lungen zu erleichtern. Sowohl die Reichsregierung, als die 
einzelnen Bundesregierungen betheiligen sieh in hervorragendem 
Maße an der Ausstellung und werden den Mitgliedern des 
Congresses durch besondere Schriften das Verständniß der 
medicinischen Einrichtungen des Landes sichern. Insbesondere 
die preußische Unterrichtsverwaltung hat von Anfang an mit 
dem größten Wohlwollen alle Schritte des Organisations- 
Comites unterstützt, und wenn es uns gelingen sollte, durch 
die Einrichtungen der Sectionssitzungen und der Ausstellung 
d e Anerkennung unserer Gäste zu gewinnen, so werden wir 
das wesentlich der persönlichen Einwirkung des Herrn Ministers 
zu verdanken haben, der nicht müde geworden ist, seinen 
Einfluß überall da einzusetzen, wo Schwierigkeiten drohten. 

Unsere Co]legen werden es zu würdigen wissen, wenn 
ich ihnen sage, daß dieser Congreß der erste große inter¬ 
nationale Congreß ist, der in so weitgehendem Maße schon in 
den vorbereitenden Stadien das Entgegenkommen und die 
bereite Theilnahme sowohl der Reichsregierung, als der ein¬ 
zelnen Bundesregierungen gefunden hat. Es ist Ihr Verdienst, 
m. H., nicht das unserige, daß die Bedeutung unserer Wissen¬ 
schaft in dem Leben der Völker, daß die Größe der Arbeit 
auf unserem Forsehungs- und Thätigkeitsgebiet, — einer Ar¬ 
beit, an welcher in edlem Wetteifer und in voller Gemein¬ 
samkeit des Strebcns die Aerzte aller Nationen betheiligt 
sind, — voll gewürdigt wird. Nicht am wenigsten haben 
diese Congresse dazu beigetragen, die schwierigen Probleme, 
welche unsere Wissenschaft zu lösen bestrebt ist, dem popu¬ 
lären Verständniß näher zu bringen. Mit stets steigendem 
Interesse verfolgt die öffentliche Meinung die überraschenden 
Lösungen, welche in schneller Folge der Natur abgezwungen 
werden, und mit dankbarem Herzen erkennt sowohl der Staats¬ 
mann, als der einzelne Bürger, daß die großen Opfer, welche 
die heutige Forschung erheischt, große, ja unerwartete Seg¬ 
nungen eintragen. 

Wir hoffen , unseren Collegen durch den unmittelbaren 
Augenschein beweisen zu können, wie sehr diese Ueberzeugung 
alle Schichten unseres Volkes durchdringt. Die deutschen 
Regierungen werden Ihnen zeigen, mit welcher Anstrengung 
sie darauf Bedacht nehmen, die sanitären Einrichtungen in 
Einklang mit den Forderungen der Wissenschaft zu bringen. 
Eine Anstalt nach der anderen ist errichtet worden, um den 
Unterricht in der Medicin zu erleichtern, um neue Stätten der 
Forschung zu gründen, um die Quellen der Krankheiten ab¬ 
zugraben, um den Leidenden schnelle und sichere Hilfe zu 
gewähren. In dieser unvollkommenen Welt werden alle prak¬ 
tischen Fortschritte nur schrittweise verwirklicht, und auch 
uns fehlt noch recht viel von dem. was schon jetzt als eine 
Forderung des vorschauenden Wissens bezeichnet werden 
kann. Die großen Uebel des Menschengeschlechtes, Armuth 
und Krieg, bedrohen fort und fort die Gesellschaft und die 
Staaten. Aber es ist ein Trost für uns, daß Volk und Re¬ 
gierungen in Deutschland mit anhaltender Sorge beschäftigt 
sind, die socialen Schäden zu mildern und den Frieden, den 
goldenen Frieden zu wahren. 

Die Medicin hat wenig oder gar keine Gelegenheit, in 
die großen Entscheidungen der socialen und der auswärtigen 


Politik bestimmend einzugreifen. Ihre Aufgabe ist es zunächst, 
in den gegebenen Verhältnissen soweit helfend mitzuwirken, 
als Beschädigungen von Menschen herbeigeführt werden durch 
die Umstände, unter denen sie leben und handeln müssen. 
Nirgends tritt dies mehr in die Erscheinung, als bei den 
militärischen Einrichtungen. So lange es Kriege gibt, so lange 
auch nur Kriegsgefahr besteht, wird die Militärverwaltung 
sich der Aufgabe nicht entziehen dürfen, in ihren Einrich¬ 
tungen jedem Unglücksfall gerüstet entgegentreten zu können, 
der geeignet ist, die Gesundheit der Krieger zu bedrohen. 
Unsere Militärverwaltung gedenkt Ihnen den Beweis zu liefern, 
daß kein nennenswerther Fortschritt im Wissen über Heilung 
und Vorbeugung von Krankheiten ihr entgangen ist. Sie 
werden Gelegenheit haben, theils in unserer Ausstellung, 
theils in den Hospitälern und den Bildunganstalten der Armee, 
Kenntniß zu nehmen von der Sorgfalt, mit der alle Vorbe¬ 
reitungen getroffen sind, welche den Verwundeten und Kranken 
des Heeres schnelle Hilfe sichern können. Und nicht blos 
den Verwundeten und Kranken des eigenen Heeres. Denn 
nirgends ist die segensreiche Thätigkeit des rothen Kreuzes 
so sehr erkannt, nirgends ist sie in eine so nahe und dauernde 
Verbindung mit der Heeresleitung gebracht und ich darf 
wohl hinzufügen, nirgends ist sie durch eine stärkere Prä¬ 
disposition , durch ein mehr entwickeltes humanes Gefühl in 
den Aerzten getragen und unterstützt worden, als bei unseren 
Collegen vom Militär. Ich sage nicht, daß unsere Militär¬ 
ärzte bessere Menschen seien als andere, aber ich glaube 
sagen zu dürfen, daß sie jeden Vergleich aushalten, und daß 
sie im Falle eines Krieges, der recht fern sein möge, Freund 
und Feind mit gleicher Hingebung pflegen werden. 

Vielleicht ist es geboten, um mögliche Mißverständnisse 
abzuschneiden, daran zu erinnern, daß die Organisation des 
deutschen Heerwesens die Grenzen zwischen Militär- und Civil- 
ärzten vielfach verwischt hat. Schon im Frieden hat bei uns 
fast jeder Arzt wiederholt längere oder kürzere Uebungen 
in der Armee durchzumachen, um den praktischen Dienst 
genau kennen zu lernen; im Fall eines großen Krieges aber 
wird sofort die Mehrzahl aller jüngeren Aerzte einberufen, 
um mit in das Feld zu rücken. Die erfahrensten Kliniker, 
zumal unter den Chirurgen, finden ihren vorgezeichneten Platz 
in der Leitung der Kriegsspitäler. Für besondere Zwecke 
und besonders für den Dienst in den Reserve!azarethen, auf 
Sanitätszügen, schließen sich ihnen ältere Collegen aller Art 
an. So gewinnt der Sanitätsdienst in der Armee jene Sicher¬ 
heit, welche die beste Bürgschaft des Erfolges ist; so behält 
er auch jenen humanen Charakter, den der tägliche Dienst 
des praktischen Arztes in seinem bürgerlichen Berufe ent¬ 
wickelt und groß gezogen hat. Ich denke, unsere Aerzte haben 
Zeugniß davon abgelegt in schweren Zeiten, und ich danke 
ganz besonders einem unserer fremden Collegen, daß er noch 
in den letzten Tagen seine Landsleute daran erinnert hat, in 
welchem Maße die deutschen Aerzte auch während der 
Schrecken des Krieges sich der Pflichten der Humanität be¬ 
wußt geblieben sind. 

In der That, m. H., wenn Ihnen hier die Militärmedicin 
in einer Vollständigkeit vorgeführt wird, wie es für die Civil- 
medicin unausführbar sein würde, so geschieht es nicht, um 
Ihnen zu zeigen, wie gut wir auch in dieser Beziehung auf 
den Krieg gerüstet sind. Im Gegentheil, es geschieht, damit 
Sie erkennen, wie die Leitung unserer Armee dauernd und 
erfolgreich den Gedanken festhält, die Gräuel des Krieges 
nach Kräften abzumildern und die Gebote der Menschenliebe 
sofort zur Geltung gelangen zu lassen, sobald der Gegner 
nicht mehr kämpft oder nicht mehr kampffähig ist. Darum 
gibt es auch auf dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens keine 
Geheimnisse, es wird da nichts verheimlicht: je mehr die 
Anderen von uns lernen können, um so mehr wird ihnen auch 
geboten werden. Denn was sie lernen, das wird vielleicht 
dereinst auch unseren eigenen Landsleuten zu Gute kommen; 
zum Mindesten wird es der Menschheit dienen. 


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Und ist das nicht, verehrte Collegen, die höchste Auf¬ 
gabe der internationalen medicinisehen Congresse, daß sie in 
allen ihren Theilnehniern, ja weit über die Reihen der Theil- 
nebmer hinaus, in den Aerzten der ganzen Welt zum vollen 
Bewußtsein bringen, daß die Medicin eine humane Wissen¬ 
schaft sein soll ? Müssen wir uns nicht, in dem Anblick so 
großer Anstrengungen. die sämmtlieh dahin gerichtet sind, 
das Wohl der Menschen zu fördern, müssen wir uns nicht, 
einer den anderen, daran erinnern, daß der ärztliche Dienst 
ein Dienst der Menschheit ist? Sollen wir nicht in gerechtem 
Stolze ob der Größe der persönlichen Opfer, welche der ein¬ 
zelne Arzt, wie oft um den geringsten Lohn oder gar ohne 
JLohn, bringt, darauf hinweisen, daß die Aerzte der ganzen 
Welt zu so gewaltigen Versammlungen nicht zusammentreten, 
um persönliche Vortheile zu gewinnen, um ihre Stellung zu 
verbessern, um sich höheren Lohn und kürzere Arbeitszeit zu 
sichern, sondern um sich zu bereichern im Wissen, um sich 
stark zu machen im Können, um noch mehr, als bisher, ihren 
Nebenmenschen zu dienen? 

Darum lautet Art. III unseres Statuts: „Der Zweck 
des Congresses ist ein ausschließlich wissenschaftlicher.“ Darum 
enthalten wir uns der Untersuchung darüber, wie die sociale 
Stellung des Arztes zu verbessern sei, so tief wir es auch 
empiinden, daß sociale Notli auch in großen Krisen des ärzt¬ 
lichen Standes verbreitet ist. Der Kampf um das Dasein 
bricht manchem unserer Collegen das Herz. Und doch, wenn 
wir zusammenti eten, lassen wir die Sorgen des Hauses, die 
Sorgen des Standes daheim. Hier sehaaren wir uns um die 
Kahne der Wissenschaft; hier stehen wir in den vordersten 
Reihen der Kämpfer für Humanität! 

Und dieser Kampf ist so hoffnungsreich, als denkbar. 
Wohin der Congreß gekommen ist, in allen Hauptstädten der 
alten und der neuen Welt, in denen er getagt hat, fand er 
die Bürger an der Arbeit, die sanitären Einrichtungen auch 
unter den größten Opfern auf diejenige Höhe zu bringen, 
welche die Wissenschaft vorzeichnet. Diese großen Städte, 
die man so oft als die Brutstätten der Armuth, der socialen 
Verwilderung, des gewissenlosen Kampfes Aller gegen Alle 
schildert, sie sind doch, im luchte des Tages betrachtet, die 
Pflanzschulen der echten Humanität, der aufopfernden Nächsten¬ 
liebe, der gegenseitigen Hilfe. Mit jedem Jahre vermehren 
sich ihre öffentlichen Anstalten, die dem Unterricht und der 
Wohlthätigkeit gewidmet sind. Die Sterblichkeitsrate sinkt, 
Wohnungen und Ernährung verbessern sich, mit der Zunahme 
der Kenntnisse und Fertigkeiten ste gt der Erwerb, und wenn 
trotzdem viele Unglückliche in Noth und Krankheit versinken, 
so wächst doch in schnellem Aufblühen auch die Zahl der 
Einrichtungen, welche dem Einzelnen Hilfe bringen. 

Und das, verehrte Freunde und Collegen, das werden 
Sie an wenigen Orten so klar überschauen können, wie in 
unserer Stadt. Ich spreche nicht von den großartigen Ma߬ 
regeln, welche unter persönlicher Führung unserer kaiserlichen 
Herrscher das deutsche Reich in’s Leben gerufen hat, um die 
arbeitenden Classen bei Unfällen, Krankheit und Invalidität 
vor Noth und Sorge zu schützen. Die Erfahrung wird lehren, 
in welchem Umfange auf der bisher gewonnen Grundlage die 
geschaffenen Organisationen ihre Aufgabe werden erfüllen 
können. Aber Eines darf ich doch erwähnen, weil es speciell 
diese Stadt betrifft und weil es lehrt, wie segensreich der¬ 
artige Organisationen im Anschluß an^ die Ortsgemeinde 
wirken können. Als das Reichsgesetz über Krankenversicherung 
18SÖ erging, bestand in Berlin schon seit 37 Jahren ein Ge¬ 
werkskrankenverein zu gemeinsamer Krankenpflege seiner Mit¬ 
glieder, der im Jahre 18f)ü durch Ortsstatut fester gegliedert 
war und doch nur geringe Fortschritte gemacht hatte. Nach 
dem Erlaß des Reichsgesetzes wurde dieser Verein glücklicher¬ 
weise erhalten und er hat sich seitdem so gut entwickelt, daß 
er am Schlüsse des letzten Jahres 292.000 Mitglieder um¬ 
faßte und für die ärztliche Pflege und Behandlung seiner 
Mitglieder weit über 1 , MiLl. Mark jährlich aufwenden konnte. 


Die städtischen Behörden haben in voller Würdigung 
der Bedeutung dieses Congresses eine besondere Festschrift 
für uns ausarbeiten lassen , welche in gedrängter Weise die 
reiche Fülle der Anstalten für öffentliche Gesundheits- und 
Krankenpflege der Stadt Berlin vorfühlt. Das schöne Buch 
wird Ihnen nicht nur eine angenehme Erinnerung sein, sondern 
es wird allen denen, welche sich für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege interessiren, ein werth volles Quellen werk werden. Der 
Hinweis darauf überhebt mich der Aufgabe, Ihnen im Ein¬ 
zelnen zu sagen, worauf sich Ihre Aufmerksamkeit richten 
könnte. Der gedruckte Führer, den das Organ isations-Comite 
Innen überreicht hat, gibt Ort und Zeit an, wann die ein¬ 
zelnen Anstalten besucht werden können. 

Aber vielleicht wollen Sie mir gestatten, wenigstens 
eine Einrichtung hervorzuheben, für welche die Stadt Berlin 
ein classischer Boden ist. Ich meine unsere Canalisation in 
Verbindung mit der städtischen Wasserleitung einerseits, mit 
den Rieselfeldern andererseits. Welche Veränderung in dem 
ganzen Aussehen unserer Stadt dadurch hervorgebracht ist, 
vermögen nur die zu beurtheilen, welche die Straßen und 
Plätze, die Häuser und Wohnungen vor 20 Jahren gesehen 
haben. Von der Größe der Leistung dürften aber die aufge¬ 
wendeten Mittel eine gewisse Vorstellung geben. Die Canali¬ 
sation der Stadt hat 42V a Millionen Mark, der Ankauf der 
Rieselgüter I 2 V 2 Millionen gekostet; die Ausgaben für die 
gesammte Herstellung der Canäle und der Rieselfelder betrugen 
bis Ende März 1889 nahezu 79 Millionen Mark. Der Buch¬ 
werth der städtischen Wasserwerke ergab um dieselbe Zeit 
weit über 39 Millionen Mark, und schon sind neue Anlagen 
projectirt, deren erste Hälfte auf 20 Millionen veranschlagt 
ist. Das macht allein für diese Sanitätswerke eine Ausgabe 
von 138 Millionen Mark. Es hat schwere Kämpfe gekostet, 
ehe die städtische Vertretung an diese großen Unternehmungen 
herantrat; Jahre lange Untersuchungen aller einschlägigen 
Fragen gingen voraus, aber endlich hat die Bürgerschaft aus 
eigener freier Ueberzeugung ihren Beschluß gefaßt und dann 
auch daran fest gehalten, selbst als die Auffassung der Be¬ 
hörden eine gegenteilige wurde und als die Unglückspropheten 
gleich Pilzen aus der Erde wuchsen. So ist Berlin eine reine, 
eine gesunde, vielleicht kann man in einem gewissen Maße 
sogar sagen, eine schöne Stadt geworden. 

Nun, wir haben diese Methode der Städtereinigung nicht 
erfunden. Viele andere Städte waren uns vorausgegangen. 
Große Wasserleitungen hat man schon im fernen Alterthum 
gebaut. Eine Cloaca maxima gab es bereits im alten Roin, 
und unsere Collegen in England haben dafür gesorgt, daß 
das mächtige Reinigungsmittel der Canalisation in größtem 
Maßstabe in Ausführung gebracht wurde. Auch im Rieseln 
sind uns, abgesehen von einzelnen recht alten Beispielen, 
auch in Deutschland, — ich erinnere nur an die Stadt Bunzlau 
in Schlesien. — englische Städte Muster geworden. Und doch 
dürfen wir sagen, daß unsere Anlagen das erste Beispiel in 
der Welt darstellen, wo in so eonsequenter Verbindung von 
Wasserleitung, Canalisation und Rieselung für eine so große 
Stadt die volle Reinigung erzielt ist und wo die finanzielle 
Ausführbarkeit einer solchen Combination ohne drückende 
Lasten der Bürger praktisch dargethan werden konnte. 

Man mag weiter darüber streiten, ob chemische oder 
mechanische Klärung, ob eine Trennung der verschiedenen 
Arten von Canälen, ob pneumatische oder ob Scliwemmeanäle 
vorzuziehen seien. Wir verlangen nicht, daß unsere Leistung 
als die beste oder als die allein gute anerkannt werde. Ver¬ 
änderte Umstände bedingen stets eine andere Lösung. Aber 
was wir Ihnen zu zeigen wünschen und wozu wir Sie speciell 
einluden, das ist die Vollständigkeit und Einheitlichkeit der 
Einrichtungen, die wir hergcstellt haben. Nirgends in der 
Welt sind jemals so große Landflächen nur zum Zwecke der 
Reinigung städtischer Abwässer verwendet worden. Unsere 
Rieselfelder umfassen eine Fläche von 7614 ha. Sie bilden 
zwei große, ziemlich zusammenhängende Gebiete, das eine im 

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Norden, das andere im Süden der Stadt gelegen. Im Jahre 
1888/89 lieferten sie einen Verwaltungs - Ueberschuß von 
238.000 Mark. Die analytischen Ergebnisse der Untersuchung 
des abfließenden Wassers werden Sie in der städtischen Fest¬ 
schrift finden: das Wasser wird von allen bedenklichen Be- 
standtheilen befreit. 

Jetzt, meine Herren, werden Sie eingeladen, die Riesel¬ 
felder, die Canäle und die Wasserwerke selbst anzusehen und 
zu prüfen. Wir legen einigen Werth darauf, so competente 
Richter über unser Verfahren urtheilen zu sehen. Sie werden 
sich da überzeugen, daß es möglich ist, der alten Forderung 
Liebig’s zu entsprechen, daß man dem Boden, den Pflanzen, 
oder, sagen wir, der Landwirthschaft das zurückgibt, was 
man von ihr empfangen hat, sogar noch etwas mehr. Freilich 
nicht den Landwirthen, denn obwohl wir auch einzelnen Be¬ 
sitzern Sewage abgeben, so hat sich doch die Nothwendigkeit 
herausgestellt, um der Sicherheit einer vollkommenen und 
stetigen Reinigung willen, den landwirtschaftlichen Betrieb 
in der Hand zu behalten. Unsere Stadt ist so in einem für 
die moderne Arbeitsteilung überraschenden Maße nicht blos 
eine große Landbesitzerin, sondern zugleich eine landwirt¬ 
schaftliche Verwalterin geworden. Damit haben sich denn auch 
gewisse Möglichkeiten ergeben, welche dem socialpolitischen 
Gebiet angehören und welche wahrscheinlich mit der Zeit 
noch mehr erweitert werden dürften. Die Arbeiter auf den 
Rieselfeldern werden zu einem großen Theil dem städtischen 
Arbeitshause entnommen; mit der Zeit verwandeln sie sich 
aus Vagabunden in tüchtige Arbeiter, die Geld verdienen. 
Die ehemaligen Herrschaftshäuser einiger dieser Güter sind 
zu Heimstätten für Reconvalescenten umgestaltet worden. So 
gliedert sich das Ganze ohne vorbedachten Plan auf Grund 
der fortschreitenden Erfahrung mehr und mehr zu einer 
Wechselwirthschaft von hoher socialer Bedeutung zwischen 
Stadt und Land. 

Verzeihen Sie, verehrte Herren, diesen etwas langen 
Excurs über eine einzelne Gruppe städtischer Einrichtungen. 
Ihrer Bedeutung nach steht sie jedoch weit über allen den 
einzelnen Anstalten und Einrichtungen, die Sie sonst studiren 
mögen. Zugleich ist es diejenige, welche mehr als die anderen 
zu lehren vermag, wie viel der feste Wille, die vorsichtige, 
von Schritt zu Schritt prüfende, nach eingehender Prüfung 
aber entschlossen vorgehende Handlungsweise einer unabhän¬ 
gigen Gemeinde zu leisten vermag, um die weitestgehenden 
Anforderungen der Wissenschaft zu erfüllen. Ich will nicht 
davon sprechen, daß ein großer Theil dieser Arbeit durch 
unbesoldete Männer im Ehrenamt ausgefiihrt worden ist und 
noch immer ausgeführt wird, durch Männer, deren Hingebung 
und Pflichttreue denen der besten Aerzte gleichgestellt werden 
kann. Sie werden diese Männer sehen, nicht blos am Orte 
ihrer Thätigkeit, sondern auch im Rathhause, wo die Stadt 
den Mitgliedern des Congresses einen festlichen Empfang an¬ 
bietet. Und Sie werden von ihnen erfahren, daß fast alle 
die großen Anstalten, welche Ihnen vorgeführt werden 
sollen, in einer Zeit errichtet worden sind, wo nach der 
Meinung Mancher Deutschland mit nichts Anderem beschäftigt 
war, als mit der Vorbereitung zu neuen Kriegen. 

Nein, meine Herren, wir sind ehrliche Anhänger des 
Friedens. Wir wissen es, daß Friede ernährt und Unfriede 
zerstört. Wir wünschen in Eintracht mit der ganzen Welt 
zu leben, um die Aufgaben der Wissenschaft, die Ziele der 
Humanität ungestört und nach unserer Weise zu verfolgen. 
Wir sind glücklich, uns umgeben zu sehen von einer so großen 
Zahl werther Collegen, bei denen wir ähnliche Gesinnungen 
voraussetzen dürfen und deren Mitarbeit uns ein neuer Anreiz 
zum Fleiße sein wird. Darum noch einmal, seien Sie herzlich 
willkommen in unserer Stadt! Möge jeder Tag mehr dazu 
beitragen, volles Verständniß und wahre Freundschaft unter 
uns allen zu fördern! 

* * 


Indem feierlichen Augenblicke, wo wir die Verhandlungen 
des Congresses beginnen, ist es wohl gerathen, daß wir Alle uns 
von der Vorschrift unseres Statuts Rechenschaft geben, daß der 
Zweck des Congresses ein ausschließlich wissenschaftlicher sein 
solle. Vielleicht ist es nicht allen Mitgliedern bekannt, daß 
diese Vorschrift nicht von Anfang an bestanden hat. Sie ist 
erst beschlossen worden, als die Erfahrung gemacht war, daß 
es nicht rathsam sei, der zufälligen Entscheidung so großer 
Versammlungen praktische Fragen zu unterbreiten. So ist der 
Artikel HI unseres Statuts entstanden und ich bitte alle Mit¬ 
glieder, an demselben unverbrüchlich festhalten zu wollen. 

Es ist nun freilich nicht so einfach, zu sagen, wie denn 
nun eigentlich der wissenschaftliche Zweck definirt werden 
soll. Die Geschichte der Medicin hat gelehrt, daß dieser Zweck 
ein doppelter sein muß. 

Als im Beginn der neuen Zeit, vor nunmehr 300 Jahren, 
der lang dauernde Streit zwischen dem Dogma und der Philo¬ 
sophie seinen vorläufigen Abschluß fand, einen Abschluß, dessen 
unsterbliches Zeugniß Lord Bacon’s Novum organum ist, da 
handelte es sich vorzugsweise darum, für die wissenschaft¬ 
liche Arbeit eine neue Methode zu begründen. Die Tra¬ 
dition mußte durch die Autopsie und das Experi¬ 
ment ersetzt werden Der Kampf war ein harter und 
allgemeiner. Äus demselben ist in langem Ringen jene Rich¬ 
tung der Forschung hervorgegangen, welche am meisten in 
den Naturwissenschaften zur Geltung gelangt ist, jene Rich¬ 
tung der unabhängigen Forschung, der Forschung ohne Auto¬ 
rität, welche nach und nach selbst in der Gesetzgebung der 
civilisirten Staaten ihre förmliche Anerkennung gefunden hat. 
Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei, das ist ein Grund¬ 
satz geworden, der selbst in den Verfassungen vieler Staaten 
ausdrücklich proclamirt worden ist. 

Hier handelte es sich vorerst überall um die Methode. 
Für die Medicin hat die Aenderung der Methode eine wirk¬ 
liche Revolution gebracht. Freilich eine langsame und mit 
großen Unterbrechungen durchgeführte. JCine Schule nach dpr 
anderen ist aufgestanden, um ihre Methode und ihr System 
gegenüber den älteren zum Siege zu führen. Der große Ent¬ 
scheidungskampf gegen das galenische System, welches fast 
anderthalb Jahrtausende jede freiere Bewegung niedergehalten 
hatte, ist schon im 16. Jahrhundert mit Aufbietung aller 
Kräfte siegreich bestanden worden. Auf dem großen Trümmer¬ 
felde ist mit jedem Decennium vorwärts ein Neubau nach dem 
anderen errichtet worden, und wenn wir jetzt einen Rückblick 
richten auf alle diese denkwürdigen Arbeiten, wenn wir den 
heutigen Zustand des medicinischen Wissens vergleichen mit 
dem vor 3 Jahrhunderten, so wird es auch dem blödesten 
Auge klar, daß die Aehnlichkeit der modernen Medicin mit 
der alten Humoralpathologie eine fast verschwindende ge¬ 
worden ist. An die Stelle der Ueberlieferung ist die Forschung, 
an die Stelle des Glaubens das Wissen getreten. Jetzt erst 
besitzen wir im wahren Sinne des Wortes eine medieinische 
Wissenschaft, und zwar eine Wissenschaft, die sich in ihrer 
Methode und in ihren Zielen immer mehr den übrigen Natur¬ 
wissenschaften genähert hat. Mit Stolz dürfen wir es aus¬ 
sprechen, die Medicin ist selbst eine Naturwisse li¬ 
sch aft geworden. 

Es ist bekannt, daß die Pfadfinderin auf diesem beschwer¬ 
lichen Wege die Anatomie gewesen ist. Unser großer Vksalius 
war es, der im Zeitalter der Reformation die Anatomie des 
Menschen zu einer solchen Sicherheit des Wissens entwickelte, 
daß seitdem alle übrigen Disciplinen der Medicin auf diesem 
festen Boden weiter bauen konnten. Dann ist die patholo¬ 
gische Anatomie gekommen, um im näheren Anhalt an das 
Studium der Krankheiten ein unermeßliches Detail von Er¬ 
fahrungen aufzusammeln, so daß für jede Krankheit ein be¬ 
sonderer Codex des beglaubigten Wissens festgestellt werden 
konnte. Das war die Signatur der Zeit, in welcher wir älteren 
Männer unsere eigenen Studien begannen. Nachdem der große 
Italiener Morgagni vor wenig mehr als 100 Jahren sein grund- 


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legendes Sammelwerk veröffentlicht hatte, ist eine der abend¬ 
ländischen Nationen nach der anderen an die Arbeit gegangen, 
um den Ausbau der pathologisch-anatomischen Lehre zu ver¬ 
vollständigen. Die Engländer, die Franzosen, die Deutschen 
haben dauernde Grundsteine dafür geliefert. 

In einer so erleuchteten Versammlung ist es nicht nöthig, 
daran zu erinnern, wie sich allmälig die Feinheit der Unter¬ 
suchung vermehrt und wie auch die klinische Forschung der 
Methode und der Hilfsmittel d- r fortgeschrittenen Natur¬ 
wissenschaften sich zu bedienen gelernt hat. Das Mikroskop, 
das Thermometer, die optischen und akustischen Apparate, 
die elektrischen und mechanischen Instrumente sind in den 
gewöhnlichen Gebrauch derAerzte übergegangen. Die Sprache 
der Medicin ist immer mehr eine naturwissenschaftliche ge¬ 
worden. 

Aber je weiter wir fortgeschritten sind, um so mehr hat 
sich auch gezeigt, daß dieser Fortschritt nicht blos ein äußer¬ 
licher, ein etwa nur formeller war. Mit der Aenderung der 
Methode hat sich auch der Inhalt des Wissens geändert: aus 
dem formellen Wechsel ist auch der materielle hervorgegangen. 
Der Anfang dazu war sehr schwer. Mit dem voreiligen Eifer, 
der jungen Wissenschaften ganz natürlich anhaftet, war man 
bemüht, die Erfahrungen der übrigen Naturwissenschaften, 
vorzugsweise die Erfahrungen jener Grundwissenschaften der 
Physik und der Chemie für die Construction medicinischer 
Systeme zu verwenden. Von den ersten Versuchen der iatro- 
physikalischen und der iatrochemischen Schulen des 17. und 
18. Jahrhunderts, auf die wir jetzt mit einer nicht immer be¬ 
rechtigten Geringschätzung zurückblicken, bis zu jener stolzen 
und selbstbewußten Entwicklung, welche die erste Hälfte 
unseres jetzigen Jahrhunderts erfüllt hat, wo man Leben und 
Krankheit auf einfache physikalische und chemische Formeln 
zurückführen zu können glaubte, welche Fülle von uner¬ 
reichten Hoffnungen, von geistreichen, und mühevollen Arbeiten, 
die wieder vergessen worden sind! 

Erst gegen die Mitte unseres Jahrhunderts hat die 
Klärung begonnen. Unsere Werth Schätzung der Physik und 
der Chemie ist nicht geringer geworden; im Gegentheil, mit 
stets wachsender Bewunderung sind wir dem schnellen, ja fast 
unglaublichen Aufblühen dieser beiden Disciplinen gefolgt. Ich 
darf wohl daran erinnern, daß aus der Zahl der Aerzte selbst 
Physiker und Chemiker ersten Ranges hervorgegangen sind 
und. daß die Kenntniß physikalischer und chemischer Vorgänge 
sich in die weitesten Kreise der praktischen Aerzte verbreitet. 
Aber wir haben uns auch sagen müssen, daß Weder die 
Physik, noch die Chemie bis jetzt im Stande sind, die Vor¬ 
gänge des Lebens und der Krankheit vollständig zu erklären, 
und wir dürfen wohl hinzufügen, daß, selbst wenn dies ein¬ 
mal erreicht werden sollte, diese Vorgänge nicht aufhören 
werden, etwas Besonderes darzustellen. Die optische und 
akustische Physik, so herrliche Ergebnisse sie geliefert haben, 
machen die Physiologie nicht überflüssig: die optische und 
akustische Physiologie, die Lehre von der Entwicklung und 
Erhaltung der Seh- und Hörorgane werden immerdar dem 
biologischen Gebiete angehören. 

Wenn etwas geeignet ist, den unbefangeneren und mehr 
geläuterten Zustand unseres heutigen Wissens darzulcgen, so 
ist es eben der Umstand , daß wir auch in der strengeren 
Wissenschaft das Leben als etwas Besonderes anerkennen, daß 
wir uns nicht mehr vor der Wahrheit verschließen, daß die 
Medicin nicht blos Naturwissenschaft, sondern biologische 
N aturwissenschaft ist und sein muß. 

Es ist sonderbar genug, daß der Begriff des Lebens, so 
nahe er dem Verständniß eines jeden Menschen liegt, sich erst 
ganz spät zu einer wissenschaftlichen Bedeutung durchge¬ 
arbeitet hat. Schon bei Hjppokrates ist er durch die Be¬ 
zeichnung tpuci?, in der lateinischen Uebersetzung frühzeitig 
durch „natura“ wiedergegeben, in eine theoretische Formel 
eingeschmiedet worden, welche dem freien Denken die größten 
Nachtheile gebracht hat. Die Dunkelheit dieser Ausdrücke 


gestattete es jeder Willkür, sich dabei etwas Anderes zu 
denken. Das Mittelalter brachte dazu die wechselnden Unter¬ 
stellungen von besonderen Kräften, welche das todte Material 
lebendig machen sollten. Bis zu unserer Zeit schwankten die 
Meinungen darüber, ob physikalische oder ob besondere, 
specifische Kräfte diese Belebung bewirkten. Dynamismus und 
Animismus wurden die Signatur von Schulen, deren Dauer 
sich auf Jahrhunderte erstreckt hat. — alle darin einig, zum 
Mindesten einen Dualismus zwischen Kraft und Materie, 
einen Gegensatz zwischen Energie und Substanz vorans- 
zusetzen. 

Das Leben selbst in seinem Wesen und in seinen Vor¬ 
gängen blieb gleichsam im Hintergründe. Ueber lauter Speeu- 
lation verlernte man die Beobachtung. Aus den mystischen 
Archäen des Paracelsus und des van Helmont erwuchs all¬ 
mälig die Lebenskraft, ein spiritualistischer Begriff, der die 
monströsen Blüthen des Vitalismus des vorigen Jahrhunderts 
emporsprießen und sich entfalten ließ. 

Mitten in diese Zeit der Unruhe fällt die Begründung 
einer mehr geläuterten Anschauung von den Charakteren und 
dem Mechanismus des Lebens. Die erste Anregung, die Eigen¬ 
schaften der lebendigen Substanz, die Merkmale des Lebens 
selbst festznstellen, verdanken wir einem originellen Forscher, 
von dem die vergeßliche Zeit wenig bewahrt hat, als die Er¬ 
innerung an eine untergeordnete Einrichtung der Leber, an 
die sogenannte Capsula Glissonii. — Es sind ungefähr 200 
Jahre her, als Francis Glisson die Augen schloß. Er war 
ein praktischer Arzt in London, und wir verdanken ihm jenes 
prächtige und für alle Zeiten mustergiltige Buch über die 
Rhaehitis, welche durch ihn in das Bewußtsein der Aerzte 
eingeführt ist. Aber, wie in neuerer Zeit Robert Meyer, so 
hat er in ernstem Nachsinnen über die thatsächlichen Erschei¬ 
nungen des Lebens die Fundamente einer vorsichtigen Be¬ 
trachtung derselben gelegt. Auf seinen Spuren gestaltete 
Albrecht von Haller seine Irritabilitäts-Doctrin und wurde 
der Meister einer neuen Disoiplin, der Physiologie. 

Noch zu Lebzeiten Glisson’s geschah durch einen seiner 
Landsleute jene große Entdeckung, welche mehr als eine andere 
dazu beigetragen hat, die Anschauungen der Aerzte umzuge¬ 
stalten, ich meine die Entdeckung des Kreislaufes durch Harvev. 
Diese Entdeckung beschloß den alten Kampf gegen den Gale¬ 
nismus. Sie brachte zum ersten Male ein überzeugendes Bei¬ 
spiel für die Unzulässigkeit des Gegensatzes zwischen Orga¬ 
nismus und Mechanismus; sie zeigte, wie auch organische 
Vorgänge sich auf mechanische Weise vollziehen. Und vor 
Allem, sie lehrte den thatsächlichen Hergang der wichtigsten 
Thätigkeit, auf welcher das Gesammtleben des menschlichen 
Körpers und das der höheren Thiere beruht. So ist Harvey, 
wenn auch nicht der formelle Begründer der Physiologie, so 
doch der erste Physiologe geworden. 

Der Ausbau der Lehre fiel zunächst der jungen Schule 
von Leiden zu. Hermann Boerhaave , dem man mit Recht 
den Ehrentitel: communis Europae praeceptor beigelegt hat. 
der Lehrer Haller’s, aber auch der Lehrer von Albin und 
Gaub, von van Swieten und de Haen,. übernahm die Auf¬ 
gabe, die neuen Grundlagen der Medizin harmonisch zu ge¬ 
stalten. Seine Institutiones umfaßten sowohl die Physiologie, 
als die Pathologie. Sie wurden hinausgetragen in alle Lande, 
und sie sind es, die wir als die Anfänge der Richtung be¬ 
trachten dürfen, die wir heute Biologie nennen. 

So jung ist diese Weise der Betrachtung und auf so 
kurzen Wegen ist das gewonnen worden, was wir gegenwärtig 
als wissenschaftliche Medicin bezeichnen, und woran 
nicht blos wir festhalten müssen, sondern von dem wir zu¬ 
versichtlich erwarten, daß es auch für alle Zukunft die Grund¬ 
lage des weiteren Fortschrittes bilden wird. Ihnen, verehrte 
Collegen, brauche ich nicht zu schildern, wie das biologische 
Princip in der Medicin seine wahre Bedeutung erst entfaltet, 
seine ungeahnte Kraft erst bewährt hat, als die Lehre von 
der Zelle die Möglichkeit gewährte, auch für die zusammen- 


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gesetzten Erscheinungen des Massenlebens einfache Grund¬ 
begriffe zu entwickeln. Diese Grundbegriffe gelten für das 
ganze Gebiet des Lebendigen, aber freilich nur dann, wenn 
wir auf jene mystische Verallgemeinerung des Begriffs „Leben 4 
verzichten, die der ganzen Natur, der Erde und den Gestirnen 
auch ein Leben zuschreibt. Dieses blos figürliche Leben berührt 
unsere Biologie nicht. Sie beschränkt sich auf Pflanzen. Thiere 
und Menschen. Aber ihre Kenntniß gestattet es auch dem 
Medieiner, ohne Aenderung der Principien seine Forschungen 
über das gesammte Gebiet des Lebendigen auszudehnen und 
selbst Forscher zu werden auch in der Botanik und Zoologie. 

Welche Vorzüge das gehabt hat, als in unserer Zeit das 
Bcdürfniß hervortrat, unter den Krankheitsursachen die Causae 
vivae nicht blos mit zu berücksichtigen, sondern einem ganz 
besonderen Studium zu unterwerfen, das wissen wir Alle aus 
eigener Erfahrung. Gerade die schlimmsten Feinde des 
Menschen im Thier- und Pflanzenreich, vielfach zugleich die 
kleinsten, sind hauptsächlich durch Aerzte erkannt worden, 
und wenn wir die gegenwärtige Phase der medicinisehen For¬ 
schung in’s Auge fassen, so können wir geradezu sagen: Die 
wissenschaftlichen Probleme der Medicin sind 
am meisten concentrirt in der Ergründung des 
Lebens der thierisehen und pflanzlichen Zellen. 

Daß das Interesse dabei bald der einen, bald der anderen 
Gruppe sich in höherem Maße zuwendet, ist selbstverständlich 
und nothwendig. Wo jeweilig das größte Dunkel herrscht, 
da ist es erforderlich, das meiste Licht zu entzünden. Heute 
sind die menschlichen Zellen und die feinsten Vorgänge in 
ihrem Innern, die wunderbaren Ereignisse an ihren Kernen 
und an ihrer Leibessubstanz, von Neuem in den Vordergrund 
getreten, während bei den Bacterien die chemische Seite ihrer 
Wirksamkeit in erhöhtem Maße die Untersucher beschäftigt. 
Das eine wie das andere wird allmälig. vielleicht bald, er¬ 
gründet werden, wenigstens in gewissen Hauptpunkten. Aber 
es wird ein ewiges Problem der wissenschaftlichen Thätigkeit 
bleiben, sowohl das Leben der Causae vivae, als das der 
Zellen des menschlichen Leibes zu erkennen und daraus die 
Grundsätze der physischen Erziehung und Erhaltung, wie der 
praktischen Therapie abzuleiten. Ich habe das Verhältniß, 
welches gegenwärtig den Hauptinhalt der hygienischen For¬ 
schungen ausmacht, als den Kampf der Zellen mit den Bacterien 
bezeichnet. Zwei Leben kämpfen hier in der That gegen 
einander. Der Wehrkampf der thierischen Zellen gegen die 
pflanzlichen Widersacher umfaßt ein großes Stück sowohl der 
Individualkrankheiten, als der Epidemien. Unsere Aufgabe, 
den thierischen Zellen zum Siege zu verhelfen, ist durch das 
Eingreifen von Männern, die dem Congressc angehören und 
deren Anwesenheit wir mit besonderem Danke begrüßen, so 
sehr erleichtert worden, daß wir mit den größten Hoffnungen 
der Zukunft entgegen sehen dürfen. Aber es bleibt noch viel 
zu thun. Ruhmvoller Gewinn winkt Allen, die an diesen Ar¬ 
beiten theilnehmcn wollen. Möge die Zahl dieser Arbeiter 
immer wachsen und möge jeder kommende Congreß neue 
Triumphe des forschenden Geistes über das Dunkel der Lebens¬ 
vorgänge zu verzeichnen haben! 

Der gegenwärtige Stand der antiseptisclien 
Wundbehandlung. 

Von Sir Joseph Lister.*) 

Herr Präsident, meine Herren! 

Gelegentlich des internationalen medicinisehen Congressesin 
London im .1 alire 1 SS 1 demonstrirte Rohkut Koch in King’s ('ollegc 
seine neue Methode der Züchtung von Bacterien auf festen Nähr 
böden. Der anwesende illustre Veteran Pastkiiu rief am Schlüsse 
der Demonstration aus: „(Test un graml progres. Monsieur. 4 
Und in der That. welche Ausdehnung haben unsere Kenntnisse in 

Stenogramm d. „Wiener Med. Presse 4 . — Nachdruck untersagt. 


Folge dieses großen Fortschrittes gemacht! Am schlagendsten 
beweist dies vielleicht Koch’s eigene glänzende Entdeckung 
des Cholerabacillus, den er mit verblüffender Präcision mittelst 
einer schönen Methode aus der Menge der den Darminhalt 
bevölkernden Bacterienformen heraus isolirte, züchtete und mit 
einer bewundernswerthen Genauigkeit studirte. 

Während wir in den letzten 9 Jahren so zahlreiche 
Kenntnisse über die Natur und die Eigenschaften der unseren 
Körper invadirenden Mikrobien gewonnen haben, wurde ein 
neues und überraschendes Licht über die Mittel geworfen, 
mittels deren der lebende Körper sich selbst gegen die An¬ 
griffe der Mikroorganismen schützt. Diese Lehre verdanken 
wir dem ausgezeichneten Naturforscher Mictchxikoff, der, nach¬ 
dem er lange Zeit die intracelluläre Verdauung in den Amöben¬ 
zellen der Spongien und anderer Organismen studirt hatte, 
den Werth analoger Vorgänge in den wandernden Leucocythen 
bei den Vertebraten kennen lehrte. Er fand, daß die Wander¬ 
zellen , deren amöboide Bewegungen längst bekannt waren, 
gleich den Amöben die Fähigkeit besitzen, Bacterien zu fressen. 
Indem sie sie in ihr Protoplasma aufnehmen und verdauen, ver¬ 
hindern sie ihre unendliche Fortpflanzung in den Geweben. 
Metcuxikoff nennt die Zellen, welche diese Function ausüben, 
Phagoeythen. 

Verschiedene Einwendungen sind gegen diese Ansicht 
Mktchxikoff’s erhoben worden. Aber soweit ich mir ein Ur- 
theil bilden kann, hat er seine Lehre durch eine meisterhafte 
Reihe von Untersuchungen festgestellt, und seine Beobachtungen 
wurden auch von anderen unabhängigen Forschern bestätigt 
und erweitert. Für diejenigen, die mit der Lehre Metchnikoff’s 
weniger vertraut sind, will ich es versuchen, einige seiner 
Versuche kurz zu erwähnen. Der unterhalb einer Temperatur 
von 20° Celsius sieh befindliche grüne Frosch ist unempfänglich 
für Milzbrand. Die Milzbrandbacillen können, wenn sie unter 
die Haut dieses Thieres eingeführt werden, daselbst nicht ge¬ 
deihen und sich nicht entwickeln. Wodurch ist nun die Im¬ 
munität des Frosches bedingt? In der Hoffnung, diese Frage 
zu lösen, machte Mktchxikoff ein dünnes Säckchen aus Schilf¬ 
rohrmark, brachte in dasselbe einige Milzbrandsporen, schloß 
es und brachte es unter die Haut eines Frosches. Die Wand 
dieser Tasche gestattete wohl den Austritt von Lymphe, nicht 
aber den Durchtritt der Leucocythen. Das Resultat dieses 
Versuches war. daß die Sporen sich zu langen Milzbrandfäden 
entwickelten. Somit war es festgestellt, daß die Lymphe ein 
geeignetes Medium für das Wachsthum dieser Bacillen bildet. 
Brachte man nun unter einen anderen Theil der Haut des¬ 
selben Frosches einen kleinen Theil der Milz eines am Milz¬ 
brand verstorbenen Thieres. zu welchem die Leucocythen freien 
Zutritt hatten, da trat keine Entwicklung der Milzbrand¬ 
bacillen ein. 

Ein anderer ähnlicher Versuch war noch viel lehrreicher. 
Er bestand darin, daß Milzbrandsporen in die Vorderkammer 
des Auges eines Frosches eingeführt wurden, der, wie wir 
soeben gesehen, eine natürliche Immunität gegen diese 
Krankheit aufweist. Gleichzeitig wurden Milzbrandsporen in 
die Vorderkammer je eines durch Schutzimpfung immun ge¬ 
machten Schafes und Kaninchens eingebracht. Der Humor 
aqueus des gesunden Auges enthält wenig Leucocythen. Da¬ 
durch ist er vollständig durchsichtig und für das Sehen ge¬ 
eignet. Die Sporen entwickelten sich nun frei in der Vorder¬ 
kammer. Das Wachsthum der Bacterien verursachte eine 
Reizung des Auges, eine lebhafte Einwanderung einer immer 
zunehmenden Zahl von Leucocythen. Dadurch entstand eine 
Trübung des Kammerwassers und gleichzeitig Hypopion. Wurde 
nun ein Tröpfchen Kammerwasser gleich nach Beginn des 
Versuches mikroskopisch untersucht, so fanden sich in dem¬ 
selben tlieils freie, tlieils in weiße Blutkörperchen eingesehlossene 
Milzbrandbacillen. Entnahm man hingegen einen Tropfen 
längere Zeit nach Beginn des Versuches, so fanden sich keine 
freien Bacillen mehr in demselben, sondern alle waren in 
Leucocythen eingeschlossen und zeigten Zeichen von Degene- 


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ration in verschiedenem Grade als Resultat ihrer vorgeschrit¬ 
tenen Verdauung. Endlich verschwanden die Milzbrandbacillen 
ganz, das Auge klärte sich auf, das Thier blieb gesund, ob¬ 
gleich die Impfung in die Vorderkammer eine besonders tödt- 
liche Infectionsart für empfängliche Thiere abgibt. 

Wir sehen hier, daß die Entzündung durch Mikro¬ 
organismen bewirkt wird, welche durch Vermittlung der Leuco- 
cythen die Ursache ihrer eigenen Zerstörung werden. Der 
betrauerte Cohnheim wird wohl kaum geträumt haben, daß 
seine Beobachtungen über die Auswanderung der Leucocythen 
bei Entzündungen einst einen so bedeutenden Einfluß auf 
die Pathologie der Infectionskrankheiten üben werden. 

Ich habe Ihnen zwei Beispiele angeführt über die Art 
und Weise, wie die Phagocythentheorie bestätigt wird, und 
wir müssen annehmen , daß dieselbe eine Reihe von bis nun 
mysteriösen Vorgängen auf klärt. Wenn wir z. B. die Behand¬ 
lung der Hasenscharte betrachten, so sehen wir, daß das hintere 
Wundende stets von Speichel gebildet wird, der eine Menge 
septischer Bacterienarten enthält, die aber in das die Schnitt¬ 
fläche verklebende Fibrin nicht eindringen, wie sie es sonst 
sicherlich thun würden, wenn es sich um Glas oder andere 
chemisch indifferente leblose Substanzen handeln würde. Es 
war lange sehr wahrscheinlich, daß das lebende Gewebe einen 
Einfluß auf die Entwicklungshemmung der Bacterien in solchen 
Wunden ausübe. Welcher Natur aber dieser Einfluß ist, das 
war bis nun ein Räthsel und findet eine natürliche Erklärung 
in der phagocythären Thätigkeit der Zellen, welche die Lymphe 
gleich nach ihrem Austritte erfüllen. 

Am Londoner medicinischen Congreß führte ich einen 
Versuch vor, der zeigte, daß ein Blutklümpchen eine mächtige 
antibacterielle Wirkung im Körper ausüben könne. Ich will 
die Details dieses Versuches nicht wiederholen, sondern nur 
sagen, daß ein sehr kleines, mit faulem Blut getränktes Lein¬ 
wandstückchen mit Hilfe von Silberdraht in’s Innere einer 
kurzen, an beiden Enden offenen Glasröhre gebracht wurde, 
welche in die Jugularvene eines Thieres eingeführt und 
mittels zweier Ligaturen an Ort und Stelle fixirt wurde. Nach 
zwei Tagen wurde das Venenstück entfernt und das Coagulum 
untersucht. In und um dem Glasrohr bestand ein Zusfand von 
vorgeschrittener Fäulniß, die sich schon durch den fauligen 
Geruch und das stark veränderte Aussehen kundgab, und die 
mikroskopische Untersuchung ergab die Anwesenheit einer 
Unzahl von Bacterien. Um die Venenwand aber schien die 
Leinwand ganz frisch. Ich konnte keinerlei Fäulnißgeruch 
nachweisen und auch keinerlei Bacterien mikroskopisch auf¬ 
finden. Ein gefärbter Durchschnitt von in Alkohol gehär¬ 
teten Theilen des Coagulums zeigte eine große Menge von 
Zellen, die durch Sitz und Eigenschaft von einander ver¬ 
schieden waren, und die wahrscheinlich die Rolle der Mrtch- 
NiKOFF’schen Phagocythen gespielt haben. Ich vermutbete, 
daß diese Zellen im Stande wären, auf die eine oder andere 
Weise eine antibacterielle Wirkung auszuüben. Das Wie? 
konnte ich mir aber nicht erklären. Die Phagocythentheorie 
klärt dieses Geheimniß in einfacher Weise auf. 

Mit Hilfe dieser selben Theorie können wir uns nun über 
so manche bis nun unverständliche Dinge klar werden. So 
können wir begreifen , wie der Gebrauch von Ligaturen, die 
keinerlei antiseptischen Einwirkungen unterzogen wurden, ohne 
jede üble Folge bleiben könne. Durch Versuche von Ziegler 
und andere Autoren wissen wir, daß die Leucocythen bald in 
sehr feine Zwischenräume, wie z. B. zwischen Glasplatten oder 
andere chemisch indifferente Fremdkörper, die in die Gewebe 
gebracht werden, eindringen können, und wir können uns leicht 
vorstellen, daß sie auch in die Zwischenräume zwischen die 
Fasern eines Seidenfadens hineindringen und viele der dort 
befindlichen Bacterien zerstören können, bevor dieselben Zeit 
gehabt haben, schwere septische Erscheinungen hervorzurufen. 
Doch muß cs für die Dicke der Fäden eine gewisse Grenze 
geben. So würde Niemand, glaube ich, sich berechtigt fühlen, 


in die Peritonealhöhle einen unsterilisirten Strang von Finger¬ 
dicke einzuführen. Mr. Bantock, dessen bemerkenswerthe Reihe 
von erfolgreichen Ovariotomien sein Verfahren zu rechtfertigen 
scheint, unterzieht seine Ligaturen keinerlei antiseptischen 
Präparationen und doch gebraucht er zur Unterbindung von 
Geschwulststielen Seidenfäden von ziemlicher Stärke, welche 
die nöthige Last zu tragen vermögen. Dennoch wäre es jeden¬ 
falls vernünftiger, die Seidenfäden, selbst die dünnen Seiden¬ 
faden , zu sterilisiren. da wir dann mit Sicherheit eine septi¬ 
sche Infection ausschließen können, selbst wenn verborgene 
Theile der Ligatur der Einwirkung der Phagocythen ent¬ 
gingen. 

Die Erfolge Bantock’s und Lawson Tait’s in der Bauch¬ 
chirurgie ohne den Gebrauch von antiseptischen Mitteln bilden 
für Manche einen Stein des Anstoßes. In Wirklichkeit aber 
beobachten diese Chirurgen ganz strenge antiseptische Vor¬ 
sichtsmaßregeln. So sind beide in der Reinigung ihrer Schwämme 
äußerst scrupulös und dieser Punkt ist namentlich in der Bauc.h- 
chirurgie von weittragendster Bedeutung. Beide beobachten 
die strengste Reinlichkeit, was gewiß eine antiseptische Ma߬ 
regel bildet. Beide waschen das Peritoneum mit Wasser aus, 
so daß dasselbe die Coagula entfernt, ohne die Peritoneal¬ 
oberfläche durch Reiben zu belästigen, und dadurch wird die 
Gefahr von Zersetzung in den übriggebliebenen Blutklümpchen 
vermieden. Auch die Drainage des Peritoneums ist eine anti- 
septische Maßregel. 

Es ist dies ein Theil der Chirurgie, in dem ich wenig 
eigene Erfahrung besitze, aber ich sah ein, daß die Maßregeln, 
von denen ich eben gesprochen, so weitgehend sind, daß eine 
directe Anwendung von starken und reizenden antiseptischen 
Substanzen auf das Peritoneum vermieden werden kann. Nun 
aber wir überzeugt sind, daß die Mikroorganismen die Feinde 
sind, mit denen wir den Kampf zu führen haben, so ist es 
wohl angezeigt, durch antiseptische Mittel ihre absolute Ab¬ 
wesenheit von unseren Händen und Instrumenten zu sichern, 
weil wir dann viel mehr Vertrauen haben, als auf die größt¬ 
mögliche Reinlichkeit im gewöhnlichen Sinne des Wortes. 
Wenn Wasser zum Abwaschen des Peritoneums benützt wird, 
so scheint es mir doch vorsichtiger, dasselbe frei von lebenden 
Organismen zu machen, wenn das ohne Reizung der Gewebe 
geschehen kann. Diese Frage ist, wie ich glaube, durch das 
Auskochen des Wassers vor dem Gebrauch gelöst. Ich würde 
aber als sicherer eine schwache Sublimatlösung von 1 : 10000 
empfehlen, die, wie Koch gezeigt hat, unbedingtes Vertrauen 
als Antisepticum verdient, daher keine reizenden Eigenschaften 
besitzt und keine Quecksilbervergiftung befürchten läßt. 

In der allgemeinen Chirurgie ist die directe Anwendung 
stärkerer antiseptischer Lösungen nicht von jenen Nachtheilen 
gefolgt, wie wir sie bei Operationen in der Bauchhöhle zu 
befürchten haben. Das von mir in der letzten Zeit ausgeübte 
Verfahren besteht darin, die Wunde nach der Blutstillung 
mit einer starken Sublimatlösung (1 : 500) abzuwaschen und 
während des Nähens mit einer schwachen (1 r4000) zu irrigiren, 
und ich habe nicht Grund gehabt, die Erfolge zu bedauern. 
Doch muß ich eine einzige Ausnahme davon machen. Auf eine 
gesunde Synovia eines Gelenkes gebracht, erzeugt die Sub¬ 
limatlösung 1 : 500 eine starke Reizung; bei Eröffnung von 
Gelenken, wie z. B. behufs Nähen einer Querfractur der Patella, 
enthalte ich mich des Waschens und lasse als Ersatz dafür 
während der ganzen Operation Irrigation mit einer schwachen 
Lösung von 1 : 4000 machen. 

Und doch muß ich gestehen, daß ich lange Zeit im 
Zweifel war, ob das Waschen oder das Irrigiren das wirklich 
Nothwendige war. Diese Zweifel wurden aufgehoben t.heils 
durch Versuche, von denen ich einige auf dem Londoner Con- 
gresse erwähnte, die gezeigt haben, daß normales Blut und 
Serum sowie Eiter keine günstigen Nährböden für das Wachs- 
thurn der in der Luft vorhandenen Mikroorganismen abgehen, 
theils durch Nachdenken über Versuche, die ich heim Gebrauch 
des Carbolspray gemacht habe. 


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In Bezug auf den Spray fühle ich mich beschämt, ihn 
einst zum Zwecke der Zerstörung von Luftkeimen empfohlen 
zu haben. Wenn wir die Bildung des Spray beobachten und 
sehen, wie der anfänglich kleine Kegel sich immer mehr nach 
vorne ausbreitet, frische Lufttheilchcn in seine Wirbel hinein¬ 
zieht , so können wdr constatiren, daß viele von den Mikro¬ 
organismen, die unter seinem Einfluß stehen, in ihrer Lebens¬ 
fähigkeit nicht beeinträchtigt worden sind. Und doch gab es 
eine Zeit, wo ich annalim, daß dies der Fall sei, und ver¬ 
trauend auf den Spray, der die Atmosphäre frei von lebenden 
Organismen machen sollte, unterließ ich, verschiedene andere 
Vorsichtsmaßregeln anzuwenden, die ich früher als wichtig 
angesehen hatte. So pflegte ich bei Eröffnung der Pleura bei 
Empyemoperationen behufs Entleerung des Eiters und Ein¬ 
führung eines Drains, sowie auch beim Verbandwechsel die 
Vorsicht zu üben, über die Oeffnung ein mit einer antiseptischen 
Lösung getränktes Leinwandstück zu geben, welches gewisser¬ 
maßen als Klappe das Eindringen von Mikroorganismen während 
der Inspiration verhindern sollte. Unter dem Spray unterließ 
ich es, diese Klappe zu gebrauchen und ließ die Luft frei in 
und aus der Pleura heraustreten, obgleich ich den Spray in 
einer solchen Entfernung von dem ihn erzeugenden Apparat 
anwendete, daß er trocken und durchsichtig war, die 
Theilchen der Carbollösung weit von einander getrennt waren 
und die in dem Staube enthaltenen Mikroorganismen kaum 
durch ihren momentanen Contact mit dem Carbol beeinflußt 
werden konnten. 

Wir können aber nicht finden, daß unsere Resultate der 
Empyembehandlung durch dieses falsche Vertrauen auf den 
Spray schlimmer geworden wären. Die seröse Exsudation nahm 
von Tag zu Tag ab, die Wunde wurde immer kleiner, die 
Pleura kehrte zur Norm zurück, die Lunge dehnte sich wieder 
aus und kam wieder in Contact mit der Brustwand,, so daß 
es den Anschein hat, daß wir auf uns selbst und unsere 
Assistenten vertrauen können, wenn wir die Einführung von 
septischen Substanzen in die Wunde*$$8 
als der Luft vermeiden. Seit wir den Spray verlassen naben 
(das ist seit drei Jahren), haben wir einen sorgfältigen Ersatz 
für ihn nicht nur in der antiseptischen Waschung und Irri¬ 
gation , sondern auch dadurch, daß wir die Umgebung des 
Operationsfeldes mit in antiseptischen Lösungen getränkten 
Tüchern bedecken. Obgleich der Spray den Zweck, für den 
er ursprünglich bestimmt war, nicht erfüllte, so hielt er doch 
die Hände und die Umgebung des Chirurgen rein. Wenn wir 
aber den Spray beseitigen und alle Waschungen und Irri¬ 
gationen aufgeben wollen, so müssen wir unsere Wachsamkeit 
verdoppeln, und ich glaube, daß dies nur möglich ist, wenn 
die Assistenten gehörig von der Bedeutung ihrer Pflicht durch¬ 
drungen sind. 

Ich habe bisher nicht gewagt, diesen Versuch zu machen, 
glaube aber, daß die Zeit gekommen ist, wo er gemacht werden 
kann, und wenn er gelingen sollte, so würde mein früherer 
Traum in Erfüllung gehen. Nach der Analogie der subcutanen 
Verletzungen zu beurtheilen. hoffte ich, daß eine unter anti¬ 
septischen Cautelen gemachte Wunde sofort vollständig ge¬ 
schlossen und vielleicht sogar mit irgend einem antiseptischen 
Firniß hermetiseh geschlossen werden könne. Ich fand aber, 
daß das Carbol durch seine Reizung einen so starken Aus¬ 
tritt des Serums verursacht, daß es nothwendig wurde, die 
Wunde zu eröffnen. um das Serum herauszulassen. Sodann 
kam die Drainage der Wunde. Aber wenn man auch über die 
Anwendung eines Antisepticum auf Schnittflächen uneinig ist, 
so läßt sich durch Anwendung von in Sublimat (1 : 10.000) 
getränkten und ausgedrückten Schwämmeti das Ideal annähernd 
erreichen. Durch W eglassen des Spray und Ersatz des Carbois 
durch, das wirksamere und weniger reizende Sublimat wurde 
die seröse Ausscheidung verringert und damit die Drainage 
weniger nothwendig als früher gemacht. Bei vielen Wunden, 
bei welchen früher ein Drain unumgänglich nothwendig 
erschien, unterlassen wir es jetzt fast immer, und selbst bei 


größeren Wunden haben wir den Gebrauch der Drains be¬ 
deutend reducirt. 

Es bleibt nur noch übrig, einige Worte über die beste 
Form des äußeren Verbandes zu sagen. Manche Chirurgen 
haben die Einfachheit und Wirksamkeit des Verbandes ge¬ 
fordert und glauben sie durch Anwendung von durch Hitze 
sterilisirter Baumwolle erreicht zu haben. Wenn auch die 
Sterilisirung der Baumwolle in geeigneten Apparaten in 
öffentlichen Instituten eine einfache Aufgabe ist, so ist sie 
für den gewöhnlichen Gebrauch des Praktikers nicht durch¬ 
führbar. Was die Wirksamkeit betrifft, so muß ich bemerken, 
daß blos aseptische Baumwolle eine septische Infection ver¬ 
hüten kann, wenn sie in trockenem Zustände verwendet wird. 
Wenn sie aber an der Wundoberfläche mit einer starken Ab¬ 
sonderung in Berührung kommt, so muß sie fähig sein, septi¬ 
sche Massen aufzunehmen, und wenn wir auch in Zukunft im 
Stande sein werden, die Absonderung möglichst zu beschränken, 
so w'erden noch immer Fälle genug bleiben, bei welchen eine 
solche nicht zu vermeiden sein wird. Es ist daher angezeigt, 
daß der Verband in einer Weise gemacht werde, welche die 
Entwicklung von Mikroorganismen in demselben nicht ge¬ 
stattet, und das kann nur durch Anwendung chemischer anti¬ 
septischer Substanzen erreicht werden. Ich habe in der letzten 
Zeit zu diesem Behufe eine Combination von zwei Cyaniden 
von Zink und Quecksilber gebraucht. Dieselbe scheint die 
gewünschten Bedingungen zu erfüllen. Sie ist sehr wirksam 
und besitzt keine reizenden Eigenschaften. Seit der letzten 
Publication des Prof. Dunston über diesen Gegenstand in der 
Londoner pharmaceutischen Gesellschaft wurde ein Präparat 
dargestellt, welches einen zweimal so großen Procensatz von 
Quecksilbercyanid enthält, als bisnun, und welches bei erhöhter 
Wirksamkeit keinerlei reizende Eigenschaften aufweist. Die¬ 
jenigen, welche mein Verbandverfahren am King’s College- 
Hospital während der letzten l 1 / 9 Jahre verfolgt haben, werden 
mit mir 3 üb^einstiminen ; const^nt .aeßptische Resultate 

je unseren Mißartungen entsprechen 
und die Ausführung von bisnun ganz unverantwortlichen 
Operationen rechtfertigen. 

M. H.! Nachdem ich Ihnen den gegenwärtigen Stand der 
antiseptischen Wundbehandlung skizzirt habe, hege ich die 
Hoffnung, Manchen aus dieser illustren Versammlung zu weiteren 
Untersuchungen angeregt zu haben, welche die großen Auf¬ 
gaben der antiseptischen Chirurgie zur möglichsten Vollstän¬ 
digkeit führen mögen! 


lieber bacteriologische Forschung. 

Von Robert Koch. 

Meine Herren! 

Als ich den ehrenvollen Auftrag erhielt, einen der Vor¬ 
träge für den internationalen Congreß zu übernehmen, wurde 
ich vor die Wahl gestellt, das Thema für diesen Vortrag 
derjenigen Wissenschaft zu entnehmen, mit -welcher ich mich 
jetzt vorzugsweise zu beschäftigen habe, nämlich der Hygiene, 
oder der Bacteriologie, welcher ich mich früher Jahre lang 
fast ausschließlich widmen konnte. 

Ich habe mich für das Letztere entschieden, weil ich an- 
nehme, daß die Bacteriologie noch immer das allseitigste In¬ 
teresse beansprucht, und so will ich es denn versuchen, Ihnen 
in kurzen Zügen den jetzigen Stand der bacteriologischen 
Forschung, wenigstens in einigen wichtigeren Theilen derselben, 
zu schildern. Allerdings werde ich damit Denjenigen, welche 
mit der Bacteriologie vertraut sind, nichts Neues bieten. Um 
aber auch vor diesen nicht mit ganz leeren Händen zu er¬ 
scheinen , beabsichtige ich, einige bei meinen fortgesetzten 
Studien über die Tubereulose gefundene und noch nicht be¬ 
kannt gegebene Thatsaclien meiner Darstellung einzuflechten. 

Die Bacteriologie ist. wenigstens so weit sie für uns 
Aerzte in Betracht kommt, eine sehr junge Wissenschaft. 


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Noch vor etwa fünfzehn Jahren wnßte man kaum mehr, als 
daß bei Milzbrand und Recurrens eigenthümliche fremdartige 
Gebilde im Blute auftreten und daß bei Wundinfectionskrank- 
heiten gelegentlich die sogenannten Vibrionen Vorkommen. 
Ein Beweis dafür, daß diese Dinge die Ursachen jener Krank¬ 
heiten sein könnten, war noch nicht geliefert, und mit Aus¬ 
nahme weniger für Phantasten gehaltener Forscher faßte man 
solche Befunde mehr als Curiositäten auf, als daß man Krank¬ 
heitserreger dahinter vermutbet hätte. Man konnte auch kaum 
anders denken, denn es war noch nicht einmal bewiesen, daß 
es sich um selbstständige und für diese Krankheiten speci- 
fische Wesen handelte. In faulenden Flüssigkeiten, namentlich 
aber im Blute erstickter Thiere, hatte man Bacterien gefunden, 
welche von den Milzbrandbacillen nicht zu unterscheiden waren. 
Einzelne Forscher wollten sie überhaupt nicht als lebende 
Wesen gelten lassen, sondern hielten sie für krystalloide Ge¬ 
bilde. Den Recurrensspirillen identische Bactenen sollten im 
Sumpfwasser, im Zahnschleim Vorkommen, und den Mikrococcen 
der Wundinfectionskrankheiten gleiche Bacterien waren an¬ 
geblich im gesunden Blut und in gesunden Geweben gefunden. 

Mit den zu Gebote stehenden experimentellen und opti¬ 
schen Hilfsmitteln war auch nicht weiter zu kommen, und es 
wäre wohl noch geraume Zeit so geblieben, wenn sich nicht 
gerade damals neue Forschungsmethoden geboten hätten, welche 
mit einem Schlage ganz andere Verhältnisse herbeiführten und 
die Wege zu weiterem Eindringen in das dunkle Gebiet öffneten. 
Mit Hilfe verbesserter Linsensysteme und deren zweckent¬ 
sprechender Anwendung, unterstützt durch die Benutzung der 
Anilinfarben, wurden auch die kleinsten Bacterien deutlich 
sichtbar und von anderen Mikroorganismen in morphologischer 
Beziehung unterscheidbar gemacht. Zugleich wurde es durch 
die Verwendung von Nährsubstraten, welche sich je nach Be¬ 
darf in flüssige oder feste Form bringen ließen, ermöglicht, 
die einzelnen Keime zu trennen und Reinculturen zu gewinnen, 
an denen die eigenthümlichen Eigenschaften jeder einzelnen 
Art für sich mit voller Sicherheit ermittelt werden konnten. 
Was diese neuen Hilfsmittel zu leisten im Stande waren, 
zeigte sich sehr bald. Es wurde eine Anzahl neuer, wohl 
charakterisirter Arten von pathogenen Mikroorganismen ent¬ 
deckt und, was von besonderer Wichtigkeit war, auch der 
ursächliche Zusammenhang zwischen diesen und den zugehörigen 
Krankheiten nachgewiesen. Da die aufgefundenen Krankheits¬ 
erreger sämmtlich zur Gruppe der Bacterien gehörten, so 
mußte dies den Anschein erwecken, als ob die eigentlichen 
Infectionskrankheiten ausschließlich durch bestimmte und von 
einander verschiedene Bacterienarten bedingt seien, und man 
durfte sich auch der Hoffnung hingeben, daß in nicht zu 
ferner Zeit für alle ansteckenden Krankheiten die zugehörigen 
Erreger gefunden sein würden. 

Diese Erwartung hat sich indessen nicht erfüllt und die 
weitere Entwicklung der Bacterienforschung hat auch in an¬ 
derer Beziehung einen mehrfach unerwarteten Fortgang ge¬ 
nommen. Wenn ich mich zunächst an die positiven Ergebnisse 
der bacteriologischen Forschung halte, dann möchte ich aus 
denselben folgende Punkte hervorheben: 

Es ist jetzt als vollständig erwiesen anzusehen, daß die 
Bacterien ebenso wie die höheren pflanzlichen Organismen 
feste, mitunter allerdings schwierig abzugrenzende Arten bilden. 
Die noch bis vor wenigen Jahren mit großer Hartnäckigkeit 
festgehaltene und auch jetzt noch von einzelnen Forschem 
vertretene Meinung, daß die Bacterien in einer von allen übrigen 
lebenden Wesen abweichenden Art und Weise wandelbar seien 
und bald diese morphologischen oder biologischen Eigenschaften, 
bald andere gänzlich davon verschiedene annehmen könnten 
und daß höchstens einige wenige Arten anzunehmen seien; 
oder daß die Bacterien überhaupt keine selbstständigen Or¬ 
ganismen seien, vielmehr in den Entwicklungskreis von 
Schimmelpilzen oder, wie Einige wollten, von niederen Algen 
gehörten; ferner die ihre Selbstständigkeit noch weiter an- 
l'echtende Ansicht, daß sie Abkömmlinge von thierischen 


Zellen, z. B. von Blutkörperchen, seien; alle diese Anschau¬ 
ungen sind unhaltbar gegenüber den in überwältigender Zahl 
gesammelten Beobachtungen, welche ausnahmslos dafür sprechen, 
daß wir es auch hier mit gut charakterisirten Arten zu thun 
haben. Wenn wir uns an die Thatsache halten, daß einige 
durch Bacterien bedingte Infectionskrankheiten, wie Lepra und 
Phthisis, in ihren unverkennbaren Eigenschaften schon von 
den ältesten medicinischen Schriftstellern beschrieben werden, 
so könnten wir daraus sogar schließen, daß die pathogenen 
Bacterien eher die Neigung haben, ihre Eigenschaften inner¬ 
halb langer Zeiträume festzuhalten, als sie, wie mit Rücksicht 
auf den wandelbaren Charakter mancher epidemischer Krank¬ 
heiten meistens angenommen wird, schnell zu verändern. 
Innerhalb gewisser Grenzen allerdings können Abweichungen 
von dem gewöhnlichen Typus der Art bei den Bacterien und 
insbesondere auch bei den pathogenen Bacterien Vorkommen; 
doch unterscheiden sich die Bacterien auch in dieser Beziehung 
nicht im Geringsten von den höheren Pflanzen, bei denen 
auch vielfache, meistens auf äußere Einflüsse zurückzuführende 
Aenderungen anzutreffen sind, die uns höchstens veranlassen, 
von Varietäten zu sprechen, aber die Art als solche bestehen 
zu lassen. 

So kommt es vor, daß eine Bacterienart unter ungünstigen 
Emährungsbedingungen verkümmerte Formen hervorbringt, 
daß einzelne in die Augen fallende, . oder uns von unserem 
ärztlichen Standpunkte interessirende, aber für das Gesammt- 
leben der Pflanze vielleicht wenig wichtige Eigenschaften, 
z. B. die Bildung eines Farbstoffes, die Fähigkeit, im lebenden 
Thierkörper zu wachsen, gewisse Giftstoffe zu produciren, 
zeitweilig oder, soweit die Erfahrungen darüber bis jetzt 
reichen, auch gänzlich verschwinden können. Dabei handelt es 
sich aber immer nur um Schwankungen, welche sich innerhalb 
gewisser Grenzen bewegen und nie von dem Mittelpunkt des 
Arttypns soweit entfernen, daß man nöthig hätte, den Ueber- 
gang in eine neue oder eine schon bekannte Art, z. B. des 
Milzbrandbacillus in den Heubacillus, anzunehmen. 

Da uns nun aber wegen der geringen Größe der Bacterien 
nicht wie bei den höheren Pflanzen durchgreifende und zur 
Systematik verwendbare morphologische Kennzeichen zu Gebote 
stehen, so sind wir umsomehr darauf angewiesen, uns bei der 
Bestimmung der Arten nicht an einzelne Kennzeichen zu halten, 
von denen man von vornherein gar nicht einmal wissen kann, 
ob sie zu den festen oder den wandelbaren Eigenschaften der 
betreffenden Art gehören, sondern wir müssen so viele Eigen¬ 
schaften als nur irgend möglich, auch wenn sie augenblicklich 
noch so unwesentlich zu sein scheinen, und zwar morphologische 
und biologische, gewissenhaft sammeln und erst nach dem so 
gewonnenen Gesammtbilde die Art bestimmen. In dieser Be¬ 
ziehung kann man gar nicht weit genug gehen, und manche 
Mißverständnisse und Widersprüche, welche in der Bacterio- 
logie anzutreffen sind, lassen sich auf die leider immer 
noch nicht genügend befolgte Beachtung dieser Regel zurück¬ 
führen. 

Ein sehr charakteristisches Beispiel für die Schwierig¬ 
keit, mit welcher die Bestimmung einer Art zu kämpfen hat, 
liefert der Typhusbacillus. Trifft man denselben in den Me¬ 
senterialdrüsen, in der Milz oder der Leber einer Typhusleiche, 
dann wird wohl niemals ein Zweifel darüber entstehen, daß 
man es mit den echten Typhusbacillen zu thun hat, da an 
diesen Stellen bisher noch niemals andere Bacterien beobachtet 
sind, welche mit ihnen verwechselt werden könnten. 

Aber ganz anders gestalten sieh die Verhältnisse, wenn 
es sich um den Nachweis der Typhusbacillen im Darminhalt, 
Boden, Wasser, Luftstaub handelt. Da finden sich zahlreiche 
ihnen sehr ähnliche Bacillen, die nur ein sehr geübter Bacterio- 
loge, und auch dann nicht mit absoluter Sicherheit von den 
Typhusbacillen zu unterscheiden vermag, da es noch immer 
an unverkennbaren und constanten Merkmalen derselben fehlt. 
Die in neuerer Zeit mehrfach gemachten Angaben, daß 
Typhusbacillen im Boden, im Leitungswasser, in Nahrungs- 

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mittein nachgewiesen seien, können daher nur mit berechtigtem 
Zweifel aufgenommen werden. Aehnlich liegen die Verhältnisse 
bei den Diphtheritisbacterien. Ein glücklicher Zufall hat es 
dagegen gewollt, daß für einige andere wichtige pathogene 
Bacterien, wie die Tuberkelbacillen und die Cholerabacterien, 
von vornherein so sichere Kennzeichen sich darboten, daß sie 
unter allen, auch den schwierigsten Umständen zuverlässig als 
solche zu erkennen sind. Die großen Vortheile, welche sich 
aus der sicheren Diagnose der Krankheitserreger in diesen 
Fällen ergeben haben, müssen für uns eine dringende Auf¬ 
forderung sein, trotz aller früheren vergeblichen Bemühungen 
immer wieder von Neuem nach ähnlichen sicheren Merkmalen 
auch für Typhus-, Diphtheritis 1 - und andere wichtige pathogene 
Bacterien zu suchen; denn nicht eher wird es möglich sein, 
auch diese Krankheitserreger auf ihren verborgenen und viel¬ 
fach verschlungenen Wegen außerhalb des Körpers zu ver¬ 
folgen und damit feste Unterlagen für eine rationelle Prophy¬ 
laxis zu gewinnen. 

Aber wie vorsichtig man in der Beurtheilung der Kenn¬ 
zeichen, welche zur Unterscheidung der Bacterien dienen, selbst 
bei wohlbekannten Arten sein soll, das habe ich an den Tu- 
berkelbacillcn erfahren. Diese Bacterienart ist bekanntlich 
durch ihr Verhalten gegen Farbstoffe, durch ihre Vegetation 
in Reinculturen und durch ihre pathogenen Eigenschaften, und 
zwar durch jedes einzelne dieser Kennzeichen so bestimmt 
charakterisirt, daß eine Verwechslung mit anderen Bacterien 
ganz ausgeschlossen scheint. Und dennoch sollte man sich auch 
in diesem Falle nicht auf ein einziges der genannten Merkmale 
für die Bestimmung der Art verlassen, sondern die bewährte 
Regel befolgen, daß alle zu Gebote stehenden Eigenschaften 
berücksichtigt werden müssen und erst, wenn sie sämmtlieh 
übereinstimmen, die Identität der betreffenden Bacterien als 
bewiesen zu erachten ist. Als ich meine ersten Untersuchungen 
über die Tuberkelbacillen anstellte, habe ich es mir angelegen 
sein lassen, streng nach dieser Regel zu verfahren, und es 
wurden dem entsprechend die Tuberkelbacillen der verschie¬ 
densten Herkunft nicht allein auf die Reactionen gegen Farb¬ 
stoffe, sondern auch auf ihre Vegetationsverhältnisse in Rein¬ 
culturen und auf die pathogenen Eigenschaften geprüft. Nur 
in Bezug auf die Tuberculose der Hühner ließ sich dies nicht 
durchführen, da es mir dämals nicht möglich war. frisches 
Material zu erhalten, aus dem ich Reinculturen hätte züchten 
können. Da aber alle übrigen Arten der Tuberculose identische 
Bacillen geliefert hatten und die Bacillen der Hühnertuberculose 
in ihrem Aussehen und in ihrem Verhalten gegen Anilinfarben 
damit vollkommen übereinstimmen, so glaubte ich mich trotz 
der noch vorhandenen Lücke in der Untersuchung für die 
Identität ausspreehen zu können. Später erhielt ich dann von 
verschiedenen Seiten Reinculturen, welche angeblich von Tu¬ 
berkelbacillen herrührten, aber in mehrfacher Beziehung von 
diesen abwichen; namentlich hatten auch die von geübten und 
durchaus zuverlässigen Forschem damit an Thieren gemachten In- 
fectionsversuche zu abweichenden Resultaten geführt, welche jetzt 
noch als unaufgeklärte Widersprüche angesehen werten. Zunächst 
glaubte ich es mit Veränderungen zu thun zu haben, wie sie bei 
pathogenen Bacterien nicht selten beobachtet werden, wenn 
man dieselben in Reinculturen außerhalb des Körpers, also 
unter mehr oder weniger ungünstigen Bedingungen längere 
Zeit fortztiehtet. Um aber das Räthsel zu lösen, wurde ver¬ 
sucht. durch die verschiedensten Einflüsse die gewöhnlichen 
Tuberkelbacillen in die vorhin erwähnte vermeintliche Varietät 
mnzuziichten. Sie wurden viele Monate lang bei einer so hohen 
Temperatur gezüchtet, daß eben noch ein kümmerliches Wachs¬ 
thum erfolgte; in anderen Versuchsreihen wirkten noch höhere 
Temperaturen wiederholt so lange Zeit auf die Cnlturen. bis 
letztere dem Absterben möglichst nahe gebracht waren, ln 
analoger Weise ließ ich Chemikalien, Lieht, Feuchtigkeitsent¬ 
ziehung auf die Culturen einwirken; sie wurden in vielen 
Generationen mit anderen Bacterien zusammen gezüchtet; in 
fortlaufenden Reihen auf wenig empfängliche Thiere verimpft. 


Aber trotz aller dieser Eingriffe ließen sich doch nur geringe 
Veränderungen in den Eigenschaften erzielen, welche hinter 
dem, was unter gleichen Verhältnissen bei anderen pathogenen 
Bacterien vorkommt, weit zurückblieben. Es gewinnt daher 
den Anschein, als ob gerade die Tuberkelbacillen ihre Eigen¬ 
schaften mit großer Hartnäckigkeit festhalten, was auch damit 
übereinstimmt, daß Reinculturen derselben, welche von mir 
nun seit mehr als nenn Jahren im Reagenzglase fortgezüchtet 
wurden, also seitdem nie wieder in einen lebenden Körper 
gelangt sind, sich bis auf eine geringe Abnahme der Virulenz 
vollkommen unverändert erhalten haben. Als alle Versuche, 
den Zusammenhang zu finden, gescheitert waren , da brachte 
schließlich ein Zufall die Aufklärung. Vor Jahresfrist traf es 
sich, daß ich einige lebende Hübner, welche an Tuberculose 
litten, erhielt, und diese Gelegenheit benutzte ich, um das, 
was mir früher unmöglich gewesen war, nachzuholen und 
Culturen direct aus den erkrankten Organen dieser Thiere an¬ 
zulegen. Als die Culturen heranwuchsen, sah ich zu meiner 
Ueberraschung, daß sie genau das Aussehen und auch alle 
sonstigen Eigenschaften der den echten Tuberkelbacillen ähn¬ 
lichen räthselhaften Culturen besaßen. Nachträglich ließ sich 
denn auch in Erfahrung bringen, daß letztere von Geflügel- 
tuberculose abstammten, aber in der Voraussetzung, daß alle 
Formen der Tuberculose identisch seien, für echte Tuberkel¬ 
bacillen gehalten waren. Eine Bestätigung meiner Beobachtung 
finde ich in Untersuchungen, welche von Prof. Maffuzzi über 
Hühnertuberculose gemacht und kürzlich veröffentlicht sind. 
Ich stehe nicht an, die Bacillen der Hühnertuberculose als 
eine für sich bestehende, aber den echten Tuberkelbacillen 
sehr nahe verwandte Art zu halten, und es drängt sich damit 
natürlich sofort die für die Praxis wichtige Frage auf, ob die 
Bacillen der Hiihnertnbercul<*;e auch für den Menschen pathogen 
sind. Diese Frage läßt sich indessen nicht eher beantworten, 
als bis diese Bacillenart bei fortgesetzten Untersuchungen ein¬ 
mal beim Menschen angetroffen wird, oder bis in einer genügend 
langen Reihe von Fällen ihr Fehlen constatirt wurde. Dazu 
wird man sich aber natürlich nicht wie bisher auf die Unter¬ 
suchung mit Farbstoffreagentien beschränken dürfen, sondern 
man wird in jedem einzelnen Falle das Culturverfahren an¬ 
wenden müssen. 

Alle neueren Erfahrungen weisen also bestimmt darauf 
hin, in der Trennung der Bacterienarten möglichst sorgfältig 
zu verfahren und die Grenzen für die einzelnen Arten eher zu 
eng, als zu weit zu ziehen. 

Auch in einer anderen wichtigen principiellen Frage 
haben sich die Verhältnisse gegen früher wesentlich geklärt 
und vereinfacht, nämlich in Bezug auf den Nachweis des ur¬ 
sächlichen Zusammenhangs zwischen den pathogenen Bacterien 
und den ihnen zugehörigen Infectionskrankheiten. 

Der Gedanke, daß Mikroorganismen die Ursache der In¬ 
fectionskrankheiten sein müßten, ist zwar von einzelnen her¬ 
vorragenden Geistern schon sehr frühzeitig ausgesprochen, aber 
die allgemeine Meinung konnte sich damit nicht recht vertraut 
machen und verhielt sich gegenüber den ersten Entdeckungen 
auf diesem Gebiete sehr skeptisch. Um so mehr war es ge¬ 
boten, gerade in den ersten Fällen mit unwiderleglichen 
Gründen den Beweis zu führen, daß die bei einer Infections- 
krankheit aufgefundenen Mikroorganismen auch wirklich die 
Ursache dieser Krankheit seien. Damals war der Einwand 
immer noch berechtigt, daß es sich um ein zufälliges Zusammen¬ 
treffen von Krankheit und Mikroorganismen handeln könne, 
daß letztere also nicht die Rolle von gefährlichen Parasiten, 
sondern von harmlosen Schmarotzern spielten, welche erst in 
den erkrankten Organen die im gesunden Körper fehlenden 
Existenzbedingungen fänden. Manche erkannten zwar die patho¬ 
genen Eigenschaften der Bacterien an, hielten es :aber für 
möglich, daß sie eist unter dem Einfluß des Krankheitsprocesses 
aus anderen harmlosen, zufällig oder auch regelmäßig vorhan¬ 
denen Mikroorganismen sich in pathogene Bat terien verwandelt 
hätten. Wenn es sich nun aber nachweisen ließ: erstens, daß 


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der Parasit in jedem einzelnen Falle der betreffenden Krank¬ 
heit anzutreffen ist, und zwar unter Verhältnissen, welche den 
pathologischen Veränderungen und dem klinischen Verlauf der 
Krankheit entsprechen; zweitens, daß er bei keiner anderen 
Krankheit als zufälliger und nicht pathogener Schmarotzer 
vorkommt; und drittens, daß er, von dem Körper vollkommen 
isolirt und in Reinculturen hinreichend oft umgezüchtet, im 
Stande ist, von Neuem die Krankheit zu erzeugen; dann 
konnte er nicht mehr zufälliges Accidens der Krankheit sein, 
sondern es ließ sich in diesem Falle kein anderes Verhältniß 
mehr zwischen Parasit und Krankheit denken, als daß der 
Parasit die Ursache der Krankheit ist. 

Dieser Beweis hat sich denn nun auch in vollem Umfange 
für eine Anzahl von Infectionskrankheiten führen lassen, so 
für Milzbrand, Tubereulose, Erysipelas, Tetanus und viele 
Thierkrankheiten, überhaupt für fast alle diejenigen Krank¬ 
heiten , welche auf Thiere übertragbar sind. Dabei hat sich 
nun aber weiter ergeben, daß auch in allen den Fällen, in 
welchen es gelungen ist, bei einer Infectionskrankheit das 
regelmäßige und ausschließliche Vorkommen von Bacterien 
nachzuweisen, letztere sich niemals wie zufällige Schmarotzer, 
sondern wie die bereits sicher als pathogen erkannten Bacterien 
verhielten. Wir sind deshalb wohl jetzt schon zu der Be¬ 
hauptung berechtigt, daß, wenn auch nur die beiden ersten Forde¬ 
rungen der Beweisführung erfüllt sind, wenn also das regelmäßige 
und ausschließliche Vorkommen des Parasiten nachgewiesen 
wurde, damit der ursächliche Zusammenhang zwischen Parasit 
und Krankheit auch vollgiltig bewiesen ist. Von dieser Vor¬ 
aussetzung ausgehend, müssen wir dann eine Reihe von Krank¬ 
heiten, bei denen es bisher noch nicht oder doch nur in un¬ 
vollkommener Weise gelungen ist. Versuchsthiere zu inficiren 
und damit den drittem Theil des Beweises zu liefern, dennoch 
als parasitische ansehen. Zu diesen Krankheiten gehören Ab¬ 
dominaltyphus, Diphtheritis, Lepra, Recurrens, asiatische 
Cholera. Namentlich die Cholera möchte ich in dieser Beziehung 
ausdrücklich hervorheben, da man sich gegen die Auffassung 
derselben als einer parasitischen Krankheit mit außergewöhn¬ 
licher Hartnäckigkeit gesträubt hat. Es sind alle erdenklichen 
Anstrengungen gemacht, die Cholerabaeterien ihres specifisohen 
Charakters zu berauben, aber sie haben alle Anfechtungen 
siegreich überstanden und man kann es jetzt wohl als eine 
allgemein bestätigte und festbegründete Thatsache ansehen, 
daß sie die Ursache der Cholera bilden. 

Außer in diesen allgemeinen, aber wegen ihrer prin- 
cipieilen Bedeutung höchst wichtigen Fragen, hat die bacterio- 
logische Forschung noch nach vielen Richtungen hin festen 
Fuß gefaßt und die Beziehungen der pathogenen Bacterien zu 
den Infectionskrankheiten klargelegt. Es würde aber zu weit 
führen, auf dieselben näher einzugehen, und mag es genüge^ 
darauf hinzuweisen, daß wir jetzt erst im Stande sind, uns 
richtige Vorstellungen davon zu machen, wie die Krankheits¬ 
stoffe sich außerhalb des Körpers im Wasser, im Boden und 
in der Luft verhalten; Vorstellungen, welche von den früheren, 
aus unsicheren Hypothesen abgeleiteten, erheblich abweichen. 
Erst jetzt können wir uns darüber zuverlässige Auskunft ver¬ 
schaffen , inwieweit die Krankheitserreger als echte Parasiten 
anzusehen sind, d. h. als solche, welche ausschließlich auf den 
menschlichen oder thierischen Organismus angewiesen sind, 
oder ob man es mit Parasiten zu thun hat, welche auch außer¬ 
halb des Körpers die Bedingungen für ihre Existenz finden 
und nur gelegentlich als Krankheitserreger functioniren. Es 
sind dies Verhältnisse, welche für die prophylaktischen Ma߬ 
nahmen bei einigen Krankheiten, so namentlich bei der Tuber¬ 
eulose, von einschneidender Bedeutung sind. Ferner hat die ! 
Art und Weise, wie die Krankheitserreger in den Körper ein- 
dringen, sich für einige pathogene Bacterien hinreichend genau 
ermitteln lassen, um auch über diese Vorgänge zu richtigeren 
Vorstellungen zu gelangen. Auch über das Verhalten der 
pathogenen Bacterien im Innern des Körpers werden unsere j 
Kenntnisse immer umfassender, und manche pathologische Vor- 1 


änge, welche bisher räthselhaft erscheinen mußten, werden damit 
em Verständnisse näher gebracht. Dahin gehört das so häufige 
Vorkommen von Combination mehrerer Infectionskrankheiten, 
von denen dann die eine als die primäre, die andere als se- 
cundäre anzusehen ist. 

Letztere verschafft dann der eigentlichen Krankheit einen 
abweichenden, besonders schweren Charakter oder schließt sich 
als Nachkrankheit an dieselbe an. Es sind dies Zustände, 
welche vorzugsweise bei Pocken, Scharlach, Diphtheritis, 
Cholera, auch bei Typhus und Tuberculose beobachtet werden. 
Weiter sind hier zu nennen die Resultate, welche die Unter¬ 
suchung der Bacterien in Bezug auf ihre Stoffwechselproducte 
ergeben hat, da sich unter denselben solche befinden, welche 
eigentümliche Griftwirkungen haben und möglicherweise auf 
die Symptome der Infectionskrankheiten von Einfluß sind, 
vielleicht sogar die wichtigsten derselben bedingen. Von ganz 
besonderem Interesse sind in dieser Beziehung die in neuester 
Zeit entdeckten giftigen Eiweißstoffe, die sogenannten Tox- 
albumine, welche aus den Culturen von Milzbrand-, Diphthe¬ 
ritis- und Tetanusbacterien gewonnen werden können. 

Mit sehr regem Eifer ist die ebenfalls hieher gehörige 
Frage nach dem Wesen der Immunität bearbeitet, welche nur 
unter Zuhilfenahme der Bacteriologie zu lösen ist. Zu einem 
eigentlichen Abschluß ist dieselbe allerdings noch nicht ge¬ 
bracht, aber es stellt sich doch immer mehr heraus, daß die 
eine Zeit lang im Vordergründe stehende Meinung, nach welcher 
es sich um rein celluläre Vorgänge, um eine Art von Kampf 
zwischen den eindringenden Parasiten und den von Seiten des 
Körpers die Vertheidigung übernehmenden Phagocythen, handeln 
sollte, immer mehr an Boden verliert und daß auch hier höchst 
wahrscheinlich chemische Vorgänge die Hauptrolle spielen. 

Eine Fülle von Material hat in dieser verhältnißmäßig 
kurzen Zeit die bacteriologische Forschung in Bezug auf die 
biologischen Verhältnisse der Bacterien geliefert und Manches 
ist davon auch für die medicinische Seite der Bacteriologie 
von Wichtigkeit. So das Vorkommen von Dauerzuständen, 
welche bei manchen Bacterien, z.B. den Milzbrand- und Tetanus¬ 
bacillen, in Form von Sporen auftreten und sich durch eine 
im Vergleich mit anderen Lebewesen beispiellose Widerstands¬ 
fähigkeit gegen hohe Temperaturen und gegen die Wirkung 
chemischer Agentien auszeichnen. Auch die zahlreichen Unter¬ 
suchungen über den Einfluß, welchen Wärme, Kälte, Aus¬ 
trocknen , chemische Substanzen, Licht u. s. w. auf die nicht 
sporenhaltigen pathogenen Bacterien ausüben, haben manche 
Ergebnisse geliefert, welche sich prophylaktisch verwerthen 
lassen. 

Unter diesen Factoren scheint mir einer der wichtigsten 
das Licht zu sein. Vom directen Sonnenlichte wußte man schon 
seit einigen Jahren, daß es Bacterien ziemlich schnell zu tödten 
vermag. Ich kann dies für Tuberkelbacillen bestätigen, welche 
je nach der Dicke der Schicht, in welcher sie dem Sonnenlicht 
ausgesetzt werden, in wenigen Minuten bis einigen Stunden 
getödtet werden. Was mir aber besonders beachtenswerth zu 
sein scheint, ist, daß auch das zerstreute Tageslicht, wenn 
auch entsprechend langsamer, dieselbe Wirkung ausiibt; denn 
die Culturen der Tuberkelbacillen sterben, wenn sie dicht am 
Fenster aufgestellt sind, in 5—7 Tagen ab. 

Für die Aetiologie der Infectionskrankheiten ist auch die 
Thatsache von Wichtigkeit, daß alle Bacterien nur in feuchtem 
Zustande, also bei Gegenwart von Wasser oder sonstigen ge¬ 
eigneten Flüssigkeiten, sich vermehren können und daß sie 
nicht im Stande sind, von feuchten Flächen aus eigenem An¬ 
triebe in die Luft überzugehen. In Folge dessen können pathogene 
Bacterien auch nur in Form von Staub und von Staubtheilchen 
getragen in die Luft gelangen, und nur solche, welche in ge¬ 
trocknetem Zustande längere Zeit lebensfähig bleiben, können 
durch Luftströmungen verschleppt werden. Aber niemals sind 
sie im Stande, sich in der Luft selbst zu vermehren, wie die 
früheren Anschauungen es von Krankheitsstoffen voraussetzten. 

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Auf allen den bisher besprochenen Gebieten hat die bacterio- 
Iogische Forschung das, was sie zur Zeit ihrer ersten Entwick¬ 
lung zu versprechen schien, vollkommen erfüllt, theilweise 
sogar übertroffen. In anderen Theilen aber hat sie den Er¬ 
wartungen, zu denen sie berechtigte, nicht entsprochen. So 
ist es nicht gelungen, trotz der immer weiter verbesserten 
Färbungsmethoden und trotz der Anwendung von Linsen¬ 
systemen mit immer größerem Oeffnungswinkel, über die innere 
Structur der Bacterien mehr zu erfahren, als sich mit den 
ursprünglichen Methoden hatte ermitteln lassen. Erst in letzter 
Zeit scheinen neue Färbungsmethoden weitere Aufschlüsse über 
den Bau der Bacterien zu geben, insofern als es gelingt, einen 
wahrscheinlich als Kern zu deutenden inneren Theil von der 
äußeren Plasmahülle zu unterscheiden und die anscheinend von 
der Plasmaschicht ausgehenden Bewegungsorgane, die Geiseln, 
mit einer Deutlichkeit sichtbar zu machen, wie es bisher nicht 
möglich war. 

An mehreren Stellen, und zwar gerade an solchen, wo es 
am wenigsten zu erwarten war, hat uns die bacteriologische 
Forschung aber vollkommen im Stich gelassen, nämlich in der 
Erforschung einer Anzahl von Infectionskrankheiten, die wegen 
ihrer ausgesprochenen Infectiosität ganz besonders leichte 
Angriffspunkte für die Forschung zu bieten schienen. Es be¬ 
trifft dies in erster Linie die gesammte Gruppe der exan- 
thematischen Infectionskrankheiten, also Masern, Scharlach, 
Pocken, exanthematischen Typhus. Auch für keine einzige der¬ 
selben ist es gelungen, nur den geringsten Anhaltspunkt 
dafür zu finden, welcher Art die Krankheitserreger derselben 
sein könnten. Selbst die Vaccine, die jederzeit zur Verfügung 
steht und am Versuchsthier so leicht geprüft werden kann, 
hat allen Bemühungen, das eigentliche Agens derselben zu 
ermitteln, hartnäckig widerstanden. Dasselbe gilt von der 
Hundswuth. 

Auch über die Krankheitserreger der Influenza, des 
Keuchhustens, des Trachoms, des Gelbfiebers, der Rinderpest, 
der Lungenseuche und mancher anderer unzweifelhafter 
Infectionskrankheiten wissen wir noch nichts. Bei den meisten 
dieser Krankheiten hat es auch nicht an Geschick und Aus¬ 
dauer in der Verwendung aller uns jetzt zu Gebote stehenden 
Hilfsmittel gefehlt und wir können das negative Ergebniß der 
Bemühungen zahlreicher Forscher nur so deuten, daß die Unter¬ 
suchungsmethoden, welche sich bisher in so vielen Fällen 
bewährt haben, für diese Aufgaben nicht mehr ausreichen. 
Ich möchte mich der Meinung zuneigen, daß es sich bei den 
genannten Krankheiten gar nicht um Bacterien, sondern um 
organisirte Krankheitserreger handelt, welche ganz anderen 
Gruppen von Mikroorganismen angehören. Man ist dazu um so 
mehr berechtigt, als in neuerer Zeit bekanntlich im Blute mancher I 
Thiere, sowie im Blute von Menschen, welche an Malaria er- ,j 
krankt sind, eigenthümliche Parasiten entdeckt wurden, welche [: 
der untersten Stufe des Thierreiches, den Protozoen, ange- i 
hören. Ueber den einfachen Nachweis dieser merkwürdigen 
und höchst wichtigen Parasiten ist man allerdings noch nicht 
hinausgekommen und man wird voraussichtlich auch nicht 
eher weiter kommen, als bis es gelungen sein wird, diese 
Protozoen in ähnlicher Weise, wie die Bacterien, in künst¬ 
lichen Nährmedien oder unter anderweitigen, möglichst natür¬ 
lichen Verhältnissen vom Körper getrennt zu züchten und in 
ihren Lebensbedingungen, ihrem Entwickelungsgang u. s. w. 
zu studiren. Sollte diese Aufgabe, woran zu zweifeln gar kein 
Grund vorliegt, gelöst werden, dann wird sich höchst wahr¬ 
scheinlich in der Erforschung der pathogenen Protozoen und 
verwandter Mikroorganismen ein Seitenstück zur bacterio- 
logischen Forschung entwickeln, welches uns hoffentlich auch 
die Aufklärung über die erwähnten, ätiologisch noch nicht 
erforschten Infectionskrankheiten bringen wird. 

Bisher habe ich absichtlich eine Frage unberührt gelassen, 
obwohl sie gerade diejenige ist, welche am häufigsten, und 
zwar nicht ohne einen gewissen Vorwurf an den Bacteriologen 
gerichtet wird. Ich meine die Frage, wozu denn nun alle die 


mühselige Arbeit, welche bis dahin auf die Erforschung der 
Bacterien verwendet wurde, genützt hat. Eigentlich sollte in 
solcher Weise gar nicht gefragt werden, denn die echte 
Forschung verfolgt ihre Wege unbeirrt durch die Erwägung, 
ob ihre Arbeit unmittelbaren Nutzen schafft oder nicht; aber 
für so ganz unberechtigt kann ich diese Frage im vorliegenden 
Falle denn doch nicht halten, da wohl die Wenigsten von 
Denen, welche sich mit bacteriologischen Forschungen befassen, 
praktische Ziele dabei vollständig aus den Augen gelassen 
haben. 

Ganz so kümmerlich, wie jene Fragesteller meinen, sind 
die bisherigen praktisch verwerthbaren Resultate der bacterio¬ 
logischen Forschung denn auch keineswegs. 

Ich erinnere nur an das, was auf dem Gebiete der Des- 
infection geleistet ist. Gerade hier fehlte es früher an jeglichem 
Anhalt, man bewegte sich vollständig im Dunkeln und hat 
oft genug große Summen für nutzlose Desinfection weggeworfen, 
ganz abgesehen von dem indirecten Schaden, welchen eine ver¬ 
fehlte hygienische Maßregel im Uebrigen zur Folge hat. Jetzt 
haben wir dagegen sichere Kennzeichen in Händen, mit Hilfe 
deren wir im Stande sind, die Desinfectionsmittel auf ihre 
Wirkungsfähigkeit zu prüfen, und wenn auch noch Manches 
auf diesem Gebiete zu thun ist, so können wir doch behaupten, 
daß die jetzt gebräuchlichen Desinfectionsmittel, soweit sie die 
Prüfung bestanden haben, auch wirklich ihren Zweck erfüllen. 

Zu den praktischen Erfolgen ist auch die Verwendung 
der bacteriologischen Methoden zur Controle der Wasser¬ 
filtration zu rechnen, da diese Methoden gerade für diesen 
Zweck durch nichts Anderes zu ersetzen sind. Im Zusammen¬ 
hang hiemit stehen die Aufschlüsse, welche die bacterio¬ 
logische Untersuchung über die filtrirenden Eigenschaften des 
Bodens geliefert hat und die wichtigen Folgerungen, welche 
sich daraus für die Verwerthung des Grundwassers zur Wasser¬ 
versorgung und für die richtige Construction der Brunnen er¬ 
geben. In gleicher Weise wie für das Wasser würde dieselbe 
auch zur Controle der Milch, namentlich soweit sie zur-Er¬ 
nährung der Kinder bestimmt ist, sowie zur Untersuchung 
anderer Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände, welche 
infectionsverdächtig sind, zu benutzen sein. Die Untersuchung 
der Luft in Schwemmcanälen und die Berichtigung, welche 
die allgemein verbreiteten Anschauungen über die Schädlich¬ 
keit der Canalluft dadurch erfahren haben, die Untersuchung 
der Luft in Schulzimmem, der Nachweis von pathogenen 
Bacterien in Nahrungsmitteln, im Boden u. s. w., stehen, 
wie sich nicht in Abrede stellen läßt, in innigem Zu¬ 
sammenhänge mit der Praxis. Zu den praktischen Erfolgen 
möchte ich ferner rechnen die mit Hilfe der Bacteriologie er¬ 
möglichte Diagnose vereinzelter Fälle der asiatischen Cholera 
und der ersten Stadien der Lungentuberculose, erstere für die 
Prophylaxis der Cholera, letztere für die frühzeitige Behand¬ 
lung der Tuberculose von Wichtigkeit. 

Alles das sind aber Vortheile, welche sich im Kampfe 
gegen die Bacterien nur indirect verwerthen lassen. Direct 
wirkende, also therapeutische Mittel, können wir jenen indi¬ 
recten bislang kaum an die Seite stellen. Das Einzige, was 
sich in dieser Beziehung anführen läßt, sind die Erfolge, 
welche Pasteub und Andere mit den Schutzimpfungen bei 
Hundswuth, Milzbrand, Rauschbrand und Schweinerothlauf 
erzielt haben. Und gerade der Hundswuthimpfung, der einzi¬ 
gen, welche für den Menschen verwerthbar ist, könnte man 
entgegenhalten, daß die Ursache der Hundswuth noch nicht 
bekannt und wahrscheinlich gar nicht einmal bacterieller Art 
sei, daß diese Schutzimpfung also auch nicht der Bacteriologie 
zu Gute gerechnet werden könne. Immerhin ist auch diese 
Entdeckung auf bacteriologischem Boden gewachsen und wäre 
ohne die vorhergehenden Entdeckungen von Schutzimpfungen 
gegen pathogene Bacterien wohl nicht gemacht. 

Obwohl nun gerade in dieser Richtung die bacterio¬ 
logische Forschung trotz unendlicher Mühe nur so unbedeu¬ 
tende Resultate aufzuweisen hat, so bin ich trotzdem nicht 



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der Meinung, daß das immer so bleiben wird. Ich habe im 
Gegentheil die Ueberzeugung, daß die Bacteriologie auch für 
die Therapie noch einmal von größter Bedeutung sein wird. 
Allerdings verspreche ich mir weniger für Krankheiten mit 
kurzer Dauer der Incubation und mit schnellem Krankheits¬ 
verlauf therapeutische Erfolge. Bei diesen Krankheiten, wie 
z. B. bei der Cholera, wird wohl immer der größte Nachdruck 
auf die Prophylaxis zu legen sein. Ich denke vielmehr an 
Krankheiten von nicht zu schnellem Verlauf, weil solche viel 
eher Angriffspunkte für das therapeutische Eingreifen bieten. 
Und da gibt es wohl kaum eine Krankheit, welche theils aus 
diesem Grunde, theils wegen ihrer alle anderen Infections- 
krankheiten weit überragenden Bedeutung die bacteriologische 
Forschung so herausfordert wie die Tuberculose. 

Durch solche Gedanken bewogen, habe ich denn auch 
sehr bald nach der Entdeckung der Tuberkelbacillen angefan¬ 
gen, nach Mitteln zu suchen, welche sich gegen die Tuber¬ 
culose therapeutisch verwerthen lassen, und ich habe diese Ver¬ 
suche, allerdings vielfach unterbrochen durch Berufsgeschäfte, 
bis jetzt unablässig fortgesetzt. In der Ueberzeugung, daß es 
Heilmittel gegen die Tuberculose geben müsse, 
stehe ich auoh keineswegs vereinzelt da. 

Billroth hat sich noch in einer seiner letzten Schriften 
mit aller Bestimmtheit in diesem Sinne geäußert, und es ist 
bekannt, daß von zahlreichen Forschern dasselbe Ziel ange¬ 
strebt ist. Nur scheint mir, daß von letzteren in der Regel 
nicht der richtige Weg bei ihren Untersuchungen eingeschla¬ 
gen wurde, indem sie das Experiment beim Menschen beginnen 
ließen. Dem schreibe ich auch zu, das Alles, was man auf 
diesem Wege entdeckt zu haben glaubte, vom benzoesauren 
Natron bis zur Heißluftmethode herab, sieh als Illusion er¬ 
wiesen hat. Nicht mit dem Menschen, sondern mit dem Para¬ 
siten für sich in seinen Reinculturen soll man zuerst experi- 
mentiren; auch wenn sich dann Mittel gefunden haben, welche 
die Entwicklung der Tuberkelbacillen in den Culturen aufzu- 
balten im Stande sind , söll man nicht nieder sofort den 
Menschen als Versuchsobject wählen, sondern zunächst an 
Thieren versuchen, ob die Beobachtungen, welche im Reagenz¬ 
glase gemacht wurden, auch für den lebenden Thierkörper 
gelten. Erst wenn das Thierexperiment gelungen ist, kann 
man zur Anwendung am Menschen übergehen. 

Nach diesen Regeln verfahrend, habe ich im Laufe der 
Zeit eine sehr große Zahl von Substanzen darauf geprüft, 
welchen Einfluß sie auf die in Reinculturen gezüchteten Tu¬ 
berkelbacillen ausüben, und es hat sich ergeben, daß gar nicht 
wenige Stoffe im Stande sind, schon in sehr geringer Dosis 
das Wachsthum der Tuberkelbacillen zu verhindern. Mehr 
braucht ein Mittel natürlich nicht zu leisten. Es ist nicht 
nöthig, wie irriger Weise noch vielfach angenommen wird, 
daß die Bacterien im Körper getödtet werden müßten, son¬ 
dern es genügt, ihr Wachsthum, ihre Vermehrung zu verhin¬ 
dern, um sie für den Körper unschädlich zu machen. 

Als solche in sehr geringer Dosis das Wachsthum hem¬ 
mende Mittel haben sich erwiesen, um nur die wichtigsten an¬ 
zuführen, eine Anzahl ätherischer Oele, unter den aromatischen 
Verbindungen ß-Naphthylamin, Para-Toluidin, Xylidin, einige 
der sogenannten Theerfarben, nämlich Fuchsin, Gentianaviolet, 
Methylenblau, Chinolingelb, Anilingelb, Auramin, unter den 
Metallen Quecksilber in Dampfform, Silber- und Goldverbin¬ 
dungen ; ganz besonders fielen die Cyan-Goldverbindungen 
durch ihre alle anderen Substanzen weit überragende Wirkung 
auf; schon in einer Verdünnung von 1 :2 Millionen halten 
sie das Wachsthum der Tuberkelbacillen zurück. 

Alle diese Substanzen blieben aber vollkommen wirkungs¬ 
los, wenn sie an tuberculösen Thieren versucht wurden. 

Trotz dieses Mißerfolges habe ich mich von dem Suchen 
nach entwicklungshemmenden Mitteln nicht abschrecken lassen 
und habe schließlich Substanzen getroffen, welche nicht allein 
im Reagenzglase, sondern auch im Thierkörper das Wachs¬ 
thum der Tuberkelbacillen aufzuhalten im Stande sind. Alle 
Untersuchungen über Tuberculose sind, wie Jeder, der damit 


experimentirt, zur Genüge erfahren hat, sehr langwierig; so 
sind auch meine Versuche mit diesen Stoffen, obwohl sie mich 
bereits fast ein Jalir beschäftigen, noch nicht abgeschlossen 
und ich kann über dieselben daher nur so viel mittheilen, 
daß Meerschweinchen, welche bekanntlich für 
Tuberculose außerordentlich empfänglich sind, 
wennmansie derWirkung einer solchen Substanz 
aussetzt, auf eine Impfung mit tuberculösem Virus 
ni cht mehr reagiren, und daß bei Meerschweinchen, 
welche schon in hohem Grade an allgemeiner 
Tuberculose erkrankt sind, der Krankheitsproceß 
vollkommen zum Stillstand gebracht werden 
kann, ohne daß der Körper von dem Mittel etwa 
anderweitig nachtheilig beeinflußt wird. 

Aus diesen Versuchen möchte ich vorläufig keine weite¬ 
ren Schlüsse ziehen, als daß die bisher mit Recht bezweifelte 
Möglichkeit, pathogene Bacterien im lebenden Körper ohne 
Benachtheiligung des letzteren unschädlich zu machen, damit 
erwiesen ist. 

Sollten aber die im Weiteren an diese Versuche sich 
knüpfenden Hoffnungen in Erfüllung gehen und sollte es ge¬ 
lingen, zunächst bei einer bacteriellen Infectionskrankheit des 
mikroskopischen, aber bis dahin übermächtigen Feindes im 
menschlichen Körper selbst Herr zu werden, dann wird man 
auch, wie ich nicht zweifle, sehr bald bei anderen Krankheiten 
das Gleiche erreichen. Es eröffnet sich damit ein vielverheißen¬ 
des Arbeitsfeld mit Aufgaben, welche werth sind, den Gegen¬ 
stand eines internationalen Wettstreites der edelsten Art zu 
bilden. Schon jetzt die Anregung zu weiteren Versuchen nach 
dieser Richtung zu geben, war einzig und allein der Grund, 
daß ich, von meiner sonstigen Gewohnheit abweichend, über noch 
nicht abgeschlossene Versuche eine Mittheilung gemacht habe. 

Und so lassen Sie mich denn diesen Vortrag schließen 
mit dem Wunsche, daß sich die Kräfte der Nationen auf die¬ 
sem Arbeitsfelde und im Kriege gegen die kleinsten, aber ge¬ 
fährlichsten Feinde des Menschengeschlechtes messen mögen 
und daß in diesem Kampfe zum Wohle der gesammten Mensch¬ 
heit eine Nation die andere in ihren Erfolgen immer wieder 
überflügeln möge. 


Aus den Sectionen des X. internationalen 
medicinischen Congresses in Berlin. 

L 

Section für innere Medicin. 

Ueber Myxödem. 

ORD (London) bespricht in Kurzem den Gegenstand der Frage 
über das Myxödem. Was zunächst die klinischen Erscheinungen 
betrifft, so sind die Allgemeinsymptome ja allgemein bekannt, wes¬ 
halb Redner dieselben übergeht und sich der Besprechung einiger 
wichtiger Momente zuwendet. Da in der ersten bedeutenden Arbeit 
William Gull’s über diese Frage die Frauen als hauptsächlich be¬ 
troffen bezeichnet wurden, ist es nicht unwichtig zu betonen, daß 
auch Männer von Myxödem befallen werden können, und zwar ist 
das Verhältniß der erkrankten Männer zu den Frauen gleich 1 : 10. 

Mit zunehmender Erkenntniß der Krankheit gewinnt die Frage 
von der Heredität stetig an Wichtigkeit; da die Krankheit erst in 
der letzteren Zeit bekannt wurde, so sind natürlich die Kenntnisse 
von den Antecedentien der Vorfahren der Myxödemkranken sehr 
mangelhaft. 0. beschreibt einige Fälle, in denen die Heredität 
außer Zweifel gestellt wurde, und fordert auf, diesem Punkte eine 
größere Aufmerksamkeit als bis nun zuzuwenden. 

Eine Reihe von Beobachtungen lehrt, daß nicht nur bei ver¬ 
schiedenen Kranken, sondern auch bei ein und demselben Individuum 
die Symptome im Allgemeinen und auch im Speciellen eine große 
Neigung zu Aenderungen von Zeit zu Zeit zeigen. So unterüegen 
der Umfang, die Schwellung der Haut, die Sprache, insbesondere 
die nervösen Symptome sehr bedeutenden Variationen. Eine genaue 
Beobachtung der Falle ist demnach von der größten Bedeutung, 


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sowohl in Bezog anf die Diagnose, als auch betreffs der Pathologie, 
da eine große Anzahl von Patienten vor dem Tode die charakteri¬ 
stische Conformation verliert. 

In sehr vielen Fällen wird besonders hervorgehoben, daß 
schon frühzeitig, noeh vor Auftreten irgend welcher Erscheinungen 
von Myxödem eine Vergrößerung der Schilddrüse vorhanden war, 
die aber, während der Kranke in Beobachtung kommt, nicht mehr 
vorhanden ist. Redner erwähnt eines Falles, in dem gleichzeitig 
frühzeitig Erscheinungen von Myxödem, Kropf und Exophthalmus 
bestanden. Diese Coincidenz scheint nicht unwichtig zu sein in 
Bezug auf die Stellung des Myxödems in der Pathologie. Das Vor¬ 
kommen einer ausgesprochenen Neigung zu Blutungen bei Myxödem 
ist bereits wiederholt hervorgehoben. Diese Erscheinung bildet eine 
der ernsteren Gefahren, welche die Krankheit mit sich bringt. 

0. bespricht des Ferneren die auffallende Uebereiustimmung 
in dem äußeren Aussehen der Myxödomkranken. Was nun die 
krankhaften Veränderungen betrifft, so müssen dieselben von zwei 
Gesichtspunkten betrachtet werden, nämlich die Veränderungen der 
Thyreoidea und jene in anderen Organen. Was die erstereu betrifft, 
so lehrt die Beobachtung, daß die wesentliche Structur der Drüse 
in der einen oder anderen Weise verloren gegangen ist. In Bezug 
auf letztere sind die Ansichten der Autoren nicht übereinstimmend. 
0. aber glaubt annehmen zu können, daß in den typisch ausge¬ 
bildeten Fällen von Myxödem nicht nur in der Haut, sondern in 
allen Theilen des Körpers eine Hypertrophie dos Bindegewebes be¬ 
steht , welches sehr kernreich ist, verbunden mit Producteu der 
Entzündung, die in destructiver Weise auf das eigentliche Gewebe 
der verschiedenen Organe übergreift. 0. übergeht nun zur Be¬ 
sprechung der Chemie der Gewebe und hebt hervor, daß er den Ausdruck 
Myxödem hauptsächlich aus zwei Gründen vorgeschlagen hat, erstens 
aus klinischen Gründen, da die Schwellung der Haut auf Fingerdruck 
nicht verschwindet, sondern elastisch ist, zweitens aus chemischen 
Gesichtspunkten, da in den Geweben des ersten Myxödemfalles, der 
während der Acme der Erkrankung starb, ein bedeutender üeber 
schuß an Mucin gefunden wurde. Die weiteren Untersuchungen 
haben indeß die Ergebnisse des ersten Falles nicht bestätigt. Es 
hängt dies vielleicht mit den Veränderungen der Krankheit und dem 
Zustand, in dem der Pat. stirbt, zusammen. 

Redner bespricht die sehr interessanten Versuche Hobsley’s 
über die Folgen der Entfernung der Schilddrüse bei Thicren. Diese 
Versuche scheinen zu beweisen, daß diese Operation dem Myxödem 
sehr nahe stehende Folgen nach sich zieht, und daß das Fort¬ 
schreiten der nach der Exstirpation der Thyreoidea auftretondon 
Folgen hauptsächlich durch die umgebende Temperatur bedingt 
wird: durch Wärme wird die Entwicklung der myxödematöseu Er¬ 
scheinungen aufgehalteu, durch Kälte beschleunigt. 

Felix Semon verdanken wir die Kenutniß von. der Identität 
des als Kachexia strumipriva bezeichncten Zustandes mit dem 
Myxödem; auch geht aus dem Bericht Semon’s Uber eine große 
Anzahl von Fällen von sogenanntem operativem Myxödem die Be¬ 
rechtigung der Identificirung dieser Erkrankung mit dem spontanen 
Myxödem hervor. Auch der sporadische Cretinismus ist als iden¬ 
tisch mit dem Myxödem zu betrachten, nur betrifft, so viel bis nun 
bekannt, daß Myxödem vorwiegend erwachsene Personen, während 
der sporadische Cretinismus nur Kinder befällt oder angeboren ist. 
Beim letzteren sind die Erscheinungen des Myxödems noch von 
Defecten im Wachsthum und in der Entwicklung begleitet. Schließlich 
erwähnt 0. die wahrscheinlichen Beziehungen der destructiven Er¬ 
krankungen der Schilddrüse mit dem endemischen Cretinismus. 

Als Resum6 hebt 0. hervor, daß Myxödem, Kachexia strumi- 
prima, sporadischer nnd endemischer Cretinismus, sowie das operative 
Myxödem bei Thieren eiuen gemeinschaftlichen Befund, nämlich 
den Verlust der Function der Schilddrüse, aufweisen, welcher die 
nächste Ursache dieser verschiedenen Zustände zu sein scheint. Die 
früheren Ursachen sind in den verschiedenen Erkrankungen wohl 
verschieden und man wird bei dem Vorwiegeu des Myxödens beim 
weiblichen Geschlecht den Geschlechtsorganen vielleicht eine wichtige 
Rolle zuzuschreiben haben. 

Die Behandlung des Myxödems mit medicamentösen Mitteln j 
und in klimatischen Orten ist ausgeschlossen. Was die neuerdings t 


versuchte Uebertragung der Schilddrüse von Thieren auf Menschen 
betrifft, so sind die eurativeu Resultate jedenfalls abzuwarten. 

MOSLER (Greifswald): Nach dem vortrefflichen Referate des 
Herrn Collegen Ord werden Sie nicht erwarten, daß ich die Myxödem¬ 
frage nochmals ausführlich behandle. 

Das Correferat habe ich Ubernommeu, um als Erster dafür 
danken zu können, daß Herr Ord seinen reichen Erfahrungsschatz 
uns zu erschließen die große Güte gehabt hat. Aus dem Munde 
eines deutschen Arztes sollte ihm Verehrung und Bewunderung für 
seine großartige Leistung ausgedrückt werden. Bekanntlich verdauken 
wir ihm die erste Kenntniß des typischen Symptomencomplexes 
des als Morbus sui generis erkannten Myxödemes. 
Seiner Initiative gebührt das weitere Verdienst, daß die Londoner 
medicinische Gesellschaft im Jahre 1884 in zielbewußter 
Weise eine aus namhaften Gelehrten zusammengesetzte Commission 
zur Bearbeitung der Myxödomfrage ernannt hat. Außerordentliche 
Früchte hat dies Unternehmen getragen. Ein ruhmreiches 
Beispiel von Sammelforschung ist dadurch für alle 
Zeiten gegeben. 

Von besonderer Wirkung für die deutschen Aerzte ist der 
allgemeine Weckruf geworden, den Rudolf Virchow durch seinen 
in der Berliner medicinischen Gesellschaft gehaltenen, so classischen 
Vortrag hat ergehen lassen. 

Mehr als sonst wohl der Fall gewesen, ist in Deutschland 
dadurch das Interesse der internen Kliniker sowohl, wie der 
Chirurgen der neuen Krankheit zugewaudt. Zeigt doch ihr 
Symptomencomplex den gleichen Ursprung wie die Erscheinungen, 
welche so häufig nach Kropf exstirpation beobachtet worden sind. 

Aus diesem Grunde hatte der Präsident des deutschen Chirurgen- 
congresses, Herr von Bergmann, mich gebeten, jeneu exquisiten 
Fall von Myxödem, welchen ich selbst beobachtete, den im vorigen 
Jahre in Berlin versammelten Chirurgen zu deraonstriren. „ 

Die Vergleichung mit einem gleichzeitig vorgestellten Fall von 
Kachexia strumipriva hat die Identität beider ergeben. 

Wie Ihnen allen bekannt, treten die Folgeerscheinungen der 
Totalexstirpation der Schilddrüse acut oder chronisch, bald als 
Tetanie, bald als M y x ö d e ra auf. In Fällen, in denen sie ausbleiben, 
ist entweder eine accessorischeDrüse vorhanden, oder sind Reste 
des Kropfes, resp. der Drüse zurückgeblieben. Beim genuinen 
Myxödem aus dem variablen Verhalten <Ter Schild¬ 
drüse einen ursächlichen Zusammenhang leugnen zu 
wollen, ist meiner Meinung nach nicht gestattet. 
Nicht auf die Masse, sondern auf die Functionsfähigkeit der 
vorhandenen Drüsentheile kommt es an. Eine wichtige Rolle für 
den Organismus scheint bei Thieren und Menschen der Schilddrüse 
eigen zu sein. Ihre allmälige Unterdrückung in Folge langsam 
sich vollziehender Entartung des Drüsengewebes bedingt den chro¬ 
nischen Verlauf des genuinen Myxödems. Kaum hat dieser Ver¬ 
lauf jemals genauer verfolgt werden können, als bei der während 
vieler Monate in meiner Klinik behandelten Kranken, der 56 Jahre 
alten Frau Stühmke, die ich so gerne Ihnen hier vorgestellt hätte. 
Alle Erscheinungen sind in charakteristischer Weise dabei hervor¬ 
getreten. Schon die Betrachtung ihrer Photographie beweist dies zur 
Genüge. Vor sich haben Sie das Bild einer fast vollständigen 
Idiotin, mit blödem, apathischem Gesichtsausdruck, geschwollenen, 
halbgeschlo8scuen Augenlidern; dabei besteht eine Unzahl von 
nervösen Erscheinungen ; außerdem findet sich über den ganzen 
Körper verbreitet, am Gesicht, Hals, Rumpf, Extremitäten, sogar 
an einzelnen Schleimhäuten die charakteristische Schwel¬ 
lung. Das Anfühlen ist ein ganz anderes, wie bei gewöhnlichem 
Anasarca. Man erhält den Eindruck elastisch praller Masse, wie 
bei erstarrter Nährgelatine. Der myxödematösen Anschwel¬ 
lung verleiht der Mucingohalt des Unterhautzellgewebes seine 
Eigenthümlichkeit. Außerordentliche Schwere des ganzen Körpers, 
hochgradige Behinderung der geschwollenen Glieder beim Gehen 
und Hantiren wird dadurch bedingt. Welch Unterschied im Aussehen; 
im Habitus durch das Myxödem veranlaßt wird, ergibt ein Ver¬ 
gleich der beiden herumgereichten Photographien. Kaum wagt man 
zu glauben, daß sie dieselbe Persönlichkeit darstellen. Innerhalb 
6 Jahre hatten eich alle die Veränderungen ausgebildet, da die den 


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gesunden Zustand darstellende Photographie vor Beginn des Leidens 
angefertigt ist. 

Sollte es mir gelungen sein, bei der großen Zahl der hier 
versammelten Aerzte neues Interesse für diese so interessante 
Krankheit zu erwecken, sollte Ihnen durch diese Demonstration 
vorkommenden Falls die Diagnose erleichtert werden, so ist der 
Zweck meiner wenigen Worte vollkommen erreicht. S. 

Adamkiewicz (Krakau): Ueber die Steigerung des intracraniellen 
Druckes und deren Phänomene. 

Die alte Theorie vom sogenannten „Hirndruck“ geht von 
dem Axiom aus, daß die Substanz des Gehirnes „incompressibel“ 
sei, und lehrt, daß in Folge dessen alle raumbeschränkenden Herde, 
welche irgend einem pathologischen Vorgänge innerhalb der Schädel - 
höhle ihren Ursprung verdanken, sich nur auf Kosten der Flüssig¬ 
keit entwickeln können, welche unter normalen Verhältnissen den 
Raum zwischen Gehirn und Schädelkapsel ausfüllt, des Liquor cere¬ 
brospinalis. Derselbe werde durch den Herd verdrängt und der 
Größe dieses Herdes entsprechend auf kleinerem Raum zusammen¬ 
gedrängt. Dadurch werde er auch naturgemäß unter höhere Spannung 
gesetzt, als er sie unter normalen Umständen besitze und drücke 
nun auch mit mehr Kraft gegen die Wände des Raumes, in dem 
er sich befinde, als das unter physiologischen Verhältnissen 
geschehe. 

Nun bildet die Gehiruoberfläche die eine dieser Wände. Und 
weil die Gehirnoberfläche von der Pia und den dem Gehirn das 
Blot zufuhrenden Gefäßchen bedeckt ist, so müßten eben zunächst 
und vor Allem die dem Gehirn das ernährende Blut zuführenden 
Gefäße und demnächst das Gehirn selbst leiden — jene, indem sie 
comprimirt würden, diese, indem es von seiner normalen Blutzufuhr 
abgeschnitten, also anämisch und folglich auch in seiner Ernährung 
gestört würde. Die natürlichen Folgen dieser Ernährungsstörungen 
seien Anomalien in der Function des Gehirnes. Und diese äußerten 
sich in den bekannten sogenannten „Hirndrncksymptomen“, zu denen 
gerechnet werden: Nystagmus, allgemeine Muskelkrämpfe, Störung 
der Respiration, Verlangsarhung des Pulses, Erbrechen, Coma 
und Tod. 

In früheren Arbeiten (Sitzungsber. der Wiener Akad. d. W., 
1883) hat nun der Vortragende, angeregt durch klinische Beob¬ 
achtungen, die der ganzen Theorie des Hirndrucks widersprachen, 
die Wirkung intracranieller Herde mit Hilfe von neuen Methoden 
untersucht, indem er zur Einengung des Schädelrauraes Laminaria 
und zur Bestimmung der Druckverhältnisse der Cerebrospinalflüssig¬ 
keit gewisse Messungen am Blutdruck benutzte. 

Er konnte Folgendes feststellen : 

1. Die Ansicht von der „Incomprcssibilität“ der Nervenmasse 
im Schädel, die das Fundament der ganzen Hirndrucklehre bildet, 
beruht auf Irrthum. Gerade die lebende Gehirnsubstanz ist in 
hohem Grade gegen Druck nachgiebig und wird durch einen, be¬ 
sonders langsam, wachsenden Herd um große Brnchtheile seines 
Volumens „comprimirt“. 

Diese Compressibilität des lebenden Gehirngewebes beruht 
darauf, daß der wachsende intracranielle Herd aus demselben Ge¬ 
websflüssigkeit herauspreßt, die auf dem Wege der Blut- und 
Lymphgefäße den Schädelraum verläßt. Die Gewebselemente selbst 
rücken in Folge dessen näher aneinander, ein Zustand, der ein 
stabiler wird, sobald der intracranielle Herd durch längere Zeit auf 
das Gehirngewebe eingewirkt hat, und den A. als „Condensation“ 
bezeichnet. Diese Condensation, die ein materiell greifbarer und 
unwiderleglicher Beweis der „Compressibilität“ des Nervengewebes 
ist, ist ein für die Function des gedrückten Gewebes voll¬ 
kommen ' indifferenter Vorgang und kommt deshalb nie in Form 
einer Störung der Gehirnthätigkeit znm Ausdruck. 

2. Indem der wachsende intracranielle Herd sich in der ein- 
drückbaren Gehirnsubstanz Raum schafft, entwickelt er sich auf 
Kosten dieser und nicht des intracraniellen, für den Liquor be¬ 
stimmten Raumes. Deshalb kann dieser auch nicht, wie die alte 
Lehre es will, „verdrängt“ werden und eine höhere Spannung im 
Schädel annehmen. Die directen Blutdruckmessungen ergeben denn 
auch, daß die Spannung des Liquor unter dem Einfluß eines wach¬ 
senden intracraniellen Herdes nie zunimmt und nie auf die Blut- 


eirculation im Schädel auch nur im Geringsten störend einwirkt. 
Der Liquor ist ein einfaches Transsudat und als solches nachweisbar 
nur vom Druck in den Venen abhängig. Die Spannung des 
Liquor nimmt daher nur zu bei Gegenwart einer venösen Hy¬ 
perämie im Gehirn. Und daraus folgt, daß es eine pathologische 
Drucksteigerung des Liquor, demnach einen „Hirndruck“ überhaupt 
nicht geben kann. 

3. Bezüglich der Anämie des Gehirnes, welche die alte 
Hirndrucklehre als Folge der von ihr deducirten Liquorspan¬ 
nung annimmt, ergibt nicht nur der theoretische Nachweis, daß 
es eine solche Spannung gar nicht gibt, sondern auch die directe 
Untersuchung comprimirter Gehirne, daß die Entwicklung 
eines intracraniellen Herdes auf das Lumen der Gebirn- 
capillaren keinerlei Einfluß ausübt. Man findet vielmehr in com- 
primirten Gehirnen, zumal an den am meisten gedrückten Stellen, 
die Blutcapillaren nicht nur nicht verengt, sondern im Gegentheil 
erweitert. Dauert die Compression des Gehirnes durch die 
Laminaria längere Zeit, so entwickeln sich sogar an der gedrückten 
Stelle eine Menge neuer Gefäße. 

Man kann demnach geradezu behaupten, daß intracranielle 
räumbeschränkende Herde die Tendenz zeigen, den Blutzufluß zum 
Gehirn activ zu erhöhen, aber nicht zu erniedrigen. 

4. Wenn es einen „Hirndruck“ überhaupt nicht gibt und 
intracranielle Herde nicht einmal die Tendenz zeigen, Anämie im 
Gehirn hervorzubringen, so muß endlich auch die Erklärung, welche 
die alte Theorie von den sogenannten „Hirndrucksymptomen“ gibt, 
natürlich ebenfalls eine falsche sein. 

A. konnte nun in der That den klinischen und experimentellen 
Beweis liefern, daß sie auch ohne raumbeschränkende intracranielle 
Herde bei jeder beliebigen Alteration des Gehirngewebes ent¬ 
stehen und der allgemeinste Ausdruck sind für Reizungen (Nystag¬ 
mus , Erbrechen, Verlangsamung der Herzthätigkeit, Störung der 
Respiration, Krämpfe) und Lähmungen (Coraa, Tod) des Gehirnes. 
Man hat diese Thatsache zur Aufstellung einer neuen Theorie der 
Urämie verwendet. 

Für die Compression aber hat A. eine Reihe charakteri¬ 
stischer, höchst wichtiger Phänomene entdeckt, die jedes Mal ent¬ 
stehen, wenn ein intracranieller Herd einen Druck von einer ge¬ 
wissen Stärke auf das Gehirn ausübt und gewisse Grenzen nicht 
überschreitet. Die innerhalb dieser Grenzen entstehenden Com- 
pressionswirkungen nennt A. solche vom zweiten Grade. (Der 
erste Grad der Compression verläuft latent, der dritte wirkt 
als Trauma zerstörend.) Diese AüAMKiEWicz’schen Compressions- 
phänomeno sind: Anfälle von contralateralen Krämpfen ohne 
Störungen des Bewußtseins, trophische Störungen am Auge und 
Störungen in den motorischen Innervationen desselben, Spasmus 
mit erhöhten Sehnenphänomenen und Tremor der der comprimirten 
Hemisphäre entgegengesetzten Körperhälfte und endlich Paraplegie. 

Indem A. ferner den Nachweis lieferte, daß diese 
seine Compressionsphänomene mit Entfernung des 
comprimirenden Herdes aus dem Schädel wieder zum 
Verschwinden gebracht werden können, hat er der 
Chirurgie die Wege gewiesen, wie jene durch Herde 
im Gehirn erzeugten pathologischen Phänomene zu 
heilen sind. 

Gussenbaüer hat diesen Weg zuerst betreten. Andere, die 
ihm gefolgt sind, haben ihr Verdienst in dieser Sache in unberech¬ 
tigter Weise dadurch zu erhöhen versucht, daß sie die Quelle ver- 
Icugneten, aus welcher sie ihre Anregungen schöpften oder gar noch 
die Quelle bekritelten, die sie benutzten. 

Nicht zum Wenigsten waren cs diese therapeutischen Erfolge, 
welche den Resultaten der ÄDAMKiEWicz’schen Gehirncompres3ions- 
lehre schnell eine allgemeine Anerkennung in den Wissenschaften 
sicherten. Aber A. selbst hält damit die alte Hirndruckslehre nur 
zur Hälfte für beseitigt. 

Wenn nach all dem Angeführten auch nicht mehr davon die 
Rede sein kann, daß ein intracranieller, local beschränkender Herd 
„Hirndruck“ erzeugt und so wirkt, wie die alte Theorie deducirte, 
so wäre es doch immer noch möglich, meint A., daß eine patholo¬ 
gische Flttssigkeitsansammlung im Schädel eine ab- 


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norme Spannung; besitzen und so cinoArt von „H i r n- 
druok“ erzeugen könnte. Haben doch einige, zum Theil an¬ 
gesehene Autoren behauptet, daß in den Schädel eingepreßte Flüssig¬ 
keiten „Hirndruck“ erzeugen könnten, daß mit der Spannung 
dieser Flüssigkeiten im Schädel die Art der Hirndrucksymptome 
wechselte, daß also jedem bestimmten intracraniellen Druck ein 
bestimmtes sogenanntes „Hirndrucksymptom“ entspreche, und daß 
der Tod eintrete, wenn jene Spannung dem Carotidendruck gleich¬ 
käme, „und also die Capillaren des Gehirnes zum Verschluß brächte“. 

A. hat, um auch diese Verhältnisse zu prüfen, eine Methode 
ersonnen, unter bestimmtem wechselnden Druck eine 0‘6proc. 
Kochsalzlösung in den Schädel der Versnchsthiere zu pressen. 
Während das geschah und die angewandten Druckhöhen graphisch 
fixirt wurden, wurden einerseits die Reactionen des Thieres in 
Gestalt der an ihm zur Beobachtung kommenden Phänomene, das 
Verhältniß der Arterien-, wie der Venencurve andererseits studirt. 

Die Ergebnisse waren folgende: 

1. Zwischen dem Druck, unter welchem eine Flüssigkeit in 
den Schädel gepreßt wird und den Reactionen, mit welchen das 
Gehirn in Gestalt der bekannten Phänomene auf diese Infusionen 
antwortet, besteht kein auch nur annähernd constantes Verhältniß. 
Alles variirt hier in den weitesten Grenzen. Und häutig tritt der 
Tod ein, bevor noch überhaupt ein sogenanntes „Hirndrucksymptom“ 
erschienen ist. Das kann ge chehen, bevor die Infusionsflüssigkeit 
mit einer dem Carotidendruck gleichenden Kraft in den Schädel 
eingetrieben worden ist, und ein anderes Mal, nachdem die Spannung 
jener Flüssigkeit letzteren lange übertroffeu hat. Regelmäßig aber 
findet Folgendes statt: Sind hei irgeud einem Infusionsdruck irgend 
welche Phänomene überhaupt erst aufgetreten, so genügt jede noch 
so geringfügige weitere Steigerung desselben, um um so heftigere Er¬ 
scheinungen wachzurufen und den Tod zu beschleunigen. Diese 
Thatsache allein beweist zur Genüge, daß nicht, die absolute Druck¬ 
höhe, unter welcher infundirt wird, für die Wachrufung der Phänomene 
das Maßgebende ist — sondern der jeweilige Zustand, in 
welchen das Gehirn durch die Infusionen ver¬ 
setzt wird. 

2. Die Arteriencurve zeigt bei Infusionen in den Schädel, 
bei welchem Druck dieselben auch geschehen mögen, regelmäßig 
eine constante Reihe von Erregungswellen, die immer mit 
Steigerung des Druckes beginnen und mit conti- 
nuirlicher Druckabnahme endigen. Das heißt mit anderen 
Worten: Die Infusionen wirken nicht mechanisch durch Verschlnß 
der Gehirncapillaren, sondern physiologisch durch Erregung und 
spätere Lähmung der vasomotorischen Centren. W’ürden sie mechanisch 
wirken, d. h. die Capillaren des Gehirnes einfach comprimiren, so 
müßten sie ausschließlich nur die Widerstände in den Capiilar- 
bezirken der Carotiden erhöhen und so nichts anderes als conti- 
nuirliche Drucksteigerungen in diesen Arterien hervor¬ 
bringen. 

Daß Infusionen in den Schädel die arteriellen Capillaren über¬ 
haupt nicht behelligen, beweist die Thatsache noch ganz besonders, 
daß Infnsionsdruckhöben auch dann die Circulation in der Carotis 
und das Leben nicht unterbrechen, wenn sie den Carotidendruck 
übertreffen. 

3. Von höchstem Interesse ist das Verhalten der Venen¬ 
curve bei intracraniellen Infusionen. 

Bevor noch durch letztere irgend welcho Phänomene erregt 
oder die Arteriencurve aus ihrer Ruhe gebracht wird, wird schon 
durch sie der Druck in der Veue des Halses, die das Blut aus dem 
Schädel abftlhrt, gesteigert. Das geschieht anfangs allmälig, 
später mit großer Rapidität und continuirlich, wobei sehr 
schnell unter Reizerscheinungeu der Tod eintritt. 

Es geht hieraus hervor, daß jede Flüssigkeit, die in den 
Schädel eintritt, ganz direct ihren Weg in die Venen 
nimmt, mit dem venösen Blut wieder zum Schädel 
hinaustritt und hiebei leicht das Gehirn lähmt. — 
Es steht also der Schädelraum in offener und freier Verbindung 
mit den Veuen des Körpers. In der That kann man dann auch 
vom Schädel aus das ganze Venen System mit Leichtig¬ 
keit injiciren. Wähl man zu solchen Versuchen Luft, so kann 


man den Eintritt der Luft vom Schädel in die Venen des Körpers 
und die vollständige Thrombosirung derselben mit dem Ange verfolgen. 

Dieses Verhalten der Infusionen zum intracraniellen Venen¬ 
strom gibt uns den Schlüssel zur Erklärung aller Erscheinungen 
und zur Widerlegung auch noch der letzten Argumente der alten 
Lehre vom „Hirndruck“. 

Da jede Flüssigkeit, die in den Schädelraum gelangt, sofort 
in die venösen Sinus eintritt und da der Druck in den letzteren 
nur wenige Millimeter Quecksilber beträgt und in jedem Falle 
niedriger ist, als der Druck in den Gehirncapillaren, 
so muß jede abnorme intracranielle Flüssigkeit in die Venen ein- 
treten, bevor sie noch eine Spannung erreicht hat, 
welche auf die Gehirncapillaren überhaupt irgend¬ 
wie einwirken kann. 

Und alle Druckhöhen, unter welchen eine Flüssigkeit in den 
Schädel gepreßt wird, zeigen nicht den Druck dieser Flüssigkeit im 
Schädel an, sondern nur die Kräfte, welche nöthig sind, um die 
Widerstände im Schädel zu überwinden und der Flüssigkeit hier 
einen nur den Venen entsprechenden Druck zu ertheilen. 

Daraus geht klar hervor, daß auch Flüssigkeitsergüsse, ebenso¬ 
wenig als intracranielle Herde „Hirndruck“ erzeugen können, umso¬ 
weniger, als eine Ueberfluthung der Venen schnell erregend wirkt 
und ebenso schnell den Tod herbeiführt. 

Diese Thatsachen lassen sich nur folgendermaßen erklären: 

Jede pathologische Flüssigkeit, die sich im Schädel ansammelt, 
tritt, sobald sie einen Druck besitzt, der höher ist als der der 
intracrauiellen Venen, in die venösen Sinus und steigert zunächst 
den venösen Abfluß aus dem Schädel. Sind die Venen die in 
größerer Menge angesammelte oder sich bildende Fltissigkeitsmenge 
abzuführen nicht im 8tande, dann wird sie in die Lymphgefäße 
gepreßt. Reichen auch diese zur Abfuhr nicht aus, dann gelangt 
jene Flüssigkeit in die Interstitien des Nervengewebes. Und es ent¬ 
steht so Gehirnödem. Nun tritt die Oedemflüssigkeit in Contact 
mit den Nervenelementen. Und weil dieser Contact für letztere 
etwas Fremdes, Unphysiologisches ist, so versetzt das Oedem die 
Nervenelemente in einen abnormen Zustand, in den der E r- 
regung, und, wenn letztere einen gewissen Grad überschreitet, 
den der Lähmung, wodurch der Tod herbeigeführt wird, lange, 
ehe daB Oedem eine die Gehirncapillaren bedrohende Spannung er¬ 
reicht hat. 

So entstehen die früher als „Hirndrucksymptome“ bezeicb- 
neten Phänomene. Und der directe Beweis, daß dem that- 
säcblich so ist, liegt darin, daß man durch directe In¬ 
fusion einer fremden Flüssigkeit, wie destillirtes Wasser in die 
Carotis, auch ohne Anwendung besonderer Druckkräfte dieselben 
Phänomene, und zwar um so kräftiger hervorrufen kann, je mehr 
erregende Eigenschaften man der zur Injection ver¬ 
wandten Flüssigkeit künstlich ertheilt hat. 

Die obigen Resultate geben auch den Schlüssel für das Ver¬ 
halten des Liquor unter physiologischen Verhältnissen. Die als 
Transsudat ans den Blutcapillaren entstehende Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit tritt in den Arachnoidealraum und verläßt von hier aus 
den Schädel durch Eintritt in die Venensinus. So kann sich 
nie mehr Liquor bilden, als dem jeweiligen intracra¬ 
niellen Raum entspricht. Und dieses Verhalten ist ein phy¬ 
siologischer Regulator, der jeder Entstehung eines Hirn- 
druckes vorbeugt. 

I 

Section fftr Geburtshilfe und Gynäkologie. 

H. J. Boldt (New-York): Beitrag zur KenntniB der normalen 
Gebärmutter-Schleimhaut. 

Bei der Untersuchung der menstrualen Gebärmutter-Schleimhaut 
fiel mir an in Canadabalsara montirten Präparaten auf, daß sämmt- 
liche UtriculardrUsen sowohl in Längs- wie in Schief- und Quer¬ 
schnitten von Stäbchen- oder spindelförmigen Bildungen umgeben 
wareu. Gleichzeitig fiel mir auf, daß auch das Stroma der über 
3*5 Mm. breiten menstrualen Schleimhaut von Zügen solcher Bil¬ 
dungen durchsetzt war. Diese Stäbchen- und spindelförmigen Bil¬ 
dungen hatten sich tief mit Carmin gefärbt. Ich konnte dieselben 


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von der Basis der Drüsen , wo sie ein verhältnißmäßig mächtiges 
Lager erzeugten, bis an die Oberfläche hinanf verfolgen, allerdings 
nicht in einer ununterbrochenen, sondern in einer vielfach unter¬ 
brochenen Schicht, welche sich gegen die Oberfläche der Schleim¬ 
haut so sehr verechmächtigte, daß Bie daselbst nur eine einzige 
Lage spindelförmiger Körper darstellte. 

Stärkere Vergrößerungen des Mikroskops ließen darüber keinen 
Zweifel aufkommen, daß es sich um Stäbchen- und spindelförmige 
Kerne glatter Muskelfasern handelte, um welche herum das Proto¬ 
plasma der glatten Muskelspindeln in Folge der Behandlung mit 
Canadabalsam unsichtbar gemacht worden war. Daß es sich that- 
sächlich um solche Bildungen handelte, wurde durch einen Vergleich 
mit dem Muskellager des Uterus selbst bewiesen. Es stellte sich 
heraus, daß an der Grenzzone zwischen Muscularis und Mucosa die 
erstere verhältnißmäßig breite Züge in die letztere sendet, so daß 
daselbst die Drüsenschläuche von breiten Muskelzügen umgeben er¬ 
schienen , zwischen welchen nur verhältnißmäßig geringe Mengen 
von adenoidem oder Lympbgewebe sichtbar blieben. Zwischen nahe 
aneinander gelegenen Drüsen, bezw. deren blindsackförmigen Endungen, 
konnte ich überhaupt nur Muskelzüge und kein Lymphgewebe er¬ 
kennen. Je höher gegen die Oberfläche zu, desto dünner wurden die die 
Drüsen begleitenden Muskelzüge, über deren Musculatur schon des¬ 
halb kein Zweifel aufkommen konnte, weil ich dieselben als ununter¬ 
brochene Fortsätze der eigentlichen Muscularis nachweisen konnte. 
An der Darmwand haben wir bekanntlich eine große Menge tubu- 
löser Drüsen, die sogenannten LiEBERKüHN’schen Crypten, welche, 
wie schon längst nacbgewiesen ist, von Zügen glatter Muskelfasern 
begleitet und umgeben werden, die ganz und gar der Muscularis 
mucosae angehören, indem sie Fortsätze in die Darmzotten hinein¬ 
senden. Im Uterus war bisher ein solches Vorkommniß nicht be¬ 
kannt. Vergeblich suchte ich in deutschen Lehrbüchern der Histo¬ 
logie nach diesbezüglichen Angaben, während den englischen Histo- 
logen wohl bekannt ist, daß die blindsackförmigen Enden im Muskel¬ 
gewebe eingebettet sind, oder von solchem Gewebe begleitet werden, 
ohne daß über das weitere Verhalten dieser Muskelzüge irgend eine 
Aussage gemacht wäre. Barnes macht folgende Angabe: „Zwischen 
den Drüsen befinden sich regelmäßige Züge von Muskelfasern mit 
Bindegewebszellen von wechselnder Gestalt und Größe. Das ge- 
sammte Lager, welches von den Drüsen und den dazwischen liegen¬ 
den Muskel- und Bindegewebs-Elementen gebildet wird, wurde von 
Ercolani als Muskeldrüsenschicht der Gebärmutter beschrieben. 0 
Es war mir leider unmöglich, die von Barnes citirte Stelle in 
Ercolani’s Werk aufzuflnden. Ich bin deshalb auch nicht in der 
Lage, angeben zu können, ob Ercolani außer den Muskelbündeln, 
welche das adenoide Gewebe der Mucosa durchziehen, auch jene, 
welche die Drüsen selbst begleiten, gesehen hat. 

Ich habe der Sache weiter nachgeforscht, und zwar an in 
Chromsäure gehärteten Uteri von Mädchen und Frauen verschie¬ 
denen Alters, jungfräulichen sowohl wie vielgebärenden; die Prä¬ 
parate wurden mit Carmin gefärbt und in Glycerin montirt. Ich 
möchte diese Methode deshalb vorziehen, weil in Chromsäure¬ 
lösungen gefärbte Organe die Structur verhältnißmäßig besser er¬ 
kennen lassen, als in Alkohol allein gehärtete. Die Montirung in 
Canadabalsam läßt zwar die Kernbildungen carminisirter Präparate 
mit großer Schärfe hervortreten, läßt jedoch die zarten Protoplasma¬ 
bildungen unkenntlich, und deshalb ist die Montirung in Glycerin 
weitaus vorzuziehen. 

Senkrechte Schnitte durch die Wand des Cervix uteri einer 
Virgo zeigen Folgendes: 

Die Schleimhaut ist reichlich mit adenoidem oder Lymph¬ 
gewebe versehen, in welchem zahlreiche schmale Muskelbündel ver¬ 
laufen. 

Die Drüsen sind vielfach ausgebuchtete tubulöse Bildungen, von 
einem einschichtigen bewimperten Säulenepithel bekleidet. Das 
Caliber ist enge und allenthalben von ziemlich gleichmäßigem Durch- j 
messer. Zwischen den Epithelien und den angrenzenden Gewebs- j 
schichten ist keine sogenannte structurlose Membran zu er- ; 
kennen. Die Grenzschicht wird vielmehr von glatten Muskeln her¬ 
gestellt, deren Lager sehr wechselnde Breiten darstellen und stellen- j 


weise auch gänzlich fehlen kann. In letzterem Falle wird die 
Grenzzone ganz vom Lymphgewebe hergestellt. Zur Demonstration 
von Muskelzügen sind insbesondere solche Drüsen geeignet, in 
welchen sich das Epithel theilweise abgelöst hat und theilweise fehlt. 
Die Musculatur der Grenzschicht läßt sich bei stärkeren Vergröße¬ 
rungen dadurch erweisen, daß man die Spindelformen der einzelnen 
Muskelfasern erkennt, ohne daß die stäbchenförmigen Kerne in die 
Augen fallen. 

Nicht selten sind im Muskellager, insbesondere wo dasselbe 
eine gewisse Breite besitzt, lymphkörperähnliche Bildungen einge¬ 
streut, und diese Bildungen erscheinen dann von auseinander¬ 
weichenden Zügen umgeben. 

Die Schleimhaut des Cervix uteri einer Multipara ist von 
fibrillärem Bindegewebe und nur spärlich eingestreutem Lymph¬ 
gewebe aufgebaut. Viele der Bindegewebsbündel sind breit und stark 
mit collagener Grundsubstanz infiltrirt, wodurch sie eine starke 
Lichtbrechung angenommen haben. Die Drüsenschläuche sind breiter 
und stärker gebuchtet als im virginalen Uterus. Die Vorwölbungen 
gegen das Caliber, welches von ungleichmäßigem Durchmesser ist, 
werden dadurch erzeugt, daß die Grenzschicht zwischen Epithel und 
umgebendem Gewebe aus einer mäßig deutlich ausgesprochenen 
strncturlosen Membran und einem zart fibrillären Bindegewebe be¬ 
steht, dessen Erhöhungen von dem bewimperten Säulenepithel hügel¬ 
artig bekleidet werden. 

Zwischen der Basalschicht und dem angrenzenden grobfaserigen 
Bindegewebe befindet sich eine Lage von glatten Muskelfasern von 
wechselnder Breite. Eine und dieselbe Drüse zeigt streckenweise 
ein begleitendes Muskellager von nur zwei Muskelspindeln hergo- 
stellt. Streckenweise steigt die Anzahl der Muskelspindeln bis auf 
4 oder 5. An manchen Stellen kann das Muskellager auch gänzlich 
fehlen. Nur höchst ausnahmsweise werden wir einem Drüsendurch¬ 
schnitte begegnen, in dessen Umgebung überhaupt kein Mnskellager 
nachweisbar ist. Wo breitere Muskelbüudel vorhanden sind, er¬ 
scheinen sie bisweilen unterbrochen, indem das Schnittende des 
Muskelbündels Quer- und Sohiefschnitte der Muskelspindeln aufweist. 
Aus diesem Umstande, sowie aus der wechselnden Breite des Muskel¬ 
lagers und einem streckenweise gänzlichen Fehlen derselben dürfen 
wir die Thatsache erschließen, daß das die Drüse begleitende Muskel¬ 
lager kein continuirliches, sondern ein vielfach durchbrochenes ist, 
demnach die Drüsen in Form eines Geflechtes korbartig umgibt. 

Die Schleimhaut aus dem Fundus eines virginalen Uterus ist 
von verhältnißmäßig breiten Muskelbündeln durchzogen , und zwar 
verlaufen diese Bündel innerhalb des adenoiden oder Lymph- 
gewebes. Diese Bündel sind vielfach mit Muskelzügen in Verbin¬ 
dung, welche die schlauchförmigen Drüsen geflechtartig umkleiden. 

Die die Drüsen umhüllenden Muskelgeflechte sind nirgends 
besonders breit und nur aus 2 oder 3 Muskelspindeln zusammen¬ 
gesetzt Streckenweise könuen Muskelfasern gänzlich fehlen, und 
dann wird die Grenzzone durch das adenoide Gewebe hergestellt, 
indem eine sogenannte structurlose Membran nur ausnahmsweise 
deutlich ausgeprägt erscheint. 

Die Utriculardrüsen aus dem Corpus uteri einer Multipara 
zeigen die begleitenden Muskelgeflechto viel deutlicher ausgesprochen 
als jene eines jungfräulichen Uterus. 

In unserem Falle hat es sich wohl um chronische Endometritis 
gehandelt, indem die Epithelien grobkörnig und unregelmäßig sind, 
und zahlreiche Colloidkörper enthalten. 

Von Säugethieren habe ich den nicht schwangeren Uterus eines 
Schafes auf diese anatomischen Verhältnisse hin geprüft und kann 
darüber aussagen, daß in demselben die die Drüsen begleitenden 
Muskellager mit großer Klarheit in die Augen springen. 

Aus meinen Untersuchungen geht hervor, daß in der Schleim¬ 
haut der Gebärmutter bisher nicht beschriebene anatomische Ver¬ 
hältnisse vorliegen. Nicht nur wird das adenoide oder Lymphgewebe 
von Muskelbündeln durchzogen, sondern sämmtliche Utriculardrüsen 
sowohl des Cervix wie des Körpers und des Grundes werden von 
einem Lager glatter Muskelfasern in geflechtartiger Anordnung be¬ 
gleitet. Diese Muskelzüge stehen im Zusammenhänge sowohl mit 
den Muskelbündeln der Uteruswand, wie auch mit jenen, welche 
das Lymphgewebe der Mucosa durchsetzen. Die Drüsenmuskeln sind 

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am mächtigsten entwickelt an der Grenzzone zwischen Schleimhaut 
und Musculari8 und verschmflcbtigen sich gegen die Oberfläche der 
Schleimhaut. Sie begleiten die Drüsen bis an deren Ausmflndung 
in die Höhle der Gebärmutter. Ihre physiologische Bedeutung kann 
wohl nur darin bestehen, daß sie die Secretionsprodncte der Epi- 
thelien, nämlich den Schleim in die Höhle des Uterus hinein be¬ 
fördern helfen. R. 


Notizen. 


Berlin, 9. August 1890. 

Der X. Internat tonale medicinlsche Congreß. 

I. 

Der Congreß ist geschlossen. Die ungewöhnlich große Zahl 
seiner Besucher hat die gastfreie Stadt, den glänzenden Schauplatz 
des erhebenden Festes wissenschaftlicher Arbeit verlassen, deren 
Früchte am Krankenbette, wie in der stillen Gelehrtenstube reifen 
werden. Voll und ganz hat der Congreß erfüllt, was er versprochen, 
und unter dem überwältigenden unmittelbaren Eindrücke der Fest¬ 
woche sei hier das prächtige äußere Bild desselben wiedergegeben. 
Was der internationale medicinische Congreß an wissenschaftlichen 
Resultaten gezeitigt, wir werden es an anderer Stelle zur Kenntniß 
unserer Leser bringen und beginnen in der vorliegenden, dem Con- 
gresse gewidmeten Nummer mit der wortgetreuen Wiedergabe der 
Vorträge der ersten allgemeinen Sitzung. 

* * 

* 

Eine glänzende Versammlung von mehr als 5000 Aerzten aller 
Länder, darunter die illustresten Namen Europas, füllte den Riesen¬ 
circus bis auf das letzte Plätzchen, als am 4. August Rudolf 
Virchow den Congreß mit jener formvollendeten Rede eröffnete, 
welche sich an der Spitze dieser Nummer findet. Rauschender Beifall 
hatte den großen Anthropologen empfangen, nicht enden wollende 
Bravorufe folgten seineu Worten. Ein Parterre von Gelehrten der 
ganzen civilisirten Welt jubelte dem ersten jetzt lebenden deutschen 
Arzte immer und immer wieder zu, der, tief erschüttert, diese größte 
Auszeichnung seines an äußeren Ehren so überreichen Lebens ab¬ 
zuwehren nicht vermochte. Es war ein ergreifender Augenblick, 
als die begeisterte Versammlung dem schlichten Manne huldigte, 
den sie zu ihrem Präsidenten erwählt hatte. — Nunmehr erhob sich 
der General-Secretär Dr. Lassar zu folgender Ansprache: 

Die Pflicht, dem internationalen medicinischen Congreß Bericht zu geben 
über die inneren nnd äußeren Vorgänge, welche den Rahmen bilden für das 
wissenschaftliche Bild seiner geistigen Bedeutung, liegt dem Generalsecretär 
ob. Als solcher würde ich verpflichtet sein, zunächst alle Eingänge literari¬ 
scher Art aufzuzählen, deren viele Hunderte zu Ehren der Versammlung in 
der Literaturgruppe der Ausstellung Ihrer Einsichtnahme harren. Sodann hat 
vorschriftsmäßig die Nennung aller derjenigen Gelehrten zu erfolgen, welche 
von weit her delegirt sind, um diese Vereinigung zu dem machen zu helfen, 
was sie zu werden verspricht. Mehr als 25 Staatsregierungen haben Dele- 
girte zur Theilnahme amtlich beauftragt, ferner sind einige dreißig Universi¬ 
täten, Akademien und Colleges durch hervorragende Vorkämpfer der Wissen¬ 
schaft officiell vertreten. Ueber 50 Gesandte vieler gelehrter Gesellschaften 
und Institute weilen unter nns. Aber alle diese Zahlen und die ihnen zu 
Grunde liegenden Namen sind nicht als abgeschlossene Reihen zu be¬ 
trachten. Der Congreß beginnt erst, und stündlich noch treffen Meldungen 
und Telegramme ein, welche die Anwesenheit neuer officiell beglaubigter 
Theilnehmer bekunden. Soll Ihnen, hochzaehrende Herren, dies Alles wort¬ 
getreu vorgelesen werden? Oder will der Herr Präsident und will die hoch¬ 
ansehnliche Versammlung geneigtest gestatten, daß ein anderer Weg zu dem 
nun einmal vorechriftlich gegebenen Ziel führen darf, Mit- und Nachwelt mit 
denjenigen Persönlichkeiten bekannt zu machen, denen der Congreß so viel 
Glanz und Ehre dankt? Dürfte der geschäftsmäßige Beamte des X. inter¬ 
nationalen medicinischen Congresses einen Vorschlag wagen, so wäre es der, 
im Laufe der Versammlung die Volhtändigkeit der Listen und die Richtigkeit 
der Namen zu prüfen, um dann, bevor wir auseinandergehen, jedem Mit¬ 
glied eine gedruckte Mittheilung zu übergeben. Der Congreß kennt bis jetzt 
drei Sprachen. Vielleicht führt die diesmalige Versammlung demselben eine 


vierte zu. Aber trotz vielseitiger Sprachkenntniß der Mehrzahl wird es will¬ 
kommen sein, wenn gerade dieser ausführliche Geschäftsbericht in den sämmt- 
lichen Congreßsprachen, nicht in der zufälligen des Sprechers, gedruckt 
erscheint. 

Wenn ich annehmen kann, daß die Versammlung dieses Vorgehen gut¬ 
heißt, so will ich nur Einiges von allgemeinem Interesse erwähnen. Eine hohe 
Regierung der französischen Republik hat den wissenschaftlichen Werth des' 
Congresses hoch genug geschätzt, um 34 bedeutende und weit über die Grenzen 
ihres Landes hinaus anerkannte Autoritäten für die persönliche Antheilnahme 
zu intoressiren. Die von dem Herrn Vorsitzenden des Organisationscomit6 
— unter dessen gütiger und einsichtsvoller Leitung zu arbeiten uns Allen 
Ehre und Freude war — hervorgehobene Stelle des Militär-Medicinalwesens 
in der wissenschaftlichen und praktischen Medicin findet thatsächlich darin 
ihren Ausdruck, daß die ausländischen Regierungen nicht weniger als 50 ihrer 
höchstgestelUen Sanitätaofflciere *) ermächtigt haben, hier Fühlung zu suchen 
mit allen Errungenschaften internationaler Humanität. Die kaiserlich russische 
Regierung war eine der ersten, welche durch Ernennung Sr. Excellenz des 
Generalstabsarztes der Armee ansdrücken wollte, daß die höchsten Bestre¬ 
bungen aller Nationen in einem gemeinsamen Ziele znsammenlaufen. Wollte 
man nun allen diesen Ernennungen gerecht werden, so hieße es die Karte 
des Erdkreises entrollen, und die Zeit der Congreßwoche würde nicht ausreichen, 
um der rücksichtsvollen Acte Erwähnung zu thun,' mit welcher die Cultur- 
staaten den ärztlichen Stand so ganz ohne Gleichen geehrt und ausgezeichnet 
haben. Aber unsere Zeit gehört der Wissenschaft und ihren Worten harren 
wir Alle ungeduldig entgegen. So möge denn schließlich nur gestattet sein, 
darauf hinzuweisen, daß die Titel der uns zugedachten Vorträge ein Buch 
von 70 Seiten füllen und daß bis jetzt circa 700 Vorträge angemeldet sind. 
Aber ihre Zahl scheint, nach den »raten anregenden Begrüßungen, bereits in 
lawinenartigem Anschwellen begriffen und wird bald circa 1000 überschreiten 
Hörer werden genügend vorhanden sein, um das geistige Gut als köstliches 
Angebinde internationaler Collegialität in alle Himmelsgegenden heim zu 
nehmen. Fast die ganze Aerzteschaft unserer großen Stadt ist mit seltener 
Einmüthigkeit in den Congreß aufgezogen und 2500 deutsche Aerzte waren 
bis gestern Abends in die Listen eingetragen.' Mit Stolz aber darf der X. 
Congreß sich rühmen, in Wahrheit ein internationaler zu sein, denn den ein¬ 
heimischen reihen sich aus 40 verschiedenen Ländern, auf denselben Tag 
herbeigeeilt, wiederum 2500 auswärtige Collegen an. Die Weltmeere haben 
sich willig in den Dienst der Wissenschaft gestellt und aus Australien, China, 
Japan, vom Cap der guten Hoffnung, von den westlichen Gehängen der Cor- 
dilleren und vom fernentlegenen Mexiko Fremde zu uns geführt, die uns als 
Freunde verlassen mögen. Am zahlreichsten aber ist das Contingent der Ver¬ 
einigten Staaten von Nordamerika, von wo aus 500 Aerzte die Unserigen ge¬ 
worden sind. Ihm kommt an Zahl außer Rußland am nächsten Großbritannien 
und Irland mit über 300 Mitgliedern, dann Oesterreich nnd Ungarn, sowie 
Italien. Das gesammte Mitglieder-Verzeichniß w-ist heute Früh die Ziffer 
5000 auf und außerdem wollen unseren Kreis anmuthig beleben mehr als 1000 
Damen. Ich kann diesen Bericht nicht schließen, ohne einer Huldigung zu 
gedenken, welche die exacteste aller Experimentalwissenschaften, die Physik, 
der Medicin bei dieser Gelegenheit darbringen will. Ein medicinischer Laie 
hat sich mit einem therapeutischen Problem befaßt und seinen ärztlichen Ver¬ 
treter, Dr. Bayles, beauftragt, die Ergebnisse seiner Untersuchung über elektro¬ 
mechanische Beseitigung von Steinconcrementen dem Congreß vorzutragen. 
Andere Nicht-Mediciner wird man schwerlich, aber diesen gewiß hören wollen, 
denn sein Name ist Mr. Edison. 

Nachdem Staatsminister v. Bötticher den Congreß im Namen 
des Kaisers nnd des Reiches begrüßt, mit berechtigter Genugthuuug 
die Leistungen Deutschlands auf dem Gebiete der Kranken- und 
Unfallversicherung hervorhebend und die Unterstützung der ärztlichen 
Wissenschaft bei diesem Friedenswerke erbittend, bestieg Cultus- 
minister Gossler die Rednerbühne und hielt folgende überaus be- 
merkenswerthe, stürmisch acclamirte Rede: 

An dem Tage, an welchem das Deutsche Reich den aus freier Ent- 
schließnng zusammengetretenen internationalen medicinischen Congreß begrüßt, 
gereicht es mir, als Vertreter der preußischen Staatsregierung, zur besonderen 
Freude, den Repräsentanten aller Culturetaaten den Dank der Unterrichts- und 
Medicinalverwaltung Preußens darzubringen für alle Wohlthaten, welche uns 
auf dem Gebiete der Naturwissenschaft und Medicin von dem Auslande er¬ 
wiesen sind. Wie es nur eine Wahrheit gibt, so verbindet auch das gleiche 
Band der medicinischen Wissenschaft alle Völker, webhe mit Bewußtsein an 
dem Fortschritte der Menschheit arbeiten. Willig erkennen wir an, was unsere 
Nachbarn Großes auf diesem Wege geleistet, nnd wir erhoffen wohlwollendes 
Verständniß für unsere Eigenart, die Höhen und Tiefen in Wissenschaft und 
Praxis möglichst auszugleichen und in stiller, geduldiger Arbeit den Durch¬ 
schnitt unseres Wissens und Könnens zu erhöhen. Seitdem die Medicin an 
dem unversieglichen Quell der Naturwissenschaften neue Lebenskraft ge¬ 
wonnen, wissen wir, daß keine einzelne Nation mehr im Stande ist, auf allen 
Gebieten der Erforschung und Heilung gleichzeitig nnd dauernd den Vortritt 
sich zu sichern. Auch hier schreitet die Entwicklung in Wellenbewegung 
vorwärts. Raum ist aber für Alle vorhanden und noch immer wird die Zahl 
der Arbeiter von der Größe der Arbeit tibertroffen. 


*) Das militärärztliche Offlcierecorps unseres Vaterlandes hat, wie 
hier mit Bedauern constatirt sei, keine officielle Vertretung am Congresse 
gefunden. Anm. d. Ref. 


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In einer Zeit, in welcher die gesellschaftliche Entwicklung früher nicht 
gekannte, oder doch nicht erkannte Aufgaben an die Culturstaaten stellt, 
müssen wir ans der naturwissenschaftlichen Forschung die Erkenntniß schöpfen, 
daß unserem Vermögen, eingetretene üebel zu heilen, Grenzen gesetzt sind 
nnd daß es oft reicheren Erfolg verspricht, Störungen vorzubeugen und von 
gestöiten Organismen weitere Schädlichkeiten abzuhalten. 

Nicht, daß der erkrankte Mensch an Interesse verloren hätte, der Ge¬ 
sunde ist aber mehr in sein Recht eingetreten, und unser ganzes Denken wird 
von dem Problem beherrscht, wie der Gesunde zu schätzen, wie die Voraus¬ 
setzungen zu schaffen sind, nm die Beschädigungen der Gesundheit, nament¬ 
lich auf dem Gebiete der Volkskrankheiten, hintanzuhalten. Das eine Ergebniß 
springt sofort in die Augen, daß solche Aufgaben nur gelöst werden können 
durch die Zusammenfassung aller Kräfte nicht allein innerhalb des medizini¬ 
schen Berufs, sondern auch dnrch die Herstellung einer innigen Verbindung 
von den Vertretern der Medicin mit denen der anderen Berufsarten, mit den 
Behörden des Staates und der Gemeinden, mit den Vereinen in ihren weitesten 
Verzweigungen. 

In allen diesen Beziehungen knöpfen sich an Ihre Berathungen die 
wärmsten Wünsche, wie die berechtigtsten Hoffnungen. In Ihrem Bnnde reichen 
Theorie und Praxis sich die Hand, und der Ernst Ihrer Arbeit sichert Ihnen 
das regste Interesse auch aller außerhalb der Medicin stehenden Kreise. 

Diesen Zusammenhang zwischen der medicinischen Wissenschaft und 
Praxis untereinander, wie zwischen ihnen und den anderen Zweigen des öffent¬ 
lichen Lebens zu wahren, zu fördern, zum Verständniß zu bringen, erscheint 
mir als eine der vornehmsten Aufgaben, welche das Ressort, an dessen Spitze 
ich mich gestellt sehe, in der Gegenwart zu erfüllen hat. Kein Zufall ist es, 
sondern eine in langer Entwicklung geschichtlich gewordene Thatsache, daß 
in Preußen dem Minister für den Unterricht und für die Pflege der geistigen 
Güter des Volkes auch d>e Fürsorge für die Erhaltung nnd die Wiederher¬ 
stellung der öffentlichen Gesundheit, sowie für die Ausbildung und Beschaffung 
eines geeigneten Medicinalpersonals anvertraut ist. Nicht leicht hält es, die 
anscheinend weit auseinander liegeoden Gebiete, z. B. des Unterrichts an den 
Universitäten and der Nahrungsmittelpolizei, zu einem einheitlichen Ganzen 
zu gestalten — um so schwerer oft, als in dem Bereiche des öffentlichen Ge¬ 
sundheitswesens nachhaltige Erfolge nicht immer durch befehlende Anord¬ 
nungen erzielt werden. Bondern öfters ungleich mehr dnrch Belehrung, An¬ 
regung, durch Entwicklung der Kräfte in den Gemeinden und Vereinen, durch 
Errichtung vorbildlicher Anstalten und lehrhafter Sammlungen. 

Schon auf den Hochschulen will es zuweilen nicht ohne Mühe gelingen, 
den Zusammenhang zwischen den einzelnen Disciplinen festzuhalten — die 
unseren Kliniken gestellte dreifache Aufgabe als Unterrichts-, Heilanstalt, 
Forschungsstätte gleichmäßig zu erfüllen — das letzte Ziel zu erreichen, von 
dem Hörsaal nach der Praxis eine Brücke zu schlagen, auf welcher die Jünger 
der Wissenschaft sicher Ihren Einzug in das Leben halten können. Der Massen¬ 
uni erricht erfordert stets neue Lehrmethoden, neu« Veranstaltungen, bald eine 
Theilung der Arbeit durch Einrichtung von poliklinischen, ambulatorischen 
Vorkehrungen, bald die Einführung zusammenfassender Vorlesungen auf den 
Grenzgebieten der Disciplinen. Weiter erwächst der Unterrichtsverwaltung die 
Pflicht, für eine gleichmäßige Entwicklung der Provinzial-Universitäten Sorge 
zu tragen nnd sie wird oft in dem Maße erfüllt, daß die Universität der 
Hauptstadt in einzelnen Anlagen hinter ihren Schwester-Akademien zurück¬ 
bleibt. 

Die literarischen Festgaben, welche ich dem Congresse darbringe, sollen 
Zengniß von diesem Bestreben ablegen. .Während die eine verschiedenartige 
Anstalten ans allen Universitäten des Landes vorführt und ihre Verbindung 
mit den Instituten für Chemie, Physik, für die beschreibenden und erklärenden 
Naturwissenschaften erkennen läßt, verarbeitet die andere die Ergnbnisse der 
stationären Kliniken in einer gleichartigen Statistik, stellt die neuesten Bau¬ 
ausführungen in das Licht der öffentlichen Kritik nnd ladet die Vertreterder 
medicinischen Disciplinen ein, die Grundsätze ihres Lehrens und die Resultate 
ihres Strebens in friedlicher Gemeinschaft niederzulegen. 

Eine neue Welt empfängt den praktischen Mediciner bei seinem Austritt 
aus dem akademischen Leben. Die Fürsorge für den geschädigten Arbeiter, 
die Maßregeln gegen Unfall und Arbeitsunfähigkeit drängen, aus llnanciellen, 
wie ans humanen Erwägungen, zu prophylaktischen Maßnahmen und verlegen 
immer mehr den Schwerpunkt des ärztlichen Wirkens in das Verhüten, Vor¬ 
beugen, Lindern. 

In nicht minderem Grade ist der Nichtarzt in die neue Bewegung ge- 
zogen. Der Architekt, Ingenieur, Berg- und Hüttenmann wird auf den Hoch¬ 
schulen in die gewerbliche Hygiene eingeführt; in steigendem Maße drängt 
die Gesnndheitslehre in die Ausbildung der Lehrer und das gesammte Schul¬ 
wesen ein. Immer zahlreicher gestalten sich die hygienischen Vorlesungen 
für Nichtmediciner, die Kreise für die innere Mission nehmen die Wohlfahrts¬ 
einrichtungen in ihr Arbeitsgebiet auf. Gemeinde, Vereine, freie Liebes- 
thätigkeit innerhalb nnd außerhalb der kirchlichen Verbände wetteifern in der 
Fürsorge für Kranke und in der Gesundheit Bedrohte, nnd immer klarer nnd 
zielbewußter entwickelt sich die Arbeit im Dienste der Menschheit. Wahrer 
wird das Wort unseres größten Dichters, daß nur der edle und hilfreiche 
Mensch den Vorrang in der erschaffenen Welt einnehmen könne. Wenigen, 
wie dem Arzte, ist das schönste Vorrecht verliehen, seinen Mitmenschen zu 
helfen. Auch das widrigste G* schick kann ihm dieses Glück nicht rauben. 

Aegrotantium salus suprema lex esto — so schrieb vor 300 Jahren der 
Senat der freien Reichsstadt Nürnberg auf seine Pharmacopoe. Sanorum inco- 
lumitas — altera lex esto — so heißt es in der Neuzeit. Mögen nach beiden 
Richtungen reiche Früchte aus Ihren Verhandlungen hervorgehen. Der dank¬ 
baren Theilnahme und Anerkennung der preußischen Regierung sind 
Sie gewiß! 


Es folgten nun die Begrüßungsreden des Oberbürgermeisters 
der Stadt Berlin, v. Forkenbeck, des Präsidenten des deutsehen 
Aerztevereins-Verbandes, Dr. Graf, sowie der Delegirten der aus¬ 
wärtigen Regierungen: Hamilton , General-Seoretär des IX. inter¬ 
nationalen Congre8ses in Washington (für Amerika), Sir James 
Paget (für England), Boochard (Frankreich), Baccklli (Italien), 
welcher eine lateinische Rede hielt, Paschotin (Rußland), Aretaeos 
(Griechenland), CsatAry (Ungarn). Oesterreich, obgleich durch 
zwei Delegirte vertreten, fand keinen Interpreten. 

Zu Ehrenpräsidenten wurden gewählt: Herzog Karl 
Theodor von Bayern (für Deutschland), Paget (Großbritannien), 
Grainger Stuart (Schottland), Stokes (Irland), Billings (Ver¬ 
einigte Staaten von Amerika), Billroth (Oesterreich), CsatAry 
(Ungarn), Crocq (Belgien), Lange (Dänemark), Bouchard (Frank¬ 
reich), Rübio (Spanien), Baccelli (Italien), Lavista (Mexiko), 
Laache (Norwegen), Stockvis (Niederlande), Asaki (Rumänien), 
Sklifassowsky (Rußland), Holmgreen (Schweden), Sozin (Schweiz), 
Aretaeos (Griechenland), Guarch (Uruguay). 

Nach Erledigung des geschäftlichen Theiles der Versammlung 
betrat, mit nicht enden wollendem Beifalle begrüßt, der Schöpfer 
der antiseptischen Wundbehandlung, Englands weltberühmter Forscher, 
Sir Joseph Lister, die Tribüne und begann seinen Vortrag über 
den gegenwärtigen Stand der antiseptischen Wundbehandlung, 
welchen wir nach dem Stenogramm unserer Referenten an anderer 
Stelle dieser Nummer wiedergeben. Dem großen Briten folgte der 
gefeierte Bacteriologe Deutschlands, Robert Koch, mit einem Vor¬ 
trage über bacteriologische Forschung, dessen Reproduction gleichfalls 
im vorliegenden Blatte erfolgt. Selten wohl sind Aerzte zu einer 
Versammlung zusammengetreten, bei welcher, wie hier, der Glanz 
der Namen der Vortragenden, der hochbedeutende Inhalt der Vor¬ 
träge mit dem äußeren Gepränge des Festes harmonirten. 

♦ * 

* 

Unmittelbar nach Schluß der ersten allgemeinen Sitzung fand 
die Constituirung der 20 Sectionen im' Ausstellungsgebäude statt. 
Leider machte sich schon in den ersten Sectionssitzungen die durchaus 
verfehlte Wahl der Sitzungslocalitäten empfindlich fühlbar. In zum 
Theile blos aus Glas und Eisen oonstruirten Pavillons, auf deren 
Dach und Wände die Augustsonne ihre sengenden Strahlen sandte, 
in unmittelbarer Nähe der Stadtbahnbogen, theilweise unterhalb der¬ 
selben, tagten die Sectionen in Räumen, welche, durch improvisirte 
dünne Holzwände von einander getrennt, die in einer Abtheilung 
gehaltenen Reden nur zu oft in der Nachbarsection vernehmbar 
machten und daher hier störten. Das fast ununterbrochene Passiren 
der Congreßmitglieder, welche, um in ihre Sectionen zu gelangen, 
nicht selten andere Sectionsräume durchschreiten mußten, beeinträch¬ 
tigte in Verbindung mit den angeführten Uebelständen, zu welchen 
der erschütternde Lärm der in Intervallen von wenigen Minuten 
einherrollenden Stadtbahnzüge kam, die Arbeit vieler Sectionen 
nicht unerheblich. Es zeugt von dem echt wissenschaftlichen Geiste 
der Congreßtheilnehmer, daß, wie unsere Leser aus den betreffenden 
Referaten entnehmen werden, diese Arbeit trotz äußerer Uebelstände 
reich und fruchtbringend war. 

* * 

* 

Der zweite Congreßtag wurde durch Sectionsverhandlungen 
ausgefüllt. Der Abend brachte ein herrliches, den Mitgliedern des 
Congresses von der Stadt Berlin gegebenes Fest, dessen Schau¬ 
platz das ehrwürdige Rathhaus der deutschen Metropole war. Vom 
Oberbürgermeister und den mit güldenen Ketten geschmückten Raths- 
herren empfangen, füllte die dichtgedrängte Schaar der Congre߬ 
mitglieder alsbald alle, zu Speisesälen und Buffets umgewandelten 
Räume des Palastes. „In der Vorhalle des Magistratssaales — wir 
lassen der „Voss. Ztg.“ das Wort — von deren Wänden die Gemälde 
aus Berlins Geschichte herabschauen, saßen die Tafelnden an 
kleinen Tischen in Gruppen von Dreien bis Sechsen. In dem ernsten 
Saal selbst, dessen Wände die großen Bildnisse der preußischen 
Könige schmücken, sah man die Gäste an dem seine ganze Länge 
und Breite einnehmenden grünen hufeisenförmigen Magistratstisch, 

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von den Lampen mit den grünen Schirmen zugleich mit dem Kron¬ 
leuchter mit eigenthümlichem Effect beleuchtet. Der diesem schönen 
Kaum eigene Charakter und die Plätze, auf denen sie saß, schien 
auf die in ihm versammelte, nicht besonders dichte Gesellschaft einen 
die laute Heiterkeit dämpfenden Einfluß zu üben. Sehr viel leben¬ 
diger ging es im Sitzungssaal der Stadtverordneten zu. Zum Speise¬ 
saal verwandelt, an dessen amphitheatralisch ansteigenden kreis¬ 
ausschnittförmigen Tischen, wie an dessen ehrwürdigem hochaufra- 
gendem Bureau die heute tagende Versammlung, Vorsteher- und 
Schriftfübrerschaft mit der Bearbeitung und Erledigung von hier so 
ungewohnten Magistrats-Vorlagen eifrig beschäftigt war, während 
das auf der Zuhörertribüne sitzende Orchester die Musik dazu 
machte, gewährte er ein nicht zu beschreibendes Bild von grotesk 
humoristischer Wirkung. Am dichtesten drängte sich die Menge um 
die Tafeln, in den freigelassenen Gängen zwischen den einzelnen Tischen 
und in der Mittelachse des Raumes, im angrenzenden, strahlend er¬ 
leuchteten , hohen Festsaal, dessen spiegelnde Stuckmarmor-Wände 
den Schein der Kronenleuchter und Wandarme glänzend zurück¬ 
warfen. Anton v. Werner’s berühmtes Bild, so hell und gut be¬ 
leuchtet, wie man es nie bei Tage sieht, schaute aus seiner Ecke 
auf die Menge der befrackten und der in den vielfarbigen Uniformen 
aller Nationen prangenden, vielfach mit Ordenssternen und Kreuzen 
am Halse und auf der Brust völlig bedeckten Männer und eriunerte 
sie an einen anderen Friedenscongreß zu Berlin, auf welchem zugleich 
so manche Drachensaat zu künftiger Zwietracht ausgestreut worden 
ist. Dessen wird sich der jetzt hier tagende Congreß sicher nicht 
schuldig machen. Auf der Stiege zu den beiden oberen Geschossen, 
zwischen den Marmorlehnen blieb man im Hinaufsteigen vielfach 
stehen, um den Anblick des interessanten großen Wandgemäldes von 
Mühlenbruch, dem ersten der drei für das Treppenhaus 
bestimmten, zu genießen, was Dank seinem Platz freilich erst 
von dem obersten Flur aus gelingen will. Französischen Gästen, 
auch wenn sie unbefangen genug wären, des Werkes große künst¬ 
lerische Tugenden zu erkennen und rückhaltlos anzuerkennen, kann 
dasselbe unmöglich ein willkommener Gegenstand der Betrachtung 
gewesen sein. . In den Räumen des Zwischengeschosses, wie oben 
im großen Bürgersaal und allen Nebensälen und Gallerien ging die 
festliche Stimmung in so hohen Wogen wie unten, befeuert durch 
Wein und Musik. Aber ein starker magnetischer Zug nach unten, 
besonders nach dem Festsaal hin, machte sich selbst in diesen Höhen 
bemerklieh. Er ging besonders von einer Tafel in der Mitte des¬ 
selben aus. An dieser sah man manche der wissenschaftlichen 
Sterne erster Größe der im Congreß vertretenen Nationen aus einer 
entsprechend illustren Umgebung hervorleuchten. Hier an diesem 
Tisch gab Herr v. Fobchenbeck zwischen 10 und 11 Uhr das 
Hammerzeichen, auf welches der Lärm verstummte, erhob sich, er¬ 
griff das gefüllte Sectglas und sprach den Toast auf den Kaiser, 
den erhabenen Beschützer der Wissenschaft, den Erhalter des 
Friedens. Ungeheurer Jubel und schmetternder Tusch brauste durch 
den Saal und pflanzte sich durch alle Räume fort. In demselben 
Augenblick hatte auch oben im Bürgersaal Dr. Stryck den Toast 
auf den Kaiser ausgebracht. Die von oben her erschallenden Hoch¬ 
rufe vermischten sich mit den die unteren und mittleren Zimmer 
und Gallerien durchtönenden. Unmöglich, noch einmal den damit 
entfachten Stimmenlärm wieder zum Schweigen zu bringen, oder 
auch nur soweit zu dämpfen, daß man ein Wort von dem Toast 
hätte vernehmen können, den man Bergmann mit vergeblichem Be¬ 
mühen sprechen sah; oder von dem zweiten Trinkspruch, zu dem 
sich der Oberbürgermeister erhob. An jedem der Hunderte von 
Tischen und Tafeln toastete jede Gruppe gleichzeitig auf ihre Lieb¬ 
linge, auf Menschen, Länder, Städte, Institute, ln ihrer sich immer 
steigernden Begeisterung umdrängte eine stets anwachsende Menge 
besonders Virchow so dicht, daß er keinen Arm mehr bewegen 
konnte, um zu verhindern, was man ihm ansann und wogegen er 
mit der letzten Kraft der Lungen umsonst protestirte. „Vibchow 
hoch! und hoch! und abermals hoch!“ klang es dort unausgesetzt, 
und plötzlich wurde das Wort zur That. Von kräftigen Mediciner- 
händen wurde unseres berühmten Mitbürgers Stuhl erfaßt und mit 
dem darauf Sitzenden hoch über alle Häupter in die Luft erhoben, 
und so von seinen glühenden Verehrern, wie ein alfgermanischer 


Sieger auf dem Heerschild, im Triumph durch die Säle getragen. 
— — — — In früher Morgenstunde verließen die Letzten das 
gastliche Stadthaus. 

* * 

* 

Am Morgen des dritten Tages vereinte die Demonstration 
des elektrischen Episkops durch Prof. 8trickkr (Wien) eine 
große Zahl bewundernder Zuseher. Nach 11 Uhr begann die 
zweite allgemeine Sitzung unter dem Vorsitze von James 
Paget, nachdem Vjrchow einige geschäftliche Mittheilungen ge¬ 
macht batte. Letztere bezogen sich einerseits auf die Betheiligung, 
welche der Congreß gefunden hat, theils auf den nächsten Congreß- 
ort. Bis gestern Abends waren 5561 Mitgliederkarten, 116 Theil- 
nehmerkarten und 1379 Damenk&rten ausgegeben, im Ganzen 
7056 Karten. Die Ver. Staaten von Nordamerika stellten zu dieser 
Ziffer 623, Rußland 421, Großbritannien und Irland 353, Frank¬ 
reich 171, Dänemark 139, die Niederlande 111, Schweden 106, 
Oesterreich-Ungarn 260 , Italien 145, Australien 7, Ostindien 2, 
Trinidad 1, Chile 11, Capland 1, China 2, die Türkei 12. Auch 
das Fürstenthum Monaco zählt einen Vertreter. Aus den spanischen 
Sprachgebieten kamen gegen 100. Die Zahl der Berliner Mitglieder 
betrug etwa 1150, die der außerberlinischen Deutschen über 1600. 
Bei der Erwähnung der Betheiligung Frankreichs erhoben sich 
lebhafte Zurufe. Betreffs des nächsten Congreßortes haben der 
Vorstand und Ehren Vorstand nach langen Debatten einstimmig 
beschlossen, die Einladung Baccelli’s anzunehmen und den Congreß 
(1893) in Rom abzuhalten. Es folgten die Vorträge Bodchard’s 
(Paris) über den Mechanismus der Infection und Immunität und Axel 
Key’8 (Stockholm) über die Pubertätsentwicklung und das Ver- 
hältniß derselben zu den Krankheitserscheinungen der Schuljugend. 
— Der Abend war den Diners der einzelnen Sectionen gewidmet. 

Ueber den weiteren Verlauf des Congresses sowie über die 
reich beschickte Ausstellung, welche mit demselben verbunden 
war, werden wir in den nächsten Nummern berichten. 

(Levico-Ars-en-Eisenwasser) vide Inserat, t 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 
Sonderegger L., Vorposten der Gesundheitspflege. III., nmgearbeitete und 
vermehrte Auflage. St. Gallen 1890. Huber & Cie. 

Mejnert Th., Klinische Vorlesungen über Psychiatrie. Mit 1 Holzschnitt und 
1 Tafel. Wien 1890. Wilhelm Braumöller. 

Springer M., Etüde sur la croissance et son role en pathologie. Paris 1890. 
F61ix Alcan. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Ausschreibung von Gemeinde&rstesstellen. 

Es kommen vorläufig in den 26 bisherigen provisorischen Sanitäts- 
districten Steiermarks 20 Aerzteposten mit Subventionen fbr die Zeit vom 
1. October 1890 bis Ende September 1891 zur Besetzung. 

Bewerber um eine dieser Stellen haben ihre entsprechend belegten Ge¬ 
suche bis 15. August 1. J. an den steiermärkischen Landes-Ausschuß 
in Graz zu übersenden. 

Näheres in Nr. 31 dieses Blattes. 

Graz, am 16. Juli 1890. 664 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 


Kundmachung. 

Am öffentlichen Krankenhause zu Pettau ist die Stelle des Ordinarius 
zu besetzen. 

Mit dieser Stelle ist eine Jahresremuneration von vierhundert 
Gulden verbunden. 

Näheres in Nr. 31 dieses Blattes. 

Graz, am 22. Juli 1890. 665 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 

Kundmachung. 

An der Landes-Siechenanstalt zu Pettau ist die Stelle eines Ordinarius 
zu besetzen. 

Mit dieser Stelle ist eine Jahresremnneration von dreihundert 
Gulden verbunden. 

Näheres in Nr. 31 dieses Blattes. 

Graz, am 22. Juli 1890. 666 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 


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Nr. 33. 


Sonntag den 17. August 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Di« „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Gross-Onart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
anfträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximillanatraase Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik* 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 8 fl. BO kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl.4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnistr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 




Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Ueber Antipyrese. Von Prof. Ahnaldo Cantani in Neapel. — Ueber künstliche Frühgeburt. Von 
Prof. Dohbn in Königsberg. — Ueber die Mikroorganismen der Krebsneubildungen. Von Dr. P. J. Kuhasoff, Privatdocent an der Universität 
Moskau. — Nolizen über die Denguefieber-Epidemie und die Influenza-Epidemie zu Smyrna. Von Dr. G. Diamantofulos. — Kleine Mit- 
tbeilnngen. Eine neue osteoplastische Amputationsmethode am Fuße (Amputatio talo-calcanea osteo-plastica). — Anwendung des Antipyrin in 
der Derm&totherapie. — Behandlung der Unterschenkelgeschwüre mit Tricotschlauchbinden. — Die resorbirende und entzündungswidrige Eigenschaft 
des Creolin. — Die Behandlung der Caries und Necrose des Schläfenbeines vermittelst Säuren. — Menthol und Eucalyptusöl zur localen An¬ 
wendung bei Affectionen des Mittelohres. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. A'. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 
4.—9. August 1890. (Orig.-Ber.) II. — Notizen. Der X. Internationale medicinische Congreß. II. — Was hat der Arzt bei Drohen und Herrschen 
der Cholera zu thun? — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalton und klinische Vorlesungen. 

Ueber Antipyrese. 

Von Prof. Arn&ldo Cantani in Neapel.*) 

Das Fieber ist seit jeher der Gegenstand der ärztlichen 
Beobachtungen und Forschungen. Es galt fast immer als die 
wesentlichste Erscheinung einer Krankheit, und viele Fieber 
wurden sogar als das Wesen der Krankheit aufgefaßt. Wohl 
erst in den letzten Zeiten ist es allgemein als Symptom und 
in allen Fällen als Symptom der Krankheit aufgefaßt worden, 
und von essentiellen Fiebern ist nicht mehr die Rede. 

I. 

Es ist gewiß nicht leicht, eine befriedigende Definition 
des Fiebers zu geben, ja ich muß aufrichtig gestehen, daß die 
Theorie, welche den ganzen Fieberproceß von der Wirkung 
gewisser Nervencentren abhängig macht, mich nicht befriedigt, 
trotz der dieselbe begründenden Thierexperimente und trotz 
des Einflusses gewisser Schußwunden des Kopfes auf die 
Körpertemperatur. 

Die so häufig zu constatirende postmortale Temperatur¬ 
steigerung beweist, daß es sich nicht blos um die Wirkung 
von Wärmecentren handelt, sondern um locale Wärmeproduction 
in den Geweben selbst, als Folge und Effect chemischer Ver- 
brennungsprocesse. Die Wärmesteigerung, ja die Wärme¬ 
production überhaupt, auch im Gesunden, wird dem Körper 
gewiß nicht einfach von bestimmten Wärjnecentren octroyirt: 
die Wärmeerzeugung spielt sich im ganzen Körper, in allen 
Geweben ab, vorzugsweise in der Muskelmasse, wenn man 
aucli anerkennen muß, daß Nerveneinflüsse von gewissen Centren 
aus im Stande sind, die Temperatur des Körpers zu erhöhen. 

Aber wie die Piqüre wohl vorübergehende Meliturie, 
nicht aber bleibende Zuckerhamruhr hervorruft, so kann der 
Einfluß gewisser Nervencentren wohl eine vorübergehende 
Temperatursteigerung hervorbringen, nicht aber dauernde oder 
aussetzende Fieber erzeugen. 

*) Vortrag, gehalten in der 3. allgemeinen Sitzung des X. Internationalen 
medicinisclien Congresses in Berlin. 


n. 

Was das Fieber betrifft, so muß man es wohl als eine 
acute Veränderung und Beschleunigung des organischen Stoff¬ 
wechsels mit Steigerung der GewehsVerbrennung und hiemit 
auch der Wärmeerzeugung und des Körperverbrauches ansehen. 

In einzelnen Fiebern wird auch mehr Wärme zurück- 
gehalten, aber die vermehrte Bildung derselben, der größere 
Sauer stoffverbrau eh und die gesteigerte Verbrennung sind 
jedenfalls die Hauptmomente des Fieberprocesses. Selbst die 
höhere Wärmeregulirung im Fieber ist wahrscheinlich nicht 
einzelnen hypothetischen Wärmecentren anvertraut, sie wird 
wahrscheinlich von dem ganzen Körper und namentlich von 
dem ganzen Nervensystem, die Gefäßnerven und hiemit den 
Hautarterienapparat inbegriffen, geregelt. Aber immer gibt 
der Körper mehr Brennmaterial her. und dessen schnellerer 
Verbrauch, dessen gesteigerte Verbrennung ist die materielle 
Quelle der höheren Wärmeerzeugung, die wir Fieber nennen. 

Klinisch ist es wohl zweifellos, daß nicht alle Fieber 
auf gleiche Art und in gleichem Maße das Brennmaterial des 
Körpers in Anspruch nehmen; es scheint, daß in gewissen 
Fiebern mehr gewisse Körpergewebe, in anderen mehr andere 
angegriffen, verbrannt, verbraucht werden, was wohl von der 
Art der inficirenden Mikroben abhängt. Nur auf diese Weise 
ist es zu erklären, daß die Folgen des Fieberprocesses so ver¬ 
schieden sind in den verschiedenen Krankheiten. So gehen in 
den Malariafiebern und im acuten Gelenksrheumatismus zuerst 
in größerer Menge die rothen Blutkörperchen unter, weshalb 
der Kranke nach überstandener Krankheit höchst anämisch 
bleibt; so leidet im Typhus vorwiegend die Musculatur und 
in zweiter Linie sogleich das Nervensystem, weshalb der 
Kranke außerordentlich schwach und mager wird und die 
Ausscheidung des Verbrauchten und daher auch die Gewichts¬ 
abnahme des Körpers noch in der ersten Woche der Recon- 
valescenz fortdauert, ja oft sogar relativ steigt. In der Tuber- 
culose leiden gewöhnlich alle Gewebe und Organe; der ganze 
Körper schrumpft zusammen, sogar das Herz wird kleiner 
und die Gefäße enger, nur das Nervensystem erhält sich oft 
recht gut und scheint in einzelnen Fällen von hektischem Fieber 
gar nicht angegriffen zu werden; der Kranke bewahrt oft seine 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 33. 


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ganze nervöse Energie, arbeitet geistig weiter, macht Pläne 
tür die Zukunft, geht bis zu seinem letzten Tage umher und 
stirbt oft auf Reisen. 

Es gibt auch Fieber, in denen der Körper bei geringer 
Temperatur mehr verliert als bei anderen mit höherer Tem- 
eratur, und endlich gibt es noch Fieber, wie die vor einigen 
ahren in Süditalien beobachteten, die sich ohne nachweisbare 
Localisation in irgend einem Organ, blos die Milzschwellung 
ausgenommen, mit Remission und zeitweiligen Intermissionen 
durch viele Wochen mit geringen, zeitweilig mit höheren 
Temperaturen durch viele Wochen, selbst Monate hin¬ 
schleppen , ohne den Gesammtkörper verhältnißmäßig anzu¬ 
greifen, da namentlich das Körpergewicht nicht viel mehr 
herabgeht, als es die mehr weniger strenge Diät selbst mit 
sich bringt, Fieber, in denen das Organeiweiß größtentheils 
verschont und hauptsächlich nur das Circulationseiweiß ver¬ 
brannt werden muß. Das aber haben alle Fieber unter ein¬ 
ander gemein, daß in ihnen mehr oder weniger Körperstotfe 
angegriffen und verbraucht werden, und da die Indication. den 
Körperverbrauch zu vermindern, gewiß höchst rationell ist, 
so erscheint es als eine Hauptaufgabe des Arztes, das Fieber 
selbst, die nächste Ursache des gesteigerten Verbrauches, 
herabzusetzen und möglicherweise auch ganz zu unterdrücken. 

m. 

Auf zweifache Weise kann man diesen Zweck zu erreichen 
trachten: durch die Wärmeentziehung und mittelst Vermin¬ 
derung der Wärraebildung. Wärmeentziehung heißt nicht das 
Fieber bekämpfen, den Körperverbrauch vermindern, die Ge¬ 
webe erhalten, es reducirt sich auf ein Erfrischen der Körper¬ 
peripherie, auf eine gesteigerte Wärmeabgabe; es ist dies im 
Grunde genommen ein mehr oder weniger symptomatisches 
Heilverfahren, welches gegen das Fieber selbst, gegen die 
gesteigerte Verbrennung auf Kosten des Körpers nichts vermag. 

Darum dachte man wohl, daß Alles erreicht wäre, wenn 
es gelänge, Mittel zu entdecken, welche im Stande wären, den 
Fieberproceß selbst zu vernichten, die vermehrte Bildung 
von Wärme herabzusetzen, den fieberhaften Stoffver¬ 
brauch zu vermindern. 

Der Fingerzeig war im Chinin gegeben, in dem Mittel 
der Fieber so vieler Länder, in dem Fiebermittel xxt’ tZpyrp. 
Aber die gewöhnlichen Chinindosen reichten nicht gegen alle 
Fieber aus; genug kräftig gegen die meisten Arten des 
Wechselfiebers, war es ungenügend gegen die verschiedenen 
anderen Fieber, gegen diejenigen z. B., welche die acute Poly¬ 
arthritis, die Pneumonie, den Typhus begleiten. Es galt also, 
recht große Chinindosen zu geben, und wie es mit diesen 
möglich war, die pemiciösen Wechselfieber zu beherrschen, so 
wäre es auch gelungen, die übrigen hartnäckigen Fieberarten 
zu unterdrücken. Und große Dosen Chinin wurden in allen 
Infections- und Entzündungskrankheiten und sogar gegen das 
septische Fieber empfohlen; aber wenn es auf diese Art auch 
gelang, bevor es noch zu schwerem Cinchonismus kam, die 
Temperatur des Körpers herabzusetzen, so sah man doch, daß 
diese großen Chinindosen sehr häufig den Kranken nicht retten 
und nicht einmal den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, 
ja eigentlich nur die Mehrbildnng von Wärme durch Herab¬ 
setzung der vegetativen Thätigkeit des Organismus vermindern. 

Auch die Digitalis, das die Pulsfrequenz der Herzkranken 
herabsetzende Mittel, kam gegen das Fieber in Anwendung 
und Ruf: die Pulsfrequenz ist ja auch eines der hervor¬ 
ragendsten Fiebersymptome, und wenn die bei Herzkranken 
genügende Dosis in fieberhaften Krankheiten den Zweck nicht 
erreicht, so gelingt es doch, mit großen Dosen nicht nur die 
Pulsfrequenz des Fiebernden zu vermindern, sondern sogar 
auch dessen Temperatur zu erniedrigen. Aber auch sie bringt 
trotz dieses symptomatischen Erfolges dem Kranken keinen 
Nutzen, indem sie die Verbrennung des Körpers nur dadurch 
herabsetzt, daß sie den Organismus mehr oder weniger ver¬ 
giftet und hiemit seine vegetative Thätigkeit herabdrückt. 


Es galt, bessere Fiebermittel aufzufinden, und die Reihe 
kam an die Salicylsäure, Carbolsäure, Katrin, Antipyrin, 
Phenacetin u. dergl. m. Mit allen diesen Mitteln gelang es, 
die Pulsfrequenz und die Körpertemperatur zu vermindern, 
also die wichtigsten Symptome des Fiebers zu unterdrücken. 

IV. 

Es ist gar nicht so leicht zu sagen, wie denn eigentlich 
diese Antipyretica wirken, ja es erscheint sogar unmöglich, 
ihre Wirkung im Detail zu verfolgen. Nach den Einen ver¬ 
mindern sie die Wärmeproduction, nach den Anderen ver¬ 
mehren sie die Wärmeabgabe, nach noch Anderen lähmen 
sie die Fieberfermente und endlich sollen sie einfach die 
Wärmeregulation der Fiebernden niedriger stellen. 

Nun ist aber eine Lähmung der Fieberfermente nur von 
den specifischen, gegen die lebenden Krankheitserreger wir¬ 
kenden Mitteln zu hoffen, wie vom Chinin gegen die Malaria, 
von der Carbolsäure gegen die septischen Wunden u. s. w., 
aber die übrigen Antipyretica sind nicht auch Desinfectantia. 

Eine Niedrigerstellung der Wärmeregulirung des Fie¬ 
bernden durch diese Mittel ist ein geistreicher Gedanke, aber 
doch evident eine einfach wohl nicht zu begründende Hypothese, 
die Steigerung der Wärmeabgabe hingegen wird durch diese 
Mittel gewiß angeregt, da sie die Gefäße der Haut ausdehnen, 
und es sogar zu einer mehr oder weniger reichlichen Schwei߬ 
bildung kommt. Aber außer der gesteigerten Wärmeabgabe 
kommt bei diesen Mitteln gewiß auch die Verminderung der 
Wärmeerzeugung in Betracht, welche ganz unleugbar ist in 
den Fällen, wo eine etwas größere Dose oder auch während 
der spontanen Defervescenz eine normale Dose angewendet 
wurde und Collaps zur Folge hat. Sie ist auch in den ge¬ 
wöhnlichen Fieberfällen, wo durch Antipyretica die Tem¬ 
peratur herabgedrückt wird, nicht auszuschließen, weil, damit 
ein Antithermicum die Wärmebildung durch Herabsetzung 
der vegetativen Thätigkeit vermindere, es nicht notliwendig 
ist, daß es auch Schwäche des Pulses und Verminderung der 
arteriellen Spannung hervorbringe. Die Antipyretica bekämpfen 
also das wichtigste Fiebersymptom, die Temperatursteigerung, 
theils durch Verminderung der Wärmeerzeugung, theils durch 
Vermehrung der Wärmeabgabe. 

V. 

Sind sie, auf diese Art wirkend, bei Fiebern nützlich? 
Können oder müssen sie dem Kranken nicht geradezu schaden ? 
Das sind die Fragen, die sich heutzutage der denkende Arzt auf¬ 
werfen muß und die sich wohl nicht beantworten lassen, ohne 
gleichzeitig Rücksicht auf andere Fragen zu nehmen, welche 
das Fieber selbst betreffen, und dies sind wohl die folgenden: 

Was ist eigentlich das Fieber in einer Krankheit und 
in welchem Verhältnisse steht es zu derselben ? Begründet 
wirklich das Fieber die Hauptgefahr des Fiebernden? Kann 
es allgemeine Fiebermittel gegen den Fieberproceß als solchen 
geben, wenn die von Fieber begleiteten Krankheiten und ihre 
Ursachen untereinander so verschieden sind? Und worauf be¬ 
ruht es eigentlich, daß gewisse Mittel in gewissen Krankheiten 
das Fieber fast mit Sicherheit bekämpfen und damit auch den 
unglücklichen Ausgang der Krankheit entscheiden, während 
sie gegen andere Arten von Fieber gar nicht oder nur sehr 
wenig nützen und während andere Mittel das Fieber wohl 
auch herabdrücken, aber den Gang der Krankheit nicht beein¬ 
flussen, ja dem Kranken sogar direct schädlich werden? Wo¬ 
rauf muß sich eine rationelle Antipyrese beschränken, wie 
weit kann sie sich ausdehnen? 

VI. 

Das Fieber ist vor Allem ein Begleiter, ja ein Symptom 
so vieler und untereinander so verschiedener acuter Krank¬ 
heiten , wie cs die Dyspnoe und der Husten so vieler Krank¬ 
heiten der Respirationsorgane, die Dyspepsie und die Diarrhoe 
für so verschiedene Affectionen des Verdauungsapparates sind. 
Fieber und Entzündung haben dieselbe Bedeutung für den 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


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kranken Organismus, sie sind die nächsten, die unmittelbaren 
Folgen einer Krankheit. Ein Körper erkrankt nicht, ohne daß 
eine materielle Ursache seine Lebensthätigkeit im Allgemeinen 
oder die einzelner Organe, einzelner Gewebe, einzelner Zell¬ 
gruppen, stört. Heute kann man auch sagen, daß solche stö¬ 
rende Ursachen wenigstens im Allgemeinen nicht von einem 
erfrischenden Luftzuge, von einem labenden Trunk kalten 
Wassers oder einem Regenguß gegeben sind. Alle diese Er¬ 
kältungen, die betreffs ihrer Einwirkung auf den Organismus 
ein Nichts sind gegenüber einem heißen Dampfbad mit folgender 
eiskalter Douche, verdanken ihre Bedeutung ja nur dem Um¬ 
stande, daß der schon im Incubationsstadium gewisser acuter 
Krankheiten befindliche Organismus eine solche thermische 
Hyperästhesie der Haut erworben hat, daß der geringste Luft¬ 
zug , die geringste Wärmeentziehung, selbst die küble Bett¬ 
wäsche beim Schlafengehen sogleich ein Rieseln über den ganzen 
Körper und oft einen wirklichen Schüttelfrost hervorruft, Dank 
dem refiectorischen Hautgefäßkrampf, womit der Fieberproceß 
eingeleitet wird und der eventuell incubirte Catarrh oder 
Rheumatismus zum Ausbruch gelangt. Wie oft hat sich die¬ 
selbe Person viel stärkeren Erkältungen ausgesetzt, ohne Schaden 
zu nehmen, weil sie damals zum Fieber nicht disponirt war, 
d. h. den Krankheit erregenden Stoff, die wahre Ursache des 
Catarrhs, der Pneumonie, der Pleuritis, der Nierenentzündung, 
der Hirnhautentzündung nicht schon im Incubationsstadium 
besaß, während diesmal die durch die Beherbergung des lebenden 
Krankheitserregers erschütterte Widerstandsfähigkeit des Kör¬ 
pers eines geringen Anstoßes bedurfte, etwa eines unschuldigen 
Windhauches, um die Krankheit zum Ausbruch gelangen zu 
lassen und mit dem Schüttelfröste den Ausbruch selbst anzu¬ 
künden, das Signal der Reaction zu geben gegen den ein¬ 
gedrungenen Feind. 

Die Krankheit ist für uns der Ausdruck des nothwen- 
digen Kampfes des Organismus gegen den Krankheitserreger, 
der wieder in den meisten Fällen ein pathogener Mikro¬ 
organismus ist, selten ein chemischer Stoff oder eine trauma 
tische Einwirkung (letztere wohl wieder hauptsächlich der 
Vermittlung chemischer oder mikrobischer Einflüsse bedürftig). 

Die Entzündung ist die 1 o c a 1 e Reaction des angegriffenen 
Gewebes gegen den auf die Localität einwirkenden Krankheits¬ 
erreger, das Fieber die allgemeine Reaction des Gesammt- 
körpers gegen die von dem Krankheitserreger im ganzen Stoff¬ 
wechsel und in der Blutkrase gesetzten Veränderungen. Diese 
Reaction ist Bedingung der Genesung. Ohne Reaction, d. h. 
ohne Entzündung und ohne Fieber, müßte der Körper den 
feindlichen Einflüssen ohne Gnade unterliegen, wie dies wirklich 
in gewissen Fällen höchst intensiver septischer Infection oder 
hämorrhagischer Blattemkrankheit und auch anderer Infectionen 
vorkommt, in welchen die zu schwere und zu rapide Blutver¬ 
giftung alle Reaction durch Lähmung der Lebensthätigkeit 
unmöglich macht und direct zum letalen Collaps führt. Ohne 
Reaction von Seite des angegriffenen Organismus gegen seinen 
Angreifer muß der lebende Krankheitserreger in den Körper¬ 
geweben solche Veränderungen hervorrufen, das Blut derart in 
seiner Krase stören, daß damit die Fortsetzung des Lebens, 
geschweige denn eine Genesung unvereinbar wird. Die ganze 
Naturheilkraft, jede spontane Genesung, die Selbstheilung der 
Pneumonie, des Typhus, der Influenza, des Denguefiebers beruht 
auf dieser Reaction des Makrokosmos gegen den eingedrunge 
nen Mikrokosmos, es ist ein Kampf um das Dasein zwischen 
den beiden, und wo der Mikrob den Sieg davonträgt, ist das 
Todesurtheil des Kranken vollzogen. Wo der Mensch siegt, ist 
der Mikrob unschädlich gemacht, zuweilen vernichtet, größten- 
theils ausgestoßen worden. 

VII. 

Das Fieber ist eben nur eine Reactionserscheinung und Maß 
der Intensität der Infection einerseits und der Reactionsfähig- 
keit des Körpers andererseits. Die Infection kann in Folge 
geringer Disposition des Organismus von vornherein nur wenig 
platzgreifen, sie kann auch bald in ihrer Intensität herabgesetzt 


werden, und in diesen beiden Fällen wird das Fieber gering 
bleiben, weil die Infection gering bleibt und der Organismus 
einer energischen Reaction nicht bedarf. 

Die Infection kann aber den Organismus auch so schwer 
treffen, daß dieser, bald in seiner Reactionsfähigkeit gelähmt, 
nicht mehr mit starkem Fieber antworten kann, oder daß er 
wegen seiner Reactionsfähigkeit wohl mit sehr starkem Fieber 
antwortet, ohne aber der lebenden Krankheitserreger und ihres 
verderblichen Einflusses Herr zu werden. In den beiden letzten 
Fällen ist der Kranke verloren. Aber neben diesen zwei Kate¬ 
gorien von Fällen gibt es andere, und diese bilden die 
übergroße Mehrzahl, in welchen der Kranke mit hohem Fieber 
reagirt und glücklich davonkommt. 

Es ist gar nicht das Fieber oder wenigstens nicht das 
Fieber allein, weiches die Schwere oder die Leichtigkeit einer 
Krankheit ausmacht. Der Kranke mit starkem Fieber und 
dabei erhaltener Muskelkraft, gutem Gesichtsausdruck, normaler 
Hautfarbe, regelmäßigem, kräftigem, obwohl frequentem Puls 
ist besser daran, als der andere, der zwar ein leichtes Fieber 
hat, aber dabei unverhältnißmäßig große Schwäche, veränderten 
Gesichtsausdruck, subicterische Färbung der Augen und 
schwachen Puls darbietet. Es ist in schweren Fällen noch 
etwas anderes da, als das Fieber, was die Schwere der Krank¬ 
heit bedingt, was mit der Lähmung der vegetativen Thätigkeit 
droht, was ebenso bei starkem als bei leichtem, ja bisweilen 
bei mangelndem Fieber das Todesurtheil des Kranken ent¬ 
scheidet. 

Das ist zunächst die Natur der Fieberursache, die Qua¬ 
lität und Quantität der eingedrungenen Krankheitserreger und 
der Gifte, die sie im Körper erzeugen oder vielleicht auch 
abgeben; das ist aber auch die "Widerstandsfähigkeit des an¬ 
gegriffenen Organismus. 

VIII. 

Damit wäre nicht gesagt, daß ein sehr hohes, ziemlich 
anhaltendes Fieber nicht eine schwere prognostische Bedeutung 
hat; es ist gewiß der Ausdruck des Bedürfnisses einer starken 
Reaction des Körpers und hiemit Zeichen und Maß der 
Schwere der Infection, gegen die der erkrankte Organismus 
alle seine Kräfte aufbieten muß, um sich zu vertheidigen. Und 
einerseits ist es gewiß nicht sicher, daß diese energische Re¬ 
action hinreichen wird, der Infection Herr zu werden, anderer¬ 
seits kann die lange Dauer der Reaction und des mit ihr ver¬ 
bundenen Stoffverbranches das Maß der Widerstandsfähigkeit 
des Kranken überschreiten und zu einer Erschöpfung der 
Reactionskräfte führen. 

Der günstige Einfluß des Fieberprocesses auf die Infec- 
tionswirkung kann in mannigfacher Art zum Ausdruck kommen. 
Das Fieber kann dem Kranken nützen : 1. Indem es die Lebens¬ 
thätigkeit, die Vennehrung und auch die Virulenz der lebenden 
Krankheitserreger im Körper durch die erhöhte Temperatur 
des Blutes und der Gewebe beeinträchtigt; 2. indem es die 
Widerstandsfähigkeit der Gewebselemente und ihre phago- 
eytisehe Bedeutung erhöht; fl. indem es den Nährboden in 
den Geweben durch die Modificationen des fieberhaften Stoffum¬ 
satzes für die lebenden Krankheitserreger ungünstig gestaltet. 
Was den Einfluß der Fiebertemperatur betrifft, so vertragen 
gewiß viele pathogene Mikroorganismen, wie z. B. die Tuberkel¬ 
bacillen, Temperaturgrade wie die der Fieberhitze recht gut 
oder gedeihen sogar trefflich bei ihnen, während gewisse 
Bacterien bei der Fieberhitze gewiß leiden und wenigstens 
zum Theil auch untergehen, wie die Recurrensspirillen, die 
Erysipelstreptococcen. Die Gesichtsrose mit hoher Temperatur 
über 40° heilt rascher und sicherer, als das Wandererysipel, 
welches sich oft monatelang bei seinem regelmäßig geringen 
Fieber hinschleppt. 

IX. 

Die vermehrte Wärmebildung kann für gewisse Mikrobien 
auch die phagocytische Thätigkeit der Gewebselemente und 
also die Widerstandsfähigkeit der Gewebe steigern. Ich will 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 1296 


die Phagocytentheorie durchaus nicht als unbestreitbar und 
viel weniger als bewiesen betrachten; aber wenn man die 
Thatsache der Invasion des Körpers durch so kleine, aber 
zahllose zellige Feinde betrachtet und wenn man bedenkt, 
daß der Körper ihrer Herr werden muß, wenn er nicht unter¬ 
liegen soll, so muß man sich sagen, daß er solchen Feinden 
eben nichts Besseres entgegensetzen kann, als seine eigenen 
zelligen Elemente. Es ist gewiß nicht nothwendig, ja sogar 
unwahrscheinlich, daß der ganze Kampf zwischen den feind¬ 
lichen Eindringlingen und den Körperzellen bloß von den 
weißen Blutkörperchen ausgekämpft wird. Warum sollen nicht 
andere Gewebselemente, Schleimhautzellen, Lnngenzellen, Binde¬ 
gewebszellen u. s. w. daran theilnehmen ? Warum soll es spe- 
cifische Freßzellen geben gleich einer militärischen Organi¬ 
sation im Körperstaate? Die ganze Lehre vom Phagocytismus 
ist freilich noch nicht bewiesen, aber sie ist so natürlich vom 
naturwissenschaftlichen Standpunkte aus, so selbstverständlich 
und einleuchtend, daß, wenn sie nicht schon erfunden wäre, 
man sie erfinden müßte. Aber auch die Einwürfe, die man 
gegen sie gemacht hat, sind durchaus nicht stichhaltig. Daß 
die contagiösen Kranken, auch wenn sie genesen, mit dem 
contagiösen Secrete den Krankheitserreger lebend ausscheiden, 
beweist nur, daß nicht alle Bacterien von Körperzellen auf¬ 
gefressen werden, was doch bei aller Freßzellentheorie natürlich 
zu erwarten ist. Die Ausscheidung selbst, wann immer sie 
geschieht, ist auch eines der Mittel, deren der Körper sich 
bedient, um, von Fieber und Entzündung abgesehen, sich von 
den eingedrungenen Feinden zu befreien, und ist, sofern sie 
von den Schleimhäuten mittelst deren Secretes vermittelt 
wird, gewiß auch eine von den Körperzellen geleistete Abwehr 
gegen den Feind, auch wenn dieser nicht aufgefressen oder 
wenn er mit der Freßzelle selbst lebend ausgeschieden wird. 
Selbst Baumgarten’s geistreiche Experimente beweisen nicht 
genug gegen den Phagocytismus. 

Die Ltiesenzellen bei der Tuberculose mit den eingeschal¬ 
teten Tuberkelbacillen, ihr Vorhandensein auch bei Syphilis, 
auch wenn sie auf Fusion mehrerer Freßzellen beruhen, und 
die constatirte Möglichkeit einer spontanen Heilung der Tuber¬ 
culose — nicht nur der Knochen und Drüsen, sondern auch 
der Lungen — sprechen für die Freßzellentheorie trotz aller 
Bedenken gegen dieselbe. Man darf eben nicht verlangen, daß 
in allen Fällen der Körper siegt; man darf wohl die Fre߬ 
zellentheorie auch nicht auf alle Infectionen ausdehnen, noch 
die Art, auf welche die Zellen des Körpers sich gegen den 
Eindringling vertheidigen, zu sehr beschränken. Es ist ja 
nicht nothwendig, daß alle Mikrobien von Zellen aufgefressen 
werden, ja es ist sogar natürlich, daß bestimmte Mikrobien 
die Zellen, namentlich die Blutzellen, durch ihr Eindringen 
in dieselben tödten. Die durch den Fieberproceß angeregten 
Veränderungen der chemischen Thätigkeit der betroffenen 
Zellenelemente können genügen, die Lebensfähigkeit der feind¬ 
lichen Mikrobien herabzusetzen. 

X. 

Aber das Fieber kann auch direct als solches durch die 
Veränderung des allgemeinen Stoffwechsels, aus denen es 
hervorgeht, eine derartige Veränderung des Nährbodens für 
viele Mikroben bewirken, daß deren Virulenz herabgesetzt, 
daß ihre weitere Vennehrung im Körper unmöglich gemacht 
wird, daß sie biologisch sterilisirt, chemisch in ihrer Ptomain¬ 
bildung unschädlich gemacht werden. Man kann gewiß die 
Möglichkeit nicht bezweifeln, daß durch fieberhaften Stoff¬ 
wechsel Leukomaine erzeugt werden, welche die vegetative 
Thätigkeit der Mikrobien beeinträchtigen können, wie denn im 
Fieber auch die Säurebildung in den Muskeln und anderen 
Geweben gesteigert wird. 

XL 

Was das Fieber als allgemeine Reaction des gesunden 
Körpers thut, das thut auch die Entzündung als locale Re- 
action gegen die Localisation einer allgemeinen Iufection. ln 


dem entzündeten Gewebe sehen wir die Leucocyten emigriren, 
die phagocytisch wirken können, sehen wir die Temperatur 
auch höher gesteigert als in den anderen Theilen des fiebern¬ 
den Körpers, sehen wir die Bildung abnormer Stoffwechsel - 
producte und chemischer Gewebsveränderungen, welche den 
Nährboden vielleicht sterilisiren Können, auch deutlicher und 
sicherer vor sich gehen als anderswo. Die Vertheidigung des 
Körpers gegen die lebenden Krankheitserreger ist also hier 
local denselben Mitteln anvertraut, deren sich der Gesammt- 
körper in der Allgemeinerscheinung des Fiebers bedient, und 
somit ist es wohl gerechtfertigt, der Entzündung denselben 
Reactionswerth beizumessen, den wir dem Fieber zuerkennen, 
ja die Entzündung thut noch etwas mehr, indem sie mittelst 
der Lebensthätigkeit der Körperzellen, namentlich der 
Schleimhäute, die theilweise Ausstoßung der durch Vermeh¬ 
rung zahllos gewordenen Bacterien besorgt, oder mittelst Ge¬ 
webswucherung und Narbenbildung dem Vordringen und Aus¬ 
breiten der localen Infection einen schwer zu übersteigenden 
Damm entgegensetzt. 

XII. 

Das Fieber kann also wie die Entzündung nützlich sein, 
wenn der Stoffverbrauch nicht bis zur Erschöpfung gesteigert 
ist. und daß das Fieber wirklich nicht die Hauptgefahr der 
Krankheit bedingt, erhellt auch aus der täglichen praktischen 
Erfahrung. Es sind eben die fieberhaft acuten Krankheiten, 
welche im Allgemeinen der Heilung fähig sind, und zwar einer 
spontanen Heilung, während die fieberlosen chronischen Krank¬ 
heiten sehr schwer oder gar nicht heilen und die fieberlosen 
mehr oder weniger acuten eine sehr große Mortalität geben. 
Abgesehen von den chronischen Gelenks- und Rückenmarks- 
ent'/.ündungen, genügt uns die Erfahrung, daß die fieberlos 
verlaufende Cholera und das fieberlose Beriberi als Beispiele 
acuter und chronischer Infection eine so außerordentlich große 
Zahl von Opfern machen, während der Typhus, die Pneumo¬ 
nie, das Recurrensfieber, die Dengue und selbst die Blattern 
bei einfacher hygienischer Behandlung viel bessere Resultate 
geben, upd selbst die Pest in den Fällen, in welchen 
sie sehr hohes Fieber begleitet, Hoffnung auf Rettung gibt. 
Und welcher beschäftigte Arzt hat nicht die Beobachtung 
gemacht, daß nach überstandenem Typhus, je schwerer das 
Fieber war, desto mehr der Organismus während der Recon- 
valescenz gekräftigt und, widerstandsfähig wurde gegen andere 
Infectionen. also das lange und hohe Fieber einen Reinigungs- 
proceß an dem Typhuskranken vollzogen hat? 

XIII. 

Wir dürfen also gewiß nicht wünschen, das Fieber hint¬ 
anzuhalten oder zu vernichten, vielmehr wäre nach Mitteln 
zu suchen, welche das Fieber selbst dem Kranken unnütz 
und überflüssig zu machen im Stande wären, indem sie die 
Ursache des Fiebers, den Fiebererreger, vernichten, oder we¬ 
nigstens für den Körper unschädlich machen. So wirkt auch 
wirklich Chinin gegen die Malariafieber, so Quecksilber gegen das 
Syphilisfieber. Aber diese Mittel sind streng genommen durch¬ 
aus nicht Fiebermittel, sie nützen nichts gegen andere Fieber. 
Und selbst in der Malariainfection und in der Syphilis be¬ 
heben sie das Fieber nicht, weil sie Fiebermittel sind, nicht 
weil sie die Körpertemperatur herabsetzen und den fieberhaf¬ 
ten Stoffwechsel auf die Norm zurück bringen, sondern weil 
sie mit der specifischen Ursache des specifischen Fiebers die 
Wirkung, also das Fieber aufheben. Und in der That, das 
Chinin coupirt nicht nur das Wechselfieber und die von der 
Malariainfection abhängigen erratischen Fieber, es reducirt 
auch alle ohne Fieber bestehenden malarischen Milztumoren 
und bezwingt die fieberlose Sumpfkachexie. Das Chinin be¬ 
wirkt gegen das Malariafieber geradeso, wie Lister’s antisep¬ 
tische Methode gegen das Wundfieber, wie die Carbolsäure, 
das Sublimat, auf die Wunde aufgetragen, wie die flüssigen 
antiseptischen Ausspülungen der Scheide vor und der Gebär¬ 
mutter selbst nach der Geburt das Puerperalfieber geradezu 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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verhüten. Das ist Causaltherapie des Fiebers, nicht Fieber¬ 
therapie, nicht Bekämpfung des Fieberprocesses. 

XIV. 

Aber nicht auf diese Art wirken alle die antipyretischen, 
oder besser gesagt antithermischen Mittel, welche das Chinin 
ersetzen, ja als allgemeines Fiebermittel weit übertreffen soll¬ 
ten, sie üben keine specifische Wirkung auf die zu bekäm¬ 
pfende Fieberursache aus, sie drücken das Fieber herab, in¬ 
dem sie neben gesteigerter Wärmeabgabe zunächst die Wärme¬ 
erzeugung herabsetzen. Und hiemit können sie uns schädlich 
sein, indem sie, ohne die Fieberursache zu bekämpfen, nur 
den Fieberverlauf unterbrechen, die Reaction des widerstands 
fähigen Körpers gegen den Fiebererreger, so lange ihre Wir¬ 
kung dauert, vernichten oder wenigstens verringern und hie 
mit die Vertheidigungsmittel des angegriffenen Organismus 
vermindern. Sie können die Wärme und mit ihr anch den 
fieberhaften Stoffwechsel selbst herabsetzen, sie werden mit 
der verminderten Körperverbrennung sogar die verminderte 
Hamstoffausscheidung herabdrücken, aber mit all dem werden 
sie dem Kranken nichts nützen. Auch dort, wo es sich um 
Krankheitserreger handelt, die bei der höchsten Fiebertempe¬ 
ratur gut gedeihen und allen Phagocyten widerstehen, auch 
dort blüht die Hoffnung und vielleicht ist eben diese die am 
meisten begründete: daß der durch das Fieber veränderte 
Stoffwechsel und also der umgewandelte fiebernde Nährboden 
den Fortschritten der pathogenen Mikrobien ein Ziel setzt. 
Diese in ihrem Werthe gewiß nicht zu unterschätzenden 
Folgen der Fieberreaction des inficirten Körpers gehen bei der 
Behandlung mit den um allen Preis wirkenden Antipyreticis 
gänzlich verloren. Man darf sich rationell nicht der Hoffnung 
hingeben, durch künstliches Herabdrücken der Wärmeerzeu¬ 
gung den fieberhaften Krankheitsproceß selbst zum Stillstand 
zu bringen. Eine Verminderung der Wärmeerzeugung ist 
nicht denkbar ohne Verminderung der Lebensthätigkeit des 
Organismus, ohne Herabsetzung seiner Reactions und Wider¬ 
standsfähigkeit. Das aber heißt Vergiftung. Der Vergiftungs¬ 
grad, mittelst dessen die Antithermica die Wärmeerzeugung 
herabdrücken, ist freilich ein relativ geringer, indem er die 
lebenswichtigen Nervencentren verschont. Aber es handelt 
sich immer um einen Grad von Vergiftung, und wenn 
man sehr empfindlichen Individuen begegnet, wenn man zu 
große Dosen des Mittels verabreicht, wenn man während 
einer beginnenden normalen Defervescenz, wie bei der Pneu¬ 
monie, auch nur mittelgroße Gaben verschreibt, so kann man 
sogar gefährliche Collapserscheinungen beobachten. In diesen 
Fällen wird die Vergiftung evident, in den anderen besteht 
sie gleichfalls, betrifft aber nur die Thätigkeit der Wärme¬ 
erzeugung. 

KV. 

Es ist einleuchtend, daß man das Fieber mit Vortheil 
nur mit denjenigen Mitteln bekämpfen könnte, welche nicht 
die Folgen des Fiebers, die gesteigerte Wärmeproduction, 
sondern die Ursache, den Fiebererreger selbst treffen, wie 
dies das Chinin im Malariafieber thut. 

Wenn man aber bedenkt, daß den verschiedenen Infec- 
tionen verschiedene pathogene Mikrobien zu Grunde liegen, 
und daß die verschiedenen pathogenen Mikrobien sich den 
desinficirenden Mitteln gegenüber sehr verschieden verhalten, 
so ist klar, daß man darauf verzichten muß, ein Mittel zu 
finden, welches gegen alle Infectionen und hiemit gegen alle 
Fieber gut wäre und doch vom Kranken vertragen würde. Es 
gibt wohl Desinfectionsmittel, souveräne Gifte gegen Alles, was 
lebt, wie die Carbolsäure und das Sublimat, aber in der 
Gabe, in welcher sie nöthig werden, um die im Organismus 
angesiedelten Mikrobien zu tödten, würden sie viel früher den 
Kranken selbst umbringen. Es könnte sich also nur darum 
handeln, Mittel zu haben, welche den lebenden specifischen 
Krankheitserreger in einer Gabe unschädlich zu machen im 
Stande wären, in welcher sie vom Körper ohne Schaden ver¬ 


tragen würden. Nach solchen Specificis gegen die verschiedenen 
Infectionen zu suchen, bleibt Aufgabe der Wissenschaft. Dann 
werden auch die Fieber aller Infectionen rationell bekämpft 
und bezwungen werden. Das wird nicht heißen, den Fieber- 
proceß vernichten, das wird heißen, das Fieber unnütz machen, 
dem Organismus seine fieberhafte Reaction ersparen, weil der 
Krankheitserreger, der Fiebererreger selbst unschädlich ge¬ 
macht wird. Es ist auch nicht unmöglich, daß unter den 
schon entdeckten oder erfundenen, oder unter den zu ent¬ 
deckenden oder zu erfindenden Antithermicis das eine oder 
andere sich gegen gewisse specielle Infectionen und somit 
auch gegen deren Fieber als Specificum bewähren wird. Aber 
gewiß werden gegen die vielen verschiedenen Arten von 
Krankheitserreger viele specifische Mittel zu erwarten sein; 
ein allgemeines Antipyreticum, das dem Kranken nicht schadet, 
das alle Fiebererreger gleich unschädlich macht, wird wohl 
immer ein frommer Wunsch bleiben. 

(Schluß folgt.) 


Ueber künstliche Frühgeburt. 

Von Prof. Dohrn in Königsberg.*) 

Wer die Geschichte der geburtshilflichen Operationen 
verfolgt. wird die Einsicht gewinnnn, daß in Deutschland 
keine einzige der geburtshilflichen Operationen größere Schwan¬ 
kungen in ihrer Werth Schätzung erfahren hat, als die 
künstliche Einleitung der Frühgeburt. Nahezu 50 Jahre ver¬ 
strichen, bis man sich in Deutschland, dem Beispiele Englands 
folgend, zu der - ersten Vornahme der künstlichen Frühgeburt 
entschloß, und schwer haben die Anhänger dieser Operation 
kämpfen müssen, um ihr den gebührenden Platz in der Ge¬ 
burtshilfe zu schaffen. 

Osiander schrieb im Jahre 1820: „Die Früchte, welche 
diese Lehre in Deutschland tragen wird', wird die Nachwelt 
zu würdigen wissen. Meine Schüler aber sollen mir so wenig 
nachsagen können, daß ich sie das Erzwingen einer Früh¬ 
geburt, als das Enthimen und Zerstückeln einer Leibesfrucht 
gelehrt habe. Moral und Polizei können diese sogenannte 
Kunst nicht in ihren Schutz nehmen.“ 

Dem Urtheile Osiander’s schlossen sich Jörg und Stein 
der Jüngere an. Vor Allem war es der Einfluß des Franzosen 
Baudelocque , welcher der künstlichen Frühgeburt in den 
Weg trat. 

In den nächsten Decennien wandte sich die Anschauung ; 
in mehreren deutschen Kliniken hatte sich die Operation gut 
bewährt, verschiedene Geburtshelfer maohten von ihr aus¬ 
gedehnten Gebrauch, und um die Mitte dieses Jahrhunderts 
schien der künstlichen Frühgeburt ihr Platz unter den ge¬ 
burtshilflichen Operationen gesichert. Da trat Spiegelbkeg 
im Jahre 1868 mit neuen Einwendungen hervor. Er stellte 
die Resultate der bisherigen künstlichen Frühgeburten zu¬ 
sammen, hielt diesen die Ergebnisse der rechtzeitigen Nieder¬ 
künfte bei einer größeren Zahl von engen Becken gegenüber 
und kam zu dem Schluß, daß es besser sei, die Schwanger¬ 
schaft nicht künstlich zu unterbrechen. 

Daß Spiegelberg’s Gegenüberstellung einen richtigen 
Einblick in den Werth der künstlichen Frühgeburt nicht 
liefern konnte, wurde indeß bald dargethan. 

Von Stadfeldt wurde in Dänemark und von mir wurde 
1874 auf der Naturforscher-Versammlung in Wiesbaden darauf 
hingewiesen, daß nur solche Resultate von Werth wären, 
welche aus einer Vergleichung der künstlichen Frühgeburten 
und der rechtzeitigen Niederkünfte bei denselben Personen ge¬ 
zogen wären. Daß dies der allein richtige Weg ist, um einen 
Einblick in den Nutzen der künstlichen Frühgeburt zu ge¬ 
winnen, erkennt in jetziger Zeit gewiß Jedermann an. 


*) Vortrag, gehalten in der Section für Geburtshilfe und Gynäkologie 
des X. Intern, raed. Congresses. 


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1890 


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Die heutige Werthschätzung der Operation ist wesentlich 
einer derartigen richtiger gedachten Zusammenstellung vod 
Resultaten zu danken. 

Aber selbst in der neuesten Zeit noch schien der Ge¬ 
brauch der künstlichen Frühgeburt wieder eine Einschränkung 
erfahren zu sollen, als unter dem Einfluß der Antiseptik durch 
die Perforation und den Kaiserschnitt Resultate erzielt wurden, 
die man früher nicht annähernd erreicht hatte. Auch diese 
Erschütterung ist verwunden, und gerade von Seiten der 
Operateure. welche die glänzendsten Resultate bei Kaiser¬ 
schnitt und Perforation aufzuweisen hatten — ich will hier 
nur Lkh'old nennen — wurde davor gewarnt, die künstliche 
Frühgeburt zu Gunsten dieser Operationen herabzusetzen. 

Wer öfters bei engen Becken die künstliche Frühgeburt 
geübt hat. wird zweifellos ihre Erfolge schätzen gelernt haben. 

Meine eigene Erfahrung darüber beläuft sich auf 76 Fälle, 
und wenn ich die Resultate derselben überschaue, so stehe 
ich unter dem Eindruck, daß es sich hier um eine segens¬ 
reiche Operation handelt. In einer größeren geburtshilflichen 
Praxis fehlt es niemals ganz an gelegentlichen traurigen Er¬ 
lebnissen. Ich möchte dem gegenüber die Erfolge nicht ent¬ 
behren, welche uns die künstliche Frühgeburt zu liefern 
vermag. Ich habe Fälle erlebt, in welchen das Glück der 
ganzen Familie vollauf und allein dieser Operation zu danken war. 

Ueber die in Deutschland erzielten Resultate haben uns 
W yd er und Leopold lehrreiche Zusammenstellungen geliefert. 
Wyder gibt uns eine Uebersicht von 180 Fällen von Beckenenge 
aus antiseptischer Zeit. Ich kann denselben 91 weitere Fälle 
hinzuzählen (14 von Kehrer, 48 von Leopold und 34 von mir). 
Die Erfolge waren diese: 271 künstliche Frühgeburten er¬ 
gaben 163 = 60'1% lebend erhaltene Kinder, dagegen lieferten 
bei denselben Personen 171 rechtzeitige Niederkünfte nur 
50 = 29*2% lebend erhaltene Kinder. 

Nehmen wir nun an, es wären jene 271 Fälle nicht der 
künstlichen Frühgeburt unterworfen worden, so würden sie 
voraussichtlich auch nur 29'2% — 79 lebende Kinder ergeben 
haben. Wir kommen sonach zu dem Resultat, daß in jenen 
271 Fällen dem Kinde durch die künstliche Frühgeburt 84mal 
das Leben gerettet worden ist. 

Berücksichtigen wir das Resultat für die Mutter, so 
fand Wyder unter 225 Fällen von künstlicher Frühgeburt 
12mal Tod der Mutter verzeichnet. Ich kann diesen 93 mit 
4 Todesfällen hinzurechnen (45 von Leopold, 14 von Kehreu 
und 34 eigene Beobachtungen) Es ergeben sich dann auf 
318 künstliche Frühgeburten 16 Todesfälle der Mutter = 
5%. Das ist freilich noch eine hohe Zahl, aber von der 
Mortalitätsziffer rechtzeitiger Niederkünfte bei engem Becken 
wird sie gewiß übertroffen. Auch läßt sich wohl nicht be¬ 
zweifeln , daß mit fortschreitender Beherrschung der Anti¬ 
septik die Mortalitätsziffer für die Mutter noch erheblich 
verringert werden wird. J ) 

Wir können jedenfalls mit vollem Rechte sagen, daß in 
Deutschland die künstliche Frühgeburt gute Resultate auf¬ 
zuweisen hat. 

Die bisherigen Ergebnisse der Perforation können ihr 
nicht an die Seite gestellt werden. Es hat uns zwar Leopold 
gezeigt, daß auch bei dieser Operation die besten Resultate 
zu erhalten sind, denn unter 71 Perforationsfällen verlor er 
nur 2 Operirte an Eelampsie. Dem entgegen lieferten aber 
215 Perforationen aus den Kliniken von Berlin, Halle und 
Leipzig noch 12 Todesfälle — 5'6° 0 . Sonach wäre, wenn man 
auch ganz von dem Verlust des kindlichen Lebens absehen 
wollte, selbst im Interesse der Mutter noch zweifelhaft, ob 
ihr mit der Perforation besser gedient wäre, als mit der 
künstlichen Einleitung der Frühgeburt. 

Vollends aber darf der Kaiserschnitt in allen den 
Fällen , in welchen die Weite des Beckens und die Zeit der 

‘) Neuerdings hat Aiii.kei.d eine Uebersicht über 111 Frühgeburten bei 
engem Becken gegeben, unter welchen nur einmal ein Todesfall der Mutter j 
vorkam. 


Schwangerschaft noch die künstliche Frühgeburt zuläßt, dieser 
Operation das Feld nicht streitig machen. Wenn Leopold 
unter 23 Fällen noch 8'6°/ 0 der Operirten verlor, so müssen 
wir uns fragen: um wie viel würde diese auf den Eingriff 
eines gewiegten Operateurs gefolgte Mortalität noch hinauf¬ 
gehen, wenn auch in der weiteren Praxis in derartigen Fällen 
der Kaiserschnitt geübt würde? Wenngleich auch in seinen 
23 Kaiserschnittfällen 87% der Kinder gerettet wurden, so 
fällt das gegenüber 60% der Kinder, wie sie durch die künst¬ 
liche Frühgeburt gerettet sind, kaum in’s Gewicht. Die 
Todesfälle der Mütter drücken den Erfolg wieder herunter. 

Eine Beckenenge von 7—8 Cm. Conjugata halte ich, 
wie dies schon in früheren Publicationen von mir ausge¬ 
sprochen wurde, für die nur in der Conjugata verengten 
Becken als die geeignetste Indication für die künstliche Früh¬ 
geburt, und für die gleichmäßig verengten, sowie für die 
allgemein verengten platten Becken liefert diese Grenz¬ 
bestimmung zugleich brauchbaren Anhalt. Es ist von 
Einigen die Meinung geäußert worden, daß die Conjugaten- 
größe von 7 Cm. zu tief gegriffen sei; ich habe von künst¬ 
lichen Frühgeburten bei platten Becken dieses Grades 65 Fälle 
aus der neueren Literatur zusammenstellen können, welche 
40 lebende Kinder ergaben = 61%, demnach ein dem Ge- 
sammtergebniß entsprechendes Resultat. 

Zum Schlüsse möchte ich nur noch auf Eines hinweisen. 
Jeder von uns wird sich sagen, daß wir die Erfolge der 
künstlichen Frühgeburt noch weit über die bisher erzielten 
Resultate hinaus steigern können. Strengste Antisepsis, ge¬ 
naue Diagnose des Beckens, sorgfältige Abschätzung der 
Größe des Kindes, Herstellung einer regelmäßigen Lage des¬ 
selben, das sind die Hauptbedingungen für den glücklichen 
Erfolg. Vor operativer Herausforderung des Kindes möchte 
ich warnen, wenn sie nicht dringend geboten ist. Es hat auch 
in Deutschland bei einigen Geburtshelfern nicht an schlechteren 
Resultaten gefehlt. Sehen Sie sich die Fälle derselben durch, 
so werden Sie finden, daß in manchen derselben die Viel¬ 
geschäftigkeit operativer Eingriffe die Schuld getragen hat. 

Meine These lautet: 

„Bei Schwangeren mit ßcckenenge mittleren Grades 
(7 und 8 Cm. Conjugata vera) ist in der Regel die künstliche 
Frühgelnirt als das geeignetste Entbindungsverfahren anzu¬ 
sehen. Für derartige Fälle ist der Werth der künstlichen 
Frühgeburt auch durch die neuerdings gebesserten Resultate 
des Kaiserschnitts und der Perforation nicht erschüttert 
worden.“ 


Ueber die 

Mikroorganismen der Krebsneubildungen. 

Von Dr. P. J. Kubassoff, Privatdocent an der 
Universität Moskau. 

(Schluß. *) 

Schließlich will ich noch einige Fälle von Magencarcinom 
anführen, die letal verliefen und von welchen Culturen von 
Krebsbacterien auf Thiere übertragen wurden. 

Der erste von ihnen, ein 23 jähriger Soldat, wurde. 3 Wochen 
nach dem Beginn seiner Erkrankung, am 21. Juni in’s Hospital auf¬ 
genommen, woselbst eine offene Wunde unter dem rechten Schlüssel¬ 
bein und Schwellung der benachbarten Lymphdrüsen gefunden 
wurde. Die speckig belegte Wunde veränderte sich nicht bis zum 
Tode und rührte von einem spontan durchgebroehcnen Abscesse her. 
Der I'at. war sehr abgemagert, afr nichts, klagte über Schmerzen 
in der Magengrube und erbrach nach jedem Essen. Die Haut hatte 
eine fahle Farbe, die Herztöne waren rein, der Bauch eingefallen, 
schmerzhaft auf Palpation, die Temperatur stieg nur einmal auf 
38-1. Am 9. September zeigte sich ein subcutanes Emphysem an 
mehreren Körperstellen, welches sich immer mehr ausbreitete. Der 

*) Siehe Nr. 31. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


Patient erbrach selbst die Medicamente, der Kräfteverfall nahm 
immer zu, und unter diesen Erscheinungen trat am 13. September 
der Tod ein. Die Section ergab ein Carcinom des Magens und des 
PancreaB. Das anatomische Bild war ein ähnliches, wie ich es 
früher von meinen Versuchsthieren beschrieb. Leider habe ich von 
diesem Falle keine Cultur angelegt. 

Der zweite Fall betrifft einen 24jährigen Gensdarmen, der 
im September 1888 erkrankte und Ende October in’s Hospital auf¬ 
genommen wurde. Der blasse und mäßig genährte Kranke klagte 
über Schmerzen in der Magengrube, Uebelkeit, Aufstoßen, schlechten 
Appetit und geringe Verstopfung. Der linke Leberlappen war auf 
Druck empfindlich, die Temperatur normal. Es wurde dieDiaguose: 
Magencatarrh gestellt, und am 12. November konnte der Kranke 
das Spital gebessert verlassen; doch sollte die Besserung nicht lange 
anhalten. Schon am 27. November kehrte der Kranke wieder mit 
denselben Klagen in’s Krankenhaus zurück. Diesmal war er aber 
abgemagert. Es fanden sich diffuse feuchte Rasselgeräusche in den 
Lungen, Empfindlichkeit der Magengegend bei Druck, Oedem der 
Lider. Der Kranke erbrach 3mal täglich, am 3. December sogar 
Blut. Am 6. December wurde ein Drüsenpacket in der linken 
Bauchhälfte constatirt. Die Schmerzen und die Abmagerung nahmen 
stetig zu. Dazu gesellteu sich noch vom 12. December an abend¬ 
liche Temperatursteigerung bis 38’5 und starke linksseitige Kopf¬ 
schmerzen. Eine wegen Verdacht auf Bandwürmer vorgenomrnene 
Abtreibungscur blieb erfolglos. Am 14. December konnte im Ge¬ 
biete der Flexura sygmoidea eine höckerige Geschwulst constatirt 
werden. Die Untersuchung des Blutes ergab eine Abnahme der 
rothen Blutkörperchen, die sich in verschiedenen Stadien des Zer¬ 
falles befanden und schwach gefärbt waren. Unter stetiger Zunahme 
der Schwäche und Abmagerung ging der Kranke am 23. December 
zu Grunde. Die Section ergab höchsten Grad von Anämie aller 
Gewebe, der Querdurchmesser des Herzens etwas vergrößert, der 
Herzmuskel blaß und gelockert. In der Bauchhöhle eine geringe 
Menge serös-eitriger Flüssigkeit. Die Därme sind an ihrer Ober¬ 
fläche mit weichen fibrinösen Gerinnseln bedeckt. An der kleinen 
Magencurvatur in der Nähe des Pylorus eine feste Geschwulst von 
speckigem Aussehen, von der Form und Größe einer Gurke, die 
Schleimhaut des Magens aber nicht ulcerirt. Der Dünndarm stellen¬ 
weise von einer kaffeesatzartigen Masse erfüllt. Bei genauer Be¬ 
sichtigung des Magens fanden sich unter der Serosa an verschiedenen 
Stellen mehrere Knoten von verschiedener Größe; die Magenwand 
ist mehrfach verdickt, an den verdickten Stellen hat dieselbe ein 
gallertartiges Aussehen und läßt keine Grenzen der verschiedenen 
Schichten wahrnehmen. In den Knoten wurden Bacterien in großer 
Menge gefunden, die, isolirt und rein gezüchtet, sich von den oben 
beschriebenen nicht unterschieden. 

Ein dritter Fall betrifft einen 21jährigen Soldaten, der nach 
dem Essen stets erbrach, starke Schmerzen im Magen hatte, 
die sich nach Einnahme von Speisen vermehrten. Appetitlosigkeit 
und Athembeschwerden. Im weiteren Verlaufe wurde der Magen 
stark aufgetrieben. Am 8. März trat Erbrechen nach dem Essen, 
Schüttelfrost und heftige Schmerzen in der oberen Bauchhälfte auf. 
Temperatur 395. Am 9. wurde der Kranke hochgradig cyanotisch, 
der Puls war nicht mehr fühlbar und unter Erscheinungen des 
Lungenödems und unter heftigen Schmerzen im Bauche trat der 
Tod ein. Bei der Section fand sich in der linken Brusthälfte ein 
geringes seröses Exsudat, die Bronchialdrüsen waren stark ver¬ 
größert, verdichtet und zeigten grauweiße Streifen und Punkte auf 
dem Durchschnitte. Im Pericardium hämorrhagische Flüssigkeit, das 
Peritoneum, besonders in der unteren Bauchhälfte, stellenweise von 
weißlichen, die Oberfläche überragenden Plaques, stellenweise vou 
Fibringerinnseln bedeckt. In der Bauchhöhle eine geringe Menge 
einer serös-blutigen Flüssigkeit, das Fett bedeutend geschwunden. 
Die Därme mit einem Fibrinnetz bedeckt, das große Netz mit der 
großen Magencurvatur und dem Colon transversum verwachsen. In 
der Nähe des Pylorus zeigte die Magenschleimhaut eiu Geschwür 
von 4 Quadr. Cm. Größe, mit unebenem, dunkelgrauem Boden und 
ausgenagten Rändern. Der Boden dieses Geschwüres, seine Ränder 
und fast der ganze Pylorustheil des Magens von harter, fast kuorpel- 
artiger Consistenz. Das Pancreas vergrößert, mit dem Magen und 


1302 

dem Duodenum durch Krebsknoten verwachsen. Die Leber ist 
etwas vergrößert, auf der Oberfläche der Kapsel befindet sich am 
rechten Lappen ein dichter, haselnußgroßer Knoten, im linken Lappen 
einige kleine oberflächliche Knötchen. Die Mosenterialdrüsen an 
mehreren Stellen vergrößert. Aus den Knoten wurden Bacterien ge¬ 
züchtet, die mit den früher beschriebenen identisch sind. 

Alle diese drei Fälle beziehen sich auf junge Individuen, 
welche anfangs die Erscheinungen eines Magencatarrhs dar¬ 
boten. Berücksichtigt man die bei den Thieren nach Fütterung 
mit Reinculturen von Krebsbacterien aufgetretenen Erseliei 
nungen, so muß man zugeben, daß in manchen Fällen, die 
als Magen- oder Darmcatarrh angesehen werden, ein Carcinom 
des Magens, des Darms oder des Zwerchfells besteht, zumal 
in Fällen, welche durch die Section nicht controlirt werden 
können. Die mit den von den Krebsknoten der beschriebenen 
Fälle gezüchteten Bacterien angestellten Versuche an Kaninchen 
und Hunden haben ganz dasselbe Resultat ergeben, wie die 
vorher beschriebenen Thierversuehe. 

Aus alledem glaube ich, den von Koch augestellten 
Postulaten entsprechend, den Schluß ziehen zu dürfen, daß 
die von mir gefundenen und gezüchteten, soeben beschriebenen 
Bacterien als die Erreger des Krebses anzusehen sind. 


Notizen 

über die 

Denguefieber-Epidemie und die Influenza- 
Epidemie zu Smyrna. 

Von Dr. G. Diamantopulos. 

(Fortsetzung. *) 

Hauteruptionen. 

Man hat bei unserem Denguefieber die zwei classischen 
Arten der Hauteruptionen häufig beobachtet. Sie traten immer 
zeitweilig von einander getrennt auf, indem in den ersten 
zwei Tagen der Krankheit in 10—15% der Fälle eine erythe- 
matöse oder scharlachähnliche Röthung mit mäßiger Schwellung 
der Haut des Gesichtes, vorzüglich der Seiten desselben, des 
Halses und der oberen Theile der Brust zum Vorschein kam; 
die Theile sahen so echauffirt aus, wie nach einem Dampf¬ 
bade. Dieser Ausschlag verschwand wieder nach mehreren 
Stunden oder den folgenden Tag. Viel häufiger, in 30—40% 
der Fälle und vielleicht öfter noch, wurde der später um den 
4. —ß. Tag der Erkrankung erscheinende Ausschlag beobachtet. 
Die Eruption desselben geschah immer unter Exacerbation des 
vorhandenen geringfügigen, resp. Wiederauftreten des ver¬ 
schwundenen Fiebers und dauerte, je nach seiner Intensität 
und Extensität, 3—5 und mehr Tage. Dieser terminale Aus¬ 
schlag ähnelte am meisten dem Masern- oder Röthelnausschlag, 
bestand aus kleinen, stecknadelkopf- bis hirsekomgroßen und 
größeren, in verschiedenen Nuancen rothen, meist runden, hie 
und da länglichen Papeln und verursachte starkes Jucken. 
Er saß am massenhaftesten an den Extremitäten, vorzüglich 
an den Vorderarmen und Unterschenkeln und dichter an 
den Streckseiten derselben, dann an Hand- und Fußrücken, 
geringer dagegen oder gar nicht an den übrigen Theilen des 
Körpers und am Gesichte. In den Fällen, wo die Hände und 
Füße stark besetzt waren, waren die Handteller und die Fu߬ 
sohlen diffus dunkelroth und geschwollen, ohne daß man ein¬ 
zelne Eruptionen unterscheiden konnte. In manchen Fällen 
war die ganze Hautoberfläche stark besäet. Beim Waschen 
mit kaltem Wasser verschwand die Röthung des Ausschlages 
durch mehrere Secunden und man fühlte dann nur die 
leichte Rauhigkeit der Hautoberfläche. Das Jucken am 
ganzen Körper dauerte noch nach dem Erblassen und 
Verschwinden des Ausschlages, und war oft um diese Zeit die 

*) Siehe Nr. 31. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


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Hauptklage der Kranken. Eine Abschuppung in Form von 
kleinen kleienförmigen Schuppen, welche der Intensität des 
Ausschlages proportionell war, fand durch viele Tage statt. In 
manchen Fällen traten mitten in diesem Ausschlage Urticaria¬ 
knoten auf. 

Re cidi ve. 

Die Pat. sprachen oft von Recidiven, die wahren, un¬ 
zweifelhaften Recidiven jedoch waren nicht häufig. Manche 
Pat., die schon am 5.—6.—7. Tage fieberfrei waren, bekamen 
wieder Fieber und alle Erscheinungen des Dengues, um viel¬ 
leicht nach anderen 7—8—10 Tagen sozusagen einen neuen 
Anfall zu haben. Das waren aber keine Recidive, sondern 
ein protrahirter, relapsähnlicher Verlauf des Dengueprocesses, 
welcher sich mit dem ersten Anfalle nicht erschöpfte, ln 
diesen Fällen konnte von einer neuen Infection nicht die 
Rede sein. Einige Individuen jedoch, vielleicht 1—2%, welche 
ein regelmäßiges Denguefieber mit allen classischen Erschei¬ 
nungen, sogar mit reichlichem terminalem Exanthem vor 1 bis 
3 Monaten überstanden hatten, haben die Krankheit nochmals 
durchgemacht, wobei hie und da sich auch der charakteristi¬ 
sche Ausschlag einstellte. In diesen Fällen ist es zulässig, 
von einer neuen Infection zu reden. 

Allgemein war die Ansicht, daß der terminale Ausschlag 
insoferne von günstiger Bedeutung sei, als damit der Proceß 
sein Ende zu erreichen schien. Nach meinen Beobachtungen, 
was auch ein Zufall sein kann, nahmen eben jene Fälle den 
bereits erwähnten protrahirten Verlauf, welche ohne Eruption 
einhergingen, freilich nicht alle, dagegen waren die Fälle, 
welche mit Exanthem verliefen, vor einem Recidive nicht 
sicher. 

Con tagiosität. 

Es ist noch immer ein Gegenstand der Controverse, ob 
das Denguefieber contagiös ist oder nicht, und gewichtige 
Stimmen haben sich gegen die Contagiosität desselben erhoben. 
Alle Aerzte des Orients, welche die Epidemie des vorigen 
Jahres beobachteten, sind einig über die Contagiosität des 
selben. Das Denguefieber war in der That nicht nur 
contagiös, sondern auch stark contagiös, wie etwa die Masern 
und ähnliche Krankheiten. Die Empfänglichkeit ist allgemein, 
und wenn ich etwa 75° 0 der ganzen Bevölkerung der Stadt 
als vom Dengue befallen angegeben habe, so ist vielleicht 
diese Zahl zu niedrig gegriffen. Die Contagiosität geht aus 
der Verbreitungsweise der Epidemie hervor. 

Sie hat in der oberen Stadt angefangen und blieb 
mindestens 10 Tage daselbst beschränkt; von da verbreitete 
sie sich zuerst in die ihr am nächsten gelegenen und mit ihr 
viel verkehrenden Viertel und Vorstädte, und dann langsam 
auch in alle übrigen. Als die Epidemie in den später be¬ 
fallenen Vierteln in der Blüthe stand, kamen in den zuerst 
befallenen nur noch wenige Fälle vor, gewissermaßen als 
Nachzügler, und als die Epidemie in den anderen Stadt¬ 
vierteln in starker Abnahme begriffen war, wurden die ent¬ 
legensten, mitten in Gärten und zerstreut liegenden Häusern 
befallen. Sehr charakteristisch ist die Verbreitungsweise der 
Krankheit in die anderen Gegenden zu Land und zu Wasser. 
Am frühesten wurden nicht jene Städte und Dörfer befallen, 
welche näher an unserer Stadt, welche den Mittelpunkt bildete, 
gelegen sind. sondern jene, welche regelmäßig und stark 
mit ihr verkehren; Magnesia, Menemene, Aidin etc., welche 
täglich durch mehrere Eisenbahnzüge mit Smyrna communi- 
eiren, wurden schon anfang August heimgesucht, ebenso 
alle größeren Eisenbahnstationen, während andere zwischen 
Smyrna und diesen Städten gelegene Localitäten, welche un- 
regelmäßig und weniger verkehren und außerhalb der Eisen¬ 
bahnlinien liegen, später erkrankten. Die Krankheit folgte 
den Communicationslinien. Auf den Inseln wurden zuerst jene 
Seestädte ergriffen, welche durch Dampfschiffe regelmäßig 


verkehren, und von da verbreitete sich die Krankheit in die 
im Innern gelegenen Dörfer. Alle Seestädte, Mitylene, Chion, 
Samos, Dardanellen, Aiwali, Canea u. s. w., wurden 1 bis 
lV a Monate später befallen, während Constantinopel, welches 
mit allen Gegenden, wo das Denguefieber herrschte, stark 
verkehrte, sehr kurze Zeit nach Smyrna erkrankte. 

In Piräus wurde nachgewiesenermaßen die Krankheit 
durch Smyrnaer Reisende eingeschleppt. 

Da das Denguefieber keine endemische Krankheit von 
Kleinasien und den kleinasiatischen Inseln ist, so konnte es 
entweder spontan entstanden oder von Außen eingeschleppt 
worden sein. Da die Krankheit aber nicht in allen Städten 
auf einmal ausgebrochen ist, sondern langsam die eine nach 
der anderen ergriif, so muß man annehmen, daß, wenn erstere 
Hypothese richtig ist, die Krankheit successive und unab¬ 
hängig in jeder Stadt entstand, und zwar mit Vorzug zuerst 
in den stark mit Smyrna verkehrenden, wenn auch even¬ 
tuell sehr weit von dieser Stadt gelegenen Orten. Eine solche 
Hypothese kann nicht aufrecht erhalten werden und wider¬ 
spricht allen unseren Erfahrungen über die spontane Ent¬ 
stehung und Verbreitungs weise der Infectionskrankheiten. 
Dagegen erklärt sich Alles ungezwungen durch die Annahme 
einer Einschleppung, und eine solche hat von Beiruth oder 
Alexandrien stattgefunden. Ich berufe mich, was das betrifft, 
auf das Zeugniß mancher Collegen, welche die Einschleppung 
constatirt haben, da ich im ersten Anfänge der Epidemie auf 
der Reise war. 

(Schlnß folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Dr. D. Kranzfeld (Odessa) beschreibt und empfiehlt 
in Nr. 20 des „Ctrbi. f. Chirurg.“ eine neue osteoplastische 
Amputation8methode am Fuße (Amputatio talo-calcanea osteo- 
plastica). Die in einem Falle von schwerer Verletzung mit Erfolg 
angewendete Methode wird in typischer Weise folgendermaßen aus¬ 
geführt: Es wird ein horizontaler Hautschnitt vom hinteren Rande 
der Fibula unterhalb desselben nach vorn bis zur CHOPART’schen 
Gelenklinie geführt. (Eventuell kann dieser äußere Schnitt noch 
weiter nach hinten zum Tendo Acbillis verlängert werden.) An der 
Innenseite beginnt der Hautschnitt 2 Cm. vor und unterhalb des 
Malleolus internus und wird dann bogenartig in der Linie des 
CHOPART’schen Gelenkes nach oben und außen bis zur Vereinigung 
mit dem äußeren Schnitte geführt. Von beiden Endpunkten dieses 
Schnittes werden zwei bogenartige, bis zur Mitte der Planta pedis 
gehende Schnitte der Weichtheile geführt. Dann wird der vordere Theil 
des Fußes im CHOPART’schen Gelenk exarticulirt und das Capitulum tali 
abgesägt. Mit einem starken Messer wird von außen in das Gelenk zwi¬ 
schen Talus und Calcaneus eingedrungen. Die nachfolgende Abtragung 
des unteren Theiles des Talus stellt den einzigen schwierigen Moment 
der Operation dar und wird mittelst Stichsäge, eventuell eines breiten 
Meißels vollzogen. Zuletzt wird der vordere Theil des Calcaneus 
abgesägt und der Plantarlappen vollendet. Bei der Adaptirung der 
durchsägten Knochen, welche ungemein leicht zu Stande kommt, ist 
auf richtige Versetzung des Calcaneus nach vorn aufmerksam zu 
machen. Im eingaugs erwähnten Falle ist jetzt, obwohl der Pat. 
schon fast 3 Monate auf seinem Stumpfe ohne jede Prothese auf- 
tritt, keine Neigung zur Retraction des Stumpfes nach hinten zu 
bemerken, und ist Verf. geneigt, von der erhaltenen Thätigkeit der 
Musculatur abgesehen, diesen Umstand der Versetzung des Calcaneus 
nach vom zuzuschreiben. Im Allgemeinen würde die Indication für 
diese Operation dort gegeben sein, wo bei gesundem Talus und 
Calcaneus die Hautbedeckung nicht ausreicht, um einen Chopart zu 
gestatten. Während es bei diesem von großer Bedeutung ist, viel 
Haut an der Planta pedis zur Lappenbildung zu haben (wegen der 
Neigung zur Retraction des Stumpfes und der davon abhängenden 
Möglichkeit des Auftretens auf die Narbe), kann K.’s Operation auch 
bei mangelhafter Ilautbedeckung gemacht werden, da bei ihr, nach 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


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dem beschriebenen Falle zu urtheilen, eine solche Retraction nicht zu 
befürchten ist. Bei tuberculösen Erkrankungen spricht für diese 
Operation noch die Möglichkeit, den Zustand des Talus und des 
Calcaneus zu controliren. Im Vergleich zu der modificirten osteo¬ 
plastischen Unterschenkelamputation nach Pjrogoff erweist sie sich 
als mehr conservativ und am meisten die normale Länge der Extre¬ 
mität erhaltend. Bei Kindern kommt noch der Vortheil hinzu, daß 
die Verletzung der Epiphysenknorpel an den unteren Enden der 
Cruralknocheu vermieden wird. 

— In der letzten Sitzung der dermatologischen Vereinigung 
zu Berlin („Deutsche Med.-Ztg.“, Nr. 58) berichtete Blaschko über 
die Resultate der Anwendung des Antipyrin in der Dermato- 
therapie. Das Antipyrin wurde zunächst bei jener mit heftigem 
Jucken einbergehenden, durch das Auftreten urticariaäbnlicher Papeln 
gekennzeichneten Krankheit versucht, die von der Wiener Schule 
als Vorstufe des Prurigo bezeichnet, von anderen Urticaria papulosa 
genannt wurde. B. bat in Fällen, die bei der sonst erfolgreichen 
Behandlung mit Theerbädern und Naphtolspiritus unbeeinflußt ge¬ 
blieben waren, von dem Antipyrin nicht nur symptomatische Besso 
rung, sondern dauernde Heilung gesehen. Die causale Wirkung ist 
wohl dadurch zu erklären, daß der Juckreiz beseitigt wurde, der 
die Kranken zum Kratzen veranlaßte; das Kratzen selbst ruft dann 
Neueruptionen von Knötchen hervor, die ihrerseits wieder einen 
neuen Juckreiz abgeben. B. gab Antipyrin mit Saccharum zu gleichen 
Theilen und ließ Abends eine Messerspitze bis einen halben Thee- 
löffel nehmen. Bei Kindern ordinirte er: 


Rp. Antipyrini.5’0 

Syrup. simpl.25’0 


DS. Abends 1 Theelöffel. 

Auch bei der Urticaria selbst leistet das Antipyrin sympto 
matisch gute Dienste, wenn es auch neue Eruptionen nicht ver¬ 
hindern kann. Beim nervösen Pruritus und beim Prurigo ist Anti¬ 
pyrin in einer dreimal täglich verabreichten Dosis von 0 5—1*0 
recht wirksam. Wenn auch das Exanthema exsudativum multiforme 
gewöhnlich keine Therapie verlangt, so gibt es doch hartnäckige, 
mit Jucken und Gelenk schmerzen einhergeheude Fälle, die durch 
Antipyrin sehr günstig beeinflußt werden. Bei einem Kranken, der seit 
Jahren an einem stets reoidivirendeu Pemphigus litt und in Folge 
seines Leidens starke Arseudosen (Intoxication) ohne durchschlagenden 
Erfolg erhalten hatte, verschwand die Krankheit nach Antipyrin- 
gebrauch, ohne innerhalb einer Beobachtungszeit von IO Monaten 
eiue Recidive zu veranlassen. Gleich groß war der Erfolg der Anti- 
pyrinbehandlung bei einem Falle von Lichen ruber planus, der den 
üblichen Behandlungsmethoden gegenüber sich refraetär gezeigt hatte. 
Schließlich ist auch bei der Eczemtherapie das Antipyrin mit Nutzen 
als ein Juckon verminderndes Mittel neben der localen Behandlung 
zu verwenden. Koebner bat von der subcutanen Anwendung des 
Antipyrins bei Pruritus senilis, sowie bei Urticaria chronica ein 
zelne, durchaus aber nicht coustante Erfolge gesehen. Er hebt hervor, 
daß gerade Hautkranke wenig Disposition für Arzneiexantheme haben. 
Blaschko hat niemals der Anwendung des Antipyrins Arzneiaus¬ 
schläge folgen sehen. Von der der innerlichen Darreichung gleich¬ 
wertigen subcutanen Einführung einer 5proc. Antipyrinlöguug hat 
er bald der dem Eingriff folgenden Schmerzhaftigkeit wegen Ab¬ 
stand genommen. 

— Dr. Pannwitz empfiehlt in der „Deutschen militärärztlichen 
Zeitschrift“, 7. Heft, die Behandlung der Unterschenkelgeschwüre 
mit Tricotschlauchbinden. Es sind dies aus feinem Tricotgewebe 
schlauchartig hergestellte Binden, mittelst welcher er in mehreren 
Fällen von Ulcus cruris überraschend günstige und rasche Erfolge 
erzielt hat. Auch bei Krampfadern und Oedemen der Unterschenkel 
aus den verschiedensten Gründen läßt er solche Binden anstatt 
Gummibinden oder Strümpfen mit bestem Erfolge tragen, wobei nicht 
nur die Schmerzen nachlassen, sondern auch eine entschiedene Kräfti¬ 
gung der durch die Stauung erschlafften Gewebe eintritt. Auch in 
einem Falle von Circulationsstörung bei incompensirtem Herzfehler 
und Morb. Brightii wurde durch Einwicklung mit diesen Binden 
erhebliche Besserung erzielt. Dieselben besitzen an Elasticität Alles, 
was für Einwicklungen der unteren Gliedmaßen verlangt werden 


muß, schmiegen sich den Umrissen des Beines leicht an, so daß 
sie von den Pat. selbst ohne das sonst nöthige Umchlagen angelegt 
werden können, rutschen beim Gehen nicht ab und üben überall 
den gewünschten gleichmäßigen Druck auf die Unterlage aus. Ein 
großer Vortheil liegt ferner in der Porosität, welche die Perspi¬ 
ration des Gliedes nicht beeinträchtigt. Die Binden sind leicht zu 
reinigen und zu desinficiren und vertragen dies mehrere Male, ohne 
ihre Elasticität einzubüßen; endlich sind dieselben namentlich mit 
Rücksicht auf ihre Waschbarkeit sehr billig. 

— Stabsarzt Dr. v. Kobylecki macht in Nr. 7 der „Deutschen 
militärärztlichen Zeitschrift“ auf die resorbirende und entziindungs- 
widrige Eigenschaft des Creoiin aufmerksam. Bei einem Knöchel¬ 
bruch , der mit hochgradiger Anschwellung in Folge sehr starken 
Blutergusses mehrere Stunden nach der Verletzung in seine Behand¬ 
lung kam, brachten Creolinwasserumschläge binnen 4 Tagen die 
Anschwellung total zum Schwinden. Bei allen phlegmonösen Pro¬ 
cessen und Anschwellung der Gelenke in Folge von Contusion oder 
Verstauchung liefert das Creoiin sehr befriedigende Resultate, doch 
ist auf das Feuchthalten des Verbandes durch zweistündliches, selbst 
öfteres Begießen mit Creolinwasser Gewicht zu legen. Bei Orchitis 
und Epidydimitis ist der Erfolg der Creolinanwenduug ein so durch¬ 
schlagender und die Behandlungszeit wird dadurch so wesentlich 
herabgesetzt, daß K. dieses Mittel gegenwärtig allen übrigen vor¬ 
zieht. Der Kranke muß selbstverständlich Bettruhe beobachten, das 
Scrotum wird hochgelagert und der kranke Hoden einmal täglich 
mit reinem Creoiin gepinselt, bis Heilung eintritt. Eisumsohläge oder 
Eisblase, FRiCKE’scher Verband, Alles fällt weg. Irgendwelche 
üblen Folgen hat K. nie gesehen , selbst dann nicht, als sich der 
Kranke aus Mißverständniß dreimal am Tage gepinselt hatte. Unter 
Anwendung dieses einfachen Verfahrens runzelt sich alsbald die 
Haut, und gewöhnlich schon am 3. oder 4. Tage überzeugt man sich, 
daß die Verkleinerung des Hodens bedeutende Fortschritte macht; 
dasselbe Resultat, zu dessen Erreichung man sich gewöhnlich viele 
Woeben plagen muß, erreicht man in diesen Fällen in 8 bis 14 
Tageu. 

— Ole Bull empfiehlt in der „Zeitschrift f. Ohrenheilkunde“ 
(XX. s. 175 ) die Behandlung derCariesund Necrose des Schläfen¬ 
beins vermittelst Säuren, besonders Salz- und Salpetersäure in 2 
bis 4°/ 0 Lösung. Dieselben wirken nicht als Caustica, sondern als 
lösende Mittel, da sie die erdigen Substanzen der necrotischen 
Knochen extrahiron und dadurch ahsorbirbar machen. Gleichzeitig 
wirken sie antiseptisch. B. hat 7 Patienten mit Caries des äußeren 
Gehörganges durchschnittlich innerhalb 11 Wochen geheilt. Nicht so 
günstig war das Resultat in den Fällen, wo Communication mit 
i der Paukenhöhle oder eine Affection des Malleus bestand. 

! — Bronn KR empfiehlt in der „Zeitschr. f. Ohrenh.“ (Cbl. f. 

j d. med. Wiss. Nr. 29) Menthol und Eucalyptusöl zur localen 
Anwendung bei Affectionen des Mittelohres, und zwar sowohl 
j in Form von Schnupfpulver (Borsäure und Menthol [2 Proc.| 
als auch in Form von Dämpfen). Einige Tropfen einer 2proc. 
t Lösung von Menthol in Olivenöl oder Alkohol werden in eine 
| Desinfeetionskapsel gegossen, welche Baumwolle oder Stücke von 
i Bimsstein enthält und mit dem Katheter einerseits, mit dem Lucae- 
schen Doppelbalkeu andererseits verbunden ist. Die Mentholdämpfo 
sollen 1 —2 Minuten durch den Katheter eingeblasen werden. Verf. 
hat auch, sritdem er Menthol bei Lufteinblasuugen in das Mittelohr 
anwendet, keinen Fall mehr beobachtet, in welchem während oder 
nach der Behandlung Schmerzen oder Eiterung eintraten, während 
ihm früher bei Anwendung ungereinigter Luft verschiedene solche 
Fälle vorgekommen sind. Daß bei letzterem Verfahren Entzündungs- 
I erreger in das Mittelohr gebracht und dadurch eine einfache catarrha- 
I lische in eine purulente Entzündung verwandelt wird, hält er für 
! zweifellos. Ob die betreffenden Mikroorganismen durch das Menthol- 
i und Eucalyptusöl getödtet oder an der Entwicklung gehindert werden, 
! möchte Verf. nicht sicher behaupten, da er keine Culturversuche 
gemacht hat. 

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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—0. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

Aus den allgemeinen Sitzungen. 

Axel Key (Stockholm): Ueber die Pubertätsentwicklung und 
das Verhältnis derselben zu den Krankheiteerscheinungen 
der Jugend. 

Eine der schönsten Aufgaben im Leben ist die Erziehung 
unserer Kinder; ihre körperlichen und geistigen Mittel zu fördern 
ist unsere Pflicht. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, hat 
Redner sich die Frage aufgeworfen, ob unser modernes Erziehungs¬ 
system geeignet ist, mens sana in corpore sano zu ermög¬ 
lichen. So viel darüber gedacht wurde, so hat man doch keine 
Untersuchungen über den Gesundheitszustand der Schuljugend an- 
gostellt. Erst in neuerer Zeit hat man iu Schweden und Däne 
mark Messungen und Wägungen von Schulkindern vorgenommeu. 
Die zunächst (in Schweden) an 15.000 der Mittelschulen (der höheren 
Schulen in unserem Sinne) und 3000 Mädchen aus Privattöchter- 
schulen, also sämmtlich Kindern der wohlhabenderen Stände, er¬ 
zielten Ergebnisse waren die folgenden: 

Im 7. und 8. Lebensjahre ist das Wachsthum bei Knaben 
nach Länge und Gewicht ziemlich stark; sodann aber tritt eine 
Verzögerung ein, die bis zum 14. Jahre andauert, wo sie einer 
beträchtlichen Steigerung des Wachsthums weicht. Diese Steigerung 
hält an bis zum vollendeten 17. Jahre, sie ist am stärksten im 15., 
während die Mindestzunahme der vorhergehenden Periode in das 10. 
Jahr fällt. Die Wachsthumssteigerung bezieht sich zunächst auf die 
Länge, erst später macht sie sich auch im Gewicht geltend, am 
stärksten im 16. Jahre. Die Gewichtszunahme dauert fort bis zum 
vollendeten 19. Jahre, wo dann die körperliche Entwicklung des 
Jünglings abgeschlossen scheint. Bei den Mädchen verläuft die 
Sache etwas anders. Die Abnahme des Wacbstbums nach dem 
8. Jahre ist nicht so stark wie bei den Knaben, im 12. Jahre 
schon ist sie hinsichtlich der Länge einer starken Steigerung ge¬ 
wichen ; die Gewichtssteigerung folgt auch hier der Längenzunahme 
nach, überholt dieselbe aber schon im 14. Jahre. Im 17. und 18. 
Jahre ist die Längenzunahme nur noch schwach, die Gewichtssteige¬ 
rung dagegen sinkt erst im 20. Jahre bis fast auf Null. Damit 
scheint auch hier das Wachsthum beendet. Merkwürdig ist nun, 
daß der Knabe in seinem Gesammtwachsthume bis zum 11. Jahre 
dem Mädchen überlegen ist. Von da ab bis zum 16. wird er von 
diesem überholt; dann wiederum tibertrifft sein Wachsthum das des 
Mädchens. Diese Verhältnisse erwiesen sich mit geringen Ab¬ 
weichungen an den verschiedenen Orten Schwedens als gleichartig. 
Was die internationalen Verhältnisse betrifft, so kommt nach den in 
Amerika und Italien angestellten Messungen die Pubertätsperiode 
bei den Mädchen mindestens um ein Jahr früher zum Abschlüsse. 
Bei den Kindern ärmerer Volksclassen sind Länge und Gewicht ge 
ringer, als bei denen der Wohlhabenden, wie an 4000 Volksschülern 
in Stockholm festgestellt wurde. Dieser Unterschied scheint in 
Amerika und den englischen Städten weniger scharf ausgeprägt. 

Die Abnahme des Wachsthums vor der Pubertät ist bei den 
ärmeren Classen länger andauernd als bei den wohlhabenderen; ein¬ 
mal begonnen, vollzieht sich aber der Eintritt der Pubertät schnell 
und endet in demselben Jahre wie bei Jenen. Es beweist dies, daß 
der kindliche Organismus eine beträchtliche Spannkraft besitzt, 
welche, durch ungünstige äußere Umstände unterdrückt, doch mit 
voller Wucht zur Geltung kommt und alles Versäumte nachholt, 
sowie sie durch geeignete Umstände — hier der Trieb der schwellend¬ 
sten Jugendentwioklung — ausgelöst wird. Sind allerdings die hin¬ 
dernden Umstände zu stark und wirken sie zu lange, so kann auch 
ein dauerndes Zurückbleiben die Folge sein. Das oben erwähnte 
Verhalten, wonach das Längenwachsthum der Gewichtszunahme voran¬ 
geht, steht Redner nicht an, für ein im allgemeineren Sinne gesetz¬ 


mäßiges anzusehen, namentlich auch im Hinblicke auf die Unter¬ 
suchungen Uber die Zunahme der Kinder in verschiedenen Jahres¬ 
zeiten, wie sie durch Wretling in Schweden, dann aber in weit 
vollständigerer Weise durch den Pastor Malling-Hansen in Kopen¬ 
hagen durchgeführt sind. Dieser hat Jahre hindurch tägliche, ja 
zeitweise täglich mehrmalige Wägungen mit seinen Zöglingen vor- 
geuommen. Dabei ergab sich, daß von November, bezw. December 
bis März-April ein nur schwaches Längen- und ein noch schwächeres 
Gewichtswachsthum stattfindet. Darauf folgt von März April bis 
Juli-August ein starkes Längenwachsthum, während das Gewicht 
zurückgeht, oft um fast so viel, als es in der vorhergehenden 
Periode zugenommen hat. Endlich kommt von August bis November 
bei nur noch geringer Zunahme der Länge eine starke Zunahme 
des Gewichtes. Diese Verhältnisse zeigeu also eine alljährliche 
Wiederholung der für die Zeit der Pubertätsentwicklung gefundenen 
Regel. Es fragt sich nun, sind sie unmittelbar physiologisch be¬ 
gründet oder bilden sie nur die Frucht äußerer Einflüsse, etwa der 
Schuleinrichtungen? Hängen sie vielleicht mit der Anordnung der 
Ferien zusammen? Erklärt sich die Stockung des Wachsthums im 
Winter aus hemmenden Eiuflüssen des Winterklimas oder aus der 
sitzenden Lebensweise bei schlechter Zimmerluft, wie sie diese Jahres¬ 
zeit in erhöhtem Maße mit sich bringt? Dann hätten namentlich 
die nordischen Länder alle Ursache, den Schädigungen ihres langen 
Winters in jeder Weise entgegenzuarbeiten und namentlich die Com- 
pensation derselben durch die Soramerferien bestmöglichst auszu- 
nutzeu. 

Wie steht es nun mit den Gesundheitsverhältnissen der Schul¬ 
jugend während der Pubertätsentwicklung ? Diese Frage hat mau iu 
Schweden und Dänemark durch eingehende Umfrageu erschöpfend 
zu beantworten gesucht — zunächst nur für die chronischen Leiden 
und erblichen Schwächezustände und Bleichsucht, habituelles Kopf¬ 
weh, Rückgratsverkrümmung und „andere chronische Krankheiten“. 
Die Kurzsichtigkeit wurde ebenfalls in Betracht gezogen und ganz 
entsprechend den von Cohn ermittelten Verhältnissen befunden, sie 
blieb aber bei der Erörterung der Gesammtverhältuisse, weil sie 
sich mit sonstiger guter Gesundheit sehr wohl verträgt, außer Be¬ 
tracht. Da stellte sich denn heraus, daß von den 15.000 Knaben 
der Mittelschulen in Schweden gegen 40% krank sind; 14% 
leiden au habituellem Kopfweh, 13% an Bleichsucht. In den ersten 
und letzten Schuljahren liegt die Sache am schlimmsten. In den 
Vorbereitungsschulen sind von den 8chüleru der untersten (ersten) 
Classe 17%, der 3. Classe 37%, der obersten (vierten) Classe 
40% krank. In Dänemark steht es ähnlich. Da die mittleren 
Classen der Mittelschulen weniger ungünstig gestellt sind, so kann 
der Fehler nicht wohl an der Organisation der Schulen liegen; 
denn die Ansprüche der Schulen steigen regelmäßig mit den Jahren. 
Es ist eben das Wachsthumsverhältniß der Pubertätszeit, welches 
sich hier geltend macht. In der Zeit des verzögerten Wachsthums 
ist die Krankheitsziffer am größten, in der Zeit stärkster Zunahme 
des Wachsthums ist sie am kleinsten. Für die Jünglinge ist das 
17. Lebensjahr das gesundeste, widerstandsfähigste, vom 18. an 
verschlechtert sich der Gesundheitszustand wieder. Erschreckend 
liegen die Verhältnisse bei den Mädchen in Schweden. Die Krank 
heitsziffer bei jenen 3000 war 61%, davon 36% bleichsttchtig, 
ebenso viel mit habituellem Kopfweh, 10° 0 mit Rückgratsverkrüm¬ 
mung, 5% mit Scrophulose. Letztere Krankheit tritt in Scan ii- 
navien nur schwach auf. Im 13. Lebensjahre steigt die Krankheits¬ 
ziffer auf 65%, dann sinkt sie, aber nie unter 60, um später sogar 
wieder bis auf 68 zu steigen. In Dänemark sieht es besser aus, 
aber auch nicht gnt; denn die Krankheitsziffer der Mädchen ist 
49%- Unzweifelhaft hängen diese Zahlen mit den Anforderungen 
der Schule zusammen, die für die Mädchen viel zu hohe sind. 
Redner bezeichnet die weitere Klärung dieser Verhältnisse durch 
gleichartige internationale Untersuchungen als höchst wünschens¬ 
wert und widmete dann noch den Schulanforderungen eine Schlu߬ 
betrachtung. In Schweden beginnt die tägliche Arbeitszeit des 
Schülers in den Unterlassen der Mittelschulen mit 7 Stunden durch¬ 
schnittlich und steigt bis auf 10—11, ja 11 —12 und auf einzelnen 
Schulen sogar 14 Stunden für den Schüler der überlassen. Dabei 
muß notwendig die Erholung und namentlich der Schlaf zu kurz 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 1310 


kommen. 10—11 Standen Schlaf sind für den jüngeren, 8—9 für 
den älteren erforderlich, aber mehr als 7 für letzteren durchschnitt¬ 
lich nicht verfügbar. Hertel (Kopenhagen) fand, daß diejenigen 
Schiller, welche weniger schliefen, als das von ihm für zulässig er¬ 
achtete Maß beträgt, um 7°/ 0 mehr Krankheiten aufwiesen, als die 
anderen. Von den 2000 hierauf untersuchten Stockholmer Gymna¬ 
siasten war die entsprechende Mehrerkrankung in den oberen 
Classen 5 1 s °/ 0 , in den unteren sogar 8°/ 0 . Auch über die Fähig¬ 
keit des Schülers, dem Unterricht zu folgen, sind gleichfalls Unter¬ 
suchungen angeptellt. Dieselbe war in den drei Unterclassen der 
Mittelschule am geringsten, was wieder mit den obigen Verhältnissen 
zu8aramentrifft und den Beweis erbringt, daß hier die Anforderungen 
der Schule ermäßigt werden müssen. Redner erinnert an Rousseau's 
Wort: „Haben wir erst den Knaben mit einem gesunden und kräf¬ 
tigen, in jeder Beziehung wohlausgebildeten Körper bis zur Puber¬ 
tät herangebildet, so wird auch sein Verstand sich unter fortge¬ 
setzter, naturgemäßer Leitung und Unterweisung schnell entwickeln 
und volle Reife erlangen, und wie viel kräftiger wird nicht dann 
auch seine körperliche Entwicklung während der Blüthezeit der 
Jugend, der Pubertätsperiode werden!“ Rousseau wollte kaum von 
einem gezwungenen Leseu in einem Buche vor dem 12. Jahre wissen. 
So weit wird ihm ja Niemand folgen, aber gewiß müssen wir lernen, 
besser als jetzt unsere Anforderungen dem kindlichen Organismus, 
dessen Stärke und Widerstandsfähigkeit während der verschiedenen 
Entwicklungsphasen anzupasseu, besser als jetzt die Gesundheit und 
die kräftige körperliche Entwicklung der Jugend fördern. Deshalb 
stimme ich von ganzem Herzen den Worten bei, die Johann Peter 
Frank, der Vater der Schulhygiene, vor 100 Jahren aussprach: 

.Schont ihrer Faser noch, schont ihres Geistes Kräfte; 

Verschwendet nicht im Kind des künftigen Mannes Säfte!“ 

_ s. 

Aus den Sectionen. 

Section för Neurologie und Psychiatrie. 

N. G. Kjellberg (Upsala): Ueber Nicotinpsychose. 

Der Vortragende leitete seine Ausführungen mit der Bemerkung 
ein, daß die primäre Verrücktheit nicht eine Einzelkrankheit, sondern 
ein Collectivbegriff von mehreren Krankheiten sei, und zwar von 
lntoxicationen, welche hauptsächlich das Nervensystem angreifen. Von 
diesen lntoxicationen ist die des Alkohols schon ziemlich genau be¬ 
kannt, während man über die Wirkungen des Nicotins im gewöhn¬ 
lichen Tabak noch sehr im Ungewissen ist. Wir wissen jedoch, 
daß die Geisteskrankheiten in ihrer Zahl sich sehr vermehren, und 
der Vortragende glaubt, daß unter den Ursachen dieser traurigen 
Erscheinung der zunehmende Tabakgenuß eine hervorragende Rolle 
spielt. Es sei daher eine Aufgabe der Psychiater, dieser Frage ihre 
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. 

Das Alkaloid Nicotin ist der wichtigste chemische Bestandteil 
der westiudischen Pflanze Nicotiana Tabacum; es ist in reinem 
Zustande eine farblose, leicht lösliche Flüssigkeit von starkem Ge¬ 
ruch nach Tabak und sehr scharfem brennendem Gesehmack, löst 
sich leicht in Wasser, Alkohol und Aether, reagirt dabei stark 
alkalisch und bildet einfache krystallisirende Salze. Die Menge des 
Nicotins soll im Virginiatabak die größte sein. 

Auf den menschlichen Körper wirkt das Alkaloid als eines 
der stärksten Gifte; nur dem Grade nach ist die Wirkung des 
Tabaks von der des Nicotins verschieden. 

Nach Versuchen im Laboratorium des Prof. Schroff in Wien 
sind die Einwirkungen des Nicotins auf den gesunden Körper fol¬ 
gende: In Dosen von 1—3 Milligramm genommen, bewirkte das 
Alkaloid Anfangs eine scharfe brennende Empfindung auf der Zunge 
und im Schlunde, mit gesteigertem Speichelfluß, Empfindung von 
Wärme im Magen, in den Extremitäten und im ganzen Körper. 
Bald nachher tritt Kopfweh ein, Schwindel, Schläfrigkeit, trübes 
Gesicht und schwaches Gehör, beschleunigte und erschwerte Re¬ 
spiration. 

Eine halbe bis drei Viertelstunden nach der Aufnahme des 
Giftes folgte eine Empfindung außerordentlicher Erschlaffung und 
Schwäche, das Gesicht erbleichte, der ganze Körper fühlte sich kalt 


wie Eis an und es stellten sich Anfälle von Ohnmächten und Er¬ 
brechen ein. Die Symptome steigerten sich bis zum Zittern und 
chronischen Krämpfen der Respirationsmuskeln. 

Nach drei Stunden fingen die Symptome an nachzulassen, aber 
die Nachwirkungen dauerten noch einige Tage. Spätere Experimente 
zeigten auch, daß die erste Einwirkung des Giftes eine excitirende 
ist, die nachherige aber eine deprimirende und lähmende.. Die 
Functionen des Gehirns und Rückenmarks werden zunächst ge¬ 
steigert, aber nach dieser Erhöhung folgt Abspannung und Schwäche. 
Das ganze voluntäre Muskelsystem ist diesem Einfluß unterworfen, 
der sich dann nach dem Herzen verbreitet, um endlich zum vaso¬ 
motorischen System überzugehen. Das sind die Wirkungen dieses 
furchtbaren Giftes auf den gesunden Körper, wenn es ia Dosen von 
nur 1—3 Milligramm genommen wird. Was werden dann erst 
1,200.000. Kilogramm desselben Alkaloids leisten können, womit 
der Ertrag der ganzen Erde jetzt berechnet wird?! Wie viele 
Menschen sich des Tabaks bedienen, läßt sich nicht genau fest¬ 
stellen, aber annähernd werden sie auf 800 Millionen geschätzt. 
Ein jeder verbraucht im Durchschnitt l 1 / 2 Grm. Nicotin jährlich 
oder 4 Milligramm pro Tag, viele weniger, viele aber auch er¬ 
heblich mehr. Daß so große Dosen vertragen werden können, zeigt 
die Eigenschaft des menschlichen Nervensystems, sich schädlichen 
Angewöhnungen anpassen zu können. 

Die erste Begegnung mit dem Gifte des Tabaks wird immer 
vom cerebralen Nervensystem als eine schmerzhafte und feindliche 
empfunden, und es gehört immer eine gewisse Gewalt gegen die 
Natur dazu, um sie wiederholen zu können. 

Wenn diese Warnung der angegriffenen Nervenzelle nicht 
beachtet wird und die Versuche mit der nothwendigen Beharr¬ 
lichkeit erneuert werden, dann vergeht allmälig das widrige Gefühl 
und der Reiz bleibt als ein bald unentbehrlicher Stimulus; das 
cerebrale Nervensystem wird am Ende so gereizt und geschwächt, 
daß die Entbehrung als ein wahres Leiden aufgefaßt wird, und es 
besteht dieselbe Sehnsucht nach erneutem Genüsse des Giftes, wie 
sie bei Alkoholisteu und Morphinisten cönstatirt ist. 

Die Einwirkung des Nicotins ist sehr verschieden nicht nur 
bei verschiedenen Gattungen von Tabak, sondern auch bei der ver¬ 
schiedenen Verwendung. Beim Rauchen können nur die Zertheilungs- 
producte, die dem Rauchen folgen, einwirken. Es sind jedoch 
mehrere Fälle nicht nur von nervösem Erethismus, sondern auch 
von ausgebildeter Psychose in Folge übermäßigen Tabakrauchens 
bekannt. Daß auch durch zu reichlichen Gebrauch von Tabak zum 
Schnupfen psychische Erscheinungen hervorgerufen werden können, 
davon hat der Vortragende mehrmals Gelegenheit gehabt, sich zu 
überzeugen. 

Die größte Gefahr bringt indessen der Gebrauch des Tabaks 
zum Kauen. Die gewöhnliche Form für diese Verwendung ist der Rollen¬ 
tabak, wovon allerdings kleiuere Gaben, ohne psychische Uebel 
hervorzurufen, genommen werden können. Steigt aber der tägliche 
Genuß über 10—12 Grm. echton und guten Tabaks, dann wird 
leicht der pathologische Boden betreten und die Sensation fängt 
an abnorm zu werden. Noch leichter verwirklicht sich dieser 
Uebergang, wenn der pulverisirte Schnupftabak zum Kauen ver¬ 
wendet wird. 

In den letzten Decennien hat der- Gebrauch von Schnupftabak 
zum Kauen sich m mehreren Gegenden des Nordens, besonders unter 
den Seeleuten, Fabriksarbeitern u s. w. sehr verbreitet. 

Der Vortragende tbeilt hierauf der Versammlung einige 
Krankengeschichten aus der Anstalt zu Upsala mit, wo derartige 
lntoxicationen durch Tabak oftmals Vorkommen. Es wurde dabei 
täglicher Genuß von Rollen- und Schnupftabak von 20—27 Grm. 
während längerer Zeit cönstatirt. Die vorgetragenen .Krankheits¬ 
geschichten zeigten eine augenscheinliche Aehnlichkeit mit einander 
nicht nur in Bezug auf den Verlauf, sondern auch in Bezug auf 
die Symptome. Bei allen war ein schwerer Mißbrauch von Tabak 
cönstatirt, und der Vortragende glaubte sich berechtigt, die vorhan¬ 
denen lntoxicationen als chronische Nicotinvergiftung zu bezeichnen. 
Es wurde sodann die Nicotinpsychose als besondere Krankheit 
skizzirt, und zwar in folgender Weise. 

2* 


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Die Nicotinpsychose, „Nicotinosis mentalis“, ist eine 
wahre primäre Geisteskrankheit mit eigentümlichen, klinisch er¬ 
kennbaren Symptomeu und regelmäßigem Verlaufe, die unter die 
mentalen Intoxicationen einzutragen ist. Als allgemeine Charaktere 
wurde ein peinliches Gefühl der Schwäche und des Unvermögens 
bezeichnet, nebst früh eintretenden Hallucinationeu und Wahnideen 
und suiciden Neigungen. Die Krankheit hat ein Prodromalstadium 
und drei unter einander verschiedene Krankheitsstadien. 

Prodromstadium. Der Kranke hat längere Zeit sich un¬ 
wohl gefühlt, seine allgemeine Stimmung verändert sich, er zeigt 
eine nicht gewöhnliche Unruhe, die sich zu vorübergehender Angst 
steigern kann, er schläft weuig und hat keine Lust zu den gewöhn¬ 
lichen Beschäftigungen, er ist geneigt zu trüben Grübeleien und ge¬ 
plagt von Herzklopfen und ungewöhnlicher Angst. Dieser Zustand 
dauert l 1 ^—3 Monate. Dann tritt die Psychose ein. 

Erstes Stadium. Die Aufmerksamkeit des Kranken wird 
von lebhaften Ilallucinationen erfaßt und er wird von diesen neuen 
und überraschenden Erforderungeu ganz in Anspruch genommen. 
Er hört Stimmen, Visionen treten für ihn auf; er hat das Gefühl, 
als wenn etwas Fremdes in seinem Körper wäre und es drängen 
sich sonderbare Vorstellungen in sein Gewissen hinein, von welchen 
er sich nicht frei machen kann. Falsche, fixe Ideen coinbiuiren sich 
oftmals mit suiciden Trieben; die Stimmung ist fortwährend eine 
trübe, der Kranke fühlt sich müde und angegriffen, zur Einsamkeit 
und Ruhe gestimmt; zeitweise hat er kurze Anfälle von Schrecken. 
Sonst ist er aber ruhig und folgsam, spricht wenig und niemals, 
ohne früher aufgefordert zu werden, dann aber logisch und mit 
guter Auffassung; er klagt über schmerzhaftes Gefühl im Herzen, 
peinliche Schlaflosigkeit und über die Stimmen, die ihm keine Ruhe 
lassen. Die Ernährung geht nicht zurück, denn der Kranke speist 
gewöhnlich gut, obschon er oftmals von schlechtem Appetit und 
verdorbenem Essen spricht. Nach 6—7 Monaten tritt die Krankheit 
in ein neues Stadium. 

Zweites Stadium. Die Stimmung hebt sich und man findet 
den Kranken mit fröhlicher Miene Uber seine Wahrnehmungen 
sprechen. Er erzählt von dem Besuche von Engeln , hat den 
Himmel, aber auch die Hölle und die bösen Geister gesehen. Er 
singt und spricht leise für sich selbst ohne Unterbrechung; die 
Bewegungen werden kräftiger, er bewegt sich mit einer gewissen 
Unruhe. Die Hallucinationen des Gehirns und Gesichts steigern 
sich und der Kranke ist zu Zwangsbewegungen genöthigt. Dieser 
Zustand ist periodisch, die Perioden diuern gewöhnlich von 2 bis 
zu 4 Wochen mit Intervallen von unbestimmter Länge. 

Der Kranke liegt dann erschlafft und träge, die Stimmung 
ist düster und unzufrieden, die Aufmerksamkeit gemindert, die Auf¬ 
fassung sehr langsam, die Sprache deutlich und logisch, aber 
zögernd. Dieses Stadium kann sehr lange dauern; aber wenn 
keine Reconvalescenz sich zeigt, geht sie allmälig in ein letztes 
Stadium Uber. 

Drittes Stadium. Die Intervalle gehen in einander über 
und die Perioden erhöhter Stimmung schwinden nach und nach; 
das Gemüth bleibt ruhig, aber reizbar, die Auffassung ist sehr be¬ 
schränkt. Die Hallucinationen fahren fort und der Kranke sinkt 
allmälig iu einen Zustand allgemeiner psychischer Schwäche, während 
sein körperlicher Zustand sich verbessert, und er ist auch vielleicht 
zu gewöhnlicher BeschäftigiTng nicht ganz unbrauchbar. 

Der Vortragende geht dann zur Prognose und Behandlung 
der Krankheit Uber und meint, daß im ersten und zweiten Stadium die 
Prognose noch ziemlich gut sei. Im dritten Stadium wieder ist die 
Genesung nicht mehr zu erwarten. Die Behandlung fordert vor 
Allem gänzliche Entziehung von Tabak, die jedoch allmälig durch¬ 
zusetzen wäre, weil der Kranke sonst sehr peinlichen Gefühlen und 
vielen Leiden unterworfen wäre. Dann sind kräftige Diät, Be¬ 
wegung in frischer Luft und Gebrauch von Mineralwässern sehr zu 
empfehlen; unter diesen glaubt der Vortragende dem Carlsbader 
Wasser, zwei- bis dreimal des Tages genommen, den Vorzug geben 
zu sollen. A. 


Sectlon für Hygiene. 

Körösi (Budapest): Neue Beiträge zur Frage des Impfschutzes. 

(Zweite Serie.) 

Die neue Beobachtungsweise, welche Vortragender für die 
Todtenbeschau in 10 Städten und für die Krankenaufnahmen in 
19 Spitälern eingeführt hat, zielt dahin, den bisher noch fehlenden 
directen und ziffermäßigen Beweis über die Wirksamkeit 
oder Nutzlosigkeit der Vaccination herzustellen. Die erste Serie 
seiner Beobachtungen umfaßte 40.882 einzeln untersuchte Patienten 
und Verstorbene und wurde der letzten (Washingtoner) Sitzung des 
Congrosses unterbreitet, ist seither auch selbstständig („Kritik 
der Vaccinations Statistik“) erschienen. Seither hat Referent diese 
Beobachtungen weiter fortgesetzt und es auf 111.954 einzeln beob¬ 
achtete Fälle gebracht, womit er nun abschließt und das Gesammt- 
ergebniß wieder dem Congresse unterbreitet. Seine Untersuchungen 
beziehen sich sowohl auf die Frage des Impfschutzes, wie auf 
jene der Impfschäden und erstrecken sich demuach auf folgende 
Themata: 


1. Einfluß der Impfung auf die Pockenerkrankung der Gesammt- 


2- „ 

» 

n 

bevölkerung (Morbidität), 

„ „ Pockensterblichkeit der Gesammt- 

3- „ 

» 


bevölkerung (Mortalität), 

„ „ Pockensterblichkeit der Erkrankten 

(Letalität), 


4. Untersuchungen über die Wahrscheinlichkeit, daß durch die Vacci¬ 


nation Syphilis, Rothlauf, Hautkrankheiten, Lungen¬ 
tubereu lose, Rhachitis oder Scrophulose überimpft 
(bez. erzeugt) würden. 

Die Untersuchung über Morbidität und Mortalität der Geimpften 
und Ungeimpfteu war bisher unmöglich, weil man glaubte, hiezu 
unbedingt die Anzahl der lebenden Geimpften und Ungeimpften, 
und zwar nach Altersclassen kennen zu müssen, — ein statistisches 
Datum, das man bisher für kein einziges Land (von Städten auch 
nur für eine kleinere Stadt, nämlich Chemnitz — die Zählung 
Flinzer’s —) kennt. Aus bloßen Mortalitätsdaten Schlüsse zu 
ziehen, schien aber in Folge eines für derartige Untersuchungen in 
der Statistik bisher geltenden Principes unstatthaft. Referent beweist 
nun, daß die allgemeine Generalisirung dieses Principes ein Irrthum 
gewesen, daß man in gewissen Füllen auch aus bloßen Mortalitäts¬ 
daten richtige Schlüsse ziehen könne, falls man nur die Beobach¬ 
tungen von vornherein für diesen Zweck einrichtet. So lange letzteres 
mangelt, war es freilich unmöglich, Schlüsse zu ziehen. So war 
z. B. in der Vaccinationsstatistik kein Resultat zu hoffen, so lange 
man blos bei Pockentodten fragte, ob die Betreffenden geimpft 
gewesen seien. Würde man aber diese Frage bei allen Todes¬ 
fällen stellen, so wäre auf diese Weise ein präcises Maß dafür zu 
gewinnen (freilich nicht, wie groß die Pockenmortalität Geimpfter 
und Ungeimpfter an sich sei, wohl aber dafür), um wie viel die 
Mortalität der Einen jene der Anderen übertreffe. Das genügt 
aber vollkommen, um die Größe des Impfschutzes (nicht der 
Pockensterblichkeit) zu erkenuen. — Referent hat in Folge 
dessen in Budapest die Einrichtung getroffen, daß der Impfstand 
für jeden Todesfall erfragt werde; es gelang ihm ferner, diese 
Neuerung auch noch in neun ungarischen Städten, also insgesammt 
für einen Bevölkerungscomplex von 750.000 Seelen, einzuführen. 
Desgleichen wurde diese Einrichtung auch iu 19 ungarischen 
Spitälern angenommen und drei Jahre hindurch fortgeführt. 

Referent faud nun folgende ziffermäßige Werthe für den durch 
die Vaccination erzielten Schutz der Geimpfteu gegenüber den Un¬ 
geimpfteu. Derselbe beträgt 

gegen die Gefahr, an Pocken zu erkranken, das 2 x / 4 fache, 

„ „ „ „ „ „ sterben, nahezu das 5fache, 

„ „ „ eines letalen Ausganges (nur für Pockenkranke, 

und zwar aus Spitälern berechnet), das 2 '/ 4 fache. 

Alle diese Beobachtungen sind auch für die einzelnen Alters- 
classen durchgeführt. Im Alter bis zu 20 Jahren, wo also der 
Schutz der im Kindesalter vorgenommeneu Impfung noch anbält, 
nimmt die Geschütztheit der Geimpften noch größere Dimensionen 
an; so für die Erkrankungsgefahr das 5- bis 6fache, für die Sterbe- 


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gefahr das 12faohe (!), für die Gefahr eines letalen Ausganges der 
Krankheit das 4fache. 

Als das gewichtigste Argument der Impfgegner betrachtet 
Referent den Einwand, daß die Ungeimpften, weil alle Schwächlichen 
und Kranken, ferner weil die Kinder der Armen enthaltend, schon 
von Haus aus eine geringere Widerstandskraft mitbringen, als die 
Geimpften, in Folge dessen eingewendet werden konnte, daß deren 
größere Gefährdung nicht eine Folge der unterlassenen Impfung, 
sondern ihrer schwächeren Constitution sei. Statistische Vergleiche 
zwischen Geimpften und Ungeimpften müßten daher vor Allem davon 
ausgehen, zu constatiren, ob eine solche constitutioneile Gefährdung 
der Ungeimpften bestehe und wie groß das Maß derselben sei. 
Da nun Referent drei Jahre hindurch in 19 Spitälern für jeden 
aufgenommenen Kranken (selbst für Augen- oder Ohrenkranke, 
chirurgische Fälle, Selbstmörder etc.) die Frage nach dem Impfstande 
protokolliren ließ, war er in Folge dessen in der Lage, dies¬ 
bezüglich 43.976 an ihn eingesendete Krankenzettel aufzuarbeiten. 
Das Ergebniß war, daß wirklich der letale Ausgang aller Krank¬ 
heiten bei den Ungeimpften häufiger ist: auf je 100 Todesfälle bei 
Geimpften kommen bei den Ungeimpften im Durchschnitt 150. Unter 
den Pockenkranken starben aber auf 100 Geimpfte 
nicht weniger als 500 Ungeimpfte. Wenn es also auch 
nicht richtig war, diese ganze Bruttosteigerung von 4OO°/ 0 auf 
Rechnung der Nichtimpfung zu stellen und hiebei den Einfluß des 
constitutionellen Factors ganz zu übersehen, so bleibt doch, nach 
Abrechnung dieses Factors, noch immer eine Nettosteigerung der 
Letalitätsgefahr um 221 °/ 0 übrig, welche Steigerung ausschlie߬ 
lich auf die Unterlassung der Impfung zurückzuführen ist. 

Es muß bemerkt werden, daß sämmtliche vorher genannten, 
•zu Ungunsten der Ungeimpften sprechenden Ausschläge, auf der¬ 
artigen Nettoberechnungen beruhen. 

Bei der Untersuchung der Impfschäden stellte sich Folgendes 
heraus: 

Für die Syphilis kam aus den Spitälern sehr reichliches 
Morbiditätsmaterial zusammen: 68 läßt sich jedoch aus demselben 
eine Verbreitung der Syphilis durchaus nicht erkennen ; wenn also 
hie und da Syphilisirungen Vorkommen, so gehören diese in die 
Kategorie der seltensten Unglücksfälle, deren verschwindendes Ge¬ 
wicht, dem colossalen Gewichte des Impfschutzes gegenüber, gar 
nicht zum Ausdrucke gelangen konnte. Mit der Verbreitung der 
animalischen Lymphe wird übrigens die Gefahr der Syphilisirung 
ganz verschwinden. 

Man kann ferner nicht behaupten, als ob Lungeutuber- 
culose durch die Vaccination verbreitet worden wäre. 

Desgleichen wurde in den Spitälern keine Verbreitung von 
Hautkrankheiten bei Erwachsenen beobachtet; falls also 
die Vaccination bei diesen Hauterkrankungen erzeugt, müssen die¬ 
selben so geringfügig gewesen sein, daß die Betroffenen das Spital 
gar nicht aufsuchten. Wohl aber ergab sich aus der Beobachtung der 
im Budapester Stephanie-Kinderspital (Director Bökay) ambulato 
risch behandelten Kinder, daß bei diesen, bis zum 7. Jahre, die 
Häufigkeit der, übrigens fast nie letal verlaufenden, Hauterkrankungen 
um 13°/ 0 zunahm. 

Für Rothlanf ist die Uebertragung, beziehungsweise Er¬ 
zeugung durch Impfung als möglich, aber entschieden als überaus 
selten anzunehmen. 

Für Scropheln kam nicht genug reiches Material zu¬ 
sammen ; die Möglichkeit einer geringen Verbreitung derselben durch 
die Impfung scheint nicht unmöglich. 

Für Rhachitis lagen zu wenig Beobachtungen vor. 

Fassen wir die Gesammtheit der gewonnenen R e s u 11 a t e zu¬ 
sammen, so finden wir in dem Vorhergesagten ziffermäßige Beweise 
für den colossalen Schutz, welchen die Impfung gegen die Pocken¬ 
gefahr bietet. Die Vaccination ist ein großartiges Präservativmittel, 
mit dessen Wirkungen auf dem ganzen Gebiete der Medicin sich 
kein auderes dürfte messen können. Die Impfung schützt die Ge¬ 
sunden in imposantester Weise vor der Gefahr der Blatternerkrankung, 
die schon Erkrankten aber vor jener des Sterbens, und erstreckt 
sich dieser Schutz auf alle Altersolassen. Dabei ist die Impfung 
eine beinahe absolut ungefährliche Operation; die Gefahren, denen 


man sich durch dieselbe aussetzt, sind — nicht nur im Verhältnisse 
zu der Großartigkeit der zu gewinnenden Vortheile, sondern auch 
an und für sich — minime, für alle Fälle unvergleichlich geringere 
als jene, welche irgend eine andere wichtigere Operation begleiten, 
und können selbst diese Nachtheile der Impfung durch vorsichtige 
Wahl der Impfstoffe und gehörige Durchführung der Operation noch 
weiter herabgemindert werden. 

Immerhin muß man zugeben, daß die Wohlthat der Vaccination, 
jener seinerzeit einem Wunder gleich angestaunten, seither aber mit 
unseren fortgeschrittenen physiologischen Erfahrungen schon in 
harmonischen Einklang gebrachten Schutzkraft eines eingeimpften 
Virus, nicht ohne ein gewisses Entgelt erworben werden kann. 
Wie bei anderen Operationen, so ist auch bei der Impfopera¬ 
tion, welche schließlich doch die Einführung eines Giftes in den 
menschlichen Organismus bedeutet, eine Schädigung des letzteren, 
namentlich bei schwachen Constitutionen , überdies freilich auch in 
Fällen eines Kunstfehlers, nicht ganz ausgeschlossen. 

Um nun zu einem endgiltigen Urtheil über den Werth jenes 
reinen Nutzens zu gelangen, den die Vaccination nach Abrechnung 
der Impfschäden gewährt, versucht Referent in eine ziffermäßige 
Berechnung dieser beiden Posten, des Credit und des Debet der 
Impfung einzugehen, um so eine Art von Bilanz der Vaccination 
aufzustellen. 

Im vorigen Jahrhundert, vor Einführung der Vaccination, gab 
es unter je 100 Verstorbenen 8 Pockentodte. Da heute in Preußen 
jährlich 750.000 Personen sterben, würde es hierunter in der prä- 

vaccinatorischen Zeit. 60.000 

Pocken verstorbene gegeben haben. Factisch sterben aber 
an Pocken heute (nach dem Durchschnitte der letzten sechs 
Jahre 1881—1886 berechnet) jährlich nur mehr .' . . 580 

verbleibt also zu Gunsten der Vaccination ein Guthaben von 59.420 
geretteten Menschenleben. 

Diesem Credit der Vaccination wären — schlimmsten Falls — 
folgende Posten als Belastung entgegenzustellen: 

1. Steigerung der Hautkrankheiten bei Kindern um 

13°/ 0 , macht für Preußen jährlich.35 Todesfälle, 

2. desgl. Steigerung bei Scropheln.115 ' „ 

3. „ „ „ Roth lauf.33 „ 

zusammen . . .183 Todesfälle. 

Zieht man diese 183 durch die Vaccination verlorenen Leben 
von den durch dieselbe Vaccination geretteten 59.420 ab, bleibt 
in einem Staate wie Preußen noch immer zu Gunsten der Vacci¬ 
nation ein reiner Nutzen von jährlich geretteten 59.237 Menschen¬ 
leben. 

Hiebei ist aber auch zu bedenken, daß jene Leben, die in 
Folge der leichten Operation einer Impfung verloren gehen, ohnehin 
nur schwache Kinder oder gebrechliche Greise repräsentiren, also 
weder moralisch noch culturoll oder ökonomisch so schwer in die 
Wagschale fallen, wie das Gewicht der, schon numerisch das Drei¬ 
hundertfache betragenden, geretteten Leben. 

Unter so bewandten Umständen könnte man es ruhig gewähren 
lassen, wenn die Impfgegner sich auch abmühen wollten, noch für 
die eine oder andere Krankheit eine Verbreitung derselben durch 
die Vaccination zu beweisen. Kann doch bei aller Anstrengung 
höchstens die Verminderung des oben ausgewiesenen Gewiunes um 
einige Bruchtheile erzielt werden. Der Nutzen der Impfung steht 
berghoch vor uns, und ob nun von demselben einige Stücke mehr 
oder weniger abgesprengt werden, so bleibt dies doch Schutt, jenes 
ein ragender Fels. A. 


Section für Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Dührssen (Berlin): Demonstration eines Falles von tiefer Cer¬ 
vix- und eines solchen von Scheidendammincision. 

Der erste Fall, welcher bereits in den „Therap. Monats¬ 
heften“, veröffentlicht ist, betrifft eine 23jährige Ip., zu welcher 
D. wegen Eclampsie gerufen wurde. Es waren kurz hintereinander 
9 Anfälle aufgetreten, der Muttermund war für einen Finger durch¬ 
gängig, die supravaginale Partie eröffnet, der Kopf stand im Beoken- 


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eingang. Nach 7 tiefen, d. h. bis zum Ansatz an die Scheide ge¬ 
führten Cervixincisonen gelang es leicht, den Kopf mit einer Traction 
bis auf den Beckenboden zu ziehen und ihn nach einer kleinen 
Introitusincision über den Damm zu heben. Nach der Geburt traten 
noch zwei leichte Anfälle au', weiterhin normales Wochenbett. Das 
Kind ist prächtig an der Mutterbrust gediehen. Die ersten 2 seitlichen 
Incisionen sind unvereinigt geblieben. 

Der Fall beweist, daß man in allen Fällen bei Ip., wo Gefahr 
für Mutter und Kind es erheischt, also speciell bei Eclampsie, bei 
alten Ip., bei vorzeitigem Blasensprung, sobald nur der supravaginale 
Theil des Cervix verstrichen ist, die Entbindung in durchaus 
schonender und ungefährlicher Weise für Mutter und Kind bei noch 
völlig geschlossenem äußeren Muttermund vornehmen kann. 

In dem zweiten Falle bandelt es sich um eine 46jährige Ip. 
mit ihrem an der Mutterbrust prächtig gedeihenden Kinde. Hier wurde 
D. 12 Stunden nach dem Blasensprung gerufen. Der Uterus lag 
der Frucht innig an, es handelte sich um Armvorfall bei abgewichener 
Schädellage. Oberhalb des Scheidenansatzes befand sich eine Strictur, 
welche die Hand zunächst nicht passiren ließ. Es wurden nun 3 
Incisionen in den Muttermundsaum gemacht — um jeden Widerstand 
seitens desselben aufzuheben — und ebenfalls eine rechtsseitige 
Scheidendammincision angelegt, da der Vortr. durch das erste Ein¬ 
gehen mit der ganzen Hand die Columna rugarum post, an der 
hinteren Commissur abgerissen hatte und weitere unvermeidliche 
Zerreißungen vermeiden, sowie die Extraction möglichst erleichtern 
wollte. Die Passage durch die Vagina war jetzt ungemein leicht und 
nach Reposition des Armes gelang es auch mit einiger Mühe, die 
.Strictur zu passiren und die Wendung zu machen. Die. sofort ange¬ 
schlossene Extraction gelang leicht bis auf die Entwicklung des 
großen und festen Schädels. Das tief scheintodte, 3750 Gram schwere 
Kind wurde nach einer Stnnde völlig wiederbelebt. 

Die Scheidendammincision wurde in ihrer oberen Hälfte durch 
fortlaufende Catgutnaht, in der unteren durch Silkwormnähte ge 
schlossen, nachdem zum Zweck der völligen Blutstillung der Utero- 
vaginalcanal mit einem sterilisirten, in 3%iger Carbolsäurelösung 
ausgedrückten Gazestreifen tamponirt war. Die Wunde heilte p. p., 
das Wochenbett verlief normal. 

Der Vortragende ist der Ueberzeugung, daß ohne die Scheiden¬ 
dammincision in diesem Falle die Entbindung von einem lebenden 
Kinde unmöglich gewesen wäre. 

Die beiden Fälle repräsentiren Methoden, welche den Wider¬ 
stand seitens der Weichtheile völlig aufheben und die schonende 
und ungefährliche Entbindung von lebenden Kindern in Fällen ge¬ 
statten, wo man bis jetzt die Kinder einfach absterben ließ, oder 
perforirte oder forcirte Zangenextractionen machte, oder sogar, wie 
Halbertsma, den Kaiserschnitt ausführte. Letzteren möchte der Vortr. 
neben seiner Methode nur für die Fälle gelten lassen, wo die supra¬ 
vaginale Partie des Cervix noch geschlossen ist. A. 


Notizen. 

Wien, 16. August 1890. 

Der X. internationale medicinische Cougreß. 

II. 

Die zweite Hälfte der Congreßwoche wurde durch die Arbeiten 
der Sectionen ausgefüllt, die mit bewundernswerthem Fleiße 
das Riesenmaterialc aufarbeiteten, welches ihnen Vorbehalten war. 
Der wichtigsten Aufgabe jedes Congresses, durch regen Meinungs¬ 
austausch wissenschaftliche Fragen zu klären und zu lösen, 
wurden die zahlreichen interessanten Discussionen gerecht, welche 
den bemerkenswertheren Vorträgen und trefflich vorbereiteten Re¬ 
feraten folgten. Wir berichten darüber an anderer Stelle mit thun- 
lichster Ausführlichkeit, welche dem Umstande gegenüber geboten 
erscheint, als die Verhandlungen des Congresses voraussichtlich erst 
nach Monaten zur officiellen Kenntniß der ärztlichen Welt gelangen 
werden. Man hat eben auch in Berlin dem wohl bequemen, allein 
nichtsweniger als nachahmenswerthen Modus gehuldigt, die Autoreferate 


— Nr. 33. 


der Vorträge nicht, wie dies früher bei Congressen üblich, schon 
während des Congresses — im Tageblatt desselben — zu veröffent¬ 
lichen, sondern, sorgfältig gesammelt, lange nach Schluß desselben 
in Buchform erscheinen zu lassen. Daß durch diese Einrichtung 
die Actualität des gesprochenen Wortes, der Rede und Gegenrede 
verloren geht, zumal manche Thesen und Schlüsse durch die niemals 
rastende Forschung überholt werden, bedarf nicht der Hervor¬ 
hebung. 

* * 

* 

Die dritte allgemeine Sitzung brache die Vorträge von 
Horatio Wood : Ueber Anästhesie , Cantani : Ueber Antipyrese, 
Meynert: Das Zusammenwirken der Gehirntheile, Stokvis: Ueber 
Colonialpathologie. Seiner Bedeutung entsprechend, reproduciren 
wir an erster Stelle der vorliegenden Nummer den Vortrag Cantani’s 
und werden auf die Ausführungen der übrigen Redner demnächst 
znrückkommen. Nunmehr erfolgte der officielle Abschied. Virchow 
fand für denselben folgende, mit rauschendem Beifall aufgenommene 
Worte: 

Niemals früher ist ein medicinischer Congreß unter so großer Betheili¬ 
gung, getragen von so glänzenden Namen, gekrönt durch so bedeutsame Ver¬ 
handlungen, abgehalten worden. 5737 wirkliche Mitglieder, 143 Theilnehmer 
nnd 1376 Damen waren auwesend (im Ganzen 7256 Peisonen), zum Theil aus 
den fernsten Ländern, und mit Stolz, mit innigem Danke blicken wir auf die 
Vertreter so vieler verschiedener Nationen, welche uns bezeugen wollen, daß 
sie bereit sind, ebenso wie wir die Arbeiten des Friedens zu pflegen und, ob¬ 
wohl durch weite Strecken von uns getrennt, doch vereint mit uns sind im 
Streben nach den höchsten Zielen, ja die sich hiebei als Freunde mit uns 
verbunden fühlen. Möge das Gefühl sie in ihre Heimat begleiten, daß sie bei 
uns das gefunden haben, was sie in dieser Hinsicht erwarteten. Wir werden 
es nie vergessen , daß keine Schranken des Raumes , kein politischer oder 
religiö-er Gegensatz sie verhindert haben, zn uns zu kommen, um mit uns, 
die Wahrheit, die reine, objective Wahrheit zu suchen. Ueber den Werth 
unserer Verhandlungen zu urtheilen, steht uns nicht zu; dazu haben auch 
Diejenigen ein Recht und die Pflicht, welche nicht am Congresse theilgenommen 
haben, und diesen dürfen und wollen wir nicht vorgreifen. Aber das kann 
schon jetzt gesagt werden, daß diese Verhandlungen auf der Höhe des Wissens 
standen, zu dem die moderne Medicin sich erhoben hat. ln 18 Abtheilungen 
und 2 Unterabtheilungen ist fast ununterbrochen gearbeitet worden, und Jeder 
von uns scheidet von dem Congresse mit dem Bewußtsein, daß hier ein großes 
und anstrengendes Stück Arbeit geleistet ist, und daß er einen Gewinn an 
Erkenntniß und Wissen mit nach Hause nimmt Wie sehr wir Deutschen auf 
dieses Ergehn ß vorbereitet waren, mag Ihnen der Umstand beweisen, daß 2918 
Mitglieder des Congresses dem Deutschen Reiche angehören, von diesen wieder 
1166 der Stadt Berlin, die ihren gesammten Bestand an Aerzten bis auf wenige 
Ausnahmen zum Congresse gesandt hat. Sie, meine Herren, haben mit Wohl¬ 
wollen die bescheidenen Zeichen unserer Gastfreundschaft eutgegengenommen, 
Sie halvn bereitwillig mit dem Umstande gerechnet, daß selbst die besten 
Vorbereitungen sich als unzureichend erweisen müssen, wenn der Strom der 
Theilnehmer im letzten Augenblick noch so über alle Erwartung anscbwillt 
Vor allen Dingen bitten wir Sie, überzeugt zu sein, daß Alles, was wir bieten 
konnten, in aufrichtiger Liebe geboten wurde, und daß Ihr Comit£ von der 
EmptiDdnng getragen wurde, welche vom Throne bis zur Hütte alle Theile 
unseres Volkes erfüllt. Unser Kaiser und seine hohen Bundesgenossen haben 
in jeder Weise unser Werk gefördert; die Kaiserin ist, obschon erst eben 
von der Reise zurückgekehrt, schon heute Früh in unserer Ausstellung ge¬ 
wesen. Staatliche und städtische Behörden, unsere Mitbürger und Collegen, 
sowie deren Damen waren eifrig bestrebt, Ihnen und den Ihrigen den Congreß 
lehrreich und den Aufenthalt angenehm zu machen. Wir sehen Sie scheiden 
in der Hoffnung dauernden Gewinnes im Sinne internationalen Verständnisses 
und freundlicher Beziehungen. Möge Ihrem Gedächtnisse Alles entschwinden, 
was etwa vom Einzelnen widerwärtig empfunden ist, und nur das lebendig 
bleiben, was Gutes , Großes und Erhebendes an diesem Congresse war, der 
Ihnen immerdar erscheinen möge als eine Liga der Brüderlichkeit und des 
Friedens. Möge es recht vielen von uns vergönnt sein, dieses Werk in Rom 
erneuern zu helfen! 

Mit den Dankesworten der auswärtigen Delegirten — diesmal 
hatte auch der Vertreter des österreichischen Unterrichts¬ 
ministeriums sein bisher beharrliches Schweigen unterbrochen — 
schloß die letzte allgemeine Sitzung. — Der letzte Abend vereinte 
die Theilnehmer des Congresses zu einem collegialen Feste bei 
Kroll, welches die Aerzte Berlins veranstaltet hatten. Allgemeinen 
Beifall fand hier die herzliche Ansprache des San.-R. Dr. Becher, 
mit welcher er die Gäste willkommen hieß, welche in zwangloser 
Unterhaltung, bei rauschender Musik in dem prächtigen Parke lust¬ 
wandelten, der linden Nachtluft sich erfreuend, die nach den zahl¬ 
reichen Sitzungen im Circus, dem Ausstellungsgebäude und so 
manchem — Bankettsaale doppelten Genuß gewährte. 


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Was hat der Arzt bei Drohen nnd Herrschen der 
Cholera zn thnn? 

Die Frage droht trotz aller Dementis aotuell zu werden; die 
asiatische Cholera, welche heuer Europa mit ihrem Besuche über¬ 
rascht hat, rückt gegen das Centrum unseres Welttheils vom Süden, 
Westen und Osten heran. Der bekannte Prager Bacteriologe und 
Hygieniker, Prof. Ferdinand Hdeppe, leistet daher den praktischen 
Aerzten einen guten Dienst, indem er obige Frage nach dem 
heutigen Standpunkte der Wissenschaft zu beautworten sich beeilt. 
In seiner ausführlichen Publication in der letzten Nummer der 
„Berl. klin. W.“ verlegt H. den Schwerpunkt der Maßregeln gegen 
die Ausbreitung der im Einzelfalle durch den Nachweis der Komma¬ 
bacillen constatirten asiatischen Cholera in das Wirken des Arztes, 
an welchen sofort die Pflicht der Anzeige, sowie der Fühlungs- 
nahme mit dem Amtsärzte herantritt, für dessen nach jeder Rich¬ 
tung vollständig unabhängige Stellung H. mit Recht plaidirt. Die 
nächste Aufgabe des Arztes besteht in der Behandlung des Kranken 
und in der Sorge dafür, daß der einzelne Kranke keine weitere 
Gefahr für die nähere und entferntere Umgebung werde. 

Die Therapie, welche von der ätiologischen Thatsache 
ausgehen muß, daß der Proceß im Darm selbst verläuft, daß von 
dort aus allein die Parasiten wirken, hat zunächst die di recte 
Vernichtung der Cholerabacterien, die interne Desinfec- 
tion, anzustreben, zu welchem Zwecke zwei per os verabreichbare 
Gruppen von Medicamenten in Betracht kommen, einerseits solche, 
welche den sauren Magensaft unzersetzt passiren und erst im alkali¬ 
schen Darmsafte zur Wirkung kommen (z. B. Tribromphonol und 
Trichlorphenol, beide noch wenig erprobt), andererseits Körper, 
welche den Magensaft gleichfalls unzersetzt passiren, im Darm aber 
in ihre wirksamen Coraponenten zerlegt werden und so am be¬ 
drohten Orte in statu nascendi wirken. Hieher gehört der salicyl- 
saure Phenyläther, das Salol (eventuell durch das Para-Kresalol, 
den salicylsauren p-Kresyläther, zu ersetzen), welches H. in Dosen 
von 0-5 mit Zusatz von 0 f 2 Bismuth. *alicyl. pro dosi zu geben 
empfiehlt. Gelangt der Kranke so spät in die Behandlung des 
Arztes, daß es nicht mehr gelingt, der ersten Indication, der Ver¬ 
nichtung und Eliminirung der Giftbildner, zu entsprechen , so tritt 
die Bekämpfung des in den Organismus aufgenommenen uns unbe¬ 
kannten Giftes, sowie die symptomatische Behandlung zur Anzeige. 
In ersterer Beziehung empfiehlt H. Atropin zu versuchen, gegen 
die Anurie wirkt 8alol, gegen die in Folge von Epithelentblößung 
der Darmschleimhaut auftretenden Schmerzen Opium per os oder 
anum, sowie Code in in Suppositorien. Die Nachtheile der Wasser¬ 
verluste werden durch Erhaltung und Erhöhung der Reactions- 
kraft der Haut mittelst Einwicklungen in heiße, feuchte Tücher, 
sowie durch Enteroclyse (Irrigationen von 1—2 Liter Wasser von 
38—40° mit Zusatz von 0’25 — 1% Acid. tannio. oder 0‘1 % 
Plumb. acet. und 20—30 Tropfen Opiumtinctur) überwunden; „die 
hypodermatischen Injeotionen mit sterilisirten, schwach alkalischen 
Normalsalzlösungen sind nur in Krankenhäusern leidlich auszu¬ 
führen. Gegen das Durstgefühl und die Brechneigung empfiehlt 
H. Eisstückchen, als Getränk alkalische Säuerlinge und gutes, aus 
destillirtem Wasser hergestelltes Sodawasser, als Analepticum den 
von Traube modificirten „Knickebein“ : 

Rp. Aq. cinamom. 

Syrp. cinamom. . . . aa. 15'0 

Vitelli ov. Nr. II. 

Cognac.30-0 („2 Eßlöffel“) 

F. Emulsio. 

Zur Verhütung der Weiterverbreitung der Cholera 
vom Kranken her ist nicht die Desinfection, sondern, zumal bei den 
provisorischen, am Krankenbette vorzunehmenden, absolut unerlä߬ 
lichen Maßnahmen, die Reinlichkeit in den Vordergrund zu 
Btellen. „Nach jedem Anfassen eines Cholerakranken und nach 
jeder entsprechenden Handleistuug hat sich der W T ärter die Hände 
mit Seife zu reinigen. Die Dejecte und das Erbrochene sind zu¬ 
nächst vom Boden, dem Bette und der Wäsche mit einem feuchten 
Lappen wegzuwischen und dieser Lappen sofort in ein Gefäß mit 
Wasser zu werfen, üb dieses Gefäß, welches neben dem Bette 
stehen muß, nur Wasser oder eine Desinfectionsflüssigkeit enthält, 


ist zunächst gleichgiltig. Etwaige Versuche aber, den Stuhl und das Er¬ 
brochene unmittelbar in Desinfeotionsflüssigkeiten aufzufangen, können 
leicht für den Kranken zu unliebsamen Berührungen mit diesen 
vielfach ätzenden Lösungen führen. Auch hiebei genügt es, wenn 
die zum Auffangen bestimmten Gefäße etwas Wasser enthalten, um 
ein inniges Haften an den Gefäßen zu verhüten.“ Behufs definitiver 
Desinfection werden die provisorisch aufgefangenen Stühle und das 
Erbrochene mit keimtödtenden Lösungen (3 °/ 0 Carbollösung, Lösung von 
l°/ 0 roher, kresolhaltiger Carbolsäure + 1% roher Salz-oder Schwefel¬ 
säure, Chlorkalk + Salzsäure, Aetzkalk, im Nothfalle kochendes Wasser 
übergossen und das Ganze mit einem sofort zu verbrennenden Holzstäbchen 
umgerührt. Das in die Aborte zu Gießende muß im Krankenzimmer 
bereits desinficirt sein, während die noch vielfach vorgeschriebene 
Desinfection der Aborte selbst als zwecklos zu unterbleiben hat. 
Nach erfolgter Genesung oder oingetretenem Tode ist das Kranken¬ 
zimmer durch 14 Tage bei möglichst hoher Temperatur (eventuell 
unter gleichzeitigem Heizen) zu lüften und der Boden mit Seife zu 
reinigen. Die weiteren Vorschriften beziehen sich auf das Verbot 
des Genusses von Speisen und Getränken im Krankenzimmer und 
die Hygiene der Umgebung des Kranken. — Auch warnt H. vor 
Excessen im Essen und Trinken während einer Epidemie, spricht 
sich aber entschieden gegen jede tiefgreifende Aenderung des ge¬ 
wohnten Kostregimes aus. 

Der Schluß des lesenswerthen Artikels beschäftigt sich mit der 
öffentlichen Hygiene, deren Maßnahmen jedoch bereits in Friedens¬ 
zeiten getroffen werden müssen, wenn sie zu Epidemiezeiten func- 
tioniren sollen. . 

„Thatsächlich liegen die Verhältnisse so, daß wir beim Drohen 
und Herrschen einer ChoLera-Epidemie fast nur anticontagiöse 
Maßnahmen treffen können. Diese berühren aber gerade den minder 
bedenklichen Theil der Cholera-Aetiologie, und die wenigsten dieser 
Maßnahmen sind specifisch gegen die Cholera gerichtet , sondern 
die meisten derselben sind derart, daß sie eigentlich zu den 
täglichen Bedürfnissen eines wohlerzogeuen Menschen gehören 
sollten, und ihr Hervorheben zu Cholerazeiten damit eigentlich über¬ 
flüssig erscheint. — In der miasmatischen Bekämpfung der 
Cholera, die stets die erste Stell» behalten wird, können wir aber 
bei Drohen und Herrschen einer Epidemie fast nichts thuu, und die 
stricte Durchführung dieser wichtigsten Maßnahmen wird von dem 
Immerweiterdringen des Verständnisses für die Hygiene abhängen. 
Zur vollen Erreichung dieser höchsten Ziele in der Ueberwindung 
vermeidbarer Infectionskrankheiten muß aber unbedingt die Reform 
unseres contincntalen Sanitätswesens im Geiste der öffentlichen Ge¬ 
sundheitslehre und Gesundheitspflege angestrebt werden.“ 

(Edison als Elek trotherapeut.) Ueber die in der 
ersten allgemeinen Sitzung des internationalen medicinischen Con- 
gresses von Dr. Lassar angekündigten Versuche Edison’s auf dem 
Gebiete der elektrischen Therapie berichtete Dr. Bayles, der ärzt¬ 
liche Vertreter Edison’s, in der dermatologischen Section. Die Ver¬ 
suche, welche mittelst der elektrischen Endosmose zum 
Zwecke der Heilung von Gichtconcretionen angestellt 
wurden, beruhen auf der Thatsache, daß der endosmotiBche Aus¬ 
tausch der Bestandtheile verschiedener, durch eine thierische Membran 
getrennter Salzlösungen sehr beschleunigt wird, wenn ein elektrischer 
Strom durch die Flüssigkeiten und die Membranen geht. Edison 
hat nun zunächst den nach dieser Richtung hin bereits vorliegenden 
Versuchen unter Benutzung der für die Heilung der Gichtknoten 
häufig verwendeten Lithionsalze neue hinzugefügt, welche nicht nur 
die Thatsache an sich bestätigen, sondern auch ihre Geltung für 
Lithionverbindungen unzweifelhaft machen. Auf Grund dessen ging 
er nun weiter vor, indem er die eine Hand eines (gesunden) Mannes 
in eine Lösung von Chlorlithium, die andere in eine solche von 
Chlornatrium steckte und nun den negativen Pol einer Batterie in 
die Kochsalzlösung, den positiven in die Lithionlösung tauchte. Der 
Strom besaß eine Stärke von 4 Milliamperes, und 2 Stunden täglich, 
im Ganzen 11 Stunden, dauerte die Behandlung. Es erwies sich 
bei der speetroskopischen Untersuchung des Harnes, daß erhebliche 
Mengen Lithiou in den Körper des Mannes übergegangen waren. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


1320 


Nunmehr nahm Edison einen Gichtkranken in entsprechende Be¬ 
handlung. Patient war ein 73jähriger Mann, welcher sich das 
Leiden durch Schlafen in eiuem feuchten Bette (?) zugezogen hatte. 
Seine Gelenke, ausgenommen die Kniee, waren durch kalkige Con- 
cretionen stark aufgetrieben. Ein gewisser Grad von nervöser Con- 
gestion zeigte sich in seinem Gesichte, und schon seit Monaten 
empfand er unaufhörliche Schmerzen in verschiedenen Körpertheilen, 
augenscheinlich hervorgebracht durch den Druck der Gichtknoten 
auf die Nerven. Die Fingergelenke waren ganz besonders vou 
Concretionen erfüllt; der Umfang des kleinen Fingers der linken 
Hand betrug nach genauer Messung 8‘6 Cm., an der rechten Hand 
war es noch schlimmer. Das Gehen war beschwerlich und schmerz¬ 
haft, die Geisteskräfte ungestört. Die Behandlung erfolgte mittelst 
eines Stromes von 120 Volt und 5000 Ohm Widerstand. Wiederum 
wurden Lösungen von Chlorlithium, l'08proc., und Kochsalz benützt. 
Es zeigte sich, daß Patient einen Strom von 20 Milliamperes ohne 
Unbequemlichkeit ertragen konnte, und diese Stromstärke wirkte, 
vier Stunden täglich, sechs Tage lang auf ihn ein. Am Ende dieser 
Zeit war der oben angegebene Umfang des kleinen Fingers auf 
8*2 Cm. heruntergegangen, die Schmerzen hörten bereits am ersten 
Tage auf. In der folgenden Woche wurde abermals zwei Tage 
lang in derselben Weise elektrisirt, und es schwand der Umfang 
jenes Fingers bis auf 8‘0 Cm. Die Gesammtverminderung des Um¬ 
fanges, 0'6 Cm., entsprach den Schätzungen zufolge einer Beseiti¬ 
gung von 3 Ccm. Concretionsmasse. Die weitere Behandlung mußte 
aufgegeben werden, da der Mann des weiten und anstrengenden 
Weges halber nicht mehr zum Laboratorium kommen wollte; es 
scheint der Fall jedoch die Anwendbarkeit der elektrischen Endos¬ 
mose für ähnliche krankhafte Zustände zu beweisen. 

(Cholera-Nachrichten.) Die jüngsten günstigen Nach¬ 
richten über die Ausbreitung der Cholera in Spanien bestätigen 
sich nicht, vielmehr lassen dieselben es durchweg wahrscheinlich 
erscheinen, daß der in voriger Woche amtlich gemeldete Rück¬ 
gang der Epidemie nicht fortgeschritten , sondern vielmehr 
die Erkrankungsfrequenz in den letzten Tagen wieder etwas 
zugenommen hat. Im Ganzen sind bis jetzt von Beginn der Epi¬ 
demie bis Mitte Juli etwa 5G0 Erkrankungen mit 304 Todesfällen 
zur Beobachtung gelangt. In der Provinz Valencia sind am 3. August 
59 Erkrankungen und 34 Todesfälle an Cholera vorgekommen. — 
AUS Constantinopel wird gemeldet, daß in Mekka am 29. Juli 
71 und am 30. Juli 84 Personen an der Cholera gestorben sind. 
Die türkische Regierung hat für Provenienzen aus Mekka und für 
die von dort zurückkehrenden Pilger die geeigneten Qnarantaine- 
maßregeln angeordnet. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Mittelst Erlasses des 
Unterrichtsministers Csäky wurde die Reform des Collegiengeld- 
systems in dem Sinne der Vorlage durchgeführt, welche seinerzeit 
der Universitäts-Enquete vorgelegt und in dem letzten „Briefe aus 
Ungarn“ in Nr. 22 dieses Blattes ausführlich besprochen wurde. — 
Der vom Justizminister geschaffene justizärztliche Senat, welcher 
das oberste Forum der gerichts- und administrativ-ärztlichen Func¬ 
tionen innerhalb des justizministeriellen Ressorts bildet, wurde 
folgendermaßen constituirt: Präsident: Prof. J. KovÄcs; Schriftführer: 
Dr. M. Schächter; Mitglieder: die Professoren A. A.itai, P. Plosz, 
K. Müller und E. Rkczky, Dr. J. Niedkrmann, Director der 
Landesirrenanstalt, Dr. A. Bako, Dr. E. Moravcsik, Dr. O. 
Schwarczkr, Dr. D. Szabö, Dr. Z. Jelenffy und Prof. 0. Pkrtik. 

(Auszeichnung.) Dem Bürgermeister von Meran, kaiserl. 
Rath Dr. Josef Pirchrr, ist in Anerkennung seines vieljäbrigen 
gemeinnützigen Wirkens der Adelstand verliehen worden. 

(Todesfälle.) Die Wiener Universität hat einen herben 
Verlust erfahren. Der Professor der Chemie, Hofrath Ludwig 
R. Barth v. Barthknau, ist, 52 Jahre alt, einem Herzleiden er¬ 
legen. 1839 zu Itoveredo in Südtirol geboren, erwarb der Ver¬ 
storbene das Doctordiplom der Philosophie an der Innsbrucker 
Hochschule, oblag hierauf unter Liebig und Pkttenkofer in 
München chemischen Studien, wurde sodann Assistent Hlasiwktz’s 
in Innsbruck und nach dessen Berufung an die technische Hoch¬ 
schule in Wien sein Nachfolger. 1876, als Nachfolger Schneidkr’s 
nach Wien berufen, entfaltete Barth hier eine umfassende, frucht¬ 


bringende Thätigkeit als Forscher und Lehrer, wie als Mitglied des 
Obersten Sanitätsrathes. * t)er philosophischen Facultät angehörend, 
trug Barth auch allgemeine Chemie für Mediciner vor, leitete die 
chemischen Uebungen derselben im Laboratorium und fungirte neben 
Hofrath Ludwig als Examinator bei dem ersten medicinischen Rigo- 
rosum. Seine zahlreichen Schüler werden gleich seinen Collegen dem 
Verstorbenen ein ehrenvolles Gedenken bewahren. — Gestorben sind 
ferner: In Berlin Staatsrath Dr. L. A. Neugebauer, a. o. Professor der 
Gynäkologie an der Universität Warschau, welcher am internationalen 
medicinischen Congresse theilgenommen hatte; in Dresden der em. 
Professor der dortigen Thierarzneischule, Hofrath Luxdorf; in 
Paris der bekannte Gynäkologe Prof. F. Siredey, früher Arzt am 
Höpital Lariboisicre; in Ragusa der praktische Arzt Dr. Johann 
Rijbrizius; in Cowes auf Wight der langjährige Leibarzt der 
Königin von England, Sir William Hoffmeister. 


(Le vico-A rsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. 8 c h n i r e r. 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Stadtarzt für Vizakna. Gehalt 800 fl. etc. Gesuche 

an das Vicegespansamt in Nagy-Enyed. 

Secundararzt für die Budapest-Leopoldstädter 

Irrenanstalt. Gehalt 500 fl- etc. Gesuche an die königl. ung. Landes-Irren- 
anstalt in Budapest. 

Bezirksarzt für Nagy-Toräk. Gehalt 700 fl. etc. Ge¬ 

suche an das Ober-Stuhlrichteramt in Gr.-Becskerek. 


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Nr. 34. 


Sonntag den 24. August 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
9 bis 8 Bogen Gross-Qnart-Format stark. Hiesn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmftasige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmo natlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 9 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertiona- 
aonrttge sind an die Administration der „Media. Presse" 
in Wien, I., MaxlmlHanatraaae Nr. 4, an richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind an adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, L, Hegelgasse Nr. 2L 


Wiener 


Abonnementspreise: „Medix. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 1011., halbj. ö fl., viertel), 9 fl. 60 kr. Analand: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler and Postämter: 
Jährl. 90 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertel). 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. MMrk„ halb). 19 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Anslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Bin* 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Adminlstr. 
der „ Wiener Metflz. Presse" ln Wienj., Maxlmillanatr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

----« 8 -- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 


Verlag von 


Dr. Anton Bum. 


Urban * Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton und klinische Vorlesungen. Ueber den Mechanismus der Infection nnd der Immunität. Von Prof. Ch. Bodohabd in Paris. — 
Ueber Antipyrese. Von Prof. Arnaldo Cantani in Neapel. — Die Behandlung der Enuresis nocturna bei Kindern. Von Dr. G. P. van Tiknhoven, 
Director des städtischen Krankenhauses im Haag. — Notisen über die Dengnefleber-Epidemie nnd die Influenza-Epidemie zu Smyrna. Von Dr. G. 
Diamantopplos. — Kleine Mittheilungen. Injectionen von Quecksilberoxydcyanid gegen Syphilis. — Behandlung der serösen Pleuritis mit Natrinm 
salicylicum. — Ein durch Gesichtserysipel geheilter Fall von Lnngentnbercnlose. — Erfahrungen über Aristol. — Behandlung der Unterschenkel¬ 
geschwüre mit Tricotbinden. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler ntedicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4.-9. August 1890. 
(Orig.-Ber.) III. — Aus den Pariser Gesellschaften. (Orig.-Ber.) Acadömie de Sciences. Behandlung der Tnbercnlose und Schutzimpfung gegen 
dieselbe. — Notizen. Die medicinisch-wissenschaftliche Aaseteilung in Berlin. — Literatur. — Aerztliehe Stellen. — Anzeigen. 


Qrtgtoalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber den Mechanismus der Infection und 
der Immunität. 

Von Prof. Oh. Bouohard in Paris. 41 ) 

Mit Hilfe unserer gegenwärtigen Kenntnisse ist es mög¬ 
lich, eine systematische Theorie der Infectionskrankheiten mit 
ihren localen nnd allgemeinen Erscheinungen, ihrer Heilung, 
sowie der künstlichen und natürlichen Immunität zu con- 
struiren. Gleichzeitig läßt sich nebst diesen, den Menschen 
oder das Thier betreffenden Erörterungen auch bezüglich der 
Mikroorganismen eine Theorie ihrer Virulenz und ihrer Ab¬ 
schwächung aufbauen. Bevor ich jedoch daran gehe, halte ich 
es für angezeigt, den Einfluß der Bacterien auf den Orga¬ 
nismus und vice versa einer Besprechung zu unterziehen. 

Vorgänge, mittelst welcher der thierische Orga¬ 
nismus die Bacterien beeinflußt. 

Es gibt Thierspecies, deren lebender Körper die Ent¬ 
wicklung mancher Mikroorganismen nicht gestattet, andere 
hingegen sind für das Leben gewisser Bacterien ganz besonders 
günstig. Zwischen diesen Extremen gibt es unzählige Ab¬ 
stufungen von Immunität und Empfänglichkeit. Die Unmög¬ 
lichkeit eines Bacteriums, in einem thierischen Organismus sich 
zn entwickeln, hängt nicht nothwendig mit dem Leben des 
letzteren zusammen, denn es läßt sich nachweisen, daß die 
Entwicklung von manchen Bacterien in Geweben nnd Säften 
von immunisirten Thieren erschwert, ja sogar unmöglich ist, 
selbst wenn diese Gewebe von todten Thieren herrühren, oder 
wenn die dem Organismus entnommenen Säfte durch Filtration 
von ihrem zelligen Gehalt befreit werden. Es gibt jedoch 
Verhältnisse, unter welchen das Leben des Thieres einen deut¬ 
lichen Einfluß auf die Entwicklungshemmung der Bacterien 
ausübt. Als Beispiel möchte ich folgende Thatsache anführen: 
Ein Thier ist immun gegen eine gewisse Bacterienart, die für 


*) Vortrag, gehalten in der 2. allgemeinen Sitzung des X. Internationalen 
medicinischen Congresses. 


jedes andere Thier pathogen oder nicht pathogen ist; das Thier 
stirbt, nnd seine Gewebe oder Säfte bilden einen ausgezeichneten 
Nährboden für diese Bacterienart. Die Immunität ist also 
zuweilen an das Leben des Thieres gebunden, ein andermal 
aber von demselben unabhängig. Mit anderen Worten, der 
Mensch nnd das Thier besitzen nicht nur ein einziges Schutz¬ 
mittel gegen die Infectionskeime. 

Ich beabsichtige nicht, alle 8 Vorgänge zu schildern, 
mittelst welcher das Thier dem Angriffe der Mikroorganismen 
gegenübertritt. Ich möchte deren nur zwei erwähnen, weil 
dieselben gegenwärtig den Mittelpunkt der Discnssion bilden, 
zwei Schutzmittel, welche man gewöhnlich einander gegenüber¬ 
stellt, die aber, wie ich nachzuweisen hoffe, sich immer ver¬ 
einigt finden nnd sich gegenseitig unterstützen. 

Nach manchen Autoren beruht die Immunität auf statischen, 
d. h. chemischen Verhältnissen des Organismus, nach anderen 
wird sie durch dynamische Bedingungen gesichert, nämlich 
durch die Thätigkeit der Zellen. Ich nenne das erstere Mittel 
die bacterientödtende Kraft, das letztere den Phagocytismns. 
Jeder dieser Vorgänge bildet in der That ein mächtiges 
Schutzmittel des Organismus and zeigt sich sowohl behufs 
Verhinderung der Entwicklung der Krankheit, als auch behufs 
Beschleunigung des günstigen Ausgangs derselben sehr nütz¬ 
lich , doch vermag keines von beiden für sich die Integrität 
des Organismus zu sichern oder wiederherzustellen; nur durch 
die Mitwirkung nnd Vereinigung beider Vorgänge kann es zur 
Immunität, resp. Heilung kommen. 

Von den beiden Schutzvorrichtungen ist die eine eine allge¬ 
meine , ich möchte sagen eine universelle, d. i. der Phago- 
cytismus, die andere eine accessorische, d. i. die bacterien¬ 
tödtende Eigenschaft. Wir werden jedoch bald sehen, daß 
bei der erworbenen Immunität der Phagocytismns nur Dank 
der bacterientödtenden Eigenschaft allein bewerkstelligt werden 
kann, daß ohne diesen weder Heilung, noch Schutzimpfung 
möglich wäre, da die Tendenz zum Phagocytismns bis zu dem 
Momente aufgehalten ist, wo die chemische Umwandlung der 
Säfte des kranken Individuums erfolgt. 

Erst wenn dies geschehen ist, können die pathogenen 
Bacterien verändert werden und eine ihrer Wirkungen ver¬ 
lieren, mittelst welcher sie sich bis dahin dem zerstörenden 
Einfluß der thierischen Zelle entzogen haben. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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Die Wichtigkeit des bacterientödtenden Einflusses erhöht 
sich angesichts des Phagocytismus. Es kommt zuweilen vor, 
daß der Phagocytismus, der eine constante Function im ge¬ 
sunden Zustande bildet, in der Krankheit nur gegen nicht 
pathogene Mikroorganismen oder gegen abgeschwächte patho¬ 
gene ausgeübt wird. 

Was ist aber die Ursache, daß ein Mikroorganismus nicht 
pathogen ist ? 

Das liegt, wie ich gleich zeigen werde, darin, daß der¬ 
selbe einer gewissen Secretion entbehrt, deren Product die 
Gefäße verhindert, die Leucocyten durchtreten zu lassen, eine 
Secretion, deren Product die Diapedesis und in Folge dessen 
den Phagocytismus verhindert und daher die Pathogenität 
bedingt. 

Phagocytismus. 

In der ganzen Reihe des thierischen Reiches erzeugt eine 
locale Störung in der lädirteu oder bedrohten Gegend eine 
locale Anhäufung von Mesodermzellen, die gegen den Angriffs¬ 
punkt Zuströmen, ihn umgeben und manchmal die schädlichen 
Theile auflösen. Bei den Vertebraten wird diese Rolle durch 
Wanderzellen, weiße Blutkörperchen oder Lymphkörperchen 
erfüllt und durch die fixen Gewebszellen unterstützt. Der 
primäre Act ist also der Austritt der weißen Blutkörperchen 
aus dem Blut oder der Lymphe aus den dieselbe normal ent¬ 
haltenden Räumen. Erfolgt der Austritt der weißen Blut¬ 
körperchen aus den Gefäßen in größerer Anzahl, so ist dies 
immer ein pathologischer Vorgang, der durch eine locale 
Reizung, hervorgerufen wird. Die festen Theile erzeugen nie 
allein Diapedesis, diese ist vielmehr bedingt durch gewisse 
flüssige oder aufgelöste Substanzen, Diastase, Alkaloide etc. 
Durch Vermittlung dieser Substanzen bedingen viele patho¬ 
gene oder nichtpathogene Bacterien den Austritt weißer Blut¬ 
körperchen aus den Gefäßen. 

Neben dieser pathologischen Diapedese der vielkörnigen 
weißen Blutkörperchen, die durch locale Reizung seitens ge¬ 
wisser Bacterien erzeugt wird, findet normal und constant 
eine Auswanderung von mononucleären Lymphzellen gegen die 
Oberfläche der inneren Häute statt. Dies kann man namentlich 
an Stellen beobachten, wo trotz der Integrität der epithelialen 
Decke feine Partikelchen und namentlich Bacteriem von der 
Schleimhautoberfläche in die Tiefe des darunter liegenden Ge¬ 
webes eindringen, so in die Lungenalveolen, in die Mandeln, 
in die pEVER’schen Plaques. Normal gelangen die einge¬ 
drungenen Mikroorganismen nicht weiter als bis zum sub- 
mucösen Lymphgewebe; trifft man dieselben in den Interstitien 
der Epithelzellen, so sind sie bereits in Lymphzellen einge¬ 
schlossen. 

Mittelst dieser Zellen können sie in die Tiefe des Lymph- 
gewebes eindringen. 

Gewöhnlich unterliegen sie auf diesem Wege einer De¬ 
generation, die umsomehr ausgesprochen ist, je mehr sie sich 
von der Epitheloberfläche entfernt, und die selbst bis zum 
Tode der Bacterien gehen kann. 

Manche pathogenen Mikroorganismen vermögen die ge¬ 
sunde Lungen- oder Darmoberfläche zu passiren und entgehen 
dieser Zerstörung; aber Dank dem beschriebenen Mechanismus 
ist unter normalen Verhältnissen der Eintritt der in den 
Athmungs- und Verdauungshöhlen so zahlreichen Bacterien in’s 
Blut unmöglich gemacht. 

Schon Hippokratks wußte, und es ist dies ein Begriff, 
der sich in der alten Medicin vererbt hat, daß die Kälte die 
Ursache vieler acut fieberhafter Krankheiten ist. Die Kälte 
hat in diesen Fällen wohl nicht einen Mikroorganismus von 
außen eingebracht und hat auch nicht eine Trennung der Con- ; 
tinuität erzeugt, durch welche Bacterien hätten eindringen . 
können, wohl aber vermag die Kälte die Reihe von Vorgängen ! 
zu unterbrechen, mittelst welcher die Lymphzellen die patho- | 
genen Bacterien in ihrer Entwicklung hemmen und sie zer¬ 


stören, wenn dieselben in unsere Gewebe oder Säfte eindringen 
wollen. 

Ich glaube auf experimentellem Wege die Richtigkeit 
dieser Deutung nachgewiesen zu haben. Wie viele andere 
Autoren, habe ich die Richtigkeit der Behauptung Pastbür’s 
bestätigt, daß das normale Blut keine Bacterien enthält. Es 
ist mir aber gelungen, ohne Verwundung das rasche Auftreten 
von Bacterien im Blute gesunder Thiere hervorzurufen, indem 
ich letztere den Ursachen ausgesetzt habe, welche angeblich 
beim Menschen die Entwicklung von sogenannten spontanen 
Infectionskrankheiten hervorrufen. 

Ich wollte es zunächst mit intensiver Kälte versuchen; 
Meerschweinchen wurden in kaltes Wasser gesteckt. In 
weniger als 1 / a Stunde sank ihre Rectumteraperatur auf 31° 
und häufig starben diese Thiere in Folge des Collapses. Das 
Blut dieser Thiere ist absolut steril. Nun sagte ich mir, 
daß eine kalte Douche oder ein kaltes Bad beim Menschen 
keine Pneumonie hervorruft, während man diese Krankheit 
häufig entstehen sieht in Folge einermäßigen, aber graduellen 
und andauernden Erkältung. Ich versuchte nun bei einer 
größeren Anzahl von Thieren durch Immobilisation, durch 
Aufenthalt in Eis, durch Fimissung, durch Hautfaradisa- 
tion Kälte längere Zeit einwirken zu lassen. Es zeigte sich, 
daß nach 2, 3—4 Stunden das Blut solcher Thiere bereits 
Bacterien enthielt. Inanitionsversuche ergaben ein negatives 
Resultat, weil dieselben nicht länger als 24 Stunden fortgesetzt 
werden konnten. 

Charhin und Roger ließen Meerschweinchen durch 
24 Stunden in einem Rotationsapparat drehen und fanden im 
Blute solcher Thiere ziemlich viele Bacterien. In diesem Ver¬ 
suche handelt es sich wohl nicht um Uebermüdung, da doch 
das Thier passiv war, sondern um die Einwirkung des 
Schreckens und des Shoks, welche eine Verlangsamung des 
Stoffwechsels hervorriefen, die sich in der That durch Herab¬ 
setzung der Temperatur kund gab. Es betrug nämlich während 
der Entnahme des Blutes die Rectumtemperatur nicht mehr 
als 34°. Solche hemmende, nervöse Einflüsse verhindern also 
den Phagocytismus, wodurch die sonst unschädlichen patho¬ 
genen Bacterien, die an den inneren Oberflächen leben, in die 
Tiefe eindringen können. Die vorübergehende Unterbrechung 
dieses normalen Phagocytismus ermöglicht den Uebergang der 
in den Eintrittspforten des Digestionstractes befindlichen Mikro¬ 
organismen aus den Lungen, dem Pharynx, dem Darm in’s 
Blut. Wir werden bald sehen, daß ähnliche nervöse Einflüsse 
auch den pathologischen Phagocytismus aufhalten können und 
daß dadurch die Infectionskrankheiten schwerer oder allge¬ 
mein werden. In normalen, sowie auch in pathologischen 
Verhältnissen ist also der Phagocytismus eine der Aeußerungen 
der natura medicatrix. 

Die bacterientödtende Eigenschaft. 

Diese ist das zweite Mittel, durch welches der thierische 
Organismus dem Angriff der Bacterien widersteht. Ich ver¬ 
stehe darunter nicht nur denjenigen Zustand; der Bacterien 
tödtet oder auflöst, sondern denjenigen, der ihr Wachsthum 
und ihre Vermehrung verlangsamt, ihre Ernährung stört und 
ihre Functionen verhindert. 

Ebenso wie ich nicht in das Detail der Entdeckung Cohn- 
heim’s und M rtschnikoff’s eingegangen bin , werde ich auch 
die von Grohmann, Fodor, Flügge, Nuttal, Nissen, Petrüschky, 
Büchner etc,, gefundenen Thatsachen nicht eingehend be¬ 
sprechen, welche den Begriff der bacterientödtenden Eigenschaft 
der normalen Säfte aufgestellt haben. Wenn man bedenkt, welche 
minimale Differenz in der chemischen Zusammensetzung der 
indifferenten Medien die Entwicklung von Mikroorganismen 
mehr oder weniger begünstigt, wenn man durch Zusatz oder 
durch Entnahme geringer Dosen einer chemischen Substanz 
jede Regung des Bacterienlebens aufhalten oder bedeutende 
Modificationen in der Geschwindigkeit der Entwicklung 
und der Form, in den Functionen, namentlich in den 


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die ViruleDZ bildenden chemischen Functionen der Baeterien 
hervorrufen kann; wenn man ferner Degenerations- und Ab- 
schwächungszustände in den Baeterien erzeugen kann, die sich 
durch eine gewisse Zeit hereditär erhalten können, selbst wenn 
der Mikroorganismus in seinen gewöhnlichen Nährboden ver¬ 
pflanzt wird; wenn man schließlich durch andere Modificationen 
des indifferenten Nährbodens die Lebensintensität der Mikroben 
und ihre Virulenz erhöhen kann, so wird man begreifen, daß 
Differenzen in der Zusammensetzung der thierischen Säfte die¬ 
selben .Resultate hervorrufen können. 

Und in der That sind es rein chemische und nicht dyna¬ 
mische Gründe, welche die Ursache sind, daß Baeterien in 
thierischen Säften getödtet oder nur in ihrer Entwicklung 

f ehemmt werden können, eine sehr hohe Lebensintensität und 
unctionsfähigkeit oder verschiedene Abschwächungszustände 
erlangen können. # 

Daß dem so ist, beweist die Thatsaehe, daß ein großer 
Theil dieser Resultate durch Züchtung pathogener Baeterien 
in von jeder Thierzelle befreiten thierischen Säften erzielt 
wurde. So interessant diese Thatsachen an und für sich sind, 
erklären sie doch nicht, warum eine Infectionskrankheit sich 
leicht bei einer Thierspecies entwickelt und nicht bei einer 
anderen. Mit Recht haben Metschnikoff und Hesse darauf 
hingewiesen, daß das Blut eines gegen einen Mikroorganismus 
natürlich immunen Thieres einen sehr guten Nährboden für 
denselben Mikroorganismus abgeben kann. Dasselbe hat auch 
Lubarsch gefunden. Dieser, sowie nach ihm Charrin und 
Roger haben auch die Beobachtung gemacht, daß das Blut 
der gegen ein gewisses Bacterium nicht immunen Thiere 
bacterientödtende Eigenschaft für dasselbe Bacterium be¬ 
sitzen kann. 

Diese paradoxen Thatsachen beweisen, daß die natürliche 
Immunität nicht vom bacterientödtenden Einfluß abhängt, und 
daß die Empfänglichkeit nicht an den Mangel dieses Ein¬ 
flusses gebunden ist. Für die erworbene Immunität ist die 
bacterientödtende Eigenschaft von viel größerer Bedeutung. 

Metschnikoff impfte Milzbrandbacillen in’s Blut vacci- 
nirter Thiere. Dieselben entwickeln sich sehr gut, vermögen 
aber nicht, auch nicht immune Thiere zu tödten. Die aus dem 
Blute nicht immuner oder natürlich immuner Thiere gezüch¬ 
teten Culturen zeigen ihre volle Virulenz. 

Metschnikoff glaubt, daß diese im Blute der vaccinirten 
Thiere hervorgerufene Abschwächung der Wirkung der Leuco- 
cyten zuzuschreiben ist, welche auch außerhalb der Gefäße ihre 
ungünstige Wirkung auf die Mikroorganismen ausüben. 

Ich möchte diesen höchst bemerkenswerthen Versuch 
anders deuten. Ich sehe in demselben den ersten Beweis der 
Thatsaehe, daß die Infectionskrankheit, wenn sie nicht tödtlich 
verläuft, gleichzeitig mit der Immunität eine dauernde Ver¬ 
änderung der Säfte hervorruft, welche sie bacterientödtend 
macht, d. h. ihnen die Eigenschaft verleiht, die Abschwächung 
eines Mikroorganismus von derselben Art hervorzurufen, wie 
die, welcher die Krankheit hervorgerufen hat. Ich sehe ferner 
in diesem Versuche den Beweis, daß dieser bacterientödtende 
Zustand, der sich gleichzeitig mit der erworbenen Immunität 
entwickelt, wenigstens dem Grade nach von dem verschieden 
ist, den die Säfte gesunder Thiere aufweisen. 

Einen ähnlichen Nachweis hat Gamalbia erbracht; ihm 
gebührt das Verdienst, der Erste erkannt und bewiesen zu 
haben, daß der bacterientödtende Zustand, der sich in den 
Säften vaccinirter Thiere entwickelt, nicht den Zellen zuzu¬ 
schreiben ist. Er hat nachgewiesen, daß Milzbrandbacillen, 
welche stark vaccinirten Schafen eingeimpft werden, Oedem 
ohne Diapedese hervorrufen, welches die Milzbrandbacillen ver¬ 
nichtet. 

In einem noch beweisenderen Versuche impfte er Milz¬ 
brandbacillen in den Humor aqueus zweier Augen eines in die 
Vorderkammer des einen Auges vaccinirten Schafes und fand 
eine sehr schwache Entwicklung, ähnlich dem abgeschwächten 


Virus sowohl im Humor aqueus des nicht vaccinirten, wie 
auch in dem des vaccinirten Auges. 

Charbin und Roger haben gefunden, daß, während das 
Blutserum des Kaninchens einen günstigen Nährboden für den 
Bacillus pyocyaneus abgibt, das Serum des vaccinirten Kanin¬ 
chens denselben Mikroorganismus tödtet. Charrin konnte den 
Nachweis liefern, daß die Abschwächung, die ein Mikroorga¬ 
nismus erleidet, wenn er in vitro in den Säften eines vacci¬ 
nirten Thieres gezüchtet wird, sich ebenfalls und zweifellos 
in derselben Weise entwickelt, wenn dieser Mikrob in den 
Körper des lebenden vaccinirten Thieres eingebracht wird. Er 
konnte ebenso wie GamaleYa, Emmerich und di Mattei die 
Beobachtung machen, daß die Abschwächung im Körper vacci¬ 
nirter Thiere mit einer außerordentlichen Geschwindigkeit 
stattfindet. Charrin hat auch eonstatirt, daß diese Ab¬ 
schwächung des virulenten Mikroorganismus spontan im Körper 
des erkrankten Thieres stattfindet, wenn die Infectionskrankheit 
in Heilung ausgeht. 

Bekanntlich kann der Bacillus pyocyaneus in 24 Stunden 
tödten; unter die Haut oder in sehr schwachen Dosen in die 
Venen injieirt, ruft er aber eine langsamer verlaufende Krank¬ 
heit hervor, die in Heilung ausgehen kann. Das geheilte Thier 
ist immun gegen eine weitere Infection, die Immunität ist 
auch von bacterientödtenden Eigenschaften der Säfte begleitet, 
und ich habe den Nachweis geliefert, daß diese Eigenschaften 
schon während der Krankheit bestehen. 

Charrin entnahm einem mit kleinen Dosen des Bacillus 
pyocyaneus geimpften Kaninchen, welches die chronische und 
heilbare Form dieser Krankheit bekam, jeden Tag einen 
Tropfen Blut, den er auf Agar übertrug, ln den ersten Tagen 
waren die Culturen sehr reich an Pyocyanin, in den späteren 
Culturen entwickelte sich zwar der Bacillus, doch erzeugte er 
kein Pyocyanin mehr, schließlich gelangt man bis zum Verlust 
der Farbstoffbildung und der Virulenz. 

Im Körper vaccinirter Thiere besitzen sowohl die 
flüssigen als die festen Bestandtheile bacterientödtende Eigen¬ 
schaft. 

Roger entfernte die zwei hinteren Extremitäten zweier 
Meerschweinchen, eines gesunden und eines mit Rauschbrand 
vaccinirten. In je eine dieserExtremitäten injieirt er eine virulente 
Rauschbrandcultur und bringt alle Extremitäten in den Brut¬ 
ofen. Am nächsten Tage ist die Extremität des gesunden 
Meerschweinchens emphysematos und zeigt die bekannte Cre- 
pitation, diejenige des geimpften Thieres zeigt aber keinerlei 
Spur von Gas. Da man nun annehmen könnte, daß die Ge¬ 
webe bacterientödtende Eigenschaft bekommen haben, so wieder¬ 
holte Roger mit demselben Resultat diesen Versuch, nachdem 
er unmittelbar nach dem Tode der Thiere durch die Aorta 
derselben bei offenen Venen einen kräftigen Strom Salzwasser 
durchgetrieben hatte. 

Bis nun ist für 5 Mikroorganismen der Beweis erbracht 
worden, daß die Vaccination bacterientödtenden Zustand hervor¬ 
ruft. So ist dies von GamaleYa für den Milzbrandbacillus, 
von Charrin und Roger für den Bacillus pyocyaneus, von 
Zässlein für den Rauschbrand- und Cholerabacillus, von Behring 
und Nissen für den Vibrio Metschnikoff erwiesen. Diese 
Beobachter haben auch gefunden, daß die durch einen Mikro¬ 
organismus hervorgerufene bacterientödtende Eigenschaft auch 
der Entwicklung anderer Baeterien schädlich sein kann. 

Ich habe summarisch die Verhältnisse besprochen, welche 
der menschliche oder thierische Organismus auf die Baeterien 
ausübt und will zur Erörterung der Vorrichtungen über¬ 
gehen, mittelst welcher die Baeterien auf den Menschen ein¬ 
wirken. 

(Schloß folgt) 


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lieber Antipyrese. 

Von Prof. Arn&ldo Cantani in Neapel. 

(Schluß.) 

XVI. 

Anders gestaltet sich die Sache, wenn man die Frage 
aufwirft, ob das hohe Fieber in allen Fällen nur Heilwirkung 
ausübt, und es unter gewissen Bedingungen durch die hohe 
Temperatur nicht auch mehr schädlich, als nützlich wirken 
kann, und die Anhäufung von producirter "Wärme im Körper 
nicht die Ursache des eventuellen Schadens werden kann. 
Und da muß man wohl zugeben, daß die angehäufte zu hohe 
Temperatur die Herzkraft zu sehr beeinträchtigen, die Ner- 
vencentren zu sehr bedrohen kann, und um dieser Gefahr zu 
entgehen, wird theoretisch eine Herabsetzung der. excessiven 
Körperwärme erwünscht sein, und diesen Zweck muß man 
wohl therapeutisch erreichen können, indem man Wärme 
entzieht, ohne die Wärmeerzeugung herabzusetzen, indem man 
den heißen Körper abkühlt, ohne die Mehrbildung von Reac- 
tionswärme zu vermindern. Hiezu können die verschiedenen 
hydriatischen Methoden, die kalten Vollbäder, die kalten Ein¬ 
wicklungen, die kalten Uebergießungen, auch die lauen, mehr 
oder weniger frischen oder nach und nach abgekühlten Bäder 
u. s. w. dienen. Hiezu dienen in gewissem Grade auch die großen 
Kaltwassermengen, die man trinken läßt, oder mittelst der 
Enteroclysmen hoch in den Darm einführt. Von allen diesen 
Proceduren ist es gewiß, daß sie dem Körper Wärme in sehr 
bedeutendem Maße entziehen, indem sie große Wärmemengen an 
das kalte Wasser abgeben, während sie die Wärmeerzeugung 
im Innern nicht nur nicht herabsetzen, sondern sogar steigern. 
Ja, wenn man bedenkt, daß, wie Jeder sehen kann, die Tem¬ 
peratur der Achselhöhle während dieser Wärmeentziehung nicht 
sinkt, während die Peripherie so viel Wärme — nach Lieber- 
mkister bei Gesunden bis 7mal als bei gewöhnlicher Beklei¬ 
dung — abgibt, so muß man den Schluß ziehen, daß diese 
Wärmeentziehung die Wärmeerzeugung ganz außerordentlich 
vermehrt. 

xvn. 

Aus allen diesen Betrachtungen aber folgt der Schluß, 
daß die Wärmeentziehung und die dadurch bedingte Abküh¬ 
lung des Körpers nur einem Theil des Körpers, der Oberfläche, 
zugute kommt, und daß die eigentliche Wärmeerzeugung durch 
die Wärmeentziehung gesteigert wird. Die Wärmeentziehungen 
kommen also dem Fieber zu Hilfe, sie kühlen zwar theilweise 
ab, aber im Ganzen und Großen steigern sie die Verbrennung 
und den Stoffverbrauch, der schon durch das Fieber erhöht 
ist. Theoretisch müßte man sie also vom Standpunkte des 
Zweckes einer Wärme Verminderung verdammen, aber praktisch 
muß man sie ihres günstigen Einflusses auf den Krankheits¬ 
verlauf wegen empfehlen, und da muß man sich die Frage 
vorlegen: Nützen die Wärmeentziehungen wirklich deshalb, 
weil sie abkühlen, oder nützen sie vielleicht eben dadurch, 
daß die vom Fieber hervorgebrachte Erhöhung der Wärme¬ 
bildung, der Körperverbrennung, des Stoffverbrauchs noch 
mehr steigern, daß sie also die Effecte des Fiebers vermehren ? 
Ist es vielleicht die durch die forcirte Verbrennung noch größere 
Veränderung des Stoffwechsels in den Geweben, welche den 
lebenden Krankheitserregern ihr Hausen im Organismus noch 
unheimlicher machen, als es schon das Fieber thut? Ist es 
nicht die hiemit lebhaft gesteigerte Ausscheidung so vieler 
excrementeller Stoffe, Ptomaine, Leucomaine, welche die che¬ 
mische Vergiftung der Blutmischung geringer machen ? Ist das, 
was nützt, nicht etwa die gesteigerte Verbrennung der Körper¬ 
gewebe und des Blutes, welche durch die Wärmeentziehung 
möglich gemacht wird, Dank der bestimmten Wärmereguli¬ 
rung, ohne dem Körper selbst durch excessive Wärmeanhäu= 
fung zu schaden, ohne die Körpertemperatur auf mit dem 
Leben des Herzens und der Nervencentren unverträgliche 
Grade heraufzuschrauben? Und wenn dies der Fall ist, wie 


verschieden wirken die Wärmeentziehungen durch kalte Bäder, 
kalte Enteroclysmen u. s. w. von den chemisch wirkenden 
Antipyreticis, welche, wenn sie auch theilweise die Wärmeab¬ 
gabe vermehren, doch ganz hauptsächlichst die Wärmeent¬ 
ziehung selbst herabsetzen und häufig zu Collaps führen? 

Auch das kalte Vollbad, wenn es bei Herzschwächung 
und geringer Beactionsfähigkeit des Körpers angewendet wird, 
ist im Stande, durch die Erschöpfung der Wärmeerzeugung 
Collaps herbeizuführen. Hier ist es eben die äußerste Anstren¬ 
gung des Körpers, die entzogene Wärme durch größere Ver¬ 
brennung , durch rascheren Verbrauch zu ersetzen, wozu dem 
herabgekommenen Kranken die Mittel fehlen. Es ist das 
ökonomische Deficit, wodurch die Quelle der Wärmebildung 
versiegt, bei den Antithermicis hingegen ist es der directe 
lebende Einfluß auf die Wärmeerzeugung, der directe feind¬ 
liche Eingriff in die chemischen Lebensprocesse der Gewebe, 
wefehe zu Collaps führen. Dort ist es die vorübergehende 
Steigerung, hier die vorübergehende Verminderung der Wärme¬ 
erzeugung, welche in Betracht kommt. 

XVIII. 

Und wenn nach dem Aufhören der leichteren Wärme¬ 
entziehung die Temperatur in der Achselhöhle nachträglich 
um ein Geringes sinkt und dieses Sinken nur einige Stunden 
anhält, so ist die Ursache wohl wahrscheinlich darin zu 
suchen, daß die während der leichten Wärmeentziehung behufs 
des fieberhaften Wärmegleichgewichtes auch nur leichte 
Steigerung der Wärmeerzeugung früher aufhört, als die 
Steigerung der Wärmeabgabe von der abgekühlten Oberfläche, 
so daß nach Aufhören der forcirten Vermehrung der Wärme¬ 
bildung mehr Wärme verloren als gebildet wird, weil sich 
der Körper gleichsam an größere Wärmeabgabe gewöhnt hat 
und fortfährt, mehr Wärme abzugeben. Die Wärmeabgabe 
unter solchen Umständen wird eine solche Abkühlung des 
fiebernden Körpers sein, ohne die Reaction gegen den Krank¬ 
heitserreger und hiemit die Wärmeproduction des Körpers 
herabsetzen, ohne die Quelle derselben zum Versiegen zu 
bringen. Es hat also auch die abkühlende Nachwirkung der 
leichteren Wärmeentziehung nichts gemein mit den die Fieber- 
reaction lähmenden Einflüssen der chemischen Antipyretica. 

Die leichten Wärmeentziehungen mit abkühlender Nach¬ 
wirkung werden sehr gut erreicht durch Abwaschungen, durch 
kalte Ein Wicklungen, durch nicht zu kalte Vollbäder, durch 
Bäder, die halblau anfangen, aber während der Immersion 
des Kranken durch allmäliges Hinzufügen kalten Wassers 
immer frischer gemacht werden, wodurch das Abgehen von 
Wärme vom Körper an das Badewasser nur compensirt, die 
Wärmeentziehungen gewissen Grades nicht nur erhalten und 
verlängert, sondern sogar nach und nach gesteigert werden. 
Sie werden vielleicht noch vollkommener und jedenfalls sicherer 
erreicht durch die kalte Enteroclyse, von der ich in 
allen Fällen und namentlich beim Bauchtyphus einen lang¬ 
samen, aber durch mehrere Stunden steigenden Herabgang der 
Temperatur in der Achselhöhle constatiren konnte; sie wird 
ferner sehr unterstützt durch das reichliche Trinken von 
kaltem Wasser im Flecktyphus, wo ich vom täglichen Gebrauche 
von 5—6, ja manchmal sogar 10—11 Litern kalten Wassers 
fast regelmäßig die Defervescenz erhielt, während das Exan¬ 
them noch in voller Blüthe stand. 

XIX. 

Hier verdient auch die Thatsache erwähnt zu werden, 
daß einzelne mit hohem Fieber einhergehende Krankheiten 
gewiß auch bei der diaphoretischen Methode sehr gut 
verlaufen und von dieser evidenten Nutzen ziehen. Wenn 
man aber den Kranken zu stärkerem Schwitzen bringt, ist 
dies nicht auch eine Art von Wärmeentziehung? Gibt der 
schwitzende Körper nicht mehr Wärme an der Peripherie ab 
als der trockene? Ist die Schweißerzwingung nicht auch eine 
compensirende Methode, um die Anhäufung von Wärme im 


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Körper zu vermindern? Es ist wohl unzweifelhaft, daß auch 
die Schwitzmethode im Grunde eine Art von Wärmeentziehung 
ist, welche die Wärmeerzeugung gar nicht steigert; aber im 
Allgemeinen nützt die Schwitzmethode gewiß weniger als die 
Entziehung der Wärme mittelst der Kälte, vielleicht eben 
dadurch, daß sie die Wärmeproduction des Fiebernden gar 
nicht oder wenigstens nicht so hoch steigert, als dies die 
Kälte thut und daß sie eigentlich nur die Abgabe der durch 
das Wärmerhalten zu sehr angehäuften Wärme erfordert. 

XX. 

Wenn man nun noch betrachtet, daß die leichten Wärme¬ 
entziehungen, welche die innere Temperatur weniger erhalten 
und also die Wärmebildung nicht so sehr steigern, wie die 
großen Wärmeentziehungen, im Ganzen und Großen viel 
weniger Heilerfolg haben als die letzteren, so muß hieraus 
der Schluß gezogen werden, daß bei der Wärmeentziehung 
eben nicht so sehr das auffallende Abkühlen der Körperober¬ 
fläche als gerade die stärkere Verbrennung des Körpers mit 
den hieraus erfolgenden Wirkungen auf den allgemeinen Stoff¬ 
wechsel und auf den local inficirten Nährboden von segens¬ 
reichem Einflüsse auf den Kranken ist. So paradox auch ein 
solcher Ausspruch klingen mag, er ist gewiß berechtigt, wenn 
man Rücksicht nimmt einerseits auf die klinische Beobachtung, 
die jedem Arzte vorleuchten muß, wie der goldene Baum 
des Lebens gegenüber der grauen Theorie, und wenn man 
andererseits die so außerordentlich vermehrte Wärmeabgabe 
mit kalten Bädern berechnet, im Vergleich zur Erhaltung 
der inneren Temperatur, die ohne eine gleichzeitige, ent¬ 
sprechende Steigerung der Wärmeproduction sich nicht auf 
gleichem Grade erhalten könnte. 

XXI. 

Der Cardinalunterschied zwischen den hydriatischen 
Wärmeentziehungen und der Wärmeherabsetzung durch che¬ 
mische Antipyretica liegt eben darin, daß die ersteren 
die Wärmeentziehung steigern, die letzteren sie herab¬ 
setzen. Die zwei antipyretischen Methoden sind also direct 
entgegengesetzt, und man muß auch sagen, daß die unparteiische 
klinische Beobachtung gern die eine als nützlicher preisen 
kann, während sie die andere als möglicherweise schädlich an¬ 
erkennt. 

XXII. 

Nach all dem Gesagten ist es also nicht das Fieber, 
welches die Hauptgefahr bei einer Krankheit ausmacht, im 
Gegentheil, das Fieber ist für uns eine nothwendige und bis 
zu einem gewissen Grade heilsame Reactionserscheinung der 
acuten Krankheiten; man hat also keinen Grund, das Fieber 
als solches unterdrücken zu wollen. Wenn gewisse Mittel fast 
mit Sicherheit gewisse Fieber bekämpfen und damit den 
Kranken selbst auch gesund machen, so liegt dies darin, daß 
diese Mittel nicht den Fieberproceß als solchen, sondern den 
Krankheitserreger selbst und hiemit die Ursache des Fiebers 
in einer bestimmten Infection als specifisch antimikrobische 
Mittel bekämpfen. Allgemeine Antipyretica gegen alle Fieber 
existiren bis jetzt nicht. Wir müssen uns deshalb darauf be¬ 
schränken, die Wärmeanhäufung im fiebernden Körper zu 
vermindern, ohne die Wärmeerzeugung, die Reaction, herab¬ 
setzen zu wollen. Deshalb werden die hydriatischen Methoden 
sich immer empfehlen, während alle chemischen Antipyretica 
als allgemeine Fiebermittel schädlich erscheinen müssen. 

xxur. 

Nun, meine Herren, wenn ich im Allgemeinen die mit 
Fieber einhergehenden Krankheiten, die wohl sämmtlich acute 
Infectionskrankheiten sind, nicht mit den in Schwung gekom¬ 
menen antipyretischen und antithermischen Mitteln der che¬ 
mischen Fabriken und der Apotheke behandelt wissen will, 
wenn ich in diesen Krankheiten das Zuwarten des Ausgleichs- 
processes der natürlichen Lebensbedingungen des angegriffenen 


Organismus einer directen, das Fieber bekämpfenden Therapie 
überall dort vorziehe, wo wir kein specifisches Mittel gegen 
den Krankheitserreger selbst besitzen, so will ich deshalb 
nicht als therapeutischer Nihilist gelten. Der therapeutische 
Nihilismus hat seine Rolle ausgespielt. Er hat gewiß das un¬ 
schätzbare Verdienst, in einer Zeit wissenschaftlicher Verkom¬ 
menheit die Illusionen der Allopathie zerstört, die scheinbaren 
Wunder der Homöopathie erklärt, beide dieser jeder Natur¬ 
wissenschaft widersprechenden Systeme begraben zu haben. 

Dem therapeutischen Nihilismus ist es zu verdanken, 
daß die große Macht der Naturheilkraft, die Widerstands¬ 
fähigkeit und Reactionskraft des Organismus ihre Anerken¬ 
nung erlangt haben. Wir studiren heute die natürliche Spontan¬ 
heilung der Krankheiten, und was wir daraus erlernen, das 
wird uns ein Fingerzeig für die rationelle Behandlungsweise 
derselben dort, wo es uns nicht gelingt, die Krankheitsursache 
selbst aus dem Wege zu schaffen. Der Nihilismus der hoch¬ 
verdienten Wiener Schule war gewiß zu weit gegangen und 
drohte die ganze Apotheke über Bord zu werfen. Das hat 
wohl eine Reaction hervorgerufen im Lager der überzeugten 
Therapisten und die Reaction war erwünscht, war nothwen- 
dig, aber leider ist auch sie nach und nach zu weit gegangen 
und im Bündniß mit der allgewaltigen Mode hat sie häufig 
in der Suche nach Mitteln Üeberschätzung der therapeuti¬ 
schen Thierexperimente, das Ueberschätzen rein symptomati¬ 
scher Erfolge geboren. 

Wir modernen Naturärzte haben die Pflicht, die Natur¬ 
heilung gut zu erforschen, um sicher zu sein, daß wir mit 
unseren Mitteln die Heilung selbst nicht etwa erschweren, und 
nur auf diesem Wege werden wir die erste Pflicht des ge¬ 
wissenhaften Arztes erfüllen: nichtzu schaden; die zweite 
Pflicht: zu nützen, wird dann in denselben Grenzen der 
Schätzung aller Bedingungen zu erfüllen sein. 

Verzichten wir also darauf, das Fieber als solches um 
jeden Preis vernichten zu wollen, das Fieber, das in so vielen 
Fällen der beste Verbündete des Arztes ist, bestreben wir 
uns aber, es in seinen Ursachen zu bekämpfen, seine natur¬ 
gemäße Nothwendigkeit dem Kranken zu ersparen. Die Ten¬ 
denz, allgemeine Fiebermittel zu finden, den Fieberproceß als 
solchen ohne seine Ursache zu bekämpfen, ist ein beklagen s- 
werther Rückschritt in der rationellen Therapie. 

Vor dem Mißbrauch solcher Mittel ist nur zu warnen, 
und gewiß ist die Thatsache interessant, daß die Ueberzeugung 
von dem möglichen Nutzen des Fiebers eine sehr alte ist; 
erinnern wir uns an das Wort Boeehavb’s: 

„quid ent febriß! eat naturae irritatae connamen ad 
expellandam stimulnm inconsuetum.“ 

und des Wortes Bobsieri’s: 

„quo8 interdam morbos remedia non curant, febriß 
curat.“ 

Die Behandlung der Enuresis nocturna bei 

Kindern. 

Von Dr. G. P. van Tienhoven, Director des städtischen 
Krankenhauses im Haag.*) 

Meine Herren! 

Ich glaube berechtigt zu sein, die Enuresis nocturna bei 
Kindern vor Ihnen zu besprechen, weil in Bezug auf diese Krank¬ 
heit noch Meinungsunterschiede vorwalten. Außerdem weiß Jeder 
von uns, daß dieselbe für das Kind und dessen Umgebung 
ein ernstliches Leiden ist und eine Quelle vieler Enttäuschungen 
und Verdrießlichkeiten. 

Ich meine hier nicht die Enuresis, welche eine wich¬ 
tige Erscheinung organischer Krankheiten ist. Wenn sie 
als solche zu betrachten ist, so wird die Behandlung des 
Grundübels die Hauptsache sein und ist sie mit dem mehr 

*) Vortrag, gehalten in der Section für innere Medicin des X. Inter¬ 
nationalen med. Congresses. 


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oder weniger glücklichen Erfolge desselben enge verknüpft. 
Dennoch will ich schon jetzt beiläufig erwähnen, daß die von 
mir gemeinte Behandlung der Enuresis — der vornehmste 
Anlaß zu meinem Auftreten an diesem Oi*te — in vielen 
Fällen, bei denen die Enuresis nur eine Erscheinung ist, auch 
als symptomatische Behandlung in Betracht kommen kann. 

Ich will Ihre Aufmerksamkeit specieil auf die Enuresis 
lenken, welche als functionelle Störung Ihnen allen be¬ 
kannt ist. Es ist das Band dabei vollkommen gesund. Den 
Tag über ist nichts zu verspüren, was seine Entwicklung 
störte, aber Nachts, besonders in den ersten Stunden des 
Schlafes, werden von dem übrigens gesunden Kinde unwill¬ 
kürlich Bett und Laken benäßt. 

Weshalb? Weil die Harnblase, die während des Tages 
gut functionirt, keine Kraft hat, auch während der Nacht den 
abgeschiedenen Urin bei sich zu behalten, und denselben dann 
der Außenwelt abgibt. 

Ist bei diesem Vorgang der Musculus detrusor urinae 
oder der Musculus sphincter vesicae oder aber sind beide, der 
eine mehr, der andere weniger, im Spiel? 

Es ist meine feste Ueberzeugung, daß der Urin, der im 
ersten Theile der Nacht sich in der Harnblase befindet, durch 
den Musculus sphincter nicht zurückgehalten wird. 

Dazu ist der Muskel nicht kräftig genug. 

Er erlaubt dem Urin, der sich vor dem Orificium ure- 
thrae befindet, die Blase zu verlassen und seinen Weg in 
die Pars prostatica urethrae zu finden. 

Hier ist die Stelle, wo auf dem Wege des Reflexes die 
Thätigkeit des Muse, detrusor angeregt wird, und sobald dieser 
thätig .ist, wird der dort vorhandene Inhalt der Blase ganz 
hinaustreten. 

Diese Ueberzeugung brachte mich weiter auf den Gedanken, 
das an Enuresis leidende Kind Nachts mit erhöhtem Becken 
liegen zu lassen. Durch diese Erhöhung ist es möglich, daß die 
Blase eine bestimmte Menge Urin aufnimmt, bevor das Orificium 
urethrae von dem Urin erreicht wird, und eine noch größere 
Menge, bevor ein Tropfen Urin längs diesem Wege hinaus 
in die Urethra tritt. 

Eine andere Thatsache ist, daß die Enuresis nocturna 
sich meist in den zwei oder drei ersten Stunden des Schlafes 
bei dem Bonde zeigt. 

Ich halte es für wahrscheinlich, daß in diesen Stunden 
der Schlaf weniger fest ist und dadurch die Reflexempfind¬ 
lichkeit größer längs der Incidentfasern, welche zwischen der 
Pars prostatica und dem Musculus detrusor urinae die Ver¬ 
bindung herstellen. 

Wenn man nun das Mittel an wendet, bei welchem in 
den ersten Stunden des Schlafes der Urin die Blase nicht ver¬ 
lassen kann — und dieses Mittel wird durch die hohe Lage 
des Beckens gegeben — so wird später, sollten dann auch einige 
Tropfen Urin in die Urethra kommen, auf diesem Wege die 
Reflexempfindlichkeit nicht mehr angeregt werden. 

Weiter habe ich bei zehn Kindern nach ihrem Tode 
beobachtet und festgestellt, wie viel Flüssigkeit die Blase ent¬ 
halten kann, bevor dieselbe das Orificium urethrae erreicht. 

Alle wurden zuvor so gelegt, daß die Längsachse mit 
dem Horizont einen Winkel von 45° bildete. 

In dieser Haltung habe ich die Bauch- und nachher die 
Blasenwand in ihrem Vertex theile geöffnet. Die Ränder um 
diese Oeflnung wurden durch Haken auseinander gehalten. 
Die Oeflnung der Blase war dem Fenster zu gekehrt, so 
daß die Lichtstrahlen immittelbar in das Innere der Blase 
fielen. Bei diesen Versuchen habe ich auch ein Gläschen in die 
Blasenwand gebracht, nachdem ich vorher aus derselben ein 
Stückchen geschnitten. Das längs diesem Wege einfallende 
Licht reichte jedoch nicht hin, um den Inhalt der Blase gut 
übersehen zu können. Das Auseinanderhalten der Ränder in 
der geöffneten Blase ist daher bei diesen Versuchen besser 
und in jeder Hinsicht genügend. 


In die geöffnete Blase habe ich durch die gemachte 
Oeffnung blutgefärbtes Wasser tropfenweise fließen lassen. 

Das Wasser wurde mit Blut gefärbt, weil dadurch der 
Stand des Wassers neben der dasselbe umgebenden blassen 
Schleimhaut besser gesehen werden konnte. 

Durch diese Oeflnung wurde das Wasser getröpfelt, bis 
die Oberfläche des Wassers das Ostium urethrae erreicht hatte. 

Das älteste von den Kindern, mit denen diese Versuche 
angestellt wurden, hatte ein Alter von 10, das jüngste von 
3 Jahren erreicht. 

Beim jüngsten Kinde konnten ungefähr 600 kleine Tropfen, 
beim ältesten gut 1000 Tropfen, bei den übrigen Kindern 
durchschnittlich 800 Tropfen eingespritzt werden, bevor das 
rothe Wasser den Rand des Orificium bedeckte. 

Wenn man bedenkt, daß in einer Stunde durchschnitt¬ 
lich 250 Tropfen Urin sich abscheiden und in die Blase geführt 
werden, so beläuft sich die während der zwei ersten Stunden 
des Schlafes abgeschiedene Menge Urin auf 500 Tropfen, eine 
Menge, die also nicht hinreicht, um in der kleinen Blase (vor¬ 
ausgesetzt, daß diese beim Schlafengehen des Kindes geleert 
wurde) — in unserem Fall in der Blase eines dreijährigen 
Kindes — sich dem unteren Rande des Orificium urethrae zu 
nähern, während hiezu in größeren Blasen, d. h. in Blasen 
älterer Kinder, eine Zeitdauer von 3 oder 4, ja sogar von 
mehreren Stunden nicht genügt. 

Ich denke mir weiter, daß während dieser Zeit der 
Schlaf des Kindes fester wird und fest genug, um der Wirkung 
der Incidentfasern der Pars prostatica, wenn diese von Urin¬ 
tropfen berührt werden sollte, auf den Musculus detrusor 
urinae vorzubeugen. 

Hier kann ich hinzufügen, daß in dem beschriebenen 
Stande des Beckens und der Blase der Druck der Urinsäule 
den Fundus der Blase weit stärker trifft als das Orificium 
urethrae, auch dann, wenn dies ganz vom Urin umspült 
wird. In Zeitabschnitten also, in denen länger als 2 oder 
3 Stunden kleineren Blasen der Urin zugeführt wird und in 
welchen die Menge Urin allmälig größer wird, wird durch das 
geänderte Druckverhältniß die größere Menge Urin nicht so 
leicht die Ränder des Orificium urethrae auseinander drängen 
und längs diesem Wege die Schleimhaut der Urethra, und 
zwar der Pars prostatica derselben, erreichen. 

Erlauben Sie mir jetzt, diese theoretischen Betrachtungen, 
die durch die in den Blasen gestorbener Kinder gemachten 
Versuche gestützt wurden, und durch welche ich mich bei 
meinem Vorgehen vornehmlich leiten ließ, an der von mir am 
Krankenbette gewonnenen Erfahrung zu prüfen. 

Vor 1880, wo die Fälle der Enuresis nocturna von mir 
im städtischen Krankenhause im Haag in der gewöhnlichen 
Weise behandelt wurden (mit Extractum Belladonnae, mit 
Eisenehlorid, mit Nux vomica, mit Elektricität u. s. f.), war 
die mittlere Zeitdauer der Behandlung in 10 Fällen gut 
62 Tage. 

Nach 1880, wo die Elevatio pelvis von mir angewendet 
wurde, ist die mittlere Dauer der Verpflegung von 14 Kindern, 
für jedes von ihnen, 42 Tage geworden. 

Die kürzeste Zeitdauer war 15, die längste 106 Tage. 
In beiden Fällen handelte es sich um Knaben. Ich bemerke 
hier, daß von den 14 Kindern 13 Knaben waren und nur 
1 Mädchen. 

Ob diese überwiegende Zahl der Knaben, wie, nach 
Fürbring kr, Ui.tzmann meint, seinen Grund in der Thatsache 
findet, daß die Mütter dieses Leiden bei den Mädchen lieber 
verschweigen als bei ihren Jungen, will ich nicht entscheiden. 

Mir hat sich das Mutterherz derer, die ihre Kinder der 
Behandlung im Krankenhause anvertrauten, nie in diesem 
. Lichte gezeigt. Wohl kommt in Betracht, daß bei Bändern weib- 
| liehen Geschlechtes die Urethra niedriger in die Blase gepflanzt 
; ist als bei den Knaben, und daß bei Mädchen weniger Urin 
. abgeschieden wird. Da weiter beim Mädchen der Uterus in 


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Anteversion gegen die Blase liegt, kann dieser bei ihrer An- 
fUllung sich nach vom ausdehnen und (indem die Ausdehnung 
in der Quere länger ist als bei den Knaben) auch in dieser 
Ausdehnung beharren. Hiedurch, sowie durch den tieferen 
Stand der Urethra wird die Urinsäule nicht so schweren Druck 
auf das Orificium urethrae ausüben wie bei Kindern männlichen 
Geschlechts. 

Rückfall kam bei den von mir behandelten Kindern 
einmal vor. Ein Knabe von 8 Jahren, der seit seiner Kindheit 
an Enuresis nocturna litt, wurde den 27. Juni 1889 auf¬ 
genommen und den 11. Juli darauf entlassen, nachdem er 
6 Nächte trocken geschlafen. 

Anfangs September machte er zu Hause das Bett 
wieder naß. 

Am 6. September wurde er auf’s Neue in’s Krankenhaus 
aufgenommen, wo er bis zum 28. October d. J. blieb. Seither 
ist er trocken geblieben. 

Ich glaube, wie ich bereits früher bemerkte, daß die 
Methode, das Becken hochzulegen, auch bei anderen organischen 
Krankheiten und also als symptomatische Behandlung bei 
Catarrh der Blase, der Pars prostatica u. s. w. ihre Anwendung 
finden kann. 

Weiter denke ich mir, daß in den von Dr. Peyeb, meinem 
geehrten Collegen aus Schaffhausen, jüngst in der „Berliner 
Klinik“ vermeldeten Fällen, in welchen dieser die Enuresis 
als Folge der Masturbation und Spermatorrhoe betrachtet, 
die hohe Lage des Beckens, bei welcher der Urin die Blase 
nicht so leicht verläßt und der Reiz auf die Schleimhaut der 
Pars prostatica vielleicht unterbleibt, nicht anders als gut 
wirken kann. 

Ich habe in Bezug hierauf keine Erfahrung, weil Fälle 
von Masturbation als Grund der Enuresis nocturna, denen 
von Dr. Peybr großer Werth beigelegt wird, mir noch nicht 
begegnet sind. 

Dennoch will ich Ihnen die Methode der Elevatio auch 
hier empfehlen, weil, wenn sie Erfolg haben sollte, diese 
Methode, meines Dafürhaltens, der Einführung fremder Körper 
in die Urethra der Kinder vorzuziehen ist. Weil die Urethra 
des Knaben zu seinem Geschlechtsleben in enger Beziehung 
steht, erachte ich es für gut, jede Berührung der Urethra 
möglichst viel und möglichst lange zu vermeiden und auf mehr 
oberflächlichem Wege das beabsichtigte Ziel zu erreichen. 

Der Schamtheil des Kindes soll auch dem Arzte möglichst 
lange Schamtheil und also ein noli me tangere bleiben. 

Schließlich sei es mir erlaubt, Ihnen mitzutheilen, wie 
die Elevatio pelvis von mir im Krankenhause angewendet wird. 

Anfangs ließ ich dem Becken durch Unterstellung 
eines gut geschützten Kissens eine höhere Lage geben. 
Als sich zeigte, daß es schwer war, das Kind in seinem 
Schlafe in dieser Stellung zu erhalten, ließ ich die Matratze 
neigen, so daß das Becken und die Beine höher als die Stelle 
für Kopf und Brust liegen. Hiedurch wurde nicht in allen 
Fällen der Zweck erreicht. Es zeigte sich, daß man so nicht 
zu der Neigung gelangte, deren man bedurfte. 

Diese führte ich in den letzten 5 Jahren stets herbei, 
indem ich einen Holzrahmen unter das vordere Ende der Krippe 
stellen ließ, so daß letztere mit dem Horizonte einen Winkel 
von höchstens 45° bildet. 

So ist es möglich, daß sich das Kind auf die eine 
oder auf die andere Seite wälze, oder daß es die Beine etwas 
aufziehe, ohne daß die ihm nöthige Haltung dadurch Schaden 
nimmt. 

Weiter ist dieser Zustand dem Kinde nicht hinderlich. 
Das Kind schläft gut, es klagt beim Erwachen über nichts. 

Auch die Zusammensetzung des Urins ändert sich nicht 
in dieser Haltung ; seine physikalischen und chemischen Eigen¬ 
schaften blieben in allen Fällen, die in Bezug hierauf unter¬ 
sucht wurden, die nämlichen. 

Wenn das Kind einige Nächte trocken geschlafen hat, 
wird es aus dem Krankenhause entlassen. Der Mutter oder 


sonstiger Umgebung wird bei der Entlassung der Rath ertheilt, 
die hohe Lage des Beckens die nächstfolgenden Wochen beizu¬ 
behalten. Dieser Rath wird stets befolgt und in allen Fällen, die 
ich Ihnen vorgetragen, hat sich die Heilung der betreffenden 
Kinder, nachdem sie in die elterliche Wohnung oder in die 
Gesellschaft zurückgekehrt waren, als dauernd erwiesen. 

Ich könnte hier noch mehrere Fälle hinzufügen, auch 
aus meiner übrigen Praxis oder von Kindern, die um anderer 
Ursachen willen im Krankenhause Verpflegung fanden und von 
denen es sich dabei zeigte, daß sie an der Enuresis nocturna 
litten. 

Ich habe hier blos die 14 behandelten Fälle ange¬ 
führt, weil diese in’s Krankenhaus aufgenommen wurden zur 
Behandlung der Enuresis nocturna und mit Rücksicht auf 
diese im Krankenhause — später auch außer demselben — 
sorgsam beobachtet wurden. 

Andere Therapie fand in diesen Fällen nicht statt. Es 
wird nur darauf geachtet, daß die Kinder Abends mit leerer 
Blase und ohne soeben getrunken zu haben, schlafen gehen. Die 
Kinder fugen sich sehr willig darein. Einem Kinde, welches 
dazu oligämisch war, wurde auch Eisenchlorid innerlich 
gegeben. 

Weil die durch die mitgetheilte Behandlung erzielten 
Resultate günstig sind und die Behandlung einfach ist, habe 
ich geglaubt, diese nicht für mich behalten zu dürfen, sondern 
hier mittheilen zu müssen, in der Hoffnung, daß die Elevatio 
pelvis der Erwähnung auf diesem internationalen medicinischen 
Congresse werth sein werde. 


Notizen 

über die 

Denguefieber-Epidemie und die Influenza- 
Epidemie zu Smyrna. 

Von Dr. Ck Diamantopalos. 

(Schluß.) 

Die Influenza-Epidemie. 

Die Dengue-Epidemie war kaum erloschen, als im An¬ 
fänge December Affectionen der Respirationsorgane häufig auf¬ 
zutreten anfingen. Man meinte zuerst, daß es sich um 
Erkältungskrankheiten handelte, welche alle Jahre um diese 
Jahreszeit bei kalter und naßkalter Witterung erscheinen, 
sah jedoch bald ein, daß man sich vor einer Epidemie befand, 
für welche man die meteorologischen Verhältnisse weder aus 
schließlich, noch vorzüglich beschuldigen konnte, weil die 
Erkrankungsfälle in sehr kurzer Zeit eine hohe Zahl er¬ 
reichten, sehr viele Personen, ohne die geringste Veranlassung 
zu einer Erkältung gegeben zu haben, erkrankten, und die 
Krankheit den Verdacht erregte, contagiös zu sein. Man hatte 
also bald erkannt, daß man die Influenza vor sich hatte, 
welche damals in ganz Europa stark herrschte. Die Collegen, 
ohne Ausnahme, waren betreffs der Natur der neuen Epidemie 
einig und ohne Bedenken unterschieden sie dieselbe vom Dengue. 
Wie es aus verschiedenen nachträglichen Nachrichten hervorgeht, 
waren auch die Aerzte von Constantinopel und Athen der¬ 
selben Ansicht. Die Aerzte, welche in den Städten des Orients, 
wo das Denguefieber Ende des vorigen Jahres geherrscht, 
prakticiren, haben mit diesem letzteren innige Bekanntschaft 
durch volle vier Monate gemacht, ihre Erfahrungen waren 
reich und noch frisch, der Eindruck noch lebhaft, als die 
neue Epidemie ausbrach, alle haben das Denguefieber selbst 
überstanden; so ausgerüstet, vermochten sie schon auf den 
ersten Einblick die zwei Krankheiten zu differenziren und die 
etwa bestehenden Aehnlichkeiten parallel zu untersuchen. 

Die Influenza-Epidemie hat nicht ganz zwei 
Monate gedauert, 25°/ 0 der Bevölkerung befallen und war 


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gutartiger als in Europa, da sie um Weniges die übliche 
Mortalität steigerte. 

Wie aus den Citaten von A. Hirsch hervorgeht (Histo- 
risch-geogr. Pathol., Berlin, IL Aufl.), ist die Influenza keine 
neue Krankheit für unseren Orient, indem sie in Constantinopel 
in den J. 1580 (Chyträus), 1846—47 (Laval, Gaz. m6d. de 
Paris, 1847), 1868 (Markoin, Arch. de m6d. nav., 1869, XII., 
464), in Egypten in den J. 1883 und mehrmals zwischen 
1837—42 (Prunnrr, 1. c., S. 308), in Griechenland und Egypten 
1847—48 (Bericht in London med. gaz., 1847, V., 1152), 
1850—51 (Griesinger, Arch. f. physiol. Heilk., 1853, XII., 
547) geherrscht hat. Aus dem Mangel an Berichten darf 
man nicht schließen, daß sie jetzt zum ersten Male in Klein¬ 
asien erscheint. 

Das Fieber dauerte bei der Influenza, wenn sie ohne 
Complicationen verlief, nur 2—3, seltener 5—7 Tage, re- 
mittirt des Morgens und endet bald kritisch, bald lytisch. 
Die Temperatur schwankte zwischen 38 5—39 - 5° und erreichte 
seltener 40°, sogar 41°, vorzüglich bei Kindern, ohne jedoch 
mehr als 2-3 Tage zu dauern. 

Von den Symptomen sind hervorzuheben zuerst und vor¬ 
züglich Kopfschmerz, meist an der Stirn sitzend, Mattigkeit, 
catarrhalische Erscheinungen der Nasen-, Mund- und Rachen¬ 
schleimhaut und der Athmungsorgane, des Larynx, der Trachea 
und der Bronchien, Nießen und Nasenfluß, etwas rothe, 
thränende Augen, belegte Zunge, Röthung und Schwellung 
des Rachens, Schmerz beim Schlucken und spontaner, trockener, 
paroxysmenweise erfolgender, neckender. Husten, mitunter 
Heiserkeit, subjective laryngotracheitische Beschwerden, einige 
Rasselgeräusche in den Bronchien, dann Appetitlosigkeit, 
schlechter Geschmack, Röthe des Gesichts. Häufig stellte sich 
Erbrechen ein, welches sich mitunter öfters wiederholte. 
Diarrhoe war seltener. Die Affection der Bronchien war von 
verschiedener Intensität und Ausdehnung, vom einfachen 
Catarrh der größeren Bronchien bis zur hochgradigen Broncho¬ 
pneumonie, während fibrinöse Pneumonie selten war. Diese 
zwei Pneumonie-Arten waren die häufigste Ursache des Todes. 
Kinder, Greise, schwächliche Leute und solche, die an chroni¬ 
schen Krankheiten der Respirationsorgane litten, fielen am 
meisten zum Opfer. Nasenbluten war selten, etwas häufiger 
enthielt das spärliche, unter anstrengenden Hustenanfällen 
herausbeförderte Sputum Blut in Form von Tropfen und 
Streifen, oder ziemlich innig gemischt, nicht pneumonisch. 
Heftigere Bronchialblutungen habe ich nicht beobachtet. Hie 
und da sind Uterinblutungen und Abortus zur Beobachtung 
gekommen, dies Alles jedoch bei Weitem nicht so häufig und 
stark wie bei Dengue. 

Bronchitis und Bronchopneumonie stellten sich häufiger 
und intensiver bei Leuten ein, welche an chronischen Lungen- 
affectionen litten, und ebenfalls bei solchen, welche frühzeitig 
das Zimmer verließen und sich der schlechten Witterung aus¬ 
setzten. Wenn die Influenza bei uns gutartiger verlief, als 
in den meisten Staaten Europas, so war es höchst wahr¬ 
scheinlich der Milde unseres Klimas zu verdanken. In manchen 
Provinzen der europäischen Türkei, wo der Winter streng 
ist, war die Morbidität und die Mortalität enorm groß. Nach 
den bei uns gemachten Erfahrungen übte die Influenza auf 
die Lungentuberculose nicht den perniciösen Einfluß aus, den 
wir bei Dengue kennen gelernt haben; schon Copland und 
neulich Leyden haben den Umstand hervorgehoben, daß ihre 
tuberculösen Pat. sich durch die Influenza nicht verschlim¬ 
merten, während andere Autoren (Leudet, Petit) bei älteren 
Epidemien eine solche Verschlimmerung beobachtet haben. 
Ich fand die Influenza auch bei Herzkranken nicht nach¬ 
theilig. 

Die catarrhalische, richtiger die thoracische Form der 
Influenza ist in unserer Epidemie die vorherrschende gewesen, 
während die anderen Formen, die gastrische und nervöse, ver- 
liältnißmäßig selten und meistens neben Erscheinungen der 
Athmungsorgane beobachtet wurden. Die sogenannte nervöse 


Form zeichnete sich durch intensives Kopfweh, große Prostra¬ 
tion, Schmerzen der Glieder, Gelenke und Lenden, heftiges 
subjectives Krankheitsgefühl, geringe catarrhalische Erschei¬ 
nungen aus. Diese Form sieht vielen Denguefällen sehr ähnlich 
und das ist wahrscheinlich die Ursache, welche einige Collegen 
von Alexandrien und Beiruth veranlaßte, anzunehmen, daß es 
sich in jenen Gegenden einfach und lediglich um eine Dengue- 
epidemie gehandelt hat; diese Influenzaform jedoch darf uns 
nicht beirren in der Natur der Krankheit, indem sie auch 
während der letzten europäischen Epidemie beobachtet wurde, 
welche als Influenza wohl außer Zweifel steht. 

Ein Exanthem, ähnlich jenem, welches in den ersten 
zwei Tagen vieler Denguefälle zu erscheinen pflegte, also ein 
erythematöses oder scarlatinöses, habe ich in keinem meiner 
Influenzafälle beobachtet; andere Collegen waren glücklicher, 
indem sie manchen solchen Fall, jedoch sehr selten, zu Ge¬ 
sicht bekommen haben. Ein masernähnliches jedoch, wie das 
terminale Exanthem der Dengue es war, und welches ich als 
das wesentliche dieser letzteren betrachte, haben weder ich 
noch andere Collegen beobachtet. 

Die Influenzafälle waren im Allgemeinen leichter als 
die Denguefälle, indem das subjective Befinden bei den letzteren 
viel schlechter war, die Pat. sich mehr beklagten, die Krank¬ 
heit länger dauerte und die Reconvalescenz langsamer vor 
sich ging, die Glieder- und Gelenkschmerzen heftiger, die 
Appetitlosigkeit länger und stärker war. Die Mortalität 
jedoch war bei der Influenza größer, die Pat. ertrugen sonst 
leichter die Krankheit, und Dasjenige, was sie vor Allem er¬ 
müdete, waren die Hustenparoxysmen. 

Von den seltenen Localisationen des Processes oder Nach¬ 
krankheiten verdienen folgende Erwähnung: Häufig wurde 
die Neuralgie des Supraorbitalis, seltener anderer Nerven 
beobachtet. Ich selbst habe in 8 Fällen diese Neuralgie ein¬ 
seitig, um den 5.—9. Tag und später auftreten sehen. Die 
Schmerzen stellten sioh alle Tage um die gleiche Stunde ein 
und dauerten 5—10 Stunden; Antipyrin in 1*0 Dosis 1—2mal 
gegeben, wirkte palliativ, die Anfälle jedoch blieben in 4 bis 
5 Tagen ganz aus unter Chininbehandlung, innerhalb einer 
Stunde PO—1*30 durch mehrere Tage gegeben. Ob das Chinin 
die Neuralgien wirklich heilte oder dieselben spontan heilten, 
kann ich nicht sagen, weil alle Pat. so sehr litten und um 
baldige Befreiung baten, daß ich experimenti causa in keinem 
Falle exspectativ verfahren konnte, wenn auch von Interesse 
gewesen wäre, zu constatiren, ob Chinin eine specifische Wir¬ 
kung entfalte. Einer der Fälle recidivirte nach einigen Tagen 
und heilte dann definitiv unter Chiningebrauch. Keiner 
meiner Pat. litt früher an einer Neuralgie und nur einer vor 
mehreren Monaten an Wechselfieber. Ich habe auch einen 
Fall von linksseitiger Occipitalneuralgie bei einem Pat. beob¬ 
achtet, bei welchem die Influenza mit rechtsseitiger Pleuro¬ 
pneumonie complicirt war. Bei diesem Eiranken äußerte Anti¬ 
pyrin eine geringe palliative Wirkung, die Neuralgie wider¬ 
stand auch dem Chinin und heilte erst nach 20 Tagen. 

Beim Denguefieber habe ich keine solche Neuralgie beob¬ 
achtet, dagegen aber oft Wechselfieberanfälle, meist mit 
Tertiantypus, in der Reconvalescenz, welche durch Chinin 
prompt heilten. Die meisten Patienten haben schon früher 
an Malariafieber gelitten, hatten jedoch seit einigen Monaten 
oder Jahren keine Anfälle mehr gehabt. Unsere Aerzte sind 
allgemein der Ansicht, daß das Denguefieber alte, vergessene, 
für geheilt gehaltene Leiden zurückruft, die schon vorhandenen 
anfacht. 

In 3 Fällen von Influenza habe ich Otitis media beob¬ 
achtet, deren zwei zu Eiterung führten, der dritte aber ohne 
Weiteres heilte. Beim Dengue sind solche Fälle nicht vor¬ 
gekommen. 

Von besonderem Interesse ist die hie und da bei Influenza 
beobachtete acute Nephritis, indem sie neben anderen Er¬ 
scheinungen beweist, daß dieselbe eine specifische Infections- 
krankheit ist und nicht durch Potenzirung meteorologischer 


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Verhältnisse entsteht; die Frequenz der acuten Nephritis ist 
ja bei vielen acuten Infectionskrankheiten, auch den leich¬ 
testen, wie Varicella, allbekannt. In meinen Fällen stellte 
sie sich am 10.—13. Tage ein und ging mit Fieber, wenig 
concentrirtem, rothbraunem, eiweiß- und bluthaltigem Urin 
und Oedem des Gesichts einher. Die Pat. haben ein Alter 
von 3—6—25 Jahren und zeigen jetzt noch nach 2 Monaten 
Eiweiß im Urin. Bei zwei Pat. kann man eine Erkältung 
als Ursache der Nephritis sicher ausschließen, da die Pat. zur 
Zeit des Auftretens derselben noch im Bette lagen. Auch 
hier muß ich erwähnen, daß trotz der massenhaften Er¬ 
krankungen an Dengue keiner meiner Collegen, deren jeder 
viele hunderte von Pat. beobachtete, eine Nephritis in Folge 
dieser letzteren Krankheit zu Gesichte bekommen hatte. 

Während beim Dengue mehrere Fälle von Paralysis 
spinalis ascendens beobachtet wurden, war dies bei unserer In¬ 
fluenza nicht der Fall; daß aber eine solche Complication auch 
bei dieser Krankheit auftreten kann, beweisen die Fälle von 
Febrol und Laveran (Semaine m6d., 1890, p. 69) und von 
Dbasche (Mittheilung in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in 
Wien, Sitz, vom 7. März 1890). 

Die Influenza hat die Personen nicht verschont, welche 
einige Wochen oder Monate früher das Denguefieber über¬ 
standen hatten. Kann man diesen Umstand als differential¬ 
diagnostischen Beweis der zwei Epidemien verwerthen ? Befällt 
das Denguefieber den Menschen nur einmal? Diese Frage 
kann ich aus eigener Erfahrung nicht beantworten, Gabgiülo 
aber berichtet aus Canea auf Kreta (R4vue med. pharmac., 
1890, Nr. 1), daß von denjenigen Personen, welche im Jahre 
1882 das Denguefieber überstanden hatten, nur 3—4 bei der 
Epidemie vorigen Jahres wieder vom selben befallen wurden. 
Man kann also sagen, wenn diese Erfahrung von anderen 
ähnlichen bekräftigt wird, daß das Denguefieber sich in dieser 
Hinsicht so verhält, wie so viele acute Infectionskrankheiten 
und namentlich die acuten Exantheme, denen es am nächsten 
steht, und unsere zweite Epidemie nicht dieselbe Krankheit 
darstellt wie die erste. Der obengenannte Umstand hat also 
differentialdiagnostischen Werth. 

Eine Frage, welche in der letzteren Zeit viel discutirt, 
aber nicht gelöst wurde, ist die Contagiosität der Influenza. 
Ich kann nicht sagen, daß diese unsere Epidemie plötzlich 
über die ganze Stadt und Umgebung ausgebrochen ist, sie 
hat vielmehr eine gewisse Zeit nöthig gehabt, sich zu ver¬ 
breiten. Ob sie den großen Verkehrswegen bei ihrer Ver¬ 
breitung folgte, kann ich vorläufig aus Mangel an diesbezüg¬ 
lichen Berichten nicht sagen. Einige Collegen behaupten, daß 
die Influenza direct von Odessa in unsere Stadt eingeschleppt 
wurde, daß ein zugereister Russe der erste Patient war, 
welchem dann die Mitglieder der Familie folgten, welche ihn 
beherbergte. Dieser Herd mag existirt haben, ich weiß jedoch 
nicht sicher, ob er auch der erste war. 

Ich bin der Ansicht, daß die Influenza in einem geringen 
Grade contagiös ist, daß aber die Uebertragungsweise von 
Person zu Person nicht die häufigste Verbreitungsweise der 
Krankheit ist. Ich habe, sowie andere Collegen, beobachtet, 
daß, wenn ein Mitglied einer Familie erkrankte, nach einigen 
Tagen auch mehrere andere folgten, mitunter alle, während 
man in den Nachbarhäusern keinen einzigen Fall constatirte. 
Ich erkläre mir diese massenhaften Erkrankungen innerhalb 
der Familien durch Contagion. 

Zwischen Dengue und Influenza gibt es mehrere, 
sowohl epidemiologische, wie klinische Analogien, und nicht 
ohne Grund hat man discutirt, ob die Krankheit, welche Ende 
1889 ganz Europa heimgesucht hatte, Dengue oder Influenza 
war. Alle Aerzte, mit wenigen Ausnahmen, sind über die 
Influenzanatur der Pandemie einig. 

Betreffs unserer zwei Epidemien, welche von einander 
nur durch eine Zeit von 4—5 Wochen getrennt waren, steht 
es fest, daß es sich in der ersten derselben um das Dengue¬ 
fieber handelte. Was jedoch die zweite betrifft, so ist eine 
nähere Untersuchung umsomehr zulässig, als manche ge- 


| wichtige Stimme sich für die Denguenatur derselben ausge- 
i sprochen hat, z. B. die medicinische Facultät von Beiruth. 
Wenn diese Ansicht als richtig angenommen wird, so muß 
man auch annehmen, daß das Denguefieber wenigstens einen 
Monat lang, zwischen der Zeit der zwei Epidemien, latent ge¬ 
blieben ist, dann aber sich unter verschiedenen klinischen Er¬ 
scheinungen, unter verschiedener klinischer Physiognomie mit 
anderen Localisationen, Complicationen oder Nachkrankheiten, 
ohne den charakteristischen Ausschlag, die früheren Pat. nicht 
schonend, sich diesmal als sehr wenig, vielleicht gar nicht , con¬ 
tagiös entpuppte. Eine solche Hypothese widerspricht unseren 
Erfahrungen auf dem Gebiete der Infectionskrankheiten und 
ist unhaltbar. Die zwei klinischen Bilder machten auf alle 
I Aerzte einen verschiedenen Eindruck; andere Symptome bei 
Seite lassend, erwähne ich nur, daß die erste Epidemie sich 
durch Frost und Frösteln, heftige Stirn- und Augenhöhlen¬ 
schmerzen, sehr heftige Glieder-, Gelenk- und Lendenschmerzen, 
den längeren Verlauf, die längere Convalescenz, den eigen- 
thümlichen, abscheulichen Geschmack und den übelriechenden 
Athem, den initialen und noch mehr den terminalen Ausschlag 
Blutungen aus verschiedenen Organen, Orchitis als merk¬ 
würdige seltene Complication etc. auszeichnete. Die erste 
Krankbeit kam zu uns aus dem Süden (Syrien und Egypten), 
wo sie herrschte, und wurde nachgewiesenermaßen aus jenen 
Gegenden in unsere obere Stadt eingeschleppt; sie war sehr 
contagiös. Die zweite Epidemie zeichnete sich durch meist 
kürzeren Verlauf, weniger intensives Krankheitsgefühl, vor¬ 
zügliche Localisation in den Athmungsorganen, größere 
Mortalität trotz geringerer Intensität des Processes, fast nur 
durch Pneumonie und Bronchopneumonie, häufige Otitis und 
Nephritis aus, ferner durch Mangel des terminalen Ausschlages, 
schwache Contagiosität. 

Die Krankheit kam zu uns, als das Denguefieber sowohl 
in Smyrna wie in Constantinopel, Athen, Beiruth etc. erloschen 
war, dagegen die Influenza in ganz Europa herrschte. Wenn 
unsere zweite Epidemie eine Recrudescenz der ersten war, so 
muß dasselbe auch für die anderen eben genannten Städte an¬ 
genommen werden. 

Für die verschiedene Natur der zwei Epidemien sprechen 
auch folgende Gründe; nach den ausgedehnten epidemio¬ 
logischen und geographisch-ätiologischen Untersuchungen von 
A. Hibsch (Historisch-geographische Pathol., Berlin, II. Aufl.) 
ist das Denguefieber vorzüglich ein tropisches Leiden, und 
sein epidemiologisches Gebiet liegt zwischen 32° 47 n. B. 
und 23° 23 s. B. mit Ausnahme der Epidemie von Phila¬ 
delphia, welches unter 39° 56 n. B. und der von Cadix 
(Spanien), welches unter 36° 10 n. B. liegt. Eine allein da¬ 
stehende Ausnahme bildet auch die Epidemie von Constantinopel, 
welches unter 41° n. B. liegt und den höchsten Punkt bildet, 
welchen bis jetzt das Dengue erreicht hat. Unsere Stadt liegt 
innerhalb des oben genannten Verbreitungsgebietes des Dengues. 
Eine andere, mit den eben erwähnten übereinstimmende Eigen¬ 
schaft des Denguefiebers ist die, daß es eigentlich im Sommer 
und Anfangs des Herbstes herrscht, und dies ist vorzüglich 
der Fall in den nicht eigentlich tropischen Gegenden, wo sie 
im Juli und August, selbst im September erscheint, bei 
eingetretener kalter Witterung aber stets aufhört. Aus dem 
eben Angeführten geht hervor, daß das Denguefieber sich 
mit kalten Klimaten, kalter Jahreszeit und kalter Witterung 
nicht verträgt, und daß die in Europa in diesem Winter er¬ 
schienene Epidemie nicht Denguefieber sein konnte. Ebenso¬ 
wenig scheint es wahrscheinlich, daß die Epidemie, welche in 
den Monaten December und Januar in Kleinasien, in Constan¬ 
tinopel, in vielen Provinzen der europäischen Türkei, in 
Griechenland, bei einer Temperatur von 0° bis mehrere Grade 
unter 0 geherrscht hat, das Denguefieber war. Dagegen hindert 
nichts anzunehmen, daß es sich um Influenza handelte, weil 
sie von klimatischen, jahreszeitlichen und Witterungsverhält- 
nissen unabhängig ist. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 34. 


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Kleine Mittbeilungen. 

— Ausgehend von Untersuchungen im Laboratorium, entschloß 
sich Dr. Oscar Boer Injectionen von Quecksilberoxydcyanid 
gegen Syphilis zu machen, und berichtet in Nr. 7 der „Therapeutischen 
Monatshefte“ über die an der Klinik Lewin’b in Berlin gesammelten 
Erfahrungen. B. hält es für nicht geeignet, bei der Wahl von 
Doppelverbindungen solche zu nehmeu, die mit irgend einem anderen 
Antisepticum verbunden sind, sondern zieht vielmehr ein Präparat 
vor- welches an antiseptischer Wirksamkeit das Sublimat übertrifft, 
dabei auch den großen Vorzug hat, daß beide Salze Quecksilber¬ 
verbindungen sind. Im Ganzen wurden 30 Patienten mit dem Mittel 
behandelt. Die Anwendung geschah in der Weise, daß täglich ent¬ 
weder eine PRAVAZ’sche Spritze (1 Grm. Inhalt) von 1*25°/ 0 Lösung 
oder eine Lp.wiN’sche Spritze (2 Grm. Inhalt) von einer 0‘625% 
Lösung in die Glutaeen oder unter die Hückenliaut injicirt wurde. Vou 
den 30 Patienten waren 16 weiblich, 14 männlich; 21 wurden zum 
ersten Male, 9 an Recidiven behandelt. Als Krankbeitserscheinungen 
waren vorherrschend bei den Frauen 8mal Roseola, 5mal squamöses 
Exanthem, 2mal papulöses; Coudylomata lata au den Genitalieu fast 
bei allen Patientinnen, häufig an den Tonsillen. Die letzteren waren 
in den meisten Fällen nach der 5.—10. Injection geschwunden, 
Roseola und squamöses Exanthem nach der 9. und 17. Injection. Ein 
Fall von papulösem Exanthem in großer Ausdehnung war hartnäckig 
und blaßte erst bei 30 Spritzen ab. Von den Männern zeigten 10 Roseola, 
1 papulös-squamöses Exanthem, 8 Condylomata lata, 5 Sclerosen. 
Die Condylome schwanden nach 10 bis 12 Spritzen, Roseola und 
Exanthem nach 8 bis 10 Injectionen. Die Sclerose war im hart¬ 
näckigsten Falle nach 23 Spritzen geschwunden. Abgesehen von 
dem höheren antiseptischen Werth gegenüber dem Sublimat, hebt 
Verf. als besonderen Vorzug des Qnecksilberoxydcyanids hervor : 
1. Das Mittel coagulirt nicht Eiweiß. 2. Die Reaction der Lösung 
ist neutral oder alkalisch. 3. Das Präparat ist weniger giftig und 
weniger ätzend. 4. Es zersetzt sich nicht am Licht. 5. Es greift 
weniger als das Sublimat die chirurgischen Instrumente an und ist 
deshalb zur Desinfection derselben mehr geeignet. Die Schmerzhaf¬ 
tigkeit der Injectionen ist keine bedeutende, da alle männlichen 
Patienten sich freiwillig der Cur bis zam Ende unterzogen. 

— Auf Grundlage seiner bei Behandlung der serösen 
Pleuritis mit Natrium salicylicum gesammelten Erfahrungen be¬ 
stätigt B. Tektz in Nr. 7 der „Ther. Monatsh.“ vollauf den Aus¬ 
spruch Adfrecht’s , daß bei Sälicylgebrauch in einzelnen Fällen 
eine sehr rasche Heilung der Pleuritis erfolgt, ferner daß die durch¬ 
schnittliche Behandlungsdauer eine viel geringere ist, als bei den 
anderen Behandlungsmethoden. Nicht nur in frischen Fällen wirkt 
es am promptesten und sichersten, sondern auch in solchen, die 
schon mehrere Wochen gedauert haben; ebenso siud diesem Mittel 
nicht nur primäre, sondern mitunter auch evidont secundäre Pleuri¬ 
tiden nicht unzugänglich. Wie überraschend schnell das Mittel bei 
frischeren oder leichteren Fällen zu wirken pflegt, beweist der Fall 
einer 40jährigen Frau, bei der seit 2 1 / a Wochen eine leichte links¬ 
seitige Pleuritis bestand (Dämpfung bis an das Schulterblatt). Die 
bis dahin anderweitig ohne irgend welche Erleichterung behandelte 
Frau fühlte sich bereits am anderen Tage auffallend gebessert; auch 
objectiv war ein deutlicher Fortschritt zum Besseren an der sich 
aufhellenden Dämpfung, an dem wieder hörbaren Athmen zu 
constatiren. Nach vier Tagen war Alles zurückgegangen. — 
Als Beispiel einer secundären Pleuritis führt Verfasser einen 
Kranken au, bei dem die Amputation des Oberschenkels wegen 
eines chronischen Knieleidens, sowie die Operation einer Fistula ani 
anderswo ausgeführt worden war. Es fand sich bei dem Pat. ein 
mäßiges tuberculöses Pleuraexsudat, das nichtsdestoweniger nach 
Salicylgebrauch ziemlich schnell geschwunden war. T. gibt bei Er¬ 
wachsenen Grammdosen, bei Kindern, dem Alter entsprechend, ge¬ 
ringere Doseu, die ersten Tage 4—5 Grm. pro die, die folgenden 
Tage 3—4 Dosen pro die hintereinander immer nur 7 —8 Tage 
lang. Das Mittel wurde fast ausnahmslos gut vertragen. Die Wir¬ 
kung trat meist recht bald hervor, im Niedergang der Temperatur und 
Ansteigen der Diurese sich äußernd. Bei frischen Fällen und 
geringer Exsudation trat bereits nach 2—3 Tageu eine so voll¬ 


ständige subjective und objectivc Besserung ein, daß kaum nöthig 
war, den 7 —8tägigen Termin für die Darreichung des Mittels ein¬ 
zuhalten. Bei länger dauernden Fällen ereignete es sich öfter, daß 
nach 8tägigem Gebrauche wohl Besserung des Allgeraeinzustandes, 
auch des localen Befundes, aber keine vollständige Involution des 
Processes eintrat. In solchen Fällen wurde eine Probepunction mit 
der PRAVAZ’Bchen Spritze gemacht und bei Bestätigung der serösen 
Natur des Exsudates das Mittel von Neuem und dann oft mit defi¬ 
nitivem Erfolge gegeben. Das Mittel hat bis zu einem gewissen 
Grade auch eine diagnostische Bedeutung. Tritt nämlich nach den 
ersten Tagen des Gebrauches das Fieber nicht zurück, bessert sich 
das Allgemeinbefinden nicht und steigt namentlich die Diurese 
nicht, dann hat man die eitrige Natur des Exsudates zu befürchten. 

— Dr. Schäfer (Kaisheim) theilt in Nr. 27 der „Münch, 
med. Woch.“ einen weiteren durch Gesichtserysipel geheilten 
Fall von Lungentuberculose mit, der wegen seiner Seltenheit und 
Wichtigkeit ein größeres Interesse verdient. Pat., ein Gefangener, 
mit einer 5jährigen Haftstrafe eingeliefert, bekam im Jahre 1885 
eine Pleuritis; im nächsten Jahre verschlechterte sieh sein Allgemein¬ 
befinden, gegen Herbst desselben Jahres fanden sich Bacillen im 
Auswurf und ausgesprochene Verdichtungserscheinungen im Lungen¬ 
gewebe. Es trat heftiger Husten auf, Seitenstechen, Kurzathmigkeit, 
Appetitlosigkeit, Abmagerung, Nachtschweiße. Die Infiltration an 
der Spitze der linken Seite verbreitete sich allmälig weiter, gegen 
Ende 1887 gingen die Spitzensymptome auch auf die rechte Seite 
über, während die linke Erweichungserscheinungen bot; die Zu¬ 
nahme der Bacillen war eine rapide, gleichzeitig traten Störungen 
des Darmes, Constipationen und leichte Diarrhoen ein, bald kam 
tägliches Fieber dazu, und unter sichtbarer Abuahme der Körper¬ 
kräfte schien ein baldiger Exitus bevorzustehen, als sich plötzlich 
am 5. Januar 1888 das Bild zu ändern begann. Pat. bekam eine 
catarrhalische Angina, der bald ein deutliches Gesichtserysipel folgte, 
welches die rechte Gesichtshälfte, den Hals und den Nacken ergriff. 
Mit dem Schwinden des Fiebers schwanden auch die vor dem 
Erysipel bestandenen Erscheinungen des hectischen Fiebers, der Pat. 
erholte sich zum allgemeinen Erstaunen zwar langsam, aber doch bo, 
daß er bald als Feldarbeiter beschäftigt werden konnte. Die Nacht¬ 
schweiße schwanden gänzlich, der Appetit trat ziemlich stürmisch 
ein, die Darmerscheinungen regelten sich, die Kräfte kehrten wieder 
zurück. Die Bacillen nahmen auffallend an Zahl ab, die Rassel¬ 
geräusche verloren sich. Bei der Entlassung des Pat. aus dem 
Spital konnte die Dämpfung rechts kaum mehr eruirt werden, 
während die linke Seite vorne oben eine solche bis zur 2. Rippe 
nnd hinten oben zwei Querfinger hoch über der Infrascapulargrube 
aufwies. Heute ist der Pat., der nach Ablauf seiner Strafe in die 
Freiheit entlassen wurde, gesund und zu leichter Arbeit wohl befähigt. 

— Dr. P. J. Eichhoff berichtet in Nr. 28 und 29 der 
„Deutsch, med. Woch.“ über seine neueren Erfahrungen Über 
Aristol. In 4 Fällen von Favus des behaarten Kopfes trat nach 
Anwendung einer 10% Aristolsalbe keinerlei Besserung auf, anders 
verhielt es sich mit der Mycosis tonsurans capillitii; von 11 Fällen 
wurden 9 nach ca. 6 —8wöchentlicher Anwendung der 10% Aristol¬ 
salbe geheilt, 2 Fälle widerstanden dem Mittel; 8 Fälle von Sycosis 
parasitaria barbae, resp. montis veneris wurden theils mit 5% 
Aristolsalbe, theils mit 5% Aristolcollodium behandelt; sämmtliche 
8 Fälle waren nach 2—4wöchentlicher Behandlung als geheilt zu be¬ 
trachten , ohne Einwirkung eines anderen Mittels, selbst ohne 
Epilation. In 5 Fällen von parasitärem Eczem wurde eine voll¬ 
ständige Heilung nach 7— 14 Tagen constatirt, dabei zeigte das 
Aristol keinerlei Reizung der Haut, selbst an den zartesten Stellen, 
z. B. der Scrotalhaut. 5 Fälle von Lupus maculosus und 4 von 
Lupus exulcerans wurden mit Aristol behandelt, und zwar wurde 
das Mittel theils in Salben- oder Pulverform, theils in öliger oder 
ätherischer Lösung angewendet. Auf den Lupus maculosus hatte es 
absolut keine Wirkung, wohl aber brachte es die exulcerirenden 
Herde schnell und schön zur Vernarbung. Bei Scrophuloderma 
wurde der Geschwürsboden durch Auslöffelung seiner schlechten 
Granulationen entledigt und die unterminirten Ränder mit der 
Scheere abgetragen und dann das Aristol in Salben- oder Pulver¬ 
form applicirt. Sämmtliche so behandelten 5 Fälle heilten unter 


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schöner Narbenbildung in kürzester Zeit. Ein Fall von Erfrierungs¬ 
gangrän der Haut und Ulcus cruris wurde in günstigster Weise 
durch Aristol zur Vernarbung gebracht. Eine geradezu eclatante 
Wirkung übt das Aristol bei den gummösen Affectionen der tertiären 
Syphilis aus. 5 einschlägige Fälle — sämmtlich meist sehr aus¬ 
gedehnte ulceröse Syphilis — heilten unter Aristolbehandlung in 
circa 14 Tagen; bei Wunden nach exstirpirten Bubonen trat unter 
Aristolbehandlung schnell Heilung ein. E. gebrauchte das Mittel 
ferner gegen Urethritis chronica bei 9 Prostituirten in Form von 
Bacillen ä 0*2. In 6 von diesen 9 Fällen führte es zum ge¬ 
wünschten Erfolg, bei 3 ließ es im Stich. Bei acuter Gonorrhoe 
blieb das Mittel, in Form von Emulsion und öliger Lösung ange¬ 
wendet, wirkungslos. Eine Ozaena simplex verlor auf tägliche Ein- 
blasuug des Aristolpulvers sofort ihren intensiven Geruch. Zwei 
Kranke mit Psoriasis vulgaris wurden mit 10°/ 0 Aristolsalbe und 
10°/ 0 Aristoloollodium in 14 Tagen gebeilt. In einem Falle von 
Condylomata lata that 5% Aristolsalbe gute Dienste. Ein Eczema 
crustosum femoris wurde mit 5% Aristolsalbe geheilt. In einem 
Falle von Lupus erythematosns, der schon Jahre lang im Gesichte, 
an Händen und Füßen bestand, wurde nach Anwendung von 10% 
Pyrogallussalbe und Umwandlung des Exanthems in Ulceration in 
10 Tagen mittelst JO % Aristolsalbe Heilung mit schöner glatter 
weißer Narbe erzielt. 

— Ankntipfend au die in Nr. 33 gemachte Mittheilung über 
die von Paknwitz geübte Behandlung der UnterschenkeIgeschwäre 
mit Tricotbinden , bringen wir eine in Nr. 3 (1889) der „Wiener 
Med. Presse“ publicirte Arbeit von Dr. Em. Pochmann (Linz) in 
Erinnerung, in welcher der Autor für den Ersatz der MARTiN’schen 
Gummibinden durch baumwollene Tricotbinden bei der Therapie der 
varicösen Unterschenkelgeschwüre, sowie der Hautaufschürfungen 
der Tibia und Eczeme des Unterschenkels warm eintritt. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

III. 

Aus den Sectionen. 

Section für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

L Landau (Berlin): Therapeutische Erfahrungen über Tuben¬ 
säcke. 

Tubensäcke sind früher selten bei der Lebenden erkannt 
worden. Grund hiefür war die mangelnde Kenntniß objectiver und 
subjectiver diagnostischer Krankheitszeichen, die mangelhafte Unter¬ 
suchungsmethode. Selbst wenn erkannt, waren sie ein noli me 
tangere wegen der damals gefährlichen Operationsmethode. Dann 
kam oder ist vielmehr immer noch die Zeit des Ausschneidens jedes 
Tumors in abdomine, also auch der Tubensäcke. Wegen der guten 
Operationsresultate hat auch die Erkenntniß der Tubensäcke ex post 
gewonnen. Allein die Diagnose eines Tubensackes bedingt noch 
nicht an sich die Indication zur Salpingotomie und Castration, ähnlich 
wie etwa ein Ovarialtumor oder Krebs, sondern wegen der Nach¬ 
theile selbst, glücklich ausgeführter Operationen ist scharfe Indication 
für dieselbe nothwendig. 

I. Hydrosalpinx. 

Eine Hydrosalpinx kann spontan heilen. Den Weg der Spontan¬ 
heilung zeigt die intermittirende Hydrosalpinx. Die Methoden der 
Behandlung sind bei siohergestellter Diagnose: 

A. orthopädischer, mechanischer Art, 

B. chirurgischer Art. 

A. Orthopädische Mittel. 

a) Rectification einer falschen Uteruslage zum Zweck der Ver¬ 
besserung der Tubenlage. Dadurch ermöglichter Abfluß des Inhalts, 
wie bei der intermittirenden Hydronephrose. 

b) Massage, welche außerdem es ermöglicht, Tubeninhalt me¬ 
chanisch direct auszupressen; durch Lösung von Adhäsionen der 


Tubenabschnitte unter sich und mit Naclibarorganen, Knickungen 
und Drehungen der Tube auszugleichen und Contractionen derselben 
auszulösen. Unterstützt wird die Massagebehandlung durch Bäder, 
Irrigationen mit lauwarmem Wasser, Umschläge. In der Hand eines 
Sachverständigen, der nicht nur Gynäkologe ist, sondern auch kunst¬ 
gerecht ma8sirt, wirkt diese Methode sehr gut und können Nach¬ 
theile nie erwachsen. 

Diese beiden Methoden wendet L. an; die beiden folgenden 
perhorrescirt er: 

o) Die Sondirung der Tube. Diese Methode ist gefährlich. 
Schon wegen der Richtung des zu sondirendeu Canals zur Uterusaxe 
ist eine starre Sonde ungeeignet. Eine elastische Sonde aber dringt 
jn das verschlossene Tubarostiura überhaupt nicht ein. 

d) Die Erweiterung des Uterus ist gleichfalls nicht ungefährlich 
und unsicher. Die hiebei notbwendigen Manipulationen können 
eine Pyosalpinx zum Platzen bringen, eine Hydrosalpinx aber zur 
Eiterung. 

B. Chirurgische Eingriffe. 

Diese kommen in Frage, wenn die orthopädischen scheitern. 
Ihr Zweck muß in erster Linie der sein, die Tube in mehr conser- 
virender Weise in Angriff zu nehmen und diese und die Ovarien 
zu erhalten; die in ihren Folgen unberechenbare Salpingotomie und 
Castratio zu vermeiden (Hängebauch, nervöse Reize). In erster 
Linie sucht er den Säcken von der Scheide her beizukommen und 
wendet die mit Unrecht verpönte und als Methode verlassene 

a) Punction durch die Scheide 
methodisch an. 

Strenge Antisepsis nothwendig. Von der Bauchdecke her wird 
der Tumor nach dem Scheidengrund gedrängt und ein eigener Ttoicar, 
durch die Finger gardirt, ohne Hilfe des Speculums und ohne 
Fixation des Uterus eingestoohen. Vorsicht, daß uicht Luft ein¬ 
dringt. Niemals Aspiration. Bei seinen Vorsichtsmaßregeln Nachbar¬ 
organe und Gefäße nicht verletzt und überhaupt schwer verletzbar. 
Worauf es ankommt, ist palpatorisches Punctiren. 

Der Grund früherer Mißerfolge war mangelnde Technik; theo¬ 
retische Bedenken durch praktische Erfahrungen widerlegt. 

Die Punction kann nach unserem Willen eine partielle oder 
volle sein. Manchmal genügt die partielle, offenbar weil die ttber- 
gedehnte Musculatur entspannt wird und sich jetzt contrahiren kann. 
Die Wirkung der Punction ist ihr ähnlich, wie die Wirkung des 
Blasenstichs auf die schwangere Gebärmutter. Bei voller Punction 
sind die Erfolge verschieden. Zumeist tritt Heilung, sowohl bei 
ein-, als mehrfächerigen Tubensäcken ein, nicht immer im anato¬ 
mischen , aber im klinischen Sinne. Ein schlotternder Sack, die 
dilatirte Tube, bleibt manchmal zurück; aber die Flüssigkeit sammelt 
sich nicht immer an Mitunter aber doch. Das ist der zweite 
Ausgang: Recidiv nach Punction. Dieses Recidiv tritt gewöhnlich 
nach langer Zeit ein. Kehrt das Recidiv rasch, aber nach einer 
zweimaligen Punction wieder, so kommen noch die beiden folgenden 
Verfahren in Betracht: 

b) Volle Punction und Auswaschen der Höhle mit 3proc. 
Carbollösung. 

c) Injectionen von Jodtinctur in den entleerten Sack. 

d) Punction mit Liegenlassen einer Canttle zum Zweck der 
Eitererregung (ist aber verpönt). 

Liegen die Tubensäcke nicht dem hinteren Scheideogrunde an, 
sondern haben sie sich nach der vorderen Beckenwand zu ent¬ 
wickelt, so kommt die Punction von der Scheide aus überhaupt 
nicht in Betracht. Auch nicht von den Bauchdecken aus, weil die 
nicht adbärenten Säcke sich retrahiren. Bei diesen Hydrosalpinx, 
sowie bei den Fällen, in denen die Punction erfolglos war, kommt 

e) die Inoision 
in Betracht. 

Gegen diese von L. in Hunderten von Fällen angewandte ein¬ 
fache Punction von der Scheide aus läßt sich einwendeo, daß er im 
Irrthum Ovarialcysten, Eohinocoocen, Parovarialcysten und schwangere 
Tuben eröffnet habe. In ersteren Fällen wird nicht geschadet, in 
letzteren geradezu geheilt. 

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II. Pyosalpinx. 

Spontanheilungen der Pyosalpinx kommen vor. Nicht alle 
Formen erheischen eine radicale Behandlung. Viele Fälle verlaufen 
symptomlos. 

Bei der Pyosalpinx kommen mechanische Behandlnngsweisen 
nicht in Betracht. Eine Ponction der Pyosalpinx zu curativen 
Zwecken ist gleichfalls unzulässig, ebenso wie bei Pleuritis purulenta 
nur die Incision zum Ziele führt. 

Sonach kommt nur die Incision und Excision in Frage: 
die letztere bei mehrkammerigeu, die Incision bei einfächerigen 
Eitersäcken. 

Die Incision kann von der Scheide oder von den Bauchdecken 
oder von beiden Seiten gleichzeitig geschehen, je nach der Größe 
und Entwicklung der Tumoren nach vorn oder nach hinten unten. 

Die Incision von der Scheide aus wird nach sorg¬ 
fältiger Desinfection, ähnlich wie die Punction, ohne Zuhilfenahme 
des Gesichtssinnes, also ohne Speculum und ohne Herunterziehen des 
UteruB mittelst eines eigenen Instruments, nach Art eines Fistel - 
messers construirt, vorgenommen. Ist die Pyosalpinx, wie es die 
Regel ist, mit dem Scheidengrunde adhärent, so findet bei der In¬ 
cision natürlich keine Eröffnung des Peritoneum statt. 

Andernfalls wird mit der Hand, die auf den Bauchdecken 
ruht, der Tumor fixirt. Mit dem in die Incisionsöffnung eindringenden 
Finger wird dann die Wand des Eitersackes an die Schnittwunde 
gedrängt und mit langen PEAN’schen Pinces, die 24 Stunden üegen 
bleiben, wie bei der Uterusexstirpation, angeklemmt. Dadurch ist 
die Peritonealhöhle abgeschlosseu und bleibt es (einzeitige Incision 
von der Scheide aus). Zweizeitige Operation zu umständlich und 
gefährlich. 

8ollte stärkere Blutung eintreten, so wird gleichfalls von den 
Pinces als blutstillendes Mittel Gebrauch gemacht. Eine Verletzung 
der Nachbarorgane kann bei einiger Geschicklichkeit nicht stattfiuden. 

Die Nachbehandlung ist zweckmäßigerweise möglichst einfach: 
ein T-Drain wird eingeführt, bei Sackblutung auf 24 Stunden Jodoform¬ 
mull, welcher ebenfalls durch einen T-Drain nach dieser Zeit ersetzt wird. 
Die Drains bleiben 8—14 Tage liegen. Von Ausspülungen sieht L. 
mit Ausnahme einer einmaligen Ausspülung mit Kochsalzwasser bei der 
Operation zum Zweck der mechanischen Fortschaffung des Eiters 
principiell ab und läßt nur Scheidenausspfllungen vornehmen. Es 
empfiehlt sich, um den Abfluß aus dem Eitersack zu beschleunigen, 
die Kranken nach längstens 8 Tagen aufsitzen zu lassen. 

Die Inoisionswnnde hat, wenn sie auch noch so breit angelegt 
ist, eine große Neigung, sich zu schließen; allein sie gibt sehr leicht 
dem dilatirenden Finger im Falle einer Retention nach. Die un¬ 
mittelbaren Erfolge dieser einfachen Operation sind für das Wohl¬ 
befinden der Kranken überraschende. Die späteren Erfolge gleich 
falls gut, für den Fall, daß die Kranken, durch den raschen Ueber- 
gang zum Wohlbefinden übermüthig gemacht, sich der Beobachtung 
und Controle des Arztes nicht entziehen. In diesen Falle pflegen 
Eitersäcke durch vorzeitigen Schluß der Fistel zu recidiviren. 
Andere Fälle — die Mehrzahl — heilen vollständig aus, und es 
findet sich ein dickes, sch warten artiges Narbengewebe über dem 
Scheidengrund als Residuum der schweren Erkrankung. Andermal 
bleibt eine Fistel noch längere Zeit bestehen, ohne daß darum 
die Kranken in ihrem Wohlergehen oder ihrer Arbeitsfähigkeit be¬ 
schränkt sind. 

Liegen die Eitersäcke wesentlich der Bauch wand an, so macht 
L. auch die einzeitige Incision von den Bauchdecken 
a n 8. Sind sie adhärent, so ist eine Vorbereitung für den eröffnenden 
Schnitt überflüssig; sind die Säcke nicht adhärent, so operirt er 
doch in einer Sitzung, indem er den Sack, wie er es für die ein¬ 
zeitige Operation der Echinococcen, Pyonephrosen und extrauterine 
Schwangerschaft angegeben hat, an die Bauchdecken annäht. 

Was die Wahl der Incisionsstelle bei der Incision betrifft, so 
hängt dieselbe von der Lage und Größe des Sackes und seinem Ver¬ 
halten zum Darm ab. Ist derselbe groß, so bevorzugt L. den 
Schnitt in der Linea alba, wenn nicht, einen Schnitt parallel dem 
PouPAHT’scben Bande, wie zur Aufsuchung der Art. iliaea. 

Auch hier ist die Nachbehandlung eine möglichst zurück¬ 
haltende. Anfangs legte L. stets eine Gegenöffnung nach der 


Scheide zu an und drainirte nach oben und unten. Bei kleinen 
Säcken indessen stellte sich die Gegenincision bald als überflüssig 
heraus, und darum wendet er diese nur bei sehr großen Säcken 
jetzt noch an. 

In solchen Ausnahmefällen, in denen es wegen der Ueber- 
dachung mit Därmen unmöglich war, den kleinen Tubensack an die 
Bauohdecken zu nähen, und in denen andererseits eine Incision von 
der Scheide aus wegen Entwicklung des Tumors mehr nach vorn 
sich verbot, incidirte L. nach der Laparotomie, von der 8cheide 
aus, indem er jetzt mit der in den DOüGLAs’schen Raum einge¬ 
führten Hand die freie Stelle des Sackes ohne Gefährdung der 
Nachbarschaft von der Scheide aus treffen und incidiren konnte, 
drainirte von und nach der Scheide und schloß die Bauchwunde, 
ohne von hier aus den Sack zu eröffnen. 

Von Spülungen sieht er auch bei der Bauchdeckenincision 
principiell ab. 

Bei als mehrfächerig erkannten Pyosalpingitiden, bei den 
Formen von Hydrosalpinx, bei denen die oben genannte Behandlung 
fruchtlos war, und bei den Tubensäcken, bei denen weniger der 
eiterige Inhalt als die perisalpingitischen und salpingitischen Ver¬ 
änderungen im Vordergrund stehen, bei denen ausgiebige Adhäsionen 
mit dem gleichfalls entzündeten und nicht selten in einen Tubo- 
ovarialabsceß verwandelten Ovarium den wesentlichsten Krankheits¬ 
befund darstellen, kommt nur die Exeision in Frage. 

Wenn irgend möglich, wurden dabei die Ovarien in der Bauch¬ 
höhle gelassen, was namentlich bei Hydrosalpinx angeht. 

In der Regel aber ist wegen der Verwachsungen nicht allein, 
sondern auch wegen der Veränderungen der Ovarien die Oophorec- 
tomie mitsammt der Salpingotomie indicirt; eventi nur Resection des 
OvariumB. 

Das Operationsverfahren kann sehr schwer sein. Unterstützt 
und oft erst ermöglicht wurde die Operation durch den von L. 
angegebenen Handgriff der bimanuellen Herausreißung der Tuben¬ 
säcke. Die TRBNDELENBUKG’sche Hochlagerung ist gleichfalls ein 
gutes Unterstützungsmittel. 

Unter 52 Laparotomien wegen Pyo- und Hydrosalpinx hatte L. 
einen Todesfall in Folge von Ileus 8 Tage post operationem. 

Die Eotleerung des Inhalts der Pyosalpinx in die Bauchhöhle 
pflegt beim Herausreißen der Tubensäcke bei der Laparotomie nicht 
selten zu sein. Der Inhalt ist durch sorgfältigen Schutz der Därme 
und des Peritoneums mit Schwämmen aufzusaugen, oder durch 
Aspiration nach dem Bauchschnitt möglichst vor der Herausreißung 
der Säcke zu entfernen und nachher durch sorgfältigste Toilette 
mit in Kochsalzlösung getauchten Schwämmen zu beseitigen. 

Resection der Tube mit Annähen an die Bauchdecken hat L. 
nur bei ganz großen Säcken oder da geübt, wo er trotz seines 
Handgriffes wegen ausgedehnter und zu fester Verlöthung mit dem 
Darm von der Exstirpation des Sackes Abstand nehmen mußte. 

Dem Vorgang Schboedbb’s und Skütsch’s, aus einer ver¬ 
schlossenen Tube ein Stück herauszuschneiden (ein Vorschlag, der 
natürlich nur für die Hydrosalpinx gemacht ist), um durch die künst¬ 
liche Ocffnung eine spätere Conception zu ermöglichen (Salpingo- 
stomie), ist L. nicht gefolgt, in der Furcht, einer möglichen späteren 
Infection vom Uterus aus Thür und Thor zu öffnen. 

Die Folgen nach der Salpingotomie pflegen überraschend 
günstige zu sein. Bei einigen der Castrirten traten aber schwere 
Erscheinungen auf. Von den Bauchbrüchen abgesehen, zeigten sich 
nervöse, psychische Störungen und trophische Veränderungen, so 
daß die Kranken lieber ihr altes Leiden gegen ihren jetzigen Zu¬ 
stand eintauschen würden. S. 

K. Keppler (Venedig): Ueber das Geschlechtsleben des Weibes 
nach der Castration. 

K. hat die Operation 46mal gemacht und 39 vollkommene 
Heilungen erzielt. Von den 39 Geheilten wählte er 15 Fälle aus, 
welche seit Jahren einer genauen und allseitigen Beobachtung unter¬ 
zogen werden konnten. Er hat 21mal wegen Salpingitis purulenta 
oder gonorrhoica, 8mal wegen narbigen Tuben Verschlusses, lmal wegen 
angeborenen Tubenverschlusses, 4mal wegen tuberculöser Oophoritis 
und Salpingitis, 2mal wegen Oophoritis und Perioophoritis ohne 


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Betheiligung der Tuben, lmal wegen rudimentärem Uterus, 9mal 
wegen Uterusfibromen operirt. 

Aus der Tbatsache, daß Redner seine ersten Operationen wegen 
Salpingitis in August 1880 gemacht hat, geht hervor, daß er über¬ 
haupt einer der Ersten, jedenfalls aber der Erste in Italien gewesen 
ist, welcher die Diagnostik und chirurgische Behandlung der ent¬ 
zündlichen Tubenkrankheiten mittelst der Salpingo-Oophorectomie in 
die Praxis eingeführt hat. Die Operationen selbst sind in den 
meisten Fällen schwer und von langer Dauer gewesen und haben 
in allen Fällen den therapeutischen Ansprüchen genügt, welche an 
sie gestellt worden waren. 

Die physiologischen Consequenzen waren im Wesentlichen 
folgende: 

1. Wenn die Operation wegen Salpingitis oder entzündlicher 
Prooesse gemacht worden ist, traten nach derselben niemals mehr 
Uterinblutungen auf. 

2. Die Conjugata hat sich allmälig verkürzt, und das um so 
mehr, je jünger das Individuum gewesen (bis zu 3 Cm.). 

3. Die Gebärmutter hat sich gleichmäßig und fortwährend ver¬ 
kleinert, von 8 Cm. auf 2 Cm. innerhalb 10 Jahren; desgleichen 
ist die Scheide kürzer und enger, ihre Schleimhaut blässer ge¬ 
worden, die großen Schamlippen haben sich verdünnt. 

4. Die Brüste sind kleiner, der männlichen Mamma ähnlich, ge¬ 
worden. 

5. Die braunen Pigmente an Brustwarze, Warzenhof, Peri¬ 
neum, Anus sind vollkommen abgeblaßt, ebenso pathologische Pig¬ 
mentbildungen (Cloasmen). Die Haut selbst ist auffallend weiß ge¬ 
worden. 

6. Die allgemein hervorgehobene Neigung zum Embonpoint 
existirt nicht. 

7. An Haarwuchs und 8timme treten keine Verände¬ 
rungen auf. 

8. Der Geschlechtstrieb blieb vollkommen erhalten, und zwar 
um so ausgesprochener, je frühzeitiger die Operation nach dem 
Erscheinen der Menstruation gemacht worden ist. 

9. Die Operation stellt kein Ehehinderniß dar, denn 3 der 
von Keppler operirten Individuen haben sich verheiratet und leben 
seit Jahren in glücklicher Ehe. 

10. Die Ehe mit einem castrirten Weibe ist das Ideal einer 
malthusianischen Ehe, die einzige Form, in welcher der Malthu¬ 
sianismus durohgeführt werden kann, ohne Gesundheit und Lebens¬ 
glück der Betheiligten zu gefährden. 

11. Bei den wegen entzündlicher Affectionen im frühen Lebens¬ 
alter Operirten traten keine Neurosen auf, was bei den wegen Gebär¬ 
mutterfibromen in höherem Lebensalter Operirten häufig der 
Fall war. 

12. Die Blutungen bei Gebärmutterfibromen wurden durch 
die Operation günstig beeinflußt, doch ist niemals sofortige Meno¬ 
pause eingetreten. 

13. Die wegen Uterusfibromen operirten, schon in reiferem 

.Alter stehenden Frauen haben nach der Operation den Geschlechts¬ 
trieb vollkommen verloren. R. 


Seetion für allgemeine Pathologie und pathologische 

Anatomie. 

A. Genersich (Klausenburg): Seltene Anomalie des Pancreas: 
ringförmige UmschlieBung des Duodenums mit Verenge¬ 
rung desselben und consecutiver Magenerweiterung. 

In der Leiche eines 37jährigen Mannes war das Pancreas 
abnorm gebildet. Der große (7 Cm. breite, 6 Cm. hohe), durch die 
Bauchdecken fühlbare Kopf bildete einen engen Ring von Drüsen¬ 
substanz um das Duodenum, welches hier deutlich verengert, nur 
mit dem Daumen durchgängig war. Der obere Theil des Duodenums 
ist fast dickdarmweit, der Magen ebenfalls etwas ausgedehnt und 
die Mnscularis in beiden Organen hypertrophirt. Vortr. weist 
nach, daß diese Combination der Ringform des Pancreas mit Ver¬ 
engerung des Duodenums auch in den wenigen bis jetzt veröffent¬ 
lichten ähnlichen Fällen constatirt werden kann. Somit besteht die 
praktische Bedeutung dieser Anomalie einerseits darin, daß dieselbe 


eine Ursache oder Prädisposition zur Magenerweiterung bildet, 
andererseits darin, daß der jedesmal vergrößerte Pancreaskopf mit 
einer Geschwulst, resp. Pyloruskrebs, verwechselt werden kann. 

Auch in den recht häufigen Fällen, in welchen das Duodenum 
nur zum größeren Theil unvollständig vom Pancreas umgeben ist, 
findet sieh häufig eine auffällige Verengerung an dieser Stelle mit 
consecutiver Dilatation und Hypertrophie des oberen Tbeiles des 
Duodenums und des Magens, so daß auch diese Zustände als Ur¬ 
sache oder Prädisposition der Magenerweiterung eine Rolle spielen. 
Selbst wenn das Duodenum nicht verengert ist, kann die durch 
stärkere Fixirung des Duodenums verursachte Knickung des Darmes 
gelegentlich der stärkeren Anfüllung des Magens durch Ingesta 
als prädisponirendes Moment zur krankhaften Magendilatation ein 
wirken. A. 


Seetion für Laryngologie. 

R. Kayser (Breslau): lieber eine besondere Bewegung des Ary- 
knorpels bei Recurrenslähmung. 

Bekannt ist, daß bei einseitiger Recurrenslähmung der Ary- 
knorpel der gelähmten Seite durch die M. transvers. und obliqu. 
bewegt wird, weil die letzteren auch (nach Exner) durch den N. 
laryng. sup. innervirt werden. In einzelnen Fällen kann man aber 
noch folgende Bewegungserscheinung beobachten: 

Nachdem sich die Aryknorpel bei der Phonation berührt haben 
und bei der darauf folgenden Inspiration auseinander gewichen sind 
und die Glottis die größte Weite erreicht hat, macht der Aryknorpel 
der gelähmten Seite eine zuckende Bewegung nach der Medianlinie 
und wieder zurück — Pendelzuckung. 

Diese Pendelzuckung kann nicht durch rein mechanische Ur¬ 
sachen bedingt sein, weil bei der Inspirationsstellung kein elastisches 
Band am Aryknorpel besonders stark angespannt wird, auch von 
einer Ansaugung durch die Inspirationsluft kann nicht die Rede 
sein, auch willkürlich oder automatisch kann diese Bewegung nicht 
sein. Zwar sieht man bei unruhigen Kranken oft in der Inspiration 
beide Aryknorpel unruhig zittern, aber die Pendelzuckung tritt un¬ 
abhängig davon auf. Vielmehr deutet schon das Zuckende der Be¬ 
wegung darauf, daß es eine Reflexbewegung ist, und zwar 
scheint die Annahme erlaubt, daß es sich um einen Sehnenreflex, 
analog dem Knie- oder Fußphänomen, handelt. Bei der Inspiration 
wird der gesunde Aryknorpel von einzelnen Fasern des Posticus 
nach außen und abwärts gezogen, dadurch wird auf den M. trans- 
versus ein Zug ausgeübt, welcher den Reflex auslöst. Durch diese 
Auffassung wird erklärt, daß die Pendelzuckung an der gelähmten 
Seite auftritt, weil dieser Aryknorpel nicht festgebalten wird, daß 
sie bei der Inspirationsstellung erscheint und daß sie eine gewisse 
Unbeständigkeit zeigt, nicht in allen Fällen und bei denselben Fällen 
nicht immer zu sehen ist. Ob der Pendelzuckung eine diagno¬ 
stische oder prognostische Bedeutung zukommt, bleibt weiteren Be¬ 
obachtungen zu entscheiden Vorbehalten. R. 


Seetion für Ohrenheilkunde. 

L. Jacobson (Berlin): Zur Statistik der Ohrenkrankheiten. 

Reduer lag es ob, die Statistik der in der Ohrenheilkunde erziel¬ 
ten therapeutischen Ergebnisse zu besprechen. Bei der Bearbeitung 
dieser Aufgabe können, wie Redner im Eingänge seines Vortrages 
bemerkt, die in der otiatrischen Literatur vorliegenden „statistischen 
Berichte“ nur schwer benützt werden, weil dieselben eine genügend ein¬ 
heitliche Anordnung leider vermissen lassen. Die ihrer Verwerthung 
hinderliche Ungleichartigkeit besteht zunächst darin, daß in einigen 
Tabellen Kranke, in anderen Krankheitsformen verzeichnet sind, 
ferner darin, daß die üblichen Ausdrücke „geheilt“, „gebessert“, 
„ungeheilt“ von verschiedenen Autoren in durchaus ungleichem 
Sinne gebraucht werden. Schwartze bezeichnet als „geheilt“ die¬ 
jenigen Patienten, die durch die Behandlung normale Hörschärfe 
wieder erlangt haben. In derselben Weise verfährt Bezold in 
seinen ersten vier Berichten. In den späteren dagegen rechnet 
dieser Autor zu den „geheilten“ auch solche Fälle, bei welchen 


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nach Entfernung einer Ceruminalansaramlung, einer Schimmelvege¬ 
tation oder eines Fremdkörpers sich noch weitere, bereits ältere 
pathologische Veränderungen fanden, wo also functionelle Wieder¬ 
herstellung nicht herbeigeführt werden konnte. LcCAE führt als 
„geheilt“ sowohl diejenigen auf 1 , bei denen gleichseitig pathologisch- 
ähatomisöh ühd füüctionell Heilung üächzuweiseü, als auch die¬ 
jenigen, in deneh dibsär Nachweis nur fuUCtionell odef nur patho¬ 
logisch anatomisch Möglich War. An eioige Autoren, in deren Be¬ 
richten nicht angegeben ist, wovon die Bezeichnungen „Heilung“, 
„Besserung“ abhängig gemacht wurden , hat Jacobson schriftliche 
Anfragen hierüber gerichtet und auf diesem Wege Folgendes in 
Erfahrung gebracht. CHhls^iNNECK, Ludewig und Stacke fhhren 
bei dbr chronischen Mittelohreiterung, Krbtschmann sogar auch bei 
der acuten als „geheilt“ sflmmtlicbe Fälle auf, bei denen lediglich 
die Eiterung beseitigt war. Hbsslkr betrachtet als „geheilt“ sowohl 
die chronische Mittelohreiterung wie auch den chronischen Mittelohr- 
catarrh, sobald die Secretion sistirte. Bübkner spricht bei allen 
Mittelohreiterungen von „Heilung“ nur dann, wenn sich die Perfo¬ 
ration geschlossen uüd normales Gehör wieder eingestellt hatte. 
Bei den übrigen Krankheiten des Obres machen die eben genannten 
Autoren den Ausdruck „Heilung“ von der Wiederkehr der nor¬ 
malen Hörschärfe abhängig. Gruber dagegen berücksichtigt bei der 
Gruppirung der therapeutischen Ergebnisse allein die Beseitigung 
oder Besserung des Grundleidens, niemals das Hörvermögen. 

Es zeigt sich also, daß fast ln jedem Berichte unter „Heilung“ 
oder „Besserung“ etwas Anderes gemeint Ist. Jacobson hält für 
dringend wüUsbbenswerth, daß in Zukunft die Verschiedenheiten 
äutgegeben und einheitliche Gesichtspunkte bei der Zusammen¬ 
stellung der statistischen Tabellen zu Grunde gelegt werden. Denn 
die aus letzteren sich ergebenden Aufschlüsse sind nur dann von 
einiger Zuverlässigkeit, wenn sie sich auf große Zahlen stützen 
können; um aber solche zu erhalten, ist es nothwendig, viele sta¬ 
tistische Uebersichten aneinanderzureihen, und dies ist nur möglich, 
wenn alle nach gleichen Grundsätzen gearbeitet sind. 

Zu diesem Ende macht Jacobson für spätere Berichte folgende 
Vorschläge: Zunächst sollen in den Tabellen stets Krankheitsformen 
verzeichnet werden, da oft genug bei ein und demselben Patienten 
gleichzeitig mehrere Affectionen bestehen, die im auderen Falle nicht 
Bämmtlich aufgeführt werden könnten, wodurch eine Menge stati¬ 
stischen Materials verloren gehen würde. Sodann soll über die deu 
Ausdrücken „geheilt“, „gebessert“, „uugeheilt“ zu Grunde zu legen¬ 
den Begriffe eine Vereinbarung getroffen werden. Seinen auf der 
Cölner Naturforscherversammlung gemachten Vorschlag, die genann¬ 
ten Ausdrücke nur im functionellen Sinne zu gebrauchen, läßt 
Jacobson fallen, weil es Ohrenkrankheiten gibt, bei denen die Function 
nicht leidet, so daß also bei diesen der Zustand des Hörvermögens 
nicht über den Erfolg der Behandlung entscheiden kann. Aus diesem 
Grunde empfiehlt Redner nunmehr, bei den Krankheiten des äußeren 
Ohres mit Einschluß des Trommelfells die Bezeichnung der thera¬ 
peutischen Erfolge von dem Stande des Grundleidens abhängen zu 
lassen. Erscheint letzteres gehoben, so werden wir von „Heilung“ 
sprechen müssen , wobei jedoch zu bemerken iBt, daß völlige ana¬ 
tomische Restitution nicht erzielt zu sein braucht. Ist z. B. ein 
Cancroid der Ohrmuschel operativ beseitigt und ein Recidiv nieht 
erfolgt, so haben wir es mit einem Geheilten zu thun, wenn auch 
ein Stück von der Ohrmuschel amputirt wurde. Im Gegensatz 
hiezu wäre bei den Krankheiten des inneren Ohres, bei denen die 
objeetive Untersuchung intra vitam vollständig im Stiche läßt, das 
Hörvermögen für den erzielten therapeutischen Erfolg als maßgebend 
anzusprechen. Freilich müssen wir hier eine Ausnahme machen, 
und zwar bei dem sogenannten nervösen Ohrensausen, bei welchem 
die Hörschärfe normal ist. Was endlich die Krankheiten des Mittel¬ 
ohrs anlangt, so wird es sich hier kaum umgehen lassen, die 
Bezeichnung der Behandlungsergebnisse theils von dem Verhalten 
der Hörschärfe, theils von dem Stande des Grundleidens abhängig 
zu machen. Ersteres dürfte sich empfehlen bei dem acuten und 
chronischen Catarrh mit Einschluß der Sclerose und bei den Resi¬ 
duen abgelaufener Mittelohreiterung, letzteres bei den Entzündungen, 
den Neubildungen und Neurosen. Von den M ittelohreiter nagen will 
JACOBSON als geheilt nur diejenigen bezeichnen, bei denen nach 


Ablauf der Entzündung, nach Aufhören der Secretion sieh auch die 
Trommelfellperforation vollständig geschlossen hat, als gebessert 
diejenigen, bei denen die Eiterung sistirte. A. 


Aus den Pariser Gesellschaften. 

( Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Academie des Sciences. 

Sitzung vom 18. August 1890. 

Behandlung der Tuberculose und Schutzimpfung gegen dieselbe. 

Die Mittheilung Koch’s auf dem X. Internationalen medicini- 
scheu Oongreß, daß es ihm gelungen ist, ein Mittel zu finden, welches 
Meerschweinchen unempfänglich für Tuberculose machen kann, und 
welches auch die bereits vorgeschrittene Krankheit zum Stillstand 
zu bringen vermag, veranlaßt» GRANCHER und H. MARTIN eine der 
Acad6mie am 19. November 1889 in einem geschlossenen Briefe 
überreichte Mittbeilung über denselben Gegenstand früher als sie es 
gewünscht hätten in die Oeffentlichkeit zu bringen. In allen Ver¬ 
suchen wurden Kaninchen benützt, bei welchen intravenöse Injectionen 
von Tuberkelbacillen mit Sicherheit nach einer gewissen kurzen Zeit 
eine allgemeine tödtliche Tuberculose erzeugen, welche eine sichere 
Grundlage für therapeutische Versuche abgibt. Die Versuche be¬ 
zogen sieh auf die Behandlung der Tuberculose und auf eine Schutz¬ 
impfung gegen diese Krankheit. 

1. Behandlung. Den behandelten 1 ) f sowie den Controlthieren 
wurde gleichzeitig die gleiche Quantität einer in etwas destillirtem 
Wasser aufgelösten Cultur von Tuberkelbacillen in die Ohrvene ein¬ 
gespritzt. Das täglich controlirte Körpergewicht diente als Maßstab 
für die Behandlung. Die in den letzten 2 Jahren an 42 Kaninchen 
(27 behandelte und 15 Controlthiere) angestellten Versuche haben 
ganz dasselbe Resultat ergeben, wie die der folgenden Serie, bei 
der die Behandlung sich bei allen behandelten Thieren wirksam 
erwies: Am 31. December 1889 wurde 7 Kaninchen die gleiche 
Menge einer sehr virulenten Cultur von Tuberkelbaoillen in die Ohr¬ 
vene injicirt. Das Controlthier starb am 23. Januar 1890, also 
23 Tage nach der Infection, an Tuberculose. 5 der behandelten 
Thiere lebten je 126, 176, 176, 184, 189 Tage, das 6. lebt noeh 
229 Tage nach der Infection. Die Section der Thiere ergab ein 
vollständig negatives Resultat. Milz und Leber scheinbar gesund 
und ohne eine Spur vou Tuberkelbacilleu; mau findet nur in den 
perilobulären Zwischenräumen einige Embryonalzellen als Spur des 
in Heilung begriffenen tuberculösen Prooesses. 

2. Schutzimpfung. Es wurden zunächst verschiedene 
Stufen der Virulenz der Tuberkelbacillen hergestellt. Bezeichnet 
man mit Nr. 1 die vollvirulente Cultur, welche Kaninchen nach 
intravenöser Injection in 2—4 Wochen tödtet, so bilden Nr. 2, 
3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 Culturen von successiv abnehmender Viru¬ 
lenz. Nr. 7—10 bleiben ohne Wirkung auf Kaninchen, 2 und 3 
tödten noch nach verschieden langer Zeit, je nach der Widerstands¬ 
fähigkeit des Thieres. In der ersten Versuchsreihe wurden am 
27. August 1889 5 Kaninchen mit 1 / a PRAVAZ’schen Spritze der 
Cultur Nr. 6 in die Ohrvene geimpft. Am 3. und 12. September 
wurde die Cultur Nr. 3 eingespritzt, am 26. September Nr. 2, und 
am 15. October wurde gleichzeitig den geimpften und 3 Controlthieren 
vollvirulente Cultur injicirt. Die letzteren starben am 28. October, 
2. und 5. November an Tuberculose. Zur selben Zeit starben auch 
3 geimpfte Kaninchen. 2 starben am 17. December, resp. 1. Januar 
1890 und zeigten geringe tuberculöse Veränderungen. 

In einer zweiten Versuchsreihe wurden die Impfungen öfter 
vorgenommen und bei Nr. 2 stehen goblieben. Von 9 so geimpften 
Kaninchen, die am 23. Januar mit Nr. 2 geimpft wurden, leben 
noch 5 7 Monate nach der Impfung mit dem tödtlichen Nr. 2. 

Viel günstiger sind die Ergebnisse der folgenden Versuchs¬ 
reihe. 11 Kaninchen wurden vom 30. Januar bis zum 25. März 
wiederholt mit Culturen Nr. 6, 5, 4, 3, 2 geimpft und am 10. April 
gleichzeitig mit 2 Controlthieren mit vollvirulenter Cultur infioirt. 
Die letzteren starben nach 23, resp. 30 Tagen an Tnberculose. 


') Gleich Koch halten es auch Granchkr und Martin für angezeigt, 
das angewendete Mittel vorläufig geheim zu halten. 


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Von den 11 geimpften starben 2 am 16., resp. 26. Juni, 2 am 
7., resp. 29. Juli, 4 am 4., 7., resp. 9. August; die übrigen 8 sind 
noch gegenwärtig über 4 Monate nach der Infeotion am Leben. 

Es gelingt also mittelst einer noch zu vervollständigenden 
Methode einerseits die Resistenz empfänglicher Thiere gegen Tuber- 
oulose zu verlängern, andererseits Immunität zu erzeugen, deren 
Dauer erst zu bestimmen ist. K. 


Notizen. 

Wien, 23. August 1890. 

Die medicinisch-wissenschaftliche Ausstellung in Berlin. 

I. 

In engster Verbindung mit dem Internationalen medicinischeu 
Congresse stand die sorgfältig vorbereitete, reich beschickte Aus¬ 
stellung, welche demonstrirte, was der ärztlichen Kunst und der 
medicinischen Forschung zur Handhabe und Vervollkommnung 
dienstbar gemacht ward, wobei mit Recht Alles ferngehalten wurde, 
was weniger dem wissenschaftlichen Zwecke des Ganzen, als viel¬ 
mehr eigenem Vortheile zu Liebe Betheiligung heischte, ln 23 
Gruppen getheilt, bot die Ausstellung mehr als 1100 Nummern 
aus allen Zweigen der Wissenschaft. An der Hand des trefflich 
redigirten Kataloges sei ein übersichtliches Bild des Gebotenen 
entworfen. 

Die von 37 Ausstellern, darunter zahlreichen Gelehrten und 
Instituten (darunter die Proff. v. Basch und Fleischl in Wien und 
Doc. Laker in Graz) beschickte Gruppe der Präcisionsmechanik 
beschränkt sich im Wesentlichen auf diejenigen Instrumente, welche 
den speeifischen Aufgaben, namentlich der theoretischen Medicin, 
dienen. Da das Mikroskop, seiner Bedeutung entsprechend, für die 
Medioin ebenso wie die den praktischen Zwecken der Elektrotherapie 
gewidmeten Apparate gesondert untergebracht sind, so ist es die 
Physiologie, welcher die ausgestellten Instrumente ihrer Mehrzahl 
nach gewidmet sind. —Auf dem Gebiete der Mi kr ologie hat der 
seit den letzten ähnlichen Ausstellungen verlaufene Zeitraum wenig 
principiell Neues zu Tage gefördert, es ist aber der Versuch ge¬ 
macht, das Vorhandene möglichst vollständig zur Anschauung zu 
bringen. Was den optischen Apparat des Mikroskopes betrifft, so 
ist die Construction von Systemen mit weitem Oeffnungswinkel nach 
wie vor der leitende Gesichtspunkt geblieben, er ist Allgemeingut 
der Mikroskop-Fabrieation geworden, und die Concurrenz hat bei 
unantastbarer Trefflichkeit der Fabrikate einen für die Consumenten 
sehr erfreulichen Rückzug der Preise bewirkt. Die erhöhte Sorgfalt, 
welche die Fabrikanten auf die Correction der Systeme verwenden, 
läßt für die Arbeitsinstrumente den Besitz der mit besonderen Hilfs¬ 
mitteln bergestellten kostbareren Systeme entbehrlicher als früher 
erscheinen. Die Apocbromaten sind hiedurch mehr auf die Ver¬ 
wendung bei Mikrophotographie zurückgedrängt, wo sie eine sou¬ 
veräne Stellung behaupten. Ihre Fabrication ist aber noch nicht, 
wie es die jetzige allgemeine Zugänglichkeit der ABBE’sehen Glas 
Sorten hoffen ließ, verallgemeinert, so daß neben Zeiss bisher nur 
wenige Firmen mit gleichartigen Producten hervorzutreten wagen. 
Für Präparationsinstrumente ist das Augenmerk wesentlich auf die 
Mikrotomfabrikation gerichtet. Die Principien haben sich nicht 
geändert.' Die Fabrication verbesserter Messer und Messerhalter 
hat die Brauchbarkeit jedes Modells erhöht. Die Zahl der dem 
Mikroskopiker nöthigen Keagentien wächst mit den Fortschritten der 
Chemie und der fortschreitenden Einbürgerung mikrochemischer 
Gesichtspunkte jährlich. Einige Firmen, die sich den wohlbegrün¬ 
deten Ruf erworben haben, diese Reagentien dem Forscher in aus¬ 
gezeichneter Reinheit und vorschriftsmäßiger Ausführung au die 
Hand zu geben, haben Collectionen ihrer Fabrikate zur Ansicht 
gebracht. Von hervorragenden Forschern haben Prof; Exnkr (Wien) 
und Schöbl (Prag), von bekannteren Firmen Georg Grübler (Leipzig), 
Reichert (Wien), F. W. Schieck (Berlin) und Theod. Schuchardt 
(Görlitz) ausgestellt. 

Die Bacteriologie, deren Bedeutung für die gesammte 
Medicin immer mehr in den Vordergrund tritt, verdankt ihre unauf¬ 
haltsamen Fortschritte nicht zum wenigsten den Verbesserungen in 


Mikroskopen und technischen Apparaten. Unter den letzteren spielen 
diejenigen, welche zur Abtödtung der Bacterienkeime, zur Sterili- 
sirung dienen, eine bedeutende Rolle, da sie sowohl für den Chi¬ 
rurgen, als auch für den Experimentator geradezu unerläßliche 
Hilfsmittel geworden sind. Es tritt das Bestreben hervor, diese 
Apparato möglichst compendiös und dabei doch sicher wirkend herzu¬ 
stellen. Besondere Sterilisirungsapparate ermöglichen die Erzeugung 
von Massenreincnlturen, wie solche für den Forscher, der sich mit 
den wichtigen Stoffwechselproducten der Bacterien beschäftigt, und 
für manche Zweige der Technik, z. B. für das Braugewerbe, er¬ 
fordert werden. Zu den früher angewandten Farbstoffen sind eine 
Reihe anderer hinzugetreten, die durch mikroskopische Reaotionen 
wichtige Aufschlüsse über die Structur nnd Zusammensetzung der 
kleinsten Lebewesen versprechen. Dem gleichen Bestreben ist die 
Mikrophotographie dienstbar geworden, welche auch durch ihre 
naturgetreuen Abbildungen die Verständigung auf diesem noch so 
vielfachen Mißverständnissen ausgesetzten Gebiete mächtig fördert. 
Die Culturmethoden der Bacterienforschung haben eine bedeutsame 
Bereicherung erfahren durch die Züchtung der bisher vernachlässigten 
Bacterieu, welche nur bei Abschluß des Sauerstoffs gedeihen (Anaü 
robien). Die chemische Untersuchung der von den Bacterien gelie¬ 
ferten Stoffwechselproducte hat äußerst interessante Thatsachen zu 
Tage gefördert, die auf viele Erscheinungen im Verlaufe der 
bacteriellen Infectiooskrankheiten ein helles Licht werfen. Ein an¬ 
schauliches Bild des Apparatenschatzes, dessen sich der Hygieniker 
wie auch der Kliniker der verschiedensten Richtung bei seinen 
Forschungen bedient, geben die vollständig nach den neuesten Prin¬ 
cipien ausgestatteten Normalarbeitsplätze. 

Das Maß der Dienste, welche die Photographie der Medicin 
auf den mannigfachsten Gebieten geleistet hat, darf nicht füglich 
nach dem in der Ausstellung Gebotenen beurtheilt werden, da 
es unmöglich ist, die zersplitterten bedeutenden Leistungen zusammen 
?u fassen und in ein einheitliches Bild zu bringen. Eine derartige 
Anfordernug kann nur da befriedigt werden, wo von vornherein die 
Photographie am Betriebe eines ganzen Institutes einen entsprechenden 
Antbeil zugewiesen erhielt; dies ist aber in den medicinischen 
Instituten noch wenig geschehen. Es wäre gewiß vortheilhaft für 
die Wissenschaften, die Leistungen einer chirurgischen Klinik regel¬ 
mäßig und vollständig zu verzeichnen, um sie den Acten des 
Institutes einzureihen; ferner in den Irrenanstalten typische Bilder 
der Geisteskranken in den verschiedenen Stadien des Krankheitsver- 
laufes aufzunehmen und im dauernden Besitz der Anstalt zu erhalten, 
wir dies Arndt in Greifswald meisterhaft ausgeführt; vollständige 
Darstellungen über die Formen der Hautkrankheiten und syphilitischen 
Erkrankungen in photographischer Gestalt zu sammeln; typische 
Erscheinungen des Gesichtsausdruckes und der Haitang auch bei 
inneren Krankheiten photographisch festzulegen, was Mosler 
(Greifswald) vorzüglich gelungen ist, und Aehnlicbes mehr. Was in 
der That eine zielbewußte und entschlossene Ausnützung der photo¬ 
graphischen Technik zu leisten im Stande ist, hat R. Koch durch 
seine mikrophotographischen Arbeiten gezeigt. Auch andere Forscher 
benützen diese Darstellungsweise mit gleichen Erfolgen, wie die 
Arbeiten von Neuhaüs , von Günther jr. und Anderen er¬ 
kennen lassen. Gerade im vorliegenden Gebiete feierte die Photographie 
ihren schönsten wissenschaftlichen Triumph, indem sie die von den 
Physikern theoretisch berechneten Vortheile, wie sich die Empfind¬ 
lichkeit der Platten für kurzwelliges Licht im Vergleich zum mensch¬ 
lichen Auge ergab, zur Thatsache machte und das optisch Unsicht¬ 
bare, z. B. die Geißel der Bacterien, zur graphischen Darstellung 
brachte. Aber auch mit den Augen anderer Wesen lernen wir durch 
die Photographie sehen, wie die höchst interessante Aufnahme von 
Exnkr (Wien) beweist, welcher das im Auge des Leuchtkäfers 
entworfene Bild zur photographischen Darstellung gelangen ließ. In 
verwandter Richtung bewegen sich die ausgestellten Arbeiten von 
H. Cohn (Breslau), der ebenfalls die optischen Verhältnisse des 
Auges und zumal des Augenhintergrundes durch photographische 
Untersuchungen aufzuhellen bestrebt ist. Außer der Wellenlänge 
ist bekanntlich die besondere Farbe des verwandten Lichtes von 
hervorragendem Einfluß auf die photographischen Ergebnisse. In 
dieser Richtung arbeitet das phototechnisehe Laboratorium der Hoch¬ 
schule in Charlottenburg unter Leitung des Prof. H. W. Vogel mit 


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anerkanntem Erfolge. Dabei bilden Spectraluntersuchungen die von 
der Natur gegebene Grundlage, und wir sehen in der Ausstellung 
Resultate, die dem Mediciner besonders wichtig sind, durch die 
Photogramme der Blutspectra, aufgenommen durch Vogel jun., 
in schöner Ausführung vertreten. Aber nicht nur in der durch die 
optischen Gesetze gegebenen Beschränkung bedarf das menschliche 
Auge der Correction durch die Photographie, sondern auch in Betreff 
der Genauigkeit und Sicherheit der Auffassung morphologischer Ver¬ 
hältnisse. Hier ist sie besonders dem Anatomen im weiteren Sinne 
von größtem Nutzen, sowohl für das Erkennen, als auch für die 
geographische Festlegung bestimmter Verhältnisse. Diese Thatsache 
wird durch die Betrachtung der embryologiscber Aufnahmen von His 
(Leipzig) ganz besonders einleuchtend. Desgleichen aber auch durch 
die von Luschan aufgenommenen Photographien sogenannter Schlangen 
menschen, welche R. Virchow zur Darstellung brachte. Der Künstler 
müßte bei der gänzlich ungewohnten Erscheinung, wie sie die ana¬ 
tomischen Verhältnisse dieser Person darbieten, gewiß verzweifeln, 
mit Stift oder Pinsel eine correete Zeichnung davon zu entwerfen. 


(Vom internationalen medicinischen Congresse.) 
Es liegt nunmehr die authentische Statistik über den Besuch des 
Congresses vor. Nach derselben betrug die Gesammtzahl der Mit¬ 
glieder 5737, die der Theilnehmer 143 und die der Damen 1376. 
Von den Mitgliedern entfallen auf Berlin 1166, Deutschland (ohne 
Berlin) 1752, Oesterreich-Ungarn 262 , Großbritannien und Irland 
358, Niederlande 112, Belgien 62, Luxemburg 2, Frankreich 179, 
Schweiz 67, Italien 146, Monaco 1, Spanien 41, Portugal 5, 
Schweden 108, Norwegen 57, Dänemark 139, Rußland 429, 
Türkei 12, Griechenland 5, Rumänien 32, Serbien 2, Bulgarien 5, 
Vereinigte Staaten von Amerika 659, Canada 24, Brasilien 12, 
Chile 14, Mexico 7, das übrige Amerika 30, Egypten 8, Capland 1, 
das übrige Afrika 5, China 2, Japan 22, Ostindien 2, Niederländisch- 
Indien 2, Australien 7. Von den Theilnehmern entfallen auf 
Deutschland 97, außerdeutsehe Länder 46. Die Zahl der Aerztinnen, 
die am Congreß theilnahmen, beträgt 14. — Das finanzielle 
Ergebniß des Congresses ist ein befriedigendes; nach den Auf¬ 
stellungen, welche soeben im Generalsecretariate stattfinden, dürfte 
ein namhafter Ueberschuß resultiren, bezüglich dessen Verwendung 
der ungarische Delegirte CsatAry in der 3. allgemeinen Sitzung 
den Antrag stellte, in erster Linie die unermüdlichen Beamten des 
Congresses zu bedenken, den Rest für die Errichtung eines Volks¬ 
trachten Museums und für die Armen Berlins zu bestimmen. 

(Die Versammlung mährischer Di strictsärzte), 
welche am 5. d. M. zu Prerau stattfand, brachte zunächst den Bericht 
des Collegen Navratil (Schlappanitz) über den Erfolg der in der 
vorjährigen Versammlung zu Brünn beschlossenen, an den mährischen 
Landtag gerichteten Petition (vergl. „Wiener Med. Presse“, 1889, 
Nr. 43) um Einberufung einer Enquöte zum Zwecke der Umarbeitung 
des weder die Landgemeinden, noch die Districtsärzte befriedigenden 
Sanitätsgesetzes zur Kenntniß, welcher mittheilte, die Eingabe der 
Districtsärzte sei nach einer nichts weniger als erquicklichen Debatte 
im Landtage dem Laudesausschusse zur Behandlung überwiesen 
worden, ohne daß die Petition bisher ein zufriedenstellendes Schicksal 
erlebt hätte, und beschloß, in der weiteren Arbeit und dem 
Streben nach Verbesserung der Lage der mährischen Districtsärzte 
trotz der bisherigen Mißerfolge nicht zu erlahmen. Hierauf acceptirte 
die Versammlung das Project der Gründung eines Pensions- und 
Unterstützungsfonds, nach welchem jedes Mitglied des zu 
gründenden „Vereins der mährischen Districtsärzte“ einen einmaligeu 
Betrag von fl. 100 und jährlich fl. 18—24 erlegen soll, wodurch 
im Vereine mit einer zu erhoffenden Landessubveution eine Pension 
von jährlich fl. 300 erzielt würde, während der Unterstützungsfond be¬ 
sonders dotirt und durch Heranziehung des chirurgischen Gremialfonds 
und des Erlöses einer Effectenlotterie fundirt werden soll, und beauf¬ 
tragte das ComitG mit den auf dem Wege der Selbsthilfe zu 
unternehmenden weiteren Schritten. Das geschlossene, zielbewußte 
Vorgehen der mährischen Districtsärzte wird von den in derselben 
Lago befindlichen Aerzteu der anderen Kronländer sympathisch 
begrüßt. 


(Wanderversammlung ungarischer Aerzte und 
Naturforscher.) Von 16.—20. d. M. tagte in Großwardein 
die 25. Wanderversammlung ungarischer Naturforscher und Aerzte 
unter Vorsitz des Bischofs Schlauch. Den diesjährigen Preis im 
Betrage von 100 Ducaten erhielt L. Ehrenreich für seine Arbeit 
„Das Wechselfieber in Ungarn“. Ueber die wissenschaftliche Thätig- 
keit der recht gut besuchten Versammlung, welche als Vorort 
Kronstadt in Siebenbürgen wählte, werden wir berichten. 

(Person alien.) Der Privatdocent an der Wiener Universität, 
Dr. Ludwig Piskaöek , ist zum Professor der Geburtshilfe an der 
Hebammenscbule in Linz, der k. k. Bezirksthierarzt in Baden, 
Carl Umlauf, zum Landes-Thierarzte für Niederösterreich ernannt 
worden. 

(C h ö 1 e r a - N a c h r i c h t e n.) Die letzten Meldungen über die 
Ausbreitung der Cholera in Spanien lauten noch immer ungünstig. 
Während die Seuche in der Provinz Badajoz fast erloschen ist, 
macht dieselbe in Alecante und Valencia neuerdings Fortschritte. 
In Villa Joposa wurden am 10. August 9 Cholera-Erkrankungen 
mit 7 Todesfällen, in Lierena 6 Fälle mit einem, in Arges 12 Fälle 
mit 7 letalen Ausgängen constatirt. Bisher sind 1600 Erkrankungen 
mit 788 Todesfällen (= 48*7°; 0 ) gemeldet worden. — Aus Con- 
stantinopel wird berichtet: An Bord des Kriegsschiffes „Ertogrul“, 
welches von Japan mit 600 Mann Besatzung heimkehrte, sind 
35 Cholera-Erkrankungen und 15 Todesfälle vorgekommen. In 
Hedschaz und in Mekka ist ein Stillstand, resp. eine Abnahme der 
Seuche zu constatireu. Am 13. August sind in Mekka 43, in 
Dscbeddah 45 Personen an Cholera gestorben. — Von der öster¬ 
reichisch-ungarischen Regierung ist gegen die Verschleppung der 
Seuche durch aus Mekka heimkehrende bosnische oder herzegowinische 
Pilger das Entsprechende angeordnet worden. 

(Statistik.) Vom 10. bis inclusive 16. August 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 3975 Personen behandelt. Hievon worden 755 
entlassen; 97 sind gestorben (ll'4°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
worden aus der Civilbevölkerung Wiens nnd der angrenzenden Vororte in ond 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 27, egyptischer Angenentzündung 8, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphos 10, Dysenterie 1, Blattern 14, Varicellen 16, Scharlach 39, 
Masern 137, Keuchhusten 60, Wundrothlauf 18, Wochenbettfieber 1. — In 
der 33. Jahreswoche sind in Wien 317 Personen gestorben (—59 gegen 
die Vorwoche). 

(6 3. Versammlung der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte.) Die Tagesordnung der vom 
15.— 20. September in Bremen stattfindenden Versammlung lautet: 

Sonntag, den 14 September, Abends 8 Ohr: Gesellige Zusammen¬ 
kunft mit Damen in den oberen Sälen des Künstlervereins. — Montag, den 
15 , Morgens 9 Uhr: I allgemeine Sitzung im großen Saale des KQnstler- 
vereins. 1. Eröffnung der Versammlung durch den Vorsitzenden A. W. v. 
Hohmann (Berlin). — 2. Begrüßung durch den ersten Geschäftsführer H. Pletzek. 
— 3. Ansprachen und Begrüssungen. — 4. Bericht des Generalsecretärs 
Lassab (Berlin). — 5. Prof. A. W. v. Hofmann : Ergebnisse der Naturforschuog 
seit der Begründung der Gesellschaft. — 6. Oberbaudir. Fkanzius (Bremen): 
Die Krscheinungen der Flutwelle von Helgoland bin Bremen. — 7. Prof. C. 
Chun (Königsberg i. Pr): Die pelagische Thierwelt in grossen Tiefen. — 
Nachmittags 4 Uhr: Bildung und Eröffnung der Abtheilungen und eventuelle 
Sitzungen derselben. Abends: Gesellige Zusammenkunft im Parkhause. — 
Dienstag, den 16.: Sitzungen der Abtheilungen, Besichtigung von Insti¬ 
tuten. Abends: Fest in der Börse, gegeben vom Senat der freien Hansestadt 
Bremen. — Mittwoch, den 17., Morgens 9 Uhr: II. allgemeine Sitzung im 
großen Saale des Künstlervereins. 1. Bericht des Schatzmeisters Lampe-Visoheb 
(Leipzig). Revision der Statuten. Neuwahl des Vorstandes. Wahl des nächsten 
Versammlungsortes und der nächsten Geschäftsführer. — 2. Prof Ostwald 
(Leipzig): Altes und Neues in der Chemie. — 3. Prof. Rosenthal (Erlangen): 
Lavoisier und s--iue Bedeutung für die Entwickelung unserer Anschauung von 
den Lebensvorgängen. — 4. Prof. C. Enqlkb (Karlsruhe) : Ueber Erdöl. Nach¬ 
mittags 5 Uhr: Festessen im Parkhause. —Donnerstag, den 18.: Sitzungen 
der Abtheilungen.' Besichtigungen Ausflüge in die Umgegend Abends: Fest¬ 
ball im Künstlerverein. — Freitag, den 19-, Morgens 9 Uhr: III. allge¬ 
meine Sitzung im großen S-iale d--s Künstlervereins. — 1. Angelegenheiten 
der Gesellschaft. — 2. Oberbergrath Prof. C. Winkleb (Freiberg i. S.): Die 
Frage nach dem Wesen der chemischen Elemente. — 3. 0. Warbubu: Mit¬ 
theilungen ans meinen Reifen nach Ost- und Süd-Asien. — 4. Rode : Die 
Kinderheilstätte auf Norderney. Nachmittags: Sitzungen der Abtheilungen. 
Abends: Zwanglose Zusammenkunft im Rathskeller. — Sonnabend, den 20: 
Fahrten nach Bremerhaven und in See, nach Sylt und nach Norderney. 

Das Empfangs- und Wohnungscomitö wird im Künstlerverein 
tagen. Wohnungaanmeldungen nimmt Herr H. Frese (Ansgarii- 
kirehhof 1) entgegen. 


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Nr. 35. 


Sonntag den 31. August 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Pie .Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
t Iris 8 Bogen Grosa-Pnart-Fonnat stark. Hiexn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässig» Beilage, aber 
sogleich anch selbstständig, erscheint die j^wiener Klinik'', 
allmonatlieh ein Heft im durchschnittlichen Umfange von I 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- nnd Insertion*- 
anfträge sind an die A dminis tration der „Mediz. Presse" 
in Wien, X., Maximilianstrasse Nr. 4, su richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 511. 


Wiener 


Abonnementspreise: .Mediz. Presse" und .Wiener Klinik" 
Inland: Jihrf. 10 fl., halb]. 6 fl., vierteij, a fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler and Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertel]. 6 Mrk. Für die Staaten 
dflB Weltpostvereines: Jährl. 84 Mrk„ halbj. 18 Mrk. .Wiener 
Klinik“ separat: Inland: • jährl. 4 fl.; Ausland: - 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abcmnirt im Anslande 
bei allen Buchhändlern nnd Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die AdmlntBtT. 
der „wiener Mediz. Presse“ ln Wien.L, Maximilianstar. 4. 


medizinische Presse. 

Organ für praktische Aerzte. 

-■«*©-- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 


Verlag von 


Dr. Anton Bum. 


Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton nnd klinische Vorlesungen. Ueber Anästhesie. Von Horitio Wood, Professor an der Universität Pennsylvania. — Ueber eine 
nene klinische Blotuntersuchungsmethode. (Speciflsche Resistenz der rothen Blutkörperchen.) Von Dr. Carl Laker, Univereitäts-Docent in Graz. — 
Ueber den Mechanismns der Infection nnd der Immunität. Von Prof. Cn. Bouchahd in Paris. — Referate and literarische Anzeigen. Lehrbuch 
der gerichtlichen Medicin. Von Prof. K. v. Hofmann. — Zeitnngsschan. Gynäkologie und Geburtshilfe. Ref : Prof. Ludwig Klrdiwächteb. — 
Feuilleton. XXV. Wanderversammlung der ungarischen Aerzte und Naturforscher in Großwardein. (16.—20. August 1890.) I. — Kleine Mit- 
theilungen. Ein Pall von Uebertragung der Syphilis 4*/ 4 Jahre nach Beginn des Primäraffectea. — Resultate der aseptischen Laparotomien. — 
Die Anwendung des Anstois. — Bacteriologische Versuche mit dem Aristol. — Verhandlungen Ärztlicher Vereine. X. Internationaler 
medieinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4.— 9. August 1890. (Orig.-Ber.) IV. — Notizen. Die medioinisch-wissenschaftliche Austeilung in 
Berlin. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Oriflinaliwi und klinische Vorlesungen. 

Ueber Anästhesie. 

Von Hor&tio Wood, Professor an der Universität Pennsylvania.*) 

Zwei große und glänzende Entdeckungen haben die 
ganze Chirurgie umgewandelt und sie in das heutige Stadium 
gebracht: die Antisepsis und die Narcose. Erstere hat bereits 
die vielfachen Schwierigkeiten, die ihr im Wege standen, über¬ 
wunden, nnd trotz der vielfachen giftigen Antiseptica hat die 
Anwendung dieser wohlthätigen Maßnahme einen so hohen 
Grad von Vollendung erreicht, daß höchst selten Todesfälle 
durch dieselbe verursacht werden. 

Nicht so die Anästhesie; jährlich erfahren wir von neuen 
Unglücksfällen in Folge von Anwendung der Anästhetica, nnd 
seit Gebrauch derselben ist die Wissenschaft bemüht, die 
Ursache dieser leider nicht seltenen Unglücksfälle aufzuklären. 
Zu diesem Behufe habe auch ich eine Reihe von Versuchen 
an Thieren angestellt, über die ich vor dieser glänzenden Ver¬ 
sammlung Bericht erstatten will. 

Wenn ich mir auch dessen bewußt bin, daß es nicht 
immer gestattet ist, mit Sicherheit die Wirkung von Giften 
auf Thiere auch auf den Menschen zu übertragen, so bieten 
doch die wichtigen Organe, um die es sich hier handelt, das 
Herz, die Lungen nnd das Gehirn, so große functionelle 
Identität beim Menschen und bei Thieren, daß man mit großer 
Wahrscheinlichkeit annehmen darf, daß toxische Mittel bei 
Thieren nnd Menschen ähnliche Wirkungen erzeugen werden. 
Obgleich die Zahl der zur Anästhesie angewendeten Mittel 
keine geringe ist, so haben doch in der täglichen Praxis nur 
drei das Bürgerrecht erworben, und zwar das Lnstgas, der 
A e t h e r nnd das Chloroform. 

Von diesen nimmt das Lustgas eine ganz besondere 
Stellung ein, weil es Bewußtlosigkeit nicht etwa durch irgend 
eine ihm eigene Eigenschaft hervorruft, als vielmehr durch 
Hemmung des Sanerstoffzutrittes zu den Nerveneentren. Es 
wurde behauptet, daß die durch Inhalation von Lustgas her- 
vorgerufenen Circulationsstörungen wesentlich verschieden sind 
von jenen der mechanischen Asphyxie, und daß daher das Lust- 

*) Vortrag, gehalten in der 3. allgemeinen Sitzung des X. Internationalen 
medicinischen Congresses. 


gas nicht als asphyxirendes Mittel anzusehen ist. Es muß 
hier hervorgehoben werden, daß die Erscheinungen der 
mechanischen Asphyxie zum größten Theil der Gegenwart 
eines Uebermaßes von Kohlensäure im Blute zugeschrieben 
werden müssen, während bei der durch Lustgas erzeugten Asphy¬ 
xie kein Exceß von Kohlensäure besteht, sondern die Erschei¬ 
nungen blos auf den Verlust des Sauerstoffes zurückzufuhren 
sind. Es ist daher a priori zu erwarten, daß die Erscheinungen 
der mechanischen und die der Lustgasasphyxie bis zu einem 
gewissen Grade von einander verschieden sein werden. 

Um zu bestimmen, in welcher Weise das Lustga9 die 
Circulation verändert, habe ich im verflossenen Winter mit 
meinem Assistenten und Freunde Dr. David Cerna eine große 
Reihe von Versuchen unternommen. Das Resultat derselben 
zeigte, daß für gewöhnlich die Inhalation des Lustgases von 
einer Steigerung des arteriellen Druckes, sowie von einer be¬ 
deutenden Veränderung des Pulses gefolgt ist: dieser wird 
zuerst unregelmäßig und stürmisch, beruhigt sich aber bald, 
und wenn die Anästhesie vollständig ist, ist die Pulswelle 
groß und voll und die Zahl der Pulsschläge eine geringe. 
Das Steigen und Sinken des arteriellen Blutdruckes bei der 
Lustgasanästhesie ist bedeutenden Schwankungen unterworfen 
nicht nur bei verschiedenen Sitzungen, sondern in vei schiedenen 
Perioden ein und derselben Sitzung. 

Manchmal stieg der Blutdruck plötzlich, ein andermal 
langsam und allmälig, manchmal erhielt sich die Blutdruck- 
steigemng bis nach dem Tode, ein andermal wurde sie sehr 
rasch unterbrochen, in anderen Fällen wieder war sie über¬ 
haupt nur sehr wenig ausgesprochen und in anderen sehr stark. 

In allen unseren Versuchen hörte die Respiration auf, 
während das Herz noch in voller Thätigkeit begriffen war. 
In der Tliat scheint das Lustgas keine deprimirende, sondern 
eine stimulirende Wirkung auf das Herz auszuüben, obwohl 
es den vasomotorischen Apparat lähmt. So ruft während der 
vollständigen Anästhesie die faradische Reizung des Ischiadicus 
keine Steigerung des Blutdruckes hervor, obgleich das Herz 
sehr kräftig schlägt und obwohl der Vagus vorher durch¬ 
schnitten wurde, während später zur Zeit der Vergiftung, also 
zu einer Zeit, wo die Athmung absolut aufgehört hat und das 
Thier in dieser Beziehung todt, der arterielle Blutdruck also 
bis zu 0 gefallen war, die Pulswellen beinahe dreimal so fre¬ 
quent waren, als normal. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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Wir stellten auch einige Versuche über den Einfluß der 
künstlichen Athmung auf das durch Lustgas getödtete Thier an. 

Diese Versuche beweisen, daß nach vollständiger Läh¬ 
mung der respiratorischen Function die künstliche Athmung 
im Stande ist, das Thier rasch wieder in’s Leben zu bringen. 
Das Herz lebt bei der Lustgasnarcose noch lange, nachdem 
die Athmung aufgehört hat, und selbst wenn der kräftige volle 
Puls fällt und das Herz aufgehört hat, zu schlagen, ist eine 
Heilung noch immer möglich, weil der Mangel der Function 
nicht durch die Gegenwart eines Giftes, sondern durch den 
Mangel an Sauerstoff verursacht wurde, und trotzdem die 
Lähmung eine vollständige sein kann, kann die Lebenskraft 
durch Zuführung frischen Sauerstoffes wieder angefacht werden. 

Diese experimentellen Resultate sind im vollständigen 
Einklang mit der klinischen Beobachtung. 

Die „S. S. White Dental Manufacturing Company“ liefert 
einen großen Theil, wenn nicht den größten Theil der für die 
Lustgasnarcose in den Vereinigten Staaten noth wendigen 
Apparate und Materialien, und als Antwort auf meine Anfrage 
schrieb mir der Präsident derselben, Dr. J, W. White, daß 
eine Berechnung ihrer Lieferungen und der ihrer Concurrenten 
das überraschende Resultat ergeben hat, daß die Lustgas- 
narcosen wahrscheinlich 3 /* von einer Million jährlicher 
. Narcosen in den Vereinigten Staaten bilden, und zwar werden 
die meisten dieser Narcosen nicht von gebildeten, sondern von 
ungebildeten und selbst ignoranten Zahnärzten ausgeführt. Das 
Resultat davon ist, daß von einer Anzahl von mehreren 
Millionen Inhalationen nicht mehr als 3 Todesfälle in Folge 
von Lustgas vorgekommen sind. 

' Eine wichtige und praktisch bedeutungsvolle Thatsache, 
die aus unseren Versuchen sich ergeben hat, ist die, daß zu-. 
weilen während einer Lnstgasinhalation die Erhöhung des 
arteriellen Blutdruckes eine außerordentliche und plötzliche ist. 

Es ist nicht lange her, daß in Philadelphia ein Herr bei 
einem Zahnarzt nach einer Lustgasinhalation vom Stuhl auf- • 
stand, wankte und plötzlich in Apoplexie verfiel. 

Dieser Zufall ist nur dann verständlich, wenn man an¬ 
nimmt, daß das Arteriensystem erkrankt ist. Dann ist es 
auch leicht erklärlich, daß eine plötzliche Steigerung des Blut- , 
druckes eine Gefäßruptnr verursachen kann. Vor einigen Jahren 
starb Dr. Kenderdinr, ein Chirurg in Philadelphia, an Dia¬ 
betes, der, wie behauptet wird, durch Inhalation von Lustgas 
erzeugt wurde. Diese Thatsache steht in Uebereinstimmung 
mit den Untersuchungen des französischen Arztes Dr. Lafont, 
welcher von einem Falle berichtet, bei dem Zucker im Harn 
bei demselben Kranken zweimal nach Einathmung von Lust¬ 
gas auftrat und welcher an sich selbst und bei Hunden durch 
Lustgasinhalation vorübergehende Glycosurie erzeugen konnte. 
Ferner berichtet Dr. Lafont von einem Falle von tem¬ 
porärer Albuminurie nach Lustgasinhalation bei einem mit 
Mitralinsufficienz behafteten Menschen. 

Es ist mir nicht bekannt, daß die sehr anregenden Mit¬ 
theilungen des französischen Arztes zu irgend welchen Unter¬ 
suchungen in dieser Richtung Anlaß gegeben hätten, abge¬ 
sehen von 5 Versuchen, die jüngst an gesunden Menschen, an 
zwei Studirenden der Medicin der Universität Pennsylvania, mit 
negativen Resultaten gemacht worden sind. Ich glaube nicht, 
daß für gewöhnlich die Einathmung von Lustgas irgendwelche 
Störungen der Circulation verursachen kann, um das Gas 
selbst im Urin nachzuweisen. 

Aber die soeben erwähnten negativen Resultate sind nicht 
genügend, um die Annahme unwahrscheinlich zu machen, daß 
in Ausnahmsfällen die Einathmung von Lustgas Albuminurie 
und Glycosurie erzeugen kann. Wenn solche Erscheinungen 
Vorkommen, so sind sie eben nicht direct durch das Lustgas, 
sondern durch die durch dasselbe erzeugten Störungen der 
Capillareirculation bedingt. Wie dem auch sei, scheint mir 
beim Gebrauch des Lustgases bei Personen, welche mit Er¬ 
krankungen der Arterien, namentlich Atheromatose, behaftet 


sind, große Vorsicht geboten zu sein, wie überhaupt der Aether 
dem Lustgas vorzuziehen ist. 

Wenn bei der Lustgasanästhesie die Athmung sistirt, so 
besteht die Hauptindication darin, künstliche Athmung her¬ 
zustellen. Ungeachtet der großen Sicherheit und der großen 
Vortheile, welche die Anwendung der Lustgasanästhesie bietet, 
kann das Lustgas wegen seiner kurzen, vorübergehenden 
Wirkung für allgemeine chirurgische Zwecke nicht genügen. 

Das Ideal eines Anästheticums wäre eine ’ Substanz, 
welche eine lähmende Wirkung auf das sensorische Nerven¬ 
system ausüben könnte, ohne eine andere Function des Körpers 
zu beeinflussen. Bis zur Auffindung eines solchen Mittels 
werden wohl Chloroform und Aether ihre gegenwärtige 
dominirende Stellung behalten, und wir wollen uns daher in 
Folgendem der Besprechung dieser Mittel zu wenden, und zwar 
wollen wir folgende Fragen in den Bereich unserer Erörterungen 
ziehen: 

1. In welcher Weise wirken diese Substanzen auf den 
Menschen und die Thiere tödtlich, mit anderen Worten, ver¬ 
nichten sie das Leben durch Einwirkung auf die. Circulation 
oder auf die Respiration? 

2. Die Gefährlichkeit beider Substanzen und der Grund 
der vorhandenen Differenzen. 

3. Die Nachtheile derselben und die besten Mittel, das 
gewünschte Resultat zu erreichen. 

4. Die Behandlung der während der Chloroform und 
Aetheranästhesie auftretenden üblen Zufälle. 

Es wurde- bisnun gelehrt, daß der Aether in kleinen 
Dosen eine stimulirende Wirkung auf die Circulation und in 
großen Dosen einen deprimirenden Einfluß auf das Herz aus¬ 
übt, daß aber diese Depression des Herzens immer geringer 
ist, als die Depressionswirkung auf die Athmung, ferner daß 
das Chloroform durch Lähmung des Athmungscentruras oder 
durch gleichzeitigen Stillstand der Athmung und der Circu¬ 
lation tödten kann, daß aber primäre Lähmung des Herz^ps. 
namentlich dann eintreten kann , wenn das Chloroform in zu 
concentrirten Dämpfen verabreicht wird. Ich glaube, daß diese 
Ansichten im Einklang stehen mit den allgemeinen Anschau¬ 
ungen der Aerzte. Es hat sich aber in jüngster Zeit gezeigt, 
daß sie mit den Ergebnissen der experimentellen Forschung 
nicht genau in Uebereinstimmung sind, weshalb eine Ueber- 
prüfung der Frage nothwendig schien. 

Wie lauten die klinischen Thatsachen? Nach Aussage 
competenter Gewährsmänner, welche Todesfälle während der 
Chloroformnarcose mitgetheilt haben, ist es festgestellt, daß 
in manchen Fällen unter dem Einfluß des Chloroforms Puls 
und Respiration plötzlich aufgehört haben, während die Ath¬ 
mung ein andermal vor dem Puls Stillstand und in noch an¬ 
deren Fällen der Puls aufgehört hat, während die Athembe- 
wegungen noch in vollem Gange waren. Gewöhnlich sistirt 
beim Menschen in Folge von Aethernarcose die Athmung 
bevor das Herz gelähmt wird. 

Aber die große Reihe von Fällen, die Dr. J. C. Reeves 
gesammelt hat, beweist zweifellos, daß der traurige Ausgang 
auch durch Synkope bedingt werden kann. In einem Berichte 
über einen unglücklichen Fall theilt Dr. Ernest H. Jacobs 
mit Bestimmtheit mit, daß der Puls sistirt hatte, während 
die Athmung noch im Gange war. Es scheint also, daß auch 
der Aether beim Menschen in derselben Weise wie das Chloro¬ 
form den Tod verursachen kann. Soweit die klinischen That¬ 
sachen , oder richtiger gesagt, so lauten die Berichte über 
die am Menschen gemachten Beobachtungen. Welche Resultate 
wurden nun durch das Thierexperiment erzielt? 

Lauder Brunton hat erst in neuerer Zeit, gestützt auf 
450 Versuche an indischen Hunden, mitgetheilt, daß wenn die 
Chloroformdämpfe noch so concentrirt sind, sie nie durch 
plötzlichen Stillstand des Herzens den Tod verursachen können. 
Beobachtungen, die Dr. Reichert, Professor der Physiologie an 
der Universität Pennsylvania, und Dr. Hobart Haare, Demon¬ 
strator der Pathologie an derselben Universität, an mehreren 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 1374 


Hunderten von Thieren angestellt haben, stimmen darin überein, 
daß das Chloroform herzlähmend wirkt und häufig Hunde 
durch directe Lähmung des Herzens oder seiner Ganglien 
tödten kann. Die Untersuchungen der Hyderabad-Commission 
haben aber Dr. Haare und mich veranlaßt, die Sache von 
Neuem aufzunehmen. 

Ein Theil unserer Versuche wurde mittelst Injectionen 
von Chloroform in die Jugularvene gemacht, in einer anderen 
Reihe ließen wir das Chloroform in gewöhnlicher Weise 
inhaliren. 

Die Art der Verabreichung des Mittels scheint keinen 
wesentlichen Einfluß auf seine Wirkung auszuüben. Wir konnten 
in unseren Versuchen mit Bestimmtheit den Nachweis erbringen, 
daß bei amerikanischen Hunden das Chloroform eine deutlich 
direct lähmende Wirkung auf die Athmung und die Circula- 
tion ausübt, daß die Athmung vor dem Herzschlag aufhören 
kann, daß aber manchmal beide Functionen gleichzeitig sistiren; 
in manchen Fällen jedoch kommt es zum Stillstand des Herzens 
W'ährend der vollen Thätigkeit der Respirationsorgane. Wir 
haben häufig die Beobachtung gemacht, daß die Athmung 
eine ziemlich lange Zeit allein fortbesteht, ja in manchen 
Fällen sogar zwei Minuten, nachdem der Blutdruck bereits 
auf 0 gesunken und der Puls in den Carotiden vollständig 
geschwunden war. Ich möchte keinerlei Zweifel in die Richtig¬ 
keit der Versuche Lauder Brunton’s setzen, ich glaube viel¬ 
mehr, daß beide Versuchsreihen, trotzdem sie von einander 
abweichende Resultate geliefert haben, ganz correct ausgeführt 
wurden: möglich daß die hohe Temperatur oder andere klima¬ 
tische Verhältnisse die Empfindlichkeit der Hunde gegenüber 
der Chloroformwirkung herabsetzen. Daß diese Ansicht von 
der verschiedenen Constitution der Thiere in verschiedenen 
klimatischen Verhältnissen keine absurde ist, beweist folgende 
Thatsacbe: 

Als ich vor einigen Jahren in der physiologischen Sec- 
tion des Londoner internationalen medicinisehen Congresses 
behauptete, daß die Verschiedenheit mancher in Europa und 
in Amerika erzielten Resultate durch die Verschiedenheit der 
Hunde zu erklären sei und diese Ansicht ein ungläubiges 
Lächeln hervorrief, J erklärte Bbown-Seqüabd, daß er an Hun¬ 
derten von Hunden beider Continente experimentirt und ge¬ 
funden habe, daß eine deutliche Differenz zwischen diesen 
beiden Thierkategorien besteht , indem das Gefäßsystem der 
europäischen Hunde viel mehr entwickelt ist als das der 
amerikanischen, und, Operationen an jenen viel mehr Blutver¬ 
luste bedingen als an diesen. 

Eine sehr interessante Parallele könnte in dieser Hin¬ 
sicht zwischen den experimentellen und klinischen Thatsachen 
in Bezug auf den Einfluß des Klimas auf die Chloroform¬ 
wirkung gezogen werden. Im Süden der Vereinigten Staaten 
wird das Chloroform mit der größten Dreistigkeit und Sicher¬ 
heit verwendet, und die Statistik lehrt, daß die Mortalität an 
Chloroform daselbst eine viel geringere ist als in Nordamerika 
oder Europa. 

In einer Reihe von Versuchen, die ich jüngst angestellt 
habe, um die Veränderungen der Circulation in Folge der 
Aetheranästhesie zu studiren, habe ich gefunden, daß anfangs 
der Blutdruck steigt und sehr hoch bleibt, zu einer Zeit, wo 
die Athmung schon sehr seicht und unvollständig ist und die 
dunkle Farbe des Blutes eine hohe Sättigung mit Kohlen¬ 
säure anzeigt. Nicht selten bleibt der Blutdruck aber nahezu 
normal, und ich habe auch beobachtet, daß der Blutdruck im 
Anfang der Aethernarcose zu fallen beginnt, ja in den letzten 
2 Versuchen trat sogar der Tod in Folge von Synkope ein 
und die Athmung bestand 1—2 Minuten nach vollständiger 
Sistirung der Circulation fort. 

In einem Versuche, in welchem das Sinken des Blut¬ 
druckes sehr ausgesprochen und der Stillstand des Herzens 
ein vollständiger war, litt der Hund an Räude, und es ist 
möglich, daß das geschwächte Herz empfindlicher als gewöhn¬ 
lich für den deprimirenden Einfluß des Aethers war. 


In Bezug auf die Todesursache bei der Chloroform- und 
Aethernarcose glaube ich annehmen zu können, daß kein Wider¬ 
spruch besteht zwischen den Resultaten der klinischen Unter- 
i Buchungen und den Resultaten der experimentellen Forschung, 
; und daß man zu dem Schlüsse geführt wird, daß sowohl Aether 
; als auch Chloroform im Stande sind, die Circulation und Respi- 
: ration zu lähmen, daß in manchen Fällen die eine, in anderen 
i die andere Function zuerst sistirt wird, aber der Aether viel 
! weniger geneigt ist, primären Stillstand des Herzens hervor- 
| zumfen als das Chloroform. 

In Bezug auf den zweiten Punkt, nämlich die ver- 
; gleichende Giftigkeit zwischen Chloroform und Aether, hat 
j Dr. Lawrence Türnbüll eine Statistik zusammengestellt, in 
i welcher er 375 Todesfälle an Chloroform und 52 an Aether 
| angibt. Ich glaube nicht, daß diese Ziffern die gesammte 
i Mortalität enthalten, ich zweifle sehr, ob ein Viertel aller 
; Todesfälle in der Narcose veröffentlicht wird. Ja noch mehr, 
j die Neigung, Fälle von Chloroformtod zu verschwe gen, scheint 
- eine größere zu sein, als die Aethertodesfälle zu verheimlichen, 
i Der Chirurg, der Aether gebraucht, ist sich dessen bewußt, das 
\ sicherste Anästheticum angewendet zu haben, und ist sicher, 

{ keinen Tadel zu hören, wenn ihm ein Unglück geschieht; er 
: weiß also, daß er einen seltenen Fall mitzutheilen hat, der 
I seinem eigenen Namen einen permanenten Platz in der Literatur 
> der Anästhesie verleiht. Hingegen weiß der Chirurg, der 
l Chloroform anwendet, daß, wenn ihm ein Todesfall in der 
j Narcose vorkommt, Viele ihn öffentlich oder im Geheimen 
, verurtheilen werden. Dazu kommt noch der Umstand, daß 
; Fälle von Chloroformtod schon zu commun sind, so daß in 
■ solchen Fällen der Chirurg durch die Publication nichts zu 
gewinnen, aber viel zu verlieren hat. 

Es scheint mir unmöglich, die exacte Zahl der Todes¬ 
fälle in Narcose anzugeben, oder das Verhältniß der Giftigkeit 
zwischen Chloroform und Aether zu bestimmen.. Lyman schätzt 
das Verhältniß der Todesfälle zu den einzelnen Chlorpform- 
inhalationen auf 1: 5860. Richardson auf 1: 2500—3- '00. 
Für Aether berechnet Andbews diese Ziffer auf 1 :23204 und 
Lyman auf 1 : 16542. 

Ohne eine absolute Richtigkeit für diese Ziffern bean¬ 
spruchen zu können, glaube ich, daß dieselben doch beweisen, 
daß die Zahl der Todesfälle 4—5mal größer ist, als die der 
Aethertodesfälle. 

• Wenn wir die Wirkung des Chloroforms auf niedere 
Thiere studiren, so finden wir dieselbe sehr verschieden bei 
den verschiedenen Thierarten. Die Katzen scheinen dem schäd¬ 
lichen Einflüsse des Chloroforms mit einer Kraft zu wider¬ 
stehen, welche dem Sprichworte „von den neun Leben dieser 
Thiere“ vollkommen entspricht. Vor mehreren Jahren machte 
Prof. Schiff auf die Thatsache aufmerksam, daß die Anwen¬ 
dung des Chloroforms als Anästheticum bei Hunden nur mit 
Verlust vieler Thiere erreicht werden kann. 

Prof. Martin von der Johns Hopkins University schreibt 
mir, daß die Grenze zwischen Chloroformtod und Chloroform- 
narcose beim Hunde eine sehr nahe ist. Liese Erfahrung haben 
wir auch an der Universität Pennsylvania gemacht; wir waren 
nie im Stande, Chloroform als Anästheticum bei Hunden zu 
benützen, ohne einen großen Theil der Thiere zu verlieren. 

Die klinischen und experimentellen Resultate an niederen 
Thieren und am Menschen sind demnach übereinstimmend. 
Das Chloroform ist dem thierischen Leben viel gefährlicher, 
als der Aether. Die Ursache dieser Erscheinungen liegt aber 
nicht allein in “der Wirkung des Chloroforms auf das Ijlerz, 
denn das Chloroform ist zwar geeigneter als der Aether, 
Stillstand des Herzens hervorzurufen, es ist aber a“uch geeigneter 
als Aether, Stillstand der Respiration zu verursachen. 
Setzt man den Aether aus, bevor das Thier todt ist, so kann 
sich das Thier noch erholen, hingegen habe ich wiederholt 
die Beobachtung gemacht, daß, trotzdem das Chloroform aus- 
gesetzt wurde, während die Athmung noch regelmäßig war, 
der arterielle Blutdruck hoch über 0 stand und der Puls 

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noch deutlich fühlbar war, die Symptome der Herz- und 
Respirationsschwäche nicht aufzuhalten waren, und der letale 
Ausgang eintrat. 

Aus dem Gesagten lassen sich wohl folgende Sätze als 
feststehend ansehen: 

1. Jede Anästhesie ist trotz aller Vorsichtsmaßregeln mit 
einer gewissen Lebensgefahr verbunden. 

2. Das Chloroform wirkt auf das Athmungs- und 
Circulationscentrum viel prompter und energischer als der 
Aether. 

3. Die Wirkung des Chloroforms ist eine anhaltendere 
als die des Aethers. 

4. Das Chloroform kann den Tod durch primären Still¬ 
stand des Herzens oder der Athmung, gewöhnlich aber beider 
Functionen gleichzeitig, bewirken. 

5. Der Aether wirkt viel stärker auf die Respiration, 
als auf die Circulation, doch kann er gelegentlich, namentlich 
wenn das Herz schwach ist, auch dieses lähmen und Tod durch 
Stillstand des Herzens verursachen, zu einer Zeit, wo die 
Athmung noch in vollem Gange ist. 

6. Das Chloroform tödtet, nach approximativer Berech¬ 
nung, 4—5mal häufiger als Aether, theils weil seine depri- 
mirende Wirkung auf das Herz eine stärkere ist, vorwiegend 
aber, weil seine Wirkung nach dem Aussetzen des Mittels 
länger anhält, als die des Aethers, und zwar scheint dies in 
der geringeren Verflüchtigung des Chloroforms begründet zu 
sein. Möglicherweise ist es auch der größeren Verflüchtigung 
zuzuschreiben, daß das Chloroform weniger giftig ist in den 
warmen Gegenden, wo seine Diffusionsfähigkeit in Folge der 
höheren Temperatur der Luft eine größere ist. 

Der Chirurg ist also nicht berechtigt, das Leben des 
Patienten unnöthiger Weise den Gefahren des Chloroforms 
auszusetzen, außer unter ganz besonderen Umständen. Ich 
glaube, daß die geringe Popularität des Aethers zum großen 
Theile der ungeeigneten Methode der Verabreichung zuge¬ 
schrieben werden muß. Durch die übliche Verwendungsweise 
des Aethers auf einem gefalteten Tuche kann die Athmung 
derart behindert werden, daß nicht nur mechanische Asphyxie, 
sondern selbst der Tod verursacht werden kann. Namentlich 
ist die Gefahr, durch mechanische Asphyxie den Tod zu ver¬ 
ursachen, in den vorgerückten Stadien der Aethernarcose am 
größten. Ein geeigneter Apparat ist daher dem gefalteten 
Tuche vorzuziehen. Es sind deren viele erfunden worden, doch 
scheint mir der von Dr. 0. H. Allis der praktischeste. Derselbe 
beruht auf dem Principe, dem Patienten möglichst viel mit 
Aether gesättigte Luft zuzuführen, und besteht aus einer 
Reihe von Gazefelten, die auf einen Drahtrahmen in Form 
von Fischkiemen gespannt sind, so daß die Luft frei passiren 
kann, aber doch genügend mit Aether gesättigt wird. Der 
Apparat wird trocken aufgelegt und der Aether allmälig 
aufgegossen. Nach Untersuchungen, die Dr. M. H. Williams 
an 14 Fällen auf der Klinik des JefFerson Medical College 
Hospital in Philadelphia angestellt hat, tritt binnen 8 Minuten 
vollständige Anästhesie ein. Die durchschnittliche Dauer der 
Anästhesie betrug 32 Minuten, die durchschnittliche Menge 
des Aethers 1—2 Unzen. (Schliß folgt.) 

Ueber eine neue klinische Blutuntersuchungs- 

methode. 

(Specifische Resistenz der rothen Blutkörperchen.) 

Von Dr. Carl L&ker, Universitäts-Docent in Graz*) 

Diese klinische Blutuntersuchungsmethode ist geeignet, 
vergleichbar und meßbar eine ganz bestimmte Lebenseigen¬ 
schaft des Blutes, die uns in ihrer Bedeutung für den Ge- 
sammtorganismus wohl bekannt ist, zu untersuchen. Es ist 

*) Vortrag, gehalten in der Section für innere Medicin de3 X. Intern, 
med. Congresse». 


dies die specifische Restistenz der rothen Blutkörperchen, die 
Fähigkeit, zerstörenden Einflüssen gegenüber einen gewissen 
Widerstand zu äußern und den Blutfarbstoff in ihrem Innern 
festzuhalten. Als Gradmesser für die Lebenszähigkeit der 
rothen Blutkörperchen, wie man die specifische Resistenz 
auch passend nennen könnte, dienten mir hochgespannte elek¬ 
trische Ströme, wie sie mit Reibungselektricität gespeiste 
Leydenerflaschen liefern, und ist die Intensität der Entladungs¬ 
schläge oder die Anzahl der einzelnen Entladungen gleicher 
Intensität, welche nothwendig sind, eine gewisse Anzahl rother 
Blutkörperchen zu zerstören, ein Maß für die zu bestimmende 
specifische Resistenz einer bestimmten Blutart. Ich konnte 
mich hiebei auf die vor Jahren von Rollett veröffentlichten 
schönen Versuche über die Elektrisirung des defibrinirten 
Thier- und Menschenblutes stützen, und befolgt mein Apparat, 
wie ich ihn schließlich am zweckmäßigsten fand, im wesent¬ 
lichen dieselbe Versuchsanordnung, die Rollett bei seinen 
Versuchen in Anwendung gebracht hatte. 

Der von mir hauptsächlich benützte Apparat besteht 
aus einem Objectträger aus Hartgummi (10 Cm. Länge, 5 Cm. 
Breite), welcher auf seiner oberen Fläche 2 isolirte Metall¬ 
scheiben trägt. Zwischen denselben können 4 genau gleich 
große Glascapillaren von 8 Mm. Länge und 1 Mm. Durchmesser 
so eingeschaltet werden, daß ein Entladungsstrom der Leydener- 
flasche gleichzeitig durch alle 4 Röhrchen dringt, und zwar in 
der Weise, daß derselbe sich gabelig theilt. und je ein Zweig¬ 
strom durch je 2 Röhrchen dringt. Diese Anordnung des 
Versuches gestattet es, gleichzeitig die specifische Resistenz 
der rothen Blutkörperchen und den Leitungswiderstand von 
2 Blutarten mit einander zu vergleichen. Die Leydenerflasche, 
die ich meist verwendete, ist cylindrisch, der Durchmesser 
beträgt 11 Cm., die Höhe des äußeren und inneren Stanniol¬ 
beleges ebenfalls 11 Cm. Der Metallkugel, welche mit dem 
inneren Belege in Verbindung steht, gegenüber befindet sich, 
von ihr isolirt, eine zweite Metallkttgel. Durch'difeTegülirbäte 7 
Distanz beider Kugeln wird die Schlagweite bestimmt, und 
entspricht die Anzahl der zwischen den 2 Kugeln überspringen¬ 
den Funken genau der Anzahl der Entladungsschläge gleicher 
Intensität. Die Funkenweite betrug 1—3 Mm., meistens circa 
2 Mm., die Elektrisirmaschine wurde in solchen Pausen in 
Bewegung gesetzt, daß circa alle */, Minute oder alle Minute 
eine Entladung erfolgte. Kurz vor Beginn des Versuches 
werden die 4 Glascapillaren mit frisch der Ader entnommenem 
Blute vorsichtig gefüllt. Es genügt für alle 4 Röhrchen ein 
kleiner, durch eine Nadelstichöffnung aus einer Fingerbeere 
hervortretender Tropfen. Der Bedarf einer so geringen Blut¬ 
menge ist von Bedeutung für die klinische Verwendbarkeit 
der Methode. Sind alle 4 Capillarröhrchen mit derselben Blut¬ 
art gefüllt, so äußert sich die specifische Resistenz der rothen 
Blutkörperchen dadurch, daß nach einer gewissen Anzahl von 
Entladungsschlägen noch keine Farbenänderung der mit Blut 
gefüllten Glascapillaren zu bemerken ist; nach einer weiteren 
Reihe von Schlägen beginnt in allen 4 Röhrchen zugleich 
die Farbe des Blutes heller und die ganze Blutsäule im 
durchgehenden Lichte durchscheinender, im reflectirten Lichte 
dunkler zu werden. Nach einer weiteren Reihe von Entladungs¬ 
schlägen wird die Blutsäule ganz hellroth und durchscheinend 
und ändert sich unter dem Einflüsse von weiteren Entladungs¬ 
schlägen nicht mehr. Die Funkenweite wurde in der Regel 
so gewählt, daß dieses Stadium bei möglichst normalem Men- 
schenblute in circa 10, bei frischem Meerschweinchenblute 
in circa 20 Schlägen erreicht wurde. Diese Farbenveränderung 
ist bedingt durch jene Eigenschaft des Blutes, welche von 
Rollett als das „Lackfarbigwerden“ desselben beschrieben 
wurde. Das Blut mit den zerstörten rothen Blutkörperchen, 
welche den Blutfarbestoff an das umgebende Serum abgegeben 
haben, verhält sich zum normalen Blute, wie eine Lacldarbe 
zu einer Deckfarbe. Diese Veränderung durch Entladungs¬ 
schläge wird nicht behindert durch die Gerinnungsvorgänge 
des normalen Blutes, und konnte ich mich wiederholt über- 


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zeugen, daß nach l*/ a Stunden und noch später das geronnene 
Blut in den Capillaren dieselben Veränderungen zeigte, wie 
das defibrinirte Blut. Will man Blut, welches von einem 
Erkrankten herrührt, auf seine specifische Besistenz unter¬ 
suchen, so wird nur ein Capillarröhrchen mit demselben ge¬ 
füllt ; die 3 anderen dienen als Vergleichröhrchen und werden 
mit Blut eines anscheinend gesunden Menschen oder auch 
mit Meerschweinchenblut gefüllt, welches am besten dem freien 
Ohrrande des Thieres entnommen wird. Nach jedem Entla¬ 
dungsschlage wird nacbgesehen, ob in irgend einem der 4 
Röhrchen, in welchem zuerst und in welcher Reihenfolge in 
den anderen die Aufhellung des Blutes beginnt. Die beobachtete 
Zeitdifferenz der Aufhellung in den verschiedenen Röhrchen 
ist nach bekannten physikalischen Gesetzen ein Maßtab für 
das Verhältniß der specifischen Resistenz und des Leitungs¬ 
widerstandes bei normalem und krankem Blute. Diese Unter¬ 
suchung gibt in vielen Fällen überraschend klare Resultate, 
wie sie durch keine andere bisher bekannte Methode gewonnen 
werden können. — (Bezüglich alles Weiteren muß auf die dem¬ 
nächst erscheinende ausführliche Arbeit verwiesen werden.) — 

Es darf wohl mit Recht die Vermuthung ausgesprochen 
werden, daß wir von der Bestimmung der Lcbenszäbigkeit 
der rothen Blutkörperchen bei den verschiedenen Allgemein¬ 
erkrankungen, insbesondere bei den sogenannten Bluterkran¬ 
kungen, wichtige Aufschlüsse erhalten werden. Ebenso wichtig 
wird es sein, einen Einblick zu gewinnen in die Wirkungs¬ 
weise der zahlreichen Medicamente, welche „roborirend“, 
„blutbildend“ u. s. w. wirken sollen, über deren thatsächliche 
Wirkung wir bisher Vermuthungen, aber keine thatsächlichen 
Beweise haben. 

Ich kann nicht umhin, an dieser Stelle an die Wirkung 
der Salze auf den Organismus zu erinnern, von denen die 
praktische Medicin schon durch die Verabreichung der Mineral¬ 
wässer einen ausgedehnten Gebrauch macht. Die stärkende 
Wirkung derselben auf den Gesammtorganismus, auf die 
„Besserung des Blutes“ dürfte sich gerade mit der beschrie¬ 
benen Methode am Menschen verfolgen lassen, da gerade, wie 
Rollett für das defibrinirte Blut nachgewiesen, ein Zusatz 
von Salzlösungen zum Blute die specifische Resistenz der 
rothen Blutköperchen sehr erhöht, und bei einiger Con- 
centration der zugesetzten Salzlösung — wobei die Strom¬ 
widerstände abnehmen, die Intensität also gesteigert ist — 
eine solche specifische Resistenz resultirt, daß auch eine große 
Anzahl von Entladungsschlägen das Blut gar nicht mehr auf¬ 
zuhellen im Stande ist. Einer am Menschen gefundenen er¬ 
höhten specifischen Resistenz der rothen Blutkörperchen dürfte 
wohl die Bedeutung erhöhter Lebenskraft beikommen, eine 
verminderte Resistenz können wir bei einiger Dauer und 
Intensität gewiß als eine Erschöpfungserkrankung des Ge- 
sammtorganismus deuten, lange bevor uns diese Erkrankung 
durch Veränderung der Zahl der körperlichen Elemente und 
des Hämoglobingehaltes, Dank der compensirenden Einflüsse 
im Körper, erkenntlich wird. 

Da ich selbst durch äußere Umstände behindert bin, 
meine Arbeit fortzusetzen, • empfehle ich auf das dringenste 
den Herren Fachcollegen die Verwerthung der beschriebenen 
Methode am Krankenbette. 

Ueber den Mechanismus der Infection und 
der Immunität. 

Von Prof. Ch. Bouchard in Paris. 

(Schluß.) 

Vorgänge, mittelst welcher die Bacterien den 
thierischen Organismus beeinflussen. 

Es steht fest, daß die Bacterien auf die Thiere durch 
von ihnen secernirte Substanzen einwirken. Die Inten¬ 
sität dieser chemischen Wirkung steht im geraden Verhältniß 
zur Masse der sie erzeugenden chemischen Substanz. Diese 
Behauptung scheint in Widerspruch zu stehen mit dem an¬ 


genommenen Unterschiede zwischen Virulenz und Intoxication, 
und man wird den Einwand erheben, daß ein einzelnes Bac- 
terium, welches genau den millionsten Theil eines Tausendstel 
Milligramm wiegt, Krankheit oder Tod verursachen kann, 
während die von dieser einzelnen Bacterien zelle secernirte 
Substanz sicherlich unfähig ist, die geringste Wirkung hervor¬ 
zurufen. 

Nun muß man aber mit der Vermehrung der Mikroben 
rechnen, und diese geschieht mit einer solchen Schnelligkeit, 
daß ihre Zahl nach einer geradezu schwindligen Progression 
steigt. — Büchner und Riedlin schätzen die Zeit, die der 
Cholerabacillus braucht, um seine Zahl zu verdoppeln, zwischen 
19 und 41) Minuten. Nach dieser Rechnung vermag ein ein¬ 
zelner Vibrio in weniger als 10 Stunden eine Milliarde zu 
erzeugen. Dank dieser Vermehrung vermögen die Bacterien- 
producte eine Quantität zu bilden. die durchaus nicht zu 
vernachlässigen ist. Die bactcriellen Prodncte sind selbst für 
ein und dieselbe Species zahlreich. Die Chemie beginnt die¬ 
selben zu isoliren, doch hat die Physiologie ihre Isolirung 
nicht abgewartet, um ihre Wirkungen zu studiren. Man 
kennt heute acht physiologische Eigenschaften der baeter’ellen 
Prodncte, mittelst welcher die pathogenen Mikrobeu den thie¬ 
rischen Organismus beeinflussen; ich sage acht Eigenschaften 
und nicht acht verschiedene Substanzen. Wir wollen d e wich¬ 
tigsten derselben einer kurzen Besprechung unterziehen. 

Bacterielle Secretionen, welche Diapedesis 
hervorrufen. 

Unter den von den pathogenen Bacterien secemirten Sub¬ 
stanzen vermögen manche local eine ungünstige Wirkung auf 
die Gewebe hervorzurufen und sie für ihre Bedürfnisse zu 
adaptiren; ihre Diastasen können die Substanzen der Zellen 
zersetzen, auflösen oder mortificiren. Am häufigsten aber er¬ 
reicht ihre chemische Wirkung nicht diese extremen Grade, 
und ohne tiefgehend genug zu sein. um das Leben eines 
Theiles des Organismus aufzuheben, genügen sie, um Reactions- 
erscheinungen hervorzurufen. Dieser Reizzustand äußert sich 
in manchen Zellen durch Schwellung und Kariokynesis, in 
anderen durch verschiedene fettige, colloide oder andere De¬ 
generation, seitens der Gefäße durch Exsudation und Diapedese. 

Grawitz und de Barry, Schkdrlen, Christmas und 
Karunsky haben nachgewiesen, daß die sterilisirten Culturen 
des Staphylococcus aureus pyogene Eigenschaften besitzen, 
daß aber, wie Christmas constatirt hat, der dadurch er¬ 
zeugte Eiter nicht pyogen ist, sondern, wie Karunsky gezeigt 
hat, resorbirt werden kann. Die sterilisirte Cultur verdankt 
ihre pyogene Wirkung zwei verschiedenen Substanzen, einer 
Diastase, die Christmas durch Erhitzen auf 115° zerstört hat, 
und einem von Leber isolirten Ptomain. Andere Diastasen 
haben eine local-phlogogene Wirkung, so z. B. die, welche 
Arloing unter den Producten des Bacteriums der Peripneu¬ 
monie der Rinder gefunden hat, und die entzündliches Oedem 
hervorrufen. 

Noch andere Ptomaine üben eine locale entzündung- 
erregende Wirkung; so hat Grawitz und nach ihm Behring 
gezeigt, daß das Cadaverin Eiterung ohne Mikroorganismen 
hervorruft. Das Oedem und die Eiterung, die aus der Exsu¬ 
dation und der Diapedesis hervorgehen, sind der Ausdruck 
der Reactionsthätigkeit der Gefäße. Ist aber die Gefäßreac- 
tion eine directe, durch die unmittelbare chemische Einwirkung 
der bacteriellen Producte auf die Gefäße hervorgerufene ? Ich 
glaube nicht. In dem Gewebe, in welchem die localen Infections- 
erscheinungen vor sich gehen, gibt es ja nicht nur Zellen oder 
Gefäße, auf welche die bacteriellen Producte ihre Reizwirkung 
ausüben können, sondern auch Nerven. Die Reizung der 
Nervenfasern erzeugt eine Reflexwirkung, die sich in der 
Gegend, von der aus der Reiz hervorgegangen ist, durch 
eine active Gefäßdilatation kundgibt und durch welche die 
Gefäße in die von Cohnheim als Vorstadium der Diapedesis 
bezeichnet« Lage versetzt werden: Die Reihe der rothen Blut- 


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körperchen in der Mitte, die klare Plasmazone zwischen den 
rothen Blutkörperchen und der Gefäßwand und in dieser 
klaren Zone die Leucocyten, welche die innere Oberfläche der 
Gefäße erreichen, sich daselbst festsetzen und zwischen die 
Endothelial zellen einbohren. 

Wie verhält es sich aber in Fällen, in welchen die 
Infectionakrankheit sich sofort verallgemeinert, ohne locale 
Reizung an der Eintrittspforte hervorzurufen, d. h. ohne daß 
der Infectionskeim Diapedesis hervorruft'? Muß man da an- 
nchmen, daß sich die Dinge so verhalten, weil die die Krank- 
keit hervorrufenden Bacterien nicht jene Substanzen secemiren, 
welche die locale Reizung erzeugen können, und daß die 
Allgeraeininfection entsteht, weil keine locale Läsion voran¬ 
gegangen ist? Möglich, aber ich behaupte, daß das nur eine 
Ausnahme ist, und möchte nur einen einzigen Beweis für diese 
Behauptung anführen: Die pathogenen Mikroorganismen, welche 
sofort allgemeine Infection ohne locale Läsion hervorrufen, 
bedingen nicht mehr die Allgemeininfection, sondern nur eine 
locale Läsion, wenn man sie abschwächt. Ich glaube nicht, 
daß die Abscliwächung sie mit einer neuen secretorischen 
Function versieht, welche sie fähig macht, eine locale Reiz¬ 
wirkung hervorzurufen. Die Regel ist vielmehr, daß diese 
Mikroorganismen außer den reizenden Substanzen auch eine 
solche erzeugen, welche das Zustandekommen der Diapedese 
verhindert. 

Bacterielle Secretio.nen, welche die Diapedesis 

verhi ndern. 

Durch zweijährige Arbeit ist es mir gelungen, den 
Nachweis zu erbringen, daß in der That Substanzen vor¬ 
handen sind, welche die Diapedese und indirect den Phago- 
eytismus verhindern. Nachdem ich erfahren hatte, daß die 
gesammten, von den Mikroorganismen secernirten Substanzen 
eine vaccinirende Wirkung haben, dachte ich, daß es gelingen 
würde, Immunität rascher zu erzielen und die Heilung zu be¬ 
schleunigen, wenn man gleich im Beginne der Krankheit eine 
erhebliche Dosis der bacteriellen Producte injiciren würde. 
Das Resultat dieses Versuches hat meine Erwartungen ge¬ 
täuscht. Diese Substanzen, welche 4 Tage nach der Injection 
die Mikroben an der Erzeugung der Krankheit verhindern, 
haben eine ganz andere Wirkung-, wenn sie im Moment der 
Infection oder kurz nach derselben in den Körper gebracht 
werden. Sie beschleunigen nämlich und erschweren die Krank¬ 
heit, ja sie. vermögen dieß sogar selbst dann, wenn diese sich, sei 
es wegen der geringen Dosis des eingeimpften Virus, sei es 
wegen des immunen Zustandes des Thieres, sich sonst nicht 
entwickelt hätte. Sie bekämpfen also sowohl die natürliche 
als auch die künstliche Immunität Diese Verschlimmerung 
der Krankheit, diese scheinbare Erhöhung der Virulenz in 
Folge von sofortiger Injection bacterieller Producte konnte ich 
zuerst beim Bacillus pyocyaneus nachweisen. 

Coubmont hat dieselbe Thatsache beim Bacillus, der bei 
Kühen Pseudotuberculose erzeugt, nachgewiesen. Roger hat 
sie für den Rauschbrandbacillus und für den Prodigiosus con- 
statirt und Monti (Pavia) beim Proteus und einigen anderen 
Saprophyten. 

Ich konnte sie noch bei drei anderen pathogenen Bacterien 
finden, nämlich beim Milzbrandbacillus, beim Staphylococcus 
aureus und beim Bacillus der Hühnercholera. Gleichzeitig 
mit der Erscheinung der Krankheit oder Aufhebung der Im¬ 
munität verhindert die Injection der bacteriellen Producte die 
Diapedesis und den Phagocytismus. 

Ich konnte dies genau nachweisen, nachdem ich stündlich 
mit Hilfe von unter die Haut gebrachten Capillarzellen den 
Austritt der Leucocyten und den Eintritt der Mikroorganismen 
in die geimpften Thiere verfolgte, von denen die einen sterile 
Culturen enthielten, die anderen nicht. 

Indem ich Producte des Milzbrandbacillus, des Bacillus 
pyocyaneus, des Staphylococcus aureus, des Bacillus der 
Hühnercholera injicirte, vermochte ich die Diapedesis und den 


•Phagocytismus zu verhindern, den diese Mikroorganismen zir 
: erzeugen pflegen, wenn sie geimpften oder natürlich immunen 
i Tbieren eingespritzt werden. Durch Injection löslicher Pro¬ 
ducte des virulenten Milzbrandbacillus konnte ich auch den 
Phagocytismus verhindern, den die Impfung des abgeschwächten 
Milzbrandes bei nicht immunen Thieren hervorruft. Durch 
i Injection löslicher Producte eines Mikroben habe ich die Dia¬ 
pedese und den Phagocytismus unmöglich gemacht, die andere 
nicht pathogene oder abgeschwächt pathogene Mikroorganismen 
hervorrufen. 

In allen diesen Fällen zeigte die mikroskopische Unter¬ 
suchung einen Befund, der sehr eclatant in folgendem Ver¬ 
suche hervortrat: Die Einimpfung des Bacillus pyocyaneus er- 
, zeugt beim Kaninchen gewöhnlich Allgemeininfection ohne 
Localerscheinungen; beim Meerschweinchen, welches mehr 
immun ist, hat Chariun beobachtet, daß die Impfung des 
Pyocyaneus keine Allgemeininfection, sondern nur an der 
Impfstelle ein Knötchen erzeugt, welches vereitert und langsam 
abgestoßen wird. Beim vaccinirten Kaninchen vermochte die 
Impfung, die keine Allgemeininfection erzeugt, dieselbe Local- 
■ erscheinung, wie beim Meerschweinchen, hervorzurufen. 

Injicirt man nämlich geimpften Meerschweinchen oder 
Kaninchen gleichzeitig mit dem Bac. pyocyaneus die löslichen 
Producte dieses Bacillus, so erzeugt man bei beiden eine allge¬ 
meine Infection, aber keine locale, welche der grobe Ausdruck 
der Diapedese ist. 

Man könnte nun annehmen, daß diese Verhinderung der 
Diapedese nicht der Wirkung der bacteriellen Producte auf 
das Thier, sondern einer auf den eingeimpften Mikroorganismus 
ausgeübten Einwirkung zuzuschreiben ist, die darin bestünde, 
daß diejenigen seiner Secretionen, deren Reizvvirkung Diapedesis 
hervorrufen, neutralisirt würden! Wenn dem so wäre, so müßte 
die Behinderung der Diapedese hauptsächlich dann hervor¬ 
treten , wenn die- Injection an derselben Stelle mit der Infec¬ 
tion stattfände. Nun konnte ich aber constatiren, daß diese 
Wirkung in diesen Fällen durchaus nicht ausgesprochener ist, 
als wenn die Injection an einer von der Infectionsstelle ent¬ 
fernten Gegend gemacht wird, ja die Wirkung ist unver¬ 
gleichlich energischer, wenn die bacteriellen Producte auf 
intravenösem Wege eingebracht werden. Noch beweisender 
ist folgender Versuch, der in meinem Laboratorium gemacht 
worden ist. Nicht nur die Bacterien oder die bacteriellen 
Producte vermögen durch Localreizung Transsudation und Dia¬ 
pedese hervorzurufen; diese können auch durch verschiedene 
andere physikalische oder chemische Ursachen erzeugt werden- 
Wenn die durch eine dieser Substanzen hervorgerufene ent¬ 
zündliche Schwellung nach Injection der Producte eines patho¬ 
genen Mikroben fehlt, so müßte man dann annehmen, daß die 
bacteriellen Producte die Diapedese durch eine Allgemein- 
Wirkung auf den thierischen Organismus verhindern. Von 
diesen Betrachtungen geleitet, haben Charrin und Gamale'i'a 
folgenden Versuch ausgeführt: Zwei Kaninchen wurde je ein 
Ohr gleich lange Zeit mit der gleichen Menge Crotonöl ein- 
gerieben; einem derselben wurden in die Venen 10 Ccm. eiüer 
8terilisirten Cultur des Bacillus pyocyaneus eingespritzt. Nach 
4 Stunden war das Ohr des nicht eingespritzten Thieres roth,- 
heiß, stark verdickt, seine Epidermis in Blasen abgehoben, das 
Ohr des injicirten Thieres war absolut gesund und zeigte 
keine stärkere Vascularisation als das gesunde Ohr. Diese 
entzündungshemmende Wirkung der Injection erschöpft sich 
nach G —8 Stunden, und wenn dieselbe nicht wiederholt wird, 
so tritt die Entzündung, wenn auch verspätet, auf; hingegen 
bleibt sie gänzlich aus, wenn die Injectionen zwei Tage hin¬ 
durch drei- bis viermal in 24 Stunden wiederholt werden.- . 

Auf welche Theile des Organismus wirken nun diese die 
Diapedese verhindernden Substanzen, auf die Leucocyten, auf 
die Gefäße oder auf den vasomotorischen Nervenapparat? 
Zwei Versuche von Charrin und Gley beantworten diese Frage. 

Bei einem curarisirten Kaninchen wird das centrale 
Ende des Nerv, depressor durchschnitten; sofort sinkt der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 85. 


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arterielle Druck in Folge Erweiterung aller Gefäße. Kurze 
Zeit nach Aufhören des Reizes wird der Druck normal. Nun 
injicirt man in die Venen des Thieres 10 Ccm. der steril isirten 
Cultur des Bacillus pyocyäneus und reizt sofort wieder das 
centrale Ende des Depressor. Nun aber ist das Abfallen des 
Blutdruckes = 0 oder sehr unbedeutend, das vasodilatatorische 
Centrum reagirt eben nicht mehr auf die Reizung, es ist 

gelähmt. . 

Bei einem anderen curarisirten Kaninchen reizt man das 
centrale Ende des Nervus auriculo-cervicalis der einen Seite. 
In Folge dessen röthet sich das Ohr derselben Seite sofort, 
alle seine Gefäße werden stark erweitert. Injicirt man in die 
Venen 10 Ccm. der sterilisirten Cultur des Pyocyaneus und 
reizt neuerdings das centrale Ende des Auriculo-cervicalis, so 

bleibt die Gefäßerweiterung aus. . ' 

Ich glaube demnach, daß die pathogenen Bacterien oder 
diejenigen von ihnen, auf welche sich meine Untersuchungen 
bezogen, eine Substanz erzeugen, welche das vasodilatatorische 
Centrum lähmt und daß. selbst wenn sie Substanzen erzeugen, 
welche eine locale Reizrihg hervorrufen können, die vaso¬ 
dilatatorische Lähmung, die sie hervorrufen , das Zustande¬ 
kommen der Entzündungserscheinungen und namentlich der 
Gefäßdilatation, der Exsudation und Diapedese in der ange¬ 
griffenen Stelle verhindert. Auf diese Weise entziehen sich 
die Mikroorganismen einer der Ursachen ihrer Zerstörung, dein 
Phagocytismus, und können sich frei entwickeln, vermehren 
und secemiren. 

Nun begreift man, wie nervöse Störungen, Kälte, physi¬ 
sche und moralische Erschütterungen, Ermüdung, Nacht¬ 
wachen, Kummer so häufig die Ursache der Entwicklung oder 
der Verschlimmerung einer Infektionskrankheit werden, indem 
sie die "Wirkung des vasodilatatörischen Centrums herab¬ 
setzen, die Diapedese und den Phagocytismus erschweren. 

Ich habe experimentell die Wirkungsweise dieser banalen 
Ursachen studirt. denen man mit Recht eine Einwirkung auf 
so viele Krankheiten zuschreibt. 

Vaccinirte Kaninchen erhalten unter die Haut eine in 
Capillarröhrehen eingeschlossene Cultur des Bacillus pyocyaneus 
geimpft. Die einen werden immobilisirt, um eine spontane Ab¬ 
kühlung hervorzurufen, die anderen freigelassen.. Die nach 
regelmäßigen Intervallen den Thieren beider Versuchsreihen 
entnommenen Capillarröhrehen zeigen bei den freigelassenen 
eine zahlreiche Einwanderung von Leucocyten, bei den abge¬ 
kühlten Thieren hingegen ist die Diapedese bedeutend ge¬ 
ringer, die Bacillen enthaltenden Leucocyten sind viel 
seltener. < 

In ähnlicher Weise vermag, wie Charkin und Roher 
gezeigt haben, die Uebermüdung die Infection zu beschleunigen 
xmd zu erschweren und die Immunität aufzuheben. Auf diese 
Weise wird auch die von Roger beobachtete Thatsache be¬ 
greiflich , daß Producte des Bacillus prodigiosus beim Kanin¬ 
chen, das sonst immun gegen Rauschbrand ist, die Entwick¬ 
lung dieser Krankheit ermöglicht, ferner die von MontI (Pavia) 
gemachte Beobachtung, daß die Producte des Proteus vulgaris 
die Virulenz des Erysipel- oder Peumoniecoccus erhöhen. Da¬ 
durch lassen sich auch die längst klinisch festgestellten That- 
sachen erklären, daß eine primäre Infection das Auftreten 
der secundären Infection begünstigt. 

Dadurch läßt sich auch die Rolle, welche die Darm- 
gährungen in der Pathogenese so mancher Infectionskrankheiten 
spielen, erklären. Alle diese Thatsachen werden verständlich, 
wenn man berücksichtigt, daß die pathogenen Bacterien und 
selbst manche Saprophyten Substanzen erzeugen, w r elche das 
vasodilatatorische Centrufn lähmen, die Diapedese und folglich 
auch den Phagocytismus erschweren. Die Wirkung dieser 
Substanzen ist eine fast unmittelbare; sie äußert sich sofort 
nach Einbringung derselben in’s Blut, aber sie hört rasch auf, 
wenn nicht neue Quantitäten dieser Substanzen die ausge¬ 
schiedenen ersetzen. 


Bacterielle Secretiönen mit väccinirenden Eigen¬ 
schaften. 

Im Gegensatz' zu diesen schädlichen Substanzen gibt es 
unter den bacteriellen Producten solche, welche dem inficirten 
Organismus nützlich sind, ich meine die sogenannten vacci- 
nirenden Substanzen. Ich will nicht die Geschichte dieser 
Frage besprechen. Auf dem internationalen medicinischen Con- 
gresse von Washington ist diese Frage durch die Arbeiten von 
Salmon und Smith über die Cholera der Schweine in’s experi¬ 
mentelle Stadium getreten. Einen Monat später hat Charrin 
den definitiven Nachweis dieser Substanzen erbracht, indem 
er Kaninchen mittelst sterilisirter Culturen des Bacillus pyo¬ 
cyaneus vaccinirt hat. Die Liste dieser chemischen Vaccinen 
vermehrt sich von Tag zti Tag. Man glaubte anfangs, daß 
dieselben dadurch wirken , daß sie durch ihre Gegenwart das 
Leben des Mikroorganismus, der sie erzeugt hat, unmöglich 
machen. Ich glaube diese Annahme dadurch unmöglich ge¬ 
macht zu haben, indem ich nachgewiesen habe, daß diese vac- 
cinirenden Substanzen durch den Ham ausgeschieden werden. 

Nach Charrin und Roffer dauert die vollständige Aus¬ 
scheidung 14 Tage, aber nach Ablauf dieser Zeit bleibt die 
Immunität bestehen. Vaccinirt man ein Thier durch Injection 
sterilisirter Culturen, so wird die Immunität erst nach vier 
Tagen erzielt, also zu einer Zeit, wo ein großer Theil der 
vaccinirten Substanz bereits ausgeschieden ist, und gerade un¬ 
mittelbar nach der Injection, wo sich die vaccinirende Sub¬ 
stanz in größter Menge im Thierkörper befindet, ist die Im¬ 
munität = 0. Die Wirkung dieser väccinirenden Substanzen 
kann daher nur eine indirecte sein. 

Die Immunität ist auf jeden Fall, ob sie durch ein 
lebendes Virus oder durch eine chemische Substanz bewirkt 
wird, immer das Resultat der bacterientödtefiden Eigenschaft 
der Gewebe und der Säfte, eine Eigenschaft, die wohl durch 
den Durchgang der väccinirenden Substanzen durch den Or¬ 
ganismus erzeugt wird und die sich nach deren Ausscheidung 
erhält. Nun sind die Säfte nichts anderes als das, wozu sie 
die Zellen machen, d. h. die mit väccinirenden Substanzen, 
wenn auch vorübergehend, imprägnirten Zellen werden in ihrer 
Ernährung definitiv geändert. Die bacterientödtende Eigen¬ 
schaft, welche eine statische Bedingung der erworbenen Im¬ 
munität bildet, ist also das Resultat einer permanenten Ver¬ 
änderung der Ernährung, welche durch den Durchgang ge¬ 
wisser bacterieller Producte durch den Körper erzeugt wird. 
Im Gegensatz zu den Substanzen, welche Diapedese hervor¬ 
rufen, diese Wirkung sofort nach ihrer Einbringung in’s 
Blut äußern und nach 6—8 Stunden bereits verloren haben, 
beginnt die Wirkung der väccinirenden Substanzen erst später, 
etwa nach 4 Tagen, ist aber dafür eine dauerhafte. 

Die väccinirenden Substanzen sind weder toxisch, noch 
entzündungserregend, ‘ oder richtiger gesagt, sie vermögen 
Schutzimpfung zu leisten in Dosen, in denen sie weder toxisch, 
noch entzündungserregend wirken können, Was mit anderen 
Worten beweist, daß die erworbene Immunität nicht die Folge 
eines fieberhaften Zustandes und auch nicht die der Ange¬ 
wöhnung an Bacteriengifte ist. 

Einige andere Wirkungen der bacteriellen Pro¬ 
ducte. 

Andere bacterielle Producte, deren Wirkung in der letzten 
Zeit studirt worden ist, seien hier nur summarisch erwähnt. 

Das Fieber der Infectionskrankheiten ist toxisch. Es 
wurde von Charrin und Roger durch Injection baoterieller 
Gifte künstlich erzeugt, es kann ferner durch Diastasen und 
Alkaloide hervorgerufen werden, wie die Versuche von Rou- 
S3Y und Brie geh lehren. Manche Substanzen sind eigentliche 
Gifte, manche wirken vorwiegend auf das Nervensystem, an¬ 
dere verändern nur die Functionen und die Ernährung mancher 
Zellen. Diesen Giften ist bei Infectionskrankheiten der Kopf¬ 
schmerz, das Delirium, die. Convulsionen, das Coma, die Se- 
eretionsstörungen, die Muskeldegeneration zuzuschreiben. Die 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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Mehrzahl derselben scheint den Ptoraainen anzngehören; manche 
sind Diastasen, wie das z. B. Gamaleia der Diarrhoe zu¬ 
schreibt, welche die Injection sterilisirter Culturen des Cho¬ 
lerabacillus erzeugt. 

Die Versuche von Massart und Bo;.det scheinen zu be¬ 
weisen, daß manche bacteriellen Products die Reizbarkeit der 
Leucocyten derart beeinflussen , daß dieselben in den Lösun¬ 
gen der Bacterienproducte aus den verdünnten in die gesät¬ 
tigten Stellen übergehen, wodurch die Phagocyten mit den 
Bacterien in Contact kommen. Die Thatsache, daß manche 
Bacterien von den Leucocyten nicht gefressen werden können, 
hat auch zur Annahme geführt, daß dieselben eine die Leuco¬ 
cyten lähmende Substanz secerniren. Schließlich gibt es bac- 
teriologische Producte, welche die Leucocyten tödten und die 
theils den Alkaloiden, theils den Diastasen angehören. Damit 
ist wohl die Reihe der bacteriologischen Producte nicht er¬ 
schöpft ; ich glaube, daß manche Bacterien Diastasen erzeugen, 
welche, wie z. B. die Jequirity oder das Papain, die Ent¬ 
wicklung allgemeiner Infection erleichtern, ohne die Diapedese 
zu verhindern. Es bleibt mir nur noch übrig, die vorherge¬ 
gangenen Thatsachen zu gruppiren und die aus denselben her¬ 
vorgehenden Ergebnisse hervorzuheben. 

Theorie der Infection. 

Ein virulenter Mikrob dringt in unsere Gewebe ein, 
oder einer der unsere Leibeshöhlen sonst bewohnenden patho¬ 
genen Mikroben übertrumpft in Folge einer nervösen Störung 
die Lymphzellen und dringt in unsere Säfte ein. Damit hat 
die Krankheit noch nicht begonnen. Der pathogene Keim ge¬ 
langt in eine für seine Entwicklung mehr oder weniger gün¬ 
stige Bedingung. 

Besitzen unsere Säfte starke bacterientödtende Eigen¬ 
schaft, so kommt es zu keiner Vermehrung der Bacterien 
und folglich zu keiner Krankheit. Sind aber unsere Säfte für 
den Mikroorganismus günstig, so beginnt sofort seine Ent¬ 
wicklung. Besitzen dieselben nur mäßige bacterientödtende 
Eigenschaften, so kommt es zunächst zu einem Stadium der 
Degeneration, während dessen eine gewisse Anzahl der Bac¬ 
terien verschwinden, aber auch die secernirten Diastasen, die Ge¬ 
webe in der betroffenen Gegend verändern , sie den Bedürfnissen 
der Mikroben adaptiren können, ähnlich wie die Diastasen 
der Hefe die Saccharose und Lactose in mehreren Tagen zu 
Glycose um wandelt. 

Dann kommt es zur Entwicklung des pathogenen Keimes. 
Ob nun die Entwicklung sogleich oder erst nach der ersten 
Phase der Degeneration begonnen hat, die Krankheit fängt an. 

Von diesem Momente an wuchert der eingedrungene Keim 
weiter, secemirt, und die Masse seiner Secretionsproducte steht 
im Verhältniß zu seiner Zahl und zu seiner Lebensintensität. 
Diese Keime können local Zerstörungen in Folge von chemischen 
Veränderungen des betroffenen Gewebes erzeugen. Sie werden 
auch resorbirt und erzeugen Fieber, nervöse und dystrophische 
Störungen, die je nach der Natur der resorbirten Producte, 
resp. der Bacterien, welche sie hervorrufen, verschieden sind. 
Diese localen und Allgemeinerscheinungen der Infection 
treten dann auf, wenn die Zahl der Mikroorganismen eine 
nicht mehr zu vernachlässigende Masse von bacteriellen Pro- 
ducten erzeugt hat. Durch seine fortdauernde Wucherung 
treibt der Mikroorganismus die Intoxication bis zum Tode, 
trotz der Anstrengungen, die der thierische Organismus macht, 
um dieses Ereigniß abzuwenden, indem er die Gifte durch 
die Niere ausscheidet, in der Leber umwandelt, im Blute und 
den Geweben verbrennt. Nur wenn der Organismus gegen 
die das Leben bedrohenden Bacterien seine zwei Schutzmittel, den 
Phagocytismus, der sie zerstört, und die bacterientödtende 
Eigenschaft, welche ihre Wucherung hemmt und ihre Secretion 
l>eschränkt oder unterdrückt, in’s Feld führt, kann er Sieger 
bleiben. 

Von diesen zwei Mitteln ist das eine, die bacterien¬ 
tödtende Eigenschaft, nur eine entliehene Waffe, die dem 


Organismus durch die Mikroben gegeben ist und die erst spät 
auftritt. Das zweite hingegen, der Phagocytismus, ist dem 
thierischen Organismus eigen, setzt aber die Diapedese voraus, 
zu deren Zustandekommen ebenfalls die Mikroben nothwendig 
sind; fehlt der locale Reiz seitens der Mikroben, so kann 
die sofort eintretende Allgemeininfection den Tod mit einer 
fast foudroyanten Schnelligkeit erzeugen. 

Ist dies nicht der Fall, so bildet der Phagocytismus das 
einzige Schutzmittel des Körpers in den ersten zwei bis drei 
Tagen, ein Schutzmittel, welches für die leichteren Infectionen 
allein genügt, um Heilung zu Stande zu bringen. 

Viele Bacterien aber haben die Fähigkeit, die Wirksamkeit 
der Phagocyten zu verhindern, indem sie Substanzen seeer- 
niren, welche die vasomotorischen Centren lähmen oder auch 
solche, weiche die Phagocyten lähmen. Diese Secrete bilden 
die Gefahr mancher Mikroorganismen; gegen dieselben^ist 
der thierische Körper entwaffnet und besitzt kein Schutz¬ 
mittel. Glücklicherweise erzeugten aber die giftigen Bacterien 
gleichzeitig mit den deletären Substanzen eine andere, die 
sich in den ersten Tagen durch keinerlei wahrnehmbare Er¬ 
scheinungen äußert, die aber in die Zellen eindringt, ihre 
Ernährung verändert und die bacterientödtende Eigenschaft 
hervorruft, ln diesem Stadium hat die Krankheit ihre Acme 
erreicht und muß nun abnehmen. In den veränderten Säften 
wird die Vermehrung der Mikroorganismen gehemmt und ihre 
Giftigkeit abgeschwächt. Die in’s Blut abgegebenen Gifte 
nehmen an Quantität ab und werden durch die natürlichen 
Hilfsmittel ausgeschieden. — Hauptsächlich ist es das das 
vasodilatatorische Centrum lähmende Gift, welches vermindert 
wird, die bis dahin gehemmte Diapedese stellt sich ein und 
der Phagocytismus kann nun auf die bereits abgeschwächten 
Bacterien leicht einwirken. 

Nach dieser Auffassung der Infectionskrankheiten gibt 
es ein erstes Stadium, in welchem die Mikroben durch Läh¬ 
mung des vasodilatatorischen Centrums eine graduell zunehmende 
Steigerung der Infection und der Intoxication bewirken. In¬ 
zwischen bereitet sie das zweite Stadium vor, in welchem sie die 
bacterientödtende Eigenschaft der Mikroben abschwächt, ihre 
toxischen Secrete vermindert und sie zwingt, den Phagocy¬ 
tismus zu gestatten, der das Drama abschließt. Bei Infeetions- 
krankheiten wirken die schädlichen bacteriellen Producte sofort, 
die nützlichen erst später, aber der schädliche Einfluß hört 
sofort auf, während der nützliche lange dauert. 

Theorie der Schutzimpfung. 

Die Heilung ist die erste Aeußerung der Immunität. 
Die Impfstoffe ermöglichen die Heilung, indem sie den 
bacterientödtenden Zustand erzeugen, der lange anhält. Dieser 
Zustand ist es, der das Wesen der Vaceination oder der 
künstlichen Immunität bildet. Der Mikrob, der die erste 
Krankheit erzeugt hat, findet, wenn er neuerdings in den 
Organismus eingeführt wird, einen veränderten Nährboden, 
der seiner Entwicklung ungünstig ist. Seine Entwicklung 
wird schwieriger oder unmöglich. Doch beschränkt sich die 
Sache nicht auf das Gesagte. Impft man dasselbe starke 
Virus einem gesunden und einem vaccinirten Thiere, so erzeugt, 
es beim gesunden Thiere keine Diapedesis, wohl aber beim 
vaccinirten. Die Erklärung, die Charrtn für diese Thatsache 
gegeben hat, vervollständigt die Theorie der Schutzimpfung. 
Die virulenten Mikroben entwickelten sich beim vaccinirten 
Thiere schlecht, sie geben eine schwache Vegetation und ihre 
Secretionen sind vermindert. Diese Vegetation vermag noch 
eine locale Reizung hervorzurufen, welche Diapedesis erzeugt, 
secemirt aber nicht in genügender Menge die Substanz, welche 
die Diapedesis verhindert. Der Phagocytismus kann also 
ungestört vor sich gehen. Beim vaccinirten Thiere ist der 
Vorgang derselbe wie am Schlüsse der zum ersten Male auf¬ 
tretenden Krankheit. Die Einimpfung eines starken Virus 
bei einem vaccinirten Thiere ist nichts anderes ata die Ein- 
imptung eines abgeschwächten Virus. Nur geschieht die Ab- 


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Schwächung - nicht vorher m Laboratorium, sondern in den 
Geweben des vaccinirten Thieres. Diese'Abschwächung ist, 
wie Charrin und Gamalri'a gezeigt haben, in 40 Minuten 
vollständig vollendet. Wir sind nicht der Ansicht, daß der 
Zustand des vaccinirten Thieres der durch eine erste Schlacht 
gewonnenen Energie der Leucocyten oder einer Angewöhnung 
an Bacteriengifte zuzuschreiben ist. Wenn man mit Bacterien- 
producten und nicht mit Bacterien impft, so machen die Leuco¬ 
cyten gar keine Schlacht durch und doch erfüllen sie ihre 
phagoeitäre Rolle. Injieirt man einem gesunden und einem 
vaccinirten Thiere die löslichen Producte derselben Bacterienart, 
mit der das vaccinirte Thier geimpft wurde, so braucht man 
genau dieselbe Dosis , um beide Thiere zu tödten. Es kann 
sich also nicht um Angewöhnung an ein Gift handeln. 

Definition des Virus und der Impfstoffe. 

Ein Virus ist ein Bacterium, für welches die Säfte eines 
Thieres, mit Rücksicht auf ihre Zusammensetzung, ein giin 
stiger Nährboden sind, und das außerdem die Mittel besitzt, 
um gegen die Zerstörungsvorrichtungen erfolgreich anzu¬ 
kämpfen. Die kräftigste Schutzwehr der Bacterien ist ihre 
Eigenschaft, Substanzen zu erzeugen, die den Phagocytismus 
verhindern. 

Der „Impfstoff“ ist ein Virus, welches die Eigenschaft 
besitzt, Substanzen zu secerniren, die langsam und dauernd 
die Ernährung derart zu modificiren vermögen, daß der bacterien- 
tödtende Zustand entsteht, und welches durch künstliche Züch¬ 
tung einige seiner schädlichen Secretionen verliert, namentlich 
jene, welche die Diapedesis verhindert, ohne die vaccinirenden 
Secretionen zu verlieren. 

Begriff der natürlichen Immunität. 

Die Theorie der erworbenen Immunität ist nicht an¬ 
wendbar auf die 'natürliche Immunität, denn der bacterien- 
tödtende Zustand fehlt häufig bei Thierarten, die Immunität 
besitzen, und besteht bei solchen, die empfänglich sind. Beim 
Thiere mit natürlicher Immunität erzeugt das starke Virus, 
wie beim vaccinirten, Diapedesis und Phagocytismus, und zwar 
nicht, weil das Virus sich abschwächt, sondern weil, wie ich 
glaube, das Nervensystem des immunen Thieres weniger empfind¬ 
lich ist gegen das die Diapedesis verhindernde Gift, als das 
empfänglicher Thiere. Diese Differenz ist aber nur eine gra 
duelle, und es genügt, die Dosis der Bacterienproducte zu er¬ 
höhen , um die natürliche Immunität zu bekämpfen, um all¬ 
gemeine Infection zu erzeugen und die Diapedesis zu verhindern, 
ln dieser Beziehung ist ein Versuch von Roger sehr lehrreich. 
Er impft einem Kaninchen (das gewöhnlich immun ist gegen 
Rauschbrand) Rauschbrandbac.illen in die Vorderkammer. In 
diesem von Leucocyten freien Medium entwickeln sich die Bacillen 
ganz gut, ein Beweis, daß die Säfte nicht bacterientödtend 
sind. Nun nimmt er eine zweite Impfung in den Schenkel 
vor: bald entwickelt sich eine crepitirende Geschwulst und 
erfolgt allgemeine Infection. In diesem Versuche hat die 
Impfung in der Vorderkammer eine hinreichende Menge von 
Substanz in den Kreislauf gebracht, um die Diapedesis zu 
verhindern, und die Infection hat ebenso stattgefunden, als ob 
bei diesem Thiere derselbe Mikroorganismus in Begleitung 
einer großen Menge seiner Producte eingeimpft würde. 

Ich bin zu Ende. Das System, das ich Ihnen vorbrachtc, 
ist zweifellos nicht frei von Hypothesen; in seinen wesent¬ 
lichen Punkten beruht es aber, wie ich glaube, auf experi¬ 
mentell festgestellten Thatsachen. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Von Prof E. v. 

Hofmann. Fünfte vermehrte und verbesserte Auflage. Erste 

Hälfte. (Bogen 1—30.) Wien und Leipzig 1890. Urban und 

Schwarzenberg. 

Das Buch Prof. v. Hofmann’s erscheint nun im Laufe weniger 
Jahre zum fünften Male; diese Thatsache spricht beredt für die 
große Verbreitung und Beliebtheit desselben. Es kann aber auch 
ohne alle Uebertreibung behauptet werden, daß dieses Buch dermalen das 
anerkannt beste seiner Art ist und in keiner Sprache seines Gleichen 
hat; es befindet sich daher nicht nur in der Hand eines jeden 
Gerichtsarztes, sondern gilt auch den Studirenden der Medicin als 
das beliebteste Handbuch. Selbst der spocielle Fachmann kann es 
nicht entbehren und bedient sich desselben sehr häufig, sei es als 
verläßlichen Rathgebers in schwierigen Fällen, der ihn nie im Stiche 
läßt, sei es als Richtschnur bei Vorlesungen und Vorträgen Selten 
gibt nämlich ein Buch in gedrängter Kürze ein so treues Bild 
des jeweiligen Standpunktes der Lehre, selten ist eines so klar und 
für Jeden zugänglich und verständlich verfaßt, kaum berücksichtigt 
eines so genau die einschlägige Literatur und versteht lehrreiche 
Casuistik beizubringen, ohne durch Weitschweifigkeit zu ermüden. Mit 
der Casuistik hat es aber eine eigene Bewandtniß; es fällt gewiß 
Niemandem bei, ihren Nutzen zu schmälern oder gar zu leugnen, und 
doch wird sie selten entsprechen, wenn sie in Form von Sammlungen 
in gewissenhafter, aber höchst ermüdender Ausführlichkeit dem Leser 
geboten wird; solche Sammlungen verfehlen gewöhnlich ihren Zweck, 
wenn dem Suchenden ein genaues Register nicht zu Hilfe kommt. 
Dasselbe Schicksal theilt die Casuistik, wenu sie einem Lehrbnche 
einverleibt ist; sie wird zumeist überschlagen, zumal wenn der Leser 
die Wahrnehmung gemacht hat, daß die einzelnen, weitschweifig 
abgehandelten Fälle, wie in manchem älteren Lehrbuche, nicht ganz 
genau in den Rahmen des eben besprochenen Themas passen. Diesen 
Uebelständen ist Prof. v. Hofmann geschickt aus dem Wege gegangen, 
indem er nur wichtigere, wirklich lehrreiche Fälle aufnahm und 
dieselben in möglichster Kürze beschrieb. 

Vergleicht man die letzte Auflage mit der vorletzten, vor 
3 Jahren erschienenen, so gewinnt man bald die Ueberzeugung, daß 
die dermalige mit vollem Rechte auf die Prädieate „verbessert und 
vermehrt“ Anspruch erheben kann. Wir finden nämlich an zahl¬ 
reichen Stellen neu aufgenommene Bemerkungen und erschöpfende 
Berücksichtigung der im letzten Triennium veröffentlichten Arbeiten, so 
z. B. jener von Bruns und Bauart über die Wirkung der neueren Klein¬ 
kaliber-Gewehre, jener von M ittkn’z wkig betreffs der pernieiösen Anämie, 
von Reubold und Diettrich, welche die von Zenker hervorgehobene 
Bedeutung der Pancreasblntung als Ursache des plötzlichen Todes 
leugnen, der schönen Arbeiten Palt auf’s über Herbeiziehung der 
PASTEUR’schen Impfungen zur Diagnose der Lyssa humana und über 
intra vitam entstandene rcaotionslose Verletzungen. Die Unfallver¬ 
sicherungsgesetze Deutschlands vom Jahre 1884 und Oesterreichs 
vom 28. December 1887 werden unter Berufs Unfähigkeit 
besprochen und die einschlägigen Arbeiten von Becker und Krecke 
erwähnt. Von großer praktischer Wichtigkeit sind die Bemerkungen 
des Verfassers über den ursächlichen Zusammenhang zwischen bei 
Schulkindern auftretenden Meningitiden und vorausgegangeuer 
Züchtigung oder Mißhandlung. Verfasser warnt vor voreiliger Con- 
statirung des Causalnexus, selbst weun die Erkrankung schnell auf 
die angebliche Züchtigung gefolgt ist, es sei denn, daß eine äußere 
oder innere Läsion nachweisbar und darzutbun möglich ist, daß 
von dieser Läsion eine pyogene Infection ausgegangen war; aber 
selbst in diesem Falle soll die Krankheit nur als accidentelle Wund¬ 
krankheit begutachtet werden. — Unter den Lösungsmitteln vou 
Blutflecken finden wir die von Rezzonico angegebene 10° 0 Oxal¬ 
säure, sowie das von Klein und zuvor von Struve zur Lösung 
vou Oxy- uud sogar Metkänioglobiri empfohlene mit C0 2 gesättigte 
de8tillirte Wasser erwähnt; weiters sind die an Liman’s Unter¬ 
suchungen sich anschließenden Angaben Ivatayama’s über die Lös¬ 
lichkeit von auf 140° erhitztem Blute, ebenso die Methoden MiSU- 
raca’s und Copeman’s, um Hämoglobinkrystalle darzustellen, 
angeführt; die leichtere Gewinnung dieses Krystalles wäre für die 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35 


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gerichteärztliche Praxis von großer Bedeutung. — Bei Besprechung 
der Kopfverletzungen wird Brouardel’s Untersuchungen Aber 
Diabetes als Folge von Trauma capitis Rechnung getragen ; in dem 
Abschnitte über Simulation einseitiger Erblindung wird das jüngst 
von Haupt empfohlene Verfahren besprochen, welches darauf be¬ 
ruht, daß man dem Verdächtigen vor das angeblich erblindete Auge 
ein weißes, vor das gesunde hingegen ein rothes Glas gibt und 
ihn auf schwarzem Grunde grün Gedrucktes lesen läßt; da rothes 
Glas grüne Strahlen absorbirt, so nimmt ein gesundes Auge den 
grünen Druck gar nicht aus: vermag dies der Untersuchte, so hat 
er offenbar mit dem angeblich blinden Auge gelesen und ist somit 
überführt. Wir haben dieses Verfahren controlirt und gefunden, 
daß es ganz entsprechend ist, aber nur unter der Bedingung, daß 
ein dunkelrothes Glas und kleiner grüner Druck auf schwarzem 
Untergründe vorgesetzt wird; ist nämlich das Glas hellroth und der 
Druck ein größerer, so kann er ohne besondere Mühe gelesen wer¬ 
den. — Auf die Untersuchungen von Litten, Weichselbaum und 
Petit gestützt, gibt Verfasser die Möglichkeit zu, daß in Folge 
einer Lungencontusion eine echte croupöse Pneumonie entstehen 
kann, was mit den Erfahrungen der forensen Praxis übereinstimmt. 
— Die traumatischen Neurosen endlich sind ausführlicher 
als in den früheren Auflagen behandelt. — Die Anzahl der Holz¬ 
schnitte blieb die gleiche (88 in der vorliegenden 1. Hälfte). 

Die zweite Hälfte erscheint noch im Laufe dieses Jahres; da 
sie wichtige Capitel der gerichtlichen Medicin enthalten wird, sehen 
wir dem Erscheinen derselben mit Spannung entgegen; es ist näm¬ 
lich mit Zuversicht zu erwarten, daß auch sie alles in der jüngsten 
Zeit Erschienene und auf die gerichtliche Medicin Bezug habende 
in gleichem Maße wie die 1. Hälfte berücksichtigen und der neuen 
Auflage das Wahrzeichen aufdrücken wird, das wir im Eingänge 
dieser Anzeige anticipando anzugeben uns erlaubten. 

Prof. Blumenstok (Krakau). 


Zeitungsschau. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Ref.: Prof. Ludwig Kleinwächter. 

(Fortsetzung. *) 

Ueber Sublimatintoxicationen in der Geburtshilfe liegen 
einige Mittheilungen vor. Einen letal endenden Fall publicirt 
Steffeck und warnt, auf diesen hinweisend, vor intrauterinen 
Sublimatirrigationen. Sommer erwähnt, daß in Berlin von 368 
Wöchnerinnen, bei denen Sublimatirrigationen des Uterus vorge¬ 
nommen wurden, 10 Vergiftungserscheinungen zeigten. Ein Fall 
endete sogar letal. Weinhold warnt ebenfalls vor intrauterinen 
Sublimatausspülungen, gestützt auf seine in der Breslauer Klinik 
gewonnenen Erfahrungen. 

Dührssen plaidirt für die Anwendung der Jodoform¬ 
gaze in der Geburtshilfe. Bei atonischen Blutungen des 
puerperalen Uterus legt er einen Jodoformgazetampon ein. Auch 
die Cervixrisse behandelt er mit diesem Tampon. Ebenso empfiehlt 
er ihn bei schwer zu nähenden Vaginalrissen und provisorisch, um 
Dammrisse nicht Nachte bei schlechter Beleuchtung nähen zu müssen. 
Ferner bei Uterus- und Scheidenrupturen. Auch bei dem Kaiser¬ 
schnitte will er den eröffneten Uterus mit Jodoformgaze austampo 
niren. Schließlich empfiehlt er diese Tamponade im Puerperium, 
wenn sich im Uteruscavum Fäulnißvorgänge abspielen. 

Die Jodoformgaze-Behandlung bei chronischer 
Endometritis leitet Pole ein. Die Kranke wird narcotisirt, die 
Cervix dilatirt, der Uterus mit einem Katheter ausgewaschen, worauf 
ein Streifen Jodoformganze in das Uteruscavum eingelegt wird, der 
24 Stunden liegt. Danach wird, wenn nöthig, die Uterushöhle aus- 
gespült und ein neuer Tampon eingelegt. Diese Therapie soll 
namentlich bei hämorrhagischen Formen der Endometritis sehr 
wirksam sein. Solowi.j modificirt die bekannte BANDi/sche Be¬ 
handlungsmethode (Eingießen einer 10% Kupfervitriol-Lösung in 
das Röhrenspeculum und Einführung einer durchlöcherten Canüle in 

*) S. Nr. 31. 


das Uteruscavum) insoferne, als er, um die durch das Anziehen de r 
Vaginalportion zuweilen hervorgerufene Blutung zu vermeiden, statt 
des kurzen BANDL’schen einen längeren cylindrischen Spiegel nimmt 
und durch das letzte Loch der Canüle ein Stückchen Carbol watte 
durchzieht, um den Zutritt der Spülflüssigkeit in die höheren 
Partien des Cervicalcanales zu erleichtern. Außer der Kupfervitriol¬ 
lösung bedient er sich des Holzessigs mit einem ft°/ 0 Zusatz von 
Carbol. Anders ist die Behandlungsmethode Noel Hallr’s. Zuerst 
macht er eine 3—4malige warme Vaginalausspülung mit einer 
Sublimatsolution in der Stärke von 1 : 2000, reinigt im Speculum 
die Vaginalwände und das Collum mit in Sublimat getauchter Watte 
und füllt die Vagina mit Jodoformgaze aus. Vor die Vagina kommt 
eine T-Binde. Diese Vorbehandlung wird 2—3 Male wiederholt. 
Die eigentliche Behandlung besteht in der langsamen Dilatation 
der Cervix mit Tupelo oder Laminaria, die in 10 Tagen 5raal 
wiederholt wird. Bei schweren Formen von Endometritis muß 
nebenbei noch die Excochleation und Ausspülung des Uteruscavum 
vorgenommen werden. 

Rheinstädter ist mit der Chlorzinkbehandlung, die 
er bereite seit länger als 10 Jahren übt, sehr zufrieden. Er benützt 
eine Lösung von Chlorzink und Wasser aa. part. aequal. Stenosen 
der Cervix erzeugen die Chlorzinkätzungen nie. Die chrouische 
Metritis behandelt er mittelst intrauteriner Chlorzinkätzungen, ver¬ 
bunden mit Ergotinklystieren, Heißwassordouchen und Glycerin¬ 
tampons. Bei Erosionen werden 10—20 Einstiche mit dem 
Punctionsmesser der Chlorzinkätzung vorausgeschickt. Auch da legt 
er Glycerintampons ein. Die guten Erfolge bei dieser Behandlungs¬ 
methode bestätigt Bröse und ebenso Fränkel bezüglich der viru¬ 
lenten Uterusblennorrhoe. Letzterer wendet das Mittel auch bei 
inoperablem Uteruscarcinome an. Nach der Excision, resp. 
Excochleation des ergriffenen Gewebes wird der Paqnelin angewendet. 
Sobald sich dann der Brandschorf abstößt, wird mit Chlorzink 
geätzt. Eblers dagegen ist mit der Chlorzinkätzung hier nicht zu¬ 
frieden. Er wirft dieser Behandlungsmethode bei Careinom 
Unsicherheit der Dosirung, Schwierigkeit der Fixation an der ge¬ 
wünschten Stelle und daher oft Wirkung am Unrechten Orte vor. 
Schramm’s Behandlung besteht in Injeotionen in das carcinomatös 
degenerirte Gewebe mit einer antiseptischen Flüssigkeit, und zwar 
mit einer Quecksilberchlorid-Chlornatrium-Lösung. (Hydrarg. bichl. 
corros. 0*25, Natr. chlorati 2 - 50, Aq destillat. 50 - 0.) Er injicirt 
eine 2 # 0 Flüssigkeit enthaltende Spritze voll an verschiedenen Stellen. 
Alle 2—3 Wochen wiederholt er diese Injection. 

Abel will die Entdeckung gemacht haben, daß bei Careinom 
der Portio und Cervix die Schleimhaut des Corpus 
eine beginnende sarcomatöse Degeneration zeige. 
Fraknkel, der Abel’s angebliche Entdeckung weiter verfolgte, fand 
wohl bei Carcinoma cervicis tiefgreifende Veränderungen der Mucosa 
des Corpus, nämlich eine Endometritis glandularis, und zwar sowohl 
hyperplastica, wie hypertrophica oder eine Endometritis interstitialis 
mit entschiedener Neigung zur Neubildung von Schleimhautgefäßen, 
aber keine sarcomatöse Degeneration. Auch Saurenhaus bestreitet 
den ABEL’schen Befund und findet, daß es sich nur um gutartige 
Veränderungen der Mucosa corporis Uteri handle. 

Fürst konnte in einem Falle genau den Uebergang eines 
gutartigen Adenoms in ein bösartiges verfolgen. An¬ 
fangs waren Schleimhautwuchernngen im Cervicalcanale da, die sich 
mikroskopisch als Cysto-Adenom ergaben, stellenweise mit einem 
Uebergange zu atypischer Wucherung des Drüsenkörpers. Die 
47jährige Kranke lehnte die vorgeschlageue Exstirpatio uteri ab. 
1% Jahre später ging sie an ausgebreitetem Uteruscarcinome zu 
Grunde. Auf diese Beobachtung hin rathet er, bei beginnender 
glandulärer Atypie der Mucosa möglichst früh den Uterus zu exstir- 
piren. Die cystöse Degeneration ist verdächtig, auch wenn sie nicht 
von Epithelwucherung begleitet ist. Er unterscheidet: 1. Das Adenoma 
uteri simples — einfache glanduläre Hyperplasie — (nicht Aus¬ 
schabung und Aetzung, sondern Excision). 2. Das Adenoma uteri 
suspectum — destruireDde glanduläre Hyperplasie — (frühzeitige 
Uterusexstirpation). 3. Das AJeno-Carcinoma (Therapia palliativa). 

Gehrung sieht in der künstlichen Unterbrechung 
der Menstruation mittelst der Tamponade ein curatives 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 35. 


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Moment, namentlich dort, wo die Menstruation trotz eingeleiteter 
Allgemeinbebandiung profus bleibt. Je weniger Blut die Frau 
während der Menstruation verliert, desto besser ist es für sie, gleich - 
giltig, ob sie gesund oder krank ist. Er glaubt sogar mittelst dieses 
Verfahrens bösartigen Erkrankungen des Uterus Vorbeugen zu können. 

Sehr gründliche anatomische Untersuchungen über 
das Ovum und Ovarium wurden von Nagel, Janosik und 
Podwyssozki publicirt, die aber in Folge der Fülle des Neugebotenen 
ein kurzes Excerpt unmöglich machen. 

Ueber V arieocele bei dem Wei be und derenEinfiuß 
auf das Ovarium schrieb Palweb Dudley. Häufig klagen die 
Frauen über Schmerzen und finden sich Verdickungen, sowie Span¬ 
nungen in den Lig. lat., ohne daß man bei der Section ein Substrat 
findet. Dudley meint, daß es sich da um eineu varicösen Zustand 
der Ovarien handle, den er Varicocele nennt. Bedingt wird er 
durch die Alterationen, welche das Ovarium im sexuellen Leben er¬ 
dulden muß. Die Blutgefäße des Ovarium müssen in der Schwanger¬ 
schaft ihre Lage verändern, ihre Füllung wird gegen früher eine 
andere, der Blutdruck ein anderer u. dgl. m. Aehnliches geschieht 


wieder nach der regressiven Richtung hin im Puerperium. Die 
Folgen davon sind nicht selten bleibende Störungen. Begünstigt 
wird das Eintreten der letzteren durch einen verminderten Tonus 
der Gewebe bei Allgemein leiden und einen von Haus aus nicht ganz 
tadellosem Bau der betreffenden Venen. Da die Flexura sigmoidea 
des Dickdarmes durch Druck auf das linke Ligament, lat. den Blut¬ 
rückfluß aus demselben unmittelbar behindert, so findet man diese 
Veränderungen namentlich auf der linken Seite. Das Hauptsymptom 
sind dumpfe ziehende Schmerzen von der Seite gegen die Nieren¬ 
gegend, namentlich nach längerem Stehen, die bei horizontaler Lage 
wieder schwinden. Man findet das Ligamentum latum verdickt, 
nachgiebig, schmerzhaft, teigig. Vom Rectum aus fühlt man die 
varicösen Gefäße. Die Folge der Varicocele ist Atrophie des 
Ovarium. Die Therapie besteht in der Excision der Tuben und 
Ovarien. Zuweilen genügt die Excision der Varixknoten aus dem 
Ligamentum, wie dies Dudley in einem Falle that. Der anatomische 
Befund bestätigte seine Diagnose. 

(Schluß folgt) 


Feuilleton. 


XXV. Wanderversammlnng der ungarischen 
Aerzte und Naturforscher in Gross war dein. 

(16.-20. Angast 1890.) 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Obgleich es sich diesmal um die Feier des 50jährigen Be¬ 
standes dieser Institution handelte, die berufen sein sollte, ein Band 
aller Aerzte Ungarns zu bilden, war die Betheiligung, wie dies 
übrigens seit den letzten 10 Jahren der Fall gewesen, eine geringe. 
Doch einen umso größeren qualitativen Erfolg hat diesmal die Ver¬ 
sammlung aufzuweisen, da sich unter den Theilnehmern angesehene 
Notabilitäten unserer beiden Universitäten befanden; außerdem 
erschienen mehrere Specialisten aus der Hauptstadt, um an den 
Vorträgen und an den hieran geknüpften DiBcussionen regen 
Antheil zu nehmen. 

Die feierliche Eröffnung der Wanderversammlung hat, wie 
bereits mitgetheilt, unter dem Vorsitze des Bischofs Schlauch statt¬ 
gefunden, welcher bei diesem Anlasse eine längere Rede „Evolution 
und der Kampf um’s Dasein“ hielt, in welcher der gelehrte Seelen¬ 
hirt mit gewandter Dialectik gegen die Anwendung der Darwin- 
schen Lehre zur Klärung der Erscheinungen der moralischen Welt 
kämpft. Nun folgten die officiellen Begrüßungsansprachen, worauf 
der rührige Secretär Docent Schächter seinen ausführlichen Be¬ 
richt erstattete, in welchem er unter Anderem einen kurzen Rück¬ 
blick auf die Thätigkeit der WanderVersammlungen warf. Noch 
verlas Dr. Kiss einen Theil der pietätvollen Gedenkrede über 9 in 
den letzten Jahren verstorbene Mitglieder, worauf sich die einzelnen 
Sectionen constituirten. Schon seit Jahren bestehen stets drei Sec- 
tionen, eine ärztliche, eine naturwissenschaftliche und 
eine social wissenschaftliche, und wurden heuer in allen 
drei Sectionen viele Vorträge angemeldet, doch speciell in der ärzt¬ 
lichen Section in solch großer Zahl, daß es unmöglich geweseu 
wäre, dieselben zu absolviren, weshalb die Theilung dieser Section 
in eine solche für innere Medicin und in eine chirurgische 
Section erfolgen mußte. Ueber einige Vorträge wollen wir in 
Kürze berichten. 

Prof. Puejesz (Klausenburg) eröffnet» die Verhandlungen mit 
einem Vortrage über das Verhältniß der medicinischen 
Therapie zu den Naturwissenschaften, in welchem er 
der Hoffnung Ausdruck verleiht, daß das therapeutische Einschreiten 
bald von naturwissenschaftlichen Gesetzen abhängig gemacht werden 
wird. — Docent Röna (Budapest) sprach über extragenitale 
S y p h i 1 i s i n f e c t i o n und deren Verhältnisse in 
Ungarn. Nach Erörterung der verschiedenen Infectionsquellen, 
Gelegenheiten und Eingangspforten im Allgemeinen referirt Röna 


über 45 von ihm in Ungarn während 10 Jahren beobachtete Fälle 
extragenitaler Syphilisinfectiou. In 26 Fällen boten die 
Lippen, in 8 Fällen die Mandeln, in 3 Fällen die Finger , in 2 
Fällen der Bauch, in je 1 Falle die Stirne, der Anus, die rechte 
Schenkel beuge, linker Vorderarm, das rechte untere Augenlid nnd 
zugleich Rücken und rechte untere Extremität die Eingangspforte. 
Die Infection übermittelten: Küsse, Bisse, Eß- und Trinkgeschirre, 
Schröpfen, Badotuch, inficirtes Pflaster, Coitus peno analis, ärztliche 
Untersuchung. Hierauf ging Röna zur Besprechung der prophy- 
lactischen Maßregeln gegen extragenitale Syphilisinfection über, ver- 
urtheilt unter Anderem das unmotivirte Küssen, überhaupt das 
Küssen der Kinder, und macht auf die Gefahren des Zusammenlebens, 
der Gemeinschaft beim Esseu und Trinken in Schulen, Pensionaten, 
Fabriken, Bergwerken, Glashütten, Landwirtschaften, ja selbst in 
Krankenhäusern etc. aufmerksam. Röna weist schließlich auf die 
Gefahren hin, welche Ammen in sich bergeu, und perhorresoirt das 
Impfen von Arm zu Arm. 

Von großem Interesse war der Vortrag des Prof. Gebeb 
(Klausenburg): Syphilis und Care in om. An der Hand einer 
nach der Natur angefertigten Abbildung thut Geber dar, wie leicht 
eine Verwechslung des Krebses mit Syphilis in den verschie¬ 
denen Stadien möglich ist. Zu dem eigentlichen Thema des Vor¬ 
trages übergehend, weist er nach: 1. Daß die Epitheltrübungen und 
Auflagerungen im Munde, die bald Psoriasis, Ichthyosis oder auch 
Keratosis buccalis u. a. genannt werden, durchaus nicht als ein¬ 
deutiges Charakteristiken der Syphilis anzusehen sind, indem Geber 
sie ebenso bei Lichen rub. plan , Lupus erytli. und in einem Falle 
von Seborrhoea sicca angetroffen hat. — 2. Letztere unterscheiden 
sich jedoch von ersteren dadurch, daß jene mit dem Besserwerden, 
resp. Heilen der Dermatose zumeist vollständig verschwindeu; diese 
hingegen über eine gewisse Zeit hinaus zu ständigen Verkündern 
der vorangegangenen Syphilis werden. So z. B. haben von 1483 
Syphiliskranken gar keine Plaques muqueuses 675 gezeigt, von den 
übrig gebliebenen 808 haben bis 1 Jahr 437 und bis 5 Jahre und 
darüber 262 dieselben'verloren; es haben sie somit 109, d. i. 9*2 
Männer und 17 Weiber constant behalten. — 3. In einer großen 
Anzahl der Fälle — insbesondere wenn jedwoder anhaltende ein¬ 
greifende Reiz und jede Zerstörungsursachodor Schleimhaut ferngehalten 
werden — besteht die Affection oft bis in’s hohe Alter — ein 
Mann wurde mit papillärer Wucherung am Palatum durum 90 Jahre 
alt — als verschiedenartig belästigendes pathologisches Product fort; 
in einer relativ nicht geringen Menge (14 M. u. 1 W.) bildeten 
sich ans ihnen carcinomatöse Entartungen mit rapidem Verlaufe. 
Geber zieht daher aus seinen statistischen Daten die Schlußfolge¬ 
rung, daß sich nicht aus jeder viele Jahre hindurch bestehenden Psori¬ 
asis 8yphil. in ore und selbst bei Wucherung der Gewebe noth- 
wendiger Weise Carcinora zu entwickeln braucht, daß aber die be¬ 
sagten syphilitischen Plaques dafür besondere Prädisposition be¬ 
sitzen, und daß, sobald an solcher Stelle nur wenig Heiltrieb 
zeigende Geschwüre oder circumscripte, schmerzhafte und leicht 




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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 35. 


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blutende Verhärtungen auftreten, so rasch als möglich Abhilfe ge¬ 
schaffen werden muß. 

I)r. Jos. Neumann (Budapest) sprach über die Principien 
der erfolgreichen Behandlung chronischer Laryngi¬ 
tiden. Man habe ziemlich weiten Spielraum, eine Laryngitis anzu¬ 
nehmen , wo der congestionirte Zustand auch keine Beschwerden 
macht; es kommt aber außer dem Spiegelbilde auch auf die sub- 
jectiven Empfindungen an, und da beißt es, die Symptome des 
Rachencatarrhs von jenen der Laryngitis auseinander zu halten. 
Ueberhaupt ist dem Rachen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, 
da in zahllosen Fällen der Racheneatarrh eine consecutive Laryn¬ 
gitis bedinge. Der Uebergang geschieht auf den Aryknorpel. Neü- 
mann bespricht hierauf die Wichtigkeit der Rhinitis, der Rachen¬ 
vegetationen, die, oft genug vernachlässigt, eine lange Zeit behan¬ 
delte Laryngitis nicht zur Heilung kommen ließen. Die Hauptsache 
sei, zu distinguiren. ob der Kehlkopf mit Rachen und Nase, oder 
für sich aÜein erkraukt sei, oder Erscheinung einer Dyscrasie, wie 
Tuberculose, sei Therapie: Pinselungen mit Sulph. Zinci und Lapis 
1—5° o; ferner Lapistropfen in Substanz nach vorhergehender 
CocaYneinträufelung. Wird eine veraltete Laryngitis trotz zweck¬ 
mäßiger Therapie gar nicht besser, dann sei sie nicht weiter zu 
behandeln, sondern Inhalationen zu gebrauchen. Hysterische, nervöse 
mutatio tarda sollen nicht zwecklos local behandelt werden. — 
Neumann demonstrirt ferner 1. eine von ihm construirte, höchst 
leistungsfähige galvanokaustische Batterie, 2. die Durch 
leuchtung der Stirnhöhle uach Vohsen (Frankfurt a. M.). 

Dr. S. II. Scheiber (Budapest) trug über Agoraphobie 
und verwandte Zustände, an eiuon eigenen einschlä¬ 
gigen Fall anknüpfend, vor. Die Pathophobie spielt in einer 
großen Anzahl von Krankheiten eine wichtige Rolle, ganz besonders 
in jenen Krankheitsfällen, die je nach Gegenstand und Verhält¬ 
nissen, welche die krankhaften Angstgefühle hervorrufen, bald als Ago¬ 
raphobie, Platzangst, bald als C laustroph obie, Zimmerangst, 
Amaxaphobie, Wagenangst etc. bezeichnet werden. Von diesen 
Formen ist die häufigste und bekannteste die Agoraphobie. Nach 
Skizzirung der Symptomatologie, Prognose und Therapie dieser 
Krankheit geht Nrumann auf seiuen eigenen Fall über , der sich 
von den gewöhnlichen dadurch auszeichnete, daß 1. damit auch 
Gesellschaftsangst, Ivoinoniphobie, combinirt war, welche sehr 
interessante Details darbot, 2. daß das erste Symptom beider Formen 
Schwindel war, 3. daß nebst diesem und Angstgefühl die 
gastrischen Erscheinungen die Hauptrolle spielten. In Bezug 
auf die Therapie war die Elektricität, u. z. in Form der elek¬ 
trischen (faradischen dipolaren) Bäder von eclatantem 
Erfolge. 

Dr. Abonyi (Budapest) behandelte die Frage der Bromäthyl- 
narcose. AßONyi bespricht die Theorien der Narcose von Claude 
Be rnard nnd Herrmann und schließt sich der Ansicht Högyes 
an, nach welcher die Narcose auf chemischem Wege hervorgerufen 
wird. Bei kurze Zeit (1—5 Minuten) andauernden Narcosen hält 
Abonyi das allgemein gebrauchte Chloroform für nicht geeignet; 
das Schlafg»8, sowie die localeu Auästhetica sind auch nicht ganz 
entsprechend. Hingegen hat Abonyi das Bromäthyl an Thieren 
im pathologischen Institute der Universität erprobt, und wandte 
dasselbe nach befriedigendem Erfolge bei mehr als 500 Zahnextrac¬ 
tionen mit bestem Resultate an. 

In einem zweiten Artikel sollen die übrigen wichtigeren Vor¬ 
träge kurz hervorgehoben werdeu. 

Dr. Szenes (Budapest). 


Kleine Mittheilungen. 

— In der Sitzung vom 10. Juli der Pariser Soei6t6 de Derma¬ 
tologie et Syphüigraphie berichtete Charles Mauriac Uber eineu 
Fall von Uebertragung der Syphilis 4 3 ,< Jahre nach Beginn 
d68 Primäraffectes. Bekanntlich bildet eben die Frage, wann die 
Syphilis aufhört, übertragen zu werdeu, noch immer den Gegenstand 
der Controverse, und der folgende Fall beweist, daß alle Maßregeln, 
die zur Verhinderung der Uebertragung ergriffen werden, zuweilen 
ungenügend sind. M. behandelte seit dem Juli 1885 einen Pat. 


wegen eines syphilitischen Primäraffectes; es traten in weiterer 
Folge kurzdauernde seeuudäre Erscheinungen auf, die wiederholt 
bis zum Ende des 2. Jahres recidivirten. Seit dieser Zeit äußerte 
Pat. wiederholt den Wunsch, zu heiraten, vorausgesetzt, daß er die 
Sicherheit habe, seine Frau nicht zu inficiren. Da aber hie und 
da herpesartige Ausschläge am Scrotum auftraten, rieth ihm M. 
vom Heiraten ab. Nach Ablauf von 4 Jahren gestattete er ihm 
zu heiraten. Pat. hielt sich immer streng an die Vorschriften seines 
Arztes, da er stets von dem Gedanken gequält wurde, er könnte 
seine Syphilis auf seine Frau übsrtragen. Zu Pfingsten 1890 wurde 
M. zu der Frau des Pat. gerufen, die eine deutliche Roseola, con- 
fluirende Plaques muquenses an den Genitalien und harte Schanker 
am Perinäum hatte, die offenbar durch die herpetiforraen des 
Scrotum erzeugt waren. Seitens der Frau bestand eine Summe von 
moralischen Beweisen; welche die absolute Sicherheit lieferten, daß 
sie nur von ihrem Manne angesteckt wurde In der sich an diese 
Mittheilung anschließenden Discussion erwähnte Fournie.«, daß Fälle 
bekannt sind, wo die Uebertragung 15 Jahre nach Auftreten des 
Primäraffectes erfolgt ist. Dies erklärt sich dadurch, daß häufig 
tertiäre Erscheinungen zu einer sehr späten Zeit unter dem Bilde 
von secundären Erscheinungen auftreten. Hardy constatirt, daß in 
manchen Fällen die Uebertragung stattfindet, ohne daß irgend 
welche wahrnehmbare Läsion bestünde. Als Beweis führt Mauriac 
einen Fall an, bei dem eine Frau von ihrem Manne 9 Jahre nach 
der Hochzeit inficirt wurde, bei dem die genaueste Untersuchung nicht 
die geringste Spur einer syphilitischen Erkrankung nachweisen ließ. 
Auch hatte die Frau in diesem Falle nie abortirt, so daß auch 
conceptionelle Syphilis ausgeschlossen ist. Fournieu hebt hervor, 
daß in diesen Fällen, die scheinbar ein Argument gegen die Ueber- 
wachung der Prostituirten wären, immer irgend eine sehr geringe, 
nicht beobachtete Läsion besteht. 

— In Nr. 21 der „Wiener Med. Presse“ erwähnten wir der 
Empfehlung Prof. Fritsch’s, asoptisch mit sterilisirter Kochsalz¬ 
lösung zu operiren. In Nr. 29 des „Ceatralbl. f. Gynäk.“ theilt 
nun Fritsch die Resultate der aseptischen Laparotomien mit. 
Es wurden mit Asepsis operirt vom 12. Februar bis 4‘. Juli 52 Fälle, 


und zwar: 

PORRo’sche Operation.1 

Kaiserschnitt.. . 1 

Ovariotomie.23 

Laparomyomotomie.9 

Castration.7 

Exsudat.3 

Incisionen bei Ascites, bezw. Probeincision .... 7 

Hernia abdominalis.1 

527 


Davon starben: Eine Castrirte an Hyperemesis; ohne Fieber, 
ohne eine Spur peritonitischer Erscheinungen, dauerte das Erbrechen 
vom Erwachen aus der Narcose bis zum Tode an. Die Pat., schon 
vorher sehr schwach und kachectisch, erlag der Inanition. Ferner 
starb eine Laparomyomotomirte an eiuem Ileus, was ebenfalls nicht 
mit irgend einer Operationsmethode in Zusammenhang gebracht 
werden kann. Fritsch glaubt durch diese Fälle, unter denen sich 
eine Anzahl sehr leichter, aber auch enorm schwerer Laparotomien 
befanden, den Beweis erbracht zu haben, daß die aseptische Methode 
gute Resultate gibt. Es wurden außerdem 11 Totalexstirpationen, 
8ämmtlich mit gutem Erfolge, eine große Anzahl Fistel- und Prolaps- 
operatiouen, Perineoplastiken und EMMET’sche Operationen ausge¬ 
führt. Die Methode besteht einfach darin, daß nach Säuberung der 
äußeren Haut der Pat. und der Hände des Operateurs, nach Wasser- 
dampf-Sterilisatiou der Tücher, Schwämme und Instrumente vom 
ersten Hautschnitt an nur sterilisirtes Wasser gebraucht wird. Die 
Reinigung der Hände des Operateurs, der Schwämme und der In¬ 
strumente geschieht allein in sterilisirtem Wasser. Bis zum Anlegen 
des Verbandes kommt kein chemisches Desinficiens mit der Wunde 
in Berührung. 

— Alois Pollak berichtet in Nr. 7 der „Ther. Monatsh.“ 
über einige Fälle, in welchen die Anwendung des Aristols an 
Stelle anderer Jodpräparate zur Beförderung der Aufsaugung krank- 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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hafter Bildungen sich sehr gut bewährt hat. Der erste betrifft eine 
parenchymatöse Struma des rechten Schilddrüsenlappens, bei der 
jede Behandlung erfolglos geblieben war und bei welcher er folgende 
Salbe anwendete: 


Rp. Aristol.030 

Sap. Kal.30-0 

Aether 

Alcohol. aa.5’0 

Mf. Ung. 

S. Salbe. 


Abends wurde die Salbe aufgestrichen, darüber ein Priessnitz- 
Umschlag gegeben, Früh die Salbe abgewaschen und die betreffende 
Hautpartie mit Borvaselin eingerieben. Nach 14 Tagen machte sich 
schon eine bedeutende Verkleinerung der Geschwulst bemerkbar, und 
nach weiteren 18 Tagen ist von einer Struma kaum mehr etwas 
zu bemerken. — Der zweite Fall betrifft eine rechtsseitige, gonor¬ 
rhoische Epididymitis, die mit einer lOproc. Aristol-Vaselinsalbe be¬ 
handelt wurde; nach 4 Tagen war eine bedeutende Verkleinerung 
bemerkbar und nach 10 Tagen war vollständige Heilung einge¬ 
treten, ohne daß irgend welche Verhärtung nachzuweisen gewesen 
wäre. — Im dritten Falle bandelte es sich um eine rechtsseitige 
Parametritis, bei der 2 Tage nach Anwendung einer 5proc. Aristol- 
Vaselinsalbe das Fieber schwand, die Geschwulst kleiner und weniger 
empfindlich wurde und binnen 10 Tagen Heilung erzielt wurde. 
Ein weiterer Fall betrifft eine 23jährige Frau, bei der mehrere 
Lymphdrüsenschwellungen unter Anwendung einer 5proc. Aristol- 
salbe zur Heilung gebracht werden konnten. Nebst den ausführ¬ 
licher geschilderten 4 Fällen erwähnt Verf. noch eine Reihe von 
8 Fällen (2 Fälle von Epididymitis, 2 Fälle von Parametritis, 
1 Fall von Typhlitis, 3 Fälle von tuberculösen Lymphdrüscu- 
Bchwelluugen am Halse), die ebenfalls unter AristolanWendung einen 
günstigen Verlauf nahmen. Wesentlichen Erfolg will Verf. eben¬ 
falls bei Eczema marginatum, bei Ulcus cruris varicosum und bei 
einem blennorrhoischen Geschwür am Naseneingang erzielt haben. 
Nach seinen Thiorversuchen ist das Aristol nicht ungiftig, dennoch 
hat er beim Menschen niemals unangenehme Erscheinnngen gesehen. 
Zum Schlüsse theilt Verf. die von ihm in Verwendung gezogenen 
Präparate mit : 


oder 


I. Rp. Aristol. 

Sacob. lact. pulv. 
Mfp. S. Streupulver. 

II. Aristol-Vaselin-Lanolin. 

III. Rp. Aristol . . . . 

Aether . . . . 

Collodii . . . . 


0-5 

5-0—100 


1-0 

10-0 

10-0 


— In der letzten Sitzung der Dermatologischen Vereinigung 
zu Berlin berichtete Dr. Heller über bacteriologische Versuche 
mit dem Aristol, namentlich bezüglich der Fähigkeit desselben, das 
Jodoform zu ersetzen. Bei einer vergleichenden Untersuchung über 
die Wirkung beider Mittel kam es darauf an, . Verhältnisse herzu¬ 
stellen, die der Wirklichkeit möglichst analog waren. Nährraaterial 
wurde in PETRi’sche Schalen gegossen, mit Mikroorganismen inficirt, 
in allmälig sich steigerndem Maße mit dem Medicament bestreut und 
im Brutofen bei Lichtabschluß — das Aristol zersetzt sich durch 
die Wirkung des diffusen Tageslichtes — mehrere Tage gehalten. 
Für genügende Feuchtigkeit wurde durch Aufstellen von Wasser¬ 
schalen in dem Brutofen gesorgt. Als Nährmaterial wurde der von 
Heller empfohlene Ersatz des Fleischwasaer-Agar, das Hatn-Agar, 
benutzt, während zur Impfung selbst der Staphylococcus aureus, 
sowie ein großer, aus faulendem Fleisch gezüchteter Bacillus ver¬ 
wendet wurde. Ans den von Heller demonstrirten Präparaten 
ergibt sich, daß dem Aristol keine nennenswerthe antiseptische Wir¬ 
kung zukommt. Während auf den mit Jodoform bestreuten Platten 
die aufgeimpften Mikroorganismen zwar sichtbar geblieben waren, 
eine Weiterentwicklung jedoch nicht weiter stattgefunden hatte, war 
auf den mit Aristol beschickten eine üppige Wucherung zu con- 
statiren. Nur da, wo das Aristol in sehr dicker Schicht aufgetragen 
war, hatte das Wachsthum der Mikroorganismen wohl in Folge des 


rein mechanischen Luftabschlusses sistirt. Vom bacteriologischen 
Standpunkte aus ist daher das Aristol nicht als ein Ersatz des Jodo¬ 
forms zu betrachten. Ob dasselbe Eigenschaften besitzt, die es trotz 
mangelnder Desinfectionswirkung therapeutisch brauchbar machen, 
bleibt abzuwarten. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

IV. 

Aus den Sectionen. 

Section für innere Medicin. 

Weber (London): Ueber die Behandlung der Lungenschwindsucht, 
besonders in den Hospitälern für Schwindsüchtige. 

Redner bespricht kurz die gegenwärtige Stellung der Arznei¬ 
mittel und bezeichnet sie als Hilfsmittel zur allgemeinen Kräftigung 
und symptomatischen Behandlung; er hält ob jedoch nicht für un¬ 
möglich, daß einmal Mittel gefunden werden, welche das Wachsthum 
des Bacillus beschränken, ohne dem Organismus zu schaden. Das 
Wesen der jetzigen Behandlung aber sieht er in der hygienisch¬ 
diätetischen Anordnung der Lebensweise der schwindsüchtigen Kran¬ 
ken. Dabei hält er das Klima des Behandlungsortes für wichtig, 
nicht als specifisches Mittel oder wegen der früher angenommenen 
Immunität gewisser Regionen, sondern wegen der Vortheile, welche 
gewisse Klimate für die Hebung der Ernährung und die Kräftigung 
des ganzen Organismus, und besonders der Respirations- und Circu- 
lationsorgane bieten. Wegen der Beschränkung der Zeit geht er 
nicht auf Erörterung der verschiedenen Klimate ein, sondern er¬ 
wähnt nur beispielsweise einige Vorzüge gewisser Höhenklimate. 
Weber nimmt jedoch an, daß die Behandlung und Heilung der 
Schwindsucht überall möglich ist, wo für reine Luft bei Tag und 
Nacht, passende Nahrung und mäßige graduirte Bewegung gesorgt 
werden kann. Der Schwerpunkt der Behandlung müsse überall in 
der Verbesserung der Ernährung und Kräftigung des ganzen Kör¬ 
pers und aller Organe liegen, besonders aber der Lungen, des Her¬ 
zens und der Blutgefäße. Er erinnert an die nicht selten erfolg¬ 
reiche Behandlung anderer chronischer Krankheiten, z. B. des Her¬ 
zens, der Verdauungsorgane, des Nervensystems, durch Hebung des 
Allgemeinbefindens nach den Grundsätzen der allgemeinen Therapie. 

Redner legt besonderes Gewicht auf die genauesten Anord¬ 
nungen über den Gebrauch und das Maß der freien Luft, der 
Nahrung, der Genußmittel, der Bewegung oder Ruhe, über die Be¬ 
kleidung, die Lage und Ventilation der Wohn- und Sohlafzimmor 
und auf die Nothweudigkeit der Anpassung dieser wichtigen Ein¬ 
flüsse auf die Constitution, den wechselnden Kräftezustand, die 
Stadien und Complicationen bei verschiedenen Kranken und bei dem¬ 
selben Kranken zu verschiedenen Zeiten. Er weist auf die Gefahren 
und Beschädigungen hin, welche fortwährend durch Fehler gegen 
das Maß eintreten. Er hält deshalb die beständige Leitung durch 
einen genau eingehenden Arzt für unentbehrlich, und sieht für die 
weit überwiegende Mehrzahl der Schwindsüchtigen in der Behand¬ 
lung in wohleingerichteten Anstalten sehr große Vorzüge, für Viele 
die einzige Möglichkeit der Genesung. 

Vortr. orinnert an die ausgezeichneten Erfolge, welche in 
Görbersdorf und Falkenstein unter der Leitung von Brehmrr, 
Dettweiler und Meissen erzielt worden sind, und später auch in 
Reiboldsgrün unter Dr. Driver, und erwähnt der ebenso günstigen 
Resultate, welche unter Dr. Imdeau’s Leitung das Adirondack Cot¬ 
tages Hospital (am Saranak lake, New-York) bietet. 

Noch nothwendiger aber als bei bemittelten Kranken erscheint 
ihm die Behandlung der Armen in Anstalten, denn diese können 
sich nicht selbst pflegen und können nicht einmal wissen, was ihnen 
nützt und schadet. Die Einrichtung der meisten allgemeinen Hospi¬ 
täler ist ungenügend für die erfolgreiche Behandlung der Schwind¬ 
süchtigen, der Raum in denselben ist ferner meist unzureichend für 
die Aufnahme der großen Anzahl dieser Kranken; sie müssen des 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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halb in ihren engen Wohnungen bleiben, welche für ihre Genesung 
ganz ungeeignet sind, leider aber für die Verbreitung der Krank¬ 
heit sehr günstige Verhältnisse bieten. 

Die in England bestehenden größeren und kleineren Hospi¬ 
täler zur alleinigen Behandlung von Brustkrankheiten haben günstige 
Resultate erzielt und werden von den Kranken selbst sehr geschätzt, 
so daß die Empfehlung von Heilstätten für schwindsüchtige Arme 
hiedurch unterstützt wird. 

Was die Lage dieser Heilstätten betrifft, so sollte die Luft 
in weiter Umgebung möglichst frei von Staub und organischen 
Unreinlichkeiten der verschiedensten Art sein, der Boden trocken, 
die Gebäude, wo thunlieb, auf südlichen und südwestlichen Abhän¬ 
gen, möglichst hoch über der Thalsoble und dem Flußbett und in 
der Nähe von Wald, besonders Tannenwald. Es sollte reichliche 
Gelegenheit zu körperlicher Bewegung gegebeu sein, auf ebenem 
und steigendem Boden, uud auch zU einem gewissen Maße von Be¬ 
schäftigung in offenen Arbcitshallen. Gänge und Sitze, geschützt 
vor Regen und Wind, dürften nicht fehlen. 

Vortr. verhehlt nicht, daß die Kosten einer befriedigenden 
Behandlung von Schwindsüchtigen groß sind; aber er hält die zu 
erlangenden Vortheile für völlig genügend, um sie zu rechtfertigen. 
Das schwere Loos dieser armen Kranken wird durch dieselben sehr 
erieichtert; ein nicht kleiner Theil wird ganz oder doch so weit 
geheilt, daß er arbeitsfähig dem Staate und der Familie zurückge¬ 
geben wird; die Kranken erlernen in solchen Anstalten die Lebens¬ 
weise, die für sie nöthig ist, um sich vor Rückfällen möglichst zu 
schützen; die allgemeinen Hospitäler gewinnen Raum zur Heilung 
von vielen für sie mehr geeigneten Fällen; die armen Kranken 
fallen nicht ihren Familien zur Last; und schließlich dürfte der 
größte Nutzen darin bestehen, daß die Verbreitung der Krankheit 
bis zu einem gewissen Grade beschränkt werden wird, so daß die 
Hoffnung gestattet ist, mit der Zeit die Zahl der Schwindsüchtigen 
abnehmen zu sehen. 

Weber läßt es dahingestellt, ob getrennte Anstalten für nicht 
ganz Unbemittelte und für ganz Arme zu gründen seien; er hält 
die Hilfe für beide Classen dringend nöthig, weil ihre Lage so 
grenzenlos traurig ist. Er hofft, daß die Privatwohlthätigkeit die 
Leistungen des Staates und der Gemeinden unterstützen wird, und 
empfiehlt dringend die Errichtung von Vereinen für die Gründung 
von Heilstätten für schwindsüchtige Arme. 

Discussion. 

Leyden (Berlin) weist auf die neuerdings auch in Deutsch¬ 
land lebhaft hervorgetretene Bewegung zu Gunsten der Gründung 
von Schwindsuchtssanatorien hin. Gestützt auf die Autori¬ 
tät des internationalen Congresses, werden sich alle entgegenstehen¬ 
den Schwierigkeiten umso leichter überwinden lassen. Wenn auch 
Hygiene und Prophylaxis gegenwärtig stark in den Vordergrund 
treten, so dürften sie doch keineswegs die Aufgaben, welche der 
Arzt dem Kranken gegenüber hat, in den Hintergrund drängen. 
Selbst wenn wir in einiger Zeit über Mittel gebieten sollten, wolche 
die weitere Ausbreitung der Tuberkelbacillen zu verhindern im 
Stande wären, so würden wir der anderweitigen Behandlung der 
Phthisiker nicht überhoben sein. 

Nach Leyden’s Ansicht ist die Anstaltsbehandlung der 
Schwindsucht bisher als die bewährteste anzusehen, doch sind 
auch die Erfolge der klimatischen Behandlung nicht zu unterschätzen, 
bei der ebenfalls neben der Fernhaltung aller schädlichen Einflüsse 
zweifellos die stTenge persönliche Behandlung des Kranken in Be¬ 
tracht kommt. Für die große Menge der Kranken sind aber die 
fern gelegenen Heilstätten nicht zu erreichen, und für diese ist die 
Behandlung in Heilstätten am besten. Gerade in dieser Beziehung 
stehen die deutschen Hospitalverhältnisse den reich ausgestatteten 
englischen Hospitälern bei weitem nach und fordern die Hilfe und 
die Unterstützung der ganzen G(Seilschaft heraus. Was wir brauchen, 
sind Krankenhäuser, welche mit allen zur Bekämpfung der Lungen¬ 
schwindsucht erforderlichen Einrichtungen ausgestattet sind. 

Dettweiler (Falkenstcin): Die Sanctionirung des Principes 
der Anstaltsbehandlung für Schwindsüchtige gerade durch diesen 
Congreß sei besonders erfreulich. Die Anstaltsbehandlung hat ge¬ 


radezu eine pädagogische Aufgabe; der stärkste Wille, die höchste 
Begabung des Hausarztes scheitern an dem Fehlen dieser funda¬ 
mentalen Bedingung. Die Erziehung und Belehrung des kranken 
Phthisikers in der Anstalt gibt ihm bei seiner Rückkehr in die Ge¬ 
sellschaft ein Gut mit, welches erst im weiteren Leben Zinsen trägt. 
Die Anstalt soll den Kranken nicht nur gesund machen, sondern 
ihn belehren, auch gesund zu bleiben. Als eine sicher fest¬ 
stehende Thatsache ist es zu betrachten, daß die Lungenschwind¬ 
sucht in allen Klimaten in überraschend großer Zahl heilbar ist. 

Wenn auch die der Errichtung von Sanatorien für Schwind¬ 
süchtige entgegenstehenden Schwierigkeiten recht bedeutende sind, 
so sind sie doch zu überwinden. In Falken stein wird z. B. in 
nächster Zeit aus den Uebersohüssen der Anstalt ein Sanatorium 
für arme Phthisiker errichtet werden. Die Aerzte haben die Auf¬ 
gabe, mit all ihren Kräften den guten Willen und den Glauben an 
die Durchführbarkeit dieses großen humanitären Unternehmens wach 
zu rufen. Werden vom Congreß alle wissenschaftlichen, moralischen 
und volkswirtschaftlichen Gründe, welche für die Errichtung von 
Sanatorien für Schwindsüchtige sprechen, in energischer Weise in 
den Vordergrund gerückt, so wird eine großartige Leistung für das 
allgemeine Wohl daraus hervorgehen. 

Kretschmer (New-York) theilt mit, daß trotz des hohen 
Selbstbewußtseius der Amerikaner, welche eine Anstaltsbehandlung 
schwer ertragen, letztere doch in den letzten Jahren in Amerika 
bedeutende Fortschritte gemacht hat, und daß auch hier reichliche 
Ernährung, Luft und Licht als die leitenden Grundsätze für die 
Behandlung gelten. 

Cantani (Neapel) weist zunächst auf die schon vor Jahren 
von ihm gemachte Beobachtung hin, daß tuberculös inficirte Ka¬ 
ninchen bei übermäßiger Ernährung, in guter Luft und bei reich¬ 
lichem Licht der Ausbreitung der Tuberculose viel energischeren 
und erfolgreicheren Widerstand leisten, als solche, denen diese gün¬ 
stigen Lebensbedingungen fehlten. Redner hat ferner gefunden, daß 
die fleischfressenden Thiere bei Ueberpflanzung von Tuberkelknötchen 
unter die Haut weit seltener allgemein tuberculös erkranken als die 
Ilerbivoren. Im Anschluß hieran ist ihm aufgefallen,. daß die an 
schwerer Phthisis erkrankten Personen auffallend wenig gesalzene 
Speisen aßen. Die Natronsalze und das Natronsulfat, welche im 
Fleische enthalten sind, sind nach des Vortragenden Auffassung 
entschieden der Aufsaugung der tuberculös erkrankten Stellen des 
Lungengewebes günstig, und daher scheint es geboten, derartige 
Kranke aus der vegetabilischen in eine mehr animale Kost überzu¬ 
führen. 

Die Anschauung, daß die Tuberculose übertragbar sei, besteht 
in Italien schon seit Jahrhunderten und hat dazu geführt, zwar 
keine Scbwindsuehtsasyle im modernen Sinne zu errichten, wohl 
aber für die von aller Welt gemiedenen Phthisiker, welche schwer 
ein Unterkommen fanden, besondere 8äle in den Hospitälern herzu¬ 
geben. Allerdings sind dieselben so antihygienisch eingerichtet, daß 
sie eher als das Grab der Phthisiker gelten können. 

Trier (Kopenhagen) und Hansen (Bergen) theilen mit, daß 
auch in den nordischen Ländern mehr und mehr das Princip, die 
Phthisiker in eigenen Anstalten zu behandeln, sich Geltung ver¬ 
schafft hat und die Errichtung von Schwindsuchtshospitälern für 
Arme angestrebt wird. 

Fürbringer (Berlin) hat den Eindruck gewonnen, als ob man 
glaube, durch die Errichtung von Heilstätten für Schwindsüchtige 
werde man sofort einen hohen Percentsatz von Heilungen erzielen. 
Ein solcher Irrthum würde gegenüber dem großen Publikum leicht 
zu einör Discreditirung des ganzen Unternehmens führen. Niemals 
darf mau vergessen, daß man dem Phthisiker wohl Besserung und 
Verlängerung seines Lebens, höchst selten aber vollständige Heilung 
gewähren kann. • 

Die Gefahr der nosocomialen Uebertragung besteht aller¬ 
dings, aber bei weitem nicht in dem Maße, wie sie in verschie¬ 
denen Publicationen zum Ausdruck kommt. Nach einer vom Redner 
aufgestellten Statistik ist von 100 Aerzten und Pflegerinnen am 
Krankenhaus Friedrichshain in Berlin iu 15 Jahren nur eine ver¬ 
schwindend kleine Zahl tuberculös geworden. —r„ 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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Seetiou für Dermafo'ogie und Syphilis 
Ehr mann (Wien): Demonstrationen. 

1. Griff für elektrolytische Operationen in der 
Haut. 1 ) 

Derselbe ist nach dem Principe des Gärtner’ sehen Rhcostaten 
constrairt, kann jedoch nicht als Rheostat verwendet werden, 
sondern dient dazu, den 8trom, der mittelst eines Rbeostaten vor 
dem Einstechen des Instrumentes in die Haut nur annäherungs¬ 
weise bestimmt werden kann, nach dem Einstechen auf das Ge¬ 
naueste zu graduiren. Der Griff enthält eine Reihe von Gärtner- 
schen Rheostatplättchen, auf welchen ein Schieber schleift, und ist 
der Leichtigkeit halber in Leder montirt; an dem einen Ende be¬ 
findet sich eine Klemme für die 'Zuleitungsschnur, an dem anderen 
eine kleine Klemme zur Aufnahme der elektrolytischen Nadel. — 
Vor dem Einstechen wird der gesammte Widerstand des Instrumentes 
ausgeschaltet und approximativ die Stromstärke bestimmt, dann 
wird der ganze Widerstand wiederum eingeschaltet, eingestochen 
und nun allmälig durch bloßes Verschieben des Schiebers mittelst 
des Daumens der operirenden Hand der Widerstand Iaugsam ver¬ 
kleinert. Dadurch wird erzielt: 1. daß der Strom ganz langsam 
einschleicht und der Patient keine Schmerzen hat; 2. wird erreicht, 
daß der 8trom auf das Genaueste dosirt werden kann. Dieser 
Griff eignet sich sowohl für die elektrolytische Epilation, als auch 
für die elektrolytische Entfernung von Hauttumoren. 

2. Elektrode zur Elektrolyse von Harnröhren¬ 
polypen. 

Dieselbe besteht aus einer isolirten mit einer kurzen, sehr 
spitzen, abgebogenen. starken, nicht isolirten Spitze versehenen 
Nadel, die einen Hartgummigriff und eine Klemme für die Zu- 
leitungsscbnur hat. Die Nadel wird unter Leituog des Endoskops 
eingeführt, nachdem der Polyp in das Gesichtsfeld eingestellt ist, 
und in die Basis desselben eingestochen. Durch die Einwirkung des 
Stromes (das Instrument wirkt als Kathode) wird der Polyp zerstört. 
Der Vortheil dieses Instrumentes besteht darin, daß Recidiven 
schwerer möglich sind als nach Ausschneiden oder Auskratzen. 

3. Elektrolytische Elektrode zur Behandlung der 
Uretriti8 chronica hypertrophioa. 

‘) Die Instrumente wurden von A. Schulmeister (Wien) an¬ 
gefertigt. 


Notizen. 

Wien, 30. August 1890. 

Die medicinisch-wissenschaftliehe Ausstellung in Berlin. 

II. 

In der Gruppe für Pharmakologie und Pharmacie 
charakterisirt sich die Verschiedenheit der vorgeführten Subtanzen 
1. durch reine chemische Körper. Gerade in den letzten Jahrzehnten 
hat sich in der Therapie das Bedürfniß herausgestollt, chemisch 
definirbare Körper, auch solche, welche nicht in der Natur Vor¬ 
kommen, sich zu Nutze zu machen. Es wurden Substanzen dargestellt, 
von welchen sich auf Grund theoretischer Erwägungen voraussetzen 
ließ, daß sie einen bestimmten therapeutischen Werth haben dürften. 
Viele solcher sind vod dauerndem Nutzen in der Therapie. Manche 
dieser Substanzen haben allerdings eine Anwendung deshalb nicht 
finden können, weil unvorhergesehene Nebenwirkungen störend ein- 
griffen. Andererseits sind auf dem Wege der Erfahrung chemische 
Producte nutzbar gemacht worden, von denen sich eine therapeutische 
Wirkung nicht Voraussagen ließ; 2. durch Droguen, deren Bestand¬ 
teile nur zum Theil bekannt sind. Auch hier ist unser Arzneischatz 
demjenigen früherer Zeit gegenüber außerordentlich vermehrt worden. 
Die Erschließung neuer Länder für unseren Verkehr und die zahl¬ 
reichen Untersuchungen botanischer Forscher in fremden Gegenden 
haben den Culturländern eine große Anzahl bisher unbekannter 
Droguen zugeführt. Die reichen Mittel der wissenschaftlichen Forschung, 
sowohl in chemischer, wie in physiologischer Beziehung, machten es 
möglich, die für therapeutische Anwendung geeigneten Substanzen 


auszuwählen und zweckmäßig zuzubereiten; 3. durch pharmaceutische 
Präparate und durch zweckmäßige Arzneiformen, in welchen die 
eben besprochenen Substanzen für die medicinische Anwendung her- 
gestellt worden. Die schärfere Kenntniß der chemischen Beschaffenheit 
der Droguen und ferner die Vervollkommnung der technischen Hilfs¬ 
mittel zur Bearbeitung des rohen Materials ermöglichte es, den 
Präparaten Formen zu geben, welche nicht nur die wirksamen 
Eigenschaften derselben mit größerer Sicherheit zur Geltung kommen 
lassen, sondern auch — was sehr wichtig ist — die erforderliche 
Haltbarkeit besitzen. Von den Ausstellern seien 0. F. Boehringer 
& Söhne in Waldhof (Creosot und Guajacol in Limonadeform), 
H. Byk in Berlin, Schering in Berlin, Hofmann & Schoetensack 
in Ludwigshafen, die Braunsohweigcr Chininfabrik, C. Engelhard 
in Frankfurt a. M. (chemisch reine Präparate), Fahlberg, List & Co. 
(Saccharinpräparate), Bayer & Co. in Elberfeld, Meister, Lucian 
& Brüning in Höchst, G. Hell & Co. in Troppau, Jaffe & Darm¬ 
städter bei Berlin (Lanolinpräparate), die Ichthyolgesellschaft in 
Hamburg, Jensen & Langebkck-Petersen in Kopenhagen (Pepsin), 
Kalle & Co. in Biberich (Jodol, Antifebrilia und Orexin), Knoll & 
Co. in Ludwigshafeu (CodeYn und Theobromin), W. Kufeke in 
Hamburg (Creolin), W. Pf.arson & Co. in Hamburg (Desinfections- 
mittel), Apotheker G. Pohl in Schönbaum (Gelatinepräparate), 
S, Radlauer in Berlin (Pharmao. elegans), F. A. Sarg’s Sohn in 
Liesing (Glycerinpräparate), R. Schering in Berlin (med. Weine), 
C. Stephan in Dresden (Antrophore), H. Trommsdorf in Erfurt. 
(Sozojodolsalze), und R. Wahrburg in Jena (Nitroglycerintabletten) 
genannt. 

Die Gruppe der Nährpräparate und Nahrungsmittel führt 
in erster Reihe diejenigen Producte vor, welche von der modernen 
Technik in der Absicht gefertigt werden, mit zweckmäßigster 
Zusammensetzung die leichteste Assimilirbarkeit zu verbinden. So 
sind namentlich die peptonisirten und löslieh gemachten Albuminate 
bemerkenswert!). Ferner sind in ausgiebiger Weise die zur möglichst 
zweckmäßigen Ernährung der kindlichen Altersstufen angefertigten 
zahlreichen Kindernährpräparate berücksichtigt worden. Hier handelte 
es sich ebensowohl um die Löslichmachung der Eiweißkörper wie 
insbesondere auch der Kohlenhydrate. Ueberdies finden sich sehr 
reuommirte, durch Combinationen von Milch und Pflanzenstotfen als 
Nährmittel für das kindliche Alter gut verwerthbare Präparate vor, 
insbesondere ist die mannigfache Verwendung der Malzproducte und 
Leguminosen neben den Eiweißkörpern der Milch in diesen Päparaten 
bedeutungsvoll. Hier stellten W. Pearson & Co. (Hamburg), Schülke 
& Mayr (Hamburg) und C. L. Friederichs (Rostock) Fleischpeptone, 
E. Loefflund & Co. (Stuttgart) und J. P. Liebe (Dresden) Kinder¬ 
nährpräparate , S. Radlauer (Berlin) Eichel- und Pepton-Cacao, 
R. Schernig (Berlin) Malzextraete, Gebr. Stoi.lwerk (Köln) Eichel- 
Cacao, R. Wahrburg (Jena) verbesserte Fleischsolution aus. 

Die Umwandlung, welche sich in den letzten Jahren auf dem 
Gebiete der chirurgischen Therapie vollzogen hat, indem die Anti¬ 
sepsis zum Theile der Asepsis Platz machte, findet ihren Ausdruck 
in der Gruppe für Chirurgie. Die Verbandraaterialien bringen 
Neues nur noch in nebensächlichen Dingen, während ihre Herstel¬ 
lung sich darauf zuspitzt, sie in eine Form zu bringen, welche 
ihre unmittelbare Verwendbarkeit zuläßt, nachdem sie den Sterili¬ 
sationsofen verlassen haben. Demgemäß ist auch das äußere An¬ 
sehen der chirurgischen Instrumente fast vollkommen verändert. Das 
Bestreben, Werkzeuge zu schaffen, welche neben der Handlichkeit 
auch die Fähigkeit besitzen, leicht, sicher und ohne Schaden steri- 
lisirt zu werden, hat die Griffe aus Holz, Horn, Schildpatt und 
Elfenbein so gut wie ganz verdräugt, da dieselben schon die hohen 
Hitzegrade des Sterilisationsofens nicht vertragen würden. An ihre 
Stelle sind überall Instrumente aus einem einzigen Metallstück mit 
gerundeten Ecken und Kanten getreten. Auch die Operations¬ 
tische zeigen das Bestreben, einfache und leicht zu reinigende 
Flächen herzustelleu; zugleich müssen die am Operationstisch be¬ 
schäftigten Personen vor unnöthiger Beschmutzung geschützt sein. 
In dieser Gruppe ist die Exposition von H. Wivdler (Berlin) her¬ 
vorzuheben, welche prächtige, trefflich zusammengestellte Instrumenten- 
Etuie zeigte. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 35. 


1400 


(IX. Oesterreich ischer A erzte ver ein stag.) In wenigen 
Tagen werden die Delegirten sämmtlicher ärztlicher Vereine Cis- 
leitbaniens zusammentreten, um die Interessen des Standes zu wahren 
und zu fördern. Ungewöhnlich groß ist diesmal die Zahl der Referate, 
welche den Vertrauensmännern der Aerzte Oesterreichs zur Begut¬ 
achtung und Beschlußfassung vorgelegt werden; was jedoch dem 
neunten Aerzte vereinstage ganz besondere Bedeutung verleiht, ist 
der Umstand, daß er zum ersten Male die nahe Erfüllung des lang¬ 
jährigen, dringenden Wunsches der überwiegenden Mehrzahl Öster¬ 
reichischer Aerzte zu verzeichnen in der Lage sein, daß er mit ver¬ 
doppeltem Eifer die Frage der Errichtung von Aerztekammorn 
in Berathung ziehen und die Modalitäten derselben besprechen wird. 
Von nicht geringerer Wichtigkeit für die praktischen Aerzte ist das 
von Professor Janovsky (Prag) zu erstattende Referat Uber die 
Krankencassen, welche in die Existenz des Arztes so intensiv 
eingreifen, die Verhandlungen über die Versorgung der Aerzte und 
ihrer Hinterbliebenen, über eine zu errichtende Standesordnung, 
sowie über die Reform des in innigem Connexe mit dem ärztlichen 
Berufe stehenden A potbekerwesens. Daß schließlich der älteste und 
größte ärztliche Verein der Monarchie, das „Wiener mediciuische 
Doetoren Collegium“ auf dem Aerztevereinst.-ig zum ersten Male durch 
Dclegirte vertreten sein wird, dürfte den in Troppan zu fassenden 
Beschlüssen erhöhte Bedeutung und größeren Nachdruck verleihen. Wii; 
werden über den Verlauf des Aerztevereinstages ausführlich berichten. 

(Personal-Nachricht.) Dem pensionirten a. o. Universitäts¬ 
professor und Vorstande der III. chirurgischen Abtheilung des all¬ 
gemeinen Krankenhauses, Dr. Leopold R. v. Dittel, ist der Titel 
eines Hofratbes mit Nachsicht der Taxen verliehen worden. 

(Vorkehrungen gegen die Hundswuth.) Einem 
Beschlüsse des Obersten Sanitätsrathes zufolge hat das Ministerium 
des Innern an die politischen Landesbehörden einen Fragebogen ge¬ 
richtet, nach welchem behufs Prophylaxe der Rabies neben dem 
Manlkorbzwang die genaueste Evidenzhaltung und periodische 
thierärztliche Untersuchung sämmtlicher Hunde in Aussicht ge¬ 
nommen wird. Die stricte Durchführung dieser verschärften ^Ma߬ 
regeln wird von den Aerzten sicherlich wärmstens befürwortet. 

(Epidemiologie.) In Oesterreich, Deutschland und Frank¬ 
reich sind neuerdings, wenn auch vereinzelt, Fälle von Influenza 
zur Beobachtung gelangt. Nach einer Mittheilung Rosenbach’s 
(Breslau) treten derzeit die Erscheinungen der Respirationsorgane 
in den Hintergrund, während Conjunctivitiden (nach Germain See 
in Paris Anginen) relativ häufig beobachtet werden. — Die amt¬ 
lichen Ausweise über die Cholera in Spanien weisen trotz der 
notorischen Verheimlichung zahlreicher Fälle eine weitere Zu¬ 
nahme der Epidemie, zumal in Valencia und Alicante, aus. Aus 
Madrid wird ein Cbolerafall gemeldet. Auch in Iledschas ist 
die Seuche im Steigen; so kamen im Verlaufe einer Woche an 
2000 Todesfälle zur Anzeige. In Britisch-Ostindien starben in den 
Monaten Mai und Juni 640 Personen an der Cholera. — Der inter¬ 
nationale Sanitätsconseil in Alexandrien hat umfassende prophylac- 
tische Maßregeln beschlossen. 

(Hinrichtung durch Elektricität.) Entgegen den Auf¬ 
sehen und Entrüstung erregenden Zeitungsnachrichten über die „ver¬ 
unglückte“ elektrische Hinrichtung Kemmler’s iu New York, be¬ 
hauptet der dortige Arzt, Dr. E. C. Spitzka, welcher der Execution 
anwohnte, der Delinquent sei Dach Durchleitung des ersten Stromes 
von 17 Secunden Dauer „wahrscheinlich augenblicklich“ todt ge¬ 
wesen. „Alle gegenteiligen Behauptungen, die leider von der 
Mehrzahl der anwesenden Aerzte unterstützt wurden, beruhen — 
schreibt S. in der New-Yorker „Med. Monatsschrift“ — auf einer 
wahrhaft erschreckenden Unkenntniß der primitivsten Physiologie 
und der gewöhnlichen Todeszeichen. Als der Strom abgestellt 
wurde, blieb Kemmler im Tetanus still, nach einer Minute löste 
sich die Muskelspannung und das Collabiren des Thorax führte zu 
einem Luftaustritt durch den massenhaft dicken, im Kehlkopf an¬ 
gesammelten Schleim“ (?). Die sog. Respirationserscheinungen seien 
nichts Anderes als „Luftblasenplatzen“ gewesen, Puls war nicht zu 
constatiren. — Aus dem Sectionsbefunde ist die postmortale Tem- 
peratnrsteigerung hervorzuheben (die mangelhafter Vorbereitungen 


wegen erst 2 1 j a Stunden nach dem Tode vorgenommene Messung 
ergab 99 1 / a ° Fahrenheit — 37'2° C.), sowie der Hirnbefand. Hier¬ 
über berichtet Dr. Spitzka: „Entsprechend der Stelle, wo die Kopf¬ 
elektrode angewendet worden war, schien das Hirn durch die Dura 
hindurch blaß. Es war also in den präcentral und am Sulcus lon- 
gitudinalis liegenden Theilen äußerst anämisch. In dieser Region 
und au dessen Rändern allmälig in’s Normale übergehend, fand ich 
folgende merkwürdige Aenderung auf dem Querschnitt: Die äußerste 
Schicht, vielleicht das Doppelte der sogenannten Ependy Information, 
war härter, gelblich blaß und von der tieferen, normal gefärbten 
Corticalis durch eine brüchige, wie cariös zerrissene Schicht ge¬ 
trennt. Die Oberfläche des vierten Ventrikels war der Sitz von vier 
ziemlich bedeutenden Extravasationen, die von dert Verästelungs¬ 
stellen der kleineren Gefäße ansgingen. Mir schien die Brücke im 
Vergleich mit anderen, im ähnlich frischen Zustande untersuchten 
Fällen, etwas weichlich. Daß gerade in der Pons oblongata-Gegend 
eine intensive calorische Entwicklung, genügend, um durch die 
Weicht heile hindurchzudringeu, stattfand, ist eine ebenso auffallende, 
als für mich unerklärliche Sache.“ 

(Amtliches.) Durch Erlaß des Ministerium des Innern 
wurde die Erzeugung und der Verkauf der „elektro-metallischen 
Apparate des Dr. F. Borsodi zur Behebung der männlichen Im¬ 
potenz“ in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern 
verboten. 

(Versammlung;.) Der „Verein der Aerzte und Naturforscher des 
Neutraer Comitates wird seine II. Plenarversammlung am 8. September d. J. 
in Bad Pistvan abhalten. Anf der Tagesordnung der VeiSammlung befindet 
sich u. A. ein Vortrag des Pistyaner Badearztes Dr. W. v. Vragassy „Ueber 
Anästhetica und Narcose“. 

(Alvarenga- Preisaufgaben.) Die HiJFELAND’sche 
Gesellschaft in Berlin hat auf Vorschlag ihres Vorstandes be¬ 
schlossen, zwei Preisaufgaben zu stellen: 1. „Die Influenza- 
epidemie 1889/1890.“ Nach einem historischen Rückblick auf 
frühere Epidemien dieser Art soll ein Ueberblick über den Gang 
der Epidemie über die Erde im Jahre 1889 1890 gegeben und 
daran eiuo Analyse der ätiologischen Verhältnisse, der Pathologie 
und Therapie dieser letzten Epidomio, ferner der beobachteten Nach 
krankheiten geknüpft worden. 2. „Ueber die strafrechtliche Ver¬ 
antwortlichkeit des Arztes bei Anwendung des Chloroforms und 
anderer Inhalations-Anaesthetica.“ Für jede dieser Auf¬ 
gaben wird ein Preis von 700 Mark ausgesetzt. Einzureichen sind 
die Arbeiten bis zum 1. April 1891 an Herrn Prof. Dr. Liebreich, 
Berlin, Dorotheenstraße 34a. Die Arbeiten müssen mit einem Motto ver¬ 
sehen werden, welches auch auf einem dabei einzureicbenden Briefcouvert, 
in dem eingeschlossen der Name dos Verfassers sich befinden soll, zu 
stehen hat. — Zulässige Sprachen: deutsch, englisch und franzö¬ 
sisch. Die nicht preisgekrönten Arbeiten werden auf Verlangen bis 
zum 1. October 1891 den Einsendern zurückgegeben. Die Bekannt¬ 
machung der Zuertheilung der Preise findet am 14. Juli 1890 statt. 

(Statistik.) Vom 17. bis inclusive 23. Aurnst 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 3935 Personen behandelt. Hievon wurden 809 
entlassen; 104 sind gestorben (1 U4°/o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: Au 
Diphtheritis 29, egyptischer Augeuentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 11, Dysenterie 1, Blattern 7, Varicellen 12, Scharlach 17, 
Maseru 100, Keuchhusten 61, Wundrothlauf 13. Wochenbettfieber 4. — In 
der 34. Jahreswoche sind in Wien 398 Personen gestorben (+81 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Wir meldeten kürzlich den in Berlin er¬ 
folgten Tod des russischen Staatsrathes Prof. Neugebauer, welcher 
sich zum internationalen medicinischen Congreß dahin begeben hatte, 
und sind heute genöthigt, das Ableben zweier weiterer Theilnehmer 
des CongresseK zu verzeichnen, welche fern von Heimat und 
Familie abberufen wurden. In Berlin starb am 22. d. M. der bekannte 
Budapester Laryngologe Dr. v. Jelenffy, in Wien Dr. Richard 
Stephenson aus Nordamerika auf der Rückreise in sein Vaterland. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


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Nr. 36. 


Sonntag den 7. September 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik , 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse* und „Wiener Klinik" 
Inland: Jährf. 10 fl., halbj. 6 fl., viertelj. 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 13 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--GIB-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban 4 Sohwarzenberg in Wien. 


INHALT: Orlginnlien und klinische Vorlesungen. Endoskopische Beiträge zur Lehre von der Gonorrhoe des Weibes. Von Prof. V. Janovsky in 
Prag. — Ueber Anästhesie. Von Hoeatio Wood, Professor an der Universität Pennsylvania. — Ueber eine eigentümliche Form von periodischer, 
familiärer, wahrscheinlich auto-intoxicatorischer Paralyse. Von Dr. S. Goldflam in Warschau. — Referate and literarische Anzeigen. Cahl 
Koch (Nürnberg): Zur Wundbehandlung in der Privatpraxis nebst Bemerkungen über das trockene Operiren. — Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 
Von Prof. Dr. Victok Urbantschitsch in Wien. — Die Auscultation des kindlichen Herzens. Ein Beitrag zur physikalischen Diagnostik der 
Krankheiten des Kindesalters. Von Dr. Cakl Hochsinokk, Abtheilnngsvorstand am I. öffentlichen Kinderkrankeninstitute in Wien. — Zeitungsschau. 
Gynäkologie und Geburtshilfe. Ref.: Prof. Ludwig Kleinwächteb. — Feuilleton. XXV. Wanderversammlung der ungarischen Aerzte und Naturforscher 
in Großwardein. (16.—20. August 1890.) II. — Kleine Mittheilnngen. Ein Verfahren zur Beseitigung des acuten, nach Penetration der 
Brustwand entstandenen Pneumothorax. — Elektrischer Schröpfkopf, ein Apparat zur Erzeugung von Wehen. — Massage bei Scleroderma. — 
Creolin bei Erysipel und Eczem. — Die Behandlung der Vaginitis mit Retinol. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler 
medicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4. — 9. August 1890. (Orig.-Ber.) V. — Notizen. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalton und klinische Vorlesungen. 

Endoskopische Beiträge zur Lehre von der 
Gonorrhoe des Weibes. 

Von Prof. V. Janovsky in Prag.*) 

Es ist dies der erste Theil einer Arbeit über die Gonor¬ 
rhoe des Weibes, deren zweiter Theil, bacteriologischer Natur, 
noch nicht vollendet ist und sich mit den Verhältnissen der 
pathologischen und normalen Mikroorganismen der weiblichen 
Urethra befaßt. 

Das Material bieten 150 im Beginne und Verlaufe 
gründlich untersuchte, meiner Abtheilung entnommene Fälle, 
weiterhin einige Fälle, welche der poliklinischen Ambulanz 
und der privaten Clientei entnommen wurden. Bezüglich der 
Grundlage zur Diagnose sei hier bemerkt, daß blos auf die¬ 
jenigen Fälle Rücksicht genommen wurde, wo die Anwesen¬ 
heit des Gonococcus entweder in der Urethra oder in anderen 
Gebilden des Genitaltractus nachgewiesen werden konnte, oder 
wo früher wenigstens einmal ein ähnlicher Befund vorlag und 
die späteren Veränderungen secundärer Natur verfolgt werden 
konnten. 

Es entspricht dies dem wohl heute allgemein angenom¬ 
menen Satze, welcher auch in einer Reihe von Untersuchungen 
an unserer Klinik bestätigt wurde, und welcher im zweiten 
Theile der Arbeit noch ausführlicher begründet werden soll, 
daß die Anwesenheit des Gonococcus als ein nothwendiges und 
diagnostisches Merkmal für die echte gonorrhoische Urethritis 
des Weibes angenommen werden muß. 

Was die Häufigkeit der Urethritis anbelangt, über welche 
die Meinungen der Autoren getheilt waren, so nähert sich 
unsere Statistik der von Jullien publicirten Durchschnitts¬ 
statistik der Pariser Spitäler, indem unter 750 genau unter¬ 
suchten Fällen 28Gmal eine Urethralblennorrhoe entweder 
im acuten oder im chronischen Stadium constatirt werden 
konnte, auf deren häufiges Vorkommen besonders Finger in 
seiner gediegenen Arbeit: „Ueber die Blennorrhoe der Sexual¬ 
organe“ gründlich hin wies. Was die Gonococcenbefunde 


*) Vortrag, gehalten in der Section für Dermatologie und Syphilis des 
X. Intern, med. Congresses. — Eine ausführliche Publication wird im „Archiv 
für Dermatologie und Syphilis“ erfolgen. 


anbelangt, so schließen sich dieselben, wie hier nur kurz im 
Vorhinein bemerkt werden soll, den Resultaten der bekannten 
Arbeit Steinschneider^ aus Neisser’s Klinik an. 

Was nun die Methoden der Endoskopie der weiblichen 
Urethra anbelangt, so ist die Literatur, mit Ausnahme einer 
ausführlichen Arbeit Grünfeld’s, welchem nach Desormeaüx 
das größte Verdienst in der Einführung der Endoskopie zu¬ 
geschrieben werden muß, ziemlich spärlich. 

In Tarnowski’s bekanntem Werke finden wir kurze An¬ 
deutungen besonders über die chronische papilläre Urethritis 
des Weibes, jedoch in Grünfeld’s im Jahre 1881 publicirter 
Monographie eine eingehende Beschreibung der Methode. 
Gkünfeld untersuchte die weibliche Urethra erst mit dem 
geraden, circa 4 Cm. langen Endoskope, eine Methode, welcher 
auch wir uns in den meisten Fällen anschlossen, nur daß wir 
ein weiteres Lumen entsprechend der größeren Erweiterungs¬ 
fähigkeit der weiblichen Urethra wählten. Es kann dieses 
gerade Endoskop auch sehr gut zur elektrischen Beleuchtung 
mittelst des von Leiter in der neueren Zeit construirten 
Panelektroskopes benützt werden. Das gerade gefensterte 
Endoskop Grünfeld’s erscheint uns zur Untersuchung der 
weiblichen Urethra bei der jetzigen Beleuchtungsmethode 
nicht dringend nothwendig zu sein und bringt kein natür¬ 
liches Bild. Viel besser arbeitet es sich mit dem Fensterspiegel 
endoskope Grönfei.d’s, wo besonders die Gefässverhältnisse der 
Schleimhaut ziemlich klar auftreten. 

Eine eingehende Betrachtung widmet auch Skene der 
Pathologie der weiblichen Urethra in seinem bisher viel zu wenig 
beachteten Werke: „Diseases of the Bladder and Urethra in 
women“, welcher ein eigens construirtes Endoskop mit einem 
stellbaren Reflector benützt, der in einer gläsernen Hülle in 
die Urethra eingeführt wird. 

Ferner kann die Elektroendoskopie nach Nitze-Leiter 
in ihrer neuesten Modification sehr gut zur Endoskopie der 
weiblichen Urethra verwendet werden. Im vorigen Jahre 
publicirte Linhart eine Arbeit über Endoskopie mit besonderer 
Rücksicht auf die Beleuchtung, wozu er die HiNKs’sche Duplex¬ 
lampe zur Polarisation auch für die Endoskopie empfahl. Als 
Untersuchungsinstrument verwendete er Bonnafond-Brunton- 
sche Tuben. Diese Methode hat sich uns sehr gut bewährt 
und gibt ein ziemlich klares Bild der Schleimhaut der weib¬ 
lichen Urethra. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


1412 


Was den Werth der einzelnen Methoden anbelangt, so 
erscheint wohl für Anfänger eine möglichst intensive Beleuch¬ 
tung mit elektrischem Lichte, besonders zu didaktischen 
Zwecken, empfehlenswerth. Im Uebrigen schließen wir uns 
ganz dem von Grünfkld in Betreff des Werthes der einzelnen 
Methoden abgegebenen Urtheile an. 

Bei einer kritischen Beleuchtung des normalen Befundes 
der weiblichen Urethralschleimhaut müssen wir auf gewisse 
anatomische Verhältnisse zurückgreifen, welche nicht nur das 
normale endoskopische Bild bedeutend beeinflußen, sondern 
auch in pathologischer Beziehung und namentlich in Beziehung 
auf die Latenz und Chronicitii t des weiblichen Trippers werth¬ 
volle Anhaltspunkte liefern. Für endoskopische Zwecke sind 
hauptsächlich die anatomischen Verhältnisse der Schleimhaut, 
der Gefäße und der Drüsen wichtig. In Betreff der Muskel¬ 
schichte interessiren uns blos die durch die Anordnung der 
Musculatur verursachten Schleimhautfalten, von denen haupt¬ 
sächlich longitudinale Falten die hervorragendsten sind. Die 
breiteste, schon von Saitey erwähnte Falte geht vom Tri- 
gonnm der Blase ans und modificirt sehr häufig besonders die 
Centralfigur an der unteren Peripherie der Urethra. Das 
Gefäßnetz ist außerordentlich reich an mächtigen Gefäßpapillen 
und tritt besonders bei pathologischem Zustande stark 
hervor, so daß eine starke Hyperämie, welche die lange 
Dauer der chronischen Blenorrhoe des Weibes bedingt, häufig 
constatirt werden kann. Besonders der Anfang und die Blasen¬ 
mündung der Urethra zeigen eine mächtige, schon im normalen 
Zustande hervortretende r<>the Färbung. An der Schleimhaut 
bemerkt man ab und zu kleine Querfurchen; die normale An¬ 
ordnung der Lacunen, welche Sappey erwähnt, konnten wir 
nicht constatiren. Im Ganzen ist die Schleimhaut schwächer, 
und nur im Zustande der chronischen Entzündung erstrecken 
sich mächtigere interepitheliale Zapfen zwischen die Gefä߬ 
papillen. 

Was das Epithel anbelangt, so wissen wir nach den 
Arbeiten Oberdieck’s, daß dasselbe meist Cylinderepithel ist 
und in tieferen Schichten Uebergangsformen darbietet. Unter 
den Drüsen, wie wir dies namentlich mit Rücksicht auf Ober- 
läxdkr’s Arbeiten sehen werden, welche sich theilweise mit 
unseren Befunden decken, haben die Lacunen eine große Be¬ 
deutung besonders für die chronische Gonorrhoe des Weibes. 

Sie finden sich in starker Verbreitung, meist mit einem 
leichten Schleimhautwall umgeben, besonders an der unteren 
Wand der Urethra und zwischen den großen SKENE’schen Lacunen 
am Eingänge, welche sehr häufig zu complicatorischen 
Processen Veranlassung geben. Außerdem finden wir ent¬ 
sprechende LiTTRK’sche Drüsen und noch acinöse und tubulöse 
Drüsen in der weiblichen Urethra, welche ab und zu als weiße 
Punkte an den Trichterwandungen auftreten. 

Was den normalen Befund der Urethra anbelangt, so ist 
der Trichter verschieden tief. Am Eingänge geringer, gegen die 
Mitte zu weiter, gegen das Blasenende fällt derselbe abermals 
stark vom Tubus ab. worauf die Entwickelung der longitudi¬ 
nalen Wülste einen bedeutenden Einfluß nimmt. Die zahlreichen 
Seitenwülste finden ihren Ausdruck in kleiner leicht 
radiärer Streifung der Trichterwandung. Die Centralfigur ist 
Anfangs sagittal, übergeht dann rasch in eine transversale, 
leicht eingekerbte Figur, welche manchmal durch stark vor¬ 
springende Lacunen modificirt wird. Die Lichtreflexe laufen 
radiär zur Centralfigur zusammen. Sie sind wegen der Dia¬ 
gnose von Epitheldefecten oder Verdickungen wichtig. Das 
Orificium urethrae internum zeigt sich nicht transversal, son- , 
dern oft ringförmig und halbmondförmig. Was nun die patho¬ 
logischen Befunde beim Weibe anbelangt, so ist nebst den 
Arbeiten Grünfkld’s und Taknowski’s, welche besonders der 
granulösen Form der Urethritis eine eingehendere Beachtung 
widmen. aus der neueren Zeit die Arbeit Oberländer’s 
beachtenswerth, in welcher er bei Gelegenheit der Beschreibung 
der Veränderung der Vaginalseh leimhaut bei Prostituirten 
auch der Schleimhaut der Urethra eine eingehende Betrachtung 


! widmet, ferner die Arbeit Skene’s, welcher sich mit haut¬ 
förmigen Formen der chronischen Urethritis befaßt. Wir müssen 
bezüglich des endoskopischen Bildes der weiblichen Gonorrhoe 
eine acute und eine chronische Form unterscheiden. Bezüglich 
der acuten Form müssen wir hier bemerken, daß die Durch¬ 
führung der Endoskopie ziemlich schwierig ist, indem die 
Gonorrhoe sehr empfindlich ist und wir manchmal früher coca- 
inisiren müssen. Im Ganzen deckt sich schon der grobe klinische 
Befund mit dem endoskopischen Bilde. Wir sehen die Carunkeln 
stark geschwellt, manchmal an den Wandungen kleine Abscesse 
und ein Ergriffensein der SKENE’schen Lacunen. Die acute 
Gonorrhoe ist dann entweder diffus oder beschränkt, wobei wir 
namentlich in den vorderen Partien die betreffenden Veränderungen 
treffen. Die Schleimhaut ist stark geschwellt, suceulent, der 
Trichter seicht, die Längsfalten geschwellt, die Centralfigur 
bizarr verändert. Zwischen den Falten sammelt sich viel 
Eiter an, die Wandungen sind in den Trichter eingebuchtet, 
zugleich betheiligen sich die folliculären Drüsen daran, wie 
schon Finger darauf hinwies. In den Lacunen bemerken wir 
manchmal starke Eiterstagnationen und können in diesem 
Eiter stets Gonococcen nachweisen. 

Ab und zu bemerken wir leichte Blutungen, die Reflexe 
sind stellenweise defect, was durch leicht blutende Erosionen 
bewirkt wird, welche sich an dem Ostium manchmal in 
fissurale lineare Geschwüre umwandeln. Die Schleimhaut ist 
stark ödematös; zuweilen können wir endoskopisch den 
Uebergang in das chronische Stadium verfolgen. 

Ein ähnliches Bild bietet eine Abart der acuten Ure¬ 
thritis, nämlich die herpetische Urethritis, welche namentlich bei 
Prostituirten häufig vorzukommen pflegt. Die Erscheinungen 
an der Schleimhaut sind dann secundärer Art; einmal wurde 
eine membranöse Urethritis mit etwa 1 Cm. langen Auflage¬ 
rungen analog der von Payer und Grünfeld beschriebenen 
Urethritis membranacea des Mannes beobachtet. 

Die chronische Form kommt, worauf schon Finger hin¬ 
wies, sehr häafig vor. Vollkommen streng von einander 
geschiedene Typen gibt es beim Weibe nicht, da bei dieser 
Entzündungsform ebenso, wie dies Auspitz für die chronische 
Urethritis des Mannes statuirte, sich so ziemlieh sämmtliche 
Bestandtheile der Urethralschleimhaut betheiligen, dafür aber 
geht aus den zahlreichen endoskopischen Beobachtungen der 
Satz hervor, weicherein Analogon in den Befunden Oberläxdek’s 
bei der männlichen Urethritis chronica findet, daß in den meisten 
Formen der sogenannten granulösen oder papillären chronischen 
Urethritis die Granulationen von der Umrandung der Lacunen 
ausgehen. 

Wenn wir an dem oben berührten Grundsätze von dem 
Ergriffensein der Urethralschleimhaut im Sinne Auspitz’s fest- 
halten, so läßt es sich andererseits nicht verkennen, daß in 
manchen Fällen mehr die Umgebung der Lacunen und die 
Drüsen, in anderen Fällen das übrige Gewebe der Schleim¬ 
haut ergriffen ist. Im Ganzen ließen sich, freilich mit der oben 
berührten nothwendigen Reserve folgende Bilder aufstellen: 

1. Die Urethritis simplex chronica, welche der Urethritis 
simplex Grünfeld’s und der Urethritis mucosae Oberländ£b’s 
beim Manne entsprechen würde. Dieselbe tritt in Form von 
diffusen Schwellungen oder in circumscripter Form auf, wo 
wir auch zugleich manchmal, jedoch selten, wie die Fälle Skene’s 
beweisen, eine beschränkte papilläre Wucherung an der 
Schleimhaut und Epitheltrübungen finden, meist aber kann man 
bei den circumscripten Formen, welche Form häufiger ist, die 
glanduläre Form, also die Urethritis glandularis, mit Bethei¬ 
ligung der Lacunen oder der aggregirten traubenförmigen 
Drüsen finden. — 2. Urethritis granulosa. Von den Lacunen aus 
geben die meisten chronischen Affeotionen, namentlich die so¬ 
genannte granuläre oder papilläre Form, aus, welche sich durch 
ganz deutliche endoskopische Bilder kennzeichnet, wie dies an 
einem anderen Ort ausführlich geschildert werden soll. 


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Ueber Anästhesie. 

Von Horatio Wood, Professor an der Universität Pennsylvania. 

(Schluß.) 

Zur Besprechung der Behandlung der Unglücksfälle 
in Folge von Anästhesie übergehend, vermag ich in 
Bezug auf die am Krankenbett erzielten Resultate so wenig 
Neues und Befriedigendes aufzufinden, daß ich es nicht wage, 
Ihre kostbare Zeit mit den aus der Literatur gesammelten 
Fällen oder mit persönlichen Erfahrungen zu rauben. 

Ich glaube nicht, daß dieses Problem durch das Studium 
solcher Fälle gelöst werden kann. 

Der Chloroformtod ist ein so plötzlicher und so furcht¬ 
barer, die Zeit ist eine so kurz bemessene, jeder Moment so 
wichtig, daß kein Chirurg gewillt oder berechtigt wäre, die 
Wirkung irgend eines Mittels zu verfolgen und zu studiren, 
und wenn ein narcotisirter Mensch mit Alkohol Amylnitrit, 
subcutanen Aetherinjectionen, Digitalis, Atropin und anderen 
stark wirkenden Substanzen behandelt oder faradisirt, 
geklopft, gedrückt, auf den Kopf gestellt, den Bewegungen 
der künstlichen Athmung oder verschiedenen anderen Ma߬ 
regeln ausgesetzt wird, wer kann bestimmen, wenn glücklicher 
Weise Wiederherstellung erfolgt, welchem der angewendeten 
Mittel das gute Resultat zu verdanken ist? 

Das Problem ist viel zu complicirt, um bei der großen 
Aufregung und Verantwortlichkeit des Operateurs gelöst wer 
den zu können. Nur im physiologischen Laboratorium können 
die verschiedenen Elemente getrennt und studirt werden, ohne 
Berücksichtigung des Lebens des auf dem Spiele stehenden 
Individuums. Im physiologischen Laboratorium stehen zwei 
verschiedene Wege offen, von denen jeder zu positiven Resul¬ 
taten zu führen verspricht. 

Wir können einerseits in das Studium der minimalen 
letalen Dosis des Anästheticums eingehen und die Resultate 
der gleichzeitigen oder nachträglich angewendeten physiologi¬ 
schen Antagonisten untersuchen, und andererseits die Wirkung 
der Mittel auf die Functionen studiren, die unter dem Ein¬ 
flüsse des Anästheticums herabgedrückt werden oder gänzlich 
verloren gehen. 

Was die erste dieser Methoden betrifft, so scheinen die 
verschiedenen Unglücksfälle unabhängig von der Menge des 
inhalirten Anästheticums zu sein. Der Chloroform- und Aether- 
tod erfolgt durch Lähmung der Athmung und der Circulation. 
Ich wendete daher in meinen Versuchen Methoden an, die 
darin bestanden, die Wirkung wirksamer Substanzen auf diese 
Functionen zu studiren. 

Ich habe bei meinen Versuchen hauptsächlich das Chloro¬ 
form angewendet, weil es das wirksamste und tödtlichste 
Anästheticum ist. Die Versuche wurden alle an Hunden ge¬ 
macht, die Carotis und die Trachea Würden mit einer Schreibe¬ 
trommel verbunden, so daß die Bewegungen der Circulation 
und der Respiration nach einander vermerkt werden konnten. 

Das Thier wurde anästhesirt, und als der Blutdruck bis 
nahezu auf 0 gesunken war und die Athmung aufgehört oder 
beinahe aufgehört hatte, wurde das zu untersuchende Mittel 
in die Jugularvene mittelst einer vorher eingeführten Canüle 
eingespritzt. 

Die wichtigsten Mittel, die von den Klinikern angewen¬ 
det wurden, um die drohende Todesgefahr während der Nar- 
cose abzuwenden, sind Aether, Alkohol, Ammoniak, Amyl¬ 
nitrit, Digitalis, Atropin und Coffein, Lage Veränderung und 
künstliche Athmung. 

Obgleich namentlich in Amerika in neuerer Zeit sub 
cutane Injectionen von Aether häufig selbst bei Unglücks¬ 
fällen in Folge von Aethernarcose angewendet wurden, ist der 
Gebrauch dieses Mittels so absurd, daß wohl kein experimen¬ 
teller Nachweis für dessen Unbrauchbarkeit nothwendig ist. 
Der Aether wirkt eben im Blute als Aether, gleichgiltig, ob 
er durch die Lungen, durch das Rectum oder das Zellgewebe 


eindringt, und wer einem Patienten, der in Folge von Aether 
im Begriffe ist, zu sterben, eine subcutane Aetherinjection 
machen wollte, würde, um logisch zu handeln, ebenso gut dem 
unglücklichen Opfer einen mit Aether getränkten Schwamm 
aufs Gesicht pressen können. 

. Statt einer einfachen Darstellung der Resultate meiner 
Versuche habe ich es für interessanter erachtet, meine Curven 
vorzuführen. Die erste Substanz, über die ich berichten will, 
ist Coffein. Ich habe dasselbe während des Sinkens der Herz- 
thätigkeit in Folge der Chloroformnarcose'in Dosen von 0 2— 0 5 
injicirt, war aber nie im Stande, irgend eine merkliche Ver¬ 
änderung des arteriellen Blutdruckes oder der Zahl und Kraft 
des Pulses zu erkennen. 

So weit meine Versuche reichen, lehren dieselben mit 
Sicherheit, daß das Mittel keinen Einfluß auf das Herz wäh¬ 
rend der Chloroformwirkung besitzt; dasselbe kann ich auch 
von dem Einflüsse des Coffeins auf die Athmung aussagen. 

Mit Atropin habe ich nur wenige Versuche gemacht, 
da die Resultate fast ebenso negativ ausfielen wie die mit 
Coffein. 10 Ccm. einer 2°/ 0 igen Lösung von Atropin in die 
Jugularis eines chloroformirten Thieres injicirt, veränderten 
zwar die Zahl der Pulsschläge, übten aber keine wahrnehm¬ 
bare Wirkung auf den arteriellen Blutdruck und auf die Ath¬ 
mung und verhinderten in keiner Weise den schließlichen 
Herzstillstand. 

Von allen Mitteln, die von den Klinikern als Herz¬ 
stimulantia sowohl bei Anästhesie als auch bei anderen Fällen 
von Herzschwäche angewendet werden, gilt der Alkohol als 
das sicherste. 

Die chemischen und physiologischen Beziehungen des 
Alkohols zum Aether und zum Chloroform sind indeß so enge, 
daß ich schon vor einigen Jahren über den Werth dieses 
Mittels als Stimulans bei der Anästhesie zweifelte. 

Diese Zweifel wurden noch mehr erhöht durch das, was 
ich über, die Wirkung des Alkohols während der Anästhesie 
sah und las, und wurden schließlich zur Sicherheit durch die 
Versuche von R. Dubois (Progr. möd. 1883, XI, 951). Dieser 
fand, daß bei einem Thiere, dem früher Alkohol verabreicht 
worden war, viel weniger Chloroform nothwendig ist als sonst, 
um Anästhesie, beziehungsweise Tod herbeizuführen, oder mit 
anderen Worten, daß der Alkohol den Einfluß des Chloroforms 
verstärkt und die letale Dosis herabsetzt. 

In meinen eigenen Versuchen mit Alkohol wurde ein 
80’/o Alkohol mit Wasser verdünnt angewendet; die injicirte 
Menge schwankte in den verschiedenen Versuchen zwischen 
5 und 20 Ccm. In keinem einzigen Falle konnte ich irgend 
eine Zunahme der Größe des Pulses oder eine Erhöhung des 
arteriellen Blutdruckes wahrnehmen, wenn das Herz in der 
vorgeschrittenen Narcose geschwächt war. Andererseits habe 
ich bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen, daß größere 
Dosen Alkohol das Sinken des Blutdruckes beschleunigten 
und zum gänzlichen Auslöschen des Pulses führten. 

Die Wirkung des Ammoniaks auf das geschwächte 
Herz bei der Chloroformnarcose war in meinen Versuchen eine 
ziemlich unsichere. Manchmal war wohl eine deutliche, wenn 
auch vorübergehende Wirkung wahrnehmbar, ein andermal 
aber war das Resultat negativ. 20 Ccm. einer 10% Lösung 
der Aqua ammoniae fortior (U. S. Pharmacopoe) erzeugte bei 
normalen Fällen eine sofortige Steigerung des arteriellen Blut¬ 
druckes und einen vorübergehenden Einfluß auf die Respiration. 
Viel häufiger aber blieb jede Wirkung aus. 

Der Einfluß der Injectionen von Digitalis war in 
einer Reihe von Versuchen sehr ausgesprochen, indem eine 
dauernde graduelle Steigerung des arteriellen Blutdruckes mit 
Zunahme der Größe der einzelnen Pulswellen eintrat. In 
manchen Fällen wurde durch die Injection von Digitalis 
scheinbar der Tod verhindert, und in einem oder zwei Fällen, 
in welchen große Mengen Digitalis angewendet worden waren, 
sah ich sogar plötzlichen systolischen Herzstillstand eintreten, 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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wodurch erwiesen ist, daß die Digitalis, in hinreichend großer 
Menge angewendet, im Stande ist, ihre Wirkung selbst dem 
Chloroform gegenüber geltend zu machen. Ja noch mehr; 
wenn ich Chloroform Hunden gegeben habe, deren Herz bereits 
unter dem Einfluß von Digitalis stand, schien es, als ob eine 
eigenthümliche kräftigende oder unterstützende Macht *die 
sonst durch die Anästhesie erzeugte Herabsetzung der Circu- 
lation bekämpfen würde, und ich glaube, daß in allen Fällen 
von Herzschwäche beim Menschen eine volle Dosis Digitalis, 
vor der Verabreichung des Chloroforms gegeben, die Gefahr 
des Herzcollapses bedeutend herabsetzen würde. 

Mit Amylnitrit wurden 4 Versuche gemacht und in 
einigen von ihnen 4—10 Tropfen Amylnitrit in die Jugular- 
vene injicirt. In anderen wurde das Mittel auf dem Wege der 
Inhalation verabreicht. In keinem Falle konnte ein wahrnehm¬ 
barer Einfluß auf den arteriellen Blutdruck constatirt werden 
und auch gewöhnlich keine Veränderung in der Größe der 
Pulswelle, obgleich zuweilen der Puls etwas voller zu werden 
schien. 

Unter allen meinen experimentellen Resultaten sind jene 
mit Strychnin erzielten die überraschendsten. Die Injection 
von Strychnin in die Jugularvene erzeugt gewöhnlich eine 
graduelle Steigerung des Blutdruckes und eine außerordent¬ 
liche und rasche Zunahme der Zahl und Tiefe der Athem- 
bewegungen. So sah ich in einem Falle die Athmung unter 
dem Einfluß einer Injection von O - Ol 0/ 0 Strychnin auf einmal 
kräftig und voll werden und die Zahl der Athembewegungen 
auf 130 in der Minute steigen. 

Eine Reihe von Versuchen über die Wirkung der Lage 
des Thieres auf den Blutdruck in der Carotis und anderen 
Arterien hat deutlich nachgewiesen, daß der Thierkörper, 
dessen Circulation durch Chloroform gelähmt war, sich gewisser¬ 
maßen wie ein mit Flüssigkeit gefülltes Rohr verhielt. Wenn 
die Füße des Hundes vertical über den Kopf erhoben wurden, 
während der letztere auf dem Tisch ruhen blieb, stieg sofort 
der Blutdruck, trotzdem das Herz zu schlagen ganz aufgehört 
hatte, aber nur vorausgesetzt, daß der Kopf des Thieres in 
einer Ebene mit dem Tisch gehalten wurde. Wenn hingegen 
der Kopf des Thieres unter die Ebene des Tisches gebracht 
wurde, in einer gleichen oder größeren Entfernung als die 
Länge des Thierkörpers betrug, so trat auf einmal eine Ab¬ 
nahme des arteriellen Blutdruckes ein, trotzdem das Thier in 
senkrechter Stellung sich befand. 

Die Erscheinungen waren ganz unabhängig vom Herz¬ 
schlag und konnten ebenso hervorgerufen werden, wenn das 
Thier todt war, vorausgesetzt, daß der Tod nicht allzulange 
vorher eingetreten war. Manchmal war es einige Minuten nach 
Aufhören des Herzschlages unmöglich, Veränderungen des Blut¬ 
druckes auf der Trommel ersichtlich zu machen. Das beruht, 
wie ich glaube, auf der Gerinnung des Blutes, die rasch nach 
dem Tode erfolgt. In keinem Falle konnte ein Einfluß auf 
die Athmung durch die Lageveränderung notirt werden. 

In einer Reihe von Fällen aber, wenn die Füße sehr 
stark erhöht wurden, nahm das bereits vollständig still¬ 
gestandene Herz wieder seine Thätigkeit auf, und ich habe oft 
den Puls vollständig schwinden gesehen, wenn das Thier aus 
der senkrechten in die horizontale Lage gebracht wurde. 

Andererseits war es oft unmöglich, die Herzthätigkeit 
durch Veränderung der Lage des Thieres zu beeinflußen. 
Doch traten die erwähnten Erscheinungen zu oft auf, um sie 
auf bloßen Zufall zurückführen zu können. 

Wenn die Circulation unter dem Einflüsse des Anästhe- 
ticums aufgehört hat, muß das Umkehren des Körpers eine 
Wiederkehr des Blutes aus den übermäßig erweiterten Bauch- 
gef äßen in das rechte Herz verursachen; in Folge dessen wird 
dieses erweitert und diese Erweiterung, diese Steigerung des 
Druckes scheint eine genügende momentane Wirkung auszu¬ 
üben, um das geschwächte Organ zu stimuliren. 

Die von manchen Autoren angeführte Theorie, daß das 
Umkehren des Körpers bei Unglücksfällen in Folge von Nar- 


cose deshalb von Werth ist, weil es die vitalen Centren des 
Gehirns mit Blut versieht, ist wahrscheinlich unrichtig, denn 
die Athmung hört in der Narcose nicht in Folge von Blut¬ 
mangel in den Respirationscentren auf, sondern weil das Blut 
ein Gift enthält, welches diese Centren lähmt. 

Die bemerkenswerthesten Resultate wurden mit der 
künstlichen Athmung erzielt. So sah ich ein Thier, bei 
welchem durch 2 Minuten keine Athmung mehr vorhanden 
war und bei welchem während dieser Zeit keinerlei Circulation 
des Blutes wahrzunehmen war, rasch und dauernd Wieder¬ 
herstellung durch künstliche Athmung eintreten. Gleichzeitig 
beobachtete ich bei diesen Versuchen, daß nach einer Chloro 
formeinathmung das Thier durch künstliche Athmung wieder¬ 
hergestellt werden konnte, obgleich das Herz und die Lungen 
vollständig gelähmt waren. 

Allerdings kam mir auch ein Fall vor, bei welchem, 
nachdem das Thier wiederholt fast getödtet und wieder belebt 
wurde, die künstliche Athmung versagte. 

Die Resultate meiner Versuche an niederen Thieren sind, 
daß Amylnitrit, Coffein etc. wenig oder gar keine Wirkung 
auf die Chloroformvergiftung ausiiben, daß Alkohol in kleinen 
Dosen gar keine Wirkung hat, währender in großen Dosen die 
Lähmung des Herzens und die Herbeiführung des Todes geradezu 
beschleunigt, daß Ammoniak nur einen geringen Einfluß auf das 
Herz hat, daß aber von allen versuchten Substanzen Digitalis 
die wirksamste ist, indem sie die sinkende Herzkraft hebt, 
und daß sie in ähnlichen Fällen das einzige Mittel von wirk¬ 
lich praktischem Werth ist. Als nächstes oder vielleicht sogar 
vor der Digitalis ist das Strychnin zu nennen, welches bei 
den Unglücksfällen in Folge von Narcose von großem Werth 
zu sein scheint, weil es zwar einen geringen Einfluß auf die 
Circulation, aber eine umso mächtigere Wirkung auf die 
Athmung ausübt. 

Vor mehreren Jahren wurde Chloroform als das physio¬ 
logische und praktische Antidotum des Strychnins empfohlen,' 
es ist mir aber nicht bekannt, daß Strychnin als Antagonist 
von Chloroform augewendet wurde. 

Die einzige Maßregel, die in Bezug auf ihren praktischen 
Werth alle anderen Mittel übertrifft, ist die künstliche Ath¬ 
mung, und ich zweifle nicht, daß ein großer Theil der Chloro¬ 
formtodesfälle durch eine kräftige künstliche Respiration 
hätte vermieden werden können. Die nach der bis jetzt an ge¬ 
wendeten Methode von Silvester u. A. ausgeführte künstliche 
Respiration ist nicht immer wirksam, während die Methode, 
die ich bei Thieren angewendet habe, sehr wirksam ist, ja 
wirksamer als die natürliche Athmung, daher eine raschere 
Entfernung des Anästheticums aus der Residualluft in den 
Lungen und aus dem Blute ermöglicht. 

Die Anwendung der sogenannten forcirten künstlichen 
Athmung durch den Physiologen regte natürlich zu einem 
ähnlichen Verfahren auch teim Menschen an, und der berühmte 
John Hunter ersann zu diesem Zwecke einen Apparat, der aus 
einem Blasebalg bestand, welcher, wenn er ausgedehnt wurde, 
einen Theil der Luft aus den Lungen hinaus und einen Theil 
aus der atmosphärischen Luft hineinsog, und wenn er ge¬ 
schlossen wurde, die Procedur in umgekehrter Richtung versah. 

Im Jahre 1867 ersann Richardson in London einen 
eleganten transportablen Apparat, der im Princip mit dem 
von John Hunter identisch war. Es ist mir aber nicht bekannt, 
daß Hunter oder Richardson einen Fall von Chloroformver- 
vergiftung mittelst künstlicher Athmung behandelt hätten. 

Im Jahre 1875 theilte Dr. John Ellis Blacke im Boston, 
med. Journ., Bd. 31, einen Fall von Aconitvergiftung mit, 
bei welchem das Leben durch künstliche Athmung mit An¬ 
wendung von Sauerstoff gerettet wurde, trotzdem durch nahezu 
drei Stunden kein Puls mehr vorhanden war. 

In diesem Falle wurde die Methode von Marshall Hall 
zuerst angewendet, dann wurde ein kleines Kautschukrohr 
direct mit einem Reservoir von Sauerstoff in Verbindung ge¬ 
setzt, während das andere Kautschukrohr in ein Nasenloch 


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189Ö. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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eingeführt wurde. 400 Gallons Sauerstoff wurden auf diese 
Weise verwendet. 

Wie die Wirkung des comprimirten Sauerstoffes auf das 
gelähmte Herz zu erklären ist, kann ich nicht sagen, ich 
möchte aber bezweifeln, daß man in diesen Fällen die Rettung 
der künstlichen Athmung zuzuschreiben hat. 

Der erste Arzt, der die forcirte künstliche Athmung 
bei Vergiftungen des Menschen mit klarer Vorstellung über 
deren Werth und Wirkung angewendet hat, war, soweit mir 
bekannt ist, Dr. Georg E. Fell (Intern, med. Congr. Washing¬ 
ton 188/.) — Leider sind die von John Hdnter und Richardson 
construirten Apparate unnöthigerweise complicirt und im Princip 
unvollkommen, so z. B. besteht kein Bedürfniss, die Luft aus 
den gefüllten Lungen herauszuziehen. Jeder Physiologe weiß, 
daß, wenn das Muskelsystem durch Curare oder durch den 
Tod vollständig gelähmt ist, die Brust wand noch genügend 
Elasticität besitzt, um die Luft aus den Lungen herauszu¬ 
bringen , und alle gewöhnlichen Laboratoriumapparate für 
künstliche Athmung beruhen auf dieser Thatsache. Zur forcir- 
ten künstlichen Athmung beim Menschen ist ein gewöhnlicher 
Blasebalg von geeigneter Größe Alles, was nöthig ist. Die 
wirkliche Schwierigkeit ist die Verbindung zwischen Blase¬ 
balg und Lungen. Hunter und Richardson führen einfach 
ein Rohr in ein Nasenloch ein, während sie das andere Nasen¬ 
loch und den Mund des Pat. fest verschließen. 

Dr. Fell wendete zuerst ein Trachealrohr an , dessen 
Einführung natürlich die Vorausschickung der Tracheotomie 
erfordert. In einem Falle aber hatte eine einfache Maske, 
welche Mund und Nasenlöcher bedeckte, vollständigen Erfolg 

Ich hatte keine Gelegenheit, den Apparat am Lebenden 
anzuweriden, aber ich habe eine Reihe von Versuchen am 
Cadaver gemacht, die bewiesen haben, daß als Vorbereitung 
für die künstliche Athmung nur eine Gesichtslarve nöthig ist. 

' Vor Anwendung der Maske soll die Zunge vorge¬ 
zogen und, wenn nöthig, in dieser Lage mittelst eines Bind¬ 
fadens fixirt werden. 

Fehlt eine Maske, so kann ein Intubationsrohr in den 
Kehlkopf eingeführt werden. Ich glaube nicht, daß es nöthig 
ist, die Tracheotomie vorauszuschicken. 

Dr. Fell’s Apparat besteht aus einem Paar Blasebälgen, 
die mit einem Apparate zum Wärmen der Luft verbunden 
sind, und einer Klappe, die mit einer Fingerbewegung ge¬ 
schlossen und geöffnet werden kann. Diese Klappe ist gegen 
das Trachealrohr gerichtet. Wenn dieselbe geöffnet wird, so 
dringt Luft in die Lunge ein und dehnt dieselbe aus, wird 
der Finger von der Klappe entfernt, so schließt sich dieselbe, 
die Lunge contrahirt sich und so geht die Athmung vor sich. 
Ich glaube, daß dieser Apparat in der Praxis sehr wirksam 
sein muß, leider kann man ihm aber den Vorwurf der Com- 
plicirtheit und Kostspieligkeit nicht ersparen. Ein viel ein¬ 
facherer, billigerer und wahrscheinlich ebenso wirksamer Apparat 
kann einfach aus einem Paar Blasebälgen von geeigneter 
Größe, einer Gesichtsmaske und zwei Intubationsrohren ver¬ 
schiedener Größe hergestellt werden, von denen das eine mit 
dem Blasebalg in Verbindung ist, das andere die exspirirte 
Luft nach außen befördert. Dieser einfache Apparat dürfte 
mit geringen Kosten herzustellen und bei verschiedenen 
narcotischen Vergiftungen, sowie bei anderen Unglücksfällen, 
bei welchen der Tod durch Lähmung der Athmungseentren er¬ 
folgt, anwendbar sein. 

Der geeignete Gebrauch dieses Apparates könnte auch 
Personen ohne medicinische Bildung anvertraut werden, so 
daß er nicht nur dem Chirurgen dienen kann, sondern auch 
in Rettungsanstalten, Gaswerken etc. werthvolle Dienste 
zu leisten vermag. 

Fasse ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen zu¬ 
sammen, so lauten dieselben wie folgt: 

Der Gebrach aller Mittel mit Ausnahme von Strychnin, 
Digitalis und Ammoniak ist zu verwerfen. 


Tinctura digitalis, subeutan injicirt, Hervorziehung der 
Zunge, Herabziehung des Kieferwinkels, Beseitigung mecha¬ 
nischer Athmungshindernisse, rasche und zeitweilige Umkehrung 
der Patienten, forcirte künstliche Athmung und in protrahirten 
Fällen Stimulirung durch trockene elektrische Bürstung sind 
die anzuwendenden Mittel, vor Allem aber ist daran festzu¬ 
halten, daß wahrscheinlich viele Todesfälle, die dem Chloro¬ 
form und Aether zugeschrieben werden, durch den Alkohol 
erzeugt wurden, der vor der Narcose dem Kranken ver¬ 
abreicht wurde. 


Ueber eine eigenthümliche Form von perio¬ 
discher, familiärer, wahrscheinlich auto- 
intoxicatorischer Paralyse. 

Von Dr. S. Goldflam in Warschau. *) 

Im Jahre 1885 theilte Wkstpiial in der Gesellschaft 
fiir Psychiatrie und Nervenkrankheiten einen Fall mit, den 
er im selben Jahre unter dem Titel „Ueber einen merkwür¬ 
digen Fall von periodischer Lähmung aller vier Extremitäten 
mit gleichzeitigem Erlöschen der elektrischen Erregbarkeit 
während der Lähmung“ („ Berliner klin. Woch.“ 188a, Nr. 31 
u. 32) veröffentlichte. Es handelte sich um einen 12jährigen 
Knaben, bei welchem, laut unklarer Angabe der Mutter, 
einige Wochen nach vor 4 —5 Jahren durchgemachtem Scharlach 
und, wie man vermuthen darf, daran sich anschließender Nephritis, 
plötzlich in einer Nacht eine Lähmung entstand, während er Tags 
zuvor über ein eigenthümliches Gefühl in den Gliedern, Kriebeln 
in den Händen und Schmerzen in den Füßen geklagt hatte. 
Während des Anfalles sei er vollkommen regungslos gewesen, 
er klagte dabei über furchtbaren Durst, starkes Hitzegefühl 
und transpirirte stark. Anfangs stellten sich solche Anfälle 
alle 4—G Wochen ein, später mehrmals in der Woche; sie 
dauerten einen Tag und eine Nacht, oder auch zwei Tage 
und eine Nacht. In der Zwischenzeit war der Knabe völlig 
gesund. In der Familie sind Nervenkrankheiten nicht vor¬ 
gekommen. 

In der WnsTPHAL’schen Klinik, welcher der Kranke von 
der FfiERicHs’schen übergeben wurde, traten in der Zeit vom 
30. Januar bis 23. April 1885 fünf Anfälle auf, die eine 
Dauer von einigen bis 24 Stunden hatten. Die Anfälle waren 
dadurch charakterisirt, daß im Laufe von einigen Stunden 
sich eine schlaffe Lähmung entwickelte, die, in den Beinen 
beginnend, sich auf die Arme und Halsmuskeln erstreckte. 
Die Plantar- und Kniereflexe waren dabei bis zum völligen 
Erlöschen herabgesetzt, die Sensibilität erhalten, die Function 
der Blase und des Mastdarmes intact. Die frappanteste Er¬ 
scheinung war aber eine hochgradige Herabsetzung der 
elektrischen Erregbarkeit bis zum völligen Erlöschen derselben. 
Der Anfall stellte sich gewöhnlich gegen Abend oder Nachts 
ein, war oft von Parästhesien begleitet und erlangte im 
Laufe von einigen Stunden das Maximum. Die Besserung zeigte 
sich zuerst in den Armen, dann erst in den Beinen. In dem 
Maße, als die Bewegungsfähigkeit sich wieder einstellte, erschien 
auch wieder die elektrische Erregbarkeit und die Reflexe. 

Dieser Fall eriegte bei Westphal das höchste Interesse, 
ja sogar Erstaunen. Als er aufgefordert wurde in der Fre- 
RiCHs’schen Klinik einen Kranken mit temporärer Lähmung 
aller vier Extremitäten und Verlust der elektrischen Erreg¬ 
barkeit anzusehen, bekennt er, zunächst mehr den elektrischen 
Apparat, als die Muskeln in Verdacht gehabt zu haben. Am 
Ende seiner Arbeit schreibt dieser unvergeßliche Forscher: 
„Dieses relativ schnelle Erlöschen und Wiederkehren der 
elektrischen Reizbarkeit in Nerven und Muskeln steht ganz 
einzig in seiner Art da; wir kennen weder eine Krankheit 
des Rückenmarkes, noch der spinalen Nerven, in welcher je- 

*) Vortrag, gehalten in der Section für innere Medicin des X. Intern, 
med. Congreases. 


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mals etwas Aehnliches beobachtet wäre; ebenso läßt uns die 
Physiologie in Betreff einer Erklärung vollständig im Stich.“ 
Etwas weiter sagt er: „Wir stehen somit dem geschilderten 
Krankheitsfalle als einem Räthsel gegenüber und sind nicht 
einmal im Stande, eine annehmbare Hypothese aufzustellen, 
weder über die Natur der in größeren Intervallen (nicht nach 
dem Wechselfieber-Typus) auftretenden Lähmungserscheinungen, 
geschweige denn über die Ursachen des schnellen Erlöschens 
und der ebenso schnellen Wiederkehr der electrischen Reiz¬ 
barkeit der Nerven und Muskeln.“ 

In der letzten Zeit hatte ich Gelegenheit, einen ganz 
ähnlichen Fall zu beobachten, der, wie mir scheint, angethan 
ist, einiges Licht auf diese seltsame Krankheit zu werfen. 

Die Beobachtung betrifft einen 17jährigen Jüngling, Riedel 
Moszck , der im Alter von 4 Jahren Typhus und bald nachher 
schweren Scharlach überstanden hat, mit Hinterlassung einer rechts¬ 
seitigen Otorrhoe und Beeinträchtigung des Gehörs auf dem 
rechten Obre. Das letztere Uobel hiuderte ihn aber gar nicht, er 
war sonst ganz gesund und lernte die Schneiderei. Im Anfänge 
1887 hatte er ein ausgebreitetes Eczcm, das unter Salzbädern 
heilte. Im September 1887 wurde er plötzlich während einer Nacht 
von einer vollständigen Lähmung aller Extremitäten und des Rumpfes 
heimgesucht, die 3 Tage anhielt. Auch den Kopf konnte er damals 
nicht bewegen, der Speichel mußte aus dem Mundo gewischt, die 
Nase geputzt werden u. s. w. Im Sommer 1888 fanden zwei ebenso 
schwere Anfälle von Lähmung statt, von gleicher Dauer; im Winter 
1888—1889 vier ebensolche Anfälle von 2tägigor Dauer, aber mit 
erhaltenem Vermögen, den Kopf zu bewegen. Im Sommer 1889 
kamen die Anfälle viel häufiger, etwa jede 4, sogar 2 Wochen und 
dauerten meistens 2 Tage, seltener nur 24 Stunden. Im letzten 
Winter sind nur 3 Anfälle vou 3tügiger Dauer zu verzeichnen; er 
vermochte, außer mit dem Kopfe, noch leise Bewegungen mit den Fingern 
zu machen. Seit Frühling dieses Jahres erscheinen die Anfälle sehr 
häufig, einmal in zwei Wochen, zuweilen jede Woche, und dauern 
meistens 48, seltener 24 Stunden. Diese sich steigernde Häufigkeit 
der Anfälle, die den Kranken in solchem Maße in seinem Berufe 
hindern, noch mehr aber die angebliche Gefährlichkeit der Krank 
heit, die auf einen unten zu erwähnenden Umstand zurückzuführen 
ist, veranlaßten die Eltern, mit dem Sohne von Sicdlce nach War¬ 
schau zu reisen, um ärztlichen Rath einzuholen. 

Laut Angabe der Eltern und des Kranken selbst, sollen die 
Anfälle häufiger am Freitag, doch auch an anderen Wochentagen, 
beinahe constant gegen 6—7 Uhr Nachmittags, sich einstellen, u. zw. 
mit einer Schwäche der Beine, die der Kranke kaum heben kann, die 
ihn kaum tragen können. Namentlich sollen die Kniee schwach werden, 
so daß er bei Versuch, sich zu bücken, hinstürzt. Gleichzeitig werden 
auch die Arme schwach, obgleich in geringerem Grado als die 
Beine. Das an den gesunden Abenden gewöhnlich vorhandene starke 
Jucken bleibt aus. Sowohl Patient selbst, als auch seine Eltern 
machen auf das Jucken, als Symptom der Gesundheit aufmerksam; 
es besteht nicht allein gegen Abend (auch während des Winters) 
zwischen 8 x /a und IO 1 /* Uhr, bis er einschläft, sondern auch während 
de3 Tages, namentlich wenn es warm ist und der Knabe schnell 
geht und dabei schwitzt. Er muß dann öfters stehen bleiben, um 
hauptsächlich die Waden, die auch beständig davon Zeugniß tragen, 
bis aufs Blut zu kratzen. Für den Kranken ist das Ausbleiben des 
Juckgefühls, vielleicht noch mehr als die anfängliche Schwäche, 
ein Zeichen, daß der Anfall sich einstellt. Andere Begleitsymptome, 
als Schmerzen, Parästhesien, Frost, Fieber u. s. w., fehlen absolut. 

Am ersten Abend kann Patient mit Mühe noch gehen, die 
Stuhlentleerung erfolgt ungenügend. Die vollkommene Lähmung ent¬ 
wickelt sich aber erst Nachts, und als der Kranke nach gewöhnlich 
gut geschlafener Nacht aufwacht, ist er am ganzen Körper mit Aus¬ 
nahme des Kopfes gelähmt. Wenn er aber in dieser ersten Nacht 
aufwacht, so ist es ihm schwer, sich umzudrehen, was der Vater 
besorgen muß, auch empfand er damals ein nicht lästiges Durst- 
gefühl, das er zu löschen fürchtet, um angeblich die Intensität des 
Anfalles nicht zu vergrößern. 

Während des Bestehens der Lähmung ist Patient schläfrig, er 
wird von Zeit zu Zeit geweckt, um flüssige Nahrung oinzunehmen, das 


Bewußtsein aber ist vollständig erhalten, die Sinnesorgane, Sprache, 
Function der Blase sind intact. Er schwitzt während des Anfalles 
nicht viel, wohl etwas mehr als gewöhnlich. Profuser Schweiß soll 
aber gegen das Ende des Anfalles auftreten. Dieser so zu sagen 
kritische Schweiß sammt dem heftigen Juckgefühle, das sich wieder 
einstellt, kündigen das Ende des Anfalles an. Der Schweiß dauert 
etwa x j K Stunde, das Juckgefühl gegen 1 Stunde, und ist so heftig, 
daß der Vater gezwungen ist, die Beine zu kratzen, da es dem Sohne 
gewöhnlich noch nicht möglich ist, dies zu thun. Zuerst kehrt die 
Beweglichkeit iu den Fingern und Armen wieder, dann erst im Rumpfe 
und Beinen. Im Laufe von einigen Stunden stellt sieh die Beweg¬ 
lichkeit wieder ein. 

Während des Anfalles macht sich noch eine hartnäckige Stuhl¬ 
verstopfung bemerkbar, oft ist mit Abführmitteln nichts zu erzielen, 
in jedem Falle muß eine viel größere Dosis des Mittels als gewöhn¬ 
lich gereicht werden. Dies ist wahrscheinlich die Ursache, warum 
sowohl der Kranke selbst, als auch die Eltern und die ganze 
Familie den Grund der Krankheit in einer Störung der Function des 
Magens-Darmtractus sehen. Seit längerer Zeit genießt der Kranke 
Abends nur reinen Thee, da das Essen schädlich sein soll; auch 
während der ganzen Dauer des Anfalles trinkt er nur Thee, obwohl 
er sich guten Appetits und Schluck Vermögens erfreut. Im vorigen 
Jahre, erzählt die Mutter, als nach 24stündiger Dauer des An¬ 
falles schon Besserung in den Händen eintrat, kehrte der Anfall in 
noch höherem Grade wieder, und ergriff die Lähmung auch den 
Kopf, vermeintlich in Folge von Genuß von Grütze mit Milch. Auch 
ist der Kranke in der Wahl der Speisen capriciös, aber weder er 
selbst, noch die Eltern wissen namentlich anzugeben, welche Nah¬ 
rung schädlich wirkt. Entsprechend der Auffassung der Krankheit, 
als vom Magendarmtractus entstanden , wird sofort nach Verspüren 
der ersten Anzeichen des Anfalles ein gehöriges Abführmittel ver¬ 
abreicht, doch muß bemerkt werden, daß eigentliche Symptome von 
Magendarmstörung nie beobachtet wurden. 

Bald sollte ich mich von der Richtigkeit der obigen Angaben 
überzeugen. Schon am Tage der Ankunft des Patienten, 'am 
17. April 1890, stellte sich ein Anfall (1) ein. Er verspürte nämlich 
Abends, als er auf die Straße ging, Schwäche in den Beinen, auch 
in den Armen, stürzte 2mal hin (boi vollständigem Bewußtsein), 
konnte aber mit eigener Hilfe in die nächste Apotheke eintreten, 
um Pulvis liquiritiae einzunehmen. Als er nach Hause kam, konnte 
or sich selbst nicht entkleiden und mußte sich zu Bette legen. 
Keine Schmerzen, keine Parästhesien, sogar kein Ermüdungsgefühl. 
Er schlief bald ein, und als er nach einigen Stunden in der Nacht 
vom 17. auf den 18. erwachte, konnte er weder mit den Gliedern, 
noch mit dem Rumpfe irgend welche Bewegung machen. 

Ich sah den Kranken zum ersten Mal am 18. April 1890, 
gegen 12 Uhr Mittags in der Rückenlage, die er selbstständig ab¬ 
solut nicht ändern konnte. Als man ihn setzte und nicht unterstützte, 
fiel er auf die Kissen wie ein Stück Lehm. Alle 4 Extremitäten waren 
gelähmt, nur äußerst schwache Fuß- und Handfingerbewegungen 
waren möglich. Die stärkste Willensanstrengung vermochte nur eine 
schwache und momentane Zusammenziehung einiger Muskeln, wie 
des Quadriceps, Gastrocnemius, hervorzubringen , die aber nicht im 
Stande war, eine Bewegung zu erzeugen, und bald vermochte auch 
der stärkste Willcnsimpuls nicht, eine solche kaum wahrnehmbare 
Zuckung zum Vorschein zu bringen. Die Lähmung war eine schlaffe, 
und begegneten die passiven Bewegungen gar keinem Widerstande. 
Die Kuiereflexe siud schwach, die Plantarrcflexe fehlen absolut, 
Cremaster- und Abdominalreflexe sind vorhanden. Die Sensibilität ist 
in allen Arten vollkommen erhalten. Das Drücken der schlaffen 
Muskeln und Nerven ruft gar keinen Schmerz hervor. Die Function 
der Blase ist intact, die Harnmenge während des Anfalles keines¬ 
wegs vermindert. Die Wirbelsäule ist auf Druck nicht schmerzhaft, 
nirgends am Thorax, oder irgendwo siud schmerzhafte Punkte oder 
etwas den Points hysterogenes Aehnliches zu finden. Kopfbewegungen 
sind nach hinten und den Seiten gut ausführbar, nach vorn man¬ 
gelnd. Dagegen sind die Gesichtsmuskeln, die Zunge, Augäpfel und 
alle Sinnesorgane absolut intact. Die Pupillen reagiren vollkommen 
gut, das Schluckvermögen ist erhalten. Die Athmung frei, aber das 
Entfernen des sich sammelnden Speichels und Schleimes erschwert 


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(Schwäche der Exspirationsmuskelii). Sprache, Bewußtsein absolut 
ohne Störung. 

Pat. ist ein Knabe von gracilem, aber ganz normalem Bau, mit 
dürftigem Fettpolster, aber gut entwickelter Mueculatur und Knochen, 
ziemlich blaß, fieberfrei, in dessen inneren Organen gar keine Ver¬ 
änderungen zu finden sind. 8peciell ist keine Milzschwelluog vor¬ 
handen. Zunge rein. 8tuhlverstopfung, die gewöhnlieh den Anfall 
begleitet. 

Am Abende desselben Tages war derselbe Zustand unverändert. 
Die Untersuchung mit dem faradischen Strom*) ergab ein erstaun¬ 
liches Resultat, nämlich eine ganz enorme Verminderung der Er¬ 
regbarkeit der großen Nerven Stämme an den Oberextremitäten, ab¬ 
solutes Erlöschen derselben an den Unterextremitäten. Die Muskeln 
rcagirten überhaupt nicht, weder in den Unter-, noch in den Ober¬ 
extremitäten, auf die stärksten 8tröme. 

Am nächsten Tage, 19. April 1890, 8 Uhr Abends, P. 66. 
Die Lähmung dauert fort, der Kranke versichert aber, daß der An 
fall die nächste Nacht endigen wird. In den Oberextremitäten sind 
Finger- und Ellbogenbewegungen zurflckgekehrt, die aber noch sehr 
schwach sind. Die Kniereflexe sind heute nicht hervorzubringen. 
Die mechanische Muskelerregbarkeit ist erloschen. Auch jetzt rea- 
giren die Nerven und Muskeln der Unterextremitäten auf sehr starke 
faradische Ströme nicht, allein bei Reiznng der Nu. peronei kommt 
eine schwache Zuckung im entsprechenden Muskelgebiete zu 8taude. 
Mit den zur Zeit zu Gebote stehenden galvanischen Strömen war 
kein Effeet zu erzielen. In den Oberextremitäten ist die elektrische 
Erregbarkeit besser, doch mußte man stärkere Ströme als gewöhnlieh, 
aber schwächere als gestern anwenden, um einen schwachen Effect 
bei Reizung der Nervenstämme zu bekommen. Bei directer Reizung 
mit sehr starken faradischen Strömen gelingt es nur in einigen 
Muskeln, wie Biceps, Extensor digitorum communis, Mm. thenaris, 
eine sehwaehe Zuckung zu bekommen. Die mittleren galvanischen 
Ströme reizen den N. medianus und ulnaris schwach, sind aber nicht 
im Stande, die Muskeln zur Contraction zu bringen, mit Ausnahme 
eine* sehr schwachen KaSZ im Bieeps brachij. Dagegen ist die 
Reaction im Bereiche des N. facialis völlig normal. 

Seit Anfang des Anfalles hat Patient außer Thee nichts ge¬ 
nossen. Es ist weder Appetitmangel, noch Behinderung des Schluckens 
daran Sehuld, sondern die Furcht, den Anfall zu verlängern, wie 
schon mitgetheilt wurde. Der Urin dieses Abends hatte 1017 sp. G., 
war von saurer Reaction, eiweiß- und zuckerfrei. 

Am nächsten Tage, 20. April 1890, 11 Uhr Morgens, fand 
ich den Kranken schon auf den Beinen. Von 2 Uhr Nachts fing 
er an reichlich zu schwitzen, was bis 5 Uhr dauerte. Dann stellte 
sich die Beeserang, wie gewöhnlich, zuerst in den Armen ein, nach einer 
Stande kehrten die Bewegungen langsam auch in den Beinen zu¬ 
rück. Obgleich die Besserung im Laufe von einigen Stunden so 
raseh eintrat, daß der Kranke schon um 8 Uhr Morgens aufstehen 
und frei gehen konnte, so war doch eine gewisse Abweichung beim 
Stellen des Fußes bemerkbar, dessen vorderes Ende nach unten 
sank (Demarche des steppeurs). Die vollkommene Herstellung ge¬ 
schieht erst nach 12—24 Stunden, doch ist schon jetzt die grobe 
Kraft bedeutend, die Kniereflexe kehrten in mittlerer Stärke wieder, 
die Plantarreflexe sind prompt, der Achillessehnenreflex lebhaft, der 
Abdominalreflex lebhafter als während des Anfalles. Der Anfall 
dauerte somit über 48 Stunden. 

Um 57a Uhr Nachmittags kam der Kranke ohne alle Mühe 
zu mir. Beim Gehen ist noch ein gewisser Grad von Stampfen be¬ 
merkbar (Parese der Muskeln der vorderen und äußeren Fläche des 
Unterschenkels). Die elektrische Reaction aller Nerven und Muskeln 
erwies sich prompt und energisch für beide Ströme. 

Die genaue Untersuchung des ganzen Körpers ergab auch 
jetzt ein negatives Resultat. Pat. ist ein schlanker Knabe von 161 Cm. 
Höhe, 52’5 Kilo Gewicht, Druckkraft der rechten Hand 40 Kilo, 
der linken 35 Kilo, von gesundem Aussehen, nur ziemlich blaß. 
Die Haut, besonders der Unterschenkel, trägt vielfache Zeichen von 

*) Da ob sich um einen Kranken in 4er Privatpraxie handelte, konnte 
die elektrische Untersuchung während des Anfalles nur mit transportablen 
Apparaten von Hihschmamn ausgeführt werden. 


starkem Kratzen, zu dem er in Folge von heftigem Juckgefühl 
veranlaßt wird. In den anfallsfreien Tagen fühlt er sich vollkommen 
gesund, die inneren Organe weisen absolut keine Abnormitäten auf, 
der Puls zählt zwischen 70 und 80 Schläge. Milzansehwelluog ist 
nicht vorhanden, auch hat er nie an Weehselfieber gelitten, nie 
gefröstelt, weder während des Anfalles, noch in den Intervallen. Die 
im Laufe der Beobachtung mehrmals vorgenommene Blutunterauchung 
hat sowohl in gesunden Tagen, als während des Anfalles nie Malaria¬ 
plasmodien ergeben, auch die vielfachen Temperaturmessungen nie 
einen fieberhaften Zustand. Zahl der rothen Blutkörperchen, die sich 
ganz regelmäßig in Rollen legen, beträgt 3,600.000, der weißen 
20.000 in einem []Mm. Das Colorationsvermögen nach Fleischl’s 
Hämoglobinometer beträgt zwischen 90 und 100. Die Urinuntersuchung 
hat nie anomale Bestandteile gezeigt, der Procentgehalt der nor¬ 
malen Harnbestandtheile keine bemerke ns werthen Abweichungen. 

Da der Kranke und seine Umgebung auf den Darmtractus 
mit solchem Nachdruck hinwieeen, wurde auch die mikroskopische 
Untersuchung der Fäces vorgenommen. Man fand außer gewöhn¬ 
lichen Mikrococcen und Bacterien die Eier des unschuldigen Tricho- 
cephalus dispar und viele Colonien von Amylobacterium (Praämowski). 
Es soll erwähnt werden, daß während der gesunden Zeit die Stuhl¬ 
entleerungen ganz regelmäßig erfolgen. 

21. April 1890. Heute ist Riedel gesund und lustig, die un¬ 
bedeutende allgemeine Schwäche schreibt er mit Reeht dem zwei¬ 
tägigen Fasten zu. Alle Reflexe sind normal. Es konnte eine ge¬ 
nauere elektrische Untersuchung in der Klinik von Prof. Lambl 
vorgenommen werden (absolutes Galvanometer von Hirschmann). 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 


Carl Koch (Nürnberg): Zur Wundbehandlung in der 
Privatpraxis, nebst Bemerkungen über das 
trookene Operiren. 

Das Studium des LiSTER’schen Verfahrens hat eine Reihe von 
Verbesserungen und Modificationen in der Methodik der modernen 
Wundbehandlung herbeigeführt; viele der vorgeschlagenen und auch 
gangbaren Maßnahmen erscheinen jedoch wegen ihrer Complicirtbeit 
und wegen des großen Aufwandes an mobilen Kräften für die Be¬ 
dürfnisse des alleinstehenden Praktikers werthlos und gehen für die 
Anwendung außerhalb der Kliniken und Spitäler verloren. Koch 
findet, daß trotz des subtilen Ausbaues des antiseptisehen Verfahrens, 
der praktische Arzt mit demselben noch nicht hinlänglich vertraut 
sei, wozu nicht zum geringsten Theile die große Zahl der Vorschläge, 
sowie der Mangel einer fertigen Methode beiträgt. Er bespricht 
im 21. Heft der „Berliner Klinik“, 1890, die Wundbehandlung 
vom Standpunkte des praktischen Bedürfnisses, vorzüglich im Hin¬ 
blick auf das trockene Operiren, eine Methode, deren er sich in 
Uebereinstimmung mit Länderer bereits seit 6 Jahren mit Vortheil 
bedient. 

Das wichtigste nnd erste Postulat der modernen Wundbehand¬ 
lung bildet die primäre Desinfection. Die antiseptischen Maßnahmen 
zielen in erster Linie auf die Desinfection der Instrumente und des 
V erbandmaterials. 

Die Anschauung, daß das Einlegen der Instrumente in 5°/ 0 
Carbollösung zur Desinfection derselben genüge, findet Verf. voll¬ 
kommen unrichtig. Er schlägt diesbezüglich folgendes Verfahren 
vor: Die Instrumente werden nach dem Gebrauche sorgfältig ge¬ 
reinigt, getrocknet und dann in einen besonders dazu bestimmten 
emaillirten Topf, in dem sieh kochendes Wasser befindet, eingelegt 
und eine Stunde lang darin belassen Das Wasser wird hierauf 
abgegossen und die Instrumente auf einem reinen Handtuche aus 
gebreitet, ohne daß sich dieselben berühren, weil an den Berübrungs- 
stellen sich leicht Rostflecke bilden. 

Das so sterilisirte Instrumentarium wird in einem reinen 
Tuche aufbewabrt. Sehr unzweckmäßig findet Vorf. die Verband¬ 
taschen, wie sie gewöhnlich in der Privatpraxis gebraucht werden, 


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.1890. 


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und empfiehlt die von Bergmann angegebenen. Er sterilisirt auch 
die aus Glas gefertigten Spitzen der Irrigateurs durch Auskochen. 

Von dem Nähmaterial gibt Verf. zwischen Catgut und Seide 
der letzteren den Vorzug. Dieselbe wird auf Glasspulen gewickelt, 
eine Stunde lang ausgekocht und in 5 °/ 0 sterilisirter Carbollösung 
aufbewahrt. 

Statt der Schwämme, die völlig zu verwerfen sind, empfiehlt 
Verf. trockene Gaze zum Auftupfen. Die Hauptanforderungen bei 
Verbandstoffen sind absolute Reinheit und bestmögliche Aufsaugungs¬ 
fähigkeit bei Ungefährlichkeit derselben. 

Das Beste wäre nach der Ansicht des Verf. einfach sterilisirte 
Gaze; dieselbe ist jedoch in der Privatpraxis nur schwer zu be¬ 
schaffen, überdies steht der Anwendung der im Handel erhältlichen 
imprägnirten Nichts im Wege. 

Das Eintauehen der Instrumente in antiseptische Flüssigkeit 
ist vollkommen unnöthig, wenn dieselben früher ausgekocht wurden, 
und nützt nichts, wenn das Auskochen unterlassen wurde. 

Bei der Desinfection der Hände kommt es hauptsächlich darauf 
an, dieselben mechanisch mit Seife und Bürste zu reinigen, ohne 
dabei der desinficirenden Kraft irgend eines Antisepticums viel zu 
vertrauen. „Wer seine Hände wirklich und richtig im chirurgischen 
Sinne zu waschen weiß, der weiß sie auch zu desinficiren.“ 

Bezüglich der Irrigation der Wunden mit antiseptischen 
Flüssigkeiten unterscheidet Verf. Wunden, die wir selbst anlegen 
und die von Haus aus aseptisch sind, von solchen, die bereits 
inficirt sind, oder in einem Terrain angelegt werden, bei welchem 
die Beschmutzung (mit Wundsecret, Koth, Urin) unvermeidlich ist. 

Die ersteren sind aseptisch und machen die Anwendung eines 
Antisepticums überflüssig, das wegen seiner Giftwirkung in vielen 
Fällen nicht gleichgiltig ist. 

Bei den Wunden zweiter Kategorie ist die Irrigation indicirt, 
und der Hauptgrund ihrer günstigen Wirkung liegt in der mecha¬ 
nischen Entfernung und der Verdünnung der schädlichen Stoffe durch 
die Spülflüssigkeiten. Von der parasiticiden Wirkung der Irrigation 
hält Verf. sehr wenig, weil die Spülflüssigkeiten nur selten die in 
den Buchten, Höhlen und sinuösen Gängen der Wunden angehäuften 
Mikroorganismen erreichen wird, noch weniger aber diejenigen, die 
sich bereits in den Geweben eingenistet haben. 

Deshalb wendet Autor fast nur noch ungiftige Antiseptica, 
wie Borsäure, oder gar indifferente Flüssigkeiten (sterilisirte 0 6% 
Kochsalzlösung, ausgekochtes Wasser) an. 

Bei eiterigen Processen genügt es nicht, nach breiter Eröff¬ 
nung und Entfernung alles Krankhaften zur Ableitung der Secrete 
zn drainiren, es ist vielmehr nöthig, die Wundhöhle nach allen 
Richtungen mit Gaze fest auszutamponiren und die Wände stets so 
von einander zu halten, daß nirgends in den Buchten Secrete sich 
anhäufen können. Ueber die austamponirte Wunde kommt dann 
der trockene Occlusivverband, bei welchem jedoch der wasserdichte 
Stoff weggelasseu wird. 

Ganz besonders empfiehlt Verf. das trockene Operiren bei Darm¬ 
operationen, namentlich bei der Exstirpation des Mastdarmcarcinoms, 
weil es ihm viel vortbeilhafter erscheint, die zum Vorschein 
kommenden Kothpartikel unter ßeschützung der Wunde herausrollen 
zu lassen, während dieselben unter der Einwirkung der Spülflüssigkeit 
gelöst und in das Gewebe hineingedrückt werden. 

Das Verbandmaterial muß die Secrete gut aufsaugen, rein 
und ohne giftige Nebenwirkungen sein. Der Verband selbst ist ein 
trockener, antiseptischer; Verf. wechselt den ersten Verband stets 
am 2. Tage nach der Operation; bei Verletzungen werden die ersten 
Verbände ziemlich häufig gewechselt. 

Das vielfach noch übliche Ueberschwemmen der Wunden mit 
Antisepticis sollte aufgegeben werden, da nach den experimentellen 
Studien von Senger, deren Resultate Verf. auf Grund seiner Beob¬ 
achtungen am Krankenbette zu bestätigen in der Lago ist, eine 
wirksame Desinfection innerhalb des lebenden Gewebes höchst frag¬ 
lich ist. G. 


Lehrbuoh der Ohrenheilkunde. Von Prof. Dr. Victor 
Urbant8Chit8Ch in Wien. Dritte, vermehrte Auflage. Mit 
76 Holzschnitten und 8 Tafeln. Wien und Leipzig 1890. 
Urban & Schwarzenberg. 

Die nunmehr vorliegende dritte Auflage des Lehrbuches der 
Ohrenheilkunde von Urbantschitsch wird sicher von den Besitzern 
der früheren Auflagen mit Freuden begrüßt werden und dem Buche 
neue Freunde erwerben. Dasselbe hat, obwohl in immer größerem 
Umfange kleiner Druck verwandt wird, eine Zunahme um 80 Seiten 
erfahren, bringt aber auch mit einer höchst anerkennenswerthen 
Gewissenhaftigkeit alle seit dem Erscheinen der zweiten Auflage zn 
verzeichnenden Fortschritte des Specialfaches. 

Die Art der Darstellung ist durchaus sachgemäß, und es ist 
nicht zu verkennen, daß der Stil, der namentlich in der ersten 
Auflage nicht durchweg gefällig und klar war, sich immer mehr 
glättet. Besonders erfreulich ist es auch, daß der Verf., obwohl 
er sich auch noch strenger Objectivität befleißigt, seine eigenen An¬ 
schauungen mehr als früher in den Vordergrund rückt und aus dem 
reichen Schatze seiner praktischen Erfahrungen interessante Beispiele 
von Erkrankung8fällen mittheilt, ohne indeß durch eine breit¬ 
spurige Casuistik den Fluß der Darstellung gewaltsam zu unter¬ 
brechen. 

Große Mühe hat der Verf. augenscheinlich auf eine möglichst 
übersichtliche Gestaltung des Textes verwandt; dieselbe ist ihm 
trefflich gelungen, und es hätte meines Erachtens kaum der Wieder¬ 
aufnahme der in der zweiten Auflage unterdrückten Marginalien 
bedurft. 

Auch die Abbildungen haben eine Bereicherung erfahren: 
fünf neue Figuren illustriren die anatomischen Beziehungen des 
Nervus acusticus zum Hirn. 

Möchte das Buch dazu beitragen, für die Ohrenheilkunde immer 
mehr Interesse unter den praktischen Aerzten .zu wecken und, wozu 
es besonders geeignet ist, immer gründlichere otologische Kennt¬ 
nisse zu verbreiten. An äußeren Erfolgen wird es ihm, zumal der 
Preis ein niedriger ist, sicher nicht mangeln. f. 

Prof. K. Börkner (Göttingen). 


Die Anaoultation des kindliohen Herzens. Ein Beitrag 
zur physikalischen Diagnostik der Krankheiten des Kindes¬ 
alters. Von Or. Carl Hoch8inger, Abtheilungsvorstand am 
I. öffentlichen Kinderkrankeninstitute in Wien. Wien 1890. 
Moriz Perles. 

Der Verf. bringt in dem vorliegenden Buche die Resultate 
seiner langjährigen Studien über die klinische Untersuchung des 
kindlichen Herzens und liefert damit einen dankenswerten Beitrag 
auf einem bisher nur wenig oder gar nicht gewürdigten Gebiete der 
pädiatrischen klinischen Diagnostik. In den einleitenden Worten 
hebt Hochsinger mit Recht hervor, daß dem Kindesalter gerade in 
Bezug auf die ausoultatorische Herzdiagnostik ganz besondere Eigen¬ 
tümlichkeiten zukommen, die sich nicht unwesentlich von denen der 
Erwachsenen unterscheiden. Diesen Eigentümlichkeiten unter nor¬ 
malen und pathologischen Verhältnissen nachgehend, bespricht Verf. 
zunächst die normale Auscultation des kindliohen Herzens 
(2. Capitel), wobei auf ein bisher noch nicht bekanntes und von 
dem bei Erwachsenen abweichendes Verhalten des Herzrhythmus bei 
Neugeborenen, Säuglingen und Kindern in den ersten 4—5 Lebens¬ 
jahren aufmerksam gemacht wird, nämlich auf die Prävalenz und 
Accentuation des systolischen Herztones gegenüber dem diastolischen 
Tone, und zwar sowohl über den venösen, wie über den arteriellen 
Ostien. Das 3. Capitel handelt von den kindlichen Herzgeräusohen, 
deren Vorkommen sich fast ausschließlich an materielle Verände¬ 
rungen des Klappenapparates knüpft und deren Häufigkeit im kind¬ 
lichen Alter derart überwiegt, daß diastolische Herzgeräusche ge¬ 
radezu zu den größten Seltenheiten in den ersten 4 Lebensjahren 
gehören. 

Zu den wichtigsten Capiteln des Buches gehört das nun 
folgende 4. über die accidenteilen Herzgeräusche. Hoch¬ 
singer kommt hier auf Grund zahlreicher eigener Untersuchungen 
zu dem auffallenden Resultate, daß bei Kindern in den 3 ersten 


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Lebensjahren keine accidentellen Herzgeräusche Vorkommen und 
auoh in den weiteren, an diese Altersperiode sich schließenden 
Lebensjahren noch sehr selten beobachtet werden; erst nach dem 
6. Lebensjahre nähern sich die Auscultationsergebnisse am kind¬ 
lichen Herzen denen der Erwachsenen. Der große diagnostische 
Werth dieser, bisher nur von West und zum Theil von v. Düsch 
hervorgehobenen Thatsache ist von selbst einleuchtend, und Hoch¬ 
singer steht nicht an, zu behaupten, „daß bei Kindern der drei 
ersten Lebensjahre ein systolisches Herzgeräusch mit nahezu posi¬ 
tiver Sicherheit den Bestand einer organischen Herzaffection beweist 
und auch bei Kindern der unmittelbar darauf folgenden Lebens¬ 
periode noch von außerordentlich diagnostischer Bedeutung ist, 
selbst wenn es als einziges, klinisch nachweisbares Symptom be¬ 
steht“. 

Im 5. Capitel beschäftigt sich der Verf. mit der infantilen 
Endocarditis, ihrer Diagnose, der aoustisehen Beschaffenheit der 
endocarditischen Geräusche, den weiteren physikalischen Symptomen, 
dem Verlaufe und den Heilungsmodalitäten der Endocarditis, sowie 
mit der Entwicklung der uncompensirten Klappenfehler der Kinder, 
im 6. Capitel mit den kindlichen Herzgeräuschen bei erworbenen 
Affectionen, namentlich bei Rheumatismus, bei Infectionskrank- 
heiten (insbesondere bei Scharlach), bei Chorea, bei Scharlach- 
nephritis und idiopathischer Nephritis und bei den Erkrankungen 
des Herzmuskels selbst. 

Eine musterhafte Darstellung erfahren die nun folgenden 
Capitel 7—11, die vdn den AuscultationsVerhältnissen bei den an¬ 
geborenen Herzanomalien des Kindes handeln. Zunächst 
wird dieCyanosis congenita (Blausucht) besprochen und dabei 
der Werth des Cyanosesymptoms, das bei erworbenen Herzfehlern 
des ersten Kindesalters in gleich charakteristischer Weise nicht vor¬ 
kommt, bezüglich des Angeborenseins einer Herzaffection gebührend 
hervorgehoben, sodann folgen die Auscultationsverbältnisse bei den 
Septumdefecten des kindlichen Herzens, bei Persistenz des Botalli- 
schen Ganges, bei der angeborenen Verengerung der Pulmonal- 
artorien- und der Aortenbahn. Die Diagnostik der angeborenen 
Herzerkrankungen gehört bekanntlich zu den schwierigsten Capiteln 
der klinischen Medicin. Wir können nicht umhin, dem Verf. für 
die lichtvolle Auseinandersetzung und Zergliederung der hier in 
Betracht kommenden verwickelten Verhältnisse uneingeschränktes 
Lob zu zollen. 

Wir haben es versucht, den wesentlichen Inhalt der Mono¬ 
graphie Hochsinger’s, soweit der enge Rahmen einer literarischen 
Anzeige dies gestattet, zu skizziren. Den vollen wissenschaft¬ 
lichen Werth der Arbeit vermag aber nur Derjenige zu würdigen, 
der sich der Mühe unterzieht, den Verf. bei seinen anregenden, 
überall klaren und lehrreichen Auseinandersetzungen zu begleiten. 
Der Verf. hat mit großer Sachkenntniß ein Forschungsgebiet der 
Pädiatrie betreten, auf dem bisher nur wenige Vorgänger thätig 
waren, er ist sogar im gewissen Sinne zum Pfadfinder auf 
demselben geworden. Seine Arbeit bildet denn auch eine werthvolle 
Bereicherung unserer Fachliteratur und sei hiemit allen Denen bestens 
empfohlen, die auf dem Gebiete der kindlichen Herzkrankheiten 
wissenschaftliche Orientirung und belehrende Aufklärung finden wollen. 

Docent Dr. L. Unger. 


Zeitungsschau. 

Gynäkologie nnd Geburtshilfe. 

Ref.: Prof. Ludwig Klein Wächter. 

(Schloß.) 

In der neuesten Zeit wurde der Entstehung von Psy¬ 
chosen im Gefolge von Operationen am weiblichen 
Genitale Aufmerksamkeit geschenkt. Werth beobachtete unter 
228 großen gynäkologischen Operationen (Uterusexstirpationen, 
Ovariotoraien und Castrationen) 6 Male nachträgliches Auftreten 
einer Psychose, die sich 5 Male als Melancholie und 1 Mal als 
active Melancholie äußerte. Er ist geneigt, die Psychose in zwei 


Fällen auf psychologische Gründe zurückzuführen. Jodoformintoxication 
war auszuschließen, ebenso eine Psychose, bedingt durch sexuelle 
Verstümmelung. Sänger meint, die Psychose sei meist eine latente, 
die nur durch den Reiz der Operation zum Ausbruch komme. Eine 
umfangreiche Arbeit, welche das Verhältniß zwischen der 
puerperalen Geisteskrankh eit und der puerperalen 
Infection behandelt, publicirte Hansen. Er meint, daß thatsächlich 
ein derartiges Verhältniß besteht, und zwar daß puerperalkranke 
Weiber eher psychisch erkranken, als nicht infieirte. Auch bezüglich 
der Eklampsie gelte dies, doch in geringerem Grade. 

Eine sehr interessante Publication Uber das Verhalten 
des sexuellen Triebes bei Individuen, denen nach 
bereits erreichter sexueller Reife die Sexualorgane 
operativ entfernt wurden, ist jene von Lawson Tait. Indi¬ 
viduen, gleichgiltig welchen Geschlechtes, denen in der Jugend, vor 
erreichter Pubertät, die Fortpflanzungsorgane entnommen wurden, 
werden zu Castraten nach jeder Richtung hin. Sexuelle Erregung 
tritt bei ihnen nie ein. Werden dagegen bereits mannbare Indi¬ 
viduen ihrer Fortpflanzungsorgane beraubt, so gleichen sie nicht 
den Castraten. Es kann bei ihnen sexuelle Erregung auftreten. 
Lawson Tait beobachtete einen Fall, der einen Mann betraf, 
welchem im 19. Lebensjahre der eine Testikel eines scrophulösen 
Leidens wegen entfernt wurde. Späterhin heiratete derselbe und 
zeugte 5 Kinder. Im 49. Lebensjahre mußte ihm der zweite 
Testikel eines Caroinoms wegen entfernt werden. Trotzdem wird 
der Mann sexuell erregt und übt den Coitus mit Befriedigung aus. 
Dies veranlaßte Lawson Tait , unter den Frauen, bei denen er 
früher die Ovarien operativ entfernt hatte, nachzuforschen, ob sich 
bei dem weiblichen Geschlechte ein analoges Verhalten zeige oder 
nicht. Er fand 7 Frauen, bei denen nach bereits erreichter Pubertät 
die Ovarien entfernt wurden, und die ebenso sexuell erregbar sind, 
wie normale Weiber. Der sexuelle Trieb erlischt nicht einmal, wenn 
neben den Ovarien auch der Uterus mit seinen Anhängen entfernt 
wurde, wie dies 3 von ihm operirte Fälle erweisen, wo er wegen 
Myomen sämmtliche innere Genitalorgane entfernt hatte. 

Ueber die Wechselbeziehungen zwischen den 
Krankheiten des weiblichen Körpers und den Ge¬ 
schlechtsfunctionen wurde 1888, abgesehen von P. Müllbr’s 
lesenswerthem Werke, nicht viel veröffentlicht. Treffend schildert 
Sinclair den Verlauf der Gonorrhoe beim Weibe, die im acuten 
Stadium in der Urethra und den BARTHOLiN’schen Drüsen festen 
Fuß faßt, die Vagina frei läßt, aber die Cervix ergreift, wohl häufig 
die Tuben befällt, aber sehr selten eine allgemeine gonorrhoische 
Peritonitis erzeugt. Sehr oft aber ist der Verlauf der Krankheit 
ein schleichender. Die früher gesunde Frau beginnt zu kränkeln. Sie 
bekommt einen Fluor, die Menstruation wird unregelmäßig, schmerzhaft, 
profus, nach einem Abortus oder einem normalen Puerperium stellen 
sich EntzÜDdungserscheinungen ein, die nicht mehr schwinden, und 
schließlich wird die Frau steril. Man findet die Urethra kaum afficirt, 
wohl aber die Mündungen der BARTHOLiN’schen Drüsen. Der 
Uterus ist vergrößert, empfindlich, zeigt einen reichlichen, oft nicht 
veränderten Ausfluß, seine Mucosa ist geschwellt, geröthet. Die 
Elasticität der Wände des Vaginalgewebes ist vermindert, die Ovarien 
sind vergrößert, empfindlich, oft verlagert, das Ligamentum latum 
verdickt u. s. w. Das Ende des Krankheitsverlaufes besteht in 
Verklebuogen der abdominalen Enden der Tuben — Hydro- oder 
Pyosalpinx —, in einer Oo-, Perioophoritis, Perimetritis u. s. w. 
Nicht anders schildert Neümann den Verlauf des Processes. Nach 
Gerheim sind alle Complicationen der Gonorrhoe — die Ent¬ 
zündungen der Schwellkörper, die periurethralen Abscesse, Tripper¬ 
bubonen, Peri- und Parametritiden, Tubenerkrankungen u. dgl. m. 
— bedingt durch eine Mischinfection, die gleichzeitige Gegenwart 
des Gonococcus und eines zweiten pathogenen Mikroorganismus. 

Nebel sah eiuen Fall, in dem eine im 6. Schwanger- 
schaftsmonate befindliche Frau diabetisch erkrankte. 
Wegen colossaler Ausdehnung des Unterleibes wurde die Frühgeburt 
eingeleitet. Das Puerperium verlief normal. 7 Monate später ergab 
die Untersuchung, bei fehlender Menstruation, eine Atrophie des 
Uterus, sowie der Ovarien. Diese Atrophie entspricht der Impotenz 
des Diabetikers. 

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Nr. 36 


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Einen Fall von Parotitis nach normaler Geburt 
ohne gleichzeitige puerperale Erkrankung theilt Ackeb 
mit. Der Fall ging ohne weitere Störung in Genesung aus. 

Ueber Hautaffectionen als Begleiterscheinungen 
der Menstruation und des Climax schrieben 1888 Börner 
und Rohe. Der Erstgenannte namentlich bespricht dieses Thema 
in erschöpfender Weise. 

Roller beobachtete, daß eine längere Anwendung von 
Opium und Morphium (namentlich subcutan applicirt) die 
Menstruation unterdrücke. Er empfiehlt daher dieses Mittel 
bei profuser Menstruation. 

Sehr wichtig ist die Publication Mathews Duncan’s über 
den Einfluß des Alkoholismus auf die sexuellen Func¬ 
tionen des W'eibes, da über dieses Capitel nur Weniges be¬ 
kannt ist. Die Trunksucht setzt bei dem Weibe die Fortpflanzungs¬ 
fähigkeit herab. Der Einfluß auf die Zeugung blödsinniger Kinder 
ist größer, wenn der Vater der Trunksucht verfallen ist, als wenn 
die Mutter eine Trinkerin ist. Häufig treten Menorrhagien auf. Sie 
sind Folgen von Stauungen in der Vena portae, aber wahrscheinlich 
auc\* mit bedingt durch eine Endometritis. Dabei sind die Ovarien 
chronisch entzündet, geschwellt, empfindlich. Häufig cessirt die 
Ovulation. Wahrscheinlich ist der Schluß der Veränderungen eine 
Cirrhose der Ovarien. Die Ovulation braucht aber nicht zu cessiren, 
da Trinkerinnetv auch — wenn auch seltener — gravid werden. 


Feuilleton. 

XXV. Wanderversammhmg der ungarischen 
Aerzte und Naturforscher in Grosswardein. 

(16.—20. Aognst 1890.) 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

H. 

Dr. Donath (Budapest) sprach über traumatische Neu¬ 
rosen, die in Folge von Eisenbahnzusammenstößen als schwere 
Erkrankungen des Nervensystems auftreten und bei der gegen¬ 
wärtigen Entwicklungshöhe des Eisenbahnverkehrs, durch die Zu¬ 
nahme von Eisenbahnunglücksfällen, öfters beobachtet werden 
können. D. weist auf die diagnostischen Schwierigkeiten hin, 
die in dem Mangel gröberer Veränderungen liegen und ist man 
nach dem ersten Eindruck sehr geneigt, eine Simulation anzunehiüen, 
zumal wenn es sich um Anspruch auf Schadenersatz handelt. 
Diagnostisch wichtig ist die melancholisch-hypochondrische 
Verstimmung des Patienten, die mit Kopf- und Rückgratschmerzen 
einhergeht, ferner die allgemeine Muskelschwäche, besonders der 
Extremitäten. Bei Besprechung zweier einschlägiger Fälle zieht D. 
eine Parallele zwischen der traumatischen Neurose und der Hysterie 
und Neurasthenie und empfiehlt schließlich vom therapeuti¬ 
schen Standpunkte aus die körperliche und geistige Ruhe, Galvani¬ 
sation des Kopfes und Rückgrates, Brompräparate und pro- 
longirte lauwarme Bäder. 

An den Vortrag knüpfte sich eine interessante Discussion, an 
der sich die DDr. Glück (Budapest) und Baruch (Nyiregybdza) 
und Prof. Lechner (Klausenburg) betheiligten. Letzterer ist der 
Ansicht, daß es sich um einen gewaltigen Gemüthseindruck 
handelt, der diese Krankheit hervorruft. 

Prof. Taüffer ^Budapest) hielt einen Vortrag über die thera¬ 
peutischen lndicationen bei Uterusfibromen auf Grund 
von 435 Fällen. 

In einem Vortrage über manche Temperaturverhält¬ 
nisse des Typhus abdominalis mit Bezug auf die 
Mischinfection kommt Prof. Purjesz (Klausenburg) zu dem 
Resultate, daß eine Mischform von Malaria und Typhus nicht 
existirt. 

Privatdocent SziH (Budapest) trug einzelne Abschnitte seiner 
Studie über die Morphographie der Papille vor, indem er 
die verschiedenen Gestaltungen des mit dem Augenspiegel sichtbaren 


Hört das Weib zu trinken auf, so kann vollständige Restitutio ad 
integrum stattfinden. Trinkerinnen neigen zu Aborten und Früh¬ 
geburten, sowie zu Blutungen post partum. Nach Operationen am 
Uterus treten häufig Delirien auf. Im normalen Puerperium stellen 
sich häufig psychische Alterationen — Delirien niederen Grades — 
ein, die in der Regel nicht erkannt oder übersehen werden. Die 
Kinder sind schwach, sterben bald ab und incliniren zu Hydro- 
cephalus, Scrophulose, Rhachitis u. dgl. m. 

Ueber die Anwendung des Antipyrins liegen folgende 
Mittheilungen vor: Sielski reicht bei schmerzhaften Wehen l'O, 
wenn nöthig wiederholt er die Dosis. Die Wirkung soll eine prompte 
sein. Grandin gibt das Antipyrin in Verbindung mit Chloralbydrat. 
Bei Myomen, wo durch Darreichung von Ergotin starke Schmerzen 
erzeugt werden, läßt Chouppe 2*0 Antipyrin im Klysma geben, 
worauf die Schmerzen sofort cessiren. Cheron wieder lobt die Dar¬ 
reichung des Antipyrins bei Dysmenorrhoe. 

Chambers empfiehlt dagegen bei der Dysmenorrhoe das 
Cerium oxalicum. 

Gegen das hartnäckige Erbrechen, wie es häufig bei Ovarial- 
irritationen vorkommt, gibt LA Moure Paraldehyd. 

Blumen8ANDT empfiehlt die S a p o n a r i a als ungefährliches 
und sicher wirkendes Emmenagogum. Am besten wird nach ihm das 
Mittel in der Form eines Syrupes gereicht. 


Papillentheiles erörtert, die trotz der günstigen Verhältnisse, welche 
das Studium derselben ermöglichen, keiner besonderen Aufmerksam¬ 
keit gewürdigt würdon. An der Hand mehrerer Aquarelle und 
Pastellbilder demonstrirt Szili einige Formverschiedenheiten des 
Sehnervenkopfes, welche er bei solchen pathologischen Zuständen 
vorfand, die zu einer Achsenverlängerung des Auges führten. 

Mit lebhaftem Interesse wurden die beiden Vorträge über das 
Trachom von Privatdocenten Ottava und Dr. Emil Grösz an¬ 
gehört. Letzterer schilderte unter Anderem die gegenwärtige Ver¬ 
breitung des Trachoms und zugleich die Methoden der Daten¬ 
sammlung. Die erste und vollkommenste Art ist die Untersuchung 
jedes einzelnen Bewohners eineB gewissen Gebietes, die zweite be¬ 
steht darin, die Recrutirungslisten zu verfolgen, die werthvollste ist 
die dritte Methode, nämlich den Krankenverkehr der Augenheil¬ 
anstalten zu betrachten, die modernste endlich der Anmeldungs¬ 
zwang. Die Recrutirten zeigen, daß die Krankheit mit der Civilisation 
abnimmt; die Epidemie ist am meisten in Rußland, in der Türkei 
und in Rumänien verbreitet, seltener kommt das Trachom in der 
Schweiz und in Frankreich, häufiger in Deutschland, Oesterreich und 
Ungarn vor. Den Vorträgen folgte eine lebhafte Discussion, in welcher 
besonders das prophylactische Einschreiten von Seiten der Behörden 
betreffs Hintanhaltung der Verbreitung des Trachoms zur Sprache 
kam ; schließlich wurde eine Trachoma-Commission ein¬ 
gesetzt, welche ihre concreten Vorschläge dem Centralausschuß 
machte, und dieser wird jetzt die Angelegenheit in sein Arbeitspro¬ 
gramm aufnehmen. 

Prof. Böke’8 Vortrag, gelegentlich der Eröffnung der chirur¬ 
gischen Sectionssitzung, Uber den Zusammenhang der Ohren¬ 
heilkunde mitden anderen Zweigen der medicinischen 
Wissenschaft, war eine Erörterung der dringenden Noth- 
wendigkeit otiatrischen Wissens zur Feststellung einer genauen 
Diagnose bei Krankheiten des Nervensystems, des Gehirns, bei 
metastatischen Processen, bei Typhus, Scharlach, Diphtheritis etc., 
ebenso im Wirkungskreise forensischer und militärärztlicher Thätig- 
keit. Auch die Unumgänglichkeit allgemeinen medicinischen Wissens 
bei Behandlung der. Erkrankungen des Gehörorganes wird 
beleuchtet, und da die Ohrenheilkunde mit der Gesammtwissensohaft 
der Medicin in engem Zusammenhänge steht, glaubt B., daß der 
systematische und obligatorische Unterricht derselben dringend ge¬ 
boten erscheine. 

Dr. Trmesväry (Budapest) las über die locale Anwen¬ 
dung der Massage undElektrioität in der gynäkologischen 
Praxis. Während die Massage namentlich bei veralteten Ent¬ 
zündungen der Gebärmutter und der Umgebung, sowie bei Verlage¬ 
rungen der Geschlechtsorgane von Nutzen ist, wird die Elektricität 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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hauptsächlich bei Menstruationsstörungen uud Schmerzen nervösen 
Ursprunges in der Genitalsphäre angewendet. 

Dr. Pecsi (Tiirkeve) hält einen Vortrag über die Vaceina- 
tion, in welchem er zuvörderst seine Versuche mittheilt, welche er an 
Thieren mit verschiedenen Stoffen anstellte, und schließlich auf das 
Impfgesetz zu sprechen kommt, dessen Mängel er aufzählt, so 
daß das Impfen von Arm zu Arm aufrecht bleibt, daß man den 
Impfarzt schlecht honorirt, daß endlich das Gesetz selbst nicht 
strenge eingehalten wird, es somit trotz des Gesetzes häufig Blattern 
epidemien gibt. 

Dr. Abänyi (Budapest) sprach über die Prophylaxis der 
Tuberculose, indem er die Opfer anfzählte, welche diese Krank¬ 
heit alljährlich auB Ungarn fordert. 

Privatdooent Eröss (Budapest) referirt über vergleichende 
Studien über den Werth der lauwarmen Bäder und 
der innerlich verabreichten Antipyretica bei Kin¬ 
dern. Eis handelte sich um Bäder von 28° R., und die Antipyretica 
waren Chinin und Antipyrin. 

Pri vatdocent Onodi (Budapest) spricht über Reflexneurosen 
der Nase, indem er auf den Zusammenhang hin weist, in welchem 
Nasenkrankheiten zu nervösen Leiden stehen. Schon in Folge eines 
Reizes der Nerven der Nase nach leimhaut können Athembesohwerden, 
asthmatische Anfälle, Migräne, nervöser Husten — Nasenhusten 
— ausgelöst werden. 0. macht auf die verschiedenen Formen des 
nervösen Schnupfens aufmerksam, welchen oft schon Gemüths- 
aufregungen, Temperaturdifferenzen, Blumenduft, riechende Sub¬ 
stanzen, Ausdünstungen der Thiere, die Luft im Theater, in ver¬ 
schiedenen Sälen etc. erzeugen können, und sonderbarer Weise sind 
zumeist intelligente Leute von solchen Uebeln behaftet. 

Privatdocent Bökai (Budapest) sprach über das überaus 
kurze Incubationsstadium des Scharlachs. Es handelte 
sich in 2 Fällen um Kinder, die wegen Diphtherie tracheotomirt 
wurden; ein Mal dauerte die Inoubationszeit 16, das andere Mal 
24 Stunden. Durch diese Fälle sah Übrigens Bökai auch noch be¬ 
kräftigt, daß operirte .Individuen zur Scharlach-Infection sehr leicht 
incliniren. 

Dr. Richtmann (Gr.-Kikinda) las über das Aristol und 
empfahl dasselbe als ausgezeichnetes Antisepticum. — Szenes (Buda¬ 
pest) bemerkte zu diesem Vortrage, daß er bei Otorrhoen mit dem 
Aristol Versuche anstellte, indem es zu Insufflationen verwendet 
wurde, doch bewährte sich das Mittel im Gros der Fälle gar nicht. 
Glaser (Budapest) hat in einigen Fällen von Ozaena ganz gute 
Erfolge vom Aristol gesehen. 

Dr. Issekutz (Arad) hält einen Vortrag über Staaropera- 
tionen, wie er sie als Assistent der ophtbalmologischen Klinik 
Schulek’8 kennen lernte. Es wurde nach Graefe operirt, und die 
statistischen Ergebnisse berechtigten dazu, von dieser Methode keinen 
Abstand nehmen zu müssen. 

Prof. Dr. A. Genkrsich (Klausenburg) macht praktische 
Bemerkungen zur gerichtlichen und polizeilichen 
Leiohenuntersuchung, indem er darauf hinweist, daß die 
den Gerichten so sehr fühlbaren Uebelstände in der geriohtsärzt- 
lichen Zeugenschaft wohl nur zum geringsten Theil von der Thätig- 
keit der Superarbitrirungs-Commission abhängen, vielmehr von der 
Mangelhaftigkeit in der Durchführung der erstrich¬ 
terlichen ärztlichen Untersuchung. 

Es ist unumgänglich nothwendig, daß diese besser und ge¬ 
nauer ausgeführt werde, und da wäre vorzüglich dadurch abzu¬ 
helfen, daß der Untersuchungsrichter auf Vorschlag des angestellten 
Geriohtsarztes von Fall zu Fall den betreffenden Specialisten als 
zweiten Sachverständigen zur Untersuchung entbieten würde. 

Unzweifelhaft ist das unzulängliche Ergebniß der ersten Unter¬ 
suchung oft eine Folge des Umstandes, daß der erste Sachverstän¬ 
dige bei der gewöhnlich in Eile durohgeführten Untersuchung dies 
und jenes übersieht und ungenügend beschreibt. Aus diesem Grunde 
hält Genersich es für zweckmäßig, daß die gerichtsärztlichen 
und polizeilichen Untersuchungen nach ausführ¬ 
lichen Fragebogen geschehen, und demonstrirt zugleich 
einen solchen Fragebogen für Leichenuntersuchungen. Derselbe ist 
möglichst vollständig, auch sind darin einige Zeichnungen, eine zur 
Hälfte skelettirte Frauen- und Mannesgestalt, die Gehirnoberflächen, 


eine mit den Sebädelcontouren aufgenommen, und zwar zu dem 
Zwecke, damit bei der Section angetroffene Veränderungen zugleich 
graphisch fixirt werden können. Das Deckblatt des Fragebogens 
ist dazu verwendet, die bei anatomischen Beschreibungen ge¬ 
bräuchlichen und nach Genersich’s Meinung unentbehrlichen Ver¬ 
gleichungen von Körpergrößen, Flächen ausdehn ungen , Längen zu re- 
capitulirten, respective zu fixiren. Die Zeichnungen sind theils aus 
anatomischen Werken, theils aus den EsMARCH’schen Tafeln genom¬ 
men, theils Originale, mit Präcision durchgeführt. 

Genersich hofft, daß diese Fragebogen nicht nur die Unter¬ 
suchung erleichtern, sondern präciser und vollständiger machen wer¬ 
den und mit der Zeit auch bei anderen Untersuchungen in Anwen¬ 
dung kommen werden. 

In zweiter Reiho macht Genersich auf einen wichtigen Uebel- 
stand aufmerksam, der in der Reihenfolge gerichtsärzt¬ 
licher Untersuchungen nicht selten vorkommt. Eb geschieht 
ziemlich oft, daß bei der Inquirirung eines Falles vorerst die Sec¬ 
tion einer Leiche vorgenommen wird, und unmittelbar darauf von 
denselbem Sachverständigen Lebende: Wöchnerinnen, Verwundete, 
untersucht werden, welche also, besonders unter den sonstigen un¬ 
günstigen Verhältnissen auf dem Lande, der Infection im hohen 
Grade ausgesetzt sind. Genersich macht den Antrag, daß der Mi¬ 
nister des Innern und der Justizminister auf diesen Uebelstand auf¬ 
merksam gemacht und ersucht werden, dem unterstehenden Gerichts¬ 
personale zu verordnen, daß in allen Fällen, in welchen 
zu gleicher Zeit eine Section und Untersuchungen 
an Lebenden stattfinden sollen, zuerst dieLebenden 
untersucht und erst dann die Section vorgenommen 
werde, und falls dies aus gewissen Gründen nicht 
zweckgemäß erscheint, mit der Untersuchung der 
Lebenden andere Sachverständige zu betrauen sind. 

Die Anträge Genersich’s, wie auch der vorgelegte Frage¬ 
bogen werden dem Centralausschusse zugewiesen, damit derselbe 
die Verbreitung des letzteren bei den Behörden veranlasse. 

Dr. Szenes (Budapest). 


Kleine Mittheilungen. 

— Dr. 0. Witzel beschreibt in Nr. 28 des „Centralbl. f. 
Chir.“ ein Verfahren zur Beseitigung des acuten, nach Pene¬ 
tration der Brustwand entstandenen Pneumothorax, welches er 
in einem Falle von Exstirpation eines großea Sarcoms der Brust¬ 
wand mit Erfolg angewendet hat. Die Idee besteht darin, den Pneumo¬ 
thorax in einen künstlichen Hydrothorax zu verwandeln und diesen 
durch Aspiration zu beseitigen. Nach Stillung der Blutung wurde 
ein Metallkatheter in das vordere obere Ende der äußeren Wunde 
so eingelegt, daß sein Schnabeltheil immer der Thoraxwand parallel 
verlief, dann wurde auch um das Instrument herum die äußere 
Wunde mit tiefen und oberflächlichen Nähten luft- und wasserdicht 
bis auf einen kleinen Spalt geschlossen, welcher bei Lagerung der 
Operirten auf einer seitlich unter die Brust geschobenen Rolle dem 
obersten Punkte der eröffneten Pleurahöhle entsprach. Auch hier 
war die Naht so vorbereitet, daß die eingelegten Fäden uur zuge¬ 
zogen zu werden brauchten. Ganz allmälig wurde nun von einem 
großen Irrigator aus der Pleuraraum mit einer schwachen, auf Blut¬ 
temperatur gebrachten Borsäurelösung angefüllt; als selbst bei 
kleinen Schüttelbeweg ungen keine Luft mehr aus dem Reste der 
Wundspalte entwich, wurde letztere durch Knotung der Nähte fest 
verschlossen. Mit einer drehenden Bewegung wurde nun die 
Katheterspitze erst unter die Haut gebracht und dann unter Com- 
pression der Umgebung gänzlich herausgenommen Die auf dem 
Operationstische sofort vorgenommene Percussion ergab Lungenschall 
in den gewöhnlichen Grenzen, die Auscultation vesiculäres Athmen 
auch da, wo die Resection stattgefunden hatte, nur hinten, oberhalb 
der Wunde, hörte man ein leichtes Reiben, wahrscheinlich vom Blut¬ 
gerinnsel herrührend. Der weitere Verlauf war ein glatter und Pat. 
wurde vollständig geheilt. Vielleicht findet das Verfahren auch mit 
entsprechenden Abänderungen Anwendung für zufällige Brustver¬ 
letzungen , bei denen ohne Lungenläsion das Brustfell eröffnet 
wurde. 

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— Hebmann W. Fbetjkd (Straßburg) beschreibt in Nr. 26 
des „Centralbi. f. Gyn.“ als elektrischen Schröpfkopf einen 
Apparat zur Erregung von Wehen. Nachdem er sich an schwan¬ 
geren Frauen überzeugt hatte, daß eine Reizung der Mamilla mit 
dem coustanten Strom Zusammenziehungen der Gebärmutter auslöst, 
die aber nicht kräftig und dauernd genug sind, um praktisch ver- 
werthet werden zu können; nachdem er andererseits wahrgenommen 
hatte, daß ein über die Mamilla gesetzter Schröpfkopf sofort Uterus- 
contractionen hervorzurufen vermag, combinirte er die beiden Ver¬ 
suche iti folgender Weise: Einen dicken gläsernen 8chrÖpfkopf 
ließ er oben durchbohren, so daß in ihn eine messingene Scbwamm- 
hülse eingelassen werden konnte. Durch Siegellack wurde die 
Bohrstelle wieder luftdicht verschlossen; die Schivammhülse steht 
mit einer dem Schröpfkopf außen und oben aufsitzenden Schrauben¬ 
vorrichtung in ununterbrochenem Zusammenhang, welch letztere zur 
Aufnahme des elektrischen Leitungsdrahtes bestimmt ist. Dieser 
elektrische Schröpf köpf wurde nun zuerst bei drei schwangeren 
Frauen, deren Niederkunft nahe bevorstand, über die Brustwarze 
gesetzt, so daß ein in die messingene Hülse geschobener befeuchteter 
Schwamm letztere direct berührte. Der Apparat wurde darauf mit 
der Kathode verbunden, während die Anode in der Form einer 
breiten Platte auf das Abdomen kam. In allen drei Fällen war 
der Erfolg ein überraschend prompter und ausgiebiger. Ueber 
Schmerz klagte keine der Frauen. Verf. war nun in der Lage, die 
Ergebnisse dieser Versuche in 2 Fällen auch praktisch zu ver¬ 
wertheu. In dem ersten Falle gelaug es, mit einem Strome von 12 
Elementen sofort Wehen auszulösen, nachdem bereits 14 Tage Hebamme 
und Arzt mit den üblichen Mitteln keine solchen erzeugen konnten, 
und mit Hilfe dieses Apparates die Geburt zur Vollendung zu 
bringen. Ebenso im zweiten Falle. Die Methode empfiehlt sich 
nach den bisherigen Erfahrungen durch rasche Wirksamkeit und 
Unschädlichkeit. Mit den inneren Genitalien kommt sie gar nicht 
in Berührung, sondern nur mit der äußeren Haut. In Folge des 
doppelten Reizes, der die Brustwarze trifft, braucht die Stärke der 
anzuwendenden Ströme nicht groß zu sein. Weder Schmerzen, noch 
sonstige nachtheilige Wirkungen localer oder allgemeiner Natur 
wurden dabei beobachtet. Sollten sich weitere positive Resultate er¬ 
geben, dann wäre diese Methode auch bei Einleitung der künst¬ 
lichen Frühgeburt wohl zu berücksichtigen. 

— Prof. Acbille Breda in Padua hat MaS8age bei Sclero- 
dermie mit sehr gutem Erfolge angewendet. Der in Nr. 59 der 
„Deutsch. Med.-Ztg.“ mitgetheilte Fall betrifft einen 36jährigen 
Mann, der mit 20 Jahren an constitutioneller Syphilis gelitten hatte. 
Später heiratete er und zeugte drei gesunde, noch lebende Kinder. 
Sein gegenwärtiges Leiden besteht in einer Verdickung der 
Haut des HaLes, der Brust, des Unterleibes bis zum Nabel, des 
Rückens und der Arme; die Farbe der Haut ist an diesen Stellen 
nicht verändert, ebensowenig die thermische und tactile Sensibilität, 
nur sieht man an den Armen und in den Hüftgegenden die Haut 
in runde, elliptische Streifen im Umfange von 2—6 Cm. getheilt; 
auch finden sich in diesen Gegenden einzelne hellrothe, harte Punkte, 
wie bei der Urticaria. Durch diese Verhärtung der Haut, die sich 
wie eine Speckschicht anfühlt, sind die Bewegungen des Kranken 
an den afficirten 8tellen stark behindert, ohne daß jedoch Schmerzen 
dabei eintreten. Die Behandlung war eine verschiedenartige; Pilo¬ 
carpin durch 3 Wochen, Jodkali, Eisen, Arsenik, Einreibung mit 
Quecksilberpräparaten, Bäder mit Soda, Elektricität, alle diese Mittel 
hatten nichts gefruchtet, deshalb schritt Verf. zur Massage, die 
durch 3 Monate in 65 Sitzungen, 1 1 / 3 Stunden, ausgeführt wurde; 
nach jeder Sitzung machte der Kranke einen Spaziergang, der ihm 
die durch die Behandlung verursachte Schmerzhaftigkeit benahm. 
Schon nach den ersten Anwendungen fand der bis dahin verzweifelte, 
schlaflose, abgemagerte Patient seine frühere Lebhaftigkeit wieder, 
mit welcher die Ernährung sich besserte. Die barten Stellen nahmen 
allmälig ab und waren am Ende der Behandlung gänzlich beseitigt. 

— C. G. Rothe (Altenburg) hat mittelst Creolin bei Erysipel 
und Eczem sehr zufriedenstellende Resultate erzielt. Bei Erysipel 
wurden 1-50 Grm. Creolin mit Creta praep. und Axung. aa. 15 0 
unter Hinzufügung einiger Tropfen Pfefferminzöl zu einer 8albe 
verrieben, dieselbe messerrückendick über alles Erkrankte bis 
über dessen Grenzen hinaus aufgetragen und mit dünner Watte¬ 


schicht bedeckt. Diese Procedur wurde 2—3mal täglich und 
außerdem so oft wiederholt, als theilweise Abbröckelung der Salbe 
oder Weiterschreiten des Erysipels es nöthig machte, brauchte aber 
selten länger, als etwa 3—4 Tage bis zu völliger Abschwellung in 
Anwendung zu kommen. Entschiedener Nachlaß der Schmerzen 
und der Spannung unter Blaßwerden und Runzelung der zuerst er¬ 
griffenen Stellen wurde stets schon innerhalb 12—24 Stunden beob¬ 
achtet. Selbstverständlich wurden gastrische Zustände, Verstopfung 
und Fieber, wenn überhaupt nöthig, durch geeignete innere Medi- 
cation, gewöhnlich ein Abführmittel aus Calomel und Rheum, be¬ 
kämpft. Auch bei anderen, unter vorwiegend entzündlichen Er¬ 
scheinungen verlaufenden Dermatosen erwies sich dem Verf. das 
Mittel von prompter Wirkung, insbesondere bei nässendem Eczem 
des Gesichtes und der Kopfhaut: Ein junger Mann war an solchem 
schon seit 5 Wochen ohne Nachlaß der Erscheinungen in Behandlung 
gewesen. Das ganze Gesicht war, als Verf. ihn sah, glänzend roth 
und verschwollen, ähnlich wie bei ausgesprochenem Erysipel, dabei 
aber mit charakteristischen, nässenden Bläschen und Borken bedeckt, 
welche sich auch über die ganze behaarte Kopfhaut, Hals und 
Schultern verbreiteten. Die dick aufgetragene Salbe wurde als 
„angenehm kühlend“ empfunden, und schon am folgenden Tage 
waren die das Gesicht entstellende Schwellung und Röthe er¬ 
heblich vermindert und die Abheilung im Gange, welche sich dann 
ohne neue Nachschübe binnen 3 Wochen vollendete. Mit gleichem 
Erfolge und ohne jede Belästigung der Kranken wurde eine Anzahl 
nässender, schorfbildender Eczeme bei Kindern mit der Creolinpasta 
behandelt. Bei trockenen, knötchenförmigen Ausschlägen, bei Prurigo 
und in einer über den ganzen Körper mit Ausnahme des Gesichtes 
und der Hände ausgedehnten, äußerst hartnäckigen Dermatitis herpeti- 
formis blieb das Mittel ohne sichtlichen Erfolg. Die letztgenannte 
Affection wurde, beiläufig bemerkt, nach 4monatlicher vergeblicher 
Behandlung mit den verschiedensten äußeren Mitteln und Arsen 
innerlich, schließlich durch tägliche heiße Soolbäder, denen etwas 
Natron sulphoichthyol. zugesetzt wurde, nach wiederum 2 Monaten 
zur Heilung gebracht. Ein Fall von Scabies zeigte schon nachden 
ersten Einreibungen (nach vorausgeschickten heißen Waschungen mit 
Schmierseife) so entschiedene Besserung, daß Verf. an der anti- 
psorischen Wirkung des Mittels kaum zu zweifelu vermag. 

— Balzer empfiehlt in Nr. 26 des ^Journ. de m6d. de 
Paris“ die Behandlung der Vaginitis mit Retinol. Diese Substanz 
ist eines der Destillationsproducte des Colophoniums. Sie ist ein 
Kohlenwasserstoff, der an Consistenz dem Leinöl ähnlich ist. Die 
Farbe wechselt zwischen braunschwarz und goldgelb, je nach der 
Herstellungsart. Die Reaction des Medicamentes ist leicht sauer, 
bei gewöhnlicher Temperatur verdampft es außerordentlich langsam. 
Wie alle balsamischen Substanzen, hat es desinficirende Wirkung; 
wahrscheinlich kann man die letztere erheblich steigern, wenn man 
Salol, Naphthol, Campher u. s. w. ihm hinzufügt. In Amerika ist 
das Medicament schon früher bei Behandlung der Gonorrhoe, Gebär¬ 
mutterentzündung u. s. w. angewandt worden. Wahrscheinlich sind 
die guten Resultate, die von Amerika aus gemeldet werden, wesent¬ 
lich auf Rechnung der antiseptischen Wirkung des Medicaments zu 
setzen. In der Scheide breitet es sich alsbald über die ganze Ober¬ 
fläche aus und bedeckt sie mit einer adbärirenden Thonschicht. Die 
Application erfolgt mit Hilfe des Speculums nach gehöriger Aus¬ 
spülung der Schleimhaut am besten in der Weise, daß man einen 
Wattetampon, welcher mit Retinol getränkt ist, fest gegen die 
Scheidenschleimhaut andrängt. Im Ganzen hat Verf. dies Mittel etwa 
bei 40 Frauen angewandt und stets vollkommene Heilung erzielt. 
In denjenigen Fällen, in welchen eine Behandlung mittelst Speculum 
aus irgend welchen Gründen nicht möglich ist, räth er, das Medi¬ 
cament in Salbenmasse eingeschlossen in die Scheide einzuführen. 
Zweckmäßig kann man erstere mit Tannin verbinden; nur ist es 
alsdann schwierig, die Scheide gehörig zu reinigen, da das Tannin 
mit dem Retinol eine an die Scheidenwand fest adhärirende Ver¬ 
bindung bildet. Verf. schließt aus seinen bisherigen Erfahrungen, 
daß das Medicament vermöge seiner antiseptischen Wirkung und 
seiner bequemen Anwendungsweise in vielen Affectionen, besonders 
der weiblichen Genitalorgane, ausgedehnte Anwendung verdient. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

IV. 

Aus den Sectionen, 

Section für Chirurgie. 

Prof. König (Göttingen): Die peritoneale Tuberculoee und ihre 
Heilung durch den Bauchschnitt. 

Eine auf Veranlassung König’s gemachte Zusammenstellung 
von den in der Literatur der letzten Jahre aufgehäuften Fällen hat 
131 für die meisten Fragen verwendbare ergeben; darunter 14 von 
ihm selbst operirte Pat. Von den 131 Operirten wurden im Ganzen 
107 in zufriedenstellendem Zastande entlassen. Scheiden wir 23 
gebesserte von diesen aus, so bleiben 84 geheilte über (65°/ 0 ). Aber 
von diesen sind 54 unter 2 Jahren beobachtet. Wir wollen aber 
einen ähnlichen Maßstab wie bei der Statistik der Geschwülste 
setzen und zunächst nur die über 2 Jahre Geheilten gelten lassen. 
Dann sind 30 Kranke gesund geblieben (16 über 2, 14 über 
3 Jahre). Das waren etwa 24°/ 0 . Darunter sind Heilungen von 
.25 Jahren (Spencer Wells), 15 Jahren (Scbügking), 13 Jahren 
(Stellwag) und eine ganze Anzahl, (wie in den Fällen des Vortr.), 
von 9, 8, 7 und 6 Jahre dauernder Heilung. 

Also etwa 1 / i aller Bauchtuberculösen wurde durch die Ope¬ 
ration geheilt. Die Letalität durch den Eingriff hat bis jetzt etwa 
.3% betragen. — Die, welche trotz der Eingriffe starben, gingen theils 
an den Folgen der Bauchtuberculose, theils an allgemeiner Tubereulose, 
theils an tuberculöser Lungenphthise etc. zu Grunde. Der Eingriff 
hat auf den Verlauf dieser zum Tode führenden Krankheiten keinen 
directen Einfluß gehabt, höchstens ist ein vorübergehend bessernder 
zu erwähnen. — Daß diese klinische Heilung in der That auch 
pathologisch-anatomisch eine solche sein kann, ist durch spätere 
Section mehrerer an anderweitiger Krankheit Gestorbenen erwiesen. 

Durch welches• Verfahren wurden diese Resultate erreicht? 
Gemeinsam ist nur allen Fällen, daß ein größerer Bauchschnitt 
gemacht und in der Bauchhöhle manipnlirt wurde. Die Manipula¬ 
tionen waren verschieden : 1. es handelt sich um bloße diagnostische 
Incision, 2. es wurde Incision gemacht und die Flüssigkeit möglichst 
entleert, 3. die soliden Producte wurden verschieden behandelt. 
Bald wurden erkrankte Organe (Ovarien, Darm etc.), bald nur 
derbe Schwarten mit Löffel, Scheere, Messer entfernt. 

Mit allen diesen Manipulationen wurde Heilung erzielt. — 
Auch die Anwendung antibacterieller Mittel hatte keinen wesent¬ 
lichen Einfluß. Auswaschungen des Bauches mit leichten (Salicyl, 
Thymol etc.) und schweren (Sublimat, Carbol etc.) eingreifenden 
Mitteln, Bestreuen und Einreiben von Jodoform wurden etwa 80mal 
angewandt. Fünfzig Male wurde kein wesentliches antibacterielles 
Mittel gebraucht, bevor man die Bauchhöhle schloß. Dem An¬ 
scheine nach heilten mehr Fälle ohne Desinfioientien aus. 

Das Auffallende dieses Ergebnisses, welches ohne Analogien 
in anderweitigen Organen oder Körperhöhlen dasteht, fordert zu 
weiteren Untersuchungen auf. 

Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob nur bestimmte 
Formen der Bauchfelltuberculose geheilt werden. 

An der Hand genauer Untersuchungen stellt K. fest, daß alle 
Formen zur Heilung kamen. — In zweiter Linie ist eine Antwort 
auf die Frage zu geben, ob die besondere Aetiologie der Fälle 
von Bauchtuberculose Einfluß auf die Heilbarkeit hat. 

Pathologisch - anatomische Untersuchungen, die K. anstellen 
ließ, haben ergeben, daß der Darm wahrscheinlich sehr häufig 
als die Anfangsursache der Peritonealtuberculose zu beschuldigen 
ist. Auch aus der Geschichte der Geheilten ließ sich die Häufigkeit 
der vorhergegangenen Darmtuberculose mit Wahrscheinlichkeit be¬ 
weisen. Unter 42 Personen, bei welchen ein derartiger Wahr¬ 
scheinlichkeitsbeweis der primären Herde überhaupt möglich war; 
waren 26 vorher darmleidend. Dem gegenüber läßt sich keine 
hervorragende Beeinflußung von Seiten der Erkrankung anderwei¬ 
tiger Organe nachweisen. Die Geschlechtsdrüsen der Frau liefern 


übrigens offenbar einen relativ großen Procentsatz. Auf die seltener 
bekannten Ursachen geht K nicht ein. 

Nur selten sind bei den Operirten die Herde der Tuberculose 
des Bauchfells mit entfernt worden, also muß man bei der Beur- 
theilung der Heilung mit ihnen rechnen. Da ist nun K. der An¬ 
sicht, daß es eine so große Anzahl von ausheilenden Fällen von Darm¬ 
tuberculose gibt, daß wir in Beziehung auf die Gefahr dieser 
Krankheit mit alten Ueberlieferungen brechen müssen. Zumal 
klinische Erfahrungen bei Kindern, aber auch der relativ nicht seltene 
Befund von Narben im Darm anderweitig tuberculöser Personen 
sprechen für diese Annahme. K. nimmt an, daß die Peritoneal- 
tuberoulose ausheilt, weil der Darmherd nur ein kleiner war, weil 
keine neue Infection von ihm ausging, und weil er schließlich selbst 
ausheilte. Aber das erklärt gewiß nicht das Ausheilen einer Anzahl 
anderer von Organtuberculosen ausgehender Peritouealtuberculosen. 
Bei manchen muß wohl auf die schwielige Einhüllung durch schrum¬ 
pfendes Gewebe Rücksicht genommen werden, bei anderen fehlt jede 
Erklärung für das Ausbleiben des Recidivs. 

Aber wenn die Thatsachen im Stande sind, das Ausbleiben 
des Recidivs dem Verständniß näher zu bringen, so erklären sie 
doch nicht die eigentliche Heilung, das Verschwinden der Tuberkel. 
Es gibt keine Analogie dafür, daß in irgend eiuem Organ, irgend 
einer Höhle durch Eröffnen derselben, durch Manipuliren darin, Tu¬ 
berkel verschwinden. Der Versuch, durch veränderte Druckverhält¬ 
nisse eine Erklärung zu geben, ist vpllkommen hinfällig; mehr 
innere Wahrscheinlichkeit hat die Erklärung, welche durch Peritoneal¬ 
verwachsung die Tuberkel verschwinden läßt. Aber diese Verwach¬ 
sung fehlt unzweifelhaft oft, und dennoch tritt Heilung ein. 

Wir stehen vor einem Räthsel! Hoffen wir, daß fleißige Be¬ 
nützung des Bauchschnittes und streng wissenschaftliche Bearbeitung 
dieses Räthsel aufklärt. 

Discussion. 

Demosthene (Bukarest) hält eine chirurgische Intervention für 
dringend angezeigt bei allgemeiner eitriger tuberculöser Peritonitis. 
Die Operation hat zwei Aufgaben: Entleerung des Eiters durch aus¬ 
giebige Drainage und Gegenincisionen Und Beeinflußung der Peri- 
tonealsecretion mit Hilfe geeigneter antiseptischer Lösungen. Bei 
localisirter, eitriger, tuberculöser Peritonitis, deren tuberculöse Natur 
durch die mikroskopische Untersuchung und durch Impfung fest¬ 
gestellt ist, fehlen in der ersten Zeit wahrnehmbare Tuberkel am 
Peritoneum zu einer Zeit, wo bereits Eiter vorhanden ist. Der 
chirurgische Eingriff ist angezeigt sobald die Gegenwart von Eiter 
constatirt wird, und zwar muß der Eiter durch Explorativpunction 
aufgesucht und nicht erst seine Aeußerung durch äußere Merkmale 
abgewartet werden. Der Zug an den Adhäsionen kann leicht zu 
Darmruptur führen. 

Sübbotiö (Belgrad) berichtet über zwei Fälle von tuberculöser 
Peritonitis, die nur mittelst einfacher Laparotomie geheilt worden sind. 

Kümmel (Hamburg) hat von der Laparotomie sehr gute Er¬ 
folge gesehen. Von 9 von ihm operirten Fällen von Tuberculose 
des Peritoneums wurden 8 geheilt; 2 gingen später an Peritonitis 
zu Grunde. Drei haben Fisteln behalten, die wahrscheinlich auf 
tuberculöse Herde führen, die übrigen siud gesund. S. 


Section für Laryngologie. 

Scheck (München): Diagnose und Therapie der Krankheiten der 
Nebenhöhlen der Nase. 

Wenn auch schon in vorrhinoskopischer Zeit, namentlich von 
chirurgischer Seite aus eine Reihe von Beobachtungen über Krank¬ 
heiten der Nebenhöhlen der Nase vorlag, so trat doch erst in den 
letzten 10 Jahren die Lehre von den Nebenhöhlenerkrankungen in 
ein neues, fruchtbareres Stadium. Es kann keinem Zweifel unter¬ 
liegen , daß außer durch die Fortschritte in den rhinoskopischen 
Untersuchungsmethoden ganz besonders durch die zuerst von Ziem 
mit Bestimmtheit constatirte Thatsache, daß bei Nebeuhöhlen- 
erkrankungen, speciell bei Empyem der Kieferhöhle, die als Haupt¬ 
symptom geltende Hervorwölbung der Höhle nicht vorhanden zu 
sein braucht, in der Diagnose der Nebenhöhlenerkrankungen ein 
wesentlioher Fortschritt angebahnt wurde. Hand in Hand mit den 


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Fortschritten der Diagnostik gingen die Fortschritte in der Therapie, 
die freilich noch lange nicht abgeschlossen sind und einer weiteren 
Vervollkommnung entgegensehen. 

Was die Häufigkeit der Nebenhöhlenerkrankungen anlangt, 
so ist durch die Mittheilungen zahlreicher Autoren sichergestellt, 
daß dieselben bei Weitem häufiger Vorkommen, als man in vorrhino- 
skopischer Zeit annahm; mit der verbesserten Diagnostik gewisser 
Krankheiten wächst eben auch die bessere Erkennung derselben. 
Am häufigsten erkrankt unzweifelhaft die Kieferhöhle, dann folgt 
die Stirnhöhle, dann die Siebbeinhöhlen und zuletzt die Keilbeinhöhle; 
in der Regel ist die Erkrankung einseitig, seltener doppelseitig. 

Nicht gar selten sind mehrere Nebenhöhlen gleichzeitig er¬ 
krankt, am häufigsten Kiefer- und Stirnhöhle, oder Kiefer- und 
Siebbeinhöhleu, oder Siebbein- und Keilbeinhöhle. 

Die Aetiologie der Nebenböhlenerkrankungen ist eine sehr 
verschiedene, auch kommen für jede einzelne Höhle ganz specielle 
Ursachen in Betracht. Als gemeinsame Ursachen können gelten: 

1. Die Verlegung der Ausführungsgänge durch acute und 
chronische Schwellung der Schleimhaut, durch papilläre und polypöse 
Wucherungen oder wirkliche Schleimpolypen; 

2. die Fortpflanzung entzündlicher, namentlich eiteriger oder 
ulceröser Processe der Nase durch die Ausführungsgänge; 

3. Verletzungen, Fracturen, Fremdkörper etc. 

In der Aetiologie der häufigsten Nebenhöblenerkrankungen, 
des Empyems der Kieferhöhle, stehen allen anderen Ursachen voran: 
Krankhafte Veränderungen der Zähne, speciell Wurzelcaries, Alveolar¬ 
periostitis, Fistelbildung, ungeschickte Zahuextraction mit Durch¬ 
brechung der Alveole, oder Einstoßen des Zahnes in die Kieferhöhle, 
schlechte Plombirung, Stehenlassen von abgekappten Wurzeln unter 
dem Gebisse, allzuweit getriebene Conservirung der Zähne. Da die 
Größe der Kieferhöhle sehr verschieden ist, so können unter Um¬ 
ständen alle Zähne des Oberkiefers zu Empyem Anlaß geben. Am 
häufigsten tbut dies allerdings der zweite Backenzahn oder einer 
der Mahlzähne, deren Alveolen sehr oft in die Kieferhöhle vorge- 
bnchtet und nur durch eine sehr dünne Knochenlamelle von dieser 
getrennt sind. 

Wiederholt hat Referent das Empyem auch von einer kranken 
Wurzel eines Mahlzahnes ausgehen sehen, in wieder anderen Fällen 
von mehreren kranken Zähnen. 

Da die Kieferhöhle des Mannes nach den Untersuchungen von 
RüDINGER und Reschreiter wegen stärkerer Entwicklung der 
Alveolarbucht durchweg weiter herabreicht als beim weiblichen Ge¬ 
schlecht, so beobachtet man anch mehr Kieferhöhlenempyeme beim 
Manne. 

Bei sehr langem Bestände der Krankheit läßt sich objectiv 
oft nicht mehr der dentale Ursprung nachweisen, doch ergibt häufig 
die Anamnese wichtige Anhaltspunkte. 

Viel seltener als der dentale ist der’ nasale Ursprung des 
Kieferhöhlenempyems und kommen dabei die bereits oben erwähnten 
Ursachen: Verlegung des Ausführungsganges, Fortpflanzung ent¬ 
zündlicher Processe von der Nase aus, sowie Verletzungen in Be¬ 
tracht; auch einige Infectionskrankheiten, wie Influenza, Tuberculose, 
Syphilis, scheinen eine große Disposition zu Kieferhöhlenempyem zu 
geben. 

Die Diagnose der Nebenhöhlenerkrankungen stützt sich 
einzig und allein auf die objectiven Erscheinungon, da die subjectiven 
außerordentlich verschieden sind. Unter den objectiven Symptomen 
der Nebenhöhleneiterungen, welche ja hauptsächlich in Betracht 
kommen, ist das constanteste und meist allein schon auf das Vor¬ 
handensein einer Nebenhöhlenerkrankung hinweisende: einseitiger 
Abfluß von Eiter aus der Nase; bei doppelseitiger Erkrankung ist 
natürlich der Eiterabfluß auch doppelseitig. Das Secret ist meistens 
rein eiterig, seltener schleimig- oder blutigeiterig. Seine Consistenz 
rahmartig, dick, selbst krümelig, geronnener Milch oder weichem 
Käse vergleichbar, übelriechend, ja selbst jauchig. Der Eiter kann, 
wenn er an den Nasenwänden haften bleibt, gesehen werden, und 
zwar am häufigsten zwischen mittlerer Muschel und äußerer Nasen¬ 
wand ; diese Stelle ist gemeinschaftlich den Eiterungen der Kiefer-, 
Stirn und Siebbeinhöhle. Bei Keilbeinerapyem erscheint er zwischen 
mittlerer Muschel und Nasenseheidewand, oder er träufelt auf das 


hintere untere Muschelende und in den Nasenrachenraum. Der 
Verdacht auf Nebenhöhlenempyem wird bestärkt durch die An¬ 
wesenheit von Schleimhauthypertrophien oder Wucherungen der bo- 
genannten lateralen Schleimhautwülste, oder wirkliche Schleimpolypen 
an der mittleren Muschel und der äußeren Nasenwand in der Um¬ 
gebung des Hiatus semilunaris. Nicht selten läßt sieh ferner mit 
der Sonde an der äußeren Nasenwand Caries der Knochen nach¬ 
weisen. Ist jedoch kein Eiter sichtbar, so kann er sichtbar gemacht 
werden entweder durch die Luftdouche oder durch das Tieferstellen 
und Seitwärtsneigen des Kopfes. Ueber die Herkunft des Eiters, 
resp. die erkrankte Höhle geben jedoch beide Methoden keinen 
absolut sicheren Aufschluß, wenn anch zugegeben werden muß, daß 
nach Bayer und B. Frankel die Vermehrung des Eiterabflusses 
bei herabhängendem Kopfe für Kieferhöhleneiterung nahezu charakte¬ 
ristisch ist. 

Auch die elektrische Durchleuchtung gibt, wie die Versuche 
von Roth und Wiebe beweisen, keine absolut sicheren Resultate, 
da schon unter normalen Verhältnissen die Wandungen der durch¬ 
leuchteten Höhlen sehr verschiedene Dicke und Durchlässigkeit für 
Licht besitzen. 

Vollständig sichere, diagnostische Methoden besitzen wir in 
der Sondirung, in der Probeausspritzung und in der Probepunction. 
Die Sondirung der verdächtigen Höhle von der natürlichen Oeffnung 
aus ist leider nur in einer geringen Anzahl von Fällen, etwa ein 
Drittel bis zur Hälfte möglich, wie die diesbezüglichen Mittheilungen 
von Jdrasz, Haünsberg und meine eigenen Erfahrungen bestätigen. 
Desgleichen gilt von der Ausspritzung durch die natürlichen Oeff- 
nungen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Schwierigkeiten der 
Sondiruug der verschiedenen Höhlen, die Ursachen derselben etc. 
näher einzugehen; vielleicht gibt die Debatte Veranlassung, auf diesen 
Punkt zurückzukommen. 

Die Probepunction dient hauptsächlich der Differentialdiagnose 
zwischen Kiefer- und Stirnhöhlenempyem. Ob dieselbe von der 
Nase aus mittelst starker Nadeln, oder mit dem Stilet von Mikulicz, 
oder dem Instrument von Krause , dem Trepan von Tornwal'dt, 
oder ob sie von den Alveolen aus mit Bohrmaschine, Stilet oder 
Troicar vorgenommen wird, ist vom diagnostischen Standpunkte 
aus völlig gleichgiltig, vom therapeutischen aber nicht. Referent 
hält es wenigstens für richtiger, bei ausgesprochener Erkrankung 
der Zähne von der Alveole aus vorzngehen. 

Wenn nun auch die eben genannten objectiven Erscheinungen : 
Eiterabfluß au einer bestimmten Stelle der Nase, Veränderungen an 
der mittleren Muschel und dem Hiatus semilunaris im Vereine mit 
der Sondirung, Ausspritzung und Probepunction die Diagnose außer 
allen Zweifel stellen, so kann doch nicht verschwiegen werden, daß 
in einer Reihe von Fällen die Diagnose nicht sofort zu stellen ist, 
sondern erst nach längerer Beobachtung und wiederholter Unter¬ 
suchung in verschiedenen Körperstellungen und zu verschiedenen 
Tageszeiten, nach wiederholter CocaTnisirung und Einlegen von 
Wattetampons in den mittleren Nasengang oder erst nach Beseiti¬ 
gung den Einblick störender Schleimhauthypertrophien oder Schleim- 
polypen. 

Die Therapie der Nebenhöhlenerkrankungen muß in erster 
Linie eine causale sein. Schleimhauthypertrophien, Wucherungen 
oder Polypen, mögen sie primär oder secundär entstanden sein, 
müssen entfernt und so die Ausführungsgänge der Nebenhöhlen frei¬ 
gelegt, diese letzteren eventuell mit Galvanocauter oder anderem 
Instrumente erweitert werden. Größte Sorgfalt wende man den 
Zähnen zu, schadhafte Zähne oder Wurzelreste müssen extrahirt, 
Fisteln geschlossen werden. 

Von den speciellen therapeutischen Methoden kann sich bis 
jetzt noch keine unfehlbarer Heilkraft rühmen. Frische Fälle geben 
bessere Resultate als jene veralteten, bei denen die Schleimhaut der 
erkrankten Höhle bereits hochgradig verdickt, serös infiltrirt, cystös 
degenerirt oder in eine pyogene Membran umgewandelt ist. Sehr 
hartnäckig erweisen sich ferner jene Fälle, bei denen die erkrankte 
Höhle durch knöcherne oder bindegewebige Scheidewände in mehrere 
Abtheilungen getheilt ist. 

Daß durch Eingießen medicamentöser Flüssigkeiten in 
die Nase bei geeigneter Kopfstellung oder durch die Luftdouehe 


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Empyeme der Nebenhöhlen nicht geheilt werden, ist durch die Er¬ 
fahrung sicberge8tellt. Auch die Ausspülung der erkrankten Höhle 
von der natürlichen Oeffnung aus genügt in der Regel nicht, wenn 
auch von Hartmann , Störe und Anderen Heilungen berichtet 
wurden; die technischen Schwierigkeiten und Hindernisse sind eben 
hei der Ausspülung fast noch größer als bei der Sondirung. Die 
meiste Aussicht auf Erfolg verspricht die Eröffnung der er¬ 
krankten Höhle mit darauffolgender methodischer Ausspritzung. 

Am häufigsten kommt sie bei Erkrankungen der Kieferhöhle 
in Frage, seltener hei Erkrankungen der Stirn- und Keilbeinhöhle. 
Die Kieferhöhle kann sowohl von den Alveolen und der Fossa 
canina als auch von dem unteren Nasengange auB eröffnet werden. 
Beide Methoden haben ihre Lobredner, beide ihre Tadler gefunden. 

Der der Operation von den Alveolen oder der Fossa canina 
aus gemachte Vorwurf, daß einestheils Eiter in die Mundhöhle ab¬ 
fließe, anderntheils Speisetheile und pathogene Bacterien von der 
Mundhöhle aus in die Höhle gebracht würden und die Eiterung 
unterhielten, ist hinfällig, da bei Anlegen einer kleinen Oeffnung 
die genannten üebelstände vermieden werden können-, auch das 
Tragen einer Versoblußcanüle ist völlig unnöthig, da bei täglicher 
Ausspritzung niemals eine Verwachsung der angelegten Oeffnung 
eintritt. 

Daß die Eröffnung von der Nase aus schmerzhafter und 
schwieriger auszuführen sei, kann nicht zugegeben werden. 

Die Eröffnung von den Alveolen aus ist in allen jenen Fällen 
vorzuziehen, bei welchen die Erkrankung unzweifelhaft dentalen 
Ursprunges ist und die kranken Zähne noch vorhanden sind. Da 
die Entfernung dieser letzteren eine unerläßliche Bedingung zur 
Heilung ist, so muß die Eröffnung der Kieferhöhle von den Alveolen 
der extrahirten Zähne aus als der rationellere Eingriff betrachtet 
werden. Die Eröffnung von der Nase aus kann hingegen in allen 
jenen Fällen in Anwendung kommen, bei welchen die Erkrankung 
von der Nase ausgeht oder in jenen Fällen dentalen Ursprungs, wo 
kranke Zähne oder sonstige Veränderungen nicht mehr vorhanden 
sind. Hat man freie Wahl, so soll der Umstand entscheiden, ob 
der Kranke unter ärztlicher Aufsicht bleiben kann oder nicht. In 
letzterem Falle ist die Eröffnung von den Alveolen oder der Fossa 
canina aus vorzuziehen, da nach des Referenten Erfahrung das 
Selbsteinführen der Canülo von diesen Stellen aus leichter erlernt 
wird, als von der Nase aus. Im Uebrigen muß betont werden, daß 
der eine Operateur den Weg durch die Nase, der andere den von 
den Alveolen aus bevorzugt. 

Referent operirt selten durch die Nase und wählt in denjenigen 
Fällen, bei denen die kranken Zähne nicht mehr vorhanden oder 
die Alveolenfortsätze geschwunden sind, den unteren Theil der 
Fossa canina zur Eröffnung. Nach vorheriger CocaTnisirung und 
Durohtrennung der Schleimhaut mit dem Messer in einer Ausdehnung 
von etwa %—1 Cm. wird ein Stilet in der Richtung nach oben 
und hinten mit dem Hammer eingetrieben oder der Knochen mit 
dem Bohrer durchbrochen. Auch durch diese Oeffnung ist ein Abfluß 
von Eiter einerseits und ein Hineingelangen von Speiseresten 
andererseits unmöglich. Eine Operation dauert 1—2 Minuten, nur 
muß man sich über die Richtung des einzuführenden Instrumentes 
genau orientiren, damit dasselbe nicht längs der äußeren Fläche der 
Fossa canina in die Höhe geführt wird. 

Die Zahl der zur Ausspritzung der eröffneten Höhle benützten 
Mittel ist eine Legion; mit besonderer Vorliebe kommen Adstrin- 
gentien und Desinficientien zur Anwendung; ich nenne nur Tannin, 
Höllenstein-, Zink-, Alumin. acetico-tart.-Lösung, ferner Kochsalz, 
Borax, Borsäure, Carbol, Creolin, Kali hypermanganicum, Salicyl- 
säure, Pyoctanin, Rotterm, Sublimat, Thymol, Salol etc. Wunder 
thut keines dieser Mittel, ein jedes kann günstig wirken, kann aber 
auch versagen. Die von Friedländer, Krause und Bresgen 
vorgeschlagene Trockenbehandlung der Nase durch Einstäuben von 
Jodol, Jodoform, Sozojodolzink etc. wirkt in vielen Fällen über¬ 
raschend schnell, in anderen Fällen läßt sie auch im Stiche. Mehrere- 
male gelang es dem Referenten, monatelang vergeblich behandelte 
Fälle durch Anregen einer acuten Entzündung — speciell durch Ein¬ 
spritzung einer 20°/ 0 igen Lösung von Alumin. acetico-tart. in wenigen 
Tagen zur Heilung zu bringen. Gelingt es durch keine der bisher 


genannten Methoden, die Eiterung zum Stillstand zu bringen, dann 
lege man in die Fossa canina entweder nach Küster subperiostal, 
oder auch ohne Schonung der Beinhaut, wie Referent es thut, eine 
größere, kleinfiugerdicke Oeffnung an und tamponire die Kieferhöhle 
eventuell nach vorheriger Auskratzung oder Auslöffelung mit Jodo¬ 
formgaze. Auf diese Weise hat Referent die hartnäckigsten Fälle 
heilen sehen; der Eingriff ist, wenn auch verhältnißmäßig unbe¬ 
deutend, doch noch eingreifender als die bloße Anbohrung und ist 
auch nur dann indioirt, wenn andere Methoden im Stiche lassen. 

Die Eröffnung der Siebbeinzellen ist sehr leicht und einfach 
und kann mit dem Galvanocauter, einer starken Sonde oder dickerer 
Hohlnadel durch Einstechen in die mittlere Muschel vorgenommen 
werden. 

Die Eröffnung der Stirnhöhle ist nur angezeigt bei be¬ 
trächtlicher Vorwölbung der oberen inneren Orbitalwand, Verdrängung 
des Bulbus oder bei Erscheinungen von Hirndruck. Die selten 
nothwendige Eröffnung der Keilbeinhöhle geschieht von der 
Nase aus durch Vorschieben eines Stilets oder der ScHÄFFER’schen 
Löffelsonde in der Höhe der mittleren Muschel gegen die vordere 
Wand der Höhle. 

Bei Geschwülsten der Nebenhöhlen muß der breiten Eröffnung 
die Zerstörung des Tumors mittelst Curottirung oder Galvanocaustik 
oder Paquelin nachfolgen. A. 

Notizen. 

Wien, 6. September 1890. 

(Von der Wiener medicini sehen Facultät.) Der 
soeben erschienene Lectionscatalog für das Wintersemester 1890/91 
kündigt 235 Vorlesungen und Curse an, welche von 22 ordentlichen, 
36 außerordentlichen Professoren und 74 Docenten und Assistenten 
abgehalten werden. Auf die einzelnen Fächer vertheilen sich die 
Vorlesungen, wie folgt: Geschichte der Medicin 3, Anatomie 9, 
Physiologie 12, allgemeine Pathologie und pathol. Anatomie 18, 
Heilmittellehre 10, interne Medicin 41, Chirurgie 39, Ohrenheil¬ 
kunde 7, Augenheilkunde 20, Gynäkologie und Pädiatrik 31, Haut¬ 
krankheiten und Syphilis 16, Psychiatrie 12, Staatsarzneikunde und 
Hygiene 9, angewandte med. Chemie 7, Veterinärkunde 1. — Da 
die durch Brücke’s Rücktritt erledigte Lehrkanzel für Physiologie 
noch immer unbesetzt ist, fehlt im Lectionscatalog der Name des 
Physiologie und höhere Anatomie Vortragenden. Vorläufig wird 
Prof. Exner die Lehrkanzel suppliren und mit Prof. Ebner (Histo¬ 
logie) bei den Rigorosen alterniren. — Im Sommersemester 1889/90 
war die Facultät von 2296 Hörern, 1665 ordentlichen, 631 außerordent¬ 
lichen , besucht; bei einer Geeammtfrequenz der Universität von 
4985 Hörern entfielen auf die medicinische Facultät 46% aller 
Hörer. Die größte Zahl der ordentlichen Studirenden der Medicin 
recrutirte sich aus Ungarn, welchem Niederösterreich, Galizien, 
Böhmen, Mähren, von außerösterreichischen Ländern Rußland, 
Rumänien und Serbien folgen. Von den a. o. Hörern lieferten 
gleichfalls Ungarn, Niederösterreich und Galizien das größte Con- 
tingent. Eine größere Zahl der inscribirten a. o. Mediciner stammte 
aus Preußen, Rußland, England, Rumänien und Amerika. 

(Die „Gelehrten spräche“.) Im Anschlüsse an den 
X. Internationalen medicinischen Congreß hebt die in Paris er¬ 
scheinende „M6d. moderne“ die Nothwendigkeit einer internationalen 
Gelehrtensprache hervor, die sich bei Gelegenheit des Congresses 
wieder einmal als dringend nothwendig erwiesen habe. Von den ver¬ 
breitetsten lebenden Sprachen eigne sich die deutsche wegen ihrer 
Schwierigkeit, die englische ihrer schwierigen Aussprache wegen 
nicht dazu; die französische Sprache würde bei Deutschen und Eng¬ 
ländern Anstoß erregen, eben weil sie die Sprache der Franzosen sei. 
Am empfehlen8wertke8ten sei daher jene Sprache, welche, Gemeingut 
der ganzen gebildeten Welt, schon einmal die Gelehrtensprache aller 
Nationen und Wissenschaften war, die 1 a t e i n i s c h e. Die Ver¬ 
schiedenheit der Aussprache ließe sich durch Adoption der italieni¬ 
schen Aussprache des Lateinischen ausgleichen. Es ist geringe 
Aussicht vorhanden, daß die Hoffnung des Antragstellers, die Aerzte 
der civilisirten Welt würden in drei Jahren an der Stätte des alten 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


1440 


Forum romanum einander in der Sprache Cicero’s und Virgil’b 
begrüßen, in Erfüllung geht. 

(EinfünfzigjährigesDoctorjubiläum.) Dieses seltene 
Fest beging vor Kurzem in vollster Rüstigkeit Dr. Franz StAn£ 
in Kuttenberg, Stadtarzt und Director des Krankenhauses, ein ver¬ 
dienstvoller Bürger und echter Menschenfreund. Er wirkte durch 
volle 50 Jahre in Kuttenberg, das er seine zweite Vaterstadt nannte, 
nicht nur als wisseuscbaftlich hochgebildeter und allgemein begehrter 
Arzt, sondern auch als rastloser Arbeiter und Förderer auf dem 
Gesammtgebiete der Humanität. Von den zahlreichen Gründungen, 
wohlthätigen Anstalten, Stiftungen und Vereinen verdient das dortige 
öffentliche Krankenhaus, welches durch ihn zu einer Musteranstalt 
ersten Ranges erhoben wurde, besondere Erwähnung. Die dankbare 
Bevölkerung der Stadt und des ganzen weiten Bezirkes feierte den 
Hochverdienten in großartiger Weise. Ein solennes Bankett, welchem 
200 Personen aus der Stadt und Umgebung, alle ärztlichen Collegen, 
selbst eine Deputation des medicinischen Vereines in Prag, dann 
Mitglieder der befreundeten Aristokratie, das ganze Officierscorps, 
die Beamtenschaft und Bürgerschaft beiwohnten, war der Höhepunkt 
der seltenen Feier. Nachdem der Bürgermeister der Stadt, die 
Vertreter der Geistlichkeit und des Landes, sowie der Militär- 
commandant die Verdienste des Jubilars in schwungvollen Worten 
hervorgehoben hatten, erschien eine Deputation von Arbeiterinnen 
der Cigarrenfabrik, welche in rührender Ansprache den gütigen 
Vater aller Arbeiter und Retter aller Hilfsbedürftigen feierte. Zahl¬ 
lose Adressen, Glückwünsche etc. gaben Zeugniß von der unbe¬ 
grenzten Liebe, Dankbarkeit und Verehrung, welche Dr. STÄNfi, der 
einfache Landarzt, in allen Schichten der Bevölkerung genießt. Möge 
es ihm noch lange Jahre gegönnt sein, dem Wohle seiuer Mit¬ 
menschen, seinen Kranken, seiner Familie zu leben! 

(Trachom-Epidemie.) Mit Rücksicht auf das epidemische 
Auftreten des Trachoms in den n. ö. Landesirrenanstalten zu Wien 
und Ybbs hat das Ministerium des Innern im Wege der n.-ö. Statt¬ 
halterei die Directionen aller Krankenanstalten in Niederösterreich 
auf das Vorkommen von Trachom in den genannten Irrenanstalten 
aufmerksam gemacht nnd die Untersuchung jedes in die Anstalt Auf¬ 
zunehmenden auf das Vorhandensein einer trachomatösen Entzündung 
augeordnet. — Die Aufnahme neuer Geisteskranker in die Landes¬ 
irrenanstalt zu Ybbs ist bis auf Weiteres sistirt. 

(Cholera-Nachrichten.) Die unter den Mekka¬ 
pilgern immer mehr, um sich greifende Seuche und die Gefahr 
ihrer Eiuschleppung durch aus Mekka zurückkehrende Bewohner 
Bosniens und der Herzegowina hat die k. u. k. Regierung zu um¬ 
fassenden Schutzmaßregeln veranlaßt. Erst nach 20tägiger Quarantäne 
in Tor und lOtägiger Quarantäne in Smyrna wird die Ausschiffung 
in Triest gestattet, woselbst die in der Cholera Instruction vorge¬ 
zeichneten Maßnahmen in Anwendung gebracht werden. — Die 
amtlichen, nichts weniger als vollständigen Berichte aus Spanien 
verzeichnen in der Zeit vom 18.—25. August 528 Erkrankungs- 
mit 259 (= 49°/ 0 ) Todesfällen, welche sich auf die Provinzen 
Valencia, Alicante, Toledo und Badajoz vertheilen. Für die Situation 
in den verseuchten Provinzen ist die Meldung von Attentaten 
gegen Aerzte charakteristisch, über welche aus Madrid be¬ 
richtet wird: „Bei der Bevölkerung der Provinz Valencia, welche 
unter der Einwirkung der seit Monaten dort wüthenden Seuche 
fast völlig demoralisirt ist, hat eine kaum begreifliche Erbitterung 
gegen die Aerzte Platz gegriffen, welche als die Urheber der Krankheit 
bezeichnet werden. Viele der Leute erklären, die Cholera existire 
gar nicht, und die Aerzte behaupteten ihr Vorhandensein nnr deshalb, 
um die arme Bevölkerung auszubeuten, um die Reichen aus der 
Provinz zu vertreiben und die Grundstücke zu Gunsten einer Spe- 
culationRgesellschaft zu entwerthen. An anderen Stellen klagt man 
die Aerzte an, sie hätten durch voreilige Desinfectiou die Krankheit 
nach Orten verpflanzt, wo bis dahin noch kein Keim der Cholera 
vorhanden gewesen sei. Diese thörichten Verdächtigungen haben aueh 
thatsäcblich einen solcheu Haß gegen die Aerzte hervorgerufen, daß 
am vorigen Sonntag Abends in der Stadt Valencia eiuer der be¬ 
kanntesten Aerzte, der seit Wochen mit unermüdlichem Eifer die 
Desinfection der ärmeren Stadtviertel geleitet hatte, auf offener 
Straße niedergestochen wurde, ohne daß man von dem Thäter eine 


Spur entdeckte. Schon 2 Tage darauf kam aus Lerda die Nachricht, 
daß dort ein Arzt von einer Frau, deren Kinder der Cholera er¬ 
lagen , mit einem Beile dermaßen geschlagen wurde, daß er Tags 
darauf verstarb. In Mogento endlich wurde ein Arzt von 3 Männern 
überfallen und mit Knütteln in der rohesten Weise mißhandelt.“ — 
Auch in Südafrika ist jetzt die Cholera ausgebrochen. Das 
„Reuter’sche Bureau“ meldet aus Durban, daß von den mit dem 
Dampfer „Congella“ in vergangener Woche daselbst aus Madras 
angekommenen Einwanderern und der Mannschaft des Schiffes 
während der Fahrt 8 an Diarrhoe gestorben nnd 6 andere Kranke 
gelandet worden seien, von welchen letzteren 1 gestorben ist. Die 
Untersuchungscommission habe officiell die Cholera constatirt, die 
Eingewanderten seien in Folge dessen isolirt worden. Die Gesund¬ 
heitsbehörden des Caps haben Port Natal für inficirt erklärt. 

(Aus Krakau) wird berichtet, daß seitens des Unterrichts¬ 
ministeriums die Herstellung eines Neubaues bewilligt worden sei, 
in welchem die Universitätsinstitute für pathologische Anatomie, 
allgem. Pathologie nnd gerichtliche Medicin untergebracht werden 
sollen. 

(Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege.) 
Die 16. Versammlung dieses Vereines wird in den Tagen vom 11.—14. Sep¬ 
tember 1890 in Brannschweig mit folgender Tagesordnung stattfinden: 
Donnerstag, den 11. September 1. Krankenhäuser für kleinere Städte und 
ländliche Kreise. Referent: Geheimrath Dr. J. v. Kkrschensteinbr (München). 
2. Filteranlagen für städtische Wasserleitungen. Referenten: Prof. Dr. Carl 
Frankel (Königsberg), Betriebsingenieur der städtischen Wasserwerke C. Piefke 
(Berlin). Freitag, den 12. September, 3. Ueber die Verwendbarkeit des an 
Infectionskrankheiten leidenden Schlachtviehes. Referent: Ober-Medicinalrath 
Prof. Dr. 0. Bollinger (München). 4. Desinfection von Wohnungen. Referent: 
Prof. Dr. G. Gaffky (Gießen). Samstag, den 13. September. 5. Das Wohnhaus 
der Arbeiter. Referent: Herr Fritz Kalle (Wiesbaden). 6. Baumpflanzungen nnd 
Gartenanlagen in Städten. Referent: Ober-Ingenieur F. Andreas Mater (Ham¬ 
burg). Sonntag, den 14. September. Ausflug nach dem Harz: Harzburg, 
Radau-Wasserfall, Molkenhaus, Rabenklippen, Burgberg. 

(Statistik.) Vom 24. bis inclusive 30. August 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 3862 Personen behandelt. Hievon wurden ^94 
entlassen; 82 sind gestorben (9'4°/ 0 des Abganges), ln diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte infund 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeld et: ; An 
Diphtheritis 43, egyptischer Augenentztindung —, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 7, Dysenterie —, Blattern 6, Varicellen 6, Scharlach 10, 
Masern 90, Keuchhusten 48, Wundrothlauf 12, Wochenbettfieber 3. — In 
der 35. Jabreswoche sind in Wien 32'^ Personen gestorben (—76 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der k. u. k. Oberarzt 
Dr. Emerich v. Koos, 26 Jahre alt; in Landskron der Stadt- 
und Districtsarzt Dr. Alois Kehl ; im Stifte Admont der dortige 
Hausarzt, Dr. Alois Pröll, 76 Jahre alt; in Graz der k. nnd k. 
Regimentsarzt d. R. Dr. J. Büche; in Königsberg der a. o. Pro¬ 
fessor der gerichtlichen Medicin, Geh. Med.-R. Dr. Pjncus; in 
Freiburg der a. o. Professor der inneren Medicin, Dr. J. v. Rotteck. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare ) 

Rosmini J., Relation sanitaire pour l’an 1887. Milan 1888. Fröres 
Rechiedei. 

Hollerung E., Die Medianscbrift. Mit 5 Figuren und 1 Tafel. Wien 1890. 
G. Szelinski. 

Woltzendorflf G., Die Massage in ihrer Bedeutung für den praktischen Arzt. 
Hamburg 1890. Gebr. Lüdoking. 

Marehand F., Beschreibung dreier Mikrocepbalen-Gehirne. 2 Abtheilungen. 
Mit 6 Tafeln. Halle 1889. Heransg. v. d. K. Leop.-Carol. D. Akademie 
d. Naturforscher. 

Albert E., Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre. 2. Bd. Mit 214 
Holzschnitten. IV., umgearbeitete Auflage. Wien und Leipzig 1890. 
Urban & Schwarzenberg. 

Winternitz W., Die Hydrotherapie anf physiologischer und klinischer Grund¬ 
lage. II-, durchaus umgearbeitete und vermehrte Auflage. 1. Band. Wien 
und Leipzig 1890. Urban & Schwarzenberg. 

Edelmann A., Bayerisches Bäderbuch. München 1890. Theod. Acker¬ 
mann. 

W'ille V., Die chemische Diagnose der Magenkrankheiten. II. umgearb. Aufl. 
München 1390. J. A. Finsterlin. 

Leo H. , Diagnostik der Krankheiten der Verdauungsorgane. Mit 28 Abb. 
Berlin 1890. August Hirschwald. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


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Nr. 37. 


Sonntag den 14. September 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Fresse' erscheine jeden Sonntag 
8 bia 3 Bogen Gross-^nart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich anch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Medis. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland : J&hrl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: $ Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maxlmilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

- ‘ ■• ate -- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber einige Leicheneracheinungen. Von Hofrath Prof. E. v. Hopmann in Wien. — Ueber die 
Chirurgie des Centralnervensystems. Von Victor Horslrt in London. — Ueber eine eigentümliche Form von periodischer, familiärer, wahrscheinlich 
anto-intoxicatorischer Paralyse. Von Dr. S. Goldflam in Warschau. — Referate and literarische Anzeigen. P. Dkeckmann (Recklingshausen): 
Ueber Resorcin und eine besondere Form der Anwendung desselben bei Hautkrankheiten. — Die Hydrotherapie auf physiologischer und klinischer 
Grundlage. Vorträge für praktische Aerzte und Stndirende von Dr. Wilhelm Winternitz, a. o. Professor an der Wiener Universität. — 
Histologische und bactorielle Untersuchungen über Mittelohr-Erkrankungen bei den verschiedenen Formen der Diphtherie. Von Prof. Dr. S. Moos 
in Heidelberg. — Feuilleton. XXV. Wanderversammlung der ungarischen Aerzte und Naturforscher in Großwardein. (16.—20. Angast 1890.) III. — 
Kleine Mittheilnngen. Natrium salicylicum bei Masern und Scharlach. — Die Behandlung des Coma diabeticum. — Das Sitzen mit gekreuzten 
Oberschenkeln und dessen mögliche Folgen. — Klinische Beobachtungen über die physiologische Wirkung der mehrfach äthylirten Sulfone — des 
Trional und Tetronal. — Ueber die Behandlung des Abdominaltyphus mit a-Naphthol. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler 
mediciniecher Congreß. Gehalten zn Berlin 4. —9. Angast 1890. (Orig.-Ber.) VI. — Notizen« Die medicinisch-wissenschaftlichc Ausstellung in 
Berlin. III. — Literatur. — Aentliehe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber einige Leichenerscheinungen. 

Von Hofrath Prof. E. v. Hofmann in Wien.*) 

Die möglichst genaue Kenntniß der sogenannten 
Leichenerscheinungen, d. h. der Veränderungen, welche 
erst nach dem Tode am menschlichen Körper und in dem¬ 
selben geschehen können, bildet eines der wichtigsten Erforder¬ 
nisse für einen tüchtigen Gerichtsarzt (Gerichtsanatomen), 
und dieser Umstand veranlaßt mich, einige dieser Verände¬ 
rungen zu besprechen, welche, wie ich glaube, weniger be¬ 
kannt sind oder einer Klärung bedürfen. 

Ich beginne mit der sogenannten Adipocire — oder 
Fettwachsbildung. Bekanntlich wird die Frage, was das 
Fettwachs ist, und wie sich dasselbe bildet, noch immer für 
nicht erledigt erachtet, und es stehen sich noch immer zwei 
Ansichten gegenüber, von welchen die eine die betreffende Er¬ 
scheinung von einer postmortalen Umwandlung der Weich- 
theile im Ganzen, insbesondere auch der Muskeln in Fett 
ableitet, während die andere in der Adipocire nur das ursprüng¬ 
liche Fett sieht, welches eine Umwandlung in Fettsäuren ein¬ 
gegangen ist und als eine anfangs weiche, später immer fester 
werdende Masse persistirt, während die übrigen Weichtheile 
der gewöhnlichen Fäulniß oder Maceration verfallen. 

Ich bekenne mich zu letzterer Ansicht und erlaube mir, 
auf einige Punkte aufmerksam zu machen, welche für diese 
Ansicht sprechen. 

In älteren Werken finden wir die Angabe, daß die 
Adipocire eine formlose Masse darstellt, woraus eben auf eine 
allgemeine Umwandlung der Theile in Fettwachs geschlossen 
wurde. In neueren Arbeiten (Kbatter) dagegen wird gerade 
auf die Erhaltung der Körperformen aufmerksam gemacht und 
eben darin der Beweis erblickt, daß die Adipocire nicht allein 
aus dem ursprünglichen Fett, sondern auch aus den anderen 
Weichtheilen besteht. 

Wenn man nun vollständige oder nahezu vollständige 
Adipocireleichen untersucht, so findet man in der That, daß 
die äußeren Körperformen erhalten, wenn auch mitunter, wie 

*) Vortrag, gehalten in der Section für gerichtliche Medicin des X. 
Internationalen med. Congresses. 


namentlich bei ausgegrabenen Leichen, durch den Druck des 
Erdreiches oder anderweitig verschoben oder zusammengedrückt 
sind. Untersucht man jedoch näher, so ergibt sich, daß die 
Erhaltung der Körperform außer durch das Skelett, resistentere 
Bindegewebsmassen, Sehnen und Fascien, eventuell auch durch 
Reste faulender Weichtheile, nur durch das ursprüngliche, 
gewissermaßen erstarrte Fettlager bedingt wird. 

Zunächst findet man, daß die Haut fehlt, und daß die 
Oberfläche der Leiche, wie schon die gleichmäßig körnige 
Beschaffenheit derselben vermuthen läßt, nur die Oberfläche 
der subcutanen Fettschichte ist, welche gewissermaßen einen 
Abdruck der Unterseite der Haut darstellt. Das Abgehen der 
Haut erfolgt, nachdem sich schon früher die Epidermis abgelöst 
hatte, beziehungsweise fortgeschwemmt wurde, durch Macera¬ 
tion oder durch putride Colliquation. In den letzten Stadien 
präsentiren sich die Hautreste als ein fast gallertartiger 
Schleim, der dem Fettpolster aufliegt, beim Herausziehen aus 
dem Wasser collabirt und rasch zu einer mißfärbigen, dünnen 
Schichte eintrocknet. Schließlich wird auch dieser Schleim weg¬ 
geschwemmt. 

Dieses und die Vorstadien dieser Hautzerstörung sind 
nicht so leicht zu sehen, da die Leiche in der Regel stark 
mit Schlamm, Algen u. dergl. bedeckt ist. und meist erst nach 
längerem Liegen an der Luft zur Untersuchung kommt. Auch 
gehören solche Untersuchungen begreiflicherweise nicht zu den 
angenehmsten. Doch ist es uns gelungen, fast alle Uebergänge 
dieser Hautzerstörung nachzuweisen und als Spirituspräparate 
zu conserviren, von denen ich einige vorzuzeigen mir erlaube. 

In ähnlicher Weise können sowohl die Musculatur als 
die sonstigen weniger resistenten Weichtheile verschwinden. Sie 
fehlen, wenigstens bei Wasserleichen, in den höchsten Graden 
vollständig, in den niederen finden sie sich in mehr weniger 
macerirtem, respective faulem Zustande, collabiren und schrumpfen 
ein, wenn sie der Luft ausgesetzt werden, wodurch sie 
sich schon von wirklicher Adipocire unterscheiden. Ich beehre 
mich einige Präparate herumzureichen, welche einestheils das 
Verschwinden der Weichtheile, andererseits die Persistenz der 
ursprünglichen Fettlager und deren Umwandlung in Adipocire 
in exquisiter Weise demonstriren. 

Eine Umwandlung von Musculatur in Fett, respective 
eigentliche Adipocire, habe ich nicht gesehen, und ich glaube, 
daß die Frage nach der Möglichkeit einer postmortalen Um- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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Wandlung von Musculatur in Fettwachs nun auch auf 
experimentellem Wege im negativen Sinne erledigt ist, und 
zwar durch die sehr sorgfältig angestellten Versuche von 
Lehmann (Würzb. Sitzungsber. 1888, S. 19) und Voit (Münchner 
med. Wochenschr. 1888, S. 518). Denn wenn auch diese Ver¬ 
suche ergaben, daß sich aus Eiweiß Fett bilden könne, so sind 
die betreffenden Mengen doch so gering (nach L. 3 70 und 
nach V. 2'0 Fettsäuren pro 100 Grm. Fleisch), daß diesem 
Vorgänge bei der Bildung größerer, compacter Fettwachs¬ 
massen keine wesentliche Rolle zugeschrieben werden kann. 

Wenn hie und da behauptet wird, daß Uebergänge von 
Musculatur in Adipocire beobachtet wurden (Karlinski, 1888), 
so kann dieses, abgesehen davon, daß die Muskeln mitunter von 
massenhaftem Fett durchwachsen sind, zunächst darauf beruhen, 
daß blos ausgewässerte Musculatur vorlag, die in der That 
einige Aehnlichkeit mit verfetteter Musculatur besitzt. Es 
kann dies aber auch davon herrühren, daß die hirnbreiähnliche 
Masse, in welche macerirende, respective faulende MuskelD 
zerfallen, für Adipocire gehalten wurde. 

Diese Masse, welche sich an frischen sowohl, als an ein¬ 
getrockneten Präparaten häufig noch in den Sarcolemmschläuchen 
nachweisen läßt, und die auch Lehmann und Voit als End¬ 
produkt ihrer Versuche erhielten, enthält, wie ja auch die 
ebengenannten Forscher fanden, nur wenig ausgebildetes Fett, 
respective Fettsäuren und ist eine Substanz per se, deren chemische 
Natur vorläufig ganz unbekannt ist, die aber offenbar aus 
diversen Zerfallsproducten der Eiweißkörper besteht, und von 
der es fraglich ist, ob und unter welchen Umständen sie außer 
etwa durch Eintrocknung sich erhalten und eine festere Consistenz 
anzunehmen vermag. Vielleicht kann etwas Derartiges in 
Gräbern geschehen. Bei in strömendem Wasser liegenden 
Leichen ist dies gewiß nicht der Fall, da die Substanz ein¬ 
fach weggeschwemmt wird, so daß nur das bindegewebige, mit¬ 
unter einem Corrosionspräparat ähnliche Gerüste übrig bleibt. 
Von Adipocire ist dieselbe genetisch, mikroskopisch und 
chemisch verschieden, und sollte mit ersterer ebensowenig zu¬ 
sammengeworfen werden, wie die mitunter ansehnlichen, schmier¬ 
käseartigen oder festen Reste des Gehirns, die sich häufig 
und manchmal noch nach Decennien in der uneröffneten Schädel¬ 
höhle vorfinden, welche, da die Gehimsubstanz vorzugsweise 
aus Eiweißkörpern besteht und keine Fette, sondern nur fett¬ 
ähnliche Stoffe (Cerebrin, Lecithin) enthält, wesentlich anders 
constituirt sein muß, als das gewöhnliche Fettwachs, und auch 
beim Erhitzen nicht schmilzt, wie dieses. 

Eine Umwandlung der inneren Organe in Adipocire 
kommt unter normalen Verhältnissen nicht vor, wohl aber 
wenn dieselben zur Zeit des Todes fettig entartet gewesen sind. 
Deutlich sieht man dies an der Leber. Eine normale Leber, im 
fließenden Wasser sich selbst überlassen, fault, respective 
macerirt in gewöhnlicher Weise und zerfällt schließlich in 
Brei, während eine Fettleber sich unter Erhaltung der Form 
allmälig in eine Substanz verwandelt, die sich ganz gleich 
verhält, wie das in Adipocire verwandelte subcutane oder 
anderweitige Fett. Das hier vorgezeigte Präparat zeigt diese 
Umwandlung in evidenter Weise. 

Das Herz zeigt sich mitunter in seiner Form vollständig 
erhalten. Dies rührt jedoch fast immer in erster Linie von 
den compacten, nun in Adipocire verwandelten Fettmassen her, 
von denen es umwachsen war, so daß man das ehemalige 
„Fettherz“ noch deutlich erkennt. Aber auch die frühere 
Muskelwand kann als Fettwachs erhalten sein, jedoch nur 
dann, wenn sie zur Zeit des Todes mit Fett durchwachsen 
oder fettig entartet gewesen war.') 

Schließlich noch Einiges über die Ursache und die 
Bedingungen der Fettwachsbildung. 


') Meine bisher ansgesprochenen Anschauungen und Befunde sind auch 
durch die neueste Untersuchung einer Fettwachsleiche, welche von Coksteb 
(„Zur Entstehung des Fettwachses.“ Vierteljahresschr. f. ger, Med. 1889, L, 
S. 211) vorgenommen wurde, bestätigt worden. 


Der Hauptgrund liegt in dem Umstande, daß das Fett 
als solches, sich selbst überlassen, nicht wie Fleisch und andere 
Organe fault, sondern einem anderen Zersetzungsprocesse ver¬ 
fällt, weichen man im gewöhnlichen Leben als das sogenannte 
Ranzigwerden bezeichnet, und welches in einer Spaltung der 
Neutralfette in Glycerin und Fettsäuren besteht. Die Adipocire- 
bildung ist daher keine exceptionelle, sondern eine gewöhnliche 
Leichenerscheinung, die mehr weniger bei jeder Leiche eintritt. 
Damit jedoch compacte, mit Erhaltung der Form des ganzen 
Körpers oder größerer Körpertheile verbundene Adipocire- 
massen entstehen, dazu sind noch andere Bedingungen erforder¬ 
lich, von denen ich nur einige erwähnen will. 

Zunächst eine stärkere Entwicklung des Fettes an dem 
betreffenden Körper. Eine Adipocirebildung in der Form und 
Ausdehnung, wie sie die von mir ausgestellte Fettwachsleiche 
darbietet, ist nur bei fetten Individuen möglich, und es ergibt 
auch meist, wie schon Reinhardt erwähnt, die Anamnese, 
daß die betreffenden Personen fett und corpulent gewesen sind. 
Bei mageren Individuen oder bei solchen von nur schwacher 
Fettentwicklung kommt es entweder gar nicht oder nur zu 
partieller Fettwachsbildung, d. h. nur dort, wo, wie z. B. am 
und im Bauche, relativ mehr Fett angesammelt war. 

Zweitens ein protrahirterer Verlauf der Fäulniß und ein 
gewisser Schutz vor sonstigen zerstörenden Einflüssen, ins¬ 
besondere vor Fliegenmaden und anderen größeren Organismen, 
welche bekanntlich frühzeitig faulende Leichen aufsuchen und 
dieselben rascher, als es die gewöhnliche Fäulniß thut, zu zer¬ 
stören vermögen. Diese Bedingungen sind am meisten im 
Wasser gegeben, und daraus erklärt sich, warum die Fett¬ 
wachsbildung vorzugsweise an Wasserleichen oder an solchen 
Leichen beobachtet worden ist, welche in Grundwasser oder 
nassem Erdreich gelegen sind. Die in Wasser stattfindende Weg¬ 
spülung des Glycerins und der flüssigen Oelsäure mag dabei 
insoferne auch eine Rolle spielen, als sie die Erstarrung der 
sich bildenden Adipocire befördert. 

Auch die ursprüngliche Beschaffenheit des Fettes scheint 
von einigem Einfluß zu sein. Schon Orfila und Lesueur haben 
die Adipocirebildung vorzugsweise an Kindesleichen beobachtet, 
respective studirt, und auch von Casper-Liman u. A. wird 
berichtet, daß an Kindesleichen die Umwandlung in Adipocire 
rasch erfolgt. Diese Thatsache wird vollkommen begreiflich, 
wenn man die Beschaffenheit des Kinderfettes erwägt. 

L. Langer 2 ) hat bei seinen zu anderen Zwecken im 
Wiener Laboratorium für medicinische Chemie angestellten 
Untersuchungen über das Menschenfett gefunden, daß der 
Panniculus adiposus des Neugeborenen und des Säuglings relativ 
mindestens ömal so dick ist als der des fettleibigsten Er¬ 
wachsenen, und daß sich derselbe schon makroskopisch von dem 
des Erwachsenen unterscheidet. Er ist grauweiß und zerfällt 
leicht in Krümeln, ähnlich wie in Wasser gekochtes Wachs, 
läßt auf den Schnittflächen keine Fetttröpfchen hervortreten 
und zeigt bei der mikroskopischen Untersuchung fast in jeder 
Fettzelle zahlreiche Krystalle. Mit Aether extrahirt, bildet das 
Kinderfett bei Zimmertemperatur eine weiße, ziemlich feste, 
talgartige Masse, deren Schmelzpunkt bei 45° C. liegt, während 
das Fett von Erwachsenen sich in eine obere flüssige, gelbe, 
erst bei 0° erstarrende, und in eine untere dünnere Schichte 
trennt, welche aus krümlieher, krystallinischer Masse besteht 
und schon bei 86° C. schmilzt. Auch ergab die chemische 
Untersuchung, daß das Fett der Neugeborenen ungefähr drei¬ 
mal so viel feste Fettsäuren (Palmitin- und Stearinsäure) und 
weniger Oelsäure enthält, als das des Erwachsenen. Durch 
diesen Nachweis ist die Leichtigkeit, mit welcher Kinderleichen 
der Adipocirebildung verfallen, sehr begreiflich und vollkommen 
aufgeklärt. 

Die Potatoren scheinen ein großes Contingent zu den 
Adipocireleichen zu liefern. Die reichliche Fettbildung könnte 

*) Ueber die chemische Zusammensetzung des Menschenfette * in ver¬ 
schiedenen Lebensaltern. LXXXV der Sitzungsber. der k. Akad. der Wisaensch. 
III. Abth., Juniheft 1881. 


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dies für sich allein erklären, es ist jedoch sehr möglich, daß 
auch die abnorme Beschaffenheit des Fettes hiebei eine Rolle 
spielt, da es bekannt ist, daß sich das Potatorenfett durch 
seine blässere Farbe und durch sein schmieriges, unschlitt- 
artiges Verhalten von gesundem Fett unterscheidet, und wahr¬ 
scheinlich, wie Talg, reicher an festen Fettsäuren und daher 
geeigneter zur Fettwachsbildung sein dürfte als gewöhn¬ 
liches Fett. 

Von den von mir untersuchten Fettwachsleichen waren 
die meisten im Frühjahre ausgeschwemmt worden, sind daher 
wählend des Winters im Wasser,' vielleicht im Eise gelegen, 
welcher Umstand außer durch Fäulnißverzögerung insoferne 
von Einfluß gewesen sein kann, als das Fett bekanntlich bei 
niederer Temperatur, und zwar noch bevor diese den Gefrier¬ 
punkt erreicht, erstarrt und dann leichter als Ganzes sich 
erhalten kann. 

Anschließend an das Gesagte erlaube ich mir. die Kopf¬ 
schwarte einer ans dem Wasser gezogenen, theilweise in 
Adipocire verwandelt gewesenen männlichen Leiche vorzuzeigen, 
an welcher die Haare auf der einen Seite noch erhalten, auf 
der anderen entweder im Niveau der Haut oder kurz über 
diesem wie abgeschnitten oder abrasirt sind. Ich habe diese 
Erscheinung bei Wasserleichen wiederholt beobachtet, wenn die¬ 
selben längere Zeit im Wasser gelegen sind. Auch der von 
mir ausgestellte Kopf einer Adipocireleiche zeigt am Hinter¬ 
haupt diesen Befund. Ich habe denselben anfangs von einem 
Abschleifen der Haare durch Sand oder anderweitig rauhen 
Grund abgeleitet; da ich aber später niemals Abwetzungs- 
erscheinungen an der betreffenden Haut selbst beobachtete, 
und die Haarstümpfe auch an excavirten, der Abschleifung 
nicht ausgesetzt gewesenen Stellen, z. B. im Nacken, con- 
statiren konnte, so mußte ich diese Erklärung aufgeben und 
glaube nun, daß die Erscheinung durch die Gewalt des 
strömenden Wassers erfolgt, durch welche die durch langes 
Liegen im Wasser morsch gewordenen Haare abgerissen 
und weggeschwemmt werden. Am Kopfe kann dies leichter 
als anderswo Vorkommen, weil dort die Haare frei liegen, 
länger sind und weil sie fester haften, indem sie, wie schon 
Hyrtl (Topogr. Anat. 7. Aufl. I, 48) betont, nicht in der 
Cutis selbst, sondern im Unterhautgewebe, und zwar sehr 
tief wurzeln. Daher erklärt es sich auch, warum, nachdem 
die Haut verfault oder durch Maceration verschwunden ist, die 
Haarstümpfe noch in dem subcutanen, in Adipocire verwandelten 
Fett sich finden können. In dieser Beziehung hat der Befund 
auch für die Adipocirefrage einige Wichtigkeit, insbesondere 
aber deshalb, weil gelegenheitlich dieser Befund auf ein noch 
während des Lebens oder später, z. B. behufs absichtlicher 
Entstellung, vorgenommenes Abschneiden oder Abrasiren der 
Haare bezogen werden könnte. (Schluß folgt.) 

Uebcr die Chirurgie des Centralnervensystems. 

Von Victor Horsley in London.*) 

Der ehrenhaften Aufforderung, einen einleitenden Vortrag 
über die Chirurgie des Central nervensystems zu halten, nach¬ 
kommend , glaube ich Ihren Intentionen am besten zu ent¬ 
sprechen , wenn ich Ihnen ein allgemeines Schema über den 
Stand dieser so ausgedehnten Frage gebe. Ich werde daher 
zunächst die Fälle aufzählen, in welchen bis nun eine chirur¬ 
gische Intervention rationell erscheint, und die Argumente, die 
für oder gegen dieselbe angeführt werden können. 

Ich werde übrigens heute nur einige der wichtigsten 
Fragen streifen können und am Schlüsse einige Fälle aus 
meiner eigenen Praxis mittheilen. 

Wie natürlich, werde ich mich des Weiteren über die 
Chirurgie des Gehirns und nur kurz über die des Rücken¬ 
markes aussprechen. 

*) Vortrag, gehalten in der Section für Neurologie des X. Intern, med' 
Congres»es. 


I. Chirurgie des Gehirnes. 

Bevor ich das Thema eingehend bespreche, gestatten Sie 
mir vor Allem, ein allgemeines Resum^ vorzuführen. 

Ich will zunächst einen Abschnitt den einzelnen Gehim- 
oder Meningenerkrankungen widmen. welche einer chirur¬ 
gischen Intervention zugänglich sind. Von diesen will ich 
aber nur jene besprechen, die mit einem * bezeichnet sind. 
Der Zweck dieser Tabelle ist aber gerade, Ihnen die Rich¬ 
tung, in welcher die Untersuchungen zu verfolgen sind, zu 
zeigen. 

In der vorgeführten Tabelle befinden sich nach dem 
Namen der Erkrankungen die Folgen derselben, die chirur¬ 
gischen Eingriffe und die unmittelbaren und späteren Resul¬ 
tate der letzteren. 

Schließlich gebe ich das Endresultat an, das wir von der 
Operation zu erhoffen haben: 

I. Mechanische Erkrankungen. 

A. localiairte: 

* a) Complicirte Fracturen; fuhren zu Lähmung, Epilepsie, 
Geistesstörungen. Durch das Aufheben der Fragmente kann man die un¬ 
mittelbaren Er8che : nungen heilen und den entfernten Vorbeugen. 

b) Contusion des Gehirnes (frische, alte, Narben bedingende) 
mit oder ohne Fractur oder Eindrücken von Knochenstücken; dieselben Ge¬ 
fahren wie oben. Breite Eröffnung der Dura, Entfernung der Blutgerinnsel, 
WiedeieinsetzuDg des Knochenstückes, dasselbe Resultat wie oben. 

* c) Spontane Gehirnhämorrhagie, Apoplexie; dauernde und 
selbst tödtliche Paralyse. Unterbindung der Carotis comm. kann der Paralyse 
und der Contractur Vorbeugen. 

d) Pachymeningitis haemorrhagica; verursacht Stupor, 
Lähmung, Tod. Trepanation und Entleerung der Höhle; Heilung kann er¬ 
hofft werden. 

e) Secundäre Hämorrhagien in Folge von Thrombose; verur¬ 
sachen Epilepsie, Comaund Tod. Als ultimum refuginm unmittelbare Eröffnung. 
Möglichkeit, die Epilepsie aufzuhalten und den späteren Consequenzen vor¬ 
zubeugen. 

f) Hämorrhagien aus der Meningea media; Ligatur der 
Gefäße, vollständige Heilung. 

B. llydrocephalie; verursacht Epilepsie, Dementia, Tod. Kann aufgehalten 
werden: 1. durch wiederholte Punction und nachfolgende Compression; 

2. duich Drainage der Ventrikel nach erfolgloser Anwendung einer mercu- 
riellen Behandlung. 

Cephalalgie, die Unfähigkeit zur Arbeit erzeugt. Kann durch Trepanation 
und Bloßlegung der Rinde vollständig geheilt werden. 

II. Entzündliche Erkrankungen. 

A. locale: 

d) Abscesse, ob sie nun durch einen Fremdkörper erzeugt werden 
oder nicht, können durch Entleerung geheilt werden. Erzeugen sonst Paralyse 
und Tod. 

b) Aktinomykose, Auskratzung und Drainage des Herdes. 

B. allgemeine: 

a) Meningitis septica oder tuberculosa. Heilung durch 
Drainage und Desinfection möglich (?). 

b) Erweichung; erzeugt Epilepsie und Lähmung. Heilung durch 
Exstirpation des Herdes möglich. 

III. ‘Tumoren. 

IV. ‘Herdepilepsie. 

V. ‘Atlietose und clonische Krämpfe. 

VI. Verrücktheit. 

a) Traumatische, tödtlich; Heilung durch Trepanation möglich. 

b) Allgemeine progressive Paralyse. Heilung möglich (?;. 

VII. Congenitale Erkrankungen. 

a) Encephalocele. 

ft)Meningocele cerebralis oder spinalis. Tödtlicher Ver¬ 
lauf; Heilung möglich: 1. durch Exstirpation ; 2. durch wiederholte Punction ; 

3. durch Jodinjection. 

c ) Mikrocephalie; erzeugt Convulsionen und Idiotismus. Heilung 
möglich durch Craniectomie (Lanxklongue). 

Ich will zunächst die Schädelfracturen berühren. 
Hier glaube ich, gibt es keine Discussion; ob eine Wunde der 
Weichtheile vorhanden ist, ob schwere unmittelbare Erschei¬ 
nungen bestehen oder nicht, muß chirurgisch eingegriffen 
werden. Freilich wird man dagegen ein wen den, daß häufig, 
zumal bei Kindern, die Toleranz für diese Art von Läsionen 
sehr groß ist, und es werden nicht selten Fälle beobachtet, 
wo nach einer einfach exspectativen Therapie die Resultate 
ziemlich gute sind. 

Doch darf man sich nach meiner Ansicht über die 
letztere nicht allzu früh freuen, denn in vielen Fällen, 
namentlich wenn der Kranke sich in jugendlichem Alter be¬ 
findet, verspürt er erst später die Folgen des Eindrückens 

l 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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des Knochens: er wird epileptisch oder verliert das Gedächtniß, 
mit einem Wort, leidet Einbuße an seinen Gehirnfunctionen. 

Glücklicher Weise können wir seit den Entdeckungen 
Lister’s diesen traurigen Zuständen abhelfen. So z. B. konnte 
ich in einem Falle, dessen Photographie ich Ihnen vorzeige, 
die ganze eingedrückte Stirn- und Scheitelgegend wieder heraus¬ 
heben, und Sie werden mir zugeben, daß in ähnlichen Fällen 
immer so gehandelt werden muß, wenn auch nur zu dem 
Zwecke, um die zwischen Knochen und Dura vorhandenen Blut¬ 
gerinnsel zu entfernen. 

Uebergehen wir nun zu den complicirten Fracturen mit 
Verwundung des Gehirns. Ich glaube nicht ob nun die 
Wunde eine alte oder frische ist, daß es eine Contraindication 
für den blutigen Eingriff gibt. Ja, ich gehe noch weiter und 
behaupte, daß man selbst bei einfachen Contusionen des Ge¬ 
hirns operiren muß und daß man auf diese Weise den epilepti¬ 
schen Anfällen Vorbeugen oder dieselben heilen wird. Ich 
kann in dieser Hinsicht zwei lehrreiche Beispiele anführen: 
In dem einen Falle, für den ich nicht verantwortlich bin, 
starb der Verletzte am Ende der ersten Woche an furchtbaren 
epileptiformen Krämpfen; in diesem Falle wurde eben nicht 
operirt, Hingegen habe ich einen Collegen, der eine ausgedehnte 
Contusion der Schläfen-Scheitelgegend erlitten hatte, und der 
seit 6 Tagen hemiplegisch und fast bewußtlos war, schließlich 
comatös wurde und bereits CHRYNE-STOKKs’sches Athmen zeigte, 
trepanirt. Nach ausgedehnter Eröffnung des Schädels habe 
ich die Dura von Blut und Gerinnseln gereinigt, und der 
Kranke konnte nach Kurzem wieder seinem Berufe nachgehen. 

Ich glaube, daß es sich in diesem Falle um eine secun- 
däre Hämorrhagie gehandelt hat. 

Ich will über mehrere in der Tabelle enthaltene Er¬ 
krankungen nicht*weiter sprechen, weil über dieselben nicht mehr 
discutirt wird, und zu einer Krankheit übergehen, bei welcher 
ein chirurgischer Eingriff bis nun nicht allgemein ist, ich meine 
die Gehirnhämorrhagie. Die chirurgische Behandlung, 
die ich für die gewöhnliche Himhämorrhagie (die in den Linsen- 
kera und Streifenhügel') vorschlage, könnte auf den ersten 
Blick chimärisch und selW gefährlich erscheinen. Nichtsdesto¬ 
weniger empfehle ich sie. Es ist dies die Ligatur der Carotis 
communis. Ich glaube Sie durch folgende Argumente von der 
Richtigkeit meines Vorschlages zu überzeugen: 

1. Kann die gegenwärtige classische Behandlung (ruhige 
Bettlage, Kälte, Application von Blutegeln u. s. w.) wohl 
nicht den Anspruch machen, hämostatisch zu wirken, und 
wohl nicht wenige moderne Autoren begnügen sich mit abso¬ 
lutem Zuwarten. 

2. Die Folgen der Apoplexie, d. h. die permanente Hemi¬ 
plegie und selbst der Tod, stehen in directem Verhältniß zur 
Zahl der zerstörten Nervenfasern, sie hängen somit direct 
von der Möglichkeit, die Blutung zu stillen, ab. 

3. Diese Blutstillung kann nur durch Ligatur der Carotis 
oder durch directe Compression des zerrissenen Gefäßes erfolgen. 

4. Um diese Compression aber bewerkstelligen zu können, 
müßte man mit dem Messer viel größere Zerstörungen im 
Gehirn anrichten, als die ursprüngliche Erkrankung diesgethan. 

5. Durch Unterbrechung des Blutstromes in der Carotis 
kann man auch die allerdings selteneren Fälle bekämpfen, 
bei welchen die Hämorrhagie aus der Arteria fossae Sylvii 
stammt, wie dies experimentell von Spencer und mir am 
Affen erwiesen worden ist. 

6. Die aseptische Ligatur der Carotis ist eine sehr leichte 
Operation. Sie heilt in wenigen Tagen per primam. 

Ich habe nach experimenteller Ausführung derselben zeit¬ 
weise Parese, aber nie dauernde Hemiplegie und Gehirnerweichung 
beobachtet. Zufälle dieser letzteren Art sind ausschließlich 
durch nicht aseptische Ligatur bedingt, und die aus denselben 
gezogenen Schlüsse demnach nicht stichhältig. 

Erst jüngst mußte ich bei einem Individuum, dessen 
eine Carotis 14 Tage zuvor unterbunden worden war, die 


andere während einer Gehirnoperation auch unterbinden. Die 
Wunde heilte per primam und es trat keine Lähmung ein; 
ich glaube demnach, daß, wenn ein Individuum eine erste 
leichte Gehirnhämorrhagie durchgemacht hat, man berechtigt 
ist, die prophylaktische Ligatur der Carotis auszuführen. 

Ich übergehe nun zu den Fällen, bei welchen nach 
einem Schädeltrauma, ohne daß eine organische Läsion vor¬ 
handen wäre, eine dauernde, unerträgliche Cephalalgie auf- 
tritt, die den Kranken zu jeder Arbeit unfähig macht und 
jeder Behandlung trotzt. 

Ich glaube, daß die anatomische Ursache in solchen 
Fällen in einer Veränderung des Knochens liegt. Ich mache 
darauf ganz besonders aufmerksam, weil trotz der großen 
Anzahl der in den letzten 15 Jahren veröffentlichten That- 
sachen, den Fällen dieser Art noch nicht genügend Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt wird. Hier findet man häufig keinerlei 
sensible oder motorische Störungen, wie sie bei der trauma¬ 
tischen Hysterie sich finden. 

Die Operation übt hier nicht nur einen wohlthätigen 
Einfluß auf den Schmerz, sondern auch auf den geistigen 
Zustand des Kranken. Als Beweis will ich Ihnen hier fol¬ 
gende Beobachtungen aus meiner eigenen Erfahrung anführen : 

I. H., 37 Jahre alt. Nach Erfolglosigkeit verschiedener Mittel Trepa¬ 
nation am 12. November 1886. Es fand sich der Schädel an einer Stelle von 
einer PxccHioNi’schen Granulation arrodirt; prima intentio, vollständige Heilung. 
Später mußte man noch eine kleine Spitze von dem reponirten Knochen 
reseciren. 

II. F., 25 Jahre. Seit 3 Jahren hartnäckige, heftige Kopfschmerzen in 
Folge eines Schlages. Entfernung einer kleinen hämorrhagischen Cyste an 
dieser Stelle ohne Erfolg. Narcotica blieben ohne jeden Einfluß. Trepanation 
am 25. Juni 1887, prima intentio Die Heilung persistirt bis zu meiner 
letzten, im Juni 1890- über den Fall eingezogenen Erkundigung 

III. H , 38 Jahre. Heftiger Schlag 10 Jahre vorher. Rechtsseitige 
Parese, Hemianästhesie, furchtbarer Kopfschmerz. Erfolglosigkeit der Narcotica. 
Trepanation am 15 August 1883; Heilung. 

IV. H., Hl Jahre. Sturz vom Pferde 15 Jahre vorher; heftige Kopf¬ 

schmerzen. Jodkali, Antipyrin blieben ohne Resultat. Trepanation am 
18- April 1890. Der Knochen wurde verdickt angetroffen; prima intentio, 
Heilung. ... 

Bei Meningitis septica glaube ich, daß die Indication 
für ausgedehnte Drainage und Auswaschung mit warmen 
antiseptischen Lösungen vorhanden ist. Ich behaupte nicht, 
daß man auf diese Weise immer Heilung erzielen wird, muß 
aber hervorheben, daß wir es mit einer Erkrankung zu thun 
haben, die gegenwärtig als unheilbar betrachtet wird. 

Ich habe diese Operation in 2 Fällen ausgeführt und 
nur eine vorübergehende Besserung erzielt, aber beide Kranke 
waren bereits moribund zur Zeit, wo ich die Operation 
ausführte. 

Bei Gehirnabsceß braucht die Nothwendigkeit der 
Operation nicht mehr bewiesen zu werden. Bei Meningitis 
tuberculosa hatte ich wohl noch keine Gelegenheit zu operiren, 
ich glaube aber, daß die Beobachtungen, die wir bei der tuber- 
culösen Peritonitis nach der antiseptischen Incision machen, 
ein Analogon dafür bieten und jedenfalls den Vorschlag nicht 
für so sehr unmöglich gestalten. 

Ich bin nun zu den Tumoren angelangt und somit zu 
einer Frage, bei welcher die zu discutirenden Punkte so zahl¬ 
reich sind, daß ich kaum die Zeit haben werde, einige davon 
zu berühren. Eines muß ich aber ganz besonders hervorheben; 
es ist dies die übermäßig lange Zeit, während welcher man 
den Kranken einer empyrischen internen Behandlung unter¬ 
zieht. Ich finde es sehr bedauerlich, daß man dieselbe nicht 
einschränkt. Denn im Allgemeinen wird der Chirurg erst 
dann zur Operation ein geladen, wenn der Kranke in einem 
Zustande ist, in welchem er von der letzteren keinen Nutzen 
mehr ziehen kann. Es ist dies für den Chirurgen wohl eine 
unangenehme Situation, zweifellos aber für den Kranken eine 
noch ungünstigere. Die 2 letzten Fälle, die ich beobachtete, 
lehrten dies am besten. 

Bei dem einen machte ich eine ausgedehnte Schädel- 
resection, und durch Verminderung des Druckes konnte ich 
die Erscheinungen erleichtern; beim anderen habe ich den 


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1457 1890. — Wiener’ Medizinische Presse. — Nr. 87. 1458 


Eingriff abgelehnt, und ich that wohl daran, denn 6 Tage 
später starb der Kranke. 

Die gewöhnliche medicinische Behandlung, von der ich 
eben sprach, besteht in Verabreichung von Jod- und Brom¬ 
kali. Nun handelt es sich nicht darum, festzustellen , von 
welchem Momente an diese Behandlung als unwirksam zu 
bezeichnen ist. Das Unangenehme besteht darin, daß häufig 
selbst bei Sarcom das Jodkalium in hohen Dosen eine anfäng¬ 
liche Besserung erzeugt, die irreführt. Ich glaube daher, daß 
es angezeigt wäre, sich auf einen Termin von 6 Wochen zu 
beschränken. Wenn im Laufe dieser Zeit keine ausgespro¬ 
chene Besserung eintritt, so soll eine Explorativtrepanation 
gemacht werden. 

Die constante Unwirksamkeit der internen Behandlung 
gegen Tumoren im Allgemeinen ist ja hinlänglich bekannt, 
wenn daher der Chirurg hier häufig vor inoperabel gewordene 
Tumoren gestellt wird, so liegt dies eben darin, daß man die 
kostbare Zeit mit einer unwirksamen Therapie verloren hat. 
Ich hoffe, daß aus dieser illustren und competenten Ver¬ 
sammlung über diesen für den Kranken so wichtigen Gegen¬ 
stand eine bestimmte Regel hervorgehen wird. 

(Schluß folgt.) 

Ueber eine eigentümliche Form von perio¬ 
discher, familiärer, wahrscheinlich auto- 
intoxicatorischer Paralyse. 

Von Dr. S. Goldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Dies wird wohl genügen, um eine richtige Vorstellung 
vom klinischen Bilde der Anfälle zu bekommen, umso mehr, 
als die Anfälle fast stereotyp sich wiederholten. Von großem 
Interesse ist es, daß unser Kranke nicht der Einzige in 
der Familie ist, der von solchen Anfällen heimgesucht wird. 
Noch 11 Mitglieder derselben leiden an solchen periodisch 
auftretenden, paralytischen Erscheinungen. Es ist also eine 
familiäre Krankheit mit homologer Heredität im wahren Sinne. 
Diese pathologische Filiation erstreckt sich ausschließlich auf 
die Mitglieder mütterlicher Seite; die Familie des Vaters ist 
von jeder hereditären Krankheit frei. Andere nervöse oder 
hereditäre Krankheiten, als die in Rede stehende, sind auch 
in der Familie der Mutter nicht vorgekommen. Die zwei Fälle 
von Tuberculose unter so vielen Mitgliedern scheinen nicht 
auf hereditärer Basis zu beruhen und sind eher als accidentell 
und acquirirt zu betrachten. 

Die Krankheit hat sich nicht auf alle Mitglieder der 
Familie vererbt, da die größte Zahl davon frei geblieben ist. 
Einmal ist ein ganzes Geschlecht von 3 Mitgliedern von der 
Krankheit heimgesucht worden, obgleich der Vater davon 
frei war. Die Vererbung ist nicht eine continuirliche, directe, 
denn die Krankheit kann ein, sogar zwei Geschlechter über¬ 
springen, um im dritten wieder zum Vorschein zu kommen. 
Die Erkrankung vererbt sich mit derselben Frequenz auf die 
männlichen und die weiblichen Mitglieder. Beinahe bei allen 
afficirten Mitgliedern kam die Krankheit in der Jugend, 
zwischen dem 15. und 20. Jahre, zum Vorschein. Auch ist 
die Frequenz der Anfälle individuell verschieden; bei einigen 
Mitgliedern erscheinen sie sehr oft, z. B. wöchentlich, bei An¬ 
deren in großen, sogar nach Jahren zählenden Zwischenräumen. 
Die Mutter unseres Kranken hatte sogar nur einen Anfall im 
36. Lebensjahre bekommen. Im Allgemeinen ist die Häufigkeit 
der Anfälle in der Jugend größer, als im späteren Alter. Es 
scheint, als ob die Neigung zu den Anfällen mit den Jahren 
abnehme, obwohl sie nie ganz verschwindet. Bei den Mit¬ 
gliedern, die ein ziemlich hohes Alter erreicht haben, waren 
die Anfälle, obgleich in größeren Zwischenräumen, bis zum Tode 
vorgekommen. Es scheint, daß die Anfälle von Lähmung auf 
die Lebensdauer der Betroffenen nicht von wesentlichem Ein¬ 
flüsse waren. In einem Falle gab der Anfall ganz ohne Grund 


zu einem chirurgischen Einschreiten, nämlich Aderlaß, Ver¬ 
anlassung, das den Tod im 17. Lebensjahre herbeiführte. 
Dieses Unglück, das, wie es scheint, allein dem Aderlässe zuzu¬ 
schreiben ist, hat sowohl unserem Kranken, als allen be¬ 
troffenen Mitgliedern Scheu eingejagt und Furcht vor der 
Krankheit erweckt. Ein anderes betroffenes Mitglied erkrankte 
im 00. Lebensjahre nach einem kalten Flußbade, bekam Diar¬ 
rhoe, dann Lähmung und starb nach 3 Tagen. Bei den an¬ 
deren Verstorbenen war die Ursache des Todes eine ganz zu¬ 
fällige, so Apoplexie, Wochenbett. Die anderen Mitglieder 
leben noch, erfreuen sich, mit Ausnahme der Anfälle, guter 
Gesundheit und haben zum Theil ein ziemlich hohes Alter 
errreicht Die 2 Fälle von Tuberculose, von denen schon die 
Rede war, betrafen Mitglieder, die von Anfällen frei waren. 

Das klinische Bild der Anfälle wiederholt sich bei allen 
betroffenen Mitgliedern fast stereotyp wie bei unserem 
Kranken, zeigt also eine Lähmung aller Glieder. Nur in einem 
Falle hat sich die Paralyse auf die Beine beschränkt. Die Dauer 
des Anfalles beträgt höchstens 2 Tage, aber auch weniger, 
sogar nur 6 Stunden. Die Intensität und Dauer der Anfälle 
ist unabhängig von der directen Filiation; die Krankheit kann 
bei den Descendenten in hohem Maße auftreten, obgleich sie 
ein Geschlecht übersprungen hat, oder bei dem Ascendenton 
nur in leichtem Grade vorhanden war. 

Die in der Literatur vorhandenen Daten sind so präcis, 
das Krankheitsbild so prägnant und in allen Beobachtungen 
mit solcher Constanz in den Hauptzügen wiederkehrend, daß wir 
meines Erachtens vollkommen berechtigt sind, eine neue 
Krankheit in die Nosographie einzuführen. Wollten wir beide 
Fälle von Schachnowitsch, 5 Fälle von Cousot und alle 12 
Fälle unserer genealogischen Tabelle berücksichtigen, so sind 
zusammen 24 Fälle vorhanden,, auf Grund deren sich ein 
Krankheitsbild entwerfen läßt. Daß die Krankheit hereditär 
im wahren Sinne des Wortes ist, haben wir ja gesehen. Es 
ist ja nicht allein unsere Beobachtung, in der dies in hervor¬ 
ragendem Maße hervortritt, sondern von 8 Füllen, die wir zu¬ 
sammengestellt haben, findet sich die Heredität bei dreien ver 
zeichnet (Cousot und Schachnowitsch). Die Vererbung ist eine 
homologe, das heißt, dieselbe Krankheit geht auf den Descen 
denten über. Keine andere hereditäre oder nervöse Krank¬ 
heit war vorhanden, mit Ausnahme des Bruders von Schach- 
nowitsch’s Kranken, der an Epilepsie litt. Um Wiederholungen 
zu vermeiden, verweisen wir auf die bei unserem Falle ge¬ 
schilderten Charaktere dieser Erblichkeit. 

Die Krankheit befällt sowohl das männliche, wie das 
weibliche Geschlecht. Von den 24 zusammengestellten Fällen 
betrafen 14 Männer, 10 Weiber. Das Leiden tritt im jugend¬ 
lichen Alter auf, zwischen dem 15. und 20. Jahre; es sind 
aber Fälle verzeichnet, wo es früher auftrat, im 8., 9., 10. 
Lebensjahre, in einem Falle sehr spät, im 36. J., wie bei der 
Mutter unseres Kranken, die überhaupt sehr geringe Dispo¬ 
sition zu den Anfällen aufweist, da sie nur einmal davon be¬ 
troffen wurde. Es sind also gewöhnlich jugendliche Individuen, 
die in der Zwischenzeit absolut gesund sind. In manchen Fällen 
ist sogar ausdrücklich der athletische Bau der Betroffenen 
verzeichnet. Kleine Abnormitäten sind bei drei Autoren 
erwähnt; so sah Hartwig bei seinem Kranken Genu valgnm 
und Pes valgus und die rechtsseitige Hals- und Brustmuscu- 
latur weniger entwickelt als links, Greidenberg eine Asym¬ 
metrie des Gesichtes und Ohres, Cousot bemerkt, daß von den 
8 Geschwistern die 4 Betroffenen von kleinerem Wüchse waren 
als die 4 gesund gebliebenen. Diese Abweichungen hinderten 
aber gar nicht, daß die Betroffenen in der Zwischenzeit für 
absolut gesund gelten konnten, daß sie sowohl somatisch als 
psychisch ganz normal sich verhielten. 

Mitten in voller Gesundheit tritt der 1. Anfall auf, ohne daß 
irgendwelche Veranlassung sich auffinden könnte. Zwar meint 
der Kranke von Greidenberg , daß sich der 1. Anfall nach 
heftigem Schreck einstellte, aber die anderen Kranken 
geben nichts ähnliches an, und ist wahrscheinlich, daß ein 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


Moment, wie Schreck, nur ein occasionelles zur bestehenden 
Disposition abgeben konnte. Schreibt ja auch Cousot, daß 
Schreck, Gemüthsbewegungen den Auftritt der Anfälle bei 
einem seiner Kranken beschleunigten. Alle Autoren bemerken 
aber ausdrücklich, daß die Anfälle ohne greifbare Ursache sich 
einstellen. 

Gewöhnlich kündigt Nichts den sich nahenden Anfall an, 
umso mehr, als er gewöhnlich Nachts während des Schlafes 
sich einstellt, in anderen Fällen aber kennzeichnet sich der 
Anfall durch Schwäche in den Gliedern, Müdigkeitsgefühl und 
Schläfrigkeit. Bei meinem Kranken war außer der Schwäche 
der Glieder das Ausbleiben des Juckens ein Zeichen des her¬ 
annahenden Anfalles. Ausgesprochene sensible Symptome und 
Parästhesien fehlen meist, die Kranken behaupten gewöhn¬ 
lich, gar keine Schmerzen und Sensationen zu haben. Allein 
Wkstphai.’s Kranke gab an, im Beginne des Anfalles manch 
mal ein Gefühl von Nadelstechen in den Beinen, Durst und 
Drang zum Uriniren zu haben, bei Cousot ist ein Bewegungs¬ 
drang vermerkt, der aber nichts Anderes bezeichnet, als daß 
der Kranke dadurch den Anfall hintanhalten wollte. Manch¬ 
mal verspürte Schachnowitsch’s Kranker, bei dem die Anfälle 
sich gewöhnlich ohne Parästhesien und Schmerzen einstellten, 
ein Taubheitsgefühl in den Gliedern, Schwäche der Bewegungen, 
Formication im ganzen Körper, die er durch energisch aus¬ 
geführte Bewegungen nach 20 Minuten beseitigen konnte; es 
sind dies aber abortive Anfälle, von denen später die Rede 
sein wird. 

Der Anfall kennzeichnet sich durch Lähmung. Bekommt 
der Kranke den Anfall des Nachts, so kann er schon, wenn er 
aufwacht, sich gar nicht, oder nur schwer umdrehen und seine 
Glieder bewegen. Früh Morgens ist gewöhnlich die Lähmung 
vollständig entwickelt. Stellt sich aber der Anfall während 
des Tages ein, so ist es leichter , die Reihenfolge der Lähmung 
zu beobachten. Gewöhnlich sind es die Beine, die zuerst 
schwach werden, worauf die Schwäche bis zu den Armen 
aufsteigt. Die Lähmung überfällt nicht plötzlich, aber doch 
ziemlich rasch; im Laufe von einigen Stunden ist sie voll¬ 
ständig entwickelt. Bei meinem Kranken erstreckte sich 
manchmal die anfängliche Schwäche bis auf 1 2 Stunden, ge- 
wohnlich aber verspürte er >ie Abends und am anderen Morgen 
war er vollständig gelähmt. Da die Lähmung in den Beinen 
meistens mehr ausgesprochen ist, als in den Armen, so kann 
es den Anschein haben, daß der Anfall nur in den Beinen 
beginnt. Unser Kranker gab bestimmt an, daß, wenn er 
Abends die Schwäche in den Beinen verspürte, auch die Arme 
schon schwach waren. Andererseits behauptet Grkidenberg, 
daß in seinem Falle die Lähmung in den Beinen anfing, dann 
den Rumpf ergriff und zuletzt die Arme. Zuweilen aber, und 
sogar bei den Kranken, bei denen die Lähmung in den Beinen 
gewöhnlich anfängt, stellt sie sich zuerst in den Armen ein, 
dann in den Beinen; so bei Cousot’s Kranken. Die Lähmung 
kann sich sogar auf die Beine beschränken, wie in der Beob¬ 
achtung von Fischl (in welcher manchmal auch die Arme er¬ 
griffen waren), wie bei der Tante meines Kranken und auch 
bei solchen (Grkidenberg), bei denen die Lähmung gewöhnlich 
alle willkürlichen Muskeln, mit Ausnahme der von den cere¬ 
bralen Nerven versorgten, ergriff. Das gewöhnliche Bild aber 
ist eine Lähmung aller 4 Extremitäten und des Rumpfes. 
Ziemlich häufig sind auch die Halsmuskeln ergriffen und da¬ 
durch die Kopfbewegungen beeinträchtigt; manchmal die in- 
und exspiratorischen Muskeln mit betheiligt und dadurch die 
inspiratorische Excursion des Thorax vermindert (Hartwig), 
das Niesen und Husten erschwert (Westphal, Goldflam). Zur 
Dyspnoe ist es aber in keinem Falle gekommen. In einigen 
Fällen war auch die Rachen-, Schlund- und Zungenmusculatur 
mitergriffen und dadurch Behinderung des Schluckens und der 
Sprache erfolgt (Hartwig. Westphal, Cousot). Gewöhnlich 
aber sind die cerebralen Nerven frei von jeder Störung, und 
das ist das Charakteristische des Leidens, daß, indem die 
ganze willkürliche Musculatur gelähmt wird, die mimischen 


Bewegungen, die Bulbi, die Kaumuskeln und die Stimme ab¬ 
solut intact bleiben. Die glatten Muskeln scheinen gleichfalls 
von jeder Affection frei zu sein, und ist die in manchen Beobach¬ 
tungen , namentlich der meinigen, verzeichnete Constipation 
eher auf Rechnung der Lähmung der Bauch presse zu stellen, 
als auf Parese der Darmmusculatur. Dagegen bleibt die 
Function der Blase ganz intact. 

Ob der kleinere, schwächere und weichere Puls, die nie¬ 
drigere Anakrote der sphygmographisehen Zeichnung in meinem 
Falle auf eine Schwäche der Herzmuskulatur zurückzuführeii 
ist, bleibt dahingestellt. 

Die Sinnesorgane und psychischen Functionen bleiben 
unberührt. In einigen Fällen, so in dem meinigen und dem 
Fisch i/schen, wurde eine auffallende Schläfrigkeit beobachtet. 
In den Beobachtungen von Cousot, Hartwig und Westphal 
war verstärkte Schweißsecretion während des Anfalles vor¬ 
handen, in der letzteren in Verbindung mit Hitzegefühl. Von 
wirklicher Temperaturerhöhung ist aber keine Rede. Die Anfälle 
verlaufen ohne Fieber, ja in manchen Beobachtungen waren 
subnormale Temperaturen constatirt, so in der FiscHL’schen, 
GREiDKNBF.RG’schen und der meinigen. Die in dem Hartwig- 
schen Falle einmal beobachtete Temperatursteigerung auf 
40° mit Schüttelfrost und in dem WFSTPHAL’schen auf 39° 
war nach Beendigung des Anfalles aufgetreten und scheint 
zur Krankheit selbst in keiner Beziehung zu stehen. In meinem 
Falle war in der Mehrheit der Anfälle die Zahl der Pulse 
bis auf 50 herabgesetzt, die Respiration betrug 22—28 pro 
Minute. Der Urin hat in keinem Falle abnorme Bestandteile 
enthalten. 

Die Lähmung ist eine vollständige, die Kranken können 
auf der Höhe des Anfalles die gelähmten Theile absolut nicht be¬ 
wegen. Doch ist, wie schon erwähnt, die Lähmung der Beine 
meist eine hochgradigere als der Arme, und sind' die Bewe¬ 
gungen der letzteren äußerst schwach, wenn der Anfall aber 
intensiv ist, gleich Null, ln unserem Falle konnte man fest- 
stelleh, däß die Lähmung Umso intensiver war, je näher das Ge¬ 
lenk dem Rumpfe gelegen ist, also in den großen Gelenken, 
wie Hüfte, Knie, Schulter und Ellenbogen am intensivsten. Noch 
konnte der Kranke schwache Bewegungen mit dem Fuße und 
Handfingern machen, in den anderen Gelenken aber absolut 
keine. Die Lähmung ist eine schlaffe, der Tonus bei den pas¬ 
siven Bewegungen fehlt sogar gänzlich (wie bei Tabes), doch 
wird in einigen Beobachtungen über Spannung einiger Muskeln 
und Muskelgruppen mitgetheilt (Gkeidenberg, Schachnowitsch). 
Die Sehnenreflexe waren in allen Fällen, die darauf unter¬ 
sucht wurden, stark herabgesetzt, bis zum völligen Verschwin¬ 
den. Nicht allein der Hauptrepräsentant der Sehnenreflexe, 
die Knie-, sondere auch die Achillessehnenreflexe schwinden. 
Auch einige Hautreflexe, namentlich der Plantarreflex, fehlen; 
ich habe auch eine Verminderung des Cremaster- und Abdo¬ 
minalreflexes constatiren können. 

Das auffallendste Symptomm, welches bei Westphal das 
Erstaunen hervorrief, ist die enorme Herabsetzung bis zum 
völligen Erlöschen der faradischen und galvanischen Erreg¬ 
barkeit, sowohl der Muskeln, als der Nerven. In allen Fällen 
außer dem SAMUELSON’schen, in dem die elektrische Erregbar¬ 
keit, wie es scheint, gar nicht geprüft war, ist dies frappante 
Symptom vorhanden gewesen. Wir haben schon oben, bei Ver¬ 
anlassung unseres Falles versucht, dieses Verhalten des neuro- 
musculären Apparates zu charakterisiren, nämlich daß parallel 
der sich steigernden muskulären Schwäche die Nerven-Muskel- 
erregbarkeit sinkt; daß die Herabsetzung der faradischen Er¬ 
regbarkeit parallel der galvanischen einhergeht; daß nur quan¬ 
titative Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit vorhan¬ 
den sind bis zum völligen Erlöschen derselben, keineswegs 
aber qualitative; daß die in einem Momente des Verlaufes, 
Nervenerregbarkeit minder herabgesetzt gefunden wird als die 
der Muskeln; daß die letzteren eine noch größere Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit verrathen, als die noch erhal¬ 
tene motorische Function es vermuthen läßt; daß auf der 


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Höhe der Lähmung die Reaction sowohl des Nerven als des 
Muskels ausbleibt. Es ist daher verständlich, daß in einem ge¬ 
wissen Momente des Anfalles es Vorkommen kann, daß in 
manchen Nerven und Muskeln die Erregbarkeit nur mehr 
oder minder herabgesetzt, in anderen ganz erloschen gefun¬ 
den wird. (Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

P. Dreckmann (Reeklinghausen): Ueber Resorcin und eine 
besondere Form der Anwendung desselben bei 
H&utkr ankh eiten. 

Veranlaßt durch Unna, hat Verf. auf der Klinik des letzteren 
das Resorcin in Form des sog. Resorcindunstverbandes an¬ 
gewendet und berichtet über die Resultate seiner ausgedehnten Ver¬ 
suche in Nr. 9 der „Monatsh. f. prakt. Dermatol.“. Dieser Verband 
unterscheidet sich von dem in der Dermatologie sonst üblichen 
Occlusionsverband, bei dem die undurchlässige Verbanddecke direct 
auf die erkrankte Hautpartie befestigt wird, dadurch, daß sich 
zwischen Haut und Verbanddecke eine Schichte hydrophylen Stoffes 
(Watte, Leinwand) befindet, welche mit einer Resorcinlösung be¬ 
feuchtet ist. Die Wirkungen des Verbandes sind folgende: Unter 
der impermeablen Decke sammeln sich die Hautsecrete, seien sie in 
normaler oder in anormaler Beschaffenheit und Menge vorhanden, 
an, und die Verdunstung derselben wird verhindert, so daß die 
Epidermis einer fortdauernden feuchten, gleichmäßigen Wärme aus¬ 
gesetzt ist, leicht aufquillt, wodurch das bei vielen Hauterkrankungen 
vorhandene und häufig durch Trockenheit und Sprödigkeit der 
Epidermis verursachte Spannungsgefühl und Jucken nachläßt. Bei 
länger andauernder Einwirkung der feuchten Wärme geht die Auf¬ 
quellung der Hornschichte der Haut in Erweichung, Zerfall und 
Maceration derselben über, und es kommt an Körperstellen mit 
relativ dünner Hornschicht, z. B. am Rumpf und Hals, zur völligen 
Exfoliation derselben, an Körperstellen mit relativ dicker Horn¬ 
schicht, z. B. an den Extremitäten, zur Beseitigung der obersten 
Lagen der Hornschicht und zu einer verstärkten Aufquellung 
und Verdickung der untersten Schichten, welche dann wieder 
einen vermehrten Druck auf die Cutis zur Folge haben wird. 
Dieser vermehrte Druck befördert an den betreffenden Stellen die 
Blutcirculation in den Gffäßen der Cutis und der darunter liegenden 
Gewebe, begünstigt und beschleunigt die Resorption oder Vertheilung 
vorhandener Exsudate, kleiner Abscesse (Furunkel, Pusteln). Ferner 
ist zu berücksichtigen, daß der Abschluß der Luft von der unter 
der impermeablen Decke befindlichen Hautpartie für manohe Pilz¬ 
vegetationen durch Entziehung des Sauerstoffes verderblich oder doch 
wenigstens wachsthumsbehindernd ist. Die zwischen die Haut und 
Verbanddecke eingeschobene feuchte Einlage saugt die sich an¬ 
sammelnden Hautsecrete auf und verdünnt dieselben, vermehrt den 
Feuchtigkeits- und Wasserdampfgehalt unter der impermeablen Decke 
und vermehrt und verstärkt somit die Wirkungen der permanenten 
feuchten Wärme. Nebeübei gewährt die Einlage der von ihr be¬ 
deckten Hautpartie auch immerhin einigen Schutz gegen mechanische 
Insulte von außen, wie gegen Reiben, Stoßen, Quetschen. Von sehr 
wesentlicher Bedeutung ist weiterhin der Gehalt des Wassers an 
Resorcin mit allen ihm in dieser schwachen Concentration zu¬ 
kommenden Wirkungen, wobei auch die desinficirende Eigenschaft 
des Resorcins in einzelnen Fällen in Betracht kommt. 

Die praktischen Erfolge, welche vom Verf. bei der Anwendung 
des Resorcinverbandes erzielt wurden, entsprachen durchweg diesen 
theoretischen Calculationen, wie D. dies an über 30 Krankheits¬ 
fällen . bei welchen die geschilderte Behandlungsmethode möglichst 
consequent durebgeführt wurde, zu erproben Gelegenheit hatte, wobei 
er als ganz besonders wichtig hervorhebt, daß die Resorcindunst- 
verbände nicht, wie manche andere Methoden der neueren Dermato- 
therapie, nur an einem wohlgeleiteten Hospital mit geschultem 
Wartepersonal anwendbar sind, sondern sich auch gerade für die 
Anwendung in der Privatpraxis sehr eignen. Für zweckmäßig erklärt 
es Verf., nässende Eczeme, besonders des Kopfes, wie sie bei 
Kindern so häufig auftreten, nur kurze Zeit, d. h. bis zum Auf¬ 


hören des Nässens, mit Resorcindunstverband zu behandeln, weil bei 
der weiteren Behandlung in Folge der Resorcinwirkung eine zu 
stark und tiefgehende Verhornung von Epithelzellen vor sich geht, 
welche eine zu große Trockenheit, Sprödigkeit und Brüchigkeit der 
Haut bedingt, die allerdings, so lange der Verband liegt, von den 
Patienteu nicht empfunden wird, sich aber sofort nach dem Ab¬ 
nehmen des Verbandes in höchst unangenehmer Weise geltend 
macht. Gelinde Blei-, Zink- oder Schwefelpräparate führen die Aus¬ 
heilung glatt weiter und zu Ende. 

Nach seinen Erfahrungen gibt es kein Mittel, durch welches 
das Nässen erkrankter Hautpartien prompter und dauernder be¬ 
seitigt würde, als durch den Resorcinverband. 

Hyperplastische und elephantiastische Verdickungen der Haut in 
Folge chronischen Eczema, wie es z. B. häufig am Scrotum vor¬ 
kommt, erweichen und maceriren in kurzer Zeit unter dem Resorcin- 
dunstverbande, aber gewöhnlich nur bis zu eiuem gewissen Grade. Es 
tritt dann ein Stillstand des Heilungsprocesses ein, der sich, wie bei 
den nässenden Eczemen, aus der dauernden Einwirkung des Resorcins 
erklärt, und muß man nach Verf. dann unter Weglassung dieses 
Verbandes zur Anwendung anderer Mittel (Borax, Zink, Blei, Salioyl- 
säure) übergehen, um das Fortschreiten der Heilung nicht aufzu¬ 
halten. Für besonders empfehlenswerth erklärt D. den Verband bei 
den eczematö8en Erkrankungen der Extremitäten: Einestheils ist schon 
die Anlage des Verbandes an diesen Körpertheilen bequem und 
kann deshalb mit derjenigen Vollkommenheit geschehen, welche zur 
Erzielung eines bestmöglichen Effectes erforderlich ist, andererseits 
ist die Haut der Extremitäten nach den distalen Enden zu immer 
dicker und also auch undurchdringlicher für jedwede Arzneistoffe, 
wie die des übrigen Körpers, so daß sie im Vergleiche zu der übrigen 
Haut eine größere Widerstandsfähigkeit gegen die verschiedensten 
äußeren Einwirkungen, speoiell eine geringe Reactionsfähigkeit gegen 
Einwirkung medicamentöser Stoffe zeigt. Wenn man also, wie so 
häufig, an diesen Körpertheilen eine andere und tiefgehendere Ein¬ 
wirkung des Resorcins beabsichtigt, so ist die Verbindung desselben 
mit dem Occlusivverband ein geeignetes Mittel, diesen Zweck zu er¬ 
reichen. Schon deshalb ist der Resorcindunstverband, wenn auch kein 
Radical- und Universalmittel, so doch ein entschieden werthvolles 
Hilfsmittel neben anderen, abwechselnd vortheilhaft zu verwendenden 
Arzneimitteln beim chronischen Eczem der Extremitäten. 

Eine andere Art von Hauterkrankung, bei der die Anwendung 
des Resorcindunstverbandes auf Grund von Verf.’s Beobachtungen 
empfohlen zu werden verdient, und bei welchen auch Hkbra den 
Kautschukverband der Franzosen besonders empfiehlt, ist das¬ 
jenige chronische Eczem, welches bei langem Bestände und ver¬ 
bunden mit heftigem Jucken zu prurigoartigen Verdickungen der 
Haut geführt hat, die sog. Altersprurigo. Es hat derselbe hier 
Stillung des Juckens, Aufweichung und Macerirung der spröden 
hyperplastischen Epidermis, Heilung von Rhagaden u. s. w. zur 
Folge. Speciell möchte Verf. die allnächtliche Anlage dieses Ver¬ 
bandes solchen Kranken als Nachbehandlung empfehlen, die nach 
einer energischen klinischen Behandlung als re'ativ geheilt entlassen 
werden. 

Was nun die praktisch wichtige Frage betrifft, in welcher 
Weise das Anlegen der Verbände für die verschiedenen Körper¬ 
gegenden zu bewerkstelligen ist, so macht Verf. auf Grund seiner 
bezüglichen Versuche folgende Vorschläge: 

Als impermeablen Stoff benutzt man Wachsleinwand oder 
irgend einen anderen haltbaren, weichen, wasserdichten Stoff. Will 
man den Verband auf das Gesicht appliciren, so schneidet man eine 
Maske aus Wachsleinwand zurecht mit Oeffnungen für die Augen, 
die Nasenlöcher und den Mund; dann schneidet man aus einer 
Lago Watte eiue dieser Leinwandmaske congruente Masko und be¬ 
festigt diese in die erstere mit einigen durchzogenen Fäden. Dann 
erst befeuchtet man die Watte mit der Resorcinlösung. — Für einen 
einzelnen Finger, oder für mehrere benachbarte Finger, oder für 
eine ganze Hand benutzt man einen kleineren oder größeren Sack 
aus Wachsleinwand, dessen offenes Ende mittelst einer Schnur zusam¬ 
mengezogen werden kaun. Zur Aufnahme der anzuwendenden 
Flüssigkeit nimmt man weiche Mullbinden, mit denen man die einzelnen 
erkrankten Glieder in mehreren Lagen umwickelt. Der hiebei 


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durch die Binden ausgeübte Druck ist außerdem fast stets von 
willkommener Nebenwirkung. — Für ganze Extremitäten läßt 
man ganze Aermel oder Hosenbeine aus impermeablen Stoff nach 
Maß anfertigen, die dann sowohl an ihrem proximalen als distalen 
Ende durch anzubringende Schnüre eng um das betreffende Glied 
zusammenziehbar sein müssen. Auch läßt man, um allenthalben 
ein festeres Anliegen der Verbanddecke zu erzielen, in Ab¬ 
ständen von 20—30 Cm. circulär durch Oesen oder Ringe laufende 
Schnüre anbringen. — Will man den Verband an Stellen des Rumpfes 
oder den ganzen Rumpf appliciren, so befestigt man ihn am besten 
durch Umlegen von breiten weichen Binden, oder man läßt je nach 
der Größe der zu bedeckenden Stellen größere oder kleinere, voll¬ 
ständige oder unvollständige Corsets anfertigen, die durch Bänder, 
welche über die Schultern laufen, getragen werden. An der oberen 
und unteren Oeffnung des Corsets legt man dann, des besseren Ver¬ 
schlusses wegen, noch eine oder mehrere circuläre Bindentouren. — 
Für den ganzen Körper endlich läßt man zwei Anzüge machen: einen 
weiteren aus impermeablem Stoff und einen enganliegenden aus 
Tricot oder irgend einem anderen zur Aufnahme von Flüssigkeit 
geeigneten Stoffe. Auch hier ist für ein möglichst festes Anliegen 
des wasserdichten Stoffes auf die Unterlage, sowie für den möglichst 
vollkommenen Abschluß der äußeren Luft durch zweckmäßige An¬ 
bringung von Schnüren, Bändern und Binden Sorge zu tragen. — 
Auf ganz kleine Stellen, z. B. auf dem Handrücken und am Rumpfe, 
befestigt man den Verband ganz zweckmäßig durch Ueberleimen 
des wasserdichten Ueberzuges mit Zinkleim. M. 

Die Hydrotherapie auf physiologischer und klinischer 
Grundlage. Vorträge für praktische Aerzte und Studirende 
von Dr. Wilhelm Winternitz, a. o. Professor an der Wiener 
Universität. Zweite, durchaus umgearbeitete und vermehrte 
Auflage. I. Band. Wien und Leipzig 1890. Urban & 
Schwarzenberg. 

Es gibt wohl kein besseres Zeichen für den vollen Erfolg, 
den ein neues Lehrbuch gefunden, als wenn es, in kurzer Zeit ver¬ 
griffen, in neuer Auflage erscheinen muß. Winternitz’s Hydro¬ 
therapie war der erste umfassende Versuch, das Wasserheilverfahren 
auf physiologischer Basis aufzubauen, und welchen Anklang dieses 
Werk in der ärztlichen Welt und welch große Verbreitung es ge¬ 
funden, erhellt aus der Thatsache, daß es fast in alle Cultursprachen 
übersetzt wurde. 

Der soeben erschienene erste Band der zweiten Auflage um¬ 
faßt die physiologischen Grundlagen der Hydrotherapie, die Technik, 
die Wirkung und die Indicationen. 

Es gibt für diesen Band eigentlich keine bessere Empfehlung, 
als daß die gewaltigen Fortschritte der anderen medicinischen 
Wissenschaften im letzten Decennium an den fundamentalen, von 
Winternitz aufgestellten Wahrheiten fast nichts zu ändern ver 
mochten, und sich demnach die zweite Auflage des I. Bandes von 
der ersten nur in Eiuzelnheiten, z. B. neuen experimentellen Unter¬ 
suchungen, Berücksichtigung der Literatur bis in die neueste Zeit etc., 
vortheilhaft unterscheidet. 

Nach einem kurzen, in diese Auflage neu aufgenommenen 
Abriß der Geschichte und Entwicklung der Hydrotherapie, werden 
in den ersten 16 Vorlesungen die Wirkungen höherer oder niedrigerer 
Temperaturen auf den lebenden warmblütigen Organismus, mit Bezug 
auf das Nervensystem, auf die Circulation und Respiration, auf das 
Muskelsystem, auf die Absonderungen, auf das Zellenleben und den 
Wärmehaushalt des Organismus besprochen. Hauptsächlich auf dem 
Wege des Experimentes zeigt WTnternitz, wie man die Innervation 
erhöht oder vermindert, wie man die Temperatur des Orgauismus 
oder einzelner Theilo innerhalb gewisser Greuzen verändern kann, 
wie man die Spannung im Blutgefäßsystem und die Blutvertheilung, 
ferner die Se- und Excretion und deu Stoffwechsel verändert und 
damit fast alle vitalen Vorgänge zu beeinflußen in der Lage ist. 

Der heiße Kampf, der zur Zeit des Erscheinens der ersten 
Auflage über einen für die Hydrotherapie theoretisch und praktisch 
wichtigen Gegenstand, über Wärmeregulation und Fiebergenese tobte, 
und in welchem Winternitz mit Rosentbal, Senator und Murri 
fast isolirt Stellung genommen harte, endigte mit dem vollen Siege der 


WiNTERNiTZ’schen Auffassung, und halfen die genauen Untersuchungen 
Speck’8 , Zuntz’8 , A. Löyy’s und Geigel’s diesen Sieg exact zu 
begründen. Es unterliegt jetzt, wie es Verf. in der 10.—13. Vor¬ 
lesung mit erdrückender Beweiskraft darthut, keinem Zweifel mehr, 
daß einer der wichtigsten Factoren der Wärmeregulation in der 
Hautfunction gelegen ist. 

Winternitz macht es ferner begreiflich, daß nicht die absolute 
Größe der Wärmeentziehung die Größe der Wärmeproduction be¬ 
stimmt, sondern daß es die Größe des thermischen Nervenreizes, der 
Grad der wirklichen Abkühlung der peripherischen sensiblen Nerven¬ 
endigungen ist, der reflectorisch die Productionssteigerung bewirkt 
und ihre Mächtigkeit beherrscht. Winternitz erklärt ferner, warum 
zwei Bäder von gleicher Temperatur und gleicher Dauer einen so 
verschiedenen Effect bei demselben Individuum haben können, je 
nachdem die peripherische Circulation gefördert oder gehemmt wird, 
und daß nur genaues Vertrautsein mit den einzelnen Proceduren 
und ihrer Wirkungsweise es ermöglicht, die Dauer und Intensität 
der einzelnen Badeformen entsprechend und in verschiedener Weise 
zu modificiren und so die angestrebte mannigfache Wirkung zu 
erreichen. 

Die 17.—21. Vorlesung ist der Technik des Wasserheil¬ 
verfahrens gewidmet, ein Abschnitt von für den Praktiker um so 
größerer Bedeutung, als von der methodischen, auf physiologische 
Wirkungsweise gegründeten Applicationsweise des Wassers nur eine 
kleine Minderzahl der Aerzte ausreichende Begriffe hat, und es doch 
klar ist, daß eine System- und methodelose Anwendung des Wassers 
nicht die mächtigen und günstigen Erfolge der methodischen An¬ 
wendung haben und auch niemals vergleichbare und für die Wissen¬ 
schaft verwerthbare Resultate geben kann. Die System- und me¬ 
thodelose Anwendung mag auch die Hauptursache sein, daß Boer- 
have’8 Ausspruch „Hoc remediura non proponitur nisi in desperatis 
casibus“ noch immer theilweise Giltigkeit hat. 

Der hohe Werth, der in diesem ersten Bande niedergelegten 
theoretischen Grundlagen dürfte an der Hand selbstständiger Statistik 
und reicher Casuistik in dem voraussichtlich bald erscheinenden 
zweiten, klinischen Theil noch offenbarer werden. 

Man liest Winternitz’s Lehrbuch zu Ende, ohne durch un¬ 
klare Stellen, weitläufige Theorien und Auseinandersetzungen be¬ 
hindert zu werden, und man hat, wenn man es aus der Hand legt, 
wahrhaftig viel für das praktische Leben, viel für das therapeutische 
Handeln gelernt, — für ein Lehrbuch gewiß der schönste Erfolg, 
und so dürfte auch die zweite Auflage, gleich der ersten, einen 
großen Leserkreis im ärztlichen Publicum finden und dazu dienen, 
der von Winternitz vertretenen therapeutischen Richtung neue 
Anhänger und Freunde zuzuführen, und es dürfte sich aufs Neue 
Ziemssen’s Ausspruch, „das Meiste, was wir heute wissenschaftliche 
Hydrotherapie nennen, verdanken wir Winternitz“, als zu Recht 
bestehend erweisen. Dr. Otto P. 


Histologische und bacterielle Untersuchungen über 
Mittelohr-Erkrankungen bei den versohiedenen 
Formen der Diphtherie. Von Prof. Dr. S. Moos in 

Heidelberg. (Separat-Abdruck aus der „Zeitschr. f. Ohrenh.“, 
Bd. XX. Mit 8 lithographirten Tafeln.) Wiesbaden 1890. 
J. F. Bergmann. 

In dieser höchst lesenswerthen Abhandlung theilt Moos die 
an sechs Felsenbeinen theils an primärer, theils an Scharlach¬ 
diphtherie verstorbener Kinder gewonnenen histologischen und bac- 
teriellen Untersuchungsergebnisse mit. Es würde zu weit führen, 
wollten wir den ganzen Inhalt der ausgezeichneten Arbeit, wenn 
auch nur in gedrängter Form, an dieser Stelle wiedergeben, und 
wir beschränken uns daher auf ein kurzes Resumö der vom Autor 
an der Paukenhöhlenschleimhaut der Labyrinthwand constatirten 
histologischen Veränderungen. Diese sind im hinteren Abschnitte 
des Mittelohres, namentlich am Boden der Pauke, an der Laby¬ 
rinthwand und ihren Nischen erheblicher, als in der Nähe des 
Ostium tympanicum tubae. Insbesondere gilt dies vom Epithel, das 
sich im hinteren Abschnitte viel häufiger mortificirt zeigt, als gegen 


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die Tuba hin. Was die anderweitigen Befunde anbelangt, waren 
die Blutgefäße größtenteils strotzend mit Blut gefüllt, hie und da 
necrotisch. Von der subepithelialen Schichte der Schleimhaut bis 
zum Periost sieht man ein bald eng-, bald weitmaschiges Netz 
von Fibrin, dessen Maschen mit Leucocyten, stark gekörnten 
Wanderzellen verschiedenster Form, hin und wieder auch mit viel¬ 
kernigen Zellen infiltrirt sind. Alle die erwähnten Veränderungen 
werden durch Mikroben hervorgerufen, welche theils nach voraus¬ 
gegangener Zerstörung des Epithels in die Tiefe der Schleimhaut 
gewandert, theils aber auch vom Rachen aus in die Lymph-, von 
diesen in die Blutgefäße, und aus diesen wieder durch Auswande¬ 
rung in das Stroma der Schleimhaut gelangt sind. 


Von den in Rede stehenden Mikroorgauismen kommen hier die 
Mikrococcen und die Streptococcen in Betracht. Den Klebs Löffler- 
schen „Diphtheriebacillus“ vermochte Moos nicht nachzuweisen. Und 
das natürlich, denn nach den Versuchen von Roux und Yersin 
gelingt der Nachweis der Bacillen in den Organen nur wenige 
Stunden nach der stattgehabten Infection. „Die Krankheit aber 
verfolgt ihren Verlauf, ungeachtet des Verschwindens der Orga¬ 
nismen, welche sie erregen.“ Zur Zeit des Todes waren 
sie fast immer aus den Geweben verschwunden. 

Acht lithographirte Tafeln erläutern in trefflicher Weise das 
im Texte Gesagte. —C— 


Feuilleton. 


XXV.« Wanderversammlung der ungarischen 
Aerzte und Naturforscher in Grosswardein. 

(16.—20. August 1890.) 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

III. 

Dr. Feleki (Budapest) las über den Werth der Urethro- 
skopie bei der Behandlung der Harnröhrenkrank¬ 
heiten, indem er zuvörderst die Wichtigkeit dieser Behandlungsweise 
hervorhob, um dann auf die Erfordernisse überzugehen, welche man an 
die, zu diesem Zwecke nöthigen Instrumente zu stellen hat. Statt des 
einfachen, reflectirten Lichtes empfiehlt F. nur für Ausnahmsfälle 
das elektrische Licht und demonstirt auch zugleich den Clad’ sehen 
Spiegel. 

Dr. Ludwig Török (Budapest) trug eine histologische 
Studie über die Entstehung der Atherome vor, in welcher 
er auf Grund vergleichender Untersuchungen zu dem Schlüsse gelangt, 
daß die Dermoide und Atherome in vielen Hinsichten einander 
gleich sind. Die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede sind nur 
dadurch bedingt, daß ihre Keime sich in verschiedenen embryonalen 
Zeitpunkten ablösen. Außer diesen zwei Arten, die gewöhnlich vor 
zukommen pflegen, gibt es noch ähnliche, jedoch seltenere, welche 
sich histologisch ganz, doch klinisch nur theilweise von den er¬ 
wähnten unterscheiden und durch Retention des von den Haut¬ 
follikeln abgelösten 8ecretes entstehen. 

Dr. Szenes (Budapest) spricht über die chirurgische 
Behandlung der acuten Mittelohrenentzündung. In 
allen Fällen, wo Secret in der Paukenhöhle angesammelt ist, 
welches das Trommelfell zu durchbrechen droht, ist letzteres mög¬ 
lichst in seinem unteren hinteren Quadranten zu spalten, 
einerseits um dem spontanen Durchbruche vorzubeugen, der 
eventuell an einer ungünstigen Stelle des Trommelfells erfolgen 
könnte, andererseits um ein Weiterschreiten des bedenklichen Pro- 
068868 hintanzuhalten. Der ganze Eingriff ist in ultima analysi eine 
Onkotomie, und sollte jeder praktische Arzt, zumindest auf 
dem Lande, so viel otiatrisches Wissen mit sich bringen, daß er 
diese Operation lege artis ausführen könne. Zumal bei Otitiden, 
die im Anschlüsse an In fection s krankheiten (Masern, 
Scharlach, Blattern) auftreten, soll das in der Paukenhöhle ange¬ 
sammelte Secret ehestens herausgelassen werden, da es sonst zumeist 
zur raschen Schmelzung des Trommelfellgewebes und somit zu großen 
Substanzverlusten und auch zu Exfoliationen der eventuell necrotisch 
gewordenen Gehörknöchelchen, oder zu anderweitigen, oft auch 
lebensgefährlichen Complicationen kommen kann. 

Dr. Munk (Szerdabely) wirft einen Rückblick auf die 
antiseptische Chirurgie, skizzirt in kurzen Umrissen die 
allmälige Entwicklung der Antisepsis bis zu ihrer heutigen Ver¬ 
vollkommnung , und hebt besonders die guten Eigenschaften des 
Peahson’ sehen C r e o 1 i n s hervor. 

Dr. Peochnow (Budapest) theilt die Resultate seiner Unter¬ 
suchungen betreffend die Bildung der Blasensteine mit, 
welche an der I. chirurgischen Universitätsklinik in Budapest auf¬ 


bewahrt wurden. Die chemische Zusammensetzung der Steine ist 
nur selten eine reine; von 501 Fällen war blos lmal ein Cystin- 
stein und Stealith gefunden worden ; am häufigsten sind die U r a t e, 
seltener die reinen Phosphate, am seltensten die Oxalate; zu¬ 
meist bestehen die Concremente aus zwei oder mehreren chemisch 
verschiedenen Substanzen. In % Theilen aller untersuchten Steine 
fand sich eine Zusammensetzung von Uraten und Phosphaten, ferner 
von Uraten, Oxalaten und Phosphaten vor. Daß die Steine in der 
Blase, wie dies schon Ultzmann annahm, durch Kry stallisiren 
zu Stande kommen, zeigt P. an einigen geschliffenen Steinen, auch 
demonstrirt P. einige instructive Exemplare bezüglich der Form¬ 
bildung solcher Steine, die eine sogenannte Zwangsform annahraen. 
Schließlich stellte P. sämmtliche an der Klinik beobachteten Fälle 
dem Zuständigkeitsorte nach zusammen, aus dem ersichtlich ißt, daß 
78% aller Fälle aus 8 Comitaten Ungarns stammen, wodurch er 
auf ein endemisches Auftreten der Blasensteine schließen will. 

Dr. Schiff (Großwardein) theilt einen kur/en Bericht seiner 
umfangreichen Studie zur Hämatologie des Icterus neo¬ 
natorum mit, wonach er zu dem Standpunkte gelangt, den 
Virchow schon im Jahre 1846 behauptete, daß der Icterus neona¬ 
torum durch gewisse Veränderungen, welche in den 
rothen Blutzellen auftreten, bedingt ist; worin aber diese 
Veränderungen bestehen und wo dieselben zu Stande kommen, da¬ 
rüber läßt sich heute noch kein Aufschluß geben, und wenn selbst 
diese Frage gelöst ist, bleibt eine nicht minder wichtige noch immer 
offen: warum nämlich diese Veränderungen nicht bei jedem Neu¬ 
geborenen auftreten. 

Prof. Büke (Budapest) sprach über die operative Er¬ 
öffnung des Warzenfortsatzes, dessen Indication B. in zwei 
Kategorien stellt; eine basirt auf allgemein ch irur gischen Regeln 
(fistulöse Gänge an der äußeren Fläche des Warzenfortsatzes, Necrose 
der Cortex), die andere auf otiatrischen Grundsätzen, wenn 
außen nichts Krankhaftes gefunden wird, eine Eutzündung oder Eiter¬ 
retention im Antrum mastoideum jedoch angenommen werden kann. 
Die Eröffnung geschieht mittelst Meisseis, und nach einer Oeffnung 
von 3 Quadratcentimetern entfernt B. in der Tiefe die necrotischen 
Partien mit Hilfe eines scharfen Löffels; zum Offenhalten der Com- 
munication zwischen Antrum und Paukenhöhle bedient sich B. der 
Drainage, zur Irrigation benützt er eine Mischung von 1% Koch¬ 
salz- und W/o Sublimatlösung. Die Wunde wird mit Sublimatgaze 
oder, wenn die Granulationen träge sind, mit Jodoform behandelt: 
die Heilung erfolgt in 4 — 6 Wochen. 

Zahnarzt Reder (Budapest) demonstrirt einen Hebel zur Ent¬ 
fernung von Zahnwurzeln, den er selbst construirte. 

Kornstein (Großwardein) liest über dasGeheimniß des 
Arztes. Alles nämlich, was der Kranke dem Arzte mitzutheilen 
hat, ist ein Geheimniß, welches der Arzt bewahren muß, 
wozu er eigentlich mit Eid und auch gesetzlich verpflichtet wird, 
und bilden doch nur jene Fälle Ausnahmen, wo man Behörden gegen¬ 
über bewußte Daten und Umstände mittheilen muß. In allen übrigen 
Fällen jedoch, wenn man während der Ausübung der ärztlichen 
Praxis etwas erfährt, das sträflich wäre, z. B. ein gewaltsamer 
Abortus, sollte man keine Anzeige machen müssen, da doch der 
Beruf des Arztes das Heilen ist, nicht aber die Anzeige zu machen; 
auch ist es zur erfolgreichen Cur nothwendig, daß der betreffende 
Kranke sich ohne Furcht und Scheu, mit vollstem Vertrauen 
an seinen Arzt wende. K. wünscht daher, daß unsere Judicatur sich 


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§& 1467 


1890. 


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1468 


auf den Standpunkt der französischen stelle, daß man nämlich 
nicht verlange, als Zeuge ein ärztliches Geheimniß preisgeben zu 
müssen. 

Diesem Vorträge folgte eine recht interessante Discussion, in 
welcher mehrere Redner durch Beispiele erläuterten, wie schwierig 
oft der Standpunkt des Arztes ist, und schließlich wurde die ganze 
Angelegenheit dem Central-Ausschüsse zugewiesen, der sich mit der 
Frage eingehender befassen wird, um dann Stellung in derselben 
nehmen zu können. 

Außer diesen Vorträgen in den Sectionssitzungen müssen noch 
drei erwähnt werden, die von allgemeinem Interesse waren und 
außerhalb der Sectionen gelegentlich der sogenannten wissen¬ 
schaftlichen Soiräes gehalten worden. So sprach Dr. Farag6 
(Budapest) über die Kinder unseres Vaterlandes und wies 
zuvörderst die hohe Sterblichkeit nach, welche bei den katholischen 
Kindern die größte, bei den jüdischen die kleinste ist. Die Ursache 
der hohen Sterblichkeit wäre einerseits in dem schwächeren Menschen¬ 
materiale, andererseits aber in den ungünstigen sanitären Verhält¬ 
nissen zu suchen; in vielen Bezirken gibt es noch immer keine 
Gemeindeärzte, die Sanitätsgesetze werden auf dem Lande gar 
nicht beachtet. Es wäre wtinschenswerth, für gute Pflege der Neu¬ 
geborenen, eventuell mit staatlicher Beihilfe zu sorgen, ferner für 
eine Vermehrung des Sauitätspersonales und Erhöhung seines Ein¬ 
flusses — Dr. Sassy (Miskolcz) sprach über Hospital 8unday. 
Nach einer eingehenden Besprechung der Mäng-1 unserer Kranken¬ 
hausinstitutionen, wonach für Reconvalescenten, Geisteskranke und 
an unheilbarer Krankheit Laborirende kaum etwas gethan wird 
(von 100 Geisteskranken sind kaum 5 in Instituten unter gebracht), 
macht S. auf die Wichtigkeit der zweckmäßig eingerichteten In¬ 
stitution der Krankenpflege vom hygienischen, national¬ 
ökonomischen und socialen Standpunkte aus aufmerksam. 
In Deutschland und Frankreich wird viel, doch noch mehr in Eng¬ 
land für die Kranken gethan. Alljährlich einmal wird an einem 
vorher bestimmten Sonntage und an dem vorhergehenden Samstage 
in sämmtlichen Kirchen der betreffenden Stadt, ohne Unterschied 
der Confession, in der Rede des Geistlichen die Aufmerksamkeit 
auf die Leidenden, speciell auf die Spitalskranken, gelenkt, auch 
wird sogleich eine Sammlung eingeleitet und geräth das Geld in 
eine gemeinsame Casse, über die ein aus weltlichen und geistlichen 
Mitgliedern bestehendes Comit6 in der Weise verfügt, daß die 
Spitäler — die besser dotirten weniger, die schlechteren mehr — 
alljährliche Subventionen bekommen. S. empfiehlt dieses Hospital Sunday- 
System auch bei uns einzuführen, was sicherlich eine große Wohltbat 
für die Spitalskranken wäre. — Schliesslich trug Dr. Gustav Oläh 
(Budapest) ein psychiatrisches Essay über die Physiologie der 
Gesellschaft vor. Dr. Szenes (Budapest). 

Kleine Mittheilungen. 

— B. Laggio berichtet in Nr. 2 des „Morgagni“ über die 
ausgezeichneten Resultate, die er mittelst Anwendung von Natrium 
salicylicum bei Masern und Scharlach erzielt hat. Er gab 
Kindern 3 Grm., Erwachsenen 6 Grm. täglich vom Anfang bis zu 
Ende der Invasionsperiode. In sämmtlichen Fällen wurde die 
Restitutio ad integrum erzielt, und die drei Perioden der Invasion, 
Eruption und Desquamation wickelten sich innerhalb weniger als 
8 Tagen unter leichten Symptomen ab. Die Temperatur ging in 
keinem Fall über 38° hinaus, die Eruption war wenig sichtbar, und 
sämmtliche Schleimhäute blieben gänzlich oder fast gänzlich ver¬ 
schont. Das salicylsaure Natron, das bei den erwähnten Eruptions¬ 
krankheiten vom Anfang an und die ganze Iuvasionsperiode hin¬ 
durch zur Anwendung kommt, durchdringt bei Zeiten den Organismus 
als Antisepticum und verhütet sicher die Entwicklung der patho¬ 
genen Keime, wenn es sie nicht vorher getödtet hat, durch Steri- 
lisirung ihres Bodens und durch Beförderung continuirlicher Schwei߬ 
absonderung. In Folge der letzteren wird die reichliche Ausscheidung 
derselben durch die Haut um so mehr bewirkt, als dieBe das Prä- 
dilectionsorgan des krankhaften Agens darstellt. Außerdem zeigt 
sich das Salz durch seine Alkalescenz vortheilhaft, da es das hyper- 


ämische Stadium des Catarrhs fast aller Scheimhäute und besonders 
die Bronchitis bekämpft. Demnach kann man die Localisation der Mikro¬ 
organismen in jedem inneren Organe leicht verhüten, und dadurch 
erklärt es sich, daß in dem nosographischen Bilde die gewöhnlichen 
Complicationen und Nachkrankheiten fast stets ansbleiben. Das 
Natrium salicylicum verdient vor allen anderen antiseptischen und 
antipyretischen Mitteln den Vorzug, weil es die Herz- und Nerven¬ 
tätigkeit nicht herabsetzt. Schließlich bemerkt Verf., daß das 
Mittel auf Herz und Nerven nachteilig wirken kann, wenn es nach 
der Invasionsperiode angewendet wird. 

— Gestützt auf die klinischen Erscheinungen beim Coma 
diabeticum nimmt Dr. Schmitz (Neuenahr) an, daß die Ursache des 
Coma nicht im Blute, sondern im Intestinaltracte zu suchen sei. Das 
Gift, sei es nun Ptomain oder Toxin, ist ein Zersetzungsproduct des 
Darminhaltes. Bevor dasselbe zu Stande kommt, bestehen vorher 
schon Gährungen und Zersetzungen des Darminhaltes, welche sich 
durch gastrische Störungen und durch Aufstossen von faulig und 
aasig riechenden Gasen bemerklich machen. Bildet sifth nun 
das Gift, so treten die gastrischen Erscheinungen zuerst noch 
in den Vordergrund, weil das Gift sich anfänglich nur an Ort 
und Stelle bemerkbar macht und wahrscheinlich noch nicht so viel 
davon resorbirt ist, um seine Einwirkung auf das Gehirn bemerkbar 
machen zu können. Je mehr aber resorbirt wird, desto schneller folgen 
den gastrischen Symptomen schwere Gehirnerscheinungen: Convul- 
sionen, Coma und Tod. Von solchen Voraussetzungen ausgehend, 
empfiehlt Schmitz in Nr. 34 der „Berl. klin. Wochenschr.“, bei 
Behandlung des Coma diabeticum vor Allem dafür zu sorgen, 
daß der Darm rasch und gründlich von seinem verderbenbringenden 
Inhalt entleert werde, um hiedurch jeder weiteren Entwicklung des 
Giftes und jeder weiteren Resorption desselben vorzubeugen. Er 
verordnet in raschen Gaben eine gehörige Quantität Ricinusöl und 
setzt dies so lange fort, bis unter ganz schnellem Nachlaß der so 
bedenklichen Erscheinungen sehr schwarze, faulige und aasig stin¬ 
kende Stühle in reichlicher Menge eintrqten. Seit 10 Jahren hat 
er auf diese Weise 12 schwere Fälle dieses Vergiftungscoma 
behandelt, und nur 1 Patient, der moribund in Behandlung kam, 
starb, während alle anderen genasen. Das Ricinusöl ist selbst danu 
zu geben, wenn Diarrhoe vorhanden ist. 

— H. v. Meyer bespricht im „Arch. f. Anat. und Phys. 
An. Abth. 3.-4. Heft“ das Sitzen mit gekreuzten Oberschenkeln 
und dessen mögliche Folgen. Bei der Kreuzung (Uebereinander- 
schlagen) der Beine folgt dem gehobenen fiberliegenden Beine auch 
die entsprechende Seite des Beckens, d. li. sie gewinnt eine höhere 
Lage, als die andere Seite. Die Folge davon ist, daß, um die auf¬ 
rechte Haltung des ganzen Rumpfes möglich zu machen, die Lenden¬ 
wirbelsäule eine seitliche Einknickung erfährt, deren Concavität 
auf der gehobenen Seite liegt. Wird nun das Uebereinanderschlagen 
gleichmäßig abwechselnd, bald rechts und bald links ausgeführt, so 
hat es weiter keine schlimmen Folgen. Wird aber ein und das¬ 
selbe Bein häufiger übergeschlagen, als das andere, so wird, nament¬ 
lich bei jüngeren Individuen, die Gestalt der Lendenwirbelsäule 
derart beeinflußt, daß sich allmälig eine Scoliose entwickelt, die 
immer mehr zunimmt, indem, wenn eine solche einmal begonnen 
hat, stets nur dasjenige Bein über das andere geschlagen wird, 
auf dessen Seite die Concavität der Lendenkrümmung liegt. Der 
Grund hiefür ist in dem Umstande zu suchen, daß die scoliotisohe 
Lendenwirbelsäule der Hebung des Beckens auf der Seite der Con- 
vexität mehr Widerstand entgegensetzt, und somit das Ueberschlagen 
des entsprechenden Beines unbequemer ist, als desjenigen der 
anderen Seite. 

— Da die Wirkung der einzelnen Disulfone durch die in 
ihnen enthaltenen Aethylgruppen bedingt ist, und da die Bedeutung 
des Sulfonals als eines wirksamen, echten und in officinellen Dosen 
ungefährlichen Schlafmittels feststeht, war es von Wichtigkeit, zu 
untersuchen, wie sich die bei Hunden beobachtete, mit der Zahl 
der Aethylgruppen proportional zunehmende hypnotische Wirkung 
der übrigen Sulfone beim Menschen verhält. Die von Barth und 
Rümpel in Nr. 32 der „Deutsch, med. Woch.“ veröffentlichten 
klinischen Beobachtungen über die physiologische Wirkung der 
mehrfach äthylirten Sulfone — des Trional und Tetronal — 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 37. 


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haben folgende Resultate ergeben: Den Körpern Diäthylsulfonmethyl- 
äthylmethan („Trional“) und Diäthylsulfondiäthylmethan („Tetro¬ 
nal“) kommt beim Menschen eine ausgesprochene schlaferzeugende 
Wirkung zu. Während die angeführte Thatsache nach den Er¬ 
fahrungen am Menschen die Resultate der Thierexperimente be¬ 
stätigt hat, läßt sich das Gleiche für die quantitative Seite der 
Wirkung nicht constatiren. Zur Erreichung desselben Grades hypno¬ 
tischer Leistung war nicht die Hälfte oder zwei Drittel (wie theo¬ 
retisch zu erwarten), sondern so ziemlich dieselbe Dosis des neuen 
Körpers nothwendig, wie beim Sulfonal. Eine absolute Superiorität 
eines der drei erwähnten Körper in dem Sinne, daß derselbe in 
gleicher oder in kleinerer Gabe mit Sicherheit da Schlaf herbei 
führt, wo seine „Verwandten“ versagen, läßt sich nicht behaupten. 
Wohl aber steht fest, daß in einzelnen Fällen, bei denen die Wirk¬ 
samkeit des Sulfonals ausgeblieben war, Trional und Tetronal eine 
volle hypnotische Wirkung herbeiführten; dabei mag als bemerkens- 
werth angeführt werden, daß bei über mehrere Tage fortgesetztem 
Gebrauche eines der drei Präparate ein Wechsel fast regelmäßig 
eine stärkere Wirkung erzielte. Die Schaffung bestimmter Indica- 
tionen für die Anwendung von Trional und Tetronal gegenüber der 
des Sulfonal läßt .sich nicht geben; vielleicht ist noch am ehesten 
die Behauptung zutreffend, daß die Indicationen der beiden neuen 
Körper im Allgemeinen mit denen für die Anwendung des Sulfonals 
zusammenfallen, daß dieselben aber bei gewissen nervösen Zuständen, 
welche gegenüber dem Sulfonal refraetär sind, ihrerseits eine Wir¬ 
kung entfalten können. Das numerische Verhältnis stellte sich wie 
folgt: Tetronal wirkte 14mal besser, 6mal gleich, 4mal schlechter 
als Sulfonal, Trional 17mal besser, 6mal gleich, 7mal schlechter 
als Sulfonal Nebenwirkungen schädlicher Art sind in den ‘220 
Fällen bei keinem der beiden Körper beobachtet worden. Eine 
postponirende Wirkung dürfte durch entsprechende Wahl der Dar- 
reichungszeit nahezu vollkommen zu vermeiden sein. 

— In der jüngst in Limoges stattgefundenen Jahresversamm¬ 
lung der „8oci6t6 lranyaise pour l’avanccment des Sciences“ machte 
Prof. Teissier (Lyon) eine Mittheilung über Behandlung de8 
Abdominaltyphu8 mit a-Naphtol. Von 15 nach einander mit 
a-Naphtol behandelten schweren Fällen wurden 14 geheilt, 1 starb, 
nachdem er verschiedenen Behandlungen unterzogen ward, an einer 
ii erigen Nephritis nach Influenza. Die Behandlung war folgende: 
Früh und Abends wurden je 0'40 a-Naphtol mit Bisrn. salicyl. verab¬ 
reicht und 4 kalte Irrigationen täglich, um die Diurese zu erhalten. 
Nachmittags ein Lavement mit 4 Grm. Extr. chinae und 0*60 bis 
1 Grm. Chinin, sulf. Diät: 300 Grm. Bordeauxwein, Milch und 
etwas Bouillon. Sobald der Urin vollständig grün wurde, d. i. 
durchschnittlich am 4. Tage, sank die Temperatur, das Eiweiß 
schwand aus dem Harne, die Milzvergrößerung nahm ab und die 
Zunge wurde feucht. Auf den ersten Abfall der Temperatur folgte 
ein Stadium von 4—8 Tage, während dessen die Temperatur 
große Schwankungen zeigte, worauf dann die Kranken sofort in 
die Reconvalescenz traten. Das Naphtol neutralisirt die löslichen 
von den Typhusbacillen secernirten Producte. Daß dem wirklich so 
ist, beweisen genaue, nach der Methode Bouchard’s ausgeführte 
Untersuchungen, die lehren, daß vom 3. Tage an der Gifiigkeits- 
cocfficient des Urins abnimmt: Aehnliche Untersuchungen über die 
Giftigkeit des Harnes bei Behandlung des Typhus mit kaltem 
Wasser und Antipyrin haben ergeben, daß bei der Wasserbehand¬ 
lung der Giftigkeitscoefficient des Harnes immer ein sehr hoher ist, 
während er bei Antipyrinbehandlung sinkt, um mit Aussetzen des 
Mittels wieder zu steigen. Das kalte Wasser begünstigt also die 
Ausscheidung der Gifte, während das Antipyrin ihre Anwesenheit 
maskirt. Beim a-Naphtol hingegen steigt der Giftigkeitscoefficient 
des Harnes auch nicht nach dem Aussetzen des Mittels. Das 
Naphtol verhindert also die Bildung der toxischen Producte. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. Angast 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VI. 

Aus den Sectionen . 

Section für innere Jfedicin. 

A. Kollmann (Leipzig): lieber Pseudomikroben des normalen 
menschlichen Blutes. 

Bei dem neuerdings lebhaft hervorgetreteuen Interesse der 
Kliniker für die mikroskopische Blutuntersuchung, namentlich bei 
Anämie, Influenza, Malaria etc., erscheint es dem Vortragenden in- 
dicirt, auf gewisse Befunde im normalen Blute aufmerksam zu 
machen, welche leicht zu Verwechslungen mit Mikroben Veranlassung 
geben können. 

In ganz normalen Blutpräparaten, wie sie durch Stich in den 
Finger gewonnen werden, fand Kollmann hauptsächlich folgende 
Formen von Pseudomikroben: 

1. Punktförmige kleinste und größere, aber noch weniger als 
1 p. messende rundliche und längliche Elemente und vielfache Ver¬ 
schmelzungen derselben zu „Diplococoen, Streptococcen, Bacillen¬ 
reihen“ etc. 

2. Größere, kreisrunde oder ovale Gebilde. 

3. Die höchst sonderbare Erscheinung der „Hantel“. 

4. Hin und wieder Körperchen mit geißelartigen Ausläufern, 
ganz ähnlich den Malariageißeln. 

Von diesen Elementen zeichneten sich die meisten durch ganz 
besonders lebhafte Beweglichkeit aus. Sie haben nach des Vor¬ 
tragenden Ansicht zum größten Theil aus den rothen Blutkörperchen 
ihren Ursprung, doch muß man höchst wahrscheinlich auf die Leuko- 
cythen und Blutplättchen recurriren. Durch Färbung, Reagentien 
und Culturen läßt sich nachweisen, daß es sich in der That nicht 
um Mikroben handelt. 

Discussion. 

Gualdi (Rom) bestätigt diese Angaben, indem er zugleich 
aus den Blutuntersuchungen von Prof. Baccelli mittheilt, daß der¬ 
selbe bei hunderten von Malariakranken solche bacillenförmige Ele¬ 
mente gefunden habe. Dieselben wurden aber auch beständig im 
Blute ganz gesunder Personen constatirt. Diese Körnchen sind nichts 
Anderes, als durch chemische Reagentien zertheilte Blutkörperchen. 
Bei plötzlicher Abblendung des Mikroskopes verschwinden die Plas¬ 
modien, während die Vacuolen deutlicher werden. 

Bozzolo (Turin): Ueber typhöse Septicämie mit Berücksichti¬ 
gung der atypischen Typhusfalle. 

Die Thatsache, daß verschiedene Localisationen 
einiger Baeterien verschiedene klinische Formen 
eines einzigen Processes erzeugen können, ist von dem 
Vortragenden für den pneumonischen Prooeß überzeugend dargelegt 
worden, hat aber auch, höchst wahrscheinlich für den Typhus Gel¬ 
tung. Bekanntlich konnte man in ganz atypischen Typhusfällen 
die von Eberth und Gaffky charakterisirten Typhusbacillen aus 
dem Milzsafte, sowie aus den Stühlen züchten. 

Redner hat nun in zwei vollkommen atypisch verlaufenden 
Fällen, in denen nur leichte Milzschwellung und Albuminurie be¬ 
stand, alle anderen Symptome aber fehlten, in dem aus dem Finger 
oder durch Aderlaß gewonnenen Blute reichliche Bacillen gefunden, 
welche dem Typhusbacillus sehr ähnlich waren. Daß in der That 
Typhnsbacillen Vorlagen, konnte durch Culturen auf Kartoffeln und 
durch die sonst üblichen Methoden sichergestellt werden. Es han¬ 
delte sich hier also um eine wirkliche Typhussepticämie 
In einem dritten, regelmäßig verlaufenden Falle ergab die Blutunter¬ 
suchung ähnliche Resultate. 

Redner konnte ferner constatiren, daß die Zahl der auf Agar 
gewachsenen Colonien und die Zahl der im Blute direkt gefundenen 
Bacillen in keinem direckten Verhältniße standen, sowie endlich, 
daß die Zahl der Bacillen des Blutes mit der Höhe der Tempera¬ 
tur abnahm, so daß nach dem Verschwinden des Fiebers die 
Bacillen überhaupt nicht mehr im Blute nachweisbar waren. 

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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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Bozzolo’s Untersuchungen sind somit eine neue Bestätigung 
der Beobachtungen anderer Autoren, daß die Febris miliaris von 
Palermo, das neapolitanische Fieber, sowie das sogenannte Heufieber 
nichts anderes als atypische Typhusfälle sind. 

A. Symons Ecles (London): Oie Behandlung der chronischen 
Diarrhoe mittelst Ruhe und Massage. 

Der Vortragende beginnt mit einer Angabe früherer eigener Mono¬ 
graphien über ähnliche Themata. Sodann wird die Bedeutung der 
„Salolprobe“ als ein zuverläßiges Mittel, die Absorptionsthätigkeit 
des Darmes zu schätzen, dargethan. 

Endlich, nachdem Redner den Werth der Ruhe, gleichmäßigen 
Temperatur und sorgfältigen Diät erwogen hat, beschreibt er kurz 
die Art und Weise, in der er die abdominale und allgemeine Massage 
angewendet hat, und gibt ein kurzes Resum6 der therapeutischen 
Wirkung, die sich in der vermehrten Salolabsorption, der verringerten 
Anzahl der Stühle und dem festeren Charakter derselben, der Gewichts¬ 
zunahme und allgemeinen Besserung der Patienten zeigt, die sich der 
Behandlung, wie sie der Vortragende ausübt, unterwerfen. —r. 

Heinrich Schuchny (Budapest): Schulhygienische Bestrebungen 
in Ungarn. 

Vortragender erwähnt u. A. auch der Schulüberbürdungsfrage, 
deren Existenz die ungarischen Schulmänner nicht anerkennen. Be¬ 
stehe dieselbe dennoch in einigen Lehranstalten, so ist dies nicht 
dem Lehrplane, sondern der Methode zuzuschreiben. In seinen Be¬ 
merkungen über die Myopie bemerkte Vortragender, es gebe eine 
Schul- und Hausmyopie. Wer die Menge der häuslichen Arbeiten 
und die mangelhafte Beleuchtung bei Anfertigung derselben kennt 
und eine Parallele zieht zwischen der Anstrengung der Augen in 
der Schule und zu Hause, wird finden müssen, daß in der Schule 
an das Auge bedeutend geringere Anforderungen gestellt werden 
als zu Hause. Es gibt Schulmänner, die den Grund der Myopie 
geradezu in der Hauslectüre suchen. — Schuschny erwähnt der 
mustergiltigen Verfügungen der ungarischen Unterrichtsverwaltung, 
welche der Schuljugend Schutz vor Infectionskrankheiten bieten 
sollen. — Der Turnunterricht entspricht unter den heutigen Ver¬ 
hältnissen keineswegs den Erwartungen, welche man mit Recht an 
denselben knüpfen darf. Die Vortheile des militärischen Turnens 
wiegen keineswegs die Vortheile des sogenannten „deutschen Schul¬ 
turnens“ auf. Beim Turnen muß man sich stets den Zweck desselben 
vor Augen halten, nämlich die harmonische Entwicklung der ein¬ 
zelnen Muskelgruppen des jungen Körpers. Die Zahl der Turnstun¬ 
den bedarf einer Vermehrung, die Turnspiele müssen einen obligaten 
Bestandtheil des Schulturnens bilden. — Die hygienische Ueber 
wachung der Schule, welche in Ungarn im Jahre 1887 eingeführt 
wurde, erstreckt sich vorderhand nur auf die Mittelschulen. Dieselbe 
wird in Ungarn nur Aerzten anvertraut, die sich in einem beson¬ 
deren Lebrcurse die nöthigen schulhygienischen Kenntuisse ange¬ 
eignet haben. Der Schularzt trägt in der VII. und VIII. Classe 
Hygiene vor. Minister Trefort sah ein, daß es nicht genügend 
sei, wenn nur in den Mittelschulen Hygiene vorgetragen wird; es 
ist sein Werk, daß heute in Ungarn keine Schule existirt, wo man 
nicht Gesundheitspflege unterrichten würde. Auf diese Art werden 
hygienische Kenntnisse verbreitet, Sinn für Gesundheitspflege ge¬ 
weckt und wach gehalten. R. 

Seetion für Pädiatrie. 

Th. Escherich (Graz): Idiopathische Tetanie im Kindesalter. 

Neben der in Begleitung oder im Gefolge anderer Erkran¬ 
kungen auftretenden symptomatischen Tetanie hat man namentlich 
durch die jüngste Publication von Jaksch eine idiopatische gutartig 
und rasch vorübergehende Form kennen gelernt, die sich bei sonst 
gesunden, jugendlichen, meist dem Handwerksstande angehörigen 
Idividuen alljährlich in den Frübjahrsmonaten einzustellen pflegt. 
Kommt diese letztere Erkrankung auch im kindlichen Alter vor und 
in welcher Form? In der deutschen Literatur findet sich keine 
derartige Mittheilung, ja von einzelnen Autoren, so Henoch, wird 
sogar das Vorkommen der Tetanie im Kindesalter überhaupt bezweifelt. 

Der Vortragende hatte Gelegenheit, auf die Monate April, Mai 
und Juni d. .1. beschränkt, eine Reihe von 30 Fällen dieser Er¬ 


krankung zu beobachten, 16 davon wurden in’s Spital aufgenommen. 
Es handelte sich um bisher gesunde, gutgenährte Kinder von 8 bis 
24 Monaten ohne Verdauungsstörung oder anderweitige Erkrankung, 
ein Theil mit leichter Rachitis behaftet. Auf der Höhe der Er¬ 
krankung zeigten dieselben das TROüssEAü’sche Symptom, Facialis- 
phänomen, mechanische und in zwei genau untersuchten Fällen auch 
gesteigerte elektrische Erregbarkeit der Nerven. Nur bei der Hälfte 
der Fälle und im Beginne der Erkrankung waren die typischen 
Contracturen der Extremitäten, dagegen bei drei Viertheilen der¬ 
selben laryngospastische Anfälle vorhanden, welchen zwei der Kinder 
erlagen. Bei den anderen ging die Erkrankung nach 10 bis 19 
Tagen in Heilung aus, wobei zuerst die spontanen Contracturen, 
dann das TROüSSEAu’sche Symptom, dann die laryngospastischen 
Anfälle und zuletzt das Faoialisphänomen und die mechanische 
Nervenerregbarkeit schwanden. 

Es bestand also bei diesen Kindern eine zweifellos idiopathische 
Tetanie, die in 24 unter 30 Fällen mit laryngospastischen Anfällen 
einherging. 

Angesichts des Umstandes, daß der Laryngospasmus durchaus 
parallel den anderen Krankheitserscheinnngen venief, und daß bei 
Kindern dieses Alters Verbreitung der tonischen Krämpfe auf die 
Respirationsmusculatur vielfach beschrieben und vielleicht auch durch 
physiologische Verhältnisse erleichtert ist, ist der Vortragende geneigt, 
die in diesen Fällen beobachteten Stimmritzenkrämpfe als eine dieser 
Altersperiode eigenthümliche Erscheinungsweise der idiopathischen 
Tetanie aufzufassen. Inwieweit diese Auffassung für den Laryngo¬ 
spasmus im Allgemeinen Bedeutung gewinnt, wird erst die weitere 
Untersuchung lehren. In Folge dieser Complication ist die Prognose 
der idiopathischen Tetanie im Kindesalter sehr viel ernster, als beim 
Erwachsenen. 

Therapeutisch hatte Phosphorleberthran nur eine geringe, Brom¬ 
präparate nur eine lindernde Wirkung. Bei das Leben bedrohenden 
laryngospastischen Anfällen kommt prophylaktische Tracheotomie 
oder Intubation in Frage. A. 


Seetion für Augenheilkunde. 

Schmidt-Fimpler (Marburg): Ueber Trachom. 

1. Das Trachom (granuläre Ophthalmie) unterscheidet sich in 
seinem Auftreten und Verlaufe von der einfachen Conjunctivitis folli- 
eulosa in einem solchen Grade, daß eine Trennung beider Affec- 
tionen im klinischen Interesse durchgeführt werden muß. 

2. Das Trachom bietet auch pathologisch-anatomisch durch¬ 
greifende Unterschiede gegenüber der einfachen Conjunctivitis folli¬ 
cularis, wenngleich in einem gewiesen Stadium die histologischen 
Veränderungen beider einander sehr ähnlich sind. 

3. Die Aetiologie des Trachoms ist eine andere als die der 
einfachen Conjunctivitis folliculosa. 

4. Das Trachom ist infectiös; das ansteckende Moment des¬ 
selben ist zur Zeit noch nicht gefunden. Der von Michel beschrie¬ 
bene Diplococcus kann nicht als Ursache des Trachoms betrachtet 
werden. 

5. Zur Infection durch Trachom, die mittelst directer Ueber- 
tragung des granulären Schleimbaut-Secretes erfolgt, bedarf es einer 
gewissen Disposition, welche wahrscheinlich in der besonderen Be¬ 
schaffenheit der mit dem Secret in Berührung kommenden Lidschleim¬ 
haut liegt; jedoch dürften nur wenige Schleimhäute der directen 
Uebertragung des Contagiums widerstehen. Es ist annehmbar, daß 
klimatische Verhältnisse betreffs der Disposition und der Verbreitung 
der Krankheit ebenfalls einen Einfluß haben. 

6 . Da das Trachom in der Gesammtheit seines Auftretens eine 
gut charakterisirte Krankheit bildet, so können vereinzelte Befunde, 
bei denen Syphilis, Tuberculose oder Lupus ähnliche Erscheinungen 
boten, keinen Anlaß geben, das Trachom als Misch-Krankheit zu 
betrachten oder verschiedene ätiologische Momente für dasselbe 
anzunehmen. 

7. Die große Gefahr , welche in der trachomatösen Augen¬ 
krankheit für das Sehvermögen und die Arbeitskraft ausgedehnter 
Bevölkerungskreise liegt, erfordert hygienische Maßnahmen seitens 
des Staates, und zwar in höherem Grade als es bisher geschehen ist. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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Gustav Schwabe (Leipzig): Lidspaltenerweiterung bei Horn¬ 
hauterkrankungen. 

Von Hornhauterkrankungen gab bisher fast ausschließlich der 
durch Trachom oder Trichiasis entstandene Pannus Veranlassung 
zur Lidspaltenerweiterung. Hier lag meist wirkliche Verkürzung der 
Lidspalte, Blepharophimosis, vor. Vereinzelt fand diese Operation 
auch bei Bindehaut Blennorrhoe oder hochgradigem Blepharospasmus 
Verwendung. 

Auf Grund 6jähriger Untersuchungen und an 81 Fällen weist 
aber 8chwabe (Leipzig) nach, daß in 
1 Fall von Herpes corneae, 

1 „ „ derbem, centralem Hornhautinfiltrat, 

4 Fällen „ Keratitis parenchymatosa, 

4 „ „ peripheren, 

8 „ „ centralen Hornhautulcerationen, 

29 „ „ sorophulöeer Keratitis, 

34 „ „ scrophulösem Pannus 

durch die Lidspaltenerweiterung schnelle Heilung herbeigeführt und 
der Ausbruch von Recidiven gemildert wurde. 

Sein Operätionsmaterial bestand meist aus Fällen, die monate-, 
jahrelang der üblichen Therapie getrotzt hatten, bei denen chronische 
Bindehautcatarrhe, Excoriationen der Lidwinkel, nässende Eczeme 
des Gesichts die Heilung erschwert batten. 

Die Heilung erfolgte, Keratitis pareoehymatosa ausgenommen, 
in sämmtlichen Fällen durchschnittlich am 10.—14. Tage, spätestens 
am 30. Tage post operationem. 

Nur 20% Recidive leichterer Art waren zu constatiren; 
wahrscheinlich war die Operation in diesen Fällen nicht exact genug 
ausgeführt worden. 

Die Operation hat unter streng antiseptisoben Cautelen zu 
geschehen, und sind dabei 3 Punkte besonders beachtenswerth: 

1. Die Lidspaltenerweiterung mnß möglichst ausgiebig er¬ 
folgen. 

2. Es müssen mindestens 6—8 Seidennähte gelegt werden 
und so, daß nur Bindehaut und änßere Haut, nicht aber Muskel 
und Knorpel gefaßt wird, weil sonst Schwellung und vorzeitiges 
Durchschneiden defr Sutüreri eintrftt. 

3. Die Nähte dürfen vor dem 8.—10. Tage ohne zwingenden 
Grund nicht entfernt werden, da die Neigung zur Verwachsung des 
erweiterten Lidwinkels eine ungemein große ist. 

Unangenehme Folgen hat die Operation nicht; die Differenz 
der Lidspalten beträgt in der Länge, nach Ablauf von 4 Wochen, 
etwa 2 Mm. 

Die Wirkung der Canthoplastik erklärt sich Schwabe so, daß 
die geringste Schwellung des Oberlides und der dadurch vermehrte 
Druck auf die Cornea im Stande ist, die Entztlndungen derselben 
zu unterhalten, zu steigern, besonders in Fällen allgemeiner Scro- 
phulose, wo wir mit Virchow eine verminderte Widerstandsfähigkeit, 
eine gewisse Hinfälligkeit der Gewebe, also auch der Cornea, an¬ 
nehmen müssen. 

Haben aber erst Narben und unregelmäßige Lymphströmungen 
die Zähigkeit der Hornhaut dauernd beeinträchtigt, so wird es be¬ 
greiflich , warum trotz aller therapeutischen Anstrengungen die 
Cornea erst dann sich zu erholen, zu heilen vermag, wenn der 
wie ein Alp auf ihr ruhende Druck des geschwollenen Oberlides 
durch die Lidspaltenerweiterung, auf deren exacte Ausführung 
Schwabe den größten Werth legt, eine dauernde Herabsetzung er¬ 
fahren hat. A. 

Section für Ohrenheilkunde. 

Gradenigo (Turin): Die Form der Ohrmuschel bei Normalen, 
bei Geisteskranken und bei Verbrechern. 

Formanomalien der Ohrmuschel sind bei Geisteskranken und 
Verbrechern weit häufiger als bei normalen Individuen ; bei ersteren 
kommen sehr schwere Abnormitäten vor. Die Anomalien sind in 
der Regel bilateral. Bezüglich der einseitigen fand Redner, daß 
die Anomalien im Allgemeinen häufiger auf der rechten Seite Vor¬ 
kommen, mit Ausnahme der abstehenden Ohrmuschel, welche bei 
Männern viel häufiger auf der linken Seite zu treffen ist. R. 


Notizen. 

Wien, 13. September 1890. 

(IX. Oesterreichischer Aerztevereinstag.) Der am 
5. und 6. d. M. zu Troppau abgehaltene Aerztevereinstag, an 
welchem 63 ärztliche Vereine, darunter das „Wiener med. Doctoren- 
Collegium“, durch 63 Delegirte vertreten waren — nur ein Verein 
hatte keinen Delegirten entsendet — beschäftigte sich zunächst mit 
der Frage der Reform des Apothekerwesens, einer An¬ 
gelegenheit, welche, obgleich sie den ärztlichen Stand nahe berührt, 
bei den bestehenden Verhältnissen keine Aussicht hat, durch die 
Initiative der Aerzte geregelt zu werden. Nach eingehender Debatte 
wurden die vom Referenten Dr. Dworäak (Königsberg) beantragten 
Grundsätze angenommen: „1. Die Apotheken sind unter staatlicher 
Aufsicht stehende eoncessionirte Gewerbe, deren Anzahl und Standort 
von den politischen Behörden bestimmt wird. 2. Wo kein die Praxis 
ausübender Arzt wohnt, darf keine öffentliche Apotheke errichtet 
werden. 3. Zur Erlangung einer Apotheke ist die Erfüllung der 
durch die pharmaceutische Studienordnung festgestellten Bedingungen 
und der Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft erforderlich. 

4. Alle öffentlichen Apotheken sind Personalgewerbe und werden 
ausschließlich im Concurswege durch die politischen Behörden ver¬ 
lieben, wobei unter sonst gleichen Umständen unter mehreren Candi- 
daten der in der pharmaeeutischen Praxis Aelteste den Vorzug 
haben soll. 5. Es ist wünschenswerth, daß die Apotheken von dem 
Besitzer persönlich geleitet werden; sie dürfen weder verkauft, noch 
verpachtet, noch an andere Personon übertragen werden. Eino Stell 
Vertretung in der Leitung darf nur in durch die Nothwendigkeit 
gerechtfertigten Fällen stattfinden. 6. Es wäre eine gründliche Revision 
aller bisherigen , das Apothekerwesen betreffenden gesetzlichen Vor¬ 
schriften vorzunebmen und mit Berücksichtigung der vorstehenden 
Grundsätze ein einheitliches, dem Zeitverbältnissen entsprechendes 
Gesetz zur Regelung des Apothekerwesens zu erlassen. 7. Es möge 
eine strengere, d. i. wirksamere Ueberwachung der Recoptcopien 
platzgreifen. 8. Das k. k. Ministerium des Innern ist zu bitten, 
gegen den Verkauf und die Ankündigung von Geheimmitteln unter 
Anführung bestimmter Krankheiten wirksame Maßregeln zu treffen.“ 
— Das von Prof. Janovsky erstattete Referat über das Kranken- 
cassengesetz gipfelte in einer Reihe von Resolutionen, welche 
tbeils die Reformbedürftigkeit des Gesetzes, theils das Verhalten der 
Aerzte in der Honorarfrage betrafen. Dieselben lauten: 1. Die 
Aerzte Oesterreichs erblicken in dem Gesetze vom 30. März 1888, 
sowie in dem Musterstatute vom 20. October eine ernste Gefahr und 
Schädigung für die materiellen Existenzbedingungen ihres Standes. 

2. Der §. 13 des Gesetzes, Al. 4, welcher auch nicht versichernngs- 
pflichtigen Personen das Recht des Beitrittes zu Krankencassen ein¬ 
räumt, ist darnach angethan, in seinen Consequenzen dem Arzte 
einen großen Theil seiner Privatklientel zu entziehen und seine 
materiellen Existenzbedingungen in bedrohlicher Weise zu schmälern. 

3. Die Abscbließung des Vertrages zwischen Arzt und Casse, sowie 
die Eitheilung von Instructionen an die Cassenärzte bat unter Inter¬ 
vention der politischen Behörden stattzufinden. 4. Ueber die Hono- 
rirung von außerhalb des Cassenverbandes stehenden Cassenärzten 
bei dringender Hilfeleistung im Sinne des §.13 des Musterstatutes 
hat im Falle von Differenzen zwischen Arzt und Casse die zuständige 
politische Behörde nach Anhörung ihres Facbreferenten zu entscheiden. 

5. Die Zuweisung eines Kranken durch die Casse in’s Krankenhaus 
hat stets nach Einverständniß und über Antrag des Arztes zu geschehen. 

6. Dem Cassenarzte bleibt in dem Falle, als er sich in seinen 
Rechten bei der Casse benachtheiligt glaubt, oder im Falle von 
Differenzen zwischen ihm und dem Vorstande das Recursrecht an 
die zuständige politische Behörde gewahrt. 7. Der Modus der Pau- 
schalirung als Entlohnung für die den Cassen geleisteten Dienste 
im Allgemeinen ist vorderhand zu verwerfen und im Sinne der Be¬ 
schlüsse der weitaus überwiegenden Majorität der Vereine an dem 
Principe der fallweisen Entlohnung festzuhalten. 8. Der IX. öster¬ 
reichische Aerztevereinstag erklärt eine Minuendolicitation als un¬ 
verträglich mit der 8tandesehre. 9. Die Frage der Einbeziehung 
der Frauen und Kinder der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter 
in die Cassen, deren positive Beantwortung schwere Bedenken hervor- 


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Nr. 37. 


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ruft, ist von Seite des Geschäftsausschusses im Vereine mit den 
Verbandsvereinen einem gründlichen Studium zu unterziehen. — Der 
Schriftführer des Geschäftsausschusses, Dr. Carl Cohn (Döbling), refe- 
rirte über die Aerztekammern, zumal den Stand dieser Angelegen¬ 
heit im Abgeordnetenhause des Reichsrathes, und dankte der Regie¬ 
rung, sowie dem Sanitätsreferenten für die wohlwollende Beurtheilung 
dieser Frage. Die Versammlung sprach sich hierauf einstimmig für die 
Errichtung von Aerztekammern auf Grundlage des vom Abg. R>ser 
beantragten Gesetzentwurfes aus und votirte den in dieser An¬ 
gelegenheit thätigen Abgeordneten den Dank. — Die Frage der 
Kranken- und Altersversicherung der Aerzte und deren 
Witwen und Waisen wurde dem Geschäftsaussohusse zur Vorberathung 
auf Grund der von den Bundesvereinen einzuholenden Gutachten 
zugewiesen. Die Statuten des Witwen- und Waisen-Unter- 
stützungs-Institutes wurden dahin abgeändert, daß nunmehr 
die Hälfte der eingezahlten Beträge (anstatt wie bisher ein Viertel) 
zu Uuterstützuugen verwendet werden solle. Bezüglich der bean¬ 
tragten Errichtung einer Staudesordnung für Aerzte sprach 
der Aerztevereinstag aus, daß der Zeitpunkt für die Feststellung 
einer sulchen erst nach Errichtung der Aerztekammern gekommen 
sein werde. — Sodann nahm der Aerztevereinstag folgenden Antrag 
des Reg.-R. Prof. Valenta (Laibach) an: „Die Regierung wird er¬ 
sucht, ehethunlichst eine Aenderung des medioinischen 
Studienplanes vorzunehmen und in dieser Richtung l. das Ab¬ 
legen des theoretischen Rigorosums nach dem sechsten, beziehungs¬ 
weise vor dem achten Semester als obligat einzufübren; 2. die Aus¬ 
übung der Praxis eist nach einer mindestens eiujäbrigeu Spitalpraxis 
zu gestatten ; 3. zu erwägen , ob nicht mit Hiuweglassung der natur- 
historischen Fächer eine Abkürzung der Studienzeit möglich wäre.“ 

(VonderWiencr Universität.) Das Rectorat gibt bekannt, 
daß das Wintersemester 1890/91 für alle vier Facultäten am 
1. October 1890 beginnt. Die Frist zur Immatriculation und In¬ 
scription beginnt am 22. September 1890 und endet mit 9. October 1890. 
Nach Ablauf dieser Frist findet eine Immatriculirung, beziehungs¬ 
weise Inscription, nur auf besondere Bewilligung des Professoren- 
Collegiums der Facultät, respective des akademischen Senates - statt. 
Diese Bewilligung zur nachträglichen Inscription kann jedoch nur 
aus erheblichen Gründen in den Fällen einer nacbgewiesenen un¬ 
verschuldeten Verspätung ertbeilt werden. 

(Trachom.) Die in den niederösterreichischen Irrenanstalten 
ausgebroohene Trachom-Epidemie soll, Dank den ergriffenen Maßregeln, 
im Rückgänge begriffen sein. — In Süd Ungarn, wo das Trachom 
geradezu erschreckende Dimensionen angenommen hat, werden Curse 
abgehalten werden, um die Amtsärzte sowohl mit dem Wesen und 
der Behandlung der Krankheit, als auch mit den zur Verhütung 
und Bekämpfung der Seuche dienenden Maßnahmen vertraut zu 
machen. Mit der Abhaltung dieser Curse wurde der Sauitäts-Inspector 
Dr. Nathaniel Feuer betraut. Der erste Curs hat am 2. d. M. 
im Trachom-Spitale in Szabadka begonnen; der zweite wird in 
Szegedin abgehalten werden. Die zu den Cursen delegirten Amtsärzte 
erhalten Reisespesen und Diäten. — Mit Rücksicht auf die Erfahrung, 
daß im Occupationsgebiete häufig Trachomfälle constatirt 
wurden, welche nicht als frische, sondern als Reoidiven chronischer 
Erkrankungen aufzufassen sind und zumal bei jenen Truppenkörpern 
beobachtet werden, in deren Ergänzungsbezirken das Trachom unter 
der Civilbevölkerung herrscht, hat das Reichskriegsministerium an¬ 
geordnet, daß die Mannschaft der in’s Occupationsgebiet bestimmten 
Truppen und Transporte stets einer speciellen ärztlichen Unter¬ 
suchung auf das etwaige Vorkommen von Trachom unterzogen 
werde. Jene Mannschaft, bei der Ueberreste eines abgelaufenen 
Trachoms constatirt werden, welche eine spätere Recidive voraus¬ 
setzen lassen, ist bei den im Inlande verbleibenden Abtheilungen 
ihres Truppenkörpers zu belassen, nöthigenfalls unter besondere 
ärztliche Ueberwachung zu stellen. Hiezu ordnet das Corpscommando 
an, daß der ärztlichen Untersuchung überhaupt und speciell jener 
der Augen der von den Ergänzungsbezirken zu den Truppen ab¬ 
zusendenden Recruten im dienstlichen und budgetären Interesse die 
subtilste Aufmerksamkeit zugewendet werde, damit nicht, wie es 
oft vorkam, solche eben eiugerückte Recruten sofort zur Labor¬ 
prüfung vorgestellt oder mit trachomatöser Erkrankung der Augen 


den Heilanstalten übergeben werden müssen. In gleicher Weise ist 
bei der zu beurlaubenden Mannschaft strenge darauf zu achten, daß 
kein Mann mit einem ansteckungsfähigen Trachom abgesendet werde. 

(Cholera-Nachrichten.) In der Zeit vom 26.—31. August 
sind in Spanien 484 Erkrankungen mit 258 (= 53%) Todes¬ 
fällen zur Anzeige gelangt. Die Gesammtzahl der in den amtlichen 
Bulletins ausgewiesenen Cholera-Erkrankungsfälle erhöht sich damit 
auf 3006, jene der Tok8fälle auf 1535 (= 51%). — In Mekka 
sind vom 8.—17. August 645 (seit Beginn der Epidemie 2727), 
in Djedda 550 (seit Beginn der Epidemie 1183) Personen der 
Seuche zum Opfer gefallen. — Die österreichisch-ungarische Regie¬ 
rung hat beschlossen, an der von Italien angeregten S a n i t ä t s- 
Conferenz theilzunehmen. 

(Functionäre für die med i ein i sc h e n Rigorosen.) Der Unter- 
richtsminister hat Für die im Studienjahre 1890 91 abznhaltenden medicini- 
schen Rigorosen folgend.* Functionäre ernannt: I. An der Universität zu 
Wien zu Regierungscommissären: den Ministerialrath i P. Dr. Franz Kitter 
v. Schneider, den Ministerialrath im Ministerium des Innern Dr. Ehanüel 
Kusv, den Statthaltereirath und Landes-Sanitätsrefenten Dr. Ludwig Ritter 
v. Karajan und den Director des allgemeinen Krankenhauses in Wien und 
a. o. Universitätsprofessor Hofrath Dr. Carl Böhm; ferner zum Coexaminator 
beim zweiten medioinischen Rigorosum den ordentlichen Universitätsprofessor 
Hofrath Dr. Hermann Freih. v. Widkrhofer und zu dessen Stellvertreter den 
ordentlichen Universitätsprofessor Hofrath Dr. Theodor Meynert, dann zum 
Coexaminator beim dritten medicinischen Rigorosum den a. o. Universitäts¬ 
professor Dr. Josef Weinlechneb und zu dessen Stellvertreter den a. o. Uni- 
versitätsprot'essor Dr. Isidor Neumann. — II. An der deutschen Universität 
in Prag zum Regierungscommissär den a. o. Universiiätsprofessor Dr. Friedrich 
Ganghofnkr und zu dessen Stellvertreter den Sanitätsconcipisten Dr. Friedrich 
Wenibch, ferner zum Coexaminator beim zweiten medicinischen Rigorosum den 
a. o. UniversitätsprofeBsor Dr. Ferdinand Hukppe und zu dessen Stellvertreter 
d>n ordentlichen Universitätsprofessor Dr Ahnold Pick, dann znm Coexami¬ 
nator beim dritten mediciuischen Rigorosum den a. o. Universitätsprofessor 
Di. Philipp Josef Pick und zu dessen Stellvertreter den a. o. Universitäts- 
p ofessor Dr. Kmanuel Zaufal. — III. An der böhmischen Uuiversität in 
Prag zum Regierungscommissär den Statthaltereirath und Landes-Sanitäts- 
referenten Dr Ignaz Pelc und zu dessen Stellvertreter den Director des all¬ 
gemeinen Krankenhauses in Prag Dr. Jahoslav Stästny, ferner zum Coexami¬ 
nator beim zweiten medicinischen Rigorosum den Privatdocenten Dr. Gustav 
Kabkhkl und zu dessen Stellvertreter den a. o. Universitätsprofessor 
Dr. TiiEODon Neubkutter, dann zum Coexaminator beim dritten medicinischen 
Rigorosum den Privatdocenten Dr. Franz Michl und zu dessen Stellvertreter 
den a. o. Universitätsprofessor Dr. Carl Schwing. — IV. An der Universität 
in Graz zum Regierungscommissär den Land* s-Sanitätsieferenten in Pension 
Hofrath Dr. Ferdinand Ritter v. Scherer nn I zu dessen Stellvertreter den 
landschaftlichen Primararzt Dr. Carl Platzl; ferner znm Coexaminator beim 
zweiten medicinischen Rigorosum den a. o. Universitätsprofessor und Director 
des landschaftlichen allgemeinen Krankenhauses in Graz Dr Eduard Lipp, zu 
dessen Stellvertreter den prakt. Arzt in Graz Dr. Julius Richter, dann zum 
Coexaminator beim dritten medicinischen Rigorosum den Laodes-Sanitätsrath 
Dr. Uubtav Ritter v. Köppkl und zu dessen Stellvertreter den Privatdocenten 
Dr. Ludwig Ebner. — V. An der Universität in Innsbruck znm Regierungs¬ 
commissär den Statthalt-reirath und Landes-Sanitätsreferenten Dr. Ferdinand 
Sauter; zum Coexaminator be m zweiteu medicinischen Rigorosum den a. o. 
Universitätsprofessor Dr. Adolf Jarisch und zum Coexaminator beim diitten 
medicinischen Rigorosum den Landes-Sanitätsrath und Tit. a. o. Universitäts- 
profes^or Dr. Ludwig Lantschnkr. — VI. An der Universität in Krakau 
zum Regierungscommissär den ordentlichen Universitätsprofessor Dr. Thaddäus 
Bhowicz und zu dessen Stellvertreter den Privatdocenten und Statthalteiei- 
concipisten Dr. Stanislaus Poniklo , zum Coexaminator beim zweiten medi¬ 
cinischen Rigorosum den a. o. Universitätsprofessor Dr. Stanislaus Douanski, 
zu dessen Stellvertreter den Universitätsprofessor Dr. Ladislaus Anton Gluzinski, 
dann zum Coexaminator beim dritten medicinischen Rigorosum den Privat¬ 
docenten Dr. Alex. Zabewicz und zu dessen Stellvertreter den Privatdocenten 
Dr. Rudolf Trzebitzky. 

(Statistik.) Vom 31. Au;nst bis incl. 6. September 1890 wurden in 
den Civil spitälern Wiens 3773 Personen behandelt. Hievon wurden 744 
entlassen; 87 sind gestorben (10*5°; 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei alserkrauktgemeldet: An 
Diphtheritis 28, egyptischer Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 7, Dysenterie —, Blattern 6, Varicellen 4, Scharlach 14, 
Masern 75, Keuchhusten 31, Wundrothlauf 10, Wochenbettfieber 3. — In 
der 3ti. Jahreswoche sind in Wien 305 Personen gestorben (—17 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Baden-Baden Dr. J. M. 
Duncan aus London, einer der hervorragendsten Gynäkologen Gro߬ 
britanniens; in Linnich Dr. Oidtmann, Redacteur des „Impfgegner“, 
welcher wiederholt, zuletzt vor wenigen Tagen, wegen der von ihm 
bei Impfverweigerung ausgestellten Atteste in Conflicte mit der 
Strafbehörde gerathen war; in Paris der em. Professorder internen 
Medicin, Dr. Jules Gavarret. 


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Die medicini8ch-wissen8chaft1iche Ausstellung in Berlin. 

UI. 

Wenn es anch in der Natur der Sache begründet ist, daß die 
in der Abtbeilung für innere Medicin ansgestellten Objecte kein 
volles Bild der modernen Bewegung auf diesem weiten Gebiet© 
geben, so bietet nichtsdestoweniger auch diese Gruppe eine reiche 
Fülle von Material. Fassen wir zunächst die Apparate in’s Auge, 
die zur Erkennung krankhafter Zustände dienen, so nimmt unter 
diesen das Thermometer zweifelsohne eine hervorragende Stellung 
ein. Dank den Fortschritten der modernen Glastechnik ist jetzt die 
Medicin in der Lage, über Instrumente zu verfügen, die den höchsten 
Anforderungen der Wissenschaft vollständig entsprechen. Vielfache 
neue Modelle, verbesserte Formen finden wir auch bei den der 
Auscultation und Percussion dienenden Apparaten. Im Gebiet der 
Diagnostik der Nervenkrankheiten sind einige Neuheiten zu ver¬ 
zeichnen, von denen die eine der Feststellung des Wärmesinnes, 
die andere derjenigen der Schmerzempfindung dienen soll. Auf dem 
therapeutischen Gebiet nehmen, entsprechend der Wichtigkeit der 
Krankheitsgruppe, die neueren der Behandlung der Lungenschwind¬ 
sucht gewidmeten Methoden die erste Stelle ein. Von vielen Seiten 
ist das Problem in Angriff genommen worden, die localen Processe 
von den Luftwegen aus in einer mehr activen Weise zu beein¬ 
flussen. Im Wesentlichen hat man nach drei verschiedenen Methoden 
diesen Weg zu erreichen gesucht: 1. Durch Zuführung flüchtiger 
desinficirender Stoffe in Dampfform, 2. durch Einführung heißer, 
trockener und 3. feuchter, warmer Luft. Die modernen Apparate 
weisen einen hohen Grad der Vollendung auf, und das Problem, 
die wirksamen Reagentien in genauer Dosirung möglichst weit in 
das Lungengewebe einzuführen, erscheint so gut wie gelöst. Die 
mechanischen Behandlungsweisen innerer Krankheiten finden eben¬ 
falls eine reiche Vertretung. Insbesondere gilt dies von der Gruppe 
der bei der Behandlung der Oesophaguskrankheiten angewandten 
Apparate. Auf ein anderes Gebiet der modernen Therapie führen 
die Suspensionsappafate, die zur Behandlung nervöser Krankheiten 
dienen. — Wir nennen hier Dr. E. Krüll in Güstrow (Apparat zur 
Elnathmung feuchtwarmer Luft). 

Die Ausstellung der Gruppe für Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie gibt ein lehrreiches Bild der zahlreichen Bestrebungen, 
welche die wissenschaftliche und praktische Seite der beiden Fächer 
beherrschen. Aus der geburtshilflichen Anatomie sind Gefrierschnitte, 
Becken und mikroskopische Präparate, aus den Beckensammlungen 
zum Theil recht seltene, zum Theil sehr lehrreiche Präparate aus¬ 
gestellt worden. Endlich sind mikroskopische Präparate aus den¬ 
jenigen Gebieten eingegangen, welche noch in jüngster Zeit ein 
Gegenstand eifrigster Arbeit waren und daher nur sehr wenigen 
Forschern zur Verfügung standen. Die gynäkologischen Instrumente 
sind zum Theil so ausgestellt worden, daß einzelne Institute ihr 
ganzes Armamentarium für bestimmte Zwecke vereinigt vorführen. 
Der Vereinfachung und Bequemlichkeit sollen verbesserte Operations¬ 
und Untersuchungstische dienen. Hier stellte Prof. Schauta (Prag) 
transparente Fenstertafeln zum gynäkologischen Unterrichte aus. 
Interesse erregte auch die Exposition der Instrumente für Apostou’s 
Behandlung der Firma Reininger, Gebbert & Schall in Erlangen. 

In der ophthalmologi sehen Abtheilung sind die be- 
merkenswerthen Fortschritte zu erkennen, welche die Herstellung 
der Untersuchungs- und Operationsinstrumente in der letzten Zeit 
gemacht hat. Sterilisationsapparate, auch pathologische Präparate 
und neue Erfindungen verschiedener Art sind ausgestellt. — Die 
bedeutenden Fortschritte, welche auf dem Gebiete der Ohrenheil¬ 
kunde gemacht wurden, betreffen die mikroskopische Untersuchung 
des erkrankten Gehörorgans. Durch Ausstellung verschiedener Samm¬ 
lungen mikroskopischer Präparate sind diese Fortschritte in ausge¬ 
zeichneter Weise zur Geltung gebracht. Anatomische und patho¬ 
logisch-anatomische Präparate und Modelle, hauptsächlich für den 
Unterricht bestimmt f sind in besonderer Reichhaltigkeit vertreten. 
Die Mehrzahl der ausgestellten Präparate sind Knochenpräparate, 
doch finden sich auch Gyps- und Wachsmodelle, ferner Ausgüsse 
des Schläfenbeines mit Woodmetall nach Siebenmann und Präparate 


nach einer neuen Methode hergestellt, Einbettung in Glyoerinleim. 
Besonders zu verweisen ist auf die graphische Darstellung der 
elektrischen Acusticusreaction. Unter den Instrumenten verdienen 
besonders hervorgehoben zu werden die neuen Hörprüfungsapparate, 
ein elektrischer Beleuchtungsapparat, sowie ein Wasserstrahlgebläse 
zur Luftdouche. Wien ist hier durch die von Politzer, Bing, 
Gompdrz und Pins ausgestellten Instrumente und Apparate vertreten. — 
■Die Ausstellung für Laryngologie und Rhinologie ura¬ 
lfaßt Präparate und Instrumente. Die Präparate, theils im Original, 
theils in Nachbildungen, bringen normale oder pathologische Ver¬ 
hältnisse in der Nase und deren Nebenhöhlen, im Schlunde und im 
Kehlkopfe zur Anschauung. Die Instrumente zeigen die Verbesse¬ 
rungen , welche die neuere Zeit an dem alten Schatze des Unter- 
suehungsgeräths und des operativen Armamentariums hervorgebracht. 
Die Antiseptik ist vorzugsweise bei den Instrumenten zur Tracheo¬ 
tomie berücksichtigt, die Elektricität wird vorwiegend zu Zwecken 
der Beleuchtung und zur Elektrolyse vorgeführt; die Verbesserungen 
der eigentlichen Operationsinstrumente betreffen besonders die Cu- 
retten, die Technik der Behandlung der nasalen Nebenhöhlen und 
des deformirten Septums. 

Die neuere Zahnheilkunde richtet ihr Bestreben darauf, 
möglichst viel bereits erkrankte Zähne in einem solchen Zustande zu 
erhalten, daß sie für den betreffenden Menschen noch lange Zeit 
als brauchbare Kauorgane fungiren. Die einzige Methode, welche 
es gestattet, diesen Zweck zu erreichen, ist die Füllung, d. h. 
die cariöse Höhle muß von allen erweichten Zahnbeinmassen gereinigt 
werden, bis ihre Wände überall von festem und hartem Dentin 
gebildet sind, und die so präparirte Höhle wird alsdann mit einem 
selbst nicht fäulnißfähigen, harten Material ausgefüllt, welches im 
Stande ist, dem sehr erheblichen Druck, der beim Kauen statt¬ 
findet, erfolgreichen Widerstand zu leisten. Das zweite Bestreben 
der Zahnheilkunde ist es, in Fällen, in welchen viele der natür¬ 
lichen Zähne zu Grunde gegangen sind, einen künstlichen Ersatz 
zu schaffen, welcher nicht nur ein tadelloses Aussehen gewährt, 
sondern auch brauchbare Kaufunetionen ausübt. In dieselbe Ab- 
theilung gehören die Methoden zum Richten unregelmäßig stehen¬ 
der Zähne, zum Schienen des Unterkieferbruchs und der Verschluß 
der angeborenen Spalten und erworbenen Defecte des harten und 
weichen Gaumens. Neben der praktischen Zahnheilkunde steht die 
wissenschaftliche Zahnlehre. Dieselbe umfaßt alle Eigentümlich¬ 
keiten und Abweichungen der Bildung, welche das menschliche 
Gebiß betreffen können, bis in ihre feinsten Details. Um das mensch¬ 
liche Gebiß verstehen zu können, ist es nothwendig, einen Einblick 
in das Gebiß der Säugetbiere zu besitzen. Es ist die vergleichende 
Zahnlehre, welche, wenn sie auch nicht unmittelbar praktischen 
Zwecken dient, doch von hoher Bedeutung ist für die ganze Auf¬ 
fassung des menschlichen Gebisses. Auch die Erkrankungen der 
Thierzähne und speciell des mächtigsten Repräsentanten derselben, 
des Stoßzahnes des Elephanten, sind nicht nur von wissenschaft¬ 
lichem Interesse, sondern eröffnen uns einen tieferen Einblick in 
manche Erkrankungen, die sich auch an den Zähnen des Menschen 
vorfinden. 

Die Fortschritte der Elektrotechnik haben sich auch für die 
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie fruchtbar erwiesen. Die 
Verwendbarkeit der von Dynamomaschinen erzeugten Elektricität 
zu medicinischen Zwecken ist: durch die von der Firma Hirschmann 
construirten und hier seit Monaten benutzten Vorrichtungen darge- 
than, mittelst welcher der auf diesem Wege erzeugte elektrische 
Strom mit Erfolg, sowohl zu elektrodiagnostischen, wie elektrothera- 
peutischen Zwecken praktisch verwerthet wird. Des Weiteren drehen sich 
die Bestrebungen der Elektrotherapeuten und der Mechaniker um 
die Herstellung brauchbarer absoluter Einheitsgalvanometor und 
gleichmäßig abstufbarer Rheostate, die Construction zweckentspre¬ 
chender Einrichtungen für hydroelektrische Bäder und um die Ver¬ 
vollkommnung der galvanokaustischen Batterien und der Apparate 
für die Elektrolyse. Hieran reihen sich die Verbesserung des für 
die Franklinisatiou bestimmten Instrumentariums und die Vervoll¬ 
kommnung der Apparate für die Beleuchtung und Durchleuchtung 
der Körperhöhlen. — Unter den Ausstellern finden sich Doc. Dr. Ehr¬ 
mann und Mechaniker Schulmeister aus Wien. 


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Auf dem Gebiete der Orthopädie und Heilgymnastik haben 
die Aerzte mehr und mehr das Bedtlrfniß empfunden, sich vom 
Bandagisten unabhängig zu machen. Einige suchten dies durch 
Vereinfachung der mechanischen Hilfsmittel, durch Benutzung leicht 
zu verarbeitender Materialien zu erreichen, so daß man zur 
Anfertigung der Apparate keiner besonders vorgebildeten Arbeiter 
bedurfte. In erster Linie hat hier der Gypsverband eine Rolle 
gespielt, sodann Wasserglas-, Filz-, Draht-, Holzverbände. Um aber 
auch für solche Fälle gerüstet zu sein, in denen man mit Appa¬ 
raten dieser Art nicht auskommen kann, haben andere Aerzte es 
unternommen, Mechaniker unter ihrer Aufsicht arbeiten zu lassen 
und sie in ein ähnliches Verhältnis zu sich zu stellen, wie wir es 
bei dem Zahnarzt und Zahntechniker schon längst kennen. Die auf 
diese Weise hergestellten Apparate, die genau dem Bedürfniß des 
vorliegenden Falles angepaßt sind, ermangeln zwar zum Theil der 
Eleganz, die wir an den Erzeugnissen altrenommirter Fabriken 
zu sehen gewohnt sind, man wird sich aber dafür umsomehr auf 
ihre Zweckmäßigkeit und Brauchbarkeit verlassen können. Die erste 
Anregung zu diesem Vorgehen dürfte von Amerika ausgegangen 
sein, wo bereits seit einer Reihe von Jahren einzelne Kranken¬ 
häuser und Universitäten mechanische Werkstätten besitzen. Daneben 
haben die alten Fabriken rastlos weiter gearbeitet und sind stets 
bemüht gewesen, von allen Fortschritten der modernen Technik so 
viel als möglich Vortheil zu ziehen. Eine besondere Gruppe der 
mechanischen Hilfsmittel der Orthopädie bilden diejenigen Apparate 
und Maschinen, welche die Hand in ihrer mechanischen Einwirkung 
auf den menschlichen Körper unterstützen oder ersetzen sollen. 
Hieher gehören die verschiedenartigen Redressionsapparate und die 
zur mechanischen Behandlung gewisser Krankheiten bestimmten 
Maschinen, die zuerst Dr. Zander in die Heilkunst eingeführt hat. 

Auf dem Gebiet der Urologie bewegen sich die belang¬ 
volleren Fortschritte der instrumentellen Technik wesentlich in der 
Richtung, die Diagnostik der einschlägigen Krankheiten durch ver¬ 
besserte Beleuchtungsapparate zu fördern. Zugleich dienen dieselben 
bei intravesicalen Eingriffen therapeutischen Zwecken. Erfreuliche 
Vervollkommnungen weist ferner die Fabrication elastischer Instru¬ 
mente, insbesondere der weichen Katheter, auf. 


Bei der Behandlung der Fettsucht handelt es sich vorzüglich 
darum, dem Organismus Flüssigkeit zu entziehen. Es wird dies auf die 
verschiedenste Weise, speciell aber durch Pnrgantien angestrebt, von denen 
Saxlehner's Hunyadi Janos Bitterwasser in erster Reihe genannt 
werden mnß. Bei habituellem Gebrauche desselben vermindert sich in Folge 
der vielen flüssigen Entleerungen sehr bald auch der Flüssigkeitsgehalt der 
Gewebe, die Fettzellen schrumpfen, Körpergewicht und Volumen nehmen rasch 
ab. Vom Magen wie vom Darm sehr gut vertragen, genügt es zu einer solchen 
Cur, neben zweckentsprechender Regelung der Diät, ein Weinglas voll dieses 
Mittels auf nüchternen Magen durch einige Wochen zu nehmen, um bald ein 
sehr zufriedenstellendes Resultat zu erzielen. 


Dr. Vkninokr, emer. klin. Assistent von Hofrath Baron Widerhofer. 
ist bereits zur ärztlichen Praxis in Meran eingetroffen. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare ) 

Magelssen A., Ueber die Abhängigkeit der Krankheiten von der Witterung. 
Antorisiite deutsche Ausgabo von W. Berger. Mit 10 lithogr. Tafeln. 
Leipzig 1890 Georg Thieme. 

Binswanger 0., Zum Andenken an Carl Westphal. Leipzig 1890. Georg 
Thieme. 

Jlons J. , Allgemeine Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. Mit 
Ü3 Holzschnitten. Leipzig 1890. Georg Thieme. 

Gattstadt A., Deutschlands Gesundheitswesen. I. Theil. Leipzig 1890. Georg 
Thieme 

Deutschmanu R., Beiträge zur Augenheilkunde. 1. Heft Mit 10 Abbildungen. 

Hamburg und Leipzig 1890. Leop. Voss. 

Reger E., Zur Lehre von den contagiösen Infectionskrankheiten. Mit 63 litho- 
graphirten Tafeln. Berlin 1890. H. Kornfeld. 

Graf E., Das ärztliche Vereinswesen in Deutschland. Leipzig 1890. F. C. W. 
Vogel. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 


Eingesendet 

Dr. med. J. von TYMOWSKI 

prakticirt während der Wintersaison in 

Nizza, 33 Boulevard Dubouchage. 
Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Für einen Herrn Med. Doctor ist die Herrscbafts- nnd 

Gemeindearztesstelle in Sieghartskirchen wegen eingetretenen Todesfalles 
sofort zu besetzen. Hiemit verbundene Bezüge sind 400 fl. haar (eventuell 
800 fl.) nebst freier Wohnung mit schönem Gemüse- und Ziergarten und Holz 
in natura. Die Herischaft und Gemeinde behält sich jedoch vor, den Vertrag 
jeder Zeit lösen zu können und wünscht persönliche Vorstellung. Israeliten 
ausgeschlossen. 683 

Sieghartskirchen bei Tulln, N.-Oe , am 27. August 1890. 

__ Ferd. Ackermtiller, Bürgermeister. 

Von Seiten der Donan-Cataracte-Reguli- 

ruDgs-Unternehmung zu Oraova wird auf die Stelle eines 
leitenden Operateurs auf dem Bauplatze bei Gräben in Ungarn, 
KraBsö-SzöräDyer Comitat, Gemeinde Svinitcza, hiemit der 
Concurs ausgeschrieben. Mit dieser Stelle ist ein jährlicher Gehalt 
von fl. 2500 and eine aus 2 Zimmern bestehende Naturalwohnnng, Heizung, 
Beleuchtung, Bedienung und Vergütung der bei ämtlicben Functionen sich er¬ 
gebenden Reisespesen verbunden. Nach Ablauf eines Probejahres würde bei 
zufriedenstellenden Leistungen Engagement auf 4 weitere Jahre erfolgen. Es 
werden daher alle jene Herren Aerzte, die auf diese Stelle reflectiren ersucht, 
ihre die gesammte Heilkunde nachweisenden Diplome, vielseitige Operations¬ 
praxis , den Familienstand und Sprachkenntnisse darthuenden Documente 
abschriftlich bis 30. September 1C90 an die gefertigte General-Bannnternehmung 
um so gewisser r'nzusenden, da die nach diesem Termine einlaufenden Ge¬ 
suche nicht mehr berücksichtigt werden. Ehemalige Operationszöglinge nnd 
unverheiratete Herren werden bei gleicher Befähigung bevorzugt. 

Orsova, den 4. September 1890. 686 

General-Bauunternehmung der Donau-Cataracte-Regulirung. 

Rnheposten für einen älteren Arzt, eventuell pensionirten 

Militärarzt etc. ist zu vergeben. Bequeme Stelle ohne jede Anstrengung. 
Offerte unter „Ruheposten“, Wien, I., Hauptpost restante. 688 

Ausschreibung: einer Geineindearztesstelle. 

Vom gefertigten Landesansschusse wurden unterm 16. Juli 1890 Sani- 
tätsdistrictsärzte-Posten vorläufig für die Zeit vom 1. October 1890 bis Ende 
September 1891 zur Ausschreibung gebracht. 

Bewerber wollen ihre ordnungsgemäß instruirten Gesuche (Diplom, 
Taufschein, Heimatschein etc.) bis längstens Mitte September 1. J. anher 
einsendeu. 681 

(Siehe die ausführliche Bekanntmachung in Nr. 31 der Wr. Med. Presse.) 

Graz, am 22. August 1890. 

Vom steierm. Landesansschusse. 

Im Herzogthume Salzburg Ist die Stelle des k. k. Bezirks¬ 
arztes für den politischen Bezirk Tamsweg zur Erledigung gekommen. Die¬ 
jenigen Doctoren der gesammten Heilkunde, welche sich nm diese Dienstes- 
stelle, mit welcher die Bezüge der X Rangsclasse verbunden sind, bewerben 
wollen, haben ihre mit den Nachweisungen des physischen Alters, der akade¬ 
mischen Grade, der abgelegten Physikatsprüfung und ihrer allfälligen bisherigen 
Verwendung im politischen, gerichtsärztlichen nnd Spitalsdienste belegten 
Gesuche, und zwar, falls sie bereits im öffentlichen Dienste stehen, im Wege 
ihrer Vorgesetzten Behörden, bis längstens 1. October 1890 beim k. k. Landes¬ 
präsidium in Salzburg einzubringen. 

K. k. Landespräsidium 

Salzburg, am 3. September 1890. 

Die vereinigte Dlstriots- und Graf v. Egger’sohe Fabriks- 

arztesstdle zu Feistritz im Rosenthale, im Gerichtsbezirke Ferlach, ist 
abermals erledigt. Mit dieser Stelle sind folgende Bezüge verbunden: 1. Eine 
Jahresremuneration von 150 fl. aus dem Landtsfonde; 2. ein Jahresbeitrag 
von 85 fl. von Seite der beiden Gemeinden des Sanitätsdistrictes Feistritz im 
Rosenthale; 3- ein Jahresgehalt von 600 fl. aus der Feistritzer Fabriks- 
krankencasse; 4. freie Wohnung, sowie 15 Meter-Klafter Holz per Jahr von 
Seite der Fabriksinhabung; 5. für die Vornahme der Todtenbeschau, für die 
Armenbehandlung, für die Durchführung der Impfang, für die Reisen in 
Sanitätsangelegenheiten der politischen Verwaltung und den Gemeinden, die 
in der diesbezüglichen Vorschrift enthaltenen Gebühren (Knndmachung der 
hohen Landesregierung vom 12 Februar 1885, Z. 1156). Der Anzustellende 
hat eine Hausapotheke zu halten und die Medicamente für die Mitglieder der 
Krankencasse nach seinerzeit mit der Fabriksdirection zu vereinbarenden. Be¬ 
dingungen zu liefern. Die wechselseitige Kündigungsfrist beträgt 2 Monate. 
Bewerber um diese Stelle wollen ihre vollständig belegten Gesuche bis 
zum 30. September 1890 hieramts überreichen. 

K. k. Bezirkshauptmannschaft 

Klagenfurt, am 3. September 1890. 


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Nr. 38. 


Sonntag den 21. September 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden öonutag 
8 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon : Format. — Abonnements- und Inaertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnemeutspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halhj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
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des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk„ halbj. 12 Mrk. „Wieder 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt Im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung deB Betrages per Postanweisung an die Adnünistr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.l., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 




Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Sehwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Ueber einige Leichenerscheinungen. Von Hofratb Prof. E. v. Hofmann in Wien. — Ueber die 
Bebandlnng des chronischen Morbus Brightii. Von Prof. R. Lkpine in Lyon. — Ueber die Chirurgie des Centralnervensystems. Von Victor Horslet 
in London. — Ueber eine eigentümliche Form von periodischer, familiärer, wahrscheinlich auto-intoxicatorischer Paralyse. Von Dr. S. Goldflam in 
Warschau. — Referate and literarische Anzeigen. Ueber die Wirkung der Anilinfarbstoffe. V. — H. Löhlein: Die Indicationen der Ovariotomie 
und der Myomotomie. — Die Trunksucht und ihre Abwehr. Ein Beitrag zum derzeitigen Stand der Alkoholfrage von Dr. A. Baer, königl. 
Sanitätsrath, Oberarzt am Strafgefängniß Plötzensee und Bezirksphysikus in Berlin. — Vorlesungen über Ohrenheilkunde. Von Dr. Albert Bing, 
Privatdocent für Ohrenheilkunde an der Wiener Universität. — Feuilleton. Die Krankencassen nnd die Aerzte. Von Prof. Dr. Janovsky in 
Prag. — Kleine Mittbeilnngen. Ueber die Wirkung des Salipyrin. — Heilung von Torticollis spastica mittelst Nervenligatur. — Heilung von 
Rotz mittelst Quecksilbereinreibungen. — Eine praktische Methode, Tuberkelbacillen zu färben. — Bromkalium bei Syphilis. — Ueber die tödtliche 
Wirkung der Malzabfälle auf den Cholerabacillus. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten 
zu Berlin 4. —9. August 1890. (Orig.-Ber.) VII. — Notizen. Die medicinisch-wissenschaftlichc Ausstellung in Berlin. IV. — Literatur. — 
Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

lieber einige Leichenerscheinungen. 

Von Hofrath Prof. E. v. Hofmann in Wien. 

(Schluß.) 

Ein weiterer Gegenstand, den ich mir erlauben möchte, 
hier zu berühren, ist die Umwandlung des weißen 
Arseniks in gelbes Sch wefel arsen in der Leiche. 

Auf diese Umwandlung ist bereits von Christison, Orfila, 
Lkrch, Taylor und Büchner, sowie von van Hasselt und 
Husemann aufmerksam gemacht worden. Man nahm mit Recht 
an, daß diese Umwandlung durch die Einwirkung des Schwefel¬ 
wasserstoffes geschieht, glaubte jedoch, daß zu derselben ein 
hoher Grad von Fäulniß und längere Fristen nothwendig seien. 
Ich habe jedoch 1886 (Wiener med. Wochenschr. Nr. 10—12) 
über eine Frau berichtet, welche wenige Stunden nach einer 
Vergiftung mit gepulvertem weißen Arsenik gestorben war 
und bei welcher schon 2 Tage nach dem Tode Schwefelarsen 
im Coecum und Colon ascendens gefunden wurde. Ich habe 
damals die verschiedenen Bedingungen besprochen, unter welchen 
es nach dem Tode und vielleicht schon während des Lebens 
zu einer solchen Umwandlung kommen kann, und auf die 
forensische Bedeutung hingewiesen, welche diese Thatsache 
erhalten kann, wenn in einem concreten Falle die Entscheidung 
wichtig wird, ob das Gift als Arsenik oder Schwefelarsen 
ingerirt worden ist, insbesondere auch deshalb, weil letzteres 
seiner auffallenden Farbe und seiner Unlöslichkeit in Wasser 
wegen weniger leicht heimlich beigebracht werden kann, als 
weißer Arsenik. 

In einem im vorigen Jahre zur Wiener Facultät gelangten 
Falle war eine Frau nach ätägigem Unwohlsein gestorben, 
war jedoch begraben und erst nach 8 Tagen exhumirt worden. 
Die Leiche war grünfaul und stark gedunsen. Auf der Magen¬ 
schleimhaut fand sich ein gelbliches feinkörniges Pulver, welches 
sich auch weit in den Darm hinein verfolgen ließ und bei der 
chemischen Untersuchung sich als Schwefelarsen ergab. Die 
Obducenten gaben das Gutachten, daß eine Vergiftung mit 
Operment stattgefunden habe und schlossen aus der beträcht¬ 
lichen Menge des in der Leiche gefundenen Giftes und aus 
den auffallenden Eigenschaften der Substanz auf Selbstmord. 


Von den Verwandten jedoch wurde behauptet, daß die Frau 
von ihrem Manne vergiftet, und daß ihr das Gift wahrschein¬ 
lich mit gelbgebackenen Kuchen oder mit Parmesankäse bei¬ 
gebracht worden sei. 

Die Facultät sprach sich ebenfalls für Selbstmord aus, 
aus den schon von den Obducenten erwähnten Gründen, und 
weil sich herausgestellt hatte, daß die Frau öfters an sehr 
schmerzhaften Gebärrautterkoliken gelitten hatte, in den letzten 
Tagen abermals von einem solchen Anfall ergriffen worden 
war, und weil bei der Obduction eine chronische Metritis und 
Salpingitis gefunden worden war, welche Zustände sehr wohl 
das Motiv des Selbstmordes gewesen sein konnten. Es wurde 
jedoch im Facultätsgutachten bemerkt, daß der Befund von 
Schwefelarsen im Magen und in den Gedärmen einer so faulen 
Leiche, wie die der Untersuchten gewesen war, für sich allein 
nicht mit absoluter Bestimmtheit beweise, daß das Gift als 
Operment genommen worden sei, da auch, wenn weißer Arsenik 
ingerirt wurde, durch Einwirkung des bei der Fäulniß siph 
entwickelnden Schwefelwasserstoffes nachträglich, d. h. erst 
in der Leiche, eine Umwandlung desselben in Schwefelarsen 
stattgefunden haben konnte. 

Aus Anlaß dieser Fälle, und weil meines Wissens die 
postmortale Umwandlung weißen Arseniks in Schwefelarsen 
bisher noch nicht experimentell geprüft worden ist, habe ich 
zwei Kategorien von Versuchen angestellt, von denen die eine 
darin bestand, daß ich Hunde mit größeren Mengen gepulverten 
Arseniks vergiftete und die Leichen der gewöhnlichen Fäulniß 
überließ, die zweite aber darin, daß ich bei diversen Leichen 
die ileocoecale Partie des Darmcanales unterband, unter ent¬ 
sprechenden Cautelen Arsenik hineinbrachte und sich selbst 
überließ. 

Bei der ersten Versuchsreihe, welche 5 Hunde betraf 
und im August vorgenommen wurde, konnte in 3 Fällen die 
Umwandlung sowohl im Magen, vorzugsweise aber im unteren 
Dünndarm und oberen Dickdarm schon nach 14 Tagen, in 
einem 4. Falle schon nach 8 Tagen constatirt werden. Im 
letzteren Falle war die Fäulniß besonders rasch eingetreten und 
daher der Cadaver früher secirt worden. Ich erlaube mir das 
betreffende getrocknete Präparat vorzuzeigen, an welchem die 
Auflagerungen von Schwefelarsen in besonders auffallender 
Weise zu sehen sind. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


Bei (len Versuchen zweiter Kategorie brachte ich in 
3 Fällen Arsenikpulver, in drei anderen je 5 Ccm. concen- 
trirte Arseniklösung in den Darm. In ersteren konnte einmal 
schon nach 2 Tagen beginnende Umwandlung constatirt werden, 
und an den zwei anderen Objecten war nach 5 und 14 Tagen 
ein großer Theil des Arsenikpulvers in Schwefelarsen meta- 
morphosirt. In jenen Darmstücken aber, in welche ich ge¬ 
lösten weißen Arsenik gebracht hatte, war selbst nach 3 Wochen 
noch keine Ausscheidung von Schwefelarsen zu bemerken, 
obgleich die Darmstücke faulgrün waren und in das be¬ 
treffende Glas eingehängt gewesenes Bleipapier sich, stark 
gebräunt hatte. 

Aus diesen Versuchen ergibt sich, daß man insbesondere 
in solchen Fällen, wo Arsenik im ungelösten Zustande genommen 
wurde, mit der Möglichkeit einer stattgehabten Umwandlung 
desselben in Schwefelarsen rechnen muß, und daß sich letztere 
schon nach wenigen Tagen vollziehen kann. 

Es bestätigen aber diese Versuche auch die schon wieder¬ 
holt, insbesondere vonZAvijER an mehreren Leichen mit Arsenik 
Vergifteter constatirte Thatsache, daß Arsenik den Eintritt 
und den Verlauf der Fäulniß nicht wesentlich verhindert, und 
daß daher auch die Angaben über den mumificirenden Einfluß 
des Arseniks mit Reserve aufzunehmen sind und einer experi¬ 
mentellen Prüfung bedürfen. 

Schließlich erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit auf einen 
Befund im Herzen zu lenken, welcher vielleicht nicht ganz 
unwichtig sein dürfte, und, wie ich glaube, bisher unbeachtet 
geblieben ist. 

Zu den Stellen, an welchen sich nach verschiedenen, ins¬ 
besondere nach plötzlichen Todesarten Ecchymosen finden können, 
gehört auch das Endoeard, namentlich das des linken Ven¬ 
trikels. Im Ganzen ist dieser Befund nicht häufig oder wenig¬ 
stens nicht auffallend, da desselben nur ganz ausnahmsweise 
Erwähnung gethan wird. Umsomehr fallen diese Ecchymosen 
auf, wenn sie exceptionell stärker entwickelt sind, und man 
ist dann leicht geneigt, in ihnen etwas Spccifisches zu sehen. 

Aus Anlaß mehrerer, kurz hintereinander mir vorge¬ 
kommener solcher Fälle bin ich der Sache näher getreten und 
habe gefunden, daß das Bild der subendocardialen Ecchy- 
mosirung durch zwei verschiedene Vorgänge veranlaßt werden 
kann : Durch wirkliche subendocardiale Extravasate und 
zweitens durch fleckige Röthungen, denen blos eine umschriebene 
stärkere subendocardiale Injection entspricht. 

Verfolgt man nun diese Injectionen weiter, so findet man, 
daß dieselben vorzugsweise im linken Ventrikel verkommen, 
und daß sie stets nur bestimmte Stellen einnehmen, nämlich 
die Höhen der Trabekelleisten, den Conus arteriosus und die 
Papillarmuskeln, besonders deren Spitzen. Es sind dies die¬ 
selben Stellen, an welchen auch die wirklichen Ecchymosen 
zu finden sind, während die Vertiefungen zwischen den Tra¬ 
bekeln, die Trabekelthäler, keinen dieser Befunde aufweisen, 
sondern blaß erscheinen. 

Da diese Röthungen offenbar durch die concentrische 
und andauernde Contraction des Herzmuskels veranlaßt werden 
und zu ihrer intensiveren Entwicklung einen stärkeren Blut¬ 
gehalt der Herzgefäße erfordern, so glaubte ich, daß diesem 
Befunde ein gewisser diagnostischer Werth zukommen könnte. 

Meine an Hunden und einer beträchtlichen Zahl (50) von 
Schlachtthieren angestellten Beobachtungen haben zwar diese 
Vermutbung nicht in dem erwarteten Grade bestätigt, haben 
jedoch Einiges ergeben, was Beachtung verdient. 

Zunächst die Thatsache, daß, während ausgesprochene 
und auffällige Röthungen der genannten Art bei Sectionen 
menschlicher Leichen nur in der Minderzahl der Fälle sich 
ergeben, dieselben bei frisch zur Untersuchung gelangenden 
Thiercadavern zu den nahezu constanten Befunden gehören, 
daß sie nicht blos am todtenstarren, sondern schon am noch 
warmen Herzen sich finden, und daß sie am letzteren besonders 
dann sich ergeben, wenn das Herz, resp. der linke Ventrikel, 
contrahirt war, und nur dann fehlen, wenn, was nur aus¬ 


nahmsweise vorkommt, letzterer ganz schlaff gewesen ist. Auch 
ergab sich, daß die Todesart keinen wesentlichen Einfluß 
ausübt, da die Röthungen am contrahirten oder todtenstarren 
Herzen in gleicher Weise gefunden wurden, ob nun das Thier 
durch Erstickung, oder Keulung oder durch Halsdurchschneidung 
getödtet worden war. 

Auffallend ist es unter diesen Umständen, daß wir bei 
Sectionen menschlicher Leichen dem bezeichneten Befund nicht 
in gleicher Constanz und nur ausnahmsweise in gleicher In¬ 
tensität begegnen. 

Es erklärt sich dies zunächst daraus, daß bei einer 
Reihe der zur Section gelangenden Personen der Stillstand 
des Herzens in Diastole erfolgt. Dieses dürfte vielleicht bei 
den meisten natürlichen, nach längerer Agonie eingetretenen 
Todesarten der Fall sein, ebenso bei den so häufigen Arten 
des plötzlichen natürlichen Todes durch primäre Herzlähmung, 
insbesondere wegen parenchymatöser Degeneration des Herz¬ 
fleisches, in welch letzterem Falle, der sich ja auch nach 
gewissen gewaltsamen Todesarten, z. B. nach subacuten und 
chronischen Vergiftungen ergibt, auch die Todtenstarre des 
Herzens ausbleibt oder in minderem Grade erfolgt. 

Was aber die plötzlichen gewaltsamen Todesarten be¬ 
trifft, so kann der Grund der im Vergleiche zu den Thier¬ 
herzen selteneren und minder intensiven Entwicklung der be¬ 
zeichneten subpericardialen Hyperämien wohl nur darin liegen, 
daß wir die Leichen nicht so frühzeitig zur Untersuchung 
erhalten, wie jene der Versuchs- und Schlachtthiere, an welchen 
ich meine Beobachtungen an gestellt habe. Die Röthungen, 
welche durch die letzten vitalen Contractionen des Herzens 
veranlaßt wurden, bekommen wir natürlich niemals zu Ge¬ 
sichte, aber auch diejenigen, die eventuell durch die Todten¬ 
starre erzeugt, resp. fixirt werden, sieht man selten so schön 
ausgebildet, wie an frischen todtenstarren Thierherzen, weil 
zur Zeit der Section die Todtenstarre meistens entweder voll¬ 
kommen gelöst oder bereits in Lösung begriffen, auch häufig 
bereits Imbibition oder Fäulniß eingetreten ist. * 

Secirt man frische und noch in voller Starre befindliche 
Leichen, oder kommt man ausnahmsweise in die Lage, dies 
schon in den ersten Stunden nach dem Tode zu thun, dann 
findet man jene Röthungen meistens ebenso ausgebildet und 
auffallend, wie bei frischen Versuchs- oder Schlachtthieren, und 
es ergibt sich auch hier, daß die Todesart hiebei von keinem 
so wesentlichen Einfluß ist, als man erwarten sollte. 

Die diagnostische Verweithbarkeit dieser Röthungen 
scheint daher keine große zu sein und ist jedenfalls geringer 
als die der subpericardialen Ecchymosen, doch ist denselben 
in manchen anderen Beziehungen ein Interesse nicht abzu¬ 
sprechen. 

So beweist das constante Vorkommen dieser Röthungen 
in frischen Fällen, und selbst nach acutem Verblutungstode, 
den großen Gefäßreichthum der linken Ventrikelwand, dessen 
Grund nicht blos in der größeren Stärke derselben, sondern 
auch in der größeren Arbeitsleistung und dem daher besonders 
großen Sauerstoffbedürfniß erblickt werden muß. 

Wenn ferner, wie wahrscheinlich, diese Röthungen bei 
jeder Systole sich bilden und während der Diastole sich wieder 
ausgleichen, so spricht, bei gleich nach dem Tode eröffnetem 
Herzen, ihr Befund desto mehr dafür, daß der Herzstillstand 
in Systole erfolgte, je stärker derselbe ausgebildet ist, und 
wir haben in ihrem Nachweis vielleicht ein viel feineres 
Reagens für den Contractionszustand des Herzens, als in dem 
bloßen Befühlen, welches nur die stärkeren Contractionsgrade 
erkennen läßt. 

Weiter dürfte die Erscheinung für die Frage verwerthbar 
sein, ob mit der Todtenstarre des Herzens eine wirkliche Con¬ 
traction desselben verbunden sei, eine Frage, die neuestens 
Strassmann wieder angeregt hat, und ich glaube, daß in 
dieser Richtung auch manometrische Untersuchungen angestellt 
werden sollten. 


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Wiener Medizinische Presse 


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1890. — 


. — Nr. 38. 


Schließlich meine ich, daß der erwähnte Befud uauch 
ein Licht auf die Circulationsverhältnisse im Herzen während 
des Lebens zu werfen vermag. 

Es ist nämlich nicht blos möglich, sondern wahrschein¬ 
lich, daß jener Vorgang, den wir nach intensiveren agonalen 
oder postmortalen andauernden Contractionen des Herzens 
gewissermaßen fixirt sehen, nämlich die Injection der subperi- 
cardialen Gefäße auf den Höhen der Trabekel, im Conus 
und an den Papillarmuskeln, auch, allerdings vielleicht in 
geringerer Intensität, während des Lebens bei jeder Systole 
statt findet und bei der Diastole wieder sich ausgleicht, und 
daß dieser Vorgang bei der Blutcirculation im Herzen, ins¬ 
besondere bei der. wie ich glaube, noch immer nicht ganz klar- 
gestellten sogenannten Selbststeuerung des Herzens (Brücke) 
eine vielleicht nicht unwesentliche Rolle spielen dürfte, die wohl 
eine nähere Prüfung auch von Seite der Physiologen und 
experimentellen Pathologen verdient. 

Ueber die Behandlung des chronischen 
Morbus Brightii. 

Von Pro£ R. Lupine in Lyon.*) 

Die Behandlung des chronischen Morbus Brightii war 
heuer bereits Gegenstand zweier vorzüglicher Referate, die 
von Skn \tok und Zikmssen auf dem Congreß für innere 
Medicin erstattet wurden. Indem nun dieselbe Frage auf die 
Tagesordnung des internationalen Congresses gesetzt wurde, 
ließ sich das Organisationseomitö offenbar nicht nur durch 
«len Reiz der Neuheit leiten, sondern von dem berechtigten 
Interesse, das die Behandlung einer ebenso gewöhnlichen als 
schweren Krankheit bietet. 

Die praktische Wichtigkeit des Gegenstandes ist eine 
bedeutende, denn jährlich sterben selbst in den Centren, in 
denen die Medicin am vorgeschrittensten ist, hunderte von 
Kranken zu früh an chronischer Nephritis. Wenn ich sage 
zu früh, so meine ich damit vor dem letzten Stadium der 
schweren Nierenveränderungen, die mit dem Leben unverein¬ 
bar sind. Jeder Arzt, der sorgfältig Sectionen ausfuhrt, ist 
gewiß häufig von der Geringfügigkeit der Veränderungen 
überrascht gewesen, die er bei Individuen gefunden hat, die 
an Urämie gestorben sind. Ohne diese Complication wären 
diese Kranken gewiß nicht zu Grunde gegangen. Es fragt 
sich daher, ob es möglich ist, derselben vorzubeugen. 

Ich stehe nicht an, diese Frage wenigstens für eine 
gioße Anzahl von Fällen bejahend zu beantworten. Denn die 
Behandlung der chronischen Nephritis steht in großen Zügen 
lest. Leider muß man mit der Nachlässigkeit der Kranken 
und hauptsächlich, um meine Meinung ganz Husznspreehen, 
mit den bedeutenden diagnostischen Schwierigkeiten rechnen. 

Bier liegt der wahre Stein des Anstoßes für die Behand¬ 
lung des chronischen Morbus Brightii. 

Wie viele schleichende Nephritiden bleiben vom Kranken 
bis zum Momente unerkannt, wo schwere urämische Er¬ 
scheinungen auftreten! Oder um nur von jenen Kranken zu 
sprechen, die einer aufmerksamen Beobachtung unterworfen 
sind, wie oft verkennt der erfahrenste Praktiker angesichts 
einer Asystolie wirklich Brightisehen Ursprungs die chronische 
Nephritis, die durch die Heftigkeit der Herzstörungen verdeckt 
wird, und deutet die Albuminurie als eine secundäre Störung! 
Wie oft ist man geneigt, in manchen Fällen von Nephritis mit 
leichter Albuminurie bei scheinbar gesunden Individuen diese 
als eine jener Albuminurien ohne besondere Bedeutung an¬ 
zusehen ! Man w r eiß wohl heute. daß in vielen Fällen die 
Albuminurie allein nicht gestattet, Morbus Brightii zu dia- 
gnosticiren. Ich habe bei einer anderen Gelegenheit auf die 
Momente hingewiesen, die mit Recht als Bedingungen ange- 


*) Vortrag, gehalten in der Section fttr innere Medicin des X. Inter- 
n tionalen medic ; nischen Congresses. 


sehen werden dürfen, unter welchen die Albuminurie auf Morbus 
Brightii beruht. 

Es sind deren vier: 

1. Wenn das Procentverhältniß des Albumens ein bedeu¬ 
tendes ist, etwa 8 Grm. pro Liter. 

2. Wenn gleichzeitig erhebliche Polyurie besteht. 

3. Wenn sie in gewissem Grade, mindestens 1 Grm. pro 
Liter, in jeder Harnentleerung vorhanden ist. 

4. Wenn der 24stündige Ham, durch mehrere Tage 
beobachtet, mit einer Erhöhung des Procentverhältnisses des 
Albumens und der Harnmenge vergesellschaftet ist. 

Findet man unter einem dieser Verhältnisse Albuminurie, 
so kann man auf eine ausgesprochene Erkrankung der Glomeruli 
schließen. Außerdem wird man gut thun, auf das Vorhanden¬ 
sein rother Blutkörperchen und von Cylindem (mit den von 
Sehkwald jüngst empfohlenen Vorsichtsmaßregeln) im Harne 
zu achten. Auf diese Weise kann man einen Begriff“ vom 
Zustande der Transsudation gewinnen; um sich ein Bild von 
dem Zustande der Secretion zu verschaffen, muß man 1. die 
Verminderung des Harnstoffs im 24stündigen Ham, 2. die 
Herabsetzung der Ausscheidung mancher Stoffe, 3. die Ver¬ 
minderung der Toxicität des Harns berücksichtigen. 

Um zu bestimmen, ob diese Verminderung einer geringeren 
Menge von organischen Substanzen zuzuschreiben ist, könnte 
man die Methode anwenden, die ich zur Bestimmung der 
Toxicität der organischen Stoffe im febrilen Harn gebraucht 
habe. Dieselbe besteht darin, daß man einem Thiere den Ham 
injicirt und einem ähnlichen die Asche einer anderen Portion 
desselben Harns, in einer der veräscherten Hammenge gleichen 
Menge Wasser aufgelöst. 

Der Ueberschuß der injicirten Flüssigkeit im zweiten 
Falle läßt den Antheil der organischen Substanzen an der 
Gesammtgiftigkeit schätzen. 

Schließlich ist es von Wichtigkeit, die geringsten Symp¬ 
tome von Urämie zu erforschen, um die Insufficienz der Nieren- 
secretion zu entdecken. Ich hätte in dieser Hinsicht noch 
viel zu sagen, doch gehört die Diagnostik nicht in den Rahmen 
meines Vortrages, und wir müssen uns jetzt die Frage stellen, 
wie die Behandlung einzuleiten ist. 

Da die Nierensecretion für die Reinigung des Blutes 
unentbehrlich ist, so besteht die Gefahr einer chronischen 
Nephritis in der Insufficienz dieser Secretion. Die wuchtigste Indi- 
cation besteht daher darin, zu verhindern, daß diese Insufficienz 
zu Urämie führt. Indem man aber die Urinsecretion begünstigt, 
muß man sich hüten, die Niere zu überbürden. Andererseits 
ist es von Wichtigkeit, d e Ernährung in gutem Zustande zu 
erhalten oder dieselbe zu heben, wenn sie gesunken ist. 

Diese verschiedenen Indicationen scheinen einander ent¬ 
gegengesetzt. Man soll gleichzeitig den Kranken gut nähren 
und die Arbeit der Nierenepithelien lierabsetzen, die Secretion 
heben und die Nieren nicht reizen. Doch ist es möglich, diesen 
Anzeigen zu genügen. Vor Allem muß man in der Nahrung 
das Verhältniß der Eiw-eißkörper zu den Fetten und 
Kohlehydraten vermindern, da die Zersetzungsproducte dieser 
letzteren zwei Gruppen von Nahrungsmitteln nicht durch 
die Nieren ausgeschieden werden. 

Schon vor mehreren Jahren hat Prof. Skmmola empfohlen, 
bei Morbus Brightii die Zufuhr von Eiweißkörpern auf ein 
Minimum zu beschränken, und obgleich die Theorie, von 
der er ausging, nicht allgemein acceptirt worden ist, hat der 
praktische Rath doch nicht an Werth verloren. Bis in die 
letzte Zeit hat die Physiologie angenommen, daß mehr als 
80 Grm. Eiweiß täglich unentbehrlich wären für die Erhaltung 
eines erwachsenen Menschen. Man könnte nun glauben, daß 
durch bedeutende Herabsetzung dieser Ziffer die Ernährung 
geschwächt würde. Wir wissen aber heute, Dank der Unter¬ 
suchungen von Hirschfeld, Kumagava und Klempereb, daß 
eine geringere Menge von Eiweißkörpern vollkommen genügt, 
wenn man nur die Menge der Kohlehydrate und Fette erhöht. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 88. 


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Bei Regelung der Diät muß man nicht nur die Menge 
der Eiweißkörper ein schränken, sondern auch die stickstoff¬ 
haltigen Zerfallsproducte sorgfältig aus der Nahrung femhalten. 
Denn es würde nichts nützen, ihre Bildung im Organismus 
herabzusetzen, wenn man sie durch die Nahrung einfuhren 
würde. Man wird daher in den Fällen, wo man Fleisch gestattet, 
Wildpret und ähnliche Nahrungsmittel verbieten. Am besten 
erfüllt die Milch die verschiedenen erwähnten Indicationen. 
Theoretisch könnte man ihr nur vorwerfen, daß sie noch zu 
reich an Eiweißkörpern im Verhältniß zu den Kohlehydraten 
ist. Hingegen besitzt sie unleugbare Vorzüge. Sie enthält 
keine Zerfallsproducte, folglich ist der ganze Stickstoff, den 
sie enthält und der absorbirt wird, verwendbar; sie ist reich 
an Fetten, enthält keinerlei Bestandtheile, welche die Nieren- 
epithelien reizen könnten, schließlich wirkt sie diuretisch. Auf 
diese Weise verhütet man nicht nur die Einführung mehr 
oder weniger toxischer Zerfallsproducte, sondern trägt noch 
dazu bei, die im Organismus gebildeten auszuscheiden. 

Manche Brightiker vertragen die ausschließliche Milch¬ 
kost sehr gut und ziehen von ihr sichtbaren Nutzen. Die 
Mehrzahl verträgt aber auf die Dauer die Milch nicht oder 
verdaut dieselbe nicht gut, so daß man gezwungen ist, die 
Milchdiät zu unterbrechen. 

Im normalen Zustande resorbirt der Mensch gegen 90°/o 
des Stickstoffs der eingenommenen Milch; der Brightiker, 
dessen Darmcanal selten intact ist, resorbirt eine viel geringere 
Menge. Man kann daher nicht ohne Ausnahme die Brightiker 
der ausschließlichen Milchdiät unterziehen. Diese ist aber 
selbst aus theoretischen Gründen auch nicht wünschenswerth. 
Man kann also mit Vortheil nebst Milch frische und trockene, 
gut verdauliche Gemüse, Brot, Mehlspeisen etc. gestatten, 
welche das Verhältniß der Kohlehydrate erhöhen. 

Wohl sind manche trockene Gemüse reich an Stickstoff 
und manche enthalten sogar 24%, aber selbst beim gesunden 
Menschen werden mehr als 20% Stickstoff nicht resorbirt. 

Ich will nicht auf die detaillirte Aufzählung der erlaubten 
und verbotenen Nahrungsmittel eingehen, und dies umsoweniger, 
als ich glaube, daß man mit den großen individuellen, wohl 
von der Verdauung abhängigen Verschiedenheiten rechnen 
muß. Der Zustand der Verdauung ist ein Element von der 
größten Wichtigkeit, denn jede schlechte Verdauung kann 
toxische Substanzen bilden, welche bei der Ausscheidung die 
Niere reizen und die, wenn sie zurückgehalten werden, eine 
Quelle von Intoxication werden. Esjist dies eine Frage, auf 
die Boüchard mit Recht die Aufmerksamkeit der Aerzte 
gelenkt hat. Ich will hier nur noch erwähnen, daß häufig 
Medicamente, welche den Darmcanal desinficiren, nicht uner¬ 
heblichen Nutzen stiften. 

Die Albuminurie, ein Symptom der Transsudation, ist 
oft unabhängig von der Nierensecretion. Da man aber nicht 
sicher ist, daß eine Erhöhung der Albuminurie nicht bis zu 
einem gewissen Grade einer abnormen Secretion entspricht, 
so thut man gut, die Schwankungen der Albuminurie täglich 
zu verfolgen. Obgleich Oebtel und Schreiber die Unschäd¬ 
lichkeit der Eier bei Brightikem hervorheben, halte ich es 
nicht für angezeigt, dieselben zu gestatten, da sie eine Erhö¬ 
hung der Albuminurie hervorrufen. Jedesfälls wird man das 
Weiße verbieten und höchstens nur den Dotter gestatten. 
Ebenso wird man nur selten Seefische erlauben, da dieselben 
häufig die Albuminurie erhöhen. Es ist nicht sichergestellt, 
ob diese Thatsache der so leichten Veränderung des Fleisches 
dieser Thiere oder irgend einer unbekannten Substanz zu¬ 
zuschreiben ist. 

Um die Diurese zu begünstigen, ohne die secemirenden 
Nierenepithelien zu reizen, kann man mit Erfolg leicht alka¬ 
lische Mineralwässer gebrauchen. Diese Getränke genügen oft; 
wenn aber die Herabsetzung der Diurese von Erscheinungen 
der Herzschwäche begleitet ist, muß man zu Herzmitteln greifen. 
In dieser Hinsicht gebe ich den Vorrang dem Digitalin (kry- 
stallisirt oder in Chloroform gelöst), von dem ich selbst bei 


Brightikem 1 und sogar 2 Mgrm. auf einmal gebe. Ich lasse 
aber das Mittel nie zwei Tage hintereinander nehmen, sondern 
warte einige Tage ab, bis dasselbe vollständig ausgeschieden 
ist. Durch Verabreichung massiver und seltener Dosen Digitalin 
habe ich häufig sehr bemerkenswerthe Resultate und nie irgend 
welche üble Zufälle gesehen. 

Das Coffein, welches bekanntlich eine specifische 
Wirkung auf die Nierenepithelien ausübt, hat mir in Dosen 
von wenigstens 1 Grm. (hauptsächlich subcutan) ebenfalls wesent¬ 
liche Dienste geleistet. 

Das Theobrominum salicylicum in Dosen von 
3 Grm. ist relativ weniger wirksam. Strophantus ist wegen 
seiner reizenden Wirkung auf die Nieren nicht anzuwenden, 
ebenso Scilla, die übrigens manchmal leicht Hämaturie erzeugt. 

Das Jodkalium, welches ebenfalls ein Diureticum ist, 
findet seine Hauptanwendung bei Arteriosclerose. Calomel ist 
zu verwerfen. 

Hängt die Herabsetzung der Diurese von congestivem 
Oedem der Niere ab, so sind Revulsiva auf die Lendengegend 
sehr nützlich. 

Mein College Ren aut hat jüngst locale Blutentziehungen 
in der Gegend des PETiT’schen Dreiecks empfohlen. Canthariden- 
pflaster sind im Allgemeinen nicht anzuwenden. 

Wenn bei Hydrops die Diuretica und Revulsiva auf 
die Nierengegend nicht genügen, so kann man die SouTHEY’sche 
Drainage anwenden, die keinerlei Nachtheile bringt und häufig 
ausgezeichnete Resultate ergibt. 

Die von Ziemssen empfohlenen Dampfbäder habe ich 
aus Furcht vor Urämie fast nie angewendet, hingegen habe 
ich von der Bettruhe, welche die Temperatur auf einer con- 
stanten Höhe erhält und den Kranken vor Ermüdung schützt, 
sehr gute Erfolge gesehen. 

Daß Kälte und Feuchtigkeit den Brightikem schädlich 
sind, ist bekannt. Daher ist auch ein Aufenthalt in wärmerer 
Gegend sehr nützlich. 

Schließlich müssen sich Brightiker vor gewissen intercur- 
rirenden Krankheiten, wie Scharlach, Intermittenä, Influenza, 
schützen, welche sich auch in den Nieren localisiren können. 

Ich schließe mit dem anfangs aufgestellten Satze, daß der 
Brightiker vor Allem die Urämie zu befurchten hat. Die 
Therapie derselben bildet den Gegenstand eines besonders 
zu behandelnden Themas. 


lieber die Chirurgie des Centralnervensystems. 

Von Victor Horsley in London. 

(Schluß.) 

An diese Ausführungen schließt sich die chirurgische 
Behandlung der syphilitischen Erkrankungen. Viele Kli¬ 
niker nehmen an, daß das Jod und das Quecksilber die Gehim- 
gummata und die Pachymeningitis luetica zur Rückbildung 
bringen. Schon Gowebs hat gegen diese Ansicht seine 
Stimme erhoben. Ich für meinen Theil bin überzeugt, daß die 
Pachymeningitis, die selbst nach der Entfernung der ursprüng¬ 
lichen Plaques eine große Tendenz zur Ausbreitung zeigt, 
durch die specifische Behandlung nicht geheilt, sondern nur 
gebessert wird. Dasselbe gilt für die Gummata des Gehirns, 
wie ich mich durch wiederholte Sectionen überzeugt habe. 
Das einzige Mittel, um sie zu heilen, besteht ebenso wie bei 
den Tuberkeln in Exstirpation derselben, und ich habe wieder¬ 
holt mit dieser Behandlung dauernde Resultate erzielt. 

Ich glaube es ist überflüssig, über die gutartigen Tumoren 
zu sprechen. Nach Entfernung derselben ist die Heilung eine 
radicale; ich will mich daher zu den malignen und diffusen 
Tumoren wenden. Selbst wenn man hier zu spät operirt, um 
eine Totalexstirpation wagen zu können, kann die Trepanation 
dadurch, daß sie den Druck vermindert, dem Patienten eine 
zwar zeitweilige, aber sehr erhebliche Besserung verschaffen. 
Allerdings risk'rt man, den Tod durch Shok zu verursachen, 


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1497 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 88. 1498 


und zwar umsomehr, je ausgedehnter der Tumor und je alter 
der Kranke ist. 

Bei einem Kranken, der im Coma in’s Spital gebracht 
wurde, bin ich auf diese "Weise verfahren, und der Kranke 
konnte das Spital zu Fuß verlassen, allerdings um ein Jahr 
darauf an einer Recidive zu Grunde zu gehen. Aber sein 
Tod wurde ihm bedeutend erleichtert, und dieser Fall hat mir 
bewiesen, daß selbst in den verzweifeltsten Fällen eine Palliativ¬ 
operation von Nutzen ist. Ich schließe daraus, daß bei jedem 
Tumor eine Explorativtrepanation angezeigt ist, wobei man 
von vornherein darauf vorbereitet sein muß, sich auf dieselbe 
zu beschränken, wenn man auf ein inoperables Neoplasma 
stößt. 

Die Resultate sind bedeutend besser, als man voraus¬ 
sehen könnte; nicht nur hören die Kopfschmerzen und das 
Erbrechen auf, 'sondern die Neuritis optica nimmt ab, das 
Sehvermögen kehrt wieder, wie ich dies seit 5 Jahren an 
mehreren Kranken beobachte; außerdem wird das Leben.ver¬ 
längert. So habe ich vor zwei Jahren einen Mann wegen 
eines corticalen Gliosarcoms operirt, und der Mann lebt noch 
heute. Mindestens hat er sein Leben verlängert und leidet 
noch viel weniger als früher. 

Eine meiner merkwürdigsten Beobachtungen betrifft 
einen Mann, der an epileptischen Anfällen mit heftiger Drehung 
des Körpers von rechts nach links litt und in der letzten 
Zeit sehr schwere dyspnoische Anfälle hatte. Ich diagnosti- 
cirte einen Tumor des mittleren Pedunculus cerebelli und 
entfernte ihm die Hälfte des Oceipitallappens, aber später 
auf sein eigenes Verlangen die andere Hälfte. Das Resultat 
war: Aufhören der dyspnoischen Anfälle, Verschwinden der 
Kopfschmerzen und für einige Zeit auch der Krampfanfälle. 
Er lebte so bedeutend gebessert durch 2 Jahre, und erst jüngst 
sind die Compressionserscheinungen wieder aufgetreten. 

Aehnliche Operationen habe ich sechs gemacht, ohne 
einen einzigen Kranken zu verlieren. Ich glaube, daß diese 
Ausführungen meine frühere Behauptung rechtfertigen. 

Ich möchte insbesondere vor Ihnen die von mir sogenannte 
Herdepilepsie besprechen und wäre sehr erfreut, über 
diesen Gegenstand eine lebhaftere Discussion hervorzurufen. 
In der That war ich der Erste, der mit Absicht in Fällen 
dieser Art, ohne eine besondere ausgesprochene Läsion zu 
finden, operirt hat, und ich würde selbstverständlich wünschen, 
daß dieses Verfahren einer eingehenden Besprechung unter¬ 
worfen wird. Ueberdies glaube ich, und es ist dies ein Punkt 
von ganz besonderer praktischer Wichtigkeit, daß, wenn man 
auf diese Weise und rasch operirt, man häufig kleine, aber 
ganz deutlich ausgesprochene Krankheitsherde finden wird, 
die noch keine Zeit hatten, objective Symptome, wie z. B. 
Neuritis optica, hervorzurufen. Nicht nur die Furcht, eine 
Erkrankung sich entwickeln zu lassen, ist der Grund, wes¬ 
halb ich die Nothwendigkeit dieser frühzeitigen Operation 
vertheidige, sondern die Furcht vor einem plötzlichen Tode. 

Ich kenne einen Fall, in dem der Kranke auf dem Ope¬ 
rationstisch in Folge von plötzlichem Stillstand der Athmung 
starb, bevor der Chirurg Zeit gehabt hätte, den Tumor zu 
entfernen, und ich sah einen Knaben, der deutliche Erschei¬ 
nungen einer localisirten Erkrankung zeigte, in derselben 
Weise zu Grunde gehen, und zwar am Morgen des Tages, 
an welchem ich ihn operiren wollte. An der Leiche trepanirte 
ich an der Stelle, an welcher ich in vivo die Operation aus¬ 
führen wollte, und fand einen kleinen cystischen Tumor, der 
sehr leicht zu entfernen gewesen wäre. 

Die Indication für die Operation ist übrigens ganz ein¬ 
fach ; sie ist gegeben, sobald bei der Epilepsie ein Initial kram pf 
in einer fixen Gegend constatirt wird. Heute kennen wir ja genau 
die corticalen Zonen, welche den Bewegungen aller Gegenden 
vorstehen. Meine Operationen haben überdies in dieser Beziehung 
sehr interessante Aufschlüsse über die Localisationsfrage beim 
Menschen geliefert. Ich operire Epilepsien, die ein Zeichen 
von corticaler Localisation bieten, nachdem ich einige Monate 


eine interne Behandlung versucht habe. Finde ich keine grobe 
Läsion der supponirten Windungen, so suche ich genau das 
Centrum der Bewegung auf, mittelst welcher der Anfall 
anfängt, indem ich die Rinde mit aseptischen Elektroden eines 
DuBois-RnYMOND’schen Schlittens reize. Auf diese Weise gelingt 
es mir sehr bald, in dem entsprechenden Theile der Extremität 
Bewegungen auszulösen. Dieser Theil der Rinde, von dem 
aus die Reizung für den Initialkrampf ausgeht, muß excidirt 
werden, und da man nur ein sehr beschränktes. Segment 
entfernt, so erzeugt man nur eine sehr leichte und vorüber¬ 
gehende Parese.. 

Diese Operationen wegen Herdepilepsie sind noch selten, 
ich habe daher die zu meiner Kenntniß gelangten Fälle 
gesammelt; es sind deren 6: 

I. Horsley („Brit. med. Journ“, 23. April 1887). G., 10 Jahre alt, 
seit 4 Jahren epileptisch, beginn der Anfälle an der 1. Cominissura lab'&lis, 
Blöd-iun. Trepanation des auf elektrischem Wege bestimmten Centrnms; Heilung 
per primam. Status im August 1890: Ausgezeichnete gei tige Entwicklung, 
keine Epilepsie. 

II. Keen („Intern. Journ. of med. Sciences“. Nov. 1888). H., 20 Jahre 
alt, seit 7 Jahren epileptisch; Beginn der Anfälle an den 1. Fingern und am 
Handgelenk. Dieselbe Operation wie oben; Verminderung der Anfälle, Besse¬ 
rung des geistigen Zustandes. 

III. D. de Nancre („Med. News“, 24. Nov. 1888). H., 27 Jahre alt, 
seit 18 Jahren epileptisch. Beginn der Anfälle am Daumen. Dieselbe Ope¬ 
ration, Heilung per primam. Aufhören der Anfälle. 

IV Dkavkr Lloyd („Intern. Journ. of med. Sciences“, Nov. 1888). 
H., 35 Jahre alt, s*-it 14 Jahren epileptisch, Beginn an den Fingern, die¬ 
selbe Operation, Aufhören der Anfälle. 

V. Horsley (noch nicht veröffentlicht). H., 39 Jahre alt, seit 17 Jahren 
krank, Beginn der Anfälle an der Schulter; operirt am 23. Januar 1889, 
Recidiv nach 3 Monaten. 

VI. Horsley (ungedruckt) H., 41 Jahre alt, seit 25 Jahren epileptisch, 
Beginn an den Fingern und am Handgelenk; operirt 16. Januar 1890, die 
Heilung erhält sich noch. 

Ich glaube, daß man nur dann berechtigt ist, eine 
dauernde Heilung anzunehmen, wenn der Kranke 5 Jahre 
anfallsfrei ist. Allein schon eine Verminderung der Anzahl und 
der Intensität der Anfälle, sowie eine Besserung des geistigen 
Zustandes sind sehr wünschenswerte Resultate, die zur 
Operation ermutigen. 

Was die A t. he tose betrifft, so habe ich dieselbe immer 
als ein Zeichen corticaler Erkrankung angesehen. Jüngst 
ersuchte mich mein College Beevor einen Kranken zu operiren, 
dessen Extremitäten immer mehr von Krampf befallen waren, 
der vom Daumen ausging. Es wurde eine Erkrankung corti¬ 
calen Ursprungs angenommen, und ich entfernte das Centrum 
für die Daumenbewegungen. Es folgte eine Lähmung dieser 
Bewegungen für 48 Stunden, dieselben kehrten aber wieder, 
da offenbar die angrenzenden Partien vicariirend eintraten. Es 
ist in solchen Fällen offenbar das Centrum der ganzen Extre¬ 
mität zu entfernen. Durch die Operation ist übrigens nur ein 
Aufhören des Krampfzustandes, nicht aber auch des Lähmungs¬ 
zustandes zu erhoffen. 

Die Wirksamkeit der Trepanation bei traumatischen 
Geistesstörungen braucht nicht mehr erwiesen zu werden. Anders 
bei der progressiven Paralyse und bei den eigentlichen Geistes¬ 
störungen, über die Prof. Burckhardt bald sprechen wird. 

Bei der Encephalocele ist im Allgemeinen ein exspec- 
tatives Verfahren beliebt; ich habe aber mittelst Elektrolyse 
e nen Fall geheilt, bei dem ich 12 Monate später, nachdem 
Pat. an Cholera noatras gestorben war, die Heilung durch die 
Section controliren konnte. 

Bei umfangreicheren Tumoren ist aseptische Exstir¬ 
pation angezeigt. Von 2 so operirten Kranken ist der eine 
gestorben, der andere vollkommen geheilt. 

Es erübrigt mir nur noch, einen letzten Punkt zu 
besprechen, der allerdings für die Frage der Chirurgie des 
Centralnervensystems nicht belanglos ist, ich meine die Gefähr¬ 
lichkeit der Operation, ln der That besteht ja die Furcht 
vor derselben, wenn auch ohne Grund, und diese ist es ja, 
welche so manche Operation vereitelt, die dem Kranken das 
I Leben retten könnte. Wenn ich meine Statistik nehme, so 
1 beträgt die Mortalität 21°/ 0 ; aber diejenigen meiner Kranken, 


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die mit Tod abgegangen sind, wurden in extremis wegen 
ausgedehnter Traumen, wegen septischer Meningitis, wegen 
Tumoren, welche schon viel früher hätten in Angriff genommen 
werden sollen, operirt. In der That sind alle an Shok ge¬ 
storben; unter sonstigen Verhältnissen ist Heilung das con- 
stante Resultat, und seit meiner 3. Operation habe ich immer 
Heilung per primam ohne Drainage erzielt. 

Zweifellos wird die Gefährlichkeit der Operationen am 
Gehirn auf 0 herabsinken, wenn man sich endlich entschließen 
wird, diesen Eingriff rechtzeitig vornehmen zu lassen. 

Zur besseren Illustrirnng meiner Resultate will ich hier 
eine Tabelle mittheilen, in welcher dieselben entsprechend jeder 
Krankheit angeführt sind: 


An>ahl der 
Fälle 


Heilungen 

Tod 

Rindendurchforschung. 

5 

4 

per 

primam 

1 (Sepsis) 

Excision von «ortic. Centre« . . 

. 5 

5 


„ 

0 

Cephalalxio. 

. 4 

4 



0 

Palliat. Tepanation wegen Tranma tj 

6 



0 

Exstirpaiion vo i Tumoren . . . 

. 8 

4 



4 (Shok) 

Exstirp. v. tr..uniatischen Cysten 

. 5 

5 



0 

G'ehirncontusion. 

. 3 

2 



1 (Shok) 

Meningitis septica. 

. 2 

0 



2 (Sepsis) 

Gehirnab.-ceß. 

. 1 

1 


seenndam 

0 

Hydrocephalus. 

. 2 

1 


prmam 

1 (Meningitis) 

„ , , . | Elektrolyse . . 

Eucephalocele j Exstirp / tiün . . 

. 1 
. 3 

1 

2 



0 

1 (Meningitis) 


II. Chirurgie des Rückenmarks. 

Das Studium der Chirurgie des Rückenmarks steht weit 
zurück hinter dem der Chirurgie des Gehirns. Uebrigens würde 
mir auch die Zeit mangeln, Ihnen ein volles Bild über den 
Stand dieser Frage zu entro len. 

Ich will mich daher darauf beschränken, Ihnen in 
gedrängtester Kürze meine persönlichen Erfahrungen mitzu- 
theilen, u. zw. führe ich zunächst meine Statistik an: 

Exploration wegon Paraplegie.1 Fall 1 Besserung 

Nenrectomie der hinter«n Wurzeln. 2 Fälle 2 Besserungen 

|1 Heilung seit 

Exstirpation von Tumoren. 2 „ ] 3 Jahren 

ll Tod 

Fractur der Wirbelsäule mit Paraplegie ..... (3 _ B esseran g° n 

10 ”11 stationär 

|5 Besserungen 

Caries der Wirbelsäule.7 „ l Heilung 

11 unverändert 

Von den 18 Fällen, in welchen ich die Wirbelsäule 
trepanirt habe, habe ich nur einen an Shok verloren, es würde 
dies also eine Mortalität von 5°/ 0 ergeben. wenn man über¬ 
haupt mit so kleinen Ziffern eine verläßliche Statistik machen 
darf. Ich glaube, daß die einzige Gefahr bei der Eröffnung 
der Wirbelsäule die Sepsis ist. Was die Resultate der Ein¬ 
griffe betrifft, so läßt sich diese Frage wohl noch schwer 
beurtheilen, da wir noch im Anfänge der.-etben stehen, und 
die Internisten nur in ganz desparaten Fällen chirurgische 
Hilfe fordern. 

Bei Fracturen glaube ich, daß m in sofort eingreifen muß, 
sobald Compressionserscheinungen, eine Deviation oder Crepi- 
tation vorhanden ist und die Extension die Verschiebung nicht 
aufhelen kann. Es muß übrigens zugegeben werden, daß auch 
ohne Operation die Heilung möglich ist. 

Bei Caries bilden die Erscheinungen der Compression 
des Rückenmarks einej formelle Indication. Der Eingriff ist 
nie schädlich, und ohne denselben riskirt m in ja, den Kranken 
in kurzer Zeit unter schrecklichen (Qualen zu verlieren. 

Die Wirksamkeit des Eingriffes ist zweifellos. Bei einem 
meiner Kranken, der höchst cyanotisch war, schien der Tod 
bevorzustehen, als ich die hinteren Bögen des Atlas und des 
Epistropheus entfernte, und doch wurde der Kranke geheilt. Nur 
in einem Falle blieb der Zustand unverändert, in einem anderen 
Falle hatte die Operation sogar bei einem tubereulösen Indi 
viduum dauernde Besserung znr Folge. 

Ich glaube somit, bei Erkrankungen, die in der Mehr 
zahl der Fälle ohnehin tödtlich verlaufen, die Operation aufs 


Wärmste anzurathen, u. zw. umsomehr, als dieselbe häufig 
von Erfolg begleitet und an und für sich mit keinerlei 
Gefahren für den Kranken verbunden ist. 

Ueber eine eigenthiimliche Form von perio¬ 
discher, familiärer, wahrscheinlich auto- 
intoxicatorisclier Paralyse. 

Von Dr. S. Goldflam in Warschau. 

(Fortsetzung.) 

Ich habe auch in meinem Falle regelmäßig constatiren 
können, daß die idio-muskuläre Erregbarkeit, ganz wie die 
elektrische, entsprechend dem Grade der Lähmung, bis zum 
völligen Verschwinden sinkt. Es ist diese Erscheinung beson¬ 
ders auffallend in den Muskeln, in welchen das Phänomen 
der idio-musknlären Erregbarkeit in normalem Zustande leicht 
durch einen Hammerschlag hervorzurufen ist, also am Pecto- 
ralis, Deltoideus, Biceps, Triceps, Extensoren des Vorder¬ 
armes u. s. w. 

Ist aber die Motilität in so hervorragendem Grade und 
in solcher Ausbreitung ergriffen, so ist es aufallend, daß die 
Sensibilität absolut intact gefunden wurde (nur im Fjschl- 
schen Falle wird von Herabsetzung der Sensibilität gesprochen). 
Die leiseste Berührung wird wahrgenommen und genau loca- 
lisirt, und bezieht sich diese Intactheit der Sensibilität auf 
a’le Modalitäten der sensiblen Sphäre. Es soll noch betont 
werden, daß der sogenannte Muskelsinn in keiner Weise 
gestört ist, daß Druck auf Nerven und Muskeln gar keinen 
Schmerz oder unangenehme Sensation hervorruft. Wir haben 
schon ei wähnt, daß im Beginne des Anfalles Schmerzen nicht 
vorhanden, Parästhesion unbedeutend sind, aber auch im 
ganzen Verlaufe des Anfalles fehlen sie gewöhnlich. Der 
HAiiTwio’sche Kranke hatte nur in einem Anfalle Formication 
und Taubheitsgefühl in den gelähmten Theilen. 

Auf der Höhe der completen Lähmung bleibt es nun 
verschieden lange Zeit, von einigen Stunden bis Tagen. 
Dann beginnt die Besserung, die sich manchmal durch eigen¬ 
artige Symptome kundgibt, so durch Ausbruch von profusem 
Schweiße und Wiedereinstellen des Juckens bei unserem Kranken. 
Die Besserung kann während des Tages sich einstellen, gewöhn¬ 
lich aber Nachts, namentlich wenn, wie öfters, auch die 
Lähmung um die e Zeit eintrat. So kam und verschwand 
hei dem Kranken von Schachnowitsch die Lähmung während 
des Schlafes. Die Besserung hält gewöhnlich eine umgekehrte 
Reihenfolge ein, nämlich eine absteigende Richtung. Sie 
beginnt meistens in den Fingern, steigt hinauf auf die Ellen¬ 
bogen und Armgelenke, dann wird der Rumpf beweglich, 
zuletzt die Beine, wie es scheint von den Füßen anfangend. 
In dem HARTWiG’schen Falle, in welchem auch die Halsrmis- 
kulatur mitergrifLn war, begann die Besserung im Halse, 
dann in den Kingern, Armen u. s. w. Ebenso wie die Läh¬ 
mung nicht plötzlich*, obwohl rasch, die Muskulatur befallt, 
so kommt auch die vollkommene Herstellung nicht mit Einem 
Schlage zu Stande. Es dauert zwei bis mehrere Stunden, ehe 
die Besserung einen gewissen Grad erreicht hat, der die Func¬ 
tion ermöglicht. Denn, wenn auch der Kranke so weit her¬ 
gestellt ist, daß er aufstehen und der Anfall als beendet 
betrachtet werden kann, bleibt noch eine gewisse Zeit, die 
zwar nur nach Stunden rechnet, eine unbedeutende Schwäche, 
namentlich in den Beinen, zurück, wie es bei unserem Kranken 
der Fall war. In der GuKinKXBEUG’schen Beobachtung blieb 
noch eine kurze Zeit nach dem Anfalle ein Gefühl von 
Schwere und Unbehagen in den Beinen, namentlich beim 
Gehen. Der Kranke von Schaciixowitsch empfand nach dem 
Anfalle Kriebeln in den Extremitäten, das nur , ; 2 Stunde 
anhielt, wenn er energische Bewegungen ausführte oder 
Massage anwendete. Wie es auch sei, die Function des Bewe¬ 
gungsapparates kehrt immer zur Integrität zurück, die Mus- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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kein erlangen ihre volle Kraft und Functionsfähigkeit. Nur 
in dem HAETWiG’schen Falle blieb eine Parese auch in der 
freien Zwischenzeit zurück. 

Hand in Hand mit Wiederkehr der motorischen Function 
geht das Wiedererscheinen der elektrischen Erregbarkeit der 
Nerven und Muskeln. In derselben Reihenfolge, als die Mus¬ 
keln ihre Kraft erlangen, kehrt auch diese Erregbarkeit zurück, 
zuerst also in den Armen, dann erst in den Beinen, und in 
dem Malle, als die Kraft der Muskeln steigt, bessert sich 
die elektrische Erregbarkeit, bis sie* zur Norm zurück kehrt. 
Coi.sot meint, daß es die galvanische Erregbarkeit der Nerven 
es ist, die zuerst wiederkehrt, wenn die paralytischen Symptome 
weichen. 

Obwohl die vollkommene Herstellung der elektrischen 
Erregbarkeit als Regel gelten darf, so war doch in unserem 
Falle auch in der Zwischenzeit eine Herabsetzung in einigen 
kleinen Muskeln der Hand, namentlich der rechten, als im 
Thenar, den Interosseis, mehrmals constatirt, ja sogar qualitative 
Anomalien der galvanischen Erregbarkeit mit Aenderung der 
Zuckungsforrael und ziemlich träger Contraction: eine Modalität 
der Mittelform der Entartungsreaction. Dabei blieb die Func 
tion ungestört. 

Parallel der Wiederherstellung der elektrischen Erregbar¬ 
keit und denselben Gesetzen gehorchend, schreitet die Wieder¬ 
kehr der idio-muskulären Erregbarkeit, die gleichzeitig mit 
jener zurückkam. Zuerst war beim Beklopfen des Muskels 
ein querer Wulst bemerkbar, dann auch eine Contraction der 
Fasern, parallel ihrem Verlaufe. 

Auch die Sehnen und Hautreflexe erscheinen wieder, 
es scheint aber, daß ihre Wiederkehr später zu Stande kommt, 
als die elektrische Erregbarkeit. So kehrten im Falle von 
Gi<eidenberg die Sehnenreflexe, nachdem die elektrische Erreg¬ 
barkeit schon hergestellt war und der Kranke herumging. Es 
scheint auch, daß die Anhäufung von Anfällen zur Folge 
hat, daß die Seknenreflexe, namentlich die Kniereflexe, auch 
in der freien Zwischenzeit sehr schwach und schwer zum 
Vorschein zu bringen sind, wie in meinem Falle. Auch Cousot 
erwähnt, daß bei einem seiner Kranken der Patellarreflex in 
den Intervallen links wenig ausgesprochen und rechts schwer 
hervorzurufen war; bei dem anderen Kranken war er rechts 
überhaupt nicht hervorzurufen. 

Das ist der gewöhnliche Gang der Anfälle. Es kommt 
aber manchmal vor, daß die Besserung, die gewöhnlich pro¬ 
gressiv bis zur vollständigen Restitution schreitet, unterbrochen 
wird. So kam es bei unserem Kranken gar nicht selten vor, 
daß sich die Besserung in den Armen einstellte, aber dann 
nicht weiter fortschritt, ja daß sogar die Arme wieder 
gänzlich ihre Functionsfähigkeit verloren haben. Dieser, so 
zu sagen, Relaps konnte einige, bis 12 Stunden andauem. 
Der Kranke war geneigt, ihn einem vermeintlichen Diätfehler 
zuzuschreiben, ich habe aber solche Rückfälle beobachtet, 
ohne daß der Kranke irgend welche Nahrung eingenommen 
hätte. 

In mehreren Beobachtungen ist angegeben, daß außer 
den vollständigen, oben skizzirten Anfällen es unvollständige 
gab, die dadurch sich auszeichneten, daß alle Charaktere des 
vollständigen Anfalles vorhanden waren, nur daß sie keine 
solche Intensität erlangten. So kam es bei unserem Kranken 
vor, namentlich wenn Tags zuvor der Anfall sich durch die 
gewöhnlichen Zeichen nicht ankündigte, daß er Morgens mit 
einer hochgradigen Parese aufwachte, die ihm aber noch erlaubte, 
sich selbst anzukleiden und mit Mühe durch das Zimmer 
zu gehen. Dabei waren sowohl die elektrische Erregbarkeit, 
als die idio-muskulären Haut- und Sehnenreflexe herab¬ 
gesetzt. Im Laufe des Tages, manchmal erst nach 12 Stunden, 
ging diese hochgradige Parese in Genesung über, zuweilen 
aber in einen förmlichen, ganz ausgeprägten Anfall. Solche 
unvollständige, so zu sagen abortive Anfälle erscheinen viel 
seltener als die vollständigen. Sie waren auch in dem West- 
PHAL’sehen Falle vorhanden. In der Beobachtung von Fischl 


waren auch unvollständige Lähmungserscheinungen vorge¬ 
kommen, zuweilen bestand bloß starke Müdigkeit und es befiel 
dann das Kind tiefer Schlaf. In dem ScuACBNOwiTSCH’schen 
Falle kennzeichneten sich die abortiven Anfälle durch Taub¬ 
heitsgefühl, Formication und Schwache der Glieder; nach 
20 Minuten energischer Bewegungen ging Alles vorüber. Noch 
eigenthümlicher w T ar es in dem Cousoi’schen Falle. „Eine 
merkwürdige Sache ist es,“ sagt er, „es können unvollständige 
Anfälle Vorkommen. Ist z. B. Henri L. mit Copiren von Musik¬ 
noten beschäftigt, werden die Beine und der unthätige Arm ge¬ 
lähmt, der thätige Arm wird erst nach Beendigung der Arbeit 
ergriffen; oder aber, ein kräftigt-r Gang kann anfangs die 
Lähmungserscheinungen auf eine gewisse Zeit auf die Arme 
beschränken.“ Daraus ist der Einfluß der Muskelthätigkeit auf 
das Zustandekommen der Lähmung ersichtlich. Nicht allein er¬ 
scheint sie gewöhnlich Nachts, während der Ruhe, auch am 
Tage, während des Schlafes, wie der dritte Anfall bei unserem 
Kranken und die Beobachtung von Schacunowitsch es beweisen, 
sondern die Lähmung kann auch durch starke Bewegungen hintan¬ 
gehalten werden, wie im letzterwähnten Falle, und die Extremi¬ 
täten verschonen, welche thätig sind, während die ruhenden 
der Lähmung verfallen, wi- in der Cousor’schen Beobachtung. 
Wenn unser Kranker eine Scheu gegen das zu Bette Legen zeigte, 
war es instinctiv. Die Parese war meistens so hochgradig, 
daß er nur mit äußerster Mühe sich auf den Beinen halten 
konnte, dennoch wollte der Kranke sich nicht legen, aus 
Furcht, daß die Lähmung vollständig wird, und in der Hoff¬ 
nung, durch Bewegungen die Muskelschwäche überwinden zu 
können. Ueber diese höchst merkwürdige Thatsache finden 
sich auch Anzeigen in dem Hakt« iG’schen und Westphal- 
schen Falle. So steigerte sich bei Hartwig die Parese nach 
längerer Ruhe und milderte sich nach einiger Beweguog. Der 
Kranke von Westpmal gab an, zu bemerken, daß wenn er 
sitze, er die Oberschenkel nicht gut heben könne; er stehe 
alsdann auf und gehe etwa 5 Minuten umher, wonach Besse¬ 
rung eintrete, so daß die Lähmung dann nicht weiterschreite. 

Wir haben diese Thatsache direct bewiesen, indem wir 
absichtlich einen unvollständigen Anfall mit allen seinen Cha¬ 
rakteren durch längeres Sitzen hervorrufen konnten. Dieses 
Experiment wiederholten wir mehrere Male und immer mit 
demselben Effecte: eine hochgradige Parese aller 4 Extre¬ 
mitäten und des Rumpfes mit Herabsetzung der elektrischen 
und idio-muskulären Erregbarkeit, der Reflexe u. s. w. Es 
schien aber auch 2mal, daß diese künstlich hervorgerufene 
muskuläre Schwäche in einen vollständigen Anfall überging, so 
daß sich fortan der Kranke weigerte, sich dem Experimente 
zu unterziehen. 

Man kann im Allgemeinen sagen, daß bei einem und 
demselben Kranken sich die Anfälle fast mit stereotyper 
Aehnlichkeit wiederholen, ja daß, wenn die Krankheit als 
familiäre erscheint, sie sich bei allen Mitgliedern in gleich¬ 
artiger Weise offenbart. Schon der erste Anfall ist vollkommen 
entwickelt und weist alle Charaktere der folgenden auf. Doch 
ist diese Stereotypität nicht immer die Regel. So waren bei 
unserem Kranken die Beine gewöhnlich hochgradiger gelähmt 
als die Arme. Dennoch kam es vor, daß die Arme stärker 
betroffen waren, als die Beine. Gewöhnlich konnte der Kranke 
während des Anfalles den Kopf bewegen ; hatte aber der Anfall 
eine große Intensität erreicht, so waren auch die Kopfbe- 
wegungen behindert. In dem Fiscui.’schen Falle war die 
Lähmung gewöhnlich auf die Beine beschränkt, zuweilen aber 
wurden auch die Arme paretisch. Im Gegentheile war in der 
GnuDENBKRG’schen Beobachtung gewöhnlich der Anfall durch 
Lähmung der sämmtlichen Muskulatur, mit Ausnahme der 
von den cerebralen Nerven versorgten, charakterisirt, manch¬ 
mal aber nur auf die Beine beschränkt. In der Familie von 
Rydel stellte sich, was Symptome und Zeitdauer anbelangt, 
beinahe bei allen Mitgliedern der An' all gleichartig dar, doch 
bekam eine seiner Tanten den Anfall nur in den Beinen, er 
dauerte bei ihr nur ü Stunden, bei anderen Mitgliedern nui 


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12 oder 24 Stunden. Wir haben ja gesehen, daß selbst bei 
unserem Kranken die Dauer der Anfälle gewöhnlich 48 
Stunden betrug, manchmal aber weniger, manchmal mehr. 
In der CousoT’schen Familie war bei einigen Mitgliedern das 
Schlucken und Sprechen behindert, bei anderen intact, bei 
einem Mitgliede dauerte der Anfall länger und war intensiver, 
als bei dem anderen. Auch die Reihenfolge, in welcher die 
Lähmung auftrit, bleibt gewöhnlich dieselbe, zuweilen aber 
kann sie differiren; so bei dem CousoT’schen Kranken, bei 
welchem manchmal die Lähmung in den Armen begann und 
sich dann auf die Beine ausdehnte. 

Was die Häufigkeit der Anfälle betrifft, so ist sie in¬ 
dividuell verschieden, von täglichen Anfällen bis zu Pausen 
von Jahren. Im Allgemeinem kann man sagen, daß die Anfälle 
in der ersten Zeit ziemlich selten auftreten, daß aber die 
Häufigkeit in den ersten Jahren progressiv steigt bis sie in 
der Pubertät das Maximum erreicht. Man könnte meinen, daß 
in dem Maße, als die Anfälle wiederkehren, sich die Disposition 
zu ihnen steigert. Die Häufigkeit der Anfälle ist also am 
größten zwischen dem 17. und 40. Jahre. Dann scheint sie 
abzunehmen, obwohl die Anfälle bis zum Tode bleiben. 

Gewöhnlich hält jeder Kranke einen Typus in der 
Wiederholung der Anfälle ein, wenigstens in den Jahren der 
größten Frequenz, so einen quotidianen, 1. 2mal wöchent¬ 
lichen u. s. w., obwohl eine absolute Regelmäßigkeit nicht 
vorhanden ist. Seltener kommt es vor, daß die Anfälle in 
ganz unregelmäßigen Intervallen von einigen Tagen bis 
einigen Monaten, erscheinen. Bei meinem Kranken ist noch zu 
beachten, daß die Anfälle im Sommer viel häufiger wieder¬ 
kehrten, als im Winter. 

(Schluß folgt.) 

Referate und literarische Anzeigen. 

Ueber die Wirkung der Anilinfarbetoffe. 

v*) 

E. v. der Goltz (New-York): Aniliu als Antisepticmn. — Kf.llkrrr 
(Holzkircheu): Pyoktanin bei Larynxcroup. — Paul Nooute (Paris): De la 
valeur antiseptique des couleurs d’aniline et de leur eroploi en Ophthalmologie. 

— Valdde <fe Vional (Paris): De la valeur antiseptique dos couleurs d’aniline. 

— Patrzek (Oppeln): Das Pyoktanin in der Ohrenheilkunde — J. Scheinmann 
(Berlin): Pyoktanin gegen tuberculöse Ulcerationeu im Kehlkopf und in der 
Nase. — Brakdenbkro (Zug): Ueber Pyoktanin. 

von der Goltz berichtet in Nr. 7 der „Med. Monatsschrift“ 
Aber die Resultate seiner Versuche mit den Anilinfarbstoffen. Er 
verwendete Anilinum rubrum, Methylviolett und Anilinum crudum. 
Speciell das Methylviolett hat sich vollständig bewährt. Es wurde 
in einer Lösung von 2°/ 00 zur Anwendung gebracht: bei Blasen- 
catarrh zu Ausspülungen, intrauterinen Irrigationen, Cervicalcatarrh 
gonorrhoischen Ursprungs, Gonorrhoe beim Manne (in alkoholischer 
Lösung), Bennorrhoea neonatorum, Ulcera cruris, tiefen Abscessen, 
Traumen und anderen Läsionen. 

Das mißliche der Anilinfärbung ließ in Verf. den Gedanken 
anfkommen, ob man nicht das farblose Anilinnm crudum als gleich¬ 
wertigen Körper verwenden könne. Der Versuch hat ergeben, daß 
daB Anilinum crudum, welches ein Gemisch von einem Molecül 
Anilin und zwei Molecülcn Toluidin darstellt, vollständig befriedigte. 
Der putride Eitergeruch sistirte, die Entzündung nahm in sehr 
rapider Weise ab und die Eitersecretion wurde in allen Fällen, selbst 
bei einer Lösung von V*o% hei dem ersten Gebrauche auf ein 
Drittel reducirt. 

Bei der Verwendung des Anilinum crudum muß stets ein mini¬ 
maler Theil Alkohol als Solvens zum Wasser zugesetzt werden. Um 
40 Grm. in 4000 Grm. Wasser zu lösen, genügen 15 Grm. Alkohol. 

Im Gegensatz zum Methylviolett und Anilinroth wird das 
Anilinum crudum selbst in einer Lösung von O*O25°/ 0 von manchen l 
I'at. schmerzhaft empfunden, weshalb Verf. bei traumatischen Augen- 
affectionen das Anilinum crudum nicht gebraucht. 

Verf. theilt ferner mit, daß einige ihm befreundete Collegen 
einen überraschenden Erfolg mit einer wässerigen Lösung von Anilin 

*) V. Nr. 31 


1 :2000 bei Hautkrankheiten, spec. bei Eczem, erzielten, u. zw. 
sollen die hartnäckigsten Fälle in kurzer Zeit zu vollständiger Heilung 
gebracht worden sein. Hingegen blieb das Anilin vollständig wir¬ 
kungslos, wenn es bei Dermatitis irgend welcher Art in Salbenform 
dispensirt wurde. 

Kellerer theilt in Nr. 32 der „Münch, med. Wochensohr.“ 
mit, daß er in 2 Fällen von Croup, bei welchen bereits hochgradige 
Stenosenerscheinungen vorhanden waren, Inhalationen von Pyoktanin 
(0'05 auf 100 Wasser) angewendet hat und über die außerordentlich 
rasche Besserung erstaunt gewesen ist. Bereits am nächsten Tage 
waren die Athembesehwerden geschwunden. Er empfiehlt daher dieses 
Mittel zu weiteren Versuchen bei einschlägigen Fällen. 

Die Versuche, die Nogues in Nr. 35 der „M6d. mod.“ mittheilt, 
beweisen, daß die antiseptische Wirkung der Anilinfarbstoffe ver¬ 
schiedener Provenienz verschieden ist. Diese Versuche wurden mit 
Anilinfarbstoffen aus französischen Fabriken, sowie mit dem Merck- 
sehen Pyoktanin ausgeführt. 

Die Versuche au Kaninchen- and Meersehweinehenaugen haben 
ergeben, daß Lösungen von 1: 1000 des blauen und gelben Pyok- 
tanins sehr gut vertragen werden nnd nicht die geringste Reizung 
der Conjunctiva erzeugen. Das Pyoktanin erwies sich viel weniger 
reizend als das Metbylviolett, was auf seine höhere Reinheit zurück - 
zufdhren ist. In mehreren Fällen von Augenblennorrhoe bei Erwach¬ 
senen und Kindern mit Gonococoen im eitrigen Seeret erwiesen sieh 
Auswaschungen mit Methylviolettlösungen 1 : 1000 bis 1 : 2000 ans 
französischen Fabriken von vorzüglicher Wirkung; namentlich bei 
Keratitis bewährten sich die Anilinfarben vorzüglich. 

Bei Granulationen reizten die Lösungen von 1 : 1000 die 
Augen zn stark; Lösungen 1: 2000 wurden zwar besser vertragen, 
batten jedoch einen sehr geringen Effect. Schließlich seien noch 

2 Fälle erwähnt, die für die Wirkung des Pyoktanins sehr wichtig 
sind. Bei einer 42jähr. Frau, die seit 3 Tagen an einer sehr hef¬ 
tigen Phlegmone des Thränensackes mit enormer erisypelatöser 
Schwellung der Wangen litt, wurde nach Eröffnung des Sackes 
Methylviolett und am 4. Tage Pyoktanin injicirt; die eitrige Secre- 
tion nahm sehr rapid ab, und obwohl der Nasencanal nicht durch¬ 
gängig war, blieb nur eine geringe Fistel zurück. 

Der 2. Fall betrifft einen 83jähr. Mann, bei dem eine senile 
Cataract operirt wurde. Am nächsten Tage traten heftige Schmerzen 
auf, der Verband wurde gelüftet, und es fand sich ein Oedem des 
oberen Lides mit Röthung der Conjunctiva und Erscheinungen einer 
beginnenden Iritis plastica. Eine einmalige Anwendung einiger 
Tropfen Methylviolett 1 : 1000 auf die Conjunctiva genügte, um 
das weitere Fortschreiten der Symptome zu coupiren und einen 
günstigen Verlauf herbeizuführeu. 

Im Gegensatz zu den Versuchen Stilling’s u. A. berichten 
Valude und VignaL in der hyg. Sect. des Berl. intern, med. Congr., 
daß nach den von ihnen ausgeführten Versuchen im Laboratorium, 
die Anilinfarbstoffe schwache Antiseptica sind und in dieser Beziehung 
dem Sublimat weit nachstehen. So z. B. braucht eine Pyoktanin- 
lösung 1 : 1000 eine Stunde, um eine antiseptische Wirkung zu er¬ 
zielen , welche mit einer Sublimatlösung 1 :4000 unter denselben 
Verhältnissen in 5—10 Minuten erreicht wird. 

Die klinischen Versuche haben ergeben, daß die Wirkung des 
Pyoktanins eine sehr unzuverlässige ist. Vorwiegend scheint die 
Wirksamkeit der Anilinfarbstoffe bei Corneaerkrankungga sich geltend 
zu machen. 

Aus ihren Versuchen schließen die Verff., daß das Pyoktanin 
mehr durch seine Diffasionsfähigkeit, als durch seine antiseptische 
Kraft wirkt. Will man daher diese Substanzen anwenden, so muß 
man sie nur auf die Fälle beschränken, wo die Diffusionsfähigkeit 
von Nutzen sein kann, nnd dies sind die Fälle von Ulcera corneae 
und Panophthalmitis; dann muß man aber auch das Pyoktanin in 
situ und in einer concentrirten Form anwenden. 

Patbzek hat auf Empfehlung Stilling’s das Pyoktanin bei 
Ohrenkranken versucht und Despricht in Nr. 63 der „Allg. med. Central- 
Zeitung“ 7 Fälle von eitrigen Ohrenerkranknngen, bei denen er 
Pyoktanin versucht hat. Aus diesen Versuchen gebt hervor, daß das 
Pyoktanin keinen oder nur einen minimalen Einfluß auf Eiterungen 
innerhalb des Gehörorgans ausübt. Einer allgemeinen Einführung in 


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1505 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 88. 


1506 


die Ohrenheilkunde steht außerdem die blaue Farbe des Mittels im 
Wege. Eine versuchsweise Anwendung empfiehlt er in den Krank¬ 
heitsfällen , die durch die gebräuchlichen Mittel nicht zur Heilung 
gebracht werden können. 

Scheinmann empfiehlt in Nr. 53 der „Berl. klin. Wochenschr.“ 
die Anwendung des Pyoktanins bei tuberculösen Ulcerationen im 
Kohlkopf uud in der Nase. woselbst sich das Mittel als absolut 
reizlos erwies und schnell Vernarbung herbeiführte. Die von ihm 
angewendete Methode ist folgende: Der Sondenknopf einer biegsamen 
Kupfersonde wird erhitzt und in das reine Pulver von Pyoktaninum 
caeruleum getaucht. Iliebei bildet sich eine fest anhaftende, halb¬ 
verkohlte Schichte um denselben , in deren weiterer Umgebung das 
Pyoktanin in feinen Körnchen sich anlagert. Mit der so armirten 
Sonde geht man in den Larynx oder die Nase und reibt das 
Pyoktanin in den Geschwürsgrund mit Energie ein, genügende 
CocaTnisirung vorausgesetzt. Die zurückkehrende Sonde wird in die 
Flamme gehallen, wo das Pyoktanin unter Lichtentwicklung ver¬ 
kohlt und seine Färbekraft verliert. Auf diese Weise gelingt es, 
streng localisirt vorzugehen. 

Die Heilungstendenz ist schon nach der ersten Einreibung eine 
frappirende, indem die Secretion wie verschwunden ist, und in kurzer 
Zeit schon die Frage auftritt, ob hier noch Ulcus oder schon die 
beginnende Narbe vorliegt. Die Reaction der mit Pyoktanin behan¬ 
delten Partie ist — 0. Vorhandene Schmerzhaftigkeit wird in den 
folgenden 24 Stunden durch die Eingriffe nicht nur nicht gesteigert, 
sondern mitunter wesentlich vermindert. 

Brandenberg theilt in Nr. 17 des „Correspondenzbl. f. Schweizer 
Aerzte“ die Resultate seiner an 23 Fällen angestellten Versuche 
mit dem Methylviolett mit, welches er in l°/ 00 Lösung oder als 
Stift angewendet hat. Guten Erfolg zeigte das Mittel in 7 Fällen: 
1 Ulcus cruris mit einer Flächenausdehnung von 12 Cm. Länge und 
7 Cm. Breite, daneben 4 kleinere Geschwüre, brauchte bis zur 
völligen Heilung 19 Tage, die kleinen Geschwüre 1—3 Tage. 

Ein zweites Ulcus cruris 2 Cm. lang, 1 1 / a Cm. breit und circa 
5 Mm. tief, heilte in 10 Tagen. 

Eine stark eiternde Kopfwunde (3 Wochen nach der Ver¬ 
letzung in Behandlung genommen, mit 2 Fisteln, auf den entblößten 
Knochen führend) wird erst mit Jodoform behandelt und uachber, 
da die Secretion sehr stark blieb, mit Methylviolett. 

Schon nach dem ersten Verbandwechsel Secretion deutlich 
vermindert, nach dem 3. = 0; der 2. und 3. Verband blieb 4 Tage, 
nach dem 4. Heilung. 

Ein Ulcus molle heilte nach 4tägigem Gebrauche. Ein aus- 
geräurates tuberculöscs Kniegelenk und Evidement eines kleinen Herdes 
in der Tibia zeigten üaeh 4wöchentlicher Jodoformbehandlung so 
starke Secretion, daß die Verbände 1—2tägig erneuert werden mußten. 
Die Wundhöhle wird mit 1 % 0 Methylviolett ausgefüllt und mit Gaze 
tamponirt. Bedeutende Abnahme der Secretion, der Verband kann 
4—5 Tage belassen werden. 

Kein Erfolg wurde trotz längerer Behandlung in einem Falle 
von Ulcus cruris, Ostitis tuberc. der Fußwurzelknochen, Fistel 
nach Eröffnung eines perityphlitischen Abscesses über dem Lig. 
Pouparti, Cystitis, abscedirten Lymphdrüsen, tuberculösen Haut- 
abscessen erzielt. 

Verf. hält daher das Pyoktanin für empfehlenswert!) bei Ulcus 
cruris und stark secernirenden Wunden. S. 


H. Löhlein: Die Indicationen der Ovariotomie und 
der Myomotomie. 

Mit Rücksichtnahme auf die gegenwärtige Ausbildung der 
Technik dieser Operationen und ihrer Heilungsstatistiken, sowie 
pathologische und klinische Beurtheilung der Ovarientumoren und 
Uterusmyome entwickelt L. („Berliner Klinik“, 2. Heft) die Präci- 
sirung der Indication zur operativen Behandlung dieser Tumoren. 

Für die Ovariotomie sagt L. mit Schroeder , daß sie 
überall indicirt ist, wo ein Tumor ovarii nachgewiesen ist, außer 
es handelt sich um eine maligne, nicht mehr auf das Ovarium be¬ 
schränkte Neubildung. 

L. erklärt die Indication der Ovariotomie durch den einfachen 
Nachweis eines Ovarientumors, auch eines kleinen, jedem 


Zweifel entrückt wegen der großen Häufigkeit des malignen Charakters 
der Eierstockgeschwülste, denn die Diagnose Tumor ovarii ist in 
5 Fällen lmal gleichwerthig mit der Diagnose Tumor malignus zu 
erachten. 

Im Gegensätze zu dieser Verallgemeinerung der Indications- 
stellung für Ovariotomie betont L. die äußerste Individualisirung der 
Indication zur Myomotomie, für welche die Entscheidung nur durch 
die Erwägung vielfacher Momente des einzelnen Falles getroffen 
werden kann. 

Der Behauptung, daß die Myome eine ausgesprochene Anlage 
zur malignen Entartung hätten, oder die Uterinmucosa zu solcher 
disponirte, bestreitet L. zur Zeit eine genügende Begründung, so 
daß auf sie hin die Indication zur Myomotomie nicht gestellt werden 
könne, sondern nur den Symptomen, resp. Consequenzen jedes ein¬ 
zelnen Falles entnommen werden dürfe. Dr. Breds. 


Die Trunksucht und ihre Abwehr. Ein Beitrag zum der¬ 
zeitigen Stand der Alkoholfrage von Dr. A. Baer, königl. Sanitäts¬ 
rath, Oberarzt am Strafgeföngniß Plötzensee und Bezirksphysikus 
in Berlin. Wien und Leipzig. Urban und Schwarzen¬ 
berg 1890. 

Der Autor ist ein reich verdienter Arzt, der durch seine Be¬ 
mühungen für die Ausrottung des Verbrecherthums durch Behebung 
einer ihrer wichtigsten Quellen hier mit derselben Humanität und 
wissenschaftlichen Gründlichkeit sich einsetzt, wie er früher sich be¬ 
mühte, diesen Verunglückten der Gesellschaft durch Verbesserung 
der Gefängnißzustände, insbesondere der Gefängnißkost, zu Hilfe zu 
kommen. „Für Criminalisten und Get&ngnißbeamte gilt seit langer 
Zeit und an allen Orton die Ueberzeugung, daß die Unraäßigkeit 
und Trunksucht eine Hauptquelle für die Entstehung der Verbrechen 
und häufig auch für die Rückfälligkeit der Verbrecher abgibt . . . 
Der unmäßige Trunk ist sehr häufig die einzige und letzte Ursache 
von den schweren und leichten Verbrechen gegen die Person, von 
Mord, Todtschlag und Körperverletzungen; sehr viele Verstöße und 
Vergehen gegen die Sittlichkeit, von Nothzucht werden im Zustande 
der Trunkenheit verübt“ etc. Baer bestätigt diese Annahme durch 
Vergleich des Alkoholconsums mit der Verbrecherstatistik, durch die 
Statistik der Einvernahme von Verbrechern bezüglich ihres Zustandes 
zur Zeit des Verbrechens mit Specialisirung der einzelnen Verbrechen, 
welche u. A. laut nach Baer’s Anweisung ausgefübrten Tabellen sich 
über 120 Gefängnißanstalten des ganzen deutschen Reiches mit 32.837 
Gefangenen erstrecken. 41 Procent aller Verbrecher waren dem Trünke 
ergeben. Von den Mördern waren 41*4 Procent Gewohnheitstrinker, 
58 6 Procent Gelegenheitstrinker. Unter den des Verbrechens der 
Nothzucht Ueberwiesenen waren 61*2 Procent Gelegenheitstrinker 
und 38'8 Procent Gewohnheitstrinker u. 8. f. Bei dem sich allent¬ 
halben zeigenden, ziemlich parallelen Gange zwischen Alkoholverbrauch 
und Verbrechen, Zunahme und Abnahme mit guten und schlechten 
Weinjahren, Zunahme mit Ersatz des Bieres durch Schnaps u. s. f. 
ist es eine, wohl allgemeines Interesse erweckende Frage, wie die 
Sicherheit der Person und des Eigenthums vor dieser alltäglichen 
und imminenten Gefahr zu behüten ist. Die wohlerwogenen Ergeb¬ 
nisse des Autors, der nicht mit Phrasen, sondern mit Thatsachen 
seine Beweise führt, werden wohl ein ernstes Studium, sowohl von 
Seiten des ärztlichen Publikums, als auch aller staatlichen und com- 
munalen Behörden verdienen, welche das Gemeinwohl zu behüten 
haben, ganz besonders aber in einem Gebiete, in dem die Verbrechen 
aus Trunksucht oder Säuferwahnsinn sich in so erschreckender Weise 
mehren. R. v. Pfungen, Wien. 

Vorlesungen über Ohrenheilkunde. Von Dr. Albert Bing, 

Privatdocent für Ohrenheilkunde an der Wiener Universität. 
Mit 27 Holzschnitten und einer Doppeltafel. Wien 1890. Wilh. 
Braumüller. 

Bing hat die Vorträge, wie er sie in seinen Cursen über 
Ohrenheilkunde zu halten pflegt, in Buchform herausgegeben. Der¬ 
artige Publicationen erheischen einen anregenden Stil; sie sollen 
eben unterhaltend belehren. Und man wird dem Autor mit Ver¬ 
gnügen zugestehen, daß ihm diese schwierige Aufgabe zu lösen in 
ausgezeichneter Weise gelungen ist. Da sich Verf. hauptsächlich 

2 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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als Ziel gesteckt hat, seino und seiner Lehrer Politzer und Gröber 
Anschauungen in zusammenhängender Darstellung zum Ausdrucke 
zu bringen, so ist es ja leicht begreiflich, daß hier andere Schrift¬ 
steller nicht gar oft zu Worte kommen. In dem Capitel über 
Acusticusaffectionen lehnt sich Bing fast ausschließlich an Politzkr’b 
Lehrbuch an. 

Es braucht wohl kaum ausdrücklich gesagt zu werden , daß 
blos ein Lapsus calami schuld daran ist, wenn in dem Buche der 
bekannte Wilde’ sehe Aussprnch: man wisse bei der Otorrhoe 
niemals, wie, wann und wo sie enden wird, Toynbee in den Mund 
gelegt wird. 

Eines indessen hätten wir gerne vermißt: Die Berufung auf 
eine von Schülern des Vortragenden ausgegangene Anregung, welcher 


Feuilleton. 

Die Krankencassen and die Aerzte. 

Von Prof. Dr. J&novsky in Prag.*) 

Vom Geschäftsausschusse des österreichischen Aerzte vereins- 
verbandes aufgefordert, das Referat über das Krankencassengesetz 
zu übernehmen, bin ich mir vor Allem der Schwere der Aufgabe 
bewußt, welche mir durch die Bearbeitung gerade dieser Frage ge¬ 
worden , welche nicht nur zu den actuellsten und vitalsten Fragen 
gehört, mit denen sich unser Vereinsverband je zu befassen hatte, 
sondern welche auch in den einzelnen Verbandsvereinen in einer 
so eingehenden uud gründlichen Art und Weise durchberathen wurde, 
daß wohl kein neuer Gesichtspunkt, keine nicht schon vielfach er¬ 
wogene Seite des betreffenden Gesetzes hier in Betracht kommen 
kann. Der Referent erblickte, und hofft damit in Uebereinstimmung 
mit den geehrten Collegen sich zu befinden, seine Hauptaufgabe 
darin, in großen Zügen ein kurzes zusammenfassendes Resumö jener 
Schritte und Verhandlungen zu geben, welche von den einzelnen 
Vereinen behufs der im Interesse des ärztlichen Standes vorzu¬ 
nehmenden dringenden Remedur des Gesetzes unternommen wurden, 
ferner auf diejenigen Stellen des Gesetzes vom 30. März 1888 
und des Musterstatutes vom 20. October desselben Jahres hinzu¬ 
weisen, welche eine direete Schädigung der vitalsten Interessen der 
Aerzte involviren, und schließlich diejenigen Schritte zu erwägen, 
von denen eine Besserung dieser für uns folgenschweren Institution 
zu gewärtigen wäre. 

Es bat wohl keine der mit den Interessen unseres Standes 
verquickten Fragen in der neueren Zeit unter den Aerzten Oester¬ 
reichs ohne Unterschied der Länder und Nationalitäten unseres ge¬ 
meinsamen Vaterlandes eine so tiefe Bewegung hervorgerufen, wie 
das in Rede stehende Gesetz. 

Instinotiv fühlten wir es Alle, die einen regen Antheil an den 
Standesinteressen nehmen, daß nach der Art und Weise der Durch¬ 
führung der in ihren Endzielen gewiß humanen Institution der 
Krankencassen eine Gefahr den Existenzbedingungen der großen 
Mehrzahl von Collegen droht, welche bisher im harten Kampfe des 
Lebens ihre Humanität in glänzender Weise bewährten und von der 
Entwicklung der humanen Institution erwarteten, daß man auch ihrer 
gedenken werde, oder daß wenigstens eine Institution, welche ihre 
humanen Dienste durch den Arzt besorgen läßt, nicht ohne das 
Einverständniß oder Anhörung des hiedurch am meisten belasteten 
Standes in’s Werk gesetzt werde. Wenn irgendwo, so hier, machte 
sich in dieser Situation der- Mangel eines autoritativen Organes 
bemerkbar, welches, wie die Aerztekammern, sein schwerwiegendes 
Votum abgegeben hätte. So mußte denn die Initiative abermals aus 
unserer Mitte hervorgehen, und der vom Geschäftsausschusse unseres 
Vereinsverbandes unter dem 1. Mai 1889 an die Verbandsvereine 
übermittelte Fragebogen brachte die Discussion in den einzelnen 
Vereinen in vollen Fluß. Gewiß wird Jeder, der die Verhandlungen 
in diesen Vereinen und Corporationen eingehend verfolgte, den¬ 
selben das Zeugniß nicht verweigern können, daß mit vollstem Eifer 
unter stetiger Berücksichtigung der localen Verhältnisse, der schwer 


*) Referat, erstattet am IX. Oesterr. Aerztevereinstage. 


das vorliegende Werk sein Entstehen verdanken soll. Unserer An¬ 
sicht nach muß jede literarische Leistung ihre Existenzberechtigung 
in sich selbst tragen. Wir kennen Lehrbücher, auch solche der 
Ohrenheilkunde, die auf das ganz gleiche Motiv wie das BiNG’sche 
Buch sich berufen, und die trotzdem Jahrzehnte lang zu warten 
hatten, bis sie eine zweite Auflage erlebten, während andere Lehr¬ 
bücher, welche aus der eigenen Initiative des Autors hervorgingen, 
in den kürzesten Intervallen stets neu aufgelegt werden. 

Auch Bing’s „Vorlesungen“ docamentiren durch ihren gediegenen 
Inhalt, daß das Recht zu sein ihnen mit voller Anerkennung zu¬ 
gesprochen werden muß. Dr. A. Eitklberg. 


bedrohten Existenzbedingungen der Mitglieder und zugleich mit voller 
Rücksicht auf das humane Ziel des Gesetzgebers die einzelnen Vereine 
mit Selbstverleugnung über den Standpunkt schlüssig wurden, der 
dem Gesetze gegenüber einzunehmen sei, sowie die Schritte, die in 
solidarischer Haltung zur Abwehr der drohendsten Schädigung 
unternommen werden sollten. 

Eine einheitliche Ueberzeugung ging aus allen Berathungeu 
hervor, daß die einzelnen Paragrapbe, zu denen wir noch auf Grund¬ 
lage der Verhandlungen in den Vereinen zurückkehren werden, das 
Interesse der Aerzte schwer tangiren, und, falls dieselben aufrecht 
erhalten werden sollten, vielen von den Collegen die Existenz 
geradezu unmöglich gemacht würde. Diese einmüthige Ueberzeugung 
bewog auch gewiß den Geschäftsausschuß, diese Frage auf das 
Programm unseres Vereinstages zu setzen. Man könnte hiebei dem 
Einwande begegnen, ob die Verhandlung über diese Frage jetzt 
schon an der Zeit sei, wo erst die Erfahrungen eines Jahres vor¬ 
liegen. 

Leider muß diese Frage, und auch hierin sind» wohl säinmt 
liehe Verbandsvereine Eines Sinnes, bejaht werden; die auch kurze 
Zeit, welche seit dem Inslebentreten dieses Gesetzes verlief, reicht 
hin, um alle ausgesprochenen Befürchtungen zu rechtfertigen und 
den von Seiten maßgebender Kreise leider geäußerten Optimismus 
gründlich zu widerlegen. Man braucht blos auf die traurigen Er¬ 
fahrungen mit dem Pauschalien der ärztlichen Hilfe und die Tendenz 
einzelner Cassen, das spärliche Honorar noch wo möglich herabzu- 
drückeu, sowie auf die zwar spärliche, aber doch eingetretene 
Minuendo-Licitation hinzuweisen, um den obigen Ausspruch zu be¬ 
weisen. 

Ueberdies bilden die in Deutschland gemachten Erfahrungen, 
auf die wir später nochmals zurückgreifen, zu dieser Ansicht einen 
interessanten Beleg, der um so beweiskräftiger ist, als dieselbe In¬ 
stitution dort bereits länger besteht. 

Wenn wir nun, der zweiten uns gestellten Aufgabe ent¬ 
sprechend, die einzelnen Paragrapbe des betreffenden Gesetzes und 
des Musterstatutes durchgehen, so dürfte es sich wohl empfehlen, 
zu jedem betreffenden Punkte die Ansichten, welche aus den Vereins¬ 
verhandlungen hervorgehen, hinzuzufügen, um so ein klares Bild 
der auf eine Remedur abzielenden Vereinsbeschlüsse zu erhalten. 

Hiebei dürfen wohl das Gesetz und das Musterstatut als be¬ 
kannt vorausgesetzt werden. Im Anschlüsse hieran sollen dann jene 
Fragen erwogen werden, welche zwar nicht direct im Gesetze be¬ 
rührt werden, sich jedoch nothwendiger Weise aus demselben als 
natürliche Consequenzen ergeben. 

Vor Allem ist es der §. 6, Alinea 1*), welcher die freie 
ärztliche Behandlung „mit Inbegriff des geburtshilflichen Beistandes“ 
involvirt, welcher durch eineu weiteren Absatz auf 20 Wochen normirt 
wird, der den Arzt namentlich im Falle der leider von den Cassen 
meist beabsichtigten und durchgeführten Pauschalirung hart trifft, 
da dann Fälle nicht ausbleiben können, wo, wie dies aus den Verhand¬ 
lungen der betreffenden Vereine hervorgeht, Minimalbeträge von 
kaum 10 kr. auf eine Visite entfallen, ein für unseren Stand tief 
beschämendes Vorkommniß, dessen einzige Remedur blos in dem von 

‘) Die citirte Alinea lautet: „Als Krankenunterstützung ist mindestens 
zu gewähren: 1. vom Beginn der Kiankheit an freie ärztliche Behandlung 
mit Inbegriff des geburtshilflichen Beistandes, sowie die nothwendigen Heil¬ 
mittel und sonstigen therapeutischen Behelfe.“ 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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der überwiegenden Majorität der Vereine angenommenen Principe 
der fallweisen Honorirung liegt. Was den „geburtshilflichen Bei¬ 
stand“ anlangt, so kehren wir zu diesem Punkte noch bei Be¬ 
sprechung der Entlohnung der Cassenärzte zurück. 

§. 11. a ) Zu diesem Paragraph wäre blos das zu erwähnen, 
daß durch die im Gesetze aufgezähiten Arten von Cassen für die 
Privatclientei nach Inslebentreten aller dieser Institutionen nur noch 
ein geringer Bruchtbeil von Clienten erübrigt, von welchen derselbe 
ein halbwegs angemessenes Honorar erwarten kann, falls es die¬ 
selben nicht ins Sinne des gleich folgenden §. 13 vorgezogen haben, 
(obgleich nicht versicherungspflichtig) Mitglieder von Vereins-, Ge¬ 
nossenschafts- oder Bezirkskrankencassen zu werden. 

§.13, Alinea 4 3 j ist mit Recht als derjenige Paragraph zu 
bezeichnen, gegen welchen in energischester Weise sich sämmtliche 
Verbandsvereiue ausgesprochen haben, da er im Falle, daß sich die 
Cassen in das Publicum mehr einleben, dem Arzte den größten 
Theil der Privatclientei entfremden würde. Diese Gefahr erscheint 
um so dringender, als der §. 10 des Musterstatutes den Betriebs¬ 
beamten mit einem Jahreseinkommen von über 1200 fl. und den 
Volontären die Möglichkeit des Beitrittes erötfuot. 

Mit vollem Rechte fürchten die Aerzte, daß das weitere Publicum, 
welches das ärztliche Honorar meistentheils als eine Last ansieht, 
mit der man sich ohnehin am billigsten abzuflnden sucht, diese Be¬ 
stimmungen in ausgedehntem Maße benützeu wird, wodurch, be¬ 
sonders in einzelnen Gegenden, der größte Theil der Privatclientei 
dem Arzte verloren gebt. Das ist eine der vitalsten Fragen, welche 
das neue Gesetz für unseren Stand heraufbeschworen. So einstimmig 
jedoch der Ruf nach Aenderuug dieses verhänguißvollen Paragraphen, 
dessen Folgen sich in einzelnen Ländern, z. B. in Böhmen, jetzt 
schon äußern, ebenso schwierig erscheint hier der Weg, der einzu¬ 
schlagen wäre, um zu dem gewünschten Ziele der Eliminiruug dieses 
Paragraphen zu gelangen. Da dies blos auf legislatorischem Wege 
möglich ist, so wäre vor Allem wohl,, wie dies noch zum Schlüsse 
des Referates angedeutet werden soll, eine energische Action zu ent¬ 
wickeln , welche nach Ansicht des Refereutcn darin zu bestehen 
hätte, daß durch eine Deputation bei Sr. Excellenz dem Herrn 
Minister des Innern, dann durch Petitionen an den Reichsrath und 
endlich durch persönliche Einwirkung auf die Herren Abgeord 
neten, von welcher man nach dem Vorgehen des Troppauer Vereines 
in der Acrztekammer-Angelegeuheit das Beste erwarten kann, auf 
dio schwere Schädigung unseres Standes hingewiesen wird, und man 
sich um die Ausmerzung dieser Bestimmung aus dem Gesetztexte 
an setzt. — §. 39, Alinea 2, legt in die Hände des Cassen verbandes 
ohne jede nähere Bestimmung oder Beschränkung die Abschließung 
gemeinsamer Verträge mit Aerzten, Apothekern und Krankenhäusern. 
Wir kommen auf diesen Paragraph noch bei Besprechung der Be¬ 
stimmungen des Musterstatutes zurück. 

Soweit gehen nun diejenigen Paragraphen, welche im Gesetze 
selbst die Interessen des hart und schwer geprüften ärztlichen 
Standes betreffen, und man würde nun vielleicht, wie der Referent 
dies bereits in seinem, am 5. October im Geschäftsausschusse vor¬ 
getragenen Referate ausspracb, im Musterstatute, kundgomaclit 
mittelst Kundmachung des hohen k. k. Ministeriums des Innern vom 
20. October 1888 (R.-G. Bl. vom 27. October 1888, Nr. 56), nähere 
Bestimmungen zu finden hoffen, welche dem mit seinen vollen Kräften, 
seinem besten Wissen und Gewissen einstehendeu Cassenarzto eine 
hinreichende Existenz sichern, ihm Schutz gewähren würden gegen 
die Ausnützung und Ausbeutung von Seite der Cassen und dos 
Publicums. — Diese Erwartungen, wenn sie Jemand hegte, sind 
bitter getäuscht worden; nicht nur, daß das Statut den Arzt nicht 
schützt, man findet darin, wie wir sehen werden, noch für unseren 
Stand aggravirende Bestimmungen, namentlich jene, welche in einzelnen 
Fällen denselben vollkommen der Willkür des Cassenvorstandes 
anheimgeben. 


*) §. 11 nennt folgende Kategorien von Krankencas8en : Bezirks-, Be¬ 
triebs-, Ban-, Genossenschaft«-, Vereinskrankencassen und Binderladen (Knapp- 
schaftscassen). 

a i .Personen, welche der Versicherungspflicht nicht unterliegen, sind, 
wenn sie das 35. Lebensjahr nicht überschritten haben, berechtigt, der Bezirks- 
krankenca«se beizntreten. ‘ 


Mit Uebergehung des §. 10, dessen wir schon Erwähnung 
tbaten, ist es vor Allem der §.13, welcher jene Collagen , die 
nicht Cassenärzte sind, angeht und der, wie wir nicht anstehen zu 
behaupten, dieselben im Einzelnen direct schädigt. 

Es soll also, wie Alinea 2 4 ) bedeutet, in dringenden, deshalb 
meist schwereren Fällen die Honorirung dieser Aerzte überhaupt 
von dem Ermessen, „Anordnung und Genehmigung“, des aus Laien 
bestehenden Vorstandes abhängen, sowie ob die Behandlung von 
Seite eines Arztes, der nicht Cassenarzt ist, vorzunehmen und zu 
honoriren sei. 

Incredibile sed possibile! könnte man hier, hätte diese An¬ 
gelegenheit nicht eine so ernste Seite, ausrufen! 

Ein Laie (Arbeiter oder Gewerbsmann) wird also von nun ab 
entscheiden, ob eine Wendung, Cephalotripsie, Unterbindungen etc. 
wirklich dringend waren oder nicht! ob der Arzt, der eingedenk 
seiner humanen und collegialen Verpflichtung für den Cassenarzt 
naebkommt, zu honoriren ist oder nicht. Findet der betreffende 
Laie, daß es nicht nöthig ist, so wird der Arzt mit dem billigen 
Wechsel, auf die Humanität ausgestellt, bezahlt, der das Gute (einzig 
unter allen Wechseln) hat, daß er nicht eingelöst wird. 

Daß hierin eine Besserung und Correctur Platz greifen muß, 
was um so leichter geschehen kann, als das Musterstatut nicht in 
legislatorischem, sondern in administrativem Wege erlassen wurde, 
darüber sind alle Vereine eines Sinnes. Eine Appellation an die 
mit einem Fachorgane ausgestattete politische Behörde muß hier 
dem Arzte ermöglicht werden, damit derselbe nicht schütz- und 
rechtlos der Casse gegenübersteht. Auf diesen Modus werden wir 
noch bei Gelegenheit der Besprechung der Instruction der Cassen¬ 
ärzte zurückgreifen. (Schloß folgt.) 


Kleine Mittheilungen. 

— Paul Guttmann berichtet in Nr. 37 der „Berliner klin. 
Wochenschr.“ über die Ergebnisse seiner Untersuchungen Ober die 
Wirkung de8 Salipyrin. Das Salipyrin, eine Verbindung ans Anti- 
pyrin und Salicylsäure, ist ein weißes, krystallinisches, geruchloses 
Pulver, das einen nicht unangenehmen herbsäuerlichen Geschmack 
besitzt, in Alkohol leicht, in Wasser schwer löslich ist. Das Salipyrin 
erniedrigt die fieberhafte Körpertemperatur. Bei hohem continuirlichem 
Fieber gibt man eine erste Dosis von 2 Grm., hierauf in stündlichen 
Intervallen 4 Dosen von je 1 Grm. Die Temperatur sinkt binnen 
3 — 4 Stunden um l 1 2 —2° C., sie beginnt dann wieder zu steigen, 
erreicht aber erst in 4—5 Stunden die ursprüngliche Höhe. Das 
Sinken der Temperatur geht mit, den Kranken nicht unangenehmem 
Schweißausbruch einher. Stärker als beim continuirlichen wirkt das 
Salipyrin bei den weniger resistenten remittirenden Fiebern. 
Das Salipyrin wirkt günstig bei acutem Gelenksrheumatismus. 
Schmerzen und Schwellung der Gelenke vermindern sich, aotive Be¬ 
weglichkeit stellt sich allmälig wieder her. Vor Recidiven schützt 
Salipyrin ebenso wenig wie Antipyrin, Salicylsäure, Salol. Als Ge- 
sammtmenge pro die wurden meistens 6 Grm. gegeben, auf 6 einzelne 
Dosen von je 1 Grm. in 2stündlichen Intervallen vertheilt. Das Salipyrin 
wirkt auch günstig in Fällen von chronischem Gelenksrheumatismus 
und bei rheumatischer Ischias und hat keine unangenehmen 
Nebenwirkungen. Manche Kranke verbrauchten eine Gesammtmenge 
von mehr als 100 Grm. ohne jede Nebenwirkung. Nur in einem Falle 
trat ein vorübergehendes Arzneiexanthem auf. Auf Grund seiner 
Versuche, die sich auf einen Verbrauch von mehr als 2000 Grm. 
Salipyrin beziehen, faßt Guttmann sein Urtheil dahin zusammen, daß 
das Salipyrin ein brauchbares Arzneimittel ist, das für die gleichen 
therapeutischen Zwecke wie Antipyrin und Salicylsäure Verwendung 
finden kann. Bei beabsichtigter antifebriler Wirkung muß die Dosirung 
des Salipyrin doppelt so hoch sein, als die des Antipyrin. 

— Mayo Collier (London) berichtet im „Lancet“ vom 21. Juni 
über einen Fall von Heilung von Torticollis spastica mittelst 
Nervenligatur. Der Fall betrifft ein 21jähriges, gesundes Mädchen, 

') „Kosten, welche dnreh die über Veranlassung des erkrankten Mit¬ 
gliedes erfolgte Behandlung durch andere A"rzte erwachsen, werden von der 
Bezirkskrankencasse nur ersetzt, wenn diese Behandlung auf Anordnung oder 
mit Genehmigung des Vorstandes oder bei Gefahr im Verzüge geschehen ist.“ 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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in dessen Familie keinerlei Nervenerkrankungen zu verzeichnen sind. 
Die gegenwärtige Erkrankung der Patientin datirt seit 6 Jahren, 
sie entwickelte sich allmftlig und erreichte einen so hohen Grad, 
daß durch die Drehung des Kopfes das Unke Ohr mittelst eines 
plötzlichen Ruckes in eine Ebene mit dem Sternum gebracht wurde. 
Solche Krämpfe wiederholten sich mehrmals in der Minute und hielten, 
wenn auch schwächer, auch während des Schlafes an. Die verschie¬ 
densten Behandlungsmethoden (Galvanisation, Revulsiva, Entfernung 
der Tonsillen, Galvanocauterisation etc.) waren bereits erfolglos an¬ 
gewendet worden. Verf. legte den Accessorius bei seinem Austritte 
am äußeren Rande des Sternocleidomastoideus bloß, präparirte ihn 
möglichst hoch frei, wobei geringe Tractionen ausgeführt wurden, 
dann legte er einen Silberdraht so hoch als möglich an, um ihn leicht 
knüpfen zu können. Beim Erwachen aus der Narcose hatten die 
Krämpfe vollständig aufgehört. Die Wunde heilte per primam und 
die Kranke konnte nach 14 Tagen das Spital geheilt verlassen. 
Als Verf. die Patientin nach 3 Monaten sah, bestand keine Spur 
von Krämpfen, die Kranke konnte den Kopf nach jeder Richtung 
drehen und in jeder Stellung halten, ln einem vom April 1890 da- 
tirten Briefe (die Operation wurde im Jänner 1889 ausgeführt) be¬ 
richtet die frühere Patientin, daß sie sich wohler fühle und besser 
aussehe als je. 

— Heilung von Rotz mittelst Quecksilbereinreibungen wurde 
von Dr. Tizer in drei Fällen erzielt, über die er in Nr. 21 des 
„Sanitan. dielo“ berichtet. Der erste Fall betrifft einen Bauer, der 
über Schmerz und Gefühl der Schwere in den unteren Extremi¬ 
täten , Kopfschmerz, Beklemmung und Husten klagte. Die Körper¬ 
temperatur war 38*9 , der Puls 100. Die Auscultation der 
Lunge ergab kleinblasige Rasselgeräusche, die Percussion reine 
Töne. An den unteren und oberen Extremitäten waren Aus¬ 
schläge und Geschwülste wahrzunehmen. Die Krankheit dauerte 
bereits 8 Tage und der Patient konnte - sich nicht besinnen, 
irgendwie mit Pferden in Berührung gekommen zu sein. Die Anam¬ 
nese auf Lues war sicher negativ. Die bacteriologische Untersuchung 
ließ keinen Zweifel über die Natur der Krankheit. Da die bis jetzt 
gegen diese Infection angewandten Mittel sämmtlich ohne Erfolg 
sind, bo wollte Verf. hier eine Quecksilbercur versuchen mit Rück¬ 
sicht auf die Aehnlichkeit zwischen den Erscheinungen der Syphilis 
und des Malleus. Es wurden Inunctionen mit grauer Salbe und ein 
warmes Bad alle 2 Tage, Ausspülungen des Rachens mit chlorsaurem 
Kali und Chinin innerlich verordnet. Die Geschwüre wurden mit 
Jodoform bedeckt, später auch, behufs Anregung der Granulationen, 
mit dem Paquelin cauterisirt. Nach 68 Inunctionen im Laufe von 
3 Monaten, genas der Kranke vollständig, er befand sich nachträg¬ 
lich noch ein ganzes Jahr in Beobachtung des Verf. Es zeigte sich 
aber kein Recidiv. Die beiden anderen Fälle hatten einen ebenso gün¬ 
stigen Ausgang. 

— Dr. M. Friedländer empfiehlt in Nr. 8 der „Therap. 
Monatsh.“ folgende praktische Methode, Tuberkelbacillen zu fär¬ 
ben, welche unter gänzlicher Vermeidung der unhandlichen Deck¬ 
gläschen es ermöglicht, in 5 — 10 Minuten 2 Präparate herzustellen. 
Zu diesem Zwecke hat man stets vorräthig: 1. ZiEHL’sche Lösung, 
öprocentiges Carbolwasser mit alkoholischer Fuchsinlösung bis zur 
Concentration versetzt. 2. Eine Lösung von 100 Grm. SOprocentigern 
Alkohol und 5 Grm. Acid. nitric. pur. 3. Eine concentrirte Lösung von 
Methylenblau in Wasser. Der Gang der Färbung ist folgender: Von 
dem zu untersuchenden Sputum nimmt man mit Pincette oder Nadel 
eine möglichst geringe Menge, etwa soviel wie der Kopf einer 
Stecknadel, und verstreicht dieses mit einer sauberen Präparirnadel 
auf der einen Längsseite eines Objectträgers zu einer dünnen 
Schicht, welche etwa den Raum eines Zehnpfennigstückes bedeckt; 
dann läßt man das Ausstrichpräparat an der Luft trocknen und be¬ 
nutzt diese Zeit zur Herstellung eines zweiten Präparates. Nunmehr 
wird das lnfttrockene Präparat dreimal langsam durch die Flamme eines 
Bunsenbrenners oder einer Spirituslampe gezogen. Man bedeckt jetzt 
das Präparat mit 2—3 Tropfen der Fuchsinlösung und hält es, die 
bestrichene Seite nach oben, über die Flamme, bis leichte Dämpfe 
aufsteigen; jetzt wird das Präparat einmal durch eine Schale mit 
Wasser gezogen und dann mit einigen Tropfen des Salpetersäure¬ 
alkohols bedeckt, welchen man so lange, etwa 1 / a Minute, einwirken 


läßt, bis eine völlige Entfärbung eingetreten scheint; dann wird der 
Alkohol ebenfalls im Wasser abgespült, und nun setzt man einige 
Tropfen der Methylenblaulösung hinzu und läßt dieselben, ohne Er¬ 
wärmung, so lange einwirken, bis das zweite Präparat ebenfalls so¬ 
weit gediehen ist. Das Präparat wird nun noch einmal leicht durch 
Wasser gezogen und dann mit Fließpapier und über der Flamme 
völlig getrocknet. Man setzt nun direct auf das gefärbte Präparat, 
ohne ein Deckglas zu Hilfe zu ziehen, einen Tropfen Cedernöl und 
untersucht mit der Oelimmersion. Bei der Ausdehnung dieser Aus¬ 
strichpräparate werden im Allgemeinen zwei zur Benrtheilung eines 
Sputums genügen. 

— Augagneür (Lyon) empfiehlt in Nr. 38 der „Sem. m6d. w 
Bromkalium bei Syphilis, um die in der secundären und tertiären 
Periode auftretenden laryngealen und nervösen Erscheinungen zu be¬ 
kämpfen. Gegen die im secundären Stadium häufig auftretende 
Dysphonie, die durch Muskelcontracturen in Folge von Reizung der 
in der erytheraatösen Schleimhaut comprimirten sensiblen Nerven¬ 
enden hervorgerufen wird, verordnet Adgagneor: 

Rp. Kal. jodat.10 0—15'0. 

Kal. brom. 20*0. 

Syr. cort. aurant. . . HKPO. 

Aq. destill. 200‘0. 

MDS. 2 Eßlöffel voll täglich zu nehmen. 

Unter dem Einflüsse dieser Behandlung wird die Stimme schon 
nach 3 — 5 Tagen klangvoll, ein Resultat, das mit der specifischen 
Behandlung allein nie erreicht wird. Beiden tertiären syphilitischen Kehl¬ 
kopfkrankheiten , bei denen die Reflexerregbarkeit des Larynx zu¬ 
weilen von größerer Bedeutung ist, als die sie bedingende Ursache, da 
sie die Dyspnoe und das Keuchen steigert, empfiehlt Auoagneur 
folgende Behandlung: 

Tägliche Einreibungen mit 8 Grm. grauer Salbe und 3mal täglich 
einen Eßlöffel folgender Lösung in Zuckerwasser: 


Rp. Kal. bromat.*. 30 0. 

Aq. destill. 420‘0. 


Nach 5—6 Tagen hört die Dyspnoe auf. Hat das Keuchen 
aufgehört und die Stimme ihren gewöhnlichen Klang erlangt, so er¬ 
setzt man die obige Lösung durch folgende: 


Rp. Kal. jodat. 

Kali. brom. aa.30;0. 

Aq. destill. 400 0. 


Eine 3. Indication für die Anwendung des Bromkalium bei 
Syphilis bilden die Gehirnerscheinungen. Häufig bleibt die specifische 
Behandlung ohne jeden Einfluß auf die Gehirnsyphilis. Es beruht 
dies auf der Persistenz einer Reizung der die luetische Neubildung 
umgebenden Zone, auf die weder Jodkalium, noch Quecksilber einen 
Einfluß ausüben. Durch die Vereinigung von Jodkalium mit Brom¬ 
kalium genügt man beiden Indicationen: Man beeinflußt die Krank¬ 
heitsursache und setzt die Reflexerregbarkeit herab. Auf diese Medi- 
cation folgt immer eine rasche Besserung. Die Dosis Bromkalium 
braucht 3 Grm. täglich nicht zu übersteigen. 

— In der Soci6te nationale de medecine de. Lyon machte 
Gabriel Roux eine Mittheilung über die tödtliche Wirkung der 
Malzabfälle auf den Cholerabacillus. Bouillon aus Malzabfällen 
bildet einen ganz besonders günstigen Nährboden für die Entwick¬ 
lung mancher Bacterien, namentlich der Streptococcen. Hingegen 
entwickeln sich die Cholerabacterien in Bouillon aus Malzabfällen 
absolut nicht. Die Wirkung ist eine verschiedene, je nachdem man es 
mit einer Maceration oder mit einem Decoct zu thun hat. In einer 
5°/ 0 igcn Maceration entwickeln sich die Cholerabacillen gar nicht. 
Die überimpften Bacillen behalten aber für längere Zeit ihre Lebens-' 
fähigkeit, die Maceration besitzt also nur eine entwicklungshem¬ 
mende Eigenschaft. In einem 6%igen Decoct aber gehen die Bacillen 
auch nach 24—48 Stunden zu Grande. Diese bacterientödtende 
Wirkung findet bei jeder Reaction des Decoctes (sauer, neutral, 
alkalisch) statt. In Anbetracht dieser in vitro erzielten Resultate, 
der absoluten Unschädlichkeit der Malzabfälle für den Menschen, 
ihres Nährwcrthe8, ihres billigen Preises und der Leichtigkeit, die¬ 
selben zu beschaffen, scheint es nicht irrationell, die Malzabfälle bei 
Cholera asiatica, nostras, eventuell auch bei Dysenterie, per os oder 
per anum zu versuchen. Es würde sich empfehlen, den Versuch 


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mit einem 5—I0°/ O igen Decoct, mit einem Syrup versüßt, zu 
machen. Es ist dies ein ziemlich angenehmes Getränk, welches — 
wenn nicht Alles erbrochen wird — wahrscheinlich von den Kranken 
gut vertragen werden wird. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.-9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VII. 

Aus den Sectionen. 

Section für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Die Antisepsis in der Geburtshilfe. 

GALABIN (London), Ref., legt großen Werth auf die Einführung des 
Sublimats in die Geburtshilfe. Ein Vergleich der Resultate der Zeiten, 
wo Carbolsäure und übermangansaures Kali in Gebrauch waren, mit 
jenen, in welchen das Sublimat in Anwendung gezogen ist, ergibt für 
englische Kliniken, daß die Mortalität von 10 und mehr auf 2°,oo 
gesunken ist. Die Fälle von leichten Temperatorsteigerungen sind 
jetzt auf die Häfte reduoirt und die septischen Erkrankungen sind 
im Londoner Hauptgebärhaus von 40°/ 0 auf 2 1 / a °/ 0 gesunken. Eine 
SublimatlösÄg von 1 : -1000 hat sich für gewöhnlich als stark ge¬ 
nug erwiesen und nur in den ersten 3—4 Tagen braucht man zu 
einer solchen von 1 : 2000 zu greifen. 

In der Privatpraxis müssen für die Desinfection der Hände und 
Instrumente die gleichen Grundsätze wie in der Klinik gelten, 
nämlich keine Untersuchung ohne vorherige Desinfection der Hände 
mit 1% 0 Sublimat. 

Bei normalen Geburten genügt eine einmalige Ausspülung der 
Scheide mit Sublimat 1 : 2000 nach Ausstoßung der Nachgeburt, 
während für das ganze Puerperium Carbolinjeotionen von 2—2 1 / a °/. 0 
an zu wenden sind. 

Nach ernsten geburtshilflichen Eingriffen sollten mindestens 
4 Tage lang Sublimatspülungen 1 : 2000 gemacht werden. 

Schließlich ist Ref. der Ansicht, daß in der Privatpraxis eine 
gründliche Desinfection der Hände des Geburtshelfers und der Heb¬ 
amme das wichtigste sei. 

V. SLAWIANSKI (Petersburg), Corref., berichtet über den Ein¬ 
fluß der Antiseptik auf die Morbidität und Mortalität in den russi¬ 
schen Gebäranstalten, wobei er eine ausführliche Statistik der Ge¬ 
burten und Erkrankungen nach denselben aus 52 Gebäranstalten 
.vorlegt. 

Gestützt auf die Zahlen seiner Tabellen, stellt er folgende 
4 Thesen auf: 

1. Die Antisepsis findet in den Gebäranstalten Rußlands die 
allgemeinste und weiteste Verbreitung, so daß die puerperale Mor¬ 
bidität und Mortalität in denselben von Jahr zu Jahr sinkt und 
gegenwärtig ganz zufriedonstellende Zahlen aufweist, nämlich für 
das Jahr 1889 puerperale Erkrankungen 6’90°/ 0 und puerperale 
Sterblichkeit 0*28°/ 0 . 

2. Wenn die antiseptischen Maßregeln strenge und sachgemäß 
angewendet werden, darf die Anwesenheit des lernenden Personals, 
der Studenten, sowie der Hebammenschülerinnen keinen Einfluß auf 
die Morbidität und Mortalität in den Gebäranstalten ausüben. 

3. Bei ganz gleich möglicher Anwendung der antiseptischen 
Maßregeln hängt die Größe der Erkrankungs- und Sterblichkeits 
zahlen von einer größeren oder kleineren Frequenz pathologischer, 
operativer und complicirter Entbindungen in der Anstalt ab. 

4. Große Gebäranstalten unter der Bedingung einer strengen 
Antisepsis bringen dem Lande mehr Nutzen als kleine Gebärasyle. 

STADFELDT (Kopenhagen), Corref., ist ebenfalls der Ansicht, 
daß die Antiseptik, consequent durchgeführt, die Gebäranstalten nicht 
nur für den Unterricht, sondern zugleich auch als wahre Humanitäts¬ 
anstalten zu existiren berechtigt und führt als Beweis eine genaue 
Statistik der Mortalität an infectiösen Puerperalkrankheiten in den 
meisten skandinavischen Gebäranstalten an. Das Princip, Filialen 


unter Leitung von Stadthebammen zu errichten, welche den Gebär¬ 
anstalten adjungirt sind, ist nicht nur unnütz, sondern auch gefähr¬ 
lich, da eine energische Anwendung der Antisepsis viel leichter in 
den Anstalten als in den Filialen zu überwachen ist. 

Jedenfalls sind die schwereren Fälle in den Filialen schwieriger 
zu verhüten. 

Auch für die neugeborenen Kinder ist die Einführung der 
Antisepsis in die Geburtshilfe sehr heilbringend gewesen. So haben 
in der Kopenhagener Gebäranstalt die Todesfälle der Kinder an 
septischen Processen nach Einführung der Antisepsis sehr abge¬ 
nommen, und die Fälle von Trismus neonatorum sind seit mehr als 
20 Jahren in der Gebäranstalt nicht vorgekommen und nur ganz 
sporadisch in den Filialen. 

In der Privatpraxis muß die Hebamme ihre Person, Kleider 
nnd Apparate aseptisch halten , sorupulöse Reinlichkeit muß vorge¬ 
schrieben werden. Die Anweisung, leicht und zuweilen auch unent¬ 
geltlich Antiseptica, vorzugsweise Carbolsäure, zu erhalten, ist sehr 
zweckmäßig. 

Die Wochenbetlpflege dürfen die Hebammen nicht übernehmen, 
besonders dann nicht, wenn die Wöchnerin krank ist, ebenso muß 
dafür gesorgt werden, daß die Gebärenden und ihre Umgebung 
aseptisch seien. 

Die äußeren Genitalien müssen vor der Untersuchung genau 
gereinigt werden. 

Es fragt sich nun, ob die prophylactischen Ausspritzungen 
der Vagina in partu durch die Hebammen nicht mehr Schaden als 
Nutzen bringen können. 

Sollen die obligatorischen Ausspritzungen des Genitalcanals iu 
der Privatpraxis Nutzen bringen, so müssen sie mit einer solchen 
Energie und solchen Cautelen ausgeführt werden, wie sie bei der 
großen Mehrzahl der Hebammen nicht zu erwarten sind. 

Die Irrigation-apparate sind im Ganzen gefährliche Apparate 
für Hebammen, denn sie sind schwierig aseptisch zu halten und 
befinden sich öfter in einem sehr traurigen Zustand. 

Was die Methode betrifft, wie die Hebammen und die Ge- * 
bärenden aseptisch zu machen sind, so liegt die Hauptsache in 
einer genauen und energischen Bürstung und Abwaschung. Von 
den chemischen Dcsinfectionsmitteln empfiehlt Ref. Sublimatlösung 
1 : 1000 für die Hände und 3°/ 0 Carbolwasser für die Gebärende 
und Wöchnerin; Creolin hat sich weniger günstig erwiesen, als die 
anderen Mitteln. 

Während ihrer Hilfeleistung sollen die Hebammen nicht mehr 
untersuchen als nothwendig, und in den Geburtsverlauf so wenig als 
möglich eingreifen. 

Das Hauptgewicht muß auf die äußere Untersuchung gelegt 
werden, doch würde es gefährlich sein, wenn man den Hebammen 
die Anweisung geben würde, nur eine äußere Untersuchung vorzu- 
nehmen. Denn diese wird nicht immer ein ganz sicheres Resultat 
ergeben. Die Hebammen würden dadurch leicht zu Routinemenschen 
werden, so daß es angezeigter erseheint, den Hebammen die Wichtig¬ 
keit einer genauen Desinfection zu lehren, als sie bei der äußeren 
Untersuchung allein zu lassen. 

Was die Behandlung der Nacbgeburtsperiode betrifft, so ist 8. 
der Ansicht, daß die exspectative Behandlung die Geburtszeit ver¬ 
längert und eine größere Disposition zu Retention gibt, als eine 
mäßige Reibung der Gebärmutter und ein vorsichtiges Ausdrücken 
oder Wegnahme der Nachgeburt. 

Schließlich fordert 8., daß selbst leichte Fälle von Wochen¬ 
bettfieber der Behörde angezeigt werden sollen, u. zw. sowohl von 
der Hebamme, als auch vom Arzt. 

Einige Fälle in der Praxis einer Hebamtpe machen die gründ¬ 
lich controlirte Desinfection nothwendig und eine eventuelle Suspen¬ 
sion für einige Zeit wünschenswerth. 

FRITSCH (Breslau), Corref., stellt als erste These den Satz auf, 
daß bei gesunden Wöchnerinnen jede locale Behandlung zu unter¬ 
bleiben hat, wenn man nicht schon die Reinigung der äußeren 
Genitalien eine Behandlung nennen will. Es könnte nun die Frage 
entstehen, ob es nicht vorsichtiger wäre, bei niederem Fieber gleich 
alle erprobten antiseptischen und antipyretischen Mittel und Methoden 
local und innerlich zu gebr&aohen, als etwa durch Nichtsthun einen 


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schweren Fall zu tibersehen und den richtigen Zeitpunkt der leben» 
reitenden Therapie zu versäumen. Und in der That gibt es viele 
Aerzte, die auch heute noch bei geringem Fieber sofort wenigstens 
eine vaginale Ausspülung machen lassen. 

Dagegen ist zu sagen, daß geringe Fiebertemperaturen nament¬ 
lich bei Primiparis intra und extra muros der Klinik häufig sind. 

Solche Fälle gehen binnen Kurzem in Heilung über. Es wäre 
ein Zuviel, wollte man bei diesen geringen Fieberbewegungen, bei 
denen das Allgemeinbefinden völlig ungetrübt ist und die man ohne 
Thermometer kaum diagnosticiren würde, sofort irrigiren. Mit der 
Ausspülung macht man mechanisch duTch Dehnung der Scheide, 
durch Erhebung des Uterus oder sogar direct mit dem Rohr in den 
ersten Tagen sicher kleine Wunden; eine absolute Reinigung, resp. 
Sterilisation der Scheide ist nicht zu erzielen. 

Werden die Spülungen nicht vorsichtig gemacht, nicht metho¬ 
disch fortgesetzt und oft wiederholt, so verschwindet das Desinficiens, 
fließt aus, wird chemisch zersetzt oder resorbirt, ehe alle Keime ge- 
tödtet sind. 

Es rücken von oben neue Lochien herab, neue Nährflüssig¬ 
keiten für die üppige Entwicklung alter, noch lebensfähiger Keime. 
Schnell tritt Zersetzung ein, und die vielen kleinen Wunden resor- 
biren. Somit wird durch eine Ausspülung, namentlich von unge¬ 
schickter Hand, nur geschadet. Freilich könnte man durch metho¬ 
dische, etwa zweistündliche schonende und geschickt ausgeführte 
Irrigationen diesen Uebelstfinden begegnen. Diese Methode wäre 
aber eine große Belästigung der Wöchnerin, sie ist ferner schmerz¬ 
haft, geistig aufregend, zeitraubend, anstrengend für den Arzt und 
in der Laudpraxis überhaupt nicht durchführbar. 

Es scheint aber bedenklich, Behandlungsmethoden zu lehren 
und zu verlangen, die nur im gut eingerichteten Hospital, nur bei 
geschultem Personal und bei vielen Hilfskräften möglich sind. 

F. untersagt den Hebammen im Wochenbett jede Spülung, 
womit nicht gesagt ist, daß der Arzt allein befähigt sei, eino Aus 
Spülung zu machen, sondern weil er allein die Indication richtig 
stellen kann und die Entscheidung darüber haben soll, ob eine 
Spülung gemacht wird oder nicht. 

Bei niedrigem Fieber, sogenanntem Resorptionsfieber, ist somit 
nichts zu thun, als genau zu beobachten, hingegen sind bei hohem 
Fieber die intrauterinen Ausspülungen angezeigt. Hier ist eine ener¬ 
gische Therapie gerechtfertigt und nothwendig, u. zw. besteht dio 
Aufgabe derselben darin, erstens den Organismus zu kräftigen, 
zweitens Stoffe, deren Resorption gefährlich ist, wegzuschaffen und 
dadurch gleichzeitig die Flüche, welche schon inficirt ist uud resor¬ 
birt, zu desinficiren. Die allgemein kräftigenden Mittel, wie Wein, 
Bier, Cognac, Eier, Beafsteak etc., nützen jedoch nicht, weun im 
Uterus und der Vagina fortwährend eine große Menge Infections- 
stoffe liegen, die sich immer mehr vermehren und resorbirt werden. 

Durch die Ausspülung des Uterus erreicht man einen doppelten 
Erfolg; man schafft die schon gebildeten schädlichen Stoffe fort, 
verhindert die Bildung neuer Gifte und sendet in die Gewebe hinein 
Medieamente, welche noch in den Geweben local bactcrientödtend 
wirken. 

DöOERLEIN (Leipzig) hält die bacteriologisehe Untersuchung 
der Scheidensecrete wichtig für die Frage, ob eine innere Desin- 
fection der Kreissenden möglich ist oder nicht. Untersucht man das 
Scheidensecret Schwangerer, so findet man zwei Typen von Bacterien. 
Der eine stellt ein stark sauer reagirendes, eigentümlich käsig 
krümmliches Secret dar, welches ausschließlich Bacillen enthält. Es 
ist dies das Secret der gesunden Scheide. 

Die hohe Acidität des Secrets verhindert die Entwicklung der 
in die Scheide gelangenden ubiquistischen Keime, so daß nur be¬ 
stimmte Arten von harmlosen Bacillen in demselben vegetiren können. 
Bei diesen Scheiden kann bei der Geburt von einer Desinfection 
Umgang genommen werden, auch wenn innerlich untersucht wer¬ 
den muß. 

Der 2. Typus stellt ein dünnflüssiges, alkalisches Stcret dar, 
in welchem massenhaft Coccen enthalten sind, welche in dem alka¬ 
lischen Secret sehr gut vegetiren. 

Dieses Secret stellt eine der Infectionsquellen bei Geburten, 
bei denen innerlich untersucht werden muß, dar. 


Die Kreissenden der letzten Gruppe müssen innerlich desin- 
ficirt werden. 

Obwohl die Untersuchungen nach dieser Richtung noch nicht 
abgeschlossen sind, so dürfte eine weitere Verfolgung derselben für 
die Desinfcctionspraxis in der Geburtshilfe von Werth sein. S. 


Notizen. 

Wien, 20. September 1890. 

(6 3. Versammlung der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte.) Man schreibt uns aus Bremen 
unter dem 16. d. M.: „Die gestern Morgens unter dem Vorsitze des 
Berliner Chemikers, Prof. A. W. v. Hofmann, eröffnete 63. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte bot auch äußerlich 
nicht jenes bewegte Bild, das wir auf den früheren deutschen Natur¬ 
forscherversammlungen zu sehen gewohnt waren. Wenn auch nicht 
hinweggeleugnet werden kann, daß das Interesse, namentlich der 
ärztlichen Kreise, durch den giäuzenden Verlauf des internationalen 
Berliner Congrosses vollauf absorbirt wurde, ein Umstand, dor auch 
die geringere Betheiligung von Seite der Aerzte zur natürlichen 
Folge hatte, so zeigte doch auch die seit der Statuten-Aendernng 
im Vorjahre neu organisirte Versammlung in ihrem Programm nicht 
jene Mannigfaltigkeit von Vorträgen, wie sie sonst auf Congressen 
gleichen Ranges erwartet werden kann. Nach Eröffnung der Ver¬ 
sammlung wurde dieselbe von dem ersten Geschäftsführer Dr. Pletzer 
und seitens des Senates vom Bürgermeister unserer Stadt, Herrn 
Pauli, begrüßt. Herr Dr. Pletzer namentlich führte aus, wie seit 
dom Aufschwung der naturwissenschaftlichen Forschung die Natur¬ 
wissenschaft und ihre Pflege von Bremen aus stets wirksam ge¬ 
fördert worden sei; in ausführlicher Weise orörtert überdies die 
Festgabe der Stadt den Antheil, den einzelne ihrer berühmten 
Söhne an dem Ausbau und der Entwicklung naturwissenschaftlicher 
Discipliuen genommen haben. Nachdem Gruß und Gegengruß ge¬ 
tauscht worden, nahm als erster v. Hofmann zu einem längeren 
Vortrage das Wort, indem er einen geschichtlichen Uoberblick über 
die Ergebnisse der Naturforschung seit Begründung der Versamm¬ 
lungen (1822) gab. Das war einmal ein Vortrag, wie er uns 
nur selten in den langathmigen Exposes gelehrter Versammlungen 
geboten wird; denn Professor v. Hofmann weiß wie nicht viele 
seiner Berufsgenossen dio geistvolle Causerie mit dom Ernst wissen¬ 
schaftlicher Würde zu vereinen. — Nach Hofmann sprach der 
Bremer Ober Baudirector Franzius über die Fluthbewegung zwischen 
Helgoland und Bremen und erörterte die Bedeutung dieser Frage für die 
Zukunft Bremens als Seestadt. — Von wissenschaftlichem Interesse 
war der letzte Vortrag des ersten Tages über „Die pelagische 
Thierwelt in großen Tiefen“ von dem Königsberger Prof. Carl 
Chun. Der Vortragende gab in glänzender Darstellung einen Ein¬ 
blick in die Fauna der Tiefsee und führte uns die große wissen¬ 
schaftliche Bedeutung der noch jungen Tiefseeforschung vor Augen, 
die seit der letzten Expedition im vorigen Jahre durch Hk.nsen in 
Kiel in ihren Methoden bereichert und verbessert wurde. Das von 
Chun im Vereine mit Petersen neu angegebene Schleppnetz hat 
die Fauna in einer Tiefe von über 8000 Fuß der Beobachtung 
zugeführt und die Wunder einer Welt, iu die weder Licht, noch 
Schall dringen, unserer Erkenntniß näher gebracht. — Am zweiten 
Tage bewirthete der Senat unserer Stadt die Naturforscherversamm¬ 
lung im Prachtsaale des Börsengebäudes. — Als Vorort pro 1891 
wurde Halie a. S. gewählt, obgleich Frankfurt a. M., woselbst im 
nächsten Jahre eine große elektrische Ausstellung statthaben wird, 
eine dringende Einladung entsendet hatte. — Ucber den weiteren 
Verlauf der Versammlung, sowie die wichtigeren Vorträge der 
medicinischen Scctioneu werde ich mit thunlichster Beschleunigung 
berichten.“ 

(Aerztokammeru.) Der Abg. Dr. Fuss, welcher dem 
IX. Österreichischen Aer/.tcvereinstage als Gast anwohnte, bemerkte 
in der Discussion, welche dem von Dr. Kohn erstatteten Referate 
über die Aerztekammern folgte, die Stimmung des Abgeordneten¬ 
hauses sei dem RosER’schen Gesetzentwürfe günstig, und versprach, 


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1890. — Wiener Medizinische. Presse. 


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unmittelbar nach Wiederzusammentritt des Reicbsrathes dahin wirken 
zu wollen, daß dieser Entwurf noch in der laufenden, ihrem Ab¬ 
schlüsse nahen Session zur Berathung gelange. Der Aerztevereinstag 
nahm diese, die Realisirung der Aerztekammcrn in nahe Aussicht 
stellenden Versicherungen mit lebhaftem Beifall entgegen 

(Die Districtsärzte Mährens) haben bekanntlich vor 
Jahresfrist eine Petition an den mährischen Landesausschuß gerichtet, 
in welcher sie die Einberufung einer Enquöte behufs Aenderung 
einzelner, die Districtsärzte belastender Bestimmungen des Landes¬ 
sanitätsgesetzes vom Jahre 1884 erbitten. Einem Beschlüsse des 
Landesausschusses zufolge wurde diese Enquete für den 19. d. M. 
einberufen« 

(Ueber die Vorausbestiramung des Geschlechtes.) 
Einen neuen, nicht uninteressanten Beitrag zu dieser, in jüngster 
Zeit viel ventilirten Frage liefert G. Herz im „Arch. f. wiss. u. 
prakt. Thierheilk.“, einer Arbeit, durch welche sich der Autor als 
Anhänger der FiQUET’schen Theorie bekennt, zu deren Gunsten 
auch seine eigenen Erfahrungen zu sprechen scheinen. Fiquet, ein 
nordamerikanischer Züchter zu Houston in Texas, hatte die Be¬ 
merkung gemacht, daß der bei der Begattung sich als „stärker“ 
erweisende von beiden Erzeugern das dem seinen entgegengesetzte 
Geschlecht bedingt. Bei der Rindviehzucbt erreichte er diesen Unter¬ 
schied der Erzeuger durch systematisches Vorgehen in der Haltung 
und Pflege der Thiere. Wenn er ein Junges männlichen Geschlechts 
erzielen wollte, ernährte er die Kuh auf das Splendideste mit kräftigem 
Futter, während der Stier schmalere Kost erhielt und möglichst viel 
zum Bespringon anderer Thiere verwendet wurde. Wollte er weib¬ 
liche Junge erzielen, so erhielt der Stier kräftiges Futter und wurde 
nicht zum Bespringeu verwendet, die Kühe dagegen, die diesem 
Thier zugeführt werden sollten, wurden mit geringwertigem Futter 
ernährt, und um sie in geschlechtlicher Hinsicht noch besonders 
ahzuschwäehen, ließ er zwischen der Kuhheerde ein castrirtes männ¬ 
liches Thier sich aufhalten, welches durch sein fruchtloses Bespringen 
der Kühe und durch Nichtbefriedigung ihrer geschlechtlichen Auf¬ 
regung ihre Zeugungskraft vermindern sollte. In 32 Fällen will 
der erwähnte Züchter auf diese Weise sein Ziel erreicht haben. Zur 
Nachprüfung dieser Augaben stellte Verf. 2 kleine Versuchsreihen 
mit je 2 Ziegen und einem Bock an; Ziegen und Bock der ersten 
Reibe wurden auf männl'che, die der zweiten Reihe auf weibliche 
Nachkommen vorbereitet, und zwar so, daß Ziegen I und Bock II 
reichliche Nahrung erhielten, während Ziegen II und Bock I dürftiger 
gehalten, auch zeitweise zur Arbeit verwendet wurden. Das Resultat 
war, daß von Gruppe I, die auf männlicho Nachkommen vorbereitet 
war, die Ziege I a 2 Junge gebar, von welchen das eine männlichen, 
das andere weiblichen Geschlechts war; Ib gebar 2 männliche 
Ziegen. Von Gruppe II, die auf weibliche Nachkommen vorbereitet 
war, brachte IIa 1 weibliches Junge, IIb 2 weibliche Junge 
zur Welt. — Wir werden in einer unserer nächsten Nummern 
eine ausführliche Darstellung dieser von Janke , unabhängig von 
Herz, auf den Menschen angewendeton Theorie veröffentlichen. 

(Bibliographie). Im literarischen Einlaufe der letzten Wochen 
finden sich zwei Werke, welche nicht nur durch ungewöhnlichen Um¬ 
fang, sondern auch durch den Zweck, welchem sie gewidmet sind, 
die Aufmerksamkeit der ärztlichen Welt erwecken. Das erste, 96 Bogon 
starke Buch führt den Titel: „The national medical Dictio¬ 
nary“ und ist von dem als literarischen Encyclopädisten vortheilhaft be¬ 
kannten Dr. John 8. Billings unter Mitwirkung mehrerer Fachgenossen 
herausgegeben. Es enthält jn alphabetischer Reihenfolge alle medi 
cinisch-tecbnischen Ausdrücke in englischer, französischer, deutscher, 
italienischer und lateinischer Sprache, sowie zahlreiche, praktisch 
wichtige Tabellen über Dosirung der Arzueimittel, Gifte und Gegen¬ 
gifte, Brillen, Lebensalter, Körperlänge, die Dimensionen sämmtlicher 
Organe und Körpertheile des Menschen und Fötus, vergleichende 
Thermometerscalen, Nabrungsmilteitafeln etc. Im Verlage von Lea 
Brotbors & Comp, in Philadelphia erschienen, stellt das Riesenwerk 
eine Summe von Arbeit dar, wie sie in gleichem Maße vielleicht 
nur in Billings großem Index medicus gefunden werden kann. — 
Das zweite bei Brockhaus erschienene Buch, die von Dr. Theodor 
Maxwell und zahlreichen Mitarbeitein zusammengestellte Termi- 
n o 1 o g i a m e d i c a p o 1 y g 1 o 11 a, ist ein internationales Wörterbuch 


der medicinischen Terminologie und bezweckt, „den Aerzten der ver 
schiedenen Nationen beim Studium der medicinischen Literatur 
anderer Länder hilfreich an die Hand zu gehen“. Berücksichtigt 
sind die lateinische, englische, französische, deutsche, italienische, 
spanische und russische Sprache. Behufs Vermeidung von Wieder¬ 
holungen wurde die französische Sprache als Grundlage gewählt; 
französische Ausdrückse sind in’s Deutsche, Lateinische, Englische, 
Italienische, Spanische und Russische, ferner lateinische, englische, 
deutsche, italienische und spanische Ausdrücke in’s Französische 
übersetzt worden, so daß dem der französischen Sprache Mäch¬ 
tigen einmaliges, dem auch diese Sprache nicht Beherrschenden 
zweimaliges Nachschlagen genügt, eine wahrhaft unübertreffliche, 
die Uebersicht sehr erleichternde Anordnung. — Die beiden 
besprochenen Werke ergänzen einander in vollendeter Weise und 
ermöglichen in der That dem nicht polyglotten Leser die nutz¬ 
bringende Verwerthung fremdsprachiger Literatur, während sie die 
literarische Thätigkeit des auch eine oder die andere fremde Sprache 
Sprechenden wesentlich erleichtern So lange der kürzlich in Frank¬ 
reich laut gewordene Wunsch nach Oreiruug einer „internationalen 
Gelehrtensprache“ nicht in Erfüllung geht — die derzeitige und 
wohl noch mehrere Aerztegenerationen dürften derselben vergebens 
harren — werden das „Medical Dictionary“ und die „Terminologia 
medica polyglotta“ den besten und bequemsten Ersatz für das noch 
fehlende Volapük der Gelehrten bilden. 

(Choleranachriehten.) In Spanien sind nach amtlichen 
Ausweisen in der Zeit vom 1.—5. September 225 Erkrankungen mit . 
110 (=49‘7°/o) Todesfällen zur Anzeige gelangt, was einer Ab¬ 
nahme der Erkrankungs- und Mortalitätsziffer im Vergleiche zu den 
Vorwochen gleichkommt. Die Gesammtzahl der Choleraerkrankungs¬ 
fälle seit Beginn der Epidemie wird mit 3223, jene der Todesfälle 
mit 1647 (= 51%) angegeben. In Madrid selbst sind im Monate 
August 6 Todesfälle an Cholera vorgekommen. — Nachdem nunmehr 
alle Pilger Mekka verlassen haben, ist daselbst die Epidemie seit 
23. August erloschen, in Djedda, wo vom 17. August bis 1. Sep¬ 
tember 152 Personen an Cholera gestorben sind, in Abnahme. Die 
Pilger führenden Schiffe passiren den Suezcanal unter militärischer 
Bewachung. Die russische Regierung hat den Behörden im Kaukasus 
untersagt, den dortigen mohamedanischen Unterthanen Pässe für 
Pilgerfahrten nach der Türkei oder Persien auszustellen. 

(Statistik.) Vom 7. inclusive 13. September 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 3726 Personen behandelt. Hievon worden 6<1 
entlassen; 78 sind gestorben (I0'4% des Abganges). In diesem Zeiträume 
worden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Stalthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 33, egyptischer Augenentzöndnng —, Cholera—, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphns 17, Dysenterie 1. Blattern 13, Varicellen 6, Scharlach 16, 
Masern 65, Keuchhusten 31, Wundrothlauf 4. Wochenbett lieber 2. — In 

der 37. Jahreswoche sind in Wien 261 Personen gestorben (—44 gegen 
die Vorwoche). 


Die merticinisch-wisseiischnltliche Ausstellung in Berliu. 

IV. 

Auf dem Gebiete der Krankenpflege sind besonders die 
Neuschöpfungen für Krankenhaus- und Heilanstaltsbauten, für Des- 
infectionsapparate und Volksbäder vorgeführt. Ungefähr 30 große 
Kranken , Heil-und klinische Anstalten, darunter Dr. Eder s Privat¬ 
beilanstalt in Wien, 8 Volksbäder und 16 verschiedene Desinfections- 
Vorkehrnngen sind ausgestellt worden. Es gibt das im Vorein mit 
den ausgestellten Einzelapparaten für Krankenpflege, Badeeinrich¬ 
tungen u. 8. w. ein gutes Bild dos rastlosen Schaffens auf diesem 
Gebiete. Besonderes Interesse erregte die Sonderausstellung der 
Stadt Berlin, welche Pläne städtischer Krankenhäuser, Lagerungs¬ 
und Gebrauchsgegenstände aus Krankenräumen, städtischen Desiufec- 
tionsanstalten etc. enthielt. 

An die durchgreifenden Neuorganisationen, welche das Feld- 
Sa nitäts wesen der Armee im Jahre 1878 durch Erlaß der 
Kriegs-Sanitätsordnung erfuhr, hat sieh im verflossenen Jahrzehnt 
eine Reihe weittragender fortschreitender Neugestaltungen auf wich¬ 
tigen Gebieten desselben vollzogen. Ausgangspunkt derselben war 
dio Aenderung, welche sich für die Kriegs•liirurgio mit der Ein¬ 
bürgerung der antiscp ischen Wundbehandlung in ganz besouder. r 


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1520 


Weise gerade für das Heeres-Sanitätswesen zur Nothwendigkeit 
machte. Bereits auf der S&nitätseonferenz im Jahre 1883 zu Berlin 
konnte seitens der Medicinalabtheilung des Kriegsministeriums ein 
Plan zur Umgestaltung der Kriegs-Sanitfitsausrüstung auf der Grund¬ 
lage aseptischen und antiseptischen Verfahrens vorgelegt werden. 
Er gelangte seitens der Conferenz zur Annahme und ist für das 
Kriegs-, wie für das Friedens-Sanitätswesen nunmehr seit Jahren 
dnrchgefflbrt. Mit der hiedurch bedingten Neuordnung der Verband¬ 
mittel und Instrumentenausrüstung ging eine Aenderung der Mediea- 
mentenausstattung Hand in Hand. Im Zusammenhänge mit diesen 
Maßnahmen standen auch wesentliche Verbesserungen des Kranken¬ 
transportwesens im Felde durch Ausbildung und Entwicklung der 
hiefür bestimmten Krankentransportwagen der Sanitätsdetachements, 
der Lagerungsvorrichtungen in den Eisenbahn Sanitätszügen, durch 
Einführung besonderer Lagerungsmittel für Schwerverletzte, um für 
diese einen gefahrlosen Transport auch bei ungünstigen Wagen¬ 
verhältnissen und Beförderungsmitteln zu ermöglichen, und endlich 
durch Inanspruchnahme der flüchtigen schmalspurigen Feldbahnen 
für die Beförderung zu Lande und der Schiffslazarethe für den 
Transport auf den Wasserstraßen. Mit der hiedurch gesteigerten 
und vorvollkommneten Durchführung des Kranken- und Verwundeten- 
Abschubes vom Kriegsschauplätze wurde gleichzeitig für die Sicher¬ 
stellung ausreichender und gesundheitsgemäßer Kranken-Unterkunfts- 
räume im Felde Sorge getragen. Die Einführung und Ausbildung 
des Systems transportabler Krankenbaracken, welche vom Heimats¬ 
lande an den Ort des Bedarfs im Bereich des mit Krieg über¬ 
zogenen Gebiets versandt werden sollen, war hiezu der erste Schritt. 
Sein Gelingen führte alsdann zur Ausbildung vollkommener, in sich 
abgeschlossener versendbarer Lazarethe, welche außer den trans¬ 
portablen Baulichkeiten auch deren innere Ausstattung mit Lager¬ 
stellen, Möbeln, Instrumenten und Medicamenten und den gesummten 
Geräthen für den Küchen- und Wirtbschaftsbetrieb erhalten und 
sonach aus ihren eigenen Mitteln jeden Augenblick und an jedem 
beliebigen Ort errichtet und in Betrieb gesetzt werdon können. Der 
Neugestaltung der Wundbehandlung entsprechend, mußten noth- 
wendigerweise die für die Verwundeten bestimmten Hilfs- und Pflege¬ 
kräfte eine andere, dem neuen Standpunkt angepaßte Ausbildung 
erfahren. Für diese wurden Unterlagen geschaffen durch die Bear¬ 
beitung einer neuen Krankenträger Ordnung, eines Lazarethgehilfen- 
Unterrichtsbucks und eines aus letzterem zusammongestellten Unter¬ 
richtsbuchs für die freiwilligen Krankenpfleger; den erhöhten An¬ 
sprüchen an die Ausbildung gegenüber wurden die Lehrmittel, 
besonders für den Anschauungsunterricht der Krankenträger, Lazareth- 
gehilfen und Krankenwärter erheblich erweitert. Neben der ausge¬ 
dehnten Sorge für die erste Hilfe bei Kranken und Verwundeten, 
für Unterbringung in zweckentsprechenden Lazarethen und für die 
Sicherung des Heilerfolgs wurde die vorbeugende Thätigkeit auf 
dem Gebiete der Gesundheitspflege nicht außer Acht gelassen. Alle 
die umgestaltenden Fortschritte derselben hatten nirgends größere 
Aussicht auf eine sachgemäße Anwendung und erfolgreiche Ausbeu 
tung, als in dem einheitlich geregelten Militär- Sanitätswesen. Mit 
den Operationscursen, welche seit Anfang der 70er Jahre zur Er¬ 
höhung der kriegschirurgischen Fertigkeit der Sanitätsofficiere der 
Armee ein- und mit sichtbarem Erfolge durchgeführt sind, ist seit 
geraumer Zeit die Unterweisung und technische Ausbildung derselben 
in der Hygiene und in bacteriologischen Arbeiten verbunden. Im 
medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Institut zu Berlin wurde 
ein in allen Anforderungen der Neuzeit entsprechendes chemisch- 
hygienisches Laboratorium eingerichtet, während beim Garnison- 
lazaretb I Berlin , sowie in den sämmtlichen Corps-Stabsquartieren 
am Sitze der Oeneralcommandos hygieuische Untersuchungsstollen 
geschaffen wurden. Hiedurch wurde Gelegenheit geboten, die er¬ 
forderlich werdenden Untersuchungen entweder im Laboratorium 
oder mit Hilfe zusammengestellter bacteriologischer Untersuchungs¬ 
kästchen auch an Ort und Stello vorzunehmen. Außerdem erhielten 
die Garnisonlazarethe Mikroskope, welche auch dort bacteriologische 
Untersuchungen in bester Weise ermöglichen. 

Die neueren Ergebnisse der Hygiene fanden besondere Be¬ 
rücksichtigung in der dauernden Prüfung und Ueberwachung der 
Trinkwasser Versorgung der Armee, in der Gewährung von Hilfs¬ 
mitteln zur Wasserverbesserung durch geeignete Filter-Einrichtungen 


und in einer gesteigerten Seuchen-Prophylaxo. Für letztere warde 
das Desrafections-Verfahren auf der Grundlage der neuesten An¬ 
sehauungen duroh ausgiebige Beschaffung von Desinfeötions-Apparaten 
und Anlage von Desin feotions Anstalten eingeführt und sichergestellt. 
In ihnen erfolgt nicht nur die Desinfection der Kleidungsstücke Er¬ 
krankter, sondern vorbeugend auch die Reinigung der Uniformstücke 
der gesunden Mannschaften in regelmäßigen Zwischenräumen. Die 
seit nahezu 60 Jahren eingeführte Schutzpocken-Impfting, welche 
sich ungemein segensreich erwiesen hat, wurde verbessert duroh 
Einführung der animalen Impfung im Heere, und einer weiteren, 
nunmehr als ansteckend erkannten Krankheit, der Tuberoulose, 
welche nicht minder gefahrdrohend für die Armee ist > .als dies 
früher die Pocken waren, sind durchgreifende Vorbeugungsma߬ 
regeln entgegengestellt worden. Ein wichtiges Hilfsmittel endlich 
zur Begrenzung und Unterdrückung epidemischer Krankheiten ist 
gewonnen in den versendbaren Krankenbaracken, mittelst deren die 
Armee jetzt in der Lage ist, überall zur Absonderung der An- 
Bteckungsqnellen an geeigneten Stellen sofort Seuchenlazarethe zu 
errichten. Alle diese Maßnahmen auf dem Gebiete des Kriegs- und 
Friedens-Sanitätsdienstes haben in der Ausstellung der Kriegsmini- 
steriums-Medicinalabtheilung soweit als thunlich eine Veranschauli¬ 
chung durch Pläne oder Vorführung der Gegenstände in natürlicher 
Größe gefunden. 

Aus der Gruppe der wissenschaftlichen Präparate, Modelle 
und Lehrmittel ragen die Objecte des ersten anatomischen und 
des gerichtlich-medicinisohen Institutes der Wiener Universität, sowie 
die trefflichen Wiedergaben von Hautkrankheiten in Form von 
Wachspräparaten und Photogrammen (Dr. Lassar) und die plastische 
Sammlung der NKüMANN’schen Klinik für Syphilis in Wien hervor. 

In der Gruppe „Literatur“ sind die hervorragendsten medi- 
cinischen Verlagshandlungen Deutschlands und Oesterreichs, darunter 
an hervorragender Stelle die Firmen Urban & Schwarzenberg, 
Abel, Enke und Werden vertreten. Auch die Redactionen der größeren 
medicinischen Fachblätter sind unter den Ausstellern verzeichnet. 

Schließlich ein Blick auf die reich beschickte b a 1 n e o 1 o- 
gisohe Gruppe. In endlosen Reihen standen sie hier, die Flaschen, 
Fläschchen und Krüge mit bekannten Vignetten, die Sauerbrunnen, 
Quellsalze, Bitterwässer, die Badezusätze u. s. w. Besondere Auf¬ 
merksamkeit erregte die Ausstellung der bekannten Firma Heinrich 
Mattoni, deren weltberühmter Gießhübler, in bedeutender Quantität 
dem Congresse gespendet, beim Rathhausfeste lebhaften Zuspruch 
der Aerzte fand, ferner die Expositionen der Carlsbader Mineral¬ 
wasser-Zusendung (Löbel Schottländer), der Brunnenverwaltungen 
in Friedrichshall, Homburg, Ober-Salzbrunn, Kreuznach und Bilin. 


Die Firma Heinrich Mattoni in Franzensbad, welcher vor Kurzem 
vom k. and k. gemeinsamen Reichs-Finanzministerinm das ausschließliche 
Versendungsrecht der „Guber-Quel le 1 *, natürliches arsen- und eisenhaltiges 
Mineralwasser von Srbrenica in i osnien, übertragen wurde, versendet eben 
an die Herren Aerzte Circulare, worin sich genannte Firma bereit erklärt, 
den Herren Aerzten zum Gebrauch in der Armen- oder Spitalspraxis, oder 
ad usum proprium 15 Flaschen Guberquelle kostenfrei gegen Empfangs¬ 
bestätigung zu übersenden, was wir hiedurch zur allgemeinen Kenntniß bringen. 


Dem Fabiikanten chirurgischer Instrumente und Bandagen, J. Odelga 
in Wien, warde auf der allgemeinen Ausstellung für Kriegskunst und Armee¬ 
bedarf in Cöln a. Rh. die goldene Medaille zuerkannt. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare) 

Rupprecht F., Die Krankenpflege im Frieden und im Kriege. Mit 442 Abb. 
Leipzig 1890. F. C. W. Vogel. 

Vierordt H., Kurzer Abriß der Percussion und Auscultation. III. verb. Aufl. 
Tübingen 1890. Franz Fnes. 

Vierordt H., Altes und Neues in der Therapie. Tübingen lb90. Franz Fnes. 
Wiclimann R., Der chronische Gelenksrheumatinmns nnd seine Beziehungen 
zum Nervensystem. Mit Abb. B erlin 1890 L. Heuser. 

Verantwortlicher Reducteur: Dr. M. T. dchnirer. 

Corse nr Aerzte m Massap ms liöiäsi 

an klinischem Material. 

Theilnehmerzahl beschränkt. — Dauer. 3 Wochen. — Anmeldung oe 
Dr. Anton Bum in Wien, I, Hegelgasse 21 (3—4). 


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Nr. 39. 


Sonntag den 28. September 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Onart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
ln Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse" und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halhj. 6 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. FürdieStaaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 6 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Anslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


Begründet 1860. 


■-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Ueber die Classification der Blasentumoren. Von Sir Henby Thompson in London. — Chronische 
circtunscripte Entzündung und Polyp des äußeren Gehörganges als Drnckerscheinung in Folge eines Cernmenpfropfes. Von Dr. A . Eitelbekg in 
Wien. — Ueber eine eigenthümlkhe Form von periodischer, familiärer, wahrscheinlich anto-intoxicatorischer Paralyse. Von Dr. S. Goldflam in 
Warschau. — Mittlieilungen ans der Praxis. Gefahrlose Behandlung des Trachoms mit Jequirity. Von Dr. Büsch, Curarzt in Bad Hall (O.-Oe.) — 
Referate and literarische Anzeigen. G. Ske (Paris): Anwendung der Cannabis indica in der Behandlung der gastrischen Nenrosen und 
Dyspepsien. — H. Zwaahdemakek (Utrecht): Anosmie. — Die Pathologie und Therapie der Mnndathmnng. Von Dr. Emil Bloch in Freiburg. — 
Feuilleton. Die Krankencassen und die Aerzte. Von Prof. Dr. Janovsky in Prag. — Kleine Mitthellungen. Die Möglichkeit der Verabreichung 
von Medicamenten durch Trachealinjectionen. — Bals. copaivae als Dinreticum. — Behandlung der Diphtherie. — Ueber den Einfluß des Geschlechtes 
auf die Localisation der Ohrenerkrankungen. — Die Wirkung der Borsäure anf die Lungenschwindsucht. — Ueber die Anwendung des Chloroforms 
in sehr kleinen Dosen zur Hervorrufung des hypnotischen Schlafes. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler medizinischer 
Congreß. Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. (Orig.-Ber.) VIII. — 63. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte. 
Gehalten zu Bremen, 15.—19. September 1890. (Orig.-Ber.) I. — Notizen. Neue organische Bestimmungen für das militär-ärztliche Officierscorps. — 
Eingesendet. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

— _ , _ . - - . - . . - » .. ^ - - - - , . . . , -- - =a= _ . . _ - . . — ■ _ _ _— _ 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die Classification der Blasentnmoren. 

Von Sir Henry Thompson in London. *) 

Die Ghtadficatiön, die ich mir vorzuschiagen erlaube, 
ist zum größten Theile auf meine eigenen Erfahrungen über 
41 von mir operirte Fälle gegründet, von denen jeder einzeloe 
von einem eompetenten Pathologen untersucht wurde, sowie 
auf eine Reihe anderer Fälle, die ich in der Consultätions- 
praxis zu beobachten Gelegenheit hatte und bei denen aus 
verschiedenen Gründen eine chirurgische Intervention nicht 
gestattet wurde; schließlich auf das Studium zahlreicher 
Präparate aus dem Londoner Museum. Aus diesen Quellen 
haben sich folgende Varietäten von Blasentumoren ergeben, 
deren Classification ich im Folgenden versuchen will: 

1. Die Schleimpolypen, nicht zu verwechseln mit 
der Prostatahypertrophie ähnlicher Form, die nicht in das 
Schema der Blasentumoren gehört. Diese Geschwülste sind 
den Nasenpolypen ähnlich, mit dem Unterschiede, daß sie eine 
viel compactere und festere Structur besitzen, als diese. 
Dieselben wurden bis nun nur bei jungen Kindern an getroffen. 

2. Papillome. Die papillomatösen Geschwülste treten 
in 2 Formen auf. Ihr wesentlicher Charakter besteht darin, 
daß die Structur der charakteristischen Partien stets dem 
natürlichen Papillom ähnlich ist, wie es in gewissen Theilen 
des Verdauungstractes vorkommt. 

Das constituirende Element besteht in einer vorspringenden 
Falte der Schleimhaut, gestützt von Bindegewebe, das einen 
breiten arteriellen Zweig als Centralaxe enthält, während die 
andere Oberfläche von einer Schichte Cylinderepithel bekleidet ist. 

Früher wurden diese Geschwülste als „villöse“ bezeichnet, 
zu welchem Ausdrucke man gewöhnlich den Namen Carcinom 
hinzufügte, obgleich diese Benennung der Wirklichkeit nicht 
entsprach. 

Wenn diese Fortsätze sehr lang und dünn sind , so be¬ 
zeichnet man diese papillomatösen Tumoren als gewimpert. Ist 
eine größere Menge von fibrösem Gewebe vorhanden, welches 
der Geschwulst ein festeres Gefüge verleiht, so ist die Be- 

*) Vortrag, gehalten in der Section für Chirurgie des'X Jnti-ru. med. 
Congresses. 


Zeichnung Fibropapillom geeignet. Diese Geschwülste bilden 
sich anfangs ganz langsam. Wenn sie entwickelt sind, ver¬ 
ursachen sie wiederholte Blutungen, die zuweilen so heftig 
und anhaltend sein können, daß sie das Leben gefährden. Sie 
werden unter allen Blasengeschwülsten am häufigsten ange¬ 
troffen, und sind die Symptome derselben häufig mit jenen 
von Nierenkrankheiten verwechselt worden. Die mikroskopische 
Untersuchung des Harnes (namentlich wenn die Blase mit 
Wasser ausgewaschen wird und die entleerten Fetzen sorgfältig 
untersucht werden) läßt bald Partikelchen der Geschwulst 
entdecken, die ganz charakteristisch und für das Vorhanden¬ 
sein eines Papilloms absolut entscheidend sind. 

In Fällen, in welchen mir diese Untersuchung kein 
Resultat ergab, trotzdem die Symptome mit Sicherheit auf 
eine solche Geschwulst hindeuteten, habe ich mit Hilfe eines 
kleinen Lithotriptors ein Fragment der Geschwulst entfernt 
und mikroskopisch untersucht. Uebrigens kann man sich bei 
sorgfältiger Anamnese leicht vergewissern, daß die Blutung 
in einer Weise auftritt, wie sie bei Nierenkrankheiten nie 
angetroffen wird. Im Beginne der Harnentleerung fließt der 
Ham ganz klar und ohne jede Spur von Blut ab, während 
gegen das Ende des Actes helles rothes Blut dem Ham- 
strome beigemengt ist, oder das Blut tritt ganz rein am 
Schlüsse der Harnentleerung auf. 

Ist dies der Fall, so stammt die Blutung zweifellos von 
der Blase her, und wenn durch längere Zeit noch immer ein, 
wenn auch nur geringer Schmerz empfunden wird und die 
Harnentleerung gewöhnlich seltener vor sich geht, so kann 
man mit Sicherheit annehmen, daß es sich nicht um eine 
sarcomatöse und carcinomatöse Geschwulst, sondern um ein 
Papillom handelt. 

Ich will hier bemerken, daß ich kein Stypticum kenne, 
welches die Blutung aus dieser Quelle zu bekämpfen vermöchte. 
Die Behandlung mittelst localer Injektionen kann in diesen 
Fällen die Blutungen eher hervorrufen als aufhalten. 

3. Die einfachen myomatösenTumoren sind nicht sehr 
häufig; sie äußern sich durch keine ihnen charakteristische 
Symptome und tragen zuweilen papillomatöse Auswüchse an 
ihrer Oberfläche. Ihr Wachsthum ist ein langsames und äußert 
sich durch keinerlei einer malignen Geschwulst charakteristische 
Erscheinungen. 


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1890 . 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


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4. Tumoren, die hauptsächlich aus fibrösem Gewebe be¬ 
stehen und mit mehr oder weniger zahlreichen Rundzellen 
associirt sind. Letztere finden sich zuweilen in großer Menge, ein 
Umstand, der darauf hinweist, daß die Geschwulst wahrschein¬ 
lich eine große Neigung zu Recidive nach der Exstirpation besitzt. 

Diese Geschwülste greifen tief in die Structur der Blase 
ein, können durch einen operativen Eingriff nicht ganz getrennt 
werden, während in vielen Fällen die Papillome, namentlich 
wenn sie gestielt sind, vollständig entfernt werden können 
und nicht wieder auftreten. 

5. Epith eliome, deren Natur und Charakter in der Blase 
dieselben sind, wie an anderen Körperstellen. 

6. Scirrhus oder Cancer xrr’ e^ojrijv kommt vor dem 
mittleren Lebensalter nicht vor. 

7. Rund- oder Spindelzellen-Sarcom, früher als Encepha- 
loid bekannt, wird zuweilen bei Kindern an getroffen, kommt aber 
auch bei Erwachsenen vor. Unter meinen Fällen finden sich 
3 Sarcome. Lines von ihnen ist bis nun ein Unicum. Das 
Präparat wurde von einem unserer erfahrensten und tüchtig¬ 
sten Pathologen, Mr. Shattock, Curator des Museums des St. Tho¬ 
mas-Hospital, untersucht, der darüber Folgendes berichtet: 

„Die Geschwulst besteht zum Theile aus vollständig 
ausgebildetem Knorpel, zum Theile aus sarcomatösem Gewebe. 
Das letztere besteht aus Spindelzellen verschiedener Art, und 
der Proceß ihrer Verknorpelung ist leicht zu verfolgen. Die 
Zellen sind von der Matrix umschlossen, und durch ihre Ver¬ 
mehrung und secundäre Kapselbildung liefern sie die charakte¬ 
ristische Structur des gewöhnlichen Knorpels.“ 

Die Diagnose der malignen Erkrankung der Blase ist 
nicht schwer. Die Untersuchung per rectum liefert dabei 
werthvolle Anhaltspunkte. 

Scirrhöse Geschwülste sind sehr hart, von unregelmäßiger 
Form und grundverschieden von der gewöhnlichen senilen 
Prostatahypertrophie. Die Sarcome besitzen eine volle und 
abgerundete Form, sind mehr elastisch beim Anfühlen als die 
senile Hypertrophie der Prostata und zeigen eine viel raschere 
Größenzunahme als diese. 

Epitheliome können, wenn sie langsam wachsen, mehrere 
Jahre bestehen, ohne einen durch Palpation oder Sondirung 
wahrnehmbaren Tumor zu bilden. 

Bei maligner Erkrankung der Blase sind Schmerzen ein 
mehr oder weniger constantes Symptom; die Blutung tritt 
erst später auf. Zum Unterschiede von den malignen Ge¬ 
schwülsten sind Papillome per rectum selten erkennbar; ihre 
Gegenwart manifestirt sich zuerst durch Blutung, oft schon 
in einem sehr frühen Stadium, und verursacht selten Schmerzen 
vor dem letzten Stadium. 

Bei allen diesen Formen vermag die mikroskopische 
Untersuchung die auf die erwähnten Symptome gestützte 
Diagnose zu bekräftigen. 

Ich will nun in Kürze die Resultate der in meinen 
4L Fällen (34 Männer, 7 Frauen) ausgeführten Operationen 
mittheilen: 

I. In 7 Fällen, von denen der jüngste vor 3 Jahren, 
der erste vor 10 Jahren operirt wurde, traten nach der 
Operation keinerlei Erscheinungen mehr auf; alle diese Personen 
leben und sind gesund. mit Ausnahme eines einzigen, der 
durch einen Unfall 2 Jahre nach der Operation starb und in 
dessen Blase, die dem Museum des University college-Hospital 
zugesendet wurde, keine Spur einer Recidive nachgewiesen 
werden konnte. In diesem Falle handelte es sich wahrschein¬ 
lich um ein Myom, in allen anderen um Papillome. 

in drei Fällen wurde die Neubildung mittelst Zange 
durch den Perinealschnitt entfernt. Bei einer Frau genügte 
die Erweiterung der Urethra, in den 3 übrigen Fällen wurde 
der hohe Blasenschnitt ausgeführt. 

II. In 15 Fällen trat der Tod nach einem Zeiträume ein, 
der zwischen 3 Tagen und 4 Monaten schwankte. In 10 von 
diesen Fällen handelte es sich um maligne Tumoren, Epitheliom 
und Sarcom zweimal scheinbar um einfaches Papillom, dreimal 


um Myome mit Kernen, die den Verdacht auf malignen Cha¬ 
rakter erweckten. 

Erwähnenswerth ist, daß in 5 von diesen Fällen Papillome 
der Oberfläche maligner Geschwülste aufsaßen, wahrscheinlich 
als secundäre Producte. 

III. 19 Kranke lebten. 1—4 Jahre nach der Operation. 
Einer von ihnen befindet sich gegenwärtig (2 Jahre nach der 
Operation) viel wohler als zuvor, aber es zeigt sich bereits 
etwas Blut im Harne, daher dieser Fall nicht als dauernd 
geheilt angesehen werden kann. 

Ich glaube, daß wir, gestützt auf die bisherigen Erfah¬ 
rungen, behaupten können, daß Individuen mit blutenden Blasen¬ 
geschwülsten unfehlbar in Folge dieser Erkrankung mehr oder 
weniger rasch zu Grunde gehen müssen, wofern nicht die Exstir¬ 
pation ausgeführt wird. 

Somit ist jeder Fall dieser Art, bei dem die Operation 
einen dauernden Effect erzielt hat, als ein durch die chirur¬ 
gische Intervention wiedergewonnenes Leben anzusehen, und 
wenn dieser Erfolg nicht erzielt werden kann, so hat eine 
partielle Exstirpation jedesfalls das Leben des Kranken ver¬ 
längert und einen von Schmerzen und Beschwerden freien 
Zeitraum verschafft, der zuweilen für den Kranken von größter 
Bedeutung sein kann. 

Es beweisen somit die vorher erwähnten Resultate, daß 
wir im Stande sind, einer Reihe sonst letal verlaufener Fälle 
unschätzbare Hilfe zu leisten. 

Im conereten Falle ist es aber unmöglich, den Ausgang 
der Operation vorauszusagen, ehe nicht das Messer den Weg 
geöffnet und dem Operateur ermöglicht hat, die Geschwulst 
mit dem Finger zu untersuchen. Ehe nicht die physikalische 
Beschaffenheit des Tumors auf diese Weise bestimmt werden 
kann, läßt sich nicht sagen, ob eine vollständige Entfernung 
des Tumors möglich ist, und wenn letzteres nicht der Fall 
ist, so muß die Wahrscheinlichkeit einer Recidive immer be¬ 
fürchtet werden. In den Fällen, in welchen das Vorhandensein 
eines malignen Tumors — Carcinom ,• Epitheliom; 'Saicom — 
diagnosticirt wurde, ist es nach meiner Meinung nutzlos, die 
Entfernung desselben zu versuchen, ja ich glaube, daß ein 
solcher Eingriff die Leiden des Kranken noch mehr erhöhen 
und das letale Ende beschleunigen kann. 

Abgesehen von diesen Fällen, ist es unsere Pflicht, die 
Exstirpation vorzunehmen, nicht nur, wenn die Geschwülste 
zweifellos nicht maligner Natur sind, sondern auch, wenn 
irgend ein begründeter Zweifel über die Natur der Geschwulst 
besteht, der im Laufe der Operation aufgeklärt werden kann. 
Der Eingriff kann dann je nach dem Urtheile des Chirurgen 
eingeschränkt werden oder nicht. Bezüglich der Fälle, in 
welchen Zweifel gehegt werden können, darf man nicht ver¬ 
gessen, daß papillomatöse Geschwülste als secundäre Producte 
einer anderen Form von Blasengeschwülsten aufsitzen können, 
so daß ihr Vorhandensein unter den untersuchten, mittelst 
Spülwasser entfernten Fetzen aus der Blase nicht immer die 
Existenz eines einfachen uneomplieirten Papilloms beweist. 

In der Mehrzahl der Fälle kann man wohl auf ein 
solches schließen, aber die Ausnahmen sind nicht gar so selten. 
Aus diesem Grunde empfehle ich, einen kleinen Perinealschnitt 
in der Medianlinie zu machen, welcher die Urethra in der 
Pars membranacea eröffnet, so daß der Chirurg von hier aus 
den Zeigefinger in den Blasenhals einführen und sich von den 
Verhältnissen überzeugen kann. Dieses Verfahren habeich während 
der letzten 10 Jahre in zweifelhaften Fällen unter der Be¬ 
zeichnung „Digital-Exploration der Blase“ beschrieben und 
vielfach ausgeführt. 

Befindet sich der Kranke in Narcose, so setzt uns ein fester 
Druck auf die Gegend über der Symphyse in den Stand, die 
Größe und Natur des Tumors mit dem Finger zu bestimmen. 

Handelt es sieh um einen einfachen, gestielten Tumor, 
wie dies oft bei Papillom der Fall ist, so genügt häufig die 
Einführung einer geeigneten Zange, um die Geschwulst sofort 
zu entfernen. Wird hingegen eine größere Geschwulst mit 


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breiter Basis angetroffen, so kann der hohe Blasensehnitt in 
der gewöhnlichen Weise ausgefükrt und die Geschwulst auf 
diesem Wege entfernt werden. 

Ich habe dies häufig gemacht und nie gefunden, daß der 
erste Schnitt die nachfolgende Operation in irgend einer 
Weise gestört hätte, die übrigens ebenso ausgeführt wird, als 
ob keine Digitalexploration stattgefunden hätte. 

Wenn eine große Prostata oder ein anderer Tumor im 
Rectum angetroffen wird, so kann dies den Finger verhindern, 
die Blase zu erreichen, wodurch die Untersuchung vereitelt 
wird. In diesen Fällen ist aber die Digitalexploration nicht 
nöthig, da die Verhältnisse wohl beweisen, daß es sich um 
eine maligne Geschwulst handelt. 

Auch mit Hilfe des LEiTER’schen Endoskops kann die 
Diagnose der Blasengeschwülste leicht gestellt werden. 

Ich habe bereits wiederholt die Brauchbarkeit dieses 
Instrumentes bestätigt und nicht nur mit der älteren, sondern 
auch mit der neuesten, verbesserten Form desselben gearbeitet. 
Ich muß aber bemerken, daß die Anwendung dieses Instrumentes 
in der Blasenhöhle in vielen Fällen eine starke Reizung her¬ 
vorruft, die weit größer ist, als bei Anwendung der Sonde, 
ferner daß bei Tumoren, bei denen die geringste mechanische 
Berührung Blutung hervorruft, die endoskopische Beobachtung 
eine unvollständige ist, weiters, daß dieses Instrument selten 
dazu nöthig ist, den Bestand eines Tumors zu constatiren, da 
dieser in 'J von 10 Fällen durch die gewöhnlichen Methoden 
nachgewiesen werden kann. 

Schließlich soll das Endoskop eine Ansicht von der Ge¬ 
schwulst ermöglichen, die dem Operateur ein Urtheil gestatten 
soll, ob die Geschwulst gestielt und leicht zu entfernen ist 
oder nicht. Diesbezüglich gebe ich zu, daß dieser Zweck 
manchmal erreicht werden kann; in der Mehrzahl der Fälle 
aber bin ich sicher, daß dies nicht möglich ist. 

• Wenn der Tumor nicht im Profil zu sehen ist, wenn 
die Blutung nur einen unvollständigen Einblick gestattet, so 
kann man durch die Digitalexploration einen weit genaueren 
Begriff von der Beschaffenheit des Tumors bekommen. 

Diese letztere Methode hat noch dazu den Vortheil, daß 
sie nie zu schweren Cystitiden führt, wie dies leider nur zu 
oft nach längeren Manipulationen mit einem rigiden Cystoskop 
in der erkrankten Blase bei älteren Individuen eintritt. 

Ich habe dieselbe über lOOmal ausgeführt und nie irgend 
welche unangenehme Folgen davon gesehen. 

Hat man durch irgend eine Methode das Vorhandensein 
eines Sarcoms oder Carcinoms constatirt, so läßt sich zu 
Gunsten einer Exstirpation Nichts anführen. Möglich ist es 
ja immer, die Geschwülste zu entfernen und auch die Wand 
des Organes in einer gewissen Ausdehnung mitzunehmen, aber 
trotz ausgedehntester Resection tritt Recidive ein. 

Die palliative Behandlung in diesen Fällen besteht in 
Vermeidung von unpassender Kleidung und Beschäftigung, 
ferner von Anstrengungen, welche eine Zunahme der Blutung 
verursachen konnten. 

Die Aufgabe des Arztes besteht in solchen Fällen nur 
in Erhaltung der Verdauungskraft und Anwendung aller 
möglichen Mittel zur Milderung der schweren und langen 
Leiden; namentlich ist von subcutanen Morphiuminjectionen 
in solchen Fällen ein ausgedehnter Gebrauch zu machen, um 
so wenigstens die furchtbaren Begleiterscheinungen dieser zer¬ 
störenden und unvermeidlich zum Tode führenden Krankheit 
zu mildern. 


Chronische circumscripte Entzündung und 
Polyp des äusseren Gehörganges 

als Druckerscheinung in Folge elues Cerumenpfropfes. 

Von Dt. A. Eitelberg in Wien. 

Der Fall, den ich hier mittheilen will, bietet einige 
interessante Momente dar. So ist es meines Wissens noch 
von Niemandem beobachtet worden, daß durch eine Ohrschmalz¬ 
anhäufung eine Otitis ext. circumscripta nicht allein angeregt 
worden wäre, sondern wochen-, ja monatelang bestehen blieb, 
um dann nach Entfernung des Pfropfes binnen 1—2 Tagen 
spontan zu verschwinden. Es sei gleich an dieser Stelle 
bemerkt, daß es sich in unserem Falle um eine Form der 
umschriebenen Entzündung des äußeren Gehörganges handelt, 
die von der eigentlichen Furunculose sich in manchen Punkten 
unterscheidet. Während bei dieser in der Regel sämmtliche 
Wände des Meatus auditorius ext. in Mitleidenschaft gezogen er¬ 
scheinen und die Schmerzhaftigkeit eine sehr bedeutende ist, 
pflegt es in dem von mir gemeinten Abscesse auffallend rasch 
zur Eiterbildung zu kommen. Dabei participiren die anderen 
Wände nicht an dem Entzündungsproeesse, und der Schmerz, 
wenn er überhaupt vorhanden ist, erreicht niemals die Höhe 
der Intensität wie beim Furunkel des äußeren Gehörganges. 
Indessen etwelche weitere Bemerkungen will ich mir für den 
Schluß Vorbehalten, zuvor jedoch die Krankengeschichte er¬ 
zählen. 

Am 27. April a. c. stellte sieh in meiner Sprechstunde ein 
22jähriges Stubenmädchen mit der Angabe vor, daß sie seit zwei 
Monaten immerwähreude Schmerzen im rechten Ohre habe, die zwar 
nicht besonders heftig siud, sie aber doch in beträchtlichem Grade be¬ 
lästigen. Sausen habe sie nicht, und auch das Hörvermögen sei 
nicht auffallend alterirt. Sie sei nie ohrenleidend gewesen. Im 
11. Lebensjahre habe sie Scharlach, im 12. Blattern tiberstanden, 
ohne daß das Gehörorgan irgend welchen Schaden erlitten hätte. 

Bei der Untersuchung fand sich an der vorderen unteren 
Gehörgangswand des rechten Meat. aud. an dessen äußerem Rande 
eine etwa erbsengroße Geschwulst, welche bei der Sondenberührung 
sich als fluctuirend und empfindlich erwies. Die Cutis Uber der¬ 
selben war weder geröthet, noch geschwellt, wie auch sonst der zu 
überblickende Theil des Gehörganges — die innere Partie desselben 
war von Cerumen ausgefilllt — vollkommen entzflndungsfrei war. 
Auch die Gehöreperception war noch ziemlich gut erhalten, denn 
Pat. verstand, bei fest verstopftem linken Ohre, im Flüstertöne vor¬ 
gesprochene Zahlwörter in 5 Metern, andere Wörter, z. B. Spiegel, 
Farbe, Licht, Sessel, blau, Himmel, Firmament, in 1 Meter. 

Nach Entfernung des Cerumenpfropfes durch Ansspritzen zeigte 
sich das Trommelfell getrübt, wie „angehaucht“, und im inneren 
Drittel der hinteren unteren Gehörgangswand kam eine polypöse 
Wucherung zum Vorschein, welche — circa 5 Mm. laug und 3 Mm. 
breit — plattgedrückt, lebhaft roth war und einem spitzen Condylom 
sehr ähnlich sah. 

Um den ferneren Verlauf genau beobachten zu können, wurde 
therapeutisch nicht eingegriffen und blos ein Wattebäuschchen in 
den Gehörgaug geschoben. Nach 2 Tagen war oben erwähnte Ge¬ 
schwulst am Eingänge des Meat. aud. ext. auf ein Minimum reducirt 
und nach ferneren zwei Tagen überhaupt nicht mehr nachweisbar. 
Das Trommelfell hatte sich vollständig „aufgehellt“. Das Gehör 
war vorzüglich. Der Schmerz hatte schon am ersten Tage aufgehört. 

Die polypöse Wucherung aber, die bei der Sondenuntersuchung 
leicht blutete, schien wenig verändert. Nachdem ich zwei Wochen 
zugewartet, ohne daß sich die Granulation wesentlich verkleinert 
hätte , betupfte ich d i e S p i t z e derselben sehr leicht mit an die 
Silbersonde angeschmolzener Chromsäure und wiederholte dieses Ver¬ 
fahren nur noch einmal 5 Tage später. 

Als Patientin nach einer 3wöchentlichen Pause wieder erschien, 
war von der polypösen Wucherung nichts mehr zu entdecken. Nur 
ein eingetrocknetes Blutcoagulum — es wurde ja gesagt, daß jene 
bei Berührung mit der Sonde außerordentlich leicht blutete — 
markirte die Stelle, wo sie früher bestanden hatte. 

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Bezüglich der circumscripten Entzündung des äußeren 
Gehörganges in unserem Falle möchte ich blos noch anführen, 
daß, von einer einmaligen, kaum 24 Stunden andauernden 
Vergrößerung der Geschwulst abgesehen, dieselbe während der 
ganzen Zeit ihres Bestehens keine Veränderung erfahren haben 
soll. Daß die Otitis externa in diesem Falle als Druck- 
erscheinung aufgefaßt werden muß, erhellt wohl aus dem Um¬ 
stande, daß sie nach Entfernung des Cerumenpfropfes ohne 
jeden therapeutischen Eingriff sich zurückgebildet hat. 

Länger muß ich bei der zweiten CompKcation, der Granu¬ 
lationsentwicklung , verweilen. Wie selten die Fälle beob¬ 
achtet wurden, in welchen ein Cerumenpfropf als die alleinige 
Ursache einer Granulationsbildung im äußeren Gehörgange 
betrachtet werden kann, wird schon daraus ersichtlich, daß 
Schubert l ), der in jüngster Zeit einen dem unserigen theil- 
weise analogen Fall — Polypenbildung in Folge eines Cerumen 
pfropfes — beschrieben hat, aus der Literatur nur Urbantschitsch 
und Politzer zu citiren weiß. Nun stehen aber die von den 
genannten Autoren gemachten Wahrnehmungen zu den hier 
gemeinten in nur loser Beziehung. Denn in dem Urbantschitsch- 
schen Falle 2 ) — er betraf einen 6jährigen Knaben — handelte 
es sich nicht um eine direct durch den Cerumenpfropf hervor¬ 
gerufene Granulationsbildung im äußeren Gehörgange, sondern 
diese trat erst 14 Tage nach der erfolgten Ausspritzung auf. 
Und was den von Politzer 8 ) mitgetheilten Fall anbelangt, so 
wird er von diesem Schriftsteller deshalb nachdrücklich er¬ 
wähnt, weil es in demselben zur Entwicklung eines Polypen 
ohne eiterige Absonderung kam. Vor Jahren allerdings 
war eine eiterige Mittelohrentzündung vorangegangen. Ein 
Cerumenpfropf war aber nicht vorhanden, wenigstens ist von 
einem solchen an der citirten Stelle keine Rede. 

Hingegen möchte ich mir erlauben, einen Passus aus 
einer von mir im Jahre 1885 publicirten Arbeit 4 ) wörtlich 
hieher zu setzen: „— — Die Otorrhoe ist überhaupt eine 
stete Begleiterin der Ohrpolypen, mögen diese vom äußeren 
Gehörgange, von dem Trommelfelle oder der Paukenhöhle, 
resp. der Labyrinthwand — ihrem Lieblingssitze — ent¬ 
springen. 

Eine Ausnahme hievon machen nur jene, zu¬ 
meist sehr kleinen Granulati onen, welche einem 
mechanischen Reize, einem im äußeren Gehör¬ 
gange länger verweilenden Cerumenpfropfe, oder 
durch ein stumpf es Instrument direct hervor¬ 
gerufen, ihr Entstehen verdanken. Erst vor 
Kurzem sah ich bei einem 5jährigen Knaben 
nach Entfernung eines Cerumenpfropfes an der 
hinteren oberen Peripherie des intacten Trommel¬ 
felles eine hanfkorngroße Granulation auf- 
sitzen, die nach zwei Tagen, sobald mit dem 
Cerumenpfropfe das Reizungsmoment beseitigt 
war, spontan verschwand.“ 

Seitdem habe ich mehrmals Gelegenheit gehabt, der¬ 
gleichen zu beobachten, und immer war die Involution in 
kürzerer oder längerer Zeit von selbst erfolgt. Und auch in 
unserem Falle verhielt sich die Sache so, da die beiden 
Aetzungen sogar bei energischer Anwendung der Chromsäure 
gewiß nicht hingereicht hätten, die immerhin beträchtliche 
Wucherung zu zerstören. 

Was mich indessen in erster Reihe zur Veröffentlichung 
dieses Falles bestimmte, war das eigenthümliche Causal- 
moment, das hier einer chronischen circumscripten Ent¬ 
zündung des äußeren Gehörganges zu Grunde lag. 

’) Arch. f. Ohrenh., 1890. Bd. 30, 1. u. 2. Haft. 

*) Lehrb. d. Ohrenh., 1884, 2. Aufl., pag. 284. 

8 ) Lehrb. d. Ohrenh., 1887, 2. Aufl., pag. 411. 

4 ) Die Ohrpolvpen und ihre Behandlung. „Centralbl. f. d. ges. Therapie“, 
1885, 9., 10. u. 11. Heft. 


Ueher eine eigenthümliche Form von perio¬ 
discher, familiärer, wahrscheinlich auto- 
intoxicatorischer Paralyse. 

Von Dr. S. Goldfl&m in Warschau. 

(Schluß.) 

Prognosis. Wir haben schon angedeutet, was sich 
auf Grund vorliegender Daten in dieser Hinsicht sagen läßt. 
Das scheint sicher, daß die Anfälle selbst keine Gefahr für 
das Leben mit sich bringen. Zwar waren in manchen Fällen 
auch die respiratorischen Muskeln mitergriflfen, aber nie in 
solchem Grade, daß dadurch eine bedeutendere Behinderung der 
Athmung verursacht, geschweige denn eine Gefahr der Er¬ 
stickung herbeigeführt wäre. Zwar konnten wir eine Schwäche 
der Energie der Herzcontraction während des Anfalles mit 
Bradycardie constatiren, aber weder Cyanose, noch irgend 
welches andere Symptom wiesen auf eine Circulationsstörung 
hin. Zwar sind von den verzeichneten Fällen drei, angeblich 
während des Anfalles, gestorben, aber der eine in Folge der 
Venaesection, der andere hat sich eine Erkältung nach dem 
Flußbade zugezogen, der dritte starb, nach Angabe des Sohnes, 
in Folge der sich häufenden Anfälle. Es ist ja verständlich, 
daß eine Krankheit, bei der die Bewegungsfähigkeit fast 
absolut verloren geht, in welcher also die Cireulation Ver¬ 
langsamung erfährt, eine hinzutretende Complication, z. B. 
Pneumonie, wirkliche Gefahr bringen kann. Abgesehen davon, 
scheint die Krankheit auf die allgemeine Gesundheit nicht 
deletär einzuwirken, und wenn hohes Alter in den Beobach¬ 
tungen nicht verzeichnet ist, so hat doch ein Kranker das 60. 
Jahr erreicht, andere das 50. überschritten. 

Für die Berufsthätigkeit aber sind die Anfälle äußerst 
hindernd, namentlich wenn sie, wie in den CoosOT’schen Beob¬ 
achtungen, täglich erscheinen oder einige Tage dauern, Das 
ist ja selbstverständlich und bedarf nicht weiterer Erörterungen. 

Wie schon erwähnt, wiederholen sich die Anfälle bis 
zum Tode des Betroffenen, nur scheint die Frequenz im späteren 
Alter abzunehmen. Bis jetzt ist es nicht gelungen, dem Anfalle 
vorzubeugen, ihn zu unterbrechen, seine Dauer zu verkürzen, 
geschweige denn die Neigung zu ihm zu beseitigen. Nur in 
einem Falle von Cousot sind die Anfälle seit 9 Jahren, nach 
Geburt des ersten Kindes, ausgeblieben, während sie vorher 
alle 2 Wochen auftraten. Sie blieben auch in dem FiscHL’schen 
Falle aus, aber die Beobachtungszeit ist zu kurz, um end- 
giltig zu urtheilen. 

Aetiologie. Eine Krankheit mit so merkwürdigen und 
prägnanten Symptomen mußte das höchste Interesse der Autoren 
erwecken, aber Alle bekennen sich zur Unmöglichkeit einer 
Erklärung. In der That bietet die Pathologie keine Analogie 
für das uns beschäftigende Krankheitsbild. Höchstens könnte 
man die recidivirende Oculomotoriuslähmung heranziehen, 
die ja auch in ihrem Wesen und ihren Ursachen dunkel ist. 
Die THOMSON’sche Krankheit hat nur das hereditäre Moment 
gemeinsam, sonst ist das Bild grundverschieden. 

Einige Autoren nehmen einen spinalen Ursprung an, 
wahrscheinlich darum, weil die Lähmungserscheinungen fast 
ausschließlich auf die, von den spinalen Nerven versorgten 
Muskeln sich ausbreiten. Hartwig nimmt eine passagere Hy¬ 
perämie mit seröser Transsudation des Rückenmarks an, aber 
schon Erb *) und Westphal verwerfen diese Annahme mit 
Recht. In der That ist sie ganz willkürlich und erklärt kein 
einziges Symptom, namentlich aber nicht das Beschränken der 
Lähmung auf die motorische Sphäre und die Aufhebung 
der elektrischen und mechanischen Erregbarkeit. Auch die 
CousoT’sche Hypothese, daß es sich um eine Inhibition der 
spinalen Centren handelt, kann uns nicht befriedigen, da 
weder der Ausgangspunkt, der peripherische oder centrale, 

’) Krankheiten des Rückenmarks, 2. Auflage, 1878, pag. 822. 


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bekannt ist nnd wir keine Inhibition der spinalen Centren 
kennen, bei der solche Symptome, wie bei unserer Krankheit, 
vorkämen. 

Obwohl die Localisation des Leidens im Rückenmarke 
auf den ersten Blick plausibel erscheint, namentlich in Hin¬ 
sicht auf den erwähnten Umstand der Beschränkung der 
Lähmung auf die von den spinalen Nerven versorgten 
Muskeln, so müssen wir doch zugeben, daß wir keine einzige 
Erkrankung des Rückenmarks kennen, die analoge Symptome, 
wie das von uns geschilderte Krankheitsbild, aufweist und 
daß weder Circulationsstörungen, noch irgendwelche annehm¬ 
bare Processe im Rückenmarke im Stande sind, die zeitweise 
Aufhebung der elektrischen und mechanischen Erregbarkeit, 
geschweige denn das Vermögen, willkürliche Anfälle hervorzu¬ 
rufen , zu erklären. Wir sind vielmehr zur Ansicht geneigt, 
daß die Muskeln selbst, beziehungsweise die Nervenendigungen 
in den Muskeln, von dem Krankheitserreger betroffen sind, 
wie wir auch in der Curarevergiftung ein Paradigma haben. 
Das zeitweise Befallensein der Motilität allein, bei vollkom¬ 
mener Intactheit der Sensibilität, der Blase, des Mastdarms, 
legen nämlich die Annahme näher, daß es sich um eine 
temporäre Schädigung der Nervenendigungen in den Muskeln 
und vielleicht der letzteren selbst handelt. Das massenhafte 
Befallensein aber der fast ganzen Musculatur, das anfallsweise 
Auftreten der Lähmung, namentlich aber die Election aus¬ 
schließlich der motorischen Sphäre weisen eher auf ein 
toxisches Moment hin. In dieser Hinsicht finden wir ja Ana¬ 
logien in der Blei- und Arsenik-Vergiftung, bei der allein 
die Motilität leidet, so bei manchen Nachkrankheiten nach 
infectiösen Processen, wie Diphtherie, Typhus, bei manchen 
constitutionellen Krankheiten, z. B. Diabetes mellitus, bei 
denen sich die krankhaften Erscheinungen allein auf die Moti¬ 
lität beschränken können. Einige andere Umstände, z. B. die 
verstärkte Schweißsecretion, scheint die Annahme einer toxi¬ 
schen Einwirkung zu unterstützen. Wie aber ist diese toxische 
Wirkung zu verstehen? Es ist ja einleuchtend, daß es sich 
nicht um einen eingeführten, schädlichen Stoff handelt, daß es 
auch keine bacteritische Infection sein kann. Die Periodicität 
der Anfälle aber ist es wahrscheinlich gewesen, die Hartwig 
bewogen hat, einen malarischen Ursprung für seinen Fall zu 
acceptiren, umsomehr, als der Kranke 5 Jahre vor dem Aus 
brucne der Anfälle 4—5 Wochen lang an Intermittens 
tertiana gelitten hat. Wir können diese Ansicht auch für 
den HARTWia’schen Fall nicht theilen, da in allen sicheren 
Beobachtungen von Wechselfieber keine Rede ist, da alle, 
einschließlich dem HARTWiG’schen Falle, fieberlos verliefen, 
da in keiner Beobachtung Milzänschwellung, noch irgend¬ 
weich anderes Zeichen der Malaria vorhanden war und das 
Chinin auch in der HARTWiG’schen Beobachtung erfolglos 
blieb. In dem HARTWiG’schen Falle ist während der 7 i; 2 - 
monatlichen Beobachtungszeit die Temperatur ein Mal nach 
dem Anfalle auf 40° gestiegen, in den WKSTPHAL'schen ein 
Mal auf 39°. Wir haben, da die Malaria auch in den Hand¬ 
büchern, die darüber kurz berichten, beschuldigt wird, speciell 
unser Augenmerk auf das Vorhandensein der Malaria gelenkt 
und müssen bekennen, daß absolut Nichts dafür in’s Feld 
geführt werden kann und daß das mehrmalige Untersuchen 
auf Malaria-Plasmodien sowohl während des Anfalles, als 
außerhalb desselben negativ ausfiel. 

Es soll nur erwähnt werden, daß in 3 von den ange¬ 
führten Fällen, dem unseren vor 23 Jahren, dem WestphA n¬ 
sehen und dem FiscHL’schen, Scharlach vorangegangen war. Die 
Nachkrankheiten aber von Scharlach stellen sich ganz anders 
dar und ist mit Scharlach so wenig, wie mit irgend welcher 
infectiösen Krankheit absolut unmöglich in Zusammenhang 
zu bringen das periodische Auftreten der Anfälle, die Mög¬ 
lichkeit , das Krankheitsbild sozusagen künstlich hervorzu¬ 
rufen, namentlich aber widerspricht es dem der Begriff, den 
wir von Heredität besitzen. 

Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, daß 
in dem GREiDENBERG’schen Falle sich der erste Anfall nach 


heftigem Schreck eingestellt hat und daß Gemüthsbewe- 
gungen das Auftreten der Anfälle in der CousoFschen Beob¬ 
achtung beschleunigten, daß aber diese psychischen Momente 
keine ätiologische Bedeutung haben können. Auf die 
SAMüELsON’sche Vermuthung, daß es sich um Hysterie handeln 
könnte, brauche ich nicht weiter einzugehen. 

Da es sich weder um ein eingeführtes, noch durch 
eine der bekannten Krankheiten erzeugtes Gift handeln kann, 
so ist es vielleicht möglich, daß im Organismus selbst sich 
ein Stoff bildet, der deletär auf die Muskeln und deren 
Nervenendigungen wirkt. Wir haben in dieser Richtung 
einige Versuche angestellt, die, obwohl sie zu einem endgiltigen 
Resultat noch nicht geführt haben, doch, wie mir scheint, 
nicht ohne Interesse für das uns beschäftigende Thema sind. 
Ich ging von der Voraussetzung aus. daß, wenn es sich um 
eine Giftwirkung handelt, das Gift im Blute circuliren und 
durch den Ham ausgeschieden werden muß. Ich operirte mit 
Kaninchen, denen ich frischen, filtrirten, auf 30° erhitzten und 
neutralisirten Ham in die V. jugularis mittelst einer ein¬ 
fachen Vorrichtung, bestehend in einer Bürette mit Hahn, der 
durch einen Gummischlauch mit der in die Vene mündenden 
Canüle in Verbindung stand, langsam eingeführt habe. Ich 
mußte die Versuchsanordnung vonBoucHARD, der mittelst einer 
PRAVAz’schen Spritze den Harn in die Ohrvene injicirte, 
technischer Schwierigkeiten wegen modificiren. Ich führe 
hier zuerst Versuche an, die mit dem von gesunden Tagen 
stammenden Harn gemacht wurden. Alle Versuche wurden 
unter gleichen Umständen, ausgeführt. 

Ich bin mir wohl bewußt, daß man aus Versuchen, 
die so unvollkommen sind, nur mit äußerster Vorsicht 
Schlüsse ziehen darf. Doch kann ich nicht umhin, darauf 
hinzuweisen, daß aus der Reihe der angeführten Versuche 
hervorzugehen scheint, daß der Harn, der während des An¬ 
falles ausgeschieden wurde, viel toxischere Eigenschaften 
besitzt, als der in den freien Intervallen entleerte. Dieses 
Ergebniß wiederholte sich mit Constanz. Während der Coef- 
ficient urotoxique in den gesunden Tagen UT21, OT72, 0110, 
OT36, 0 144, 0*097 betrug, war er in den Anfallstagen con- 
stant bedeutend gestiegen, auf 0 268, 0*457, 0*535, 0*393, 
0*364, 0*301, 0*357, 0*290, 0*480. Aber nicht allein der 
genuine Anfallsharn zeigte solche toxische Eigenschaften, 
sondern auch der im künstlich hervorgerufenen Anfalle (durch 
längeres Sitzen) ausgeschiedene. 

Weiter ist hervorzuheben, daß, während in den Ver¬ 
suchen mit dem Harne von anfallsfreien Tagen die Kniereflexe 
erst kurz vor dem Tode des Thieres schwanden, diese Er¬ 
scheinung in den Versuchen mit Anfallsharn sehr frühzeitig 
auftrat. So waren z. B. im 6. Versuche die Kniereflexe noch 
nach Einführung von 250 Ccm. Harns vorhanden, im Versuche 
7 nach 171 Ccm., im Versuche 16 schwanden sie erst nach 
167 Ccm., im Versuche 17 nach 360 Ccm. Dagegen verschwanden 
in der Versuchsreihe mit Anfallsham die Kniereflexe schon 
nach Einführung von 55 Ccm., resp. 40 Ccm., 27 Ccm., 52 Ccm., 
50 Ccm., 61 Ccm., 49 Ccm., 46 Ccm. Dasselbe gilt von der 
Extremitätenlähmung, die, gleichzeitig mit dem Verschwinden 
der Kniereflexe, frühzeitig in den Versuchen mit Anfallsharn 
auftrat, gegen das Ende des Lebens des Thieres aber 
in den Versuchen mit anfallsfreiem Harne. 

Betont soll werden, daß, obgleich der Anfallsharn gif¬ 
tiger erschien und Lähmung und Erlöschen der Kniereflexe 
hervorgerufen werden konnte, doch die elektrische Erregbarkeit 
der Muskeln intact blieb. 

Wodurch konnte aber diese toxische Eigenschaft des 
Anfallsharns hervorgerufen werden? Ich habe es einstweilen 
unternommen zu entscheiden, ob diese toxische Wirkung des 
Anfallsharns von organischen oder anorganischen Bestand- 
theilen des Harns abhängt, denn man könnte versucht sein, 
anzunehmen, daß die toxische Wirkung von den Kalisalzen 
abhängig ist. Zu diesem Zwecke habe ich 1000 Ccm. Harn, 
aus gesunden Tagen stammend, im Wasserbade eingedampft, 
dann getrocknet und in einer Schale zu Asche geglüht. Die 


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153!) 


1890. — 


. — Nr. 39. 


Asche wurde in 1000 Ccm. destillirten Wassers gelöst, filtrirt, 
auf HO 0 erwärmt und in derselben Weise, wie in den vorigen 
Versuchen, dem Kaninchen von 1300 Grm. Gewicht in die 
V. jugularis eingeführt. 

Aus den letzten Versuchen würde, entgegen den Behaup¬ 
tungen von Fei.tz und Ritter 1 ), Astaszewski, Schiffer*), 
Stadthagen 3 ) und Anderen hervorgehen, daß die Toxieität 
des Urins in hohem Maße auch von organischen Bestandteilen 
abhängig ist, da der Coefficient für die Aschenlösung nur 
0*002 betrug, während der Coefficient für den Harn aus 
gesunden Tagen höhere Zahlen aufwies, als 0121 , 0-172, 
0-110 u. s. w.; dann aber, daß die größere Giftigkeit des 
Anfallsharns auf Rechnung der organischen Bestandtheile 
ZU stellen ist, denn indem der Coefficient für die Aschenlösung 
des Anfallsharns 0116, resp. 0*100 betrug, hatte der Urin 
selbst einen Coefficienten von 0*393, 0*364, 0*301, 0*357, 0*290 
und 0 480. 

Es ist ja kaum anzunehmen, daß normale organische 
Bestandtheile, wie Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin. Trimethyl¬ 
amin, die theils rasch durch die Nieren ausgeschieden werden, 
theils in äußerst geringer Quanlität vorhanden sind, für die 
Toxieität des Urins beschuldigt werden können, umsomehr, 
als sie ja auch im anfallsfreien Harne sich vorfinden, derselbe 
aber bedeutend weniger giftig sich gezeigt hat, als der Anfalls¬ 
urin. Wir sind vielmehr zur Hypothese gedrängt, daß viel¬ 
leicht ein noch unbekannter organischer Stoff sich im Orga¬ 
nismus bildet, der die Toxieität des Urins steigert und lähmend 
auf die Muskeln und Reflexthätigkeit wirkt. Wollten wir es 
wagen, noch weitere Hypothesen zu stellen, so scheint es uns, 
daß sich dieser Stoff während der Ruhe der Muskeln bildet, 
namentlich angesichts der frappanten Thatsache der Kranken¬ 
geschichten , daß Ruhe die Entstehung der Lähmung begün¬ 
stige, die Muskelthätigkeit sie aufhält. Ich brauche nur zu 
erinnern, daß Cousot’s Kranker beim Schreiben die rechte 
Hand vor Lähmung so lange bewahrte. so lange er schrieb, 
während die drei anderen Extremitäten der Lähmung verfielen. 
Wenn derselbe Kranke den Anfall während des Gehens bekam, 
so trat er nur in den Armen auf, in den Beinen erst dann, 
wenn der Kranke sich setzte. Bei meinem Kranken konnte 
man direct durch längeres Sitzen einen Anfall hervorrufen. 

Wenn aber Ruhe einen so schädlichen Einfluß auf die 
Muskeln und Nervenendigungen entfaltet, wie kommt nun die 
Genesung vom Anfalle, in welchem ja die vollständigste Ruhe, 
Lähmung, herrscht, zu Stande? Auf diese Frage und viele 
andere, die das Studium der Krankheit bietet, können wir 
leider keine genügende Antwort geben. Unsere Aufgabe war, 
die Aufmerksamkeit der Aerzte auf einen höchst interessanten 
Symptomencomplex zu lenken, und hoffen wir, daß die Zukunft 
eine Lösung des Räthsels bringen wird. 

Was die Therapie anbelangt, so ist ja nicht zu ver¬ 
wundern . daß sie in einer so wenig bekannten und in 
ihrem Wesen eruirten Krankheit ganz dürftig sein muß. Es ist 
bis jetzt nicht gelungen, dem Anfalle vorzubeugen , ihn zu 
unterbrechen, geschweige denn die Disposition zu beseitigen, 
was ja natürlich ist in Anbetracht des eine so wichtige 
Rolle spielenden hereditären Momentes. Es wurden folgende 
Mittel versucht: Brom. Jod, Strychnin, Eserin, Chinin, Arsenik, 
Ferrum, galvanischer Strom, alle ohne Erfolg. Schachnowitsch 
meint, daß es ihm gelungen ist. den Anfall bei seinem Kranken 
durch Verabreichung von 0*002 Atropin täglich auf 2 Monate 
zu verschieben. Die indessen hervorgetretenen Intoxications- 
erscheinungen nöthigten zum Weglassen des Mittels. 


') De l’nremic experimentale. Ref. im Centr. f. med. Wissenschaft. 1881 

S. 814. 

3 ) Verhandlung d. Vereines f. innere Medicin, 1883/4, 8. 13. 

•) Zeitschrift f. klin. Med., XV, 8. 383. 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Gefahrlose Behandlung des Trachoms mit 
Jequirity. 

Von Dr. Busch, Curarzt in Bad Hall (O.-Oe.). 

Wenn ein Mcdioament von den Einen so gelobt und anderer¬ 
seits wieder so angefeindet wird, wie es bei dem Jequirity der Fall 
ist, von dem z. B. IIirschhkrg sagt, daß ein gewissenhafter Arzt 
nie ein sehendes Auge mit demselben behandeln soll, während es von 
Anderen (Reuss) als werthvolle Bereicherung unseres Heilmittel- 
Schatzes bezeichnet wird, so sind natürlich die Acten über die 
therapeutische Verwendbarkeit desselben nicht geschlossen, und in 
dem Stadium, in welchem der Jequirity-Proceß sich befindet, ist 
jeder Praktiker verpflichtet, seiue Erfahrungen mitzutheilen. 

Als Wkrthf.r 1882 in der Pariser Akademie der Wissen¬ 
schaften dieses Mittel bekannt machte, war ich eben in Syrien an- 
gekommon, wo ich bald in ausgedehntester Weise von diesem 
Augenheilmittel Gebrauch machen sollte, weil dort das Trachom 
sehr häufig vorkommt und viel bösartiger verläuft als in Europa. 

Der 1. Fall betraf einen intelligenten Burschen von 13 Jahren, 
der wegen seines trachomatösen Augenleidens gezwungen w'ar, aus 
der Militärsehule auszutreten, da die betreffenden Aerzte nach jahre¬ 
langer Behandlung sich endlich gezwungen sahen, seine Krankheit 
als unheilbar zu erklären. Der Junge war untröstlich darüber, lind 
ich sehe noch heute seine verzweifelte Miene, mit welcher er mich 
frug, ob es denn gar kein Mittel für seine Krankheit gebe. 

Ich erwähnte ihm das neue Mittel, erklärte ihm aber, daß er 
der Erste sei, bei dem ich es anwende; er war gleich bereit, und 
da auch sein Vater beistimmte, behandelte ich sein Trachom mit 
Jequirity und erreichte ein glänzendes Resultat. Nach zwei 

Monaten war das Trachom der Bindehaut verschwunden, und 

die Hornhaut, die früher an beiden Augen starke Epithelverluste 

zeigte und schlecht spiegelte, war rein und glänzend. Im nächsten 
Jahre trat er wieder in seine Schule ein. Da ich ihn in den 

darauffolgenden Jahren sehr oft begegnete, so kann ich auf’s Be¬ 
stimmteste behaupten, daß keine Recidive eintrat. 

Mein 2. Fall war nicht weniger glänzend: Eine junge, zart 
gebaute Türkin war seit 5 Jahren augenkrank, und obgleich ihr 
Mann, ein wohlhabender Kaufmann, kein Opfer scheute, nahm 
das Leiden von Jahr zu Jahr zu. Bei der Untersuchung fand ich 
beiderseits Trachom mit Pannus, der am linken Auge so dick 
war, daß dasselbe nur Lieht und Schatten unterscheiden konnte; 
am rechten Auge war der Pannus geringer, so daß die Kranke mit 
demselben noch größere Gegenstände unterscheiden konnte. 

Die Kranke verlangte deshalb auch nur die Behandlung des 
rechten Auges, da nach ihrer Meinung das linke ohnehin hoffnungslos 
verloren sei; ich aber war gerade entgegengesetzter Meinung; ich 
wollte zuerst das schlechtere Auge behandeln, da ich noch Hoffnung 
hatte, dasselbe zu bessern und dabei, ohne etwas zu riskiren, die 
Wirksamkeit dieses neuen Mittels erproben konnte. Ich bepinselte 
das linke Auge (Bindehaut und Cornea) mit einem 6°/ 0 Jequirity- 
infusum, wodurch eine heftige Entzündung hervorgerufen wurde; 
aber welche Ueberrasehung stand mir bevor! Am 5. Tage war der 
dicke Pannus größtentheils verschwunden, und die Kranke sah jetzt 
mit dem linken Auge besser, als mit dem rechten. Ich begann 
jetzt natürlich auch die Behandlung des rechten Auges mit 4°/ 0 iger 
Lösung; der Erfolg war auch gut, aber nicht so auffallend, als auf 
dem linken Auge; kurz, nach 8 Wochen waren boide Augen ge¬ 
heilt und blieben geheilt bis auf den heutigen Tag; und wenn inner¬ 
halb 8 Jahren keine Recidive eintrat, so dürfte man doch von einer 
vollständigen Heilung sprechen können, und der Ausspruch Jacobson’s, 
daß Jequirity wohl auffallend schnelle Besserung, aber nie eine 
Heilung zu Stande bringe, ist einfach widerlegt, und ich 
habe gerade deshalb meine zwei ersten Jequirity-Fälle etwas aus¬ 
führlich erzählt, weil sie vom Jahre 1882 datiren und ich dieselben 
bis zum Jahre 1890 nicht aus den Augen verlor. 

Daß nun massenhaft Augenkranke zu mir kamen, und daß 
ich, da die meisten an Trachom litten, von Jequirity einen sehr 
umfangreichen Gebrauch machte, bedarf nicht der Versicherung 


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aber leider waren nicht alle Behandlungen glücklich. Häufig traten 
Hornhautentzündungen auf mit sehr heftigen Ciliarsohmerzen, die 
Wochen und manchmal sogar Monate dauerten, und stellten die 
Geduld mancher Kranker auf eine harte Probe. 

Da ich aber keine sehr schweren Zufälle, die irreparable Zu¬ 
stände (Schmelzung der Cornea, Phthisis bulbi, Gangrän der Lider 
u. s. w.) zur Folge gehabt hätten, beobachtete, hingegen sehr viele 
Bchöne Resultate hatte, so blieb ich dem Jequirity treu, wurde aber 
vorsichtiger in dessen Verwendung, indem ich es nicht mehr wie 
früher gegen jedes Trachom anwendete. 

Außerdem machte ich die Entdeckung, daß ein großer Unter¬ 
schied in der Wirksamkeit der einzelnen Jequiritykörner bestehe. 
Ich bereitete das Infusum immer selbst, und da dasselbe in Syrien 
kaum 3 Tage wirksam bleibt, ja im Sommer schon nach 2 Tagen 
von Mikroben wimmelte, so bereitete ich immer kleine Quantitäten, 
nämlich mit einem einzigen Körnchen, und jeden 2. oder 3. Tag 
ein frisches. Da fiel es mir bald auf, daß ich bald ein starkes, 
bald ein schwaches Infusum bekam, während ich dieselben doch auf 
ganz gleiche Weise und gleichprocentig bereitete und auch die 
Körnchen, die dazu verwendet wurden, ganz gleichartig waren, 
indem ich bemerkte, daß ich mit dem eineu Fläschchen nur starke 
Entzündung (bei sämmtlichen damit behandelten Kranken) bekam, 
während ich mit einem anderen Fläschchen nur leichte Jequirity- 
entzündungen hervorbrachte. Um mich noch genauer von der un¬ 
gleichen Giftigkeituler Körner zu überzeugen, stellte ich wiederholt 
folgende Versuche an: 

Ich machte mir gleichzeitig von 2 Körnern, die gleich groß 
waren, 2 ganz gleiche Aufgüsse; die 2 Fläschchen bezeichnete ich 
mit R (rechts) und L (links), denn das eine war für. die rechten 
Augen sämmtlicher Trachomkrankon, die iu deu nächsten 2 Tageu 
in meine Behandlung kamen , bestimmt, das andere für die linken 
Augen derselben, ln der Mehrzahl der Versuche war kein auf¬ 
fallender Unterschied zwischen rechts und links in Bezug auf den 
Grad der von Jequirity bewirkten Entzündung; aber in der 4., 12. 
und 15. Versuchsreihe (besonders in der letzten, wo sämmtliclie 
10 Persouen im rechten Augo eine sehr heftige Entzündung bekamen, 
während sie links ausnahmslos sehr wenig afficirt waren) war der 
Unterschied so groß und so gleichmäßig bei allen Personen der¬ 
selben Reihe, daß ich jetzt vollständig überzeugt bin, daß der wirk¬ 
same Stoff in den Jequiritykörnern in ungleicher Quantität oder 
Qualität enthalten sein kann, so daß z. B. ein 2°/ 0 Infusum einem 
6°/o gleichwertig sein kann. 

Daraus ging aber auch hervor, daß die individuelle Be¬ 
schaffenheit des Kranken auch einen Einfluß auf den Grad der Ent¬ 
zündung durch Jequirity hat, da in allen Versuchsreihen Persouen 
vorkamen, die beiderseits mehr oder auch weniger auf beide 
Jequirity-Aufgtt8se reagirten, als die Mehrzahl. 

Der Rarität wegen erwähne ich hier einen Syphilitiker, der 
dureh Reibung eines oberen Augenlides, das durch eine Narbe ver¬ 
zogen war, eine starke Trübung der Hornhaut bekam. Ich versuchte 
durch Jequirity die Hornhaut aufzuhellen , erschrack aber, als er 
am nächsten Tage sich vorstellte, da das Augenlid zu einer beinahe 
faustgroßen, rothen, aber ganz schmerzlosen Geschwulst anwuchs; 
die Hornhaut war dabei gar nicht afficirt, auch die Bindehaut 
mit keiner Exsudatschichte bedeckt. Bei warmen Umschlägen ver¬ 
schwand diese Geschwulst in 3 Tagen; der Erfolg in Betreff der 
Durchsichtigkeit der Cornea war gleich Null. 

Die ungleiche Wirksamkeit der einzelnen Körner kann auf 
verschiedenen Gründen beruhen, die aber aufgeklärt werden müssen, 
wenn dieses Mittel in der Praxis allgemeine Verwerthung finden 
soll; diese Aufklärung dürfte aberden Pharmakologen nicht schwer 
fallen. 

Einen dieser Grüude aber glaube ich gefunden zu haben : Schon 
im Jahre 1884 sah ich zufällig, daß sich ^ Jahre alte Körner von 
frischen äußerlich durch gar nichts unterscheiden. Jetzt weiß ich 
schon, daß man 8jährige Körner von deu frischen nicht unter¬ 
scheiden kann. Da nun selbstverständlich die Samen mit jedem 
Jahre an Keimfähigkeit verlieren, was jeder Laudmaun weiß, und 
da das Jequiritin, welches nach Broylant und Vennemann das 
die Ophthalmia jequiritica veranlassende Princip ist, mit der Keim¬ 


fähigkeit der Jequiritysamon in sehr naher Beziehung steht, so ist 
es klar, daß das Alter der Körner von großer Wichtigkeit ist, und 
daß die Resultate der Behandlung mit ungleich wirksamen Aufgüssen 
auch verschieden ausfalleu müssen. 

Aus diesen erwähnten Erfahrungen zog ich aber einen großen 
Nutzen: 

Ich beginne nämlich seit 3 Jahren jedesmäl mit alten Samen 
und steige nach je einer Woche zu frischeren und, wenn es sein 
muß, allmälig zu ganz frischen, und seit dieser Zeit habe ich keiue 
üblen Folgen mehr gesehen und kann diese Behandlung als un¬ 
gefährlich empfehlen. 

Ueber das Trachom von Adana im alten Cicilien, wo minde¬ 
stens eiu Drittel der erwachsenen Bevölkerung darau leidet, und 
von dem schon Cicero sprach, der dort einmal Statthalter war, 
hoffe ich in einem anderen Artikel zu berichten. 


Referate und literarische Anzeigen. 

G. See (Paris): Anwendung der Cannabis indica in 
der Behandlung der gastrischen Neurosen und 
Dyspepsien. 

In einer längeren, der Pariser Acadömie de medecine vorge¬ 
legten, in Nr. 31—34 der „Deutsch, med. Woch.“ übersetzten 
Arbeit über den überschriebenen Gegenstand empfiehlt See die An- 
weuduug des indischen Hanfs bei Neurosen des Magens und 
Dyspepsien. Die Cannabis ist in Gestalt des fetten Extractcs in 
einer Dosis von 0 5 pro die, in drei Dosen getheilt, in Hüchtiger 
Gestalt zu verordnen. Ueber diese Dosis hinaus wird sie giftig, 
und diese Giftigkeit äußert sich vornehmlich durch Truukeuheit. 

Die chemischen Grundstoffe der Cannabis, wie das Cannabiuum 
tannicum und das Cannabinon, habeu weder präcise, noch günstige 
Wirkungen ergeben, ohne Zweifel weil sie nicht die wirklichen 
activen Grundstoffe sind. 8. hat sie hauptsächlich bei den nicht 
organischen Magenaftoctioneu angewandt. 

Diese Krankheiten bilden zwei Gruppen. Die erste umfaßt 
die chemischen Veränderungen des Magensaftes, unter Anderem die 
salzsauro Hyperacidität, die häufigste von allen Dyspepsien; die 
organische milchsaure, essigsaure Hyperacidität und andererseits die 
Anacidität vervollständigen diese Gattung dyspeptischer Krank¬ 
heiten. 

Die zweite Gruppe betrifft ausschließlich die gastro intestinalen 
Neurosen, bei denen keine chemische Veränderung des Magensaftes 
vorhanden ist. Alle diese Affectionen, Dyspepsien wie Neurosen, 
äußern sich in mannigfachen Proportionen durch fünf Arten von 
Erscheinungen, die man folgendermaßen bezeichnen kann: 

Die örtlichen oder ausgostrahlten, spontanen oder durch die 
Berührung der Speisen mit der Magenschleimhaut hervorgerufenen 
Schmerzempfinduugen, die Modificationon des Appetits gehören zur 
Reibe der Empfindungsstörungeu. Vermehrt ist der Appetit bei der 
Hyperhydrochlorie, vermindert bei der milch- und essigsaurou Hyper¬ 
acidität, er fehlt oft vollständig bei der Anacidität. Die gastro¬ 
intestinalen Neurosen bedingen mehr Appetitlaunen oder theilweise 
Appetitlosigkeit. Die paretischen Bewegungsstörungen, d. h. die 
Atonien mit oder ohne Dilatation, kommen in fast allen Fällen vor; 
die antiperistaltischen Störungen oder das Erbrechen sind weit 
häufiger bei den Neurosen und oft das einzige für sie Charakteri¬ 
stische. Die Gaserscheinungen, d. h. die Pneumatose und das Gas- 
aufstoßen, beobachtet man iu der Mehrzahl der Fälle; bei den 
Neurosen bestehen die Gase oft aus verschluckter Luft; die Zer¬ 
setzungsgase sind das gewöhnliche Zcicheu der milch- und essig¬ 
sauren Acidität; sie bedingen die schmerzliche Empfindung der 
Pyrosis. Die Magenverdauung ist in der Hyperhydrochlorie in Bezug 
auf Alles, was Fleisch und Albuminate heißt, vollständig. Sie ist schlecht 
in allen Fällen von milch- und essigsaurer Acidität; unvollständig 
bei der Auacidität. Handelt es sich dagegen um Neurosen, so geht 
die Magenverdauung in Bezug auf alle Speisen ohue Unterschied 
vollständig und normal vor sieh. Die Darmverdauung steht mit der 
Magenverdauung in engem Zusammenhänge. Bei der Hyperhydro- 
chlorio setzt sie sich anfaugs schwach, später vollständig fort und 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 39. 


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äußert sich coustant durch Stuhlverstopfung. Bei der Anacidität 
ist die Dannverdauung hochgradig gestört und bewirkt abwechselnd 
Verstopfung und Durchfall. Unter diesen Verhältnissen wird die 
Lage ernst, weil die eigentliche Verdauung und vornehmlich die 
Absorption im Darm vor sich gehen. Ist der Magen nur allein 
leidend, so ist Heilung möglich, denn der Darm kann als seine 
Filiale angesehen werden; ist dies Organ erkrankt, so kann kein 
anderes Orgau dasselbe ersetzen. 

Bei den gastro-intestinalen Neurosen sind anfangs nur neuro- 
motorische Erscheinungen vorhanden, die Darmverdauung bleibt 
intact. Später wird aber der Dickdarm in Folge des längeren Ver- 
weilens der mehr oder weniger zersetzten Masson in demselben der 
Sitz einer schleimig - membranösen Entero-Colitis, einer schweren 
Krankheit, die große Sorgfalt und eine strenge Diät erfordert. Die 
letzte Gattung von Erscheinungen umfaßt die örtlich entfernten Zu¬ 
fälle, nämlich den Schwindel, die Platzfurcht, die Migräne, die 
Schlaflosigkeit oder die Schlafsucht, Alles Erscheinungen circulatori- 
scher Art. Sie treten häufig in beiden Gruppen auf. Das Gleiche 
gilt von dem Herzklopfen, der Brustbeklemmung, sowie endlich 
vou dem Ausstrahlen der gastro-intestinalen Dyspepsien und Neurosen 
auf das Gehirn und das Nervensystem im Allgemeinen. 

Die Cannabis ist von constanter Wirkung zur Beseitigung der 
Schmerzempfindungen und zur Wiederherstellung des Appetits, 
unter welchen Verhältnissen auch die Schmerzen und die Apetit- 
losigkeit anftreten mögen. Hängen sie jedoch von einer Hyper- 
hydrochlorie ab, so ist eine Unterstützung der Wirkung der Can¬ 
nabis durch den Gebrauch großer Dosen Natrium bicarbonicum am 
Ende der Magenverdaunng, d. h. ungefähr vier Stunden nach Ein¬ 
führung der Speisen, unerläßlich. Die Cannabis hat keine Wirkung 
auf die Atonien und Dilatationen des Magens; dieselben werden 
selten rückgängig, ausgenommen vielleicht durch Anwendung physi¬ 
kalischer Mittel, wie die Mägenausspülung und die Hydrotherapie. 
Günstig wirkt sie auf die Magenkrämpfe und das Erbrechen neuro- 
raotorischer Art. Sie übt keinen directen Einfluß auf die Gasbildung, 
aber eine nützliche Einwirkung auf ihre Ausscheidung aus dem 
Magen, auf das Gasaufstoßen , und eine noch nützlichere auf die 
unangenehmen Empfindungen, wie sie unter der Bezeichnung Pyrosis 
durch die Gährungsgase zustande kommen. Die Magenverdauung 
wird durch die Cannabis begünstigt, wenn sie durch einen neuro- 
paralytischen Zustand verlangsamt oder durch die Hyperhydrochlorie 
schmerzhaft ist. Sie bedingt keine Besserung in der Verdauung 
der Anahydrochloriker; höchstens macht sie sie weniger unange¬ 
nehm, jedenfalls nicht wirksamer. Auch die Darmverdauung profitirt 
von den beruhigenden Eigenschaften der Cannabis. Auf die örtlich 
entfernten Erscheinungen, wie den Schwindel, die Migräne, die 
Schlaflosigkeit, das Herzklopfen und selbst die Dyspnoe, scheint 
die Cannabis vortheilhaft einzuwirken; es gelingt oft sogar, diese 
peinlichen Zufälle zum Verschwinden zu bringen; sie modificirt aber 
nicht die nervösen Darmaffectionen, welche darin zu suchen sind. 
Kurz, die Cannabis ist das wirkliche Sedativum des Magens, ohne 
irgend eine der Unzuträglichkeiten der Narcotica, wie des Opiums 
und des Chlorais, der Absorbentien, wie deB W’ismuths, der allge¬ 
meinen Sedativa, wie des Bromkaliums, der schmerzvertreibenden 
Mittel, wie des Antipyrins, die sämmtlich unterschiedslos schäd¬ 
liche Wirkungen auf den Verdauungscanal ausüben. Die Wirkung 
der Cannabis verlangt nothwendigerweise die Anwendung noch 
anderer, sie ergänzender Heilmethoden, wie der Alkalien in großen 
Dosen, wie gewisser Abführmittel, und seltener, bei bestimmten 
Indicationen, der Antiseptica; sie erfordert vornehmlich die Diät¬ 
angaben, wie sie sich aus den neueren Untersuchungen der Physio¬ 
logie über den Zusammenhang von Magen und Darm ergeben. M. 

H. ZWAARDEMAKER (Utrecht): Anosmie. 

Der Verlust des Geruches, der nur das Symptom einer Er¬ 
krankung darstellt, kann durch eine Reihe von Ursachen veranlaßt 
sein. Zunächst sind hier zu nennen die Aftcetionen, die den Nervus 
olfactorius in seinem Verlaufe oder die mit demselben zusammen¬ 
hängenden nervösen Centren betreffen. Nebst dieser Gruppe der 
Anosmia intracrania unterscheidet Verf., dessen Publication uns im 
Augusthefte der „Berliner Klinik“, 1890, in der Uebersetzung von 


Dr. C. Reüter vorliegt, noch die A. gustatoria, respiratoria und 
essentialis. Zur Kenntniß der beiden letzteren Formen liefert der 
Verf. bemerkenswerthe Beiträge. 

Die Anosmia respiratoria hat ihren Grund in einer Behinde¬ 
rung der Nasenatbmung, obwohl nicht alle respiratorischen Anosmien 
direct als pathologisch bezeichnet werden können. Geringe Abschwä¬ 
chungen des Geruchsinnes kommen schon durch die so häufige Asym¬ 
metrie des Nasenskelettes zu Stande, die entweder auf einer Deviation 
des Pflugscharbeines in seinem vordersten Theile oder auf einer 
seitlichen Abweichung des Nasenbeines beruht. Daraus resultirt 
ciuerseits Abweichung der Nasenspitze, andererseits Schiefheit der 
Nasenwurzel; bei Combination beider Zustände im entgegengesetzten 
Sinne entsteht die scoliotische Nase (Welcher). 

Um nun die dadurch bedingten Stenosen geringeren Grades 
sicherzustellen, läßt Verf. den Pat. bei geschlossenem Munde ruhig 
athmen, während er den Reflector eines Kehlkopfspiegels in der 
Höbe der Oberlippe unter beide Nasenlöcher hält, so daß die aus 
den Nasenöffnungen hervordringenden Luftkegel an der Oberfläche 
des kalten Spiegels zwei Beschläge erzeugen, deren Größe den ex- 
spirirten Luftmengen entspricht. Normaler Weise sind beide Flecke 
symmetrisch; die Verkürzung oder Verschmälerung eines der Be¬ 
schläge gibt ein ausgezeichnetes Maß für die Verengerung der 
correspondirenden Seite. 

Eine andere und häufige Anomalie des Nasenskelettes ist die 
Verkrümmung der Nasenscheidewand, die zumeist nur bei catarrha- 
liscber Schwellung der Schleimhaut Stenose und Anosmie auf der 
verengerten Seite hervoruft. Solche partielle Stenosen veranlassen 
oft Mittelohrcatarrhe derselben Seite, chronische Entzündungen der 
Nebenhöhlen mit den lästigen Kopfschmerzen in ihrem Gefolge und 
führen durch Behinderung der Athmung zu einer Veränderung des 
Respirationstypus. 

Außer den erwähnten Wachsthums-Asymmetrien zählen noch 
bieher die Exchondrosen und Exostosen des Septums, die sich nicht 
selten doppelseitig in Form einer Leiste finden, die durch Ablenkung 
des inspirirten Luftstromes je nach ihrem Verlaufe Anosmie und 
umgekehrt eine außerordentliche Steigerung des Geruches bedingt. 

Die Schwellung und Hypertrophie der Schleimhaut nach 
wiederholter Entzündung, eine weitere Ursache der respiratorischen 
A., tritt im Gegensätze zu den bisher genannten Processen fast 
immer doppelseitig auf, und zwar findet sich nach den Untersuchungen 
Zdckerkandl’s die entzündliche Verdickung der Schleimhaut fast 
ausschließlich in der Pars respiratoria und reicht höchstens bis an 
den freien Rand der mittleren Muschel; die Regio olfactoria zeigt 
niemals eine Hypertrophie, weil, wie Verf. meint, die Athmungsluft 
mit ihren Entzündungserregem niemals direct in den Riechbezirk 
eindringt. 

In dritter Reihe entsteht respiratorische A. durch Geschwülste 
der Nasenhöhle, namentlich durch die so häufigen Polypen, die 
an der mittleren Muschel und der Umgebung des Infundibulum ge¬ 
wöhnlich sitzen. 

Erkrankungen der Schleimhaut in der Fissura olfactoria führen 
zur essentiellen A., und wir können mit ziemlicher Sicherheit 
auf eine Läsion im Riechbezirke schließen, wenn die Ursache der 
Anosmie durch Vergleichen der Athemflecken und durch die Rbino- 
skopie nicht klargestellt erscheint und eine Affection der centralen 
Leitungsbahnen ausgeschlossen werden kann. Die essentiellen 
Anosmien sind bilateral, constant und total, sie sind meist secundärer 
Natur, von einer Entzündung der Pars respiratoria der Nasenhöhle 
und des Pharynx hergeleitet. Solche Catarrhe sind häufig combinirt 
mit adenoiden Vegetationen (Hypertrophie der Pharynxtonsille) und 
Entzündung der Bursa pharyngea. An solchen chronischen Catarrhen 
leiden sehr viele Raucher, und darauf dürfte es auch zurückzuführen 
sein, daß man bei einem großen Procentsatz der Raucher die Ge¬ 
ruchsempfindung für alle Geruchsqualitäten stark herabgesetzt findet. 

Die 2. Gruppe der essentiellen A. ist toxischen Ursprungs. 
Sowohl eingeathmete Dämpfe (Aether), als auch schädliche Flüssig¬ 
keiten können zu einer Abnahme des Riechvermögens führen. Be¬ 
merkenswerth sind nach dieser Richtung Untersuchungen von 
Aronsohn, welcher zeigte, daß von den gewöhnlich zur Nasendouche 
verwendeten Flüssigkeiten die 0 6—O - 7°/ 0 ige Kochsalzlösung, das 


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Natr. bicarb. in einer Concentralion von 1*5°/ 0 , Natr. sulf. 2-9°/ 0 , 
Natr. phosphor. 4’4 # / 0 und Magn. sulf. 4*4°/ 0 angewendet werden 
müssen, wofern sie nicht schaden sollen. Auch pulverförmige Sub¬ 
stanzen können, direct applicirt, den Geruchsinn schädigen (Morphin, 
Atropin). 

Verwandt mit diesen toxischen A. sind diejenigen, die man 
im Verlaufe von Allgemeinerkrankungen antrifft, wobei es nicht 
immer möglich ist, zu entscheiden, ob sie zur cerebralen Form ge¬ 
hören oder ihren Grund in Veränderungen des Geruchsorganes selbst 
haben. So erzählt Raymond von einer intermittirenden A., die auf 
Chinin zurückging. Zur essentiellen A. zählt Verf. noch Fälle, die 
durch das Fehlen des der Regio olfactoria eigenthümlichen gelb¬ 
braunen Pigmentes bedingt sind. Hamilton berichtet von einem 
Neger, der von seinem 12. Jahre an innerhalb 10 Jahren seine 
dunkle Hautfarbe vollständig verlor, bis er ganz weiß wurde; dabei 
ging auch das Riech vermögen allmälig verloren. 

Die Entscheidung, welcher Natur eine Geruchsstörung sei, er¬ 
fordert eine genauere Untersuchung, deren Methoden durch die 
directe Beleuchtung, durch die Untersuchung der respiratorischen 
Function mittelst des Spiegelbeschlages und der nervösen mittelst 
des Riechmessers vervollständigt sind. G. 


Die Pathologie and Therapie der Mundathmong. 

Von Dr. Emil Bloch in Freiburg. Wiesbaden 1889. J. F. 

Bergmann. 

Wenngleich schon oft in Lehrbüchern und Abhandlungen auf 
die Wichtigkeit einer ungestörten Nasenathmung und auf die ver¬ 
schiedenartigen pathologischen Zustände der Respirationsorgane, 
sowie auch auf die Verbildung einzelner Skelettheile, welche sich in 
Folge behinderter oder ganz aufgehobener Nasenathmung einstellen 
können, hingewieeen wurde, so verdient das vorliegende Buch dennoch 
besondere Aufmerksamkeit und volle Würdigung, denn noch nie ist 
dieses Thema in so erschöpfender, übersichtlicher Weise und mit 
Zuhilfenahme der durch das Thierexperiment gewonnenen Thatsachen 
und der gangbaren Theorien behandelt worden, als in diesem 
Bache. 


Feuilleton. 

Die Krankencassen und die Aerzte. 

Von Prof. Dr. Janovsky in Prag. 

(Schluß.) 

§. 14. l * * * 5 ) Zu diesem Paragraph wäre zu bemerken, daß die 
Bestimmung oder Zuweisung eines Kranken zur Krankenhaus¬ 
verpflegung nur in Uebereinstimmung oder auf Anordnung des Arztes 
zu geschehen hätte, und daß, wie dies auch in der Intention des 
Vereines der Aerzte Niederösterreichs liegt, das Musterstatut oder 
die Instructionen ganz klar lauten sollten, da ja die Beurthcilung 
des Umstandes, ob ein Kranker der Krankenhauspflege bedarf, nur 
vom Arzte als Fachmann getroffen werden kann. 

§. 27. Jener Paragraph nun, welcher mit Recht die schwersten 
Bedenken von Seite der Aerzte hervorrief, und welcher, wie wir 
wohl ohne Uebertreibung sagen können, dieselben recht- und schutzlos 
der Gnade und Willkür der Cassenvorstände anheimgibt, ist ohne 
Zweifel der angezogene Paragraph, Alinea 5 6 ), welcher die Be¬ 
stellung von Cassenärzten und die Ertheilung von Instructionen an 
dieselben einzig und allein dem Vorstande der Casse anheimstellt. 
Es ist dies eigentlich erst eine Interpretation des .§. 39 des Gesetzes. 

l ) „Mitglieder, welche mit ihren Ehegatten oder mit anderen Gliedern 

ihrer Familie im gemeinsamen Hanshalte leben, oder anderweitige häusliche 

Pflege genießen, können nur mit ihrer Zustimmung in ein Krankenhaus über¬ 

führt werden, es sei denn, daß die Ueberführung nach Ausspruch des Cas^en- 

arztes wegen der Art der Krankheit erfolgen mnß.“ 

6 ) Zu den Obliegenheiten des Vorstandes zählt: „.die Bestellung 

von Aerzten nnd Bediensteten der Krankencasse und Ertheilung von Instruc- 
tionon an dieselben.” 


Der Verf. weist zuerst nach, daß die Nase bei der Athmung 
dazu bestimmt ist, die Luft zu erwärmen, mit Wasserdampf zu 
sättigen, von Staub und anderen mechanischen Beimengungen zu 
reinigen und die Athemreflexe anzuregen und zu reguliren. Die 
Nasenathmung ist somit aus diesem Grunde die natürliche und be¬ 
quemste Athmung und macht der Mundathmung nur dann Platz, 
wenn sie durch irgendwelche Veränderungen in der Nase nicht 
stattfinden kann. Die Insufficienz der Nasenathmung ist entweder 
eine absolute, d. h. durch Zustände bedingt, welche den obersten 
Luftweg entweder vollkommen absperren, oder doch in so hohem 
Grade verengern, daß die durch denselben in die Lungen eindrin¬ 
gende Luftmenge zur Befriedigung des Sauerstoffbedürfnisses nie¬ 
mals hinreicht, oder eine relative, wo blos unter gewissen ver¬ 
änderten Umständen, bei größerem Lufthunger, eine ungenügende 
Menge Luft hindurchstreicht. 

Nach Aufzählung der mannigfachen Hindernisse für einen ge¬ 
nügenden Luftdurchzug durch die Nase bespricht Verf. den Mecha¬ 
nismus der Mundathmung, wobei er naehweist, daß diese zuerst 
erlernt werden müsse, und anfänglich durch eine active Thätigkeit 
unterhalten, erst später, wenn eine Angewöhnung eingetreteu, gewisser¬ 
maßen selbstständig erfolgen könne. Die schädlichen Folgen der 
Mundathmung, wie sie sich an den Muskeln des Unterkiefers, an 
den mimischen Gesichtsmuskeln, an den Lippen, den Zähnen, dem 
harten Gaumen und der Nasenscheidewand, an der Zunge, der 
Mundschleimhaut, den Gaumenmandeln, dem weichen Gaumen, an 
der Rachenschleimhaut, im Kehlkopfe und in den tieferen Luft¬ 
wegen entwickeln, finden eine detaillirte nnd eingehende Besprechung, 
und finden wir bei den Veränderungen der Rachenschleimhaut auf 
dieses ätiologische Moment für die Entstehung der Diphtheritis, bei 
denen des weichen Gaumens auf die aus dieser Ursache mögliche 
Entstehung des Stotterns, bei den Erkrankungen des Respirations- 
tractes auf die Disposition für Tussis convulsiva und auf die Entstehung 
des Bronchialasthma hingewiesen. 

Eine kurze, aber übersichtliche Darstellung der Therapie der 
Mundathmung beschließt dieses vortreffliche Büchlein, welches wir 
hiemit zur aufmerksamen Leotüre allen Collegen empfohlen haben 
! wollen. Dr. Wilh. Roth. 


Mit vollem Rechte wendeten sich sämmtliche Verbandsvereine 
in wohlmotivirten Eingaben gegen diesen Passus des Musterstatutes, 
welcher die Stellung des Arztes zu einer höchst preeäreu gestaltet 
und den Aerzten jeden zum gedeihlichen Zusammenwirken so noth- 
wendigen Boden unter den Füßen entzieht. Denn zu diesem gehört 
vor Allem eine genau gegebene Umgrenzung von Rechten und 
Pflichten der einzelnen Factoren, wie sie ja in dem einfachsten 
Dienstvertrage gegeben ist. Es handelt sich vor Allem, und wir 
können dies nach den eingehenden Verhandlungen in den einzelnen 
Vereinen ganz kurz präcisiren, hiebei um zwei für den ärztlichen 
Stand uneudlich wichtige Momente: 1. um die Ertheilung von In¬ 
structionen, 2. um das Berufungsrecht der Aerzte. Was den ersten 
Punkt anbelangt, so ist es klar, daß eine Corporation von Laien, 
sei sic auch von den besten Intentionen getragen, jede solche In¬ 
struction ohne einen Fachbeirath meist einseitig im Interesse der 
Cassen abfassen wird, und es ist der Wunsch der überwiegenden 
Majorität der einzelnen Vereine gewiß ein berechtigter, daß die In¬ 
struction von der politischen Behörde, welcher stets ein Fachorgan 
zur Seite steht, erlassen wird, oder daß die Vereine, eventuell später 
die Aerztekamraern, hierüber einvernommen werden. Dies ist eiu 
Punkt, auf dessen Annahme wir fest beharren müssen, wie dies 
namentlich der Verein der Aerzte Niederösterreichs und nach ihm 
fast sämmtliche Verbandsvereine betonten. 

Der zweite Punkt ist jedoch ebenfalls von einschneidender 
Wichtigkeit. Weder im Gesetze, noch in dem Musterstatut ist ein 
Passus enthalten, nach welchem in den Fällen, wo sich der Arzt in 
seinem Rechtsverhältnisse gegenüber den Cassen beeinträchtigt glaubt, 
oder wo Differenzen entstehen zwischen Arzt und Vorstand, sich 
der Arzt um Schutz und Hilfe umsehen könnte. Hier ist es vor 
Allem dringend nöthig, darauf zu bestehen, daß dom Arzte das Be¬ 
rufungsrecht an die politische Bohörde gewahrt bleibt, denn sonst 


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ist derselbe schutzlos und entbehrt bei seinem anstrengenden, dornen¬ 
vollen Wirken der Rechtssicherheit, welche ja mit die wichtigste 
Grundlage moderner socialer Einrichtungen bildet. Die von einzelnen 
Vereinen gebrachten Vorschläge, es möge ein Arzt stets auch im 
Ausschüsse der Krankencasse Sitz und Stimme haben, sind zwar sehr 
beachtenswerth, aber sie bieten für den Arzt nicht diejenige Rechts¬ 
sicherheit wie das directe Berufungsrecht an die zuständige Behörde. 
Sollten, wie wir dies Alle hoffen und wünschen, die Aerztekammern 
in’s Leben treten, so wäre das Berufungsrecht entweder an die¬ 
selben zu übertragen oder ibr Votum wenigstens von der betreffenden 
Behörde einzuholen. 

Hiemit wäre nun die Besprechung derjenigen Stellen im Ge¬ 
setze und den Musterstatuten erschöpft, welche sich direct auf die 
Aerzte beziehen; indeß erübrigt uns noch im Sinne der im Ein¬ 
gänge erwähnten Eintheilung des ganzen Stoffes eine Klarlegung 
jener Verhältnisse, wie sie sich aus dem Gesetze ergeben haben. 

Hier ist nun vor Allem die Art und Weise der Anstellung 
der Cassenärzte und der Honorirung derselben in’s Auge zu fassen, 
welche nach den bisherigen Erfahrungen bereits den Gegenstand 
bitterer Enttäuschungen und eingehender, wohlbegründeter Be¬ 
schwerden der Aerzte bildet. Hier ist es dann wieder allen voran 
die Frage, ob Pauschalirung oder fallweise Honorirung, welche zu 
lösen sein wird, wozu ja übrigens ein reiches Materiale von Seite 
der Vereine vorliegt. Mit wenigen Ausnahmen haben sich die Sec- 
tionen, und nach Ansicht des Referenten mit vollstem Reehte, gegen 
die Pauschalirung ausgesprochen, jenen Modus, der freilich für die 
Cassen der billigste ist, bei dem es jedoch zu Verhältnissen kommen 
muß, welche, wie dies die drastischen, in einzelnen Vereinen und 
Sectionen angeführten Beispiele (z. B. Oberhollabrunn) und die Er¬ 
fahrungen deutscher Collcgen beweisen, für den ärztlichen Stand 
tief beschämend und erniedrigend sind, so daß z. B. der Ausdruck 
eines Vergleiches mit dem „Dienstmännertarif“ nicht übertrieben er¬ 
scheint. Stellt sich ja doch nach den angeführten authentischen 
Beispielen, welche den Anerbietungen der Casse entnommen sind, 
eine Visite auf 2 1 / 2 —3 kr. Hiezu bedarf es keines Commentars. 
In einem Punkte werden wohl auch die spärlichen Freunde der 
Pauschalirung unter den Aerzten zugeben, daß erst nach den Er¬ 
fahrungen von wenigstens 2—3 Jahren ein approximativ richtiger 
Calcul als Grundlage für die Pauschalirung aufgestellt werden kann, 
und daß auch dann dieser Modus sich blos für größere Städte 
empfiehlt und niemals für das flache Land. Fast sämmtliche Vereine 
und deren Sectionen sprachen sich für fallweise Honorirung aus, 
so namentlich die Aerzte Nieder Oesterreichs, Schlesiens, Steiermarks, 
Kärntens, Salzburgs, Vorarlbergs, Krains, Mährens, der Grafschaft Görz 
und in Böhmen die beiden Centralvereine und die Aerzte Reichen¬ 
bergs, Königinhofs und TetschenB, welche letzteren ebenso wie die 
Collegen aus anderen Kronländern durch mannhaftes Einstehen und 
festes solidarisches und collegiales Verhalten die Cassen dazu ver¬ 
mochten, dem wohlbegründeten Postulate zu willfahren. Es ist daher 
mit dem größten Nachdrucke von Seite der Vereine und durch 
mannhaften Appell an das Ehrgefühl, die Solidarität und Collegialität, 
unsere mächtigsten Waffen im Kampfe um unsere Existenz, dahin 
zu wirken, daß das Honoriren von Fall zu Fall nach den ver¬ 
schiedenen örtlichen Verhältnissen, entsprechend den von Seite einer 
Reihe von Vereinen aufgestellten Tarifen — daß die Einzelnhono- 
rirung zur Norm erhoben wird. Dann ist auch die schädliche Ein¬ 
wirkung des Eintrittes nichtversicherungspflichtiger Mitglieder wenig¬ 
stens theilweise paralysirt, und zugleich können nach dem Tarife 
jene Verrichtungen operativer und geburtshilflicher Art, welche 
dessen bedürfen, auch entsprechend honorirt werden. 

Hier liegt die Reraedur in den Händen der Aerzte. Kleinliche 
Rücksichten hintansetzend, können sie durch Collegialität, Ver- 
ständniß für die Gesammtheit des Standes, welche einzig und allein 
die Basis jedes Erfolges in unserer Zukunft bildet, das gewünschte 
Ziel erreichen, wie dies ja auch die angezogenen Erfahrungen be¬ 
weisen. 

Was die Ernennung der Cassenärzte anbelangt, so wäre auch 
hier eine Remedur der Verhältnisse, wie sie sich theilweise ent¬ 
wickelt haben, dringend nothwendig. Wird die fallweise Honorirung 
zum Principe erhoben, so löst sich die Frage gewiß auf die be¬ 


friedigendste Weise. Denn dann können alle Aerzte an der Be¬ 
handlung der Cassenkranken participiren, wodurch die Collegialität 
am wenigsten leidet, und der Kranke kann sich, was gewiß nur 
humanen Principien entspricht, seinen Arzt stets wählen. Zugleich 
ist dieser Modus auch, gestehen wir es offen ein, im ethischen 
Sinne für unseren Stand der beste, indem einer unehrenhaften 
Minuendo-Licitation ein wirksamer Riegel vorgeschoben wird. Sollte 
aber in einzelnen Fällen eine Ernennung eines einzigen Arztes als 
Cassenarzt stattfinden, dann hätte, wie dies fast alle Sectionen aus- 
sprachen, diese Ernennung unter Intervention der politischen Be¬ 
hörde stattzufinden. 

Eine zweite Frage, welche das Interesse der bei den Cassen 
fungirenden Aerzte anbelangt, betrifft die Einbeziehung des land- 
und foretwirtschaftlichen Personales. Diese Frage erscheint jedoch 
dem Referenten noch nicht spruchreif, da die betreffenden Vor¬ 
erhebungen, namentlich auch statistischer Art, fehlen, und auch in 
Deutschland sich die Sache noch im Stadium des eingehenden 
Studiums befindet. Wichtig ist auch die Frage der Einbeziehung 
der Frauen und Kinder in die Versicherung, wie dieselbe von Seite 
einzelner Vereine und Sectionen verlangt wird. Auch diese Frage 
ist schwer zu lösen, namentlich deshalb, weil dieselbe die statistisch 
finanzielle Seite der Grundlagen, auf denen sich die Cassen auf- 
bauten, tangirt. Wir Aerzte können diese Einbeziehung nur 
wünschen, wenigstens in den meisten Fällen, da uns das Onus 
dieser Behandlung ohne entsprechende Remuneration auch nach 
dem Inslebentreten der Cassen nicht genommen wird. 

Endlich sprechen die Erfahrungen der Aerzte Deutschlands, wie 
dieselben auf den deutschen Aerztetagen, z. B. in Bonn, Leipzig, 
zum Ausdruck kamen, entschieden für die hier geäußerten An¬ 
sichten und plaidiren hauptsächlich für die Intervention der dort 
besteheuden Aerztekammern in Angelegenheiten der Cassenärzte 
und für die officielle Vertretung der Aerzte in den Caseenaus- 
schüssen. 

Hiemit wären nun wohl alle diejenigen Punkte erschöpft, 
welche in der Angelegenheit der Krankencassen die Aerzte tangiren, 
und wir kommen nun zum Schlüsse des Referates, zur Besprechung 
jener Schritte, welche uns zur Durchführung unserer eventuellen Be¬ 
schlüsse dienen sollen. Vor Allem dürfen wir uns wohl keineu Illu¬ 
sionen hingeben, daß wir namentlich in denjenigen Punkten, welche 
einer legislatorischen Aenderung bedürfen, rasch zum Ziele gelangen, 
indeß müssen wir unverdrossen und unentwegt daran arbeiten. Was 
jedoch diejenigen Punkte anbelangt, deren Aenderung in unseren 
Händen liegt, so ist es an uns, durch ein collegiales, einträchtiges 
und zielbewußtes Handeln zu zeigen, daß wir derjenigen Reformen 
würdig sind, welche wir anstreben! 7 ) 


Kleine Mittheilungen. 

— Botey berichtet in der „Academie des Sciences“ zu Paris 
über eine Reihe von Versuchen, welche die Möglichkeit der Ver¬ 
abreichung von Medicamenten durch Trachealinjectionen be¬ 
weisen. Zunächst constatirte er an Kaninchen die Unschädlichkeit 
von Injectionen von Wasser, welches 7 0 /„ Kochsalz oder 0 20° 0 
Naphtol enthielt, vorausgesetzt, daß die Injectionen langsam ge¬ 
macht werden und die Menge der injicirten Flüssigkeit nicht 10 Cubik- 
centimeter pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde übersteigt. An 
2 Kilogramm schweren Meerschweinchen wurde 1 Gramm destillirtes 
Wasser ohne jeden Schaden injicirt. Injectionen von 2 Gramm er¬ 
zeugten geringe Respirationsstörungen, die bald verschwanden, da¬ 
gegen traten auf 3 Gramm schwere Erscheinungen auf. Bei den 
getödteten Thieren ergab aber die Section keinerlei Veränderungen 
der Luftwege. Ferner injicirte Botey 3 großen Kaninchen caustische 
Flüssigkeiten, wie Nitr. argent. in 2 1 / a % Lösung oder Kal. bichrom. 
in 1 / a % Lösung in Dosen von 50 Centigramm, ohne besondere 
Störungen hervorzurufen, während ähnliche Injectionen in den 
Oesophagus oder in den Magen sehr schwere Erscheinungen bervor- 


7 ) Die vom Referenten beantragten, vom Aerztevereinstage zum Be¬ 
schluß erhobenen Resolutionen haben wir in Nr. 37 mitgetheilt. 

Die Red. 


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riefon. Nach diesen Vorversuchen injicirte Botey sich selbst nach 
vorausgegangener CocaYnisirung des Kehlkopfes 10 Gramm destil- 
lirten Wassers ohne die geringste Störung, selbst ohne Husten her¬ 
vorzurufen. Dasselbe konnte er nach einer Injection von 25 Gramm 
destillirten Wassers, coustatiren. Nur sank dabei die Zahl der Re¬ 
spirationen von 21 auf 17 und der Puls von 82 auf 74. 
Nach 3 Tagen ipjicirte er sich 37 Gramm destillirten Wassers ohne 
den geringsten Nachtheil. Nach 8 Tagen injicirte er sich 50 Gramm 
destillirten Wassers, wobei blos die Zahl der Respirationen und 
Pulse für einige Stunden sank. Schließlich führte Botey einige Ver¬ 
suche au Kranken aus. Bei einer Frau, die an Syphilis des Kehl¬ 
kopfes und der Trachea litt, injicirte er ohue vorausgegangene 
Anästhesie 12 Gramm einer Jodlösung 1:100, wodurch geringer 
Husteu erzeugt wurde. 2 Tage später injicirte er nach vorausge¬ 
schickter Anästhesie 15 Gramm, ohne den geringsten Reflex hervor¬ 
zurufen. Einige Tage später begann er jeden 2. Tag 25 Gramm 
einer Lösung zu injiciren, die 0*25 Jodkali und 0*0025 Sublimat 
enthielt. Diese Injectionen wurden 17 Mal wiederholt, die Kranke 
vertrug sie gut und wurde vollständig geheilt, nachdem das Leiden 
einer energischen äußeren Behandlung längere Zeit getrotzt hatte. 
Die einzige wahrnehmbare Erscheinung nach den Injectionen war 
blos eine Abnahme der Respirationsfrequenz von 23 auf 18 während 
mehrerer Stunden. 

— Bei 9 Kranken, die an Ascites und allgemeinem Hydrops 
in Folge von Herzkrankheiten (4 Mitralinsufficienz, eine Aorten- 
insufficienz, 3 atrophische Lebercirrhose, 1 Abdominaltumor) litten, 
wendete Prof. Oboloxski in Moskau Bals. copaivae als Diureticum 
an und erzielte damit so vorzügliche Resultate, daß er das Mittel 
zu weiterer Prüfung empfiehlt. Bei allen diesen Kranken erwies sich 
die diuretische Kraft des Copaivabalsams höher als die der Digitalis, 
der Convallaria majalis, der Adonis vernalis, der Stigmata maYdis 
und des SparteYns. Er wendete das Mittel in Emulsionsform in Doseu 
von 1*25—2*5 Gramm an. Die diuretische Wirkung äußert sich 
sehr verschieden. Oft ist schon nach 24 Stunden die Harnmenge 
auf das Doppelte gestiegen und erhält sich auf dieser Höhe längere 
Zeit. Das Mittel wurde verhältnißmäßig gut vertragen. Bei manchen 
Kranken euzeugte es allerdings häufigen Draug zum Uriniren, 
Koliken und flüssige Stühle, doch waren diese Störungen nie derart, 
daß sie zu einem Aussetzen des Mittels gezwungen hätten. Eine 
schädliche Wirkung des Copaivabalsams auf die Nieren wurde nur 
bei einem Kranken mit Mitralinsufficienz constatirt, bei dem rothe 
Blutkörperchen im Harn gefunden wurden, ohne daß aber irgend 
welcher Schaden dadurch entstanden wäre. Nach seinen Versuchen 
empfiehlt daher Oboi.ONSKI den Bals. copaivae als ein gutes Diure¬ 
ticum , welches namentlich bei Hydrops in Folge von Herz- und 
Leberkrankbeiten ausgedehnte Anwendung finden dürfte. Seine Wir¬ 
kung erklärt sich wahrscheinlich durch Erweiterung der Nieren- 
gefäßc. 

— Dr. J. Neumann empfiehlt in Nr. 37 der „Münch, med. 
Wochensehr.“ eine Behandlungsmethode der Diphtherie, von der 

er günstigere Resultate gesehen hat, als von anderen. Eingcleitet 
wird die Behandlung mit einer abführenden Dosis Calomel; ist De- 
läcation erfolgt, so werden sämmtliche Nasenrachenschlcimbaut- 
auskleidungen mit folgender Lösung energisch und sorgfältig ge¬ 


pinselt : 

Rp. Jodi puri.0*4 

Spirit, vini.20*0 

Chloroform.2*0 


Die Bepinselung geschieht am besten, nachdem vorher die be¬ 
treffenden Stellen durch nochmaliges Bepinseln, Ausspritzen und 
Gurgeln mit Kalkwasser von den darüber lagernden Schleimmassen 
befreit sind. Man könnte bei einem derartigen Verfahren eine Jod 
intoxication scheuen. Versuche, welche N. zunächst an Thieren 
machte, lehrten jedoch, daß diese Gefahr sehr gering ist, indem 
fast sämmtliches Jod an Eiweißkörper uud Salze gebunden wird, so 
daß es bereits nach einer Stunde nicht mehr gelingt, im Speichel 
und Urin freies’ Jod nachzuweisen. Die nächste Bepinselung mit 
der oben angegebenen Jodlösung erfolgt 6 Stunden darauf. Zwei 
Stunden nach dieser erfolgt eine 2—3 Minuten dauernde kalte Ab¬ 


reibung; sodann Einhüllen in Wolldecken und Trinken von sehr 
warmen Theeaufgüssen , welchen 1 — 3 Grm. salicylsaures Natron 
zugefügt wird. Es entsteht eine starke Diaphorese, welche man 
etwa 2—3 Stunden anhalten läßt. Sodanu Abtrocknung. Dabei 
reichlich Excitantien. Am folgenden Tage findet nur eine einmalige 
Einpiuselung statt. Am dritten Tage wird das Verfahren des ersten 
Tages wiederholt. Die erzielten Resultate waren gegenüber anderen 
Verfahren bedeutend günstiger. Vor Allem traten, falls man früh 
hinzu kam, Erstickungserscheinungen schnell zurück. Der Gesammt- 
verlauf der Krankheit erschien abgekürzt. 

— Sehr interessante Bemerkungen über den Einfluß des Ge¬ 
schlechtes auf die Localisation der Ohrenerkrankungen maoht 
Dr. Loewenberq in Nr. 62 des „Bullet. m6d.“ Wenn man eine 
größere Anzahl von Ohrenkraoken beobachtet, so fällt es auf, daß 
das linke Ohr häufiger betroffen ist, als das rechte. Ist nur ein Ohr 
erkrankt, so ist es häufiger das linke als das rechte, und sind beide 
erkrankt, so beginnt die Affection zuerst im linken Ohr und erreicht 
hier auch einen höheren Grad. Dies trifft aber vorwiegend beim 
mänulichen Geschlechte zu, während beim weiblichen das rechte Ohr 
das häufiger und schwerer betroffene ist. Durch diese Thatsache 
aufmerksam gemacht, hat L. Untersuchungen an 3000 Fällen von 
Ohrenerkrankungen mit Ausschluß jener des äußeren Gehörganges an¬ 
gestellt. Unter den 3000 Fällen befinden sich 1790 Kranke männ¬ 
lichen und 1210 weiblichen Geschlechtes. An einem Ohre 
waren erkrankt 478 Männer und 311 Frauen. Darunter war das 
rechte Ohr allein betroffen bei 212 Männern und 167 Frauen, das 
linke allein bei 260 Männern und 144 Frauen. An beiderseitiger 
Schwerhörigkeit litten 1074 Männer und 737 Frauen. Darunter 
war das rechte Ohr mehr betroffen als das linke bei 427 Männern 
und 340 Frauen, das linke mehr als das rechte bei 647 Männern 
und 397 Frauen. Gleich war die Schwerhörigkeit auf beiden Ohren 
bei 238 Männern und 162 Frauen. Er ergeht also aus dieser 
Statistik die merkwürdige Thatsache, daß, wenn e i n Ohr affioirt 
ist, es am häufigsten das rechte bei Frauen, das linke bei Männern 
ist. Sind beide Ohren erkrankt, so überwiegt das linke beim Manne 
bedeutend, beim Weibe nur sehr wenig. 

— E. Gaucher berichtet in Nr. 64 des „Bull. m6d.“ über 
die Resultate seiner seit 5 Jahren fortgesetzten Versuche über die 
Wirkung der Borsäure auf die Lungenschwindsucht. Er suchte 
zunächst den Giftigkeitsgrad der innerlich verabreichten Borsäure zu 
bestimmen und fand, daß die toxische Dosis dieses Mittels wenigstens 
1 Grm. pro Kilogramm Körpergewicht beträgt. Durch vielfache 
Versuche überzeugte er sich ferner, daß die Borsäure leicht durch 
den Harn ausgeschieden wird, so daß eine Anhäufung derselben im 
Organismus nicht zu befürchteu ist. Die Ausscheidung findet auch 
durch das Sputum statt und man findet die Borsäure in nicht un¬ 
beträchtlicher Menge in den Sputis der damit behandelten Kranken. 
Bei Kaninchen vermag die Borsäure, innerlich verabreicht, die Ent¬ 
wicklung der Tuberculose zu verhindern. Er injicirte einer Reihe 
von Kiminchen je 2 Tropfen einer Reincultur von Tuberkel¬ 
bacillen in die Lungen, ließ die eine Hälfte der Tbiere unbehandelt, 
während die andere Hälfte täglich Borsäure mit Talg gemischt er¬ 
hielt. Nach einer gewissen Zeit wurden die Thiere getödtet. Bei 
den nicht behandelten fanden sich ausgedehnte tuberculöse Läsionen 
in den Lungen, während bei den mit Borsäure behandelten Thieren 
in keinem Organ tuberculöse Veränderungen nachweisbar waren. 
Dieses Resultat wurde mit einer täglichen Dosis von 0*20 Borsäure 
erzielt, und zwar für Thiere, die etwa 3 Kgrm. Körpergewicht 
hatten. Bei Lungenschwindsüchtigen, welche mit Borsäure behandelt 
wurden, beobachtete G. constant eine merkliche Abnahme des Aus¬ 
wurfs, der überdies dünnflüssig uud weniger eitrig wurde. Die Bor¬ 
säure ist geschmacklos, wird gut vertragen und erzeugt keinerlei 
Magen- oder Darmstörungen. Was das Endresultat betrifft, so beob¬ 
achtete G. seit 5 Jahren mit Borsäure behandelte tuberculöse Indi¬ 
viduen, deren Lungenveränderungen stationär geblieben sind und 
deren Allgemeinzustand ein sehr befriedigender ist. Alle diese 
Kranken erhielten eiue Tagesdosis von 1 Grm.; dies ist aber unge¬ 
nügend , denn nach den Thierversuchen muß man durchschnittlich 
4 Grm. täglich verabreichen. Er verfolgt die Versuche mit höheren 
Dosen und verspricht die Resultate seinerzeit mitzutheilen. 

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— Auf dem jüngst in Rouen stattgefundenen Congreß für 
Psychiatrie berichtete A. Vojsin über die Anwendung des Chloro¬ 
forms in sehr kleinen Dosen zur Hervorrufung des hypnoti¬ 
schen Schlafes. Er versuchte in einer Anzahl von Fällen Inhala¬ 
tionen von sehr geringen Chloroformmengeu heranzuziehen, um bei 
Geisteskranken Hypnose herbeizuführen. Die Empfindlichkeit für 
das Chloroform ist bedeutend erhöht bei Individuen, die einige Mo¬ 
mente hypnotischen Versuchen ausgesetzt wurden. So konnte V. 
einen Geisteskranken, den kaum 5 Wärter halten konnten, hypno- 
tisiren, sobald er ihn 6 Tropfen Chloroform einathmen ließ. In 
derselben Weise gelang es, einen furchtsamen Geisteskranken zu 
hypnotisiren, dessen Aufmerksamkeit in keiner Weise fixirt werden 
konnte, ferner einen Dypsomanen, einen hereditären Geisteskranken 
mit successiver Mobilität, sowie einen Maniakalischen, dessen Ge¬ 
danken nicht concentrirt werden konnten. In allen diesen Fällen 
wirkte das Chloroform zweifellos nur dadurch, daß es die Willens¬ 
resistenz des Kranken unterdrückte. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. Anglist 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

VIII. 

Aus .den Sectionen. 

Section für innere Medicin. 

Th. Eiselt (Prag): Ueber Splenotyphus. 

Redner rechnet zqr Kategorie des „Splenotyphus“ alle die¬ 
jenigen Fälle von Ileotyphus, in welchen der Herd der Infection 
sich hauptsächlich in der Milz vorfindet. 

Dreierlei Formen des Verlaufes sind zu unterscheiden. Allen 
Fällen von Splenotyphus ist der Mangel an Symptomen von Seiten 
des Darmes eigenthümlich, dagegen ist diese Form durch großen 
Milztumor und einen besonderen Verlauf des Fiebers charakterisirt. 

Die er-ete Form kennzeichnet ein großer Milztumor, adhäsive 
oder exsudative Perisplenitiden, begrenzt oder auf das Peritoneum 
übergehend. Bei der zweiten Form finden sich rasch anwachsende 
Milztnmoren, oft von enormer Größe, mitunter durch Hämorrhagien 
in die Milz bedingt, mit lang dauerndem, constant hohem Fieber 
von 6—7 Wochen Dauer, welches sich nach 1—2wöchentlicher 
Apyrexie wiederholen kann und so lange andauert, als der Milz- 
turaor besteht. 

Die dritte Form ist von Anfang an durch großen Milztumor 
mit heftigem Fieber charakterisirt. Nach einwöchentlichem Fieber 
Apyrexie durch einige Tage, dann wieder Fieber und abermals 
Apyrexie und nochmals Fieber ; im Blute zu keiner Zeit Spirillen. 

Die Identität der Krankheit mit Ileotyphus wird durch die 
Provenienz der Ansteckung oder durch den Obdnctionsbefund (ein¬ 
zelne typhöse Ilealgeschwüre) gegeben. 

Pel (Amsterdam): Ueber die Diagnose der Leberabscesse. 

Viele Leberabscesse werden bei Lebzeiten nicht erkannt, bezw. 
falsch gedeutet und unter die Malariafälle untergebracht. Auf Grund 
von 24 beobachteten Fällen von Leberabsceß, darunter 13 nicht 
tropischen Ursprungs, stellt Redner folgende Thesen auf: 

1. Die Diagnose der Leberabscesse stützt sich im Wesent¬ 
lichen auf a) die objectiven, b) die subjectiven Symptome, c) auf 
die Aetiologie der Krankheit. 

2. Von den objectiven Krankheitszeichen ist außer einem 
meist chronischen hektischen Fieber die Vergrößerung des 
erkran k teu 0rgans das nie fehlende Zeichen eines Abscesses, 
der überhaupt bei Lebzeiten zu erkennen ist. Die Volumszunahme 
ist charakterisirt a) durch die Vergrößerung des rechten 
Leberlappens nach oben, b) durch die mehr oder weniger 
convexe Begrenzung der nach oben dislocirten Lungen-Lcber- 
grenze, c) durch die aufgehobene, bezw. beschränkte Be¬ 
weglichkeit der Lungen-Lebergrenze, sowohl beim Athmen, als 
beim Einnehmeu der linken Seitenlage. 

3. Von den s ubj ec tiven Symptomen sind die Schmerzen 
in der Lebergegend mit Irradiation nach rückwärts nach der rechten 


Schultergegend, die psychische Depression des Kranken, die Ano¬ 
rexie, die Schlaflosigkeit und Abmagerung in erster Reihe zu nennen. 

4. Einige ätiologische Momente sind ebenfalls für die 
Diagnose zu berücksichtigen, z. B. tropische Dysenterie, Aufenthalt 
in den Tropen, Gallensteine, Entzündungen im Gebiete der V. porta, 
Abdominaltyphus, Echinococcuscyste, Traumen etc., doch ist beson¬ 
ders hervorzuheben, daß in nicht seltenen Fällen die Aetiologie der 
nicht tropischen Leberabscesse völlig dunkel ist. 

Schließlich gibt es Leberabscesse, welche sich durch weniger 
ausgeprägte Krankheitserscheinungen, kleinen Umfang und centralen 
Sitz gänzlich der klinischen Diagnose entziehen. 

Litten (Berlin): Ueber atrophische Lebercirrhose. 

Die atrophische Lebercirrhose ist nicht selten mit profuser 
Magenblutung complioirt, und doch ist diese Affection von den Au¬ 
toren nur beiläufig erwähnt. In solchen Fällen tritt ohne vorange¬ 
gangene bedrohliche Erscheinungen plötzlich im Laufe eines Tages 
eine 3—4 Liter betragende, aus reinem Blute bestehende Blutung 
ein, die den Tod des Patienten zur Folge hat. Bei der Section 
findet sich außer einer Hyperämie des Magens keine Veränderung. 

Den ersten derartigen Fall beobachtete Litten im Jahre 1872 
auf der COHNHKm’schen Kliuik. In einem späteren, ähnlich ver¬ 
laufenden Falle von diffusem Leberkrebs fand Redner im untersten 
Theil des Oesophagus eine pathologische Veränderung, nämlich außer¬ 
ordentlich stark ausgedehnte varicöse Ausbuchtungen, welche 
durch ihr Platzen offenbar den tödtlichen Ausgang hervorgerufen 
hatten. Ihre Entstehung verdanken dieselben, wie Redner ausführ¬ 
lich darlegt, der enormen Blutüberfüllung der V. azygos, welche 
das ganze Blut aus den Unterleibsorganen aufnimmt und daher, 
wenn von den unteren ösophagealen Venen ebenfalls noch Blut 
einfließt, strotzend gefüllt ist, so daß es nur noch einer gering¬ 
fügigen Ursache, wie z. B. eines Brechactes, bedarf, um eine dieser 
strotzend gefüllten Venen zum Bersten zu bringen und auf diese 
Weise den Tod herbeizuführen. 

Trier (Kopenhagen) kann die erwähnten Thatsachcn aus 
eigener Erfahrung, welche sich auf ca. 6 Fälle bezieht, bestätigen. 
Bei der Section ist es wiederholt gelungen , nicht nur die Varicen, 
sondern auch die Berstungsstelle nachzuweisen, aus welcher die 
Blutung entstanden ist. 

Baccelli (Rom): Ueber Malaria. 

Der Vortragende bespricht die verschiedenen Formen der 
Malaria, bezüglich deren er die Febris subcontinua als die schwerste 
Form der Erkrankung hinstellt. Gerade diese Form hat den größten 
Procentsatz an Todesfällen ergeben. Das souveräne Mittel zur Be¬ 
kämpfung der Affection ist das Chinin, und zwar bekam er bei An¬ 
wendung subcutaner Injectionen von Chinin auf 16 Erkrankungen 
5 Todesfälle. In neuerer Zeit hat Redner intravenöse Injectionen 
mit folgender Lösung vorgenommen: 

Rp. Chinin, hydrochl. . . . 1*0 

Natr. chlorat.0'75 

Aq. dest.1O0 (Temp. +37° C.) 

MDS. Zur Einspritzung. 

Diese Lösung wurde auf einmal injicirt und ergab in 30 
Fällen von Malaria 30 Heilungen. 

Rochat (Coimbra, Portugal) vertheidigt die Einführung des 
Chinins vom Magen aus. In verzweifelten Fällen hat er von den 
subcutanen Injectionen keinerlei Erfolg beobachtet, aus dem ein¬ 
fachen Grunde, weil keine Resorption mehr vor sich geht. —r. 

Babes und Stoicescu (Bukarest): Ueber Wundinfection als Er¬ 
regungsursache gewisser Formen croupöser Pneumonie. 

Bis nun wurde der Frage wenig Aufmerksamkeit geschenkt, 
ob bei dem nicht seltenen Zusammentreffen von fibrinöser Pneumonie 
und älteren Wunden ein causaler Zusammenhang zwischen beiden 
besteht. Verff. hatten Gelegenheit, 9 Fälle von septischer Pneumonie 
zu beobachten; bei 6 von diesen Fällen fanden sich im Leben oder 
erst bei der Section alte Wunden. Es handelte sich in allen diesen 
Fällen um langwierige Eiterungen oder Gangrän oberhalb der Leber, 
in der Leistengegend oder an den Oberschenkelu. In allen Fällen 
konnte man mit Sicherheit die Fortpflanzung des Entzündungsprocesses 
nach der Richtung der Lungen annehmen und stets war die der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 1554 


Lunge zunächst gelegene Partie die erst ergriffene. So fand sich 
in einem Falle von septischer Pneumonie mit typhösem Verlauf, 
Icterus, sehr hohem Fieber und Diarrhoe eine linksseitige massive 
Pneumonie und eine gangränöse Adenitis inguinalis mit zahlreichen 
Fistelgängen. Die baeteriologische Untersuchung ergab das Vor¬ 
handensein derselben septischen Kapselbacterien (ein specieller 
Proteus) in der Drüse, wie in der pneumonischen Lunge, die keine 
anderen Bacterien enthielt. In einem anderen Falle ging die In- 
fection von einer vereiterten Ovariencyste aus. In diesem Falle 
bildete sich ein abgekapselter Absceß zwischen der Leber und dem 
Zwerchfell, hierauf entwickelte sich eine Pneumonie des rechten 
Unterlappens. In einem 3. Falle bandelte es sich um einen chronischen 
Absceß oberhalb der Leber mit Fistelgängen, Pseudomcmbranen 
und festen Adhäsionen zwischen .Lunge und Zwerchfell. Bald ent¬ 
wickelte sich eine septische Pneumonie im rechten Unterlappen, die 
sich rasch auf die ganze Lunge erstreckte. Im 4. und 5. Falle 
entwickelte sich die septische Pneumonie aus schleichenden Phleg¬ 
monen und Ulcerationen der Oberschenkel, die bald zur Vereiterung 
der Leisten-, Retroperitoneal- und Mediastinaldrüsen und schließlich 
zu Pneumonie führten. In den übrigen Fällen ging die Infection 
von einfachen oder syphilitischen Geschwüren der Vagina oder des 
Rectums aus. In allen Fällen enthielt die hepatisirte Lunge die¬ 
selben septischen Keime (Staphylocoeous aureus, Streptococcus, 
septische Bacillen), wie in den primären Herden. Nur in 2 Fällen 
enthielt die Lunge auch den Pneumoniecoccus. 

Vom ätiologischen Standpunkte ist es von Wichtigkeit, zu 
constatiren, daß eine solche intime Verbindung zwischen Wund- 
infection und manchen Formen von fibröser Pneumonie besteht, 
welche letztere aber in solchen Fällen nur eine Aeußerung der 
Wundinfection ist, die gewöhnlich von einer secundären Invasion der 
Pneumoniebacterien begleitet ist. Man wird in Zukunft festzustellen 
haben, welche Localisation und welche Beschaffenheit der Wunden 
die Lungen am meisten bedrohen. S. 


Section für Ohrenheilkunde. 

R. Kayser (Breslau): Ueber Diplacusis. 

Es gibt 2 Formen von Diplacusis. Die eine ist als Dipl, dys- 
harmoniea zu bezeichnen. Hiebei wird beim Hören mit beiden Ohren 
ein einfacher Schallreiz, meist bestimmte Töne, doppelt wahrgenommen, 
u. zw. mit beiden Ohren gleichzeitig, aber qualitativ verschieden, mit dem 
kranken Ohr ein höherer oder tieferer Ton als mit dem gesunden. 
Die zweite Form kann man als Dipl, echotica bezeichnen. Hier 
wird von beiden Ohren der einfache Schallreiz, Geräusch, Worte etc., 
doppelt wahrgenommen, qualitativ gleich, aber zeitlich getrennt, so 
daß mit dem kranken Ohr gleichsam Aas Echo des Schalls ge¬ 
hört wird. 

Von dieser letzteren, weniger beachteten Form hat K. 
einen Fall bei einer 49jährigen Frau beobachtet, die plötzlich unter 
Schwindel und Ueblichkeit an Sausen, Schwerhörigkeit und Doppel¬ 
hören erkrankte. Objectiv war nur ein mäßiger Mittelohrcatarrh 
vorhanden. Das Gehör war herabgesetzt, besserte sich aber durch 
Katheterisirung. Bei mannigfachen Geräuschen und Worten gab die 
Kranke an, die Wahrnehmung auf dem rechten, kranken Ohr später 
und schwächer zu haben, wie ein Echo. Wurde ein Ohr zugehalten, 
so wurde nur einfach gehört. Nach mehrtägigem Katheterisireü war 
Klingen und Doppelhöron verschwunden. 

Die Diplacusis dysharmonica wird übereinstimmend (Wittich, 
Knapp etc.) auf Grund der HELMHOLTZ’schen Theorie durch Ver¬ 
stimmung des Saitenapparats der Membr. basilaris erklärt. Es ist 
aber zu betonen, daß diese Erklärung nur dann genügt, wenn 
gleichzeitig angenommen wird, daß jeder einzelnen zu einem be¬ 
stimmten Abschnitt der Membr. basilaris gehenden Nervenfaser das 
Gesetz von der specifischen Energie der Sinnesnerven zukommt, also : 
daß der Nerv für den Ton c, wie auch immer gereizt, unter allen j 
Umständen die Empfindung c vermittelt, mag der mit ihm verbundene ! 
Theil der Membr. basilaris 300raal oder öOOmal in der Secunde . 
schwingen. | 


Die Erklärung der Dipl, echotica ist schwieriger. Jedenfalls 
wird die Gehörsempfindung auf dem kranken Ohr verzögert. Exnbk 
und Ureantschitsch haben gezeigt, daß ein beiden Ohren nach¬ 
einander zugeführter Schallreiz einfach empfunden wird, so lange 
die Zeitdifferenz unter 0'06 — 0*l w beträgt. Ich habe ein gleiches 
Resultat durch einen einfachen Apparat (2 ungleich lange Schläuche, 
an einem T-Rohr befestigt) gefunden. Der beabsichtigte Versuch, 
bei der beobachteten Kranken das Doppelhören durch Zuleitung des 
Schalls in beiden Ohren mittelst des erwähnten Doppelschlauches 
aufzuheben und so zugleich die Zeit der Verzögerung zu bestimmen, 
wurde durch die rasche Heilung vereitelt. Die Verspätung der 
Empfindung kann auf dreifache Weise bedingt sein: 1. durch ver¬ 
längerte Dauer des Anklingens, eine Erscheinung, die Urbantschitsch 
eingehender studirt hat, 2. durch verspätete Perception im Ceutral- 
organ, 3. durch verlangsamte Nervenleitung. Bei der Kürze dos 
Acusticus müßte diese Verlangsamung schon beträchtlich sein, um 
Doppelhören zu erzeugen. Wenn diese Erklärung auch für den 
vorliegenden Fall nicht anzunehmen ist, so könnte diese Leitungs- 
vcrlang8amung im Acusticus doch unter anderen Umständen, z. B. 
bei der Tabes, eine Rolle spielen. Ich habe in der That darauf 
deutende Beobachtungen an Tabeskranken gemacht-, die aber noch 
nicht abgeschlossen sind. 

Graoenigo (Turin): Die Mikroorganismen bei den Mittelohr¬ 
erkrankungen. 

G. hat in Gemeinschaft mit Bordoni-Uffreouzzi und Pkccho 
das Secret der eiterigen Mittelohrentzündungen bacteriologisch unter¬ 
sucht und fand in 10 acuten Fällen: 

Diplo-streptococcus Frankel iu 6 Fällen. 

Diplo-strcptoc. Frankel mit Staphylococcus pyogenes aureus 
et albus in 1 Fall. 

Staphylococcus pyog. albus et aureus in 1 Fall. 

Staphylococcus pyog. albus in 2 Fällen. 

In chronischen Fällen fand er neben den pyog. Coccen sapro- 
gene Bacterien, u. A. Proteus vulgaris Hansen. Er konnte 
bacteriologisch die große Wirksamkeit der Sublimatbehandlung der 
Otitis nachweisen. A. 

63. Versammlung der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte. 

(Gehalten zu Bremen, 15.—19. September 1890.) 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Aus den allgemeinen Sitzungen. 

Hofmann (Berlin): Einige Ergebnisse der Naturforschung seit 
Begründung der Gesellschaft. 

Zunächst schildert Redner die Fortschritte der A stronomie, 
die sich an die Namen: Fraunhofer, Reichenbach, Hkrschel, 
Bessel, Struve und Galle knüpfen, betont die große Bedeutung 
der Entdeckung der Spectralanalyse durch Kirchhof und Bünsen 
für diese Wissenschaft und wendet sich sodann zur Geologie, 
für die neben der Chemie die Vervollkommnung des Mikroskopes, 
welches die Feststellung des Ursprungs der Gesteine ermöglicht 
habe, von wesentlicher Tragweite gewesen sei. 

Die Mineralogie, welcher nunmehr Redner in’s Bereich seiner 
Erörterungen zieht, verdanke ihre Entwicklung ganz besonders der 
Physik und Chemie; ersterer durch die verbesserten Meßapparate 
und neuen Beobachtungsmethoden, letzterer durch die vorzüg 
liehen Hilfsmittel der chemischen Analyse, der es gelungen sei, 
die Mineralien nach ihrer chemischen Zusammensetzung zu classificiren. 
Aber nicht nur die Analyse, auch die Synthese der Mineralien habe 
die höchste Vollkommenheit erreicht; so habe Mitscherlich bald 
nach der Gründung der Gesellschaft, deutscher Naturforscher und 
Aerzte den Augit und den Olivin künstlich erzeugt, so seien fast 
alle in der Erdkruste vorgefundeuen V erbindungen chemisch darge¬ 
stellt worden, und so sei noch neuerdings durch Fremv der Rubin 
künstlich, in einer der natürlichen in keiner Weise nachstehenden 
Krystallform, geschaffen worden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 39. 


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Hinsichtlich der Botanik und Zoologie hebt Redner her¬ 
vor, daß durch die Förderungen der Mikroskopie und durch die bahn¬ 
brechenden Arbeiten von Schlejden, Schwann, Pringsheim , die 
Zellenlehre hohe Bedeutung erlangt habe, daß die Gleichwerthigkeit 
des Protoplasmas in den Pflanzenzellen mit der sogenannten con- 
tractilen Substanz der Infusorien nachgewiesen, und durch die Unter¬ 
suchungen Pbingsheim’s über Algenbefruchtung und Algenkeimung, 
Hüfmeister’s hinsichtlich des Generationswechsels der Moose und 
Farne, de Bokg’s und Schwendener’s über die Symbiose bei den 
Flechten etc. etc. der Beweis erbracht worden sei, daß in der ganzen 
organischen Natur ein gleichartiger Zeagungsvorgang vor sich gehe 
und bei den niedrigsten pflanzlichen und höchsten thierischen Wesen 
beides, Samenkörper und Ei, anzutreffen sei. 

Nachdem Redner auf die Bedeutung der ÜARWiN’schen Lehre 
für die Entwickelung der Zoologie hingewiesen, bespricht er die 
Leistungen auf dem Gebiete der Physiologie. 

Im Jahre 1836 habe Schwann der damals zu Jena tagenden 
Naturforscherversammlung mitgetheilt, daß Fleisch, welches in kurzer 
Zeit an der Luit in Fäulniß übergeht, sich sehr lange conserviren 
ließe, wenn die Luft, bevor sic zum Fleische gelange, durch ein 
glühendes Rohr geleitet würde. Aus den fast zur gleichen Zeit An¬ 
gestellten Versuchen Franz Schultze’s habe sich ferner ergeben, 
daß der Vorgang derselbe blieb , wenn man an Stelle des glühenden 
Rohres concentrirte Schwefelsäure in Anwendung brachte. Bald nach 
diesen Entdeckungen, die unzweifelhaft nachwiesen, daß in der Luft 
vorkommende Organismen die Urheber der Fäulniß seien, haben 
Schwann und Cagniard-Latour gefunden, daß die Gährung des 
Weines einer Alge zuzuschreiben sei. 

Schon ira Jahre 1840 habe Henle die Vermuthung ausge¬ 
sprochen,' daß in Luft und Wasser befindliche Organismen als 
l’rsprungsstätte und UebertragUDgsquelle von Infectionskrankheiten 
anzusehen seien, eine Anschauung, für welche die Aufsehen erregenden 
Arbeiten Pasteur’s, Koch’s und deren Schüler den Beweis er¬ 
brachten. 

Heute kennen wir die den meisten Infectionskrankheiten zu 
Grunde liegenden specifischen Erreger; ja sogar die Möglichkeit, die 
Bacterien zu vernichten und dadurch die Krankheiten zu heilen, sei, 
wie aus auf dem internationalen Congreß von maßgebender Seite 
geschehenen Aussprüchen hervorgehe, sehr wahrscheinlich geworden. 

Redner äußert sich sodann über die Ergebnisse der Bacterio- 
logie, den LiSTER’schen Verband, die PASTEDR’schen Untersuchungen 
über die Hundswuth, die prophylactischen Maßnahmen hinsichtlich 
der Viehseuchen, die Conservirung der Nahrungsmittel etc. 

Sehr eingehend werden hierauf vom Redner die Fortschritte 
der Physik behandelt: Die Bedeutung der Erfindungen der Spec- 
tralanalyse für dieses Gebiet, die Construction der ersten elektrischen 
Telegraphen durch Gauss und Weber und des Schreibtelegraphen 
durch Morse, die Entdeckung Steinheil’s, daß die Erde den Strom 
zurückzuleiten vermöge, und Faraday’s, daß elektrische Ströme durch 
Magnetismus erzeugt werden können. welch letztere Thatsache die 
Erfindung des Telephons durch Graham Bell herbeiführte. 

Ferner bespricht Redner die durch Davy, Fabaday, Nöhrer 
begonnenen, durch Werner, Siemens, Pacinotti und Gramme zur 
ungeahnten Blüthe gebrachten Bestrebungen auf dem Gebiete der 
Elektrotechnik, die durch Siemens, Edison, Swan etc. erzielten 
Fortschritte in Bezug auf elektrische Beleuchtung, wobei Kohle in 
luftleeren Bäumen durch Elektricität zum Glühen gebracht und da¬ 
durch ein Licht erzielt wird, das weniger Wärme als das Gaslicht 
bewirkt, die neuerdings vielfach in Aufnahme kommende Verwendung 
der in Wassergefällen aufgespeicherten Kräfte vermittelst Dynamo¬ 
maschinen zu industriellen Zwecken. Schließlich macht der Redner 
auf die aus elektrolytischen Untersuchungen hervorgegangenen 
wichtigen Ergebnisse aufmerksam, auf die durch Jacobi und 
Spencer erfundene Galvanoplastik, die, ebenso wie die galvanische 
Versilberung und Vergoldung, sich zu eiuem wichtigen Industrie¬ 
zweige entwickelt habe, auf das GitÄTZEL’sche Verfahren, wonach 
aus Bittersalz Magnesium sich gewinnen läßt u. s. w. 

Der letzte Theil des Vortrages ist der Chemie gewidmet. 

Zunächst hebt der Redner hervor, wie für die Entwickelung 
der Agriculturchemie die Arbeiten Liebig’s von größter Bedeutung 


gewesen seien, bespricht sodann nacheinander die Industrie der Gas¬ 
beleuchtung , die Bedeutung der Anilinfarben, die Gewinnung des 
Nitroglycerins , die künstliche Darstellung des Harnstoffes durch 
Wöhler, die von Tag zu Tag sich vermehrende Zahl neuer Heil¬ 
mittel (Antipyrin, Autifebrin, Sulfonal etc.), die Entdeckung des 
Chloroforms und Chlorais etc. 

Der Vortrag des nächsten Redners, Oberbaudirector Franzios 
aus Bremen, „Ueber die Erscheinungen der Fluthwelle von Hel- 
golaud bis Bremen“ war zu specialistisch gehalten, als daß hier 
darauf eingegangen werden könnte. 

Chum (Königsberg): Die pelagische Thierwelt in großen Tiefen. 

Redner hebt hervor, daß erst in den letzten Jahrzehnten der 
Nachweis gebracht sei, daß in Meerestiefen, wo ein Druck von 
mehreren hundert Atmosphären herrsche und die Temperatur fast 
den Nullpunkt erreicht habe, Thiere leben, die vermittelst Angel¬ 
fäden, Netzen und Steudelfäden pflanzliche Nahrung aufnehmen. Durch 
besondere Faugnetze, die beimHerunterlassen in einer gewissen Tiefe sich 
öffnen und beim Emporzichen zu einer gewissen Zeit sich schließen, 
sei festgestellt worden, daß ein und dieselben Thiere zeitweilig die 
Meerestiefen, zeitweilig die Oberflächen bewohnen, eine Erscheinung, 
für welche die verschiedene Intensität des Lichtes oder der Wärme ver¬ 
antwortlich zu machen sei. Redner wünscht, daß auch von Seiten 
Deutschlands in Zukunft dieser Frage mehr Interesse zu Theil 
werden möge. Dr. J. Neüberger (Bremen). 


Notizen. 

Wien, 27. September 1890. 

Nene organische Bestimmungen für das militär-ärztliche 
Offlcierscorps. 

Das Reichs-Kriegsministerium hat mittelst Erlasses vom 17. und 
23. d. M. neue organische Bestimmungen für das militär-ärztliche 
Offlcierscorps herausgegeben, welche mit Rücksicht auf das neue 
Wehrgesetz erfolgten. Wir lassen die wichtigsten dieser Bestim¬ 
mungen folgen. 

Das k. und k. militär-ärztliche Offlcierscorps umfaßt die als 
Doctoren der gosammten Heilkunde graduirten Militär-Aerzte des Prä¬ 
senz- und des Reservestandes, einschließlich der Assistenzärzte. In 
der Ausübung des Sanitätsdienstes wird das militär-ärztliche Officiers- 
corps unterstützt von den Oberwundärzten und den Assistenzarzt- 
Stellvertretern, von der Sanitätstruppe und von dem Militär-Medica- 
mentenpersonale. Die Leitung und Verwendung der Einjährig-Frei¬ 
willigen Assistenzarzt-Stellvertreter, sowie der Sanitätstruppe im 
Sanitätshilfsdienste steht ausschließlich den Militär-Aerzten mit Officiers- 
rang zu. — Der Friedensstand des militär-ärztlichen Officiers- 
corps besteht aus: 4 General Stabsärzten, 22 Ober-Stabsärzten erster 
Classe, 28 Ober-Stabsärzten zweiter Classe, 92 Stabärzten, 386 Re¬ 
gimentsärzten erster Classe, 192 Regimentsärzten zweiter Classe, 
243 Oberärzten, zusammen 967 Militärärzten mit Officiersrang. Hie¬ 
zu kommen im Occupationsgebiete: 2 Ober-Stabsärzte erster Classe. 
2 Ober-Stabsärzte zweiter Classe, 4 Stabsärzte, 2 Regimentsärzte 
erster Classe, 2 Regimentsärzte zweiter Classe, 2 Oberärzte, zu¬ 
sammen 14 Militärärzte mit Officiersrang, wonach der gesammte 
Friedensstand des militär ärztlichen Offlcierscorps 981 Personen um¬ 
faßt. Die definitive Aufnahme in den Präsenzstand des militär-ärzt¬ 
lichen Offlcierscorps ist nur in der Charge des Oberarztes zulässig. 
Die bezüglichen Vorschläge werden an Se. k. u. k. Apostolische Maje¬ 
stät vom Reichs-Kriegsministerium erstattet. Assistenzarzt-Stellvertreter, 
welche nach Vollendung ihres einjährig-freiwilligen Präsenzdienstes 
den militär-ärztlichen Beruf anstreben, den vorgeschriebenen Auf¬ 
nahmsbedingungen, sowie den Anforderungen des Dienstes voll¬ 
kommen entsprechen, können als Oberärzte im Präsenzstande ange¬ 
stellt werden. Einjährig-Freiwillige Mediciner, welche ein halbes Jahr 
im Soldatenstande gedient haben und im Genüsse des Stipendiums 
für militär-ärztliche Aspiranten stehen, haben sich unmittelbar nach 
Erlangung des Doctorgrades vor ihrer Anstellung als Oberärzte einer 


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Probedienstleistung behufs Erwerbung einer speciell militär-ärztlichen 
Ausbildung zu unterziehen. Oberärzte in der Reserve, welche eine 
besondere Befähigung als praktische Chirurgen oder Operateure durch 
Zeugnisse über eine mehrjährige Verwendung auf chirurgischen 
Kliniken nachweisen und deren Aufnahme in den Präsenzstand 
wünschenswerth erscheint, können über ihr Ansuchen mit dem ihnen 
im Reserveverhältnisse bereits zukommenden Range in den Präsenz¬ 
stand übersetzt werden. Unter gleichen Bedingungen können auch 
Assistenzärzte iu der Reserve und Reserve-As-istenzarzt-Stellvertreter 
als Oberärzte in den Präsenzstand übernommen werden, erhalten 
jedoch den Rang vom Tage ihrer Ernennung. 

Im Mobilisirungsfalle ist der Mehrbedarf an Militär-Aerzten 
nach Maßgabe des Umfanges der Mobilisirnng und mit Rücksicht auf 
die systemisirteu Kriegsstände wie folgt zu decken: Durch definitive 
Eintheilung der im Präsenzdienste stehenden und nach Maßgabe ihrer 
Befähigung zu Assistenzärzten ernannten Assistenzarzt-Stellvertreter ; 
durch Einberufung der in der Reserve befindlichen Militär-Aerzte 
mit Officiersrang und der Reserve-Assistenzarzt-Stellvertreter; durch 
Activirung von Militär-Aerzten des Ruhestandes und des Verhältnisses 
„außer Dienst“ auf Mobilitätsdauer; durch Anstellung von Personen 
des Soldatenstandes, welche graduirte Aerzte sind und die Ernennung 
zu Militär-Aerzten anstreben, in der Charge eines Assistenzarztes; 
durch Heranziehung von nach §. 10 des Wehrgesetzes zu Kriegs¬ 
diensten verpflichteten graduirten Aerzten; wenn der Landsturm auf- 
geboten wird, durch Verwendung landsturmpflichtiger, „zu Heeres- 
Ersatzzwecken“ und „zu besonderen Dienstleistungen für Kriegs¬ 
zwecke“ zur Verfügung gestellter graduirter Aerzte; endlich durch 
Aufnahme nicht mehr landsturmpflichtiger graduirter Civil-Aerzte, 
welche zur Dienstleistung auf Mobilitätsdauer sich bereit erklären. 
Außerdem können hervorragende Aerzte des Civilstandes — zum 
Beispiel Professoren an den Universitäten, berühmte Operateure, 
welche nicht im Reserve-, Landwehr- oder Landsturmverhältnisse 
stehen — wenn sie sich bereit erklären, im Bereiche der mobilen 
Armee Dienste zu leisten, als Consi 1 iaxärzte auf die Dauer des 
Krieges verwendet, werdeu und erhalten in diesem Falle ausnahms¬ 
weise auch einen höheren Chargengrad (Stabsarzt, beziehungsweise 
Ober-Stabsarzt). Sie üben lediglich eine wissenschaftlich-technische 
Thätigkeit aus, haben jedoch auf den Dienstbetrieb keinen Einfluß 
zu nehmen. Zur einheitlichen Oberleitung des Sanitätswesens im 
Kriege wird dem General-Etapen-Commando ein höherer Militär-Arzt, 
zur Leitung des Sanitätswesens jeder Armee ein General-Stabsarzt 
oder Ober-Stabsarzt erster Classe als Armee-Chefarzt mit der Ein¬ 
theilung beim Armee-Hauptquartiere, dann zur Leitung der Feld- 
Sanitätsanstalten zweiter Linie und Regelung des Krankenabschubes 
ein Ober-Stabsarzt erster Classe als Sanitätschef mit der Eintheilung 
beim Armee-Generalcommando zugewiesen. 

Einjährig-Freiw illige Mediciner haben ein halbes 
Jahr im Soldatenstande und ein zweites halbes Jahr nach Erlangung 
des Doctorgrades als Assistenzarzt-Stellvertreter aetiv zu dienen. Der 
halbjährige Dienst als Assistenzarzt-Stellvertreter ist an dem der Er¬ 
langung des Doctorgrades nächstfolgenden 1. April, beziehungsweise 
1. October anzutreten und kann sich an den Dienst im Soldatcn- 
stande anschließen. Die Assistenzarzt-Stellvertreter sind den Cadet- 
Officier8-StellVertretern gleichzuhalten. Unmittelbar nach Erlangung des 
Doctorgrades ist eine beglaubigte Abschrift des Doctordiploms dem 
Reichs-Kriegsministerium im Wege des Standeskörpers vorzulegen. 
Auf Grund dieses Nachweises erfolgt die Ernennung zum Assistenz¬ 
arzt-Stellvertreter und die Eintheilung zu einer Militär-Sanitäts-Anstalt. 


(63. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte.) Aus Bremen schreibt unser Correspondent: „Nach Commers, 
Bankett, Festball, Seefahrt und den heiteren „Phantasien im Bremer 
Rathskeller“ kommt endlich Ihr Berichterstatter wieder zu Wort 
und Athem, um Ihnen pflichtschuldigst Alles, was er noch am Herzen 
hat, zu eröffenen. Dabei fürchtet er noch, trotz seines Fleißes und 
guten Willens, den Vorwurf der Säumigkeit halb verdient, halb 
unschuldig anhören zu müssen; allein, glauben Sie es diesmal Ihrem 
Berichterstatter, nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe 
von Congreßtagen! Bald finden Sie mich — doch nein, Sie finden 
mich nicht, denn ein richtiger Referent ist überall und nirgends 


-— aber vom Künstlerverein, wo die schwere wissenschaftliche Kost 
verabreicht wird, zum zwangloseren Genre der Sectionssitzungen, von 
der Ausstellung im Bürgerpark zur Festvorstellung im Theater, 
führt mich der freie Beruf und das obligate Vergnügen. Erlauben 
Sie daher, daß ich heute als Ihr Schuldner vom 17 d. M. vor Sie 
hin trete und Ihnen vorderhand cursorisch das Wissenswertheste 
nachtrage. — Die 2. allgemeine Sitzung brachte uns 3 bedeutendere 
Leistungen. Prof. Ostwald (Leipzig) sprach über „Altes und Neues 
in der Chemie“, Prof. Rosenthal (Erlangen) über „Lavoisier und 
seine Bedeutung für die Entwicklung unserer Anschauung von den 
Lebens Vorgängen“ und Prof. Englkr (Carlsruhe) „über Erdöl“. 
Ich will heute nur kurz andeuten, daß die Auseinandersetzungen 
des ersten Redners vornehmlich der neuen physikalischen Richtung 
der Chemie galten. Er berührte die Frage nach den Gesetzen und 
den Ursachen der chemischen Vorgänge, erwähnte die Anfänge der 
heutigen Richtung, wie sie in Bunsen, dem Entdecker der Spectral- 
analyse, Berthelot und Thomsen, Horstmann, Gibbs und Hklm- 
holtz durch die Uebertragung der mechanischen Wärmetheorie und 
der kinetischen Hypothese auf chemische Verhältnisse ihre Vertretung 
gefunden hat. Er besprach die fundamentalen elektrolytischen Unter¬ 
suchungen Faraday’s und die Wandlung in den Anschauungen über 
das elektrolytische Grundgesetz und bezeichnete die Vervollkommnung 
unserer Kenntnisse über die Structur der Verbindungen, über die 
Lagerung der Atome in den Molecülen als die Zukunft der chemi¬ 
schen Forschung. — Rosenthal schilderte in einer umfassenden 
Darstellung die Verdienste Lvvoisier’s. Nach Entdeckung des 
Sauerstoffes durch Scheele und Pristley lehrte uns Lavoisier die 
Lebensvorgänge näher verstehen, indem er mit der alten Lehre vom 
„Phlogiston“ aufräumte und zeigte, daß Verbrennung und Athmung 
auf der Verbindung brennbarer Körper mit Sauerstoff beruhen, deren 
nothwendige Folge die Wärmebildung ist. Ihm verdanken wir übrigens 
die größtentheils noch heute in Anwendung stehenden Methoden der 
organischen Elementaranalyse, und zum Gesetz von der Erhaltung der 
Kraft, wie es uns beute von Mayer undHELMHOLTZ ausgebaut vorliegt, 
hat Lavoisier mit der Wage in der Hand die ersten Fundamente gelegt. 
Nachmittags fanden wir gegen tausend Personen im Parkhause der 
Ausstellung zum Festmahle versammelt. Die Gewerbe , Marine- und 
Handelsausstellung bietet so viel des Interessanten und Sehenswerthen, 
daß wir uns nicht wundern, eine große Zahl von Besuchern in den 
festlich geschmückten Sälen wiederzufinden. Namentlich die Damen 
sind zahlreich vertreten. Nach den officiellen Toasten des Bürger¬ 
meisters Busch auf den Kaiser, des Professors von Hofmann auf 
die Stadt Bremen und Qujncke’s auf die Damen kam der lose 
Humor zu seinem Rechte, und auch heute erntete die launige Dicht¬ 
kunst der Bremer Autoren, die ihren Pegasus auf die bekannten 
Weisen des Commersbuches eingeschult hatteu, vollen Erfolg. 
Donnerstag hüpfte die Naturwissenschaft auf flotten Tanz¬ 
beinen im großen Saale des Künstlervereines. Dem Balle ging 
ein kleines Festspiel voraus, das sehr geschmackvoll inscenirt, 
halb pantomimisch, halb dramatisch belebt, die Uebergabe Helgo¬ 
lands in deutschen Besitz zum Sujet hatte. Freitag Abends 
hatten wir Festvorstellung im Theater und darauf eine gesellige 
Zusammenkunft im weinschweren Rathskeller, die, wenn auch 
zwanglos, umso pünktlicher eingehalten wurde. Der Sonnabend 
findet uns in aller Frühe auf dem Wege nach Bremerhafeu und nach 
Norderney zur Besichtigung der Kinderheilstätte daselbst, über deren 
Einrichtung der ärztliche Leiter Dr. Rode in der III. allgemeinen 
Sitzung berichtete. Wir müssen hier übrigens noch nachtragen, daß 
zu Beginn dieser Sitzung bei den Wahlen in den Vorstand der „Ge¬ 
sellschaft“ auf Vorschlag des Prof. Hertz in Bonn der Wiener 
Geologe Prof. Eduard Suess mit Acclamation berufen wurde. Unter 
Hochrufen auf deu Vorsitzenden Prof. Hofmann uud die Bremer 
Geschäftsführer Pletzer und Buchenau trennte sich die Versamm¬ 
lung.“ — Ueber die wissenschaftlichen, die ärztliche Welt interes- 
sirenden Ergebnisse der Versammlung berichten wir an anderer 
Stelle unserer heutigen Nummer. 

(Universitäts-Nachrichten). Die Supplirnng der durch 
Prof. v. Barth’s Tod verwaisten Lehrkanzel für Chemie an der 
Wiener Universität ist Prof. Goldschmidt übertragen worden. Als 
Nachfolger Barth’s sind Prof. Skr auf (Graz), Dr. H. Weidl, 


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1659 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 39. 


1560 


Docent an der Hochschule für Bodencultur in Wien, und Prof, 
v. Sommaruga (Wien) vorgoschlagen. — Das medicinische Professoren- 
collegium der Klausenburger Universität hat für die erledigte 
Lehrkanzel der Pharmakologie primo loco den Privatdocenten 
Dr. L. Töth, secundo loco Dr. Julius Donath, ehemaligen Privat¬ 
docenten der Grazer Hochschule, candidirt. Zum Professor der expe- 
perimentellen Pathologie an genannter Hochschule wurde Docent 
Dr. J. Löte ernannt. — Aus Berlin wird uns geschrieben: 
Prof. E. Rüster, seit dem Jahre 1871 dirigirender Arzt der 
chirurgischen Abtheilung des Augustahospitals, ist als ordentlicher 
Professor der Chirurgie nach Marburg berufen worden und hat den 
Ruf angenommen. Mit ihm verliert Berlin einen der tüchtigsten, liebens¬ 
würdigsten und darum beliebtesten Chirurgen. Prof. Rüster ist übrigens 
der dritte Berliner Arzt, welcher als Docent in jüngster Zeit an die Mar- 
burger medicinische Facultät berufen ist; denn erst vor wenigen Tagen 
ist Dr. Adolf Barth, früherer Assistent an der hiesigen Universitäts 
klinik für Ohreukranke von Prof. Lucae, zum Professor in Marburg 
ernannt worden, und Zwar ist die Professur für Ohrenheilkunde in 
Marburg für ihn neu errichtet worden. Endlich ist vor ganz kurzer 
Zeit Dr. Uhthoff , bisher Docent in BerJiu, zum Ordinarius für 
Augenheilkunde in Marburg berufen worden, als Nachfolger von 
Schmidt-Rimplkr, welcher gleichfalls von Berlin ausgegangen war. 

(Die Fruchtbarkeit der einzelnen europäischen 
Staaten) ist einer Tabelle zu entnehmen, welche von englischen 
Statistikern für die beiden Decennien 1861—1880 aufgestellt wurde. 

Geburten I Todesfälle Zuwachs i 
Staat -1 

auf 1000 Einwohner berechnet 


Frankreich nimmt bezüglich der jährlichen Zunahme der Be¬ 
völkerung die weitaus niedrigste Stufe ein. Seither ist der Zuwachs 
noch tiefer gesunken und beträgt nach einer Mittheilung Levasseur’s 
in der „Sem. m6d.“ nur mehr l'3°/ 00 pro anno. Die Verantwort¬ 
lichkeit für diese, gegenwärtig im Vordergründe der Discussion 
stehende Erscheinung überwies Javal in einem in der letzten 
Sitzung der Pariser Academie de mödecine gehaltenen Vortrage den 
Civil- und Militärgesetzen, welche vielköpfige Familien schwer be¬ 
lasten. Beachtenswerth ist, daß Ungarn in dieser Tabelle den 
vorletzten Platz einnimmt und das die relativ geringe Zunahme der 
Bevölkerung nicht, wie in Frankreich, durch die kleine Geburts¬ 
ziffer, sondern durch die große Sterbeziffer bedingt ist welche von 
keinem anderen Lande übertroffen wird. Oesterreich, welches 
sowohl bezüglich der Geburten, als auch bezüglich der Todesfälle 
die zweite Stelle in der statistischen Tabelle einnimmt, steht mit 
dem Jahreszuwachs von 8 - 6°/ 00 weit hinter England und Deutschland 
zurück. 

(Ueber die SterblichkeitsVerhältnisse der euro¬ 
päischen Heere) veröffentlichten die „Archives de mödecine 
militaire“ eine interessante Untersuchung, aus welcher hervorgeht, 
daß das deutsche Heer von allen am günstigsten gestellt ist. Die ; 
höchste Sterblichkeitsziffer weist das spanische Heer mit 13 40 pro ! 
Mille auf; es folgt Rußland mit 8 - 88, Italien mit 7*74, Oester- 
reieh-Ungarn mit 6 1)4, Frankreich mit 6 - 0 6, Englaad mit 5*13, 
Belgien mit 4'7, endlich Deutschland mit nur 3'97 pro Mille. Was die j 
aiu weitesten verbreitete Krankheit, die Lungentuberculose, anlangt, j 
so stellt sich die Zahl der Erkrankungen für Deutschland zwar etwas ! 
ungünstiger, da Frankreich mit 2'6 pro Mille den Vorrang gegen j 
312 pro Mille behauptet, dafür aber beträgt die Zahl der | 


tödtlich verlaufenen Fälle in der deutschen Armee nur 0*83 pro Mille, 
worauf als nächstbeste Staaten Belgien mit 1 und Frankreich mit 
111 pro Mille folgen. Obwohl die Verhältnißzahlen sich für Frank¬ 
reich im Allgemeinen nicht ungünstig anlassen und die Tendenz 
weiterer Aufbesserung zeigen, wird Frankreich doch, wie die „Döbats“ 
bemerken, von Deutschland, welches in jeder Hinsicht den Vorrang 
behauptete, weit übertroffen. „Der Berliner Aerztecongreß,“ fährt 
das genannte Blatt fort, „hat also den von unserer Regierung amtlich 
entsendeten Mitgliedern der Armee- und Marinesanitätsbehörden eine 
treffliche Gelegenheit geboten, „Fachunterricht“ zu nehmen , und 
werden sie zweifellos nicht nur aus den gepflogenen wissenschaft¬ 
lichen Erörterungen Nutzen gezogen haben, sondern mehr noch aus 
den Besuchen, die sie den Casernen und sanitären Etablissements 
abstatten durften. “ 

(Aus Brüssel) wird der „Med. Central-Ztg.“ geschrieben: 
In seiner letzten Tagung hatte der (fromme) Antwerpener Provincial- 
landtag, trotz des Einspruches der liberalen Minderheit, den Beschluß 
gefaßt, allen Kranken, welche zum heiligen Hubertus pilgern, die¬ 
selbe Unterstützung aus der Provincialcasse zu gewähren, wie den¬ 
jenigen, die zum Institut Pasteur nach Paris reisen. Während man 
nun allgemein annahm, daß die Regierung diesem Beschluß der 
Gleichstellung des heiligen Hubertus mit Pasteur ihre Zustimmung 
versagen würde, veröffentlicht jetzt zür allgemeinen Ueberraschung der 
„Moniteur“ ein Ministerialdecret, durch das obiger Beschlu ß des 
Antwerpener Provincial - Landtages ausdrücklich gutgeheißen wird. 
Die Wunderheilkraft des heiligen Hubertus ist somit von unserer 
Regierung amtlich anerkannt 1 Was wird nun mit unseren übrigen 
zahlreichen Heiligen, welche Wuudercuren verrichten, werden ? Vor¬ 
aussichtlich werden auch diese vom Staate subventionirt werden. 

(Statistik.) Vom 14. bis incl. 20. September 1890 worden in den 
Civilspitälern Wiens 3861 Personen behandelt. Hievon wurden 722 
entlassen; 81 sind gestorben (10‘l°/ o des Abganges). In diesem Zeiträume 
worden aus der Civilbevölkerung Wiens ond der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 44, egyptischer Augenentzöndung 6, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 18, Dysenterie 1, Blattern 3, Varicellen 10, Scharlach 33, 
Masern'62, Keuchhusten 39, Wundrothlanf 13. Wochenbettfleber 1. — In 
der 38. Jahreswoche sind in Wien 264 Personen gestorben (-{-3 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Eger der praktische Arzt 
Dr. Anton Vogl, 79 Jahre alt; in Segengottes (Mähren) der 
Werks und Districtsarzt Dr. Emanüel Schreyer im 44. Lebensjahre ; 
in Paris der bekannte Chemiker Ernest Hardy, 63 Jahre alt. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

In dem der Gemeinde Ottakring gehörigen, nenerbanten 

Wilhelminen-Spitale, in welchem zur Krankenpflege die Schwestern der Con- 
gregation des heil. Vincenz von Paul bestellt sind, kommen mit dem Eröff¬ 
nungstage folgende ärztliche Stellen zur Besetzung: 1. Die Primararztesstelle 
für die chirurgische Abtheilung mit 1500 fl. Gehalt und einem entsprechenden 
Wagenpauschale. Bewerber müssen emeritirte Zöglinge des klinischen Operations¬ 
institutes sein, wobei gewesene Assistenten einer cbirur.ischen Klinik den 
Vorzug haben. 2 . Die Primararztesstelle für die medicinische Abtheilang mit 
1500 fl. Gehalt nnd einem entsprechenden Wagenpauschale. Bewerber müssen 
Spitalpr«xis haben. 3. Zwei Secandararztesstellen mit je 800 fl. Gehalt, freier 
Wohnung im Spitale, Beleuchtung und Beheizung. Den Vorzug haben Be¬ 
werber, die schon einige Zeit als Secundarärzte oder wenigstens als Aspiranten 
in einer der großen k. k. Krankenanstalten gedient haben. Sämintliche Be¬ 
werber müssen österreichische Staatsbürger und der deutschen Sprache mächtig 
sein; die Kenntniß viner anderen, womöglich slavischen Landessprache ist 
erwünscht. Gehörig documentirte Gesuche sind bis 20. October d. J. an das 
gefertigte Bürgermeisteramt zu richten. 694 

Bürgermeisteramt Ottakring, 
am 17. September 1890. 

Der Bürgermeister-Stellvertreter: M. Ottapp. 

Eingesendet 

Dr. med. J. von TYMOWSKI 

prakticirt während der Wintersaison in 

Nizza, 33 Boulevard Dubouchage. 


Norwegen . 

30-8 

169 

13-9 

England. 

35-3 

219 

13-4 

Deutschland. 

35T 

26-8 

12-3 

Schweden. 

30-9 

192 

11-7 

Niederlande.. . 

36*2 

24-6 

11*6 

Dänemark . 

31-2 

19-7 

11*5 

Spanien. 

393 

297 

96 

Belgien. 

31 8 

22-8 

' 9'0 ' 

Oesterreich. 

39 7 

3 Ul 

8-6 

Italien. 

37T 

30-0 

7-1 

Schweiz. 

30-6 

236 

70 

Ungarn. 

428 

38-7 

41 

Frankreich . 

25'9 

23'6 

2-3 


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Nr. 40. 


Sonntag den 5. October 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Fresse* erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
anfträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
ln Wien, I., M aximilia natraase Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abomieuieutspreise: „Mediz. Fresse* und „Wiener Klinik" 
Inland: Jährl. 10 fl., haitu. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ansland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland : 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Adminlstr. 
der „Wiener Mediz. Presse" in Wiener, Maximilianstar. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 




Rcdigirt von Verlag von 

gründet 1860. Dr. AlltOll Bum. Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originellen and klinische Vorlesungen. Ueber Indicanurie im Säuglingsalter. Von Dr. Carl Hochbingeb in Wien. — Ueber die neuen 
Operationsmethoden des Rectumcarcinoms. Von Prof. Axel Ivkkskn in Kopenhagen. — Casnistische Mittheilnngen aus der I. chirurgischen Abtheilung 
des Prof. v. Mosetio-Moorhof im k. k Krankenhanse Wieden zu Wien. Von Dr Ferdinand v. Kliegl, Secundararzt I. Classe an obiger Abtheilung. 
II. Schußwunden — Mittheilnngen ans der Praxis. Aus der geburtshilflichen Praxis. Von Dr. Karl Habit in Wien. I. Eine verzögerte 
Zwillingsgeburt bei einem Abortus im fünften Monate. II. Gesichtslage mit Vorfall eines Fußes. — Referat« and literarische Anzeigen. 

# M. Kirchner (Berlin): Untersuchungen über die Einwirkung des Chloroforms auf Bacterien. — F. König (Göttingen): Der knöcherne Ersatz großer 
Schädeldefecte. — Lehrbuch der specieilen Pathologie und Therapie für Aerzte nnd Stndirende. Von Dr. Th. v. JObgensbn, o. ö. Professor der 
Medicin nnd Vorstand der Poliklinik an der Universität Tübingen. — Die Grenzen des Irreseins. Von Dr. A. Cullere, correspondirendes Mitglied 
der Sociötö mödico-psycbologique zu Paris. In’s Deutsche übertragen von Dr. med. Otto Dornblüth, zweiter Arzt der Proviucial-Irrenanstalt 
Kreuzberg, O. 8. — Feuilleton. Die gekreuzte Vererbung. — Kleine Mittheilungen. Die Anwendung des Chloralhydrats in der Chirurgie. — 
Versuch einer Anwendung der Hypnose zur Aufklärung einiger physiologischer Fragen. — Zertheilung von Geschwülsten durch percutane 
Galvanisation. — Die Behandlnng der Scarlatina mit essigsaurem Ammoniak. — Künstliche Ueberhäutung offener Krebse durch Hauttransplantation 
nach Thikbsch. — Ueber die Wirkung des Euphorine. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X Internationaler medicinischer Congreß. 
Gehalten zu Berlin 4.—9. Angast 1890. (Orig.-Ber.) IX. — 63. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte. Gehalten 
zu Bremen, 15.—19. September 1890. (Orig.-Ber.) II. — Notizen. — A entliehe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber Indicanurie im Säuglingsalter. 

Von Dr. Carl Hochiinger in Wien.*) 

Ich betrete mit dieser meiner Mittheilung an die hoch¬ 
ansehnliche Gesellschaft ein Gebiet der klinischen Medicin, 
welches in Bezug auf die Klinik des Kindesalters noch sehr 
wenig Bearbeitung gefunden hat. Angaben über Vorkommen 
und Bedeutung von indigobildender Substanz im Harne des 
Säuglings und jungen Kindes sind nämlich meines Wissens 
bisher einzig und allein nur von Senator und andeutungsweise 
auch von Parrot und Rohin j ) gemacht worden 2 ), welche zwar 
durch die Ergebnisse meiner Untersuchungen zum großen 
T heile bestätigt werden, keineswegs jedoch alles Wissens - 
werthe über diesen Gegenstand enthalten. Wir werden auf 
die citirten Arbeiten später noch zurückkommen. 

Und doch bietet gerade die erste Periode des Kindes¬ 
alters, das Säuglingsalter, vielseitige Anregung, dem Gegen¬ 
stände näher zu treten. Man halte sich nur die bekannte 
Thatsache gegenwärtig, daß das Auftreten von indigobilden¬ 
der Substanz im Harne in hervorragender Weise an das Vor¬ 
handensein eines durch Nahrungsfäulniß im Darmcanale abge¬ 
spaltenen Körpers geknüpft ist, welchen wir als das Indol 
kennen und daß eben dieser Körper je nach der Beschaffen¬ 
heit des eingeführten Nahrungsmateriales und je nach dem 
Zustande der Verdauungsorgane in wechselnder Menge pro- 
ducirt und resorbirt wird. Steht nun das Auftreten von Harn- 
indican in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältniß zu den 
im Darmtractus sich abspielenden chemischen Vorgängen, 
dann gewinnt gerade beim Säuglinge die Prüfung auf indigo¬ 
bildende Substanz ein erhöhtes Interesse, weil wir die Be¬ 
standteile der Säuglingsnahrung als ziemlich constante, in 
ihrem chemischen Verhalten nur wenig schwankende Körper 
kennen nnd weil wir es wohl in keinem anderen Lebensalter 
so häufig mit Störungen der Verdauung zu thun bekommen, 

*) Vorgelragen in der Section für Pädiatrie der 63. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Bremen. 

‘) Centralbl. f. die me<i. Wissensch. 1877, Nr. 20 

a ) Gaz. möd. 1876, Nr. 36. 


welche eine Aenderung eines so genau vorgeschriebenen Ver- 
dauungschemismus nach sich ziehen, wie der es ist, welcher 
für das erste Kindesalter von Natur aus vorgezeichnet ist. 

Wenn ich auch den ganzen Mechanismus der Indicanurie 
als bekannt voraussetze, sei es mir doch gestattet, behufs 
leichteren Verständnisses meines Vortrages ein paar einlei¬ 
tende Worte über Indolbildung und Indicanausscheidung vor¬ 
auszuschicken. Die Muttersubstanz des Indicans ist das Indol, 
welches ein regelmäßiges Product der Bacterienfäulniß 
von thierisehen Eiweißkörpern darstellt. Es ist ein 
normales Product der Verdauung der Albuminate durch Pan- 
creassaft, entsteht jedoch im Darmcanale nur bei alkalischer 
Reaction und unter dem Einfluß von Fäulnißbacterien. Das In¬ 
dol wird im Organismus zu I u d o x y 1 oxydirt und erscheint 
im Harn als indoxylschwefelsaures Kali, i. e. als die 
Alkaliverbindung der Aetherschwefelsäure eines hydroxylirten 
Indols. Dieser Körper stellt die indigobildende Substanz des 
Harnes dar, welche wir kurzweg In die an nennen. 

In erster Linie wird somit die Indicanausscheidung durch 
den Harn von der Art und Weise der im Darmcanal sich 
abspielenden Eiweißverdauung abhängig sein müssen, ln 
zweiter Linie ist auch in Betracht zu ziehen, daß außerhalb 
des Darmes, in anderen Körperhöhlen und in den Geweben 
unter pathologischen Verhältnissen Fäulnißvorgänge bestehen 
können, welche zur Indolbildung und in letzter Linie daher 
zur Indicanurie Veranlassung bieten. Fütterungs- und Injec- 
tionsversuche, welche von Jafff., Masson, Nencki u. A. an 
Hunden mit Indol vorgenommen wurden, haben gezeigt, daß 
die Menge des durch den Harn ausgeschiedenen Indicans in 
einem directen Abhängigkeitsverhältnisse zur Quantität des 
subcutan verabreichten oder verfütterten Indols stand. 

Sehen wir von dem möglichen Bestände irgend eines 
Fäulnißherdes außerhalb des Darmes ab, so werden wir zu 
dem Schlüsse kommen, daß die Menge des durch den Harn 
ausgeschiedenen Indicans im Allgemeinen abhängig ist: 1. von 
der Menge der in den Darm eingeführten thierischen Eiwei߬ 
stoffe, 2. von dem möglichen Bestände intensiver Fäulnißvor¬ 
gänge der Albuminate und ö. von der Menge des von der Darm¬ 
wand aus zur Resorption gebrachten und durch Fäulniß ab- 


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1571 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 1572 


gespaltenen Indols. Diese letztere wird caeteris paribns umso 
größer sein, je länger der Nabrungsbrei im Dünndarm zu 
verweilen Gelegenheit hat, weil hier der Ort der intensivsten 
Resorptionsthätigkeit der Darmsehleimhaut gegeben ist. 

Der normale Harn eines gesunden, unter gewöhnlichen 
Ernährungsverhältnissen stehenden, erwachsenen Menschen 
liefert den Untersuchungen Ortwkilk-Js zu Folge bei der be¬ 
kannten Indicanprobe nach Jaffe mit concentrirter Salzsäure 
und 1—2 Tropfen Chlorkalk eine schwach blaue, violette 
oder röthliche Farbenreaction. Bei reichlicher Fleischkost wird 
die Reaction intensiver, bei stickstoffarmer Kost geringer, 
bei ausschließlich vegetabilischer Nahrung minimal. Pflanzliches 
Eiweiß ist zur Bildung von Indol nicht geeignet. 

Die Methoden der Harnprüfung, deren wir uns bedien¬ 
ten. waren selbstredend nur qualitative. Der frische, in der 
Regel mittelst Katheters gewonnene Ham wurde nahezu in 
allen Fällen einer zweifachen Prüfung unterworfen, und zwar 
zunächst der qualitativen Probe nach Jaffe, mit der von 
Stokvis angegebenen Modification des Ausschüttelns mit 
Chloroform und hierauf der neuen ObkrmeyE ß’schen Indi- 
canreaction. Diese letztere, bei welcher als reducirende Sub¬ 
stanz an Stelle des Chlorkalks der jAFFF.’schen Probe eine 
Eisenchlori d-S alzsäurelösung(l: 200) zur Verwendung 
gelangt, hat sich uns als außerordentlich zweckmäßig erwiesen. 
Es gelang uns in einzelnen Fällen, mit Zuhilfenahme der 
letzteren Methode noch Spuren von indigobildender Substanz 
im Harne naehzuweisen, welche uns bei Vornahme der Jaffe- 
schen Probe entgingen.- Halbwegs größere Indicanmengen 
wurden durch beide Methoden in gleich exacter Weise ange¬ 
zeigt. Von quantitativen Bestimmungen wurde mit Rücksicht 
auf die große Umständlichkeit derselben und den rein prak¬ 
tischen Zweck unserer Untersuchungen, bei denen es auf eine 
genaue Mengenangabe des im Verlaufe einer bestimmten Zeit 
zur Ausscheidung gelangenden Indicans gar nicht ankommt, 
Abstand genommen. Wir begnügten uns damit, aus der In : 
tensität der Farbenreaction des redueirten Indigos, welches 
immer mit Chloroform ausgeschüttelt wurde, auf den Gehalt 
des Harnes an indigobildender Substanz zu schließen. Derselbe 
Weg wurde kürzlich in einer sehr lesenswerthen Arbeit von 
Ort weiler aus der Würzburger medicinischen Kllinik „Ueber 
die physiologische und pathologische Bedeutung des Harnindi- 
cans“ (1880) mit Erfolg eingeschlagen. Es ist daher immer¬ 
hin denkbar, daß in dem einen oder dem anderen Falle, bei 
welchen wir negative Indicanreaction erhielten, durch ein 
zeitraubendes, quantitatives Verfahren mit größeren Harn¬ 
mengen dennoch Spuren von indigobildender Substanz nach¬ 
weisbar gewesen wären. Solche Mengen kommen jedoch für 
uns absolut nicht in Betracht und ändern nichts an den De- 
ductionen, welche wir aus unseren Untersuchungsresultaten 
abzuleiten gedenken. 

Von mehreren Gesichtspunkten aus erschien mir nun die 
Untersuchung des Säuglingsharnes auf Indican hin wichtig: 

1. V o m r e i n physiologischen Standpunkte, um zu er¬ 
forschen, ob die den höheren Lebensaltern gegenüber abweichen¬ 
den Ernährungs und Verdauungsverhältnisse, wie sie insbe¬ 
sondere im ersten Kindesalter vorherrschen, von Einfluß auf die 
Indolbildung, resp. Indicanausscheidungsind; 2. vombacterio- 
logischen Standpunkte aus, um auf diesem indirecten Wege 
zu prüfen, ob die normalen, also obligaten Darmparasiten der 
Milchverdauung des Säuglings die Fäulniß der Milchalbumi- 
nate, also die Indolbildung im Darme hintanhalten; 3. vom 
Standpunkte des Klinikers, um Klarheit darüber zu gewinnen, 
ob und mit welchen dem Kindesalter eigenartigen Krankheits¬ 
processen die Indicanurie in Zusammenhang steht und 4. vom 
Standpunkte des praktischen Arztes, um zu eruiren, ob und 
wann dem Auftreten von Indican im Harne des Kindes eine 
diagnostische Bedeutung zukommt. 

Das untersuchte Kindermateriale beläuft sich bis jetzt 
auf 165 Fälle und umfaßt Kinder der ersten 6 Lebensjahre. 
Die Harnuntersuchungen wurden von mir in Gemeinschaft 
mit Herrn Dr. Kahane angestellt, welchem es überlassen 


bleibt, den Gang derselben, sowie viele wichtige Details und 
theoretische Deductionen, welche sich an dieselben knüpfen, 
in extenso zu veröffentlichen. Naturgemäß gliedert sich das 
Materiale in zwei große Gruppen, von welchen die eine aus¬ 
schließlich die Säuglinge, die andere nur die älteren Kinder 
umfaßt. Eine derartige strenge Scheidung ist in den differen¬ 
ten Ernährungsverhältnissen wohl begründet, welche in den 
bezeichneten beiden Perioden des Kindesalters obwalten. Das 
höhere Kindesalter, welches sich in Bezug auf die Qualität 
der dargereichten Nahrungsmittel nur in unwesentlichen 
Punkten von allen übrigen Lebensperioden unterscheidet, wird 
sich naturgemäß auch in Bezug auf den Chemismus der Ver¬ 
dauung ganz den Verhältnissen der höheren Lebensalter an¬ 
schließen. Die Periode des Säuglingsalters hingegen nimmt 
wegen der durchaus abweichenden Ernähiungsmodalitäten, 
welche während ihrer Dauer obwalten, eine vollkommen iso- 
lirte Stellung in Bezug auf unser Thema ein. 

Wir wollen demgemäß nur das Säuglingsalter ein¬ 
gehender in Betracht ziehen. Ich bemerke einleitend, daß die 
Zahl der auf Indicanurie untersuchten Säuglinge sich auf 106 
beläuft, wobei ich als Grenze der Säuglingsperiode das Ende 
des dritten Lebenshalbjahres angesetzt habe. Ich bringe diese 
Fälle in drei Unterabtheilungen. 1. Gesunde Kinder nvt nor¬ 
maler Verdauung (42 Fälle). 2. Säuglinge mit Verdauungs¬ 
störungen , jedoch ohne sonstiges Leiden (34 Fälle) und 3. 
anderweitig kranke Kinder der ersten 18 Lebensmonate (30 
Fälle). 

Zunächst w r as den Neugeborenen betrifft. Hier 
gibt es noch keine Fäulnißerreger und daher auch sicher keine 
Fäulnißstoffe im Darmcanale, da noch keine Nahrungszufuhr 
von außen her stattgefunden hat. Senator j ) fand das Me- 
conium absolut frei von Indol und vermißte dem zu 
Folge im Ham der von ihm untersuchten Neugeborenen jed¬ 
wede Indicanreaction. Dasselbe Resultat erhielt ich bei der 
Untersuchung des Harnes dreier Neugeborener. 

Wie verhält es sich nun mit dem Säugling, dessen 
Darm bereits mit Nahrung beschickt ist? Bei normal ver¬ 
dauenden Brustkindern fällt die Indicanreaction 
unseren Beobachtungen zu Folge ganz ausnahmslos 
negativ aus. 

Vor Allem existirt im Säuglingsdarm bei ungestörter 
Milchverdauung keine Eiweißfäulniß, das erste und oberste 
Postulat für die Indolbildung. Die Eiweißkörper der Milch 
werden vom Säuglinge vollkommen ausgenützt, ohne daß es 
zur Bildung von Fäulnißproducten im Darme desselben kommt, 
wie dies in höheren Lebensaltern regelmäßig der Fall ist. 
Der Grund dafür ist in dem Fehlen von proteolytischen 
Bacterienarten im Darme des normal verdauenden Brust¬ 
kindes zu suchen. 

Ein kurzer Ueberblick über die normale Milchverdauung 
im Säuglingsalter lehrt uns, daß die keimfreie Muttermilch 
zunächst in den Magen gelangt, woselbst das Casein unter 
dem Einflüsse des Labfermentes ausgefällt wird. Die Lösung 
und Aufsaugung des Milcheiweißes vollzieht sich unter dem 
Einflüsse der eiweißlösenden Fermente des Darmes der Haupt¬ 
sache nach im obersten Theile des Dünndarmes, indem 
hier ein Theil des Caseins in gelöstem Zustande direct, ein 
anderer Theil hingegen nach vorhergegangener Peptonisation von 
der Schleimhaut des Dünndarmes resorbirt wird. Die Dick- 
darmcontenta sind bereits ganz frei von Casein und der ge¬ 
ringe Stickstoffgehalt der Säuglingsfäces ist nicht von der 
Menge der mit der Milch zugeführten Eiweißkörper, sondern 
lediglich von dem Stickstoffgehalt der Darmsecrete abhängig. 

Der Darm des normal verdauenden Brustkindes enthält, 
wie die classischen Untersuchungen Eschkrich’s und weitere 
Arbeiten Baginsky’s gezeigt haben, im Wesentlichen nur zwei 
Bacterienarten, welche absolut keine proteolytischen, geschweige 
denn saprogene Eigenschaften besitzen. Es sind dies, wie 

l ) Ceber das Vorkommen von Producten der Darrafänlniß bei Neuge¬ 
borenen. ZeiUcbr. f. pliys. Chemie, Bd. IV, 1880. 


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1573 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1574 


Ihnen ja allen bekannt, das Bact. lactis aerogenes und 
dasBact. coli commune, die obligaten Milchkothbacterien 
Escherich’s. 

Das Bact. lactis findet sich im obersten Dünndarmab- 
schnitte und hat mit Eiweißkörpern überhaupt nichts zu 
thun, indem es lediglich die Vergährung des Milchzuckers 
unter Bildung von Milchsäure, Essigsäure und Kohlensäure 
veranlaßt. Das Bact. coli findet sich ausschließlich im Dick 
dann und hat schon aus diesem Grunde keinen nennenswer- 
then Einfluß auf die Milchverdauung, da die Assimilation 
und Resorption der Eiweißkörper der Muttermilch im Dünn¬ 
därme des Säuglings so gut wie abgeschlossen ist. Die Milch - 
fäces des Brustkindes enthalten somit nur minimalste Quan¬ 
titäten von Fäulnißproducten der Eiweißkörper, besitzen dem¬ 
nach, wie ja allbekannt, keinen eigentlichen Fäulnißgeruch 
und sind vollkommen frei von jenen Körpern, welche aus der 
Bacterienfäulniß der Pancreaspeptone des Nahrungseiweißes 
hervorgehen. 

Die eigenthümliche biologische Function des Bacterium 
lactis aerogenes bietet überdies, solange seine Wirkung nicht 
etwa durch die anderer Bacterienarten paralysirt wird, ein 
directes Hinderniß für die Indolbildung im Dünndarm des 
Säuglings. Denn die Gährungsproducte seiner Thätigkeit sind 
organische Säuren, Milchsäure und Essigsäure, welche durch 
Zersetzung des Milchzuckers entstehen und unter normalen 
Verhältnissen der sauren Reaction des Nahrungsbreies im 
ganzen Dünndarm zum Uebergewichte verhelfen. Nun ist aber 
alkalische Reaction mit eine Grundbedingung für die Ent¬ 
stehung von Indol aus den Producten der Pancreasverdauung. 
iNacli alledem fehlt beim normal verdauenden Brustkinde jeg¬ 
liche Quelle für die Entstehung indigobildender Substanz ira 
Harn und theoretischer Erwägung zu Folge muß dement¬ 
sprechend die Prüfung des Säuglingsharnes auf Indican unter 
normalen Verhältnissen negativ ausfallen. Da-» ist denn auch 
wirklich der Fall. Bei allen von uns untersuchten Brustkin¬ 
dern, 13 an Zahl, fiel die Indicanreaction nach Jaffe und 
Oberweyer vollkommen negativ aus. 

Auch beim künstlich ernährten Säuglinge kann 
es nicht zu erheblicher Indicanausscheidung durch den Harn 
kommen, insolange nicht grobe Verdauungsstörungen bestehen, 
welche Nahrungsfanlniß im Darmcariale nach sich ziehen oder 
Eiweißkörper eingeführt werden, welche minder leicht ver¬ 
daulich sind als das Casein und durch längeres Verweilen im 
Danncanale zu Fäulnißvoigängen Anlaß geben. Denn auch die 
Eiweißkörper der Kuhmilch und der anderweitigen sonst be¬ 
liebten milehähnliehen Surrogate derselben werden vom ge¬ 
sunden Kinde in unglaublich guter Weise und ohne Mit wir 
kling erheblicher Fäulnißprocesse ausgenützt und auch hier 
vermissen wir bei normalem Zustande der Verdauung die 
Prodnctc der alkalischen Fäulniß des Nahrnngseiweißes in 
den Fäces. Demgemäß verhielten sich auch die Resultate 
unserer Harnprüfungen. Es gelangten 29 künstlich genährte 
und dabei normal verdauende Kinder zur Untersuchung. Sechs 
von diesen wurden auch nebstbei an der Brust gestillt, er¬ 
hielten überdies sonst nur Kuhmilch, die restirenden 21 Fälle 
betrafen ausschließlich künstlich ernährte Kinder. Unter diesen 
29 Kindern boten nur 3 minimale Spuren von Indicanurie, 
in Form eines schwach violetten Schimmers des zum Aus¬ 
schütteln des Farbstoffes zugesetzten Chloroforms. Alle üb¬ 
rigen Kinder lieferten vollkommen negative Reactionen. Bemer¬ 
kenswerth ist es, daß die drei vorbezeichneten Kinder sämmt- 
lich bereits den 10. Lebensmonat überschritten hatten, und, 
wie sich herausstellte, bereits reichlichere Fleischnahrung und 
Eier bekamen. 

Auch bei etwas älteren Kindern mit normaler Verdau¬ 
ung vermißten wir fast immer jegliche Spur von Indigo- 
reduction im Harne, obwohl bei diesen die Fleischnalirung 
schon in vollem GaDge war. Dieses abweichende Ver¬ 
halten dem Erwachsenen gegenüber ist, wie auch schon 
Senator für den Säugling angenommen hat, zwanglos daraus 


zu erklären, daß der Darminhalt beim Kinde den Intestinal- 
tractus rascher passirt, so daß die Fäulniß der Alburainate 
nicht solche Dimensionen annehmen kann, wie beim Erwach¬ 
senen und daß die Eiweißkörper der Nahrung beim jungen 
Kinde ungleich intensiver ansgenützt werden. so daß auch 
das Substrat für eventuelle proteolytische ZersetzungsVorgänge 
ein wesentlich geringeres ist, als in höheren Altersperioden. 

Anschließend an die Besprechung der Verhältnisse der 
Indicanausscheidung der normal verdauenden Brustkinder hebe 
ich noch hervor, daß die einfache habituelleObstipatio n 
sonst gesunder Säuglinge in meinen Beobachtungen niemals 
selbst von der leisesten Indicanreaction begleitet war. Es 
spricht diese Thatsache sehr zu Gunsten der von Jaffe ver¬ 
fochtenen Anschauung, daß die Bildung und Aufsaugung des 
Indols sich ausschließlich im Dünndarm vollzieht. Da dieser 
Körper im Dünndarme des normalen Säuglings nicht entsteht, 
kann auch keine Indicanreaction im Harne desselben auftreten, 
selbst wenn die Fäcalmassen abnorm lange Zeit im Dick¬ 
darm verweilen. (Schluß folgt.) 


lieber die neuen Operationsmethoden des 
ßectumcarcinoms. x ) 

Von Prof. Axel Iversen in Kopenhagen. 

Der Chirurg weiß nie genau, ob das Rectumcarcinom auf 
den Mastdarm allein beschränkt ist, oder ob nicht bereits eine 
Infection der Lymphdrüscn stattgefunden hat. Er ist daher 
schwer im Stande, die Operabilität eines Rectumcarcinoms zu 
beurtheilen. Selbst die bimanuelle Untersuchung ermöglicht 
nicht, eine beginnende Infiltration der retroperitonealen Drüsen 
oder kleine Metastasen in der Leber zu diagnosticiren; das 
Mikroskop kann uns auch nicht viel behilflich sein, da die 
verschiedenen Formen der Adenocarcinome je nach dem Indi¬ 
viduum eine verschiedene Malignität aufweisen. 

Außerdem stellen sich ja gewöhnlich die Kranken in der 
Regel dem Chirurgen zu einer Zeit vor, wo die Größe des 
Carcinoms den Angaben und Beschreibungen der Kranken 
nicht entspricht. Die locale Untersuchung genügt auch nicht. 
Die Kachexie und noch mehr die Stenosenerscheinungen bilden 
Contraindicationen für die Operation, selbst wenn die Ge¬ 
schwulst an und für sich operabel zu sein scheint. 

In Bezug auf alle diese Punkte herrscht allgemeine 
Uebercinstimmung, ebenso wie darüber, daß eine Colotomie 
nur für kurze Zeit die von der Coprostase abhängigen Er¬ 
scheinungen erleichtert, aber nicht die Schmerzen und die 
fötide Secretion. Daher das Bedürfniß nach einer radicaleren 
Operation gegen die e fürchterliche Krankheit. 

Das Rectumcarcinom kann, wie bekannt, längere Zeit 
stationär bleiben. Ich konnte mich davon durch 47 Sectionen 
von veralteten Carcinomfällen überzeugen, von denen in 21 
Fällen keinerlei Metastasen vorhanden waren. Diese That¬ 
sache zeigt uns eine gewisse Chance für eine radicale Operation. 

Die Mortalität bei der Radical Operation ist keine Contra- 
indication, denn es handelt sich doch nur darum, zu wissen, 
ob die Operation als solche wirklich Chancen einer vollständigen 
Heilung liefern kann. 

Um diese Frage zu lösen , habe ich eine Statistik von 
247 Fällen von Rectumcarcinom, die in Scandinavien operirt 
worden sind, zusammengestellt. Von diesen konnte ich in 233 
Fällen genaue Auskünfte erlangen, aus denen die enorme 
Häufigkeit der localen Recidive hervorging. 

Als Todesursache findet sich locale Recidive angegeben: 
in 28 Fällen von • . . . 48 Amputationen 

„8 „ „ ... 14 Resectionen 

„ 2 „ „ .... 3 Resectionen nach Kraske 

„ 4 „ „ ... 5 partiellen Exstirpationen 

Summa in 42 Fällen von 70 Operationen. 

') Vortrag, gehalten in der chirurgischen Section des X. Intern- med. 
Congresses. 


1 * 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. Nr. 40. 


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Bei Kranken, welche die Operation längere Zeit über¬ 
lebt haben, wurden locale Recidive constatirt: 

in 5 Fällen von. ... 24 Amputationen 

_ » 1 Fall „ . . . . 8 Regectionen _ 

Summa in 6 Fällen von ... 32 noch lebenden Kranken 

Seltener bilden Metastasen die Todesursache: 

Unter 70 Fällen, die später gestorben sind, finden sich 
nur 9mal Metastasen. 

Nur wenige Kranke haben einige Jahre nach der Ope¬ 
ration gelebt, ohne locale Recidive zu bekommen. 

Der Gesammtoindruck, den ich aus meinen Untersuchungen 
erhalten habe, ist eine sehr frühzeitige Sterblichkeit nach der 
Operation. Trotz der Gefahren der Operation konnte der 
Kranke höchstens um einige Jahre seine Lebensdauer ver¬ 
längern, etwas mehr, als nach der Colotomie. 

Die pathologische Anatomie hat noch keine Auskunft 
darüber gegeben, ob die Operation noch nicht genügend 
radical ist, was sehr wahrscheinlich ist. Es handelt sich 
nämlich nicht nur darum, weit im gesunden Gewebe zu 
operiren, sondern auch darum, sorgfältig das präsacrale Fett- 
und Bindegewebe zu entfernen, in welchem so häufig die 
betroffenen Drüsen liegen. 

Die von mir referirten Fälle wurden theils nach der 
von Volkmann modificirten LisFRANc’schen Methode, theils 
nach der DiEFFENBACH’schen operirt. Keine einzige von diesen 
Methoden ist genügend radical. 

An Stelle der perinealen muß man zu den sacralen 
Methoden, zu jenen von Vkrneuil, Kocher oderKRASKR, greifen. 

Die Methode von Kkaskk ermöglicht einen freien Zugang 
zum Krankheitsherd, eine gute Uebersicht und eine leichte 
Blutstillung. Die Operation ist nicht sehr schwierig, zieht 
keine großen Gefahren für die Zukunft nach sich, wenn man 
nur Allem, was oberhalb des 3. Foramen sacrale liegt, aus 
dem Wege geht. 

Die sacralen Methoden wurden bis nun in 74 Fällen 
(44 deutschen und Österreichischen, 10 französischen, 6 schwe¬ 
dischen, 4 finnländischen, 2 holländischen, 1 norwegischen und 
7 dänischen) angewendet. 

Die Mortalität der Operirten betrug 27°/ 0 . In 1 / i der 
Falle wurde nicht die vollständige Operation mit Resection 
einer Darmschlinge ausgeführt, sondern blos die Amputation 
gemacht und ein Anus praeternaturalis sacralis angelegt. 
Die Naht ist nur in 4 Fällen per primam geheilt, in einem, 
übrigens einzig wegen der Bildung eines provisorischen Anus 
praeternaturalis inguinalis (Schede); im Allgemeinen ent¬ 
wickelten sich kaum operable Fisteln mit Spornbildung. Man 
hat nämlich große Schwierigkeiten, zwei Darmpartien, die 
nicht congruent sind, eine seröse Oberfläche mit einer fibrösen 
zu vereinigen, hauptsächlich, weileine plötzliche Entleerung des 
Darminhaltes genügt, um eine letale Peritonitis hervorznrufen. 

Wenn die Stenose eine vollständige Entleerung des 
Darmes vor der Operation nicht gestattet, so wird die Darm¬ 
naht beinahe lebensgefährlich. 

Exstirpirt man eine große Darmschlinge, so wird die 
Spannung der Nähte so groß, daß die schon ohnehin mangel¬ 
hafte Ernährung des Darmes noch mehr beeinträchtigt wird. 

Die operirten Kranken waren alle einer viel zu kurzen 
Beobachtungszeit unterzogen, als daß man schon jetzt ein 
Urtheil über das definitive Resultat fallen könnte. 

In 8 von 55 Fällen t'at frühzeitig locale Recidive ein. 
— Diese Methode bietet also große Vortheile, scheint aber 
doch auch dieselben Nachtheile wie die alten Methoden zu 
besitzen, nämlich die große Sterblichkeit und die Disposition 
zu localen Recidiven. Die Mortalität ist fast ebenso groß, wie 
bei den alten Operationsmethoden, weil die Operation nur in 
sehr desperaten Fällen ausgeführt wurde und weil in den 
meisten Fällen das Peritoneum eröffnet werden mußte. Viel¬ 
leicht hat man viel zu großen Werth darauf gelegt, die Con- 
tinenz des Stuhles herzustellen und hat darüber übersehen, die 
Operation möglichst radical zu machen. 


Man darf sich eben keinen zu idealen Hoffnungen hin¬ 
geben und muß immer im Auge behalten, daß die radicale Ope¬ 
ration die Hauptsache ist. 

Eine partielle Operation ist nur dann gestattet, wenn 
das Carcinom auf die Analportion beschränkt ist (man findet 
dann Lymphdrüsenschwellung in den Leistengegenden). In 
allen anderen Fällen muß, wenn operirt werden soll, die Total¬ 
exstirpation ausgefdhrt und ein dauernder Anus praeternaturalis 
sacralis angelegt werden. Ohne diese Maßregel wird man nie 
die regionären Lymphdrüsen gründlich entfernen können. Die 
Exstirpation des peripheren Darmstückes ist ebenfalls noth- 
wendig, weil man hier Aussaatcarcinom finden kann. 

Die Operation wird wie folgt ausgeführt: Nach der 
Präliminaroperation von Khaskk, mit oder ohne Resection des 
Kreuzbeins, umschneidet man den Anus mittelst eines Ovalär- 
schnittes und beginnt nach Ligatur der Analportion, um einen 
Austritt von Danninhalt zu vermeiden, das Rectum von unten 
nach oben abzulösen. Man entfernt das ganze präsacrale Fett- 
und Bindegewebe, eröffnet hierauf das Peritoneum, zieht, 
geleitet durch die Untersuchung des Mesenteriums, den Darm 
vor, vernäht hierauf den Darm und das parietale Blatt des 
Peritoneums, vereinigt die Operationshöhle mit Etagennähten 
und tamponirt mit Jodoformtampons. Das ganze Rectum wird 
in die Wunde vorgezogen und im Niveau der Haut durch¬ 
schnitten. Dann fixirt man es mittelst Nähten an die Haut 
und tamponirt das Lumen desselben mit Jodoformgaze. Nach 
der Operation ist die Behandlung mit Opium die gewöhnliche. 

In 2 Fällen habe ich in 2 Zeiten operirt, ohne jedoch 
das Leben des Kranken retten zu können. Ich habe den 
Darm vor die Wunde gebracht und, um noch besser eine Peri¬ 
tonitis zu vermeiden, erst nach 24 Stunden durchschnitten. 

Von meinen 7 Kranken konnte ich nur 2 retten; ich habe 
aber einen gewissen Trost empfunden, als ich mich überzeugte, 
daß die 5 Operationen radical waren. 

In einem Falle habe ich eine carcinomatöse Ovariencyste 
gefunden, deren Ruptur während der Operation' eine tödtliche 
Peritonitis erzeugte; in den anderen Fällen fanden sich 
keinerlei Metastasen. 

Alle Fälle waren sehr schwer, die Widerstandskraft der 
Kranken eine sehr geringe, außerdem bestand allgemeine 
Arteriosclerose und die Kranken starben sehr leicht an Collaps 
während der Operation. 

Die . Nachtheile des Anus praeternaturalis waren in 
meinen Fällen nur gering. Die beiden am Leben gebliebenen 
Pat erhielten die ausgezeichnete Bandage von Hochkxkgg- 
Leiter. Es stellten sich nur zwei Stühle täglich ein, die 
Kranken fühlten sich sehr wohl und waren mit ihrem Zu¬ 
stande sehr zufrieden. 

Aus dem Gesagten ergeben sich daher folgende Thesen: 

1. Sowohl die alten, als auch die neuen Amputations¬ 
und Resectionsmethoden beim Rectum carcinom können nur als 
palliative Methoden angesehen werden. Sie liefern zwar eine 
längere Lebensdauer als die Colotomie, sind aber auch gefähr¬ 
licher als diese. 

2. Die Exstirpation des Rectums in toto sammt den 
regionären Lymphdrüsen ist die rationellste Methode, die in 
günstigen Fällen eine radicale Heilung sichern muß. 

In der Literatur finden sich 11 Operationen nach Kraske, 
zu denen ich 8 eigene Fälle hinzufügen kann. 

Von den 19 Fällen starben 8 in Folge der Operation, 
5 an Collaps. 

3. In der großen Mehrheit der Fälle muß man sich mit 
einer palliativ*n Behandlung begnügen, weil die Kranken 
sich zu spät zu einer Operation entschließen. — Die besten 
Methoden der Colotomie sind jene von Madelung , Maydl 
und Rf.clus. 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


Casuistisch.e Mittheilungen 

aus der 

I. chirurgischen Abtheilung des Prof. v. Mosetig - 

Moorhof 

im k. k. Krankenbause Wieden zu Wien. 

Von Dr. Ferdinand V. Kliegl, Secundararzt I. Classe an 
obiger Abtheilung. 

II. 

S< hnßwunden. 

1. Sigmund L., 26 J. alt, Ledergalantcriearbeiter, ist seit 
6 Jahren herzleidend (Insuff, et Sten. aortae) und brachte sieh in 
selbstmörderischer Absicht einen Revolverschuß bei. 

Die Einschußöffnung befindet sich im 1. linken Intcrcostal- 
raum in der Mamillarlinie, Ausschußöffnung ist keine vorhanden. 
Zeichen einer Lungenläsion fehlen, dagegen zeigen sich Symptome 
von Verletzung des Plexus brachialis. 

Pat. klagt nämlich über ein Gefühl von Taubscin und Kricbeln 
im linken Mittelfinger. Prüfung der Sensibilität ergibt complete 
Anästhesie der ulnaren Hälfte dieses Fingers an der Volarseite, 
während die Dorealseite ganz gut empfindet. 

Die Kraft der linken Hand ist viel geringer, als die der 
rechten, den rechten Zeigefinger vermag Pat. nur mangelhaft zu 
beugen. Die Wunde heilte binnen wenigen Tagen und die eben be¬ 
schriebenen Erscheinungen echwanden auf Anwendung von Elektricität. 

Ob nun das in der Nähe des Plexus brachialis gelegene 
Projectil das ursächliche Moment dieser Erscheinung war, oder 
ob blos ein geringes Blutextravasat dies mit sich brachte, 
blieb einige Tage unentschieden. 

Bald konnte man aber auf Basis der von uns gemachten 
Wahrnehmungen, erstere Annahme ausschließen. 

Hätte das Projectil am oder in nächster Umgebung des 
Plexus gesessen, so fände man die geschilderten Ausfalls¬ 
erscheinungen nicht nur im Gebiete Eines Nerven, hier im 
Gebiete des Nervus medianus, sondern auch in dem der 
übrigen , wiö Rädiälis, Ulnaris und Musculo-cutaneus, was 
nicht der Fall war. Patient konnte den Arm wie vorher 
gebrauchen. 

Zweitens waren diese Symptome vorübergehende, sie 
schwanden auf Elektricität. 

Die Annahme, daß es in der Nervenscheide oder deren 
unmittelbaren Umgebung zum Extravasat kam, welches auf 
einzelne Nervenfasern einen Druck ausübte und nach An¬ 
wendung von Elektricität binnen kurzer Zeit schwand , ist 
entschieden durch den Krankheitsverlauf gerechtfertigt. 

Patient klagte vor seiner Entlassung über Schmerzen 
im linken Schulterblatt, die sich bei geringster Bewegung 
des Armes steigerten. Das Projectil saß, besser gesagt, sitzt 
offenbar an der Vorderfläche der Scapula im Muscul. sub- 
scapularis und verursacht die Schmerzen. Da sich die Kugel 
nicht zeigt, wird vom Versuche der Entfernung derselben ab¬ 
gesehen und Pat. mit dem Bemerken entlassen , sich hin und 
wieder zu zeigen. 

2. Alexander B., 21 J. alt, Sohuhmachergehilfe, brachte 
sich in selbstmörderischer Absicht 2 Schußwunden zwischen linker 
Mamillar- und vorderer Axillarlinie in der Höhe der 4. und 5. Rippe 
mit einem 7mm. Revolver bei. Patient wurde mit einem Noth- 
verbande versehen, bei vollkommenem Bewußtsein in’s Spital gebracht. 

Im Rock, Weste und Hemd sind zwei Defecte bemerkbar, die 
durch das Projectil erzeugt waren. 

Nachdem ich die Wunde irrigirt und mit Jodoform bestreut 
hatte, gab ich nach Vorschrift meines Chefs direct Kautschukpapier 
darauf, darüber Watte und befestigte diese mit einigen Biudentouren. 

Nun ging ich an die genaue Untersuchung, die folgenden 
Befund ergab: 

Herz unverletzt, an der Mitralis schwaches systolisches 
Geräusch. 

Ueber der Lunge: LH von der 5. Rippe an Dämpfung, 
Knisterrasseln mit großblasigen Rasselgeräuschen untermengt, colossales 
Hautemphysem, fast in der Ausdehnung der Brustseite. Hämoptoe. 


1578 


Daß es sich hier um eine Lungenverletzung handelte, 
war außer Zweifel. 

Patient war 2 Tage afebril. Am 3. Tage Temperatur 
39 2. Das Sputum nahm einen putriden Charakter an. Es 
wurde die Probepunction gemacht und etwa 50 Grm. einer 
serös-blutigen Flüssigkeit entleert, die jedoch vollständig ge¬ 
ruchlos ist. Patient bekommt nach Eichhorst täglich drei 
Capsul. myrtholi pro dosi 015, worauf der putride, mit 
gangränösen Gewebsfetzen untermengte Auswurf, nach 10 Tagen 
verschwindet. 

Die Schmerzen werden mit Morphium in Form von In- 
jectionen bekämpft. Die Einschußöffnungen eitern ziemlich 
stark; beim dritten Verbandwechsel am 12 Tage kamen an 
beiden Wunden Gewebsstücke zum Vorscheine, die sich bei 
genauer Untersuchung als Tuchstücke entpuppten. 

Am 21. Tage war der Zustand des Pat. bedeutend besser. Er 
fieberte nicht mehr, der Husten schwand, nur klagte er über Schmerzen 
an der Huken Rückenhälfte, verursacht durch den Druck der beiden 
Kugeln, von denen sich die eine ungefähr in der Mitte der Scapula, 
die zweite 1 Cm. unterhalb des Angulus scapulae zeigte und deut¬ 
lich palpabel waren. 

Mit Leichtigkeit gelang die Extraction, die Wunden heilten 
per primam. 

Am 25. Tage setzte eine linksseitige Pneumonie ein, die einen 
typischen Verlauf zeigte, indem am 7. Tage die Krisis eintrat. Am 
42. Tage verläßt Patient geheilt die Abtheilung. Die linke 
Thoraxseite ist in Folge Pleuraadhäsionen und Lungenretraction etwas 
eingezogen. 

Abermals, wie des Oefteren, konnte ich mich überzeugen, 
daß die von Prof. v. Mosetig j ) angegebene und bevorzugte 
Methode der Behandlung der Schußwunden die richtige und 
heilbringende ist. 

Wenn man die Schorfbehandlung eingeleitet, dem Eiter 
keinen freien Abfluß nach Außen gelassen hätte, und die im 
Schußcanal liegen gebliebenen Tuchstücke, als septische Stoffe, 
loco oder nach Wanderung in die Pleurahöhle hier ihre schäd¬ 
liche Wirkung entfaltet hätten — was wäre dann ein¬ 
getreten ? 

Ich glaube mindestens eine purulente oder gar putride 
Pleuritis und deren schwere Folgen. 

Durch diese Methode, die niemals Schaden anrichtet, die 
sich besonders zu Kriegszeiten, wo man sich mit den Ver¬ 
letzten nicht täglich befassen kann, als einzig richtige be¬ 
währt, war all dem vorgebeugt. 

Nach dieser Methode von Prof. v. Mosetig wird das 
2—3 Cm. über die Wunde hinausragende Kautschukpapier an 
die Haut an 3 Seiten mit Chloroform befestigt, nur an der 
unteren 4. Stelle bleibt eine kleine Lücke, die dem eventuellen 
Eiter freien Abfluß gestattet. 

Alle unsere Schußwunden wurden so behandelt und wir, 
resp. die Patienten, sind mit den Erfolgen sehr zufrieden. 

Günstiger, bezüglich der Heilungsdauer, verlief fol¬ 
gender Fall: 

3. Wilhelm Br., 19 J. alt, Student, brachte sich 3 Schüsse 
aus einem 7mm. Revolver in der linken Brustseite bei entblößtem 
Körper bei. Es trat starke Blutung ein, Hämoptoe und Hämato- 
thorax. 

Verband, absolute Ruhe und Morphiuminjection. 

Verlauf vollkommen fieberfrei. Am 10. Tage Verschwinden 
der blutigen Sputa, am 36. verläßt Patient mit den Projectilen voll¬ 
kommen geheilt die Anstalt. 

In diesem Falle passirten die Kugeln nicht die Kleider, 
waren keine septischen Stoffe in der Wunde und sie heilte 
auch per primam. 

Der vierte Fall verdient seiner Seltenheit und Curiosität 
halber erwähnt zu werden: 

4. Franz E., 22 J. alt, Comptoirist, legte das zweite Mal in 
selbstmörderischer Absicht Hand an sich, jagte sich aus einem 


*) Siehe „Wiener Med. Presse“, 1888, Nr. 3. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1580 


9mm. Revolver zwei Kugeln in die linke Brustseite und wurde, 
regelrecht verbunden, zu uns gebracht. 

Patient ist schwächlich gebaut, vollkommen bei Bewußtsein 
und rosiger Laune. Seitens des Herzens und der Lunge absolut 
keine Erscheinungen. 1 Cm. oberhalb und 1 Cm. unterhalb der 
Mamilla, in der Parasternallinie, findet man zwei Einschußöffnungen 
mit den typischen Charakteren eines Nahschusses auf dem entblößten 
Körper. 

Die von Pulvcrrauch und Pu’verkörnern geschwärzte Brust 
wurde gereinigt; ich versah die Wunde und nahm eine genaue Unter¬ 
suchung vor. Es fiel mir auf, daß Patient außer geringen Schmerzen 
absolut keine Beschwerden hatte, über das Mißlingen seiner That 
witzelnd, frohen Mutlies war. Im Glauben, die Projectile steckten 
vielleicht zum Theile in der Rippe, palpirte ich die nächste Um¬ 
gebung der Wunden vorsichtig ab, doch täuschte ich mich. Als 
ich nun mit meiner flachen Hand über die ganze Thoraxseite nach 
rückwärts fuhr, spürte ich in der Axillarlinie zwei harte, zuge¬ 
spitzte Körper — die Kugeln. Bei genauer Besichtigung fand ich 
die Haut von einer, der oberen , Kugel durchstoßen, während die 
zweite unter der Haut frei beweglich war. Es handelte sich hier 
also um 2 Contoursch(Isse. Die Extraction gelang natürlich sehr 
leicht, die Wunden heilten per primam nach 4 Tagon. Die von 
Einzelnen angegebeue Erscheinung, ein röthlicher Streifen längs der 
Rippe, die Markirung des Schußcanales, konnte ich nicht eon- 
statiren. 

Daß beide Projectile auf eine Rippe aufschlugen und 
längs dieser weiter fuhren, ist gewiß eine große »Seltenheit, 

Ein Bauchschuß mit Darm Verletzung endete letal. 

5. Carl L., 26 J. alt, Hausbesitzer, ging mit dom Gewehr 

auf der Schulter im Kottingbrunncr Park spazieron und wurde von 
einem jungen Rehbock attaquirt. Da gerade Schonzeit war, legte er 
nicht an, sondern drehte seinen Stutzen um, erfaßte ihn beim Lauf 
und holte zum Hieb aus. Als der Kolben niedersauste, schlug der 
aufgezogene Hahn an und die Kugelpatrone ging los. Das Projectil 
drang in die Leistenbeuge, 0*5 Cm. oberhalb des Ligament. Pouparti 
in den Körper und verließ denselben durch das Foram. ischiad. 
maj. Patient klagte Uber kernen besonderen Schmerz, wurde anti¬ 
septisch verbunden und bekam innerlich Opium, Abends eine halbe 
Spritze Morphium. Die Nacht verbrachte er ruhig und hatte einen 
fünfstündigen Schlaf. Den folgenden Tag hatten wir wider alles 
Erwarten keine Symptome einer Perforationsperitonitis. 

Der Bauch nicht ballonirt, die Bauchdecken nicht druckempfind¬ 
lich, kein Singultus, Temperatur normal. 

Dritter Tag — Status idem. — Patient nimmt flüssige Nahrung 
zu sich. 

Am 4. Tage, 11 Uhr Vormittags, stellt sich Erbrechen und 
»Schmerz in abdomine ein — Collaps — um 12 Uhr erfolgt Exitus 
letalis. 

Die Section ergab Perforation des Ileum an 2 Stellen, Koth- 
erguß in die Bauchhöhle — putride Peritonitis. 

Es tauchen nun die Fragen auf: 

I. Gab die Verletzung mit ihren Erscheinungen eine 
Indieatio vitalis ab zu einem therapeutischen Eingriff (zur 
Laparotomie) ? 

II. War so spät ein glücklicher Ausgang zu erwarten 
oder nicht? 

Die Erscheinungen, die unser Patient bot, waren in 
den ersten Tagen entschieden nicht zwingend, die Laparotomie 
vorzunehmen. 

Obwohl die »‘Schußwunden, besonders aber penetrirende 
Wunden des Bauches, wie William Mac Cormac in seiner 
höchst interessanten Arbeit: „Ueber den Bauchschnitt bei der 
Behandlung von intraperitonealen Verletzungen“ sagt, ohne 
Verletzung der Eingeweide, speciell aber der Därme, zu den 
größten Seltenheiten gehören, so ist andererseits die Möglich¬ 
keit nicht ausgeschlossen, daß Bauchwunden, selbst mit Läsion 
des Darmes, anstandslos ohne operativen Eingriff heilen können, 
sei es nun, daß sich d r penetrirte Darm an das Peritoneum 


parietale anlegt, die beiden serösen Flächen also miteinander 
rasch verkleben, mithin der Kothaustritt ip die Peritoneal¬ 
höhle verhindert wird, oder aber, was allerdings zu den größten 
Seltenheiten gehört, die durchlöcherten Darmvpände legen sich 
aneinander an, verwachsen miteinander und $s entsteht eine 
Enteroanastomose. In unserem Falle konnte man an eine 
dieser Eventualitäten denken, umsomehr, da sich Patient noch 
am dritten Tage wohl befand und flüssige Nahrung zu sich 
nahm. Die Nekropsie ergab zwar Verwachsungen der lädirten 
Därme, doch sind diese w 7 ohl der eingetretenen Peritonitis 
zuzuschreiben. 

Prof. v. Mosetig beschrieb einen währepd des serbo- 
bulgarischen Krieges vorgekommenen Fall einer Bauchschu߬ 
verletzung, w r o es nach kurzer Zeit zu einem Ko^habsceß kam, 
der durchbrach und die Kugel mit einem Spulwurm zu Tage 
förderte. 

„Nimier berichtet, daß während des Kriege^ in Tonking 
unter 58 penetrirenden Bauchverwundungen 15, upd zwar ohne 
jeden chirurgischen Eingriff, geheilt seien; weiteys gingen 40 
Fälle mit nicht penetrirenden Unterleibsverletzuqgen günstig 
aus, während nur 1 erlag. “ 2 ) 

Eine stricte Diagnose auf eine Darmv^rletzung zu 
machen, ist daher manchmal mit den größten Schwierigkeiten 
verbunden. 

Anders verhält es sich, wenn beweisende Symptome ob¬ 
walten, wie Kothaustritt, Entweichen von Gasen, Prolaps einer 
verletzten Dannschlinge oder aber secundäre Erscheinungen, 
Symptome einer Peritonitis. 

Wenn all dieses nicht zu constatiren ist, vas dann? 

Dann bliebe noch die von William Mac Cormac vorge¬ 
schlagene Sonden Untersuchung übrig, um über die Richtung 
des Wundganges Aufklärung zu gewinnen. 

Ja und selbst dieser Versuch ist nicht immer verläßlich. 

Ich erwähne im Kurzen, mit Vorbehalt, demnächst 
ausführlicher darüber zu referiren , einen Fall, wo man mit 
der Sondenuntersnchung behufs Con-;tatirung ijes Schußcanales 
nicht in’s Klare kam, die bestimmte Diagnose auf Darm¬ 
verletzung unmöglich war, im Laufe der Zqit dieselbe aber 
ausgeschlossen werden konnte. 

Vor einigen Monaten transportirto die Freiwillige Rettungs- 
gcsellschaft einen Mann mit einer Bauchverletzupg auf die Station. 

Patient wurde vom Posten im Augarten njlt einem Mannlicber- 
gewehr angeschosson. 

Die Wunde saß, so wie im vorigen Falle, entsprechend dem 
Halbirungspunkte des Ligament. Pouparti, etwa 0*5 Cm. oberhalb 
desselben. Patient bot außer Schmerzen in *bdomine absolut keine 
Erscheinungen einer inneren Verletzung. Da die Ausschußöffnung 
an der gleichseitigen (rechten) Gesäßbacke saß, 4 Cm. außer- und 
oberhalb der Analöffnung, so war, eine gerade Linie zwischen den 
beiden Punkten gedacht, eine Verletzung der Därme nicht leicht 
auszaschließcn. 

Am 2. Tage Status idem.— Schmerzen in der rechten 
Glutaealgogend. Die Untersuchung ergab nun Folgendes: Vorne 
konnte man die Sonde nur 2—3 Cm. tief einschieben , während 
rückwärts ein dünnes Drainrohr in der Länge von 8 —10 Cm. mit 
Leichtigkeit eindrang. 

Die Kugel fuhr also extraperitoueal, ja außerhalb des Beckens 
durch den Körper. Sie schlug, wie ich denke, neben den großen 
Gefäßen auf den horizontalen Schambeinast auf, fuhr zwischen den 
Glutaealmuskeln nach hinten und in der Höhe der Spina poster. 
infer. hinaus. 

Es handelte sich hier also um einen penetrirenden Contourschuß. 

Hier wie dort war der Sitz der Verletzung derselbe — 
die Art jedoch so verschiedenartig. Das Projectil hätte eben¬ 
so gut nach innen abgelenkt werden können, und die Sonden¬ 
untersuchung hätte nicht mehr Aufklärung gegeben. 

s ) Mosktio-Moorhof , Vorlesungen ilber Kriegschirurgie. Wien und 
Leipzig 1887. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 40. 


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Ich will damit nur gesagt haben, daß die Sondenunter¬ 
suchung allein auch nicht in jedem Falle zur Orientirung und 
Diagnosestellung ausreicht. 

Die anfänglichen Symptome sprachen mehr Für eine innere 
Verletzung. Die Schmerzen im Gesäß am 2. Tage forderten 
erst zur Sondirung auf. 

Meines Erachtens hat überhaupt die Sondenunter 
suchung nur in Fällen einen Werth, wo das Projectil dicke 
Schichten durchbohrt und einen langen Canal bildet, nach dessen 
Verlauf und Richtung man urtheilcn kann, ob er in die 
Peritonealhöhle mündet oder nicht. 

Schließlich kann die von den meisten Chirurgen verpönte 
Sondenuntersuchung in der Mehrzahl der Fälle nur gefährlich 
und unheilbringend sein. 

Auffällig ist, daß sich in unserem Falle die Symptome 
einer Perforationsperitonitis erst am 4. Tage zeigten und einen 
so stürmischen Charakter hatten. 

Der Thatsache Rechnung tragend, daß bei Kothaustritt 
in die Bauchhöhle die Erscheinungen einer Bauchfellentzündung 
binnen 12—24 Stunden einsetzen, ist die Muthmaßung gerecht¬ 
fertigt, daß der Austritt von Fäcalien bis zum 3. Tage ver¬ 
hindert war, sei es nun durch Verschiebung der einzelnen 
Darmschichten oder Verschließung der Oeffnung durch das 
Netz oder ein Fettklümpchen, Hindernisse, die durch die 
Peristaltik später hinweggeschafft wurden. 

Mikülicz gelang es, eine Perforationsperitonitis durch die 
Laparotomie noch am 3. Tage zu retten, doch bei einer so 
eolossalen Eiterung, wie im beschriebenen Falle, wäre die 
Hoffnung auf glücklichen Erfolg wohl gänzlich aufzugeben. 


Mittheilungen aus der Praxis. 

Aus der geburtshilflichen Praxis. 

Von Dr. Karl Habit in Wien. 

I. Eine verzögerte Zwillingsgeltart bei einem Abortus im 
fünften Monate. 

Am 20. April d. J. wurde ich bei Tagesanbruch zu einem 
Abortus im 5. Monate der Schwangerschaft gerufen, weil nach Ab¬ 
gang der Frucht die Nachgeburt nicht folgen wollte. Die Gebärende, 
den besseren Ständen angehörig, stand im Anfänge der Dreißiger- 
Jahre, hatte schon mehrere zeitige Kinder geboren und war seit 
Kurzem zum zweiten Male verheiratet. Ende November 1889 war zum 
letzten Male die Periode eingetreten. Die Frau, welche sich für 
schwanger hielt und sich bisher vollkommen wohl befand, wurde 
Sonntag den 13. April bei einem Nachmittagsspaziergange, ohne 
bekannte vorausgegangene Veranlassung, vom Abflüsse des Frucht¬ 
wassers, . dem in mäßiger Menge Blut beigemischt war, überrascht. 
Sie eilte nach Hause und ließ ihre Hebamme holen, welche Ruhe vcr- 
ordnete. Da an den nächsten Tagen der Wasserabgang sehr gering 
war, sich keine Wehen einstellten, verließ die Frau wieder das 
Bett, ging ihren häuslichen Geschäften nach und machte wieder am 
Samstag den 19. April einen Spaziergang in den Stadtpark. 
Nachdem sie einige Zeit gegangen war, begann wieder Wasser, mit 
Blut gemischt, abzufließen, und es zeigten sich Wehen. Die Hebamme 
wurde wieder geholt. Die Weben dauerten an, verstärkten sich, 
und die Frucht wurde den 20. April gegen Morgeu geboren. Da 
sich der Abgang der Nachgeburt verzögerte, wurde ich gerufen. 

Ich fand einen mäßigen BlutabgaDg aus den Geschlechtstheilen, 
die Wehen, welche vor dem Abgänge der Frucht stark waren, 
hatten aufgehört. Der vorgezeigte Fötus weiblichen Geschlechtes 
hatte die Entwicklung einer etwa viermonatlichen Frucht. 

Bei genauerer Untersuchung der abortirenden Frau ergab sich, 
daß es sich für den Augenblick nicht um den Abgang der Nach¬ 
geburt, sondern vor Allem um die Geburt einer zweiten Frucht 
handle, da sich deutlich herausstellte,’ daß eine Zwillingsschwanger¬ 
schaft vorliege. Der Uterus war noch groß, handbreit über der 
Symphyse stehend, elastisch, mit Flüssigkeit gefüllt, deutlich 
schwappend, bei der Palpation Fruchtstöße fühlbar; auch die 


Gebärende gab an, daß sie noch ganz deutlich Kindesbewegung 
fühle. Bei der inneren Untersuchung konnte man die zum Mutter¬ 
munde gehende Nabelschnur verfolgen, der Muttermund selbst war 
zusammengefallen, kaum für einen Finger durchgängig, und es war 
weder die Placenta der ersten Frucht, noch die zweite Frucht 
zu fühlen. 

Da die Blutung sehr mäßig war, so war ein momentaner Ein¬ 
griff nicht nothwendig; es mußte abgewartet werden, bis sich 
wieder Wehen einstellten, welche dann die zweite Frucht ausstoßen 
würden, oder, wenn sich eine starke Blutung einstellte, eine Be¬ 
schleunigung des Abortus, die Entfernung des noch vorhandenen 
Gebärmutterinhaltes erheischten. loh empfahl Bettruhe und ver- 
ordnete Ergotin, um die weiter zu erwartenden Vorgänge zu be¬ 
schleunigen. 

Ich hörte nun weitere 7 Tage bis Samstag den 26. April, 
Nichts von der Frau und war der Meinung, daß unter Aufsicht des 
Hausarztes und der Hebamme die Geburt schon lange vorüber sei, 
als ich am Abend dieses Tages wieder dringendst wegen einer sehr 
starken Blutung, die sich eingestellt hatte, gerufen wurde. Die 
zweite Frucht war noch immer nicht abgegangen, der Geburts¬ 
vorgang hatte die ganzen 7 Tage eine Pause gemacht, die Frau 
war wieder aufgestanden, hatte im Hause gearbeitet, war wieder 
spazieren gegangen und war eben daran, in einem Restaurant ein 
Abendbrot zu bestellen, als die starke Blutung eintrat, welche sie 
nöthigte, nach Hause zu gehen. Es zeigten sich auch wieder Wehen. 

Bei meiner Ankunft fand ich die Frau anämisch aussehend, 
aufgeregt, ängstlich. Die Blutung war stark, bei jeder Wehe 
gingen größere oder kleinere Coagula weg, flüssiges Blut rieselte 
immer fort. 

Bei der Untersuchung zeigte sich der Muttermund geöffnet, 
für ein paar Finger durchgängig. Da unter diesen Umständen ein 
weiterer Aufschub nicht mehr gestattet und die Beendigung des 
Abortus angezeigt war, öffnete ich die sich herabdrängende Eiblase 
und faßte ein Füßchen des Fötus, welches ich in die Scheide herabzog. 
Boi einer der nächsten Wehen vollendete ich die Extraction der 
männlichen Frucht, welche um ein Ansehnliches größer und stärker 
war, als die 7 Tage früher geborene Frucht weiblichen Geschlechtes; 
auch gab die kleine Frucht Lebenszeichen, der Thorax hob sich 
von Zeit zu Zeit und das Herzchen klopfte einen kurzen Zeitraum. 

Nach einigen Minuten ging auch die Nachgeburt ab, welche 
zwei ganz getrennte Placenten, zwei Chorien und zwei Amnien, 
zeigte. Die Nachgeburtstheile waren nur an den Chorien in kurzer 
Strecke verklebt. Die beiden Eier waren also beinahe vollkommen 
getrennt gewesen, was vielleicht die Verzögerung zwischen der Aus¬ 
stoßung des ersten und zweiten Fötus erklärlicher macht. 

Das Wochenbett verlief ohne Zwischenfälle, d'e Frau erholte 
sich bald und verließ zu gewöhnlicher Zeit das Bett. 

* * 

* 

II. Gesiclitslage mit Vorfall eines Fußes. 

Im Laufe des Vormittags des 6. Septembers 1. J. wurde ich 
in die Wohnung der Hebamme H. gerufen, welche die ledige, 
22 Jahre alte Erstgebärende Th. R. zum Zweck der Entbindung 
bei sich aufgenommen hatte. Das Mädchen war den 1. Februar 
zum letzten Mal menstruirt und dann schwanger geworden, be¬ 
fand sich also jetzt nach der gewöhnlichen Berechnung am Ende 
des 7. Monats der Schwangerschaft. Iu den zuletzt verflossenen 
Monaten hatte ihr Leibesumfang außerordentlich zugenommen, was 
ihr bei ihrer Beschäftigung — sie war Köchin in einem Restaurant 
gewesen — sehr beschwerlich und lästig war, und alle Welt pro¬ 
phezeite ihr Zwilliuge. 

Schon am Morgen des 3. September war ihr ohne bekannte 
Veranlassung das Fruchtwasser, das in abnormer Menge vorhanden 
gewesen war, abgeflossen. Durch 3 Tage ging dann weiter zeitweise 
Wasser, mit einer geringen Menge Blut gemischt, ab, Wehen stellten 
sich aber erst an dem Tage ein, au dem ich gerufen wurde. Da 
die Hebamme bei der inneren Untersuchung keinen Kindestheil 
fand und nach ihrer äußerlichen Untersuchung eine Steißlage an- 
nchmeu zu müssen glaubte, begehrte sie mein Uinzukommen. 


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Die Gebftrende, eine blasse, schlecht genährte Person, die viel 
Alter aussab, als es ihr angegebenes Alter erwarten ließ, hatte 
ziemlich häufig sich wiederholende, recht schmerzhafte Wehen. Der 
Uterus stand mehr als handbreit über dem Nabel und war noch 
wasserhaltig. Bei der äußeren Untersuchung vermeinte ich den 
Kopf über dem Beckeneingang zu palpiren, kleine Kindestheile 
waren nirgends deutlich zu fühlen, im Grunde des Uterus war ein 
großer runder Theil, der mir aber nicht den Eindruck machte, als 
ob es der Schädel sein köunte, wie die Hebamme glaubte; die Herz¬ 
töne waren über der Nabelhöhle rechts deutlich zu hören. Die 
innere Untersuchung ergab: Muttermund für zwei Finger durch¬ 
gängig, noch dick, nicht dehnbar; durch das vordere Scheiden¬ 
gewölbe, wenn man sich hoch hinaufdrängte, unmittelbar hinter der 
Schoßfuge, ein runder, mehr weicher Theil, der fest stand, zu fühlen. 
Beim Eingehen mit dem Untersuchungsfinger in den Muttermund 
fühlte man einen kleinen Kindestheil, der sich bei näherer Betastung 
als der rechte Fuß der Frucht erkennen ließ, die Ferse nach vorne 
gerichtet, die Zehen nach hinten, der äußere gewölbte Fußrand 
nach der linken Seite der Mutter. Die Extremität lag noch inner¬ 
halb des Muttermundes. Ein anderer Kindestheil war bei dieser 
Untersuchung innerlich nicht zu erreichen, und es wurde das auch 
vorverhindert, weil die Gebärende sehr wehleidig und unruhig war 
und eine Untersuchung nicht recht zulassen wollte. Ich nahm also 
läufig an, obwohl innere und äußere Untersuchung nicht ganz zu¬ 
sammenpaßten, es sei eine Beckenendlage, etwa eine halbgedoppelte 
Steißlage, vorhanden. 

Eine Verordnung, außer ruhiger Lage im Bette, war nicht noth- 
wendig. 

Abends, 1 / 2 9 Uhr, wurde ich wieder dringend zur Gebärenden 
gerufen, da die Hebamme den Austritt des Kindes baldigst er¬ 
wartete, und eine Steißlage noch immer als vorhanden angenommen 
wurde. Die Wehen waren nun sehr stark, folgten eine der anderen 
sehr schnell und entrissen der sehr unruhigen Gebärenden laute 
Schmerzensrufe. 

Das Resultat einer allsogleich vorgenommenen Touehirung war 
ein Überraschendes: es lag das Gesicht vor — was mit dem Er¬ 
gebnisse der anfänglichen äußeren Untersuchung stimmte — das 
Gesicht war vollkommen rotirt, Kinn nach vorne, Stirn nach hinten; 
die früher so genau gefühlte Extremität, welche die Hebamme auch 
kurz vorher noch gefühlt haben wollte, war vollkommen ver¬ 
schwunden. Wo war sie hingekommen ? Als vorliegend war sie 
sicher und genau gefühlt worden. Sie mußto beim Vorrücken des 
Gesichtes zurückgeblieben sein, das Gesicht mußte an ihr vorbei- 
gegangeu sein. Sobald der Schädel geboren war, was ohne Schwierigkeit 
und ohne Verletzung des Mittelfleisches geschah, war sie auch wieder 
da; sie lag an der Seite des Halses und trat, vor der Geburt der 
Schultern, weit bis über die Mitte des Unterschenkels vor. Bei der 
eigentbümlichen Configuration des kindlichen Körpers durch den 
Vorfall der unteren Extremität war der Austritt der Schultern 
mühsam, schwer und erforderte einige starke Drangwehen. 

Das neugeboreno Kind, ein Mädchen in der Entwicklung einer 
Frucht vou 7 Kalendermonaten, mit einer ansehnlichen Struma 
behaftet, dessen rechtes Bein bis über die Mitte des Unter¬ 
schenkels geschwollen und duukelroth gefärbt war, war tief schein- 
todt, das Herz klopfte matt und selteu, und das Kind konnte trotz 
aller Bemühungen nicht zum Athmen und Leben gebracht werdeu. 
Es verbreitete auch einen auffallend fauligen Geruch — die Geburt 
war ja doch erst vierthalb Tage nach dem Abflüsse des Frucht¬ 
wassers erfolgt, und die vorliegende Extremität dürfte bei schlechtem 
Abschluß des unteren Theils der Gebärmutter Zutritt von Luft ge¬ 
stattet haben. Der Körper der Frucht war auffallend blaß, nur von 
der großen Fontanelle bis zum Kinn war das Gesicht dunkelblau 
gefärbt und geschwollen. Diese Verfärbung und Anschwellung war 
aber von den .Schläfen über die Wangen bis zum Kinn beiderseitig 
wie mit einer geraden Linie von der übrigen blassen Haut abge¬ 
grenzt, und zwar ganz symmetrisch, so daß man aus dieser Ge¬ 
schwulst und Färbung des vorausgekommeneu Kindestheilcs die 
Stellung, die es innegehabt, nicht erkenuen konnte; die rechte 
Soito des Kindesschädels war abgeflacht, beinahe leicht eingebogen, 
die linke mehr vorgewölbt. 


Unmittelbar nach der Geburt des Kindes stellte sich ein 
stärkerer Blutabgang ein, der aber sehr bald wieder aufhörte. 
Nach einigen ausgesprochenen Nachgeburtswehen warde die Nach¬ 
geburt beiläufig eine halbe Stunde nach der Geburt dos Kindes mit 
Leichtigkeit exprimirt. 

Das Wochenbett verlief ganz regelmäßig und ohne irgend eine 
Störung. 

Referate und literarische Anzeigen. 

M. Kirchner (Berlin): Untersuchungen über die Ein¬ 
wirkung* des Chloroforms auf Baoterien. 

Ein Versuch, den Koch im Jahre 1887 machte, Blutserum 
durch einen Zusatz von Chloroform im Ueberschuß zu conserviren, 
gab die Veranlassung zu einer Reihe von Untersuchungen, deren 
Gang und Resultate Verf. in der „Zeitschr. f. Hygiene“, VIII. Bd., 
3. Heft, niederlegt. Es ergab sich dabei, daß das Chloroform eine 
nicht unbeträchtliche Wirksamkeit gegenüber einer großen Anzahl 
von Bacterien entfaltet, daß es aber den Sporen der Mehrzahl der¬ 
selben Nichts anzuhaben vermag. Unter den pathogenen Bacterien 
wird der Milzbrand-, Cholera- und Typhusbacilluf», sowie der Staphylo- 
coccus pyogenes aureus durch das Chloroform sehr schnell, die 
Milzbrand uud Tetanussporen auch nach längerer Einwirkung nicht 
vernichtet. Das Chloroform wirkt auf Sporen nicht einmal ent¬ 
wicklungshemmend. Es ist demnach kein Desinfcctionsmittel im 
strengen Sinne des Wortes, wohl aber ein sehr werthvolles Anti- 
septicum und sehr geeignet zur Conservirung eiweißreicher Substanzen, 
da es die Gährung und Fäulniß hintanhält, ln Wirksamkeit tritt 
das Chloroform nicht in ungelöstem Zustande, sondern in gesättigter 
Lösung bei sorgfältiger Verhinderung der Verdunstung. 

Hieraus ergeben sich leicht die Gelegenheiten, t^i denen eine 
Verwerthung der bacterienvernichtenden Eigenschaften des Chloro¬ 
forms sich empfehlen würde. Vor Allem empfiehlt sich die Sterili- 
sirung des zu Nährböden bereiteten Blutserams durch Zusatz von 
Chloroform in Ueberschuß, ferner würde die Behandlung der Leib¬ 
wäsche, der Ausleerungen, Abwaschen der Hände, Tische, Gebrauchs¬ 
gegenstände mit Chloroformwasser bei Typhus- und Cholera Epidemien 
von Vortheil sein. Auch die Milch und das Trinkwasser aus ver¬ 
dächtigen Brunnen würde durch einen Chloroformzusatz bis zur 
Sättigung ( 1 / 2 %) jedesfalls von den etwa darin befindlichen Typhus- 
und Cholerakeimen sicher befreit werden, ohne an ihrer Genie߬ 
barkeit oinzubüßen. Jedenfalls würde das Auswaschen der Melk¬ 
eimer mit Chloroformwasser unbedenklich sein und gewiß manche 
Uebertragung von Typhus oder Cholera verhüten, die beim Aus- 
8pülen mit Wasser aus verdächtigen Brunnen erfolgen. 

Für die Arn.ee ist die Frage der Verbesserung verdächtigen 
Trink wassere auf Märschen und Cantonnements von der allergrößten 
Bedeutung und wäre ein Zusatz von Chloroform weder zu theuer, 
noch gesundheitsgefährlich. Nimmt man den Verbrauch an Trink¬ 
wasser zu 1 / i Liter pro Kopf und Tag an, so würden 2 1 / 2 Ccm. 
= 3‘75 Grm. Chloroform pro Kopf und Tag genügen, um die 
Armee vor Ansteckung mit Typhus und Cholera durch das Trink- 
wasser zu bewahren. Zur Desinfection von Ausleerungen Typhus¬ 
oder Cholerakranker würde dagegen das Chloroform entschieden zu 
kostspielig sein und hiebei auch umsoweniger in Frage kommen, 
als nach den Untersuchungen von Pfühl die Kalkmilch ein ebenso 
billiges wie sicheres Desinfectionsmittel abgibt. 

Die Wirkung des Chloroforms auf die Typhus- und Cholefa- 
bacterien läßt den Vorschlag Salkowsky’s, mit dem Chloroform 
therapeutische Versuche zu machen, als in hohem Grade beherzigens- 
werth erscheinen. Verf. spricht die Ueberzeugung aus, daß bei 
innerlicher Anwendung des Chloroformwassers, sei es per os oder 
im Klysma, die Sommerdiarrhoen der Kinder einen viel besseren 
Verlauf nehmen würden. 

Die zulässige Gabe des Chloroforms müßte durch klinische 
Versuche festgestellt werden. 

Auch sprechen die bisherigen Versuche dafür, daß das Chloro¬ 
form bei Cholera nostras und namentlich bei der asiatischen Cholera 
nicht unwesentliche Dienste leisten dürfte. 


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Wegen der recht energischen Wirksamkeit gegenüber dem 
Staphylococeus pyogenes aurens scheint das Chloroform auch für die 
Wundbehandlung nicht ungeeignet, wenn auch seine Machtlosigkeit 
gegenüber den Tetannssporen seinen Werth entschieden herabsetzt. 
Allein diese letzteren sind nicht so verbreitet, daß nicht die Ver¬ 
wendung gewöhnlichen Wassers mit 1 ; a Volnmprocent Chloroform 
zum Reinigen der Haut und zum Abspülen von Wunden als zu¬ 
lässig erscheinen sollte, zumal in Fällen, wo die üblichen Sublimat¬ 
oder Carboilösungen qontraindicirt sind. Namentlich würden sich 
Versuche über die Verwendung des Chloroformwassers zu Scheiden- 
und Uterus-Ausspülungen ganz besonders empfehlen. Auch die Ver¬ 
wendung des Chloroformwassers als Mundwasser muß umso dringender 
empfohlen werden, je mehr sich die Fälle häufen, in denen es ge¬ 
lingt , pathogene Mikroorganismen in der Mundhöhle gesunder 
Menschen nachzuweisen. Schnirer. 


F. König (Göttingen): Der knöcherne Ersatz grosser 
Schädeldefeote. 

Verf. theilt in Nr. 27 des „Ctrbl. f. Chir.“ die höchst be- 
merkenswerthe Krankengeschichte eines 30jäbrigen Mannes mit, der 
nach einer schweren Schädelverletzung eine immer zunehmende bis 
an Blödsinn grenzende Stampfsinnigkeit zeigte, zu der sich bald 
vielfache krampfartige Anfälle von epileptischem Charakter hinzu¬ 
gesellten. Der blasse und scblechtgenährte, blöde Pat. zeigte ein 
außerordentlich mangelhaftes Gedächtniß. Als Ursache dieser Er¬ 
scheinungen stellte sich ein sehr ausgedehnter Schädeldefect heraus, 
welcher ein.en Theil des Schläfebeins und des linken Scheitelbeins 
einnahm. Stand der Kranke aufrecht, so sah man eine sich von 
der linken Schläfegegend aufwärts seitlich nach dem Scheitelbein 
ziehende längsovale Grube, die 8 Cm. lang und 5 Cm. breit war. 
Diese Grube war bei senkrechter Körperstellung so tief, daß man 
ein halbes Ei hineinlegen konnte. Lag der Kranke zu Bette, so 
war sie ungefähr ausgeglichen ; bückte sich der Kranke, dann füllte 
sich zunächst die Grube aus, allmälig hob sie sich über den Rand, 
und wenn der Pat. dön Kopf hängen ließ, so prominirte an seinem 
blaurothen Kopf ein halbeiförmiger, von blaurother Haut bedeckter 
pulsirender, bei der Exspiration sich hebender Tumor; dabei klagte 
der Kranke über Kopfschmerz, Schwindel und Benommenheit. An 
der weichen Stelle waren auch bei aufrechter Stellung pulsatorische 
und respiratorische Bewegungen sichtbar. Da der Knochendefect 
die Ursache des erwähnten Symptomencomplexes zu sein schien, 
entschloß sich König, denselben trotz seiner Größe zu decken, was 
in folgender Weise geschah: 

Zunächst wurde am knöchernen Schädelrand des Defectes 
dieser selbst Umschnitten, nur am unteren inneren Ende blieb ein 
l l / a Cm. großes Stück Haut stehen, um hier den Stiel des Lappens 
anzulegeu. Indem zunächst auf Ablösung der den Defect deckenden 
Haut verzichtet wurde, nahm Verf. das Maß für den Ersatzlappen 
überall an der Peripherie nm 1 Cm. breiter. Am oberen Ende des 
Defectes ließ er den breiten Stiel für den Ersatzlappen (Haut und 
Periost) stehen und nmsebnitt den ganzen, neben dem Defectrand 
aber einen Sporn lassenden Lappen bis auf den Knochen; • dann 
ließ er Haut und Periost sich retrahiren und schälte mit einem 
messerschncidigen Meißel in der ganzen Ansdehnung des Ovals von 
der ganzen Oberfläche des Knochens eine Schale ab; diese verbiegt 
sich so, daß sie umgekehrt convex wird und erst wieder zurecht 
gebogen werden muß, um auf den Defect mit nach außen gehender 
Convexität aufgelegt werden zu können. Nun wurde die narbige 
Hautdecke der sich vortreibenden Gehirnoberfläche von derselben 
abpräparirt, wobei eine mäßige Menge von Cerebrospinalflüssigkeit 
ausfloß. Dem abpräparirten Lappen wurde ein breiter Stiel nach 
unten innen oberhalb des Orbitaldaches gelassen. Es gelang nun 
leicht, den Schädelknochenlappen in den Defect und den Decklappen, 
der von der Oberfläche des Defectes abpräparirt war, zu wechseln 
und zunächst den Hautperiostknochenlappen, der von der Oberfläche 
des Defectes abpräparirt war, zu wechseln nnd zunächst den Haut¬ 
periostknochenlappen durch Nähte an Haut und Periost des Schädel- 
defectes, sowie den Hautlappen aus dem Defect auf die durch 
Bildung des Ersatzperiostknochenlappens gesetzte Wunde am Schädel 
zu fixiren. 


Der Verlauf war ein glatter. Pat. erholte sich in Staunens' 
werth kurzer Zeit körperlich und geistig. Als er in der 6. Woche 
nach der Operation entlassen wurde, war aus dem stupiden Kranken 
ein zu Fröhlichkeit geneigter, geistig normaler Mensch geworden. 
Krämpfe traten nicht mehr ein. K. glaubt, daß diese Operation 
bei größeren Schädeldefecten allen anderen vorzuziehen ist. T. 


Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie 

für Aerzte und Studirende. Von Dr. Th. V. JOrgensen, o. ö. 
Professor der Medicin nnd Vorstand der Poliklinik an der 
Universität Tübingen. Zweite, verbesserte und vermehrte Auf¬ 
lage. Leipzig. V e i t & Co. 

„Das Buch ist kurz und gut, möge der Leser selbst ent¬ 
scheiden, ob ich zu viel gesagt.“ Mit diesen Worten schloß Prof. 
Wintehnitz die Besprechung der ersten Auflage des vorliegenden 
Werkes in der „Wiener Med. Presse.“ Der Leser hat entschieden 
und den Ausspruch Winternitz’s vollkommen bestätigt. Das be¬ 
weist wohl am besten das Erscheinen der 2. Auflage in einem so 
relativ kurzen Zeiträume nach der ersten. 

Unter den kurzen Lehrbüchern der speciellen Pathologie und 
Therapie nimmt sicherlich das vorliegende die erste Stelle ein. Die 
auf reicher Erfahrung fußende, knappe, dabei aber erschöpfende 
und lebendige Darstellung verleiht dem Buche einen besonderen 
Reiz und Werth und schützt es vor der mit Recht gefürchteten 
Lehrbuch-Trockenheit. Daß die neueren Forschungsresultate mit 
kritischem Auge in die Darstellung mit einbezogeu wurden, ist 
selbstverständlich. In Bezug auf die Kritik scheint uns sogar der 
Verf. zu weit gegangen zu sein, wenn er z. B. bei Besprechung 
der Wuthkrankheit einer so wichtigen, für Wissenschaft und Praxis 
gleich bedeutenden Entdeckung, der PAsTEUR’schen Schutz¬ 
impfungen, auch nicht mit einer Silbe Erwähnung thut. 

Gegenüber der ersten Auflage ist die zweite nicht nur durch 
die Aufnahme der neueren Forschungsergebnisse, sowie durch Er¬ 
weiterung manoher zu kurz behandelter Abschnitte, wie z. B. Peri- 
tonealtuberculose, sondern auch durch Aufnahme ganz neuer Capitel 
bereichert. 

Von letzteren seien erwähnt: Die centrale Kinderlähmung, 
die Lähmung der Kehlkopfmuskeln, die THOMSEN’sche Kraukheit 
und die kryptogenetische Septicopyämie, der beinahe ein Druck¬ 
bogen gewidmet ist. Trotz dieser Zusätze ist der Umfang des 
Buches fast derselbe, wie der der ersten Auflage geblieben. Die 
Ausstattung des Werkes ist eine des gediegenen Inhaltes würdige. 

S. 


Die Grenzen des Irreseins. Von Dr. A. Cullere, correspon- 
direndes Mitglied der Sociöte mödico-psychologique zu Paris. 
In’s Deutsche übertragen von Dr. med. Otto Domblüth, 
zweiter Arzt der Provinzial Irrenanstalt Kreuzburg, 0. S. — 
Hamburg 1890. Verlagsanstalt und Druckerei - Actien - Ge¬ 
sellschaft. 

Cullere, der vor Kurzem ein Lehrbuch der Irrenheilkunde: 
Traitö pratique des maladies mentales, Paris 1890, J. B. Bailliöre 
et Als, herausgegeben, hat 1888 ein Werk erscheinen lassen: j,Les 
frontieres de la folie“, das nun in deutscher Uebersetzung vorliegt. 
Das Buch enthält in zehn Abschnitten nach einer einleitenden Ab¬ 
theilung eine Besprechung und Krankengeschichten der neurastheni- 
schen Angstzustände, Zwangsvorstellungen, dann der Grübelsucht, 
es folgt ein Abschnitt, in dem die krankhaften Triebe zu Mord und 
Selbstmord, Diebstahl, Brandstiftung und die Dipsomanie behandelt 
werden. Nach diesen, nach den incriminirten Handlungen betitelten 
Capiteln folgen andere, die nach ähnlichen Äeußerlichkeiten des 
Denkens, Fühlens und Handelns geordnet sind, als die Excentri¬ 
schen, Verfolger, Schwärmer, Verderbte, geschlechtlich Abnorme. 
Den Schluß bilden zwei allgemein zusammenfassende Capitel: Fragen 
aus der gerichtlichen Medicin ferner Irresein und Civilisation. 

Wenn wir zunächst von manchem feuilletonistischen Beiwerk 
absehen und gerne zugestehen, daß sein Werk ohne die schwere 
Bürde philosophirender Excursionen mancher deutscher Werke sich 
flüssig liest, so müssen wir andererseits ebenso entschieden cou. 


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statircn, daß mit der Behandlung dis Gegenstandes durch den Autor 
durch sorgfältiges Sammeln unverarbeiteten Materiales die Psychiatrie 
keine Förderung erfährt. Wir finden nur mit neuem Vorwort, was 
allenthalben zu finden ist, nicht blos in fachwissenschaftlicher Lite¬ 
ratur. Es geht denn heute doch nicht mehr an, einzelne Episoden 
aus dem Leben offenkundig Geistesgestörter oder zweifelhafter 
Geisteszustände für sich hinzustellen und nur hie und da zu er¬ 
wähnen, daß es sich nach der Meinung des Autors, des Directeur- 
Mödecin des Asyl d’ali6n6s de la Roche sur-Yon, nicht um einen Zu¬ 
rechnungsfähigen , sondern um einen Geisteskranken handelte. In 
dieser Richtung läßt das Werk einen keineswegs schmeichelhaften 
Einblick in die Urtheilsfähigkeit mancher französischer Experten ge¬ 
winnen. Wir begreifen es, wenn ein Arzt einen lauten Protest da¬ 
gegen erhebt und solche Fälle zum Zeugniß hervorhebt, daß es nicht 
so weiter fortgehen kann. Aber die Wissenschaft gewinnt recht 
wenig, wenn der Autor nicht seine volle Kraft daran wendet, die 
psychopathischen Grundlagen, die diagnosticirbare oder vermuthliche 
Psychose hinzuzufügen und jene Fälle gesondert darzustellen, welche 
wirklich den Titel verdienen, die Grenzen des Irreseins oder nach 
deutscher Bezeichnung die zweifelhaften Geisteszustände. 

Das Buch Cullehe’s stammt aus einer Tendenz, in der den j 
Nebenumständen der erblichen Veranlagung, den Schädeldeformitäten, . 


dem MOEEL’scben Ohre, warmes Interesse zugewendet wird, dem Bilde 
der Psychosen aber nur geringe Theilnahme übrig bleibt. So ist denn 
auch das Materiale Cüllere’s zum großen Theile vom wissenschaft¬ 
lichen Werthe der Berichte eines Zeitungsreporters, und eine Zu¬ 
sammenstellung solcher Berichte von äußerlichen Aehnlichkeiten nicht 
höher zu bewerthen, als das Buch von Moread de Tours, Des 
aberrations du sens gänösique, eine interessante Sammlung von 
Feuilletons, während v. Krafft • Ebing endlich daran ging, das 
Materiale wissenschaftlich zu ordnen. 

Vielleicht wird Cöllere’s Buch wenigstens den Anstoß geben, 
daß auch sein Vorwurf einmal eine wirklich erschöpfende Behandlung 
erfährt. Aber wohl nicht auf dem Wege der statistischen Zusammen¬ 
stellung „bleicher Farbe, scheuer Augen, spärlichen Bartes, ab¬ 
stehender Ohren, dichter und krauser Haare“ u. dgl. nach Lombroso, 
sondern in wirklicher Schilderung der abnormen Individualitäten, 
deren Krankheitserscheinungen dem Arzte ein Urtheil erlauben, ent¬ 
weder eine Reihe derselben zu einer Diagnose, einer forensisch an¬ 
erkannten Diagnose zu benützen, oder wegen einer geringeren 
psychopathischen Abnormität eine Milderung des Urtheiles wegen 
nicht voller Zurechnungsfähigkeit zu beantragen. 

Docent Dr. R. v. Pfungen. 


Feuilleton. 

Die gekreuzte Vererbung. 

Ehrgeizige Forscher und rationelle Züchter mühen sich seit 
Jahrhunderten, das Dunkel, in das der Anfang des Lebens Bich 
verliert, aufzuhellen und der Natur die Geheimnisse , die sie Uber 
Entstehung und Vererbung bewahrt, abzulauschen. So alt, wie der 
Beginn der Civilisation, sind die Ansichten und die unzähligen 
Theorien und Lehren, die über die Bestimmung des Geschlechtes 
beim Fötus noch heute mit conservativer Naivetät nachgebetet 
werden; Priester, Aerzte, Abenteurer und Betrüger aller Völker 
haben in dieser Frage mitgesprochen und die Nachwelt mit einem 
Schatz von Rathschlägen belastet, die von der Phantasie dictirt und 
vom guten Glauben ausgeführt werden. Es muß auch für den 
Landwirth, wie für den pater familias eine gerechtfertigte und 
drückende Sorge sein, das Geschlecht seines Nachwuchses nicht mit 
Sicherheit Voraussagen zu können. Der Mensch scheint nun einmal 
mit dem Rechte ausgestattet, sich seine eigene Hausordnung in dem 
großen Naturreiche zu schaffen. Er paraphrasirt und commentirt 
an den Gesetzen der Natur, er lüftet die eisernen Klammern der 
Nothwendigkeit, warum sollte er nicht auch über Männlein und 
Weiblein, noch ehe sie sind, nach W'illkür und Belieben verfügen 
können ? 

In der Tbat war es schon hei den Alten ein beiß ersehntes 
Ziel der Forschung, das Geschlecht der Nachkommenschaft nach 
Willkür zu bestimmen, und die Frage nach den Bedingungen der 
Geschlechtaübertragung hat, durch Jahrhunderte ventilirt, noch immer 
an Bedeutung nicht eingebüßt. Glücklich ist die heilige Einfalt, 
die alles getrost dem W T alten der Gottheit anheimstellt. „0 mein 
Gott,“ betet der Araber, „gib mir nur männliche Kinder, und 
sieh zu, daß meine Thiere blos Weibchen gebären.“ Viel moderner 
denkt schon ein altindischer Arzt im Ajurvedas Susruta’s: „Er be¬ 
fiehlt der Frau, die einen Knaben zu gebären gedenkt, sich 3 Tage 
nach den Menses von ihrem Gatten fernzuhalten, am 4. Tage aber 
sollen Mann und Frau, von Brahma’s Segenssprüchen begleitet, 
Nachmittags mit einander Umgang pflegen und dies geflißentlich 
in der 4., 6., 8. und 10. Nacht wiederholen. Töchter dagegen 
werden in der 5., 7. und 11. Nacht gezeugt.“ 

Bekannt ist, wie Hippokrates und die Schule von Kos in 
der Generationskraft der Hoden und Ovarien unterschieden haben. 
Er räth dem Erzeuger, dem ein Knabe erwünscht ist, den rechten 
Hoden vor der Begattung zuzuschnüren, während seiner Meinung 
nach die Töchter aus dem Secrete des linken Hodens stammen; 
dieselbe Differenz statuirt er auch bezüglich der weiblichen Keimdrüse. 

Wärme und Kälte, Süd- und Ostwind, sowie die Temperaments¬ 
verhältnisse der Erzeuger scheinen auch nicht ohne Einfluß auf das 


Geschlecht der Nachkommen zu sein; wenigstens hat eine Anzahl 
von Beobachtern ihre Erfolge in der geschlechtlichen Zuchtwahl 
darauf zurückgeführt. Es ist doch schon ein Fortschritt in der 
Beurtheilung der maßgebenden Factoren, wenn wir hören, wie 
Avicenna, der scharfe Beobachter, auch an die Leistung der Gro߬ 
hirnrinde appellirt; es bedarf nur des festen Vorsatzes vou Seite 
des geistig stärkeren männlichen Erzeugers, um während des ßo- 
gattungsactes das Geschlecht des künftigen Sprossen nach der einen 
oder anderen Richtung zu bestimmen. Das durchweht doch schou 
ein gesunder Mysticismus, der uns an ganz moderne Dinge, an die 
.Wunder der Suggestion, mahnt, die uns schon Uber so manches 
bisher Merkwürdige hinüber geholfen hat. Und so wechseln im 
tollen Spiel mit Vernunft und Beobachtung die Ansichten und 
Meinungen über diese heikle Frage, zu deren Klärung jüngst Herr 
Janke in einer lesenswerthen Monographie 1 ) Manches beige¬ 
tragen hat. 

Mit sichtlichem Fleiß und anerkennenswerther Belesenheit er¬ 
örtert der Verf., der seine Beobachtungen zuerst als Landwirth be¬ 
gonnen und später als Kriminalist gefestigt hat, einige klare Thesen 
und Anschauungen, und wenn wir dies dem medieinischen Laien 
auch zu Gute halten, so fürchten wir doch, daß er manche seiner 
Argumente zu stark ausgebeutet hat. Wir gehen gerne ein Stück 
mit ihm, weil wir ihn für einen anregenden Begleiter halten — aber 
noch bevor er am Ziele ist, müssen wir von ihm achtungsvollen 
Abschied nehmen, weil die Besorgniß sehr nahe liegt, daß sein Weg 
nicht der richtige ist. Schon in einer früheren Schrift Uber „die 
Grundsätze der Schafzüchtung“ hat der Verf. die Wahrnehmung ge¬ 
macht, daß die Differenzirung des Geschlechtes der Nachkommen 
von der überwiegenden geschlechtlichen Kraft des einen der ge¬ 
paarten Zuchtthiero maßgebend beeinflußt werde. Bei der Veredluug 
der Landschafe durch Merinowidder zeigen sich wiederholt noch in 
späteren Generationen Rückschläge auf das mütterliche Stamm- 
geschleeht, die umso häufiger auftreten, je heterogener die ursprüng¬ 
liche Kreuzung und je constanter zugleich der mütterliche Schaf¬ 
stamm war. In diesem Lichte erscheint die geschlechtliche Paarung 
als ein Kampf zwischen den Begattenden um die Uebertragung der 
besonderen Eigenschaften ihres Geschlechtes auf die Nachkommen, 
die anfangs latent bleiben, bei den folgenden Generationen auf¬ 
treten und später von Fall zu Fall von Neuem sich zeigen. In 
demselben Sinne kämpfen auch jedesmal die sich Begattenden bei 
der Zeugung um den Vurrang, das Geschlecht der Sprossen zu be¬ 
stimmen, und 3 Momente waren für den Verf. bestimmend, sich für 
den Grundsatz der gegentheiligen Differenzirung bei dieser 
Gesohleehtsbestimmung auszusprechen. 

') Die willkürliche Hervorbringung des Geschlechts bei Mensch und 
Hausthieren. Von Dr. Hkinbich Jankf.. Kleine Ausgabe. Stuttgart 1890. 
A. Zimmer. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


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Wiederholt klagten ihm Besitzer von Stamm-Rinderherden, daß 
ihnen in einzelnen Jahren blos Stierkälber geboren würden. Der 
Stier war in allen diesen Fällen ein altes abgesprungenes Thier, die 
Kühe jung und sprungbereit, so daß die Ansieht nahe lag. daß hier 
die kräftigen Mutterthiere gegenüber dem trägen Beschäler im Be¬ 
gattungskam pfc suporior blieben und auch in der Geschlechts¬ 
bestimmung der Nachkommen die Oberhand gewannen. 

Der alte Zuchthengst Sir Hercules wurde verhalten, noch in 
seinem 26. Lebensjahre 23 feurige Stuten zu decken, die sämmtlich 
männliche Fohlen warfen ; auch hier war der abgelebte Beschäler in 
der Gcschlechtsbestimmung unterlegen und diese Erfahrung bekräftigte 
wieder die Meinung, daß der Sieger im Begattungskampfe 
das dem seinigen entgegengesetzte Geschlecht her¬ 
vorbringt. 

Ganz besonders aber wurde der Verf. durch einen dem 
GuTTCErr’scben Werke entnommenen Fall in seiner Ansicht bestärkt. 
Ein kräftiger öOjähriger Mann, der gewohnt war, die Freuden der 
Ehe außerhalb seines Hauses zu suchen und seine Frau nur auf 
den Pfliehttheil setzte, kehrte eines Abends, nachdem er mit seiner 
Geliebten bis zur Erschöpfung Umgang gepflogen, müde nach 
Hause zurück und wurde von seiner Gattin, die er bereits seit 
Monden vernachlässigt hatte, unter Liebkosungen empfangen und 
zum Beischlafe gezwungeu, den er nur widerwillig und schlecht 
ausführte. Trotzdem gebar ihm seine Gattin, von der er sich seither 
wieder vollkommen fernhielt, genau nach neun Monaten einen ge¬ 
sunden kräftigen Knaben , der durch seine Aehnlichkeit mit dem 
Vater seine legitime Geburt für Guttceit und Herrn Dr. Janke 
zweifellos macht. 

Auch hier kann der zur Zeit der Zeugung völlig entkräftete 
Vate.* nicht für die Geschlechtsbestimmung horangezogen werden; 
es war in diesem Falle die durch 4monatliche Enthaltung zeugungs¬ 
kräftige Mutter, die das Geschlecht des gesunden Knaben nach dem 
Gesetze der gegenteiligen Uebertragung bestimmt hatte. Ohne der 
eitirten Dame irgendwie in ihrer Reputation nahetreten zu wollen, 
halten wir cs doch für etwas gewagt, ein ganzes Lehrgebäude auf 
die eheliche Treue einer gokränkten Frau zu fundiren, wie es der 
Vcrf., der diese Beobachtung zu den Hauptstützen seiner Ansicht 
zählt, für gut fand. 

Die allerdings seltenen, aber von autoritativer Seite publioirten 
Fälle, wo Frauen trotz doppelseitiger Ovariotomie nachträglich 
schwanger wurden und Kinder weiblichen Geschlechtes zur 
Welt brachten, zieht der Verf. als Beleg zu seiner Theorie heran; 
der tiefe Eingriff in die Geschlechtssphäre dieser Frauen hat ihnen 
gleichzeitig ihre ursprüngliche Veranlagung zur Differenzirung des 
männlichen Geschlechtes geraubt, so daß sie im Begattungskampfe 
dem prävalirenden männlichen Principe unterliegen mußten. 

Nach dieser Theorie der gegenteiligen Geschlechtsübcrtraguug 
verlegen wir also in die weibliche Keimdrüse die Uranlage für die 
Entwicklung mäunlicher Sprossen, während das männliche Thier in 
seinem Sperma die Vorbedingungen für die Zeugung weiblicher 
Individuen enthält; diese beiden antipoden Principien poltern im Be¬ 
gattungskampfe an einander, und von der momentanen physischen 
Disposition der Zeuger, von der Begattungspassion, dem Tempera¬ 
ment , der Ladung mit animalischer Elektricität (?!) wird es nun 
abbängen, welches von den beiden Principien obsiegt. 

So sehen wir, daß die Bienenkönigin, so lange sie noch nicht 
begattet worden ist, Eier legt, aus denen die Drohnen hervorgehen; 
die weiblichen Sprößlinge dagegen verdanken ihre Entstehung erst 
der Einwirkung der männlichen Keimzellen. 

Es fehlt auch im menschlichen Leben nicht an Erscheinungen, 
die ziemlich beredt für das Prineip der gekreuzten Vererbung 
sprechen. Die alltägliche Erfahrung kann uns zeigen, wie der 
Charakter, die intellectuellen und geistigen Eigenschaften des Vaters 
in der Tochter ausgesprägt sind, und die Geschichte lehrt in mohr 
als einem Falle den bestimmenden Einfluß der Mutter auf den Sohn. 
Darum haben berühmte Männer so selten hervorragende Söhne und 
ein guter Theil ihrer individuellen Vorzüge geht erst durch die 
Tochter auf das männliche Enkelkind über. So erben sich 
Talent uud Geisteskraft im Zickzack der Geschlcchtsfolgen fort, und 


all die schönen Genealogien, die nur auf die mänuliche Linie 
recurriren, zerrinnen in Nichts. 

Und nun zur Moral, zur Nutzanwendung! 

Das ist entschieden der schwächste Theil von Herrn Janke’s 
sonst interessanter Broschüre. In seinen „Vorbetrachtungeu“ weiß 
der Verf. selbst den unerfahrensten Leser in die Mysterien des Ge¬ 
schlechtslebens einzuführen, die erste Abtheilung des speciellen 
Theiles ist klar gefaßt und gut corapilirt, aber der Mann, der in 
der ersten Hälfte wie ein Naturforscher zu uns gesprochen hat, 
verflacht sich in dem letzten Theil seiner Betrachtungen zum Niveau 
der naiven Quacksalberei. Die Capitel „Knabenhervorbringung“ 
und „Mädchenerzielung“, oder wie wir sie lieber genannt hätten: 
Der Klapperstorcb nach Wunsch, entbehren, so ernst sie gemeint 
sind, nicht einer gewissen Situationskomik. Die Kunst, Knaben zu 
zeugen, besteht einfach darin, daß der Mann, nebst anderen wirk¬ 
samen Behelfen, sich durch unzureichende Ernährung (vegetabilische 
Kost) und erschöpfenden Geschlechtsumgang in seiner Geschlechts¬ 
sphäre möglichst herabbringe, um „sein Bildungsmaterial zur Er¬ 
zielung eines weiblichen Sprossen“ zu schwächen oder aufzubrauohen. 
Die Frau dagegen muß trachten, durch stimulirende Nahrung, ge¬ 
schlechtliche Enthaltung, pikante Lectüre ihren Geschlechtsapparat 
zur möglichsten Leistung zu kräftigen, und mit diesem Verfahren 
kann zweckmäßig mit dem Ablauf der Menstruation begonnen 
werden, wobei die Eheleute verhalten sind, einen Monat lang jeg¬ 
lichen geschlechtlichen Verkehr auszusetzen. Der entscheidende 
Coitus flndet am 6. Tage nach der folgenden Menstruation statt 
und kann in den darauffolgenden Tagen wiederholt werden. Darum 
sind die Knabengeburten bei den frommen Juden so häufig, weil 
ihnen das Rituale erst am 7. Tage nach beendetem Monatsflusse ge¬ 
stattet, ihrer Frau beizuwohnen. 

Uebrigens ist damit die Zahl der wirksamen Maßnahmen noch 
nicht erschöpft. Millot hat überdies noch beobachtet, daß Eheleute, 
die Jahre hindurch nur mit Töchtern gesegnet waren, Söhne zeugten, 
wenn sie die Plätze im Ehebett gewechselt hatten; 
damit ja nichts unterlassen werde, was irgendwie zweckdienlich sein 
kann, empfiehlt der Verf. auch dieses Mittel. Variatio delectat! 

Austern, Fische, Caviar, Canthariden und Brown-Sequard- 
sche Injectionen sichern den Erfolg! 

Schwieriger ist es, probate Mittel für die Mädchenerzielung 
zu schaffen. Wie soll man eine unverwüstliche Frau, die vielleicht 
noch schlank und lebhaften Temperamentes ist, berabbringen und 
schwächen ? Etwa durch Angst, Seelenschmerz, Kränkung und Gram 
— das wäre grausam und das will Herr Dr Janke selbst nicht. 

So müssen wir denn bekennen, daß wir trotz dieser neuen, 
schönen Theorie in der praktischen Anwendung bezüglich der 
sicheren Vorhersage des Geschlechtes nicht viel klüger sind, als znvor. 

Nicht einmal Mantegazza , der große Professional in Ge- 
schleoht8sachen, weiß uns in diesen Dingen befriedigende Auskunft 
zu geben, trösten wir uns also ergeben mit den Worten des Lavinis 
Cannio: „Wenn Jemand wünschen sollte, Knaben oder Mädchen 
zu erhalten, so muß er zuerst bedenken, daß solche Dinge von dem 
lieben und großen Gott kommen, und daß er ihn darum bitten 
muß, damit er ihm diese Gnade erweise.“ G. S. 


Kleine Mittheilungen. 

— Marc See bespricht in Nr. 30 der „M6d. mod.“ die An¬ 
wendung des Chloralhydrat8 in der Chirurgie. Die coagulirenden 
Eigenschaften des Cblorals machen dasselbe sehr geeignet, die Jod- 
tinctur bei Behandlung der Hydrocele vaginalis zu ersetzen. S. ge¬ 
braucht seit 15 Jahren eine 10°/ 0 Lösung und hat mittelst derselben 
sämmtliche Hydrocelon, gegen 200 , behandelt und ohne irgend 
welchen unangenehmen Zufall geheilt. Nach Injection von 30 Grm. der 
Lösung, die man allmälig oder auf einmal im Laufe einer 1 j i Stunde 
ablaufen läßt, sammelt sich nach 2 —3 Tagen ein noch größerer 
Erguß an, der sich aber allmälig und definitiv resorbirt. In Fälltn, 
in welchen die verdickte Hydrocelon wand eine rigide Schale bildet, 
nützt freilich keine Injection, sondern nur die Incision. S. hat die 
Chlorallösung wiederholt in die Umgebung varicöser Venen injicirt; 
das Blut gerann langsam in den Gefäßen, die sich dann allmälig 

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retrahirten. Er hat ferner das Chloral in Cysten verschiedener 
Natur, namentlich in sei-öse, injicirt und stets gute Resultate erzielt. 
Schließlich hat er Chloralinjectionen in erectile Geschwülste ver¬ 
sucht. Vorsichtig ausgeftihrt, rufen diese Injectionen in der Um¬ 
gebung der Einstichstelle Thromben hervor, welche die Permeabilität 
der Gefäße vermindert. Doch wurden die Versuche nicht genügend 
lange Zeit verfolgt, um ein definitives Urtheil hierüber fällen zu 
können.• 

— Im Augusthefte des „Ctrbl. f. Augenheilk.“ finden wir 
einen Bericht über einen von S. Ssegal gemachten Versuch einer 
Anwendung der Hypnose zur Aufklärung einiger physiologischer 
Fragen. Verf. hat in der Abtheilung des Dr. Motschutkowski die 
Frage, ob der Mensch ein oculomotorisches Centrum für beide 
Augen oder ob ein jedes Auge sein eigenes bezügliches Centrum 
habe, durch Suggestion an zwei weiblichen Kranken zu lösen ge¬ 
sucht. Beim hypnotisirten Individuum wurde das rechte Augenlid 
gehoben und suggerirt, daß das rechte A uge unbeweglich gerade sehen 
sollte, und wenn dieses geschehen war, so wurde befohlen, das linke 
Auge nach innen und nach außen zu drehen; dieses gelang bei 
der einen Kranken, aber das linke Auge konnte nicht gezwungen 
werden, nach oben oder unten sich zu drehen, auch konnte keine 
binoculäre Divergenz produeirt werden; bei der zweiten Kranken aber 
konnte wohl die Bewegung des linken Auges nach oben und unten, nach 
innen und außen, aber keine binoculäre Divergenz hervorgebracht 
werden. Ferner wurden an der ersten und an einer dritten Kranken 
Versuche mit der Beeinflussung der Pupillenreaction durch Suggestion 
in der Weise angestellt, daß der hypnotisirten Kranken gesagt 
wurde, daß Alles um sie herum schwarz und daß in Folge der 
Dunkelheit nichts zu sehen sei; — es erweiterte sich die Pupille, 
verengerte sich aber sofort bei der Suggestion, daß die Dunkelheit 
verschwunden sei und der helle Sonnenschein ihr gerade auf die 
Augen falle. Verf. schließt aus seinen Versuchen, daß jedes Auge 
sein eigenes oculomotorisches Centrum, sowie solche für die anderen 
Augennerven habe, welche aber in Folge der fortwährenden asso- 
ciirten Bewegungen eng mit einander verbunden seien. Die Ver¬ 
suche mit der Hervorrufung farbiger Nachbilder durch Suggestion 
und Vorhalten von verschiedenen gefärbten Gläsern gaben nicht 
immer die gleichen Resultate; die einzelnen Farben wurden öfters 
mit einander verwechselt. 

— Dr. Moritz Mayer berichtet in Nr. 30 der „Berl. klin. 
Woch. w über einige Fälle von Zertheilung von Geschwülsten 
durch percutane Galvanisation. Schon vor 30 Jahren konnte er 
eine steinharte, mehr als kopfgroße, jedem chirurgischen Eingriffe 
unzugängliche Geschwulst mittelst percutaner Faradisation nach 273 
Sitzungen innerhalb 3 Jahren so weit reduciren, daß Langenbeck, 
der die Abnahme der Geschwulst verfolgte, kaum ein Minimum 
derselben in der Tiefe nachweisen konnte. In einigen Fällen von 
hypertrophischem Cal Ins wurde dieser durch percutane Galvani¬ 
sation zum Verschwinden gebracht. Diese Resultate wurden er¬ 
möglicht durch Anwendung biegsamer, in jeder Größe und Form 
leicht zu beschaffender Elektroden aus dünnen Bleiplatten. In einem 
Falle von Synovitis genu chronica wandte M. die percutane 
Galvanisation in der Weise an, daß er eine 25 Cm. lange und 
12 Cm. breite Anode auf den Oberschenkel anlegte und das Knie 
mit einer, später mit zwei an gegabelter Leitungsschnur befestigten 
Kathoden von 15 Cm. Länge und 10 Cm. Breite fest umgab und 
so einen Strom von 15—20 Milliamperes 10 Minuten einwirken 
ließ. Nach 24 Sitzungen war Pat geheilt. Nicht weniger eclatant 
war der Erfolg bei einem 79jährigen Manne, der seit 6—8 Jahren 
an gichtischen Ablagerungen in den Extensorenscheiden 
beider Hände litt; die Sehnen schwollen zu harten Strängen an, 
erschwerten die Handbewegungen und machten vollständigen Hand¬ 
schluß zeitweise unmöglich. M. befestigte eine 30 Cm. große Anode 
durch ein Tuch an den Oberarm, umwickelte erst das rechte, dann 
das linke Handgelenk mit einer 20 Cm. langen und 5 Cm. breiten 
Kathode und konnte schon nach wenigen Sitzungen von 1 / 4 ständiger 
Dauer durch Abnahme der Geschwulst und Zunahme der Beweg¬ 
lichkeit einen sichtlichen Erfolg constatiren. Nach 27 Sitzungen 
war Pat. geheilt. Dasselbe Verfahren eignet sich auch zur Zer¬ 


theilung der in Folge circumscripter Tendovaginitis ent¬ 
stehenden und an der Volarseite der Metaoarpophalangealgelenke 
unbeweglich auf ihrer Unterlage aufsitzenden harten Körper, welche 
der mit dem Namen „schnellender Finger“ belegten Be¬ 
wegungshemmung zu Grunde liegen, und hat zwei derartige, seit 
Jahren bestehende Fälle durch 20, resp. 25 galvanische Behand¬ 
lungen vollständig geheilt. Schließlich berichtet M. über 2 Fälle 
von stabilem Oedem (chronischem Exsudat im subcutanen Binde- 
„ gewebe), welche nach Beseitigung der Grundkrankheit (Prurigo, 
Bartflechte) mittelst percutaner Galvanisation geheilt wurden. 

— In der Sitzung der Pariser Acad. de mödecine vom 
5. August empfahl Vtdal die Behandlung der Scarlatina mit 
e8Sigsaurem Ammoniak in hohen Dosen. Dasselbe wird vom 
Organismus in Dosen von 1 Grm. pro Altersjabr sehr gut vertragen 
und kann bis zu Mengen von 35 Grm. täglich ohne jeden Schaden 
genommen werden. Gleich nach Beginn der Erkrankung verabreicht, 
bildet das essigsaure Ammoniak ein sehr schätzenswerthes Mittel 
bei Scarlatina und vielleicht auch bei anderen exanthematischen 
Fiebern. Die Wirkung ist eine umso raschere, je früher die Be¬ 
handlung beginnt. In einem Falle gab V. 2 1 / a Grm. essigsaures 
Ammoniak in 24 Stunden, in einem zweiten 6 Grm., in einem 
dritten 9 Grm. Bei allen drei Kindern fiel das Fieber nach 3 bis 
4 Tagen ab und die Desquamation stellte sich bald ein. 

— In zwei Fällen von künstlicher Ueberhäutung offener 
Krebse durch Hauttransplantation nach Thiersch konnte Dr. 
Edwin E. Goldmann den Anheilungsproceß der Transplantationen 
auf die carcinomatösen Flächen histologisch genau studiren. Das in 
Nr. 16 des „Ctrbl. f. allg. Path. u. path. Anat.“ mitgetheilte Re¬ 
sultat dieser Untersuchungen ist folgendes: Die Epidermis, deren 
Zellen eine große Lebensenergie besitzen, wird durch eine plasmatische 
Lympbcirculation so vollkommen ernährt. daß ihre Anheilung auf 
carcinomatösen Flächen möglich ist. Für einen Erfolg von längerer 
Dauer ist die Entwicklung von neuen Gefäßen aus dem Mutterboden 
in die transplantirte Haut erforderlich. Daraus ergaben sich für 
die praktische Anwendung zwei Qeaicht9punktq; ( .U .Die Tranpplaflo. 
tation gelingt am leichtesten auf zellenarmen, gefäßreichen Tumoren. 
2. Die Hautstückchen zur Ueberpflanzung müssen möglichst dünn 
geschnitten werden. Ob durch die Transplantation ein Einfluß auf 
das Waohsthum des Krebses ausgeübt wird, können erst weitere 
Beobachtungen zeigen. 

— Sansoni berichtet in Nr. 9 der „Tber. Mcnatsli.“ über 
die Wirkung de8 Euphorine, mit welchem Namen er das Phenyl- 
urethan bezeichnet, eine Verbindung, welche dnreh Einwirkung von 
chlorkohlensaurem Aethyläther auf Anilin entsteht. Es ist dies ein 
weißes krystallinisches Pulver mit schwach aromatischem Geruch und 
einem zuerst kaum merklichen Geschmack, welcher nachher schärfer 
wird und an Gewürznelken erinnert. In kaltem Wasser ist das 
Euphorine sehr schwor löslich, in Alkohol sehr leicht. Das Euphorine 
ist in verschiedenen Krankheiten verwendet worden und hat sich 
als ein ausgezeichnetes antithermisches, antiseptisches, auch merklich 
antirheumatisches und in einigen Fällen als analgetisches Mittel 
erwiesen. In verschiedenen acuten oder chronischen fieberhaften 
Krankheiten setzte es die Temperatur schon nach einer halben 
oder ganzen Stunde herunter. Die Wirkung dauert durchschnittlich 
5 bis 7 Stunden. Man beginnt mit 0‘1 und kann bis zu 1 bis 
l'/ 3 Grm. pro die steigen. Collaps wurde nie beobachtet. Bei 
Rheumatismus bewirken Tagesdosen von l 1 ^—2 Grm. Verschwinden 
der Schmerzen und des Fiebers, sowie Freier werden der Beweg¬ 
lichkeit. Die analgetische Wirkung war in manchen Fällen, wie 
z. B. bei Orchitis, sehr bemerkenswert!); in anderen (Ischias, lanci- 
nirenden Schmerzen bei Tabes, Trigeminusneuralgie) nur mittelmäßig. 
Die Dosis beträgt 1—2 Grm. täglich. Anch als Antisepticura wurde 
das Euphorine in Pulverform auf hartnäckige alte Geschwüre und 
bei chronischer Ophthalmie mit weit besserem Erfolge angewendet 
als andere Mittel. 





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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.-9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

IX. 

Aus den Sectionen. 

Beetion iür Gynäkologie. 

Ueber den elektrischen Strom in der Gynäkologie. 

APOSTOLI (Paris), Ref.: Der constante Strom findet seine 
Hauptanwendung in der Gynäkologie bei Endometritis und bei 
Fibromen. 

Souverän gegen die Circulationsstörungen und die Schmerzen 
(Amenorrhoe, Dysmenorrhoe und Metrorrhagien), vermag er die Entwick¬ 
lung gutartiger Neoplasmeu aufzuhalten und die Resorption periuteriner 
Exsudate zu unterste zen. Er übt eine heilsame, auflösende Wirkung 
bei vielen periuterinen Entzündungen und bei gewissen catarrhalischen 
Formen von Oophorosalpingitis, ist aber unwirksam und selbst 
schädlich in hohen Dosen, namentlich bei intrauteriner Anwendung 
des negativen Pols, bei eiteriger Entzündung der Uterusadnexa. 
Die größere Intoleranz bei stärkerer Entzündung der Adnexa bildet 
ein werthvolles diagnostisches Hilfsmittel, um über die Existenz und 
die Natur von periuterinen FlüssigkeitsanBammlungen Klarheit zu 
verschaffen. 

Die Wirkungen des constanten Stromes sind polare und inter- 
polare. Die interpolare trophische und dynamische Wirkung ist pro¬ 
portional dem Quadrat der erforderlichen Stromstärke und erhöht 
die polare Wirkung. 

Diese besteht aus 2 Theilen: Die durch den Durchtritt des 
Stromes erzeugte Wärmeentwicklung und die am -fPol entfaltete 
antiseptische Wirkung. Die stärkeren galvanischen Ströme bilden 
die Grundlage der APOSTOLl’schen Methode und finden ihre Recht¬ 
fertigung 

1. - in ihrer Wirkung auf die Circulationsverhältnisse, welche 
eine direete Folge der Wännewirkung durch den Leitungswiderstand 
und dem Quadrat der Stromintensität proportional ist; 

2. in der mit der Stromstärke zunehmenden antiseptiachen 
oder antimykotischen Wirkung; 

3. in der Raschheit der Wirkung, die mit dem Quadrat der 
Stromstärke zunimmt; 

4. in der leichten Verallgemeinerung der Methode bei hart¬ 
näckigen Fällen; 

5. in der Verhütung von Recidiven, die unter sonst gleichen 
Umständen umsoweniger zu befürchten sind , je stärker der ange¬ 
wendete Strom ist. 

Die Resultate der vaginalen Anwendung des galvanischen 
Stromes sind bedeutend geringer als jene der intrauterinen, welche 
letztere vorzuziehen ist, weil sie 1. das Maximum des erforderlichen 
Stromes sich nutzbar macht, 2. weil sie die antiseptische Wirkung 
des -f Poles verwendet, 3. weil sie häufig eine ableitende und 
kaustische Wirkung ausübt und damit zur Behandlung einer ein¬ 
fachen Endometritis oder einer solchen , die häufig bei Fibrom und 
periuterinen Entzündungen auftritt, benützt werden kann, schließlich 
weil sie besser als die vaginale Anwendung die Schmerzen stillt 
und die Anwendung stärkerer Ströme ermöglicht. 

Die mittelst eines feinen Goldtroicars ausgeführte Galvano- 
punctur bildet eine wirksame Ergänzung der intrauterinen Therapie, 
indem sie die galvanische Behandlung besser localisirt und in an¬ 
deren Fällen die Wirksamkeit schwacher und mittelstarker Ströme 
erhöht. 

Die Unschädlichkeit der intrauterinen Behandlung ergibt sich 
aus der Unschädlichkeit der gleichfalls intrauterin angewendeten 
chemischen, unblutigen Behandlungsmethoden, hauptsächlich aber 
aus den bis nun bekannten statistischen Ziffern. 

Von Juli 1882 bis Juli 1890 hat A. 11499mal den galvani¬ 
schen Strom angewendet, woruuter 8l77mal -f intrauterine Galvano¬ 
kaustik, 2486mal negative intrauterine Galvanokaustik, 222mal + 
vaginale Galvanopunctur und 614mal negative vaginale Galvano- 
punctur. 


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Im Ganzen wurden 912 Kranke behandelt, worunter 531 Fälle 
von Fibromen, 133 von einfacher Endometritis und 248 Fälle von 
Endometritis, complicirt mit periuterinen Entzündungen. 

3 Fälle starben in Folge von Operationsfehlern, 30mal hat 
A. nach Anwendung der intrauterinen Galvanokaustik Schwangerschaft 
beobachtet. 

Ephraim Cutter (New-York) schildert die Entwicklung der 
APOSTOLl’schon Methode in Amerika. Die Resultate der von ihm 
gesammelten Fälle sind folgende: Hemmung der Entwicklung der 
Geschwulst 5O°/ 0 , leichte Besserung 6°/o, kein Stillstand im Wacbs- 
thura 14°/o, Heilung mit vollständigem Schwund der Geschwulst 22°,, 0 , 
Todesfälle 8°/ 0 . 

Das vom Redner gegenwärtig geübte Verfahren besteht dariu, 
daß er unter Anwendung von Anästhesie beide Elektroden durch die 
Bauchwand in das Myom einsticht und einen constanten Strom 
durch 5—10 Minuten einwirken läßt. Die Kranke bleibt hierauf 
einige Tage zu Bett. Eine besondere Wichtigkeit schreibt er der 
Diät zu, die er in folgender Weise regelt: Die Kost besteht aus 
*/s Fleischspeisen uud 1 / H Vegetabilien: eine Stunde vor jeder Mahl¬ 
zeit uud vor dem Schlafenge heu trinkt die Kranke 1 2 Liter heißes 
Wasser. 

DANION (Paris) hält die chemische Galvanokaustik für einen 
wissenschaftlichen Irrthum. Eine Wirkung auf die Uterussöhleimhaut 
ist nach ihm vollständig illusorisch, da nur wenige Punkte derselben 
mit dem Strom in Berührung kommen. Als Beweis führt er eine 
von Apostoli ausgeführte Section einer seiner Kranken an, die an 
Peritonitis nach chemischer Galvanokaustik zu Grunde ging. Es fand 
sich im Uterus trotz mehrfacher Anwendung eines Stromes, von 
100 M.-A. keine Spur einer kaustischen Wirkung. 

Ein klinischer Beweis dafür, daß die intrauterine Galvano¬ 
kaustik und die Punction ein wissenschaftlicher Irrthum sind, liegt 
in der von D. empfohlenen Methode des elektrischen Tampons, bei 
der keine Spur von chemischer Galvanokaustik vorhanden ist. Dieselbe 
besteht in Anwendung eines Tampons aus Feuerschwamm, der an 
seinem vaginalen Ende in einer Ausdehnung von 1 / 2 —2 Cm. mit 
einem feinen , Kautsrhukblättchen bedeckt ist und nach Duroh- 
tränkung mit Salzwasser mit der Gervix in Berührung gebracht 
wird. Nachdem man einen Strom von 70—80, ja sogar bis 130 und 
150 M.-A. 3—6 Minuten hat durchfließen lassen, wird der Strom 
umgekehrt, nachdem man ihn rasch auf 0 gebracht bat; dabei 
empfinden die Kranken ein Gefühl von Wärme, Zusammenziehen und 
Ameisenlaufen. Dieses Umkehren kann 2—3mal wiederholt werden, 
doch muß man dabei, namentlich wenn Eutzündungs- oder Con- 
gestionserscheinungen vorhanden sind, sehr vorsichtig sein. 

Die Resultate dieser Methode sind viel besser als die der 
intrauterinen Galvanokaustik; dabei fehlt jede reizende und kaustische 
Wirkung. Auch empfinden die Pat. keinerlei Schmerzen. Constant tritt 
eine Verminderung der Größe der Geschwulst ein ; bei genügend langer 
Anwendung dieser Behandlung werden die Blutungen gestillt, und in 
keinem Falle traten die nach der Galvanokaustik häufig sich ein¬ 
stellenden Blutungen ein. Die Menstruation wird geregelt, die 
Schmerzen verschwinden und die Kranken erholen sich vollständig. 

D. hat seine Methode bis nun 2000mal an über 100 Kranken 
angewendet und nie auch nur den geringsten Nachtheil davon 
gesehen. 

GAUTIER (Paris) hat als Assistent Apostoli’s im Laufe der 
letzten 8 Jahre genügend Gelegenheit gehabt, die Methode des letz¬ 
teren zu verfolgen. Nach ihm steht die symptomatische Heilung 
der Fibrome im Verhältniss zur Intensität des angewendeten Stromes. 
Der -4- Pol über 100 M.-A. wirkt zweifellos hämostatisch und anti¬ 
septisch. • 

Die locale Wirkung ist eine secundäre, während die inter- 
polare wirksamer und unentbehrlich ist. 

Die interpolare Wirkung auf Fibrome rechtfertigt die intrauterine 
Galvanokaustik und überhaupt die Galvanopunctur, welche die Methode 
der Wahl sein muß, weil sio die Dauer der Behandlung abkürzt, die 
Rückbildung der Fibrome befördert und die Recidiven vermindert. 
Nebst seiner älteren Statistik führt er 28 neue Fälle an und be¬ 
merkt, daß in den früheren Fällen die Resultate rasohere waren, 
daß die symptomatische Heilung sich erhält, daß in zwei Fälle n 


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enorme Bubperitoneale Fibromyome um x /s abgenommen und daß die 
beiden Kranken nach 8, resp. 12 Sitzungen ihre schwere Beschäfti¬ 
gung wieder aufgenommen haben. 

Der -f- Pol erzeugt im Uterus eine vollständige Cauterisation 
der Schleimhaut, welche austrocknet, und die mikroskopische Unter¬ 
suchung nach der Hysterectomie beweist, daß die Schleimhaut allein 
selbst bei sehr starken Strömen betroffen ist. 

Bei eiteriger Oophorosalpingitis empfiehlt er nur die negative 
chemische Galvanokaustik mit schwachen Strömen von 20—80 M.-A. 

8 seiner Kranken hatten Chirurgen consultirt, welche ein¬ 
stimmig die Laparotomie empfahlen. Unter dem Einflüsse der galvani¬ 
schen Behandlung nahm die Eiterung ab, die Schmerzen verschwanden 
und die Kräfte stellten sich wieder ein. 

Gestützt auf seine längere Erfahrung, gibt er der Galvano- 
punctur bei Behandlung der Uterusfibrome den Vorzug und ver- 
urtheilt die extPauterine Anwendung der Elektricität, die auf einer 
falschen Theorie beruht, deren Resultate illusorisch sind. 

E. NOEGGERATH (Wiesbaden) gibt die Geschichte von 6 Fällen 
von Eierstockgeschwülsten, in welchen die elektrische Behandlung 
Absorption hervorgebracht batte. Die Grundsätze der Anwendung 
des faradischen Stromes sind: 

1. Der angewandte Strom hat den Charakter der Quantität, 
d. h. der inducirte Draht ist verhältnißmäßig stark, wie er sich in 
den gebräuchlichsten Inductionsapparaten meist vorfindet. 

2. Der negative Pol des secundären Stromes wird in Form 
eines an einem isolirten Griffe befestigten feuchten Schwammes in 
die Vagina eingeführt, während der positive Pol als handteller¬ 
große, platte (Feuer-) Schwammelektrode auf dem Leibe liegt. 

3. Der Strom iBt nur so stark, daß er eben von der Pat. 
wahrgenommen wird, die Dauer der Sitzung betrügt aber zum mindesten 
eine halbe Stunde und dehnt sich im weiteren Verlauf der Behand¬ 
lung auf eine Stunde und mehr aus. Drei Applicatiouen in der 
Woche genügen. 

In einem Falle, in welchem Adhäsionen zwischen Geschwulst 
und Bauchfell bestanden, ward der Strom in der Weise angewandt, 
daß er einmal in der Secunde unterbrochen wurde, und in dem 
fast hoffnungslos erscheinenden Falle schien diese Art der An¬ 
wendung höchst energisch zu wirken. N. glaubt daher in Zukunft 
diese Modificatron zur Behandlung größerer Geschwülste empfehlen 
zu können. Für kleinere dagegen zieht er den ununterbrochenen 
Strom wegen der Milde seiner Wirkung vor. — Die Behandlung 
wird fortgesetzt, bis eine deutliche Verkleinerung zu constatiren ist 
(6—8 Wochen), und man wartet dann die selten ausbleibende 
f achwirkung der Behandlung ab. Die eigentliche Indication bilden 
die große Masse der ein- und mehrkammerigen proliferirenden Cysten 
(Myxadenome) von kleiner und mittlerer Größe. — In diesen Fällen 
hat sich die elektrische Behandlung als außerordentlich wirksam 
bewährt. Sie ist bei weitem radicaler, als die des constanten Stromes 
bei Fibromyomen, da die Geschwülste bis auf kleine Reste ganz 
zum Verschwinden gebracht werden. Nichterfolg läßt auf Bösartig¬ 
keit der Tumoren schließen. 

BrÖSE (Berlin) hat 16 Fälle von interstitiellen und 
submucÖB sitzenden Tumoren nach der APOSTOLl’schen Methode 
behandelt, von denen mehrere seit 2 Jahren beobachtet, seit IV 2 bis 
1 / 4 Jahren geheilt sind. — Zehn Fälle werden wegen Blutungen mit 
der intrauterinen positiven chemischen Galvanocaustik behandelt. 
Von diesen sind 8 Fälle dauernd, d. h. seit V«—Vs Jahren, von 
ihren Blutungen befreit, darunter mehrere Fälle, die einmal oder 
mehrere Male ohne Erfolg mit dem Curettement behandelt waren. 
Ein Fall, der in 40 Sitzungen ohne Erfolg behandelt worden ist, 
wurde von einem Collegen castrirt, und starb die Kranke am 14. Tage 
nach der Laparotomie an einer Complication; ein zweiter Fall entzog 
sich nach 16 Sitzungen der Beobachtung. — Es ließ sich fast in 
allen Fällen eine Verkleinerung der Uterushöhle von 1—2 Cm. am 
Ende der Behandlung nachweisen. Ob die Myome in diesen 8 Fällen 
wirklich kleiner wurden, ist schwer zu sagen. — Die zweife Reihe 
von 6 Fällen sind Myome, welche durch ihre Größe, durch Com- 
pression der Nacbbarorgauc, durch die sie begleitende Dysmenor¬ 
rhoe und Perimetritis Symptome machten, von Metro- oder Menor¬ 
rhagien aber nicht begleitet waren. Sie wurden mit der intrauterinen 


negativen chemischen Galvanokaustik behandelt. Vier von diesen Fällen 
, sind von ihren Beschwerden befreit, ohne daß eine erhebliche Ver- 
j kleinerung der Geschwulst nachweisbar war. In 2 Fällen aber 
konnte eine so große Verkleinerung der Geschwulst constatirt 
werden, daß ein Zweifel ausgeschlossen ist. 

Bei der Anwendung des galvanischen Stromes und der Elek¬ 
tricität überhaupt sind folgende Grundsätze zu beachten: 

1. Der Arzt, welcher diese Behandlungsmethode anwendet, 
muß die gynäkologische Technik und Diagnostik vollkommen be¬ 
herrschen ; er muß aber auch mit den Grundsätzen der Physik und 
Elektrotherapie vertraut sein. 

2. Die Anwendung bei Myomen, Exsudaten, Endometritis, 
Metritis ist eine intrauterine. Die Anwendung der vaginalen Kugel¬ 
elektrode, wenigstens für starke Ströme, ist zu verwerfen, da sie 
sehr langsam heilende Ulcera in der Vagina hervorruft. 

3. Bei der Behandlung der Myome muß der Arzt sowohl wie 
die Patientin Geduld besitzen. DieBehandluug wird sich in dem größten 
Theile der Fälle über mehrere Monate erstrecken, ja kann */* bis 
Y 4 Jahre dauern, und der Verlauf ist nicht selten durch allerhand 
Ereiguisse, durch leichte Blutungen, besonders bei Anwendung des 
negativen Poles, durch leichte perimetritische Reizungen gestört, aber 
der Erfolg krönt, wenn auch nicht in allen, so doch in vielen Fällen 
die Mühe. 

4. Je länger die Uterushöhle ist, desto schwieriger sind die 
Blutungen zu heilen, und man wird in Fällen mit starken Blutungen 
und sehr langer (über 12 Cm.) Uterushöhle stets zu erwägen haben, 
ob die Kräfte der Patientin ausreicben , um sie einer elektrischen 
Behandlung zu unterwerfen, d. h. 3—4 Monate weiter bluten zu 
lassen oder sogleich die Myomotomie auszufiihren. Denn der Erfolg 
tritt zuweilen sogar erst Wochen lang nach dein Aussotzen der Be¬ 
handlung ein. 

5. Die galvanische Behandlung wird deshalb niemals die 
Myomotomie vollkommen ersetzen können, aber sie wird manchen 
Fall vor der Operation bewahren. Sie ist aber entschieden allen 
anderen medicamontösen und chirurgischen Bebandlungsweisen der 
Myome, sowohl hinsichtlich des Erfolges, als auch der Ungefährlich¬ 
keit wegen vorzuziehen. Vielleicht lassen sich durch Combination 
mehrerer Methoden, z. B. des Curettements und der Application der 
intrauterinen Anode, noch schnellere Erfolge erzielen. 

6. Ausgezeichnet sind die Erfolge der Anwendung dos galva¬ 
nischen Stromes bei chronischen Beckenexsudaten. Sie werden sehr 
ofr, nachdem sie allen anderen ßehandlungsweisen Trotz geboten 
haben, in kurzer Zeit resorbirt. B. behandelte sie stets intrauterin, 
bei Complioation mit Endometritis mit der Anode, sonst mit der 
Kathode. Bedingung ist, daß alle acuten oder subcutanen Entzün- 
duugserscheinungon verschwunden sind. 

B zieht die Anwendung des galvanischen Stromes bei den 
Fällen von Endometritis, welche mit Entzündungen in der Umgebung 
des Uterus, oder mit Metritis chronica complicirt sind, der chirur¬ 
gischen Behandlung vor. Er sah ferner gute Erfolge bei der Dys¬ 
menorrhoe durch die intrauterine Anwendung der Kathoden. Ob 
Stenosen dauernd durch dieselbe geheilt werden, vermag er noch 
nicht zu entscheiden. 

ZWEIFEL (Leipzig) hat die AposTOLrsohe Methode versucht, 
aber dieselbe recht schmerzhaft gefunden. Eio Schwinden der Myome 
konnte er zwar nicht constatiren, häufig ließ sich aber ein Stillstand 
im Wachsthum derselben nachweisen. Auch das subjective Befinden 
der Kranken besserte sich merklich. 

MAS8IN (St. Petersburg) berichtet Uber die in Rußland mit 
der Elektricität erzielten Resultate. 11 russische Aerzte haben in 
90 Fällen von Uterusfibromen die APOSTOLi’sche Methode ange¬ 
wendet. Fast in allen Fällen erwies sich die Behandlung als ein 
vorzügliches symptomatisches Mittel, welches die lästigen Symptome 
(Blutungen, Schmerzen, Leucorrhoe etc.) beseitigte. In 2 Fällen 
soll die Geschwulst gänzlich zum Schwinden gebracht worden sein, 
in den anderen Fällen konnte ein mehr oder weniger bedeutender 
Rückgang der Geschwulst constatirt werden. M. selbst hat 40 Fälle 
von Uterusfibrom nach Apostoli behandelt. Der positive Pol erwies 
sich als ausgezeichnetes Blutstillungsmittel. Verschlimmerung der 
Krankheit trat nur in 4—5 Fällen ein. Bedeutende Verkleinerung 


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der Geschwülste, geschweige denn gänzliches Verschwinden derselben, 
hat M. nicht beobachtet. Als interessante Thatsache erwähnt M., 
daß nachträgliche Anwendung der intrauterinen negativen Galvano¬ 
kaustik eine merkliche Besserung der Ernährung hervorrief. In den 
meisten Fällen wurde ein Strom von 200 M.-A., bei Vorhanden¬ 
sein entzündlicher Complicationen Ströme von über 100 M.-A. 
nur mit großer Vorsicht angewendet. M. hat auch mehrere Fälle 
von Oophoritis mit dem elektrischen Strome behandelt. In einigen 
Fällen waren die Patientinnen bereits zur Castration bestimmt, und 
nach Anwendung der Elektricität trat eine derartige Besserung ein. 
dass von einer Operation Abstand genommen wurde. Eine sichere 
Erklärung der Wirkung des elektrischen Stromes vermag man bislang 
nicht zu geben. Am meisten entspricht den Thatsachen die Erklärung 
Remak’s über Katalyse, unter deren Einfluß die so häufig in der 
Umgebung der Fibrome vorhandenen plastischen Infiltrate schwinden. 
Die Blutstillung und die Abnahme des Ausflusses muß dem kaustischen 
Einflüsse des elektrischen Stromes auf die Uterusschleimhaut zuge¬ 
schrieben werden. 

La TORRE (Rom) berichtet über einen Fall von Fibromyom 
des Uterus, bei dem nach Behandlung mit Elektricität die Hysterectomie 
gemacht wurde. Redner konnte auf diese Weise die bei der Kranken 
eingetretenen symptomatischen Veränderungen und die in der Ge¬ 
schwulst eingetretenen anatomischen Veränderungen studiren. Es 
handelt sich um ein 44jähriges Fräulein, das mit einer kindskopf¬ 
großen Uterusgeschwulst behaftet war. Mit Zunahme der Geschwulst 
stellten sich Blutungen und starke Leucorrhoe ein. Die Kranke wurde 
anämisch und mager und kam immer mehr herunter. Die elektrische 
Behandlung wurde während einer starken Blutung begonnen. Im 
Ganzen wurde neunmal die chemische Galvanokaustik angewendet. 
Schon nach den ersten Sitzungen hörte die Leucorrhoe auf, und 
nach 6 Sitzungen war auch die früher sehr heftige und langdauernde 
Menstrualblutung bedeutend vermindert. Da aber die Kranke auf der 
Operation bestand, führte Prof. Durante die Hysterectomie aus. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Uterus fand sich die 
Schleimhaut verdichtet 1 , d.'k.'daa Gewebe war derart comprimlrt," 
daß die Drüsen verschwunden waren. Das Uterusgewebe schien 
normal zu sein, aber die obersten Schichten der Geschwulst zeigten 
den ersten Grad der fettigen Degeneration. Sollten weitere Beob¬ 
achtungen diese Resultate bestätigen, so könnte eine wissenschaft¬ 
liche Erklärung für die Wirkung der Elektrolyse auf die Fibrome 
gegeben werden. 

LEOPOLD Mayer (Kopenhagen) hat ebenfalls symptomatische 
Besserung durch die elektrische Behandlung erzielt. Doch hat er 
die von Zweifel beobachteten Schmerzen selten constatiren können. 
Auch andere Aerzte in Kopenhagen haben mit der APOSTOLi’scheu 
Behandlung günstige Erfolge erzielt. S. 


63. Versammluog der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte. 

(Gehalten zu Bremen, 15.—19. September 1890.) 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

H. 

Aus den allgemeinen Sitzungen. 

Ostwald (Leipzig): „Altes und Neues in der Chemie.“ 

Der Vortragende wirft einen Rückblick auf die historische 
Entwicklung der Chemie in älterer Zeit, bespricht in streng fach- 
wissenschaftlichem Sinne die Umwälzungen auf dem Gebiete der 
organischen Chemie zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wünscht 
dringend, daß deutscherseits der physikalischen Chemie, 
welch chemischer Richtung Redner angehört, mehr Bedeutung bei¬ 
gelegt werden möge. Bisher sei für diesen Zweig der Chemie, der 
sich erst in jüngster Zeit entwickelt habe und nach der Anschauung 
des Vortragenden als „die Chemie der Zukunft“ anzusehen 
sei, nur eine einzige eigene Lehrkanzel, und zwar in Leipzig, er¬ 
richtet worden. 

Rosenthal (Erlangen): Lavoisier und seine Bedeutung für die 

Entwicklung unserer Vorstellungen der Lebensvorgänge. 

Die Hauptverdienste Lavoisier’s, so führt Redner aus, be¬ 
steben in dem von ihm erbrachten Nachweis, daß die Verbrennung 


auf einer Verbindung brennbarer Körper mit dem Sauerstoff der 
Luft beruhe, daß die Athmung der Thiere als ein Verbrennungs- 
proceß aufzufassen sei und daß bei der Verbrennung thierische 
Wärme entstehe. 

Lavoisier’s Untersuchungen seien für die Entwicklung der 
Physiologie und besonders der neueren Chemie von ganz hervor¬ 
ragendem Werthe gewesen. 

Sie hätten für Liebig die Grundlage zur Besaitung der Humus¬ 
theorie gebildet, wonach der sogenannte Humus für den Aufbau der 
Pflanzen nothwendig sei, und hätten den Beweis erbracht, daß in 
der organischen Natur ein Kreislauf des Stoffes vor sich gehe. Sie 
hätten den Anstoß gegeben für das Gesetz von der Erhaltung der 
Kraft oder von der UnVeränderlichkeit des Energievorraths. 

Zu diesem Vortrag bemerkt der Vorsitzende Hofmann (Berlin), 
daß sich unter den Arbeiten Lavoisier’s eine Preisaufgabe vorge¬ 
funden habe, die in scharfsinnigster Weise dieselben Fragen behandle, 
die 50 Jahre später für Liebig und Dumas zum Gegenstand heftigster 
Polemik geworden. 

Winckler (Freiburg): Die Frage nach dem Wesen der chemischen 
Elemente. 

Der Vortragende erwähnt, daß man im Alterthume nur 7 Ele¬ 
mente (Gold, Silber, Kupfer, Quecksilber, Blei, Zinn, Eisep) kannte, 
berichtet sodann von den großen Fortschritten auf dem Gebiete der 
Elementarkunde, und hebt hervor, daß ein an und für sich seltenes 
Element, z. B. Gold, Jod etc., häufiger hinsichtlich seines Vorkommens 
wird, sobald die Menschheit sich von seinem Nutzen überzeugt 
habe. Er gedenkt dann der Untersuchungen des Amerikaners 
F. W. Clarke, der gefunden, daß die äußere Erdkruste und deren 
Lufthülle nur sehr geringe Mengen Wasserstoff, Kohlenstoff, Phosphor 
nnd Stickstoff enthalte, Elemente, die in unserer Umgebung eine so 
bedeutungsvolle Rolle spielen. „Wir wandeln und athmen inmitten 
eines seltenen Elementes,“ ruft Redner aus. 

Unsere Kenntnisse von der Beschaffenheit der außerirdischen 
Welt, so fährt der Vortragende fort, seien wesentlich durch die 
Untersuchungen von Meteoriten und des Lichtstrahls, gefördert 
worden. 

Die chemische Prüfung der Meteoriten habe gezeigt, daß sie 
aus denselben Elementen, wie die Erde, beständen, und durch 
die Spectralanalyse vermochten wir die chemische Structur der 
Himmelskörper, die ihr Licht zur Erde senden, zu erkennen. 

Redner bespricht nun das eigentliche Wesen der chemischen 
Elemente und besonders die Erscheinung der Allotropie, wobei er 
die beiden Modificationen des Sauerstoffs, den gewöhnlichen, bei 
dem sich zwei Atome zu einem Molecül vereinigt haben, und die 
„Ozon“ benannte, bei der ein Molecül aus drei Atomen besteht, als 
Beispiel anführt. 

Zum Schlüsse gibt der Vortragende seiner Anschauung Aus¬ 
druck, wonach die Elemente, die ja als einfach und unzerlegbar 
angesehen würden, aus noch einfacheren Bestandtheilen hervor¬ 
gegangen seien, und zwar „aus der im allmäligen Fortschreiten 
begriffenen Condensation einer uns unbekannten Urmaterie“. 

Rode (Norderney): Die Kinderheiletätte In Norderney. 

Redner erinnert an die durch Prof. Bemerk (Marburg) im 
April 1881 vollzogene Gründung des Vereins für Kinderheilstätten, 
welch letzterer außer in Norderney, wo die größte Anstalt sich be¬ 
finde, auf Föhr, in Zoppot bei Danzig und in Groß-Müritz an der 
mecklenburgischen Küste Hospize errichtet habe, und schildert 
hierauf ausführlich die Lage und Bauart des Seehospizes zu Norderney. 
Für die Kranken seien sechs Pavillons vorhanden, drei für Knaben, 
drei für Mädchen, von denen jeder außer den Pflegerinnen 40 Kinder 
aufnehmen könne. 

Der Vortragende bespricht sodann die übliche Tagesordnung, 
den Speisezettel, die Badeeinrichtungen am Strande und in der An¬ 
stalt etc. 

Das Hauptcontingent der Patienten, so fährt Redner fort, sei 
mit Sorophulose behaftet, auch an chronischen Bronchialcatarrhen, 
Asthma, Residuen von Pleuritis leidende Kinder seien zahlreich ver¬ 
treten, nicht minder Fälle von Chlorose, Anämie, allgemeiner Körper¬ 
schwäche, Rhachitis, Chorea, Neurasthenie etc. 

Das auf den Gesammtstoffwechsel, auf die Respiration und 
Circulation sehr wohlthätig einwirkende Seekliraa bewirke in relativ 


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Nr. 40. 


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kurzer Zeit hochgradige Besserung des Gesundheitszustandes der 
Kinder. 

Der Vortragende erwähnt sodann seine mit dem Cytometer 
von Bizzozero ausgeführten Untersuchungen hinsichtlich des Ein¬ 
flusses des Seeklimas auf die Blutbeschaffenheit anämischer und 
scrophulöser Kinder, die ergeben hätten, daß das Blut derartiger 
Patienten während einer 6wöchentlichen Cur durchschnittlich 13'44% 
an Hämoglobingehalt zugenommen habe. 

Redner betont hierauf die große Bedeutung der Wintercur, die 
in Folge des milden Inselklimas und der keine extremen Schwankungen 
aufweisenden Seeluft bei scrophnlösen und mit chronischen Spitzen 
catarrhen behafteten Patienten gleiche Erfolge, wie die südlichen 
Ueberwinterungsorte aufzuweisen habe, und bittet schließlich die 
Collegen, insbesondere die Vorstände von Krankenhäusern, während 
der Wintermonate dem Norderneyer Hospize zahlreiche Patienten 
zuzusenden. Dr. J. Neuburger (Bremen). 


Notizen. 

Wieu, 4. October 1890. 

(W. L. Griiber f.) In Wien ist am 30. September der be¬ 
rühmte Anatom W. L. Gruber, k. russischer Geheimrath und em. 
Professor der descriptiven Anatomie an der med. Akademie zu 
St. Petersburg, gestorben. 1814 zu Krukanitz in Böhmen geboren 
und im geistlichen Stifte Tepl bei Marienbad erzogen, studirte G. 
Medicin an der Prager Hochschule, als deren Prosector er 1842—1847 
unter Joseph Hyrtl’s, später unter Bochdalek’b Leitung fungirte. 
Da er trotz seiner ausgezeichneten wissenschaftlichen und didactischen 
Leistungen eine Lehrkanzel in Oesterreich nicht zu erlangen vermochte, 
folgte er der auf Empfehlung Pirogoff’s an ihn ergangenen Be¬ 
rufung an die Petersburger Akademie, zunächst als erster Prosector, 
da ihm die Zusage gemacht worden war, nach Ablauf von 3 Jahren 
das Lehramt der descriptiven Anatomie zu erhalten. Allein erst 1855, 
ueun Jahre nach seiner Berufuug, erhielt er nach Uebcrwindung 
unsäglicher Hindernisse und Schwierigkeiten die Leitung des Insti¬ 
tutes für „praktische“ Anatomie und wurde 1858 zum ordentlichen 
Professor dieses Faches ernannt. 1887 trat Gruber, der während 
seiner 45jährigen wissenschaftlichen Thätigkeit eine ungewöhnlich 
große Zahl von Arbeiten aus dem Gebiete der descriptiven, ver¬ 
gleichenden und pathologischen Anatomie veröffentlicht hat, in den 
Ruhestand, die letzten Jahre seines kampf- und arbeitsreichen Lebens 
im Herzen seines Vaterlandes verbringend. Mit ihm ist ein ausge¬ 
zeichneter Gelehrter, ein hingebender Lehrer und Forscher geschieden. 

(6 3. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte.) Aus dem Schlußworte des Geb.-R. Prof. Hofman.v in der 
letzten allgemeinen Sitzung ist zu entnehmen, daß 1913 Personen, 
darunter 5f>7 Damen, an der Bremer Versammlung theilgenommen 
haben. Aus den Sitzungen der Section für Chemie, welcher über¬ 
haupt der Löwenantheil der wissenschaftlichen Leistungen dieser 
Versammlung znfällt, hob der Vorsitzende eine überaus wichtige 
Entdeckung des Prof. Curtius (Kiel) hervor, welcher eine neue, 
sehr eigentbümliche Eigenschaften aufweisende Verbindung zwischen 
Wasserstoff und Stickstoff — neben Ammoniak und einer zweiten 
vor Jahren von demselben Chemiker entdeckten Verbindung dieser 
beiden Körper die dritto Verbindung — aufgefunden hat. 

(Prof. Kahler), welcher bereits nach Wien zurückgekehrt 
ist, hat, von schwerer Krankheit genesen, seine klinische und ärzt¬ 
liche Thätigkeit wieder aufgenommen. 

(Cholera-Nachrichten.) Die Berichte aus Spanien 
lauten abermals ungünstig. In der Woche vom 5.—11. September 
sind 425 Erkrankungen mit 227 (= 53° „) Todesfällen amtlich 
gemeldet werden, was einer weiteren Zunahme der Epidemie gleich¬ 
kommt. Auch in Djoddah scheint die angebliche Besserung den 
Thatsachen nicht zu entsprechen, da, wie der „Sem. med.“ versichert wird, 
ein großer Theil der Todesfälle der behördlicheu Controle entzogen 
wird. Da von 43.000 Pilgern zur See nur 28.000 zurückgekehrt 
sind, kann die Zahl der in Mekka, Djedda sowie auf der Hin- und 
Rückreise Verstorbenen auf 15.000 geschätzt werden, wozu noch 
3000 von der Seuche bingeraffte Landpilger kommen. 


(Suggestive Anästhesie.) Wie das „Brit. med. Journal“ 
berichtet, hat zu Leeds eine ärztliche Versammlung stattgefunden, 
in welcher mehrere Chirurgen und Zahnärzte eine Reihe von Opera¬ 
tionen an Individuen ausführten, die zu diesem Zwecke von 
Dr. Bramwell hypnotisirt worden waren. In allen Fällen war 
durch die Suggestion vollständige Anästhesie erzielt worden. Die. 
Pat. — so eine Frau, welcher drei Zähne extrahirt wurden, ein 
19jähriges Mädchen, welches auf schriftlichen Befehl B.’s in Hypnose 
versetzt, die Eröffnung und Auskratzung eines großen dakryocystischen 
Abscesses durchmachte, ein 8jäbriger Knabe, an welchem eine schmerz¬ 
hafte Operation an der großen Zehe vorgenoramen wurde, ein 
löjähriges Mädchen (beiderseitige Tonsillotomie) etc. — erklärten, 
weder die Operation gefühlt zu haben, noch nach dem Erwachen 
auch nur den geringsten Sehmerz zu verspüren. 

(Wiener medicinischea Doctoren-Collegium.) Die diesjährigen 
wissenschaftlichen Versammlungen dieses Colleginms beginnen Montag, den 
6. October. Die erste Versammlung wird an diesem Tage, 7 Uhr Abends, im 
Hörsaale des Herrn Prof. Stricker (pathologisches Institut des allge¬ 
meinen Krankenhauses) abgehalten. Prof. Dr Stricker: Episkopische De¬ 
monstrationen am Herzen und erläuternder Vortrag. 

(Statistik.) Vom 21. bis incl. 27. September 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 3029 Personen behandelt. Hievon wurden 699 
entlassen; 79 sind gestorben (10*15% des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in nnd 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 35, egyptischer Augenentztindung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 9, Dysenterie 1, Blattern 17, Varicellen 14, Scharlach 34, 
Masern 58, Keuchhusten 34, Wundrothlauf 12. Wochenbettfleber 5. — In 
der 39. Jahreswocbe sind in Wien 300 Personen gestorben (+36 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Hlubotschep bei Prag 
der praktische Arzt Dr. Jacob Grab, seinerzeit Vicepräsident des 
Centralvereius deutscher Aerzte in Böhmen, im 75. Lebensjahre; in 
Frankfurt a. M. San.-R. Dr. Johann Schölles, 59 Jahre alt; in 
Reims der bekannte Ophthalmologe Dr. Delacroix; in Rouen der 
Professor der Medicin, Dr. Dumeuil; in Kopenhagen der Professor 
der Augenheilkunde, Dr. G. C. H. Lehmann, 75 Jahre alt. 

(Erratum.) In Nr. 39. pag. 1559, Zeile 9 und 13 v. o., «oll es Statt 
Rüster richtig Kokst kr beißen. 


In keiner anderen Disciplin der Medicin finden die Purgantien einen 
so ausgedehnten Wirkungskreis, wie bei der Behandlung der verschiedenen 
Frauenkrankheiten, bei Störungen im Nervensystem, pathologischen Zu¬ 
ständen des Uterus, z. B. Hypertrophie, Lageveränderungen etc. und den in 
Folge von Uteruserkrankungen so oft auftretenden Magenkrankheiten Da in 
diesen Fällen die Obstipation jede Heilung verzögert, muß ein hervorragendes 
Augenmerk auf die Behebung derselben gerichtet sein, was erfolgreich mit 
dem allbekannten Hunyadi Janos Bitterwasser geschieht. Dasselbe ist ein 
ebenso -prompt, als angenehm wirkendes Purgans, das von den hervor¬ 
ragendsten Gynäkologen empfohlen wird. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

In dem der Gemeinde Ottakring gehörigen, netterbanten 

Wilhelminen-Spitale, in welchem zur Krankenpflege die Schwestern der Con- 
gregation des heil. Vincenz von Paul bestellt sind, kommen mit dem Eröff¬ 
nungstage folgende ärztliche Stellen zur Besetzung: 1. Die Primararztesstelle 
für die chirurgische Abtheilung mit 1500 fl. Gehalt und einem entsprechenden 
Wagenpauschale. Bewerber müssen emeritirte Zöglinge des klinischen Operations¬ 
institutes sein, wobei gewesene Assistenten einer chirurgischen Klinik den 
Vorzug haben. 2. Die Primararztesstelle für die medicinische Abtheilung mit 
1500. fl. Gehalt uDd einem entsprechenden Wagenpauschale. Bewerber müssen 
Spiialpraxis haben. 3. Zwei Secundararztesstellen. mit je 800 fl. Gehalt, freier 
Wohnung im Spitale, Beleuchtung und Beheizung. Den Vorzug haben Be¬ 
werber, die schon einige Zeit als Secundarärzte oder wenigstens als Aspiranteu 
in einer der großen k. k. Krankenanstalten gedient haben. Sämmtliche Be- 
werder müssen österreichische Staatsbürger und der deutschen Sprache mächtig 
sein: die Kenntniß einer anderen, womöglich slavischen Landessprache ist 
erwünscht. Gehörig doenmentirte Gesuchs sind bis 20. October d. J. an das 
gefertigte Bürgermeisteramt zu richten. 694 

Bürgermeisteramt Ottakring, 
am 17. September 1890 

Der Bürgermeister-Stellvertreter: M. Ottapp. 

Gemeindearzt für Herczegf alva. Gehalt 500 fl, etc. 

Gesuche an das Ober-Stuhlrichteramt in Süsbograd. 



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Nr. 41. 


Sonntag den 12. October 1890. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Grosa-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „WienerKlinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu riohten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


XXXI. Jahrgang. 


Abounemeucspreise: „Mediz. Presse" und „Wiener Klinik * 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. z4 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Rin ¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 




Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aua der Klinik des Prof. v. KobAnyi in Budapest. Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 
von verschiedener Temperatur und Menge auf das gesunde und kranke Herz. Von Dr. Mobiz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. I. Die Wirkung 
des verschieden temperirten, innerlich anfgenommeDen Wassers auf die Zahl der Herzcontractionen und auf den Blutdruck. — Beitrag zur Behandlung 
des weichen Kropfes mittelst parenchymatöser Jodoforminjeotion. Von Dr. Ludwig Frey, em. I. Secundararzt der chirurgischen Abtheilung des 
Prof. v. MosETiG-MooRHor. — Ueber Jndicannrie im Säuglingsalter. Von Dr. Carl Hochsingeb in Wien. — Referate and literarische Anzeigen. 
A. Beckh : Versuche mit Orexinum muriaticum. — E. Reichmann: Zur Kenntniß des Orexins. — C. Schimmelbusch (Berlin): Ueber multiples 
Auftreten primärer Carcinome. — Grundriß der Hygiene. Ffir Studirende und praktische Aerzte, Medicinal- und Verwaltungsbeamte. Von 
Dr. C. Flügge, ProfeB?or der Hygiene und Director des hygienischen Institutes an der Universität Breslau. — Die Verbreitung des Herpes Zoster 
längs der Hautgebiete der Arterien und dessen Stellung zu den acnten Exanthemen. Dritter Bericht über die Sammelforschung des allgemeinen 
ärztlichen Vereines von Thüringen, 117 Zosterfälle betreffend. Von Dr. L. Pfeiffer, Geh. Medicinalrath in Weimar. — Feuilleton. Die neue 
medicinmche Klinik in Tübingen. (Ein Reisebrief.) — Kleine Mittheilungen. Behandlung der Diphtherie. — Ueber den Werth der antipyretischen 
Behandlung der Lungenentzündung. — Ueber Bromäthylnarcose. — Ueber Uricacidämie. — Die Behandlung der Scabies mit Creolin. — Ein 
neues Salbenconstituens. — Verhandlungen Ärztlicher Vereine. X. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 
(Orig.-Ber.) X. — Notizen. Die Sanitätsverhältnisse des k. und k. Heeres im Jahre 1889. — Briefkasten der Redaction. — Literatur. — 
Aerstllche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus der Klinik des Prof. v. Kordnyi in Budapest. 

Die Wirknng innerlich angenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Dr. Moriz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. 

I. 

Die Wirkung des verschieden temperirten, innerlich auf- 
genommenen Wassers anf die Zahl der Herzcontractionen 
und anf den Blntdrnck. 

A. Bei normalem Herzen. 

Sehr wenige Forscher befaßten sich mit der Frage, 
welchen Einfluß das Trinken verschieden temperirten Wassers 
auf die Herzaction, resp. auf die Zahl der Herzcontractionen, 
sowie auf die Spannung der Blutgefäße, oder mit anderen 
Worten, auf den Blutdruck habe. 

Lichtenfel8 und Fröhlich ’) waren die Ersten, die den 
Einfluß des innerlich eingenommenen Wassers mittelmäßiger 
Temperatur auf die Pulsfrequenz eingehender beobachteten. 

Sie fanden in 0 Fällen, daß nach dem Trinken von 0*3 
Liter 18°igen Wassers die Zahl der Pulsschläge schon nach 
30 Secunden durchschnittlich um 22 sich verminderte und schon 
nach 12 Minuten wieder die normale Höhe erreichte. 

In anderen Fällen beobachteten sie, daß nach dem Ein¬ 
nehmen von 0'3 Liter 16*3°igen Wassers die Zahl der Puls¬ 
schläge sich um 16 verminderte und in 15 Minuten die ur¬ 
sprüngliche Zahl um 2 überstieg. 

Winternitz 2 ) berichtet auch über den Einfluß, welchen 
das Trinken von 0*3 Liter 5-, 8- und 32*5°igen Wassers auf 


*) Lichtknfels und Fröulk h : Ueber die Gesetze des Ganges der Puls¬ 
frequenz und Körperwärme in den normalen Zuständen, sowie unter dem Ein¬ 
flüsse bestimmter Ursachen. III. Band der matbem.-natnrwiss. Classe der k. 
Akademie der Wissenschaften. Wien 18852. 

*) Ein Beitrag zur rat.onellen Begründung einiger hydrotherapeutischer 
Procednren. Von Dr. W. Wintkknitz. «Med. Jahrbücher“, 1864. 


die Zahl der Herzcontractionen übt, er beobachtete aber die 
Wirkung erst 4—5 Minuten nach dem Trinken. 

In dieser Abhandlung wird zum ersten Male jenes Ein¬ 
flusses Erwähnung gethan, welchen verschieden temperirtes 
Wasser auf die Spannung der Blutgefäße resp. den Blut¬ 
druck ausübt. Zu seinen diesbezüglichen Experimenten ge¬ 
brauchte Wintersitz 0*3 Liter ö°igen und 32*o°igen Wassers 
und schließt von den gleich nach dem Trinken aufgenommenen 
sphygmographischen Aufzeichnungen auf die Abänderung des 
Blutdruckes, indem er die vor und nach dem Trinken aufge¬ 
nommenen Sphygmogramme mit einander verglich. 

So fand Winternitz nach dem Trinken 6°igen Wassers 
die Ascensionslinie des Sphygmogrammes um Vieles steiler und 
kürzer, die Rückstoßelevation weniger prägnant ausgedrüekt: 
nach dem Trinken 32*5°igen Wassers zeigte sich die Ascen¬ 
sionslinie steil und hoch, der Dicrotismus stärker ausgeprägt. 
Aus diesen Zeichen folgerte er im ersten Falle auf Steige¬ 
rung der Blutspannung, im zweiten Falle aber auf die Ab¬ 
nahme derselben. 

Mit dem Einflüsse des Trinkens verschieden temperirten 
Wassers auf den Blutdruck befaßten sich nach Winternitz 
noch Glax 8 ) und Klemensiewicz. Sie fanden nach der Auf¬ 
nahme eines halben Liters 56 2°igen Wassers sowohl eine Steige¬ 
rung der Pulsfrequenz von 84 Schlägen auf 100 in der Minute, 
als auch eine Zunahme des Blutdruckes; auf letztere schlossen 
sie aus dem volleren Pulse und aus der steilen Ascensions- 
linie der nach dem Trinken aufgenommenen Pulscürve. 

Obzwar alle diese Experimente verläßlich erschelhen, 
entsprechen sie doch nicht vollständig dem Endzwecke. Es 
wurde durch dieselben zwar die Wirkung des Wassers von 
verschiedener Temperatur erprobt, allein die Menge des Wassers 
dabei nicht gehörig in Betracht genommen, indem in einer und 
derselben Reihe von Versuchen bei den einzelnen Experimenten 
sowohl die Temperatur als auch die Menge des Wassers ver¬ 
schieden war, so daß wir die hervorgebrachte Wirkung nicht 
allein der verschiedenen Temperatur, sondern auch der ver¬ 
schiedenen Menge des Wasser zuschreiben müssen und wir 


") Glax: „Feber die Wirbnuif der Trinkcnren.“ Graz 1875. 

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; der TriiiKcnren. uraz 

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1611 


1890. — Wiener Medizinische,'Presse. — Nr. 41. 


1612 


auch nicht wissen können, welcher der beiden Factoren wesent¬ 
licher auf das Herz einwirkte. 

Zweitens finden wir die verschiedenen Temperaturgrade 
des bei den oben angeführten Experimenten gebrauchten ; 
Wassers zu sehr von einander verschieden, und endlich wurden 
die unmittelbar nach dem Trinken eventuell eingetretenen 
Veränderungen nicht in Betracht genommen. 

Wir sind daher, um ganz genau den Einfluß des 
innerlich aufgenommenen Wassers auf die Zahl der Herz- 
contractionen und auf den Blutdruck zu erforschen, folgender¬ 
maßen vorgegangen: 

Die einzelnen Versuche wurden mit ein und derselben 
Menge, d. i. 200 Ccm. 4-, 8-, 12-, 16-, 25-, 35-, 45- und 
OOgrädigen Wassers gemacht. Wir wählten 2 0 Ccm. als ein¬ 
heitliches Maß, da wir eben in einer nachfolgenden Versuchs¬ 
reihe beweisen werden, daß 200 Ccm. Wasser der Menge nach, 
kaum oder gar nicht auf die Herzcontraction einwirken. 

Wir vollführten unsere Versuche an folgenden Personen 
mit vollständig gesunden Herzen: 

I. P. L., 23jähriger Mediciner, mittelgroßer Gestalt, mäßig 
genährt, Körpergewicht 55 Kg. Zahl der Pulsschläge 74 in 
der Minute. Blutdruck an der Radialarterie 110 Mm. Hg. 

II. St. J., 22jähriger Techniker, mittelgroßer Gestalt, 
gut genährt, Körpergewicht 65 Kg. Zahl der Pulsschläge 
72 in der Minute. Blutdruck an der Radialarterie 115 Mm. Hg. 

Vor dem Trinken bestimmten wir während einer ganzen 
Minute die Zahl der Pulsschläge; dasselbe thaten wir in den 
ersten 2 Min. nach dem Trinken während ‘/ 4 Min. und in den 
folgenden 15—20 Minuten wieder während einer ganzen Minute. 

Zur Bestimmung des Blutdruckes gebrauchten wir den 
BASCH’schen Metallosphygmomanometer in folgender Weise: 

Wir brachten den Unterarm der betreffenden Person in 
eine bequeme und sichere Lage und bezeichneten im Verlaufe 
der Radialarterie einen Punkt, wo dieselbe leicht an den 
Radius angedrückt werden konnte. Währenddes 15—20 Minuten 
dauernden Versuches blieb nun der Arm fortwährend iii der¬ 
selben Lage und wurde nur der eine oben erwähnte Punkt zur 
Compression der Arterie benützt. Die einzelnen Bestimmungen 
des Blutdruckes wurden folgendermaßen vollführt: 

Mit der Pelotte des Instrumentes übten wir einen fort¬ 
während sich steigernden Druck auf den betreffenden Punkt der 
Arterie, so lange, bis der hinter der Pelotte tastende Finger 
einer zweiten Person den Puls nicht mehr fühlte; die diesem 
Drucke entsprechende Millimeterzahl zeichneten wir auf. Nachher 
übten wir auf die Arterie mit der Pelotte einen viel größeren 
Druck aus und verminderten denselben so lange, bis der 
tastende Finger den Puls eben zu fühlen begann, worauf wir auch 
diesen Werth aufzeichneten. Nachdem wir dieses Vorgehen 
noch zweimal wiederholten, bestimmten wir aus den erhaltenen 
Zahlen den Mittelwerth, welchen wir als endgiltig auf¬ 
zeichneten. *) 

*) Auf Grand zahlreicher, mit dem BAscu'schen Metallosphygmomano¬ 
meter vollfnhrter Versuche, welche schon vor Erscheinen der BASCH'schen Ab¬ 
handlung (Der Sphygmomanometer und seine Verwerthung in der Praxis. 
„Berl. klin. Wochenschrift , 18"7) unternommen waren, fühlen wir uns ver¬ 
anlaßt, über die praktische Verwerthung des Sphygmomanometers folgende Be¬ 
merkungen zu machen: Der BAscii'sche Sphygmomanometer ist in Folge 
seiner leichten Handhabung, seiner Einfachheit, sowie auch in Folge seiner 
Verläßlichkeit ein schätzbares Instrument in der Hand des Klinikers. Das 
Tastgefühl des Fingers kann so weit eingetibt werden, daß bei 5 nach ein¬ 
ander folgenden selbstständigen Messungen der Unterschied zwischen den ge¬ 
wonnenen Werthen kaum 2—3 Mm. Hz betlägt. Wir können die Daten als 
besonders verläßlich da bezeichnen, wo wir die Blutdruckveränderungen an 
ein und demselben Individuum bestimmen, da hier die unvermeidlichen kleinen 
Fehler (als: tiefliegende Arterie, größerer Fettpolster u. s. w.) während der 
Untersuchung fortwährend dieselben bleiben. Der Sphygmomanometer zeigt 
daher relative Werthe mit vollständiger Pünktlichkeit, wenn wir die Blutdruck¬ 
veränderungen entweder bei physiologischen Processen oder nach Einwirkung 
irgend welcher Medicamente, oder aber in den verschiedenen Stadien eines 
Krankheitsverlaufes bei ein nnd demselben Individuum beobachten wollen. 
Das Instrument zeigt aber auch annähernd pünktliche Werthe und bewahrt 
uns manchmal vor Fehlern; so z. B. zeigt es bei Fällen von Arteriosclerose 
kleine Blutdrnckwerthe, trotzdem wir oft geneigt wären, in Folge der größeren 
Rigidität der Blutgefäße größere Werthe anzunehmen. 


Nachdem wir auf den Blutdruck auch aus der Verän¬ 
derung der Blutgefäßspannung folgern können, machten wir 
vor dem Experimente und während desselben in kurzen Inter¬ 
vallen von der Radialarterie der betreffenden Person mit dem 
THANHOFFEB-MAREY’schen Sphygmographen Aufzeichnungen. 
Der Sphygmograph blieb während des Versuches fortwährend 
an dem in ein und derselben Lage befindlichen Arme. 

Natürlich wurde die Feststellung des Blutdruckes zwar an 
derselben Person und unter denselben Verhältnissen, nicht 
aber in derselben Zeit mit den sphygmographischen Auf 
Zeichnungen vorgenommen. Der Raummangel erlaubt uns 
nicht, alle Versuchstabellen und Sphygmogramme, von denen 
wir beiläufig 500 Aufnahmen machten, einzeln mitzutheilen. 
Um aber den Verlauf der einzelnen Versuche dennoch 
demonstriren zu können, theilen wir hier die nach 
Einnahme 45grädigen Wassers aufgezeichneten Versuchs- 
tabeilen mit: 


S. J., 22jähr. 



S. J., 22j»hr. 


H 

® 

T3 

1 
c n 

| Minuten | ®". 

a 

•V 

fl 

1 

t» 

Blutdruck in Mm. Hg 

9 

31 

_ 

128 

9 

32 

— 

trank er 200Ccm. 45° Wasser 

9 

32 

30 

110 

9 

33 

— 

109 

9 

34 

— 

120 

9 134 

30 

125 

9'35 

— 

140 

9 36 

— 

145 

9 37 

— 

140 

9 138 

— 

148 

9 39 

— 

146 

9,40 

- 

140 

9 

41 

— 

130 J 

9 

43 

— 

135 

9 45 


130 


In einer großen Zahl der Fälle bestätigte die Verände¬ 
rung der sphygmographischen Curve den durch den Sphygmo¬ 
manometer gewonnenen Zahlenwerth, wie dies z. B. folgende 
Curvenreihe zeigt, welche wir bei demselben, d. h. mit 200 Ccm. 
45°ig8n Wassers vorgenommenen Versuche, aufnahmen. 


Vor der Einnahme des Wassers 
. .. aufgenommene Curve 


. . 30 Secnmlen nach der Einnahme 


. . 1 Minute 


.. 6 Minuten 


...10 


n n n 


...15 
Fig. 1. 


tt fi 7t 7i 



Die durchschnittlichen Resultate dieser Experimente 
zeigt nun folgende Tabelle: 


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1613 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 41. 


1614 


£ 

© 

i m 22 

fi 

2" 

S e 

iv a 

® 

60 

Maximum 

Maximum 

Die Wirkungsdauer 
in Minuten 

Anfang der Wiikuog 

der 

Zunahme 

der 

Abnahme 

der 

Zunahme 

der 

Abnahme 

der Pnlsscliläge 

dfiR Blutdruckes 
in Mm. Hg 

auf die 
Zahl der 
Puls¬ 
schläge 

auf den 
Blutdruck 

4 

_ 

14 

21 

20 

13 

18 

j 

8 

— 

11 

18 

— 

105 

15 

S i 

i 12 

— 

7 

15 5 


9 

12 5 

H3 ! 

16 

— 

2 

10-5 


2 

4 

a ! 

I 25 

6 

— 

— 

115 

5 

45 

© 

1 35 

6 

— 

10 

20 

105 

12 


I 45 

11 

— 

20 

15 

13 

14 


60 

22 

— 

235 

— 

14 

10 



Wir können nun unsere Resultate in folgenden Sätzen 
zusammenfassen : 

1. Die Wirkung des Wassers in Folge seiner 
Temperatur tritt sehr kurze Zeit nach dem 
Trinken auf. 

2. Das kalte Wasser vermindert dieZahl der 
Herzcontractionen und erhöht in den meisten 
Fällen den Blutdruck. Das Wasser sehr niedriger 
Temperatur vermindert in manchen Fällenden 
Blutdruck. 

(In einem Falle stieg der Blutdruck nach Einnahme 
4°igen Wassers 30 Secunden nach dem Trinken um 15 Mm. Hg. 
Von da an verminderte sich der Blutdruck, fiel nach vier 
Minuten unter den Anfangswerth und erreichte in 17 Minuten 
das Maximum der Abnahme mit 17 Mm. Hg. Nun fing er 
an zu steigen und erreichte in 20 Minuten den Originalwerth.) 

3. Das warme Wasser erhöht die Zahl der 
Herzcontractionen und steigert den Blutdruck; 
das laue Wasser (20—30°) vermindert durchschnitt¬ 
lich den Blutdruck. . 

4. Je kälter das eingenommene Wasser ist, 
um so tiefer sinkt die Zahl der Herzcontractionen 
und der Blutdruck. 

5. Je wärmer das eingenommene Wasser ist, 
um so mehr beschleunigt sich die Herzaction und 
um so größer wird der Blutdruck. 

(>. Die Wirkung des 16°igen Wassers sowohl 
auf die Herzaction, als auf den Blutdruck ist 
sehr gering und von sehr kurzer Dauer. 

7. Je kälter oder wärmer das Wasser ist, um 
so eher tritt verhältnißmäßig das Maximum der 
Steigerung, resp. des Fallens ein und um so länger 
dauert die Wirkung. 

8. Die Zeitdauer der Wirkung verschieden 
temperirten Wassers ist verschieden, aber die 
Wirkung hört in 15—20 Min. auf. (Fortsetzung folgt.) 


Beitrag zur Behandlung des weichen Kropfes 
mittelst parenchymatöser Jodoforminjection. 

Von Or. Ludwig Frey, em. I. Secundararzt der chirurgischen 
Abtheilung des Prof. v. Mosetig-Moorhof. 

Während meiner dreijährigen Spitalsthätigkeit auf der 
chirurgischen Abtheilung des Prof. v. Mosetig hatte ich reich¬ 
lich Gelegenheit, die glänzenden Resultate der parenchyma¬ 
tösen Jodoforminjection bei weichen Kröpfen sowohl in der 
ambulatorischen, als auch in der Spitalspraxis zu sehen, mich von 
der Einfachheit, der Ungefährlichkeit und der raschen Wirk¬ 
samkeit der Methode, sowohl durch die Beobachtung der 
von v. Mosetig behandelten Fälle, als auch durch zahlreiche 
eigene Versuche zu überzeugen und das reiche Material 
wissenschaftlich zu verwerthen. x ) 


*) Eine eigene ausführliche Arboit über dasselbe Thema, welche ich 
vor 2 Jahren an ein Berliner Fachblatt behufs Publication eingesendet hatte, 
wurde das Opfer eines postalischen Verstosses, indem das Manuskript ab¬ 
handen kam, ohne wieder aufgefnnden zu werden. 


Vor Kurzem ist Herr Prof. v. Mo3etig, der Autor der 
erwähnten Methode, mit einer in diesen Blättern 2 ) er¬ 
schienenen Arbeit hervorgetreten, worin er mit bekannter 
Meisterschaft die Technik, die Indicationsstellung und die 
bedeutenden Vorth eile der Methode auseinandersetzt und die¬ 
selbe damit dem großen ärztlichen Publikum zur Anwendung 
und gleichzeitig zur Ueberprüfung überweist. Ich betone das 
letztere ausdrücklich , weil des Verfahrens keineswegs zum 
ersten Male Erwähnung geschieht. 

In den Jahresberichten der letzten 4 Jahre des Wiedener 
Krankenhauses wurde wiederholt auf die günstigen Erfolge 
der Methode hingewiesen, die Zahl der damit behandelten 
Fälle zusammengestellt und einzelne, besonders prägnante 
Fälle des Näheren besprochen. Der gewiß zu rechtfertigende 
Mangel an Interesse an derartigen Jahresberichten, die nur 
zu oft schablonenhafte, mechanisch zusammengestellte Aus¬ 
weise über die im Hause stattgefundene Krankenbewegung 
sind, verschuldete offenbar, daß das Verfahren nicht schon 
früher Gemeingut ärztlicher Kreise wurde, obzwar es mir 
thatsächlich unbegreiflich ist, daß man nicht auch anderswo 
auf diese Idee gekommen und die resorbirende Kraft des 
Jodoforms auch auf diesem so günstigen Gebiete zur Nutz¬ 
anwendung gebracht hatte. Das Jodoform mit seinen vorzüg¬ 
lichen resorbirenden, antiseptischen und antiphlogistischen 
Qualitäten ist geradezu prädestinirt, überall dort in Wirksam¬ 
keit zu treten, wo das Jod seine Anzeige findet, i. e. bei den 
Residuen chronischer Entzündungen, bei Hypertrophien und 
vielleicht auch bei Hyperplasien von Organen. Bekanntlich 
ist es jene Jodverbindung, die durch den größten Jodgehalt 
sich auszeichnet (94°/ 0 ). Trotzdem fehlen ihr die irritativen 
Eigenschaften des Jod vollkommen, während es andererseits 
Vorzüge besitzt, die den anderen Jod Verbindungen abgehen 
oder nur mangelhaft zukommen. So in erster Linie die 
eminent antiseptische Kraft, die gerade bei intraparenchyma¬ 
tösen Injectionen, wo man doch Substanzen in uncontrolirbare 
Tiefen bringt, keineswegs zu unterschätzen ist. Ferner wäre 
auch die hämostatische, endlich die an'isthesirende Wirkung 
des Mittels zu berücksichtigen, auf die die Thatsache zurück¬ 
zuführen ist, daß die Methode der Jodoforminjection nicht 
nur während des Eingriffes, sondern auch während der ganzen 
Behandlung vollkommen schmerzlos ist. Einzelne Autoren, die 
die Entstehung der Strumen auf bacilläre Ursprünge zurüek- 
zufdhren geneigt sind, werden die Wirksamkeit des Jodoforms 
auf dessen antizymotische Kraft zurückführen. Jedenfalls sind 
die vorzüglichen Erfolge der Gesammtheit der Wirkungen 
den angeführten Eigenschaften zuzuschreiben. 

Bezüglich der Indication der Methode bezeichnet v. 
Mosetig die weiche oder parenchymatöse Form des Kropfes 
als die wahre Domäne derselben. 

Ich habe jedoch bei Struma cystica, ja sogar bei 
fibrosa einen Rückgang des Tumors nach den Injectionen 
beobachtet, insbesondere ist mir ein Fall in Erinnerung, wo sich 
im mittleren Lappen nebst kleinen eine fast ganseigroße, fast 
fluctuirende Cyste darbot, die nach 6 Injectionen vollkommen 
verschwand. In den meisten dieser Fälle jedoch dürfte die 
Methode versagen; die Ungefährlichkeit und die Unbedeutendheit 
des Eingriffes empfehlen die Anwendung desselben auch dort, 
wo der Erfolg schon im Vorhinein als ein problematischer 
erscheint, denn man kann nur nützen, schaden sicherlich nicht. 
Ich habe bei den 65 Fällen, die ich theils selbst behandelt, 
theils in Behandlung gesehen, niemals auch nur den geringsten 
Nachtheil beobachtet. 

Die Kranken , die zumeist ambulatorisch behandelt 
wurden, gingen ihrem Beruf nach und constatirten jedes 
Mal den Eintritt der Besserung, die auch stets objectiv nach¬ 
weisbar war. Besonders prägnant war das Verschwinden der 
subjectiven Beschwerden bei einer 52jährigen Taglöhnerin, 


*) „Wiener Med. Presse“, 1890, Nr. 1. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. Nr. 41. 


1616 


1615 


die bei ihrer ersten Untersuchung deutliche stenotische Er¬ 
scheinungen von Seite der Trachea, durch eine bedeutende 
Hypertrophie des rechten Lappens veranlaßt, darbot und bei 
welcher dieselben schon nach der 2. Injection vollkommen 
verschwunden waren, so daß sie erklärte, sie habe seit ihrer 
Jugend niemals so frei und leicht geathmet. 

Zwei Fälle, die ich in der letzten Zeit in meiner Privat¬ 
praxis behandelt, die sich durch einen ganz besonderen Ver¬ 
lauf auszeichnen, veranlassen mich, das Thema wieder auf¬ 
zunehmen und dieselben gewissermaßen als Supplement zur 
Arbeit Prof. v. Moset g’s zu veröffentlichen. Ich glaube damit 
der guten Sache einen Dienst zu erweisen, denn es wäre für 
die vielen mit Struma behafteten Menschen, deren Zahl be¬ 
kanntlich in steter Zunahme begriffen ist, von großem Nutzen, 
wenn das Verfahren sich rasch unter den praktischen Aerzten 
einbürgern und zu einer allgemeinen Anwendung insbe¬ 
sondere auf dem flachen Lande und in jenen Gebirgsgegenden, 
in denen die Strumen gewissermaßen endemisch Vorkommen, 
gelangen würde. Es würden noch immerhin genug Fälle zur 
operativen Behandlung, deren Technik durch die glänzenden 
Arbeiten der letzten Jahre zu einer unvergleichlichen Vollendung 
gediehen ist, gelangen, aber eine große Anzahl würde den j 
Wechselfällen eines, wenn auch technisch leicht ausführbaren, 1 
aber immerhin , wie jede große Operation, gewisse Gefahren 
während und im Gefolge der Behandlung bergenden Ein¬ 
griffes, der auch eine längere Berufsstörung bedingt, entzogen 
werden. Das Messer des Chirurgen würde in dieser Be¬ 
schränkung seine wahre Meisterschaft und seine schönsten 
Triumphe feiern. Es unterliegt ja gar keinem Zweifel, daß 
die Neubildungen sowohl gutartiger, als auch maligner Art 
in der Zukunftsmedicin der Chirurgie gänzlich entzogen, das 
Feld bilden werden, auf welchem die interne Medicin, aus- 

f erüstet mit den Fortschritten der Chemie, in specie der 
liochemie, die Bahnen einer ungeahnten Entwicklung wandeln 
wird, daß auf dem Gebiete der Tumoren — wie Bili.roth 
sich treffend ausdrückt — die Injectionsspritze das Messer 
verdrängen wird. Zu diesem heißersehnten Ziele der Therapie 
bildet das erwähnte Verfahren der Behandlung der Strumen 
eine Etappe. . . 

Frau Emilie L., Schneidermeistersgattin, führt die Entstehung 
ihrer Struifaa bis in ihre Kinderjahre zurück. Schon als sie in die 
Schule ging, hatte sie, wie sie sich ausdrückt, einen Blähhals, der 
mit den Jahren stetig, wenn auch langsam, zunahm, in ihrem 19. 
Lebensjahre nach der Einreibung einer Jodsalbe nur unscheinbar 
zurückging, bis zum 24. Lebensjahre, in welchem sie eine 
Schwangerschaft durchmachte, stationär blieb, von da aber 
ziemlich rapid zunahm. 

Seit 2 Jahren — die Frau zählt heute 34 Jahre — bemerkte 
sie — bis dahin verspürte sie nicht die geringste Belästigung — 
das Auftreten von Athembeschwerden, insbesondere beim Stiegen¬ 
steigen und bei anstrengenden Arbeiten, zu denen sich seit letzter 
auch ein unangenehmes Druckgefühl von Seite des Halses, häufige, 
in der Nacht besonders auftretende Beklemmungen und Angstgefühle, 
die sie aus ihrem Schlafe erweckten, gesellten und sie endlich 
wieder veranlaßten, ärztlichen Rath einzuholen. 

AnamnestiBch wäre noch zu erwähnen, daß die Mutter nnd 
zwei Schwestern der Frau gleichfalls mit Strumen behaftet sind, daß 
besonders diejenige der Mutter eine respectable Größe besitzt, die 
aber bisher der Trägerin nur sehr wenig Beschwerden verursachte. 

Die Kranke, eine kräftige, gut genährte Frau, bot bei der 
Untersuchung folgenden Befund: Ein lautes stenotisches Athmen 
fiel mir schon beim Eintreten in das Zimmer auf. Im Gesichte eine 
leichte Cyanose wahrnehmbar, die sich besonders an den Schleim¬ 
häuten der Lippen manifestirt. Am Halse sehen wir die Schild¬ 
drüsengegend von einer gleichmäßig weich-elastischen, deutlich in 
2 Seiten und einen mittleren Theil zu differenzirenden, besonders 
im mittleren Theile stark vorgewölbten, von normaler Haut bedeckten 
Geschwulst eingenommen. Die Haut ist nach allen Richtungen gut 
verschiebbar, wobei man die drüsige Structur des Tumors gut durch¬ 


fühlen kann. Bei Schlingbewegungen deutliche Mitbewegung der 
Geschwulst mit dem Kehlkopfe. Die Venae jugularos beiderseits mäohtig 
ausgedehnt, doch nicht undulirend. Der Carotispuls sichtbar, doch 
normal. Der Umfang des Halses wird durch folgende Zahlen 
illustrirt: 

Oberer Halsumfang .... 40 Cm. 

Mittlerer Halsumfang .... 42 1 / 2 Cm. 

Unterer Halsumfang .... 44 Cm. 

Die übrigen Organe bieten keine Veränderungen. Die Herztöne 
vollkommen rein. 

Schon nach der 2. Injection, die ich in den mittleren Lappen 
vornahm, war das stenotische Athmen verschwunden, die subjectiven 
Beschwerden wesentlich gebessert. Am 3. Tage nach der dritten, 
beiläufig 2 Wochen nach der ersten unternommenen, Injection notirte 
ich folgende Zahlen: 

Oberer Halsumfang.39 Cm. 

Mittlerer Halsumfang . . . .42 Cm. 

Unterer Halsumfang .... 43'5 Cm. 

Nach der 7. fand ich folgende Zahlen: 

Oberer Halsumfang.38 '/a Cm. 

Mittlerer Halsumfang . . . .39 Cm. 

Unterer Halsumfang . . . .41 Cm. 

Schon auf den ersten Blick bemerkte man die Verkleinerung 
der Geschwulst, die auch ihre weiche Beschaffenheit verloren und 
derb elastisch wurde. 

Nach der 18. Injection war der Tumor bis auf einen kleinen 
Rest des linken Lappens, der sich neben dem Sternocleido-mastoideus 
in Form eines nußgroßen, ziemlich harten Knollens vorwölbte, für 
das Auge gänzlich verschwunden. 

Die Palpation wies, was die Größe der Schilddrüse anlangt, 
normale Verhältnisse auf, allerdings fühlte sich dieselbe viel härter 
und glatter an, als dies normaliter der Fall ist. Die Frau war außer¬ 
ordentlich zufrieden — sie konnte es auch sein — und ganz stolz 
auf ihren Hals, den sie nun sehr häufig decolletirt trug. Ihr körper¬ 
liches Befinden war während der ganzen Behandlung das denkbar 
beste. Da ich durch die Injection Alles, ja noch mehr als ich 
wollte, erreicht hatte, entließ ich sie aus meiner Behandlung. 
Die Maße beim Schlüsse der Behandlung waren folgende: 

Oberer Halsumfang.38 1 / 9 Cm. 

Mittlerer Halsumfang . . . . 37 1 / a Cm. 

Unterer Halsumfang .... 40 1 / a Cm. 

Einen ähnlichen, wenn auch in seinen Endresultaten 
nicht so vollkommen gelungenen Erfolg constatirte ich bei 
dem nun folgenden zweiten Falle. 

Frau Marie Edle v. R., Inspectorsgattin, consultirte mich 
wegen ihrer schon seit ihrer Jugend bestehenden Struma. Dieselbe 
ist von einer panz bedeutenden Ausdehnung, die successive nach 
17 Entbindungen erreicht wurde. 

Die Kranke konnte nämlich nach jedem Partus eine Zunahme 
ihrer Geschwulst constatiren. 

Die Größe derselben wird durch folgende Zahlen illustrirt: 

Oberer Halsumfang.4T5 Cm. 

Mittlerer Halsumfang .... 43 Cm. 

Unterer Halsumfang.46 Cm. 

Auch hier können wir drei durch sattelförmige Einsenkungen 
geschiedene Abtheilungen, den ursprünglichen Lappen der Thyreoidea 
entsprechend, unterscheiden, von denen die mittlere in der Größe 
eines Ganseies besonders stark prominirt, viel derber und glatter 
als die Seiten theile der Geschwulst ist. Aber auch letztere lassen 
die Weichheit und den kleindrusigen Bau parenohymatöser Formen 
vermissen, ihr Aussehen und ihre Structur entsprechen vielmehr der 
Struma fibrosa. 

Auch bei dieser Frau waren hereditäre Verhältnisse vor¬ 
handen, ihre Mutter starb an einer offenbar durch eine degenerirte 
Struma hervorgerufenen Erstickung (scheidenförmige Verengerung und 
Knickung der Trachea). Trotzdem nun bei unserer Patientin in 
letzterer Zeit ziemlich unangenehme Erscheinungen auftraten — wie 
häufige Dyspnoe, Congestion, starkes Herzklopfen bei der leichtesten 
häuslichen Arbeit, ein lautes, tiefgezogenes, schon von Weitem hör- 


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bares Athemgerftusch, also alle Indicationen zur Vornahme eines 
operativen Eingriffes, nämlich der Strnmectomie, vorhanden waren, 
konnte sie sich trotz allen Zuredens auch von Seite der Familie 
dazu nicht entschließen, so daß ich mir vornahm, trotz der der 
Methode keineswegs günstigen Beschaffenheit des Tumois die Jodo¬ 
formbehandlung einzuleiten. Der Erfolg, den ich erzielte, hatte 
meine Erwartungen weit überflügelt. Allerdings ging die Abnahme 
der Geschwulst nicht in derselben Proportion wie beim vorigen vor 
sich. Aber schon nach der 7. Injection waren die subjectiven Be¬ 
schwerden fast gänzlich geschwunden, so daß die ungeheuer ängst¬ 
liche, an hochgradiger Hysterie leidende Dame, die ich zu jeder 
Injection mit dem Aufwande meiner ganzen mir zur Verfügung 
stehenden Beredtsamkeit erst neu gewinnen mußte, mich, da mir 
wegen ihrer nervösen Zustände meine Geduld zu einer weiteren Be¬ 
handlung zu versagen schien, inständig bat, mit den Injectionen 
fortzufahren. Nach der 17. Injection notirte ich folgende Zahlen : 

Oberer Halsumfang.39 5 Cm. 

Mittlerer Halsumfang .... 42 Cm. 

Unterer Halsumfang .... 44*5 Cm. 

Da die Verminderung in den seitlichen Theilen der Geschwulst 
ungleich rascher und auffallender vor sich ging als im mittleren, 
so wurde die äußere Form der Struma wesentlich verändert, da 
der mittlere Lappen nun noch bedeutend mehr prominirte. Letzterer 
zeigte lange Zeit hindurch keine Abnahme. Erst nach der 24. In¬ 
jection konnte ich auch hier eine deutliche Abflachung constatiren, 
die sich auch durch eine bedeutende Verringerung des mittleren 
Halsumfanges documentirte, wie aus den folgenden Zahlen zu er¬ 
sehen ist: 

Oberer Halsumfang . . . . . 38 Cm. 

Mittlerer Halsumfang . . . . .40 Cm. 

Unterer Halsumfang.43 Cm. 

Eine weitere Verkleinerung konnte überhaupt nicht mehr er¬ 
zielt werden, da wahrscheinlich die drüsigen Gebilde schon voll¬ 
ständig resorbirt waren, auf die bindegewebigen Bestandteile aber 
das Jod selbstverständlich keinen Einfluß ausüben konnte. 

Zum Schlüsse möchte ich noch erwähnen, daß, obgleich 
ich das Verfahren schon seit 3 Jahren übe und viele der Fälle 
in Evidenz erbalte, eine Recidive der Geschwulst niemals 
beobachtet wurde. Die Erfolge der Behandlung sind daher 
keineswegs ephemere, sondern dauernde, ja wahrscheinlich 
durch das ganze Leben persistirende. 


Ueber Indicanurie im Säuglingsalter. 

Von Or. Carl Hochsinger in Wien. 

(Schluß.) 

Wenden wir uns nun zur Betrachtung der Verhältnisse 
der Indicanausscheidung bei verdauungskranken Säug¬ 
lingen, so werden wir schon, vom theoretischen Standpunkte 
aus betrachtet, finden, daß hier die Sache ganz anders liegen 
muß. Die neuere Forschung hat uns gelehrt, daß das wesent¬ 
lichste Moment bei allen acuten Verdauungsstörungen des 
Säuglingsalters in der fermentativen Wirkung sapro- 
gener Bacterien auf die Ingesta des Darmcanales 
gelegen ist. Demgemäß ergibt die Untersuchung diarrhoischer 
Säuglingsstühle einen auffallenden quantitativen Unterschied 
bezüglich des Gehaltes an Mikroorganismenkeimen gegenüber 
dem normalen Milchkothe. Unter den Mikroben, welche in diar- 
rhoischen Säuglingsstühlen Vorkommen, finden sich zahlreiche, 
deren proteolytische und saprogene Wirkung bereits experi¬ 
mentell nachgewiesen ist. Es sind dies die facultativen 
Darmbacterien des Säuglings nach Escherich , welche, 
wenn sie die obligaten Mikrobenarten überwuchert haben, zu 
alkalischen Zersetzungsprocessen des Nahrungseiweißes führen 
und damit das klinische Bild acuter Verdauungsstörungen beim 
Säuglinge in Scene setzen. Zweifellos müssen daher in allen 
jenen Fällen von acuten Verdauungskrankheiten, wo im kind¬ 
lichen Darmtractus alkalische, durch Bacterienwirkung bedingte 
Eiweißfäulniß herrscht, nach dem, was wir früher auseinander¬ 


gesetzt haben, die Körper der Indolgruppe zur Entwicklung 
gelangen. 

Unsere Untersuchungen, welche sich auf 36 während 
des abgelaufenen Sommers beobachtete verdauungskranke 
Säuglinge beziehen, besagen nun Folgendes: Bei allen Fällen 
von acutem Brechdurchfall (Cholera infantum), 12 an 
der Zahl, welche wir auf Indicanurie prüften, war eine 
ganz exorbitante Vermehrung dieser Substanz im 
Harne zu constatiren. In 5 Fällen von heftigen Sommer¬ 
diarrhöen künstlich genährter Kinder fand sich eine gering- 
gradigere, aber immerhin noch sehr deutliche Vermehrung des 
Indicangehaltes. Nun folgen 10 Fälle von Diarrhoea viridis 
bei 8 Brust- und 2 künstlich genährten Kindern. Eines dieser 
beiden letzteren zeigte minimale Indigoreaction, die übrigen 
9 boten negative Reactionen. Neun andere verdauungskranke 
Kinder mit einfachen dyspeptischen Diarrhoen, worunter drei 
Brustkinder und 3 mit Kuhmilch aufgezogene, lieferten 
gleichfalls negative Reactionen. 

Was lehren uns diese Untersuchungsresultate? Daß die 
Menge des im Harne erscheinenden Indicans in geradem Ver¬ 
hältnisse zur Intensität der im Darmcanale des verdauungs¬ 
kranken Säuglings ablaufenden Zersetzungsvorgänge steht. Bei 
den schweren Formen der intestinalen Nahrungsfäulniß, wie 
wir sie bei der Cholera infantum vor uns sehen, fanden 
wir ausnahmslos enorme Indicanmengen, geringere bei 
heftigeren Sommerdiarrhoen. Bei einfachen Diarrhoen zeigten 
sich nur sehr selten äußerst geringfügige Mengen von indigo- 
bildender Substanz im Harne. Zweifellos wird daher im Darme 
des verdauungskranken Kindes Indol nebst anderen Producten 
der Eiweißfäulniß erzeugt. Wir können dies aus den Ergebnissen 
unserer Indicanprüfungen mit vollkommener Sicherheit er¬ 
schließen. Uebrigens hat Bagixsky, wie ich vor Kurzem in 
einer eingehenden Arbeit des genannten Autors über Cholera 
infantum 4 ) mit vielem Interesse gelesen habe. den un¬ 
mittelbaren Beweis dafür erbracht, daß im Darmcanale 
Solcher Kinder Indol in der That abgespalten wird, denn 
er könnte diesen Körper aus den Entleerungen brech¬ 
durchfallkranker Säuglinge thatsächlich iäoliren. Die Unter¬ 
suchungen Bagixsky’s haben weiterhin . die Annahme in 
hohem Grade wahrscheinlich gemacht, daß das Auftreten der 
bekannten Producte der intestinalen Eiweißfäulniß, wie sie 
durch das Indol, Skatol und Phenol repräsentirt werden, 
Stoffe, welche wir unter normalen Verhältnissen im Säuglings¬ 
darme stets vermissen, Hand in Hand geht mit der Produc¬ 
tion gewisser Bacterientoxine und in letzter Linie mit der 
Entwicklung reichlicher Mengen von Ammoniak. Ebenso wie 
diese letztgenannten Stoffe, von der Mucosa des Säuglings¬ 
darmes ausgenommen, in die Blutcirculation gelangen und ein 
schweres Krankheitsbild verursachen, ebenso werden die 
genannten Paarlinge der Aetherschwefelsäuren resorbirt und 
erscheinen dann im Harne als die entsprechenden Kaliverbin¬ 
dungen, wie wir eine solche im Harnindican repräsentirt sehen. 

Warum wir nur in den aller sch wersten Fällen acuter 
Darmaffectionen der Säuglinge bedeutende Indicanreaction 
finden, das ist sehr leicht zu erklären. Wenn wir auch an¬ 
nehmen dürfen, daß die meisten acuten Darmeatarrhe der 
Säuglinge auf abnorme Zersetzungen in den Eiweißkörpern 
der Darmcontenta zurückzufiihren sind, so müssen doch diese 
Vorgänge erstens nicht immer so hochgradig sein, daß bedeu¬ 
tende Mengen von Albuminaten dabei der alkalischen Fäulniß 
anheimfallen, und selbst wenn ein Theil derselben wirklich in 
der gedachten Weise zersetzt wird, gibt doch zweitens die 
ungemein gesteigerte Darmperistaltik, die gleichfalls besteht, 
ein Hindemiß ab für eine ausreichende Resorption der gebil¬ 
deten Fäulnißproducte. Es geht daraus nur das Eine hervor, 
daß diarrhoische Erkrankungen der Säuglinge sich nur dann 
mit Indicanurie beträchtlicheren Grades combiniren können, 
wenn die Menge der gebildeten intestinalen Fäulnißproducte 
eiue ganz exorbitante geworden ist. Die Quantität des abge- 

4 ) Arch. f. Kinderheilk. XII. Bd. 1890. 


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1890. 


spaltenen Indols muß eben bereits eine derartige Höhe erreicht 
haben, daß selbst nicht einmal der rasche Durchgang der 
Ingesta durch den I »armcanal, welcher die diarrhoisch-enteri- 
tischen Processe begleitet, di-' Aufsaugung desselben wett¬ 
machen kann. Dies ist eben nur bei den eigentlich acuten 
Brechdurchfällen und schweren Sommerdiarrhöen der Fall, 
wo der weitaus überwiegende Theil des Nahrungseiweißes 
thatsiichlich der fauligen Gährung verfällt, wie wir dies auch 
aus dem fauligen Gestanke der Entleerungen solcher Kinder 
deutlich entnehmen können. Das Auftreten einer stär¬ 
keren Indicanreaction im Harne acut verdauungs¬ 
kranker Säuglinge ist demnach immer ein bedeu¬ 
tungsvolles Symptom. welches den Bestand von 
hochgradiger alkalischer Eiweißzersetzung im 
Darmcanale desselben anzeigt. Wenn wir noch hin- 
znfügen, daß wir in allen Fällen von acuter Dyspepsie, welche 
eine pathologische Menge von Harnindican aufwiesen, pene¬ 
trant stinkende und zersetzte Stühle gefunden haben und daß 
die Indicanreaction in zwei wiederholt untersuchten Fällen 
von acutem Brechdurchfall gleichzeitig mit der Sistirung 
dieser für die alkalische Eiweißfäulniß charakteristischen 
Beschaffenheit der Entleerungen vollkommen verschwand, so 
haben wir nur eine weitere Bekräftigung zu Gunsten des 
voraufgestellten Satzes erbracht. 

Was das Verhalten der Indieanausscheidung bei ander¬ 
weitigen Krankheitsprocessen des Säuglingsalters anbelangt, 
konnte ich eine constante positive Beziehung derselben nur 
der Tuberculose gegenüber ausfindig machen. Diese ist 
aber in unserer Beobachtungsreihe so constant. so auffallend 
und so charakteristisch gewesen, daß ich hierin ein recht 
wichtiges diagnostisches Merkmal zu erblicken glaube. Wir 
fanden nämlich gerade bei tuberculösen Säuglingen die 
enormsten Indicanreactionen, die überhaupt zur Beobachtung 
gelangen können, Reactionen. wie sie beim Erwachsenen nur 
bei Ileus und Carcinom vorzukommen pflegen. Dieses Ergeb- 
niß fanden wir schon bei Kindern im zartesten Alter und 
sahen weiter das Auftreten der Reaction nicht an eine 
bestimmte Form oder Localisation der Tuberculose gebunden. 
Die Reaction trat ein, gleichgiltig ob klinische Symptome 
von anatomischer Mitaffection des Darmes bestanden oder 
nicht. Die untersuchten Fälle waren Säuglinge mit Lungen-, 
Peritoneal- und Meningealtuberculose. Doch erstreckt sich 
dieses eigenthümliche Verhalten des kindlichen Organismus 
unserem Materiale zufolge nicht blos auf die Säuglingsperiode, 
sondern auf das ganze Kindesalter, worüber noch weitere 
Untersuchungen aulklären werden. Wir sahen unter Anderem 
ein ömonatl., ein ömonatl., zwei ßmonatl. und ein 8monat- 
liches tuberculöses Kind mit derartig hochgradig entwickelten 
Indicanreactionen, daß es erst nach wiederholtem Ausschütteln 
des Harnes mit Chloroform möglich war, das ganze oxydirte 
Indigoblau aus der Harnprobe zu isoliren. Besonders intensive 
Reactionen lieferten auch drei Kinder mit tuberculöser Basilar- 
meningitis im Alter von 8, 17 und 27 Monaten. Die Zahl 
der von uns untersuchten tuberculösen Säuglinge belief sich 
auf 16 Fälle. Eben so viele Kinder höherer Altersperioden 
boten constant ganz analoge Reactionsverliältnisse. 

Die Intensität der Farbstoffreaction schien von der 
Schwere des durch die Tuberculose verursachten Allgemein¬ 
leidens abzuhängen, wenigstens lieferten die elendesten und 
abgezehrtesten Kinder durchschnittlich die intensivsten Reac¬ 
tionen . gleichgiltig ob von klinischer Seite der Mitbestand 
von Darmaffectionen festgestellt werden konnte oder nicht. 
Am unzweideutigsten ging dies aus der Beobachtung der 
mit Meningitis tuberculosa behafteten Kinder hervor. Selbst¬ 
verständlich war auch die chronische Bauch felltu berculose 
immer mit beträchtlicher Indieanausscheidung vergesellschaftet, 
während wir auffallender Weise in mehreren Fällen von 
chronischer nicht tuberculöser Kinderperitonitis nega- 
tive oder nur schwach positive Indicanreactionen er¬ 
hielten. Acute Peritonitiden gelangten nicht zur Untersuchung. 


Zahlreiche Fälle von Pneumonie, Bronchitis, Pertussis. 
Folliculitis abscedens und Rachitis, welche uns unterkamen, 
wurden ebenfalls der Indicanprülung unterzogen, doch stets 
mit negativem Erfolge. Auch drei überaus blasse, leukämisch 
aussehende Kinder mit pseudoleukämischer Anämie 
und massiven Milztumoren im Alter von 4, 11 und 14 Monaten 
wurden einer Prüfung auf Indican unterzogen. Nur der Ham 
des letzteren lieferte ein positives Ergebniß, die Harne der beiden 
erstgenannten Kinder ergaben negativen Ausfall der Reactionen. 
In Bezug auf die Pädatrophie haben wir gefunden, daß 
nur die auf Tuberculose beruhenden und jene Formen, welche 
von enteritischen Piocessen recenter Natur begleitet waren, 
constant positive Indicanreactionen zeigten. Von diesem Gesichts¬ 
punkte aus dürfte eine von Pakkot und Robin 6 ) seiner Zeit 
gemachte Angabe zu betrachten sein, der zufolge der Harn 
bei Athrepsie der Säuglinge oft Indican enthalten soll. Ein 
Zusammenhang zwischen Rachitis und Indicanurie ließ sich 
nicht feststellen. Rachitische Kinder boten nur dann positiven 
Ausfall der Reaction. wenn eine auch sonst zur Indicanaus- 
scheidung führende anderweitige Affection der vorbezeichneten 
Natur mitbestand. 

Nicht unerwähnt möchte ich es lassen, daß unseren 
Untersuchungen zufolge der Indicangehalt des Kinderharnes 
mit der natürlichen Farbe desselben absolut nicht zusammen¬ 
hängt. 

Wenn auch im Allgemeinen zugegeben werden muß. daß 
indicanreiche Kinderharne viel häufiger dunkel sind als licht, 
was mit der Natur des im Einzelfalle bestehenden Krankheits- 
processes im Zusammenhang steht (Fieber und Durchfall), so 
habe ich doch in mehreren Fällen aus nahezu farblosen Harnen 
tuberculöser Säuglinge intensive Reactionen erhalten und war 
dann stets von der enormen Indigoblaureaction überrascht, 
welche aus der wasserfarbenen Harnflüssigkeit zu gewinnen war. 

Die Quelle für die Indieanausscheidung bei den letzt- 
bezeichneten Krankheitsprocessen suchen wir ebenso wie bei 
den Darmerkrankungen sui generis im kindlichen Darme 
und nicht in den Geweben des kindlichen Orga¬ 
nismus. Wenn wir von jenen selteneren Fällen absehen, 
wo hochgradige Fäulnißprocesse in irgend einem präformirten 
oder pathologisch entstandenen Hohlraume einen Zerfall des 
Körperei weißes zu den Körpern der Indolgruppe und in 
letzter Linie das Auftreten von abnorm großen Indican- 
mengen im Harne verursachen — Fälle dieser Art sind uns 
nicht zur Beobachtung gekommen —, müssen wir immer und 
immer wieder Störungen der Darmthätigkeit für die 
erhöhte Bildung von In doxyl Schwefel säure verantwortlich 
machen. Nur müssen wir mit dem Begriffe einer Störung der 
Darmthätigkeit nicht immer das Vorhandensein einer reellen, 
anatomisch nachweisbaren Läsion verbinden. 

0. Rüsknbach hat uns in seinen schönen Untersuchungen 
über die pathologisch-diagnostische Bedeutung gewisser Farb- 
stoffreactionen des Harnes kranker Individuen gewissermaßen 
eine Richtschnur gezogen für die Beurtheilung der Bedeutung, 
welche dem Auftreten erhöhter Mengen von Chromogenen der 
Indigoreihe im menschlichen Harne zukommt. Eine derartige 
Erscheinung beweist nichts Anderes, als daß im betreffenden 
Falle eine Functio laesa des Darmdiüsenapparates vorliegt 
oder, wie sich R »srnbach °) ungemein zutreffend ausdrückt, 
„daß ein I’efect in der Thätigkeit eines oder mehrerer Organe, 
die mit der Verarbeitung der Albuminate zu ihren End- 
producten, Harnstoff* etc., betraut sind, besteht, und daß des¬ 
halb Verbindungen, die von dem normalen Endproducte mehr 
weniger weit entfernt sind, den Körper verlassen“. Die pri¬ 
märe Ursache dieser Functio laesa kann nun entweder im 
Darme des Kindes, resp. des Säuglings selbst oder außerhalb 
desselben gelegen sein. Im ersteren Falle können entweder 
abnorme Gährungsvorgänge im Darminhalte, oder anatomische 

J ) Gaz. raed. 1876, Nr dt>. 

°) Ueber fnnctionelle Diagnostik nnd die Diagnose der Insufficienz des 
Verdauungsapparates. Klin. Zeit- n. Streitfragen, IV., 1890, 5. Heft. 


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Läsionen der Darmwand, oder beides gleichzeitig im Spiele sein. 
In letzterem Falle kann es sich nur um schwere krankhafte 
Schädigungen allgemeiner Art handeln, welche den ganzen Orga¬ 
nismus in seiner Leistungssufficienz herabsetzen und in letzter 
Linie auch eine Leistungsinsufficienz derjenigen Organbestand- 
theile des Darmes nach sich ziehen, welche der Resorption 
der Albuminate vorstehen. Hier weiche ich nun ein wenig 
von der Darstellung Rosknbach’s ab Diese Schwächung der 
Yerdauungs-, insbesondere aber der Resorptionsthätigkeit des 
Darmes bringt es aber mit sich, daß die Resorption der 
Eiweißkörper des kindlichen Darminhaltes, welche normaler 
Weise ungemein rasch und daher ohne erhebliche Fäulniß- 
vorgänge vor sich geht, beträchtlich verlangsamt wird. Sowie 
aber eine derartige zeitliche Störung der vitalen Resorptions¬ 
vorgänge im Darme des Säuglings auftritt. wird den in Ge¬ 
nüge vorhandenen intestinalen Fäulnißerregern ein ausge¬ 
dehntes Feld für ihre proteolytische Thätigkeit eröffnet und 
die Folge davon wird eine Vermehrung aller jener Stoffe sein, 
welche aus der Bacterienfäulniß der Proteinstoffe des Darm¬ 
inhaltes hervorgehen. Diese erscheinen dann im Harne als 
Paarlinge der Aetherschwefelsäuren, speciell als indoxyl- 
schwefelsaures Kali oder Indican. 

An dieser Erklärung muß unserer Ansicht nach insolange 
festgehalten werden, als nicht die Möglichkeit der Indolbildung 
im Gewebe selbst mit Sicherheit nachgewiesen ist. Bis nun 
ist dies nicht geschehen. Die Existenz eines derartigen Vor¬ 
ganges hat aber auch wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Denn 
die chemischen Processe, durch welche das Indol ohne Zuhilfe¬ 
nahme von Fäulnißeinwirkungen künstlich aus Eiweißkörpern 
abgespalten wird, sind durchwegs so eingreifende Vorgänge 
(Erhitzen mit Aetzkali, mehrstündige» Erhitzen mit Wasser 
auf 180°), daß sie im Stoffwechsel des lebenden und gesunden 
Organismus kein Analogon finden. 

Die Ursache, warum gerade im Kindesalter und speciell 
schon.in der frühesten Periode desselben, im Säuglingsalter, 
wo wir doch sonst keine Indoxylausscheidung constatiren 
können, die Tuberculose eine so beträchtliche Veränderung in 
den Gesetzen der Chromogenausscheidung hervorruft, ist leicht 
zu übersehen. Sie ist wohl mit großer Sicherheit darin zu 
erblicken, daß der wenig widerstandsfähige kindliche Orga¬ 
nismus unter der Einwirkung des tuberculösen Virus in seiner 
Leistungsfähigkeit in toto ungleich intensiver gehemmt und 
herabgesetzt wird, als der erwachsene Mensch, und daß speciell 
die secretorischen und resorptiven Functionen der intestinalen 
Drüsenapparate, deren hohe Empfindlichkeit ohnehin ein Factor 
ist, mit dem man immer rechnen muß, unter dem Einflüsse 
der Tuberculose schwer darniederliegen. Die klinische Beob¬ 
achtung der Säuglings- und Kindertuberculose spricht nur 
allzuklar zu Gunsten dieses Satzes. So kommt es denn im 
Dünndarm des tuberculösen Säuglings nicht zu einer voll¬ 
ständigen Ausnützung des eingeführten Nahrungseiweißes, 
vielmehr verfällt ein Theil der Albuminate tieferen Zer¬ 
setzungsvorgängen als der einfachen Peptonisation, als deren 
Producte sich die Körper der Indolgruppe in größeren Mengen 
etabliren. Demgemäß zeigen die Fäces solcher Säuglinge nicht 
mehr die bekannten charakteristischen physikalischen Eigen¬ 
schaften gesunder. Sie sind consistenter, häufig grau oder 
lehmfarben oder diarrhoisch, enthalten große Mengen unver¬ 
dauter und zum Theile durch Fäulniß veränderter Albuminate 
und zeigen fast immer eixien intensiven Fäulnißgeruch. 

Dieselben Betrachtungen finden Anwendung zur Er¬ 
klärung des Auftretens pathologischer Indicanmengen bei 
anderen schweren Consumptionskrankheiten des Kindesalters, 
wiewohl dieselben in der Intensität ihrer Einwirkung auf die 
Hamchrornogene bei weitem hinter der zurückstehen, welche 
der Tuberculose des Kindesalters zukommt. In dieser Be¬ 
ziehung hat die Tuberculose des ersten Kindesalters 
am meisten Aehnlichkeit mit der Carcinose des 
Erwachsenen. 

Ich schließe meine Erörterungen mit dem Bemerken, 
daß das Auftreten einer nur halbwegs stärkeren Indican- 


reaction im frühen Kindesalter stets das Vorhandensein ab¬ 
normer Zersetzungsvorgänge im Darmcanale anzeigt, mögen 
dieselben nun primär durch Nahrungsfäulniß im Darmcanale, 
oder durch organische oder functioneile Iusufficienz des Ver¬ 
dauungsapparates hervorgerufen sein. 

Obwohl die Verhältnisse der Darmperistaltik bei den 
primär enteritischen Vorgängen der Kinder gerade ent¬ 
gegengesetzt liegen zu den Verhältnissen. wie wir sie bei 
schweren, durch Kachexien hei vorgerufenen Nutritionsstörungen 
der Kinder finden, ist das Resultat beider dieser Gruppen 
von Krankheitsvorgängen in Bezug auf die Indieanausscheidung 
dasselbe. Doch liegt hierin durchaus kein Paradoxon. Im 
ersteren Falle ist zwar die Peristaltik eine ungemein rege, 
das Verweilen der Darmcontenta im Intestinalcanale ein 
äußerst kurzes, dafür ist aber die Fäulnißgährung sehr intensiv 
und das, was von den Albuminaten resorbirt wird, gewiß 
durch Fäulnißeinwirkung alterirt. 

Im letzteren Falle sind die Fäulnißvorgänge lange nicht 
so intensiv, doch liegen die Verdauungsfunctionen derart dar¬ 
nieder, daß die Resorption, Assimilation und Ausnützung des 
Nahrungsbreies verlangsamt werden, so daß mit den aufge¬ 
saugten Stoffen des Darminhaltes stets auch die Spaltungs- 
producte der Eiweißfäulniß in die Circulation gelangen, welche 
sich inzwischen gebildet haben. 

Ich resumire die Ergebnisse unserer Untersuchungen in 
folgenden Sätzen : 

1. Der Harn des Neugeborenen ist indicanfrei. 

2. Während der ganzen Säuglingsperiode lassen sich bei 
normal verdauenden Kindern, gleichgiltig ob natürlich oder 
künstlich ernährt, durch die bekannten qualitativen Methoden 
höchstens nur Spuren von Indican im Harne nachweisen. In 
der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle und insbesondere 
bei Brustkindern bleibt die Indicanreaction vollkommen 
negativ. 

3. Unter den Verdauungskrankheiten des Säuglingsalters 
liefern nur die echten Brechdurchfälle, insbesondere aber die 
Cholera infantum eine pathologische Vermehrung von indigo¬ 
bildender Substanz im Harn. Einfache Dyspepsien und 
Diarrhoen verlaufen ohne Indicanurie, desgleichen die habi¬ 
tuellen Obstipationen der Säuglinge und jüngeren Kinder. 

4. Bei Ausschluß primärer intestinaler oder anderweitiger 
Fäulnißvorgänge im kindlichen Körper weisen pathologische 
Mengen von Harnindican auf schwere Störungen der Darm¬ 
function durch schwere Allgemeinleiden hin, insbesondere aber 
auf den Bestand einer tuberculösen Erkrankung, was in 
diagnostischer Beziehung besonders zu beherzigen ist. 

5. Aeltere normale Kinder verhalten sich in Bezug auf 
die Indieanausscheidung ähnlich wie erwachsene Menschen. 
Der Indicangehalt des Harnes richtet sich vorwiegend nach 
der Art der Ernährung, ist jedoch gewöhnlich nur ein ganz 
geringfügiger. 

Referate und literarische Anzeigen. 

A. Beckh : Versuohe mit Orexinum muriaticum. 

E. Reichmann: Zur Kenntnis« des Orexins. 

Beckh hat auf der mediciuischen Abtheilung des städtischen 
Krankenhauses zu Nürnberg eine Reihe von Versuchen mit dem 
Orexinum mur. angestellt, über deren Resultate er in Nr. 33 der 
Münchn. med. Wochenschr. berichtet. 

Das Mittel wurde in 22 Fällen von durch verschiedene 
Ursachen hervorgerufener Appetitlosigkeit verabreicht. 

Ein guter, ja zum Theil überraschender Erfolg war zu con¬ 
statiren in 17 Fällen; zweifelhaft wSf das Resultat iu eiuem Falle, 
bei dem es nicht recht zu unterscheiden war, ob und inwieweit die 
Patientin ihre Appetitlosigkeit simrtflirte; iu 4 Fällen versagte das 
Mittel vollständig. Die Krankbdftsformen, bei denen das Mittel 
gegeben wurde, waren Fälle fon Anämie, Chlorose, Tuberculose, 
sowie Fälle von durch verschiedene acute und chronische Krank¬ 
heiten hervorgerufener Anorexie. Selbst in 2 Fällen von chronischen 


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Magenerkrankungen wurde der Versuch mit dem stark brennenden, 
wenn auch nicht ätzenden Mittel gemacht, und zwar mit sehr gutem 
Erfolge. Das Orexin wurde anfangs in gelatinirten Pillen und dann 
in Oblatenkapseln gegeben; es wurde mit 0'25 —0*30 pro dosi und 
pro die begonnen, Tags darauf, und je nach Bedarf am dritten Tage, 
wurden 0'5 Grm. gegeben; eine höhere Dose wurde nicht verabreicht. 
Stets wurde eine große Tasse Fleischbrühe oder Milch dazugenommen. 
In einigen wenigen Fallen wurden unangenehme Nebenwirkungen, 
wie Brennen im Magen, sowie auch Erbrechen beobachtet. 

Auf Grund der mitgetheilten Versuche dürfte das Orexin als 
beachtenswerthes Stomachicum zu weiteren Versuchen zu empfehlen 
sein, und zwar zunächst bei Anämien und bei Tuberculose; mit 
Vorsicht kann sogar seine Anwendung auch bei chronischen Magen 
erkrankungen in Betracht gezogen werden, da es gerade bei diesen 
Erkrankungen sich sehr günstig erwies. Wegen seines starken 
Reizes auf die Sehleimhaut ist natürlich seine Anwendung bei allen 
mit anatomischen Veränderungen einhergehenden Krankheiten vor¬ 
läufig contraindicirt. 

Man verschreibt: 

Rp. Orexini mur.0 25 

Dent. tal. dos ad caps. amylac. Nr. X. 

S. 1—2 Kapseln zu nehmen. 

Reichmann versuchte das Orexin an der Klinik Rueöle’s in 
Gießen an 36 Patienten. 

Die in Nr. 31 der „Deutsch, med. Wochenschr.“ veröffentlichten 
Resultate sind zwar nicht so günstig, wie die von Penzoldt, 
aber auch nicht ganz ungünstig. Gate Wirkung, also deutliche 
Steigerung des Appetits, zeigte sich bei 5 Pat., und zwar bei einem 
mit alter Pleuritis, einem mit Emphysem, Hyperacidität, 3 mit 
multipler Sclerose. 

Eine zwar weniger gute, aber immerhin noch als befriedigend 
zu bezeichnende Wirkung sah R. bei 11 Pat., und zwar bei 5 Phthisikern, 
2 mit Chlorose, resp. Anämie, 3 mit Dyspepsie und einem mit 
Magencarcinom behafteten Kranken. Bei allen diesen war eine 
deutliche, wenn auch nicht hochgradige Besserung der Appetenz zu 
constatiren, die bei manchen nach der ersten, resp. den ersten Dosen 
eiutrat, bei anderen sich erst nach 2—3 Tagen zeigte. 

Die übrigen 20 Pat. ließen entweder keine Appetitvermehrung 
oder eine nur geringe, bald wieder nachlassende erkennen. 

Ueble Nebenwirkungen waren nur sehr gering und bestanden 
in leichtem Brennen im Oesophagus oder im Magen. 

Von Interesse sind die Untersuchungen des Mageninhaltes nach 
Einnahme von Orexin, die R. in 6 Fällen angestellt hat. 

Es zeigte sich nämlich immer eine Vermehrung der Salzsäure. 
Specielle Untersuchung der motorischen Kraft des Magens nach 
Orexin wurde nicht gemacht, doch erschien eine Steigerung der¬ 
selben bei den anderweitigen Versuchen wahrscheinlich. S. 

C. Schimmelbusch (Berlin): Ueber multiples Auftreten 
primärer Oarcinome. 

Das Vorkommen multipler primärer Carcinome wurde zuerst 
eingehender von Volkmann gelegentlich seiner Beobachtungen über 
den Theer- und Paraffinkrebs besprochen. Diese beiden Krebsformen, 
deren Identität mit dem Schornsteinfegerkrebs der Engländer sicher¬ 
gestellt ist, haben die Eigenthümlichkeit des multiplen primären 
Auftretens mit einander gemein. In einer in „Langenbeck’s Archiv“, 
XXXIX. 4, in Druck erschienenen Arbeit führt Sch. außerdem noch zwei 
chronische Erkrankungen der Haut an, aus denen primäre multiple 
Carcinome sich nicht selten entwickeln. Die erste dieser Erkrankungen 
ist die senile Seborrhoe, die bei älteren Individuen niederer Stände 
häufig ist und mit Flecken beginnt, die den Sommersprossen ähnlich 
sind, dann unter Bildung von Schuppen schließlich zu hypertrophi¬ 
schen Bildungen der Haut und warzigen Excrescenzen führt. Aus 
solchen Excrescenzen entwickeln sich nicht selten einfache und 
multiple Carcinome, wie dies Verf. auch an einem Falle eigener 
Beobachtung nachweist. Die 3. Erkrankung ist das von Kaposi 
zuerst beschriebene Xeroderma pigmentosum, das schon bei Kindern 
in der ersten Lebenszeit auftritt und wahrscheinlich auf eine Ein¬ 
wirkung der Sonnenstrahlen zurückzuführen ist. Zu den anfangs 
rothon, später gelbbraunen Flecken treten Gefäßerweiterungen hinzu, 


1624 


und aus den warzigen Gebilden der Haut entstehen manchmal an 
mehreren Stellen typische Epithelialcarciuome. Verf. beobachtete 
außerdem an der ßEBGMANN’schen Klinik 2 Fälle mehrfacher 
Hautcarcinome bei sonst ganz gesunder Haut, und zwar einen 
Doppelkrebs im Nacken und unterhalb des Augenlides, und einen 
am Ohr und der Unterlippe. 

Verf. findet, daß dem Vorkommen mehrerer Krebse in verschie¬ 
denen Organen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und citirt 
diesbezüglich einen Fall von doppelseitigem Brustkrebs (Küsteb), 
einen von Haüsmann beobachteten Fall von beiderseitigem Neben¬ 
nierenkrebs und einen Fall v. Winiwarter’s, bei dem sich neben 
beiderseitigem Brustkrebs noch ein Carcinom des Jejunum fand. 
Gegen die Auffassung, daß es sich in diesen Fällen um Metastasen 
handle, spricht das Fehlen von Lymphdrüsensohwellungen, da eine 
Verbreitung des Neoplasmas mit Umgehung der regionären Lymph- 
drüsen nicht denkbar ist. 

Wohl aber wäre bei den von der Haut ausgehenden Carcinomen 
die Möglichkeit einer Dissemination zu erwägen, analog dem Cancer 
en cuirasse der Mamma. Noch mehr Wahrscheinlichkeit hat die An¬ 
nahme des Abhängigkeitsverhältnisses der Tumoren in der Art, daß 
der eine durch Ueberimpfung von dem anderen entstanden sei. In 
dem Falle Kaüfmann’s (Krebs an der Hand und am Augenlid) gab 
die Patientin an, sie habe durch häufiges Reiben der schlimmen 
Hand an dem oft juckenden Auge die Krankheit von der Hand 
auf das Auge übertragen, v. Bergmann beobachtete einen Mann 
mit Carcinom an correspondirenden Stellen der Unter- und Oberlippe, 
von denen sich letzteres 6—7 Wochen später entwickelt hatte, was 
bei der Seltenheit primärer Carcinome an der Oberlippe sehr zu 
Gunsten der Ueberimpfung spricht. Ein ähnliches Bild sieht man 
oft an Carcinomen der großen serösen Höhlen, des Magens und 
Darmes. 

Einige anderweitige Fälle multipler Krebsbildung sprechen 
wieder für die Verbreitung des Carcinoms durch Implantation von 
außen her, z. B. Epitheliom des Zungenrückens und Epitheliom an 
der großen Magencurvatur oder ein Cylinderzellenkrebfii im Rectum 
und an der Analöffnung (Kraske). Der secündäre, resp. implan- 
tirte Krebs unterscheidet sich von dem autochthonen dadurch, daß 
letzterer die Structur des Organes zeigt, aus dem er bervorgeht, 
während die Metastase wieder dem primären Carcinom gleicht, „wie 
das Kind den Eltern“. 

Bei der eingehenden Untersuchung des excidirten Carcinom- 
knoten in den von Verf. beobachteten Fällen fanden sich continuirliche 
Uebergänge des gesunden Epithels in das Krebsgewebe, so daß die¬ 
selben von echten primären Krebsbildungen nicht zu unterscheiden 
waren. 

Das Vorkommen zweier oder mehrerer autochthoner Krebse bei 
einem Individuum erscheint aber noch durch anderweitige Beob¬ 
achtungen sichergestellt. Es gibt nämlich Fälle, in denen, nach 
Exstirpation eines Carcinoms an einer Stelle, ein Carcinom nach 
vielen Jahren sich auf einer anderen Stelle entwickelt. (Carcinom 
der Unterlippe — Exstirpation — Heilung. — Nach 17 Jahren 
Carcinom der Ohrmuschel, Beobachtung des Verf.) Bei diesem großen 
Intervall erscheint eine Implantation sehr unwahrscheinlich. 

Auf der anderen Seite liegen Fälle vor, in denen 2 Carcinome 
von verschiedener Structur bei einem Individuum sich entwickeln, 
wobei die Erzeugung des einen Tumors durch Implantation vom 
anderen völlig auszuschließen ist. So sah Verf. auf der BERGMANN’schen 
Klinik bei einem Pat. 2 Hornkrebse der Wangenhaut neben einem 
Drüsenkrebs am Auge. 

Bei der Sichtung der ihm bekannten Fälle kommt nun Verf. 
zu dem Schlüsse, daß man bei einer Reihe von multiplen Carcinom- 
formen die Implantation von der autochthonen Krebsbildung unter¬ 
scheiden könne. In einer 2. Reihe gestatten die mitgetheilten Tbat- 
sachen keine weitere Unterscheidung. Bei einer 3. Kategorie, und 
zu dieser zählt Verf. seine Beobachtungen, liegt keine Implantation, 
sondern antochthone Bildung mehrerer Carcinome vor; zu dieser 
gehören die Doppelkrebse von verschiedener Structur, die Fälle, in 
denen der 2. Krebs viele Jahre nach dem ersten auf trat, und jene 
Fälle, bei denen der continuirliche Uebergang des Nachbargewebes 
in das Krebsgewebe als Nachweis für die autochthone Entstehung 


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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 41. 


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angesehen werden kann. Trotzdem kann bei multiplen primären 
Carcinomen ein gegenseitiger Zusammenhang vorliegen, ohne daß 
jedoch die erwähnten Beobachtungen zu irgend einer ätiologischen 
Annahme berechtigen. G. 


Grundriss der Hygiene. Für Studirende und praktische 
Aerzte, Medicinal- und Verwaltungsbeamte. Von Dr. C. Flügge, 
Professor der Hygiene und Director des hygienischen Institutes 
an der Universität Breslau. Mit Figuren im Text und zwei 
Tafeln. Leipzig. Veit & Co. 

Ausgehend von dem Grundgedanken, daß bei der gegenwärtigen 
Entwicklungsphase der hygienischen Wissenschaft, in welcher ein 
rascher Wechsel der hygienischen Anschauungen fortwährend platzgreift, 
knapp gefaßte Lehrsätze und festgegründete Maximen dem angehenden 
Arzte noch nicht auf seinen Weg mitgegeben werden können, hat es 
sich ein auf dem Gebiete der Hygiene so ausgezeichneter Forscher, 
wie Flügge, zur Aufgabe gemacht, unter dem Titel „Grundriß der 
Hygiene“ ein Lehrbuch der Oeffentlichkeit zu übergeben, welches 
den Studirenden sowohl, wie den praktischen Arzt in kurzer Zeit 
befähigen soll, sich in hygienischen Fragen ein eigenes Urtheil zu 
bilden, sowie die Fortschritte der Wissenschaft beim praktischen 
Handeln richtig zu verwerthen. Dieser Aufgabe ist Verfasser in 
vollkommener Weise dadurch gerecht geworden, daß er die beim 
Unterricht aufgestellten Lehrsätze ausführlich begründete, frühere 
irrthüraliche Anschauungen kritisirte, die greifbaren Punkte mancher 
Hypothesen bezeichnete und die Lücken unserer Erkenntniß offen 
darzulegen versuchte. Von der weiteren Voraussetzung ausgehend, 
daß die zur hygienischen Untersuchung erforderlichen Apparate und 
Methoden von den Studirenden selbst gesehen und geübt werden 
müssen und daß die praktischen Einrichtungen, welche auf den 
hygienischen Lehren fußen, durch Abbildungen, Modelle, Experimente 
und so viel als möglich durch Besichtigung der ausgeführten An¬ 
lagen kennen gelernt werden müssen, hat es Verfasser unterlassen, 
den „Grundriß“ durch Hinzufügung zahlreicher Abbildungen un- 
nöthig zu vertheuern, da der Leser ein ungefähres Bild der be¬ 
treffenden Apparate und Einrichtungen auch schon aus dem be¬ 
schreibenden Text zu erhalten in der Lage ist. 


F e u i 11 e t o n. 


Die neue medicinische Klinik in Tübingen. 

(Ein Reisebrief.) 

Das kleine Tübingen mit ungefähr 14.000 Einwohnern besitzt 
eine medicinische Klinik, um welche es manche Residenzstadt mit 
best frequentirter Universität mit Recht beneiden dürfte. Aus 
kleinen, sehr bescheidenen Anfängen hervorgegangen, hat sie im 
Laufe der Zeiten unter Leitung hervorragender Männer, wie Wundeb¬ 
lich, Griesinger, Niemeyeb , bedeutenden Aufschwung und große 
Berühmtheit erlangt und ist gegenwärtig, Dank den consequenten 
Bemühungen des jetzigen ausgezeichneten Vorstandes und berühmten 
klinischen Lehrers, Prof. v. Liejbe&meister , und dem verständniß- 
vollen Entgegenkommen der gesetzgebenden Factoren zu einem 
Musterinstitute geworden, welches der Universität, der Stadt und dem 
ganzen Lande zur Zierde und zum Ruhme gereicht. 

Zu Anfang dieses Jahrhunderts waren für alle Kliniken 
zusammen nur 6 Betten vorhanden. Unter dem Universitätskanzler 
Johann Heinrich Ferdinand Autenbieth (f 1836), der im Jahre 
1797 als Professor der Anatomie berufen worden war und später 
auch andere Fächer der Medicin vertrat, wurden durch Umbau der 
alten Bursa abgesonderte Kliniken für Medicin, Chirurgie und Ge¬ 
burtshilfe geschaffen. Unter seinem Nachfolger im Kanzleramte, 
Ferdinand Gottlieb Gmelin, hat die medicinische Klinik, deren 
Vorstand er bis zum Jahre 1840 gewesen ist, eine weitere Aus¬ 
dehnung erhalten, und wurde die Poliklinik von der stationären 
Klinik abgetrennt und einem eigenen Leiter übertragen. 

Nachdem das alte Klinikum, welches außer den Kliniken auch 
noch die Wohnungen für die Vorstände enthielt, den gesteigerten 


Nach einer kurzen Einleitung über die Sterblichkeitsverhältnisse 
und die Abhängigkeit derselben von schädlichen Einflüssen unserer 
äußeren Umgebung behandelt Verfasser in kurzen und meisterhaft 
abgefaßten Capiteln die Mikroorganismen, Witterung und Klima, die 
gas- und staubförmigen Bestandtheile -der Atmosphäre, den Boden, 
das Wasser, die Nahrung und Nahrungsmittel, Kleidung und Haut¬ 
pflege, die Wohnung, Beruf und Beschäftigung (Gewerbehygiene), 
Aetiologie und Prophylaxis der Infectionskrankheiten, sowie endlich 
die hygienisch wichtigen öffentlichen Anstalten. 

Wir können das Buch aufs Wärmste empfehlen, welches wohl 
wie kein anderes die Anwartschaft besitzt, sich in kürzester Zeit 
bei Behörden, Aerzten, Medicinern, Apothekern etc. einzubürgern. 

Jolles. 

Die Verbreitung des Herpei Zoster längs der Haut¬ 
gebiete der Arterien und dessen Stellung zu den 
aouten Exanthemen. Dritter Bericht über die Sammel¬ 
forschung des allgemeinen ärztlichen Vereines von Thüringen, 
117 Zosterfälle betreffend. Von Or. L. Pfeiffer, Geh. Medicinal- 
rath in Weimar. Jena 1889. G. Fischer. 

Zwei Sätze sind es, die auf Grund dieser und der voraus¬ 
gegangenen 8ammelforschungen aufgestellt werden. Erstens die als 
wahrscheinlich hingestellte Annahme, der Zoster verbreite sich nicht, 
wie bisher allgemein als erwiesen galt, nach dem Gebiete der Haut¬ 
nerven, sondern nach dem der Hautarterien. Als Stütze dieser An¬ 
sicht gilt insbesondere das gewiß interessante Verhalten der Haut 
des Brustbeines gegenüber dem Zoster. In 36 von 42 Fällen von 
Zoster pectoralis war dieselbe von Efflorescenzen frei. Nachdem 
nun die Haut des Brustbeins, was ihre Nerven betrifft, mit der 
Haut der seitlichen Thoraxflächen zusammenhängt, beide von den 
N. cutanei pectoris versorgt werden, aber über getrennte Haut¬ 
arteriengebiete verfügt, iudem die A. intercostales die Haut nur 
bis zum seitlichen Rande des Brustbeines versorgen, während die 
Haut über dem Brustbein selbst von der A. mammaria int. versorgt 
wird, kommt die Sammelforschung zu dem oben erwähnten Schluß. 
Desgleichen stellt dieselbe den Zoster als Infectionskrankheit nebeu 
die Variola. In beiden Richtungen wird es dringend geboten sein, 
das Resultat weiterer Saramelforschungen abzuwarten. —r. 


Anforderungen nicht mehr genügte, wurde im Jahre 1846 für die 
medicinische nud chirurgische Klinik ein eigenes Gebäude er¬ 
richtet und das alte ausschließlich der geburtshilflichen Klinik ein¬ 
geräumt. 

Der Ruf, welchen die Tübinger medicinische Klinik unter 
Wunderlich, Griesinger und Nikmeyer erlangte, zog eine große 
Schaar von Studirenden aus allen Gauen Deutschlands und auch 
aus außerdeutschen Ländern au , so daß die kleinen Säle die Zahl 
der Hörer nicht fassen konnten; auch gebrach es an Raum zur 
Unterbringung der großen Zahl der hilfesuchenden Kranken. Es 
fehlte ferner au Platz für Arbeitszimmer der Professoren und Assi¬ 
stenten und für manche unentbehrliche Einrichtung zur Kranken¬ 
behandlung. Es wurde also das Bedürfniß zur Vergrößerung und 
zweckmäßigeren Einrichtung der medicinischen Klinik immer 
dringender, und schon in den Sechziger Jahren wurde der Plan 
in’s Auge gefaßt, eine neue chirurgische Klinik zu bauen und das 
ältere Gebäude ganz für die medicinische Klinik zu adaptiren. Dieser 
Plan scheiterte jedoch an dem Widerstande der maßgebenden 
Factoren, und nur dem Raummangel an der chirurgischen Klinik 
wurde durch Erbauung einer Baracke einigermaßen abgeholfen. 

Wandel wurde erst durch den Umschwung der Verhältnisse 
nach Gründung des deutschen Reiches geschaffen. Die deutschen 
Studenten waren nicht mehr an die betreffende Landesuniversität 
gebunden, sondern konnten an jeder beliebigen deutschen Universität 
studiren und die Prüfungen ablegen, uud es war demnach zu be¬ 
fürchten, daß die Frequenz der medicinischen Facultät in Tübingen 
wegen der Mangelhaftigkeit der klinischen Institute leiden und da¬ 
durch sogar der Bestand der Facultät in Frage gestellt sein könnte. 
Es wurde deshalb ohne Zögern der Bau einer mit allen Hilfsmitteln 
der modernen Wissenschaft ausgestatteten medicinischen Klinik in 
Angriff genommen, das Gebäude, in welchem bisher die medicinische 


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und chirurgische Elinik untergebracht war, ganz für letztere ein¬ 
gerichtet und für die ophthalmiatrische ein geeignetes Haus er¬ 
worben und adaptirt. Die Pläne für das neue Gebäude wurden 
nach Angaben des derzeitigen Vorstandes, Prof. v. Liebermeister, 
ausgeführt und die Klinik im October 1879 bezogen. 

Die Einrichtung der neuen Klinik hält zwischen dem Corridor- 
und Pavillonsystem die Mitte. An einen schmalen Mittelbau schließen 
sich an beiden Enden je zwei Flügel an, von denen jeder in jedem 
der beiden Stockwerke ein einziges großes, nach drei Seiten hin 
freiliegendes Krankenzimmer enthält. Die Stockwerke sind in der 
Mitte und zu beiden Seiten des Mittelbaues durch Treppen mit ein¬ 
ander verbunden. 

Zu klinischen Zwecken dienen 9 „größere“, mit je 12 großen 
Fenstern versehene Zimmer, von denen 8 in den Flügeln des ersten 
und zweiten Stockes und eines im linken vorderen Flügel des Erd- 
geschoßes liegen; in jedem stehen 8 Betten, so daß im Ganzen 
72 Betten für klinische Kranke vorhanden sind. Der Raum zwischen 
einem Bette und dem anderen ist so reichlich bemessen, ■ daß die 
Klinik am Krankeubette gehalten werden kann, auch wenn mehr 
als 70 Zuhörer anwesend sind. Zur Aufuahme zahlender Kranken, 
welche ein eigenes Zimmer beanspruchen, oder solcher, welche aus 
irgend einem Grunde isolirt werden müssen, dienen 17 kleinere im 
Mittelbaue gelegene Zimmer. Die Trennung der Geschlechter ist so 
durebgeführt, daß in den linken Flügeln die männlichen, in den 
rechten die weiblichen Kranken liegen. 

In jedem „größeren“ Krankenzimmer befindet sich eine 
kupferne Badewanne, welche Zufluß von kaltem und warmem Wasser 
und einen Abfluß hat; sie steht auf Rollen und kann deshalb leicht 
an jedes Bett herangebracht werden. 

In unmittelbarer Nähe der Krankenzimmer liegen die Wärter¬ 
zimmer, die in der Zwischenwand ein Fenster haben, von 
welchem aus das ganze Krankenzimmer übersehen werden kann; in 
einem vollkommen abgetrennten kleinen Raume daneben sind die 
für die Krankenpflege nöthigen Utensilien aufbewahrt und stehen 
zwei Nachtstühle für solche Kranke, welche aufstehen können, deren 
Stuhlgänge aber näher untersucht werden sollen. Je zwei Kranken¬ 
zimmer haben eine sogenannte Theeküche, die auch als Spülküche 
dient, in welcher uuter Anwendung von Gasfeuerung Thee gekocht, 
Kataplasmeu bereitet, Speise und Getränke gewärmt werden. 

Zur Unterbringung unruhiger Kranker dient ein mit den 
nöthigen Vorrichtungen ausgestattetes kleines Zimmer. 

Die Einrichtungen für den Betrieb sind in den verschiedenen 
Stockwerken vertheilt. 

Im Erdgeschoße sind Badeeinrichtungen für solche 
Kranke, welche herumgehen können, und zwar sind im linken 
hinteren Flügel die Baderäume für männliche, im rechten für weib¬ 
liche Kranke; jede Abtheilung enthält außer den Räumen für 
Wannenbäder ein Bassin, Douchen, ein russisches Dampfbad, ein 
Heißluftbad, ein Ankleide- und Ruhezimmer. Im hinteren Raume 
des rechten Flügels befindet sich der pneumatische Apparat, 
in welchem bequemer Raum für 5 Personen ist; die Luft darin 
kann sowohl verdichtet (bis zu 3 Atmosphären Gesammtdruck), als 
auch verdünnt werden. Die Dampfmaschine für den Betrieb des 
Apparates befindet sich unterhalb desselben im Kellerraume und 
erhält den Dampf von dem außerhalb des Krankenhauses gelegenen 
Kesselhause. Im Mittelbau des Erdgeschoßes sind die Wohnungen 
für zwei Assistenzärzte, ein Warte- und Consultationszimmer für 
ambulante Kranke, die Loge des Hausmeisters, ein Zimmer für 
den Hausknecht, die Weißzeugkammer. In dem hinteren mittleren 
Flügel ist die Küche, in welcher mit Dampf gekocht wird, 
eine Spülküche, ein Zimmer für das Küchenpersonal, die Speise¬ 
kammer und ein Aufzug, durch welchen die Speisen in die oberen 
Stockwerke befördert werden. 

Im ersten und zweiten Stockwerk enthalten die 
Flügel links und rechts die Krankenzimmer für Männer und Weiber. 
In jedem Mittelbaue befindet sich auf jeder Seite eine nach vorn 
offene Halle oder Veranda, in welcher die Kranken des 
betreffenden Stockwerkes, ohne Treppen steigen zu müssen, sich au 
freier Luft ergehen können, und in welche auch manche Kranke 
in Betten hinaus gebracht werden, in der Mitte das Sprech- und j 


zugleich Arbeitszimmer für die Aerzte, die klinische Bibliothek und 
das Zimmer für den Vorstand. In dem hinteren Mitteltracte des 
ersten Stockwerkes befindet sich der Hörsaal, ein Zimmer für 
ophthalmo und laryngoskopische Untersuchungen und ein mit allen 
Apparaten ausgestattetes Zimmer für elektrische Untersuchung und 
Behandlung; in dem hinteren Mittelbau des zweiten Stockwerkes ist 
ein großer Saal mit verschiedenen Nebenräumen für chemische und 
physikalische Arbeiten und Wohnungen für zwei Studirende, welche 
als Assistenten immer für ein halbes Jahr angestellt werden. 

In einiger Entfernung hinter dem Krankenhause liegt das 
Kesselhaus mit 3 großen Dampfkesseln, welches auch die Wohn- 
räume für den Maschinisten und Heizer, eine große Waschküche 
nebst Trocken- und Bügelräumen enthält. 

Die Heizung der Klinik wird durch den vom Kesselhause 
gelieferten Dampf bewerkstelligt. In den größeren Krankenzimmern 
sind je zwei, in den übrigen je ein Ofen angebracht, welche etwa 
zur Hälfte mit Wasser gefüllt sind, in welches durch eine Sperr¬ 
vorrichtung der Dampf eingelassen und das Condensationswasser 
wieder nach dem Kesselhause ausgelassen werden kann; auch sämmt- 
liche Corridore werden auf dieselbe Weise erwärmt. 

Die Ventilation ist mit der Heizung verbunden. Außerdem 
sind in jedem größeren Krankenzimmer je zwei, in jedem kleineren 
je ein Ventilationskamin vorhanden, durch welche im Winter die 
erwärmte Luft in große, über das Dach hinaus verlängerte, mit 
Luftsaugern versehene Dunstrohre abströmt. Die Ventilation 
der Abtritte wird, da ein zweckmäßiges Schwemmsystem unaus¬ 
führbar war, während des ganzen Jahres durch geheizte Luftcanäle 
auf die Weise hergestellt, daß von oben her Luft in die Fallrohre 
der Abtritte hinein gesogen wird. 

Sämmtliche Räume sind untereinander und mit dem Kesselhause 
durch elektrische Läuteapparate in Verbindung gesetzt. 

In dem in der Nähe der Kliniken neuerrichteten Absonde¬ 
rungshause für ansteckende Kranke sind der medicini- 
schen Klinik drei vollständig isolirte Krankenzimmer mit zusammen 
8 Betten, ein Wärter- und ein Badezimmer zugewiesen. 

Das Material für die medicinische Klinik wird 
aus der großen Anzahl der ambulant behandelten oder auch von 
auswärts angemeldeten Kranken ausgewählt. Mittellose Kranke, 
welche ein legal ausgestelltes Mittellosigkeitszeugniß beibringen, 
werden unentgeltlich verpflegt und behandelt; aber auch ohne ein 
solches Zeugniß kann „im klinischen Interesse“ jeder Kranke un¬ 
entgeltlich aufgenommen werden. Nur das „klinische Interesse“ ist 
für die Aufnahme entscheidend, einen rechtlichen Anspruch darauf 
hat Niemand. 

In den 8 Jahren seit Bestand der neuen medicinischen Klinik 
beträgt die Zahl der ambulatorisch behandelten Kranken 18.648 
und die der aufgenommenen 5958, was eiuen jährlichen Durchschnitt 
von 2331, resp. 745 Kranken ergibt. Dieses reiche klinische 
Material wird von dem als Arzt, Forscher und klinischen Lehrer 
gleich berühmten Vorstande, Prof. v. Liebermkister , auf’s Treff¬ 
lichste verwerthet, so daß der altererbte Ruhm der Tübinger medi¬ 
cinischen Klinik auch gegenwärtig in hellem Glanze leuchtet am 
Firmamente der deutschen medicinischen Wissenschaft. 

Dr. M. Weiss (Prag). 


Kleine Mittheilungen. 

— Dr. Hermann Wolf (Freiburg i. B.) empfiehlt in Nr. 9 
der „Therap. Monatsh.“ folgende Behandlung der Diphtherie. Er 
verwendet das Menthol, mit Zucker verrieben, im Verhältniß von 
1 : 20 oder 2 : 20 seit zwei Jahren mit dem besten Erfolge. Er 
bestäubt mit diesem Pulver einen großen Haarpinsel und bringt das 
Pulver auf die diphtheritisch afficirte Stelle, meist die Mandeln. 
Häufig gelingt während des Verreibens mit dem Pinsel eine Ab¬ 
stoßung der Schorfe, die theilweise am Pinsel hängen bleiben und in 
einem Glase Wasser abgespült werden. Der Pinsel wird mit Watte 
oder am Rande des Glases ausgedrückt, durch Eintauchen in das 
Pulver wieder mit Mentholzucker bestreut und wiederholt in den 
Rachen ein geführt, bis alles Verjauchte entfernt ist und das Menthol 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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auf die gereinigte Diphtberiewunde einwirken kann. W. glaubt 
nicht, daß Mentbollösnngen so gut einwirken können, weil die Ent¬ 
fernung der brandigen Schleimhautfetzen damit nicht so leicht ge¬ 
lingt, als mit den zertrümmerten Zuckerkrystallen oder, wenn man 
will, dem Zuckerstaub. W. macht die Bepinselung selbst nur einmal 
täglich, läßt sie aber von Eltern oder dem Wartepersonal 2—3mal 
täglich wiederholen, da, selbst wenn die verschorften Herde 
nicht getroffen werden, der Speichel reichlich mit Menthol gemengt 
und beim Schluckact zur Desinfection der Geschwürstellen verwendet 
wird. Schon am zweiten Tage, spätestens am dritten, sind die 
früher grauschmutzig aussehenden Diphtherieherde verschwunden und 
ist eine reine, wie lochartig ausgemeißelte Geschwürstelle zu sehen, 
die unter weiteren Bepinselungen oder Einblasungen des Pulvers mit 
einem Gummiballon rasch heilt. 

— Bei dem gegenwärtig im Vordergründe der Discussion 
stehenden Widerstreit der Meinungen über die Behandlung des 
Fiebers ist es von Interesse, die auf Grundlage 22jähriger Beob¬ 
achtungen an 2200 Fällen gezogenen Schlüsse Über den Werth 
der antipyretischen Behandlung der Lungenentzßndung, die 
Prof. Penzoi.dt in Nr. 36 der „Münch, med. Wochenschr.“ mit¬ 
theilt, kennen zu lernen. Seine Beobachtung erstreckt sich auf drei 
Zeitabschnitte; der erste umfaßt die Periode vom Jahre 1867— 76; 
es ist dies die Periode der unvollkommenen Antipyrese. Die zweite 
von 1877— 83 bezeichnet P. als diejenige der vollkommenen Kalt¬ 
wasserbehandlung der Kinderpneumonien und der mangelhaften Anti- 
pyrese bei der Behandlung der Lungenentzündung Erwachsener. 
Die dritte Periode von 1884 — 89 nennt P. die der combinirten 
medicaraentös hydriatischen Pneumoniebehandlnng im Kindesalter, die 
der rein medicamentösen im erwachsenen Alter. Aus der zusammen¬ 
gestellten Tabelle ergibt sich, daß die Mortalität in der ersten 
Periode 18 , 85%, in der zweiten 12 - 68°/ 0 und in der dritten 11-28% 
betrug. Es beweisen also die vorliegenden Untersuchungen, daß die 
Antipyrese bei der Pneumonie keinen wirklichen Schaden bringt; 
dieselben sind aber auch danach angetban, die Ansicht zu stützen, 
daß eine zielbewußte antipyretische Behandlung der Lungenentzündung 
ein zweckmäßiges Verfahren ist. Man wird dabei allerdings nicht 
die Herabsetzung der Temperatur als den einzigen Heilfactor anzu- 
selien haben. Wenn außerdem die Indication besteht, die Athmung, 
Oirculation und Gebirnthätigkeit anzuregen und die Expectoration 
zu fördern, so wird man einer sorgfältigen Bäderbehandlnng den 
Vorzug geben. Wenn letztere jedoch unausführbar ist, oder neben 
der Temperaturverminderung eine beruhigende, das subjective Be¬ 
finden verbessernde Wirkung wtinschenswerth erscheint, wird auch 
eine vorsichtige Darreichung der modernen Antipyretica erlaubt sein. 

— In einem Aufsatz über BromäthylnarCOSB theilt Prof. 
Kocher in Bern in Nr. 18 des „Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte“ 
mit, daß er das Bromäthyl in 55 Fällen angewendet hat und mit 
den Erfolgen sehr zufrieden ist. Er bestätigt die von anderen 
•Autoren, namentlich von Hafter, gemachten Angaben über dieses 
Mittel. Die Contraindicationen für die Anwendung dieses Mittels 
erweitert er dahin, daß man es nicht zur Erzielung von Muskel- 
crschlaffung (behufs Untersuchung von Baucherkrankungen etc.) an- j 
wenden darf, da man hiezu eine zu große Dosis braucht. Interessant 
sind die Untersuchungen K.’s über die Frage, ob sich das Brom¬ 
äthyl an Stelle des Chloroforms zur Einleitung der Aethemarcose 
benützen lasse. Es zeigte sich, daß das Bromäthyl außerordentlich 
rasch wirkt; mit 15—30 Grm., in die Maske gegossen, erzielt man 
in der Zeit von 30—60 Secunden eine völlige Insensibilität, so daß 
die Verabfolgung von Aether beginnen kann. In der Regel bleibt 
der Puls gut, oft frequenter. Die Mehrzahl der Pat. kommt im 
Nu in Schlaf, ohne Aufregungsstadium. Immerhin kommt auch leb¬ 
hafte Excitation vor, und bei einzelnen Pat. tritt, ähnlich wie beim 
Aether, ein Erstickungsgefühl ein, so daß ein Moment großer Angst 
den Anstoß gibt, sich gegen die Verabfolgung des Mittels heftig zu 
sträuben , doch ist dieses Stadium ein rasch vorübergehendes. Im 
selben Momente, wo die Insensibilität eintritt, ist es gut, sofort 
Aether zu geben, wenn man keine Unterbrechung des ruhigen 
Schlafes riskiren will. Fährt man mit dem Bromäthyl fort, so tritt 
entweder seine, nachtheilige Wirkung auf die Herzaction ein, oder 
die Narcose hält nicht intensiv genug an und man muß dieselbe I 


— Nr. 41. 


mit dem Aether selbst unter Eintritt eines Erregungsstadiums er¬ 
zielen. Für die Einleitung länger dauernder Narcose ist das Brom¬ 
äthyl wohl brauchbar, es ist aber ebensowenig wie bei anderen 
Narcoticis gestattet, ohne Vorbereitung zu narcotisiren. Man thut 
wohl daran, den Puls zu controliren und die Verabfolgung des 
Mittels in dem Moment zu unterbrechen, wo Unempfindlichkeit 
eintritt. 

— In einer in Nr 33 der „Deutsch, med. Wochenschr.“ ver¬ 
öffentlichten Arbeit über Uricacidämie berichtet V. Jaksch über 
die Resultate seiner Untersuchungen des Menschenblutes in Bezug 
auf die Gegenwart von Harnsäure an 105 Fällen. In 9 Fällen, 
welche gesunde Individuen betrafen, wurde in 90—300 Grm. Blut 
keine nachweisbare Menge von Harnsäure, auch keine Xanthinbasen 
gefunden. Auch bei Nierenaffectionen (Tabes, multiple Sclerose, 
Poliomyelitis) war keine Harnsäure vorhanden, hingegen häufig 
Xanthinbasen. Auch in 9 Fällen von Typhus fand sich keine Harn¬ 
säure. Erkrankungen der Leber, des Darmes und des Magens 
scheiuen nur dann zur Uricacidämie zu führen, wenn sie mit Anämie 
einhergehen. Von den verschiedenen Erkrankungen des Herzens 
führen zu nachweisbaren Mengen von Harnsäure im Blute vor 
Allem jene, welche Cyanose hervorrufen, also Herzfehler und peri- 
cardiale Ergüsse. Von Erkrankungen der Lunge und der Pleura 
führen Emphysem und Exsudate sehr häufig dieses Symptom herbei. 
Constant wurde es, und zwar in sehr beträchtlicher Menge, im 
febrilen Stadium der Pneumonie gefunden. Beim acuten Gelenks¬ 
rheumatismus findet sich keine Harnsäure im Blute, hingegen finden 
sich sehr beträchtliche Mengen bei Nierenkrankheiten, sowie bei 
schweren primären und secundären Anämien. Es ist also die 
Uricacidämie nicht ein für die Gicht pathognomonisches Phä¬ 
nomen, hingegen findet sich die Harnsäure bei jenen Processen, bei 
denen die Säure-Intoxication eine Rolle spielt. Auffällig ist ferner, 
daß alle Krankheiten, welche zur Ueberladung des Blutes mit Kohlen¬ 
säure führen, dieses Symptom bedingen, und daß dasselbe Symptom 
umso intensiver auftritt, je intensiver die Cyanose ist. Die Störung 
des Gasaustausches in der Lunge ist demnach eine der Ursachen der 
Uricacidämie. Auf Grund seiner Untersuchungen stellt Jaksch den 
Satz auf: Uricacidämie tritt auf bei Erkrankungen der Sauerstoff¬ 
träger des Blutes, der rothen Blutzellen. Als mehr vorläufige Mit¬ 
theilung zeigt Jaksch ferner an, daß er im Blute kranker Menschen 
wechselnde Mengen von Xanthinbasen gefunden hat. In Transsudaten 
und Exsudaten, insbesondere in Transsudaten, die von Nephritikern 
stammen, fanden sich wiederholt größere Mengen Harnsäure und in 
einem an Bittersäure sehr reichem Eiter eine salzsaure Xanthin¬ 
verbindung, die sich wie Guanin verhielt. Auch im Eiter, der einer 
Pleuratuberculose entstammte, konnte J. Guanin nachweisen. Es ist 
dies der erste Nachweis der äußerst giftigen Base in größerer Menge, 
und scheint diese Beobachtung deshalb von Bedeutung, da sich eine 
neue Perspective eröffnet, weshalb retinirter Eiter schwere Er¬ 
krankungen, ja schwere Vergiftungssymptome hervorrufen kann. 

— V. de Lollis macht in Nr. 138 der „Riforma medica“ 
eine vorläufige Mittheilung über di: Behandlung der Scabies mit 
Creolin. das er in Form einer 5°/ 0 Vaselinsalbe anwendet, die er 
täglich einmal in die afficirte Hautpartie, wenn nöthig am ganzen 
Körper, ausgiebig einreihen läßt. In der Regel genügen 4 Ein¬ 
reibungen, um vollständige Heilung herbeizuführen. Das Creolin hat 
vor anderen Mitteln den Vorzug, daß es wohlfeiler ist und prompter 
wirkt. Gegenüber dem Schwefel hat es den Vorzug, daß es kein 
Eczem der Haut zurückläßt. Das Creolin fleckt die Wäsche nicht 
und erzeugt auch keine Verfärbung der Haut. 

— Dr. Julius Kühn empfiehlt in Nr. 36 der „Berl. klin. W.“ 
ein neues Salbencon8titueri8, welches er auf der Klinik für Haut¬ 
krankheiten von Isaak und Palm vielfach angewendet hat. Das von 
Cauz dargestellte Mollin zeigt eine mattweiße, etwas in’s Gelbliche 
spielende Farbe, hat eine gleichmäßige Consistenz und läßt sich sehr 
schön auf der Hautoberfläche verreiben. Ein großer Vortheil desselben 
ist seine große Reinlichkeit, sowie der Umstand, daß es keine Flecke 
macht. Der wichtigste Vorzug des Mollin aber ist seine Fähigkeit, 
sich auf das innigste mit den ihm einverleibten Medicamenten zu 
vermischen. In Bezug auf die Inunctionseur besitzt es nebst seiner 
Reinlichkeit vor anderen Constitnentien den Vorzug, daß es in viel 


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18D0. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


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kürzerer Zeit und mit viel geringerer Anstrengung verrieben werden 
kann. K. hat durchschnittlich nur circa 10 Minuten gebraucht, um 
das Präparat völlig eindringen zu machen. Er hat dieses Salben- 
constituens in mehreren Fällen angewendet, und zwar in einem Falle 
von Seborrhoea mannum, der durch 10 Einreibungen mit Zinkmollin 
geheilt entlassen wurde; zwei Fälle von Acne vulg. heilten nach 
5 Einreibungen von Naphtolmollin; zwei Fälle von Herpes squamosus 
wurden nach dreimaliger Behandlung mit Salicylschwefelmollin geheilt 
entlassen. Von 7 Fällen von Scabies, die mit Styraxmollin bebandolt 
wurden, heilten 5 nach 6, 2 nach 10 Einreibungen. In 18 Fällen 
von Psoriasis wurde Chrysarobinmollin am Körper und Pyrogallus- 
mollin am Kopf angewendet. Die Erscheinungen schwanden schon 
nach 5 Einreibungen erheblich. Die Abschuppung ging rasch von 
Statten und nach durchschnittlich 15 Einreibungen konnten die Pat. 
als vorläufig geheilt entlassen werdeD. Endlich wurden in 20 Fällen 
von Lues Einreibungen von Quecksilbermollin gemacht. Nach 30 Ein- 
reiibungen wurden die meisten Kranken als vorläufig geheilt entlassen. 
Be keinem einzigen Pat. wurde trotz fast täglich vorgenommener 
Einreibungen auch keine Spur von Reizung beobachtet. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

X. 

Aus den Sectionen. 

Section für Hygiene. 

lieber den gegenwärtigen Stand der Tuberculoeenfrage. 

CORNET, Ref.: Wir sehen heute in der Lungenschwindsucht 
nicht mehr die Folge einer Constitutionsanomalie, sondern den Aus¬ 
druck ftlr das deletäre Wirken der in den Körper gelangten Tuberkel- 
bacillen. 

Pathologisch-anatomisch ist es aber festgestellt, daß in der 
weitaus überwiegenden Zahl der Fälle der primäre Sitz der Erkrankung 
in den Lungen oder den regionären Lymphdrüsen zu suchen ist, und 
diese Tbatsache gestattet einen Rückschluß auf die gewöhnliche 
Eingangspforte des tuberculösen Virus. 

Die früher geltenden Anschauungen, als ob die Lungen ein 
ganz besonders zur Verkäsung disponirtes Organ seien , ist zurück- 
zuweisen. Die Häufigkeit ihrer Erkrankung findet vielmehr ihre 
natürliche Erklärung in der gegenüber anderen Organen vermehrten 
Gelegenheit, mit der pathogenen Noxe in innige und dauernde Be¬ 
rührung zu kommen. 

Die Versuche an Thieren haben gelehrt, daß die mit Tnberkel- 
bacillen inficirten Tbiere immer in der Infectionsgegend auch die 
weitgehendsten ErkrankungserBcheinungen zeigen, und daß von hier 
aus der Proceß sich weiter verbreitet. 

Die Inhalationsversuche zeigen, daß am ausgedehntesten die 
Lungen und die Bronchialdrflsen erkranken ; so sehen wir bei Tbieren 
dieselben Veränderungen, wie wir sie bei der menschlichen Tuber- 
cnlose keunen, fortschreitend bis zur Cavemenbildung. 

Diese Tbatsache, daß die Eingangspforte oder die zugehörigen 
Lymphdrüsen des tuberculösen Giftes die in- und extensivste Er¬ 
krankung zeigen, ist durch eine enorme Zahl von Versuchen fest¬ 
gestellt, und daraus ergibt sich, daß die Lungentuberculose in den 
weitaus meisten Fällen eine Inhalationstuberculose ist. Denn wenn 
nirgends im Körper ein anderer primärer Herd besteht, so kann 
der Lunge der Bacillus doch wohl nur durch die eingeathmete 
Luft zugeführt werden. 

Damit ist der Lehre von der Heredität der Tubcrculose im 
Sinne einer intrauterinen Uebertragung der Boden entzogen. 

Gegen diese letztere Annahme spricht auch eine Reihe innerer 
Gründe. Zunächst finden wir bei pbthisischen Eltern in dem Genital¬ 
apparat selten tuberculöse Processe, und ohne solche ist eine Infection 
d es Samens oder des Eis umso unwahrscheinlicher, als wir wissen, 
daß bei der menschlichen Tuberculöse die vom Krankheitsherd unab¬ 


hängigen sexuellen Excrete fast stets bacillenfrei bleiben. Fehlen also 
bei der Tuberculöse in der Regel schon die Vorbedingungen für eine 
Infection in utero, nämlich ein inficirter Same oder ein inficirtes Ei, 
ist daselbst auch das mütterliche Blut meist bacillenfrei, so zeigen 
uns andererseits die klinischen und anatomischen Untersuchungen, 
daß Tuberculöse bei Neugeborenen so gut wie gar nicht vorkommt. 

Aus diesen Gründen kann also von einer gewöhnlichen oder 
auch nur öfter statthabenden intrauterinen Uebertragung, dem, was 
man streng genommen Erblichkeit nennt, keine Rede sein. 

Auch die Altersclassen, in denen vorzugsweise Tuberculöse 
vorkommt, sprechen gegen eine derartige Heredität, denn genaue 
Statistiken haben ergeben, daß nicht die ersten Jahre der Kindheit 
und Jugend, die doch sonst allen möglichen Infectionskrankheiten 
in hervorragendem Maße zugänglich sind, das Hauptcontingent stellen, 
daß auch nicht, wie allgemein angenommen wird, die Jahre des voll¬ 
endeten WachBthums der Krankheit zumeist erliegen, sondern, daß 
die Hauptsterblichkeit gerade die späteren Jahre betrifft, die Zahl 
der Infectionen also mit steigendem Alter und der Vermehrung der 
Infectionsmöglichkeiten wächst. 

Der Versuch, diese der Vererbungstheorie widersprechende 
Thatsache in dem Sinne zu erklären, daß die embryonalen und 
jugendlichen Gewebe vermöge der ihnen innewohnenden Proliferations¬ 
kraft und Lebensenergie der Entwicklung der Bacillen einen ganz 
besonderen Widerstand entgegenzusetzen vermögen, ist wohl als eine 
geistreiche Hypothese zu betrachten, der aber jede thatsächliche Grund¬ 
lage fehlt. 

Denn gerade im Gegentheil spielen die Infectionskrankheiten 
im Kindesalter eine viel bedeutendere Rolle, als später, und ist ihnen 
der jugendliche Organismus weit weniger gewachsen, als der des 
Erwachsenen. 

Was aber die Unhaltbarkeit dieser Auffassung gerade für die 
Tuberculöse vollauf beweist, sind die experimentellen Ergebnisse, die 
zeigen, daß selbst unter den Thierspecies, die eine ausgesprochene 
Neigung zur Generalisirung der Tuberculöse haben und bei denen 
die Gewebssäfte gewissermaßen von Infectionskeimen direct durch¬ 
drungen sind, ein Uebergang der Bacillen auf das Kind selbst, wenn 
Uterus und Vagina der Mutter direct tuberculös inficirt und mit 
Knötchen förmlich übersäet waren, nicht zu beobachten ist. Die An¬ 
nahme der Heredität im Sinne der Uebertragung in utero scheint 
also durch Statistik und Experiment widerlegt. 

Wenn aber thatsächlich die Kinder tuberculöser Eltern auf¬ 
fallend oft an Tuberculöse erkranken, so liegt die natürlichste Er¬ 
klärung dafür wohl in der vermehrten und fortgesetzten Ansteckungs¬ 
gelegenheit. Die Annahme einer besonderen, von den Eltern ererbten 
chemischen oder morphologischen Beschaffenheit des Gewebes oder 
der Körperconstitution ist nicht durch genügende Beweise festgestellt. 

Nachdem nun die Entstehung der Tuberculöse durch Inhalation 
von Tuberkelbacillen erwiesen war, lag die Aufgabe nahe, den 
Bacillus außerhalb des Körpers aufzusuchen. Die Untersuchungen 
zeigten, daß derselbe nur dort in einer, eine Infection ermöglichenden 
Form und in Gefahr begründender Zahl sich findet, wo Phthisiker 
sich dauernd aufhalten, und zwar selbst da nur in dem Fall, als die 
Kranken ihre Secrete auf irgend eine Weise hatten vertrocknen 
lassen, während bei zweckmäßiger Entleerung der Secrete selbst in 
mit Tuberculösen belegten Krankensälen niemals Bacillen naobge- 
wiesen werden konnten. 

Also nicht der Phthisiker an sich bedingt für die Umgebung 
die Hauptgefahr, sondern die Art und Weise, wie er mit seinem 
Sputum umgeht. 

Ebensowenig finden sich in Folge der dort stattfindenden Ver¬ 
dünnung im Freien oder auf der Straße Tuberkelbacillen in einem 
eine Infcctionsgefahr bedingenden Maße vor. 

Diese Thatsache erklärt leicht die verschiedenartige Aus¬ 
breitung der Tuberculöse in Familien, sie ist aber auch andererseits 
in ihren Consequenzen insofern von Bedeutung, als sie auf die durch 
einen unreinlichen Phthisiker seiner Umgebung drohende Gefahr auf¬ 
merksam macht und als sie, die Hypothese der Ubiquität zerstörend, 
eine feste Basis für prophylaktische Maßnahmen gibt. 

Einerseits weist die Häufigkeit der Inhalationstuberculose noth- 
wendig auf das Sputum Tuberculöser, auf die Hauptquelle der In- 


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Nr. 41. 


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feetioo, hin, andererseits wissen wir, daß das feuchte Sputum nach 
physiologischen Gesetzen die Keime gewissermaßen festhalt, eine 
Infectionsgefahr somit nicht abgibt, wahrend der getrocknete Aus¬ 
wurf, durch welchen die Bacillen als Staubpartikelcben der Luft sich 
beimengen, eine Gefahr der Ansteckung bietet. Gelingt es also, das 
8putum feucht zu halten und in feuchtem Zustande unschädlich zu 
machen, so wird damit wohl die Hauptursache für die Verbreitung 
der Tuberkelbacillen entfernt. 

Nächst der Lungentuberculose findet auch im Darm die Tnber- 
oulose eine sehr häufige und gefährliche Localisation, die namentlich 
das kindliche Alter bedroht. Hier deutet die Localisationsstelle auf 
eine Infection per os hin, die, abgesehen vom Verschlucken der 
Sputa bei Phthisikern, zunächst wohl von den zugeführten Speisen 
und Getränken herrühren dürfte. 

Experimentell ist es denn auch festgestellt, daß das Fleisch 
tuberculöser Thiere, sowie deren Milch bacillenhaltig ist und daß der 
Genuß solchen bacillenhaltigen Materials eine specifisch tuberculöse 
Affection des Darmes hervorrufen kann. 

Aus dem bis nun Angeführten ergibt sich die Prophylaxe von 
selbst, doch ist ein praktischer Erfolg nur dann zu erwarten, wenn 
dafür Sorge getragen wird, daß die Grundsätze der Prophylaxe dem 
Volke geradezu anerzogen werden. Darum ist es nothwendig, daß 
eine diesbezügliche möglichst einfache und populär gehaltene Be¬ 
lehrung über die Gefahr der Ansteckung und ihre Verhütung in 
allen Schichten des Volkes durch Wort und Schrift angestrebt werde. 

C. stellt eine Anzahl populärer Anweisungen zur Verfügung, 
wie er sie in seiner Sprechstunde jedem Pat. gibt. 

In allen öffentlichen Gebäuden wären für die Benützung der 
dort verkehrenden Menschen wassergefüllte, leicht und täglich zu 
entleerende Spucknäpfe aufzustellen. Die Desinfection des Sputums 
hält C. aus manchen Gründen für unnötbig und nicht allgemein 
durchführbar, eine Füllung mit Sand oder Sägespähnen für ver¬ 
werflich, weil sie die Vertrocknung der Sputa begünstigt. Der Inhalt 
der Näpfe soll in den Abort geworfen werden, weil die Bacillen in 
Fäalnißgefflengen in 86 Tagen zu Grunde gehen. 

Die unentgeltliche Desinfection von Räumen, in denen Tuber¬ 
culöse lebten oder Btarben, ist gesetzlich zu fordern, demgemäß ist 
die Einrichtung von Desinfectionsanstalten durch Gesetz obligatorisch 
zu machen. 

Die Reinigung der Wohnräume, besonders solcher, in denen 
Lungenkranke leben, finde stets auf feuchtem Wege statt. Mit allen 
Mitteln soll die private Woblthätigkeit und das öffentliche Interesse 
auf Gründung von Anstalten für Schwindsüchtige gelenkt werden. 
Die Milch darf nur in gut gekochtem Zustande genossen werden. 
Außerdem ist, soweit als möglich, eine thierärztliche Controle der 
Ställe und Milchanstalten in dieser Richtung einzuführen. 

Entsprechend der wissenschaftlichen Thatsaohe, daß der Fleisch¬ 
saft tuberculöser Thiere im Allgemeinen nur bei generalisirter Tuber¬ 
culöse Bacillen enthält, während solche in der Regel fehlen, wenn 
die Krankheit auf ein einziges Organ des Thieres beschränkt war, 
sind sanität8polizeiliohe Vorschriften in dem Sinne zu treffen, daß 
einerseits das Fleisch von Thieren, welche an mehr als einem Organ 
an Tuberculöse leiden oder bereits abgemagert sind, vom Genuß 
gänzlich auszuschließen, resp. zu vernichten ist, und daß anderer¬ 
seits das Fleisch von Thieren mit minder localisirter Tuberculöse 
zwar zum Verkauf zugelassen wird, aber nur unter der ausdrück¬ 
lichen Bezeichnung als minderwerthig, wodurch man das Publicum 
auf die Nothwendigkeit guten Auskochens hinweisen will, oder daß 
es gleich von vornherein nur: im gekochten Zustande verkauft werde. 

Hand in Hand mit diesen antibacillären Maßregeln müssen die 
Forderungen der allgemeinen Hygiene geltend gemacht werden, welche 
das einzelne Individuum durch eine zweckmäßige und kräftige Er¬ 
nährung, durch ausgiebigen Genuß frischer Luft, durch Vermeidung 
von Ueberanstrengung, kräftigen und stählen sollen, auf daß es aus 
dem Kampfe mit den seiner Gesundheit drohenden Elementen sieg¬ 
reich hervorgehe. 

SORMANI (Pavia) stellt folgende Thesen zur Bekämpfung der 
Tuberculöse durch internationale Maßregeln auf: 

1. Die durch ihre geographische Lage und klimatischen Ver¬ 
hältnisse als Winterstationen oder als Curorte für Phthisiker dienenden 


Orte aller Länder bieten in ihren Hötels, wo sich viele Kranke an¬ 
sammeln. eine große Infectionsgefahr. Die Hotelbesitzer und Zimmer- 
vermiether sollen daher zu einer durch technisch gebildete Leute 
und unter polizeilicher Ueberwachung auszuführenden sorgfältigen 
Desinfection der an Fremde zu überlassendtn Räumlichkeiten ange¬ 
halten werden. 

2. Die Eisenbahnwagen müssen so gebaut sein, daß sie eine 
leichte Desinfection zulassen. Der Boden derselben muß von Zeit zu 
Zeit einer gründlichen Desinfection unterzogen werden. Dasselbe gilt 
von Auswandererschiffen. Phthisische Auswanderer dürfen nicht be¬ 
fördert werden. 

3. Einzuführendes Rindvieh und gewisse Nahrungsmittel (con- 
densirte Milch, conservirtes Fleisch) müsste an der Grenze erst auf 
Tuberkelbacillen untersucht werden, bevor deren Einfuhr gestattet wird. 

4 Größere Etablissements, in denen Arbeiter verschiedener 
Nationen vertreten sind, sind sorgfältig zu überwachen und zu des- 
inficiren. 

GÄRTNER (Jena) hat weißen Mäusen, die 19—21 Tage trächtig 
waren, Tuberkelbacillen injicirt und die Thiere 110 Tage am Leben 
erhalten. Die Jungen wurden durch Eintauchen in heißes Wasser getödtet, 
und um jede Möglichkeit der Uebertragung von der Außenwelt aus- 
zuscbließen, wurden nach Abziehen der Haut die Därme entfernt 
und der Mund ausgeglüht. Die Thiere wurden hierauf in einem 
Mörser zu einem Brei verrieben und dieser Meerschweinchen injicirt. 
Ein großer Theil der so inficirten Thiere ging an Tuberculöse zu 
Grunde. Ferner gelang es G., durch die Eier tuberculöser Canarien- 
vögel die Tuberculöse weiter zu übertragen. Durch diese Versuche 
ist die Möglichkeit einer erblichen Uebertragung der Tuberkelbaoillen 
sichergestellt. 

ARMANNI (Neapel) spricht sich ebenfalls für die Vererbung 
aus. Er hat durch Injection des Leber- und Milzsaftes eines in der 
Leiche einer tuberculösen Gravida gefundenen Foetus bei 2 Meer¬ 
schweinchen .Tuberculöse erzeugt, obgleich makroskopisch keinerlei 
Veränderungen am Foetus vorhanden waren. 

FCÜX (Bukarest) fordert den Ausschluß tuberculöser Kinder 
vom Schulbesuch. S. 


Section für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Schultze (Jena): Bildliche Darstellung des gynäkologischen Tast¬ 
befundes. 

Vortr. empfiehlt die bildliche Darstellung des gynäkologischen 
TastbefundeB erstens zur Instruction des Anfängers im Untersuchuugs- 
curs. Derselbe lernt schneller richtig deuten, was sein Fiuger tastet, 
wenn ihm die Formen, die er tasten soll, gleichzeitig im Bilde dar¬ 
gestellt werden; zweitens für die Demonstration in der Klinik, damit 
auch diejenigen Hörer, welche nicht untersuchen, die Erhebung des 
Tastbefundes gleichsam mitmachen und was über Diagnose und In- 
dication dann vorgetragen wird, mit vollem Verständniß entgegen¬ 
nehmen. Schultze bedient sich für diese Zeichnungen hölzerner 
Wandtafeln, die das Becken in doppelter Größe, in fünf verschiedenen 
Richtungen gesehen, schematisch darstellen. 

Ferner empfiehlt Schultze die Zeichnung des Tastbefundes 
für den mündlichen wie für den schriftlichen Verkehr mit den Collegen 
bei Consultationen. Er gibt den consultirenden Frauen die Zeichnung 
seines Tastbefundes für den behandelnden Arzt mit. Wenige schrift¬ 
liche Notizen dazu geben genauere Information, als ausführliche 
schriftliche Beschreibung. 

Für das eigene Journal ist die Zeichnung des Tastbefundes 
von großem Werth. Die Zeichnung ist in ein fertiges Schema der 
Beckenumrisse schneller gemacht und sie ist genauer als eine bloße 
schriftliche Notirung. Dieselbe erleichtert den Ueberblick und die 
Vergleichung, wenn die Pat. später wieder einmal consultirt. Ein 
besonderer Vortheil erwächst in der bildlichen Aufzeichnung des 
Tastbefundes für den Untersuchenden dadurch, daß, wenn er sich 
die Aufgabe stellt, den Tastbefund bildlich darzustellen, er genauer 
untersucht. Der Vortragende sagt, daß er diesen Vortheil noch jetzt 
täglich an sich selber wahrnimmt. Man muß auch, um richtig zu 
zeichnen, manche Ausdehnung messen, die man nur zu schätzen, 
vielleicht falsch zu schätzen gewohnt war; und was man nur 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


schätzen kann, schätzt man nach Centimentern, um es richtig zu 
schätzen, nicht nach Kopfgrößen, Faustgrößen, Apfelgrößen. Die 
üblichen Bezeichnungen der Größe des Tastobjectes nach Obst und 
nach Geldstücken erklärt Redner für besonders unzweckmäßig. 

Für die Zeichnung des Tastbefundes in das Journal bedient 
sich B. Schdlt/.E lithographirter Beckenschemata oder Gummi¬ 
stempel. Die letzteren bieten den Vortheil, daß man das Bild an 
jeder passenden Stelle des Journales oder Briefes einschalten kann. 
Die Lithogrammc und Gummistempel stellen das Becken in J / 3 natür¬ 
licher Größe und wie die Wandtafeln, in fünf verschiedenen Rich¬ 
tungen gesehen, dar. Mehrere Firmen, Waldeck und Wagner in Prag, 
Märtel in Breslau, Stromann in München, haben die Gummistempel 
in genau 1 j 3 natürlicher Größe nach Schultze's Zeichnungen aus¬ 
geführt, beim Congreß ausgestellt. 

Der Vortragende erläutert die Art, wie er seine Beckenschemata 
coustruirt hat, an einer das Beckeu in fünffacher Größe in Profil¬ 
schnitt darstellenden Tafel. Das Becken ist gezeichnet uach den in 
den Lehrbüchern übereinstimmend für das weibliche Becken als 
normal bezeichueten Maßeu mit Berücksichtigung der Messungen 
Hkkmann Meyeh’s, Promontoriumwinkel und vordere Fläche der 
Lendenwirbel nach Schultze’s eigenen Messungen an frischen weib¬ 
lichen Leichen, die Umrißlinien der Weichtheile nach genauen Messungen 
an lebenden Krauen. 

Die in dieser Weise möglichst normal gezeichneten Becken¬ 
schemata empfiehlt Schulde zu möglichst ausgedehntem Gebrauch 
und übergibt dieselbeu als allgemeines Eigenthum den Collegen. 

A. 


Notizen. 

Wien, 11. October 1890. 

Die Sanitäfsverhältnisse des k. und k. Heeres im Jahre 1889. 

Der neueste, soeben erschienene Band des militärstatistischen 
Jahrbuches entrollt ein sehr günstiges Bild der sanitären Verhältnisse 
unserer Armee im verflossenen Jahre und gibt zugleich Zeugniß von 
dom regen Eifer, mit welchem an der statistischen Centralstelle die 
Verarbeitung des umfangreichen Materials betrieben wird. 

Ueber die Ergebnisse der Stellung erfahren wir, daß von 
734.191 Stellungspflichtigen der ersten drei Altersclassen 86°. 00 
bei der Stellung nicht erschienen, 2lO°, 0o als tauglich, 7O2°/ 00 als 
untauglich befunden worden sind, während über 2 0 /„ 0 die Ent¬ 
scheidung beim Abschluß des Berichtes (31. August 1889) noch 
auBStand. Aerztlich untersucht wurden 670.581 Stellungspflichtige; 
davon waren tauglich oder mindertauglich 230° 00 gegen 161°/ l0 
taugliche im Vorjahre, 33% 0 hatten das Minimalmaß der Körper¬ 
länge (153 Cm., in den Vorjahren 1‘554 M.) nicht erreicht, 566°/ 00 
wurden bei erreichter Minimal-Körperlänge wegen Gebrechen zurück¬ 
gestellt, 171 °/ 00 als waffeuuufähig oder zu jedem Dienste offen¬ 
kundig untauglich gelöscht. Das Promille-Verhältniß der Tanglichen 
(einschließlich der Mindertauglichen) schwankte nach Territorial¬ 
bezirken von 193°/ 00 in Brünn bis 439°/ 00 in Zara, nach Ergän¬ 
zungsbezirken von 101°/ 00 in Königgrätz bis 563% 0 in Spalato. 

Unter den 154.146 assentirten Stellungspflichtigen befanden 
sich 40.650 Mindertaugliche = 264 ü /o 0 der Assentirten. Nach 
Territorialbezirken schwankt dieses Verhältniß von 72°/ 00 in Zara 
bis 336°/ 00 in Agram. Nach Altersclassen betrugen die Minder¬ 
tauglichen in der ersten 73, in der zweiten 97, in der dritten 
527°/ co der Assentirten dieser Altersclassen; in der dritten ist ihr 
Antheil deshalb so hoch, weil in dieser Altersclasse über die Eignung 
aller Vorgestellten unter allen Umständen entschieden werden muß 
und eine Zurückstellung z. B. als derzeit zu schwach nicht stattfindet. 

Das Minimalmaß von 153 Cm. hatten durchschnittlich 33% 0 
der Untersuchten nicht erreicht; im Territorialbezirke Zara betrug 
dieses Verhältniß nur 5% 0 , im Territorialbezirke Krakau dagegen 
59°,oo, ferner in der ersten Altersclasse 38, in der zweiten 31, in 
der dritten 27° o0 . 

Von den Untersuchten mit der Körperlänge von 153 Cm. auf¬ 
wärts waren wegen Gebrechen derzeit oder für immer untauglich 


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762°/ 00 ; davon entfallen auf: Allgemeine Körperschwäche 628’ l°/oo, 
Tubercnlose der Lymphdrüsen (Scrophulose) 5*2°/ 00 , Augenkrank¬ 
heiten 22-8° oo, Krampfadern 28*6°/ 00 , Kropf 22’9° /00 , Eiugeweide- 
vorlagerungen 21*8°/ 00 , Samenaderbruch ll*4° 00 , Hautkrankheiten 
12*3° /00 , Kniebohrer 16*8°, 00 . Plattfuß 9'7% 0 , Mißbildungen am 
Brustkörbe, am Becken und an der Wirbelsäule 25*9°/ 00 . — Die 
wegen Körperschwäche Untauglichen schwanken nach Territorial¬ 
bezirken von 338% 0 in Zara bis 641°/, 0 in Temesvar; nach Alters¬ 
classen betrugen sie in der ersten 602° 00 , in der zweiten 586, in 
der dritten 314° 00 der Untersuchten mit der Körperlänge von 
153 Cm. aufwärts. 

Nach Nationalitäten waren von je 1000 Untersuchten unter¬ 
mäßig: Croaten 15, Cechen 17, Deutsche 27, Rumänen 33, Ma¬ 
gyaren 39, Ruthenen 58, Polen 60. — Von je 1000 Untersuchten 
mit dem Miniraalmaße waren tauglich: Ruthenen 272, Croaten 259 
Deutsche 236, Polen 233, Magyaren und Cechen 223, Rumänen 203 ; — 
wegen Körperschwäche untauglich: Deutsche 427, Cechen 441 
Polen 519, Ruthenen 548, Magyaren 585, Croaten 595, Rumänen 63l! 

Die Sanitätsverhältnisse gestalteten sich ungeachtet der 
am Jahresschlüsse aufgetretenen Iufluenza - Epidemie ausnehmend 
günstig. Bei einem durchschnittlichen Präsenzstande des Heeres von 
281.569 Mann (einschließlich der bosnisch-herzegowinischen Truppen; 
betrug der ausgewiesene Krankenzugang 929°; 00 dieses Standes 
gegen 954°, 00 im Vorjahre, die Abgabe an Heilanstalten 328°/ 00 
gegen 325° o0 im Vorjahre. Das Verhältniß der Erkrankungen zum 
Präsenzstande schwankte von 734° „ 0 im Territorialbezirke Przemysl 
bis 12O7°/ 0u im Territorialbezirke Zara; das Verhältniß der Spitals¬ 
bedürftigen von 244% 0 in Innsbruck bis 492°/ 00 in Hermannstadt. — 
Die monatliche Morbidität war im December mit 100%, am höchsten 
im September mit 57 % 0 am niedrigsten. Nach Nationalitäten be¬ 
trugen die Erkrankungen in Promille des Präsenzstandes bei den 
Ruthenen 830, Magyaren 887, Deutschen 908, Cechen 964 Ru¬ 
mänen 1003, Polen 1011, Croaten lO5l°/ 00 ; die Abgaben an Heil¬ 
anstalten bei den Deutschen 258, Ruthenen 302, Cechen 321, Ma¬ 
gyaren 338, Polen 364, Croaten 405, Rumänen 489% e . 

Auf jeden Mann des Präsenzstaudes entfielen durchschnittlich 
14 4 Krankentage, gegen 14-9 im Vorjahre, davon 10‘5 Tage in 
Heilanstalten. Die durchschnittliche Behandlungsdauer eines Erkran¬ 
kungsfalles überhaupt betrug 15* 1 Tage gegen 14*9 im Vorjahre; 
die Behandlungsdauer eines Kranken im Spitale 29*4 Tage gegen 
29‘8 im Vorjahre. Seit einer Reihe von Jahren schon ist die Be¬ 
handlungsdauer der in den Spitäler., verpflegten Kranken in Zunahme 
begriffen. 

In Folge von Krankheiten starben 1260 Mann = 4*5°/ 00 des 
| Präsenzstandes gegen 4’9° 0o im Vorjahre. Die Mortalität schwankt 
nach Territoriall ezirken von 3-2«/ 00 in Josefstadt bis 6*4®/ 0o in 
Zara, nach Waffengattungen von 3'2% 0 bei der Festungs-Artillerie 
bis 6*l° j00 bei der Traintruppe. Die meisten Todesfälle, 163 — 0 55%o> 
sind im Monate April, die wenigsten, 63 = O*21®/ 00 , im September 
vorgekommen. 

An Sanitätsanstalten abgegeben wurden 92.314 Mann, dagegen 
beträgt der von Sanitätsanstalten ausgewiesene Zugang 101.307 Mann 
d. i. um 7993 Mann mehr. Der Bericht führt diese Differenz auf 
die Dislocations- und Dienstverhältnisse des Heeres zurück, tbat- 
►ächlich besteht aber die Ursache in Ungenauigkeiten der statistischen 
Erhebungen, deren Beseitigung wünschenswerth und keineswegs un¬ 
möglich erscheint. — Der Krankenzugang in Heilanstalten entspricht 
360% 0 des Präsenzstande« gegen 356° /0ö im Vorjahre. Von den 
aus Heilanstalten in Abgang gekommenen 100.272 Mann sind 
genesen und diensttauglich entlassen 856 ö®/ 00 , gestorben ll*4°/ 00 , 
anderweitig abgegangen 132*1 Dur Genesenen sind um 7*l®/ 00 ’ 
der Gestorbenen um 1*2% 0 weniger als im Vorjahre. Das Promille^ 
Verhältniß der Genesenen in den Heilanstalten schwankte nach 
Territorialbezirken von 820®/ 00 in Prag bis 916®, 00 in Sarajevo, 
jenes der Gestorbenen von 7%o in Hermannstadt bis 17%« in 
Lemberg. 

Die wichtigeren Krankheitsformen waren in Promille des Prä¬ 
senzstandes wie folgt vertreten: 

Scorbut O*8®/ 00 gegen 2*0% 0 im Vorjahre; trat in Tarnopol, 
Trembowla und Neusiedel am See epidemisch auf. 


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1637 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1638 


Acuter Gelenksrheumatismus 7'9°/ 00 gdgen 7 , 5 0 /' 0 o im Vorjahre. 

Darmtyphus 4'6°/ 00 gegen 4‘3®/o 0 im Vorjahre; im Terri¬ 
torialbezirke Sarajevo und bei der Sanitätstruppe erreichten die 
Erkrankungen an Typhus 101% 0 . Locale Epidemien wurden beob¬ 
achtet in Graz, Klagenfurt, Prag, Przem^sl, Budapest, Komom, 
Klausenburg, Essegg, Peterwardein und in Sarajevo, sowie in mehreren 
anderen kleineren Garnisonsorten. Die Letalität der in Heilanstalten 
behandelten Typhusfälle betrug im Mittel 16O*9°/ 00 , im Territorial - 
bezirke Wien nur 44 , 4% 0 , im Territorialbezirke Zara dagegen 
352-9%,. 

Wechselfieber und Weehselfiebersiechthum 34 , 5°/ 00 gegen 35'2°/ 00 
im Vorjahre. 

An Blattern erkrankten 98 und starben 6 Mann. 

An Lungentuberculose wurden behandelt 3’7% 0 gegen 3 9% 
im Vorjahre und starben 1 *2°/ 0o gegen 1*4°/ 00 im Vorjahre. 

Von Influenza sind leider nur jene Fälle ausgewiesen, welche 
bis Ende 1889 in Abgang gekommen sind, nämlich 3623 = 12*9°/ 00 
des Präsenzstandes; die Frequenz schwankte von O‘5% 0 im Terri¬ 
torialbezirke Josefstadt bis 65'8°/ 00 im Territorialbezirke Wien. Aus 
Kaschau und Agram werden keine Fälle berichtet. Die Heilanstalten 
weisen im Abgänge 171 Influenzafälle (ohne Todesfall) aus. 

Krankheiten des Auges 5O'3% 0 gegen 47 , 9°/ 00 im Vorjahre, 
darunter Bindehautcatarrh 28 7°/ 00 , Trachom 6'7°/ 00 . Epidemisches 
Auftreten von Trachom wird berichtet aus Wr. Neustadt, Klagen 
furt, Königgrätz, Krakau, Zolkiew, Czernowitz, Preßburg, Gran, 
Ung.-Weißkirchen u. A. 

Lungenentzündung 8 - 8°/ 00 gegen 8'4°/ 00 im Vorjahre; von 
2353 in Spitälern Behandelten starben 147 = 62° 00 . — Rippen¬ 
fellentzündung 4*9° 00 wie im Jahre 1888. 

Mandelentzündung 43*7°/ 00 gegen 52 , 6° ;00 , Magen- und Darm- 
catarrb 113-8% 0 gegen 115-9°/ 00 im Vorjahre. 

Venerie und Syphilis 65 - 3 0 / 0 o gegen 65-4°/ 00 im Vorjahre. 
Diese Krankheitsgruppe hält sich seit Jahren auf ziemlich gleicher 
Höhe und trotzt allen Bemühungen der Militärverwatöüng, welche 
auf Einschränkung ihrer Frequenz gerichtet sind. 

Geradezu erschreckend ist die Zahl der Selbstmorde: .422 = 
= l’5O°/ 00 gegen 1*19°/ 00 im Vorjahre. Die Selbstmorde sind seit 
Jahren in einer durch Remissionen unterbrochenen Zunahme begriffen 
und ihre Frequenz im Heere übertrifft mehrfach das Vorkommen 
in den analogen Altersclassen der Civilbevölkerung. Diese Umstände 
fordern dringend dazu auf, den Ursachen der zahlreichen Selbst- 
entleibungen im Heere ernstlich nachzuforschen und dieselben auf 
wirksame Weise zu bekämpfen. — Außerdem wurden im Präsenz¬ 
stande 112 Selbstmordversuche, 62 Selbstverstümmelungen und 
92 Verunglückungen mit tödtlichem Ausgange nachgewiesen. 

Abgesehen von den absichtlichen SelbstbeschädiguDgen, welche 
strenggenommen außerhalb des Rahmens sanitärer Betrachtung 
gehören, hat die Morbidität und Mortalität des Jahres 1889 an 
jener absteigenden Tendenz festgehalten, welche uns seit einem 
Decennium von den militärstatistischen Jahrbüchern in erfreulicher 
Weise nachgewiesen wird. Der Gewinn an Menschenleben, an Dienst- 
tagen und an Krankenpflegekosten, welcher hiedurch der Armee 
erwachsen ist, gehört auf das Verdienstconto des Militär-Sanitäts¬ 
wesens, welches damit seine hohe Bedeutung für die Armeen auch 
in Friedenszeiten unwiderlegbar documentirt. 

Regimentsarzt Dr. Myrdacz. 


(Von der Wiener medicinischen Facultät.) Das neue 
Studienjahr ist eröffnet. Nicht minder zahlreich, als in den letzten 
Jahren, strömen wissensdurstige Jünglinge aus allen Weltgegenden 
herbei, der Inscription als ordentliche Hörer der Medicin theilhaftig 
zu werden, und sohon haben einzelne Professoren ihre Vorlesungen 
eröffnet, welchen in den nächsten Tagen die übrigen folgen werden. 
Am 8. d. M. hielt Prof. Exner, welcher die durch Brückb’s Rück¬ 
tritt vom Lehramte vacante Lehrkanzel der Physiologie supplirt, 
seine erste, von Aerzten und Studenten ungewöhnlich zahlreich 
besuchte Vorlesung, in welcher er der Verdienste seines greisen 
Lehrers und Vorgängers, Ernst Brücke, um Wissenschaft und Lehre 
gerecht wurde. — Es wäre zu erwarten gewesen, daß die Unter- I 
richtsverwaltung mit dem Beginne des neuen Semesters Brücke’s j 
Nachfolger definitiv bestellen werde. Man hat es — wie behauptet I 


wird, aus finanziellen Gründen — vorgezogen, einen der wichtigsten 
Lehrstühle der ersten Universität des Reiches provisorisch zu 
besetzen, obgleich den leitenden Stellen die aus einem Provisorium 
resultirenden Inconvenienzen bekannt sein dürften. Sollte thatsäch- 
lieh die materielle Frage entscheidend gewesen sein, dann bleibt es 
ein Räthsel, warum dieselbe bei Errichtung minder dringender und 
bedeutender Institute an kleinen Universitäten — wir erinnern an 
die Creirung der Lehrkanzel für Meteorologie an der Innsbrucker 
Hochschule — nicht berücksichtigt wurde, während sie hier, wo es 
sich um Neubesetzung einer systeraisirten, wichtigen Stelle handelt, 
eine Rolle zu spielen scheint. Die Wiener Hochschule hat wohl 
das Recht, die definitive Besetzung der physiologischen 
Lehrkanzel zu fordern, mag dieselbe getheilt werden oder nicht, 
mag Brücke’s Nachfolge Exner oder Hering, oder — Beiden 
zufallen. 

(Au8 dem allgemeinen Krankenhause.) Wir erhalten 
folgende Zuschrift: „Geehrter Herr Redacteur! Unter den Ankün¬ 
digungen von Cursen, die im Laufe der nächsten Monate im allge¬ 
meinen Krankenhause abgehalten werden sollen, findet sich auch ein 
urologischer Curs von Prof. v. Dittel angekündigt, der während der 
ersten zwei Monate dieses Wintersemesters abgehalten werden soll, 
und möchte ich mir daher die Anfrage erlauben, ob das die Ein¬ 
stellung der Lehrtätigkeit mit Eintritt des 70. Lebensjahres bestim¬ 
mende Gesetz blos für die theoretischen Fächer Giltigkeit. besitzt. 
Hochachtungsvollst Dr. M. R.“ — Da uns auch vod anderer Seite 
dasselbe Thema berührende Zuschriften zukamen, so möchten wir 
zunächst bemerken, daß die oben erwähnte Cursankündigung in voll¬ 
kommen legaler Weise erfolgte, da dieselbe das Decanatsvisum auf¬ 
zuweisen hat, wovon sich Jedermann überzeugen konnte, und daß 
somit in diesem Falle den akademischen Gesetzen gemäß vorgegangen 
worden sein dürfte, wenn auch der Name Prof. v. Dittel’s in dem 
officiellen Lectionskataloge für das Wintersemester. 1890/91 fehlt. 
Im Uebrigen wird allseits in medicinischen Kreisen ganz eigentümlich 
gefunden. wie ungleich in denselben Instituten — den Wiener 
Krankenhäusern — die Stellung der dirigirenden Aerzte durch den 
Eintritt des 70. Lebensjahres alterirt wird, indem die gleichzeitig 
als akademische Lehrer wirkenden Abtheilungsärzte, mitunter trotz 
voller körperlicher und geistiger Frische, bei erreichtem 70. Lebens¬ 
jahre aus ihrer Stellung amovirt werden, trotzdem die Studentenschaft 
und die ärztliche Welt noch länger ihren Vorträgen lauschen möchten, 
während die außerhalb des Universitätsverbandes stehenden Primar¬ 
ärzte , welche zweifelsohne ebenfalls berufen sind, die Ausbildung 
der jungen Aerzte zu leiten , an keine Altersgrenze gebunden, ihre 
Dienstesstellung beibehalten können und fast ausnahmslos auch 
beibehalten. Jedenfalls wäre es wünschenswerth, wenn in dieser, 
für den ärztlichen Dienst mitunter hochwichtigen Frage ein gleich¬ 
mäßigerer Vorgang bei den beiden Aerztekategorien zur Einführung käme. 

(Das Wiener medicinische Doctoren - Collegium) 
eröffnete am 6. October seine diesjährige Saison mit einer ebenso 
interessanten wie lehrreichen Demonstration, die Prof. Stricker in 
seinem Hörsaale vor einem zahlreichen Auditorium abhielt. Um 
zu zeigen, was das elektrische Episkop für den Unter¬ 
richt leisten kann, demonstrirte Prof. Stricker zunächst ein mensch¬ 
liches Hirn. Bis in die letzte Bank des großen Hörsaales konnte man 
sämmtliche anatomische Details am Gehirne deutlich unterscheiden, 
ein Vortheil, dessen Bedeutung für den Unterricht keiner weiteren 
Erörterung bedarf. Hierauf wurde ein Hund in’s Episkop gebracht, 
bei dem Prof. Gärtner das Herz präparirt hatte, und Prof. Stricker 
demonstrirte nun die Veränderungen des Herzens während der Er¬ 
stickung bei erhaltenem Hemmungsnerven, d. h. so laDge die Vagi 
nicht durchschnitten sind. Mit dem Aussetzen der Athmung wird 
die Scblagfolge des Herzeus seltener, dio Pausen zwischen den 
einzelnen Coutractionen werden größer. Gleichzeitig sah man die 
Veränderungen in den Bewegungen der Feder, die mit einer in die 
Carotis eingeführten Canüle verbunden war. Ganz deutlich zeigte 
sich die eigentümliche Füllung der Arterien, dio Veränderung der 
Gestalt des Herzens, die nach Durchschneiduug der Vagi am Halse 
eine andere ist, als bei Erstickung bei erhaltenem Vagus. 
Reichlicher Beifall lohnte die schöne Demonstration, durch die Prof. 
Stricker wiederum zeigte, welche mächtige Förderung der Anschauungs¬ 
unterricht an großen Universitäten ihm zu verdanken hat. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1640 


(Personalien.) Der Salinenarzt und Leiter des allgemeinen 
Krankenhauses in Ischl, Dr. Victor Pfost, erhielt den Titel eines 
k. Rathes. — Der Landes-Sanitätsreferent in Schlesien, Reg.-R. 
Dr. Ed. Mestenhauser, wurde über sein Ansuchen in den Ruhe¬ 
stand versetzt. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Die ständige baineo¬ 
logische Commission der k. Gesellschaft der Aerzte in Budapest, 
welche die Vorbereitungen für die im October hier stattfmdende 
balnoologische Conferenz zu treffen hat, verzeichnete in 
ihrer am 19. September gehaltenen Sitzung mit Befriedigung die 
rege Betheiligung sowohl seitens der Badeärzte als auch der Eigen- 
tbümer. Vorträge haben angemeldet: Prof. ThaN: Die Analysen 
der bei unB verbreiteteren Mineralwässer, verglichen mit den aus¬ 
ländischen; Prof. Fodor: Wie ist ein Badeort vom hygienischen 
Standpunkte aus zu untersuchen? Dr. Chyzer Kornel: 1. Ver¬ 
gangenheit, Gegenwart und Zukunft der ungarischen Curorte und 
die Mittel zu deren Hebung; 2. Wie hat die Berichterstattung 
über einen Badeort vom ärztlichen Standpunkte aus zu erfolgen? 
Dr. J. Boleman: Die Interessen unserer Curorte und die Admini¬ 
strativbehörden ; Dr. J. Oläh : Centralisirte Organisation der Inter¬ 
essen unserer Curorte; Dr. G. Vuja (Herculesbad): Die praktische 
Verwerthung der natürlichen Mineral wassergase; Dr. A. Veress 
(Bad Csik-Tusnäd): Die hemmenden Ursachen des Aufblühens der 
siebenbürgischen Bäder. Wichtige, zum Theil aber durch die obigen 
Vorträge schon berücksichtigte Themata wurden eingesendet von 
Dr. B. Mdtschenbacher (Budapest), Dr. Fr. Major (Stuhlweißen¬ 
burg), Doc. Dr. St. Csapodi, Lenoir, BadeeigenthümervonSzliäcs u.s. w. 
Mit Rücksicht auf die noch einlangenden wichtigen Besprechungs¬ 
themata wurde die definitive Feststellung des Programms vertagt, 
aber schon jetzt läßt sich mit Zuversicht die praktische Wichtigkeit 
und der moralische Erfolg dieser Conferenz Voraussagen. Als greif¬ 
bares Resultat wird aus derselben wahrscheinlich eine baineologische 
Centralcommission oder ein Landes-Bäderverband hervorgehen. Ueber 
die interessanteren Vorträge werden wir berichten. 

* (Cholera-Nachrichten.) Wie die „Veröff. des k. Ge- 
sundh-Amt.“ melden, hat die Cholera in der Woche vom 12. bis 
18. September in der Provinz Valencia 322 Erkrankungs- und 
174 Todesfälle verursacht (in der Vorwoche 279, resp. 155); davon 
treffen auf die Stadt Valencia 167, resp. 100 Fälle; die in den 
letzten Tagen der Berichtswoche eingelaufenen Zahlen lassen eine 
geringe Abnahme der Epidemie in der Stadt Valencia erkennen. In 
der Provinz Toledo ist die Epidemie abermals angestiegen; in 
den Provinzen Alicante und Badajoz sind in der Berichtswoche 
keine neuen Fälle mehr gemeldet worden; dagegen kamen solche 
vor in den bisher verschont gebliebenen, an Valencia angrenzenden 
Provinzen C u e n c a und Ca st eil on. Im Hospital von Barcelona 
kamen 5 choleraartige Erkrankungen vor, darunter 2 mit tödtlichem 
Ausgang. — Der Bericht der ärztlichen Commission von Mekka 
constatirt, daß bei der Ceremonie am Berge Mida 200.000 Pilger 
anwesend waren. In D j e d d a sollen seit dem 2. September keine 
Cholerafälle mehr vorgekommen sein, und in Mekka, Talf und 
Medina die Epidemie im Erlöschen begriffen sein. — Amtliche 
Nachrichten aus Constantinopel vom 9. September melden, daß 
in dem Vilajet Bitlis in der Zeit vom 5. Juli bis 4. September 
53 Todesfälle bei 105 Erkrankungen vorkamen. Seit dem 9. August 
sind keiue Cholerafälle mehr gemeldet. — Ein Bericht aus dem 
Vilajet D i a r b e k i r, woselbst die Cholera bis zur persischen Grenze 
vorgedrungen ist, meldet über die Entstehung der Krankheit Fol¬ 
gendes: Die Giotcher, ein kurdischer Nomadenstamm, welcher im 
Sommer die Gebirge von Wau und Hekiari bewohnt und den Winter 
in der südlicher gelegenen Landschaft von Sindjar und Khabur zu¬ 
bringt, kamen Anfang Juni, auf der Wanderung nach den Gebirgen 
begriffen, aus Sindjar in der Nähe des Tigrisflusses iu Djezir6, 
6000 Köpfe stark, an und errichteten dort ein 1000 Zelte starkes 
Lager, woselbst sie ihre Producte, 5000 Ctr. Wolle und 10.000 
Felle, zur Ausfuhr nach Europa verkauften. Die Cholera, welche 
sie bereits bei ihrer Ankunft mitbrachten, nahm in dem Lager einen 
so gefährlichen Verlauf, daß sie alsbald abzogen, um Quarantäne¬ 
maßregeln zu vermeiden. Bald danach brach die Cholera auf den 
Dörfern aus, welche von ihrem Marsche berührt waren. 


(Der Cur ort. M eran-Mais), illostrirter Führer für Curgä«te, heraus¬ 
gegeben vom Maiser Curverein, betitelt sich ein nicht nur für Curgäste, 
sondern auch für gesunde Touristen fast unentbehrlicher, höchst anmuthig ge¬ 
schriebener Führer. Alles, was der Ort als Curort und als Touristenort bietet, 
ist klar und ausführlich beschrieben. Eine medicinische Einleitung vom 
Sanitätsrath Dr. Mazeooer gibt einen kur/.en Abriß über das Klima und die 
Curmittel, dann folgen von Carl Schönherr in lebendiger Sprache ge¬ 
schilderte Skizzenbilder aus Meran-Mais, an welche sich der illustrirte Weg¬ 
weiser zu den Fremdenwohnungen, sowie das Verzeichniß dieser anfügt. Am 
Schlüsse des Buches, das in der bekannten lieblichen Art der Woerl’schen 
Reisehandbücher ausgestattet ist, finden sich alle localen Einrichtungen des 
Curortes aufgezählt. Die 67 Illostrationen, die zum größten Theil in den 
Text eingedruckt sind, lassen an Naturtreue und Sauberkeit Nichts zu wünschen 
übrig und bilden gleichsam für den, welcher die herrliche Meran-Maiser 
Gegend besuchte, ein seine Erinnerung unterstützendes, hübsches Album. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Programm der 
Montag, den 13. October 1890. 7 Uhr Abends, im Saale der k. k. Gesellschaft 
der Aerzte stattflndenden wissenschaftlichen Versammlung: Hofrath Professor 
Dr. Meyneot: Die Different i ald i agnose in der Psychiatrie. 

(Statistik.) Vom 28. September bis incl. 4. October 1890 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 4135 Personen behandelt. Hievon wurden 819 
entlassen; 104 sind gestorben (1 l'3°/o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 53, egyptischer Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 16, Dysenterie —. Blattern 13, Varicellen 17, Scharlach 27, 
Masern 66, Keuchhusten 33, Wundrothlauf 20. Wochenbettfieber 2. — In 
der 40. Jahreswoche sind in Wien 312 Personen gestorben (-}- 12 gegen 
die Vorwoche). 

(Erratum.) In Nr. 40, pag. 1571, Zeile 21 und 36 v. o., soll es 
statt „reducirend“ und „reducirt“ richtig „oxydirend“ und „oxy- 
dirt“ beißen. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Eingesendet. 

Dr. med. J. von TYMOWSKI 

prakticirt während der Wintersaison in 

Nizza, 31 Boulevard Dubouchage. 

Briefkasten der Redaction. 

Herrn Dr. L. P. in Wien. Müssen dankend ablehnen. Die „Wiener Med. 
Presse 4 überläßt den Vorzug, ihre Leser mit — Gedichten zu regaliren, 
den Witzblättern nnd Familienzeitungen, oder solchen Journalen, welche 
es diesen nachthun wollen. Ein ernstes Fachb'att hat keinen Raum 
für heitere oder ernste Poesie, seine Leser keinen Geschmack für 
Frivolitäten. ' 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. richnirer. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das October-Heft 
der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Oie menschliche 
Reproduotionskraft.“ Von Regierungsrath Or. Vinc. Goehlert 
i n Graz. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Sehr guter ärztlicher Posten in der Umgebung Wiens 

(4—5000 fl. Einkommen) wird gegen eine Ablösungssumme von 50 X) fl ab¬ 
getreten. Offerten werden unter „Angenehm und nicht beschwerlich“ zur Weiter¬ 
beförderung an die Administration der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien I., 
Maximilianstraße 4, erbeten. 705 

ln dem der Gemeinde Ottakring gehörigen, nenerbanten 

Wilhelminen-Spitale, in welchem zur Krankenpflege die Schwestern der (Kon¬ 
gregation des heil. Vincenz von Pani bestellt sind, kommen mit dem Eröff¬ 
nungstage folgende ärztliche Stollen zur Besetzung: 1. Die Primararztesstelle 
für die chirurgische Abtheilung mit 1500 fl. Gehalt und einem entsprechenden 
Wagenpanschale. Bewerber müssen emeritirte Zöglinge des klinischen Operations¬ 
institutes sein, wobei gewesene Assistenten einer chirurgischen Klinik den 
Vorzug haben. 2. Die Primararztesstelle für die medicinische Abtheilung mit 
1500 fl. Gehalt und e'nem entsprechenden Wagenpauschale. Bewerber müssen 
Spi'alpnxis haben. 3. Zwei Sccundararztesstellen mit je 800 fl. Gehalt, freier 
Wohnung im Spitaie, Beleuchtung und Beheizung. Den Vorzug haben Be¬ 
werber, die schon einige Zeit als Secnndarärzte oder wenigsten* als Aspiranten 
in einer der großen k. k. Krankenanstalten gedient haben. Sämmtliche Be- 
werder müssen österreichische Staatsbürger und der deutschen Sprache mäehtig 
sein: die Kenntniß einer anderen, womöglich slavischen Landessprache ist 
erwünscht. Gehörig documentirte Gesuche sind bis 20. October d. J. an das 
gefertigte Bürgermeisteramt zu richten. 694 

Bürgermeisteramt Ottakring, 
am 17. September 1890. 

Der Bürgermeister-Stellvertreter: M. Ott app. 


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Nr. 42. Sonntag den 19. October 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „"Wiener Medizinische Presse* erscheint Jeden Sonntag 
I bis I Bogen Gross-Ouart-Format stark. Hieek eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage. aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Medlz. Presse“ 
in Wien, I., Maxunllianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind Zu ad resst ren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediä. Presse* und „Wiener Klinik* 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 lu*. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler Und Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 84Mrk,, nalhj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: Jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrage» «eh Postanweisung an die Admlnlstr. 
der „wiener Media. Presse“ in WienJ., Maxiralllanstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 


Begründet 1860. 


-sie- : - 

Redigirt von 

Dr. Anton Bon. 


Verlag von 

Urban k Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalton und klinische Vorlesungen. Die osteodermoplastische Fuflamputation. Von Prof. Dr. Schinzingkb in Freiburg. — Aus dem 
allgemeinen Krankenhanse zn Biala. Eine dermoplastiscbe Fußamputatiou. Von Dr. Josef Bogdanik, Primararzt des genannten Krankenhauses. — 
Ueber das physiologische Ziel und die Nothwendigkeit einer conservativen Chirurgie in der Gynäkologie. Von Dr. Dolkbis in Paris. — Ans 
der Klinik des Prof. ▼. Korämti in Budapest. Die Wirkung innerlich anfgenommenen Wassers von verschiedener Temperatur und Menge anf das 
gesunde nnd kranke Herz. Von Dr. Moaiz Steickee und Dr. Wilhelm Feiedeich. — Referate und literarische Anseigeu. J Stillino (Straßburg): 
Anilinf&rbstoffe als Antiseptica nnd ihre Anwendung in der Praxis. — Neuere Arbeiten Aber Mechauotherapie. — Feuilleton. Die ärztliche 
Ueberwachnng der Pariser Schalen. — Kleine Mittheilungen. Creolin bei Angina lacnnaris. — Verfahren znr Heilung des Trachoms. — 
Antifebrinlsatiott in refracta dosi beim Typhns abdominalis nnd bei der Lnngenphthise. — Snbcntane Aetherinjeotionen gegen Lebercoliken. — 
Ein Fall von durch ein änßeres Trauma bedingter acuter Pneumonie. — Ueber die Präventivwirkung des Strychnins bei Tetanus. — Jodkali gegen 
Urticaria. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — X. Internationaler medicinischer 
Congreß. Gehalten zu Berlin 4.-9. Angnat 1890. (Orig.-Ber.) XI. — Notixen. — Literatur. — Aerstliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Die osteodermoplastische Fussamputation. 

Von Prof. Dr. Sohin «Inger in Freiburg. 

Unter diesem Titel veröffentlichte Prof. Rydygier in 
Krakau in der „Wr. klin. Wochenschrift“ im Juli 1888 
ein Operationsverfahren, welches von Keetlky in London 
schon im Jahre 1885 auf ähnliche Weise ausgefiihrt worden 
sein soll, darin bestehend, daß man in Fällen von ausgebreiteten 
auf keine andere Weise heilbaren Unterschenkelgeschwüren, 
statt der Unterschenkel-Amputation eine der PiROGOFF’schen 
ähnliche Fußamputation ausfuhrt und den dabei gewonnenen 
großen Plantarlappen zur Deckung der früheren Geschwürs- 
Hache verwendet. 

Einen weiteren, hieher gehörenden Fall hat Dr. Baracz, 
Operateur in Lemberg, im Jahre 1889 in der „Wiener Med. 
Presse“, Nr. 88, veröffentlicht. Er schälte den Talus aus. 
reseeirte Tibia und Fibula bis zur Höhe von 4 Cm., während 
Rydigier mit Erhaltung des hinteren Theiles des Calcaneus 
eine Verkürzung der Extremität vermied und eine bessere 
Ernährung des PJantarlappens erzielte. Kketley nnd Rydygier 
operirten deshalb auch mit günstigem Erfolge, während bei 
Baracz’s Fall der Lappen gangränös wurde und die Cardkn- 
sche Amputation nÖthig machte. 

Eine ähnliche Operation, welche ich schon im Jahre 1879, 
und zwar mit sehr gutem Resultate ausführte, möge hier 
behufs Berechtigung dieses Verfahrens Platz finden. 

A. A. von Unterrhena, 12 Jahre alt, machte nach An-, 
gäbe des prakt. Arztes Herrn Dr. Ramsbebgkr in Heiligen-: 
berg im Jahre 1877 einen Scharlach durch, welcher eine aus-! 
gebreitete Gangraena cutis am rechten Unterschenkel zur' 
Folge hatte. Bei meiner im August 1879 vorgenommenen' 
Untersuchung fand ich den Fußrücken mit kurzen, straffen; 


Narbenzügen an die Vorderseite des Unterschenkels fest ver¬ 
wachsen und den Fuß dadurch in voller Dorsalflexion; der 
Knabe ging auf dem Processus post, des um seine Längsachse 
gedrehten Calcaneus. Da das starre und ausgebreitete Narben¬ 
gewebe ein Herbeiziehen und Decken des Hautdefectes nach 
einfacher Durchschneidung der Narben und Geradestreckung 
des Fußes unmöglich gemacht hätte (Fig. 1), so schnitt ich 
die Narben mittelst eines ovalen Schnittes aus, präparirte 



Fig. 1. 


die ganze Sohlenhaut bis zu den Zehen-Commissureii • los, 
exarticulirte den Fuß in dem CHOPART’schen Gelenke, resecitte 
das vorstehende Collum tali, nähte den so gewonnenen 
großen fleischigen Plantarlappen in den Hautdefect des Unter¬ 
schenkels ein und erzielte eine völlige Anheilung desselben 
per primam int. (Fig. 2). Auffallend war die große Em¬ 
pfindlichkeit des schon an geheilten Lappens, so daß bei jedem 
Verbandwechsel lebhafte Schmerzen in demselben Und .den 
ganzen Körper befallende krampfhafte Zuckungen sieh lein- 
- stellten, welche sich aber nach Ablauf einiger Wochen wieder 
verloren. Ein einfacher Schienenschuh gestattete völlige Qe- 
brauehsfähigkeit des rechten Beines. Laut . eingezogeher Er¬ 
kundigung vom 1 .Juli 1890 ist der Operirte auch jetzt noch 


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mit dem Resultate der Operation sehr zufrieden. Alle Leute 
wunderten sich, schrieb er mir, daß er mit seinem operirten 
Fuße so gut gehen könne. 



• Fig. 2. 

Bei hoch an den Unterschenkel hinaufreichenden Haut- 
defecten wird man auf die Länge der operirten Extremität 
verzichten müssen und durch ausgiebige Resection der Unter¬ 
schenkelknochen und gänzliche Entfernung des Talus und 
Calcaneus einen bedeutend längeren Plantarlappen gewinnen. 


Aus dem allgemeinen Krankenhause zu Biala. 

Eine dermoplastische Fussamputation. 

Von Dr, Josef Bogd&nik, Primararzt des genannten Kranken¬ 
hauses. 

Die Casuistik der dermoplastisehen Unterschenkel-, resp. 
Fußamputationen ist noch immer sehr spärlich, obwohl seit 
dem ersten von Keetley veröffentlichten Falle beinahe fünf 
Jahre verstrichen und die Indication dazu: chronische, unheil¬ 
bare Unterschenkelgeschwüre, im umgekehrten Verhältnisse 
zur Operation steht. Keetlky’s Idee, bei solchen Kranken, 
statt der bisher üblichen .Unterschenkelamputation in loco 
electionis eine andere mit möglichster Schonung der Extremität 
ausznführen, hätte fürwahr eine größere Anzahl von Nach¬ 
ahmern finden sollen. Indessen operirte nach Keetley , d. i. 
Unterschenkelamputation nach Sy me und Deckung des aufge¬ 
frischten Geschwürs mit dem Sohlenlappen („TheLancet“, 1885, 
28. Oct., p. 987), nur Baracz, leider mußte wegen Gangrän die 
Unterschenkelamputation nachfolgen („Wiener Med. Presse“, 
1889, .Nr. 38). Dieser Fall muß daher als für die Operation un¬ 
günstig angesehen werden. Rydygier modificirte data occasione 
diese Operation. Statt Syme’s Amputation auszuführen, resecirte 
er das Sprunggelenk nach Pibogoff, wodurch er eine geringere 
Verkürzung erhielt und deckte das aufgefrischte Unterschenkel¬ 


geschwür mit einem Sohlenlappen. Auf diese Weise erhielt 
er eine brauchbare Gliedmaße. Diese Operation benannte er 
osteodermoplastische Fußamputation („Przeglqd lekarski“. 
1888, Nr. 25). 

Dies das ganze Material. Ich schreite daher zur Be¬ 
schreibung meines Falles, welchen ich als Modification des 
KEETLEY’schen Verfahrens ansehe. 

J. P., Fabriksarbeiter aus Bielitz, 35 Jahre alt, gebürtig in 
Ernsdorf (Schlesien), wurde am 17. September 1889 in’s allgemeine 
öffentliche Krankenhaus in Biala aufgenommen. Er leidet schon 
Jahre laDg an ausgedehnten Geschwüren des rechten Unterschenkels, 
war in Folge dessen arbeitsunfähig, hatte große Schmerzen, bittet 
daher bei der Aufnahme um die Unterschenkelamputation. Auf der 
äußeren Fläche des rechten Unterschenkels ist 3 Cm. oberhalb der 
Fußsohle ein 15 Cm. nach oben reichendes Geschwür, auf der inneren 
Fläche ein 10 Cm. langes. Beide Geschwüre trennt auf der Vorder¬ 
fläche des Unterschenkels ein ganz schmaler Hautstreifen, in der 
Gegend der Achillessehne sind die Geschwüre auf 5 Cm. von ein¬ 
ander entfernt. Die Haut des Unterschenkels und Fußes ist be¬ 
deutend verdickt und ragt über die mißfärbige, einen penetranten 
Geruch verbreitende Geschwürsfläche stark hervor. 

Dem Wunsche des Kranken entsprechend, schritt ich am 
19. September 1888 mit gefälliger Assistenz der Herren 
Collegen Kupka, Senft und Taüb zur Amputation, beschloß 
jedoch, von der zu amputirenden Gliedmaße so viel als möglich 
zu schonen. 

In tiefer Narcose (Chloroform, Aether aa.) wurde die 
EsMARCH’sche Binde angelegt, darauf machte ich um die Ge¬ 
schwürsränder herum einen tiefen Einschnitt und trug mit 
dem Messer die Ränder wie auch den schwieligen Grund der 
Geschwüre ab. Die aufgefrischten Geschwüre wurden auf 
diese Weise auf der Vorderfläche vereinigt. Nun verlängerte 
ich den Hautschnitt durch die Mitte des Fußrückens in ge¬ 
rader Linie von dem Punkte, wo sich die aufgefrischten Ge¬ 
schwürsränder vereinigten bis zur inneren Fläche der 2. Zehe 
(zwischen der 2. und 3. Zehe). Weiters präparirte ich die 
ganze Haut unterhalb der Geschwüre von den Weichtheilen 
ab und enucleirte den Fuß im CHOPART’schen Gelenke. Auf 
diese Weise blieb die ganze Haut des Fußes mit Ausnahme 
der Nägel, welche ich abtrug, durch den schmalen Streifen 
über der Achillessehne im Zusammenhänge mit der Haut des 
Unterschenkels. Beim Ueberklappen der Haut überzeugte ich 
mich, daß sie zum Bedecken des Verlustes nicht hinreicht, 
deshalb sägte ich noch einen Theil des Talus und Calcaneus 
ab. Jetzt entfernte ich die EsMARca’sche Binde, unterband 
mit Carbolcatgut die spritzenden Gefäße und sah mit Ver¬ 
gnügen , daß sich der ganze Hautlappen schön röthete. Die 
Operationsfläche reinigte ich mit Sublimatlösung 1 /«°/oo» be¬ 
stäubte sie mit Jodoformpulver und bedeckte die aufgefrischten 
Geschwüre mit dem von der Sohle, Fußrücken und den Zehen 
entnommenen Lappen. Das kleinere innere Geschwür wurde 
fast ganz bedeckt, am äußeren Geschwür blieb noch ein 5 Cm. 
langes unbedecktes Stück zurück. Die Ränder der Hautlappen 
wurden mit Chromcatgut an die Geschwürsränder angenäht 
— bei den Knöcheln legte ich Drainageröhrchen ein. Daiauf 
kam ein Jodoform verband. Die Operation inclusive Narcose 
dauerte 105 Minuten, wobei 100 00 Grm. Chloroform und 
Schwefeläther zu gleichen Theilen verbraucht würden. Erbrechen 
trat ebensowenig während wie nach der Operation ein. 

Der Wundverlauf war beinahe fieberfrei. die höchste 
Temperatur, 38 8° C., war am dritten Tage nach der Operation, 
an welchem Tage ich den ziemlich mit Blut gefärbten Ver¬ 
band zum ersten Male wechselte. Am neunten Tage nach 
der Operation trug ich einen Theil der Lappenränder wegen 
Gangrän ab und verwendete von da an beim Verbandwechsel 
eine 5% Chlorzinklösung. Am 18. November, d. i. zwei 
Monate nach der Operation, war das Geschwür an der inneren 
Fläche ganz verheilt, der Umfang des rechten Unterschenkels 
ebenso groß wie der des linken. Die Heilung des Geschwüres 
auf der äußeren Fläche dauerte jedoch bedeutend länger, der 


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Kranke verlangte nämlich eine Unterschenkelamputation und 
erklärte, daß er mit einem solchen Pferdefuß nicht nach Hause 
gehen werde. Er trachtete daher meine Mühe zu vereiteln, 
indem er mit dem rechten Fuße an den Bettrand anschlug, 
so daß der Verband recht oft mit Blut durchtränkt war. 
Durch ein halbes Jahr ließ ich meine Geduld nicht ausgehen, 
erneuerte den Verband so oft es nöthig war und sah die 
ganze Zeit hindurch, daß die transplantirte Haut den In¬ 
sulten kräftigen Widerstand leistete und sich nur dieser Theil 
des Geschwüres verletzen ließ, welcher mit Haut nicht be¬ 
deckt werden konnte. Herumgehen konnte er ganz gut, anfangs 
wohl mit Hilfe von Krücken und wurde am 16. Juni 1889 
mit einem fingernagelgroßen Geschwüre auf der äußeren 
Fläche entlassen, welches Geschwür er sich wieder mit Auf¬ 
schlagen zugezogen hatte. Im Oetober 1889 sah ich den 
Kranken wieder. Er besuchte mich, wobei er 10 Kilometer 
zu Fuß zurücklegen mußte. An der Stelle des kleinen Ge¬ 
schwüres, mit dem er das Spital verließ, fand ich ein Geschwür 
von 6 Cm. Durchmesser, welches einen üblen Geruch ver¬ 
breitete. Es reichte jedoch nur bis an die transplantirte 
Haut. Ich verschrieb ihm eine Jodoformsalbe und sah den 
Kranken seither nicht mehr. 

Wenn wir die bisher bekannten Fälle in Betracht ziehen, 
so unterliegt es keinem Zweifel, daß man in vielen Fällen, wo 
früher Unterschenkelamputationen am Orte der Wahl ausgeführt 
wurden, dermoplastische Amputationen nach Keetlky oder 
nach der Modification von Rydyüikr, nach meiner Angabe, 
oder schließlich irgend eine andere ähnliche ausführen kann. 
Man muß jedoch trachten, den ganzen Defect mit gesunder 
Haut zu bedecken, wozu man, wie mein Fall beweist, recht 
große Hautlappen verwenden kann. Bei der großen Anzahl 
von chronischen Unterschenkelgeschwüren, welche eine wahre 
Last für Kranke, als auch für Aerzte bilden, kann daher 
diese Operation nur empfohlen werden. Ich für meinen Theil 
werde aber noch die Intelligenz des .Kranken in Erwägung 
ziehen, weil ich ein zweites Mal nicht mehr so viel Geduld 
entfalten könnte, daher bei minder intelligenten Individuen 
lieber sofort auf Wunsch den Unterschenkel amputiren werde. 
Es hat schließlich für solche Personen keinen besonderen 
Werth, ob nach der Operation eine größere oder kleinere 
Verkürzung zurückblcibt x ) 


Ueber das physiologische Ziel und die Noth- 
wendigkeit einer couservativen Chirurgie in 
der Gynäkologie. 

Von Dr. Doläris in Paris.*) 

Die Gynäkologie hat 3 deutlich von einander verschiedene 
Stadien durchgemacht: das geburtshilfliche, das medicinische 
und das chirurgische Stadium, und jedes von ihnen hat ihr 
sein nützliches Contingent geliefert, indem es sie mit ana¬ 
tomischen, physiologischen, pathologischen oder therapeutischen 
Thatsachen bereichert hat. 

Betrachtet man die'Entwicklung der Gynäkologie in den 
verschiedenen Ländern, so sieht man, daß dieselbe nicht überall 
die gleiche gewesen ist; überall aber findet man zu irgend 
einer Zeit den vorherrschenden Einfluß der Geburtshilfe, der 
internen Medicin oder der Chirurgie. 

Nach 'langem Herumtasten in Folge der ungenügenden 
Therapie hat die Gynäkologie die chirurgische Bahn betreten, 
und wir stehen gegenwärtig zweifellos in der glänzendsten 
Phase, in welcher sie die raschesten Foitschritte und die 
sichersten Resultate aufzuweisen hat Trotzdem wurden und 
werden noch zahlreiche Versuche gemacht, um die Gynäkologie 

■) Die bei ten vorstehenden, dass* Ibe Thema behandelnden Arbeiten hind 
gleichzeitig eingelangt. Die Red, 

*) Vortrag, gehalten in der Section für Geburtshilfe und Gynäkologie 
des X. Inte nationalen medicinischen Congresses 


zu medicinischen, älteren und scheinbar weniger ernsten Ver¬ 
fahren zurückzuführen. 

Diese Versuche sind, wie ich glaube, ein Beweis, daß der 
Gynäkologie eine solide Basis fehlt, oder daß wenigstens diese 
Basis von Vielen bei der Wahl der Behandlungsmethode ver¬ 
kannt wird. Sie beweist auch, daß in der medicinischen Welt 
zahlreiche reactionäre Elemente bestehen, welche von den 
scheinbaren oder wirklichen Erfolgen der gynäkologischen 
Chirurgie genährt werden. 

Diese 2 Punkte sind es, auf die ich die Aufmerksamkeit 
der Gynäkologen lenken möchte. 

Ich glaube, daß es nothwendig ist, in dem gegnerischen 
Lager den Gedanken zu erwecken, daß die therapeutischen 
Maßregeln, die wir gegenwärtig ergreifen, nicht mehr an 
operative Zufälle gebunden sind, sondern auf solider wissen¬ 
schaftlicher Grundlage beruhen. 

Die Physiologie ist die Basis und der Ausgangspunkt 
der heutigen Therapie, die Conservirung der Function ihr 
Hauptzweck. Um dies zu beweisen will ich rasch das Gebiet 
der Gynäkologie durchstreifen. 

Endometritis corporis. Ist es bei dieser so häufigen 
Erkrankung gleichgiltig, wenn man die kranke Uterusschleim¬ 
haut mit einem in seiner Wirkung beschränkten Instrument, 
der Curette oder mit einem heftigen Causticum zerstört? Mit 
beiden Mitteln wird geheilt, sagen die Gegner des Instrumentes, 
die Wahl ist folglich gleichgiltig, und es finden sich Chirurgen, 
die behaupten, daß die erzielten Erfolge gleich sind. 

Dieser Eklektismus ist bequem, aber nicht wissenschaft¬ 
lich. Ohne die Schleimhaut ist der Uterus nichts, diese ist es, 
welche das wesentliche Organ der Einnistung und der Er¬ 
nährung des Embryo bildet. Ihr wichtigstes Element ist die 
Deciduazelle, und wollte man die Uterusschleimhaut auf ein 
Schema reduciren, so würde man dasselbe durch die Decidua¬ 
zelle darstellen können. Sie ist es, welche die erste für den 
Embryo bestimmte Nahrung liefert, und nach meinen eigenen 
Versuchen über die menschliche Decidua und jenen von Masqürlin, 
Swakn, Creighton u. s. w. über jene der Thiere, bildet sie durch 
ihre verschiedenen Umwandlungen das neue Gefäßnetz der 
definitiven Placenta. Zerstört man daher die Mucosa in ihrer 
ganzen Dicke, so zerstört man damit total ihre Function und 
dieses leider zu oft unglückliche Resultat liefern die heftigen 
Caustica. 

Als Reaction gegen das Curettement ist jüngst die An¬ 
wendung oder, sagen wir besser, der Mißbrauch des Chlorzinks 
wieder aufgetreten. Und, abgesehen von Unglücksfällen, sind 
zahlreiche Fälle von Schwund der menstruelllen Function, von 
Enuresis, Atresie der Uterushöhle und selbst von schwerer 
Dystocie bekannt worden. In einem solchen, von Fochier in 
Lyon, mitgetheilten Falle bestand bei der Anwendung ober¬ 
halb des Orif. int. ein so dicker und unüberwindbarer Narben¬ 
ring, daß der Durchgang des Fötus unmöglich war und die 
Embryotomie gemacht werden mußte. 

Hier muß die Anatomie und Physiologie auffcreten und 
sagen: Wer die Uterusschleimhaut mit einem starken Causticum 
in Contact bringt, muß wissen, daß er Gefahr läuft, keine 
Spur von den lebenden Elementen dieser Schleimhaut zurück¬ 
zulassen, und daß eine fibröse retractile Narbe, für die Function 
also ein todtes, steriles Gewebe, die kranke, aber noch lebende 
Schleimhaut ersetzen wird. Hingegen läßt die Curette, welche 
die Schleimhaut abkratzt, Theilchen derselben, die Drüsen¬ 
schläuche, die zwischen den oberflächlichen Bündeln der Mus- 
cularis liegen, in lebendem und functionsfähigem Zustande zurück. 
Die antiseptische Auswaschung der ausgekratzten Oberfläche 
genügt, diesen Rest zu beleben. Es bleibt, wie nach der 
Debiseenz des Eies nach der Geburt, der nothwendige und 
genügende Keim zur Restaurirung einer neuen Schleimhaut. 

Man kann daher nicht behaupten, daß beide Verfahren 
gleich sind, denn das eine bedeutet dauerndes Leben, das 
andere den Tod des Organs in seiner einzigen Function. Wenn 

1 * 


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trotz alledem der Praktiker die eine oder die andere dieser 
Methoden wählt, so muß er wohl wissen, was er wählt. 

Metritis cervicis. Zu ähnlichen Betrachtungen regt 
auch die Metritis cervicis an. Angesichts des hartnäckigen 
entzündlichen Ektropiums wird man leicht versucht, anfangs 
als Versuch Caustica und als definitive Behandlung das Glüh¬ 
eisen anzuwenden. 

Bekanntlich ist die auf diese Weise erzielte Ueberhäutung 
des Ektropiums häufiger der Ausgangspunkt einer folliculären 
Inclusipn und folglich einer scleroeystischen Metrit : s cervicis, 
als einer definitiven Atrophie der kranken Schleimhaut. 

Es ist dies also ein gewagtes Resultat, welches man 
vermeiden muß. 

Die conservative Chirurgie muß sich daher mit dem 
Messer bewaffnen und die kranken Gewebe durch einen Schnitt 
entfernen. 

Die plastische Operation, die Entfernung ist das con- 
servirendc Mittel xxt e^o/rjv. 

In der Opferung eines Theiles liegt die totale Consor- 
virung der ganzen Function. 

Ich bin ein warmer Anhänger der plastischen Behandlung 
der Erkrankungen des Cervix, sobald der Proceß chronisch 
wird, selbst in den scheinbar ganz einfachen Fällen hat mich 
die Erfahrung gelehrt, daß die geringsten Läsionen häufig 
durch jede andere Behandlung incurabel sind. 

Deformationen. Die Deformationen entzündlichen 
Ursprungs, wie Verlängeiung des mittleren Segmentes mit 
starker Flexion und Atresie des Orif. int., die Deformation 
der Portio vag. mit Atresie und Verschiebung des Ostium ext. 
bilden namentlich, wenn sie mit abnormer Entwicklung der 
Vagina verbunden sind, nicht unwesentliche Hindernisse der 
Föcundation. 

Und selbst wenn der Entzündungsproceß spontan oder 
in Folge der Behandlung längst verschwunden ist, bleiben oft 
mangelhafte mechanische Verhältnisse zurück. Diese abnormen 
Verhältnisse sind gerade das Gegentbeil von jenen, welche 
bei der Virgo bestehen, die man doch als Ideal für die Con- 
ception ansehen muß. 

Man findet eine bedeutende Erweiterung des vaginalen 
Blindsackes dort, wo eine regelmäßige cylindrische Form be¬ 
stehen müßte; man findet eine bedeutende Länge der Portio 
vag. und eine Verengerung des Orifieiums dort, wo ein kurzer 
und genügend offener Cervix bestehen müßte. 

Ich erinnere ferner an die entzündlichen Veränderungen 
des Secretionsapparates des Cervix. Die Wiederherstellung der 
physiologischen Function erfordert daher: Die Theile approxi¬ 
mativ so zurückzubringen, wie sie im virginalen Zustande 
bestehen. 

Hier muß die Chirurgie, um conservativ zu sein, unbarm¬ 
herzig gegen jedes pathologische Element sein. Die plastische 
Wiederherstellung der Organe muß Hand in Hand gehen mit 
der Heilung der Entzündung. Wird dieses physiologische Ziel 
der functionellen Wiederherstellung verkannt oder vernach¬ 
lässigt, so bleibt Sterilität zurück, trotzdem die Krankheit ge¬ 
heilt ist. Die Möglichkeit einer Conception darf nicht Sache 
des Zufalles sein, sondern das Resultat muß wissentlich und mit 
Absicht von den behandelnden Gynäkologen vorbereitet sein. 

Von diesem Gedanken geleitet, muß das Vorgehen der 
Gynäkologen ein actives sein, und hier muß die conservative 
Chirurgie das höchste und das vollständigste Resultat erstreben. 

Deviationen. Ich würde mich nicht länger über die 
Frage der Uterusdeviationen, namentlich überden Prolaps und 
die Retrodeviation auslassen, wenn nicht auch hier die Wahl 
der Behandlungsmethoden auf anatomisch-physiologischer Basis 
nöthig wäre. Es scheint mir, daß theils theoretische Ausein¬ 
andersetzungen geltend gemacht worden sind, die nie ernstlich 
vertheidigt werden könnten, wenn man die natürliche Rolle 
der Stützorgane und der Ligamente des Uterus berücksich¬ 
tigt hätte. 


Ich glaube, daß die auf künstlichen Adhäsionen der Gebär¬ 
mutter mit dem Peritoneum pariet. basirenden Verfahren un¬ 
gewiß und unsicher sind, weil man auf derartige Adhäsionen 
nicht als auf solide Stützen rechnen kann. Sehen wir doch 
täglich seröse Adhäsionen sich dehnen, schwächen und ver¬ 
schwinden. Man setzt daher durch die Vereinigung des Uterus 
mit der Bauchwand die Patientinnen einem Zufall aus, da 
leicht durch eine Anstrengung, durch ein Trauma und schlie߬ 
lich durch spontane Rückkehr des Organs in seine abnorme 
Position das Resultat ein illusorisches wird. 

Wird die Frau zufällig gravid, so verliert zweifellos der 
Uterus seine Verbindung mit der Bauch wand. Ich gebe zu, 
daß glückliche Fälle Vorkommen; dies sind aber hauptsächlich 
solche von leichter oder einfacher Retroversio oder solche von 
Deviation mit Entzündung der Adnexa, die exstirpirt wor¬ 
den sind. 

Die Discussion könnte mich zu weit führen; ich stelle 
daher nur die Frage, ob es nicht besser ist, die natürlichen 
Stützen des Uterus und der Uterusligamente, welche als physio¬ 
logische Behelfe anerkannt werden müssen, als abnorme Ver¬ 
bindungen mittelst eines pathologischen, ganz unverläßlichen 
Processes wieder herzustellen. Für mich ist die Antwort ganz 
präcis. Ich habe in den plastischen Vaginaloperationen, ver¬ 
bunden mit Resection der verlängerten oder an ihrem peripheren 
Ende atonisch gewordenen Ligamente, die praktische Ver¬ 
wirklichung der Rückkehr zum normalen Zustand gefunden. 

Von 60 Fällen, die ich im Laufe von 3 Jahren behandelte, 
sah ich 7mal Schwangerschaft eintreten. 

In einem Falle habe ich auf diese Weise die Sterilität 
einer seit 7 Jahren verheirateten Frau erzielt, und verfüge 
über eine Reihe nicht persönlicher Fälle, die auf ähnliche 
Weise geheilt worden sind. 

Auf der anderen Seite habe ich in fast der Hälfte der 
Fälle nach der Ventrofixation des Uterus Wiedereintreten der 
Deviation gesehen und ich glaube nicht, daß je Sterilität durch 
dieses Verfahren geheilt worden ist. 

Wenn es sich um Deviationen handelt, die mit entzünd¬ 
lichen Tumoren der Adnexa verbunden sind, so wird die Frage 
complicirter und wir gelangen somit zur Discussion der Be¬ 
handlung der Salpingitis, Oophoritis und anderer peri onealer 
Exsudate. 

Oophorosalpingitis. Ich will nicht wieder die 
Debatte beginnen zwischen dem Verfahren, welches radieal die 
entzündeten Organe opfert, und der conservativen Therapie. 

Ohne ultraconservativ zu sein, muß ich gestehen, daß ich 
häufig mehrere Monate hindurch eine radieale Operation ver¬ 
schoben habe, da ich nicht selten durch die sogenannten kleinen 
Mittel (Erweiterung des Uterus. Curettement, Drainage, Ruhe, 
Bäder, Massage, Elektricität etc.) Heilung gesehen habe. 

Als Beweis will ich die Resultate einer ziemlich aus¬ 
giebigen Statistik mittheilen. 

Von 140 , im Laufe von 2 Jahren beobachteten und länger 
verfolgten Fällen habe ich in mehr als 1 i s durch die erwähnten 
Mittel eine solche Besserung erzielt, daß die Kranken jede 
weitere Intervention zurückgewiesen haben. 

In 30 anderen hartnäckigeren und häufig recidivirenden 
Fällen habe ich mit Erfolg die intrauterine Therapie an¬ 
gewendet. 

In 22 Fällen wurden die Kranken, wenn nicht geheilt, 
so doch derart gebessert, daß sie keinerlei Beschwerden hatten, 
und wenn ich dieselben blos als gebessert angebe, so geschieht 
dies nicht, weil sie irgend welcho Klagen führen, sondern blos, 
weil ich bei der einen oder anderen noch Reste der alten 
Krankheit wiederfinde. 

Unter 25 Fällen, bei denen ich veraltete, mit Deviation 
(Retroversio oder Prolaps) verbundene Oophorosalpingitis operirt 
habe, kann ich nur zwei Mißerfolge verzeichnen: Bei einem 
in Folge eines Fibroids des mittleren Segments des Uterus, 
bei dem zweiten in Folge einer mnltiloculären Ovariencyste. 


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In allen anderen Fällen wurde die Heilung der Deviation, 
sowie auch vollständiges Schwinden der durch die Entzündung 
der Adnexa bedingten Beschwerden erzielt. 

2 von diesen Kranken haben wieder concipirt. 

Schließlich habe ich in 39 Fällen wegen häufiger Wieder¬ 
holung der Recidiven oder wegen kleiner Neoplasmen oder 
endlich wegen alter Erkrankungen, wie Pyosalpinx, Hämatokele, 
hämorrh. Oophoritis mit großen Cysten, verschiedenen Tu¬ 
moren etc. sofort die Laparotomie und die Exstirpation gemacht. 

In Summa habe ich also in ungefähr */ 8 der Fälle (39). 
die primäre Exstirpation der Adnexa, in 10 anderen die 
secundäre ausgeführt, während ich in den zwei anderen Dritteln 
ohne Operation und mittelst minimaler Eingriffe symptomatische 
Heilung erzielt habe. 

Ueberdies sind von den nicht radical operirten Frauen 
2 gravid geworden, was mit den 7 anderen bereits erwähnten 
Fällen */io # /o ausmacht, wobei aber die Beobachtungen nur 
auf 2 Jahre und auf die längere Zeit beobachteten Kranken 
sich erstrecken. 

Die natürliche Schlußfölgerung aus diesen Thatsachen 
ist, daß es immer von Interesse ist, die Therapie mit der so¬ 
genannten medicinischen Behandlung zu beginnen, hierauf sich 
mit der kleinen Chirurgie zu behelfen Hnd erst nach Versagen 
dieser Methoden zu definitiven Opfern zu greifen. In einer 
gewissen Zahl von Fällen kann man oder muß man sogar 
sofort die Exstirpation vornehmen. 

Fibromvome. Ich will mit der Frage der Uterus¬ 
neoplasmen schließen. Die Blutung und die Zunahme der Ge¬ 
schwulst bilden die gewöhnlichen Symptome derselben. Zu¬ 
weilen kommen noch die Schmerzen dazu. Sprechen wir zu¬ 
nächst von den Fibroiden. Ich habe häufig mit Autorität die 
Entfernung der Adnexa oder selbst der Gebärmutter loben 
gehört in Fällen, welche einzig und allein durch die Blutung 
charakterisirt sind und bei welchen man die Entwicklung 
eines Fibroms nur vermuthen kann. 

Ich kann beweisen, daß eine directe und sorgfältige 
Untersuchung, verbunden mit der kleinen Chirurgie, zuweilen 
genügt, um solche irreparable und für junge Frauen nicht 
gleichgültige Opfer zu vermeiden. 

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß durch progressive 
Erweiterung mittelst Dilatatoren, welche nach 24—36 Stunden 
bereits eine intrauterine Touchirung ermöglichen und die 
Uteruswand der Palpation zugänglich machen, der Gynäkologe 
leicht' die Existenz kleiner und gar nicht vermutheter Fibrome 
entdecken kann. 

In etwa 15 Fällen konnte ich so durch eine rasch© 
Intervention die Enucleation von Fibromen vornehmen, die 
tief in die Uteruswand eingeschlossen waren und deren Größe 
von der einer Kirsche bis zu der einer Nuß schwankte. 

Ich glaube, daß den modernen, in den großen chirurgischen 
Operationen sehr geschickten Gynäkologen ein wenig Geduld 
und der Wille fehlt, zu dem, was die alte Gynäkologie 
Gutes hatte, zurüokzukehren. Von dieser Behauptung bis zur 
Anpreisung des conservativen Verfahrens der subserösen Enuclea¬ 
tion nach Martin ist nur ein Schritt, und in der That ist 
dieses Verfahren allgemein in Frankreich fül die günstigen 
Fälle adoptirt. 

Dort, wo ein Carcinom vorhanden ist, kann man nicht 
radical genug Vorgehen. Beim inveterirten Prolaps, der übrigens 
nur bei alten Frauen vorkommt, hat man auf die Fortpflan¬ 
zung der Art keine Rücksicht zu nehmen und muß sich hüten, 
zu conservativ zu sein. In solchen Fällen kann jeder Operateur 
nach Belieben und je nach den Umständen sein eigenes Ver¬ 
fahren wählen. 

In dieser Excursion durch das Gebiet der gynäkologischen 
Chirurgie wollte ich keine Regeln aufstellen. Doch schien 
es mir von Wichtigkeit, eine Bedingung des Erfolges der 
activen Gynäkologie festzustellen. Ich glaube nämlich, daß 


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die physiologische Periode unserer Kunst eine conditio 
sine qua non für die Stabilität und deren Fortschritte geworden 
ist. Bei gefährlichen Neoplasmen — so gründlich als möglich 
zu operiren, da ist kein Opfer zu groß; bei entzündlichen oder 
mechanischen Störungen aber, sowie bei gutartigen Neubil¬ 
dungen — Geduld und conservative Chirurgie; das ist die 
Richtschnur der modernen Gynäkologie. Die Zukunft gehört, 
meiner Ansicht nach, denjenigen, die heilen werden, ohne zu 
zerstören; sic gehört denjenigen, die in der kunstvolleren, 
glänzenderen, schwierigeren, folglich auch anregenderen con- 
servativeu Chirurgie ihre Aufgabe erblicken und nicht in 
jener, deren einziges Ziel die radicale Exstirpation der Organe 
ist. Die Zukunft gehört mit einem Worte den conservi- 
renden und nicht den zerstörenden Methoden. 


Aus der Klinik des Prof. v. Koränyi in Budapest. 

Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Dr. Morix Strioker und Dr. Wilhelm Friedrich. 

(Fortsetzung.) 

B. Bei Herzkranken. 

Unseres Wissens finden wir in der Literatur nirgends 
eine Erwähnung davon, welchen Einfluß die innerliche Auf¬ 
nahme des Wasser verschiedener Temperatur auf das kranke 
Herz besitzt. Aus diesem Grunde vollführten wir an 
mit kranken Herzen behafteten Personen Versuche nach 
derselben Art und Weise, wie wir selbe im ersten Abschnitte 
detaillirten. 

Diese mühsamen Experimente, welche auch für den 
Kranken ermüdend waren und bei letzteren besondere Geduld 
voraussetzten, konnten wir natürlich nicht in zahlreichen Fällen 
ausführen, und zwar schon darum nicht, weil, wie uns der 
erste Abschnitt lehrte, das Trinken von Wasser höherer Tem¬ 
peratur schon aufs normale Herz eine bedeutende Wirkung 
ausübt und wir es schon im Vorhinein natürlich fanden, daß 
das kranke Herz auf denselben Factor in ähnlichem oder 
vielleicht gar in noch höherem Maße reagiren würde, und 
es für den Herzkranken, bei welchem die Herzaction 
eventuell schon beschleunigt und der Blutdruck erhöht 
ist, doch nicht gleichgiltig sein kann, wenn die Herz¬ 
bewegungen um 18—20 Schläge in der Minute zunehmen, 
der Blutdruck aber, wenn auch nur auf kurze Zeit, um 20 
bis 25 Mm. steigt; aber noch weniger können Experimente 
ohne schädlichen Einfluß bleiben in jenen Fällen, wo das 
Herz incompensirt, die Herzaction arhythmisch, der Puls klein, 
von geringer Fülle und Spannung ist, und wenn in solchen 
Fällen die Herzaction abnimmt, der Blutdruck sich vermindert, 
wie wir das nach dem Trinken kalten Wassers beobachteten. 
Wir unternahmen daher unsere diesbezüglichen Versuche 
nur bei drei Herzkranken, bei welchen aber die Herz¬ 
klappenerkrankung in verschiedenem Grade entwickelt war, 
d. h. bei compensirten, weniger compensirten und drittens 
stark incompensirten Herzen, und zwar bei folgenden 
Kranken: 

I. 0. N., 17 J. alt, Rauchfangkehrer, ist seit 8 Monaten 

krank. Am Halse lebhafte Pulsation der Carotiden; im Jugulum 
der Aortabogeu gut fühlbar. Die Herzgegend hervorgewölbt. Der 
Herzspitzenstoß im 6. Intercostalraum, 1 Cm. außerhalb der 
Mamillarlinie, hebend. Der Arterienpuls schnellend, rhythmisch, Zahl 
der Pulsschläge 85 in der Minute. Blutdruck am Radialarterien¬ 
pulse 120—125 Mm. Hg. Zahl der Athembewegungen 23 in der 
Minute. 


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1890. — 


Die Herzdampfung reicht von der 3. Rippe bis zum oberen 
Rande der 7., nach außen bis zum Herzspitzenstoß, gegen die Mittel¬ 
linie bis zum linken Rande des Brustbeines. Ueber der Herzspitze 
ein reiner systolischer Ton und schwaches diastolisches Geräusch, 
welch letzteres gegen die Aorta zu stärker wird und über derselben 
das Maximum erreicht. Im Urin ist Eiweiß nicht nachweisbar. Haut¬ 
ödem, Ascites nicht vorhanden. 

Diagnose: Hypertrophia ventriculioordis sinistri. 
In sufficien ti a valvul. semilun. aortae. 

II. F. J., 31 J. alt, Maurer, ist seit einem Jahre krank. Auf 
dem Fußrticken und in der Knöchelgegend wenig Oedem. Gesichts¬ 
farbe blaß, am Halse ein wenig erweiterte Venen. Herzspitzenstoß 
im 6. Intercostalraum, in der Mamillarlinie ein wenig ausgebreitet. 
Der Puls etwas kleiner, mäßig voll und gespannt, rhythmisch; die 
Zahl der Pulsschläge 94 in der Minute, Blutdruck an der Radial¬ 
arterie 110 Mm. Hg. Die Herzdämpfung reicht von dem unteren 
Rande der 3. Rippe bis zum unteren Rande der 6., auswärts bis 
zum Herzspitzenstoß, einwärts als absolute Dämpfung bis zur Mitte, 
als relative bis zum rechten Rand des Brustbeines. 

An der Herzspitze, ein starkes, pfeifendes systolisches Ge¬ 
räusch und ein dumpfer diastolischer Ton; gegen die Aorta zu 
verändert sich der Charakter des systolischen Geräusches und ist 
über der Aorta ein rauhes systolisches Geräusch und ein reiner 
diastolischer Ton hörbar. Die Töne der Art. pulmon. sind rein, 
der 2. Ton verstärkt. 

Im Urin Spuren von Eiweiß, bei mikroskopischer Untersuchung 
fremde Elemente nicht sichtbar. 

Patient klagt über häufige Kopfschmerzen, Herzklopfen, 
Atbembe8cbwerden, welche besonders beim Gehen zunehmen. 

Diagnose: Hypertrophia ventrieuli cordis sin. et 
dextri. Insuff, valvul. bicusp. Stenosis ostii arter 
sin ist. (?) 

III. Zs. E., 21 J. alt, Kellnet. Vorhergegangene Gelenks¬ 
entzündung. 

Ist seit 22 Monaten krank, Gesichtsfarbe auffallend blaß; 
Cyanose besonders bemerkbar an der Jochbeingegend und den Ohr¬ 
läppchen. 

Starkes Hautödem der unteren Extremitäten, in der Bauch¬ 
höhle geringer Ascites, Handrücken ein wenig ödematös. Am Halse 
erweiterte undulirende Venen. Links zwischen der 3. und 5. Rippe 
die Brustwand stark bervorgewölbt. 

Herzspitzenstoß im 5. Rippenzwischcnraume, innerhalb der 
Mamillarlinie, schwach. Der diffuse Herzstoß reicht bis zur Mitte 
des Brustbeines. Der Puls klein, arhythmiscb, leicht unterdrückbar, 
Zahl der Pulsschläge 79 in der Minute, Blutdruck an der Radial¬ 
arterie 78—80 Mm. Hg. Dyspnoe, Atbembewegungen oberflächlich, 
vermehrt, ihre Zahl 25 in der Minute. Im Epigastrium schwache 
Pulsation fühlbar. Der glatte Rand der Leber ist auf 2 Finger 
unter dem Rippenbogen tastbar. Die Herzdämpfung reicht vom 
oberen Rande der 3. bis zum oberen Rand der 6. Rippe, nach 
innen überragt sie den rechten Rand des Brustbeines um 1 Cm. 

Ueber der Herzspitze starkes pfeifendes systolisches und 
diastolisches Geräusch, die Töne der großen Gefäße sind rein, der 
2. Ton der Art. pulmonalis verstärkt. Ueber der Lunge rauhes 
vesiculäres Athemgeräusch, von zahlreichen großblasigen Rassel¬ 
geräuschen begleitet. Im Urin wenig Eiweiß, bei mikroskopischer 
Untersuchung fremde Elemente nicht sichtbar. Patient klagt über 
besondere Schwäche, öfteres Herzklopfen, Athembeschwerden, 
welche beim Gehen bedeutend wachsen und über Hustenreiz mit 
reichem Auswurfe. 

Diagnose: Hyportrophia ventrieuli cordis dextri. 
Insuff, valvul bicusp. ct Stenosis ostii vonosi sin. 
Catarrhus bronchialis. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

i. Stilling (Straßburg): Anilinfarbstoffe als Antiieptioa 
und ihre Anwendung in der Praxis. 

Nach der Fluth von Arbeiten über die antiseptische Wirkung 
der Anilinfarbstoffe, die auf die erste Publication St.’s gefolgt ist, 
findet es Verf. für nothwendig, theils um eine Reihe von Irrthümern 
richtig zu stellen, theils um seine seitherigen Erfahrungen bekannt 
zu geben, eine zweite Mittheilung über den genannten Gegenstand 
zu veröffentlichen. *) 

Docent Dr. Wortmann theilt zunächst in einem botanischen 
Theile des Buches die Resultate seiner Experimente über die ent¬ 
wicklungshemmenden und bacterientödtendeu Eigenschaften der Anilin¬ 
farbstoffe mit. 

Was zunächst die ersteren betrifft, so lehrten seine Versuche, 
daß das Methylviolett in Concentrationen von 1 : 2000 jegliche 
Entwicklung selbst der resistentesten Fäulnißbacterien dauernd 
verhindert. Seine Versuche zeigen aber auch, daß gefärbte Bacterien 
sich unter Umständen noch theilen können, daß tief gefärbte, in 
ihren Functionen stark behinderte Zellen durch Uebertragung in 
ein anderes Medium den aufgespeicherteu Farbstoff allmälig abgeben 
können und dann normal weiter vegetiren. 

Dieses Verhalten gibt einen Fingerzeig für die Art und Weise 
der Einwirkung der Anilinfarbstoffe auf die lebende Zelle, insoferne 
die Abschwächung, respective Tödtung der Zelle wohl nicht auf 
chemischem Wege, d. h. durch Verbindung des Farbstoffes mit dem 
Protoplasma, sondern vielmehr auf mechanischem Wege erfolgt, eine 
Thatsache die W. noch durch weitere Versuche beweist. 

Gegenüber den pathogenen Bacterien und ganz speciell gegen¬ 
über den Eitercoccen und dem Milzbrandbacillus ist die Wirkung 
noch vielfach g< steigert, so daß bereits homöopathische Verdünnung 
die Entwicklung der Bacterien dauernd hemmt. 

Was die bacterientödtenden Eigenschaften betrifft, so lehren 
die Versuche W.’s, daß Metbylviolett in einer Concentration von 
1 : 1000 die Fäulnißbacterien in 1 3 Stunde, in einer Concentration 
von 1 : 2000 in einer Stunde sicher tödtet. 

Die Versuche zeigen auch, daß nur dann eine Zelle sicher 
getödtet ist, wenn sie den aufgespeicherten Farbstoff festhält und 
selbst nach tagelangem Verweilen in nicht gefärbten Flüssigkeiten 
nicht wieder abgibt, daß dagegen Zellen, welche durch den auf* 
genommenen Farbstoff noch Dicht getödtet sind, denselben nach 
küizerer oder längerer Zeit wieder abgeben uud sich entfärben. 

Die Färbung der Bacterien zellen an sich ist daher noch 
durchaus kein Beweis des eingetretenen Todes, sondern es kommt 
darauf an, einer Zelle in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Farb¬ 
stoff zuzuführen, sie also mit concentrirten Lösungen zu behandeln, 
oder falls man weniger concentrirte Lösungen anwendet, sie in 
diesen dauernd zu belassen. 

Die Versuche mit pathogenen Bacterien ergaben, daß ein 
Verweilen der Milzbrandstäbchen in einer Lösung von nur 1 : 16.000 
während nur 10 Minuten tödtlich wirkt. Ebenso wurden die Stäbchen 
getödtet durch 5 Minuten langes Verweilen in einer Lösung 1 : 2000. 

Eitercoccen werden in eiuer Lösung von 1 : 10.000 nach 
15 Minuten, in einer solchen von 1 : 25.000 in 15 Minuten und 
in einer von 1: 50.000 in einer Stunde abgetödtet. 

Auch auf die Entwicklung der Milzbrandsporen übt Methyl 
violett schon bei relativ geringer Conceutration einen ganz wesent¬ 
lichen Einfluß und schließlich theilt W. Versuche mit, welche die 
antiseptische Einwirkung der Anilinfarbstoffe auch auf Schimmel¬ 
pilze dartbun. 

Im zweiten, physiologisch-medicinischen Theil des Buches führt 
Stilling zunächst an, daß auch für die thierische Zelle die Wirkung 
der Anilin farbstoft'e eine hauptsächlich mechanische ist und zieht zur 
Stütze dieser Ansicht Versuche an Thieren heran, deren ganzer 
Organismus der Eiuwirkung des Stoffes unterworfen wurde. Er theilt 
ferner Versuche an Thieren und Menschen mit, bei welchen er das 
reine Pyoktanin in den Conjunctivalsaok eingestaubt hatte, ohne 
die geringsten Reizerscheinungen hervorzurufen. Auch nach Ein- 

*) J. Stilli.no: „Anilinfarbstoffe als Antiseptica.“ Straßburg 1890. 
Carl J. Tböbner. 


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träuflung von Lösungen von 1 : 1000 bei Versuchstieren und beim 
Menschen konnte nie eine Reizung beobachtet werden, ja sogar 
Lößungen von 1 °/ 0 wurden lange fortgesetzt, ohne etwas anderes, 
als etwas Hyperämie hervorzurufen. j 

Kaninchen hat S. auf dem Rtlcken große Hautwunden bei- 
gebracht, dann das submucöse Gewebe gelockert und in die so ent¬ 
standene Höhlnng große Mengen reiner Substanz 2—3 Grm. ein- 
gefübrt. Die große Wunde verklebte uDter Bildung eines wie ver¬ 
goldet aussehenden Schorfes, es zeigte sich aber in der Umgebung 
nicht die geringste Schwellung oder Entzündung und das Allgemein-: 
befinden der Tbiere blieb ganz unverändert. 

Für die äußere Application, wie sie für chiiurgische Krank 1 
heilen aller Art zu geschehen hat, kann der Stoff demnach als voll: 
ständig ungiftig angesehen werden. 

S. hat seit seiner ersten Miltheilung nicht nur bei Versuchs- 
thiercn, sondern auch beim Menschen die reiue Substanz massen¬ 
haft auf Wunden und Gesellwürsfläcbeu ohne jede schädliche Wirkung 
aufgepulvert. Bei Empyemen hat er Lösungen von Methylviolett 1 : 5000 
bis 1 : 1000 ohne jeden Schaden in großen Mengen eiuspritzen gesehen. 

Das Pyoktanin coagulirt Eiweiß nicht, was man keinem einzigen 
der bisherigen Antiseptica naebrühmen kann und besitzt ein außer¬ 
ordentlich hohes Diffusionsvermögen. 

Wenn trotz dieser ausgezeichneten Eigenschaften des Mittels 
manche Autoren keine oder sogar schädliche Reaültate erzielt haben, 
so liegt dies nach S. in einer unrichtigen Anwendung desselben. 

Es handelt sich eben nicht einfach um ein Arzneimittel, sondern 
Hm die Ausbildung einer Methode, die sich vorläufig uoch in statd 
nasc’önüi befindet. Im Principe muß man trachten, in jedem einzelnen 
Falle das Mittel dahin zu bringen, wo die pathogenen Mikro¬ 
organismen sich wirklich befinden. 

In der. Chirurgie soll man das Pyoktanin im Ganzen für die 
Behandlung von eiterigen Processen wie das Jodoform gebrauchen. 

Man muß das ungelöste Pulver überall binbringen, wo Eiterung 
ist. Seine Versuche haben dargethan, daß die Eiterung coupirt 
werden kann, wenn das Pyoktanin mit den eiternden Geweben in 
innige Berührung gebracht wird. In Bezug auf die Sterilisation von 
Geschwüren und Furunkeln nach Knocheneiterungen und dergl. hat 
S. sehr günstige Erfahrungen gemacht. 

In der Augenheilkunde muß natürlich dasselbe Princip gelten; 
auch hier trägt die Nichtbeobachtung desselben, sowie die Anwendung, 
unreiner Präparate Schuld an den Mißerfolgen. 

Bei Blepharitis erreicht man sehr rasche Erfolge, wenn man 
die 2°/o Salbe oder den Stift verwendet, mit welchem man die 
Haarwurzeln touchiren muß. S. heilt, seitdem er das Methylviolett 
anwendet, selbst starke Blepharitis in der Regel binnen wenigen Tagen. 

Was die Conjunctivitis anbelangt, so hat er bei wirklich aus¬ 
gesprochener eiteriger Secretion die besfeu Erfolge. Einträuflung von 
Methylviolett 1 : 10.000, oder in anderen Fällen 2 °/ 0 gelbes und 
blaues Streupulver zeigten in den schwersten Fällen Bebr gute .Erfolge. 

Die Eiterung wurde so rasch und vollkommen coupirt, daß am 
anderen Tage das Auge gesund war. . 

Bei acuten, subacuten und chronischen Formen der Conjuncti¬ 
vitis erreichte S. mit Auraminlösungen 1 : 1000 bessere Resultate, 
als mit den anderen gebräuchlichen Mitteln. 

Bei den sogenannten Schwellungscatarrhen hatte er keine 
Erfolge zu verzeichnen. •*’ . 

Sieht man, daß das Mittel nicht gleich eine Besserung hervor 
ruft, so ist damit wenigstens in acuten Fällen der Beweis geliefert, 
daß das Mittel die Krankheitserreger nicht erreichen und tödten 
konnte, und muß man es alsdann bei Seite lassen. 

In einem Falle von Blennorrhoea neonatorum schwand die 
Eiterung auf Anwendung 2° 0 blauen Streupulvers binnen 3 bis 
4 Tagen. Als Regel muß man hier aufstellen, daß mit der Be¬ 
handlung nicht fortzufahren ist, wenn nach der ersten Application 
nicht eine Besserung oder gar eine Reizung eingetreten ist. 

In manchen Fällen von Blennorrhoea neonatorum sind die 
Erfolge weniger gut. Bei der Blennorrhoea älterer Individuen hat S. 
dagegen gute Erfolge gesehen. Da die Coccen eventuell tiefer sitzen 


können, so könnte mau in schweren Fällen vou Bleuuuorrkoca, 
Conjunctivitis c-rouposa eventuell die Conjunctiva scarificircn und in 
die Einschnitte stärkere Lösung oder Substanz bringen. 

Bei der Conjunctivitis granulosa hat S. recht gute Erfolge zu 
verzeichnen. Die mit dem Stift touebirten Granulationen saugen den 
Farbstoff sehr leicht auf, die Kranken haben keine Schmerzen und 
der Verlauf ist entschieden ein kürzerer als bei anderen Behandlungs¬ 
weisen. — Durch consequente längere Behandlung mit dem Blau¬ 
stift ist es S. gelungen, Pterygien zurttckzubringen, die schon alt 
waren und nur auf operativem Wege zu entfernen gewesen wären. 

Es soll dies nicht die directe bacterielle Natur dieser Er¬ 
krankung beweisen; das Pyoktanin tödiet auch die thierische Zelle. 
Ebenso gelang es in einem Falle ein ausgedehntes Epithelialcarcinom, 
welches auf der Mitte des Nasenrückens beginnend die vordere Wand 
des Thränensackes und die Hälfte des oberen Lides zerstört hatte, 
mit Pyoktanin zu heilen. Mit einem großen Stift wurde so tief als 
möglich sterilMrt und dann reine Substanz eingestreut. Diese Pro- 
cedur wurde mehrmals wiederholt; es bildete sich eine feste Anilin¬ 
decke, die nicht abzuzieheu war, nach einigen Wochen abfiel und 
eine glatte Narbe hinterließ. 

,Was die Krankheiten der Hornhaut betrifft, so behauptet S. 
nach seinen weiteren zahlreichen Erfahrungen hierüber nach wie vor, 
daß die Anilinbehandlung im Allgemeinen jede andere Behandlungs¬ 
weise weit hinter sich läßt. Er hat schwere Formen überraschend 
schnell heilen gesehen. 

Zeigt sich am folgenden Tag keine Besserung oder gar eine 
Verschlechterung, so ist das ein Beweis, daß es nicht gelungen ist, 
das Antisepticum überallhin in genügender Menge zu bringen. Man 
hat dann vielleicht zu spalten, nach der Spaltung sofort mit dem 
Stift oder einer Lösung zu sterilisiren. 

Das Pyoktanin entfaltet im Auge auffallender Weise eine 
schmerzstillende Wirkung lind beseitigt in Folge dessen auch sehr 
rasch Lidkrampf und Lichtscheu. Auch die günstigen Beobachtungen 
bei Keratitis parenchymatosa haben eine weitere Bestätigung erfahren; 
da die unverletzte Hornhaut sich nicht färbt und man bei der Be¬ 
handlung der Keratitis parenchymatosa einfach darauf zu rechnen 
hat, daß die in dem thierischen Gewebe eingebettete, mehr isolirte 
Zelle, den Farbstoff fester halten wird; so kommt in Frage, ob man 
nicht in hartnäckigen Fällen die Cornea leicht mit einer Irislanze 
anzustechen und dann erst das Pyoktanin aufzuträufeln hat, weil 
eine Cornea, deren Epithel verletzt ist, sioh intensiver färbt. 

Bei Iritis wird es sich künftig auch darum handeln die Kammer 
zu eröffnen und Anilin direct hineinznbringeu, z. B. bei schwerer 
eitriger Iritis und sympathischer Ophthalmie. 

Schließlich erwähnt S. die Erfolge des Pyoktanins bei Haut¬ 
krankheiten und in der Thierheilkunde und theilt die bis nun dar¬ 
gestellten Präparate mit. M. 

Neuere Arbeiten über Meohanotherapie. 

Literatur: 1. Kappfaeb (Zürich): Beitrag zur Kenntniß der Massage¬ 
wirkung (Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte, 1890). — 2. Haskbroek (Ham¬ 
burg): Die Erschütterungen in der ZANDER’schen Gymnastik (Hamburg 1890). 

— 3. Dollingkb (Budapest): Die Massage für Aerzte und Studirende (Stutt¬ 
gart 1890). — 4. Woltzendorff (Wiesbaden) : Die Massage in ihrer Bedeutung 
für den praktischen Arzt (Hamburg 1890). — 5. Mürell (London): Die 
Massotherapie oder die Massage als Behandlungsmethode, übersetzt von 
Dr. Otto Roth (Berlin 1890). — 6. Hakteliüs (Stockholm): Lehrbuch der 
schwedischen Heilgymnastik. Deutsche Ausgabe von Jürgensen und Pbeiakr 
(Leipzig 1890). — 7. Csüri (Budapest): - Die mechanische Behandlung des 
Magens (Orvosi Hetilap, 1890, Nr. 33, Pester med. chir. Presse, 1890, Nr. 37). 

— 8. Hünerfaüth (Homburg): Üeber die habituelle Obstipation und ihre Be¬ 
handlung (Wiesbaden 1890) — 9. Karnitzky: Bauchmassage an Kindern bei 
Stuhl Verstopfung (Arch. f. Kinderh , XII., 1. u 2. Heft). — 10. Hünerfaüth 
(Homburg): Rheumatismus und Gicht und deren Behandlung (Wiesbaden 1890). 

— 1J. Reibmayb (Wien): Kurze Anleitung zur mechanisch-physikalischen Be¬ 
handlung der Fettleibigkeit (Leipzig und Wien 1890). — 12. Norström (Paris): 
Cfephalalgie et Massage (Paris 1890). — 13. Ziegenspeck: Ueber Thdre Brandt’s 
Verfahren der Behandlung von Frauenleiden (Volkmann’s Samml Nr. 353,4). — 
14. Freodknberg (Kreuznach): Ueber mechanische Behandlung von Gebär¬ 
muttergeschwülsten (Berlin und Leipzig 1890). 

Von den in neuerer Zeit zahlreich aufgetauchten literarischen 
Erzeugnissen über Mechanotherapie, wie nach einem im Jahre 1874 
gemachten Vorschläge Billroth’s Massage und Gymnastik wohl am 


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Entsprechendsten bezeichnet werden, verfolgen nur zwei jene Rich¬ 
tung, in welcher dieser jüngste Zweig der Therapie seiner Vervoll¬ 
kommnung harrt, nfimlich die Frage nach der physiologischen 
Wirkung mechanischer Behandlung. Kappeler (1) hat die bekannten 
Thierversuche Mosengeil’s behufs Beantwortung der auch praktisch 
wichtigen Frage benützt, ob Mikroorganismen durch centripetale 
Massagehandgriffe aus peripheren Körpertheilen in den Kreislauf 
gebracht werden können. Zu diesem Zwecke injicirte er Kaninchen 
eine wässerige Aufschwemmung von Staphylococcus aureus in ein 
Kniegelenk und massirte dasselbe wiederholt am ersten und den 
folgenden Versuchstagen, ohne eine Verkleinerung des Ergusses er¬ 
zielen zu können. Die Section der Thiere ergab constant, daß, zum 
Unterschiede von Mosengeil’s Touchepartikelchen, der Staphylo¬ 
coccus aureus die Lymphbahnen nicht passirt, sondern daß es in 
den massirten Gelenken zur Entwicklung eines eiterigen Exsudates 
kommt, in welchem die Mikroorganismen lange Zeit (über 120 Tage), 
lebensfähig bleiben. Diese Versuchsresultate, die jedoch — wie 
ausdrücklich hervorgehoben wird — nur mit Staphylococcus aureus 
erhalten wurden (andere Mikroorganismen bat K. bisher nicht ge¬ 
prüft), erklärt Verf. durch den Umstand, daß der „Staphylococcus 
durch reine tntzündungserregende Eigenschaft die Propagation in 
und durch die Lymphgefäße bindert“. Sie erklären uns, warum 
die Massage infcctiös-entzündlicber Localprocesse dem Organismus 
häufig keinen Schaden brachte, sind jedoch nichts weniger als 
geeignet, die Indicationen der Mechanotherapie zu erweitern. 

In einer sehr fleißigen Arbeit suchte Hasebroek (2) den 
Einfluß der mittelst der ZANDER’schen Apparate ausgeführten Er¬ 
schütterungen (Vibrations) und Eackuugen (Tapotement) auf das 
Circulations- und Respirationssystem festzustellen und zu erklären. 
Zu diesem Zwecke machte er vor und nach der Application der 
Apparate genaue sphygmographische Aufnahmen, welche Abnahme 
der Pulsfrequenz, vasomotorische Erhöhung der Arterienspannung, 
Erhöhung des Tonus der Herzmusculatur und Blutdrucksteigerung 
aufwiesen. Der von H. unternommene Erklärungsversuch dieser 
Wirkung der Erschütterungen und Vibrationen auf die Circulations- 
organe nimmt als wahrscheinlich an, daß die Vermittlerrolle der 
Vagus, resp. das pulsverlangsamende Centrum in der Medulla ob- 
longata, übernimmt, und denkt sich den Vorgang derart, daß hier 
sowohl die directe, als auch die refleclorische Wirkung der Er¬ 
schütterung in Frage kommen. Von einer Reizung des fest und 
sicher eingebetteten Vagusatammes durch die Erschütterung des 
Thorax kann wohl keine Rede sein; naheliegender ist die Möglich¬ 
keit , daß die Aeste des Vagus (der Plexus cardiacus,* zumal die 
langen Rami cardiaci und der N. recurrens), ihrer exponirteren Lage 
wegen, leichten Erschütterungen und Vibrationen ausgesetzt sind. 
Nun bestehen aber diese Vaguszweige nicht nur aus berzhemmenden, 
sondern auch aus herzbeschleunigeuden, durch Vermittlung des 
Ganglion cervicale infimum vom Sympathicus kommenden Fasern, 
welche aber den verlangsamenden Vagusfasern in ihrer Wirkung 
untergeordnet sind. Eine Reizung der Rami cardiaci durch Er¬ 
schütterung wird daher eine von den Sympathicusfasern ungestörte 
pulsverlangsamende W’irkung haben. Dio Erschütterungen reizen 

F euilleton. 

Die ärztliche Ueberwackung der Pariser 
Schulen.*) 

Die dermalige Einrichtung der ärztlichen Überwachung der 
Schulen besteht iu Paris erst seit dem Jahre 1884; doch auch 
schon vorher entbehrten die Unterrichtsanstalten nicht jeglicher 
Aufsicht in dieser Beziehung. Das Gesetz vom 28. Juni 1833 hatte 

*) Die Einführung d«-r Institution von Schulärzten, wie sie schon seit 
Jahren in unserem Bruderstaate, Ungarn, nctivirt ist, steht, d^n diesbezüg¬ 
lichen Beschlüssen des Obersten Sanitätsrathes zufolge, nunmehr auch in 
Oes terreich bevor. Wir sind daher des regen Interesses unserer Leser für 
die ans der Feder »ines der hervorragendsten Kenner und Verfechter dieser 
Institution stammende, uns freundlicbst zur Publication überlassene Studie 
über die in Frankreich diesbezüglich gemachten Erfahrungen gewiß. 

Die Red. 


in derselben Weise die Lungenäste des Vagus, indem sie auf den 
beweglichen Thoraxinhalt, zumal die Lungen und großen Bronchien, 
einwirken. Hiezu kommt noch die directe Uebertragung der Er¬ 
schütterung auf das Parenchym, sowie auf die Lungengefäße, welche 
auf directe Reize mit einer Verengerung ihres Lumens reagiren 
(Blutdrucketeigerung im großen Kreislauf). Die reflectorische Wir¬ 
kung der Erschütterung, z. B. des Rückens, ist in der Beeinflussung 
der Vasomotoren zu suchen. Gleichzeitig konnte H. bei Erschütte¬ 
rungen des Thorax eine Zunahme der vitalen Lungenoapaoität con- 
statiren, welche mit der Abnahme der Kohlensäureausscheidung 
einhergeht. Durch die Erschütterung des Lungenparenchyms und 
dio hiedurch bewirkte Verengerung der Lungengefäße wird die ge- 
sammte respiratorische Oberfläche des Lungenblutes verkleinert und 
die CO a -Ausscheidung verringert. Die im Blute zurückgehaltene 
Kohlensäure übt ihrerseits wieder einen bestimmenden Einfluß auf 
den Blutdruck aus, so daß der Einfluß der Thorax- und Rücken¬ 
erschütterungen auf das Circulations- und Respirationssystem außer 
Zweifel steht. Hackungen der Extremitäten besitzen, wie aus H.’s 
Versuchen horvorgeht, diese Wirkung nicht. Ans der klaren, auf 
dem sicheren Boden des Experimentes aufgebauten Arbeit geht 
hervor, daß Erschütterungen und Vibrationen des Rumpfes zunächst 
auf den Rhythmus der Herzaction und auf das Gefäßsystem wirken, 
also dieselben Punkte, welche das souveräne Herzmittel, die Digi¬ 
talis, hauptsächlich beeinflußt, mit welcher die Methode auch die 
Indicationen theilt. 

Unter den neuen Lehr- und Handbüchern über Massage ragt 
Dollinger’s Buch (3) hervor, welches, die übliche Eintheilung des 
reichen Stoffes beibehaltend, im allgemeinen Theile die Geschichte 
der Massage und deren wichtigste Handgriffe recht ausführlich, die 
Physiologie der Methode ein wenig cursorisch abhandelt. 8ubjectiver 
und eingehender ist der specielle Theil abgehandelt, welchem die 
Anwendung der Massage und Gymnastik in der Gynäkologie, eine 
treffliche Monographie von Dr. E. Berczbller, die Massage in der 
Augenheilkunde (recht übersichtlich von Dr. J. Csapodi bearbeitet) 
und in der Dermatologie, aus S. R6na’s bewährter Feder, sich an¬ 
schließen. Schade, daß die herzlich schlechten Abbildungen und eine 
Reibe sinnstörender Druckfehler (z. B. pag. 63 „Surge it ambulu“) 
den Werth des von vielseitiger eigener Erfahrung und großem 
Fleiße zeugenden Werkes beeinträchtigen. 

Ein anspruchsloses Büchlein iBt die für die Zwecke des prak¬ 
tischen Arztes bearbeitete Brochure WoLTZßNDORFF’s (4), und doch . 
möchten wir ihr vor manch dickleibigem Werke über Massage den 
Vorzug geben. In klarer, präciser Form, frei von allen Ab¬ 
schweifungen, schildert der Autor die wichtigsten Handgriffe der 
Massage, deren physiologische Wirkung und Anwendung bei 
äußeren, inneren, Nerven- und Frauenkrankheiten, sich allenthalben 
als wissenschaftlich gebildeter Arzt, wie als Beherrscher der Technik 
und trefflicher Kenner der Literatur erweisend. Wer rasch in 
unserer Disciplin orientirt sein will, lese Woltzkndorff’s Mono¬ 
graphie, deren wenige Holzschnitte fast ausnahmslos gut und in- 
structiv sind. (Schluß folgt.) 


die Schulcomite’s der einzelnen Gemeinden mit der Sorge für die 
Reinhaltuog der Schulen betraut, während eine königliche Ordonnanz 
vom 22. December 1837 den Aufsichtsdamen der Kinderasyle auftrug, 
dem Gesundheitszustände der daselbst untergebraohten Kleinen ein 
besonderes Augenmerk zuzuwenden. 

Für die Stadt Paris waren eigene Regierungsdecrete erflosseu, 
da die beiden Verordnungen sich auf sämmtliche Schulen Frankreichs 
bezogen. Die Erlässe vom 20. December 1842 und vom 19. Mai 1843 
ordneten an, daß an jeder öffentlichen Knaben- und Mädchenschule 
mindestens einmal wöchentlich behufs Untersuchung der Schullocali- 
täten und der Schulkinder ein Arzt erscheinen müsse; für die Privat- 
scbulen und Kinderbewahranstalten waren besondere Verfügungen 
getroffen worden. Die Sohulärzte an den öffentlichen Anstalten, 
sowie die inspieirenden Damen an den Kinderasylen wurden über 
Vorschlag des Maire vom Präfecten ernannt. 

So lobenswerth nun diese Einführung auch sein mochte, so hatte 
sie doch eine Lücke: in den Gemeindebndgets war kein Credit für 


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die Schulärzte aasgesetzt and man war daher genöthigt, an die 
Opferwilligkeit solcher Aerzte zn appelliren, die erbötig waren, den 
Dienst in den Schalen unentgeltlich za versehen. 

Da machten im Jänner 1878 die Mitglieder des Generalrathes 
des Seine-Departements, Mrs. Lauth und Habant, den Vorschlag zu 
einer Reorganisation des schulärztlichen Dienstes; ihr Bemühen blieb 
nicht ohne Erfolg, denn schon in der Sitzung vom 28. April 1879 
votirte der Generalrath zur Bestreitung der Auslagen für die ärzt¬ 
liche Ueberwachung der Schulen in den letzten 6 Monaten desselben 
Jahres die Summe von 34.200 Frcs. Besondere Erlässe des Prä- 
fecten bestimmten die genaue Durchführung einer diesbezüglich er¬ 
lassenen Verordnung, die am 15. Juli 1879 in Kraft trat; es wurde 
nämlich das Seine-Departement in 114 Rayons getheilt, von welchen 
85 auf Paris und 29 auf die Umgebung der Stadt entfielen; jeder 
Rayon umfasste 20—25 Classen. 

Die ärztlichen Inspeotoren, die graduirte Doctoren der Medicin 
sein mußten, wurden nach einem von jedem Maire eines Arron¬ 
dissements dem Präfecten unterbreiteten Terna - Vorschläge vom 
Präfecten ernannt; ihre Amtsdauer betrug 3 Jahre, ihre jähr¬ 
liche Besoldung belief sich auf 600 Frcs.; sie mußten die Schulen 
ihres Rayons mindestens zweimal monatlich besuchen, die Localitäten, 
sowie die Schüler einer genauen Untersuchung unterziehen und hatten 
die Verpflichtung, jene Schüler zu entfernen, die mit einer übertrag¬ 
baren Krankheit behaftet erschienen; sie konnten auch, falls dies 
nöthig war, die Schließung der Schule anordnen. 

Während der Abwesenheit des Arztes batten die Directoren 
und Directricen selbst über den Gesundheitszustand der Schüler ihrer 
Anstalten zu wachen; um ihnen diese Aufgabe zu erleichtern, bekamen 
sie eine eigene, vom obersten Sanitätsrathe der Hauptstadt ausge¬ 
arbeitete Instruction, nach welcher sie die Vorzeichen ansteckender 
Krankheiten erkennen konnten. In Paris stand der ärztliche Ueber- 
wachungsdienst der Schulen in jedem Arrondissement unter der 
Aufsicht des betreffenden Maire, in der Umgebung der Stadt unter 
jener des Vorstandes des jeweiligen Cantons. 

Bis zum Jahre 1882 wurden die Gesammtauslagen für die neue 
Einrichtung vom Departement bestritten aber schon in diesem Jahre 
wurde auch in das Gemeindebudget von Paris zum Zwecke der ärzt¬ 
lichen Ueberwachung der öffentlichen Volksschulen die Summe von 
53.000 Frcs. eingestellt. 

Die während der ersten dreijährigen Periode der Amtswirk¬ 
samkeit der Schulärzte mit diesen gemachten Erfahrungen führten 
bald zu verschiedenen Reformen; so sah man ein, daß die einem 
Arzte zugewiesene Zahl von 20 bis 25 Classen zu groß sei, daß 
in Folge dessen die Untersuchung jedes einzelnen Kindes nicht genau 
sein, daß sie sich namentlich nicht auf den Zustand der Augen, 
Ohren und Zähne, des Sitzes der meisten Krankheiten bei Kindern, 
erstrecken könne; es wurde nun dem Gemeinderathe von einer 
hiezu eigens eingesetzten Commission ein neues Statut unterbreitet, 
welches in der Sitzung vom 7. November 1883 angenommen und 
am 1. Jänner 1884 in Vollzug gesetzt wurde. 

Die wichtigsten Bestimmungen dieses auch noch heute 
geltenden Reglements lauten: Art. 2. Die öffentlichen Unter¬ 
richtsanstalten der Stadt Paris sind in Bezug auf die ärztliche 
Ueberwachung in Gruppen zu 15 bis 20 Classen zu theilen, wobei 
jeder Kindergarten für 2 Classen zählt. Die Eintheilung wird alle 
3 Jahre vom Seine-Präfecten vorgenommen; die inzwischen neu 
eröffneten Anstalten werden der näcbstgelegenen Gruppe zugewiesen. 
Art. 3. Die Besoldung jedes Schularztes beträgt 800 Frcs. jährlich. 
Art. 4. Die Schulärzte werden über Vorschlag des Maire vom 
Präfecten ernannt. Art. 5. Die Amtswirksamkeit jedes Schul¬ 
arztes beträgt 3 Jahre. Art. 8. Jeder Schularzt hat bei seinem 
Dienstantritte dem Maire seine Wohnung, sowie seine Ordinations¬ 
stunden anznzeigen ; diese Daten werden in den Schulen des be¬ 
treffenden Rayons öffentlich kondgemacht. Art. 9. In jeder 
Volksschule und in jedem Kindergarten hat ein eigenes Buch auf¬ 
zuliegen, in welches der Arzt die gemachten Wahrnehmungen ein¬ 
trägt. Dieses Buch muß den die Schule inspicirenden Amtspersonen 
jederzeit über Verlangen zur Einsichtnahme vorgelegt werden. 
Art. 10. Der Schularzt muß jede Volksschule und jeden Kinder¬ 
garten zweimal monatlich besuchen ; er muß aber außerdem auch dann 


erscheinen, wenn dies vom Maire oder vom Präfecten für nöthig er¬ 
achtet wird. Art. 11. Bei seinem Eintritt in die Anstalt hat der 
Arzt zunächst die Schullocalitäten (Gänge, Stiegen, Anstandsorte 
u. s. w.) einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen; hiebei 
hat ihn der Leiter oder die Leiterin der Anstalt zu begleiten, welchen 
er seine Wahrnehmungen mittheilt; hierauf begibt er sieh in jede 
einzelne Classe, und nachdem er das Zimmer in Bezug auf Be¬ 
leuchtung, Beheizung, Einrichtung, Ventilation u. 8. w. geprüft hat, 
nimmt er die Schüler vor, insbesondere aber jene, welche ihm 
von der Anstaltsleitung als mit Erscheinungen des Unwohlseins 
behaftet bezeichnet wurden. Nach Beendigung seiner Unter¬ 
suchung trägt der' Schularzt in das hiezu bestimmte Buch seine 
Wahrnehmungen ein; er beantwortet die in den einzelnen Rubriken 
verzeichneten Fragen und schreibt hierauf in die Rubrik „ad hoc“ 
die Namen jener Kinder ein, bei denen er so schwere Symptome 
einer herannahenden Krankheit wahrgenommen hat, daß deren Ent¬ 
fernung aus der Schule sich als nothwendig erweist, wobei auch 
anzugeben ist, ob die muthmaßliche Krankheit eine übertragbare ist 
oder nicht; endlich trägt er noch die Zahl der an dem Besuchstage 
krankheitshalber abwesenden Schüler ein und läßt sich von der Schul¬ 
leitung angeben, welche Krankheit unter den Kindern der Anstalt zu 
herrschen scheine. Art. 13. Mindestens einmal monatlich muß der 
Schularzt eine eingehende Untersuchung aller Kinder, und zwar in 
Bezug auf Augen, Ohren und Zähne derselben vornehmen; findet er bei 
einem Kinde Neigung zu einem diesbezüglichen Leiden und erfordert der 
allgemeine Gesundheitszustand des Kindes ganz besondere Beachtung 
seitens seiner Angehörigen, so werden diese hievon durch ein von 
dem Arzte ausgestelltes Certificat, das dem Kinde eingehändigt wird, 
benachrichtigt. Art. 14. Die Kinder, bei welchen der Arzt 
während seines Besuches Symptome einer ansteckenden Krankheit 
constatirt, müssen sofort mit einem versiegelten Briefe, in dem die 
Ursache dieser Maßregel angegeben ist, nach Hause geschickt 
werden : durch diesen Brief wird den Eltern eröffnet, daß ihr Kind 
nicht früher wieder die Schule besuchen darf, bis es vom Schulärzte 
ein Certificat zum Wiedereintritte erhalten hat. Art. 15. Jeder Schul¬ 
leitung wird eine, von einem hiezu bestellten Comitö des obersten 
Sanitätsrathes verfaßte Instruction übergeben, in der alle übertragbaren 
Krankheiten, sowie deren Symptome verzeichnet sind. Wird ein Kind in 
Abwesenheit des Schularztes krank, so hat dies die in der Gasse 
befindliche Lehrperson sogleich der Anstaltsleitung anzuzeigen; sind 
Anzeichen einer übertragbaren Krankheit vorhandeu, so muß das Kind 
mit einer versiegelten brieflichen Nachricht nach Hause geschickt werden; 
der Brief benachrichtigt die Eltern, daß sie behufs Untersuchung 
des Kindes sich in die Ordinationsstunde des Schularztes zu begeben 
haben. Art. 16. Ein Genesungs-Certificat kann auch von jenen 
Kindern gefordert werden, welche überhaupt krankheitshalber von 
der Schule weggeblieben sind, ohue jedoch vom Director oder vom 
Schulärzte nach Hause geschickt wordeu zu sein. Der Anstaltsleitung 
ist in diesem Falle auch die Art der Krankheit anzugeben, namentlich 
ob dieselbe eine übertragbare war; es müßte sich das Kind 
dann vor dem neuerlichen Schulbesuche einer ärztlichen Unter-, 
suchung seitens des Schularztes unterziehen und ein von diesem 
ausgefertigtes Certificat vorlegen. Art. 17. Behufs Erlangung 
eines solchen Certificats haben sich die Kinder selbst während der 
Ordinationsstunden zum Schulärzte zu begeben. Art. 18. Späte¬ 
stens 24 Stunden nach jeder ärztlichen Inspection hat der Arzt an 
den Maire seines Arrondissements Bericht über die sanitären Zu¬ 
stände der von ihm besuchten Anstalt zu erstatten. Vorgedruckte 
Formulare für diese Berichte, welche bestimmte, vom Arzte zu beant¬ 
wortende Fragen enthalten, werden jedem Schulärzte zur Verfügung 
gestellt. Art. 19. Die Maires aller Arrondissements lassen einen Auszug 
der in den vorgelegten Berichten enthaltenen Vorschläge anfertigen 
und unterbreiten ihrer Oberbehörde sofort alle jene Vorschläge 
und Maßnahmen, deren Ausführung ihnen von besonderer Wichtigkeit 
erscheint. Die Vorschläge, die mehr allgemeiner Natur und nicht von 
besonderer Dringlichkeit sind, werden einem eigenen Comitö zu. 
nochmaliger Prüfung und Erwägung überwiesen. Im Falle einer 
Epidemie stebt dem Maire das Recht zu, über Antrag des Arztes 
die sofortige Schließung einzelner Schulen zu veranlassen; doch 
muß über eine solche Maßnahme allsogleich an den Schulinspector 

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1667 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1668 


und an die Oberbehörde berichtet werden. Art. 2 0. Alle drei 
Monate richtet der Maire jedes Arrondissements einen ausftthrlichen 
Bericht an seine Vorgesetzte Behörde über die ärztliche Ueber- 
wachung der Schulen seines Arrondissements. Außer diesem Be¬ 
richte sind aber halbjährig noch ausführliche Berichte, die Ver¬ 
besser ungsvorscblfl ge, Ansichten der Unterbehörden über dieselben 
und über vorzunehmende Adaptirungen in Schulgebäuden u. s. w. 
enthalten, vorzulegen. 

Die ärztliche Ueberwachung der Pariser Primär-Schulen war 
im Jahre 1889 nach den uns vorliegenden amtlichen Berichten 126 
Aerzten anvertraut. Die im Qemeindebudget für diese Einrichtung 
ausgesetzte Summe belief sich auf 100.800 Frcs. 

Die schulärztliche Inspection von Paris hat als Muster für 
ähnlich organisirte Einrichtungen in anderen französischen Städten 
gedient; schon mittelst Ministerial-Verordnung vom 14. November 1879 
wurden sämmtliche Präfecten auf diese Institution aufmerksam ge¬ 
macht ; seither jedoch wurde durch das Gesetz über die Organisation 
des Volksschulunterrichtes vom 30. October 1886, sowie durch die 
Decrete und Verordnungen vom 18. November 1887 die ärztliche 
Ueberwachung sämmtlicber öffentlicher und privater Schulen obliga¬ 
torisch erklärt. 

Vor wenigen Jahren drückte aber der Pariser Gemeinderath den 
Wunsch aus, es möge mit dieser Einrichtung noch eine unentgeltliche 
ärztliche Untersuohungsanstalt — „dispensaire scolaire“ genannt — 
verbunden werden, und in derThat ist dermalen eine Reorganisation im 
Zuge, welche sowohl den Anforderungen des Gesetzes, als auch dem 
Wunsche der Pariser Stadtvertretung Rechnung tragen soll: der schul¬ 
ärztliche Ueberwachungsdienst soll durch die Einrichtung vollkommen 
unentgeltlicher ärztlicher Untersuchungsanstalten für 
Schulkinder in allen Arrondissements von Paris vervollständigt werden. 

Diese Schüler-Untersuchungsanstalten haben eine wesentlich 
andere Aufgabe zii lösen, als die Schulärzte; während diese blos 
über die Reinhaltung der Localitäten, über den Gesundheitszustand 
der Schüler wachen, ohne aber kranke Schüler in Pflege und am¬ 
bulatorische Behandlung zu nehmen, ergänzen die Untersuchungs¬ 
anstalten die von der Pariser Commune im Interesse der Gesundheit der 
Schuljugend getroffenen Maßnahmen in der Weise, daß daselbst die 
Kinder jederzeit unentgeltlich sowohl ärztlichen Rath, als auch Medi- 
cameute und, wenn nöthig, chirurgischen Beistand erhalten können. 

Schon seit dem Jahre 1862 bestanden zwar in Paris in ein¬ 
zelnen, namentlich in den besonders für Kinder bestimmten Spitälern, 
unentgeltliche Ordinationen ; Wohltbätigkeitsvereine — allen voran die 
berühmte Soci6t6 philantbropique — hatten ähnliche Einrichtungen ge¬ 
troffen ; doch waren diese Institutionen nicht ausschließlich für Kinder 
bestimmt, und die kleinen Patienten fanden auch nicht immer alles 
für eine Specialbehandlung Nöthige, als Medicamente, Bäder, Douchen 
n. s. w. in diesen Spitälern vor. Der Stadt Havre gebührt der 
Ruhm, die erste, ausschließlich für Kinder bestimmte ärztliche Unter- 
suchungsanstalt mit allen für die Behandlung erkrankter Kinder 
nöthigen Einrichtungen gegründet zu haben; im Jahre 1875 schuf 
nämlich Dr. Gibert mittelst freiwilliger Beiträge einzelner Gönner 
eine solche Anstalt, deren Erfolge alle Erwartungen tibertrafen. In 
Paris wurde das erste Dispensaire über Anregung des Dr. Dubrisay 
und des M. Baudof, Maire des 1. Arrondissements, am 1. April 1883 
in der rue Jean-Lantier Nr. 15 in einom den Gründern von der Stadt 
Paris unentgeltlich zur Verfügung gestellten Gebäude eröffnet. Seit 
seiner Gründung kamen in diesem Institut gegen 60.000 Consul- 
tationen vor, und zwar im ersten Jahre 5087, dann immer auf¬ 
steigend, bis sie im Jahre 1889 die Höhe von 19.000 erreichten. 
Die Ausgaben des Dispensaire betrugen im Jahre 1889 die Summe 
von 5980 Frcs., welchem Betrage jedoch Einnahmen aus frei¬ 
willigen Beiträgen in der Höhe von 8205 Frcs. gegenüberstanden. 

Das Vorgehen des 1. Arrondissements fand bald Nachahmung; 
heute bestehen solche Untersuchungsanstalten bereits in 8 Arron¬ 
dissements, die theilweise von Privaten — so das im 13. und 14. 
Arrondissement von Mme. Furtado Heine — theilweise von der 
Stadt Paris errichtet wurden; natürlich geht das Bestreben der 
Communalverwaltung und der Schulbehörden dahin, diese nützliche 
Einrichtung möglichst zu verbreiten und in jedem Arrondissement 
eine solche Anstalt nach dem Muster der in der me Jean-Lantier 


befindlichen zu gründen; zu diesem Behufe wurde auch in das vor¬ 
jährige Gemeindebudget die Summe von 100.000 Frcs. eingestellt, 
und alle Anzeichen sprechen dafür, daß in nicht allzu ferner 
Zeit der Wunsch des Pariser Gemeinderathes erfüllt und jedes Viertel 
der so großmüthigen Metropole mit einer eigenen, für Schulkinder 
bestimmten ärztlichen Untersuchungsanstalt deren interessante innere 
Einrichtung wir ein nächstes Mal besprechen wollen, versehen 
sein wird. Ludwig Fleischner. 


Kleine Mittheilungen. 

— Durch eine Arbeit aus der LEYDEN’schen Klinik auf das 
Creolinwasser als Desinfioiens für den Rachen aufmerksam gemacht, 
hat Dr. s. Itzig Creolin bei Angina lacunaris (Therap. Monatsh. 
Nr. 9) mit so eclatantem Erfolge benutzt, daß er die Wirkung dieses 
Mittels bei der genannten Krankheit für eine specifische hält. Die 
eitrigen PfrÖpfe in den Lacunen, sowie die Schwellung, Schmerz¬ 
haftigkeit und das Fieber schwanden innerhalb 24 Stunden, und die 
Kranken boten dann das erfreuliche Bild rascher Besserung. Diese 
so auffallend günstige Wirkung des Creolins veranlaßt I., diese 
Medication dringend zur Anwendung zu empfehlen. Er verschreibt 
eine lprocentige CreolinlösuDg und läßt dieselbe, mit gleichen Theilen 
oder auch etwas mehr warmen Wassers verdünnt, recht oft am Tage 
zum Gurgeln benutzen. Das unangenehme Brennen im Halse, welches 
das Creolin verursacht, schwindet rasch, wenn man mit reinem warmen 
Wasser nacbgurgoln läßt. 

— Von der Thatsache ausgehend, daß die Natur der Con¬ 
junctivitis granulosa eine Bekämpfung derselben mit Antisepticis er¬ 
heischt, ferner auf die Beobachtung gestützt, daß diese Krankheit 
nur bei einer gewissen Reizungsbyperämie der Conjunctiva abheilt, 
empfehlen die DDr. Gustav und Otto Kaining in Nr. 41 der 
„Deutsch, med. Wochen sehr.“ folgendes, an zahlreichen Fällen er¬ 
probtes Verfahren zur Heilung des Trachoms: Zunächst reinigt 
man das Auge sehr sorgfältig mit Sublimatlösung 1 : 2000; nachdem 
man den Pat. nach unten zu sehen aufgefordert und das obere Lid 
ectropionirt hat, reibt man mit einem in dieselbe Sublimatlösung 
getauchten Wattabausehen kräftig über die Conjunctiva tarsi, ebenso 
nach weiterem Aufheben des Tarsus mehrere Male über die Ueber- 
gangsfalte, wenn diese mit erkrankt ist, unbekümmert darum, ob 
die Conjunctiva ulcerös ist oder in Folge des Reibens blutet. In 
analoger Weise verfährt man mit einem frisch getränkten Watta¬ 
bausch am unteren Lid. Dieses Verfahren wiederholt man täglich 
1—2mal mit einer dem speciellen Bedürfniß anzupassenden Energie.' 
Die Schmerzen, welche durch die Reibungen verursacht werden, 
sind für diejenigen Pat., welche bereits mit Cuprum u. s. w. be-, 
handelt sind, gering, in frischen Fällen gerade erträglich, aber 
schon nach einigen Tagen ebenfalls gering. Man darf sich durch 
die nach der ersten Sitzung eintretenden heftigen Reizersohei- 
nungen nicht von einer systematischen Fortsetzung des Verfahrens 
abschrecken lassen. Es tritt regelmäßig eine ziemlich bedeutende 
Secretion ein, welche aber ebenso regelmäßig am 3.—5. Behand¬ 
lungstage nachläßt oder vollkommen aufhört. Da eine Entfernung 
des Secretes, namentlich beim Vorhandensein von Cornealaffectionen, 
sehr wünschenswerth ist, so läßt man 3mal täglich eine Stunde 
lang Umschläge mit einer lauwarmen Sublimatlösung 1 : 10.U00 
machen. Zuweilen tritt nach sehr energischem Reiben eine be¬ 
deutende Schwellung der ganzen Lider ein. Dieselbe mahnt dann 
zu etwas vorsichtigerem Vorgehen, einerseits, weil sie der Resorption 
der Körner nicht zuträglich ist, andererseits weil sie den Conjunctival- 
sack der Behandlung schwerer zugänglich macht. Man kann dann 
gezwungen sein, 1—2 Tage das Verfahren auszusetzen, um sich 
auf eine mildere Desinfection des Conjunctivalsackes durch leichtes 
Auspinseln zu beschränken. Oft bilden sich nach kräftigem Reiben, 
jedoch nur im Anfang der Behandlung, Membranen. In frischen 
Fällen läßt man dieselben sich spontan abstoßen und reibt nur über 
die intact gebliebenen Stellen, in alten Fällen braucht man auf die¬ 
selben weniger Rücksicht zu nehmen. Alle während der letzten zwei 
Jahre so behandelten Fälle von Trachom konnten in 2—6 Wochen 
geheilt werden. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


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— Auf Grundlage vielfacher Versuche an der med. Klinik 
des Prof. Sahli in Bern empfiehlt Dr. Aug. Favbat im „Deutsch. 
Archiv f. klin. Med.“ (46. Bd., 5. u. 6. Heft) die Antifebrini8ation 
in refracta dosi beim Typhus abdominalis und bei der Lungen¬ 
phthise. Das Antifebrin in 1 —2st(lndlich wiederholten Dosen 
von 0‘05—010 wird bei Typhus und Lungenphthise von den 
Kranken gut vertragen. Es bewirkt eine milde Antipyrese, bei 
der sich der Pat. wohlbefindet. Die Uebelstände der großen Dosen 
Antifebrin lassen sich durch diese Art der Darreichung zum größten 
Theil beseitigen. Bei Kindern ist es jedenfalls zweckmäßig, mit 
Dosen von 0*01 und 0‘02 zu beginnen. Beim Typhus gelingt es 
durch diese mäßige Antipyrese, das Fieber herabzusetzen und damit 
dem Pat. subjective Erleichterung zu verschaffen. Dies ist aber 
naeh F. die Hauptsache; denn das subjective Befinden ist, abge¬ 
sehen von Zuständen gestörten Bewußtseins oder gestörter Nerven¬ 
leitung, noch immer eines der zuverlässigsten Reagentien auf den 
Zustand des Gesammtorganismus. Auch das hectische Fieber der 
Phthisiker läßt sich durch wiederholte kleine Dosen von Antifebrin 
mit gutem Erfolg und subjectiver Erleichterung der Pat. bekämpfen. 
Das Mittel wirkt um so besser, je höher das Fieber ist. Bei Phthi¬ 
sikern genügt mitunter schon eine Dosis von 0’05—0*1, um das 
Fieber in 2 Stunden um mehr als 2° herabzudrücken. In Fällen, 
wo die Antipyrese lange fortgesetzt wird, tritt allmälig eine Ge¬ 
wöhnung ein, so daß die anfangs wirksamen Dosen später weniger 
wirken. In solchen Fällen dürfte es zweckmäßig sein, nicht die 
Dose zu steigern, sondern eine Zeit lang das Antifebrin auszusetzen 
oder durch ein anderes Mittel zu ersetzen. Man wird dann später 
durch die anfänglichen Dosen wieder die genügende Wirkung er¬ 
zielen. 

— Dr. Kums (Antwerpen) empfiehlt in Nr. 44 der „Sem. 
m6d.“ 8ubcutane Aetherinjectionen gegen Leberkoliken. Bei 

einem Kranken genügten 2 Injectionen in die Lebergegend, die 
eine zu Mittag, die andere des Abends, um eine bedeutende Er¬ 
leichterung zu verschaffen. Der Harn blieb noch icterisch, und als 
14 Tage später ein neuer Anfall eintrat, wurde derselbe neuerdings 
mittelst Aetherinjectionen bekämpft; der Urin wurde hierauf normal, 
und seit 2 Monaten zeigte sich kein neuer Anfall. Bei einem 
zweiten Kranken brachten 2mal täglich, Früh und Abends, durch 
2 Tage wiederholte Aetherinjectionen die Schmerzen vollständig zum 
Schwinden, worauf der Harn seine icterische Farbe verlor. An 
Stelle des freien Aethers kann man mit Erfolg ein Gemisch von 
gleichen Theilen Aether und Alkohol anwenden, ja K. zieht letzteres 
sogar vor, da er glaubt, daß der Aether sich leichter mit den Ge¬ 
weben mischt, wenn er mit Alkohol vermengt ist und in Folge dessen 
auch rascher wirkt. 

— Dr. Heimann theilt in Nr. 40 der „Berl. klin. Wsehr.“ 
einen Fall von durch ein Süßeres Trauma bedingter acuter 
Pneumonie mit. Ein 56jähriger Mann stürzte am 19. October 
Abends eine 10 Stufen hohe Treppe hinab und schlug dabei auf 
die rechte SeRe auf. Pat. hatte hierauf heftige Schmerzen, doch 
kein Fieber. Am 24. October trat heftiges Stechen rechts, Durst, 
starke Athemnoth und eine Temperatur von 40° auf. Die Per¬ 
cussion ergab RHU bis zur Axillarlinie absolute Dämpfung, auscul- 
tatorisch war Bronchialathmen mit klingenden Rasselgeräuschen und 
starkes pleuritisches Schaben wahrzunehmen. Am 2. November 
zeigte sich ein größerer Abfall der Temperatur. Erst am 7. De- 
cember war auf der ganzen Lunge rein vesiculäres Athmen vor¬ 
handen, über der 7. Rippe bestand noch in der Axillarlinie pleuri¬ 
tisches Knarren. Vielleicht dürfte in diesem Falle gerade das starke 
Vorhandensein pleuritischer Erscheinungen am Orte der äußeren 
Läsion auf einen ätiologischen Zusammenhang zwischen Trauma und 
Pneumonie hinweisen. Sehen wir doch auch nach Traumen, die 
ohne äußere Verletzung einen Knochen treffen, osteomyelitische 
Processe auftreten. Es schafft eben in solchen Fällen die locale 
Erschütterung einen Locus minoris resistentiae, der dem vorhandenen 
inficirenden Agens das Eindringen in den betroffenen Theil er¬ 
leichtert. H. konnte auch einen Fall von Tuberculose nach einem 
Trauma beobachten: Ein aus gesunder Familie stammender, bis 
dahin gesunder Steinhaucr erlitt durch einen auffallenden Stein eine 
Quetschung der linken vorderen Brustwand. Es trat Bluthusten 


ein, bald nachher kamen Zeichen beginnender Tuberculose und der 
Mann endete nach nicht ganz 2 Jahren durch einen Blutsturz. 

— In der med.-chir. Gesellschaft zu Bordeaux berichtete 
Dr. Peyraud über die Präventivwirkung des Strychnins bei 
Tetanu8. Er injicirte 13 Kaninchen subcutan an 4 auf einander 
folgenden Tagen je 1 / 2 Grm. Strychnin; 3 davon gingen an Convul- 
sionen zu Grunde. Hierauf injicirte er den 10 Übrig gebliebenen, 
mit Strychnin behandelten Thieren, sowie 4 Controlthieren Ge- 
webspartikelchen und Wundsecret eines an Tetanus kranken Kanin¬ 
chens. Die 4 Controlthiere gingen an Tetanus zu Grunde, während 
die mit Strychnin behandelten sämmtlich gesund blieben bis auf 
eines, das eine leichte Contractur der rechten Hinterpfote zeigte. 

— Die auffällige Combination von Urticaria mit Asthma 
bronchiale und die guten Erfolge, die man bei letzterer Affeetion 
seit Trousseaü’s Empfehlung mit Jodkali erzielt, veranlassen 
Dr. Edmund Stern in Mannheim Jodkali gegen Urticaria anzuwenden. 
Das Mittel brachte acute, subchronische und chronische Urticaria 
zum Verschwinden oder beeinflußte dieselben höchst günstig. Er 
berichtet in Nr. 40 der „Münch, med. Wsehr.“ über 5 Fälle, bei 
welchen in einem Falle die Affeetion nach 10 Grm. Jodkali schwand; 
in einem zweiten, der seit 6 Jahren dauerte, nach 35 Grm., in einem 
dritten nach 5 Grm., ebenso in einem vierten am 3. Tage und im 
fünften, der seit 2 1 / 9 Jahren bestand, nach Einnahme von 25 Grm. 
Ueber die Art und Weise, wie das Jodkali wirkt, läßt sich kaum 
eine Vermuthung aufstellen; vielleicht handelt es sich um einen 
Einfluß auf den Gefäßtonus, den ja das Jodkali besitzen soll. Auf¬ 
fällig ist die im 3. und 4. Falle unmittelbar nach Verabreichung 
des Mittels aufgetretene Verschlimmerung des Juckens, was auf 
Jodismus zurückzuführen ist. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 
Sitzung vom 17. October 1890. 


Dr. HlNTERSTOISSER stellt einen Mann vor, bei dem er einen 
Trepanationsdefect mit Celluloid gedeckt hat. Der 
26jährige Officier erlitt am 11. April 1887 einen complioirten 
Splitterbruch des linken Scheitelbeines. Die Schädelwunde war nach 
2 Monaten geheilt, doch litt Pat. an Schwindel, Ohnmachtsanfällen, 
Schwäche der rechten Körperhälfte, choreatischen Zuckungen im 
rechten Facialisgebiete und in der rechten oberen Extremität. Im 
Mai d. J. bekam er epileptische Anfälle, die sich mehrmals wieder¬ 
holten. H. fand eine Narbe mit Knochendepression, entsprechend 
der vorderen Hälfte der oberen Parietalwindung, beiderseitige con- 
centrische Gesichtsfeldeinschränkung, beim Blick nach links Doppel¬ 
bilder, die Narbengegend stark hyperästhetisch, Tastempfindung und 
Muskelkraft rechts abgeschwächt. H. excidirte die Hautwunde, präparirte 
einen Hautperiostlappen und entfernte die eingedrückte Knochen¬ 
platte. Die bloßgelegte Dura zeigte nirgends eine Verdickung; nach 
Spaltung derselben konnten die Rindenpartien der oberen Scheitel¬ 
gegend deutlich wahrgenommen werden. Ein Absceß konnte auch in 
einer Tiefe von 4 Cm. nicht gefunden werden. Die Dura wurde 
vernäht und ein Verband angelegt. Am 4. Tage war die Schnitt¬ 
wunde der Dura per primam geheilt. In den Knochendefect wurde 
eine geschliffene Celluloidplatte eingefügt; Periostnaht, Hautnaht, 
keine Drainage. Die Einheilung verlief ganz reactionslos. Die 
Zuckungen hörten nach der Operation sofort auf, ebenso die übrigen 
Erscheinungen. Auf der Abtheilung des Stabsarztes Dr. Fillenbaum 
wurde das Celluloid noch in zwei anderen Fällen zur Deckung von 
Schädeldefecten mit Erfolg angewendet. 

Prof. v. Dittel hat das Celluloid zum Verschluß des Leisten¬ 
canals und bei einer Sequestrotomie zur Ueberbrückung der ganzen 
Lade angewendet. In keinem der beiden Fälle wurde das Celluloid 
aufgenommen. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 42. 


1672 


Hofr. Billboth hat ähnliche Erfahrungen mit der Glaswolle 
gemacht. In Fällen, wo man eine Höhle im Knochen ansschabt, 
die geeitert hat, gelingt die Einheilung nicht, wahrscheinlich weil 
es nicht möglich ist, sämmtliche Eitercoccen zu tödten. Dasselbe 
gilt auch für die Jodoformgaze. 

Docent Or. HOCHENEGG stellt zwei Fälle vor, bei denen die 
N ierenexstirpation vorgenommen wurde. Der eine Fall be¬ 
trifft einen 19jährigen Pat., der am 6. Mai einen Sturz von einer 
Höhe von 1 1 , a Meter erlitt, wobei er mit der rechten Flanke gegen 
eine Leiter anscblug. Es trat Erbrechen, continuirliches Blutharnen 
und im weiteren Verlaufe eine Geschwulst in der linken Nieren¬ 
gegend auf. Es wurde die Diagnose auf Ruptur der Niere oder 
der Nierengefäße gestellt. Bei Eröffnung der Bauchhöhle fand sich 
die rechte Niere zerquetscht und gangränös und eine arterielle 
Blutung aus derselben. Die Exstirpation der Niere war eine leichte. 
Die Heilung ging ohne Störung vor sich. 

Im zweiten Falle wurde die Nierenexstirpation bei einem 
18jährigen Pat. wegen Hydronephrose vorgenommen. Der Verlauf 
war ein normaler. 

Dr. F. Chvostek : Ueber das Verhalten der sensiblen Nerven, 
der Hörnerven und des Hautleitungswiderstandes bei 
Tetanie. 

Aus den Untersuchungen, die Vortr. auf der Klinik Kahler’s 
angestellt hat, ergeht, daß bei Tetanie eine erhöhte mechanische und 
galvanische Erregbarkeit der sensiblen Nerven besteht. Die mechanische 
Uebererregbarkeit ist während des Anfalles an allen sensiblen Nerven 
vorhanden, sie unterliegt ähnlichen Schwankungen wie die übrigen 
Symptome der Tetanie, schwindet jedoch rascher als die anderen, sie er¬ 
lischt zunächst an den sensiblen Nerven des Kopfes und kann von einer 
Körperhälfte früher verschwinden als an der anderen. Die erhöhte 
galvanische Erregbarkeit äußert sich in den niederen Stromstärken 
und in der Kürze der Intervalle zwischen der localen und ausstrahlenden 
Empfindung. Während der Hörnerv normaliter nur in 15°/ 0 der Fälle 
auf elektrische Reizung reagirt, fand dies in 6 von 7 untersuchten 
Fällen von Tetanie statt, und zwar fand sich eonstant die volle 
Formel. Diese Reaction ist: auf reine elektrische Hyperästhesie des 
Acusticus zurückzuführen. Der Hautleitungswiderstand ist von dem 
des Gesunden nicht zu unterscheiden. 

An der Discussion betheiligten sich Dr. M. Schlesinger, 
Prim. Neüsser und Prof. Kahleb. Prim. Neusser theilt einen 
Fall von Tetanie mit bulbären Symptomen und einen zweiten, der 
in Form von Asthma bronchiale auftrat, mit und glaubt aus diesen 
Fällen, sowie aus dem Vorkommen von Ecchymosen im Rückenmark 
schließen zu dürfen , daß die Tetanie eine Systemerkrankung sei, 
eine Ansicht, welcher Prof. Kahler widerspricht, da bei Tetanie mo¬ 
torische , sensible und sensorische Störungen gleicher Art auftreten 
und diese selbstständig sich entwickeln können. S. 


X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XI. 

Aus den Sectionen. 

Section für Laryugologie. 

Theodor Heryng (Warschau): Kann bei Larynxphthise durch 
endolaryngeale chirurgische Behandlung eine radicale Aus¬ 
heilung im Kehlkopf erlangt werden? 

Um Mißverständnissen vorzubeugen, spricht sich H. von vorn¬ 
herein dahin aus, daß er trotz der fast immer auftretenden Compli- 
cation der Larynxphthise mit der Lungenaffection, diesmal von der 
Lunge ganz absehe und nur die Frage näher berühren will, ob das 
tuberculÖ8e Ulcus, resp. das tuberculöse Infiltrat im Larynx durch 
chirurgische Eingriffe, radical beseitigt werden kann, und ob außer 
klinischen, seit längerer Zeit erbrachten Beweisen, auch anatomische 
Präparate und mikroskopische Befunde als sichere Stützen für die 
Möglichkeit einer totalen Ausheilung des Larynx erbracht werden 
können. — Wie er schon in früheren Vorträgen betont, ist bei 


der Behandlung der combinirten Larynx- und Lungenphthise die 
Berücksichtigung des Allgemeinzustandes, der Ernährung und der 
Kräfte ausschlaggebend, da die Prognose fast immer durch die 
Lungenerkrankung bestimmt wird. — Bei einer, sagt H., noch vor 

10 Jahren als absolut unheilbar definirten Affection, deren ener¬ 
gisches Bekämpfen von Seiten bedeutender Autoritäten geradezu 
als Kunstfehler gerügt worden ist, war es gewagte Aufgabe, eine 
chirurgische Behandlung vorzuschlagen und consequent durchführen 
zu wollen. Dank den Arbeiten Moriz 8chmidt’s, Kraüse’s und Anderen, 
ist dieser unheilvollen Doctrin Grund und Boden entzogen worden, 
so daß sie heutzutage als überwundener Standpunkt betrachtet werden 
muß. Leider erlauben auch die Resultate der energischen Therapie 
nicht, sich überschwenglichen Hoffnungen hinzugeben, denn trotz 
Milchsäure und Curettement bleibt der größte Theil der mit vor¬ 
geschrittenen tuberculösen Affectionen im Larynx behafteten Phthi¬ 
siker ungeheilt, Recidive bedrohen das Leben der relativ geheilten 
und kann für die Dauer der Genesung in keinem Falle Garantie 
gegeben werden. Dennoch ist es Pflicht des Arztes, nach Möglich¬ 
keit gegen dieses schreckliche Leiden zu kämpfen, um die Qualen 
zu lindern, das Leben auf Monate lang zu verlängern und in den 
leider noch zu seltenen Fällen eine vollkommene Ausheilung des 
Larynx und Wiederherstellung seiner Functionen anzuregen. Trotz 
der conträren Ansicht Einzelner ist dies Ziel zu erreichen, wie 
durch klinische, anatomische und bacteriologische Befunde nach¬ 
gewiesen werden soll. Seit der ersten Publication Heryng’s im 
Jahre 1886 über die chirurgische Behandlpng der Larynxphthise 
ist dieselbe von mehr als 30 Collegen geprüft und in mehr als 
300 Fällen angewandt worden, und sollen die ausführlichen Be¬ 
richte über die weiteren Resultate an einer anderen Stelle publicirt 
werden. H. berichtet sodann Über den weiteren Verlauf der von 
ihm seit 1886 behandelten Kranken und theilt mit, daß von den 
28 Patienten, die theils mit Milchsäure, theils mit der Curette 
behandelt worden, 12 Personen gestorben, das Loos von 12 Pa¬ 
tienten ihm unbekannt ist, 6 in Beobachtung verbleiben. Von den 
an Ljingenphthiqe Verstorbenen sind öivon Recidiven im Larynx 
frei geblieben und dauerte die Ausheilung des Larynx 11, 25 und 
40 Monate. Seit dem Jahre 1887 bis zum 1. Juli 1890 hat H. 
482 mit Larynx- und Lungenphthise behaftete Patienten local be¬ 
handelt und von diesen 52 vorwiegend mit Milchsäure, 37 mittelst 
des Curettement, zusammen also 89 local behandelt. Die nach 
Curettement erzielten Vernarbungen haben sich mindestens 3 Monate 
bewährt. Die Heilung hielt in der Mehrzahl der Fälle 6—8 Monate 
an, d. h. konnte so lange verfolgt werden. Von den 37 chirurgisch 
behandelten Fällen konnte in 32 kürzere oder längere Zeit an¬ 
dauernde Vernarbung constatirt werden, partielle Heilung in 5 Fällen. 
Von den seit dem Jahre 1887 publieirten 16 Kranken ist nach 
Curettement bei 12 vollständige Vernarbung im Larynx constatirt 
worden, also seit dem Jahre 1886 auf 53 Fälle 44 Ausheilungen 
von tuberculösen Larynxgeschwüren, mit partieller oder gänzlicher 
Wiederherstellung der Stimme und Beseitigung der Dysphagie. 
Dieses Resultat ist erzielt worden in vorwiegend schweren Fällen, 
auch bei Infiltrationen der Epiglottis, der hinteren Larynxwand, der 
Stimm- und Taschenbänder, bei destructiver Phthise, trotz ziemlich 
weit vorgeschrittenen Lungenleidens, manchmal sogar trotz beste¬ 
henden Fiebers und Kräfteverfalls. 

Bei den vorwiegend mit Milchsäure behandelten Pat. wurden von 
52 Kranken 15 auf längere Zeit geheilt, was mit den früher publieirten 

11 Heilungen (auf 15 Fälle) eine Gesammtzahl von 26 Vernarbungen 
(auf 67 Fälle) ergibt. Seit dem Jahre 1886 ist es also Heryng 
gelungen, in 70 Fällen theils durch Milchsäure, theils mit der 
Curette Heilung, d. h. Vernarbung zu erzielen, ein Resultat, 
welches jedenfalls als ein sehr ermunterndes bezeichnet werden 
kann. Da verschiedene dieser Kranken aus der Beobachtung ge¬ 
kommen sind, so betrachtet H. diese Zahlen nicht als absolute. 
Wahrscheinlich ist ein Theil der mit schweren Lungenleiden behaf¬ 
teten Patienten gestorben, bei anderen blieb der Larynx geheilt 
oder gebessert, während die Lungenaffection ihre Fortschritte machte. 
Ein anderer, geringer Theil der Patienten zeigte sich nicht mehr, 
weil cs ihnen gut ergangen und sie sich für geheilt hielten. Um 
jetzt auf die Frage zurückzukommen, ob das tuberculöse Infiltrat 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


vollständig zur Resorption gelangen kann, sind nach H. anatomische 
und histologische Befunde aufzubringen, um jeden weiteren Zweifel 
über diese Möglichkeit zu beseitigen. H. demonstrirt vor Allem 
eine Patientin, die er vor vier Jahren beschrieben und die seit drei 
Jahren durch energisches C'urettement der erkrankten Partien 
Aetzungen mit Milchsäure und allgemeine tonisirende Behandlung 
von Larynxphthise ausgeheilt worden. Man sieht einen deutlichen 
Defect an der linken Epiglottishälfte, Narben in der Gegend des 
Lig - glosso-epigl. later, sin., Narberistränge über und am linken 
Taschenband und der hinteren Larynxwand. Diese Frau hatte vor 
vier Jahren Geschwüre in der Epiglottis, an und über dem linken 
Tasehenband, Infiltrate und Geschwüre der hinteren Larynxwand, 
Infiltration des linken Aryknorpels und des linken Seitenbandes. 
Beide Lungen waren damals afficirt, im Sputum wurden Tuberkel¬ 
bacillen nachgewiesen, es bestand Fieber, Heiserkeit, Dysphagie, 
Husten und Kräfteverfall.’ 

Alle diese Symptome schwanden nach Heilung des Larynx 
und Besserung der Ernährung und der Kräfte. Die Patientin spricht 
mit reiner Stimme, hustet wenig, hat keine Bacillen im Sputum, 
sie hat bedeutend zugenommen und wurde im vorigen Jahre in der 
Warschauer medioinischen Gesellschaft demonstrirt, während der 
Cur von einigen Collegen wiederholt untersucht. 

Daß man es hier nicht mit einer Sanatio spontanen zu thun 
hatte, beweist nach H., daß Patientin in sehr schlechten materiellen 
Verhältnissen lebte, nichts für ihre Gesundheit thun konnte, vor 
Allem, daß die Affectionen einen destroctiven Charakter von Anfang 
an zeigten, wovon die zurückgebliebene* Narben ein beredtes Zeugniß 
abgeben, ferner daß die Dyöphagie bald nach der chirurgischen 
Behandlung beseitigt war und seither auch eine stete Besserung des 
Allgemeinzustandes zu constatiren war. Sodann demonstrirt Herynü 
den Larynx einer anderen Patientin, die er vor vier Jahren au 
Kehlkopfschwindsucht behandelt und in- seiner Arbeit als Beobach¬ 
tung 23 beschrieben, die 4 Jahre gehjpilt geblieben, schließlich vor 
zwei Monaten einer Lungen- und Darmtuberculose erlag. Diese 
Kranke hatte damals außer einer doppelseitigen tubercnlösen Lungen- 
affection (Bacillen im Sputum) eine enorme Infiltration der Epi¬ 
glottis, tuberculöse Infiltrate und Geschwüre am rechten Taschen 
bande der hinteren Larynxwand and Infiltration des rechten Lig. 
ary. epigloticum. Mit Milchsäure und Curette wurde Heilung der 
Geschwüre erzielt, die Dysphagie beseitigt, die Stimme, und zwar 
sogar die Singstimme wurde wieder erlangt und ein Jahr später 
Gravidität, sodann auch ein Abortus glücklich überstanden, ohne 
Verschlimmerungen der Lungen und der Ernährung. Drei Jahre 
lang betrachtete sich Patientin als vollkommen geheilt, schonte sich 
gar nicht und gab Veranlassung zu einer Verschlimmerung der 
Lungenaffection, welche durch Darmtuberculose, die sich hinzu¬ 
gesellte, das letale Ende im Juni d. J. herbeiführte, doch ohne 
eine Spur eines Recidivs im Larynx. Das entsprechende Präparat 
zeigt an Stelle der früheren fingerdicken Epig'ottis, zwei papier¬ 
dünne, blatternartige Narben, alle anderen Kehlkopftheile normal 
beschaffen und nur am rechten Taschenband eine diffuse glatte 
Narbe. Prof. Virchow hat dieses Präparat genau untersucht und die 
vollständige Vernarbung bestätigt. 

Es wurden ferner von H. Abbildungen und mikroskopische 
Präparate der hinteren Larynxwand gezeigt, an der früher eine 
pilzartige tuberculöse Infiltration durch Curettement beseitigt und 
vollkommene Ausheilung erzielt worden. Patient starb bald nachher 
an Influenza, zu der sich eine doppelseitige cronpöse Pneumonie 
hinzugesellte. Schnitte durch die hintere Larynxwand zeigten weder 
Tuberkel, noch konnte durch Färbung im ganzen Larynx nirgends 
Tuberkelbacillen aufgefunden werden, was ebenfalls von Prof. Virchow, 
der die Präparate gesehen, bestätigt worden ist. Dagegen enthielten 
die Producte der Curettements sowohl Tuberkel als auch an Bacillen 
reiche Riesenzellen. Auf Grund dieser Befunde stellt H. die Be¬ 
hauptung auf, daß durch chirurgische Behandlung in gewissen, 
früh erkannten, gut ausgewählten Fällen von tuber- 
oulöser Larynxaffection durch Beseitigung der Infiltrate, neben 
entsprechender Allgemeinbehandlung, eine radicale Ausheilung 
des Larynx erlangt werden kann, freilich ohne Garantie vor Reoi- 
diven, oder einen directen Einfluß auf das Lungenleiden. Da H. 


1674 


vor vier Jahren eine Reihe von spontanen Heilungen in leich¬ 
teren Fällen vou Stimmbandgeschwüren beschrieben, 
kann an eine spontane Heilung nicht gezweifelt werden. Sie kommt 
vor, aber sehr selten, und ist von H. auf circa 2000 Fälle 14mal 
beobachtet worden, während durch die neueren Methoden seit vier 
Jahren, auf circa 400 Fälle, 70mal Vernarbung der Geschwüre er¬ 
zielt werden konnte. Eine feste Stütze findet nun die chirurgische 
Behandlung in der ausgezeichneten Arbeit von Eugex Fränkkl 
über die Aetiologie der Larynxphthise, welcher mikroskopisch Dach¬ 
gewiesen, daß die Geschwüre durch E i nd ringen der Tuberkel¬ 
bacillen von Außen durch das Epithel erzeugt werden. 
H. warnt zum Schluß eindringlich vor Mißbrauch der 
Methode, diespeciellelndicationen und einespecielle 
Technik erfordert, gelernt werden muß und nur bei sorg¬ 
fältiger Wahl der Fälle, bei gewissen materiellen und intellectuellen 
Bedingungen der Patienten und großer Aus lauer des Arztes von 
längerem Erfolg gekrönt bleibt, trotzdem vor Recidiven nicht schützt, 
aber durch consequente, Jahre lang andauernde Allgemeinbehand¬ 
lung längere Erfolge aufweisen kann. Die Indicatioucn, die Technik 
des Curettements, die Anwendung der Elektrolyse, sowie die ent¬ 
sprechende Casuistik und Beschreibung der anatomischen Präparate 
nnd Zeichnungen sollen an einer anderen Stelle eingehender 
besprochen werden. A. 


Section für Augenheilkunde. 

L. Schirmer (Göttingen) : (Jeber die Adaptation im gesunden und 
kranken Auge. 

Ausgehend von der Thatsache, daß unter dem Einflüsse des 
Lichts Orts Veränderungen des Pigments im Pigmentepithel der Retina 
stattfindeu, hat sich der Vortragende die Frage gestellt, welche 
physiologische Bedeutung dieser Wanderung zukommen möge und 
zunächst, ob dadurch die Adaptation bedingt werde. Er suchte dies 
durch die Untersuchung albinotischer Menschen festzustollen, deren 
Unterschiedsempfindlichkeit er bei wechselnder Beleucbtaug unter¬ 
suchte. Vorversuche an normal Pigmentirten in dieser Richtung 
hatten ein Gleichbleiben der Unterschiedsempfindlichkeit innerhalb 
der Helligkeiten von 1—1000 M.-K. ergeben. Fechner’s psycho¬ 
physisches Gesetz besteht also nach dem Autor innerhalb dieser 
Grenzen völlig zu Recht. Die abweichenden Resultate früherer 
Untersucher rühren von nicht genügender Berücksichtigung der 
Adaptation her. Auch für albinotische Individuen, deren Sch. vier 
untersuchen konnte, bleibt die Unterschiedsempfindlichkeit gleich bei 
Helligkeiten von 27—463 M.-K.; größere oder geringere Helligkeit 
konnte an den Versuchstagen nicht angewendet werden. Ferner 
ist die Schwellenempfindlichkeit und die Adaptationsdauer bei ihnen 
normal. Dagegen fiel bei den Versuchen ihre große Empfindlichkeit 
gegen helleres Licht auf, die auch nach Versetzen einer stenopäi- 
schen Brille bestehen blieb. Es haben also auch Albinos Adaptations¬ 
vermögen ; auch für sie gilt die FECHNER’sche Unterschiedsconstante, 
doch liegt die obere Grenze derselben bei ihnen wahrscheinlich 
niedriger. 

Dor Vortragende wendet sich dann zu der Frage nach dem 
Wesen der Hemeralopie und kommt auf Grund theoretischer Er¬ 
wägungen zu dem Schluß, daß es sich nicht um eine Anomalie des 
Lichtsinns, sondern wahrscheinlich um eine Anomalie der Adaption 
handle. Treitel hat schon früher diese Behauptung ausgesprochen, 
nachdem er nachgewiesen, daß ein hemeralopisches Auge in der 
Dämmerung sich genau wie ein nicht adaptirtes normales verhalte. 
Schirmer vervollständigt den Beweis, indem er zeigt an sympto¬ 
matisch Hemeralopischem, daß nach genügend langer Adaptation 
(*/ 8 —12 Stunden) die Schwellenempfindlichkeit normal wird. Die Zahl 
der untersuchten Fälle ist nicht groß genug, um dies als allgemein 
gütigen Satz aufzustellen, doch scheint es nicht unwahrscheinlich, 
daß bei normaler Unterschiedsempfindlichkeit wahre Schwellenanomalien 
nicht Vorkommen, zum Mindesten ist das Gegentheil bisher nicht 
bewiesen, da die diesbezüglichen Untersuchungen ohne Berücksich¬ 
tigung der Adaptation angestellt worden sind. 

Zur Feststellung der Schwellenempfindlichkeit diente Förster’s 
Photometer, in welchem die Striohtafel durch eine weiße Papier 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


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scheibe, die die ganze Hinterwand einnahm, ersetzt war. Pat. 
blickte nur mit einem Auge in den Apparat und dieses wurde durch 
eine im Inneren desselben befindliche schwarze Klappe abwechselnd 
verdeckt und freigelassen; es mußte der Moment des Lichtwechsels 
angegeben werden. Es hat dies Verfahren vor der alten Prüfung 
an der Strichtafel den Vorzug, 1. daß es sich um eine wirkliche Reiz 
Schwellenprüfung handelt, 2. kann man die Angaben der Pat. leicht 
und sicher controliren und 3. macht es den Lichtsinn in be¬ 
deutend höherem Grade vom Raumsinn unabhängig. Letztes zeigte 
sich besonders prägnant in einigen Fällen von Retinitis pigmentosa, 
wo bei hochgradig herabgesetzter Sehschärfe die Striche der 
FöBSTER’schen Scheibe auch bei größtmöglicher Helligkeit des Appa¬ 
rates nicht erkannt werden, während an der Papierscheibe zu 
gleicher Zeit der Lichtsimm normal gefunden wurde (nach genügend 
langer Adaptation). 

Schließlich hat der Vortragende noch nachgewiesen, daß auch 
die abgelöste Retina eine, wenn auch stark verlangsamte Adaptation 
hat, und daß diese Verlangsamung in der Trennung der Retina vom 
Pigmentepithel, nicht in Veränderungen der Stäbchen- und Zapfen¬ 
schicht ihren Grund hat. Findet man bei partieller Ablatio das 
Gesichtsfeld frei, bei Lampenlicht defect, so braucht man den Pat. 
nur hinreichend lange im Dunkeln zu lassen, um den Defect ver¬ 
schwinden zu sehen; er war also durch verlangsamte Adaptation be¬ 
dingt. Legt sich die Netzhaut wieder an, so wird die Adaptation 
wieder eine schnellere, der Defect läßt sich bei Lampenlicht auch 
unmittelbar uach dem Uebergang in’s Dunkle nicht mehr nachweisen. 

Die Schlüsse, welche Schirmer aus diesen Untersuchungen 
für die histologischen Vorgänge bei der Adaptation zieht — unter 
Adaptation versteht er nicht nur Anpassung an größere Dunkelheit, 
sondern auch Anpassung an größere Helligkeit — sind folgende: 
Das wesentliche Moment der Adaptation kann nicht der optische 
Effect der Pigmentverschiebung sein — auch Albinos haben Adapta¬ 
tion —, dagegen wirkt bei stärkerer Helligkeit das Pigment unter¬ 
stützend mit, es beschattet die Stäbchen- uud Zapfenschiebt — 
Lichtscheu des Albinos. Jedenfalls ist mit großer Wahrscheinlichkeit 
das Pigmentepithel als Sitz der Adaptation anzusehen, da anatomische 
Veränderungen des letzteren meistens, vielleicht immer mit Alte¬ 
ration der ersteren Hand in Hand gehen. Sch. stellt sich vor, daß 
außer dem Pigment noch andere Substanzen, welche die Production 
von Sehstoff besorgen oder anregen, zwischen die Stäbchen und 
Zapfen wandern, und daß eine solche Wanderung ebenfalls im albi¬ 
notischen Pigmentcpithel stattfindet, nur dort nicht sichtbar, weil 
diese fraglichen Substanzen keine differente Färbung besitzen; hie¬ 
durch werde die Production des Sehstoffes beschleunigt. Schirmer 
sieht also, entgegen der bisher giltigen Anschauung, daß die Adapta¬ 
tion eine Erholung der Retina ist, dieselbe als die Fähigkeit der 
Retina an, entsprechend der jeweiligen Helligkeit in gleichen Zeit¬ 
räumen verschieden große Mengen Sehstoff zu produciren; eine 
Hypothese, welche, wenn man sich auf den Boden der Hkryng- 
schen Anschauung stellt, daß die Intensität einer Gesichtswahrnebmung 
bedingt wird durch den Quotienten aus verbrauchtem Sehstoff und 
überhaupt vorhandenem Sehstoff, und wenn man ferner annimmt, 
daß die Uebergänge von stärkerer Production zu geringerer und 
umgekehrt, nur allmälig vor sich gehen können, alle thatsächlichen 
Erscheinungen der Adaptation ungezwungen erklärt. Auch für die 
Adaptation der abgelösten Retina, die nur eine scheinbare sein kann, 
wenn man nicht eine Fernwirkung des Pigmentepithels annehmen 
will, liegt in dieser Hypothese die Erklärung. 

Die Hemeralopie ferner ist nach Schirmer sicher keine Ano¬ 
malie des Lichtsinnes, wie, trotz Trkitei/s Untersuchungen, noch 
immer ziemlich allgemein angenommen wird. Es handelt sich viel¬ 
mehr höchst wahrscheinlich um eine Anomalie der Adaptation, doch 
genügt die Annahme einer einfachen Verlangsamung nicht; es würde 
dabei unerklärlich bleiben, daß das hemeralopische Auge schon un¬ 
mittelbar nach dem Eintritt in’s Dunkle eine bedeutend geringere 
Lichtempfindlichkeit hat, als das normale. Schirmer vermuthet, 
dies rühre daher, daß hemeralopische Augen gegen mittlere Hellig¬ 
keiten viel empfindlicher sind, als normale, schon durch sie in einen 
der Blendung ähnlichen Zustand versetzt werden, doch sind hierüber 
noch weitere Untersuchungen abzuwarten. R. 


Notizen. 


Wien, 18. October 1890. 

(Die Organisation des Sanitätsdienstes in Nieder- 
österroicb.) Das Land Niederösterreich war bekanntlich eines 
der letzten Kronländer, welches die Organisation des Sanitätsdienstes 
in den Landgemeinden durchzuführeü hatte. Daß dem Gesetze auch 
derzeit nicht im vollen Umfange entsprochen ist, daß auch derzeit 
von einer Durchführung der Sanitäts-Organisation nicht die Rede 
sein kann, beweist der nachstehende Bericht des Landesaussehussea 
an den eben zusammengetretenen niederösterreichischen Landtag. 
Letzterer hat im Vorjahre zur Gewährung von Unterstützungen an 
Gemeinden behufs Entlohnung von Gemeinde-Aerzten für das Jäht 
1890 einen Betrag von 2o.000 fl. bewilligt und zugleich den Landes- 
Ausschuß ermächtigt, für weit ausgedehnte und in gebirgiger Lage 
befindliche Gemeinden und Gemeindegruppen über Antrag der politi¬ 
schen Behörden behufs bleibender Niederlassung von Gemeinde- 
Aerzten ausnahmsweise Subventionen von höchstens 600 fl. zu bewilligen» 
Wie sich aus dem vom Landes-Ausschusse erstatteten detaillirten 
Berichte ergibt, wurden insgesammt 94 Subventionen bewilligt. Es 
liegen aber noch 80 Gesuche um Subventionen für Gemeinden und 
Gemeindegruppen behufs Bestellung von Gemeinde-Aerzten vor, be¬ 
züglich welcher die Erhebungen im Zuge sind, für welche aber im 
Falle der Nothwendigkeit und Dringlichkeit der Subventionirung 
die Geldmittel zur Gewährung der beantragten Subvention 
nicht mehr vorhanden sind. — Die Zahl der Gesuche von 
Gemeinden und Gemeindegruppen um Subventionen zur Bestellung 
von Gemeinde-Aerzten — führt der Bericht ferner aus — hat sich 
seit dem Vorjahre verdoppelt Der Landes Ausschuß befindet sich 
bei dem Andrange dieser Petitionen angesichts der gemessenen 
Dotation von 25 000 fl. in einer schwierigen Lage. „Es ist die hilf¬ 
reiche Fürsorge des Landtages hiezu dringend geboten, wenn nicht 
die arme Landbevölkerung bei Infectionserkrankungen und Unglücks- 
fällen, wo die ärztliche Dienstleistung unumgänglich nothwendig ist, 
den verheerenden Wirkungen von Epidemien und dem trostlosen 
Zustande des Zugrundegeheüs in Folge Mangels an ärzt¬ 
licher Hilfe bei vollberechtigter Aussicht auf Ge¬ 
nesung oder Heilung ihrem Schicksale theilnahmslos 
überlassen bleiben soll. Die Dotation von 25.000 fl. hat 
allerdings eine nennenswerthe Besserung der bestandenen Zustände 
geschaffen. Der Landes Ausschuß konnte sich bei dem rapiden 
Abfalle der Landärzte zunächst nur auf die dringendsten 
Unterstützungen im bescheidenen Ausmaße einlassen. Dennoch würde 
eine Ueberschreitung der Dotation effectiv schon dermalen eingetreten 
sein, wenn alle Gemeinden und Gemeindegruppen, welchen Subven¬ 
tionen bewilligt worden waren, im Staude gewesen wären, Gemeinde- 
Aorzte zu erhalten.— Nach dieser freimütbigen Darlegung solch 
trostloser Zustände hätte man wohl nicht mit Unrecht erwartet, der 
Landes-Ausschuß werde dem Landtage Vorschläge erstatten, welche 
geeignet wären, den geschilderten Uebclständen abzuhelfen und die 
Durchführung eines Gesetzes zu ermöglichen, dessen Wohltbaten 
der Bevölkerung zu Gute kommen sollen. Nichts von alledem 1 Der 
Landes-Ausschuß, welcher erklärt, daß zur vollständigen Behebung 
des Aerztemangels in Niederösterreich die Summe von jährlichen 
81.000 fl. seitens der Statthalterei verlangt wurde, begnügt sich mit 
dem Anträge, die bisher votirte Summe (25.000 fl.) um — 5000 fl. 
zu erhöhen. Also wieder einmal eine halbe Maßregel, wo es sich 
um Gesundheit und Leben der Landbevölkerung handelt; wieder 
einmal Engherzigkeit gegenüber den vitalsten Interessen des Landes! 
Wird sich im neuconstituirten Landtage keine Stimme erheben für 
die ihrem Schicksale überlassenen mittellosen Bewohner des flachen 
Landes ? Wird Niemand den Muth besitzen, darauf hinzuweisen, daß 
die Anstellung und menschenwürdige Besoldung von Gemeinde- 
Aerzten denn doch zum Mindesten ebenso dringend geboten ist, 
wie jene der — Seelsorger ? Sollen erst mörderische Epidemien die 
begangenen Unterlassungssünden furchtbar rächen, nachdem sie die 
jeder Ke ehrung und ärztlichen Behandlung entbehrenden Bewohner 
zahlreicher Gemeinden decimirt haben? — — 

(Das Wiener medicinische Doctoren-Collegium) 
hielt am 13. October unter dem Vorsitze des Präsidenten R. v. 


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1890, —Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1678 


1877 ' 

Schmerling Beine zweite Sitzung. In derselben demonstrirte Doc. 1 
Dr. Ehrmann einige von ihm in der medicinisch- wissenschaftlichen 
Ausstellung des X. internationalen medicinischen Congresses aus¬ 
gestellte Apparate, und zwar: eine elektrolytischeElektrode 
zur Behandlung der Urethritis chronica hypertrophica, eine Elek¬ 
trode zur Elektrolyse von Harnröhrenpolypen und 
einen Griff für elektrolytische Operationen an der 
Haut. Die Beschreibung dieser Apparate findet sich in Nr. 35 der 
„Wien. Med. Presse“. — Weiters demonstrirte Prim. Dr. Adler 
einen Fall von Heilung von Trachom durch galvano¬ 
caustische Behandlung. Das Cuprum sulfuricum ist zwar 
noch immer das souveräne Mittel in der Behandlung des Trachoms, 
in einzelnen Fällen versagt es jedoch seine Wirkung. Ein solcher 
Fall ist der vorgestellte, bei dem die galvanocaustische Reizung 
sicher und rasch Heilung herbeiführte. Das geringe Instrumentarium 
besteht in einer Tauchbatterie mit einem Elemente und irgend einem 
Galvanööaoter. ■ Die Sitzungen dauern 1 1 ; a Minuten; unter Cocain 
ist die Behandlung ganz schmerzlos; dieselbe besteht darin, daß 
jedes cunzelne Körnchen galvauocaustisch, betupft wird. Der vor¬ 
gestellte 13jährige Pat. leidet seit 4 Jahren an Trachom; als sich 
das Leiden im vorigen Jahre stark verschlimmerte, leitete A. die 
galvanocaustische Behandlung ein. Schon nach der ersten Sitzung 
trat bedeutende Besserung ein; nach 4 Sitzungen, die je einmal 
wöchentlich abgehalten wurden, konnte vollständige Heilung con- 
statirt werden, die noch heute andauert. In der Zwischenzeit wurde 
Massage mit 1 °/ 0 Jodoformvaseline vorgenommen. Interessant an 
dem Falle ist, daß inzwischen das linke Auge fortwährend mit dem 
Cuprumstifte erfolglos behandelt wurde. — Hierauf begann Prof. 
MEYNERT seiuen Vortrag Uber die Differentialdiagnose 
in der Psychiatrie, über den wir nach Abschluß desselben 
berichten werden. 

(Kräftigung der Schuljugend.) In einem längeren, 
am 15. d. M. an die Landesschulbehörden gerichteten Erlasse tritt 
dpr Unterricbtsmiuister Dr. Frh. v. Gadtsch für die leibliche Kräfti¬ 
gung der Schuljugend warm ein und fordert, von dem richtigen Stand¬ 
punkte ausgehend, daß der Besuch des Turnunterrichtes allein 
diesem Zwecke nicht entspreche, es möge die Schuljugend, zumal 
dje Mittelschüler, zum Besuche von öffentlichen Bädern, Schwimm 
anstalten und Schlittschuhbabnen vom Lehrkörper ermuntert und 
den Schülern die Benützung dieser Anstalten möglichst erleichtert 
werden. — Es ist ein öffentliches Geheimaiß, daß gerade an den 
Mittelschulen mit ihren bedeutenden Anforderungen an die Studirenden 
die Pflege des Körpers, vor Allem die Kräftigung der Musculatur 
im Argen liegt. Die Gründe für diese traurige Erfahrung sind 
naheliegend. Der junge Mann, welcher täglich 4—6 Stunden in 
der Classe und ebenso lange Zeit am Arbeitstische sitzen muß, will 
er den- an ihn gestellten Anforderungen entsprechen, findet eben 
nicht die Zeit, an die Kräftigung des Körpers zu denken, falls er- 
die sehr berechtigte Absicht hat, des Nachts zu schlafen. Die Turn¬ 
stunde, in welcher recht und schlecht ein halbes Hundert Frequen-“ 
tanten schablonenmäßig arbeitet, ist, selbst den besten Willen und 
die wünschenswerthe Ausbildung des Turnleiters vorausgesetzt, außer 
Stande, Bemerkenswerthes zu leisten. Wir fürchten, auch der 
neueste Erlaß des .Unterrichtsmiöiöters wird ein frommer Wunsch, 
die „Ermunterung“ durch die Lehrer, die Erleichterung der Be¬ 
nützung von Badeanstalten u. dgl. durch Verwendung der Schulleiter 
bei den Eigenthümern solcher Anstalten, sowie die geplante Er¬ 
richtung von Spielplätzen illusorisch bleiben, so lange umfangreiche 
Lehrpläne Und rigoroseste Anforderungen der Lehrer den Schülern 
gerade der Mittelschulen die freie Zeit zur Ausnützung dieser In¬ 
stitutionen rauben. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: In dem Berichte des 
Unterrichtsministers Graf Csäky über dieRegelungderCoIlegion- 
gelder an der Budapester Universität, welcher jetzt dem Parla¬ 
mente unterbreitet wurde, wird der Nachweis geführt, daß es ihm 
gelungen sei, die seitens einiger Facultäten gegen die Reformen 
erhobenen Bedenken zu zerstreuen. Der Minister leugnet nicht, daß 
die Feststellung eines einheitlichen Schulgeldes von 60 fl pro Jahr 
namentlich für die Hörer der juridischen und philosophischen Facultät 
eine Erhöhung der Geldleistungen bedeute, welche aber nicht zu 


vermeiden war, wenn die Reform ohne directe Belastung des Staats¬ 
haushaltes und doch auch ohne Verletzung der berechtigten Inter¬ 
essen der Professoren durcbgeführt werden sollte. Eine Belastung 
des Staates erfolgte nur insoweit, als, entsprechend der Erhöhung 
der Professorenbesoldungen, nun auch die Pensionen erhöht wurden, 
und zwar erhöhe sich die Pension nach 30jähriger Dienstzeit von 
3130 fl. auf 4500 fl. Durch die Reform erleiden 21 Professoren 
eine Einbuße in ihren Revenuen von 55—1582 fl.; hingegen bietet die 
Reform 55 Professoren ein Mehreinkoihmen von 20—1412 fl. jährlich; 
allein während nur 3 Professoren eine Einbuße von über 1000 fl. erleiden, 
kommen 14 Professoren zu einem Mehreinkommen von über 1000 fl. 
Der Minister glaubt, daß das Abgeordnetenhaus der Ersprießlichkeit 
der Reform sich nicht verschließen werde. — Hiezu ist zu bemerken, 
daß diese Reform vorläufig nur auf die Budapester Universität an¬ 
gewendet werden konnte, weil deren Verhältnisse noch duroh kein 
verfassungsmäßiges Gesetz geregelt sind, und dieselbe noch direct 
dem Unterrichtsminister unterstellt ist, welcher dieselbe durch bloßo 
Erlässe administriren kann. Zur Einführung dieser Neuerung an 
der duroh Parlamentsgesetz in’s Leben gerufenen Klausenburger 
Universität ist ein directer Gesetzentwurf nöthig. 

(Todesfälle.) In Wien ist am 16. d. M. der Begründer und 
langjährige Herausgeber des „Med.-chir. Centralbl.“, der praktische 
Arzt Christian Lddwig Prätorids, 57 Jahre alt, plötzlich gestorben. 
Der Verblichene ist ein Menschenalter hindurch in Wort und Schrift 
für die Interessen der in Oesterreich bekanntlich auf den Aussterbe¬ 
etat gesetzten Wundärzte eingetreten und bat seinerzeit als Gemeinde 
rath und Mitglied des n.-ö. Landesschulrathes eine fruchtbringende 
öffentliche Thätigkeit entwickelt. — In München starb am 9. d. M. 
der russische Staatsrath Dr. Alfred Vogel, Honorarprofessor und 
Vorstand der pädiatrischen Poliklinik des Reisingerianums, im 
61. Lebensjahre. Als Assistent Pfedffer’s sowohl, wie als ord. 
Prof, der Dorpater medicinischen Klinik, welcher er 1866—1873 
Vorstand, publicirte Vogel zahlreiche, werthvolle klinische Arbeiten. 
Sein bekanntestes Werk ist wohl das im Jahre 1860 erschienene, 
seither achtmal neu aufgelegte Lehrbuch der Kinderkrankheiten, 
welches zahlreiche Uebersetzungen erlebte uud von Biedert neu 
bearbeitet wurde. — Gestorben sind ferner! In Wien der praktische 
Arzt Heinrich Morgenstern; in Graz Dr. Joliits Hö.MEL, im 
43. Lebensjahre; in Budapest Dr. Wilhelm Päpai, Besitzer eines 
Impfinstitutes, 52 Jahre alt. 


Dr. PonzAURADSKY , Chefarzt der Wasserheilanstalt im Helenenthal, 
wird sich während der Wintersaison an der Leitung der raechano-therapeuti- 
schen Anstalt des Dr. Roth am Rudolfsplatz betheiligen und hat seine 
Thätigkeit in der genannten Anstalt am 15. d. M. Kreits begonnen. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Bei der Stadtgemeinde Wallern in Böhmen gelangt die 

Stadtarztesstelle mit einem Jahresgehalte von 700 fl. und 6 Klafter Brenn¬ 
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• 15. November 1. J. beim Bürgermeisteramte Wallern einzureichen. Bemerkt 
'.wird, daß Wallern und Umgebung deutsch ist. 

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1679 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr! 42. 

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Nr. 43. 


Sonntag den 26. October 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


DU «Wiener Medizinische Prewe“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8'Bogen Groee-Ouart-Pormat stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmisaige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die ^wiener nllnik a , 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
ln Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften Bind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse* and «Wiener Klinik" 
Inland: Jährl. io fl., n&lhj. 6 fl., viertelj, 8 fl. BO kr. Ausland: 
Für das Dentsohe Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 80 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 84 Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Aaslande 
bei allen Buchhändlern and Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnistr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maxlmilianztr. 4 . 


medizinische Presse. 

Organ für praktische Aerzte. 




Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Ban. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Orlglnalien and klinische Vorlesungen. Ueber die Behandlung des chronischen Morbus Brightii. Von T. Gratnqke Stewart, M. D., Präsident 
des Royal College of Physicians, Professor der inneren Medicin an der Universi'ät Edinburgh etc. — Die Trichloressigsäure nnd ihre Anwendung als 
Aetzmittel bei den Krankheiten der Nase und des Rachens. Von Dr. L. Rethi in Wien. — Aus der Klinik des Prof. v. Koeänyi in Budapest. Die Wirkung 
innerlich aufgenommenen Wassers von verschiedener Temperatur und Menge auf das gesunde und kranke Herz. Von Dr. Mobiz Stbickeb und 
Dr. Wilhelm Feiedeich. — Referate nnd literarische Anzeigen. 0. Rosenbach und F. Pohl (Breslau): Das antagonistische Verhalten der Jod- and 
Salicylpräparate bezüglich der Ausscheidung in Gelenke, Exsudate und Transsudate. — F. Tbkndelbnbübg : Ueber BlasenscheidenfUteloperationen 
und über Beckenhochlagerung bei Operationen in der Bauchhöhle. — Der klinische Unterricht in der Psychiatrie. Eine Studie von R. v. Kbapft-Ebinq, 
o. ö. Professor für Psychiatrie und Nervenkrankheiten au der k. k. Universität Wien. — Neuere Arbeiten über Mechauotherapie. — Kleine 
Mittheilungen. Eine bisher unbekannte Gefahr bei der Operation großer, alter Leistenbrüche. — Ueber den Einfluß des Alkohols auf die 
Magenverdauung. — Zur Galvanotherapie des Gehirns. — Ueber den Einfluß des Hungerns auf die Empfänglichkeit für Infectionskrankheiten. — 
Zur Wirkung des Chlonnethylsprays. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein 
deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) - X. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. (Orig.-Ber.) XII. — 
Notizen. — Literatur. — Aerstliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ueber die 

Behandlung des chronischen Morbus Brightii. 

Von T. Grainger Stewart, M. D.*) 

Präsident des Royal College of Physicians, Professor der inneren 
Medicin an der Universität Edinburgh etc. 

Es ist keine leichte Aufgabe, in einen kurzen Vortrag 
einen so ausgedehnten Gegenstand zueammenzufassen, wie der 
es ist, mit dem ich es heute zu thun habe, noch ist es leicht, 
eine so vielfach besprochene und bekannte Frage inter¬ 
essant zu gestalten. Ich hätte es sicherlich nicht gewagt, 
dies zu unternehmen, falls ich nicht von dem Comit4 des 
Congresses dazu aufgefordert worden wäre. Denn es ist klar, 
daß ein Congreß, wie dieser, nicht dazu bestimmt ist, neue 
Ansichten und Originalentdeckungen bekannt zu machen, son¬ 
dern er hat auch die wichtige Aufgabe, den Mitgliedern ver¬ 
schiedener Nationen Gelegenheit zu bieten, die Resultate ihrer 
Erfahrungen bezüglich der Behandlung wichtiger Krankheiten 
auszutauschen. 

Ich bin mit dem Organisationscomitö der Ansicht, daß 
die Behandlung des chronischen Morbus Brightii wichtig genug 
ist, um an dieser Stelle Gegenstand einer eingehenden Er¬ 
örterung zu bilden. 

Die meisterhaften Vorträge Ziems3en’s und Senator’s auf 
dem letzten Congresse für innere Medicin in Wien können 
als illustrirende Beispiele dafür dienen, was in dieser Richtung 
geleistet werden kann, aber gerade dadurch wächst die Schwie¬ 
rigkeit, indem es nicht leicht fällt, in deren Fußtapfen zu 
treten. 

Ich wäre beinahe versucht, diese Vorträge als Vorbild 
zu nehmen und auf dem von ihnen gebahnten Wege fortzu¬ 
schreiten, wobei ich angeben möchte, inwiefern meine Erfah- 


*) Vortrag, gehalten in der Section für innere Medicin des X. Intern, 
med. Congresses in Berlin. 


rungen mit den Schlüssen der genannten Autoren in Ueber- 
einstimmung stehen und inwieweit dieselben von einander 
abweichen. Dies würde aber bei meinen Zuhörern di enntniß 
dieser Vorträge voraussetzen, was vielleicht nicht gerechtfertigt 
wäre. Ich werde daher den Gegenstand nach meiner Ansicht 
behandeln. 

Unter der Bezeichnung chronischer Morbus Brightii fasse 
ich alle jene Formen von organischen Nierenkrankheiten zu¬ 
sammen, welche in die von Richard Bright zuerst definirte 
Gruppe, also einschließlich der Erkrankung der Tubuli jene 
der MALPiGHi’schen Körperchen, des Stroma und der Blutgefäße 
gehören; die parenchymatöse und interstitielle Nephritis, die 
Cirrhose und die amyloide Degeneration für sich oder unter¬ 
einander combinirt, können auf Morbus Brightii bezogen werden. 
Als chronisch bezeichne ich jene Fälle, welche länger als 
3 Monate andauern. 

Die Indicationen der Behandlung lassen sich in drei 
Punkte zusammenfassen. 

1. Die Entfernung der Ursache oder der Ursachen oder 
irgend einer noch fortbestehenden individuellen Veranlassung. 

2. Wenn möglich die Heilung des ausgebildeten oder 
noch im Fortschreiten begriffenen Krankheitsprocesses der 
Niere oder wenigstens die E nschränkung desselben auf den 
zuerst betroffenen Theil. 

3. Die Aufhebung oder Besserung der verschiedenen 
Folgen der Erkrankung, die sich auf die Natur der Symptome 
oder der Complicationen beziehen, wie z. B. die Eiweißaus¬ 
scheidung, der Hydrops, die urämischen Symptome, die gastro¬ 
intestinalen Erscheinungen, die serösen Entzündungen und die 
Gefäß- und Herzveränderungen. 

Bei Besprechung der Behandlung einer Krankheit werden 
mit Recht die klimatischen, hygienischen und diätetischen 
Verhä tnisse, ferner die medieamentöse Behandlung erörtert 
und namentlich bei Besprechung der Behandlung des Morbus 
Brightii wäre es von besonderem Interesse, über jedes einzelne 
dieser Momente bezüglich jeder einzelnen Indication des Näheren 
einzugehen. Es würde aber dieser Gegenstand zu weit führen. 
Ich glaube daher am besten zu thun, wenn ich zunächst die 


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1691 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1692 


allgemeine hygienische und diätetische Behandlung des Krank 
heitsprocesses und die daraus resultirenden Symptome und 
Complicationen erwähne. 

Erkältung oder plötzlicher Temperaturwechsel bilden 
nicht selten eine Ursache für die Entstehung, resp. Verschlim¬ 
merung oder Verlängerung der Dauer des Morbus Brightii. 
Hingegen bieten Aufenthalt in warmen Gegenden und sorg¬ 
fältige Vermeidung der Erkältung vielfache Vortheile. Ein 
Aufenthalt in Südeuropa, in Algier, Aegypten, am Cap der 
guten Hoffnung, Australien. Neuseeland oder auf den west¬ 
indischen Inseln führt nicht selten zur Genesung oder ver¬ 
hindert wenigstens das Fortschreiten der Krankheit. Ich zweifle 
nicht, daß Kranke fort geschickt wurden, welche nur mit 
functioneller Albuminurie behaftet waren, und ich habe einige 
solche Fälle gesehen, die vom Klimawechsel gar nichts profitirt 
haben. Ein solcher Irrthum läßt sich aber jetzt bei der gegen¬ 
wärtigen besseren- Ivenntniß dieser Zustände wohl vermeiden. 

Sie werden mir zugeben, daß Pat.. welche an chronischem 
Morbus Brightii leiden, Kält^ und namentlich wechselndes 
Klima meiden müssen und womöglich im Süden überwintern 
sollen. Diese Empfehlung gilt sowohl für die Erkrankung der 
Tubuli als auch für die sogenannte Cirrhose, und wenn man 
bedenkt, wie leicht amyloide Degeneration zu dieser hinzutritt, 
so kann sich diese Indication auch auf die letztere Form 
erstrecken. 

Praktische Aerzte, welche über die Behandlung der 
Phthisis im Höhenklima Erfahrung besitzen , behaupten, daß 
diejenigen Kranken, die nebst Phthisis an Albuminurie leiden, 
vom Aufenthalt im Höhenklima keinerlei Nutzen ziehen. Man 
könnte nun freilich behaupten, daß, da die Albuminurie ein¬ 
fach von der Amyloiddegeneration abhängig ist, welche ihrer¬ 
seits wieder durch die Lungenaffection hervorgerufen wird, 
es natürlich ist, die Niere durch günstige Beeinflussung der 
Lungenerkrankung zu behandeln, indeß mögen die erwähnten 
praktischen Aerzte Recht haben, denn während der amyloide 
Proc*ß selbst gebessert wird, tritt eine Verschlimmerung der 
ihn so häufig begleitenden entzündlichen Veränderungen ein. 

Ich habe eine große Reihe von Fällen beobachtet, bei 
welchen der Morbus Brightii mit Malaria in Zusammenhang 
stand und bei denen es also darauf ankam, daß die Kranken 
die ungesunden Gegenden verlassen sollten. Durch diese Ma߬ 
regel, sowie durch den Gebrauch von Chinin. Arsen oder anderen 
Mitteln gegen das Wechselfieber gelingt es auch die Nieren¬ 
krankheit zu beeinflussen. 

Die Kleidung der Pat. muß stets derartig sein, daß sie 
den Kranken vor Kälte schützt und die Function der Haut 
nicht beeinträchtigt. Es st daher angezeigt, regelmäßig wollene 
Unterkleider zu benützen, die jedesmal gewechselt werden 
müssen, wenn sie in Folge der Transpiration feucht geworden 
sind. Namentlich ist es von Wichtigkeit, die Nierengegend 
dadurch zu schützen, daß man ein Flanelltueh um die Lenden 
herumschlagen läßt. 

Vielleicht von der größten Wichtigkeit bei Behandlung 
des Morbus Brightii ist die diätetische Behandlung, und zwar 
sowohl in Bezug auf die Indieatio causalis, als auch in Bezug 
auf die Indieatio morbi und symptomatica. Ich habe mich 
selbst durch eine Reihe von Beobachtungen und Versuchen 
überzeugt, daß es bei manchen Individuen möglich ist, durch 
Verabreichung einer specifisch sehr eiweißreichen Diät einen 
gewissen Grad von Albuminurie zu erzeugen. Nicht nur ge¬ 
lingt es durch Einführung von Eiweiß in die Blutgefäße oder 
in’s Rectum Albuminurie hervorzurufen, sondern auch bei 
manchen Individuen, wenigstens durch Einführung von Eiweiß 
in größeren Mengen in den Magen. Es ist demnach verständlich, 
daß eine sehr eiweißreiche Kost das Auftreten von Albuminurie 
begünstigen muß, wenn die Nieren erkrankt sind, und daß eine 
Nierenerkrankung dadurch verschlimmert und ihre Dauer ver¬ 
längert wird. 

Es ist schwer, über den Einfluß der verschiedenen Diäten 
auf die Secretion der Nieren zu einem absolut sicheren Resultate 


zu kommen, denn, wenn wir die täglichen Harnmengen, die 
tägliche Ausscheidung von Eiweiß und Harnstoff" bestimmen, 
so ist es überraschend, wie sehr unter denselben Bedingungen 
diese Zahlen von Tag zu Tag wechseln; so z. B. fand ich bei 
einem Individuum und bei derselben Diät und den gleichen 
Allgemeinverhältnissen während 7 aufeinander folgenden Tagen 
die totale Harnmenge von 35 auf 70 Unzen und eine Eiwei߬ 
ausscheidung von 443, 457, 346, 341, 420, 325 und 459 Gran 
und an 7 aufeinander folgenden Tagen die Harnstoffmenge 
491, 479, 692, 730, 538, 584 und 617 Gran. 

Beobachtet man einzelne Fälle durch längere Zeit, so 
gelingt es doch zu bestimmten Schlußfolgerungen über diese 
Frage zu gelangen. Ich habe während der letzten Jahre zahl¬ 
reiche Beobachtungen in dieser Hinsicht gemacht und eine 
gewisse Reihe von Diäten ausgewählt, die gegenwärtig in der 
Royal infirmary in Edinburgh in Gebrauch stehen. Ich habe 
diese Diäten in sorgfältig ausgewählten Fällen versucht, und 
wenngleich es schwer war, die Kranken an dieselbe streng zu 
halten, so glaube ich dennoch, daß ich berechtigt bin, aus 
meinen Erfahrungen ganz bestimmte Schlüsse zu ziehen. Die¬ 
selben lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen; 

1. Als Regel vermehrt die ausgedehnte Diät die Menge 
des Eiweißes und folglich auch die des Harnstoffs. 

2. Die reine Milchdiät vermehrt die Harnmenge, setzt 
die Eiweißausscheidung herab uni vermehrt in manchen Fällen 
wenigstens die Harnstoffäusscheidung. 

3. Die besten Resnltate für die Erkrankung der Niere 
und für das Allgemeinbefinden der Kranken wurden durch die 
Combination der Milchdiät mit der beschränkten Diät 
erzielt. 

4. In manchen Fällen wird die Milchdiät nicht vertragen 
und verschlimmert eher die Nierenerscheinungen , wobei sie 
gleichzeitig den Kranken dyspeptisch macht. 



Albnminate 

i Kohlehydrate 

Fette' 

Salze 

Unz. 

Gewöhnliche Diä 

t. 

8 Fleisch . 

956 Gran 

— 

5407 Gran 

10325 Gran 

12 Brod . . 

420 

2583 Gran 

78-75 • „ 

6825 

12 Kartoffel 

105 

1102-5 

8-4 

52-5 

24 Milch . . ; 

460 

| 552-96 

42624 

80-64 

1 Bntter . 

13125 „ 

— 

3981825 „ 

variabel 

1 Zncker . 

— 

422-1875 „ 

— 

2-1875 „ 


1942 3125 Gran 14660-6475 Gran 

1452 2725 Gran 

306-8275 Gran 


= 4 665 Unzen 

= 10"65 Unzen 

= 3"32 Unzen 

= 701 Unzen 

Unz. 

Ausgedeh 

inte. D i ä 1 

L 

16 Fleisch . 

1912 Gran 

— 

I108P4 Gran 

206 6 Gran 

16 Brod . . 

5*5 „ i 

322875 Gran 

98-44 * ; 

85-3 

12 Kartoffel 

105 „ | 

1102*5 

8-4 

52-5 

2 Zucker . 


844-375 


4375 „ 

24 Milch . . 

460 


426-24 „ | 

80-64 

1 Butter . 

1-3125 n 

552 96 „ j 

398-1825 „ 

— 


13003-3125 Gran 57*8-585 Granl 

2012 6625 Gran 

429315 Gran 


= 6’86 Unzen 

[ = 13-07 Unzen | 

= 4"6 Unzen 

! 

= 0 9 Unzen 

Unz. 

80 Milch . . 

3"2 Unzen 

M i 1 c l 
3"84 Unzen j 

i d i ä t. 

2"96 Unzen 

0 56 Unzen 

Unz. 

E i 

n g e s c h r 

ä n k t e Di 

ä t. 

12 Brod . . 

420 Gran 2583 Gran 

[ 78 75 Gran' 

68’25 Gran 

24 Kartoffel 

j *io 

2*05 

! 16-8 „ ! 

105 

4 Zucker . 


1688-75 

_ t 

875 

24 Milch . . 

460 „ I 

55296 

426-24 „ l 

80-64 

1 Butter . 

1-3125 „ ! 

— 

398-1825 „ | 

— 


10913125 Gran 

702971 Gran 

919 9725 Gran 

262"64 Gran 


= 2"494 Unzen 

= 16 06 Unzen 

= 2102 Unzen 

= 0"6 Unzen 


Was nun die Wirkung dieser Diäten auf die verschiedenen 
Varietäten des Morbus Brightii betrifft, so ist die Milch von 


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1693 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1694 


ausgezeichneter Wirkung in den Fällen von Entzündung der 
Tubuli, sie ist weniger geeignet bei fortschreitender interstitieller 
Erkrankung, weil damit Anaemie, gastrointestinale und andere 
Störungen verbunden sind. Bei der Amyloiddegeneration ist 
die Milch viel geeigneter, ihre diuretische Wirkung wird 
hier freilich schwerlich erheischt, aber ihre Wichtigkeit besteht 
in der Vermeidung jeder Nierenreizung. Um einzusehen, wes¬ 
halb eine ausgedehnte Milchdiät für Brightiker so geeignet ist, 
müssen wir uns die Indicationen bezüglich der Diät vor Augen 
führen. 

Erstens ist es von Wichtigkeit, daß die Diät eine nahr¬ 
hafte sei, zweitens muß sie leicht verdaulich sein, drittens 
darf sie weder an sich, noch durch ihre chemischen Um- 
wandlungs- und Zersetzungsproducte auf die Nieren reizend 
einwirken. 

Nun erfüllen aber die Milchspeisen besser als alle anderen 
Nahrungsmittel diese Indicationen, und diese Eigenschaften im 
Verein mit der diuretischen Wirkung sind es. welche der 
Milch eine solche Bedeutung verleihen. Die Nachtheile einer 
ausschließlichen Milchdiät bestehen darin, daß die Milch häufig 
von den Kranken nicht vertragen wird, daß sie Magencatarrh, 
functioneile Störungen der Leber und Verstopfung erzeugen 
kann. Diese Folgen können zum großen Theil vermieden werden, 
wenn man die Milch vorsichtig verabreicht. Ich befolge im 
Allgemeinen die Regel, die Milch nie auf einmal in großen 
Quantitäten verabreichen zu lassen, sie immer mit Wasser zu 
verdünnen, kalt oder warm, eventuell mit Sodawasser gemischt 
zu geben, Kalkwasser hinzuzusetzen, wenn Neigung zu Diarrhoe, 
und Magnesia, wenn Neigung zu Verstopfung besteht. Zuweilen 
wende ich die Milch kuhwarm an. manchmal, namentlich wenn 
Leberstörungen vorhanden sind, als abgerahmte Milch, ein 
andermal als Buttermilch , bei geschwächter Verdauungskraft 
wird die Milch zweckmäßig peptonisirt. 

Wie bereits erwähnt, hat mir die reine Milchdiät nicht 
die besten Resultate geliefert, vielmehr ziehe ich eine Diät 
vor, die harptsächlich aus Milch, aber auch aus etwas Pudding, 
Obst und weißem Fleisch besteht. (Schluß folgt.) 

Dio Trichloressigsäure und ihre Anwendung 
als Aetzmittel 

bei dtn 

Krankheiten der Nase nnd des Rachens. 

Von Dr. L. Bdthi io Wien. 

In einer Pnblication aus der JiJRASz’schen Klinik „Ueber 
die Anwendung und Wirkung des Acidum triehloraceticum 
bei den Krankheiten der Nase und des Rachens“ von Dr. H. 
A. Ehbmann 9 werden so viele Vorzüge der Trichloressig¬ 
säure aufgezählt und das neue Aetzmittel so gerühmt, daß 
wir sogleich daran gingen. es zu versuchen. Namentlich 
werden die Qualität des Aetzschorfes. das Localisirtbleiben 
desselben, das Fehlen subjectiver Beschwerden und der fast 
vollständige Mangel jedweder entzündlichen Reaction so lobend 
hervorgehoben, daß wir bei allen in Behandlung stehenden 
und neu in Behandlung tretenden Nasen- und Raehenkranken 
statt der bisher angewendeten Chromsäure und Galvanokaustik 
die Trichloressigsäure und bis zum Abschlüsse unserer Beob¬ 
achtungen nur hie und da vergleichsweise auch die oben¬ 
genannten älteren Mittel an wendeten. 

Wir haben die Trichloressigsäure als Aetzmittel bisher 
2l4mal bei 08 Kranken angewendet-) und konnten uns über 
sie. trotzdem die Versuchsreihe nicht groß ist, ein abschließendes 
l'rtheil bilden, weil die Erscheinungen fast in allen unseren Fällen 
die gleichen waren und wir um so präciser beobachten konnten, 
als es sich nicht um Spitalsmateriale, sondern ausschließlich um 
Privatkranke handelte. Wir benützten die Trichloressigsäure als 

') Münchener med. Woclienschr. 1890, Nr. 9 

*) Seit dem Abschlüsse dieser Arbeit, Jnli d. J., kamen bis heute noch 
etwa 80 Aetzungea bei 23 Krauken hinzu. 


Aetzmittel bei 31 hypertrophischen Nasencatarrhen,'18 follicu- 
lären Pharyngitiden. 7 Fällen von Pharyngitis lateralis. 
9 Tonsillarhypertrophien und 3 Aphthen; im Kehlkopf und 
Nasenrachenraum haben wir das Mittel nicht versucht. In 21 
Fällen wurde lmal geätzt, in 14: 2mal. in 16: 3mal und in 
17 Fällen 4—lOmal, die letzteren betrafen durchwegs chro¬ 
nische Rhinitiden. 

Bei den weiter unten noch näher zu würdigenden, 
außerordentlich hygroskopischen Eigenschaften der farblosen, 
durchsichtigen Krystalle (C Cl 3 CO a H) der Trichloressigsäure 
war es schwer, einen passenden Aetzmittelträger zu finden. 
Wir benützten hiezu eine abgeplattete, vorne zur Aufnahme 
der Krystalle auf einer Seite ausgehöhlte, einem Ohrlöffel 
ähnliche Silbersonde. Die von Ehr\jann angegebene Knopf- 
sonde, deren Knopf vorne ausgehöhlt ist, konnten wir 
nur dann gebrauchen. wenn es sich um Aetzungen am vor¬ 
dersten Ende der unteren Muschel und um Manipulationen im 
Rachen handelte; für gewöhnlich jedoch mußten wir von ihrer 
Verwendung Umgang nehmen, weil sie den Krystall nicht auf 
der Seite trägt, sondern vorne. Auch ist es eher möglich mit 
unserer platten und weniger voluminösen Sonde durch schmale 
Spalten durchzukommen, als mit der, wenn auch dünnen, vorne 
immerhin kolbig zulaufenden Knopfsonde. Trotzdem kamen auch 
bei großer Vorsicht bei der Anwendung der Knopf- wie auch 
der Löffelsonde unbeabsichtigte leichtere Verätzungen vor, da 
es bei der großen Zerfließlichkeit der Trichloressigsäure sehr 
leicht passiren kann, daß ein Krystall unterwegs herunterfällt. 
— Wollte man sich durch schmale Spalten in der Nase hin¬ 
durchzwängen , so würde man, bis die zu ätzende Stelle er¬ 
reicht wäre, alle Krystalle von der Sonde abstreifen. 

Trotz vorheriger Cocainisirung waren die Schmerzen 
bei den Aetzungen in der Nase in mehr als der Hälfte der 
Fälle ziemlich intensiv, manchesmal lange anhaltend und 
außerordentlich heftig; sie stellten sich zumeist nach 1 —2 
Minuten in voller Intensität ein und ließen erst nach 5—10 
Minuten, mitunter erst nach 1 / 3 Stunde nach. Fast immer thränten 
die Augen und sehr oft stellten sich Niesanfälle von 10—15 
Minuten langer Dauer ein. Die Aetzungen im Rachen verur¬ 
sachten, ausgenommen bei 2 Fällen von Pharyngitis lateralis, 
wenig Schmerzen; ebenso waren, die Aetzungen der Aphthen 
nach vorheriger Cocainisirung nur wenig schmerzhaft. Das 
Medicament riecht nicht unangenehm, wenn sich auch nicht 
Jeder mit dem säuerlichen Geruch befreunden konnte. 

Unmittelbar nach der Application der Trichloressigsäure 
entsteht auf der Schleimhaut an der Berührungsstelle ein weißer, 
dicker Schorf, welcher nach oben zumeist gut begrenzt ist, 
nach der Seite hin aber und namentlich nach unten sehr ver- 
schwommene Grenzen hat und viel dünner ist. Stets 
muß man darauf gefaßt sein, daß nicht nur die berührte 
Stelle, sondern auch die unterhalb derselben befindlichen Partien 
in wechselnder Ausdehnung von 0'5bis U5 Cm. angeätzt werden. 
In vielen Fällen, namentlich bei den Aetzungen verdickter Seiten- 
stränge im Hachen, wenn reflectorisch Contraction der Rachen- 
musculatur eintritt und sich die Schleimhaut in verticale 
Falten legt, erstreckt sich die weiße Verfärbung auch weithin 
nach oben. Der Schorf zerfließt und die Aetzwirkung 
läßt sich nicht localisiren. Sehr bedeutendes Zerfließen 
des Schorfes habe ich bei 84 Aetzungen notirt, bei 112 noch 
in sehr ausgesprochenem Maße und nur in 28 Fällen konnte 
man den Schorf als localisirt ansehen. 

Was nun die reaetiven Erscheinungen betrifft, so war bei 
65 Aetzungen nach 10—24 Stunden eine ziemlich bedeutende R«- 
action aufgetreten; in 15 Fällen, nämlich 5mal bei Pharyngitis 
lateralis und lOmal bei Aetzungen in der Nase waren sehr bedeu¬ 
tende Reactionserscheinungen, intensive Schmerzen, 
Schlingbeschwerden, Stimschmerz, Schwere im Kopf etc. vor¬ 
handen während in den übrigen Fällen und namentlich bei 
Verätzungen hypertrophischer Mandeln nur eine geringe ent¬ 
zündliche Reaction am Rande des Aetzschorfes zu sehen war. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


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Die Abstoßung des Schorfes erfolgte im Durchschnitt 
nach 6 Tagen; in 22 Fällen nach 2, in 38 nach 3, in 43 nach 
4, 58 nach 6, 21 nach 6, 12 nach 7, 18 nach 8—11 und in 
2 Fällen nach 12 Tagen. Die Aetzung konnte also in der 
Nachbarschaft durchschnittlich nach 5 Tagen fortgesetzt werden. 

Es haben sich uns, gegenüber den Angaben von Ehr¬ 
mann, einige nicht unwesentliche Differenzen bezüglich der 
Wirkung der Trichloressigsäure ergeben, auf die wir nun 
eingehen wollen. Es sollen „während der Aetzung in 
der Regel höchst auffallender Weise keine subjectiven Be- ! 
schwerden auftreten. Schmerzen, heißt es, kommen in der 
Nase nach vorheriger Cocai'nisirung während und nach der 
Aetzung nicht vor, nur selten klagen die Patienten über 
mäßiges Brennen, das aber in weniger als 1 Stunde zu ver¬ 
schwinden pflegt. 3 Patienten klagten über Reißen in den 
Zähnen und in einigen Fällen stellten sieh bei der Verätzung 
der mittleren oder unteren Muscheln Thränen der Augen 
und Niesanfälle ein, die aber gleichfalls nur sehr kurz dauerten.“ 
Bei nur 2 von 26 Fällen beobachtete Ehrmann „stärkere 
unangenehme Nachwirkungen, namentlich Kopfschmerzen, 
die aber vor der Aetzung bestanden, und durch letztere nur 
intensiver wurden. Im Mund und Rachen waren die subjectiven 
Empfindungen stets ganz unbedeutend, die Application schmerz 
los. . . . Ausgesprochenen Brechreiz, heißt es weiter, habe ich in 
keinem Falle bemerkt; ebenso kamen Hustenfälle, Schlingbe¬ 
schwerden, oder sonstige Folgeerscheinungen der Aetzung nie 
zur Beobachtung.“ Daß die Aetzung mit Trichloressigsäure 
schmerzlos ist, soll auch der Umstand beweisen, das Kinder, 
das jüngste 7 Jahre alt, sogar mehr als einmal und ohne 
Assistenz geätzt werden konnten. 

Dem entgegen müssen wir hervorheben, daß die Schmerzen, 
wie bereits erwähnt, in mehr als der Hälfte der Fälle sehr 
intensiv, „intensiver als bei Chromsäure“ und in einigen Fällen 
nachhaltig und außerordentlich heftig waren, „heftiger noch als 
beim Gltineisen“. Dem Thränen der Augen, den Niesanfällen 
und dem Reißen in den Zähnen bei den Aetzungen in der Nase 
legen wir keine Bedeutung bei, denn man kann täglich beobachten, 
daß geringfügige Eingriffe, einzelne Pinselungen mit einer Jod- 
j odkaHumlösung lange anhaltende Niesanfälle und Zahnschmerzen 
zur Folge haben, und daß sich andererseits oft auch bei energischen 
Cauterisationen an den unteren Muscheln keine Zahnschmerzen 
einstellen. Bezüglich der Bereitwilligkeit der Kinder, sich 
wiederholten Aetzungen zu unterziehen, haben wir des öfteren 
bei Kindern von 5 Jahren eine Reihe von Aetzungen mit 
Chromsäure vorgenommen, so daß wir folgerichtig die An¬ 
wendung dieses Aetzmittels für schmerzloser ansehen müssen, 
als die der Trichloressigsäure. Wir stützen uns bei unseren 
Aussagen über die früher schon hie und da — von Tobold 
und Buöworth empfohlenen und von Herynü wieder eingefülirte 
Chromsäure — auf ca. 5000 Aetzungen, die wir in den letzten 
5—6 Jahren vorgenommen, und mindestens auf ebensoviele 
Aetzungen, die wir beaufsichtigt haben. Wir glauben daher 
zu einem abschließenden Urtheil über dieselbe berechtigt zu 
sein und können es mit Bestimmtheit aussagen, daß die Appli¬ 
cation der Chromsäure weniger schmerzhaft ist, als die der 
Trichloressigsäure. (Schluß folgt.) 

Aus der Klinik des Prof. v. Kordnyi in Budapest . 

Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Meoge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Or. Morin Strioker und Dr. Wilhelm Friedrich. 

(Fortsetzung.) 

Die in diesen 3 Fällen vollführten Versuche ergaben 
folgende Resultate: 

a) Nach Einnahme 4°igen Wassers. 

I. *) Die Zahl der Herzcontractionen stieg nach 15 Se- 
cunden um 5, aber schon nach 45 Secunden sank sie um 4 

*) Im Folgenden bezieht sich die römische Zahl auf die im Obigen mit 
derselben Zahl bezeichneten Kranken. 


unter die Originalzahl. In 7 Minuten erreichte sie mit 7 das 
Maximum der Abnahme, nach 25 Minuten hatte sie die Original¬ 
zahl noch nicht erreicht. 

Der Blutdruck stieg nach einer Minute um 15 Mm. Hg, 
in 6 Minuten erreichte er mit 15 das Maximum der Zunahme 
und kehrte nach 28 Minuten beiläufig auf den Originalwerth 
zurück: Die entsprechende sphygmographische Tabelle (s. Fig. 2) 
zeigt Folgendes: Auf der, eine Minute nach dem Trinken 
aufgenommenen Curve ist die Rückstoßelevation viel näher 
zur Spitze gerückt, die Elasticitätselevationen sind in größerer 
Zahl vorhanden, was auf vergrößerte Spannung hinweist. 



H. Die Zahl der Herzcontractionen steigt 15 Secunden 
nach dem Trinken um 2, nach 30 Secunden sinkt sie um 10 
unter die ursprüngliche Zahl, in einer Minute erreicht sie mit 
18 das Maximum der Abnahme; von nun an steigt sie und 
erreicht 12 Minuten nach dem Trinken wieder die ursprüng¬ 
liche Zahl. 

Der Blutdruck sinkt 30 Secunden nach dem Trinken um 
24 Mm., erreicht in 2 Min. mit 31 Mm. das Maximum der Ab¬ 
nahme und kehrt nach 18 Min. auf den Originalwerth zurück. 

III. Die Zahl der Herzcontractionen steigt 30 Secunden 
nach dem Trinken um 18, aber schon nach 45 Secunden sinkt 
sie mit 6 unter die ursprüngliche Zahl, in 2 s / 4 Minuten er¬ 
reicht sie um 14 das Maximum der Abnahme und ist nach 
13 Minuten wieder zur Ausgangszahl zurückgekehrt. 

Der Blutdruck sinkt 3u Secunden nach dem Trinken mit 
2 Mm., nach 4 Minuten erreicht er mit 18 Mm. das Maximum 
der Abnahme und in 27 Minuten ist er wieder bei der Original¬ 
höhe angelangt. 



Fig. 3. 


Die (siehe Fig. 3) für Stenosis charakteristische und 
dem geringen Blutdrucke entsprechende sphygmographische 


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Tabelle zeigt, daß auf der 15 Secunden nach dem Trinken 
aufgenommenen Curve die Rückstoßelevation weniger aus¬ 
geprägt, von der Spitze weiter entfernt ist. Die nach 30 Mi¬ 
nuten aufgenommene Curve ist der ersten, vor dem Trinken 
aufgenommenen wieder ganz ähnlich. 

b) Nach der Aufnahme 8° Wassers. 

I. Die Zahl der Herzcontractionen sinkt nach 15 Secunden 
um 8, in 30 Secunden erreicht sie das Maximum der Ab¬ 
nahme und ist nach 13 Minuten zur ursprünglichen Zahl 
zurückgekehrt. 

Der Blutdruck steigt nach einer Minute um 15 Mm., 
in 4 Minuten erreicht er mit 20 Mm. das Maximum der Zu 
nähme, in 28 Minuten besitzt er wieder den Originalwerth. 

Die sphygmographischen Aufnahmen bestätigen die 
Werthe des Sphygmomanometers. 

II. 15 Secunden nach dem Trinken steigt die Zahl der 
Herzcontractionen um 4, nach 30 Secunden hat sie wieder 
den Ausgangswerth erreicht, ist in 75 Secunden schon unter 
letzteren gesunken, nach 2 Minuten erreicht sie mit 6 das 
Maximum der Abnahme und nach 6 Minuten kehrt sie auf 
die Ausgangshöhe zurück. 

Der Blutdruck steigt 30 Secunden nach dem Trinken 
um 25 Mm., in 2 Minuten erreicht er mit 35 das Maximum 
der Zunahme, von jetzt an sinkt er und ist in 15 Minuten 
wieder auf dem Ausgangswerth. 

Die nach 15 Secunden und 1V* Minute aufgenommenen 
sphygmographischen Curven zeigen eine geringe Steigerung 
der Blutspannung. 

III. Die Zahl der Herzcontractionen steigt 15 Secunden 
nach dem Trinken um 4, aber schon mit 30 Secunden sinkt 
sie um 8 unter den Ausgangs werth, was zugleich das Maxi¬ 
mum der Abnahme ist. In 20 Minuten nach dem Trinken 
hat sie den Originalwerth noch nicht erreicht. 

Der Blutdruck sinkt 30 Secunden nach dem Trinken 
um 5 Mm., in 2 Minuten um 12 Mm. und kehrt beiläufig in 
12 Minuten auf den Originalwerth zurück. 

Die während dieses Versuches aufgenommenen sphygmo¬ 
graphischen Curven zeigen keine besondere Veränderung. 

Wir sind überhaupt während unserer Versuche zu der 
Uebcrzeugung gelangt, daß die sphygmographischen Curven 
mit den der Zeit nach entsprechenden Werthen des Sphygmo¬ 
manometers nicht immer Schritt halten, besonders bei ineom- 
pensirten kranken Herzen; ja in letzteren Fällen kam cs vor, 
daß wir aus der sphygmographischen Curve auf Abnahme 
der Blutspannung folgern konnten, während der Sphygmo¬ 
manometer zur selben Zeit gerade im Gegentheile eine Zu¬ 
nahme des Blutdruckes zeigte. Daher können wir, besonders 
bei kranken Herzen, aus dem Sphygmogramme allein auf die 
Aenderung des Blutdruckes nicht schließen. 

c) Nach Aufnahme 12° Wassers. 

I. Die Zahl der Herzcontractionen erreicht mit 7 das 
Maximum der Abnahme und kehrt nach 24 Minuten zum Aus- 
gangswertbe zurück. 

Der Blutdruck erreicht in 4 Minuten mit 10 Mm. das 
Maximum der Zunahme, von nun an sinkt er und hat nach 
25 Minuten den Original werth erreicht. 

II. Die Zahl der Herzcontractionen steigt nach 15 Se¬ 
cunden um 4, aber schon nach 45 Secunden sinkt sie um 4 
unter den Ausgangswerth, in l 8 / 4 Minuten erreicht sie mit 10 
das Maximum der Abnahme und in 8 Minuten ist sie wieder 
beim Ausgangs werth. 

Der Blutdruck erreicht in 30 Secunden mit 25 Mm. das 
Maximum der Zunahme und ist nach 8 Minuten auf den Original¬ 
werth zurückgekehrt. 

III. Die Zahl der Herzcontractionen erreicht in l 1 2 
Minuten mit 11 das Maximum der Abnahme, in 20 Minuten 
hat sie den Ausgangswerth noch nicht erreicht. 


Der Blutdruck erreicht in 15 Secunden mit 11 Mm. das 
Maximum, in 1 l / i Minute ist er schon auf den Ausgangswerth 
zurückgekehrt; von nun an schwankt er mit 3—4 Mm. Hg 
und bleibt in 15 Minuten nach dem Trinken ständig auf dem 
ursprünglichen Werthe. 

In diesem, wie auch in den letzteren Fällen zeigen 
die sphygmographischen Curven keine besonderen Verände¬ 
rungen. 

d) Nach Aufnahme 1G° Wassers. 

I. Die Zahl der Herzcontractionen steigt zwar 15 Se¬ 
cunden nach dem Trinken um 5, aber schon nach 45 Secunden 
kehrt sie zum Ausgangswerth zurück; von nun an sinkt sie 
um kaum 3 Schläge und bleibt nach 10 Minuten ständig 
auf dem Originalwerthe. 

Der Blutdruck steigt nach 3 Minuten um 10 M m. Hg. 
aber schon nach 7 Minuten ist er wieder beim Ausgangs- 
werthe. 

Die sphygmographischen Curven zeigen auch diesmal 
keine Veränderung. 

e) Nach Aufnahme 25°igen Wassers. 

I. Die Zahl der Herzcontractionen steigt nach 15 Se¬ 
cunden um 16, aber schon nach 45 Secunden kehrt sie wieder 
zum Ausgangswerthe zurück und bleibt mit kleinen Schwan¬ 
kungen hier stehen 

Der Blutdruck steigt 2 Minuten nach dem Trinken um 
5 Mm. Hg, erreicht aber bald wieder den Original werth. 

II. Die Zahl der Herzcontractionen sinkt 1 1 /, Minuten 
nach dem Trinken um 4, in 1 3 / 4 Minuten steigt sie um 4 über 
den Ausgangswerth und kehrt zu letzterem schon 8 Minuten 
nach dem Trinken zurück. 

Der Blutdruck erreicht mit 35 Mm. in l‘/ 2 Minuten das 
Maximum der Abnahme und ist in 15 Minuten wieder beim 
Ausgangs werth. 

Die nach 15 Secunden und 2 Minuten aufgenommenen 
sphygmographischen Curven zeigen die Verminderung der 
Blutspannung (siehe Fig. 4). 



... Vor dem Trinken. 


.. 15 Secunden nach dem Trinken 
. . X Minuten _ _ „ 


Fig. 4- 

III. 15 Secunden nach dem Trinken steigt die Zahl der 
Herzcontractionen um 21, aber schon nach 3 Minuten er¬ 
reicht sie annähernd den Ausgangswerth und bleibt mit ge¬ 
ringen Schwankungen auf demselben stehen. 

Die sphygmographischen Curven zeigen während dieses 
Versuches bald auf erhöhte, bald auf verminderte Spannung 
der Arterienwand. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

0. Rosenbach und F. Pohl (Breslau): Das antagonistische Ver¬ 
halten der Jod- und Salicylpräparate bezüglich 
der Ansseheidung in Gelenke, Exsudate und 
Transsudate. 

Verff. suchten festzustellen, an welchen Orten gewisse Medi- 
camente, die man allgemein für wirksam hält und über deren 
schnellen Uebergang in den Kreislauf keiu Zweifel besteht, bei 
einer der verschiedenen Methoden der Einverleibung ausgeschieden 
werden. Die seit einer Reihe von Jahren angestellten Versuche mit 
Jodkalium und salicylsaurem Natron ergaben stets folgende con- 


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stante, in Nr. 36 der „Berliner felin Wocbenschr.“ mitgetheilte 
Resultate ; 

Die Salicylpräparate gehen nicht nur in den Urin, sondern 
auch in die Flüssigkeit der serösen Höhlen (die Gelenke, das 
Peritoneum und die Pleuren) — bei normaler Beschaffenheit der 
Serosa, wie bei serösen Ausschwitzungen — über; sie sind stets 
in Stauungstranssudaten, aber auch in eitrigen Exsudaten, doch 
bei letzteren in geringerer Menge nachweisbar. Pleuritiden oder 
Peritonitiden machen hiebei keinen Unterschied. Dagegen gelingt 
es nicht, salicvlsaures Natron im Speichel, Magensaft oder Darm, 
sowie in der Galle nachzuweisen. — .Jodpräparate gehen bei inner¬ 
licher und 8ubcutaner Application in den Urin und Speichel über; 
sie sind ebenso wie salicvlsaures Natron in Transsudaten der Haut, 
des Abdomens, der Pleura bei den verschiedensten Krankheits¬ 
processen nachweisbar; sie gehen aber, im Gegensatz zu jenen, nie 
in seröse oder eitrige Exsudate über; auch ist trotz reichlichen 
innerlichen Jodgebrauches beim gesunden und kranken Menschen 
Jod nie in der Flüssigkeit der Gelenkhöhlen oder der Serosa der 
Gelenke nachweisbar. 

Salicylsaures Natron, bei Anwesenheit von Transsudaten, serösen 
oder eitrigen Exsudaten in die Geleukhöhlen oder serösen Cavitäten 
eingespritzt, ist in allen Fällen nach kurzer Zeit im Urin nach¬ 
weisbar. Jodkalium, in derselben Weise dem Organismus einver¬ 
leibt, läßt sich ebenfalls nach wenigen Minuten im Speichel und 
Urin nachweisen, ganz gleicbgiltig, ob entzündliche oder bloße 
Stauungsvorgänge in den betreffenden Höhlen Vorlagen. 

Es besteht also zwischen Jod und Salicyl der fundamentale 
Unterschied, daß das Salicyl, per os oder per anum gegeben 
oder subculan oder in eine Höhle injicirt, in jeder Richtung des 
Säftestroms und in allen serösen Höhlen, sowie im Urin zur Aus 
Scheidung gelangt, während Jod, in den gebräuchlichen Dosen 
per os einverleibt, nur in die Transsudate Übertritt, aber nie in dio 
normalen oder entzündeten Gelenke oder in die Exsudate der Höhlen, 
der serösen Räume der Pleura und des Peritoneums abgeschieden 
wird. Daraus folgen zwei wichtige Thatsachen: 

a) daß Jodpräparate in der Behandlung des acuten Gelenk-. 
rheumatismus, sowie bei der Therapie der serösen und eitrigen 
Entzündung der Pleura und des Peritoneums absolnt unwirksame 
Mittel sind, da sie nicht au den Ort der Affection gelangen; 

b) daß die Salicylpräparate nicht nur beim acuten Gelenk¬ 
rheumatismus, sondern auch bei der serösen Pleuritis mehr als bisher 
in Anwendung gezogen werden sollten, da sie ja in nicht unbe¬ 
trächtlicher Menge io der Pleurahöhle zur Abscheidung gelangen. 
Da es sich hier um große Höhlen bandelt, so wäre es zweckmäßig, 
um eine energische Wirkung des Medicaments zu erzielen, große 
Dosen anzuwenden, oder das Mittel gleich nach der Punction zu 
reichen, um eine möglichst intensive Abscheidung hervorzurufen; 
auch die Injection in die Höhle nach erfolgter Punction scheint 
gewisse Vortheile bei der Behandlung zu bieten. 

Die schon bekannte diuretische Wirkung des salicylsauren 
Natrons tritt schon bei Injection von 1 Grm. des Mittels in die 
Bauchhöhle bei durch Nephritis bedingtem Ascites ganz eclatant in 
die Erscheinung ein, und namentlich beim Vergleich mit Digitalis 
recht sichtbar. 

Schließlich mag noch bemerkt werden, daß die Differenz in 
der Absonderungsweise der genannten Stoffe in zweifelhaften FälleD 
zu Differentialdiagnosen zwischen Exsudaten und Transsudaten benutzt 
werden kann, da in allen Fällen, in denen nach der Einverleibung 
von Jod durch den Mund die Probepunction kein Jod in der Flüssig¬ 
keit nachweisen läßt, ein exsudativer Erguß und kein Transsudat ange¬ 
nommen werden muß, auch wenn die Beschaffenheit der Flüssigkeit 
den (entzündlichen) Charakter der Ausscheidung, wie so oft, nicht 
erkennen läßt. S. 


F. Trendelenburg Ueber Blasons oheidenfisteloper a 
tionen und über Beckenhochlagerung bei Ope¬ 
rationen in der Bauchhöhle. 

Gegenwärtig ist allen Methoden der Blasenscheidenfistelopera¬ 
tion das Princip gemeinsam: Freilegung und Anfrischung der 
Fistel von der Vagina aus, Nahtverschluß durch directe Vereinigung 
der angefrischten Fistelränder. 


Für besonders ungünstige Fälle, welche nach diesem Principe 
nicht zur Heilung zu bringen sind, hat T. mit Erfolg versucht, 
andere Wege des Verschlusses ausfindig zu machen, und hat ge¬ 
funden, daß 

1. Fisteln, welche von der Scheide aus nicht genügend zu¬ 
gänglich zu machen sind, mit Erfolg von der Blase aus frei¬ 
gelegt, angefrischt und vernäht werden können, und 

2. daß Fisteln, welche sich durch directe Vereinigung der 
Ränder nicht schließen lassen, unter Umständen durch Deckung mit 
einem Lappen aus der hinteren Scheidenwand geschlossen werden 
können. 

Dabei schildert T. (Volkmann’s Sammlung, Nr. 355) ein¬ 
gehend das Wesen und die Vortheile der Beckenhochlageruug, welche 
allein das Innere der Blase so aufzuschließen vermag, daß man der¬ 
artige feinere Operationen in der Blase vornehmen kann. 

Bueus. 


Der klinische Unterricht in der Psyohiatrie. Eine 
Studie von R. v. Krafft-Ebing, o. ö. Professor für Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten an der k. k. Universität Wien. Stutt¬ 
gart, 1890, Ferdinand Enke. 

Ein soeben erschienenes kleines Heftchen gibt Demjenigen, 
der nicht durch Jahre als Fachmann eingelebt ist, eine völlig neue 
und klare Anschauung über die Nöthigkeit des psychiatrischen 
Unterrichtes für den Arzt, über die Geschichte der Entwicklung 
der psychiatrischen Lehranstalten, ihren schweren Kampf gegen 
Laienvorurtbeil und übertriebene Sentimentalität, Unterschätzung der 
allgemeinen Bedeutung psychiatrischer Bildung für jeden Arzt und 
der Ueberschätzung des Vortheiles absoluter Abgeschlossenheit von 
Geisteskranken gegenüber einer Demonstration vor einem gereiften 
ärztlichen Auditorium. Ein zweiter Abschnitt des Buches skizzirt 
die Aufgaben der psychiatrischen Klinik, welche v. Krafft-Ebing 
mit beredten Worten eines begeisterten und durch mehr als zwei 
Dccennien wohl mit der hohen Bedeutung seines Faches vertrauten 
Lehrers schildert. Nur unser heutiger, von maßgebender Seite ernst 
getadelter Zustand der ärztlichen Ausbildung läßt das Unbegreifliche 
als beklagenswerthe Thatsache feststellen, daß sowohl ein weites 
Feld von alltäglichen Erkrankungen, deren Frequenz etwa das 
Fünffache der gleichzeitig in Spitälern zur Aufnahme gelangenden 
Herzkrankheiten ausmacht, die Psychosen, einem Doctor der ge- 
sammten Heilkunde in der allergrößten Mehrzahl der Fälle völlig 
unbekannt bleibt, daß derselbe Arzt die noch vielfach häufigeren 
psychischen Symptome von inneren Erkrankungen, von Nerven¬ 
krankheiten, nicht kennen lernt Der Autor gibt nun eine Skizze 
dessen, was der Unterricht in der Psychiatrie zur nothwendigen 
Ergänzung einer allgemeinen klinischen Bildung an Material bedarf 
und leisten soll, und führt in einem letzten Abschnitt auch jene 
tiefere psychiatrische Bildung aus, die der Psychiater und der 
Gerichtsarzt erlangen sollen. Je mehr die moderne Literatur mit 
oft recht unkundiger, schülerhafter Hand es versucht, psychische 
Erkrankungen zum Vorwurf zu wählen, je mehr fachlich ungebildete 
Personen den so oft von Geisteskranken und ihren Angehörigen 
erhobenen Ruf ausstoßen, man halte Geistesgesunde ungerecht in 
Anstalten zurück, selbst ernste Richter manchmal eine Scheu tragen, 
einen Angeklagten einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen 
zu lassen, umso dringender wird wohl für den Staat die Pflicht, zu 
allen seinen ärztlichen Functionären uur gründlich psychiatrisch 
gebildete Aerzte zu ernennen und ihre tüchtige Ausbildung sicher¬ 
zustellen. Und dennoch ergibt die Aufzählung der bereits bestehen¬ 
den psychiatrischen Kliniken, daß noch in manchen Universitäten 
Deutschlands und Oesterreichs psychiatrische Kliniken zum Unter¬ 
richte von Aerzten in diesem wichtigen Gebiete fehlen. Weiter aber 
ergibt die Thatsache, daß sich die Unterrichtsverwaltungen Deutsch¬ 
lands und Oesterreichs noch nicht entschließen konnten, die Psy¬ 
chiatrie zu einem obligaten Fache zu erheben, daß sie sich mit der 
Bedeutung dieses umfänglichen Theiles einer ärztlichen Gesammt- 
bildung nicht vertraut gemacht haben. Allenthalben wird der Arzt 
vom Publikum und vom Staate, abgesehen von fachlich psychiatri¬ 
schen Gutachten, zu Rathe gezogen, bei hygienischen Maßregeln, 
bei Unterrichtsangelegenheiten, in der viel ventilirten Frage der 
Unterricht8-Ueberbürdung, bei der Erziehung und Pflege der Kinder, 


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: 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


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und man glaubt dazu von jedem, im Gebiete der psychischen Er¬ 
krankungen völlig Ungebildeten ein fachmännisches Urtheil erhalten 
zu können. Man zieht allenthalben zu Felde gegen Curpfuscherei, 
gegen jede Ueberschreitnng des Gebietes, für das ein Handwerker 
den Befähigungsnachweis erbracht hat, und doch läßt man allent 
halben Geisteskranke von Aerzten behandeln, die außer in ihrer 
Praxis nie einen Geisteskranken gesehen und nie einen Unterricht 
in diesem Gebiete erbalten haben. Hier besteht eine Lücke, die 
wohl nur durch das Ungelöstsein so vieler anderer brennender 
Fragen eine Erklärung findet, aber dringend einer Abhilfe bedarf. 
Noch ist es eben nicht Gemeingut geworden, daß das Gebiet jener 
Gehirnerkrankungen, welche wegen ihrer psychischen Symptome 
eine besondere Wartung, besondere juristische Maßregeln bedingen, 
eben nur eine äußerlich gesonderte Stellung unter den Erkrankungen 
des Gesammtnervensystems einnehmen, indem sich besondere Spitals¬ 
räume oder Anstalten zur Aufnahme dieser Kranken nöthig erwiesen. 
Diese räumliche Absonderung ist es wohl zumeist, die sie dem Blicke 
der Mehrzahl der Aerzte seit dem Bestände von Irrenanstalten ent¬ 
zogen hat. So lange noch die Psychiatrie nicht zu einem Capitel 
der Gehirnpathologie zählte, sondern einen Bruchtbeil eines philo¬ 
sophischen Faches, der Psychologie, zu bilden schien, konnte diese 
Entfremdung der Aerzte in dem völlig fernliegenden Gedankenkreise 
eine besondere Begründung erfahren. Seitdem in den Herderkran¬ 
kungen des Gehirnmantels scharf begrenzte psychische Ausfalls¬ 
erscheinungen jedem Arzte in klinischen Vorlesungen vorgeführt 
werden, seitdem die Gehirnfunction nicht mehr ein Buch, verschlossen 
mit sieben Siegeln, bedeutet, und die phantastischen philosophischen 
Betrachtungen einer wissenschaftlichen Erkenntniß d6r normalen und 
krankhaften Gehirnfunction weichen mußten, ist die Psychiatrie ein 
Gebiet der Pathologie, das dem Arzt nicht ferner liegt, als das 
Verständniß der cerebralen Herderscheinungen. Auch in der Lehre 
von den Kreislaufsstörungen durch Herzkrankheiten hat sich an 
die Erkenntniß der zuerst klar begriffenen Klappenerkrankungen 
das viel schwierigere 8tudium der Herzmuskelerkranknngen als eine 
hochwichtige Erweiterung des sonst werthlosen einseitigen Studiums 
anschließen müssen, so viel auch gerade auf diesem Gebiete noch 
Zwiespalt in theoretischen und therapeutischen Fragen besteht. 
Ebenso muß an das Studium der Herderkrankungen des Gehirnes, 
einzelner diffuser, acuter entzündlicher Erkrankungen, sich die Lehre 
der mit psychischen Symptomen einhergehenden übrigen Gehirn¬ 
erkrankungen anschließen, wenn der ärztliche Unterricht nicht 
Stückwerk bleiben soll, wie der eines Arztes, der nur die Klappen- 
erkrankungen des Herzens erlernen wollte, etwa noch die acute 
Endo- und Pericarditis, Myocarditis und Herzinfarct kennen gelernt 
hat und von den idiopathischen Herzvergrößerungen und den Herz- 
neurosen nur den Namen kennt. R. v. Pfungen (Wien). 


Neuere Arbeiten über Meohanother&pie. 

(Schluß.) 

„Massotherapie“ nennt W. Murell (5) in London nach 
Dujardin-Beaumetz die mechanische Behandlungsmethode, welcher 
er ein relativ kleines Buch von 148 Seiten gewidmet hat, das 
Dr. Roth in Winterthur nach der vierten Auflage des Originals 
übersetzt hat. Dujardin-Beaumetz hat die französische Ueber- 
8etzung des Werkes mit einer Vorrede eingeleitet, die auch die 
deutsche Ausgabe enthält. Mit Verwunderung fragt der deutsche 
Leser nach den Gründen dieser nicht gewöhnlichen Verbreitung 
eines -— sagen wir es geradezu — so schlechten Buches. Wo 
Herr Murell nicht Feuilletonist ist, als welcher er einige recht 
hübsch geschriebene Capitel über Geschichte der Massage, über 
Masseur und Masseuse u. s. w. bringt, wo er die Technik, Physio¬ 
logie und die Anzeigen der Methode zu schildern versucht, enttäuscht 
er auf jeder Seite. Das Capitel „Die Methode der Ausübung der 
Massage“ ist eine ungeschickte Compilation einzelner Autoren, mit 
Illustrationen versehen, welche, wenn sie nicht dem REiBMATR’schen 
Buche entnommen sind, einfach unverständlich sind. Man bemühe 
'sich einmal die „Effleurage am Vorderarme“ (Fig. 1) oder die 
„Pötrissage des Unterschenkels“ (Fig. 6) nachzuahmen. Patient und 
Masseur können diese Stellungen nicht 10 Secunden lang ertragen. 


Hat denn Herr Murell weder Divan noch Tisch zur Verfügung, 
da er Alles in der Luft schwebend massirt? Wie kann man nach 
so guten Vorbildern etwas so Ungenügendes schaffen? — Das 
Capitel „Die physiologische Wirkung der Massage“ ist gleichfalls 
eine wahllose Zusammenstellung eines kleinen Theiles der ein¬ 
schlägigen Literatur; der Rest ist dem Autor unbekannt geblieben. 
Es folgen nun die Abschnitte: Massage bei Lähmungen, Massage 
bei Verstopfung, Massage als Heilmittel bei Rheumatismus, bei 
Neurasthenie, Spinalirritation, „organischen“ und chirurgischen 
Krankheiten, bei Vergiftungen und Uterinleiden, die eine Menge 
eigener und fremder Beobachtungen enthalten, zuweilen Dinge, die 
absolut nicht in den Rahmen des Buches gehören. Murell’s Buch 
mag in England eine klaffende Lücke ausgefüllt haben, die deutsche 
Literatur hat keinen Anlaß, dem Uebersetzer dafür zu danken, daß 
er ihr die Bekanntschaft mit der „Massotberapie“ vermittelte. 

Ebensowenig können wir dem von Jörgensen und Preller 
verdeutschten Lehrbuch der schwedischen Heilgymnastik von Har- 
telius (6) unser Lob spenden, welches, in Darstellung und An¬ 
ordnung für den Unterricht der schwedischen Gymnasten bestimmt, 
den wissenschaftlich gebildeten Arzt durch die populäre, jeder 
physiologischen und pathologischen Grundlage entbehrende Diction 
abstößt und sicherlich nicht dazu beitragen wird, die Pflege der 
Heilgymnastik unter den Aerzten zu befürworten. Das sind die 
Bücher nicht, welche der Heilgymnastik die Wege in die Ordinations¬ 
stube des Praktikers ebnen. Das Buch ist vom Oberarzte am gymnasti¬ 
schen Centralinstitute in Stockholm für seine Schüler mit Fleiß 
und Hingebung geschrieben; für die ärztliche Welt hätten es die 
deutschen Herausgeber nicht nur übersetzen, sondern, den Bedürf¬ 
nissen des Arztes entsprechend, von Grund auf umarbeiten sollen. 

Die übrigen neueren Erscheinungen der einschlägigen Literatur, 
welcher wir mit Rücksicht auf den Raum nur flüchtig gedenken 
können, beziehen sich auf einzelne Indicationen mechanischer Be¬ 
handlung. — Cseri (7) hat gefunden, daß die Massage des mit 
Speisen gefüllten Magens Verdauungsstörungen verschie¬ 
denster Art (nervöse Dyspepsie, Magenectasien etc.) günstig zu be¬ 
einflussen vermag, da sie die Gasansammlungen entfernt, die Secretions- 
thätigkeit erhöht, die Magenperistaltik anregt, den Magen von einem 
Theile seines Inhaltes entlastet und endlich die cardialgischen 
Schmerzen beseitigt. Dazu kommt Verbesserung der Circulation, der 
Ernährung und gesteigerte Functionskraft des Magens. 2—3 Stunden 
nach der Hauptmahlzeit wird der Magen vom Fundus gegen den 
Pylorus zu, anfangs leise, dann kräftiger durch 10—15 Minuten 
abwechselnd gestrichen und geknetet, hierauf der Darm massirt. — 
HOnerfauth beschreibt in einer recht übersichtlich geschriebenen 
Broohure (8) die Handgriffe, welche dem Mechanotherapeuten bei 
der Massage des Unterleibes dienen, leider, ohne dieselben durch 
Illustrationen zu veranschaulichen, und widmet in einer zweiten 
Monographie (10) der mechanischen Behandlung des Rheumatismus 
und der Gicht neben Elektro- und Hydrotherapie ein ausführliches 
Capitel, in welchem er mit Recht neben der Localmassage gichtischer 
Atfectionen die allgemeine Körpermassage empfiehlt. 

Karnitzky (9) beschreibt in seiner, die einschlägige Literatur 
reproducirenden Arbeit, die von ibm geübte Technik der Bauch¬ 
massage bei Säuglingen und Kindern, welche, zumal bei ersteren, 
mit Rücksicht auf die anatomischen Verhältnisse der Bauchhöhle 
(Lage und Form des Magens, Größe der die Därme verdrängenden 
Leber) von der bei größeren Kindern und Erwachsenen geübten 
Methode einigermaßen abweicht. Die Massage nimmt K. mit trockener 
(nicht befetteter) warmer Hand vor, die Bauchhaut mit den Fingern 
fixirend. Der Dünndarm wird „au der linken Bauchseite unter den 
Rippen des Kindes“ massirt, indem der Arzt von einem beliebigen 
Punkte aus mit den fest aufgelegten Fingerspitzen zunächst kleine, 
dann immer größere excentrische Kreise beschreibt. Das Colon 
ascendens wird in der Weise bearbeitet, daß die rechte Hand mit 
gegen die Milz gerichteten, leicht gebeugten Fingerspitzen dem Unter¬ 
leibe schräg aufgelegt wird, und, kleine kreisförmige Reibungen und 
Knetungen ausführend, nach und nach den Fixationspunkt der Haut 
verändert, indem sie sich nach allen Richtungen, nach unten bis 
etwa zur Mitte der Symphyse in der Richtung des absteigenden 
Dickdarmes bewegt. Als dritten Handgriff legt K. den Daumen der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


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rechten Hand in die rechte Weiche, Zeige- und Mittelfinger derselben 
Hand mit leicht gebeugten Endphalangen in die linke Weiche und 
drückt und knetet mit kleinen Kreisbewegungen gegen das kleine 
Becken zu, jeden Druck auf Nabel und Blase vermeidend (Bewegung 
und theilweise Erweichung der im unteren Theil des Dickdarmes 
angestauten Fäcalmassen). Bei Kindern im Alter von 3—4 Monaten 
wird als vierte Manipulation die Massage des Blinddarmes und des 
Colon ascendens hinzugefügt. Mit dem Gesichte der rechten Seite 
des Kindes zugewendet, legt K. die rechte Hand flach so auf, daß 
ihre Ulnarseite den Rand des rechten Rippenbogens des Kindes 
berührt, und die leicht gebeugten mittleren Finger, etwa in der Höhe 
des rechten Beckenrandes, nach außen gerichtet sind. Nach Fixirung 
der Haut werden leichte, oberflächliche, kreisförmige Reibungen längs 
einer, dem Verlaufe des Grimmdarmes der Kinder entsprechenden 
krummen Linie vorgenommen. Das Tapotement modificirt K. derart, 
daß er bei kleinen Kindern die Flachhand auf den Bauch des Kindes 
legt und einen Druck auf die Bauchdecken, bald mit der Ulnar-, 
bald mit der Radialseite der Hand ausübt, bei älteren Kindern 
durch eine dem Clavierspielen ähnliche Manipulation mit den Finger¬ 
spitzen. 

Reibmayr’s Brochure* (11) gibt eine gute Anleitung der Be¬ 
handlung der Fettleibigkeit, welche, auf den Principien Oertel’s 
der Verminderung der Einnahmen und Vermehrung der Ausgaben 
fußend, die in letzterer Hinsicht zu beachtenden gymnastischen Be¬ 
wegungen an der Hand guter Holzschnitte schildert. — Nobström 
wiederholt in einer neuen, ausführlichen Arbeit (12) die von ihm 
vor 5 Jahren geäußerte, von Eulenbubg und dem Referenten be¬ 
stätigte Anschauung des zwischen den Myositiden der Muskeln des 
Halses und der Kopfmusculatur einerseits und Cephalitiden anderer¬ 
seits bestehenden innigen Causalnexus und beweist dieselbe neuer¬ 
dings durch 10 Fälle, in welchen die durch Massage bewirkte 
Resorption der Entzündungsherde in der Musculatur den migräneartig 
auftretenden Kopfschmerz definitiv zum Schwinden brachte. Die 
Indurationen werden durch centripetale Streichungen und Knetungen 
in Sitzungen von 15—20 Minuten behandelt, und gelingt es bald 
in wenigen Tagen, bald erst nach Monaten dieselben zn beseitigen. 
Recidiven, die zuweilen auftraten, standen an Intensität der ersten 
Erkrankung nach. Minder geeignet erwiesen sich veraltete, sowie 
solche Fälle, welche mit Hysterie und Chlorose einhergingen; contra- 
indicirt ist die Massage selbstredend bei Cephalalgien centralen Ur¬ 
sprungs. 

Eine ebenso präcise, wie erschöpfende Darstellung des Thürb 
BRANDT' schen Verfahrens der gynäkologischen Behandlung bietet 
Robert Ziegenspkck (13). Die Mängel der bisherigen deutschen 
Arbeiten über diesen, eine bereits stattliche Literatur aufweisenden 
Gegenstand sind in dieser nichts weniger als umfangreichen Arbeit 
mit großem Geschick behoben worden. Klare Diclion, übersichtliche 
Eintheilung und die bei jeder, mechanische Behandlung darstellenden 
Arbeit unentbehrlichen, hier geradezu unübertrefflichen Abbildungen 
charakterisiren die fleißige Monographie. Der strittige Punkt, die 
Erklärung der BRANDT’schen Therapie des Prolapsus uteri, wird 
von Z. dabin erläutert, daß er, zum Theile der Preuschen’ sehen 
Theorie sich anschließend, die Wirkung der Uterushebung in Dehnung 
der vorderen Fixationen der Portio sucht, die nach hinten gebracht 
wird, während die Uebungen des Levator ani den Beckenboden 
stärken und ebnen und die Oeffnung im Levator ani verkleinern und 
nach vorn verlegen. „Wenn Brandt eine Reihe von Fällen allein 
durch Hebung (ohne Knietheilung) geheilt hat, so kann man daraus 
schließen, daß in jenen Fällen die Fixation nach vorn die Haupt¬ 
ursache des Vorfalles war, hinter welcher die Schlaffheit des Becken¬ 
bodens und die Weite seiner Oeffnung an Bedeutung zurückstand.“ 
Die Bedeutung der Knietheilung wird, Z.’s Meinung und Erfahrung 
nach, von Brandt und Preuscben überschätzt. So erfolgte bei 
20 Personen, bei welchen Z. die Knietheilung correct ausführen ließ, 
während er mit in Rectum und Vagina eingeführten Fingern con- 
trolirte, keine oder eine nur ganz unbedeutende reflectorische Con- 
traction des Beckenbodens. Augenfällig dagegen war die Contraction 
bei jener Bewegung des Levator ani, welche die Pat. ausführte, als 
wollte sie den Stuhl zurückhalten. — Freudenberg (14) versuchte 
die BRANDT’sche Methode bei gutartigen Uterustumoren, von 


der Ansicht ausgehend, daß ein Mittel, welches die Circulation be¬ 
günstigt und Stauungszustände des Uterus zu beheben im 8tande ist, 
die Vergrößerung der Tumoren verhindern werde. Die von F. be¬ 
handelten 6 Fälle betrafen ein walnußgroßes Fibroid der vorderen 
Wand, 2 kindskopfgroße subseröse Myome des Fundus und 3 mul¬ 
tiple Myome. Die Resultate seiner Behandlung faßt F. in die Sätze 
zusammen: 1. Die Thore BRANDT’sche Behandlungsweise verdient 
wegen ihrer, Contractionen des Uterus anregenden und zugleich ab¬ 
leitenden Wirkung auf das Becken eine ernste Prüfung bezüglich 
ihrer Fähigkeit, das weitere Wachsthum gutartiger Uterustumoren 
zu beschränken oder gar diese theilweise zu verkleinern. 2. Diese 
Behandlungsweise übertrifft gegenüber den mit Uterustumoren ver¬ 
bundenen subjectiven Beschwerden und Blutungen an Wirksamkeit 
und Gefahrlosigkeit jedes bisher bekannte Mittel. Bum. 


Kleine Mittheilungen. 

— Prof. Küster macht in Nr. 36 des „Centralbl. für Chirurgie“ 
auf eine bisher unbekannte Gefahr bei der Operation großer, 
alter Leistenbrüche aufmerksam. Ein 56jäbriger Mann wurde mit 
Erscheinungen eines eingeklemmten rechtsseitigen Leistenbruches in’s 
Spital gebracht. Es wurde die Radicaloperation gemacht; bei Eröffnung 
des Bruchsackes floß eine Menge trüber Flüssigkeit ab und Netz 
und Mesenterium quollen hervor. Den Bruchinhalt bildete Colon 
transv., Colon asc. mit Coecum und Process. vermif., etwa 1 Meter 
Dünndarm und ein überaus fettreiches Gekröse. Die Reposition dieser 
Darmmasson war trotz Erweiterung der Bruchpforte außerordentlich 
schwierig; es schien, als ob der Bauchraum für die aufgenommenen 
Massen zu eng geworden sei. Mit schwerer Mühe konnte Alles 
reponirt werden. Es war indeß schon um die Mitte der Operation 
aufgefallen, daß die Athmung oberflächlich und sohnell wurde, daß 
auch eine zunehmende Cyanose des Gesichtes eintrat, während Er¬ 
brechen oder Brechneigung während der ganzen Zeit nicht vorhanden 
war. Als die Bauchhöhle aber geschlossen war, hörte Pat. gänzlioh 
auf zu athmen, während der Puls noch voll und kräftig blieb. Da 
künstliche Athembewegungen keinen Erfolg hatten, auch der Puls 
zu schwinden begann und die Pupillen weit wurden, so eröfinete K. 
mit wenigen Schnitten die Trachea, aus der massenhaft Mageninhalt 
hervorquoll. Die Luftröhre wurde mittelst eines Katheters ausgesogen 
und die künstliche Athmung fortgesetzt, aber vergeblich, der Mann 
starb. Die Section ergab eine Vergrößerung des Heroens, durch 
excentrische Hypertrophie des linken Ventrikels bedingt, und hochgradige 
atheromatöso Veränderungen im Anfangstheil der Aorta und an der 
Aortenklappe. Auch die Herzgefäße waren nicht normal, die Papillar- 
muskeln verfettet, die Lungen ödematös, fast luftleer. In den Bronchien 
war kein Mageninhalt mehr nachzuweisen, doch erschien die Schleim¬ 
haut der Bronchien, der Trachea und des Kehlkopfes hochgradig 
byperämisch, der bedeckende Schleim reagirte leicht sauer. Der 
Magen war leer, zusammeiigefallen, Darm anfgetrieben, vielfach blau¬ 
schwarz verfärbt, aber überall spiegelnd. Die Erklärung des Unfalles 
liegt auf der Hand. Das Hineinpressen der großen Darmmassen in 
den zu eng gewordenen Baucbraum erhöhte den intraabdominalen 
Druck derart, daß der Mageninhalt duroh die Speiseröhre hindurch 
in den Pharynx hinaufgedruckt und von dort in die Lungen aspirirt 
wurde. -— Aus dieser Beobachtung folgt, daß man in jedem Falle 
von großem , altem Bruch vor der Operation den Magen aosspülen 
soll, um auf diese Weise einerseits die Reposition des Darmeonvoluts 
zu erleichtern, andererseits die Gefahr der Aspiration des Magen¬ 
inhaltes mit Sicherheit zu umgehen. 

— Dr. Richard Wolffhardt hat über den Einfluß des 
Alkohols auf die Magenverdauung eine Reihe von Versuchen an¬ 
gestellt, deren in Nr. 35 der „Mflncbn. med. Wochenschr.“ mitge- 
theilte Resultate sich im Folgenden zusammenfassen lassen: Ab¬ 
soluter Alkohol bat einen verdauungsverschlechternden Einfluß auf 
die Verdauung sowohl der Amylaceen, als des Fleisches. Es ist 
dieser Einfluß zu constatiren bei Quantitäten von 15—30 Grm., sei 
es, daß dieselben auf einmal, oder in kleineren Portionen während 
der Verdauungszeit genommen werden. Die Verlangsamung betrug 
im Durchschnitt 30—40 Minuten. — 60 Grm. 15° 0 Cognacs scheine«* 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


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auf die bloße AmylaceenVerdauung verschlechternd einzuwirken, bei 
Fleischnabrung dagegen beschleunigen sie, während des Essens ge* 
nommen, die Verdauung, verzögern sie jedoch, in kleinen Rationen 
während der Verdauungszeit genommen, um 30—40 Minuten. — 
90 Grm. 50% Cognacs, in Portionen von dreimal je 30 Grm. während 
der Verdauungszeit genommen, verzögern die Verdauung um 40 bis 
50 Minuten. — 30—40 Grm. 50% Cognacs theils in Einzeldosis, 
theils in bestimmten Rationen genommen, beschleunigen die Ver¬ 
dauung um ungefähr 30—35 Minuten. — Roth- und Weißweine 
üben einen verdauungBbefÖrdernden Einfluß aus, sowohl wenn sie 
während der Mahlzeit, als vor derselben genommen werden. Ersichtlich 
ist aus diesen Versuchen ferner, daß man zwei Phasen der Ver¬ 
dauung bei der Einwirkung des Alkohols unterscheiden muß. Die 
erste, eine verlangsamend auf die Verdauung einwirkende Phase, 
zeigt sich am klarsten an den Versuchen, bei denen während der 
Verdauungszeit neue Mengen von Alkohol genommen werden. Die 
zweiten, bei der der Alkohol resorbirt ist, kommt am meisten bei 
den mit den verschiedenen Weinsorten angestellten Versuchen zur 
Geltung, indem sich hei diesen immer eine starke Entwicklung von 
Salzsäure zeigte. 

— Hermann Gessler (Stuttgart) empfiehlt in Nr. 21 des 
„Württemb. med. Correspondenzbl.“ bei der Galvanotherapie des 
Gehirn8 behufs Vermeidung der Nebenerscheinungen, wie sie ge¬ 
wöhnlich Vorkommen, als Applicationsstelle die Längsleitung von der 
Stirn zum Nacken zu wählen. Er bedient sich hiezu biegsamer, 
15 Cm. lauger und 6 Cm. breiter Elektroden ohne Heft. Wenn 
man dabei auch darauf verzichtet, gerade die erkrankte Stelle in 
den dichtesten Stromkreis zu bringen, so gelingt es doch, das Gehirn 
in toto unter die Eiuwirkung des galvanischen Stromes zu setzeu, 
von der immer oin Theil auf 4io erkrankten Partien fällt; der 
therapeutische Erfolg wird dabei langsamer, aber auch ohne lästige 
Nebenerscheinungen eintreten. Als Beweis der wohlthätigen Wirkung 
einer derartigen Behandlungsweise führt Verf. den Fall eines 45jähr. 
Mannes an, der eine rechtsseitige Gehirnapoplexie mit Blutung in 
die rechte Insel ohne ausgedehnte Zertrümmerung von Gehirusubstanz 
bekam. Die Thelrapte bestand in Längsleitung des galvanischen Stromes 
von der Stirn zum Nacken, Anode auf die Stirn, Strom langsam 
bis auf 1 M.-Ampere verstärkt, Stromdauer 1% Minuten. Dann, 
während die Anode auf dem Nacken applicirt ist, Kathode vor dem 
Ohr, Stromstärke bis auf 4 M.A. steigend, Dauer 4 Minuten, hierauf 
während derse ben Zeit oin mittelstarker faradischer Strom. In dieser 
Weise wurde Pat. 3mal wöchentlich behandelt. Schon bei der zweiten 
Sitzung sind dio auffallend starren Gesichtszüge verschwunden, die 
hervorgequollenen Augen sind zurückgetreten und die Pupillen waren 
gleich weit, die Sprache bereits etwas gebessert. Nach 8 weiteren 
Sitzungen konnte sich Pat. bereits verständlich machen. Nach 
6 Monaten konnte Pat. vollständig geheilt entlassen werden. G. 
empfiehlt in solchen Fällen, es stets mit der centralen Galvanisation 
zn versuchen, da gegenüber dieser die peripheren elektrischen Mani¬ 
pulationen nur wenig in Betracht kommen, doch dürfe man, wenn 
überhaupt ein Erfolg erzielt werden soll, mit derselben weder zu 
früh — frühestens 3 Monate nach dem lusult — noch zu spät beginnen. 

— P. Canalis und B. Morpdrgo haben Ober den Einfluß 
des Hungerns auf die Empfänglichkeit für Infectionskrankheiten 
eine Reihe von Untersuchungen angestellt, die folgende, in Nr. 18—19 
der „Fortschr. der Med.“ veröffentlichte Ergebnisse geliefert haben. 
Durch den Hunger kann man natürlich immunen Thieren die Em¬ 
pfänglichkeit für eine Infectionskrankheit verleihen. Immune Tauben 
sterben oonstant an Milzbrand, wenn man sie gleichzeitig mit der 
Inoculation in den Hungerzustand versetzt. — Tauben, welche vor 
der Inoculation 6 Tage lang gehungert haben, werden nicht milz¬ 
brandig, wenn man sie unmittelbar nach der Impfung wieder zu 
ernähren anfängt. Sie werden es aber in der Regel, wenn der 
Hunger mehr als 6 Tage gedauert hat. — Die Wiederernährung 
ist nicht im Stande, die Entwicklung der Milzbrandinfection aufzu¬ 
halten, wenn die Tauben nach der Inoculation zwei Tage lang ge¬ 
hungert haben, sie verlangsamt aber den Gang des Infectionsprocesses. 
Die totale oder partielle Exstirpation des Pancreas macht in der 
Regel für eine gewisse Zeit die Tauben für Milzbrand empfänglich. 
In den geimpften Tauben bricht die Milzbrandinfection aus, wenn 


man die Ernährung aufhebt, selbst wenn dies 8 Tage nach der 
Inoculation stattgefunden hat. Daraus geht auch hervor, daß d i e 
Milzbrandkeime, unt er dieHaut von immunen Tauben 
eingeführt, mehrere Tage lang lebend und virulent 
bleiben. Der Verlauf der Immunität gegen Milzbrand, welcher 
bei hungernden Tauben eintritt, kann nicht auf die Temperatur¬ 
erniedrigung, welche den Hunger begleitet, bezogen werden, weil 
die Milzbrandinfection ausbleibt, wenn man bei geimpften Tauben 
eine analoge Temperaturerniedrigung hervorruft, aber zugleich für 
eine reichliche Ernährung sorgt. — Es ist möglich, auch Hühner 
durch den Hunger für Milzbrand empfänglich zu machen. — Die 
Mehrzahl dieser Thiere stirbt an Milzbrand, wenn man der Inocu¬ 
lation eine Hungerperiode von 3—7 Tagen vorausgehen läßt; sie 
behalten aber im Gegentheile constant ihre Immunität, wenn der 
Hunger erst unmittelbar nach der Inoculation beginnt. — Die er¬ 
wachsenen weißen Ratten blieben gegen Milzbrand refraetär, selbst 
nachdem man sie vor der Impfung relativ lange hungern ließ. 

— Zur Wirkung des Chlormethylsprays theilt Dr. Driver 
(Reibholdgrün) in Nr. 42 der „Deutsch, med. Wochenschr.“ mit, 
daß er selbst durch diese Behandlung von Ischias geheilt worden 
ist, nachdem er 6 Monate gräßliche Schmerzen erduldet, viele Wochen 
lang kein Bett aufsuchen konnte, da in Längslage die Schmerzen 
bis zum Rasendwerden exacerbirten. Nachdem alles nur Denkbare 
augewendet und nur sehr ßtarke Inductionsströmc eine Art Betäubung 
des Nerven hervorzurufen schieuen, erzielte er nach wenigen Sitzungen 
von Chlormetbylspray völlige Heilung, die sich bis heute, über 
l 3 / 4 Jahre, ohne Reciüive erhalten hat. Dr. P. Lachmann in Auerbach 
hat mit dieser Methode in folgenden Fällen gute Resultate erzielt. 
Bei einem 20jähr. Fräulein, das an Neuralgie des ersten Trige¬ 
minusastes litt, brachte Anwendung des Sprays durch 1—2 Secunden 
vollständiges Nachlassen der Schmerzen, die aber des Nachts wieder 
begannen und die nochmalige Anwendung des Sprays, diesmal etwa 
4 Secunden lang, von der Gegend des Ganglion Gasseri bis an die 
Stirn und an’s Ohr zurück veranlaßte. Diesmal blieben die Schmerzen, 
nachdem sie fast momentan aufgehört hatten, überhaupt weg. — 
Bei einer 40jähr. Frau, die an Ischias posterior sinistra litt, trat 
sofort nach Application des Sprays von der 1. Incisura ischiadica 
an bis unter die Kniekehle durch circa 10 Secunden sofortiges 
Nachlassen der Schmerzen ein. Am Tage nach der Application sind 
die Schmerzen wieder aufgetreten, doch nicht so heftig. Nach einer 
zweiten Application trat dauernde Besserung, wenn auch nicht volle 
Heilung ein. Bei einem 41jähr. Manu, der an Neuralgie des 
Musculocutaneus am linken Arme litt, stellte sich nach einmaliger 
Application des Sprays völlige Heilung ein. Hie und da kommt es 
zu Brandblasen, die aber spontan ausheilen. D. empfiehlt, den Appli- 
cationsort vor der Aufstäubung tüchtig mit Glycerin einzureiben, 
da dieselbe alsdann bedeutend weniger schmerzhaft ist. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 24. October 1890. 

Vorsitzender: Prof. Kahler. 

Prof. LORENZ demonstrirt einen interessanten Fall von deform 
geheilter Fractur des linken Oberschenkels, etwa 10 Cm. 
unterhalb des großen Trochanters. Die Vereinigung der Bruchenden 
batte unter einem rechten Winkel stattgefunden, das obere Fragment 
stand in maximaler Abductionsstellung. Es war eine Verkürzung 
von 6 Cm. vorhanden, und die Function des Beines wahrscheinlich 
in Folge der externen Abduction des oberen Segmentes nahezu voll¬ 
ständig unmöglich. Der Knickungswinkel der Fragmente bildet 
einen mächtigen, nach außen gerichteten Vorsprung unterhalb des 
großen Trochanters. Stellte man das obere kurze Fragment mittelst 
des langen Hebelarmes des unteren Beinabschnittes parallel zu dem 
Oberschenkel der gesunden Seite, so kreuzte das untere Fragment 
den gesunden Oberschenkel unterhalb seiner Mitte, und gleichzeitig 
sah der innere Condvl nach vorne. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


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Die Krankengeschichte ist in mancher Hinsicht bemerkens¬ 
wert!]. Der nunmehr 10jährige Patient hatte die Fractur als vier¬ 
jähriges, stark rhachitisches Kind erlitten. Die Vereinigung der | 
Bruchenden erfolgte in der oben beschriebenen Weise. Längere 
Zeit nach der fehlerhaften Consolidirung wurde der Knickungs- ; 
winkel durch manuelle Osteoclase beseitigt. Trotz der sorgfältigen 
Nachbehandlung erfolgto die Ausheilung abermals unter derselben 
Winkelstellung der Fragmente. Nach mehr als Jahresfrist wurde 
daher ein zweites Mal zur Osteoclase geschritten. Nunmehr gelang 
die Streckung des Knickungswinkels der Fragmente nicht mehr voll¬ 
ständig, und man mußte sich auf eine Verbesserung der Stellung 
beschränken. Eine nahezu halbjährige Behandlung konnte die 
Wiederkehr der Winkelstellung nicht verhüten, und unter der späteren 
Belastung des Beines, sowie unter dem Einflüsse des Muskelzuges 
nahm die Knickung der Fragmente immer mehr zu, bis sie zum 
rechten W’inkel gedieh, und die Function des Beines fast zur Un¬ 
möglichkeit wurde. Durch mehrere Jahre ließ man die Sache auf 
sich beruhen, bis der Patient in die Behandlung des Vortragenden 
gelangte. 

Lorenz schlug folgenden Weg ein: Es wurden die in der 
Sehne des Knickungsbogens, resp. -Winkels gelegenen nutritiv ver¬ 
kürzten Muskeln (Tens. fase, lat., Sartor., Reet, crur.) und namentlich 
die Abductoren in offener Wunde durchtrennt, und der Knickungs¬ 
winkel der Fragmente linear osteotomirt. Unter gewaltsamer Deh¬ 
nung wurde nun eine Streckung des Winkels erzielt. Die Abduction 
des oberen, kürzeren Fragmentes ließ sich jedoch auf keine Weise 
beseitigen, da der Hebelarm nach Abtrennung des unteren, langen 
Fragmentes zu kurz geworden war, und es blieb nichts Anderes 
übrig, als die Durchschneidung der Abductoren soweit fortzu¬ 
setzen , bis das untere Fragment in die maximale Abductionslage 
des oberen Fragementes gebracht werden konnte. Das ganze Bein 
wurde nunmehr in der maximalen Abductions-Stellung durch einen 
den Stamm umfassenden Gypsverband fixirt. Nach 3 Monaten 
waren die Bruchenden neuerdings (zum viertenmale) consolidirt, 
und nunmehr ging Lorenz an die allmälige Herabholung des ganzen 
Beines aus der externen Abduction in die Mittellage, was vollständig 
gelang. Die Verkürzung war auf 0 reducirt. Patient wurde vor¬ 
sichtshalber mit einer Reitkrücke entlassen. Ein Jahr nach der 
Operation ist eine Verkürzung von 1 1 / a Cm. zu constatiren, welche 
zum Theil auf Wachsthumshemmung, zum Theil auf eine ganz leichte 
Knickung an dor ehemaligen Bruchstelle zurückzuführen ist. Der 
lange Zwischenzeitraum, sowie die feste Consolidirung lassen das 
erreichte Resultat als ein definitives erscheinen. 

Hofr. Billroth bemerkt, daß der Fall ein außerordentlich 
seltener und interessanter ist. Es gehört zu den allergrößten Selten¬ 
heiten, daß selbst bei florider Rhachitis die Callusbilduug ausbleiben 
soll. B. kann sich nur eines einzigen Falles erinnern, wo bei einem 
rhachitischen Individuum keine Consolidirung stattgefunden hätte. 

Dr. Teleky erwähnt eines rhachitischen Knaben, bei dem 
eine bereits geheilte Fracturstelle wieder auseinanderging und bei 
welchem Phosphor, innerlich verabreicht, binuen wenigen Wochen 
vollständige Heilung herbeiführte. Es würde sich daher empfehlen, in 
ähnlichen Fällen Phosphor anzuwenden, da dadurch der Heilungs- 
proceß befördert werden könnte. 

Prof. Hofmokl fragt Lorenz, ob im vorgestellten Falle wirklich 
eine knöcherne Verwachsung oder nur eine Pseudarthrose bestanden 
hat. Er glaubt ferner, daß mau in diesem Falle mit einer einfachen 
Keilexcision mehr erreicht hätte. 

Hofr. Dittel hält es für eine besondere Leistung, daß es in 
diesem Falle gelungen ist, das centrale Fragment mit dem peripheren 
in eine Axe zu bringen. 

Prof. Lorenz kann mit Bestimmtheit sagen, daß es sich um 
keine Pseudarthrose, sondern um eine relativ ganz feste Ver¬ 
einigung der Bruchstücke gehandelt hat. Eine Keil- oder lineare 
Osteotomie hätte in diesem Falle nicht ausgereicht, da die Abductoren 
nutritiv verkürzt waren. Eine Resection en bloc hätte eine zu be¬ 
deutende Verkürzung gesetzt. Das Wesentliche der Behandlung bestand 
darin, daß das obere Fragment iu seiner incorrigiblen Stellung be¬ 
lassen wurde und durch Durchtrennung der Weichtheile ermöglicht 
wurde, das untere Fragment in die Richtung des oberen zu bringen; 


erst nach Anheilung der Fragmente konnte ein langer Hebelarm 
gewonnen werden, um das Bein in die Mittellage zu bringen. 

Prof. Kahler: Ueber die Selbstständigkeit des Fiebers beim 
acuten und chronischen Rheumatismus. 

Von einer Selbstständigkeit des Fiebers kann man nur dann 
sprechen, wenn der Fieberzustand den anderen Erscheinungen gegen¬ 
über in seinem Auftreten und in seinem Bestehen eine gewisse Un¬ 
abhängigkeit zeigt. In der That beobachtet man nicht selten beim 
acuten 0 elenks rheumatismus Fieber, und zwar ganz isolirt, 
dem Ausbruche der ersten Gelenksymptome Tage und selbst eine 
Woche vorausgehen. Solche Fälle können leicht mit Abdominaltyphus 
verwechselt werden und zwar umsomehr, als Milztumor und Diarrhöen 
vorhanden sein können. In einem solchen Falle bildet das Fehlen 
des treppenförmigen Ansteigens der Temperaturcurve ein wichtiges 
differential-diagnostisches Moment zur Unterscheidung von Abdominal¬ 
typhus. 

Ebenso wie ein dem Gelenksrheuraatisraus vorangehendes kann 
auch ein demselben nachfolgendes Fieber Vorkommen, wie dies K. 
durch einen von ihm beobachteten Fall illustrirt. In diesen Fällen 
ist keine Spur von Endocarditis vorhanden, auf die eventuell das 
Fieber bezogen werden könnte. 

K. erwähnt ferner eine Reihe von Fällen von rheuma¬ 
tischer Myalgie, die, wenn sie mit Fieber verlaufen, zu Ver¬ 
wechslung mit anderen Erkrankungen führen. Sind die Schmerzen 
nicht stark ausgesprochen, so werden sie als das Fieber begleitende 
Schmerzen gedeutet, die Fälle werden als Typhus angesehen; das 
Fieber kann 4—5 Wochen anhalten, schwinden und recidiviren. 
In solchen, als larvirtor Gelenksrheumatismua aufzu¬ 
fassenden Fällen bringt Salicyl rapide Besserung. Bei nervösen 
Individuen wird das Bild noch mehr getrübt; bei nouropathisch Be¬ 
lasteten kann es zu Verwechslung mit Meningitis cerebro-spinalis 
Veranlassung geben, wie dies aus einem angeführten Beispiele 
hervorgeht. 

Auch beim chronischen Gelenksrheumatismus (unter 
welche Bezeichnung K. auch die Arthritis deformans polyartieularis 
subsumirt) kommt ein selbstständiges Fieber, und zwar als 
initiales selbstständiges und als recurrirendes Fieber vor, 
ohne daß irgend welche andere Erkrankung vorhanden wäre. 

Dr. Pins hat das dem Gelenksrheumatismus vorangehende 
Fieber als durch eine locale entzündliche Affection, eine Angina, 
bedingt gefunden. Für das nach Ablauf des Gelenksrheumatismus 
entstehende Fieber könnte man vielleicht eine Entzündung der 
Intima der Gefäße beschuldigen, denn man findet häufig im Ver¬ 
laufe der Gefäße des Vorderarms, des Unterschenkels und des Ober¬ 
arms starke Druckempfindlichkeit. 

Prof. Kahler hat in keinem seiner Fälle, trotz sorgfältiger 
Untersuchung, eine Angina gefunden. S. 

Verein deutscher Aerzte in Prag. 

f Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 10. October 1890. 

Dr. SCHOLL, Assistent der Lehrkanzel f. Hygiene: Ueber d&8 epe- 
cifieche Choleragift 

Schon nach dem ersten Auftreten der Krankheit in Europa 
wurde die Hypothese aufgestellt, daß der Choleraprooeß durch Auf¬ 
nahme einer giftigen Substanz in den Organismus herbeigeführt 
werde, ohne daß mau sich jedoch Uber die Natur dieses Giftes 
Rechenschaft zu geben wußte. 

Griesinger betrachtete das Choleragift als das Product ge¬ 
wisser besonderer Zustände der Putrescenz der organischen Materie, 
das, von besonderer Specifität, mit der einfachen putriden Vergiftung 
nichts zu thun habe; die Ursache der Cholera sei ein giftiger Stoff, 
welcher sich aus den Ausleerungen reproducire und von dieser 
seiner Erzeugungsstätte nach allen Richtungen in die Luft zerstreut 
werde. 

Auch nach der Entdeckung des Cholerapilzcs blieb das eigent¬ 
liche Choleraagens unaufgeklärt, und schon in seiner erston Publi- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


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catiou leitete KOCH die dem Choleraprocesse eigenartigen Erschei¬ 
nungen von giftigen Stoffwechselproducten her. Die Wirkung des 
Giftes äußere sich theils in unmittelbarer Weise durch Abtödtung 
des Epithels und wohl auch der oberen Schichten der Schleimhaut, 
theils werde es absorbirt und wirke dann auf den Gesammtorganismus, 
vorzugsweise auf die Circulationsorgane, welche in einen lähmungs- 
artigen Zustand versetzt werden; der Symptomencomplex des 
eigentlichen Choleraanfalles sei also nicht eine Folge des Wasserver- 
lustes und der Bluteindickung, sondern sei als Vergiftung anzusehen. 

Bald darauf war es Koch gelungen, Culturen des Cholera- 
bacillus herzustellen, welche, Meerschweinchen subcutan oder in die 
Bauchhöhle injicirt, in wenigen Minuten denselben Symptomencomplex 
hervorriefen, wie bei cholerakranken Thieren 1 — 2 Tage nach der 
Infection, nämlich Parese der hinteren Extremitäten, Kälte des 
Kopfes und der Beine, verlangsamte Respiration, welcher Zustand 
nach einigen Tagen zum Tode führte. 

Diese Beobachtungen wurden durch Forschungen anderer 
Autoren erweitert. So konnte Ermenzem durch Injection von 2 bis 
4 Grm. einer durch CHAMBERLAND’schen Filter passirten oder auf 
70° erwärmten Culturflüssigkeit den Tod seiner Versuchsthiere unter 
den typischen Erscheinungen herbeiführen. 

Nach der Entdeckung der PtomaYne lag der Gedanke nahe, 
daß das wirksame Princip der Cholerabacillen gleichfalls zu diesen 
basischen Giftstoffen gehöre, und nach einigen vergeblichen Ver¬ 
suchen ist es Brieger gelungen, die von den Cholerabacillen ge¬ 
bildeten PtomaYne und Toxine herzustellen, und zwar Cadaverin 
und Putrescin, welche von Brieger wegen ihrer, heftige Ent¬ 
zündung und Necrose hervorrufenden Eigenschaften als Ursache der 
Darmerkrankung während des Choleraanfalles angesehen wurden, 
ferner das sehr giftige Methylguanidin, welches neben Dyspnoe 
und Muskelzittern allgemeine Krämpfe hervorruft, und ein zweites, 
ähnlich wirkendes Toxin, und endlich einen dritten Giftstoff, 
welcher bei subcutaner Einverleibung dio Thiere in einen lähmungs¬ 
artigen Zustand versetzt, der unter zunehmender Algidität nach 12 
bis 24 Stunden in den Tod übergeht. 

Alle bisher aus den Stoffwechselproducten verschiedener patho¬ 
gener Mikroorganismen gefundenen PtomaYne oder Toxine hatten die 
charakteristischen chemisch-physikalischen Eigenschaften der Alkaloide; 
in der jüngsten Zeit jedoch wurden giftige Stoffwechselproducte ge 
funden, welche keine Spur einer krystallisirbaren Substanz enthalten, 
dafür aber die Eigenschaften der eiweißartigen Körper haben und 
deshalb als „Toxalbumine“ bezeichnet worden sind. So haben 
S. Weir-Mitchell und Edward T. Reichert und nach ihnen auch 
Brieger aus dem Schlangengift, dem Cobrasecret, giftige Eiwei߬ 
körper dargestellt, welche ausgesprochene Eiweißreactionen gaben. 
A. und U. Mosso haben aus dem Serum der Mureniden durch Aus¬ 
fällen mit Ammoniumsulfat einen giftigen Körper erhalten, welchen 
sie mit „Ichthyotoxicum“ bezeichneten. Brieger und Fränkel 
haben als das giftige Princip der sehr virulenten, mittelst Filtration 
durch CHAMBERLAND’sche Kerzen bacterienfrei gemachten Culturen 
der Diphtheriebacillen einen Körper isolirt, welcher, durch Alkohol 
gefällt, in Wasser löslich war und die Biuretreaction und mit dem 
MiLLON’schen Reagens deutliche Rothfärbung gab, mithin als ein 
den Serumalbuminen nahestehender Eiweißkörper angesproeben 
werden mußte. Auch bei Bouillon- oder Blutserurabouillonculturen 
anderer pathogener Mikroorganismen und namentlich derCholera- 
bacterien sind diese Forscher auf Körper gestoßen, welche sich 
nach ihrem chemischen Verhalten als eiweißartige Stoffe charakteri 
sirten, dabei aber für Thiere hervorragend giftige Eigenschaften be¬ 
saßen und also als ,,Tox alb umine“ bezeichnet werden können. 

Das Toxalbumin der Cholerabacterien in das Unterhautzell¬ 
gewebe von Meerschweinchen gespritzt, tödtete diese Thiere in 1 bis 
2 Tagen. Bei der Section fand sich starke entzündliche Schwellung 
und Röthung in weiter Umgebung der Jnjectionsstelle ohne Spur 
von Necrose, der Darm unverändert, Nieren ohne besondere Ver¬ 
änderung. 

Zu ähnlichen Resultaten sind auch Pietri uud andere Forscher 
gekommen, welche gleichfalls mit auf Bouillon oder Bouillonpepton 
beschickten Culturen arbeiteten. 

So wichtig nun diese Untersuchungen für die Erforschung des 
Choleragiftes gewesen sind, so konnten sio doch zu keinem ein¬ 


deutigen Resultate führen, weil die Bedingungen, uuter denen sie 
vorgenommen wurden, nicht die richtigen waren, indem nämlich 
weder auf die Verhältnisse im Darm, unter welchen sich der Cholera- 
proceß abspielt, noch auf die beim Menschen ausschlaggebende Er¬ 
scheinung der Anaßrobioso der Choleraparasiteu Rücksicht genommen 
wurde. 

In ersterer Beziehung hat bereits Koch hingewiesen, daß der 
Choleraproceß nur im Darme verläuft, daß die Cholera biologisch 
als eine specifische Darmfäulniß aufzufassen sei, und daß nur die 
genuine Eiweißsubstanz im Darme dieGrnndlage deT 
Zersetzung bilde. 

Bezüglich des zweiten Punktes hat Hdeppe naebgewiesen, daß 
die Cholerabacterien hei richtiger Auswahl des Nährmaterials bei 
Luftabschluß, d. h. bei Abwesenheit von Sauerstoff, leben können, 
daß sie gerade dann ihre Gifte energischer und schneller bilden, als 
bei der gewöhnlichen Art des Cultivirens bei Luftzutritt, womit die 
Thatsache, daß der Choleraproceß beim Menschen (auch 
beim Meerschweinchen) im Darm unter Anaßrobiose 
stattfindet, auch biologisch-chemisch erklärt wurde. 

Scholl hat es sich nun zur Aufgabe gestellt, diese funda¬ 
mentalen Thatsachen zum Ausgangspunkte seiner Untersuchungen zu 
machen, und benützte daher als Nährmaterial genuines Eiweiß und 
Culturen von Cholerabacterien im Zustande der Anaßrobiose. 

Er impfte auf ein zuvor mit Sublimatlösung desinficirtes 
Hühnerei Cholerabacterien auf die Weise, daß er eine kleine Oeff- 
nung in die Schale machte, durch dieselbe mittelst ausgeglühten 
Platindrahtes die Culturen einbrachte und hierauf die Oeffnung mit 
Collodium verschloß. Durch diesen Vorgang wurde auch der wich¬ 
tigen Bedingung Rechnung getragen, die Cholerabacterien erst all- 
mälig in den Zustand der Anaßrobiose zu versetzen. 

Die durch die Stoffwechselproducte der Bacterien geschaffene 
Virulenz des Eiweißes aus dem so beschickten Ei war eine ver¬ 
schiedene, je nachdem dasselbe kürzere oder längere Zeit im Brut¬ 
ofen gelassen wurde. 

Nach subcutaner Injection des durch 10—12tägige Einwirkung 
der Bacterien verflüssigten Eiweißes zeigten die Thiere ähnliche Er¬ 
scheinungen wie nach Impfung reiner Choleraculturen; der Tod er¬ 
folgte nach mehreren Stunden, und der pathologisch-anatomische 
Befund ergab ausgesprochenen Choleraproceß im Darm. Nach 
18tägigem Aufenthalte des Eies im Brutofen wurde das Eiweiß 
in eine dunkelbraune , flüssige Masse verwandelt und die Impfung 
mit derselben mittelst subcutaner Injection rief nach 1 Minute Läh¬ 
mung des Thieres, Erlöschen der Reflexe, Algidität hervor, welcher 
Zustand nach 3—9 Minuten in den Tod überging 

Der nach einer von Scholl erdachten Methode isolirte Gift¬ 
körper erwies sich nach seinem chemisch-physikalischen Verhalten 
als ein dem Serumalbumin nahe stehender Körper. Meerschweinchen, 
denen Lösungen dieses „Toxalbumin“ subcutan eingespritzt wurden, 
boten dieselben Resultate und denselben nachträglichen pathologischen 
Befund, wie nach Einspritzungen des Hühnereiweißes selbst. Die 
vom Vortragenden durch Einwirkung von Cholerabacterien auf 
Hühnereiweiß liergestellten Toxalbumine sind daher höchst wahr¬ 
scheinlich identisch mit dem specifischen Choleragifte. 

Der Vortragende erläuterte seine Ausführungen durch Experi¬ 
mente an Meerschweinchen und Demonstration von Präparaten. 

— z. 

X. Internationaler medicinisclier Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XII. 

Aus den Sectionen. 

Section für innere Medicin. 

Ueber die Behandlung des Diabetes. 

PAVY (London): Der erste bei Erörterung der Behandlung des 
Diabetes in Betracht zu ziehende Punkt sind die Grundsätze, nach 
denen dieselbe geleitet werden sollte. Eine gewisse Abweichung von 
der Gesundheit, welche in der Entleerung von Zucker mit dem Harn 
sieh äußert, ist der Zustand, der zu bekämpfen ist, und es muß 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 48. 


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daher vor Erörterung der Frage der Behandlung etwas über die 
Natur dieser Abweichung \on der normalen Gesundheit gesagt werden. 

Die zu beobachtende Erscheinung ist folgende: Während beim 
Gesunden die eingefflhrte Nahrung im Körper so verbraucht wird, 
daß kein Abgang von Zucker aus ihm erfolgt, wird bei dem Dia¬ 
betiker die Nahrung nicht in dieser Weise verbraucht, sondern 
erscheint zum Theil als unverbrauchtes und verschleudertes Material 
in dem Nierensecret. Der Chemismus des Körpers in Bezug auf 
diese Substanzen ist ein fehlerhafter. Die normalen Veränderungen, 
welche zu ihrem normalen Verbrauch und zu ihrem Verschwinden 
führen, finden nicht statt. Anders ausgedrückt: In Folge fehler¬ 
hafter Assimilation gelangen diese Substanzen nicht zu ihrer richtigen 
Bestimmung. 

So viel kann einfach durch Betrachtung im Lichte der Ein¬ 
nahme und Ausgabe in Erfahrung gebracht werden. 

Weiterhin darf angenommen werden, daß als ein Ergebniß 
der fehlerhaften Tbätigkeit Kohlehydrate in Form von Zucker in 
einer Weise in den allgemeinen Kreislauf gelangen, wie es nicht 
geschehen sollte. Niemand kann in gegründeter Weise behaupten, 
daß der ausgesebiedene Zucker von der Niere gebildet wird. Was 
im Harn erscheint, existirte vorher in dem Blute, das zu dem Organ 
hinfloß, und Osmose genügt, um die Ausscheidung za erklären. P. ist 
der Meinung, daß es in befriedigender Weise erwiesen ist, daß der 
Harn des Gesunden eine gewisse geringe Menge von Zucker ent¬ 
hält, und dies stimmt mit dem überein, was über die Beschaffenheit 
des Blutes unter normalen Verhältnissen beobachtet ist. 

Die Beschaffenheit des Blutes hinsichtlich des Zuckers kann 
durch die Anwendung der zu unserer Verfügung stehenden befrie¬ 
digenden analytischen Methoden mit Genauigkeit nachgewiesen werden. 
Bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit besteht keine Schwierig¬ 
keit, allen Zucker, welcher in einer gegebenen Blutmenge enthalten 
ist, völlig auszuziehen und seine Menge zn bestimmen. Nach einer 
großen Anzahl von Beobachtungen kann P. sagen, daß die Zucker- 
menge im Blute in der Norm sich auf nicht mehr als ungefähr 0*5 
bis ungefähr 0*8 per Tausend beläuft. Unter Abweichung von der 
Norm kann diese Menge rasch steigen, und dies soll im Auge be-. 
halten werden, wenn wir Ergebnisse betrachten, bei welchen größere 
Quantitäten von Untersuchern als gefunden angegeben wurden. 
P. hat bei 7 Personen, die an Diabetes litten, Blutanalysen gemacht. 
Eine allgemeine Uebereinstimmung zwischen der Zuckermenge, welche 
mit dem Harn entweicht, und der im Blute gefundenen ist bestimmt 
zu erkennen. In einem Falle, in welchem 751 Grm. Zucker mit 
dem Harn in 21 Stunden ausgeschieden wurden, enthielt das Blut 
5 - 736 auf Tausend, während in einem anderen Falle mit 27 Grm. 
im 24stündigen Harn die Menge im Blute 1*543 auf Tausend betrug. 
Dies sind die Beispiele, welche sowohl für Harn, als auch für Blut 
die höchsten und niedrigsten Zahlen der Beobachtungsreihe dar¬ 
stellen. Die Beschaffenheit des Harns hinsichtlich der Zuckeraus¬ 
scheidung gibt einen Maßstab für den Zuckergehalt des Blutes ab, 
und zwar bedeutet seine Gegenwart im Blute in einer Menge, wie 
sie beim Diabetes vorkommt, das Vorhandensein eines unnatürlichen 
Zustandes dieser Flüssigkeit, welcher durch den ganzen Organismus 
eine Abweichung von der gesunden Thätigkeit zur Folge hat. Je 
größer die mit dem Harn zur Ausscheidung gelangende Zucker¬ 
menge, desto schlechter ist in jeder Richtung der Zustand des an 
Diabetes leidenden Kranken. 

Wir leiten so die Erscheinungen der Krankheit ab von dem 
abnormen Zustande, welcher durch die Gegenwart einer ungehörigen 
Menge von Zucker im allgemeinen Kreislauf bedingt wird. 

Woher kommt die Abnormität? Die Beobachtung zeigt, daß 
die Größe des Fehlers hinsichtlich des Zuckers im Blute, demzufolge 
auch des im Harn zur Ausscheidung kommenden Zuckers, im Ver- 
hältniß steht zu der Menge der eingeführten Kohlehydrate ver¬ 
schiedener Art. Allgtmeiu ausgedrückt, kann angenommen werden, 
daß die Natur des Fehlers, gegen welchen wir zu kämpfen haben, in 
einer mangelhaften Fähigkeit des Organismus besteht, die Kohle¬ 
hydrate so zu verwenden, daß sie verbraucht werden und ver¬ 
schwinden. W'elcher Art fehlerhafter Thätigkeit ist dieses Unver¬ 
mögen zuzuschreiben? Nach P.’s experimentellen Untersuchungen 
gelangt der beim Diabetes zur Ausscheidung kommende Zucker 


in den allgemeinen Kreislauf in einer Weise, in welcher er es 
nicht sollte. Diese Anschauung stimmt vollkommen überein mit 
den bei Diabetes beobachteten Erscheinungen. Im gesunden Zu¬ 
stande ist den eingeführten Kohlehydraten die Gelegenheit nicht 
gegeben, im Harn zu erscheinen, weil es ihnen nicht gestattet 
ist, durch die Leber hindurch zu passiren und in den allgemeinen 
Kreislauf zu gelangen. Beim Diabetes dagegen wissen wir, daß sie 
in den allgemeinen Kreislauf in der Form von Zucker gelangen, 
und nach der Menge Zuckers, die im Harn gefunden wird, kann 
angenommen werden, daß die Kohlehydrate im Verhältniß zu der 
in der Nahrung aufgenommenen Menge übergehen müssen. Wir 
haben es also hier mit einem Unvermögen der Assimilation zu 
thun, den Durchgang der Kohlehydrate durch die Leber aufzu¬ 
halten. Indem es ihnen so gestattet ist, in den allgemeinen Kreis¬ 
lauf zu gelangen, wird es möglich, daß sie mit dem Harn zur Aus¬ 
scheidung kommen, und daß demgemäß die Menge des ausgeschiedenen 
Zuckers der Menge der als Nahrung eingeführten Kohlehydrate ent¬ 
spricht. 

Indem der Zucker in den allgemeinen Kreislauf gelangt, 
wird er durch die Niere ausgeschieden und geht so verloren. Die 
Krankheit bringt so ein Opfer an Material mit sich, welches in 
Rechnung gezogen werden sollte; aber dies ist ein Punkt, der nur 
wenig Beziehungen zu dem Entstehen der Erscheinungen hat, die 
bei der Krankheit beobachtet werden. Wenn es sich nur um eine 
Verschwendung der Kohlehydrate der Nahrung handelte, würde 
kein Grund vorhanden sein, warum man sie Dicht genießen und 
dann wieder fortfließen lassen sollte. Wenn nur eine genügende 
Menge anderer Nahrungssubstanzen aufgenoramen würde, um den 
Erfordernissen des Lebens zu genügen, so brauchte von der Ver¬ 
schwendung an Material kein besonderer Schaden sich zu ergeben. 
Das, was in Wirklichkeit den Schaden bringt, ist die veränderte 
Zusammensetzung des Blutes, die hervorgerufen wird durch die 
Gegenwart des Zuckers, der durch den Körper in den Harn über¬ 
geht. Dem Verhältnisse zu der Zuckermenge, welche so im Blute den 
Körper durchströmt, wird das Maß der Abweichung vom gesunden 
Zustande und die G-esundheitsschädigung entsprechen, weihe im 
einzelnen Falle vorhanden ist. 

Die Gruppe der bezüglichen Fälle ist diejenige, in welcher 
die Ausscheidung von Zucker durch die Behandlung beeinflußt werden 
kann, und diese Gruppe umfaßt die Mehrzahl der Fälle, in welcher 
die Krankheit nach der mittleren Periode des Lebens beginnt. 

In solchen Fällen folgt auf den Genuß von Kohlehydraten 
als eine Folge der mangelhaften umformenden oder assimilirenden 
Kraft im Körper eine Anhäufung von Zucker im Blute, welche von 
dessen Ausscheidung mit dem Harn begleitet ist. Zuckeranbäufung 
im Blute führt zu der Entstehung von Erscheinungen, welche nach 
ihrer Schwere im Verhältniß stehen zu der Abweichung vom 
natürlichen Zustande. Das zu erstrebende Ziel ist, diese Abweichungen, 
soweit als möglich, zu vermindern. 

Man muß daher versuchen, eine so genaue Annäherung an 
die natürlichen Bedingungen zu erreichen, als die Umstände gestatten. 
Wenn der Chemismus des Körpers in Ordnung gebracht werden und 
der Zucker verhindert werden könnte, in den allgemeinen Kreislauf 
zu gelangen, würde die Krankheit beseitigt sein; aber es ist vielleicht 
nicht möglich, die umwandelnde oder assimilirende Kraft, welche 
geschwächt oder verloren gegangen ist, wiedorherzustellen, uüd dann 
ist der einzige Weg, das vorgesteckte Ziel zu erreichen, der, von 
der Eiufübrung in den Körper diejenigen Nahrungsstoffe auszu¬ 
schließen, welche in Folge des Unvermögens ihrer gehörigen Aus¬ 
nutzung von keinem Nutzen sein können und welche, indem sie 
zum Durchgang von Zucker durch den Körper Veranlassung geben, 
einen unnatürlichen Zustand und damit positiven Nachtheil herbei¬ 
führen. 

Solange der Durchgang von Zucker durch den Körper ver¬ 
hütet wird, wird kein Schaden gethan. Andererseits, wenn Zucker 
durch den Körp r hindurchpassirt, beobachtet man nicht nur die 
Symptome, welche gewöhnlich darauf folgen, sondern es besteht ein 
fortdauernder Zustand von Unsicherheit wegen der Gefahr des Ein 
tritts schwerer Erscheinungen, welche bekanntermaßen im Gefolge 
der Krankheit eintreten können. Zudem wird bei dem unnatürlichen 


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Zustande, welcher durch die Gegenwart des Zuckers bedingt wird, 
die Ernährung nieht in solcher Weise im Gange erhalten, daß die 
allgemeine Körperkraft dabei gehörig bestehen kann. In Folge davon 
wird die allgemeine Kraft untergraben oder frühzeitig erschöpft, 
der Körper geschwächt und seine Fähigkeit, ungünstigen äußeren 
Einflüssen zu widerstehen, herabgesetzt. Das ist nicht der Fall, 
wenn Zucker nicht in der angegebenen Weise durch den Körper 
hindurchgeht; es besteht dann kein wesentlicher Unterschied von 
dem gewöhnlichen Zustande. 

Der Contrast zwischen den zwei Zuständen, d. h. einmal, wenn 
dem Zucker gestattet wird, in abnormer Weise im Körper vorhanden 
zu sein, und dann, wenn dies verhindert wird, zeigt sich sehr deutlich 
in Fällen, in welchen die Krankheit einige Zeit unerkannt ihren 
Lauf gehabt hat und dann durch diätetische Behandlung beeinflußt 
wird. Was in solchen Fällen zu beobachten ist, das ist eine allmälig 
zunehmende Beeinträchtigung der Gesundheit und eine zunehmende 
Schwere der Krankheitserscheinungen, und man darf wohl annehmen, 
daß die Krankheit in derselben Richtung fortschreiten und der Kranke 
sehleehter und schlechter würde, wenn man den Zustand s : ch selbst 
überließe. Während die Dinge so ihren Fortgang nehmen, wird nun 
zufällig das Vorhandensein der Krankheit erkannt, und wenn nun 
der Fall derart ist, daß der Zucker durch Ausschluß der Kohle¬ 
hydrate aus der Nahrung, aus dem Harn zum Verschwinden gebracht 
werden kann, wenn dieser Ausschluß durchgeführt wird, so wird 
dies allein genügen, nieht nur um dem Fortschreiten nach abwärts 
Einhalt zu thun, sondern um dem Kranken Gesundheit und Kraft 
zurückzubringen. 

Die erste Aufgabe der Behandlung ist daher, durch diätetische 
Maßnahmen den Durchgang von Zucker durch den Körper zu ver¬ 
hindern. Das mögliche Ziel aber, welches wir im Auge behalten 
müssen, ist, die Assimilationskraft für Kohlehydrate wiederherzu- 
stellen, und, bevor dies erreicht ist, kaun man nicht sagen, daß 
eine Heilung erzielt ist, sondern nur, daß die Krankheit nieder¬ 
gehalten und verhütet wird, daß sie, so lange der Zustand erhalten 
bleiben kann, einen ungünstigen Ausgang nehme. Das, was am 
meisten zu dieser erwünschten Wiederherstellung der Assimilations¬ 
kraft beiträgt, ist die Erhaltung eines normalen Körperzustandes 
dureh Freihalten desselben von dem Durchgang von Zucker und 
der Einfluß, welchen ein gesunder Körper hat, um zur Beseitigung 
eines fehlerhaften Zustandes beizutragen. 

Nach P.’s Erfahrung sind Opium und dessen Bestandteile, 
Codein und Morphin, die Arzneien, welche mehr als irgend 
welche anderen zur wirklichen Heilung der Krankheit, d. h. zur 
Wiederherstellung der geschwächten Assimilationskraft, mithelfcn 
können. 

Der Einfluß dieser Substanzen kann in Fällen beobachtet werden, 
wo der Zucker durch die Diät bis zu einem gewissen Punkt herunter¬ 
gebracht ist, aber durch diätetische Behandlung allein nicht zum 
gänzlichen Verschwinden gebracht werden kann. Dies letztere kann 
dann zuweilen der nachträglichen Verabreichung des Arzneimittels 
folgen, was darauf hindeutet, daß die Arznei in der Richtung wirkte, 
daß sie einen beschränkenden Einfluß auf die abnorme Bildung und 
Ausscheidung von Zucker ausübte. 

Wenn Fälle günstiger Form, d. h. Fälle jenseits der mittleren 
Lebensjahre, mit diesem combinirten Verfahren behandelt werden, 
und wenn die Behandlung cousequent für einige Zeit fortgesetzt 
wird, so kann man ganz gewöhnlich beobachten, daß der Körper 
des Kranken nun im Stande ist, eine gewisse Menge von Kohle¬ 
hydratnahrung zu vertragen, ohne daß Zuckerausscheidung statt¬ 
findet. Häufig wird bei genauer Befolgung der nothwendigen Be¬ 
handlung die Assimilationskraft insoweit wieder hergestellt, daß eine 
mäßige Menge Kohlehydrate oder selbst gewöhnliche Diät genommen 
werden können, ohne daß Zuckerausscheidung erfolgt. Wenn dies 
der Fall ist, können Kohlehydrate bis zu der Menge, von welcher 
man gefunden hat, daß sie ertragen wird, ohne Nachtheil genossen 
werden; aber die Aufgabe ist die, unterhalb der Grenze zu bleiben, 
bei welcher Zuckerausscheidung stattfindet, und wenn man dies thut, 
so folgt thatsächlicb Nutzen, anstatt Nachtheil, daraus. 

In dieser Hinsicht ist es nothwendig, bei der Behandlung 
eines Falles die quantitative Untersuchung des Zuckers vorzunehmen, 


nicht nur zu dem Zwecke, um die Behandlung nach den gemachten 
Fortschritten zu reguliren, sondern auch um einen Anhalt in der 
Hand zu haben für die Art und Weise, in welcher die gegebenen 
Verordnungen ausgeführt werden. Wenn es sich in einem Falle 
ereignet, daß eine Wiederherstellung der Assimilationskraft gefunden 
wird, so ist es gestattet, eine wirkliche Heilung anzunehmen; aber 
es ist immer nothwendig, in der Erinnerung zu behalten, daß ein 
schwacher Punkt vorhanden war, und daß es räthlich ist, ungewöhn¬ 
liche Ansprüche an eine Kraft zu vermeiden, welche vorher Zeichen 
der Schwäche hat erkennen lassen. 

DüJARDIN-BEAUMETZ (Paris) kann einen Unterschied zwischen 
Diabetes und Glycosurie nicht anerkennen. Die Prognose bei der 
Zuckerharnruhr hängt gänzlich davon ab, was man durch eine strenge 
antidiabetische Diät erzielen wird. Die in 24 Stunden ausgeschiedene 
Menge von Zucker spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. 1). 
ist der Ansicht, daß, wenn bei einem Diabetiker, der 14 Tage lang 
eine strenge antidiabetische Diät inne gehalten hat, der Zucker aus 
dem Harn verschwunden ist, man bei demselben eine leichte Form 
der Krankheit annehmen darf. Selbstverständlich ist dies keine 
Heilung, und man wird die Nahrung des Patienten weiter über¬ 
wachen müssen, man erspart ihm aber auf diese Weiso alle Compli- 
cationen und schweren Folgen des Diabetes. Wird aber andererseits 
trotz der Strenge der Behandlung die Menge des ausgeschiedenen 
Zuckers nur unbedeutend vermindert, so kann man anuehmen, daß 
der Kranke an einer schweren Form von Diabetes leidet, und daß 
der Verlauf ein rapider sein wird. Zwischen diesen zwei Gruppen 
von leichtem und schwerem Diabetes gibt es noch eine dritte Gruppe 
von Diabetikern mittlerer Intensität, bei welchen man trotz strenger 
Behandlung den Zucker nie vollständig zum Verschwinden bringt, 
sondern in 24 Stunden immer 10—15 Grm. Zucker constatirt. Bei 
diesen Kranken, bei denen sich die Prognose im Allgemeinen 
günstiger gestaltet, sieht man manchmal nach längerem Bestehen 
der Krankheit cerebrale Symptome in Folge von Erweichungen 
auftreten (Bouchardat: petits diab6tiqucs). Was die Heilung 
der Zuckerharnruhr betrifft, so ist diese so selten bei Diabetes, daß 
es als Regel gelten kann, daß, selbst wenn eine geeignete Behand¬ 
lung den Zucker aus dem Harne zum Verschwinden brachte, der 
Kranke nichtsdestoweniger eine Prädisposition behält, so daß der 
Zucker im Blute zunimmt, und sobald der Kranke die Diät auf¬ 
gibt, die Glycosurie von Neuem erscheint. 

Die individuellen Schwankungen in der Secretion des 
Zuckers bei Diabetikern sind sehr auffallender Natur. Es ist sehr 
schwer, wie D. in Versuchen über die diuretische Wirkung der 
Glycose gezeigt bat, ein nicht dazu beanlagtes Individuum diabetisch 
zu machen. Als erste Thatsache constatirt D. daher eine Wider¬ 
standsfähigkeit mancher Personen gegen den Diabetes, selbst wenn 
man ihn durch eine entsprechende Nahrung zu erzeugen sucht. 

Eine zweite, ebenso interessante Thatsache besteht darin, daß, 
obwohl man durch passende Behandlung den Zucker aus dem Harne 
eines Diabetikers zum Verschwinden bringen kann, bei demselben 
Individuum die Menge des Zuckers im Harne in proportionirter 
Weise nicht vermehrt werden kann. 

Drittens sieht man bei manchen Diabetikern trotz Beobachtung 
strengster antidiabetischer Diät den Zucker im Urin von Neuem 
erscheinen. Die Hauptursache dieses Phänomens liegt in einem Ein¬ 
flüsse der psychischen Functionen. 

Aus dem Angeführten geht die Nothwendigkeit hervor, mögl’chst 
oft bei Diabetikern den Urin auf Zucker zu untersuchen. 

Die Behandlung des Diabetes umfaßt gleichzeitig die arznei¬ 
liche und diätetische Behandlung, letztere bei weitem bedeutender 
als erstere. Allgemein ist anerkannt, daß das Ausschließen von 
Amylaceen und Zucker aus der Nahrung den mächtigsten eurativen 
Factor des Diabetes bildet. Auch die Nothwendigkeit von Fetten 
in der Nahrung bei Diabetikern ist allgemein zugestanden. 

Das Brot ist ein fast unentbehrliches Nahrungsmittel, und 
daher ist die Einführung des Glutenbrotes in die Diät der Diabetiker 
entschieden ein großer Vortheil. Leider findet man im Handel unter 
dem Namen von Glutenbrot verschiedene Producte, welche ebenso 
viel Stärke enthalten, wie gewöhnliches Brot. Redner erwähnt ferner 
als geeignet das Sojabrot, sowie die Fromentine und Legu- 


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1890. 


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m ine aus Weizen- und Leguminosensamen, welche sämmtlich ein 
Pnrgiröl enthalten. Das Glutenbrot, wie die aus den Gluten bereiteten 
Macaroni, sind den Diabetikern absolut zu verbieten. Sollen Kartoffeln 
das Brot bei einem Diabetikor ersetzen, so darf er nicht mehr als 
eine Kartoffel mit Butter essen. 

Wenn der Diabetiker gewöhnliches Brot essen darf, so empfiehlt 
D. die Kruste und nicht die Krnme, weil er von ersterem ver- 
hültnißmäßig weniger verbraucht 

Früchte müssen vollständig verboten werden. Dasselbe gilt 
von der Milch wegen der diuretischen Wirkung der Lactose. Rathsam 
ist es auch, zur Vermeidung der Trunksucht den Diabetikern welche 
gewöhnlich starke Trinker sind, Alkohol, Liqueure und schwere 
Weiue zu verbieten und uur Wein mit Wasser gemischt zu erlauben, 
ebenso den mäßigen Genuß von Bier. Dagegen sind Thee, Kaffee 
und Kolapräparate von großem Nutzen wegen ihrer stimulirendon 
Wirkung. Das Saccharin leistet den Kranken immer gute Dienste 
und erlaubt, vom Glycerin Abstand zu nehmen. 

Neben der Diät siud den Diabetikern noch hygienische Ma߬ 
regeln und mäßigo gymnastische Uebungcn anzuratben. D. empfiehlt 
gcwöhulich Gartenarbeit, eventuell Tischlerarbeit. Auch von der 
Hydrotherapie macht Redner bei Diabetikern einen großen Gebrauch. 

W T as die thermale Behandlung anlangt, so sind die Anschauungen 
über die Wirkung der alkalinischen Wässer, die kohlensaures Natrium 
enthalteu, bei Diabetikern sehr verschieden. Redner hält sie immer 
für indicirt. Er vereinigt die alkaliuische und die Arsenikbehandlung 
in folgender Formel. Der Kranke nimmt vor jeder Mahlzeit in einem 
Glase alkalinischen Wasse s (Vichy, Vali etc.) folgendes Pulver: 
Rp. Lith. carbouic. lO'O. Div. in 30 Plv.; zu jedem Glase 2 Tropf. 
Liq. Fowler. zuzusetzen. 

Der größte Fortschritt in der Behandlung der Diabetiker war 
aber die Einführung der schmerzstillenden Antipyretica. 

Dieselbo güustige Wirkung auf das cerebrospinale System übt 
das Bromkalium. Durch 2—4 Grm. Antipyrin pro die sinkt das in 
24 Stunden ausgeschiedene Quantum Urins um die Hälfte, ohne 
daß die Menge des Zuckers pro Liter dabei steigt oder unangenehme 
Erscheinungen auftreten. 

Während der ersten Monate der antidiabetischen Cur muß 
mau Strenge üben, sobald aber der Zuckergehalt des Urins voll¬ 
ständig verschwunden oder bedeutend herabgesetzt ist, darf man 
sich etwas milder zeigen. Redner hat Öfters bei der strengen Diät 
große Schwäche auftreten sehen und hat dann mit großem Vortheil 
während der Mahlzeiten etwas Brot, einige Kartoffeln und ein wenig 
Obst erlaubt. 

Bei Befolgung der angeführten Maßnahmen darf man hoffen, 
daß bei der Mehrzahl der Diabetiker der Zucker aus dem Harn 
verschwinden wird und die traurigen Folgen der Krankheit ver¬ 
mieden werden. (Schluß folgt.) 


Notizen. 

Wien, 25. October 1890. 

(Von der Wiener raedicinischen Facultät.) Das 
Amtsblatt vom 20. d. M. meldet die wiederholt angekündigte, 
nunmehr provisorisch erfolgte Activirung einer dritten medici- 
niseben Klinik im allgemeinen Krankenhause, welche der 
Leitung des gleichzeitig zum ordentlichen Professor ernannten bis¬ 
herigen Extraordinarius und Primararztes Dr. Leopold R. Schrötter 
v. Kristelli unterstellt wurde. 

(Die Wasserversorgung Wiens.) Der oberste Sanitäts¬ 
rath hat im Aufträge des Ministeriums des Innern ein Gutachten 
über die Wasserversorgung der Reichshauptstadt abgegeben, welches 
eine Reihe wichtiger Anträge und Anregungen enthält. Das um¬ 
fassende Elaborat weist zunächst an der Hand der Statistik nach, 
daß sich die Hoffnung, es werde durch die provisorische Zuleitung 
des Wassers der Fuchspaßquelle gelingen, der in jedem Winter 
wiederkehrendeu Wassernoth zu begegnen und das Einschöpfen von 
Schwarzawasser überflüssig zu machen, sich nicht erfüllt habe; da 
ferner die Einbeziehung der anderen Hochquellen erst in Jahren zu 
erreichen ist, und da die Gemeinde Wien bisher keine Vorsorge 


zu anderweitiger Beschaffung tadellosen Wassers getroffen hat, 
bleibt nichts Anderes übrig, als der Regierung neuerlich die Sistirung 
des Schöpfverbotes auch für die nächste bevorstehende wasserarme 
Periode zu empfehlen. Es würde sich aber durchaus nicht empfehlen, 
der Gemeinde neben der Zuleitung des Fuchspaßquellcn-Wassers 
noch das Schöpfen von vollen 300.000 Eimern per Tag aus der 
Schwarza für die Zukunft zu bewilligen. Abgesehen von dem dann 
zu gewärtigenden Einsprüche der Wasserberechtigten, wäre es un¬ 
klug, der Gemeinde auf diese Weise die Beseitigung des offen¬ 
kundigen Wassermangels über das Maß des unbedingt Nothwendigen 
hinaus zu erleichtern, denn nur die Noth werde endlich die Gemeinde 
Wien dazu treiben, fruchtbare Arbeiten zur endgiltigen Lösung der 
Wasserfrage in Angriff zu nehmen. Als Endtermin der gestatteten 
Schöpfung wird der 1. April 1891 beantragt, weil die Zeit des 
Wassermangels mit März in der Regel endet. Es ist selbstverständlich, 
daß die Gestattung des Schöpfens wie bisher an die Bedingung der 
möglichst sorgfältigen Herstellung der Seihevorrichtung an der Pump¬ 
stelle und der Ueberwachung der Wasserläufe oberhalb derselben 
geknüpft werden muß. Nothwendig ist es ferner, daß der Gemeinde 
mit allem Ernste klar gemacht wird, daß die Bewilligung zum 
Einschöpfen unfiltrirten Wassers nicht ohneweiters von Jahr zu 
Jahr bewilligt werden kann. Zudem zwingt die bevorstehende Ver¬ 
einigung Wiens mit den Vororten dazu, die Wasserversorgung von 
einem höheren Gesichtspunkte zu beurtheilen. „In das größere 
Wien müsse auch ein größerer Sinn in die Verwaltung der Stadt 
einziehen, und die Regierung muß Alles dazu thun, damit dies 
baldigst geschehe.“ — Die meritorischen Anträge des Obersten Sanitäts- 
rathes lauten : 1. Das Verbot der Entnahme unfiltrirten Sehwarzawassers 
wäre abermals, und zwar bis 1. April 1891, zu sistiren. Bis zu dieser Frist 
werdo gestattet, daß die Gemeinde Wien aus dom Gebiete der Schwarza 
Wasser bis zur Maximalmenge von 300.000 Eimern = ca. 17.000 Cubik- 
meter in 24 Stunden entnehme. Diese Wasserentnahme hat aus dem 
provisorischen Zuleitungsgerinne der Fuchspaßquellen zu geschehen, 
und nur in dem Falle, daß die hier zu gewinnenden Wassermeugen 
nicht ausreichen, darf durch Schöpfen aus dem Schwarzaflusse beim 
Kaiserbrunnen das tägliche Wasserquantum auf die genannte Größt¬ 
menge von 300.000 Eimern ergänzt werden. 2. Diese Erlaubniß 
wäre aber an eine Reihe von Bedingungen zu knüpfen und zu ver¬ 
langen, daß die Seihvorrichtung an der Pumpstelle am Kaiserbrunnen 
nach den Anträgen des Stadtphysicates möglichst vollkommen neu 
in Stand gesetzt werde; daß, wie im vergangenen Jahre, auch 
fernerhin der Oberlauf der Schwarza und der Naßbach durch Be¬ 
dienstete der Gemeinde Wien auf s Sorgfältigste überwacht werden; 
daß nach Möglichkeit dafür gesorgt werde, die nach den Angaben 
des Stadtbauarates bei der jetzigen Einrichtung zur Zeit kleinster 
Ergiebigkeit noch täglich ungenützt verloren gehenden 2200 bis 
3400 Cubikraeter Wasser der Fuchspaßquollen dem Aquäducte zuzu- 
ftthren. — Ferner wird empfohlen, neuerdings den gemessenen 
Auftrag zu ertheilen, die Frage der Anlage von wirksamen Filtern 
für das Schwarzawasser ernstlich zu studiren, da auf die Dauer 
die Einleitung des unfiltrirten Wassers nicht gestattet werden kann. 
Es wäre der Gemeinde Wien aufs Nachdrücklichste vorzuhalten, 
daß es unmöglich ist. dem herrschenden Wassermangel durch die 
Zuleitung von 35.000 Cnbikmeter aus dem Gebiete der Schwarza 
allein ein Ende zu machen, um dem Wasserbcdürfnisse des künftigen 
Groß-Wien zu entsprechen; selbst in dem sehr zweifelhaften Falle, 
daß die neu einzubeziehenden Hochquellen jederzeit 35.000 Cubik- 
meter Wasser im Tage zu liefern im Stande sein werden. Alle 
Hochquellen zusammen werden während monatelauger Zeitperioden 
höchstens knapp für den Hausbedarf der heutigen Bevölkerung von 
Wien und Vororte ausreichen, keineswegs aber für den Gesammt- 
bedarf. Die Herstellung einer zweiten Wasserleitung 
sei daher eine unaufschiebliche Nothwendigkeit. Sie 
empfehle sich auf’s Dringlichste auch im Hinblicke auf die Gefahr 
plötzlich eintretenden gänzlichen Wassermangels durch zufällige oder 
absichtliche Beschädigung des Aquäductes. Es unterliegt keinem 
Zweifel, daß Wasser bester Beschaffenheit in ausreichender Menge 
in nicht allzu großer Entfernung von Wien noch zu finden sei. 
Die Regierung erwartet und verlangt daher von der Gemeinde, daß 
sie vor Allem Studien in dieser Richtung mit allem Eifer einleitet 
und über die Ergebnisse derselben sobald als möglich berichtet. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


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(Prüfungen der einjährig-freiwilligen Aerzte.) 
Das jüngste Normal-Verordnungsblatt für das k. und k. Heer ent¬ 
hält eine neue Vorschrift über die theoretisch-praktische Ausbildung 
und die Prüfung der einjährig-freiwilligen Aerzte und Pharmaceuten. 
Als neu eingefübrte Lehrgegenstände für die Assistenzarzt-Stell¬ 
vertreter ist zunächst der Unterricht in dem ökonomisch¬ 
administrativen Dienste zu nennen, und zwar in dem Um¬ 
fange, als eine allgemeine Kenntniß der Bestimmungen gefordert 
wird, welche auf die Verwaltung einer Unterabteilung und auf die 
Führung von Transporten Bezug nehmen. Des Weiteren sollen 
Operationscurse abgehalten werden, in welchen die häufiger 
vorkommenden, namentlich kriegs-chirurgischen Operationen einzu 
üben sind, ebenso werden Uebungen in der Packung und Verladung 
des Sanitätsmaterials im Kriege, im Auf- und Abladen von Ver¬ 
wundeten und in Anfertigung von Improvisationen gefordert. Der 
Unterricht betreffs des ökonomisch-administrativen Dienstes wird von 
einem Truppen-Rechnungsführer ertheilt, und wird aus diesem Fach 
am Schlüsse des Semesters eine schriftliche Prüfung abgelegt. Io 
jenen Militär Sanitätsanstalten, wo mehrere Kranken-Abtheilungen 
vorhanden sind, müssen die einjährig-freiwilligen Aerzte durch 
mindestens 8 Wochen auf der chirurgischen Abtheilung verwendet 
werden. Außer diesen Lehrgegenständen und Uebungen sind, bei 
theilweiser Aenderung des Umfanges und der Stundenzahl gegen 
früher, da nunmehr der Uuterricht für die einjährig-freiwilligen 
Aerzte sich nicht mehr auf ein ganzes Jahr erstreckt, sondern 
semesterweise vom 1. October bis letzton März, beziehungsweise 
1. April bis 30. September abgehalten wird, noch Heerwesen, 
Militär-Sanitätswesen im Frieden und Kriege, Militär-Hygiene, Militär- 
Pharmakopoe, endlich Uebungen im Dispensiren der Arzneion an¬ 
geführt. Am Schlüsse der Semester haben sich die einjährig-frei¬ 
willigen Aerzte und Pharmaceuten einer theils mündlichen, theils 
schriftlichen Prüfung zu unterziehen. Diejenigen, welche bei der 
Prüfung nicht entsprochen haben, werden nicht befördert, sondern 
in ihrer innehabenden Charge in die Reserve übersetzt; jedoch 
können sie sich innerhalb dreier Monate einer Nachprüfung unter¬ 
ziehen. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Es verlautet hier, daß 
noch im Laufe dieses Schuljahres ein neues Prüfungssystem 
an unserer medicinischen Facultät eingeführt werden soll. Diesem 
zufolge fallen die Prüfungen aus Mineralogie, Botanik und Zoologie 
weg; am Ende des zweiten Semesters findet eine mündliche Prüfung 
aus Physik und Chemie statt (Taxe 15 fl.); am Ende des vierten 
Semesters mündliche und praktische Prüfung aus der Anatomie und 
Physiologie (Taxe 30 fl); am Ende des sechsten Semesters münd- 
licRe und praktische Prüfung aus der pathologischen Anatomie und 
der allgemeinen Pathologie und Therapie (Taxe 45 fl.); nach 
Beendigung des Cursus klinische Prüfung aus der internen Medicin, 
Chirurgie und Operationslehre, Oculistik und geburtshilflichen Ope- 
rationslebre (Taxe 60 fl.); mündliche Prüfung aus der internen 
Medicin, mündliche und praktische Prüfung aus der gerichtlicheu 
Medicin und der Hygiene (Taxe 40 fl.). Als neue Prüfungsgegen¬ 
stände wurden die allgemeine Pathologie und Therapie und die 
praktischen Prüfungen aus gerichtlicher Medicin und Hygiene auf¬ 
genommen. Bezüglich der Qualification des Pi üfnngserfolges werden 
statt der bisherigen Noten „ausgezeichnet“ und „genügend“ drei 
Noten in Geltung treten: „ausgezeichnet“, „gut“ und „genügend“. 
Die ausgezeichneten Colloquien werden bei den ersten Rigorosen als 
Prüfungen eingerechnet, während sie bisher nur bei der l’efreiung 
vom Collegiengeldg in Betracht gezogen wurden. Wer bei der 
Prüfung am Ende eines Jahres durchfällt, kann vor Emendirung in 
den höheren Jahrgang nicht eintreten. Das neue System, welches 
von den Professoren selbst angeregt wurde, soll bereits für die 
jetzigen erstjährigen Hörer obligatorisch werden. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Programm der 
Montag, den 27. October 1890, 7 Uhr Abends, im Höisaale des Prof. 
Dr. Ludwig (Allgemeines Krankenhaus, patholog. Institut) stattflndendeu 
wissenschaftlichen Versammlung: Hofrath Prof. Dr. Ludwig: Die neuesten 
Arbeiten über die Chemie desBlutes (mit zahlreichen experiineutellen 
Demonstrationen). 

(Statistik.) Vom 12. bis inclusive 18. October 1890 wurdon in den 
Ci vilspi tälern Wiens 4179 Personen behandelt. Hievon wurden 140 
entlassen; 81 sind gestorben (&*9 0 /o des Abganges). In diesem Zeiträume 


wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 44, egyptischer Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 19, Dysenterie —. Blattern 19, Varicellen 42, Scharlach 46, 
Masern 93, Keuchhusten 22, Wundrothlauf 27, Wochenbettfieber —. — In 
der 42. Jahreswoche sind in Wien 303 Personen gestorben (4-29 gegen 
die Vorwoche). 


(Auszeichnung.) Das chemisch-mikroskopische Labora¬ 
torium der DDr. M. und Ad. Jolles in Wien erhielt für exponirte 
Objecte und Arbeiten auf dem Gebiete der Hygiene, Bacteriologie und 
Mikroskopie auf der Landesausstellung in Bielitz die goldene Medaille 
und auf der hiesigen Land- und forstwirthschaftlichen Ausstellung die 
silberne Medaille zuerkannt. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Edlefsen 0., Lehrbuch der Diagnostik innerer Krankheiten. I. Abth. Mit 
50 Abbildungen. Leipzig und Wien 1890. Franz Deut icke. 

Krüche A., Diät und Wegweiser bei Gicht und Rheumatismus. Berlin 1890. 
Hugo Steinitz. 

Beard G. M., Die sexuelle Neurasthenie. Herausg. von A. D. Rockwell. 

Zweite, verb. Aufl. Leipzig und Wien 1890. Franz Deuticke. 

Bum A», Therapeutisches Lexikon für praktische Aerzte. Lieferung 11/12. 

Wien und Leipzig 1890. Urban & Schwarzonberg. 

Howard a Kelly, The Johns Hopkins Hospital Reports. Gyneoology I. Balti¬ 
more 1890- Johns Hopkins Press. 

Lehmann K. B. , Die Methoden der praktischen Hygiene. Mit 126 Abb. 
Wiesbaden 1890. J. F. Bergmann. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


Eingesendet. 


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prakticirt während der Wintersaison in 

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X. Bezirk, für 64 Mitglieder im IV. Bezirk, für 26 Mitglieder im V. Bezirk, 
für 28 Mitglieder in Simmering und für 20 Mitglieder in Meidling umfassen. 
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1719 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


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Nr 44. 


Sonntag den 2. November 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
S bis S Bogen Gross-Onart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
ungleich anch selbstständig, erscheint die ^Wiener Klinik“, 
allmonatlieh ein Heft im anrchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aurträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 60 kr. Ansland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung de8 Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--sie-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Eine einfache Methode der Entfernung von Nasenpolypen. Von Dr. Edgar Kürz in Florenz. — 
Ueber die Behandlung des chronischen Morbus Brightii. Von T. Grainger Stewart , M. D., Präsident des Royal College of Physicians, Professor 
der inneren Medicin an der Universität Edinburgh etc. — Die Trichloressigsäure und ihre Anwendung als Aetzmittel bei den Krankheiten der Nase 
und des Rachens. Von Dr. L. Rethi in Wien. — Ans der Klinik des Prof. v. Koränyi in Budapest. Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 
von verschiedener Temperatur und Menge auf das gesunde und kranke Herz. Von Dr. Moriz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. — Referate 
nnd literarische Anzeigen. Altehoefer (Rostock): Ueber die Desinfectionskraft von Wasserstoffsuperoxyd auf Wasser. — Heidenbain (Cöslin): 
Ueber Milchsterilisation durch Wasserstoffsuperoxyd. — E. Hüfleb: Ueber die Behandlung der Syphilis mit salzsanrem Glutinpepton-Snblimat. — 
Handbuch der chirurgischen Technik bei Operationen und Verbänden. Von Dr. Albert R. v. Mosetig-Moorhof, Professor an der Wiener Universität, 
Primar-Chirurg im k. k. Krankenhause Wieden, General-Chefarzt des h. Deutschen Ritterordens. II. Band; Specielle Chirurgie. — Feuilleton. 
Eine ärztliche Untersuchnngsanstalt in Paris. — Die ungarische baineologische Landes-Conferenz. I. — Kleine Mittheilungen. Die Ernährung 
per rectnm bei Behandlung des Ulcns ventriculi. — Zur Behandlung der chronischen Obstipation. — Tribromophenol oder Bromol als neues 
Antisepticnm. — Die Unwirksamkeit comprimirter Arzneimittel. — Der Einfluß des Räacherns auf die Infectiosität perlstichtiger Rinder. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Verein für innere Medicin in Berlin. (Orig.-Ber) — 
X. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten zn Berlin 4.—9. August 1890. (Orig.-Ber.) XIII. — Notizen. Das November-Avancement 
der Militärärzte. — Literatur. — AerztJiche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Eine einfache Methode der Entfernung von 
Nasenpolypen. 

Von Dr. Edg&r Kurz in Florenz 

Die meisten gestielten Schleimpolypen der Nase lassen 
sich gewiß am einfachsten und leichtesten mit der kalten 
Schlinge entfernen, mit der auch ich bis jetzt stets ausge¬ 
kommen bin, mit Ausnahme von zwei Fällen, in denen mir 
ihre Anlegung wegen tiefen Sitzes der Geschwulst und mehr 
noch wegen Ungeberdigkeit der Patienten nicht gelang. Da 
solche relative Hindernisse für die gewöhnliche Operations¬ 
methode dem Praktiker wohl ab und zu aufstoßen dürften, 
und nicht Jeder Zeit genug hat, eines so geringfügigen Leidens 
wegen einen ungelehrigen oder widerspenstigen Kranken in 
wiederholten Sitzungen znr Untersuchung und Operation erst 
zu erziehen, so theile ich hier kurz die Art und Weise mit, 
wie ich mir in zwei derartigen Fällen aus der Verlegenheit 
geholfen habe. Ob das von mir angewandte Verfahren schon 
von anderer Seite erprobt oder empfohlen worden ist, weiß 
ich nicht; doch ist mir in der rhinologischen Literatur der 
letzten Jahre keine diesbezügliche Notiz begegnet. 

Der erste Patient, bei dem die Anlegung der Schlinge 
sich als unmöglich erwies, war ein 12jähriger Knabe, der 
wegen vollständiger Verstopfung des rechten Nasencanals, 
näselnder Sprache etc. in meine chirurgische Poliklinik ge¬ 
bracht wurde. Bei der unter Geschrei und Toben des unartigen 
Patienten kaum ausführbaren Rhinoscopia anterior zeigte sich 
tief hinten das vordere Segment eines Schleimpolypen, dessen 
hinteres Segment von der Rachenhöhle ans getastet werden 
konnte. In zweimaliger Sitzung versuchte ich nach Coca'in- 
bepinselung die Schlinge anzulegen; da aber der Pat. keine 
Secunde still hielt, sondern wie wtithend strampelte nnd ans- 
znreißen suchte, so sah ich ein, daß die Anlegung hier un¬ 
möglich war und wohl auch für unabsehbare Zeit unmöglich 
bleiben werde. 


Deshalb brachte ich den Kranken zunächst durch eine 
leichte Chloroformnarcose zur Ruhe. Hierauf, führte ich die 
BßLLOCQUE’sche Röhre auf dem Boden der rechten Nasenhöhle 
ein und befestigte an der vorgeschobenen Feder einen langen, 
starken, gewichsten Seidenfaden, an welchem in entsprechenden 
Abständen drei, an Größe sucoessive zunehmende (nicht zu harte) 
Schwämme angebunden waren. Mittelst der BELLOCQüE’schen 
Röhre wurde nun am Faden der erste; etwa nußgroße Schwamm 
von hinten her durch die Nasenhöhle gezogen; derselbe 
brachte auch sofort den unverletzten, an seinem Stiele abge¬ 
rissenen Polypen mit sich, so daß es nicht nöthig war, noch 
einen der Reserveschwämme durchzuziehen; dieselben wurden 
einfach abgeschnitten. Der Schleimpolyp hatte die Größe einer 
Mandel in der Schale. Die Blutung war eine ganz minimale, die 
Operation in ein paar Secunden ausgeführt. Wäre eine stärkere 
Blutung erfolgt, so hätte ich den zweiten Schwamm zur 
hinteren Tamponade benützt. Beim Erwachen aus der Narcose 
hatte Pat. keine Schmerzen. Ein Recidiv ist (nach einem 
halben Jahre) nicht eingetreten. 

In einem zweiten Falle handelte es sich um einen 20jäh- 
rigen jungen Menschen, • der ebenfalls an vollständiger Ob- 
struction der rechten Nasenhöhle litt. Ganz in der Tiefe war 
ein kleines Segment eines Schleimpolypen sichtbar, der sich 
beim Schnauben fast gar nicht bewegte. Die Versuche, ihn 
mit der Schlinge zu fassen, mißlangen, weil es nicht glückte, 
dieselbe — in genügendem Durchmesser geöffnet — an ihm 
vorbeizuführen, da er offenbar durch sein großes Volumen 
sich fest in die Ausbuchtung zwischen unterer und mittlerer 
Muschel und gegen das Septum anpreßte. Auch hielt der 
ängstliche Kranke trotz Cocain Dicht recht still und vereitelte 
den Versuch, die Schlinge geschlossen durch die Nase zu 
fuhren, in der Mundhöhle zu öffnen und dann vom Rachen 
aus anzulegen, durch heftiges Räuspern und Würgen. Deshalb 
applicirte ich nach reichlicher Auspinselung mit 10°/ 0 iger 
Cocafnlösung die BEi.LOCQUE’sche Röhre mit den Schwämmen 
und entfernte unter ziemlich kräftigem Zuge den unversehrten 
Polypen, der ebenfalls gleich durch den ersten Schwamm 
heran sbefordert wurde. Der sehr große, unregelmäßig gelappte 


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Schleimpolyp war an seiner Ansatzstelle abgerissen; am cen¬ 
tralen Ende des Stiels saß ein stecknadelkopfgroßes Stückchen 
spongiösen Knochens. Die Operation war trotz Cocains etwas 
schmerzhaft gewesen, was aber bei der Dauer von so wenigen 
Secunden nicht von Belang sein dürfte. Der Schmerz, sowie 
ein geringer Blutabgang sistirten sofort, und Pat. war dauernd 
von seinem Uebel befreit. 

Ich glaube diese Operationsmethode bei Nasenpolypen, 
deren Exstirpation auf die gewöhnliche Weise aus irgend 
einem Grunde Schwierigkeiten macht, ihrer Einfachheit und 
Sicherheit wegen empfehlen zu können. Im Gegensatz zu der 
Yoi TOLiNi’schen Schwammmethode bei Kehlkopfpolypen bat 
der Schwamm den Weg durch die Nase bei Anwendung des 
ßELLocQDE’schen Röhrchens nur einmal zu machen und kann 
deshalb nicht nur relativ, sondern auch absolut viel größer 
gewählt werden, so groß, daß er gerade mit einiger Mühe 
eine normal weite Nasenhöhle passirt und somit einen darin¬ 
sitzenden kleinen oder großen Polypen mit vollständiger 
Sicherheit mitnimmt. Auf dieselbe Weise ließen sich gewiß 
auch manche in die Nasenhöhle eingedrungene, sonst nicht 
ganz leicht zugängliche Fremdkörper ohne Schwierigkeit 
entfernen. 


Ueber die 

Behandlung des chronischen Morbus Brightii. 

Von T. Grainger Stewart, M. D., 

Präsident des Royal College of Physicians, Professor der inneren 
Medicin an der Universität Edinburgh etc. 

(Schluß.) 

Wenige von den Ursachen des chronischen Morbus Brightii 
haben eine größere Wichtigkeit, als der excessive Gebrauch des 
Alkohols, und nur wenige Schädlichkeiten reizen mehr die 
Niere, als diese. Ich habe über den Einfluß des Alkohols auf 
die verschiedenen Formen des chronischen Morbus Brightii 
eingehende Untersuchungen angestellt und gefunden, daß ab¬ 
gesehen von seinem langsamen oder allmäligen Einfluß, die 
Verabreichung einer vollen Alkoholdosis bei gewöhnlicher 
Entzündung der Tubuli die Harnmenge und in geringerem 
Grade auch die des Eiweißes erhöht, während der Harnstoff 
gewöhnlich unverändert bleibt. Bei Cirrhose ist die Wirkung 
keine so ausgesprochene. Bei Amyloiddegeneration erzeugt eine 
volle Alkoholdosis ein deutliches Abfallen der Harnstoffmenge 
und eine Zunahme des Eiweißes. Es gibt viele Fälle von Morbus 
Brightii, bei denen aus Gründen, die mit der Krankheit als 
solcher nichts zu thun haben, der Alkohol sehr wünschenswerth 
ist, nur daß in solchen Fällen die minimale nothwendige Menge, 
und zwar nicht rein, sondern mit Wasser oder Milch verdünnt, 
gestattet wird. 

Beider Auswahl der, dem individuellen Falle angemessenen 
Stimulantia soll der habituelle Gebrauch solcher vermieden 
werden, welche eine Reizwirkung auf die Nieren ausüben, 
namentlich darf der Branntwein nicht angewendet werden, 
während andererseits der Gebrauch desselben bei Entzündung 
der Tubuli von ausgezeichneter Wirkung ist. Stimulantia wie 
Branntwein, Whisky, Brandy müssen stets vermieden werden, 
hingegen können Rheinwein und ungarische Weine gelegentlich 
mit Nutzen in Anwendung gezogen werden bei Kranken, bei 
denen gleichzeitig ein Diureticum und ein Excitans angezeigt 
ist. Im Großen und Ganzen aber müssen Weine, und nament¬ 
lich die süßen und schweren Sorten möglichst vermieden 
werden. 

Auch die Malzpräparate sollen so wenig als möglich in 
Anwendung gebracht werden. Nur selten kann man ein leichtes 
und reines deutsches Bier, aber nur bei speciellen Indicationen 
und nicht zum gewöhnlichen Gebrauch gestatten. 

Der nächste Punkt, den ich besprechen will, betrifft die 
Frage, ob der Krankheitsproceß in der Niere beeinflußt wer¬ 
den kann. 


Bei Amyloiddegeneration glaube ich, daß es zuweilen 
möglich ist, den Zustand des Organes zu verbessern, wenn 
wir die Ursache der Krankheit zu beseitigen im Stande sind. 
Ist Syphilis, ein cariöser Proceß oder irgend eine andere 
chronische Eiterung die Ursache der Nierenerkrankung, so kann 
mit der Beseitigung dieser ätiolegischen Momente auch die 
Amyloiddegeneration auf hören, aber nicht selten ist trotz 
Behebung der Ursache die Wirkung derselben unveränderlich. 
Die Cirrhose und die interstitielle Nephritis ist bei weit vor¬ 
geschrittenen Fällen absolut hoffnunglos und führt früher oder 
später zum tödtlichen Ausgang. In früheren Stadien kann der 
Proceß zum Stillstand gebracht werden, nicht etwa in dem 
Sinne, daß das fibröse Gewebe, das zu atrophischer Schrumpfung 
führt, verändert werden kann, sondern daß die Ausbreitung 
der Krankheit gehemmt werden kann. 

Diese Wirkung kann durch Regelung der Diät nach den 
bereits erwähnten Principien, Entziehung des Alkohols, Auf¬ 
enthalt in einem südlichen Klima während des Winters erzielt 
werden. 

Arzneimittel haben nach meiner Erfahrung keine andere 
Wirkung als die auf die Verdauungsorgane, indem sie die 
Entstehung von reizenden Substanzen verhindern, die sonst 
resorbirt worden wären. 

Bezüglich der Entzündung der Tubuli vermag die Be¬ 
handlung sehr viel zu leisten, namentlich die verstopften Tubuli 
durchgängig zu machen, wodurch nicht nur eine Resorption 
hydropischer Flüssigkeit, sondern auch die Bildung eines neuen 
und gesunden Epithels in den Tubulis ermöglicht wird, ein 
Proceß, der nicht zu Stande kommen könnte, wenn die Ent- 
zündungsproducte Molecül für Molecül resorbirt werden müßten. 
Zu diesem Behufe ist wieder die Diät unser bedeutendstes 
Hilfsmittel, und zwar leistet auch hier die Milchdiät das 
meiste. Aber auch Bettruhe begünstigt die Hautfunction; 
Regelung der Darmfunctionen, und Verabreichung von Diure- 
ticis bilden nicht zu unterschätzende therapeutische Behelfe. 

Von keinem mediacamentösen Mittel kann ich behaupten, 
daß es auf den Entzündungsproceß von irgend einem Einfluß ist. 
Locale Blutentziehungen, bei acuter Entzündung der Niere 
von großem Werth, sind oft von geringer oder gar keiner 
Wirkung, ja können sogar schädlich sein in chronischen 
Fällen. 

Indem ich nun zu den Folgen des Krankheitsprocesses 
zurückkehre, will ich die Frage erörtern, bis zu welchem 
Grade die Ausscheidung von Eiweiß aus dem Blute gefährlich 
werden kann. Die Bedeutung des Eiweißverlustes wurde eine 
Zeit lang stark übertrieben. Gegenwärtig bewegen wir uns 
nach der entgegengesetzten Richtung, und so Mancher ist ge¬ 
neigt, demselben gar keine Wichtigkeit zuzuschreiben. Es ist 
richtig, daß viele Fälle von Morbus Brightii einen nur ge¬ 
ringen Eiweißverlust, etwa 10, 20—30 Gran in 24 Stunden 
aufweisen, ein Verlust, der von keinen schweren Folgen be¬ 
gleitet wird. Anders verhält es sich aber, wenn ein Kranker 
4—500 Gran in 24 Stunden verliert, eine Quantität, die un¬ 
gefähr V«—'/ß der gewöhnlichen Eiweißnahrung beträgt. Dabei 
ist zu bedenken, daß nicht das ganze eingenommene Eiweiß in 
Blutalbumen umgewandelt wird, sondern daß viel von dem 
Nahrungseiweiß gar nie in dieses Stadium gelangt. Wenn wir 
die Blutmenge im Verhältniß zum Gewicht des Blutes und 
zur Eiweißmenge im Blutserum berechnen, so finden wir zu¬ 
weilen. daß ein Kranker durchschnittlich 1 ;13 seines Blutes 
durch die Nieren passiren läßt. Die Bedeutung einer so er¬ 
heblichen Ausscheidung ist für Jedermann leicht ei sichtlich. 

Wie sollen wir nun einer solchen Ausscheidung begegnen. 
Zunächst wohl durch Verabreichung eiweißreicher Nahrung 
und namentlich von Milch in großen Mengen. 

Besitzen wir irgend ein Mittel, welches diese Ausscheidung 
von Eiweiß einzuschränken vermag! 

Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, lassen mich über 
die Wirksamkeit der zu diesem Behufe gebräuchlichen Mittel 
zweifeln. Weder Tannin, noch Natriumtannat, weder Ergotin, 


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noch Jodkalium haben sich in meinen Händen bewährt. Nur 
zwei Mittel haben sich mir zuweilen nützlich erwiesen, es ist 
das Eisenchlorid und das salzsaure Rosanilinfuchsin. In der 
großen Mehrzahl der Fälle haben auch diese Mittel versagt, 
aber in manchen Fällen ist unter dem Einfluß derselben die 
Eiweißausscheidung herabgesetzt worden, ohne daß die Harn¬ 
menge, die Harnstoffausscheidung beeinflußt worden wäre. 

Die Verschlechterung des Blutes bezüglich der Blut¬ 
körperchen erfordert zuweilen eine große Aufmerksamkeit, und 
da sind, wie bei allen ähnlichen Verhältnissen, Eisen und Arsen 
die bestbewährten Mittel. Wohl finden manche Aerzte, daß 
das Eisen durch Erzeugung von Verstopfung oder Leber¬ 
störungen schädlich werden kann. Diesem Uebelstand läßt sich 
aber leicht durch Verabreichung von Glycerin oder Ammonium¬ 
chlorid abhelfen. 

Hydrops ist ein wichtiges Symptom bei Erkrankung der 
Tubuli. Er muß weder bei der Cirrhose, noch bei der Amyloid 
degeneration nothwendiger Weise bestehen. Aber sobald diese 
Erkrankungen mit Entzündung der Tubuli complicirt werden, 
so tritt bald Hydrops auf, der sehr lang andauern kann. In 
solchen Fällen muß der Kranke im Bette bleiben und auf Milch¬ 
diät gesetzt werden; ferner müssen Diuretica verabreicht werden. 
Die Thätigkeit der Haut muß, sei es durch Wärme oder durch 
interne oder subcutane Auwendung von Jaborandi, Pilocarpin 
oder anderen Diaphoreticis, eventuell durch heiße Luft- oder 
Dampfbäder angeregt werden. Zuweilen scheint die Erweiterung 
der Capillaren durch die Anwendung kleiner Dosen Nitro¬ 
glycerin von günstiger Wirkung auf die Haut zu sein. Im 
gegebenen Falle ist auch auf eine regelmäßige Function 
des Darmes zu achten. Da aber Obstipation nie geduldet 
werden darf, so ist es besser, die Anwendung von Catharticis 
wegen ihrer schwächenden und reizenden Wirkung auf Magen 
und Darm zu vermeiden und das Schwergewicht auf Verab¬ 
reichung von Diureticis zu legen. Ist es möglich, eine aus¬ 
giebige Diurese herbeizuführen, so wird dadurch nicht nur 
der Hydrops aufgehoben, sondern auch der Zustand der Niere 
erheblich gebessert. Die anzuwendenden Diuretica dürfen 
natürlich nicht reizend sein, Wasser und Milch sind die besten, 
aber auch die medicamentösen Mittel, namentlich Digitalis 
allein oder combinirt mit Scilla, kohlensaures Ammon, Kali 
a< etie., Kali tartar., Aether nitros. sind oft von bester Wirkung. 

Nebenbei mag erwähnt werden, daß das Verhältniß der 
Diuiese zum Hydrops ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel 
ist. Wenn nämlich bei einer chronischen Nierenkrankheit trotz 
einer ausgiebigen Diurese der Hydrops nicht schwindet, so 
kann man fast mit Sicherheit annehmen, daß eine amyloide 
Degeneration sich zur Entzündung der Tubuli hinzugesellt 
hat, und ist berechtigt, eine letale Prognose zu stellen. 

Noch eine Reihe anderer mechanischer Eingriffe, abge¬ 
sehen von Bettruhe, bilden einen wichtigen Behelf in der 
Therapie des Hydrops. Massage (Kneten und Drücken) der 
geschwellten Theile, zweckmäßige Bandagirung, zuweilen auch 
Punction leisten oft schätzenswerthe Dienste. 

In Fällen von allgemeinem Hydrops habe ich eine sichere 
Wirkung von der Punction der Pleurahöhle gesehen. Die 
Aspiration der Flüssigkeit bessert nicht nur direct die Sym¬ 
ptome , sondern begünstigt auch die Wirkung der Diuretica 
und ist, wenn unter den nöthigen Cautelen ausgeführt, absolut 
frei von jeder Gefahr. Ich pflege gewöhnlich bei eardialem 
oder renalem Hydrops die Punction der Pleurahöhle vorzu¬ 
nehmen, ja auch in Fällen von Hydrops mit acuter Pericar- 
ditis habe ich von diesem Eingriffe die besten Erfolge gesehen. 

Häufig ist auch die Entfernung ascitischer Flüssigkeit 
in ähnlicherWeise nothwendig. In manchen Fällen muß auch 
eine subcutane Drainage mittelst der SouTHKY’schen Drain- 
röhrchen angewendet werden. Diese Röhrchen liefern in vielen 
Fällen ganz ausgezeichnete Erfolge, nur muß bei Anwendung 
derselben strengstens antiseptisch vorgegangen werden. Da 
ich aber trotz der sorgfältigsten Antisepsis erysipelatöse Ent¬ 


zündungen auftreten sah, so wende ich dieselben nur dann an, 
wenn sie absolut unumgänglich sind. 

Bei Befolgung dieser Behandlung ist die Zahl der Todes¬ 
fälle an Hydrops an meiner Abtheilung eine äußerst geringe 
geworden. 

Urämie ist eine der wichtigsten Todesursachen und eine 
Veranlassung für die bedeutendsten und allarmirendsten Er¬ 
scheinungen im Verlaufe des Morbus Brightii. In den meisten 
Fällen entsteht sie durch Retention von giftigen Producten, 
welche von der kranken Niere nicht mehr ausgeschieden 
werden. Die Kenntniß der hier in Betracht kommenden gif¬ 
tigen Stoffe hat duich die Untersuchungen Boüchard’s und 
Landois’ eine erhebliche Erweiterung erfahren. Ich bin über¬ 
zeugt, daß viele Fälle von sogenannter Urämie in gewissem 
Sinne durch Störungen der Circulation, der Ernährung in der 
Gehirnsubstanz bedingt sind. In Fällen der letztgenannten 
Art, wenn capillare Blutungen und degenerative Verände¬ 
rungen bestehen, ist die Behandlung von ganz geringer Wir¬ 
kung. In Fällen aber, die in Folge von Circulationsstörungen 
oder In : oxication entstehen, kann durch eine entsprechende 
Therapie Ersprießliches geleistet weiden. Die beste Behand¬ 
lung besteht in einer ausgiebigen Einwirkung auf die Haut 
und den Darm. In solchen Fällen sind Hvdragoga cathartica 
angezeigt oder auch stark wirken le Diaphoretica , subcutane 
Piloca p’ninjection, Anwendung heißer Flaschen, Zu lecken mit 
wollenen Bettdecken oder Pelzen, Verabreichung reichlicher 
Mengen warmen Getränks, um eine ausgiebige Perspiration 
hervorzu rufen. 

Unter dieser Behandlung sieht man häufig die urämischen 
Symptome rasch schwinden. Die Anwendung von heißen 
Luftbädern und namentlich die Wiederholung der Diaphorese 
können den Kranken über die gefährliche Zeit hinüberbringen. 
Gleichzeitig aber dürfen wir die Niere selbst nicht vernach¬ 
lässigen und müssen Digitalis, Strophantus, sowie andere Diu- 
retioa verabreichen. 

In manchen Fällen, namentlich bei Combination mit 
Schwangerschaft, ist eine locale Blutentziehung sehr zu 
empfehlen. Im Verlaufe der Entzündung der Tubuli erreichen 
wir mit dieser Behandlung die überraschendsten Resultate, 
aber auch bei plötzlich auftretender Urämie im Verlaufe von 
Cirrhose z. B. sin 1 die Resultate sehr erfreuliche. Ein Kranker, 
der seinen Anfall in Folge von Alkoliolmißbrauch bekommen 
hat, kann z. B. auf diese Weise rasch geheilt werden. Aber 
auch die Verabreichung von Brompräparaten, Chloral oder 
etwas Chloroform ist nicht selten von Nutzen. Ist die Urämie 
von 0 stipation begleitet, so kann ihre Entstehung auf Re¬ 
sorption giftiger Stoffe aus dem Darm zurückgeführt werden. 
In einem solch-n Falle ist. eine ausgiebige Purgirung angezeigt. 

Entzündungen der Magen-Darmschleimhaut und nament¬ 
lich jene des Magens bilden ein häufiges Vorkommniß in den 
späteren Stadien der Krankheit. Dieselben können durch eine 
sorgfältige Diät und Anwendung einer Combination von Wis- 
nuith, Natr. bicarb., Rheum und einem aromatischen Pulver 
häufig gebessert werden. Nicht selten sind auch Cholagoga von 
Nutzen und sind einige Calomeldosen im Stande, den Kranken 
von Icterus zu befreien, eine Reinigung der Zunge und eine 
Wiederherstellung de3 Appetits und der Verdauung herbeizu¬ 
führen. 

Pleuritis und Pericarditis, namentlich die letztere, gehen 
häufig dem letalen Endo der chron'schen Nierenkrankheiten 
voran. Doch läßt sich auch hier durch eine zweckmäßige Be¬ 
handlung viel erreichen. Wenn wir sorgfältig auf den Beginn 
der Pericarditis achten und bei der ersten Aeußerung derselben 
durch locale oder abdominale Schmerzen, und durch physika¬ 
lische Erscheinungen, Blutegel anwenden, so können wir häufig 
dem Proceß Einhalt thun. 

Dieselbe Behandlung ist auch bei Pleuritis von Nutzen. 
Größere Pleuraexsudate sind, wie gewöhnlich, durch Punction 
und Aspiration zu behandeln, ebenso Exsudate des Pericards. 
Von inneren Mitteln habe ich nie einen güns*igen Einfluß 

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auf den Entzündungsproceß gesehen, aber in Fällen von 
Pericarditis müssen wir je nach dem Zustand des Herzens 
Herztonica, Digitalis, Strophantus, Coffein oder beruhigende 
Mittel, wie Jod, Bromkali, anwenden. 

Zunehmende Geläßspannung, die relativ früher oder auch 
später im Verlauf der Krankheit sich einstellt, kann durch 
Nitroglycerin oder Nitrite beeinflußt werden. Kleine Dosen 
Nitroglycerin genügen oft, um eine ausgesprochene Besserung 
zu erzeugen, ich habe keinerlei unangenehme Folgen nach 
dem Gebrauch desselben gesehen, nur muß es in jedem Falle, 
in welchem die Herzthätigkeit erregt ist und Degeneration 
der Gefäße eine Blutextravasation befürchten läßt, mit Vor¬ 
sicht angewendet werden. In solchen Fällen ist es zweck¬ 
mäßiger, von Jod und Bromkali Gebrauch zu machen, weil 
dieselben den Zustand der Gefäße verändern, gleichzeitig aber 
auch die Herzthätigkeit calmiren. Manchmal ist auch die 
Anwendung von Kälte auf die Herzgegend von Nutzen. Weit 
häufiger, aber namentlich in vorgerückten Fällen, finden sich 
degenerative Veränderungen in der Muskel Substanz des Herzens, 
und der Kranke ist von Dyspnoe geplagt, die theils durch 
die Urämie bedingt, theils cardialen Ursprungs ist. In solchen 
Fällen sind Herztonica, Digitalis, Strophantus, Coffein angezeigt. 

Die Trichloressigsäure und ihre Anwendung 
als Aetzmittel 

bei den 

Krankheiten der Nase und des Backens. 

Von Dr. L. Rdthi in Wien. 

(Schluß.) 

Was die toxischen Wirkungen der Chromsäure betrifft, die, 
wie ich seinerzeit 2 ) hervorgehoben, vor Augen gehalten werden 
müssen, so habe ich in keinem einzigen Falle Vergiftungser¬ 
scheinungen gesehen, aber „immer war ich darauf bedacht, gut 
zu neutralisiren“ und habe stets ausgurgeln lassen und bei Ap- 
plicationen in der Nase mit einem Wattebausch, der in Pulver 
von Natr. bicarbon. getaucht war, ausgewischt. 

Die Trichloressigsäure soll „keine Neigung zum Zerfließen 
haben; die Aetzung kann bei richtig vorgenommenen Mani 
pulationen^genau localisirt werden“. Der Trichloressigsäure- 
schorf soll „gleichmäßig dick sein, sich nicht ausbreiten und 
ganz localisirt bleiben“. Wir haben uns bei der Anwendung 
dieses Mittels, namentlich im Beginne, außerordentlich genau an 
die Vorschriften des Verfassers gehalten, haben aber bei 214 
Aetzungen nur 28mal ein Localisirt bleiben des Aetzschorfes 
gesehen, während wir in den übrigen Fällen durch das Zer¬ 
fließen derselben oft sehr gestört wurden und in der 
Regel viel größere Schorfe bekommen haben als wir zu 
setzen beabsichtigten. Man könnte auch meinen, daß ein Zuviel 
des Aetzmittels an dem starken Zerfließen schuld sei, und 
wir versuchten, minimale Quantitäten anzuwenden; da war nun 
die Ausdehnung des Aetzschorfes allerdings geringer, aber 
auch jenes gesättigte Weiß, wie es an der geätzten Stelle zu 
sehen sein soll, stellte sich nicht ein und der weißliche Fleck 
verschwand nach 1-2 Tagen, ohne eine nennenswerthe Aetz 
Wirkung znrückzulassen. Wollten wir hingegen einen „trockenen, 
elfenbeinweißen“ Schorf erzeugen, so mußten wir stets etwas 
mehr von dem Aetzmittel in Anwendung bringen, und sofort 
hatten wir um den wirklichen Aetzschort herum einen sich oft 
auch nach oben ausbreitenden Hof von mattweiß verfärbter, 
halb und halb angeätzter Schleimhaut, was ja mit der großen 
Zerfließlichkeit der Trichloressigsäure in vollem Einklänge 
steht. Freilich kann man auch bei der Chromsäure mehr ver 
Schorfen, als man ursprünglich beabsichtigt, dann nämlich, wenn 
man zuviel von dem Mittel anschmilzt, aber immer ist auch der 
größere Schorf umschrieben, zeigt keine verschwommenen 

*) L. Kethi Die Chromsäire und ihre Anwendung als Aetzmittel bei 
Krankheiten der Käse, des Rachens und des Kehlkopfes. Wiener Med. Presse. 
U85, Nr 14, 15 und 18. 


Grenzen und wird in der ganzen Ausdehnung der gelblichen 
Verfärbung von der gewünschten Aetzwirkung begleitet. 

Der Trichloressigsäureschorf soll sich ferner schneller 
abstoßen, „gar keine entzündliche Keaction“ hervorrufen und 
„fast gar keine Beschwerden“ nach sich ziehen. Wenn Ehrmann 
bei seinen Beobachtungen „kein einziges Mal“ in der Umgebung 
der geätzten Partien eine Schwellung, stärkere Röthe oder 
„überhaupt eine entzündliche Reizung der Schleimhaut“ be¬ 
obachtet hat, so müssen wir ihm nach unseren Erfahrungen 
widersprechen. 

Wir fanden, daß die Reactionserscheinungen fast in allen 
Fällen bei der Trichloressigsäure bedeutender waren, als bei 
der Chromsäure, über die wir seinerzeit Folgendes sagten: „Die 
Secretion ist nach dem Aetzen mit Cbromsäure ganz unbe¬ 
deutend . . . ., die Röthung um den Chromsäureschorf herum 
ist höchst minimal und man sieht nur in wenigen Fällen einen 
2-3 Mm. breiten Hof . . . am auffallendsten und wichtigsten 
ist der Mangel an Schwellung;“ — und wir halten dies in 
allen Punkten aufrecht. Bei der Application der Trichloressig¬ 
säure in der Nase und namentlich bei der Aetzung von Seiten¬ 
strängen im Rachen, sahen wir sehr oft bedeutende Schwellung 
am Rande des Schorfes und sehr heftige reactive Erscheinungen; 
namentlich bei 2 Kranken traten bei Aetzungen in der Nase sehr 
bedeutende Schmerzen auf: in einem dieser Fälle versuchte ich 
etwa b* der rechten unteren Muschel auf Einmal zu verätzen 
und stützte mich hiebei auf Fall Nr. 3 von Ehrmann, bei dem 
er angibt, „alle Muscheln auf einmal“ intensiv mit Trichlor¬ 
essigsäure verätzt zu haben; während ich bei dem anderen 
Falle eine kaum Quadratcentimeter große Stelle ätzte und 
der Kranke, ein 45 Jahre alter Herr — bei dem ich vor 
einiger Zeit das vordere Ende der linken unteren Muschel mit 
dem Galvanocauter sehr energisch verschorfte — so intensive 
Schmerzen bekam, daß er sagte, sie seien „viel heftiger, als 
beim Glüheisen“. — An den Mandeln haben auch wir nur 
wenig Reaction gesehen, ebenso wie bei der Anwendung von 
Chromsäure. Es ist übrigens die Abstoßung eines Aetzschorfes 
ohne Reaction in der Umgebung nicht möglich, sie kann nicht 
stattfinden, wenn „gar keine entzündliche Reaction“ eintritt. 

Was nun den Zeitpunkt der Abstoßung des Schorfes be¬ 
trifft, so ist es richtig, daß er sich bei der Trichloressigsäure 
nach 4 —6 Tagen abstößt, es ist auch richtig, daß der Chrom¬ 
säureschorf in vereinzelten Fällen erst nach 6—8 Tagen abfällt, 
aber Regel ist es, daß letzterer „3—6 Tage“ sitzt, was wir 
mit den geringeren entzündlichen Erscheinungen nach Chrom¬ 
säureätzungen gut in Einklang bringen können. 

Nachfolgende Blutungen sahen auch wir bei der Anwen¬ 
dung der Trichloressigsäure nicht, ebensowenig wie bei der 
Chromsäure, und wir haben, wie früher die Chromsäure, auch 
schon die Trichloressigsäure mit Erfolg als Stypticum ange¬ 
wendet. 

Aehnlich, wie seinerzeit bei der Chromsäure, machten 
wir auch diesmal Control versuche, indem wir in einigen Fällen 
die eine Nasenhälfte mit Trichloressigsäure und die andere 
mit Cliromsäure behandelt haben. Um noch besser vergleichen zu 
können, verätzten wir bei einer Pharyngitis granulosa gleichzeitig 
einige „Follikel“ mit Trichloressigsäure und andere mit Chrom¬ 
säure; hiebei traten gewisse Erscheinungen recht deutlich 
zu Tage, namentlich war das Zerfließen des Trichloressigsäure - 
schorfes besonders auffallend gegenüber dem umschriebenen 
Chromsäureschorf. Die Reaction war bei der Pharyngitis folli¬ 
cularis und bei 2 Controlversuchen in der Nase in gleicher 
Weise gering bei beiden Aetzmitteln, bei den übrigen Control¬ 
versuchen jedoch auf der Trichloressigsäureseite bedeutend 
stärker, als auf der der Chromsäure. Die Aetzw rkung war in 
2 Fällen bei der Chrorasäure intensiver, in den übrigen Con¬ 
trolversuchen bei beiden Aetzmitteln gleich. Erwähnt soll hier 
werden, daß mir im Laufe der letzten Jahre Fälle vorkamen, 
bei denen ich trotz wiederholter Aetzung mit Chromsäure nicht 
zum Ziele kam, so daß ich schließlich den Galvanokauter 
anwenden mußte; jedoch scheint auch die Trichloressigsäure 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


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nicht immer „anzugreifen“, denn gerade bei einem Control- 
versuche konnten wir eine umschriebene Verdickung der rechten 
unteren Muschel trotz 2maligen Versuches mit Trichloressigsäure 
nicht zerstören, was uns dann sowohl auf dieser, wie aut' der 
anderen Seite schließlich mit der Chromsäure gelang. 

Die Manipulation mit der Trichloressigsäure ist allerdings 
viel einfacher, und das ist von großer praktischer Bedeutung; 
es entfällt das Anschmelzen an die Silbersonde, das Neutrali- 
siren, das Gurgeln, das Auswischen der Nase etc Dagegen 
ist bei der Anwendung der Trichloressigsäure einerseits die 
außerordentliche Neigung zum Zerfließen sehr störend: Die 
Krvstalle schwimmen in der übrigen, flüssig gewordenen Masse 
umher*), so daß es nach einiger Zeit nur noch mit Mühe 
gelingt, einzelne festere Stücke aus diesem Brei in die Sonden¬ 
höhlung aufzunehmen, was namentlich unter den verfolgenden 
Blicken des Kranken immerhin peinlich ist und in ihm den 
Gedanken an eine unsichere Manipulation seitens des Arztes 
aufkommen läßt; — andererseits aber ist bei der Ap¬ 
plication der Trichloressigsäure auch die Gefahr vorhanden, 
daß der Krystall, da er nicht fixirt ist, von der Sonde herunter¬ 
fallt und eine nicht gewünschte Stelle verätzt, was nament¬ 
lich bei Aetzungen im Rachen unangenehme Folgen haben 
könnte und Manipulationen mit diesem Mittel im Kehlkopf und 
Nasenrachenraum vollends unmöglich macht. 

Als Vortheil der Trichloressigsäure der Chromsäure 
gegenüber wird angeführt, daß sie keinen lästigen Geruch ver¬ 
breitet, wie die Chromsäure, bei der er sich gewöhnlich, wenn 
auch nur für kurze Zeit, in unangenehmer Weise bemerkbar 
macht; doch auch der säuerliche Geruch der Trichloressigsäure 
ist nicht allen Kranken angenehm; ferner soll die Trichlor¬ 
essigsäure den Vortheil haben, daß sie „weder die Haut, noch 
die Kleidungsstoffe wesentlich angreift“; doch entfällt diese 
Gefahr für die Kleider bei der Chromsäure vollständig — 
die äußere Haut wird von ihr überhaupt nicht angegriffen — 
wenn die Manipulation correct vorgenommen und die Chrom¬ 
säure gut angeschmolzen wird, übrigens ist dieser Uebelstand 
bei der Anwendung von Jodjodkalium- und Lapislösungen, die 
sich leicht abstreifen und auch Flecke machen, ebenso groß. 

• Erwähnen wollen wir noch, daß wir in mehreren Fällen 
von subacut- und chronisch-catarrhalisclien Rachenaffectionen 
die Trichloressigsäure in 2—5 0, „ Lösungen ohne Zusatz von 
Jod zu Pinselungen angewendet haben und damit einigemale 
das lästige Gefühl der Trockenheit beheben konnten. 

Einerseits also hat die Trichloressigsäure bei ihrer An¬ 
wendung als Aetzmittel der Chromsäure gegenüber den Nach¬ 
theil des Zerfließens, der stärkeren Reactionserscheinungen, 
mitunter sehr heftiger Schmerzen und der beschränkten An¬ 
wendbarkeit, da wir sie im Kehlkopf und Nasenrachenraum 
nicht anwenden können; andererseits hingegen hat sie den 
großen Vortheil der einfacheren Manipulation, da man nicht 
neutralisiren muß, wie bei der Chromsäure, und des Mangels an 
Geruch, während sie, was die Dauer des Schorfes betrifft, der 
Chromsäure so ziemlich nahe steht. Wir empfehlen demnach die 
Trichloressigsäure nur bei Aetzungen in der Nase, und auch da 
nur dann, wenn der Chromsäuregeruch dem Kranken sehr 
unangenehm ist, und namentlich, wenn es sich um rasche 
Bewältigung eines großen Krankenmateriales handelt. 


*) Auch die Chromsäure zitht WaFS<>r au und zerfließt im Glase, aber 
bei weitem nicht in dem Maße und in so kurzer Zeit, wie die Tiicbloressigaäure. 


Aus der Klinik des Pro/, v. Kordnyi in Budapest. 

Die Wirkung innerlich angenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Dr. tforiz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrioh. 

(Fortsetzung.) 

f) Nach Aufnahme 35° Wassers. 

I. Die Zahl der Herzcontractionen erreicht in 30 Se- 
cunden mit 16 das Maximum der Abnahme, nach 1 */ 4 Mi¬ 
nuten kehrt sie zum Ausgangswerth zurück und bleibt mit 
geringen Schwankungen auf dieser Höhe. 

Der Blutdruck sinkt 4b Secunden nach dem Trinken 
mit 30 Mm. Hg aufs Minimum, nach 23 Minuten hat er wieder 
den Originalwerth erreicht. 

Diesem entsprechend zeigt die 15 Secunden nach dem 
Trinken aufgenommene Curve auf eine wesentliche Vermin¬ 
derung der Blutspannung. Die nach 23 Miuuten aufge¬ 
nommene Curve ist der ersten schon ganz ähnlich. (Siehe 
Fig. 5.) 


Vor dem Trinken. 


.. 15 Secundeu nach dem Trinken. 


23 Minatm nach demJTrinken. 


Fig. 5. 

II. Die Zahl der Pulsschläge steigt nach 15 Secunden 
um 4, sinkt bald unter den Originalwerth und hat nach 10 
Minuten letzteren wieder erreicht. 

Der Blutdruck sinkt 2 Minuten nach dem Trinken mit 
40 Mm. aufs Minimum, von nun an steigt er und erreicht 
nach 11 Minuten die Originalhöhe. 



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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


1740 


. — Nr. 44. 


III. 15 Seeunden nach dem Trinken steigt die Zahl der 
Herzcontractionen um 14, schon nach 30 Seeunden sinkt sie 
unter den Ausgangswerth, erreicht mit 20 das Maximum 
der Abnahme und nach 10 Minuten ist sie wieder auf der 
Ausgangshöhe. 

Der Blutdruck erreicht eine Minute nach dem Trinken 
mit 12 Mm. das Maximum der Abnahme; in 18 Minuten ist 
er schon auf den Originalwerth zurückgekommen. 

Aus den, bei diesem^Versuche aufgenommenen sphygmo- 
graphischen Curven können wir keine Folgerungen ziehen. 

g) Nach Aufnahme 45° Wassers. 

I. Die Zahl der Pulsschläge steigt 15 Seeunden nach 
dem Trinken um 12, aber schon nach 45 Sekunden sinkt sie 
unter den Originalwerth, erreicht mit 6 das Maximum der 
Abnahme und ist in 7 Minuten nahe dem Ausgangswerth. 

Der Blutdruck steigt nach 15 Seeunden um 25 Mm., 
aber nach 3 Minuten ist er um 5 Mm. unter dem Original- 
werthe und erreicht letzteren in 24 Minuten wieder. 

Die 45 Seeunden nach dem Trinken abgenommene Curve 
zeigt auf erhöhte, die nach 7 Minuten aufgenommene auf 
verminderte Gefäßspannung. 

II. Die Zahl der Pulsschläge steigt um 10, ist aber 
schon 1 Va Minuten nach dem Trinken auf den Ausgangs¬ 
werth zurüekgefallen. 

Der Blutdruck steigt 30 Seeunden nach dem Trinken 
mit 30 Mm. Hg, von nun an sinkt er, erreicht mit 10 Mm. 
das Maximum der Abnahme und kehrt 12 Minuten nach dem 
Trinken auf den Original werth zurück. 

Die 15 Seeunden und 7 Minuten nach dem Trinken auf¬ 
genommenen Curven bestätigten die Werthe des Sphygmo¬ 
manometers. 

III. Die Zahl der Herzcontractionen steigt nach 15 Se- 
cunden um 10, nach 45 Seeunden sinkt sie, erreicht nach 2 1 /, 
Minuten mit 0 das Maximum der Abnahme und kehrt nach 
5 Minuten zum Ausgangswerth zurück. 

Der Blutdruck sinkt nach 15 Seeunden um 14 Mm., ist 
aber nach 30 Minuten noch nicht auf die Ausgangshöhe 
gelangt. 

h) Nach Aufnahme 60° Wassers. 

III. Die Zahl der Pulsschläge steigt 15 Seeunden nach 
dem Trinken um 14, erreicht nach 8 Minuten den Ausgangs¬ 
werth. 

Der Blutdruck kommt nach 2 1 2 Minuten mit 20 Mm. aufs 
Maximum der Abnahme, 12 Minuten nach dem Trinken hat 
er den Originalwerth erreicht. 

Die sphygmographischen Curven zeigen keine wesent¬ 
liche Veränderung. 

Aus den eben gekennzeichneten Versuchen können wir 
folgende Schlüsse ziehen: 

1. Die Wirkung des Wassers in Folge seiner 
Temperatur tritt sehr kurze Zeit nach dem 
Trinken auf. 

2. Das kalte Wasser verlangsamt die Herz- 
thätigkeit in hohem Maße, während es dagegen 
den Blutdruck erhöht. 

3. Das warme Wasser beschleunigt die Herz- 
thätigkeit sehr und erhöht in den ersten Minuten 
den Blutdruck. Das laue Wasser (25—30°) aber 
vermindert den Blutdruck. 

4. Die Wirkungsdauer von getrunkenem 
Wasser verschiedener Temperatur ist durch¬ 
schnittlich 20—25 Minuten. 

5. Je wärmer oder kälter das Wasser ist, um 
so länger dauert die Wirkung auf die Herz- 
thätigkeit und den Blutdruck. 

Wenn wir diese Resultate mit dem beim normalen Herzen 
Angeführten vergleichen, so finden wir, daß die Wirkung von 
Wasser verschiedener Temperatur bei normalen und kranken 


Herzen größtentheils gleich ist und die wesentlichen Unter¬ 
schiede in folgenden zwei Punkten zusammengefaßt werden 
können: 

1. Das kranke Herz braucht mehr Zeit, bis 
seine Thätigkeit nach der Wasser auf nähme so¬ 
wohl in Betreff der Stärke, als auch d.er Ge- 
schwindigkeitder Herzaction wieder in den Status 
quo gelangt. 

2. Die Thätigkeit des kranken Herzens ist 
nach der Wasseraufnahme viel mehr Schwan¬ 
kungen ausgesetzt, als diedes normalen, wie wir 
aus den oben angeführten Versuchen ersehen. 

Wenn wir nun nachforschen, welcher Eigenschaft des 
Wassers die in diesem Theile gekennzeichneten Wirkungen 
zuzuschreiben sind, kommen wir zu folgender Conclusion: 

Die oben -angeführte verschiedene Wirkung des Wassers 
sowohl auf das normale, als auf das kranke Herz kann nur 
von der verschiedenen Temperatur des Wassers abhängig sein ; 
da es doch nicht denkbar ist, daß das Wasser so schnell von 
der Mag j nwand resorbirt werde und in die Blutcirculation 
übergehe, daß es schon nach 15 Seeunden die Zahl der Puls¬ 
schläge um 22 vermehre, eventuell um 16 vermindere; anderer¬ 
seits müssen wir bedenken, daß in dem Falle, wenn diese 
Wirkung von der Menge des Wassers hervorgebracht würde, 
bei Aufnahme ein und derselben Menge immer dieselbe Wir¬ 
kung eintreten müßte, was wir aber in den obigen Versuchen 
nicht bestätigt fanden. 

Wir können aber hier der Menge des Wassers endlich 
auch deshalb keine Wirkung beimessen, weil, wie wir dies in 
späteren Versuchen fanden, 200 Ccm. Wasser in Folge ihrer 
Menge nur eine sehr geringe Wirkung ausübt. Diese Wirkung 
ist daher nur so zu erklären, daß das innerlich aufgenommene 
Wasser mit der Magenwand in Berührung kommt und auf 
die Magenfasern des Vagus reizend wirkt, ja nach der An¬ 
sicht Hermann’s reizt das kalte und warme Wasser nicht nur 
die Nerven des Magens, sondern auch die der Leber, der 
Milz und des Omentum. 

Dieser Reiz der Vagusfasern übergeht auf die das Herz 
innervirenden Zweige desselben, und zwar so, daß die durch 
kaltes Wasser bedingte Irritation auf reflexem Wege auf die 
hemmenden Fasern des Herzens ein wirkt, daher die Zahl der 
Herzcontractionen vermindert, während das warme Wasser 
die beschleunigenden Fasern des Herzens reizt und so die Zahl 
der Pulsschläge vermehrt. 

Zugleich übergeht aber auch der Reiz des kalten und 
warmen Wassers durch Vermittlung der pressorischen und 
depressorischen Fasern des Vagus auf das gefäßconstringirende, 
resp. erweiternde Centrum, in Folge dessen die peripheren 
Gefäße entweder sich zusammenziehen, daher die Gefä߬ 
spannung — Blutdruck — steigt, oder sich erweitern und 
die Gefäßspannung — Blutdruck — abnimmt. 

Das kalte und hochgrädige warme Wasser erregen die 
pressorischen Fasern, daher steigern sie den Blutdruck. 

Das laue Wasser vermindert den Blutdruck, indem es, 
wie das schon Wintebnitz erwähnt, Ekel erregt und daher 
auf die depressorischen Fasern des Vagus ein wirkt. 

Das in größerem Maße kalte oder warme Wasser wirkt 
als stärkerer Reiz, daher ist die Wirkung auch größer. 

Ebenso ist auch das oben gekennzeichnete Verhältniß 
der Temperatur des Wassers zur Wirkungsdauer zu erklären, 
und zwar braucht das wärmere oder kältere Wasser einen 
größeren Zeitraum, bis es wieder die normale Temperatur des 
Magens annimmt; daher, je wärmer oder kälter das Wasser, 
um so länger dauert seine Wirkung. 

(Fortsetzung folgt.) 


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• 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1742 


Referate und literarische Anzeigen. 

Altehoefer (Rostock) : Ueber die Desinfeotionakraft von 
Wasserstoffsuperoxyd auf Wasser. 

Heidenhain (Cösiin): Ueber MilohSterilisation dureh 
Wasserstoffsuperoxyd. 

Alteboefer hat unter Anleitung Uffelmann’b im hygieni 
sehen Institute zu Rostock eine Reibe von Versuchen über die keim- 
tödtende Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds auf Wassermikroben 
angestellt, deren im „Centralbl. f. Bacter.“ (VIII. Bd., Nr. 5) mit- 
getheilte Resultate folgendermaßen lauten: Zur vollständigen Ver¬ 
nichtung der gewöhnlichen und pathogenen Wassermikroben war die 
Anwendung folgender Concentration von H a O a erforderlich: Für ge- 
gewöhnliche Wassermikroben 1 : 1000 mit 24stündiger Einwirkung; 
für die in Canalwässern vorkommenden Mikroben 1 : 1000 nach 
24stündiger Einwirkung; für pathogene Mikroben (Cholera, Typhus) 
1 : 1000 ebenfalls nach 24 ständiger Einwirkung. Die Versuche 
lehren aber, daß man stets den Gehalt der Lösung an H a O a in’s 
Auge fassen und häufig nach untersuchen muß, ob er sich nicht ver¬ 
ändert hat. 

Wir besitzen also in dem H a 0 9 eiu schätzeDSwerthes Mittel, 
Wasser zu sterilisiren, ohne den Geschmack und die Farbe des¬ 
selben zu alteriren, das für den menschlichen Organismus völlig 
unschädlich ist (der Genuß des im Verhältniß von 1 : 1000 mit 
H a O a versetzten Wassers rief bei A. keinerlei Störungen des Wohl¬ 
befindens hervor). Aus den Ergebnissen seiner Versuche mit H a O a 
folgt jedoch, daß mindestens ein Zusatz von 1 Ccm. H a O a : 1000 Ccm. 
Trinkwasser erforderlich ist, wenn anders die gefährlichsten Krank¬ 
heitserreger sicher getödtet werden sollen. Eh* -solcher Zusatz scheint 
aber bedingungslos zulässig zu sein. Denn erstens verändert es in 
solch größeren Zusätzen den Geschmack des Wassers gar nicht, und 
zweitens kann von irgend welcher besonders nachtheiligen Wirkung 
des Zusatzes schon deshalb nicht die Rede sein, weil das Wasser¬ 
stoffsuperoxyd innerhalb des W r assers rasch zersetzt wird. 

Es würde dann nur noch der Kostenpunkt in Frage kommen. 
Nun kostet 1 Liter 10°/ 0 Wasserstoffsuperoxyd, im Detail bezogen, 
160 Mk., bei einer Abnahme von 10 Liter jedoch nur 1’20 Mk. 
Die Desinfectionskosten würden sich demnach pro 1 Liter Wasser 
auf 1*6, bezw. 1*2 Pfg. stellen. Veranschlagen wir nun den täg¬ 
lichen Verbrauch blos an Trinkwasser auf 10 Liter für eine Familie, 
so würden sich die Kosten zur Desinficirung dieser Wassermenge 
auf 16, bezw. 12 Pfg. belaufen, ein Kostenaufwand, welcher bei 
herrschenden Epidemien, wie von Typhus, Dysenterie oder Cholera, 
nicht in Betracht kommen kann, zumal dann die sichere Gewähr 
geleistet wird, daß einer Uebertragung jener Seuchen durch eines 
der unentbehrlichsten Lebensmittel, nämlich das Trinkwasser, zweifellos 
vorgebeugt wird. 

Heidenhain theilt in Nr. 16 des VIII. Bandes des „Ctrbl. 
f. Bact.“ die interessanten Resultate seiner Untersuchungen über 
Milchsterilisation durch Wasserstoffsuperoxyd mit. Mischt man Milch 
mit Hydrog. hyperoxyd.' (1 : 10) im Reagensglase und läßt die 
Mischung nach mehrmaligem Schütteln stehen, so bemerkt man sehr 
bald an der Oberfläche die Bildang einer nicht unbedeutenden 
Schicht kleinblasigen Schaums von etwas gelblicher Farbe. 12 bis 
24 Stunden später bildet sich unter dieser Schicht eine dünnere 
Schicht klarer seröser Flüssigkeit; der große Rest bleibt eine weiße 
milchige Menge, die nach einiger Zeit eine — wenn auch nur sehr 
unbedeutende — Gerinnung zeigt. 

Dementsprechend ist das Bild, wenn man eine größere Menge 
so gemischter Milch in eine Schale gießt, um sie — wie man zu 
sagen pflegt — dick werden zu lassen. Nach 24 Stunden besteht 
die Oberfläche der Milchmenge aus einer ziemlich zähen, trocken 
erscheinenden, gelben Sahnenbaut, die unzählige Blasen bis zur 
Erbsengröße und darüber trägt. Unter dieser ist eine geringe 
Schicht wässeriger, seröser Flüssigkeit, unter letzterer die Menge 
wenig geronnener milchiger Flüssigkeit. Im Reagenzglase wie in 
der Schale zeigt die Mischungsmilch folgendes Verhalten: Die 
schaumige, resp. blasige Decke enthält große Mengen verschiedener 
Mikrococcen und dicker, stäbchenförmiger, gern kettenbildender 
Bacterien; weniger von beiden enthält die seröse Flüssigkeit, und 


frei davon ist die ganze Menge der wenig geronnenen milchigen 
Flüssigkeit. 

Was die Lebensfähigkeit der in den oberen Schichten der mit 
Hydrog. hyperoxyd. versetzten Milch enthaltenen Mikroorganismen 
betrifft, so ist es nicht gelungen, auf Platten Colonien wachsen zu 
sehen bei Versetzen des Nährraaterials mit sterilisirter Milch, während 
Nährmaterial, versetzt mit derselben, aber nicht storilisirten Milch, 
unzählige Colonien wachsen ließ. Ueber den eveutuelleu Nährwerth 
der sterilisirten Milch steht H. einstweilen kein Urtheil zu; er be¬ 
merkt nur, daß solche sterilisirte Milch (1 : 10) anstandslos von 
Kindern genommen wird. 1 Liter Milch mit 5—6 Eßlöffel voll von 
Hydrog. hyperoxyd. gemischt, gerinnt nicht und wird nicht sauer und 
kann so, ohne Bedenken im Topfe im Zimmer stehend, langsam ver¬ 
braucht werden in einem Zeitraum von 48 Stunden und darüber, 
selbst bei hoher Sommertemperatur; die geringe, durch Reagenz¬ 
papier constatirbare saure Reaction stammt von dem sauer reagi- 
renden Hydrog. hyperoxyd. 

25 Liter Milch wurden mit 2% Kilo Hydrog. hyperoxyd. ge¬ 
mischt und in einem emaillirten, möglichst sterilisirten Gefäß auf- 
gestellt ; nach circa 30 Stunden war die Milch von einer circa 3 Cm. 
hohen Scbaumschicht bedeckt; ein Butterversuch fiel völlig negativ 
aus. Die Milch wurde in das frühere Gefäß zurückgeschtittet und 
zeigte nach abermals 70 Stunden eine dicke gelbe Sahnenschicht; 
der abermals angestellte Butterversuch fiel wieder negativ aus. 

SCHNIRER. 


E. Hüfler: Ueber die Behandlung der Syphilis mit 
salssaurem Glutinpepton-Sublimat. 

Durch geeignete Behandlung von Glutin (Gelatine) mit ver¬ 
dünnter Salzsäure entsteht salzsaures Glutinpepton mit einem Gehalt 
von circa 12 °/ 0 Salzsäure. 

Dieses Peptonsalz vereinigt sich mit Sublimat zu Doppelsalzen, 
Von denen eines mit 50°/ 0 Sublimat in Alkohol unlöslich, das andere 
mit geringerem Sublimatgehalt darin löslich ist. Beide Doppelsalze 
sind jedoch in Wasser löslich. 

Für die therapeutische Anwendung stellt Dr. Paal in Erlangen 
ein Sublimatdoppelsalz dar, welches genau 25% Sublimat enthält. 
Dasselbe bildet ein weißes, aus glänzenden Lamellen bestehendes, 
hygroskopisches Pulver. Dasselbe, sowie auch dessen wässerige 
Lösung erleiden bei sorgfältiger Aufbewahrung am Lichte in ver¬ 
schlossenen Gläsern keine Zersetzung. 

Auch die corrosiven Eigenschaften des Sublimats sind durch 
die Verbindung mit dem Peptonsalz verschwunden. Durch diese Eigen¬ 
schaften unterscheidet sich das neue Präparat von den bis jetzt 
bekannten Sublimatpeptonen. 

Mit diesem Präparat stellte Dr. Hüfler an der Klinik 
Strümpbll’s in Erlangen an 70 Kranken Versuche an, über deren 
Resultate er in Nr. 9 der „Ther. Monatsh.“ Bericht erstattet: 

Im Ganzen wurden 1300 Injectionen mit dem Präparat gemacht. 
Die Injectionsflüssigkeit wurde in ihrer Concentration so gewählt, 
daß eine PßAVAz’sche Spritze 1 Cgrm. Sublimat enthielt. Zu diesem 
Behufe werden 4 Grm. des festen salzsauren Glutinpeptonsublimats 
in destillirtem Wasser gelöst, die Lösung mit Wasser auf 100 Cm. 
aufgefüllt und wenn nöthig filtrirt. 

Die Injectionen wurden entweder subcutan oder intramusculär 
in die Glutaeen gemacht. Es wurde täglich eine Injection gemacht, 
zunächst so lange, als noch Erscheinungen von Lues nachweisbar 
waren. Später erwies es sich vortheilhaft, auch nach Verschwinden 
der luetischen Erscheinungen mit der Behandlung fortzufahren. Beim 
Auftreten der geringsten Erscheinungen von Stomatitis wurde selbst¬ 
verständlich die Behandlung ausgesetzt. 

Die Roseola ging durchschnittlich nach 12 Injectionen zurück. 
Die Condylome waren im Mittel nach 15 Spritzen verschwunden. 
Die papulosquamösen Exantheme waren durchschnittlich nach 17 
Spritzen nicht mehr sichtbar. Am schnellsten verschwanden die 
Plaques im Munde ; dieselben brauchten im Mittel nur 9 Spritzen 
zur Heilung. 

Im Ganzen sind von Anfang Juni 1889 bis Ende Mürz 1890, 
während welcher Zeit die tieobachtungen fortgesetzt wurden, 8 Reci- 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1744 


diven sar Behandlung gekommen. Es waren dies Pat., die im Durch¬ 
schnitt 15 Injectionen bekommen haben. 

Aus diesen Thatsachen folgert Verf. die Nothwendigkeit, die 
Kranken mindestens 4 Wochen lang mit Injectionen zu behandeln. 
Die Schmerzhaftigkeit der Einspritzungen ist eine außerordentlich 
geringe; niemals kam ein Absceß vor, obwohl den Anforderungen 
der strengsten Antisepsis nicht entsprochen werden konnte. 

Aus seinen Versuchen schließt H., daß das PAAL’sche Sublimat¬ 
peptonglutin, sofern sich der Arzt eines löslichen Salzes bedienen 
will, das wirksamste, zweckmäßigste Antilueticnm ist. Seine Vortheile 
bestehen in der sicheren und raschen Wirksamkeit, der geringen 
Schmerzhaftigkeit der Injectionen und der geringen Reizung der 
Injectionsstellen. T. 

Handbuoh der ohirurgifohen Technik bei Operationen 

und Verbänden. Von Dr. Albert R. v. Mosetig - Moorhof, 

Professor an der Wiener Universität, Primär Chirurg im k. k. 
Krankenhause Wieden, General-Chefarzt des b. Deutschen Ritter¬ 
ordens. II. Band: Specielle Chirurgie. Dritte, ver¬ 
besserte und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1890, Franz 
D e u t i c k e. 

Vor Kurzem (in Nr. 18 der „Wiener Med. Presse“) hatten 
wir Gelegenheit, die dritte Auflage des ersten Bandes von Mosetig ’s 
Handbuch der chirurgischen Technik zu besprochen, eines Buches, 
welches in relativ kurzer Zeit das Bürgerrecht in der medicinischen 
Literatur erworben hat und bald in keiner ärztlichen Bibliothek 
fehlen dürfte. Der soeben erschienene zweite Band, die blutigen 
und unblutigen regionären Eingriffe enthaltend, ist gleich dem, die 
allgemeine Chirurgie behandelnden ersten Bande vom Autor wesentlich 
erweitert und vermehrt worden. So finden wir beim Abschnitte 
„Trepanation“ werthvolle Fingerzeige behufs Ausführung der Operation 
bei Gehirnabsceß, ferner über Knochenimplantation und temporäre 


Feuilleton. 


Eine ärztliche Untersuchungsanstalt in Paris. 

Gelegentlich der Mittheilungen über die ärztliche Ueberwachung 
der Pariser Schulen wurde jüngst *) an dieser Stelle auch der ärztlichen 
Untersuchungsanstalten in dieser Stadt Erwähnung gethan und hervor¬ 
gehoben, daß dieselben den Zweck haben, Kindern unentgeltlich 
sowohl ärztlichen Rath, als auch Medicamente und, wenn nöthig, 
chirurgischen Beistand zu Theil werden zu lassen. Diesmal sei nun 
noch Einiges über die innere Einrichtung dieser „Kinder-Kliniken“ 
vorgebracht; hiebei haben wir das von uns besuchte, im 1. Arron¬ 
dissement von Paris (rue Jean-Lantier 15) gelegene Dispensaire vor 
Augen. 

Die Anstalt nimmt im zweiten Stockwerke des bezeichneten 
Hauses drei Zimmer in Anspruch, zu denen man über eine besondere 
Treppe gelangt; im selben Hause befindet sich auch ein Kinder¬ 
garten, doch ist er von dem Dispensaire räumlich vollständig ge¬ 
trennt. Das erste, dreifensterige Zimmer hat einen Flächenraum von 
etwa 30 Quadr.-Metr.; es dient als Wartesaal, sowie als Verwaltungs¬ 
kanzlei, in der auch die Einschreibungen der Patienten vorgenommen 
werden. In einer Ecke dieses Zimmers ist ein zur Vornahme ophthal¬ 
moskopischer und laryngoskopiseber Untersuchungen bestimmtes 
dunkles Cabinet eingerichtet. 

Wenn ein Kind gleich bei seinem Eintritte als mit Symptomen 
einer contagiösen Krankheit behaftet erscheint, so wird es sofort 
dem Arzte vorgestellt. 

Das zweite Zimmer, mit einem Flächenraum von etwa 15 Quadrat- 
Meter, dient für die eigentliche ärztliche Ordination, zur Ausführung 
der gewöhnlichsten Operationen und zum Anlegen einiger specieller 
Verbände. Hier befinden sich auch in versperrbaren Kästen die dem 
Dispensaire gehörigen Instrumente, Verbandstoffe, Medicamente und 
Apparate. 

Das dritte Zimmer, mit einem Flächenraum von etwa 70 Quadrat- 
Meter , dient zum Anlegen der gewöhnlichen Verbände, zu Ohren-, 

*) 8. „Wiener Wed. Presse“ Nr. 42. 


Resection des Schädeldaches; bei Besprechung der Luxationen des 
Unterkiefers wird der Arbeit Thiem’s über reine Luxationen dieses 
Knochens nach hinten gedacht, bei Meloplastik der neuen Methoden 
Iseael’b, Kraske’b und Oberst’s; die Technik der Operation der 
Hasenscharte wird duroh Beschreibung und Abbildung der von 
Mosetig angegebenen und benützten Lippetiklemme, der Abschnitt 
„Operationen in den Höhlen des Kopfes“ duroh die ausführliche 
Besprechung dor Eingriffe in der Orbita, das Capitel „Operationen 
in der Rachenhöhle“ durch Hervorhebung der BüRCKaARDT’sohen 
Methode der Eröffnung retropharyngealer Abscesse bereichert. 
Nennenswerthe Erweiterung haben ferner u. A. die Capitel Neureotomie, 
Gefäßunterbindung am Halse, Thoraootomie, Gastrostomie, Laparo¬ 
tomie, Darmreseetion, Radioaloperation freier Hernien, Operationen 
an den männlichen Geschlechtsorganen, Ovarieetomie, Amputation 
und Resection im Sprunggelenke erfahren, in welchen der Verf. 
nicht nur die eclectisoh zusammengestellte Literatur, sondern aUoh 
die eigene, reiche Erfahrung verwerthet und tbeils im Texte, theils 
in Form sehr instructiver Fußnoten die Fortschritte der operativen 
Chirurgie verzeichnet. 

Das Buch entspricht somit den höchsten Anforderungen, die 
seitens des Studirenden sowohl, wie des informationsbedflrftigen 
Praktikers an ein Handbuch der chirurgischen Technik gestellt 
werden können; es ist eine erschöpfende Darstellung der Operations¬ 
und Verbandmethoden nioht nur, sondern auch der Instrumente und 
Apparate, welcher der moderne Arzt bei Ausübung seines Berufes, 
der Fachchirurg am Operationstische bedarf. Es gibt über die no- 
bedeutendsten Fragen der Technik ebenso bündig Aufschluß, wie 
über die Methodik der schwierigsten Operationen. 

Die neue Auflage zeichnet Bich auch äußerlich duroh erheb¬ 
liche Volumszunahme, sehr gute Holzschnitte and angenehmen 
Druck aus. B. 


Nasen- und Augen-Injectionen und zu Kopfwasohungen bei Kindern, 
welche au „Grind“ leiden; in diesem Saale werden auch, jedoch 
nur an Donnerstagen, Zahnoperationen vorgenommen. 

Mit Rücksicht auf den übertragbaren Charakter der in der 
Untersucbungsanstalt behandelten Krankheiten ist die Anwendung 
von Näpfen oder Waschbecken strenge verboten; die Kinder werden 
über einem länglichen Kübel, den ein beständiger Wasserzufluß 
stets rein erhält, je nach Bedarf, mit kaltem oder warmem Wasser 
gewaschen. In einem durch einen Bretterverschlag abgesonderten 
Raume des Zimmers befinden sich die für die Douchen bestimmten 
hydrotherapeutischen Apparate; an diesen 8aal stößt ein kleines Zimmer, 
das erst im Vorjahre eigens zum Zwecke einer Kaltwassercur ein¬ 
gerichtet wurde. 

Das Personale des Dispensaire besteht aus einem täglich ordi- 
nirenden, sowie die Verwaltung der Anstalt überwachenden Arzte, 
aus einem zweiten Arzte, der bloß alle Donnerstage für Zahnkrank- 
heiten ordinirt, aus einem Beamten, der die Kinder empfängt, sie 
einschreibt, und für jedes derselben einen eigenen Zettel, der dem 
Arzte übergeben wird, ausfüllt, aus einer Aufsiohtsdame, welche 
den Kindern beim Aus- and Ankleiden behilflich ist, welche die 
Verbände anlegt und die Ausfolgung der Medicamente überwacht, 
und schließlich aus einer Frau, welche die gröberen Arbeiten ver¬ 
richtet. 

Der erste Punkt der Statuten des Dispensaire besagt, daß 
die Anstalt den Zweck hat, „unentgeltlich allen kranken Kindern 
ohne Rücksicht auf ihr Alter, ihre Krankheit, ihre Wohnung, ihre 
Nationalität und Confession, duroh Verabreichung von Medioamenten, 
Verbänden und gewissen Nahrungsmitteln zu Hilfe zu kommen.“ 

Es kommen daher Kinder aus allen Theilen der Stadt und 
ihrer Umgebung in die Anstalt in der rue Jean-Lantier; demzufolge 
sind daselbst auch alle Krankheiten vertreten; allein eine mehr¬ 
jährige Beobachtung bat gelehrt, daß die am häufigsten vorkommen¬ 
den Fälle Scropbulose, chronische Affectionen der Athmungsorgane, 
sowie Augen- und Hautkrankheiten betreffen. Es ist demnach das 
Ziel, welches den Gründern des Institutes vorschwebte, nämlich, 
Kinder mit solchen Krankheiten, die eine sofortige und lang- 
andauernde Behandlung verlangen, aufzunehmen, erreicht. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


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Das Dispensaire ist, außer an Sonn- and Feiertagen, täglich 
von 8—10 Uhr Morgens geöffnet. 

Wenn ein Kind zum erstenmale erscheint, so fertigt der 
Rechnungsbeamte im Wartezimmer einen Zettel aus, auf welchem 
sich der Name, das Alter des Kindes, die Adresse seiner Elte rn, 
sowie der Schale, die es besucht, sein Gewicht und sein Körper - 
umfang verzeichnet finden. Wenn das Kind zum zweitenmale komme, 
so wird auf diesem Zettel bloß das Datum seines Erscheinens vor¬ 
gemerkt. Der Zettel wird von dem Kinde dem Arzte überreicht, 
welcher auf demselben, nach Untersuchung des Kindes, die Diagnose, 
sowie die zu befolgende Behandlungsart anmerkt. 

Die Liste der zu verabfolgenden Medicamente wurde mit der 
peinlichsten Sorgfalt zusammengestellt; jede luxuriöse Zubereitung 
irgend eines Heilmittels ist strenge untersagt. 

Ist ein Medicament nöthig, so wird dasselbe sofort verabreicht, 
ebenso werden auch die verordneten Verbände sogleich angelegt. 
Täglich, insbesondere im Sommer, ist eine große Anzahl von Bädern 
bereitet. In den meisten Fällen werden die Medicamente im Dispensaire 
selbst eingenommen; blos wenn es sich um Brechmittel, Anti- 
diarrhoica oder fiebervertreibende Mittel handelt, gibt sie der Arzt 
den Patienten in einer für 24 Stunden ausreichenden Dosis nach 
Hause mit. 

Die Kinder, deren Krankheit eine langandauernde Behand¬ 
lung erfordert, die aber nicht täglich den Arzt consultiren müssen, 
erscheinen zwischen 8—8 1 / a Uhr Morgens, blos um ihr auf einem 
Zettel vorgcscliriebenes Medicament einzunehmen, und um sich dann 
sofort in die 8chule zu begeben. 

Vorsichtshalber befindet sich im ersten Zimmer eine Tafel, 
auf welcher stets die Namen aller in Behandlung stehenden Kranken, 
sowie die ihnen verordneteu Medicamente verzeichnet stehen; wenn 
ein Kind seinen Zettel vergessen oder verloren haben sollte, so 
findet es hier das ihm vorgeschriebene Medicament. 

Da es im Dispensaire keine eigene Küche gibt, so werden 
einzelnen Kindern und Ammen kleine Portionen von Fleischextract 
entweder in eine mitgebrachte Suppe oder in irgend eine alkoholische 
Lösung gegeben. 

Es sei noch erwähnt, das sämmtliche in der Untersucbungs- 
anstalt verwendeten Medicamente dem Institut unentgeltlich vou 
dem Pariser Apotheker M. Yvon verabfolgt werden. 

So sehen wir die Stadt Paris und mit ihr auch andere Städte 
Frankreichs durch die ärztliche Ueberwachung der Schulen und 
durch die Einrichtung der Untersuchungsanstalten in munificenter 
Weise für das leibliche Wohl der Jugend sorgen, in richtiger Würdi¬ 
gung des Umstandes, daß zu den Erfordernissen der modernen 
Pädagogik apch die warme Fürsorge für die körperliche Entwicklung 
der jungen, heranwachsenden Generation gehört. 

Bei uns zu Lande ist in dieser Hinsicht allerdings noch Vieles 
zu thun übrig, wiewohl es schon vor Jahren an Anregung von berufener 
Seite, der Institution der Schulärzte auch in Oesterreich Eingang zu 
\ erschaffen, nicht gemangelt hat. Leider sind es bei uns zumeist Gründe 
finanzieller Natur, an denen Projecfe der warmherzigsten Schul¬ 
freunde scheitern müssen; man ist gezwungen, wenig kostspielige 
Rathschläge zu ertheilen und Verordnungen zu erlassen, bei denen 
der gute Wille in Absicht auf die Kräftigung der Schuljugend 
einstweilen die mit Auslagen verbundene Anstellung von Schulärzten, 
die Anlage von Spielplätzen und Eisbahnen bei einzelnen Schulen, 
wie dies z. B. von dem Gemeinderathe der Stadt München schon 
geschehen ist, sowie andere gemeinnützige Einrichtungen ersetzen 
muß. Doch wir wollen nicht verzagen. Durch das vielfach veraltete 
Gebäude unserer niederen und höheren Schulen geht erfreulicher 
Weise seit einigen Jahren ein gewaltiger reformatorischer Zug, der 
seinen Ursprung in unserem deutschen Nachbarreiche genommen 
hat; nicht zum mindesten streift er auch das Gebiet der körper¬ 
lichen Erziehung. In der constituirenden Versammlung des allge 
meinen deutschen Vereines für Schulreform „Die neue deutsche 
Schule“, die am 15. April 1889 zu Berlin abgehalten wurde, sagte 
der bekannte Physiologe Hofrath Prof. Dr. Wilhelm Preyer nach 
Constatirung der Thatsache, daß die Knochen und Muskeln und 
die Sinnesorgane der Knaben und Mädchen im Allgemeinen im 


Vergleiche zum Gehirn in den Schulen zu wenig in ihrer Ausbildung 
berücksichtigt werden: „Es muß dahin kommen, daß aus unseren Schulen 
nicht allein gebildete und gesunde, sondern auch aufgeweckte, ent¬ 
schlossene und gewandte, muskelstarke Jünglinge in größerer Zahl 
hervorgeben, als es jetzt der Fall ist!“ Hoffen wir, daß die Mahnung 
des berühmten Gelehrten auch bei uns nicht spurlos verhallen, daß 
es, bei einer den Zeitbedürfuissen entsprechenden Organisation des 
Unterrichtswesens, fürderhin unserer Jugend weder an Zeit, noch 
an Lust zu täglich wiederkehrenden körperlichen Uebungen mangeln 
wird, auf daß sie durch das stetige Leben in der Gegenwart vor 
Abirrung in eine Pliantasienwelt geschützt sei, „die bei schwachen 
Naturen einen schmerzlichen Zwiespalt zwischen dem Innenleben 
und der Wirklichkeit hervorruft, bei willensstarken Individueu aber 
zu einem, Staat und Gesellschaft gefährdenden Kampf gegen das 
Bestehende anreizt“. Ludwig Fleischner. 


Die ungarische baineologische Landes- 
Conferenz. 

i. 

Unter der Aegide der k. Gesellschaft der Aerzte in Budapest 
hat deren permanente balneologische Commission eine sehr bedeutsame 
Bewegung initiirt. Zum Zwecke der Förderung der Interessen der 
ungarischen Badeorte, sowie behufs Propagirung der ungarischen 
Mineralwässer, an denen Ungarn einen Schatz von seltener Reich¬ 
haltigkeit besitzt, wurde von der balneologischen Commission für 
den 23., 24. und 25. October eine Landes-Conferenz einberufen. 
An den eingehenden Vorarbeiten derselben haben Prof. Tauffbr, 
als Vorsitzender und Schriftführer Dr. J. Brück besonders hervor¬ 
ragenden Antheil genommen. Die Landes-Conferenz darf als gelungen 
betrachtet werden, denn außer den zahlreich erschienenen haupt¬ 
städtischen Aerzten waren die ungarischen Curorte durch über 
50 Badeärzte und Badebesitzer vertreten. 

In der Eröffnungsrede hob der Vorsitzende Prof. Taüffer 
die Thatsache hervor, daß unsere Bäder nicht gehörig ausgenützt 
werden, die Verwerthung unserer Mineralwässer nur langsam von 
Statten geht, woran sowohl die Aerzte, als die Badeeigenthümer, 
das Publicum und die Behörden die Schuld tragen. Wenngleich 
unsere Aerzte das Publicum immer mehr auf unsere Curorte auf¬ 
merksam zu machen beginnen, unsere Mineralwässer zum Theil eine 
ganz außerordentliche Verbreitung über die ganze Welt genommen haben, 
und deren Handhabung wesentliche Fortschritte aufzuweisen hat, 
so haben wir im Allgemeinen dennoch nicht jene Stufe erlangt, die 
wir ohne außerordentliche Anstrengung erklimmen könnten. Außer 
den Aerzten müssen zu dieser Hebung die Badebesitzer, die Gesetz¬ 
gebung und die administrativen Behörden, sowie das Publicum bei¬ 
tragen. Als einen wichtigen Uebelstand bezeichnete der Vorsitzende, 
daß an unserer Universität keine Lehrkanzel für Balneologie und 
Klimatologie besteht und unsere Aerzte, meist nur auf ausländische 
Zeitschriften und Werke angewiesen, aus diesen die Indicationen 
für die baineotherapeutischen Maßnahmen schöpfen, wobei selbst¬ 
verständlich die Autoren iu der Regel für die Bäder ihrer Heimat 
eintreten und die unserigen dabei ignorirt werden, oft auch wirklich 
kaum gekannt sind. Die balneologische Commission, welche sich die 
Verbreitung der Kenntniß über ungarische Curorte und deren Hebung 
zur Aufgabe gemacht hat, wollte auf dieser Landes Conferenz zu¬ 
nächst eine Reihe allgemeiner Fragen in’s Reine bringen und hat 
zu diesem ßchufe Referenten bestellt, welche hier die mannig¬ 
fachsten wissenschaftlich und praktisch wichtigen Fragen behandeln 
sollen. Es sind dies die Professoren Th.\n und Fodor, die Dootoren 
B »lemann, Vuja, Chyzer, Oläh, Popp und Szontägh. Rühmend 
gedenkt der Vorsitzende der Verdienste, welche sich die anwesenden 
DDr. Chytzer und Boleniann um die Balneologie Ungarns erworben 
haben. — Auf Vorschlag des Vorsitzenden werden zu Mitvor¬ 
sitzenden Dr. C. Chyzf.r, der ebenso gelehrte wie geistvolle Ober- 
physicus des Zempl6ner Comitates, ferner Dr. Bolemann (Vihnye) 
und Dr. Mangold (Ralaton-Füred), zu Mitschriftführern, Dr. Licsek 
(Herkulesbad) und Dr. Grünwald (Szliäcs) erwählt. Ueber die 
gediegenen Referate, worunter dio von Prof. Tfan erstatteten, vo n 


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bleibendem wissenschaftlichen Werthe sind, wollen wir nächstens be¬ 
richten. Hier sei nnr das erste praktische Resultat derConferenz vorweg- 
genomnien: Die am letzten Sitzuugstage auf Grund der Anträge von 
Dr. J. OlAh und Dr. Nikolai s SzontAgh beschlossene Gründung 
eines balneiologischen Landesvereines, welcher sich unter 
d as Protectorat der k. Gesellschaft der Aerzte in Budapest gestellt hat. 

_ —n.— 

Kleine Mittheilungen. 

— Dr. B. Donkin empfiehlt die Ernährung per rectum bei 
Behandlung des Ulcus ventridli. Nach ihm besteht die wirksamste 
Behandlung des Magengeschwürs darin, je nach dem Falle ver 
schieden lange Zeit dem Magen vollständige Ruhe zu gewähren, 
jede Ernährung durch den Mund zu unterlassen und den Kranken 
nur durch das Rectum zu ernähren. Bei dieser allerdings heroischen 
Behänd ung geht die Heilung rascher vor sich, als bei der gewöhn¬ 
lichen Behandlung mit Milchdiät und Medicamenten. D. überzeugte 
sich, daß bei der Rcctalernährung die Leimsuppositorien und die 
peptonisirten Substanzen keinerlei Vorzug gegenüber dem einfachen 
Beeftea und der Milch bieten. Er gebraucht daher diese letzteren 
Nahrungsmittel gewöhnlich als Nährclystiere. Der Kranke erhält in 
verschiedenen Intervallen, je nach dem individuellen Falle, Clysmen, 
deren Zusammensetzung alternirt. Entweder 75 Grm. Beeftea und 
15—30 Grm. Branntwein mit oder ohne Eidotter oder ent¬ 
sprechende Mengen Milch mit Branntwein. Zuweilen wird auch 
Beeftea und Milch zugleich verabreicht. Selbstverständlich muß der 
Darm vor Anwendung des Nährclysmas gehörig entleert werden. 
Ist das Rectum stark reizbar, so empfiehlt es sich, dem Nährclysraa 
einige Tropfen Laudanum zuzusetzen. Das Einzige, was man dem 
Kranken per os gestatten kann ist, von Zeit zu Zeit an einem 
Eisstückchen zu saugen. Die medicamentöse Behandlung beschränkt 
sich blos auf wenige subcutane Morphiuminjectionen, um den Schmerz 
zu stillen. Bei dieser Behandlung Dehmcn die Magenerscheinungeo 
rasch ab, und nach einer gewissen Zeit, die in den Fällen D.’s 
zwischen 10 — 19 Tagen schwankte, kann man bei Beibehaltung 
der Nährclysmen etwas Milch und Bouillon per os gestatten. All- 
mälig erhöht man die Nahrung per os und setzt jene per Clysmam 
herab, bis man schließlich zu einer substantielleren und festeren 
Nahrung übergeht. D. glaubt nicht, daß die Substanzen durch das 
Rectum resorbirt werden, sondern ist der Ansicht, daß die soge¬ 
nannten Nährclystiere für den Organismus nur durch das Wasser, 
das sie demselben liefern, von Werth sind. Jedenfalls beweisen seine 
Versuche, daß die an Mag ngeschwür leidenden Kranken durch 
10—19 Tage ohne Beschwerden diese Behandlung vertragen. Aller 
dings magern die Kranken dab;*i ab, erholen sich aber rasch, sobald 
die Ernährung per os möglich wird und die Heilung sich einstellt. 
D. hat diese Methode auch bei manchen hartnäckigen Fällen von 
chronischer Dyspepsie und Magengeschwür angewendet. 

— Zur Behandlung der chronischen Obstipation gab 
Dr. Flatau in der Sitzung der Berliner medicinischen Gesellschaft 
vom 22. October d. J. folgendes ebenso einfache, wie nach seinen Er¬ 
fahrungen wirksame Mittel an. Er applicirt auf die dem Auge 
sichtbare Stelle der Rectalschleimhaut eine Messerspitze voll (etwa 
3 Grm.) pulverisirter Borsäure, und zwar wird das Pulver 
entweder aufgestreut oder eingerieben, oder es wird, wenn die 
Schleimhaut nicht für das Auge wahrnehmbar ist, insufflirt. Pat. 
bleibt dann einige Minuten ruhig liegen , um das Pulver genügend 
einwirken zu lassen, und kann dann seinem Berufe nachgehen. Nach 
Anwendung dieses Verfahrens läßt sich mit Sicherheit Voraussagen, 
daß innerhalb ' —3 Stunden im Bereiche des Colons und eines 
Theiles des Dünndarmes ziemlich starke peristaltische Bewegungen 
sich einstellen und mehrmalige Entleerungen auftreten werden, nur 
muß man die Patienten darauf aufmerksam machen, auch die anfangs 
nur leise eintretenden Sensationen zu beachten, weil andernfalls 
durch ihre Unterdrückung auch die stärkeren übersehen werden. 
Redner hat in einer größeren Anzahl von sehr vernachlässigten, 
mit Depressionserscheinungen und anderen Veränderungen des Central¬ 
nervensystems einhergehenden Fällen stets eine exacte Wirkung bei 
diesem Verfahren beobachtet und ist niemals von demselben im 
Stiche gelassen worden, denn eine eigentliche Gewöhnung 


an das Mittel tritt nicht ein. Mit Recht weist Flatau 
darauf hin, daß es außerordentlich werthvoll ist, mit den in neuerer 
Zeit an die Stelle der Abführmittel getretenen mechanischen Be¬ 
handlungsmethoden , wie Massage, Elektricität , Hydropathie, ab¬ 
wechseln zu können, zumal diese Methoden genügende Subsistenz¬ 
mittel voraussetzen, nicht unwesentliche Eingriffe auf die Lebens¬ 
führung bedingen und schließlich auch zur Gewöhnung führen können, 
empfiehlt daher die Anwendung der gepulverten Borsäure auf das 
Angelegentlichste. 

— Dr. C. Rademaker (Louisville) empfiehlt Trlbromophenol 
oder Bromol als neues Antisepticum, das er mit Erfolg als Ver¬ 
bandmittel bei Wunden und Geschwüren, sowie zur Behandlung der 
Diphtherie anwendeto. Das Bromol ist ein citronengelbes Pulver 
von süßlichem und adstringirendera Geschmack und eigentümlichem, 
nicht unangenehmem Geruch. Es ist in Wasser unlöslich, in Alkohol, 
Aether, Chloroform, Glycerin und fetten Oelen leicht löslich. Es 
besitzt den Vorzug geringer Giftigkeit. 0 80 Bromol, Hunden 
verabreicht, riefen keinerlei Störung ihres Wohlbefindens hervor. 
Das Bromol besitzt mächtige antiseptische Wirkungen, so z. B. kann 
ein mit Bromol eingestaubtes Stück frisches Fleisch mehrere Tage 
hindurch bei einer Temperatur von 60° aufbewahrt werden, ohne 
daß irgend welche Fäulnißerscheinungen auftreten. B. wendet das 


Bromol in folgender Weise an: 

Rp. Bromoli.5’0 

01. oliv.150 - 0 

S. Aeußerlich. 

Rp. Tribromophenoli.4'0 

Vaselini.30*0 

M. f. ung. 

S. Salbe. 


Diese Präparate werden zur Behandlung von Wunden und Ge¬ 
schwüren angewendet. Ebenso kann man diese mit einem pulver- 
förmigen Tribromophenol eiustauben. Bei Diphtheritis wendet B. 
Pinselungen mit einer Lösung von Tribromophenol 1, Glycerin 25 
an. Schließlich hat B. das Bromol innerlich in Dosen von 5 bis 
15 Mgrm. bei Cholera infantilis, bei Abdominaltyphus ui.d in einem 
Falle von Lungenabsoeß angewendet und behält sich vor, in einer 
weiteren ausführlichen Mittheilung die Resultate der innerlichen An¬ 
wendung des Bromols bekannt zu geben. 

— Ueber die Unwirksamkeit comprimirter Arzneimittel bat 
Boas („Deutsche med. Woch. w , Nr. 41) nicht nur in der Praxis bei 
Kranken, sondern auch an seinem eigenen Körper Erfahrungen ge¬ 
sammelt. Wenn auch die Pharmacopoea elegans in der Darstellung 
der comprimirtcn Arzneistoffe und Tabletten den Zweck verfolgt, die 
Medicamente in angenehmer, den Geschmack wenig belästigender 
Weise und in geringem Volumen zu reicheu, so muß vor allen 
Dingen die Wirksamkeit derselben in’s Auge gefaßt werden. Dies 
ist aber häufig nicht der Fall. Comprimirtes Chinin , ebenso com- 
primirtes Extr. filicis maris passirten in noch geformten Stücken 
den Darm, erfolglos auf den Krankheitszustand wirkend, per 
anum ab, und Sulfonaltabletten fand B. in den Fäces gelöst, 
ohne daß der Zweck bewirkt worden wäre. Durch das Comprimiren 
und das Znbereiten von Tabletten tritt der Zustand der Schwer¬ 
löslichkeit in den Magen- und Darmsäften ein, und es passiren daher 
diese Medicamente als trägo, wirkungslose Stoffe zur Enttäuschung 
des Arztes und zum Nachtheil des Kranken. Gelingt es den Apo¬ 
thekern nicht, die Cömpression der Arzneimittel und die Zubereitung 
der Tabletten so herzustellen, daß sie nicht nur jucunde, sondern 
auch tuto und womöglich cito wirken, so dürfte es wohl besser 
sein, wenn die Aerzte von der Neuheit und Elegauz abseben und 
lieber die Arzneien in Pulverform oder Lösung verordnen, als in einer 
unzuverlässigen und unwirksamen Form. Feruer bemerkt B., daß 
es gerathen erscheint, die Verordnung von magistraleii Pillen, welche 
längere Zeit in den Apotheken aufbewahrt und sehr hart geworden 
sind, ganz zu unterlassen und diese stets frisch anfertigen zu lassen. 
Dr. Arnold bestätigt diese Beobachtung B.’s und empfiehlt, die 
Löslichkeit der comprimirten Tabletten vor dem Gebrauche zu 
prüfen. 

— Um den Einfluß des Räucherns auf die Infectiosität 
perl8ücht>ger Rinder zu studiren, hat Prof. Förster in Amsterdam 


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1890. — Wiener Medizinische Presse, 


Nr. 44. 


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von der Brustwand eines perlsüchtigen Rindes ein etwa 3 Kilogrm. 
schweres Fleiscbstück, an dem die anhaftende Pleura mit dicken 
Massen von Perlsuchtkuotcn bedeckt war, ausgeschnitten, sodann 
mit der zum Einsalzen nöthigen Kochsalzmenge bestreut und in der 
sich bildenden Salzlacke 20 Tage lang aufbewahrt. Nach Ablauf 
dieser Zeit wurde es aus der Lacke genommen und gleichzeitig mit 
anderem, von gesunden Thieren stammenden und zum Verkauf be¬ 
stimmten Pöckelfloischstücken bei einem Selcher dem gewöhnlichen 
Räucherungsverfahren unterworfen. Das Fleisch hängt gewöhn¬ 
lich 10 Tage lang im Rauchkamin, während die den Rauch 
liefernde Feuerung anfänglich jeden Tag, später mit einem Tag 
Unterbrechung ein wirkt. Von den oberflächlich gelegenen Knoten 
wurden Antheile in fein gehacktem Zustande, sowohl nach dem zehn¬ 
tägigen Liegen unter Salz, als auch nach der 7 — lOtägigen Einwirkung 
des Räucherns im Schornstein in die Bauchhöhle von Meerschweinchen 
und Kaninchen eingeführt. Das in Nr. 10 der „Münch, med. 
Woch. w veröffentlichte Resultat dieser Versuche war, daß die Ver- 
suchsthiere, welche mit den nur den» Einsalzen ausgesetzten Perl¬ 
suchtknoten geimpft worden waren, an Tuberculose der Bauchhöhle 
erkrankten. Von 6 Thieren, denen geräucherte Perlsucht knoten 
eingeimpft worden waren, starb eines nach kurzer Zeit an Perito¬ 
nitis, die 5 andereu wurden nach Ablauf von etwa 2 Monaten ge- 
tödtet. Bei der Section fanden sich im Netz und Mesenterium, in 
Leber und Milz ausgebreitete, tuberculöse Wucherungen, in welchen 
mikroskopisch Tuberkelbacillen nackgewiesen wurden. Es unterliegt 
demnach keinem Zweifel, daß, wie das Einsalzen, so auch das dem¬ 
selben folgende Räucheru die iu Perlsuchtknoten enthaltenen Tuberkel¬ 
bacillen dnrehaus nicht tödtet, oder die Infectiosität von Weich- 
theilen, welche von perlsüchtigen Schlachtthieren stammen, keineswegs 
aufhebt. Diese Thatsache verdient in sanitätspolizeilicher Hinsicht 
volle Aufmerksamkeit, denn das Rauchfleisch wird in der Regel in 
rohem Zustande und dazu häufig von Personen mit geschwächter 
Verdauungsthätigkeit verzehrt. Dazu kommt noch der Umstand, 
daß das Salzen oder Räuchern vorzugsweise bei der Würste¬ 
verfertigung geübt wird, wobei ja minderwerthiges Fleisch und er¬ 
krankte Weichtheile verschiedener Art besonders leicht in Anwendung 
kommen. 


Verhandlungen Ärztlicher Vereine. 

Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 27. October 1890- 

Prof. Wölfler: Ueber Cystenkropf und dessen Behandlung. 

Der Vortragende bespricht zuerst die verschiedenen Formen 
der Cystenkröpfe und unterscheidet drei Haupttypen: 1. den serösen 
Cystenkropf, nach seinem Inhalte so benannt, mit sehr dünnen 
Wandungen, niedrigem Epithel. 2. Die Gallertcyste. 8ie bildet 
sich durch Confluenz größerer Gallertblasen. Man findet iu ihr 
daher Septa, oder Reste derselben, weiters in sie hineiuragend 
einzelne Parenchymhügel, ferner trifft man in diesen Cysten auch 
echte, papilläre Vegetationen an. Ihre Innenwand ist mit hohem 
Cylinderepithel ausgekleidet. Die in ihnen vorkommeuden papillären 
Vegetationen können zu Blutungen Veranlassung geben. 

Die 3. Art bilden die hämorrhagischen Cysten. Ihre 
Genese besagt ihr Name. Es sind richtige Kropfapoplexien; 
bei heftigen Stauungen im Kreisläufe, z. B. während des Geburts 
actes, kann es zur Bildung derartiger Cysten kommen. Das Blut 
breitet sich in der Medullär-Substanz des Kropfes aus. Ihre Wand 
ist dicker als die aller anderen. Es kann Verkalkung des Inhaltes 
eintreten, und man spricht dann von einem Steinkropfe. Au 
diese drei Formen reihen sich dann als seltene Vorkommnisse die 
zusammengesetzten und multiplen Cysten an. Die Cystenkröpfe 


werden besonders gefährlich bei retrosternaler oder retropharyn¬ 
gealer Lage. 

Was die Therapie der Kropfcyste betrifft, so ist als sel¬ 
tenes Ereiguiß Beratung mit Spontanheilung zu erwähnen. Die 
Chirurgie hat sich daher schon seit den ältesten Zeiten mit der 
Therapie der Kropfcysten beschäftigt und verschiedene Wege 
eingeschlagen, um zu ihrem Ziele zu gelangen Der einfachste Weg 
ist der der Punction und Entleerung des Inhaltes. Es ist aber 
auch der schlechteste, da der Inhalt sich binnen Kurzem 
wieder ansammelt. Man hat daher der Punction die l n j e c- 
tion irgend einer reizenden, entzündungserregenden Flüssigkeit 
nacbgeschickt uud verwendet dazu heutzutage die Tinetu ra jo di, 
die LuooL’sche Lösung oder, wie der Vortragende mit Vorliebe, 
Jodoformglycerin. Vou Jodtinctur wurden 10 bis 50 Gramm 
ohne Schaden injicirt und die Flüssigkeit nicht wieder auslaufen 
gelassen. Man muß nur den Verlauf derartiger Operationen kennen 
und auf eventuell eiutretende unangenehme Symptome in den ersten 
Tagen nach der Injection gefaßt sein. Wird die nöthige Reaction 
erregt, daun kommt es zur Verlöthung der Wände der Cyste und 
damit zur Heilung. Nach den bisher vorliegenden statistischen Daten 
gibt es 67°/o definitiver Heilungen. Das Verfahren hat entschieden 
den Vorzug großer Einfachheit. Die Schrumpfung tritt bei nicht 
dünnwandigen Cysten allerdings sehr langsam ein Nicht operiren 
darf man in dieser Weise bei einseitiger Recurrenslähmung, ebenso¬ 
wenig bei hochgradiger Abplattung der Trachea, oder falls nach der 
Punction eine Blutung aus der Cyste erfolgt, wenn also die Tinctura 
jodi eventuell in offene Venen und von da aus in den Kreislauf 
gelangen könnte. Es sind plötzliche Todesfälle in solchen Fällen 
gesehen worden. 

Weitere Operationsverfahren sind: Drainage der Cyste. 
Man will damit denselben Effect erzielen, wie bei der vorhergehenden 
Methode. Ferner Spaltung der Cyste mit nachfolgendem, even¬ 
tuellem Evidement. Nur soll man nichts weiter ausräumen, als was 
sich sehr leicht entfernen läßt, sonst kann man sehr unangenehme 
Blutungen erleben. Die statistischen Daten sprechen nicht zu Gunsten 
dieser Methode Weiters kommen in Betracht die Exstirpation, besser 
gesagt, die intraparenchymatöse Ausspülung des Cystenkropfes; sie 
wird nur dann zur Unmöglichkeit, wenn die hintere Cysten wand 
mit dem Recurrens verwachsen ist. In solchen Fällen muß man sich 
mit der partiellen Resection der Wand der Cyste begnügen. Man 
hat bei diesem Verfahren oft mit großen Blutungen zu kämpfen. 
Die Erfolge sind durchwegs günstige. Nur entzündete Kröpfe dürfen 
nicht exstirpirt werden. Schließlich sei noch die halbseitige Kropf¬ 
exstirpation als Heilungsmethode erwähnt. 

Prof. Wölfler begleitete seine Auseinandersetzungen mit der 
Demonstration hieher gehöriger anatomischer Präparate und Ab¬ 
bildungen. Il8. 

Verein für innere Medicin in Berlin. 

( Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 20. October 1890. 

Dl\ GEORGE Meyer demonstrirt eine Anzahl neuer Spritzen 
mit stellbarem Asbestkolben für Unterbaut- und ähnliche Ein¬ 
spritzungen. 

Dr. Klemperer: Fall von Tic convulsif des M. ileo psoas. 

Der vorgestellte Student der Medicin bemerkte seit Jahren ein 
lästiges Pochen in der linken Hälfte des Abdomens, doch ist der 
Rhythmus desselben mit dem Pulsschlage nicht eoinoident; dieser 
Umstand schließt ein Aneurysma umsomehr aus, als der Rhythmus 
durch den Willen des Patienten, sowie durch tiefe Respirationen sich 
verlangsamen läßt. Klemperer’s Vermuthung, daß es sich um Muskel- 
contractionen handle, wurde durch die vorgenommene Narcose be¬ 
stätigt. Während derselben verschwand das Pochen, um nach der¬ 
selben wieder hervorzutreten. Die Contractionen begannen in der 
Tiefe in der Nähe der Wirbelsäule und pflanzten sich jenseits der 
Linea innominata über das Lig. Poupartii fort. Die Heilung hofft 
Redner durch Hypnose zu erreichen. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


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Prof. Ewald: Ueber die Bildung von Pepton im menschlichen 
Magen und Stoffwechselversuche mit Kraftbier. 

Bei der Herstellung von künstlichen Peptonpräparaten zur 
Erleichterung der Verdauungsarbeit des Magens entstanden für die 
praktische Verwerthbarkeit sehr bald recht bedeutende Hindornisso 
in der Schwierigkeit, den überaus bitteren Geschmack der Peptone 
durch Corrigentien zu beseitigen. Die Fabrikanten kamen daher 
sehr bald auf den Ausweg, statt der Peptone die Vorstufe der 
Eiweißverdauung, die Propeptone, herzustellen. In der That bestehen 
alle neueren Peptonpräparate von Kemmebich, Koch, Dknayer etc. 
aus solchen Albuminosepräparaten, deren nicht bitterer, mäßig fader 
Geschmack sich leicht verbessern läßt. Diese Präparate können nun 
vollkommen als Ersatz einer äquivalenten Menge von Eiweiß dienen. 
Ewald hat nämlich durch eingehende Untersuchungen gefunden, 
daß in der That die Menge von echtem Pepton im menschlichen 
Magen nach Eiweißzuführung eine außerordentlich geringe, oft gar 
nicht nachweisbare ist, daß demnach die Umwandlung des Eiweiß 
entweder zum größten Theil auf der Vorstufe der Peptone stehen 
bleibt, oder die Peptone viel leichter resorbirt werden, als die Pro¬ 
peptone. Die Aufgabe der Technik muß es daher sein, ein an letzteren 
möglichst reiches Präparat mit möglichst gutem Geschmack zu liefern. 
Als ein solches empfiehlt Redner ein iu Hamburg gebrautes soge¬ 
nanntes „Kraftbier“, mit welchem er bei verschiedenen Patienten 
längere Zeit genau präcisirte Versuche angestellt und sehr günstige 
Resultate erzielt bat. 

Dr. Karewski : Zur Diagnose und Therapie der Pancreascysten. 

Erst seit der häufigeren Anwendung der Laparotomie hat man 
auch Pancreascysten, und zwar meist in Folge irrthümlicher Diagnose, 
gefunden. Fast immer handelte es sich um große, cystisch entartete 
Geschwülste, welche den ganzen Bauchraum ausfüllten. Nur in 10 
von 21 bisher operirten Fällen war vorher die Diagnose auf Pau- 
creascyste gestellt worden. 

Die Wichtigkeit der rechtzeitigen Erkennung des Leidens, sowie 
der richtigen Localisation des Organs demonstriren folgende zwei 
von dem Vortragenden operirte Fälle. 

Der erste Fall betraf einen sonst gesunden Fuhrherrn von 
25 Jahren, welcher im November v. J. gegen den linken Rippen¬ 
bogen gestürzt war und im December eine Geschwulst in der Ober¬ 
bauchgegend bemerkte. Iu der Zwischenzeit hatte Pat. unter kolik¬ 
artigen 8chmerzen meist zu Bett gelegen und die gewohnte Menge 
Nahrung nicht bei sich behalten können. Bei der Untersuchung fand 
sich, zwei Querfinger breit unter der linken Mammilla beginnend, 
eine die linke Oberbauchgegend und untere Thoraxhälfte umfassende 
kugelige Vorwölbung, welche nach oben vom Magen, nach unten vom 
Colon, nach rechts von der Leber, nach links von der Milz be¬ 
grenzt, und zwar 6tets durch eine dazwischen liegende tympanifische 
Dämpfung von diesen Organen deutlich geschieden war. Auffällig 
war, daß der Magen bei Aufblähung sehr wenig nach unten rückte, 
und unmittelbar nach der Entwicklung von Kohlensäure Erbrechen 
erfolgte. Im Uebrigen gab der Tumor ein undeutliches Fluctuations- 
gefühl und war wenig schmerzhaft. Es bestand weder Icterus, noch 
Fieber; Urin klar, ohne Albumen oder Zucker. Alle Symptome 
deuteten auf einen subphrenischen, cystischen Tumor, dessen charak¬ 
teristische, nach unten convexe, an der linken Seite steil aufsteigende 
Form mit größtem Durchmesser in der Parasternallinie einen Hin¬ 
weis auf das Pancreas gab. 

Eine mit capillarem Troicar ausgeführte Probepunction zeigte 
in hämorrhagischer Flüssigkeit die für Pancreascyste charakteristischen 
(Küsteb) Fettkörnchen und Cholestearinkrystalle. 

Pat. wurde Mitte März mittelst Querschnitt unterhalb des 
Rippenbogens operirt. Bei der Eröffnung der Bauchhöhle lag der 
plattgedrückte Magen vor, der offenbar zunächst vom Troicar durch¬ 
bohrt worden war. Erst nach Hinzufügung eines zweiten, senkrecht nach 
unten verlaufenden Schnittes gelang es, die sehr gespannte, wenig 
bewegliche Cyste zu punctiren und nach Entfernung von 2 */ a Liter 
Flüssigkeit eine kleine Stelle der Cystenwand im linken Wundwinkel 
zu befestigen. Unter Drainage und Jodoformverband erfolgte ein 
vollkommen aseptischer Verlauf. Nach wenigen Tagen begann eine 


necrotische Abstoßung der Cystenwand und zugleich die Secretion 
einer die Wundränder stark macerirenden Flüssigkeit, welche ein 
nur schwer heilendes Eczem hervorrief. Der Inhalt der Cyste zeigte 
eiue stark alkalische, schwach peptische und stark saccharificirende 
Wirkung, d. h. alle Eigenschaften des Pancreassaftes. Sechs Wochen 
nach der Operation vollständige Heilung. 

Im zweiten Falle handelte es sich um einen 58jährigen Böttcher, 
welcher ebenfalls gegen den linken Rippenbogen gefallen war. Sofort 
Erbrechen, Magenschraerz und Appetitlosigkeit. Wiederholte Kolik¬ 
anfälle, besonders nach dem Essen. Im Januar, 4 Wochen nach dem 
Fall, wurde Pat. bettlägerig und magerte ab. Im Juni constatir e 
Redner einen undeutlich fluctuirenden, wenig druckempfindlichen 
Tumor hinter Magen und Colon. Dämpfung unterhalb des Magens, 
welche sich in der Parasternallinie bis zum Rippenbogen in gedämpft 
tympanitischem Schall fortsetzt, derart, daß die gedämpft tympanitische 
Zone in einem nach unten convexen Bogen, der steil zur Axillarlinie 
aufsteigt, verläuft. Leber und Milz sind durch den Darmschall ab- 
grenzbar. Diese charakteristische Form der Geschwulst, sowie der 
fieberlose Verlauf sprachen für vorhandene Pancreascyste. 

Operation: Längsschnitt in der Mammillarlinie. Da bei Er¬ 
öffnung der Bauchhöhle Magen, Colon und Dünndarm Vorlagen, 
mußte der größte Theil der Bauchhöhle zur Freilegung der Ge¬ 
schwulst eröffnet werden. Vernähung in die Bauchwunde wegen 
der geringen Beweglichkeit und großen Spannung des Tumors un¬ 
möglich. Nach Entleerung von 3 Litern Flüssigkeit durch Punction 
ist die Befestigung der Cystenwand in der Bauchwunde durchführbar. 
Jodoform verband; absolut reactionsloser Verlauf. Zwei Wochen nach 
der Operation entsteht eine äußerst reichliche Absonderung von 
Pancreassaft, welcher die Umgebung der Fistel und sogar die ganze 
Bauchnarbe verdaute. Diese wurde porzellanweiß und gab durch 
ihren necrotischen Zerfall zu langer Eiterung Anlaß. Obgleich aus 
der drainirten Fistel täglich circa 500 Ccm. Flüssigkeit abfloß, mußte 
auch noch eine ausreichende Menge Pancreassaft in den Darm 
gelangt sein, da die reichlichen Nahrungsmengen gut verdaut wurden. 
Nach vielen vergeblichen Versuchen zum Verschluß der Fistel hörte 
die Secretion plötzlich spontan auf und es trat schnell Heilung ein. 
Der Cysteuinhalt zeigte stark diastatische Eigenschaften. 

Die relativ frühzeitige Diagnose und Operation dieser beiden 
Fälle ist für die Frage der rechtzeitigen Erkennung von besonderer 
Wichtigkeit. In allen bisher beobachteten Fällen finden sich dieselben 
Erscheinungen: Kolikartige Schmerzen, hochgradige Abmagerung, 
Erscheinungen von Dyspepsie durch Raurabeengung des Magens und 
Druckgefühl. Lage und Gestalt der Geschwulst sind ganz charak¬ 
teristisch : nach oben bildet der Magen, nach unten das Colon, nach 
rechts die Leber, nach links die Milz die Grenze, doch sind diese 
Organe vom Tumor durch eine deutlich tympanitische Zone abzu¬ 
scheiden. Relativ geringe Beweglichkeit, hauptsächlich bei Athem- 
bewegungen. 

Differentialdiagnoso: Cysten in Folge von Echinococcus 
der Bursa omentalis entstehen nur langsam, Flüssigkeitsansammlungcn 
im Pancreas sehr schnell. Cysten der Bauchspeicheldrüse sind meist 
in der linken, die nach Leberechinococcus meist in der rechten 
Körperhälfte gelegen. Melliturie und Fettdiarrhoe unterstützen 
mitunter die Diagnose der Pancreascysten. Die frühzeitige Erkennung 
des Leidens ist wegen der bei längerem Bestehen der Cyste ein- 
tretendeu Erschöpfung des Pat. von höchster Wichtigkeit. 

In Bezug auf die Behandlung der Pancreascyste verwirft 
Redner die Totalexstirpation und die zweizeitige Eröffnung und 
Drainage des Cystensackes und plaidirt für einzeitige Operation in 
Form von breiter Spaltung und Drainage der Cyste, eventuell nach 
vorangegangener Entleerung durch Punction. — r. 


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F 1753 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1754 


X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bcriclit der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XIII. 

Aus den Sectionen. 

Section für innere Hedicin. 

Ueber die Behandlung des Diabetes. 

(Schluß.) 

SEE6EN (Wien) faßt die Resultate seiner Arbeiten in folgende 
Punkte zusammen: 

a) Die Leber bildet ununterbrochen Zuckor. 

b) Der Zucker wird nicht, wie Bernard meinte, aus Leber¬ 
amylum gebildet. 

c) Das Material, aus welchem der Zucker entsteht, sind die 
Albuminate und die Fettkörper. 

d) Aus der Differenz im Zuckergehalte des in die Leber ein- 
und ausströmenden Blutes — im Mittel 0* 1 °/ 0 —, sowie aus dor 
annäherungsweise ermittelten Blutmenge, welche in der Zeiteinheit 
durch die Leber strömt, berechnet sich die innerhalb 24 Stunden 
aus der Leber in die Circulation übergoführte Zuckermenge bei einem 
Hunde von 10 Kgrm. auf mehr als 100 Grm., also bei Menschen im 
Verhältniß seiner Blutmenge zu der jenes Hundes auf 500—600 Grm. 

e) Der in der Leber gebildete und von da in’s Blut gelangende 
Zucker wird in den Geweben ununterbrochen zerstört und verbraucht. 
Wenn die Leber nur durch 30 Minuten aus der Circulation aus¬ 
geschaltet wird, sinkt der Gehalt des Blutzuckers auf ein Drittel 
seiner ursprünglichen Größe. 

f) Der in so großer Menge gebildete Zucker erfordert zu seinem 
Entstehen eine beträchtliche Menge Kohlenstoff, woraus folgt, daß 
nahezu das gesammte Nährmaterial für Zuckerbildung verworthet 
wird. Die Zuckerbildung ist eine der wichtigsten Functioneu des 
Thierkörpers, und der Zucker ist die Quelle für Wärmobildung und 
Arbeitsleistung. 

g) Das Leberamylum wird vorwiegend aus Kohlehydraten 
gebildet; bei Fettnahrung enthält die Leber nahezu kein Amylum, 
bei Fleischfütterung 2—3°/ 0 , während dasselbe bei Fütterung mit 
Zucker und Dextrin bis auf 12°/ 0 steigt. Das Leberamylum wird 
wahrscheinlich in Fett umgewandelt und dient als Reservestoff für 
Zuckerbildung. 

Im Lichte dieser Thatsachen werden die beiden Formen des 
Diabetes viel begreiflicher. Bei der eiuen Form wird der aus¬ 
geschiedene Zucker nur aus den eingeführten Kohlehydraten gebildet; 
hier sind die Leberzellen jedoch nicht vollständig leistungsfähig. Bei 
der zweiten Form wird der Zucker ausgeschieden, auch wenn nicht 
ein Atom von Kohlehydraten mit der Nahrung eiugeführt wird; es 
ist dies also Zucker, der, im Organismus gebildet, sonst für die 
Arbeit des Körpers verwerthet wird. Hier sind die Zellen des Ge- 
sammtkörpers mehr weniger unfähig geworden, die ihnen zukommende 
Zuckerumsetzung zu vollbringen. Beide Formen haben eine ganz 
verschiedene Bedeutung für den Organismus; bei der einen Form 
kanu der Kranke sich nach Entziehung der Kohlehydrate lange 
erhalten, bei der anderen geht er rasch zu Grunde. 

Das Wesen des Diabetes kennen wir nicht; wir wissen nur, 
daß zumeist Erkrankungen des Nervensystems mit Diabetes 'er- 
gesellschaftet sind, daß ferner Gomüthsaffecte ihn leicht hervorrufen. 
Heredität des Diabetes ist heute außer Zweifel gestellt. 

Experimentell ist nachgewiesen, daß Morphium, Chloroform, 
Curare die Umsetzung des Blutzuckers sehr herabsetzen, doch liegen 
dem Diabetes sicher auch andere Ursachen zu Grunde. 

Bei den Diabetikern der leichten Form ist die Toleranzgröße 
für Amylacea sehr verschieden, indeß wächst dieselbe allmälig. Die 
leichte Form des Diabetes geht zuweilen, besonders bei jugendlichen 
Kranken mit unregelmäßiger Diät, in die schwere Form über. Bei 
alten Leuten ist die Ausscheidung kleiner Mengen von Zucker 
belanglos. 

Der Verlauf des Diabetes ist ein verschiedener. Kranke 
der milden Form können 20 Jahre und länger sich erhalten. Kranke 


der schweren Form, besonders jugendliche Individuen, gehen meist 
innerhalb 2—3 Jahren zu Grunde. Heilung des Diabetes derart, 
daß der Kranke rücksichtslos Amylacea ohne Nachtheil einführen 
kann, hat Redner nie beobachtet. 

In der Behandlung des Diabetes spielt die Diät die erste 
Rolle. Verordnung: Absolute Vermeidung von Kohlehydraten, dem¬ 
nach ausschließliche Fett- und Fleischnahrung. Von absoluter Fleisch¬ 
kost (Cantani) hat Seegen keine Heilung gesehen. Sie ist schwer 
durchführbar und verursacht leicht Magen- und Darmcatarrhe. 

Das Princip, welches Seegen bei der Behandlung der Dia¬ 
betiker befolgt, lautet: Man muß dem Diabetiker eine solche Kost 
verordnen, die er bei einigem guten Willen das ganze Leben lang 
beobachten kann. Vorwiegend muß Fleisch- und Fettnahrung genossen 
werden, doch warnt er vor übergroßen Mengen von Fleisch und 
Eiern, da der Pat. deren nicht mehr braucht, als jeder Gesunde, der 
hauptsächlich von Fleisch lebt. Mit dieser Nahrung muß dem Dia¬ 
betiker aber auch der Genuß von grünen Gemüsen in jeder Menge 
und nicht süßes Obst in mäßiger Menge gestattet werden. Brot ist 
auf die Dauer unentbehrlich: 40—60 Grm. pro Tag sind zulässig. 
Zu warnen ist vor dem Kleberbrot, weil dieses stets Amylum enthält. 
Absolute Fleischkost ist zu empfehlen: 1. zur Entscheidung der 
beiden Formen der Krankheit; 2. wenn bei einem Diabetiker 
Wunden nicht zur Heilung kommen, wenn Gangrän eintritt oder 
eine chirurgische Operation nöthig ist. Nicht süßer Roth- oder 
Weißwein ist in jeder Menge gestattet. Die Fleischdiät bei der 
schweren Form zu beschränken, ist nicht angezeigt. 

Nächst der Diät ist der Gebrauch von alkalischen Mineral¬ 
wässern (Karlsbad, Vichy, Neuenahr) von unzweifelhaft günstigem 
Einfluß, indem sie die Toleranz für Amylum erhöhen. Auf den 
Diabetes der schweren Form hat Karlsbad nur einen vorübergebenden 
symptomatischen Einfluß. Seegen warnt davor, Kranke dieser Art 
aus weiter Ferne in die Curorte zu schicken, da bekanntlich Eisen- 
babnreisen auf Diabetiker einen schlechten Einfluß haben. Bei Kindern 
und jugendlichen Individuen empfiehlt er den fortgesetzten Gebrauch 
von arsenhaltigem Eisenwasser, Roncegno, Lovico etc. Der Aufenthalt 
im Süden übt eine sehr gute Wirkung. 

UPINE (Paris) glaubt, daß für Pathologie und Therapie des 
Diabetes folgende von ihm gefundene Thatsachen sehr beachtens- 
werth sind. Während das geschlagene Blut von einem gesunden 
Thiere, einer Temperatur von circa 40° C. ausgesetzt, die Haupt¬ 
menge seines Zuckers sehr rasch verliert, vermindert sich der Zucker¬ 
gehalt im Blute eines des Pancreas beraubten Hundes sehr wonig. 
Im letzteren Falle gibt es also ein Fehlen der Fermentwirkung. 

Sicherlich sind eine Anzahl Fälle von Diabetes beim Menschen 
hauptsächlich von der Hyperproduction des Zuckers veranlaßt, aber 
auch in diesen Fällen kann man den Kranken durch Vermehrung 
der Fermentwirkung nützen. 

CANTANI (Neapel) unterscheidet zwischen alimentärem und 
neurogenetischem Diabetes. Bei ersterem ist strenge Diät geboten, 
bei letzterem nicht. Die vom Redner empfohlene Ernährung ist eine 
Fett Eiweißdiät. Er gibt Eier und Fische, aber keine Milch. Unter 
mehr als 1000 Fällen von Diabetes hat Redner doch mehrere Fälle 
von Heilung gesehen, d. h. daß Diabetiker, welche längere Zeit zu 
einer gemischten Kost zurückgekohrt sind, keinen Zucker im Harn 
zeigten und sich wohl fühlten. Die Milchsäure hat Redner nicht als 
Heil-, sondern als Subsiituirungsmittcl für das Brennmaterial gegeben. 
Das Opium vermindert nach seiner Auflassung nur die Aufsaugung, 
jedoch magern die Patienten häufig dabei ab und werden zum Theil 
Opiophagen. 

MINKOWSKI (Straßburg) fand in seinen Untersuchungen, daß 
Thiere nach der Pancreaeexstirpation kein Glycogen mehr zeigen, 
und daß danach z. B. alle Hunde diabetisch werden. Offenbar sind 
viele Fällo von Diabetes auf Pancreaserkrankung zurückzuführen, 
d. h. der Diabetiker hat als Ursache eine Organläsion. Bei leichterer 
functioneller Erkrankung kann die Behandlung zur Heilung führen. 

—r. 


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1756 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1766 


Seetlon för Dermatologie und Syphilis. 

Ehrmann (Wien) hält einen Vortrag über die gemeinsam mit 

Prof. Gärtner gemachten Versuche, um die elektrische 
Kataphorese von Sublimat zu therapeutischen Zwecken 
zu verwerthen. 

Seit jeher ging das Bestreben dahin, solche Applicationsweisen 
des Quecksilbers zu suchen, die bei der Nothwendigkeit, dasselbe 
lange Zeit hindurch und wiederholt dem Kranken beizubringen, dem¬ 
selben möglichst geringe Beschwerden machen, aber dabei im Stande 
sind, hinreichende Quecksilbermengen in den Organismus zu bringen 
und es gestatten, die Menge des Quecksilbers zu dosiren oder 
einigermaßen beliebig abzustufen. Die uralte Darreichungsweise durch 
Einreibung ist zwar im Stande, hinreichende, aber nicht geuau be¬ 
stimmbare Quecksilbermengen einzuführen, überdies ist sie von der 
Durchführung so vollkommen abhängig, daß man oft nur sagen kann: 
si duo faciunt idem non est idem. 

Die Injectionsmethoden haben diesen Nachtheil nicht, dagegen 
muß man es doch als wünschenswerth bezeichnen, eine Methode zu 
finden, welche hinreichende Quecksilbermengen in den Organismus 
bringt, ohne erst eine Läsion nothwendig zu machen. 

Aeltere Versuche veranlaßten nun Ehrmann seit langer Zeit, 
an die elektrische Kataphorese von Sublimatlösungen zu therapeuti¬ 
schen Zwecken zu denken. Er stellte sich die Sache ursprünglich so 
vor, daß man eine Extremität in ein Gefäß mit Sublimatlösung 
bringt, welches als Anode, und eine andere in ein zweites Metall- 
geffiß, welches als Kathode wirkt. Dadurch wird bewirkt, daß der 
ganze Strom, der in den Körper eintritt, auch in diesem bleibt und 
durch die andere Elektrode wieder austritt. Nach diesem Principe 
hat er nun folgenden Versuch gemacht. Er ließ seine Hände in 
2 mit verdünnter Methylviolettlösung gefüllte Gefäße, in denen sich 
Zinkplatten als Elektroden befanden, eintauchen und schickte nun 
einen Strom von 15—20 Milliamperes durch 5—10 Minuten hin¬ 
durch, und nun zeigte sich, daß an der Anode die Mündungen 
sämmtlioher Follikeln mit Methylviolett gefärbt waren und an der 
Kathode nicht; es ist also der gelöste Körper an der Anode in die 
Haut eingedrungen. Als nun Ehemann Prof. Gärtner aufforderte, 
gemeinsam mit ihm Versuche über die Kataphorese vorzunehmen, 
proponirte dieser, um den ganzen Körper der Kataphorese zu unter¬ 
ziehen , die Versuche in dem von ihm construirten Zweizellenbade 
vorzunehmen. Bei diesem Bade wird der Zweck, den Strom durch 
den Körper und nicht neben diesen vorbei zu leiten, dadurch erzielt, 
daß der in einer Wanne liegende Körper durch eine enganliegende 
Scheidewand, welche die Wanne in 2 Theile theilt, gezwungen wird, 
mit der oberen Hälfte in einem, mit der unteren in einem zweiten 
Gefäße zu liegen, ähnlich wie bei der von Ehrmann angeregten 
Anordnung, und daß in der einen Zelle eine Zinkplatte als Anode, 
in der andern eine als Kathode sich befindet. 

Ein Strom von einer bestimmten Stärke kann nun 500roal 
soviel Flüssigkeit in einen porösen Körper einbringen, als er zu 
gleicher Zeit durch Elektrolyse zu zersetzen vermag. 

In diesem Bade wurden zunächst drei Gesunde der Kataphorese 
von Sublimat unterzogen, und zwar anfangs sehr vorsichtig mit blos 
4 Grm. Sublimat bei einer Stromstärke von 100 Milliamperes und 
einer Dauer von 15—20 Minuten. Bereits am Tage nach dem Bade 
zeigten sich qualitativ nachweisbare Quecksilbermengen und dann 
Mengen zwischen l - 4 und 1‘9 Mgrm., die binnen 8 Tagen ver¬ 
schwanden. In einem Falle , der einen Badediener betraf, war das 
Quecksilber bereits am 4. Tage geschwunden, wahrscheinlich weil 
derselbe tagsüber im Dampfraume arbeitete. Da nun nach dem Ver¬ 
suche von Ehemann das Eindringen der Flüssigkeit besonders durch 
den Drüsenapparat erfolgt, so wird in diesem Falle die reichliche 
Secretion das Sublimat wieder aus dem Follikularapparat heraus¬ 
getrieben haben. Ueber diese Fälle wurde schon früher berichtet. 
Die weiteren Versuche wurden an Sypliiliskrauken angestellt; im 
Ganzen wurden 34 Kranke der Kataphorese unterzogen, die meisten 
ans Ehrmann’b Clientei; einige wurden ihm von anderen Collegen 
zugeaehickt, darunter waren 3 Kranke im Eruptionsstadium mit 
Sclerose. Der eine hatte ein starkes Oedema indurativum mit 
Phimosis und ein lenticul.-papul. Syphilid. Er bekam 15 Bäder bei 
150 M.-A. Stromstärke und 30 Minuten Dauer, das Bad enthielt 


8 Grm. Sublimat; demselben wurden ursprünglich 60 Grm. Schwefel¬ 
säure zugesetzt, um die Kalksalze, die mit Sublimat eine unlösliche 
Verbindung geben, niederzuschlagen. Später wurde gekochtes Wasser 
in’s Bad gebracht, in welchem die Kalksalze herausgefällt waren, so 
daß ein Zusatz von Schwefelsäure, welche die kataphoretische Kraft 
des elektrischen Stromes herabsetzt, vermieden wurde. 

Nach 15 Bädern war die Phimosis rückgängig, das Exanthem 
geschwunden. Seither hat E. den Patienten aus den Augen ver¬ 
loren. Bei den anderen 2 Kranken wurden in dem einen Falle 
28, im andern 30 Bäder aogewendet. Beide hatten maculo - papulöse 
Syphilide und über haselnußgroße Sclerosen, welche nach den 
Bädern schwanden. Sie sind seit Mai in Beobachtung und zeigen 
derzeit noch keine Recidiven. 

An Secuudärformen der späteren Periode wurden 3 Fälle mit 
Psoriasis palmaris theils mit, theils ohne macul. Exanthem behandelt. 
In 2 Fällen, wo auch ein macul. Syphilid vorhanden war, wurden je 
35 Bäder gegeben, im 3. Falle, wo Psoriasis palm. allein bestand, 12 Bäder. 
Im letzteren Falle trat keine Rocidive ein, in den ersten 2 trat nach 
3 Monaten leichtes Exanthem mit Papeln auf der Zunge auf. 

Breite Condylome ad anum et ad genitalia wurden in 5 Fällen 
behandelt, davon einer aus der Beobachtung Gärtner’s. Nach 
8—10 Bädern schwanden die Erscheinungen; local wnrde in der 
Zwischenzeit nichts anderes angewendet, als Einstreuungen von 
Talcum venetum. Recidiven wurden in diesen Fällen bisher nicht 
gesehen. 

Die meisten der beobachteten Fälle zeigten Erscheinungen im 
Kehlkopf, Rachen und Mund, und zwar wurden von Ehemann selbst 
7 Fälle beobachtet. Die geringste Anzahl der Bäder, welche die 
Erscheinungen zum Schwinden brachte, war 6, die größte 18. Reci¬ 
diven erfolgten 3mal, einmal in einem Monat nach 8 Bädern, zwei¬ 
mal in 3 Monaten nach 9 und 11 Bädern. Dazu kam noch eine 
große Zahl von Fällen, die in der Beobachtung des Herrn Prof. Störk 
stehen und deren Verlauf ein sehr günstiger ist. 

Von sehr schweren Formen wurden 2 behandelt; der eine 
betraf ein recidivirendes kleinpapulöses Syphilid, 4 Jahre nach der 
Infeotion mit Papeln im Munde. Die Papeln schwanden nach dem 23., 
das Syphilid nach dem 48. Bade. Der zweite Fall betraf eine arme, 
sehr herabgekommene Frau. 

Sie hatte ein großpapulöses schuppendes Syphilid, eine Iritis 
mit starker Chemosis und Synechien. Die Patientin bekam die Bäder 
zuerst jeden 3., daun jeden 2. Tag, dann täglich. Nach dem 9. Bade 
traten leichte Diarrhöen auf, die nach Aussetzen der Bäder durch 
Decoctum Salep leicht gestillt wurden. Nach dem 15. Bade war die 
Chemosis geschwunden. Nach dem 22. Bade mußte, da die Patientin 
Influenza bekam, die Behandlung auf 14 Tage ausgesetzt werden. 
Die Iritis machte keine Fortschritte. Nach 38 Bädern war bis auf 
2 kleine, den Synechien entsprechende Stellen die Ciliarröthe ge¬ 
schwunden und blieb es bis zum 54. Bade, da bekam Pat. einen 
heftigen Bronchialcatarrh, der Bettruhe und Anssetzen der Bäder 
nothwendig machte. Am 10. Tage war, ohne daß das zuerst 
erkrankte Auge beträchtlich erkrankt gewesen wäre, am linken 
Augo Ciliarröthe und eine frisch entstandene Synechie nachweisbar. 

Pat. bekam nun 5 Einreibungen, worauf alle Erscheinungen 
schwanden und die Kranke bis heute (nach 3 Monaten) frei ist. In 
diesem scheinbar uugünstigen Falle zeigte sich gleichwohl die Wir¬ 
kung der Kataphorese, denn die Kranke bekam wiederholt Diarrhöen, 
die nach Aussetzen der Bäder sistirten. Recidiven der Iritis gehören 
übrigens bei jeder Behandlungsform fast zur Regel. So hat Ehrmann 
einen Fall erlebt, wo bei einem Pat. eine Excision der 8clerose und 
30 Präventiveinreibungen gemacht worden waren. Im 3 Monate nach 
der Infection bekam er eine Iritis, die auf 5 Eiureibungen schwand, 
wenige Tage darauf eine Iritis papul., die 40 Einreibungen bis zum 
Schwinden brauchte, und 5 Tage nach Aufhören der Cur zeigte sich 
wieder Ciliarröthe, die wieder Einreibungen nothwendig machte. 

In 14 Fällen wendete Ehemann die Subliraatbäder zur inter- 
mittirenden Therapie an, und zwar wurden je nach Bedarf 12 bis 
15 Bäder verabreicht. Recidiven zeigten 2 Fälle. 

An Intoxicationserscheinungen wurden in 2 Fällen Diarrhöen 
gesehen, in einem Falle trat Ptyalismus, in einom andereu Falle ein 
schuppendes Eczem auf, das nach Behandlung mit Wilsonsalbe uud 


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1757 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


Einstreuungen von Reispuder heilte. In pathologischen Fällen wurde 
bei 4 der Harn einer Analyse unterzogen. 

Der Harn eines Kranken, der schon vor 4 Jahren Quecksilber 
angewendet batte, zeigte nach dem 45. Bade 1*9 Mg. Quecksilber, 
der zweite eines bisher Unbehandelten nach dem 30. Bade 1*4 Mg., 
der dritte, von Gärtner beobachtete nach dom 20. Bade 1*9 Mg. 
und der vierte nach dem 16. Bade 0-6 Mg. Quecksilber im Harn. 

In letzter Zeit wurden die Bäder jeden oder jeden zweiten 
Tag verabreicht und 12 Grm. Sublimat dem Bade zugesetzt, so daß 
es sich auf beide Zellen gleichmäßig vertheilt. Die Stromstärke be¬ 
trägt 200 M.A.. die Dauer eine halbe Stunde. Der Strom wird nach 
einer viertel Stunde umgekehrt, denn da das Eindringen der Sublimat- 
lösung nur an der Anode geschieht, so wird mit der Zeit so viel 
eingedrungen sein, daß ein Plus nicht mehr durch den Follicular- 
apparat eindringen kann, daher muß der Strom umgekehrt werden, 
damit die frühere Kathode zur Anode wird. 

Werden diese Ergebnisse zusammengefaßt, so erhellt daraus, 
daß man im Stande ist, durch Kataphorese Quecksilber in solcher 
Menge in den Organismus zu bringen, daß sie zu therapeutischen 
Zwecken hinreicht. Ueber die Stellung derselben zu anderen Appli- 
eationaweisen müssen noch weitero Versuche angestellt werden, und 
es ist zu hoffen, daß bei entsprechender Genauigkeit in der 
Durchführung, dieselben ein gutes Resultat liefern werden. A. 


Notizen. 

Wien, 1. November 1890. 

Das NoYember-AYaneement der Militärärzte. 

Die Militärärzte haben auf das diesjährige November-Avancement 
von vornherein keine großen Hoffnungen gesetzt, allein daß es so 
karg ausfallen werde, wie es sieh nun thatsächlich darstellt, hätte 
kaum Jemand erwartet. Von einem Corps, welches organisations¬ 
gemäß 981 Personen zählt, wurden 27, d. i. 2*7°/ 0 , befördert, und 
zwar zwei zn Oberstabsärzten I. Classe, einer zum Oberstabsarzte 
II. Classe, drei zu Stabsärzten, neun zu Regimentsärzten I. Classe 
und zwölf zu Regimentsärzten II. Classe. Die zu Stabsärzten Er¬ 
nannten haben 18*/ a Jahre in der Charge der Regimentsärzte zu- 
gebraebt, der zum Oberstabsarzte II. Classe beförderte Stabsarzt bat 
GVj Jahre in seiner bisherigen Charge gedient. — Der Eindruck 
dieses an anderer Stelle der vorliegenden Nummer publicirten 
Avancements auf das Gros der Militärärzte ist geradezu deprimirend, 
und allgemein wird die Frage aufgeworfen, wohin es mit dem 
militärärztlichen Corps kommen soll, wenn es für alle seine Leistungen 
im Dienste und in der Wissenschaft diese stiefmütterliche Behänd- j 
lung über sich ergeben lassen muß. Der länger dienende Militärarzt 
sieht im Laufe der Jahre rings umher in allen Waffengattungen 
und Branchen seine Alters- und ehemaligen Schulgenossen, denen 
er weder an Begabung und Kenntnissen, noch an Eifer und That- 
kraft nachsteht, in raschem Fluge die Stufen der militärischen 
Hierarchie hinanklimmen, während er, wie „der ruhende Pol in der 
Erscheinungen Flucht“, als Regimentsarzt alt und grau geworden, 
sich glücklich schätzen muß, wenn er als Fünfziger die Stabsarztes¬ 
charge erreicht. 

Das Sanitäts-Reglement verlangt vom Militärärzte „Humanität, 
Disciplin, strenge Ehrenhaftigkeit, militärischen Tact, Energie und 
hingebungsvolle Aufopferung für den Dieust“. Wenn 
der Armee-Sanitätsleitung daran liegt, diese Tugenden im militär¬ 
ärztlichen Corps zu wecken, zu pflegen und zu erhalten, dann muß 
sie sich endlich einmal zu energischen Schritten aufraffen, um Ma߬ 
regeln durchzusetzen, die geeignet wären, das Gefühl der Zurück¬ 
setzung im Corps nicht weiter tiberhandnehmen zu lassen. Das 
Interesse der Schlagfertigkeit der Armee setzt bei allen Organen 
und Branchen Lust und Liebe zum Berufe voraus; umsomehr ist 
dies bei einem Corps der Fall, dessen Beruf an und für sich, mehr 
als andere, Selbstverleugnung und Aufopferung verlangt. Wo aber 
das Gefühl der Zurücksetzung sich einnistet, da können Lust und 
Liebe, Hingebung und Aufopferung nicht gedeihen. 


(Heilung der Tuberculose.) DieAufmerksamkeit, welche 
das große Publicum und mit ihm die Tagesblätter den Fortschritten 
der Heilkunde seit jeher zuwandten, wurde in jüngster Zeit durch 
Robert Koch’s Vortrag in der ersten allgemeinen Sitzung des 
Berliner Congresses in hohem Grade erregt. Die von dem berühmten 
Bacteriologtn mit echt wissenschaftlicher Zurückhaltung zugegebene 
Möglichkeit, Versuchsthiere gegen Tuberculose refraetär zu machen, 
beziehungsweise inficirte Thiere zu heilen, sowie die vou der Publi- 
cistik dos Oefteren hervorgehobene Meldung von klinischen Versuchen 
Kocb’s an Kranken der Charite, hat die große Masse der Phthisiker 
mit neuen, von der Tagespresse kräftig geschürten Hoffnungen er¬ 
füllt. In jüngster Zeit ist die Erregung der Menge derart gestiegen, 
daß die Fortsetzung der Versuche durch die Ungeduldigen ernstlieh 
gefährdet erscheint. Ob es im Interesse der folgenschweren Studien 
und Untersuchungen Koch’s gelegen ist., wenn die Tagesblätter schon 
heute mit dem Schlagworte: „Das Problem der Heilbarkeit der 
Schwindsucht ist gelöst“ ihrem Sensationsbedürfnisse zu genügen 
belieben, wollen wir dahingestellt sein lassen. Bisher hat Koch seit 
dem 4. August, dem Tage seines Vortrages, auch nicht ein Wort 
über den Stand seinor Versuche an Thieren oder Menschen verlauten 
lassen. Wenn der Vorsitzende des Vereines für innere Mcdicin in 
Berlin, Geh.-R. Leyden, gelegentlich eines Berichtes über Asyle für 
Schwindsüchtigo bemerkt hat, die Frage der Therapie der Phthise 
verspreche gegenwärtig eine entscheidende und ungeahnt glückliche 
Wendung zu nehmen, so ist dies sicherlich ein Wort, welches die 
medicinische Welt mit neuen Hoffnungen und berechtigter Spannung 
auf das Kommende zu erfüllen vermag, jedoch kein Grund, den 
sorgsam prüfenden Gelehrten in Arbeiten zu stören, deren günstige 
Resultate der Heilkunde neue, ungeahnte Woge, der Menschheit 
erfolgreiche Bekämpfung eines sie decimirenden Leidens eröffnen. 

(Das Wiener medicinische Doctoren-Collegium) 
hielt am 27. d. M. eine wissenschaftliche Versammlung ab, in 
welcher Hofrath Ludwig eine Reihe von Vorträgon über den gegen¬ 
wärtigen Stand der Chemie des Blutes eröffnete. Der Vor¬ 
tragende gab zunächst eine elementare Darstellung der bekannten 
Thatsachen von der Zusammensetzung des Blutes (aus Blutkörperchen, 
Blutplasma, resp. Serum und Fibrin), führte die verschiedenen Ver¬ 
fahren zur Trennung dieser Bestandteile von einander vor und 
ging hierauf zur Besprechung der einzelnen Elemente des Blutes 
über, mit dem wichtigsten, den Blutkörperchen, beginnend. Den 
instructivsten Theil des, im Ganzen nur einleitenden Vortrages 
bildete die Projection der Spectra der verschiedenen Blut-, resp. 
Hämoglobinarten (reducirtes Hämoglobin, Oxyhämoglobin, Kohlen¬ 
oxyhämoglobin etc.) mittelst eines elektrischen Apparates. 

(Personalien.) An Stelle des verstorbenen Obersanitäts- 
rathes Prof. v. Barth ist der Professor und Stabsarzt Dr. Florian 
Kratschmer für die restliche Dauer der laufenden Fnnctionsperiode 
als ordentliches Mitglied in den obersten Sanitätsrath einberufen 
worden. — Der Bezirksarzt in Suczawa, Dr. Basil Kluczenko, 
ist zum Landessanitätsreferenten und Regierungsrathe bei der Landes¬ 
regierung des Herzogthums Bukowina ernannt worden. 

(DieOrganisirungdesGemeinde-Sanitätsdienstes 
in den Landtagen.) Von den 17 Landtagen der im Reichsratbe 
vertretenen Königreiche und Länder haben bekanntlich bisher zehn: 
Dalmatien, Istrien, Mähren, Kärnten, Tirol, Vorarlberg, Krain, 
Böhmen, Niederösterreich und die Bukowina Landes-Sanitätsgesetze 
beschlossen, welche in allen Ländern, bis auf Niederösterreich und 
die Bukowina, - bereits durchgeführt oder in Durchführung begriffen 
sind. In Niedoröstorreich, Oberösterreich und Steiermark haben die 
Landtage den Landesausschüssen bestimmte Beträge zur Subven- 
tionirung von Gemeinden zum Zwecke der Anstelluug von Gemeinde¬ 
ärzten zur Verfügung gestellt, und gelangen die Berichte der be¬ 
treffenden Laudesausschüsse über die Verwendung dieser Subventions¬ 
beträge zur Vorlage an die Landtage. Desgleichen werden, wie 
wir dem „Oestcrr. Sanitätsw.“ entnehmen, Berichte der Landes- 
ausschU8se in Krain und Mähren über den Stand und die Fort¬ 
schritte der Sanitätsorganisation und in Mähren die Petitionen der 
Districtsärzte um Verbesserung ihrer materiellen Stellung und um 
Gründung eines Pensionsfonds für Gomeindeärzte zur Verhandlung 
gelangen. In den Landtagen von Steiermark und Salzburg 


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1759 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1760 


ist über die in früheren Sessionen, und zwar im ersteren Lande 
von der Regierung, im letzteren vom Landesausschusse selbst vor- 
gclegten Entwürfe von Laudes-Sanitätsgesetzen noch nicht endgiltig 
verhandelt worden und steht die diesfällige Entscheidung bevor. Im 
Landtage des Königreiches Galizien hat die Regierung einen nach 
den Principien des für das Königreich Böhmen gütigen Landes- 
Sanitätsgesetzes neubearbeiteten Gesetzentwurf als Regierungsvorlage 
eingebracht. Die Laudtago, welche Laudes Sanitätsgesetze noch 
nicht beschlossen haben, sind demnach jene von Görz und Gradisca. 
Steiermark, Oberösterreich, Salzburg, Schlesien und Galizien. 

(Ein Nachruf.) Die „Witwen- und Waisen-SocietÄt des 
Wr. ined. Doctoren-Collegiums“ hat den Manen des zu Beginn dieses 
Jahres verstorbenen, um die Societät, deren langjähriger Actuar er 
gewesen, hochverdienten Dr. Adolf Gersten einen warmen, dank¬ 
erfüllten Nachruf gewidmet. Sicherlich wird Jedermann dem Dahin¬ 
gegangenen , welcher als College und Mensch allgemeine Achtung 
genoß, ein warmes Andenken bewahren, welches auch durch den 
Umstand sicherlich nicht beeinträchtigt wird, daß Dr. Gerstel, eine 
therapeutische Richtung verfolgte, deren wissenschaftliche Anerkennung 
noch ausstcht. Er war Homöopath. Ob es jedoch geboten war, 
dies im Nachrufe besonders zu betonen, wollen wir dahingestellt 
sein lassen. Hier heißt es: 

„ln Wien war Dr. G. ein Pionnier der Homöopathie, eenoß bei 
seinen homöopathischen Collegen das allergrößte Ansehen, indem es vor¬ 
zugsweise der einflußreichen und vermittelnden Ste'lung des bei den 
Professoren uud bei den Praktikern beliebten und hochgeachteten Dr. G. 
zu/nschreiben wa-, daß dio Homöopathie inWien und in Oester¬ 
reich-Ungarn m eh r Geltu u st und Verbreitung gefunden hat.“ 

Gemach, Panegyriker! So steht die Sache denn doch nicht. 
Glaubt man wirklich, daß die allgemeine Achtung, welcher der 
verdienstvolle Actuar der Societät in ärztlichen Kreisen, bei Pro 
fessoren und Collegen, sich erfreute, auch nur einen wissen¬ 
schaftlich gebildeten Arzt für Hahnkmann’s Lehre gewonnen hat? 
Ebensowenig, wie nicht etwa die Hochachtung vor dem „selbstlos“ 
wirkenden neuesten Messias der Naturheillehre, Pfarrer Kneipp, 
sondern andere Motive Schüler und Nacheiferer gezeitigt haben. 
Solche Ansprüche machte der pflichtgetreue Sncietäts - Fuüctiouftr 
wohl s Ib.-t nicht; es war nicht klug, hieran zu rühren. 

(Zur Organisation der Prager freiwilligen 
Rcttungsgesellschaft) wird uns aus Prag berichtet: Die vom 
Magistrate eingesetzte Commission zur Ausarbeitung einer Instruction 
für die freiwillige Rettungsgesellschaft hat in ihrem Elaborate die 
Grundsätze festgestellt, nach welchen die freiwillige Rettungsgesell¬ 
schaft ihre Wirksamkeit auf breiter Basis und mit Hinzuziehung 
der praktischen Acrzte in ersprießlicher Weise organisiren könnte, 
zu welchem Zwecke auch die hier bestehenden beiden ärztlichen 
Vereine um ihre active Betheiligung angegangen werden sollen. Als 
Aufgabe der freiwilligen Rettuugsgesellscbaft wird die rasche Hilfe¬ 
leistung bei Unglücksfällen und schleunige Beföiderung der Ver¬ 
unglückten oder Erkrankten in die öffentlichen Anstalten oder ihre 
Privatwohnungen bei Tag und Nacht festgestellt. Die ärztlichen 
Agenden der Gesellschaft bat ein Arzt zu leiten. Der ärztliche 
Dienst beim Tage ist unentgeltlich, der ärztliche Nachtdienst wäre 
zu honoriren, wie dieses beispielsweise in Paris geschieht. Außerdem 
ist im Interesse einer raschen Hilfeleistung nach Maßgabe der zu 
(iebote stehenden Hilfsmittel die Errichtung mehrerer Stationen in 
entsprechenden Distanzen wünschenswert^ Die Wachen in den 
Stationen sind von Medicinern zu versehen, welche zu diesem 
Zwecke eigens heranzubilden wären ; selbstverständlich werden die 
Leistungen derselben nicht honorirt. Die Reltungsgesellschaft darf 
die ihr ursprünglich gesteckten Grenzen nicht überschreiten, ihre 
Stationen dürfen nicht als Poliklinik betrachtet werden, weshalb 
keine ärztliche Ordination in denselben ertheilt werden darf; sie 
haben ausschließlich als Zufluchtsstätte für Verletzte, Verunglückte und 
plötzlich Erkrankte zu dienen. — Bei strenger Beobachtung dieser 
Grundsätze kann die Gesellschaft voraussichtlich auf die werk¬ 
tätige Unterstützung und Förderung der hiesigen ärztlichen Corpo- 
rationen und praktischen Aerzte rechnen. 

(Aus St. Petersburg) schreibt man uns: Die Regierung 
hat kürzlich die Gründung eines ärztlichen Vereines genehmigt, 


welcher neben wechselseitiger materieller Unterstützung im Falle 
der Noth und Gründung von Asylen für Witwen und Waisen seiner 
Mitglieder den Zweck verfolgt, die gesetzlichen Interessen der 
Mitglieder zu vertreten und das Verhältniß der Aerzte unter ein¬ 
ander und dem Publikum gegenüber zu regeln. Für die Unter¬ 
suchung von Mißverständnissen zwischen Vereinsmitgliedern, sowie 
von Anklagen gegen dieselben wegen „tadelnswerther, mit dem 
ärztlichen Berufe unvereinbarer Vergeheu“ wird ein Ehren¬ 
gericht eingesetzt, welches die Ausschließung aus dem Vereine 
beantragen kann, die von der allgemeinen Versammlung zu beschließen 
ist. Die hiesigen Fachjournale glauben in der Gründung dieses 
Vereines, dessen Mitgliedschaft durchaus nicht obligatorisch ist, den 
ersten Schritt zu einer als nothwendig bezeiehneten Standesorgani¬ 
sation erblicken zu können. 

(H nmanitär es.) Das auf Anregung des Dr. Adalbeet Staubeb vom 
Vereine r Humanitas J gegründete Becon valescentenheim für arme 
Wöchnerinnen, welches durch Adaptirung eines zweiten Hanses auf einen 
Belegraum von 15 Betteu erweitert wurde, feierte am 26. v. M. in Anwesenheit 
zahlreicher Gönner die feierliche Eröffnung des neuen Tractes. 

(Statistik.) Vom 19. bis inclusive 25. October 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4243 Personen behandelt. Hievon wurden 802 
entlassen; 85 sind gestorben (9*6°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthaltereials erkrankt gemeldet: An 
Diphtherilis 40, cgyptischer Angenentzündung 6, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 10, Dysenterie —, Blattern 20, Varicellen 47, Scharlach 53, 
Masern 101, Keuchhusten 39, Wundrothlauf 22. Wochen bettfieber 2. — In 
der 43. Jahreswoche sind in Wien 281 Personen gestorben (—22 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Greifswald der Curator 
der dortigen Universität, Prof. Drechsler, 58 Jahre alt; in 
Gießen der cm. Professor der Chemie, Dr. Heinrich Will, Schüler 
und Nachfolger Liebig’s, im 79. Lebensjahre; in Madrid der Pro¬ 
fessor der Chirurgie Dr. Esdeba-Sanchkz Ocana. 


Die bekannte strebsame und leistungsfähige Engel-Apotheke von C. 
Hauhner in Wien wurde bei der Land- u d forstwirtschaftlichen Aus¬ 
stellung für ihre modernen veterinarärztlichen Arznei formen tuit der silbernen 
Staatsmedaille ansgezeichnet 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


November-Avancement. 

Ernanntwurden: A. Im militärärztlichen Officierscorjts: z n 
Oberstabsärzten I. CI.: die O.-St.-A. II. CI.: DDr F. Laufberger 
und F. Hackenberg; — zum Oberstabsarzte II. CI.: der St.-A.: 
Dr. L.Großmann; — zu Stabsärzten: die R.-A. I. CI.: DDr. T. Fe tte r, 
S. Mandich und W. Sieber; — zu Regimentsärzten I. CI : "die 
It.-A. II. CI.: DDr. E. Mild, St. Balko, C. Emeritzy, G. Knodt, 
F. Heiek, J. Schwarz, S. Bass, J. Turcsa and W. Kostliw^; — 
zu Regimentsärzten II. CI.: die O.-A.: DDr. F. Snlda, L. Niemil o- 
wicz, H. Rump. L. Wen ger, A. Farkas, E. v. Celebrini, E. Kadoss, 
F. Müller, N. Feldmann, E. György, I. Tritsch und M. Kovacs. 

B. Im marineärztlichen Officierscorps: zum Marine-Ober- 
stabsarzte I. CI.: den M.-O.-St.-A. II CI.: Dr. C. Fleischmann; — 
zum Marine-Oberstabsarzte II. CI.: den M.-St.-A : Dr. M Endlich; 
— zum Marine-Stabsarzte: den Lin.-Sch.-A.: Dr. W. Sachs; — zu 
Linienschiffs - A ersten: die Freg.-A.: DDr. M. Pillwax und R. 
Fischer; — zn Fregatten-Aerzten: die Corv.-A.: DDr. W. Kransz, 
J. Peöirka und E. Mysula. 

C. Im landicehrärztliehen Officierscorps (und zwar im nicht 
activen Stande): zu Regimentsärzten I. CI.: die R.-A. II. CI. 
DDr. R. Paltauf, P. Xidias, F. Wisshaupt, J. Villat, L. Winter¬ 
nitz, A. Plöchl, G. Feder, R. Perger, C. Wachsmann, E. Lebe- 
dowicz; — zu Regimentsärzten II. CI.: die O.-A.: DDr. J. G r ö ßin ger, 
C. Fleischmann, J. Prns, E. Porndorfer, A. Je?., C. Blodig, 
R. Wintornitz, H. Maschke, A. Planner v. Plann, J. Dazlez, 
A. Kf-iz, P. Veik, C. Midowicz, H. Peters, R. Würz, S. Kräsa, 

J. Voigt, J. Strasser, J. Raab, R. Weiser, C. Knoflach, A. Kocay, 

K. R. v. Sobolewski, F. Hattinger, J König, W. Anton, L. v. 
Bnkowski-Osoria, A. Herschmann, H. Kahane and M. Davido- 
vicz; — zu Oberärzten: die Assistenzärzte: DDr. H. Fraenkel, J. 
Posch, M. Klans, J. Hirschkron, O. Klumpar, A. Holitscher, 
W. Kobryhski, I. Silberstein, E. Zirm, A. Wackerle und J. 
Bloch; — zu Assistenzärzten: die DDr. d. ges. Heilk.: G. Ei singer, 
W. Schnürch und L. Hand. 


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Nr. 45. 


Sonntag den 9. November 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse' erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Gross-t^nart-Format stark. Hiezu eine Eeihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage. aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der ,,Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abounementspreise: „MedLz. Presse' und „Wiener Klinik “ 
Inland: Jährf. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk-, viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei ollen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mediz. Presse" in WienJ., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

-"3ie*- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Ueber schützende, regelnde und ausgleichende Vorgänge im Organismus. Von Prof Dr. Philipp Knoll 
in Prag. — Ein Beitrag znr Frage der Selbstständigkeit der Röthelu. Von Dr. J Widowitz in Graz. — Aus der Klinik des Prof. v. Koränti in 
Budapest. Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers von verschiedener Temperatur und Menge auf das gesunde und kranke Herz. Von 
Dr. Mohiz Stbickkr und Dr. Wilhklh Friedrich. — Referate und literarische Anzeigen. Sahli (Bern): Ueber Auswaschung des menschlichen 
Organismus und über den Werth und die Methoden der Wasserzufubr. — Lehrbuch der Kinderkrankheiten. Von Prof. Dr. Alfred Vogel in 
Mönchen. — Lehrbuch der Kinderkrankheiten in knrzgefaßter systematischer Darstellung. Zum Gebrauche für Stndirende und Aerzte von 
Dr. Ludwig Ungeb, Docent für Kinderheilkunde an der k. k. Universität zu Wien. — Feuilleton. Die ungarische baineologische Landes-Conferenz. 
(Orig.-Corr.) II. — Kleine Mittheilungen. Ueber die Zusammensetzung und Verwendbarkeit des käuflichen Saccharins. — Das Gurjunöl als 
Expeclorans. — Die Sonnenblume (Helianthus annnus) gegen Sumpffieber. — Zur Identitätsfrage der Pocken und Varicellen. — Ueber die Wirkung des 
Atropin auf den Darmcanal in Hinsicht auf die Behandlung eingeklemmter Unterleibsbrücha mit Belladonna und Atropin. — Verhandlungen ärztlicher 
Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein deutscher Aerzte in Prag. (Orig.-Ber.) — Königl. Gesellschaft der 
Aerzte in Budapest. (Orig.-Ber.) — X. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4.—9. Augnst 1890. (Orig.-Ber.) XIV. — 
Notizen. Aus Berlin. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber schützende, regelnde und ausgleichende 
Vorgänge im Organismus. 

Von Prof. Dr. Philipp Knoll in Prag.*) 

Eine mächtige Bewegung ist auf den verschiedensten 
Gebieten des Wissens durch die Entwicklungslehre Darwin’s 
angefacht worden; die Schlagworte: Vererbung, Anpassung, 
Auslese haben umgestaltend auch auf Wissenszweige einge¬ 
wirkt, welche scheinbar den Naturwissenschaften ferne liegen; 
das Schlagwort vom Kampf um’s Dasein ist selbst im physi¬ 
kalischen Denken aufgetaucht. 

Wie im öffentlichen Leben, haben auch in der Wissen¬ 
schaft Schlagworte oft Unheil angestiftet, manchmal jedoch 
hat ein in denselben enthaltener Gedanke sich später segens¬ 
reich entfaltet, wie die weiteren Schicksale der in Gall’s 
Schädellehre enthaltenen Gedanken und insbesondere die Lehre 
von dem parasitären Ursprünge der Krankheiten beweisen. 
Als in der Mitte des 17. Jahrhundertes der gelehrte Jesuit 
Athanasius Kircher mit Hilfe einer einfachen Linse im Blute 
und Eiter der Pestkranken zahllose „Würmchen“ entdeckt zu 
haben glaubte, vermuthlich die Blut- und Eiterzellen von heute, 
führte man alsbald das ganze Heer von Krankheiten auf diese 
vermeintlichen „Würmchen“ zurück, und es entstand damals 
schon eine Pathologia animata, die in den beiden folgenden 
Jahrhunderten in der verschiedensten Form wieder auflebte, 
bis sie endlich in der Gegenwart wissenschaftlich begründet 
wurde. 

In einem gewissen Sinne hat auch das Schlagwort vom 
„Kampf um’s Dasein“ eine günstige Vervollkommnung erfahren. 
Seitdem Empedocles den Haß als eine gestaltende Kraft für 
die Materie erklärte, deren Verschiedenheiten aus der Verbin- 

*) Vortiag, gehalten am 24. Octoher 1890 bei der Installation znm 
Rector der deutschen Universität in Prag. — Orig.-Stenogramm der „Wiener 
Med. Presse“. 


düng und Trennung von 4 Urstoffen entstehen sollten , und 
Heraklit den Streit als den Vater der Dinge bezeichnete, 
sind mehr als 2200 Jahre vergangen, bis der Gedanke, daß 
der Kampf in der organischen Welt ein wesentliches Mittel 
für die Vervollkommnung derselben sei, wissenschaftlich be¬ 
gründet worden ist. Der Kampf der organischen mit der an¬ 
organischen Außenwelt, der Kampf der Organismen und ihrer 
Theile mit einander, sind nach und nach als solche Vervoll¬ 
kommnungsmittel erkannt worden. Der Gedanke, daß aus dem 
Kampfe sehr viel Gutes entspringt, wirkt tröstend in unserer 
an Kämpfen so reichen Zeit. 

Schon lange vor dem ersten Athemzuge, den wir thun, 
haben wir mit allerlei Fährlichkeiten zu kämpfen, welche 
unsere Entwicklung und die Erhaltung unseres Normalzu¬ 
standes bedrohen, und diese werden umso größer, sobald die 
Außenwelt unmittelbar auf uns einwirkt. Ein gewisser Schutz 
ist dadurch gegeben, daß das Nervensystem des neugeborenen 
Kindes auf diese Einwirkungen nicht lebhaft reagirt, und daß 
die anfänglich geringe Erregbarkeit desselben nur in dem 
Verhältnisse der Angewöhnung auf diese Einwirkungen steigt; 
ein weiterer Schutz ist in der Mutterpflege gegeben, welche 
allzu heftige Einwirkungen der Außenwelt vom Neugeborenen 
abwehrt. 

In unserem weiteren Leben schützt uns bewußtes Wollen 
mit dem gewissermaßen selbstthätigen Wirken der Theile vor 
Schädlichkeiten; mit der allmäligen Entwicklung des Kindes 
zum Manne sehen wir auch ersteres dem letzteren gegenüber 
in den Vordergrund treten. 

Zur Schädlichkeit kann durch Uebermaß fast Alles, durch 
Mindermaß sehr Vieles werden, was von der Außenwelt auf 
uns einwirkt, vor Allem ein Uebermaß oder Mindermaß des¬ 
jenigen, was zur Erhaltung unseres Normalzustandes dient, 
wie Nahrung und Wärme. Nur bei Schwankungen in diesen 
Einwirkungen, die sich innerhalb gewisser Breiten halten, ver¬ 
mag der Organismus durch Herabsetzung oder Steigerung der 
Thätigkeit seiner Organe seinen Normalzustand zu erhalten. 
Bei dieser, die Thätigkeit der Organe den äußeren Lebens- 


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1771 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


1772 


bedingungen anpassenden Regelung kann ein bewußtes Ein¬ 
greifen stattfinden, im Wesentlichen jedoch vollziehen sich diese 
regelnden Vorgänge gewissermaßen mechanisch. Ist aber ein¬ 
mal durch eine Schädlichkeit eine Abweichung von unserem 
Normalzustände herbeigeführt worden, so können durch aus¬ 
gleichende Vorgänge im Innern des Organismus ohne jedes 
bewußte Eingreifen, die Verrichtungen der Organe wenigstens 
so weit erhalten werden, als zur Erfüllung ihrer wesentlichen 
Aufgabe nöthig ist. 

Schützende, regelnde, ausgleichende Vorgänge befähigen 
uns also, den Kampf um’s Dasein zu führen. In wunderbarer 
Weise hat die Natur diese Vorgänge den verschiedenen Lebens¬ 
bedingungen der thierischen Organismen angepaßt, und auch 
dort, wo wir selbstthätig eingreifen, wandeln wir meist nur 
bewußt oder unbewußt auf den Spuren , die sie uns vorge¬ 
zeichnet hat. 

Die hohe Zweckmäßigkeit der schützenden Vorgänge und 
das Eingreifen bewußten Willens bei vielen derselben verleitet 
uns, diese überhaupt auf bewußte Handlungen zurückzuführen. 
Die Unzulässigkeit dieser Meinung wird am besten durch die 
Flucht- und Abwehrbewegungen enthirnter Thiere bewiesen; 
selbst Schraerzlaute, welche als Schrecklaute, sowie als Hilfe¬ 
ruf eine Art von Schutzwirkung vorstellen, werden unter 
solchen Umständen noch ausgestoßen. Wahrscheinlich hat auch 
die Farben Veränderung gewisser Thiere, mit welcher sie sich 
vor der Entdeckung durch den Verfolger schützen, mit bewußtem 
Wollen Nichts zu thun, indem diese Anpassung auch bei eben 
geborenen Kopffüßlern zu beobachten ist. Auch spricht für 
diese Ansicht der Umstand, daß Licht unter Ausschluß der 
Wärmewirkung theils unmittelbar, theils durch reflectorische 
Vermittlung des Nervensystems Gestaltveränderungen der mit 
Farbstoff gefüllten Oberhautzellen und dadurch Farbenver- 
anderungen der Haut herbeiführen kann. 

Wenn also gegenwärtig in der Ausrüstung des Kriegers 
für den Felddienst Alles beseitigt wird, was das Auge des 
Feindes auf ihn zu lenken vermag, so haben wir in diesem 
erst aus vielen Erfahrungen erwachsenen, vorbedachten Handeln 
dasselbe vor uns, was sich in der Thierwelt gewissermaßen 
mechanisch vollzieht. 

Bei unserem bewußten Handeln zum Schutze gegen 
Schädlichkeiten leitet uns weniger die Ueberlegung als die 
Erfahrung, daß durch Einwirkung dieser Schädlichkeiten Un¬ 
lustgefühle in uns erzeugt werden. Durch diese Erwägungen 
geleitet, bat Pflüger in seiner Abhandlung über die teleolo¬ 
gische Mechanik der lebenden Natur den Satz aufgestellt: 
„Die Mechanik der Regulation ist relativ einfach und auf 
das Princip der Lust und Unlust basirt. Denn alle Bedingungen, 
welche für die Befriedigung der Bedürfnisse des Individuums 
und der Art vortheilhaft sind, pflegen im Allgemeinen die 
Lust zu erregen, während diejenigen, welche der Wohlfahrt 
schädlich sind* wegen Erzeugung der Unlust gemieden werden.“ 
Dieser Satz aber erklärt uns zwar, warum wir Einzelnes 
erstreben, Anderes vermeiden lernen, aber die eigentliche 
Mechanik der Regulation vermag er nicht zu erläutern. Eine 
große, wenn auch nicht die ausschließlich maßgebende Rolle 
scheinen hiebei die angeborenen Verknüpfungen im Nerven¬ 
system zu spielen, in Folge deren ein zur Reflexbewegung 
führender Erregungsvorgang in einem Sinnesnerven zunächst 
in der Regel die der Reizstelle benachbarten Muskeln in 
Thätigkeit versetzt. 

Reize von gleicher Stärke können vom Tastorgane aus, 
je nach der Beschaffenheit der getroffenen Fläche, Abwehr¬ 
bewegungen heivorrufen oder nicht. Berührung irgend einer 
Stelle der Oberhaut mit einem Kohlensplitterchen ruft kaum 
eine Sinneswahrnehmung, geschweige denn eine Reflexbewegung 
hervor, während derselbe Reiz, auf die Bindehaut des Auges 
applicirt, Lidschlag und Thränenabsonderung hervorruft. Das 
Auftreten des Unlustgefühles in letzterem Falle charakterisirt 
den Erregungsvorgang im Sinnesnerven trotz gleicher Reiz¬ 


stärke als einen weit beträchtlicheren, wie im ersten Falle. 
Und wenn wir sehen, wie solche für andere Körperstellen 
ganz unschädliche, mechanische Reize, welche nach Ausfall der 
Schutzreflexe in Folge Abstumpfung der betreffenden Nerven 
durch Eingriffe, oder im Verlaufe von Krankheiten ungehindert 
auf das Auge ein wirken, zur vollständigen Zerstörung des 
Auges führen können, so werden wir in jener besonders 
empfindlichen Reaction der Tastnerven am Auge eine Schutz¬ 
vorrichtung von höchster Zweckmäßigkeit erkennen müssen. 

Die Schleimhaut der Luftwege besitzt zwar keine so 
empfindliche Reaction gegen mechanische Reize, dafür aber 
finden wir sie fast überall mit Flimmerepithel bedeckt, durch 
dessen Bewegung der mit der Athemluft den Luftwegen zu¬ 
geführte Staub zum großen Theile wieder nach außen geschafft 
wird. Der trotz dieser Schutzvorrichtung in das Lungengewebe 
eingedrungene Staub wird durch eine andere Vorrichtung un¬ 
schädlich gemacht. Es sammeln sich nämlich um die Staub- 
theilchen, wie überall, wo ein Fremdkörper in den Organismus 
der höheren Thiere eindringt, die mit Eigenbewegung begabten, 
sehr an selbstständige Lebewesen gemahnenden weißen Blut¬ 
körperchen an, nehmen sie entweder in sich auf oder hüllen 
sie ein und machen sie auf dieselbe Weise unschädlich, wie 
die in das lebende Pflanzengewebe eingedrungenen Fremdkörper 
durch Zelltheilung in ihrer Umgebung abgekapselt werden. 
Im weiteren Sinne stellen diese Vorgänge eine jener Abwehr¬ 
bewegungen vor, wie sie auf mannigfache Weise an der Außen¬ 
fläche der thierischen Organismen zu Tage treten. Die letzteren 
aber lernt der Mensch allmälig durch bewußtes Handeln unter¬ 
drücken , sowie selbst das Lügen im weitesten Sinne ge¬ 
nommen eine Abwehrbewegung ist, die erst durch Erziehung 
beseitigt wird. 

Frei und ungehemmt waltet aucli beim Menschen das 
Spiel jener Reflexe, welche auf die Abhaltung von Schädlich¬ 
keiten gerichtet sind, die aus der unbelebten Welt auf ihn 
eindfingen. Als Beispiel mögen gewisse Schutzreflexe am 
Athmungsapparate dienen, welche das Eindringen von Flüssig¬ 
keiten, schädlichen Gasen und gröberen Fremdkörpern in die 
Lungen verhüten. Beim Frosch, bei welchem sich der Kehl¬ 
kopf nur unmittelbar vor der Respiration öffnet, genügt der 
Stillstand der Athembewegung, um den Kehlkopf durch An¬ 
einanderlegung der vor dem Kehlkopfein gange befindlichen 
beweglichen Falte abzuschließen. Da aber die Benetzung der 
Schnauze mit Wasser einen lang dauernden Stillstand der 
Athembewegung hervorruft, so erscheint hiedurch dieses Thier, 
das nach dem Zustande seiner Athmungsorgane für das Leben 
auf dem Lande bestimmt ist, für das Abwechseln mit dem 
Leben im Wasser angepaßt. Unter den Vögeln wird dieser 
Reflex in ähnlicher Dauer nur bei den Tauchern beobachtet. 
Da aber bei den Vögeln der obere Kehlkopf entsprechend ihrem 
Athmungsmechanismus auch außerhalb der Einatlimungszeit 
offen ist, so tritt hier als weiterer Schutzreflex eine kräftige, 
zum Verschluß des Kehlkopfes führende Gegenbewegung dieser 
beiden Falten bei allen den Kehlkopfeingang treffenden 
Empfindungsreizen auf. Eine fernere Schutzvorrichtung der 
Athmungsorgane ist der Hustenreflex, durch welchen die in 
die Luftröhre gelangten Fremdkörper wieder herausgeschleudert 
werden. Die hohe Bedeutung dieses Reflexes erhellt aus dem 
Umstande, daß selbst beim Menschen die Lähmung der diesen 
Reflex auslösenden Empfindungsnerven zur sogenannten Fremd¬ 
körperpneumonie führt. Beim Säugethiere, wo durch die ana¬ 
tomischen Verhältnisse ein Uebertreten von Fremdkörpern in 
die Nase beim Fressen und Saufen und dadurch eine Verlegung 
des engen Nasencanales begünstigt wird, dient als weiterer 
Schutzreflex das Niesen , wodurch der eingedrungene Fremd¬ 
körper aus der Nase entfernt wird. 

Alle die Schädlichkeiten, welche die genannten Reflexe 
auslösen, erregen zugleich Unlustgefühle, welche wir auf 
Grund eigener und fremder Erfahrungen scheuen, und so tritt 
zur mechanischen Abwehr durch die Reflexe auch noch das 
bewußte Vermeiden derselben hinzu. 


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1773 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 1774 


Auch die unbewußten regelnden Thätigkeiten zur Er¬ 
haltung unseres Normalzustandes können durch bewußtes Han¬ 
deln unterstützt werden, ohne jedoch jemals an ihre Stelle 
treten zu können. So kann z. B. die unzulänglich gewordene 
Regelung der Wärmebildung und Wärmeabgabe durch bewußtes 
Handeln in’s Gleichgewicht gebracht werden. Auch hier lehrten 
uns Unlustgefühle Vorkehrungen treffen, mit denen wir uns 
künstlich gegen die Erhöhung oder Erniedrigung unserer 
Eigenwärme schützen, wobei wir aber immer nur die ange 
borenen Einrichtungen in unserem Körper zur Regelung der 
Eigenwärme durch gewisse chemische und physikalische Vor¬ 
kehrungen nachahmen. Doch bestehen hinsichtlich dieser Vor¬ 
gänge bei Warmblütlern mannigfache Anpassungen, indem 
z. B. bei stark behaarten, nicht schwitzenden Thieren die Re¬ 
gelung der Eigenwärme durch Veränderung der Wärmeabgabe 
an der Oberfläche, welche beim Menschen eine große Rolle 
spielt, kaum in Betracht kommt. Wie verschieden der Wärme¬ 
haushalt beim Kaltblütler sich gestaltet, geht aus dem Um¬ 
stande hervor, daß bei demselben während des Hungems zahl¬ 
reiche Fetttropfen sich in den Muskelfasern finden , während 
beim hungernden Warmblütler alles Fett behufs Erhaltung 
der Eigenwärme verbrannt wird. 

Die Unlustgefühle, welche beim Menschen durch zu hohe 
oder zu niedrige Außentemperaturen erzeugt werden, regen zu 
bewußten Thätigkeiten an, welche eine Anpassung an Klima 
und Jahreszeiten bezwecken, wobei aber immer verschiedene 
unbewußte Verrichtungen im Körper zur Regelung des Wärme¬ 
haushaltes nachgeahmt werden. 

Und auch bei Bekämpfung der durch das Fieber 
bedingten Steigerung der Eigenwärme können wir nichts 
Besseres thun, als die Wege wandeln, welche uns die Natur 
vorgezeichnet hat, indem wir durch Erniedrigung der Außen¬ 
temperatur Steigerung der \V ärmeabgal e und durch Ruhe und 
Nahrungsentziehung Verminderung der Wärmebildung herbei¬ 
zuführen trachten. Alle die Fiebermittel. deren Wirkungen 
nach diesen genannten Richtungen hin uns unbekannt sind, 
deren schädliche Nebenwirkungen oft zu Tage treten, müssen 
beim vorsichtigen Arzte gegenüber jenen Grundsätzen in den 
Hintergrund treten. Der wichtigste und beste Theil des ärzt¬ 
lichen Handelns bei inneren Krankheiten besteht in der Stei¬ 
gerung der regelnden Thätigkeit des Organismus, einer ge¬ 
steigerten Ausscheidung von schädlichen Bestandtheilen im Blute, 
Steigerung der Herzthätigkeit bei Kreislaufsstörungen u. s. w. 
Die Heilsamkeit d«r meisten dieser Eingriffe war schon lange 
empirisch bekannt, bevor wir einen näheren Einblick in jene 
regelnden Vorgänge selbst erhielten, und wir sehen daher, 
daß wir auch durch die Wissenschaft zu nichts Anderem ge¬ 
langt sind, als zu einer Nachahmung des stillen Waltens der 
Natur. 

Bei Aenderung unseres Normalzustandes durch eine 
Schädlichkeit, welche den Ausfall der Verrichtung eines Or¬ 
ganes oder Organtheiles bedingt, vermag die Kunst nichts 
Anderes zu leisten, als die Beseitigung des veränderten Organs 
oder Organtheiles mit physikalischen oder chemischen Hilfs¬ 
mitteln ; einen Ersatz für den Ausfall vermag nur die Natur 
zu schaffen. So wird z. B. bei dem Ausfall einer lebenswichtigen 
paarigen Drüse, durch Steigerung der Thätigkeit und Massen¬ 
zunahme der anderen Drüse, Ersatz für das Verlorene geschafft. 
Mit dem Verluste sind aber auch zugleich die Bedingungen 
für den Ersatz selbst gegeben ; denn die im Blute angehäuften 
specifischen Stoffe, welche eben die Thätigkeit der Drüsen¬ 
elemente auslösen, rufen nicht allein vermehrte Thätigkeit, 
sondern auch vermehrte Blutzufuhr und Aufnahme von Nähr¬ 
stoffen in der anderen Drüse hervor. Auch bei Ausschaltung 
eii.es Theiles einer größeren Arterie führt der Ausfall selbst 
die Bedingungen für den Ausgleich herbei, indem in Folge 
des großen Druckunterschiedes zwischen den diesseits und 
jenseits der verlegten Stelle liegenden Abschnitten der Haupt¬ 
bahn viel mehr Blut als sonst durch die, beide Abschnitte 
verbindenden Seitenbahnen strömt und durch die Ausweitung 


dieser Gefäße und Verdickung ihrer Wände sich im Seiten¬ 
kreislauf entwickelt. 

Diese Fähigkeit des Wiederersatzes ist jedoch keine un¬ 
begrenzte, und wie sie in der Thierreihe umso kleiner ist, je 
höher entwickelt die Thiere sind, so mindert sie sich auch 
beim Menschen in dem Maße, in welchem er sich von dem 
Anfänge seines Lebens, wo er doch auch nur ein einzelliger 
Organismus ist, entfernt. Die Natur scheint in demselben 
Maße mit dieser Gabe zu sparen, je mehr ausgerüstet die 
Einzelwesen im Kampfe um’s Dasein sind. 

Die weise Sparsamkeit bei ihrer bildenden Thätigkeit 
können wir daran ermessen, daß sie die Stoffe zum Aufbau 
des Laiches bei gewissen Fischen den während der Laichzeit 
wenig in Anspruch genommenen Muskeln entnimmt, die wäh¬ 
rend eines vorhergegangenen Abschnittes vermehrter Thätigkeit 
stark an Masse zugenommen haben. 

Ohne Zweifel wird die fortschreitende Forschung noch 
eine Fülle von solchen feineren Merkmalen der Anpassung 
erkennen lehren, und gar Manches, was wir noch heute als 
Ausdruck bewußten Willens ansehen, dürfte sich als vom 
Willen unabhängige Folgewirkung physikalischer und chemi¬ 
scher Reize darstellen, und Manches, was uns als Zeichen hoher 
menschlicher Weisheit gilt, als ziemlich plumpe Nachahmung 
der Natur erweisen. 

Die Bedeutung der schützenden, regelnden und aus¬ 
gleichenden Einrichtungen für die Erhaltung des Normalzu¬ 
standes der Organismen ist in den letzten Jahrzehnten unter 
dem Eindrücke der großen Fortschritte, die man in der Kenntniß 
der Krankheitserreger gemacht hat, bei den Pathologen einiger¬ 
maßen in den Hintergrund getreten. Mehr und mehr aber 
bricht sich der Gedanke Bahn, daß die Vorgänge bei Er¬ 
regung von Krankheiten durch Bacterien sich nicht mit jenen 
vergleichen lassen, welche bei Culturen in irgend einem Nähr¬ 
medium stattfinden, und erst in jüngster Zeit hat ein hervor¬ 
ragender Pathologe in einer akademischen Rede den Kampf 
des menschlichen Körpers mit den Bacterien geschildert, wie 
sich die Gewebe gegen die Ansammlung, Vermehrung und 
Weiter Verbreitung derselben im Organismus zu schützen 
trachten. Aber nicht nur mit den die Infectionskrankheiten 
erzeugenden Bacterien, sondern noch mit vielen anderen äußeren 
Einwirkungen stehen wir in stetem Kampfe um die Erhaltung 
unseres Normalzustandes, und es hängt wesentlich von der 
angeborenen, zum Theil auch von der anerzogenen Vollkommen¬ 
heit in der Wirkung der schützenden, regelnden und aus¬ 
gleichenden Einrichtungen in unserem Organismus ab, ob wir 
in diesem Kampfe Sieger bleiben oder unterliegen. 

Die Erforschung der Ausbildung und Vervollkommnung 
dieser Einrichtungen ist eine der schwierigsten Aufgaben 
der Naturforschnng. Die immer weiter sich vollziehende Son¬ 
derung der Naturwissenschaften macht es dem Einzelnen 
möglich, seine Aufgabe innerhalb eines engeren Kreises viel 
besser zu lösen, als vordem. Wir sollen jedoch über der fach¬ 
lichen Sonderung nicht das Zusammenwirken vergessen, und 
ich schließe meine Auseinandersetzungen mit dem Wunsche, 
daß die Schranken zwischen den Forschern fallen, welche es 
heute so erschweren, daß Männer mit hochentwickeltem Können 
auf engerem Gebiete sich verbinden zur gemeinsamen Bear¬ 
beitung eines weiteren Gebietes. 


Ein Beitrag zur Frage der Selbstständigkeit 
der Rötheln. 

Von Dr. J. Widowits in Graz. 

Kaum eine Krankheit mußte sich so schwer ihre Selbst¬ 
ständigkeit erkämpfen, wie es bei den Rötheln der Fall war. 
Gegenwärtig dürfte die Zahl Derjenigen sehr gering sein, die 
an der Existenz der Rötheln noch zweifeln; unter den pädia¬ 
trischen Schriftstellern zögert nur noch Hknoch mit seinem 
definitiven Urtheile. Es werden so gewichtige Gründe in’s 

1* 


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1776 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


177G 


Treffen geführt, um die Selbstständigkeit der Rötheln darzu- 
thun, daß es geradezu unbegreiflich erscheint, wenn noch Jemand 
an derselben zweifelt, sobald er nur ein an Rötheln erkranktes 
Kind zu untersuchen und zu beobachten Gelegenheit hatte. 

Der leichte Verlauf der Rubeolen, das Auftreten derselben 
in Epidemien und Endemien sind von den Gegnern der Selbst¬ 
ständigkeit der Erkrankung wohl am leichtesten zu bekämpfen; 
viel schwerer fällt dagegen der Umstand in die Wagschale, 
daß Rötheln vor der Erkrankung an Masern J ) nicht schützen; 
allerdings kann man dieser Erscheinung die Fälle von zwei-, 
ja dreimaliger Erkrankung an Masern gegenüber stellen. Fälle 
jedoch, in denen sich unmittelbar an die Rubeolen eine Er¬ 
krankung an Masern (oder umgekehrt) anschloß, sind so lange 
der sicherste Beweis für die Selbstständigkeit der Rötheln, bis 
die specifischen Krankheitserreger für beide Erkrankungen 
sicher gefunden sind. Solche Fälle wurden von Thomas a ) und 
Wölb erg s ) mitgetheilt. Die von diesen beiden Autoren be¬ 
schriebenen Fälle sind jedoch insoferne bemängelt worden, als 
beide Erkrankungen zeitlich doch so weit auseinander gerückt 
erscheinen, daß von einem nicht zu bekehrenden Gegner der 
Rötheln die zweite Erkrankung als eine Recidive der ersten 
aufgefaßt werden könnte. Unwiderleglich jedoch stehen die von 
Genser 4 ) beschriebenen Fälle da: Drei Geschwister erkrankten 
rasch hintereinander an Rubeolen und Masern; beim ersten 
traten 10 Tage nach den Rubeolen Masern auf, beim zweiten 
kamen 3 Tage, beim dritten 5 Tage nach den Rubeolen Masern 
zum Vorscheine. 

Ich hatte Gelegenheit, während der diesjährigen Masem- 
Epidemie in Graz ganz ähnliche Verhältnisse zu beobachten, 
die ich wegen ihrer Wichtigkeit in der fraglichen Angelegenheit 
im Folgenden mittheilen will. 

Von den Geschwistern Sch. erkrankte der 2V 2 jährige 
Alfred am 13., die 7 1 / 2 Jahre alte Irene am 16. April an 
Rötheln, die von den Eltern für Masern gehalten wurden, da 
in befreundeten Familien gleichzeitig zahlreiche Erkrankungen 
an Masern vorgekommen sind. Um der Kritik zu genügen, 
will ich die beiden Fälle näher beschreiben. Bei beiden Kindern 
traten ohne Prodromalerscheinungen zuerst auf der Stirne, auf 
beiden Wangen, dann namentlich am Rumpfe und den Beuge¬ 
seiten der Extremitäten hellrothe Flecken von unregelmäßiger 
Gestalt auf, die meist durch mehrfache Verzweigungen con- 
fluirten. Die einzeln stehenden Flecken hatten einen Durch¬ 
messer von 2 Mm. bis zu 1 Cm. (großfleckige Form). Die 
Conjunctiva war bei Irene gar nicht, bei Alfred leicht geröthet. 
Die Rachenschleimhaut war bei beiden blaß, Coryza und 
Bronchialcatarrh nicht vorhanden. Die Temperatur war bei 
ersterer am angegebenen Tage 37’6, bei letzterem 371; das 
Allgemeinbefinden der Kinder war während der ganzen Dauer 
des Exanthems in keiner Weise gestört. Bei Irene erblaßten 
die Flecken nach zweitägigem, bei Alfred nach viertägigem 
Bestände, und zwar zuerst im Gesichte und am Rumpfe, zu¬ 
letzt an den Extremitäten. Nach Ablauf der Krankheit war 
keinerlei Pigmentirung oder Abschuppung nachzuweisen. — Am 
17. April erkrankte nun das dritte Kind Egon an ausgesprochenen 
Masern. Am 25. April traten auch bei Alfred und Irene, die 
früher an Rötheln erkrankt waren, unter heftigem.Fieber und 
intensivem Nasen-, Rachen-, Bronchial- und Conjunctivaleatarrh 
Masern auf. Es brachte also in unseren Fällen Egon, wahr¬ 
scheinlich ans der Schule, die Masern nach Hause, woselbst 
seine zwei jüngeren Geschwister an Rötheln erkrankt waren. 
Da die zwei letzteren nicht isolirt wurden, so war für sie 
Gelegenheit genug vorhanden zu einer Infection mit Masern¬ 
gift. Und wie zu erwarten war, traten die Masern bei Alfred 
und Irene nach Ablauf der Ineubationszeit auf. 

’) Ich glaube, daß diesbezüglich nur Masern ernstlich in Betracht ge¬ 
zogen werden können. 

*) Thomas: Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. II. Bd. und Ziemssen s 
Handbuch d. speciellen Pathologie. 

8 ) Wolbkbo : Herliner k'in. Wochenschrift, 188*5, Nr. 50. 

4 ) Gf.nskr: Jahrbuch f. Kinderheilkunde, Bd. 28, pag. 420. 


Uebersichtlich dargestellt, gestaltete sich der Gang der 
Erkrankungen folgendermaßen: 

2 . der R8theln - 

3. Egon 17. April Eruption der Masern, 

25. April bei Alfred und Irene Eruption der Masern. 

Es traten also bei Alfred 12 Tage, bei Irene 9 Tage 
nach der Eruption der Rötheln Masern auf. 

Da nun zur angegebenen Zeit in Graz eine sehr aus¬ 
gedehnte Masernepidemie herrschte, so könnte von den Gegnern 
der Selbstständigkeit der Rötheln eingewendet werden: die 
Kinder seien zweimal hintereinander an Masern erkrankt; 
das erstemal sei die Erkrankung ganz gelinde, das zweitemal 
jedoch schwer verlaufen. Abgesehen von der großen Unwahr- 
scheinlichkeit, daß in einer und derselben Familie zwei Ge¬ 
schwister gleichzeitigzweimal rasch hintereinander 
an Masern erkrankt sein sollten, spricht auch der Umstand für 
die Verschiedenheit beider Erkrankungen, daß der Zeitraum 
zwischen denselben viel zu kurz war, um eine zweimalige 
Erkrankung an Masern anzunehmen. Nach Kaposi 6 ) ist man 
nämlich nur dann berechtigt, eine nochmalige Erkrankung an 
Masern anzunehmen, wenn zwischen dem ersten und 
zweiten Exanthem mehrere Wochen, mindestens 
aber das vollendete Desquamationsstadium liegt. 
Dieser Forderung genügen unsere zwei Fälle vollkommen. 

Wie ein von der Natur gegebenes Experiment sprechen 
die von mir angeführten und die von Genser beschriebenen 
Fälle zweifellos für die Verschiedenheit zwischen Rötheln und 
Masern, so daß dadurch die lange angezweifelte Selbstständig¬ 
keit der Rötheln gesichert und bewiesen erscheint, wenn es 
überhaupt eines Beweises dafür noch bedurfte. 


Aus der Klinik des Prof, v. Koränyi in Budapest. 

Die Wirkling innerlich angenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Or. Moriz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. 

(Fortsetzung.) 

n. 

Auf Grund seiner in 9 Jahren gesammelten Erfahrungen 
und seiner längere Zeit hindurch unternommenen Versuche 
gab M. J. Okrtel“) in seinem, im Jahre 1885 erschienenen Buche 
der Ansicht Ausdruck, daß die größere Flüssigkeitsaufnahme 
auf die im Blutkreisläufe entstehenden Störungen einen weit¬ 
reichenden Einfluß habe und die etwa schon vorhandenen 
Erscheinungen der Blutstauung verschlimmern könne. Das 
kranke Herz ist nämlich nicht im Stande, die in den Magen 
aufgenommene und von da in die Venen gelangte Flüssigkeits¬ 
menge mit gehöriger Geschwindigkeit durch den Blutkreis¬ 
lauf zu betördern, weshalb mit der Zeit die Flüssigkeits¬ 
menge im Venensystem, resp. im Körper sich staut, der 
Blutdruck in den Venen steigt, wodurch das im Kreisläufe 
unter normalen Verhältnissen bestehende hydrostatische Gleich¬ 
gewicht eine Störung erleidet und daher Blutstauung und 
die mit letzterer verbundenen Erscheinungen, wie Dyspnoe, 
Ordern, Urinverrainderung u. s. w., auftreten. Oektel empfiehlt 
daher bei Behandlung incompensirter Herzfehler einerseits 
die Respirations- und Circulationsorgane, anderseits aber auch 
die im Körper vorhandene Flüssigkeitsmenge in Betracht zu 
ziehen, da wir nur durch Verminderung letzterer, resp. der 
in den Gefäßen vorhandenen Blutmenge im Stande sein werden, 
das Füllungsverhältniß der Arterien und Venen, d. h. das 
gestörte hydrostatische Gleichgewicht, herzustellen. 

■') Kaposi: Lehrbuch d. Hautkrankheiten. 3. Aufl , pag. 211. 

d ) I>r. M. J. Okktkl : Therapie der Kreis aufstörungen Leipzig 1835. 


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1777 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 1778 


Die Verminderung der Blutmenge kann theils durch 
Vermehrung der Ausscheidungen, besonders aber durch Ver¬ 
minderung der Flüssigkeitsaufnahme geschehen. 

Der Hauptfactor der OEhTEL’schen Heilmethode ist daher 
die Verminderung der Flüssigkeitsaufhahme, soweit dieselbe 
mit dem Stoffwechsel sich verträgt. In zweiter Reihe sind 
dann die Veränderungen in den Circulations- und Respirations¬ 
organen durch Bergsteigen, Verabreichung eiweißreicher Nah¬ 
rungsstoffe, Lungengymnastik u. s. w. zu behandeln. 

Körner gebrauchte schon im Jahre 1862 bei den auf 
seiner Klinik in Behandlung stehenden Herzkranken diese von 
Oebtel in vielen Beziehungen modificirte Heilmethode, wie 
dies aus der Arbeit J. Gi.ax 7 8 * ) ersichtlich ist. Letzterer be¬ 
richtet nämlich, daß Köhneb bei Kranken, deren 24stündige 
Harnmenge geringer war, als die während derselben Zeit 
eingenommene Flüssigkeitsmenge, die Flüssigkeitsaufnahme 
so lange verminderte, bis das Gleichgewicht zwischen der 
aufgenommenen Flüssigkeit und dem abgesonderten Harne 
hergestellt war. In Folge dieser Heilmethode besserte sich 
der Zustand der Herzkranken ohne jedwede andere Behandlung. 

Die von Oertel begründete Heilmethode für Herzkranke 
rief einen heftigen und ausgebreiteten literarischen Streit 
hervor, in weichem Viele pro und contra Stellung nahmen. 

So ist Prof. Basch bestrebt, die oberwähnten Ansichten 
Oertel’s in mehreren Abhandlungen“) zu widerlegen. Er 
findet schon den Ausgangspunkt der 0<- RTEL’schen Theorie, 
laut welchem die Erscheinungen der Herzincompensation aus 
der Störung dos Gleichgewichtes im Blutkreisläufe entständen, 
für unrichtig, da seiner Ansicht nach die Aufhebung des 
Gleichgewichtes unbedingt mit der Vernichtung des Kreis¬ 
laufes einhergehe. Weiters haben seine Erfahrungen bis jetzt 
noch nicht bewiesen, daß in jedem Falle einer Herzincompen¬ 
sation die abgesonderte Harnmenge geringer sei, als die während 
der entsprechenden Zeit getrunkene Wassermenge und daher 
ein Theil des Waspers im Organismus zurückgehalten wurde; 
er kann' daher die Ansicht Oertel’s Dicht theilen, daß auf das 
Zustandekommen der Herzincompensation die vergrößerte 
Wasseraufnahme von unbedingtem Einflüsse sei. 

Die Behauptung Oertel’s, daß die Vermehrung der Blut¬ 
menge eine Stauung im Venensysteme hervorbringt, ist bis 
jetzt durch physiologische Experimente nicht bekräftigt, ja 
es ist allbekannt, daß nach der Infusion größerer Blutmengen 
weder der arterielle, noch auch der venöse Blutdruck eine 
erhebliche Aenderung zeigt, und so ist es überhaupt fraglich, 
ob die Vermehrung der Blutmenge Circulationsstörungen her 
Vorbringen kann. 

Diese Zweifel vorzubringen, fühlt sich Basch auch da¬ 
durch berechtigt, da es bis jetzt an Experimenten mangelt, 
welche eben beweisen könnten, ob und in welchem Maße die 
Menge des Blutes durch die in den Magen aufgenommene Flüssig¬ 
keit vermehrt wird, wie lange die eventuelle Vermehrung 
dauert, und endlich, welchen Einfluß diese Vermehrung auf 
den Blutlauf und die Herzaction ausübe. 

Behufs theil weiser Klarstellung dieser Fragen hatte Basch 
bei Patienten, die in Marienbad eine Trinkcur gebrauchten, 
8phygmomanometrische Messungen unternommen, als deren 
Resultat sich ergab, daß bei Patienten, deren Blutdruck vor 
der Trinkcur den normalen Werth überstieg, nach Beendigung 
der Cur eine beträchtliche Abnahme desselben zu constatiren 
war; nur bei Patienten mit niedrigerem Blutdruck war die 
Zunahme desselben nachweisbar. Es ist daher ersichtlich, daß 
in einer großen Zahl seiner Fälle die Vermehrung des ein¬ 
genommenen Wassers eine Erhöhung des arteriellen Blut¬ 

7 ) Ueber den therapeutischen Werth der Trinkeuren bei Erwachsenen. 
„Centralblatt für Therapie“, 1885. 

8 ) Die Theorien des Herrn Prof. Oertel aus München, beleuchtet von 

Prof. v. Bascii. „Wiener Med. Blätter“, 1885, Nr. 52. Die Enfettungscur in 
Marienbad (Ein Beitrag zur Therapie der Kreislaufstörungen) von Prof. v. Basch. 

„Centralblatt für die ges. Therapie“, 1885. 


druckes nicht hervorbrachte, ja denselben in vielen Fällen 
verminderte. Basch bemerkt aber zugleich, daß seine Patienten 
das Marienbader Wasser nur in mäßiger Menge tranken, und 
daß das in demselben enthaltene Glaubersalz auf das Blut 
wasserentziehend wirkte. 

Zugegeben aber, daß das getrunkene Wasser die Blut¬ 
menge vermehrt, hält Basch die Massenwirkung des Wassers 
auf die Herzaction für weniger wichtig, als die diluirende 
Wirkung desselben auf das Blut, da letzteres durch physiolo¬ 
gische Experimente bewiesen ist, so zwar, daß diluirtes Blut 
die Erregbarkeit des Herzens in hohem Maße herabsetz n 
kann. Aus diesem Grunde findet er es auch für zweckmäßig, 
daß der Herzkranke vom übermäßigen Wassertrinken abgehalten 
werde und auf einmal nur so viel Wasser in sich aufnehme, 
wie viel der Erfahrung gemäß binnen kurzer Zeit wieder aus 
dem Organismus abgesondert wird; diese Maßregel sei aber 
nur bei jenen Herzkranken anzuwenden, die gewöhnlich große 
Mengen Wassers trinken, während bei solchen, die gewöhnlich 
wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, die Abgewöhnung des 
Wassers und umsomehr die hochgradige Wassereinscliränkung 
überflüssig sei. 

Fkii.chenfeld ®) spricht auf Grund seiner sphygmomano 
metrisch Messungen der Wasserreduction jeden Einfluß auf 
die Blutmenge ab, da d»r Blutdruck in seinen Experimenten 
während und nach der Reduction der Wasseraufnahme keine 
Aenderung zeigte. 

Lichtheim 10 ) hält es für fraglich, ob eine Vermehrung 
der Blutmasse die Action des kranken Herzens beeinflussen 
könnte. Seiner Ansicht nach verändert die Wasserreduction 
das Blut nur in geringem Maße, indem eine hochgradige 
Reduction sowohl bei gesunden, wie bei kranken incompensirten 
Herzen die Concentration des Blutes im Ganzen um 3% er¬ 
höht ; ferner läßt sich aus den von Oertel angeführten Differenz¬ 
bestimmungen zwischen aufgenommenem Wasser und entspre¬ 
chend abgesondertem Harn auch nicht mit Bestimmtheit 
sagen, wie viel von dem nicht ausgeschiedenen Wasser im 
Blute zurückgehalten werde und sich dort aufstaue. 

Seinen Erfahrungen gemäß wirkte die Wasserreduction 
wesentlich nur bei hydropischen Kranken, dieselbe ist aber 
bei stark incompensirten Herzen von schädlicher Wirkung, 
da sie bei solchen Kranken einen raschen Collaps verursachte. 

Wie wir aus diesen literarischen Daten ersehen, ist die 
Frage, ob die in den Magen aufgenommene Wassermenge auf 
den Blutlauf einwirken und die Herzaction modificiren kann, 
noch nicht in’s Reine gebracht, obgleich den Ausgangspunkt 
der OEKTEL’schen Theorie eben der Satz bildet, daß die ver¬ 
mehrte Wasseraufnahme eine der cardinalen Ursachen der im 
Blutlaufe, beziehungsweise in der Herzaction eingetretenen 
Störungen sei und daß dieselbe durch Reduction der aufge¬ 
nommenen Wassermenge beseitigt werden könne. 

Im Folgenden trachteten wir nun diese Frage so zu 
entscheiden, daß wir dieselbe zergliederten und in erster Reihe 
jene Wirkung des Wassers untersuchten, welche es in ver¬ 
schiedener Menge, jedoch auf einmal aufgenommen, auf die 
Herzaction, den Blutlauf und die Harnausscheidung ausübte, 
in zweiter Reihe aber jene Wirkung prüften, welche die durch 
längere Zeit dauernde Wasserreduction, resp. Wasser Vermehrung 
auf die Harnausscheidung ausübt. Die bezüglichen Versuche 
wurden an Individuen theils mit gesunden, theils mit kranken 
Herzen vollführt. (Fortsctznn ; folgt.) 

9 ) Ueber Okrtel’s Heilverfahren mittelst Flüssigkeitsentziehun^, mit 
besonderer Berücksichtigung des Einflusses anf die Diurese von Dr. W.Feilchen- 
kbld. „Zeitschrift Für klin. Medicin“, 1886. 

10 ) Congreß Für innere Medicin in Wiesbaden, 1888. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Prof. Sahli (Bern): Ueber Auswaschung des mensch¬ 
lichen Organismus und über den Werth und 
die Methoden der Wasserzufuhr. 

Da man allen Grund hat, anzunehmen, daß die meisten Gifte, 
wie sie der Urämie, dem Coma diabeticum, den schweren Begleit¬ 
erscheinungen mancher Infectionskrankheiten, dem Status typhosus, 
dem Tetanus u. s. w. zu Grunde liegen, durch den Harn den Körper 
verlassen, so erscheint die Indication klar vorgezeichnet, bei allen 
diesen Zuständen das Hauptaugenmerk auf die Vermehrung der Diurese 
zu legen. Unter der Voraussetzung, daß die Herzkraft und die Fähig¬ 
keit der Nieren, Wasser auszuscheiden, normal ist, gibt es nach S. 
kein diuretisches Mittel, welches in soiner Wirksamkeit sich mit dem 
Wasser auch nur einigermaßen messen könnte. 

Die Schwierigkeit der genügenden Wassereinfuhr auf den 
natürlichen Wegen veranlaßte den Verfasser, in derartigen Fällen 
schwerer Autointoxication die Wasserzufuhr auf subcutanem Wege 
in Anwendung zu ziehen. 

Bevor er jedoch diese Methode praktisch anwendete, blieb erst 
die Vorfrage zu erledigen, ob die vennehrte Diurese, wie sie sich 
durch Wasserzufuhr erzeugen läßt, wirklich entgiftend wirkt. 

Die Untersuchungen, die er zur Entscheidung dieser Frage 
anstellte, ergaben, daß überall da, wo in Folge der Wasserzufuhr 
eine Vermehrung der UriDmenge eintrat, auch die Gesammtmenge 
der im Urin ausgeschiedenen festen Bestand theile ganz wesentlich 
zunahm. 

Die von Salili in Nr. 17 des „Correspondenzbl. für Schweizer 
Aerzte“ beschriebene Methode besteht darin, daß sehr rasch, d. h. 
in 15—20 Minuten, mittelst einer stricknadeldicken Hohlnadel 1 Liter 
Flüssigkeit injicirt nnd wenn nöthig diese Procedur öfter wiederholt 
wird. Die Schmerzhaftigkeit der Procedur ist sehr verschieden; es 
kommt dabei ebensowohl auf die Schlaffheit der Bauchdecken, als 
auf die individuelle Empfindlichkeit an. 

Das Infusionsgefäß besteht aus einem großen , einen Liter 
fassenden ERLENMEYKR’schen Kolben, in welchen ein dreifach durch¬ 
bohrter Gummipfropf paßt. Die drei verschiedenen Durchbohrungen 
enthalten: 

1. Ein Thermometer, welches mit dem Queckeilbergefäß bis 
auf den Boden des Kolbens reicht. 

2. Ein zweimal rechtwinkelig gebogenes Glasrohr, welches 
mit einem Ende ebenfalls bis an den Boden des Kolbens reicht und 
am anderen Ende den Infnsionsschlauch mit der Hohlnadel trägt. 

3. Ein stumpfwinkelig gebogenes Glasrohr, welches der Luft 
während des Abfließens der Salzlösung Zutritt gestattet und mit 
seinem langen Schenkel bis an den Boden des Kolbens reicht, so 
daß die eintretende Luft in Blasenform durch die Flüssigkeit auf¬ 
steigend sichtbar wird, während der außerhalb des Kolbens liegende, 
stumpfwinkelig abgebogene Schenkel in der Mitte eine Erweiterung 
hat, die zum Zwecke der Filtration der eintretenden Luft mit 
sterilisirter Watta gefüllt ist. 

Im Moment, wo der Schlauch gefüllt ist, ist Heberwirkung 
vorhanden, so daß das Gefäß sich spontan entleert. 

Der Apparat hat deu Vortheil, daß er sammt der in ihm 
enthaltenen Flüssigkeit (O'7°/ 0 Kochsalzlösung) sehr leicht und ohne 
die Gefahr des Zerspringens durch Dampf sterilisirt werden kann. 
Da, wo ein Dampfapparat nicht zur Verfügung steht, kann man 
behufs Sterilisation den Kolben sammt Flüssigkeit lose mit Watta 
zugestopft auf dem Wasserbade oder sogar auf dem Drahtnetz über 
freier Flamme 1 Stunde kochen lassen. 

Die Temperatur der physiologischen Kochsalzlösung soll wäh¬ 
rend der Infusion im Kolben wenigstens 40—45° betragen. Die Er¬ 
wärmung der Flüssigkeit geschieht durch Einstellen des Kolbens in 
warmes Wasser. 

Selbstverständlich muß die Infusion unter streng antiseptischen 
Cautelen gemacht werden. Die Infusion von 1 Liter unter die Bauch¬ 
haut kann in 5 bis 15 Minuten vollendet werden. 


1780 


Was nun die praktischen Erfolge dieser Methode betrifft, so 
beziehen sich die Erfahrungen S.’s vorwiegend auf die Behandlung 
von Urämie und Status typhosus. Wenn einem urämischen Pat., sei 
es bei acuter, sei es bei chronischer Nephritis, in 24 Stunden 1 oder 
2mal je 1 Liter physiologischer Kochsalzlösung infundirt worden 
war, so gingen die urämischen Symptome meist in deutlicher und 
rascher Weise zurück. Unter Umständen wurde die Infusion eine 
Zeit lang täglich wiederholt. Selbst in ganz desperaten Fällen von 
vorgeschrittener Schrumpfniere war mitunter eine Wirkung der 
Infusion nicht zu verkennen. 

S. enthielt sich absichtlich in einer Anzahl von Fällen jeder 
anderen Therapie, um den therapeutischen Effect rein zu haben. 
Er empfiehlt aber die Combination von Digitalis mit dem Infusions- 
vorfabren. 

Bei Status typhosus war ebenfalls schon der Effect einer ein¬ 
maligen Infusion oft sehr deutlich, indem die zuvor trockene Zunge 
feucht wurde und die Delirien schwanden, der Puls sich hob u. s. w. 

In schweren Fällen wurde auch hier die Infusion von je 1 Liter 
täglich ein- bis zweimal wiederholt. 

Die Wirkung dieser Behandlungsmethode besteht in der Ent¬ 
giftung oder Auswaschung des Körpers durch Diurese, in der Giftver- 
dünnung, in der Wasserzufubr zu denspeciell wasserarmen und daher 
in ihrer Function darniederliegenden Geweben und wahrscheinlich auch 
in der besseren Füllung der Gefäße durch das resorbirte Wasser. 

Bei dieser Vielseitigkeit der Wirkung glaubt S. zuversichtlich, 
daß die subcutanen Salzwasserinfusionen in der modernen Medicin 
binnen Kurzem eine häufige und ungeahnt vielseitige Anwendung 
finden werden. 

Bei schweren Fällen von Kinderdiarrhoe hat Verf. Gelegenheit 
gehabt, das Verfahren mit Erfolg anzuwenden. 

Nicht nur bei lufectionskrankheiten und Autointoxication, sondern 
auch bei Intoxicationen durch von außen eingeführte Gifte, namentlich 
jenen, welche mit dem Harn ausgeschieden werden, verspricht die 
Methode Erfolg. 

Das Vorfahren ist ferner nach S. ein unersetzliches Mittel bei 
Perforation von Magen und Darm, bei Peritonitis, Ileus und anderen 
Zuständen, bei denen dem oberen Theil des Darmes womöglich gar 
nichts von Speisen und Getränken zugeführt werden darf, dem Körper 
das nöthige WaBser in unschädlicher Weise zuzuführen. 

Die Methode hat aber auch Gegenanzeigen. So ist es selbst¬ 
verständlich , daß in Fällen, wo Hydrops in Folge seiner Hoch¬ 
gradigkeit eine Gefahr für das Leben und für die Herzthätigkeit 
darstellt, von der Anwendung der Infusion nicht die Rede sein 
kann; dagegen ist in mäßigen Graden von Hydrops, wie man sie 
einerseits bei Schrumpfniere, andererseits bei manchen Formen von 
Scharlachnephritis findet, die Anwendung der Infusion nicht contra- 
indicirt. Eine besondere Contraindication der Infusion bildet be¬ 
ginnendes oder aus irgend einem Grunde prognosticirtes oder ge¬ 
fürchtetes Lungenödem. S. 


Lehrbuoh der Kinderkrankheiten. Von Prof. Dr. Alfred 
Vogel in München. Seit der neunten Auflage gänzlich umge¬ 
arbeitet von Dr. Philipp Biedert. Zehnte vermehrte und ver¬ 
besserte Auflage. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Lehrbuch der Kinderkrankheiten in kurzgefaßter syste¬ 
matischer Darstellung. Zum Gebrauche für Studirende und 
Aerzte von Dr. Ludwig Unger, Docent für Kinderheilkunde an 
der k. k. Universität zu Wien. II. Hälfte. Leipzig und 
Wien 1890. Franz Deu ticke. 

Die Vorzüge des ersten Buches sind bei Gelegenheit der Be¬ 
sprechung der neunten Auflage, der ersten von dem verdienstlichen 
Biedert umgearbeiteten (1887), eingehend gewürdigt worden. 

Die zehnte Auflage bringt nebst der Aufnahme aller fach¬ 
wissenschaftlichen Nova des letzten Trienniums noch einige andere 
Neuerungen, welche dem pädiatrischen Facharzte willkommen 
sein dürften: ein kurzgefaßtes Literaturverzeichniß am Ende 
des Buches und Zahleuangaben im Texte bei den Autorcitirungen, 
welche das Jahr des Erscheinens der betreffenden, im Texte 
erwähnten Arbeit angeben. Auf diese Weise können wichtigere 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45 


1781 


1890. — 


1782 


Pablicationen pädiatrischen Inhaltes leicht gefunden werden, da die 
kinderärztliche Literatur aller Cultnrspraohen in dem BiEDE&T’schen 
Werke in wunderbar vollkommener Weise ausgenützt erscheint. 
Wohl leidet darunter die Leichtfaßlichkeit der Sprache ein wenig, 
und verliert manches, gut abgrenzbare Krankheitsbild seinen stricten 
und in diagnostischer Beziehung unantastbaren Charakter für einige 
Augenblicke — doch nur für den Anfänger in rebus paediatricis! 
Dem ausgebildeten Arzte, besonders dem in der Kinderheilkunde 
etwas erfahrenen, wird es ein Vergnügen bereiten, ein Werk von 
solch gründlicher und 1 reiter facbwissenschaftlicher Basis zu studiren 
und sich gegebenen Falles diagnostischen und therapeutischen Rath 
zu erholen, der durch die Erfahrungen zweier Pädiater vom Schlage 
Vogel’s und Biedeet’s und dabei noch durch die Verwertbung 
eines so tiefen und weitgehenden Literaturstudiums gestützt erscheint. 
Wir empfehlen die zehnte Auflage Vogel-Biedert’s, wie der popu¬ 
läre Name des besprochenen Buches lautet, den Aerzten auf das 
Angelegentlichste und beben noch hervor, daß ein bequemes thera¬ 
peutisches Nacbschlageregister für die pädiatrische Receptur und 
Medication als willkommener Anhang dem Werke beigegeben ist. 

Noch immer flguriren die acuten Exantheme und der Fleck¬ 
typhus unter den Hautkrankheiten! Wohl nur aus Pietät für die 
Urform der ersten Auflage des VOGEL’schen Buches, in welcher 
diese Eintheilung durchgeführt wurde! 

Haben wir in der zehnten Auflage von Vogel-Biedert’s 
Lehrbuch ein Werk erkannt, vorzugsweise zum Studium und zur 
Orientirung für den versirteren und fachwissenschaftlich schon ein 
wenig eingeführten Arzt geeignet, so erblicken wir in der zum 


Feuilleton. 

Die ungarische balneologische Landes- 
Conferenz. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

i 

IL 

Den Reigen der Referenten eröffnete Dr. Kornel Chyzer 
mit seinem ebenso geistvollen, wie von durchaus praktischen Erwä¬ 
gungen geleiteten Vortrage: Vergangenheit und Gegenwart 
unserer Bäder und die Mittel zu deren Hebung. 

Das Zurückgebliebensein unserer Bäder bat verschiedene Ur¬ 
sachen. Unter diesen ist vor Allem die Theuorung derselben her¬ 
vorzuheben, gegen welche Ref. dringend das Pensionssystem empfiehlt, 
welches sich im Auslande so trefflich bewährt und sowohl für den 
Gast als den Hotelier von Vortheil ist. Bei den Bauten breche man 
mit dem Pavillonsystem, bei welchem eine gute und wohlfeile Ver¬ 
pflegung und Bedienung des ohne Dienerschaft reisenden Cur- 
gastes eine Unmöglichkeit ist, erbaue große Hotels, welche sammt 
ihrer Einrichtung verhältnißmäßig wohlfeiler sind, als die in ver¬ 
schiedenen Villen zerstreuten Wohnzimmer, und führe die Table 
d’hötes ein. Die Ueberfüllung unserer Bäder ist noch kein 
Beweis dafür, daß unser Publicum mit denselben zufrieden ist. Die 
von ausländischen Curorten zurtickgekehrten Gäste sind ebensoviele 
Apostel derselben und das Zonensystem erleichtert dermaßen das 
Reisen, daß wir heute oder morgen auch keine neuen Hotels mehr 
in unseren Bädern zu errichten nöthig haben werden. Redner wendet 
sich auch gegen die freie Ausübung der Auskochcreien, welche ganz 
besonders die Existenz der Hoteliers in den kleineren Bädern ge¬ 
fährden. Die Auskocher erscheinen gerade zur Höhe der Saison, 
wenn der Hotelier durch die große Zahl der Gäste für den Schaden, 
mit dem er am Anfänge und Ende der Saison arbeiten muß, sich 
regressiren könnte. Hier sollte eine Abänderung des Gewerbe 
gesetzes in dem Sinne angestrebt werden, daß nur Jene berechtigt 
seien, Badegäste zu verpflegen, welche ihnen auch dio Heilbehelfe, 
Mineralwässer, Bäder und Curräume, zur Verfügung stellen. Auch 
diesem Uebelstande kann nur das Pensionssystem abhelfen. Gegen 
das marktschreierische Anpreisen einzelner Bäder gegen alle mög¬ 
lichen Krankheiten ist nichts zu thun. Vernünftige Patienten werden 


ersten Male erscheinenden Ausgabe von Unger’s Lehrbuch, dessen 
Sohlußlieferung uns nunmehr vorliegt, ein Compendium, dessen sich 
mit besonderem Vortheile der Anfänger und Derjenige bedienen wird, 
welcher ohne Kenntniß der Eigenheiten der Pathologie des Kindes¬ 
alters mit einfacher, allgemein medicinisober Vorbilduug an das 
Studium der Kinderheilkunde herantritt. Wir haben dies auch schon 
bei Besprechung der ersten Hälfte des Buches hervorgehoben und 
freuen uns, daß wir in der Lage sind, unsere damaligeu Aussprüche 
aufrechterhalten zu können. 

In der hier angezeigten zweiten Hälfte finden wir abgehandelt: 
die Krankheiten des Urogenitalapparates , des Bewegungsapparates 
(schöue Abhandlung der Rhachitis), die Allgemeinerkrankungen, die 
Infectionskrankheiten (besonders lesenswerth wegen der schönen 
Diction), die Krankheiten des Nervensystems (mit recht ansprechender 
Einleitung) nebst Anhang: Myopathien, dann die Krankheiten der 
Sinnesorgane, der Haut und des Zellgewebes. Hier haben die 
Blepharitis, Gonjuuctivitis und Keratitis phlyctaenulosa, dann auch 
die Otitis externa und media und die Fremdkörper im äußeren Ge¬ 
hörgang eine kurze und recht anschauliche Besprechung, vorzüglich 
mit Rücksicht auf die Therapie, gefunden. 

Die einzelnen Krankheitsbilder sind in schlichten Worten, 
dabei doch recht ansprechend und anschaulich wiedergegeben. Nichts¬ 
destoweniger ist die Literatur, besonders wohl die neuere, in kritischer 
Auswahl der Dignität und in geschmackvoller und durchaus objec- 
tiver Weise zur Verwertbung gekommen. Wir wünschen dem vor¬ 
züglichen Lehrbuche weite Verbreitung und die Anerkennung, welche 
es verdient. Dr. Hochsinger. 


sich stets um einen diesbezüglichen Rath an den Arzt wenden, der 
ihr Vertrauen genießt. Zu kostspieligen Bäderalbums, zu denen die 
großen Bäder das Meiste beitragen müßten, würden sich letztere 
kaum verstehen. Auch an Werken über die ungarischen Bäder ist 
kein Mangel, seitdem Dr. 8t. Bolemann sein Werk geschrieben, 
und Vortragender im Aufträge der hygienischen Commission der 
Budapester Landesausstellung vom Jahre 1885 die ungarischen Bäder 
in ungarischer, deutscher und französischer Sprache bekannt gemacht 
und später im Aufträge des verstorbenen Unterrichtsministers Trefort 
auch ein umfangreicheres Werk über dieselben geschrieben hat. 

Für nothwendig erachtet CH.es dagegen, daß die balneologische 
Commission der königl. Gesellschaft der Aerzte, welcher die Ein¬ 
berufung dieser Conferenz zu verdanken ist, Fachmänner zum Be¬ 
suche der Bäder entsende, welche in bestimmten Zeiträumen Berichte 
über die Bäder, versehen mit Beschreibungen und Plänen, ver¬ 
öffentlichen. Der Bericht über die hervorragenderen Bäder müßte 
auch in fremden Sprachen, besonders auch in serbischer, rumänischer 
und polnischer Sprache, herausgegeben und unter den Aerzten ver 
theilt werden. Die auf Grund der Berichte der Municipalbebörden 
erstatteten Ausweise des Ministeriums des Innern über die Bäder 
sind wegen ihrer Mangelhaftigkeit unbrauchbar. Um unsere Bäder 
zu heben, ist eine in gleichem Sinne erfolgende Action der Eigen- 
thümer, Aerzte, der Regierung und Gesetzgebung unerläßlich noth¬ 
wendig. — 

Dr. J. Oläh referirte über die centrale Organisation 
der ungarischen Bäder. 

Redner empfiehlt die Bildung eines Verbandes der hervor¬ 
ragenderen ungarischen Bäder, dessen Direction zur Aufgabe habe : 

1. die Interessen der zum Verbände gehörigen Bäder zu fördern ; 

2. ein verbindendes Glied zwischen Publicum und Bädern zu bildeu; 

3. die ausführliche Beschreibung derselben alljährlich den Aerzten 

einzusenden; 4. die Namenliste der Curgäste in den zum Verbände 
gehörigen Bädern zu veröffentlichen; 5. ein die Interessen der ver¬ 
bündeten Bäder Vertretendes Wochenblatt während der Badesaison 
herauszugeben und an alle Aerzte zu versenden; 6 durch einen 

von dem Verbände anzustellenden Chemiker die Zusammensetzung 
der Miueralwässer fortwährend und mit Aufmerksamkeit verfolgen zu 
lassen, und 7. durch einen Architekten und einen Rechtsanwalt den 
einzelnen Bädern fachmännischen Rath uud Beistand zur Verfügung 
zu stellen. Zu diesem Zwecke würden die Bädor von jedem Cur- 
gaste eine Taxe von 50 kr. bis 1 fl. erheben. 


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Der Correferent Dr. N. Szontägh schließt sich im Großen und 
Ganzen den Ausführungen seines Vorredners an, nur will er alle 
Bäder in den Verband aufgenommon wissen, welche aber je nach 
ihrem Range zu diesem Zwecke verschieden hohe Beiträge zu leisten 
hätten. Die Organisation wünscht er nach dem Muster der Berliner 
baineologischen Gesellschaft; der Vorsitzende der balneologischen 
Commission der Budapester Gesellschaft der Aerzte wäre gleichzeitig 
der Vorsitzende dieses Centralverbandes; das Bureau bestünde aus 
einer ärztlichen und aus einer administrativen Section. Die balneo- 
Iogische Gesellschaft würde in jedem Frühjahre einen Congreß ab¬ 
halten, an dem ein Universitätsprofessor den Festvortrag hielte. Die 
Gesellschaft stünde unter dem Patronate der Budapester Gesellschaft 
der Aerzte. 

Beide Anträge werden einem ad hoc gewählten Comitö zur 
Berichterstattung und Antragstellung überwiesen. 

Prof. Carl Than hielt einen wissenschaftlich hochbedeutsamen 
Vortrag: Ueber die vergleichende Analyse der ver¬ 
breiteteren ungarischen und ausländischen Wässer. 

Die Chemiker pflegen die Zusammensetzung der Mineralwässer 
in Form von Salzen auszudrUcken, wobei die conventionelle Regel 
gilt, daß zunächst jene Säuren und Basen zusammengestellt werden, 
welche die sch werstlöslichen Verbindungen darstellen, dann folgen 
successive die immer leichter löslichen Verbindungen, bis zuletzt 
die sogenannten schwächsten, flüchtigen Säuren (in der Regel die 
Kohlensäure), zu deren Sättigung keine Basen disponibel sind, als 
freie Säuren aufgeführt werden. Dabei wird auch die supponirte 
stärkere oder schwächere Affinität zwischen den verschiedenen 
Säuren und Basen als Anhaltspunkt genommen, wo man selbst¬ 
verständlich die stärkeren Affinitäten zunächst und dann die 
schwächeren Affinitäten sich sättigen läßt. Diese Zusammenstellung 
von Salzen ist aber eine ganz willkürliche, welche ihre Berechtigung 
von dem successiven Ausscheiden der schwerer löslichen Salze vor 
den leichterlöslicben beim Einengen der Lösungen herleiten will. 
Es ist aber durch die Chemie schon längst erwiesen, daß die Salze 
in Lösungen anders gruppirt sind, als im Momente des Ausscheidens, 
dio übliche Grnppirung der Bestandteile nach Salzen also nicht 
mehr zulässig ist. Die Forschungen des Vortragenden auf diesem 
Gebiete sind den Chemikern wohlbekannt, und es ist namentlich 
sein Verdienst, auf die, je nach der Concentration, Temperatur u. s. w. 
differirende Constitution der Salzlösungen ausdrücklich aufmerksam 
gemacht zu haben. Er empfahl daher schon im Jahre 1864 auf 
der Wanderversammlung der Aerzte und Naturforscher in Maros- 
Väsärhely, im Interesse der Objectivität bei Mineralwasseranalysen 
die Metalle und Säurereste getrennt anznführen, wie sie direct durch 
die chemische Analyse gefunden werden. Vortr. hatte die große 
Genugtuung, daß durch die glänzenden Entdeckungen der Chemie 
in den letzten 2—3 Jahren sein damaliger Vorschlag eine feste 
wissenschaftliche Basis gewounen hat und nicht mehr als eine blos 
neue conventionelle Regel zu betrachten ist. Es ist nämlich das 
für die Gase gütige AvoGADRO’sche Gesetz auch für die Salze in 
verdünnten Lösungen als giltig befunden und gezeigt worden, daß 
jene daselbst in Metalle und Säurereste dissociirt sich vorfinden. 
Daß es dem Arzte bequemer sein mag, anstatt des ihm geläufigeren 
„Chlornatrium“ und „schwefelsaurer Magnesia“ mit Chlor und 
Natrium, mit Magnesium und dem Schwefelsäurerest (S0 4 ) zu hantiren, 
ist kein genügender Grund, eine unrichtige Auffassungsweise weiter 
beizubehalten. Vortr. gibt auch eine interessante Methode an, den 
Charakter eines Mineralwassers zu bestimmen, welche dann auch 
leicht das eiue mit dem anderen Mineralwasser vergleichen läßt. 
Man berechnet nämlich die durch die chemische Analyse direct ge¬ 
fundenen Mengen der Säurereste und Metalle auf Aequivalente der¬ 
selben, wobei die Aoquivalentenzahl der Säurereste, sowie der Metalle 
jede = 100 genommen wird, und findet dadurch, wieviel Aequi- 
valeutprocente Kalium, Calcium u. 8. w. auf 100 Aequivalente 
Metalle, und wieviel Aequivalentprocente Chlor-, Schwefelsäure-, 
Kohlensäurerest u. s. w. auf 100 Aequivalente Säurereste kommeu. 
Der Charakter eines Mineralwassers, ob reiner, alkalisch-erdiger 
Säuerling u. s. w., tritt sofort hervor und läßt sich leicht mit anderen 
vergleichen. Dabei kann sich heraussteilen, daß ein schwaches 
Mineralwasser denselben Charakter hat, wie ein starkes, von dem 


sich ersteres nur durch eine geringere Concentration unterscheiden 
mag. Die Kohlensäure, für welche sich keine Base mehr vorfindet, 
wird auch hier als freies Kohlendioxyd aafgeführt und kann mehrere 
hundert Aequivalentprocente betragen. Selbstverständlich kann man 
auch hier keine scharfe Grenzen zwischen den einzelnen Typen der 
Mineralwässer ziehen, aber immerhin lassen sich die meisten ohne 
besondere Schwierigkeiten rubriciren. All diese Merkmale treten 
aber weniger deutlich aus den procentischen Gewichtsmengen der 
Salze hervor, wie wir sie in den Mineralwasseranalysen angegeben 
finden, als eben aus den Aequivalentprocenten. Zu diesem Behnfe 
wurden über 70 der verbreiteteren ungarischen und ausländischen 
Mineralwasseranalysen noch einmal umgerechnet, welch langwieriger 
und mühseliger Arbeit sich besonders der Assistent des Vortr., Dr. Kar- 
lovszky, mit Hilfe der Rechenmaschine unterzogen hat, worauf dieselben 
auf ihren Typus untersucht und mit einander verglichen wurden. 

_ n. 

Kleine Mittheilungen. 

— Ueber die Zusammensetzung und Verwendbarkeit des 
käuflichen Saccharins veröffentlicht Salkowsky im 120. Bd. des 
ViBCHOW’schen Archivs eine eingehende Arbeit, aus der hervorgeht, daß 
das käufliche Saccharin kein reines Präparat darstellt, sondern durch 
ziemlich beträchtliche Mengen Parasulfaminbenzoesäure verunreinigt 
ist. Nach seinen Untersuchungen ist das Saccharin absolut ungiftig. 
Thiere (Hunde) vertragen größere Mengen ohne merkliche Störung 
ihres Wohlbefindens; auch bei Menschen sind keinerlei Vergiftungs¬ 
erscheinungen beobachtet worden, obgleich von mancheu Forschern 
geradezu enorme Dosen, bis zu 5 Grm. pro die, mehrere Tage hin¬ 
durch angewendet worden waren. Das Saccharin beeinträchtigt die 
Fermentwirkung des Speichels; diese Wirkung ist aber nur auf den 
Einfluß der Säure zurückzufübren und läßt sich durch Neutralisation 
des Saccharins unterdrücken. Wollte man, sagt S., den Gebrauch 
des Saccharins seiner schwachen Säurewirkung wegen widerrathen, 
so müßte man auch Essig und Wein ängstlich vermeiden, ja 
consequenter Weise die Secretion der Salzsäure im Magen möglichst 
zu hintertreiben suchen. In Uebereinstimmung mit der französische? 
Commission , die das Saccharin untersucht hat, führt S. an, daß 
dasselbe die Eiweißverdauung durch künstliche Verdauungsflüssig¬ 
keiten in schwacher Concentration in geringem Grade, in starker 
Concentration in hohem Grade stört. Indeß, diese Eigenschaften 
theilt das Saccharin auch mit dem Wein und dem Alkohol über¬ 
haupt und beeinträchtigt demnach ebensowenig, wie diese Körper 
die Verdauung im thierischen Organismus in erheblicher Weise. 
S. schließt aus seinen Untersuchungen, daß das Saccharin allerdings 
kein Nahrungsmittel, sondern nur ein Genußmittel ist, welches aber 
völlig gefahrlos ist und keinerlei, die Ernährung und das Wohl¬ 
befinden beeinträchtigende Wirkung ausübt. 

— Auf Grundlage vielfacher Erfahrungen empfiehlt Mcjrrbl 
im „Lancet“ vom 3. Mai 1890 das GurjunÖl als Expectorans. 
Der Gurjunbalsam oder das Holzöl bildet eine Exsudation aus Ein¬ 
schnitten in das Holz des Dipterocarpus turbinatus und verwandter 
Pflanzensorten, die in Ostindien wachsen. Das Oel ist eine durch¬ 
sichtige, olivenölähnliche Flüssigkeit, hat eine grünlichgraue Farbe, 
einen aromatischen, dem Copaivabalsam ähnlichen Geruch und wird 
in Ostindien schon lange als Mittel gegen Lepra angewendet. Durch 
einen Zufall entdeckte M. die expectorirende Wirkung des Oeles und 
wendete es mit Erfolg bei Keuchhusten, Bronchitis an; er ver¬ 
schreibt dasselbe in Dosen von 4 — 8 Grm. dreimal täglich mit Liqu. 
Kali acet. und läßt als Geschmackscorrigens Aqua Cinammomi hinzu¬ 
fügen. In neuerer Zeit zieht er es vor, an Stelle von Aqu. Cinamm. 
Malzextract anzuwenden, und zwar verordnet er 8 Grm. Balsam in 
35 Grm. Mslzextract 3mal täglich. Diese Mixtur wird von den 
Kranken gerne genommen und erzeugt keinerlei unangenehme Neben¬ 
erscheinungen. Die Wirkung zeigte sich bei chronischer Bronchitis 
in sehr eclatanter und rascher Weise, ln manchen Fällen kann man 
die Wirkung dadurch unterstützen, daß man kurz vor dem Schlafen¬ 
gehen etwas Pilocarpin behufs Schweißerzeugung gibt. Aus seinen 
Untersuchungen schließt M., daß das Gurjunöl die Eigenschaften des 
Copaivabalsams besitzt, ohne aber die großen Nachtheile dieses letz¬ 
teren zu theilen. 


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vollkommene Anerkennung, welcher lautet: „In Wirklichkeit verhält 
es sich so, daß alle diese Formen, Variola, Variolois nnd Varicellen, 
genetisch nnd pathologisch eine Krankheit darstellen, daß auch 
Geimpfte, wenn auch viel seltener als Ungeimpfte, an Variola er¬ 
kranken können, und daß leichte Variolois und Varicellen eines 
Geimpften die Quelle abgeben kann für schwere Blattern bei einem 
Geimpften oder Nichtgeimpften.“ 

— lieber die Wirkung des Atropin auf den Oarmcanal 
in Hinsicht auf die Behandlung eingeklemmter Unterleibsbrüche 
mit Belladonna und Atropin betitelt sich eine von Kürt Hagen 


— Docent Nil Filatoff empfiehlt im „Arch. f. Kinderheilk.“, 
XII. Bd., 3. u. 4. Heft, die Sonnenblume (Helianthus annuus) 
gegen Sumpffieber. Dieses Mittel erfreut sich iu Rußland in Form 
einer Tinctur einer ausgedehnten Verbreitung als Volksmittel gegen 
Malaria und wurde auch von mehreren Antoren bereits augewendet. 
Die zwei von F. mitgetheilten Fälle sprechen trotz ihrer geringen 
Zahl sehr zu Gunsten der Sonnenblume. Der erste betrifft ein 
5jähriges Mädchen, welches an Malaria litt und bei dem Chinin 
selbst in Dosen von 6 Grm. pro die nicht die nöthige Wirkung 
erzielte, so daß Arsen dem Chinin zugesetzt werden mußte. Aber 
auch diese Medication konnte das Auftreten eines Recidivs nicht ver¬ 
hüten. Erst durch Zusetzen von Tinct. Helianthi annui zum Chinin 
blieb das Fieber aub. Wenn auch dieser Fall nicht genügende Be¬ 
weise liefert, so zeigt er doch, daß Helianthus annuus zur Ver¬ 
treibung des Fiebers, welches weder dem Chinin, noch seiner Combination 
mit Arsen wich, beitragen kann. Ueberzeugender ist der zweite Fall. 
Derselbe betraf ebenfalls ein 5jähriges Mädchen, bei welchem die 
Malaria trotz großer Gaben Chinin, 6 und selbst 8 Grm. pro die, 
nicht gebessert werden konnte. Schon nach den ersten Gaben der 
He'ianthustinctur sank das Fieber, nnd die Pat. fing an, unter dem 
Einfluß starken Appetits zu genesen. Beraerkenswerth ist, daß auch 
die erste Pat. seit Beginn der Behandlung mit Helianthus genau 
denselben Hunger zeigte, und da der Contrast mit der vollständigen 
Appetitlosigkeit bei Chiningebrauch sehr scharf ist, so entsteht die 
Frage, ob das Auftreten von Hunger eine Wirkung des Helianthus 
ist oder durch die Einnahme von Alkohol mit der Tinctur be¬ 
dingt wird. Die Tinctur, die F. gebrauchte, wurde so zubereitet, 
daß ein großes Glasgefäß bis zum Rande mit zerschnittenen Stücken 
von frischen SteDgeln der Pflanze angefüllt und mit Branntwein 
vollgegossen wurde. Nach einer Woche wurde der Branntwein ab¬ 
gegossen, die Sonnenblumenstücke ausgepreßt, die erhaltene trübe 
Flüssigkeit durch Leinwand filtrirt und dem 5jährigen Mädchen 4mal 
täglich zu je einem Dessertlöffel eingegeben. Die Vorzüge dieses 
Mittels bestehen darin, daß es auf die Malaria nicht minder als 
Chinin wirkt, daß es fähig ist, heftige Fieberanfälle, welche weder 
t!hinin noch Arsen oder anderen Mitteln weichen, beseitigt, daß es 
billig nnd nicht giftig ist und einen angenehmen Geschmack besitzt, 
wodurch es sich besonders für die Kinderpraxis eignet. 

— Zur Identitätsfrage der Pocken und Varice'len theiit 
Dr. Carl Hochsinger in Nr. 43 „Centralbl. f. klin. Med.“ einen sehr 
interessanten Fall mit, wo ein varicellenkranker Knabe seinen 
Bruder mit Varicellen und gleichzeitig seine Mutter mit Variola vera 
inficirte. — Der 10jährige F. K. erkrankte an typischen Varicellen 
mit ausschließlich wasserhellen Bläschen. Die Affection verlief ohne die 
mindeste Temperatursteigerung und ohne daß das Kind das Bett 
gehütet hätte, glatt in einigen Tagen. 14 seiner Mitschüler der¬ 
selben Classe waren zur selben Zeit an Varicellen erkrankt. Der 
ältere Bruder des Pat., Hans, 13 Jahre alt, Besucher einer höheren 
Classe desselben Gymnasiums, in welcher keine Varicellen vorge¬ 
kommen waren, verblieb, ohne isolirt zu werden, zu Hause in Ge¬ 
sellschaft seines Bruders und seiner Mutter, einer 40jährigen Dame, 
welche, um eine weitere Verschleppung der Krankheit hintanzu¬ 
halten, gleichfalls nicht ausging. Genau 12 Tage nach dem Aus¬ 
bruch des Exanthems bei F. erkrankte gleichzeitig der ältere Bruder 
Hans ohne weitere Prodrome an typischen Varicellen, die Mutter 
nach zweitägigem heftigem Prodromalfieber an Variola vera gravis. 
Dor Knabe blieb nach 24stündiger leichter Temperaturerhöhung frei 
von Fieber und genas rasch, ohne eine einzige eitrige Pustel auf¬ 
gewiesen zu haben. Bei der Mutter hingegen traten typische eitrige 
Variolapusteln auf, das Fieber dauerte in nahezu ungeschwächtem 
Zustande (89—40°) 12 Tage an, es kam zu Geschwürsbildung und 
zu den charakteristischen Blatternarben. Nach dieser Beobachtung 
besteht für H. kein Zweifel mehr, daß Variola und Varicellen 
ätiologisch identisch sind und daß die Varicellenkrankheit nur eine 
besonders milde Verlaufsweise der Blatternerkrankung darstellt, 
welche ausschließlich oder nahezu ausschließlich dem Kindesalter 
eigen ist. Hienach sollte die alte HEBRA-KAPOSi’sche Identitätslehre, 
welche gegenwärtig von der Mehrzahl der deutschen Kliniker ver¬ 
lassen ist, wieder zu Ehren kommen, und verdiente der Satz Kaposi’s 


(Nordhausen) veröffentlichte Arbeit, in der er 20 Fälle von einge¬ 
klemmten Hernien aus der Praxis seines Vaters raittheilt, die mit 
Belladonna oder Atropin behandelt wurden. Die Application ge¬ 
schah — dem Berichte des „Ctbl. f. Chirurg.“, Nr. 42, zufolge — 
in Form von Salben, mit welchen die Bruchgeschwulst und die Um¬ 


gebung derselben eingerieben wurde: 

1. Rp. Extr. Belladonnae. . . . 4*0 

Adip. suill.40 0 


M. f. ung. Div. in part. aeq. IV. 

S. 3stündl. 1 oder l 1 /^ Portionen ein¬ 
zureiben. 

oder in Form von subcutanen Injectionen (möglichst nahe dem ein- 
kleramenden Ringe des Bruchsackhalses oder noch tiefer nach dem 
Brnchsack hin oder nahe der Bruchpforte) nach folgenden Formeln: 
2. Rp. Extr. Belladonnae. . . . 0*5 


Aq. dest.10 0 

3. Rp. Atropini sulf..0*006 

Aq. dest.10*0 


S. Mehrmals 1 PRAVAz’sche Spritze voll 
zu injiciren 

Oefter wurden auch beide Methoden, Einreibungen und Injectionen 
angewandt. In allen Fällen wurden zunächst Tastversuche ange¬ 
stellt, ohne sie zu forciren. Im Allgemeinen waren es meist frische 
Fälle leichteren Grades, bei denen die Einklemmung erst kurze Zeit 
bestand, wo jedoch ans irgend welchen Gründen die Herniotomie 
nicht gemacht werden konnte. Durch die Behandlung mit Bella¬ 
donna oder Atropin wurde die Bruchgeschwulst wieder weicher, 
nachgiebiger, verlor an Spannung und ging dann spontan zurück, 
ln 2 Fällen wurde, nachdem die Härte des Bruches sich vermindert 
batte, durch wiederholte Taxis dann der Rruch reponirt; ein 3. Fall 
verlief tödtlich. Diese Fälle würden also auszuschließen sein. Da 
die Wirkung erst nach vielen Stunden, bei Vorschrift 1 nach 18, 
bei Vorschrift 2 nach 11, bei 3 nach 4 Stunden im Mittel eintrat, 
aber in 2 Fällen erst nach 32 uud 39 Stunden zu Stande kam, so 
ist diese Methode bei gefahrdrohenden Zuständen unbrauchbar; 
ebensowenig wird sie bei längere Zeit bestehenden Einklemmungs- 
erecheinungen mit frischen oder alten entzündlichen Verwachsungen 
die Herniotomie ersetzen. Aus den kurz mitgetheilten Kranken¬ 
geschichten ist zu entnehmen, daß das Mittel die spontane Reduction 
von einklemmenden Brüchen in gewissen frischen Fällen bewirkt. 
Die Wirkung blieb in den angewandten Dosen mehr local, ohne 
allgemeine Intoxicationen zu verursachen; doch traten in einigen 
Fällen auch Sehstörungen und Mydriasis auf. Die subcutane 
Injection des Belladonna-Extractes erscheint dem Verf. am zweck¬ 
mäßigsten. Mit der Salbe wurden im Ganzen bis zu 5 5 Grm. 
Belladonna-Extract verrieben, bei den Injectionen waren 0*075 : 
0*10 : 0*15 : 0*18 Grm. Belladonna Extract in Dosen von 0 05 oder 
0 025 Grm. erforderlich oder 0*001 bis 0*0015 Grm. Atropini sulf. 
in Dosen ä 0*0005 Grm. Aus den unter Schmiedeberg’s Leitung 
angestellten Thierversuchen folgert Verf., daß die günstige Wirkung 
der Behandlung von eingeklemmten Brüchen mit Belladonna oder 
Atropin in kleinen Gaben hauptsächlich auf die eintretende Con- 
traction der Mesenterialgefäße und kräftige Darmperistaltik zurück¬ 
zuführen ist. 


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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

fOriginal-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 31. October 1890. 

Prof. HOFMOKL berichtet Uber 2 Fälle von Resection des 
Co ec um. Der 1 betrifft einen 32 jährigen Mann, der vor 2 Jahren 
intensive Schmerzen im Bauche, Ueblichkeiten und zeitweises Er¬ 
brechen bekam. Einige Monate später trat in der Coecalgegend eine 
halte, wenig bewegliche Geschwulst auf, die von Stnhlverstopfung, 
Auftreibung des Abdomens, Schmerzen und Abmagerung begleitet 
war. Bei der Untersuchung fand H. in der Coecalgegend einen wenig 
beweglichen, bei Druck etwas schmerzhaften Tumor, resecirte das 
die Geschwulst enthaltende Coecum und vereinigte das lleum mit 
dem Colon ascendens. Fast fieberfreier Verlauf. Heilung. Die 
exstirpirte Geschwulst erwies sich bei der von Prof. Weichselbaüm 
vorgenommeneu mikroskopischen Untersuchung als ein Granulations¬ 
gewebe mit deutlichen EpitheloYdzellen und Tuberkelbacillen (Tuberkel), 
das vorwiegend in der Submucosa liegt, stellenweise aber auch zwischen 
die LiEBEßKÖHN’schen Krypten hineinragt. Ein Geschwür konnte in 
der Schleimhaut des Darmes nicht nachgewiesen wenden. Die Ge¬ 
schwulst erzeugte eine für den kleinen Finger passirbare Strictur. 

Der 2. Fall betrifft eine 33jährige Frau, die nach reichlichem 
Genüsse von Birnen und Trauben Erbrechen und hartnäckige Stuhl- 
verstopfnng bekam, die nicht zu bekämpfen war. Bei der Unter¬ 
suchung fanden sich die inneren Organe normal, im Urin Aceton 
und Acetessigsänre. Das Abdomen war mit Ausnahme der Coecal¬ 
gegend nirgends empfindlich; ein Tumor konnte wegen der Auf¬ 
treibung des Bauches nicht gefunden werden. Bei Eröffnung der 
Bauchhöhle trat ein dicker, flüssiger Kothstrahl entgegen. Es fand 
sich eine zweithalergroße Gangrän an der inneren Wand des Colon 
ascendens und Vprlöthung desselben mit einer geblähten Dünndarm¬ 
schlinge. Das Coecum stark ausgedehnt, mit flüssigem Koth und 
Traubenkernen gefüllt. Resection des Coecnms sammt der gangränösen 
Partie des Colon ascendens, Vereinigung des Colon ascendens mit 
dem lleum. Die Kranke starb 2 Stunden nach der Operation unter 
Collapserscheinungen. Bei der Section fanden sich ausgedehnte 
Ulcerationsprocesse im Colon ascendens und im lleum und eiue be¬ 
deutende Strictur am Colon transversum, bedingt durch ein kleines 
Carcinom, welches die primäre Ursache der Stuhlverhaltung, der 
Ausdehnung des Coecnms und der Gangrän war. 

Hofr. Bii.lroth hat 6mal tuberculöse Schwielen ira Coecum 
beobachtet, in allen Fällen waren aber auch Geschwüre der Schleim¬ 
haut vorhanden. Das klinische Bild, der Verlauf und folglich auch 
die Therapie sind in solchen Fälleu ganz dieselben, wie beim Car- 
cinom. In einem Falle fand sich sogar eine exquisite tuberculöse 
Schwiele neben einem exquisiten Gallertkrebs. Diese Schwielen können 
sich bis zu einem gewissen Grade zurückbilden. So theilt B. die 
Krankengeschichte eines Amerikaners mit, der eine faustgroße Schwiele 
in der Magengegend besaß, bis zum Skelett abgemagert und Mor¬ 
phinist war. Die Diagnose der verschiedenen Kliniker schwankte 
zwischen Carcinom und Ulcns. Wegen der langen Dauer der Krank¬ 
heit (2—3 Jahre) neigte B. mehr zur letzteren Diagnose und führte die 
Gastro-Enterostomie nach Hacker aus, worauf Pat. sich zusehends erholte 
und von der früheren Geschwulst keine Spur mehr zu fühlen war. 
Das sind die Fälle von durch Condarango geheiltem Carcinom. 
Schließlich erwähnt B., daß noch keine Resectionsmethode des Coecums 
bekannt ist, durch die eine Abknickung an der Vereinigungsstelle 
verhindert werden könnte. 

Prof. Kundrat hat in allen Fällen von tuberculösen Schwielen 
in der Nähe der Ueocoecalklappe auch Ulcerationen der Schleimhaut 
beobachtet. Die Ursache für die Schwielenbildung ist vielleicht in 
den durch vielfache Reizungen bedingten submucösen Entzündungs- 
prooessen gelegen. 

Dl*. MAYER demonstrirt einen Fall von symmetriscberEle- 
phantiasis beider Füße. 

Prof. Kundrat und Kaposi sehen den Fall als partielles 
Riesenwachsthum mit Wucherung der Haut an. 


Dr. Mayer stellt ferner einen 41jährigen Mann vor, der sich 
in selbstmörderischer Absicht einen Stich in die linke Bauchseite 
versetzte. Als er das Messer zurückzog, glitt eine 64 Cm. lange 
Dünndarmschlinge zu Boden, die vom übrigen Darm und vom 
Mesenterium vollständig getrennt war. Bei Eröffnung der Bauchhöhle 
fand M. im Dünndarm 4 größere Oeffoungen, von denen 3 einem 
Ende angehörten. Da auch das Mesenterium dieses Darmendes weit 
eingerissen war, mußte er ein 32 Cm. langes Stück Darm reseciren; 
ebenso resecirte er am anderen Darmende 17 Cm., nähte den Darm 
zu und schloß die Wunde, bis auf eine kleine Oeffnung, die behufs 
Drainage gelassen wurde. Am 4. Tage gingen Winde ab, und am 
nächsten Tag hatte Pat. 3 breiige Stühle. Pat., der im Ganzen 
113 Cm. vom Dünndarm verloren hat, befindet sich jetzt voll¬ 
kommen wohl nnd hat regelmäßigen Stuhl. 

Prof. v. Dittel erzählt einen ähnlichen Fall, bei dem ein 
Mann ebenfalls gelegentlich eines Selbstmordversuches 2 Ellen Darm 
verlor, der auf den Boden fiel. Pat. starb an den Folgen der Ver¬ 
letzungen. 

Doc. Dr. CZERMAK demonstrirt einen Fall von seröser Iris¬ 
cyste, die sich in einem Auge entwickelt hatte, das vor Jahren 
eine Verletzung erlitt. Im oberen Drittel der Cornea findet man eine 
theils in der Cornea, theils io der Sclera gelegene Narbe, in die der 
äußere Antheil der Iris festgewachsen ist. Im oberen inneren Theile 
der Kammer sieht man ein blasenartiges Gebilde, das sich unter 
dem Hornhautrande bis in die Mitte der Kammer vorschiebt. Diese 
Cyste hat eine bernsteingelbe Farbe und einen durchsichtigen 
Inhalt. Blickt der Kranke nach oben, so sieht man an der hinteren 
Fläche der Cyste eine ununterbrochene Pigmentlage. Die Pupille ist 
zu einer sichelförmigen Spalte verengt, die gut reagirt. Die Linse 
ist cataractös getrübt und nach hinten verdrängt, daher die Kammer 
tief erscheint. Die Cyste muß entfernt werden, da sonst Druck¬ 
steigerung und Secundärglaucom entstehen würden. 

Prof. Fuchs bemerkt, daß der Fall wegen der langen Zeit, 
die zwischen der Verletzung und der Entwicklung der Cyste ver¬ 
strichen ist (22 Jahre), interessant ist. Wahrscheinlich sind durch 
die Verletzung Epithelpartien in die Iris hineingetragen worden, die 
dort Jahre lang gelegen und schließlich zur Entwicklung einer 
Cyste Veranlassung gegeben haben. 

Prof. Kundrat: Ueber intermeningeale Blutungen Neugeborener. 

Diese Blutungen unterscheiden sich von allen meningealen 
Blutungen, die in späterem Lebensalter Vorkommen, dadurch, daß sie 
reine, solitär auftretende, primäre Blutungen sind. Sie treten in 
2 Formen auf: 

1. Blutungen in die zarten Häute, zwischen Arachnbidea und 
Pia. Sie finden sich an der Convexität der Hemisphären, am inten¬ 
sivsten in der Scheitelgegend und meist beiderseitig, selten einseitig. 

2. Suffusionen der zarten Häute in derselben Gegend, combioirt 
mit Blutungen zwischen Dura und Arachnoidea. 

Diese Blutungen können sehr bedenklich werden, so daß sie 
sogar zu sichtbarer Compression des Hirns und zn Asymmetrien des 
Schädels führen können. Solche Blutungen werden bei Kindern 
gefunden, die entweder asphyctisch zur Welt kommen, oder bei 
solchen, die athmend geboren werden, aber nach einigen Stunden zu 
athmen auf hören und sterben. Diesem Zustande entspricht auch der 
Übrige Befund: Lungenatelectase, dickes Blut, gar keine oder nur 
sehr kleine und sparsame Ecchymosen an der Pleura. Die Lungen¬ 
atelectase tritt unter dem Einflüsse des Druckes ein, den das Extra¬ 
vasat auf das Hirn ausübt. 

Solche Zustände findet man aber nicht blos bei schweren Ge¬ 
burten, sondern, im Gegentheil, bei spontanen, ziemlich leicht ver¬ 
laufenden. Sie kommen dadurch zu Stande, daß unter dem Drucke, 
den der Kopf während des Durchtrittes durch die Geburtswege erleidet, 
eine Verschiebung der Scheitelbeine stattfindet; dadurch kommt es 
zu Compression des Sinns falciformis major, Rückstauung nach den 
Venen an der Convexität des Hirns und in Folge der Spannung 
zu Zerreißung der Venen. Das geht aus folgenden Momenten hervor: 

1. Finden sich die Blutungen immer an der Convexität des 
Hirns in der Höhe der Scheitelbeine, und da am intensivsten. Hier 
finden sich auch die Venen, die sich in den Sinus falciformis major 
einpflanzen. 


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1789 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 1790 


2. Findet man zuweilen eine abgerissene Vene innerhalb des 
Extravasats. 

3. Trifft man immer Verschiebungen der Scheitelbeine. 

Man sollte erwarten, daß noch andere Blutungen neben diesen 
Vorkommen. Die Erfahrung zeigt aber, daß gerade in solchen 
Fällen Caput snccedaneum und Cephalhämatome selten Vorkommen. 

Es gibt noch ähnliche Blutungen Uber den Kleinhirnhemisphären 
mit ganz ähnlichen Formen, die in derselben Weise entstehen. Hieher 
gehören wahrscheinlich auch die eigentümlichen Blutungen in die 
Plexus chorioidei. 


Sitzung vom 7. November 1890. 

Dr. Klein stellt eine 32jährige, sehr blasse Kranke vor, die 
mit 22 Jahren zuerst menstruirte, deren Menses aber seit l /s Jahre 
cessirteu. Seit dieser Zeit stellte sich auch eine immer zunehmende 
Blässe ein. Bei der Untersuchung fand sich ein systolisches Geräusch, 
eine Erweiterung des rechten Herzens, Milztumor, Empfindlichkeit 
des Sternums und der Röhrenknochen auf Druck. Die Zahl der 
rothen Blutkörperchen beträgt 1,100.000, der Hämoglobingehalt, mit 
dem FLEisCHL’schen Hämometer gemessen, 25, der Färbe-Index der 
einzelnen Blutkörperchen ist erhöht (l’l), die Zahl der Leuoooyten 
1000, die mononnoleären über die polynucleären überwiegend, kernhal¬ 
tige rothe Blutkörperchen und beträchtliche Poikilocytose; ein Befund 
also, wie er der perniciösen Anämie entspricht. Diese ist hier 
auf Syphilis znrückzuführen. Ein ähnliches Bild bot ein zweiter vom 
Redner jüngst beobachteter Fall, der noch dadurch interessant ist, 
dass ein Bruder und eine Schwester des Kranken auch an perniciöser 
Anämie starben. Diese schweren Anämien in Folge von Syphilis sind 
selten und nicht zusammenzuwerfen mit der Chloranaemia syphilitica, 
bei welcher das Blut nur geringe Abweichungen von der Norm auf¬ 
weist. Wegen des Vorhandenseins von Normoblasten glaubt Redner 
mittelst einer Schmiercur im vorgestellten Falle Besserung zu erzielen. 

Prof. Exner: Demonstration zu einer eigenthümlichen Form 
sensorischer Lähmung. 

E. hat nach dem Vorgänge Möller’s den Nervus laryngeus 
superior beim Pferde durchschnitten und konnte mittelst des Kehl¬ 
kopfspiegels genau wahrnehmen, daß, obgleich dieser Nerv keinen 
einzigen Kehlkopfmuskel motorisch innervirt, von dem Momente der 
Durchschneidung eine Lähmung der betreffenden Kehlkopfhälfte eintrat, 
die durch Wochen anhielt. Die mikroskopische Untersuchung der 
Kehlkopfmuskeln dieser Seite ergab eine Form der Pegeneration, 
die denjenigen Formen entspricht, die von Erb bei der Dystrophia 
musculorum progressiva beschrieben wurden. 

Diese Degeneration ist nach Exner als Inactivitätsatrophie 
aufzufassen, während er in der Lähmung den höchsten Grad von 
dem ansieht, was wir gewöhnlich Ataxie nennen. 

Prim. Englisch: (Jeber Hernia obturatorfa. 

Englisch schildert einen von ihm beobachteten Fall von Hernia 
obturatoria. Derselbe betrifft eine 71jährige Frau, die keinerlei 
Störungen von Seite des Darmes wahrgenommen hatte, als sich 
plötzlich Einklemmungserscheinungen einstellten. Nach Heben einer 
schweren Last bekam sie ^inen Schmerz in der linken Leistengegend, 
der sich am nächsten Tag steigerte, sich gegen die Schenkelbeuge aus¬ 
breitete und gegen den Nabel ausstrahlte. Wegen Zunahme der 
Schmerzen uud der Einklemmungserscheinungen wurde Pat. behufs 
Vornahme der Operation ins Spital aufgenommen. 

Englisch fand den inneren Theil der linken Schenkelbeuge 
und den angrenzenden Theil des Oberschenkels leicht vorgewölbt, 
die Haut darüber etwas geröthet, aber nicht ödematös. An dieser 
Stelle fand sich eine Geschwulst, die sich nach einwärts bis auf den 
absteigenden Ast des Schambeins ausdehnte, nach einwärts von den 
großen Gefäßen lag, nach oben vom oberen Rande des horizontalen 
Schambeinastes begrenzt war, nach unten aber nicht gut abgegrenzt 
werden konnte. An der Innenseite des Oberschenkels gegen das 
Foramcn obturatorium vordringend, war hier die Geschwulst am 
deutlichsten, als nußgroßer, scharf von der Umgebung abgegrenzter 
Tumor zu fühlen. Bei bimanueller Untersuchung per vaginam fand 
sich an der Innenseite des Foramen obturatorium keine Vorwölbung. 


Englisch stellte die Diagnose auf Hernia obturatoria und machte 
die Herniotomie. Schnitt in der Längsaxe des Oberschenkels, Spaltung 
der Fascie, des Musculus pectineus, Eröffnung des Bruchsackes. 
Es fand sich ein Darm wandbruch mit Gangrän, und da die Kranke 
sehr herabgekommen war, legte Englisch eineu Anus praeternaturalis 
an. Die Kranke starb an Perforations-Peritonitis. Bei der Section 
fand sich an der Innenseite des Canalis obturatorins eine Darm¬ 
schlinge angelegt, die dem Ileura entsprach. Es lag nur ein Theil 
der Darmwand im Canal, während ein Theil in der Bauchhöhle 
lag und an einer Stelle gangränös war, daher die Perforation. 

Englisch hat bei dieser Gelegenheit die Fälle von Hernia 
obturatoria aus der Literatur zusammengestellt und bespricht an der 
Hand derselben die Diagnose und Therapie dieser Form. Die Schwie¬ 
rigkeit der Diagnose liegt in der Seltenheit der Fälle, in den 
anatomischen Verhältnissen, in der Inconstanz der Symptome und 
in der Complication mit anderen Hernien. Bei der Operation der 
Hernia obturatoria gelingt oft die stumpfe Erweiterung; wo diese 
nicht zum Ziele führt, muß man die blutige vornehmen; dabei 
thnt man gut, die vorspringenden Stellen aufzusuchen und an ver¬ 
schiedenen Punkten einz ukerben. S. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

, Sitzung vom 17. October 1890. 

Dr. Rudolf Winternitz: Demonstration eines Falles von Alopecia 
areata. 

Der vorgestellte 9jährige Knabe ist hereditär neuropathisch 
belastet; die Mutter ist hochgradig hysterisch, und von den zwei 
Brüdern ist der eine geistesschwach, der andere stumm. Im An¬ 
schlüsse au ein vor einigen Monaten erlittenes Trauma auf das 
Hinterhaupt habe ein Ausfallen der Haare daselbst begonnen; an 
Grinden, Schuppen, überhaupt einem Ausschlage an den behaarten 
Stellen des Kopfes habe er nicht gelitten. Die scheibenförmigen 
kahlen Stellen von der Größe eines Vierkreuzer- bis zu der eines 
Thalerstückes befinden sich an symmetrischen Stellen des Hinter¬ 
hauptes, entsprechend dem Verbreitungsgebiete des 2. und 3. Cervical- 
nerven. — Die Frage über die Natur dieses Leidens ist bekanntlich noch 
unentschieden. Einige Autoren, wie Malassez, EichSORST, Lassar u. A. 
halten dasselbe für eine Pilzaffection, andere wieder, wie Auspitz, 
Kaposi, Schwimmer, Michelson und Foubnier für eine Trophoneurose. 
Mit Rücksicht auf die hereditäre Belastung des Patienten und die 
an den Verlauf bestimmter Nerven gebundene Ausbreitung der kahlen 
Stellen möchte Redner diesen Fall auf trophoneurotischen Ursprung 
zurückführen. 

Prof. Chiari: Ein bemerkenswerther Fall von Divertikelbiidung 
am rechten Bronchus. 

Im Anschlüsse an einen von Ch. vor einiger Zeit beschriebenen, 
bis dahin in der Literatur einzig dagestandenen Fall von Divertikel¬ 
bildung im eparteriellen Theile des rechten Bronchus demonstrirt 
Redner einen bisher ohne Analogie stehenden Fall von Divertikel¬ 
bildung an der medianen Seite des hyparteriellen Theiles des rechten 
Bronchus. 

' Bei der Section eines aus der Klinik des Prof. A. Pick stam¬ 
menden Paralytikers fand man zufällig ein etwa 1 Cm. langes, den 
auatomischen Aufbau des Bronchus zeigendes Divertikel an der 
medianen Seite des rechten Bronchus, einige Centimeter oberhalb der 
Abgangsstelle des Ramus cardiacus bronchialis. Chiari ist geneigt, 
dieses Divertikel als eineu in der Entwicklung zurückgebliebenen 
Nebenast des Ramus cardiacus aufzufassen, und widerspräche dieser 
Befund dem sogenannten ÄEBY’schen Gesetze der Bronchial Verzweigung, 
dem zu Folge von der medianen Seite des rechten Bronchus außer 
dem Ramus cardiacus niemals ein Nebenast desselben oder ein selbst¬ 
ständiger Hauptast ausgehe. 

Assistent Dr. Bergmann : Ein Fall von WurmabsceB. 

Ein 18jähriger Bäckergehilfe kam Anfangs October 1. J. mit 
Perityphlitis in’s hiesige Spital der barmherzigen Brüder; am 4. Tage 
Erscheinungen von allgemeiner Peritonitis, Tod am 9. Tage durch 
hinzugetretene Pneumonie. Bei der vom Vortragenden vorgenommenen 

2 * 


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1791 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


1792 


Obdnction fand sich nebst aasgebreiteter eitriger Exsudation in’s 
Cavum Peritonei ein von Pseudomembranen umschlossener Absceß 
in der Coecalgegend, in dessen Höhle ein abgestorbener Ascaris lag, 
im wurmförmigen Fortsatze ein Kothstein, der eine erbsengroße 
Perforationsöffnung abschloß. 

B. erörtert nun die Frage über den Modus der Einwanderung 
von Spulwürmern in die Bauchhöhle. Gewichtige Autoren, wie Mon • 
dierb und Leuckart, behaupten, daß die Ascariden auch die unver¬ 
letzte Darmwand passiren können, indem sie mit ihrem resistenten 
Kopfende die Fasern der Darmhäute allmälig auseinander drängen, 
worauf sich die so gebildete Oeffnung ohne Spur einer Narbe wieder 
absohließt. Küchenmeister wieder hält ein solches Auseinander- 
dräugen des dichten Gewebes der Schleimhaut und des Peritoneums 
für unmöglich und meint, daß die Spulwürmer nur durch eine prä- 
formirte Perforationsöffnung im Darme in die Bauchhöhle gelangeu 
können, woselbst sie durch entzündliche Ausschwitzungen encystirt 
werden. Der Befund im vorliegenden Falle spricht nach Redners 
Anschauung dafür, daß entweder durch den Kothstein eine Perfo¬ 
ration des wurmförmigen Fortsatzes entstand und der Wurm durch 
die Oeffnung in die Bauchhöhle gelangte, oder daß der Stein eine 
Geschwürsbildung veranlaßt«, worauf dann die erweichte Stelle durch 
Druck des Wurmes zur Perforation gebracht wurde. 

Assistent Dr. Frank: Zur Behandlung der acuten Anämie. 

Die stürmischen, gefahrdrohenden Erscheinungen, ja sogar 
zuweilen der plötzliche Tod im Gefolge der Transfusion sowohl des 
nicht defibrinirten als des defibrinirten Blutes und das vernichtende 
Urtheil, welches von berufenster 8eite (Bergmann) über diese Methode 
gesprochen wurde, haben den Transfusions-Enthusiasmus, welcher in 
den Sechziger- und Anfangs der Siebzigerjahre sich selbst der nüch¬ 
ternsten Männer bemächtigt hatte, bedeutend herabgestimmt. Auch 
der Vorschlag von Ponfick, die directe Transfusion in die Gefäße 
durch die indirecte in die Bauchhöhle zu substituiren, kam bald in 
Vergessenheit, indem die angeblich günstigen Erfolge dieser Methode 
und auch die gerühmte Ungefährlichkeit nicht bestätigt wurden. 

Durch die günstigen Erfolge, welche Kronecker und Sander, 
und später Pellacini und E. Schwarz nach Infusion von physio¬ 
logischer Kochsalzlösung bei dem Verblutungstode nahegebrachten 
Thieren beobachtet haben, wurde dargetban, daß nach starken Blut 
verlosten der Tod nicht, wie man bisher glaubte, durch Verminderung 
der Blutmasse und den zu geringen Gehalt des noch im Körper 
verbliebenen Blutes an rotben Blutkörperchen eintrete, sondern durch 
das Aufhören der Blutciroulation in Folgo des mechanischen Mi߬ 
verhältnisses zwischen Weite und Inhalt des Gefäßsystems bedingt 
werde. 

Die erste Kochsalzinfusion am Menschen hat Bschoff in Basel 
bei drohendem Verblutungstode nach manueller Lösung der Placenta, 
und zwar mit günstigem Erfolge, ausgeführt. Nachdem bald darauf 
Küstner, Kocher, Schwabz den günstigen Erfolg der KochBalz- 
infusion am Menschen durch Mittheilung einschlägiger Fälle bestä¬ 
tigten^ wurde diese Methode vielfach geübt, und von Allen die 
lebensrettende oder doch belebende Wirkung derselben anerkannt. 

In jüngster Zeit wurde auch auf der Klinik des Prof. Scha ota 
die intravenöse Kochsalzinfusion in 2 Fällen von acuter Anämie mit 
gutem Erfolge ausgeführt. 

Der erste Fall betraf eine 30jährige Frau, welche durch 
vehemente Blutung in Folge Abortus dem Tode nahegebracht schien. 
Nach vergeblicher Anwendung der Autoinfusion, Aetherinjectionen 
n. s. w. wurde eine Infusion mit physiologischer Kochsalzlösung ge¬ 
macht. Die unmittelbare Wirkung war eine überraschende, und nach 
weiterer Darreichung von Analepticis hatte sich der Zustand derart 
gebessert, daß zur manuellen Lösung der Placenta geschritten werden 
konnte. Auf die nach diesem Handgriff erfolgte profuse Blutung trat 
neuerlich schwerer Collaps ein, so daß abermals eine Infusion gemacht 
werden mußte; auch nach dieser gingen die gefahrdrohenden Er¬ 
scheinungen der acuten Anämie rasch vorüber. Der weitere Vollauf 
war glatt; Patientin konnte nach kurzer Zeit geheilt entlassen werden. 

Im zweiten Falle handelte es sich um eine acute Anämie 
durch parenchymatöse Blutung in’s Cavum peritonei nach Laparotomie. 
Auch hier manifestirte sich die belebende Wirkung der Kochsalz¬ 
infusion auf8 Glänzendste. 


Die Frage, ob in diesen Fällen die Indication zur Kochsalz¬ 
infusion eine absolute gewesen ist und ob derselben eine lebens¬ 
rettende Wirkung zugesebrieben werden müsse, könne nicht mit 
Bestimmtheit beantwortet werden, weil ja, wie bei solchen Fällen 
überhaupt, der Nachweis nicht zu erbringen ist, daß ohne Kocbsalz- 
infusion der Tod eingetreten wäre. 

Prof. v. Jaksch hat die Kochsalzinfusion in einem Falle von 
acuter Anämie nach Magenblutnng mit bestem Erfolge ausgeführt; 
er möchte aber die Indication zur Vornahme derselben nicht auf 
acute Anämie beschränkt wissen, sondern auch auf gewisse Intoxi- 
cationen ausdehnen. Er hat nämlich in je einem Falle von Intoxi- 
cation mit Kohlenoxyd und schwerer Urämie nach Kochsalzinfusion, 
der jedoch ein ausgiebiger Aderlaß vorangegangen war, augenfällige 
Besserung der Erscheinungen wahrgenommen. Auch im algiden 
Stadium der Cholera dürfte sich dieselbe als sehr nützlich erweisen. 

Dr. M. Weiss weist darauf hin, daß Samuel in Anbetracht 
der großen Schwierigkeiten, welche die intravenöse Kochsalzinfusion 
insbesondere dem inmitten einer ratblosen Umgebung auf sich allein 
angewiesenen praktischen Arzt bietet, vorgeschlagen hat, im asphye- 
tisehen Stadium der Cholera die subcutane Kochsalzinfusion vor¬ 
zunehmen, indem er glaubte, daß, wie bei großen Blutverlusten, 
auch bei Cholera durch den copiösen Wasserverlust das Mißver- 
hältniß zwischen Weite und Inhalt der Gefäße den Tod durch Cir- 
culationsstörung bedinge. Nachdem auch Cantani wiiklioh während 
der Choleraepidemie im Jahre 1884 die subcutane Kochsalzinfusiou 
(Hypodermoclyse) in großem Umfange ausgeführt hat, und bei Allen 
die belebende, bei Vielen die lebensrettende Wirkung nicht zu ver¬ 
kennen war, kam Weiss auf den Gedanken, die subcutane Koch- 
salzinjection bei acuter Anämie und Cholera infantum anzuweuden; 

Bereits im Jahre 1886 hat Weiss in einem Falle von acuter 
Anämie durch profuse Blutung ex nlcere ventriouli rotundo bei einem 
19jährigen cblorotischeu Mädchen die subcutane Kochsalzinjection 
mit überraschendem Erfolge ausgeführt. Sensorium und Reflexe waren 
erloschen, Puls und Herzchlag kaum fühlbar, die Extremitäten kühl, 
■die Augen geschlossen, und fast unmittelbar nach Injection von je ♦ 
150 Ccm. in jede seitliche Thoraxgegend schwanden diese drohenden 
Erscheinungen, und bei weiterem ungestörten Verlaufe genas Patientin. 

Ein zweiter Fall betraf einen 43jährigen Mann, welcher nach 
profuser Darmblutung im Verlaufe eines mittelschweren Typhus 
abdominalis plötzlich collabirte. Nach subcutaner Injection von je 
75 Ccm. in die rechts- und linksseitige Thoraxgegend erholte sich 
Pat. zusehends von dem schweren Collapse. 

Desgleichen hat W. in 5 Fällen von Cholera infantum die 
subcutane Kochsalzinjection (30—50 Ccm.) angewendet. In allen 
Fällen war die unmittelbare Wirkung eine ungemein günstige; bei 
dreien ging die Erholung vom Collaps unter entsprechender Be¬ 
handlung in Genesung über; bei zweien kehrte nach kurzer Zeit 
der Collaps zurück, und erwies sich eine abermalige Injection un¬ 
wirksam. 

Die Methode, deren sich W. bediente, ist eine sehr einfache: 
Bei Erwachsenen wird die gut sterilisirte und zuvor auf 40° erwärmte 
Flüssigkeit durch die drainagirte Canüle eines freien Troicars ein¬ 
gelassen; bei Kindern wird die Injection mittelst einer 20 Ccm. 
haltenden Spritze mit langer draiuagirter Nadel vorgenommen. 

Bezüglich des Näheren verweist W. auf seine in der „Wiener 
Med. Presse“ Nr. 43 ff. (1888) erschienene Arbeit. —z. 

Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapset. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse 1- .) 

Sitzung vom 18. October 1890- 

Dr. J. BOKAI stellt einen geheilten Fall von Tracheo¬ 
tomie bei Lymphadenitis retropharyngealis vor. An 
dem 8 Monate alten Kinde wurde wegen Suffocationserscheinuugen, 
nachdem die Incision mittelst Pharyngotom sich als resultatlos er¬ 
wiesen hatte, die Tracbeotomia inferior ausgeführt Die ausgedehnte 
retropharyngeale Schwellung bildete sich schon nach 4 Tagen zurück, 
ohne daß es zu Eiterung gekommen wäre, worauf auch die Canüle 
entfernt werden konnte. Vortr. leitet die Lymphadenitis von der 
Otitis media acuta suppurativa ab. 


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1793 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


1794 


Prof. E. SCHWIMMER stellt einen Fall von Psorospermosis 
cutanea vor. Ein solcher Fall wurde am vorjährigen inter¬ 

nationalen Dermatologen-Congreß in Paris von Dr. Darier unter 
dem Namen „Psorospermosis folliculaire v6g6tante“ vorgezeigt. Ein 
ähnlicher Fall kam in Paris auch auf der Abtheilung von Fournier 
vor. Bei der Demonstration von Darier bemerkte Böck aus 

Cbristiania, daß er in Norwegen durch eine lange Reihe von Jahren 
nur zwei solche Fälle beobachtet hat. Vor einigen Monaten hat 
Veit aus Pennsylvanien einen ähnlichen Fall publicirt. Diese äußerst 
seltene Hautkrankheit wird durch Parasiten erzeugt, die noch unter 
den Infusorien stehen und zur Grundform das Plasmodium haben. 
Mit ihrer Entwicklung hat sich Schwimmer eingehend befaßt. An Thieren 
wurden diese Parasiten zuerst 1837, in menschlichen Leichen zuerst 
von Lkuckaut 1863 und später von Virchow beschrieben; an der 
menschlichen Haut wurden sie zuerst von Darier gezeigt. 

Die Haut der 40jährigen Kranken, bei welcher die Krankheit 
vor 3 Monaten begann und gegenwärtig % der Hautoberfläche 

einnimmt, ist besonders am Hals, Nacken, um die Genitalien 

mit knötchenartigen Gebilden bedeckt, welche rosenkranzartig sich 
an einander reihen und sogar auf die Schleimhaut des Rachens 
übergreifen. Die Parasiten gelangen nämlich in die Ausführungs¬ 
gänge der Talgdrüsen und in die Haarbälge und rufen durch den mecha¬ 
nischen Reiz das plastische Exsudat hervor. Die Krankheit erzeugt 
außer heftigem Jucken sonst keine allgemeinen Erscheinungen. 

Dr. F. Tangl: Ueber die Aetiologie der Diphtherie. 

Die Klkbs - LöFFLER’schen Diphtberiebaoillen wurden vom 
Vortr. in 18 von ihm untersuchten Fällen vou Diphtherie aus¬ 
nahmslos gefunden, und zwar sowohl durch Culturversucho, als auch 
in 10 Fällen, wo die histologische Untersuchung vorgonommen 
werden konnte, in den Pseudomembranen in den charakteristischen 
Gruppen. Mit diesen 18 Fällen des Vortr. wurden bis nun die 
Löffler' sehen Diphtheriebacillen unter 473 hiorauf untersuchten 
Fällen 450mal nachgewiesen. Die Controlnntersuchungen betragen 
jetzt weit über 300, unter denen sich nur 2 befinden,'bei denen, 
trotzdem Diphtherie mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden konnte, 
die Diphtheriebacillen sich dennoch vorfanden. Mit den Löfflkr- 
schen Bacillen kann man an Thieren, besonders Kaninchen und 
Tauben, Erkrankungen hervorrufeu, welche mit der menschlichen 
Diphtherie sowohl bezüglich der localen, als der allgemeinen Er¬ 
scheinungen Ubereinstimmen. Local treten durch Impfung der Ba¬ 
cillen in die Schleimhäute Pseudomembranen, ganz den menschlichen ent¬ 
sprechend, auf, nur ist dazu die vorangehende Verletzung der Schleimhaut 
erforderlich. Er, sowie außer ihm noch Sprorer, bat auch in diesen 
Pseudomembranen die charakteristische Anordnung der Bacillen¬ 
gruppen nachgewiesen. Nach Ablauf des localen Processes können 
bei Kaninchen und Hunden Albuminurie und nach kürzerer oder 
längerer Zeit Lähmungen auftreten. Letztere zeigen sich bei den 
Thieren gewöhnlich an den Extremitäten, vornehmlich den hinteren, 
und zwar mehrere Tage, ja selbst Monate nach der Impfung. Bei 
Kaninchen führen sie zum Tode; Tauben können nach 1—2 Tagen 
oder Wochen genesen. Vortr. hat einmal beim Kaninchen Rachen- 
und Kehlkopflähmung beobachtet, zu welcher Schluckpneumonie 
hinzutrat. Diese Lähmungen werden durch ein vom Diphtherie¬ 
bacillus erzeugtes Gift — wahrscheinlich ein Toxalbumin —-erzeugt, 
welches man aus Bouillonculturen ohne den Bacillus gewinnen und 
damit dieselben Lähmungserscheinungen hervorrufen kann, wie mit 
den Bacillen. Um den Beweis zu liefern, daß dieses Gift that- 
Bächlich beim Menschen die Lähmungen erzeugt, filtrirte Vortr. den 
wässerigen Auszug menschlicher Pseudomembranen durch Porzellan, 
wodurch die Flüssigkeit bacillenfrei wird, und konnte mit letzterer 
bei Kaninchen, Tauben dieselben Lähmungen hervorrufen, wie mit 
den Bacillen oder mit den filtrirten Bacillenculturen. Da beim 
Menschen die Bacillen weder im Blute, noch in den Organen ge¬ 
funden wurden, so müssen wir annehmen, daß die Resorption dieses 
Giftes die Allgemeinerkrankung und die Lähmungen verursacht. Wir 
können demnach ohne Weiteres den LöFFLER’scben Bacillus als die 
Ursache der Diphtherie ansehen. 

Vortr. identificirt auch den Croup mit der Diphtherie, denn 
unter seinen 18 Fällen waren 2 von reinem Croup, wo in dem Rachen 


Nichts und nur im Kehlkopf Pseudomembranen gefunden wurden. 
Er fand in diesen ebenso den Bacillus, wie Kolisko und Paltaup 
in ihren 50 Fällen, unter denen auch viele von reinem Croup waren. Das¬ 
selbe fanden Roux und Yersin, weshalb die Laryngitis fibrinosa 
nur als eine mildere Form der Diphtherie zu betrachten ist. Dafür 
sprechen auch die Beobachtungen von Goldschmied, welcher nach 
zahlreichen Fällen von idiopathischem Croup Lähmungen auftreten sah. 

n. 


X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XIV. 

Aus den Sektionen . 

Section für Laryngologle. 

Michael Braun (Triest): Massage, beziehungsweise Vibrationen 
der Schleimhaut der Nase, des Nasenrachenraumes und 
des Rachens. 

B. berichtet über die von ihm nach Dr. Kellgren’s System 
ausgeführte Massage der Schleimhaut der Nase, des Nasenrachen¬ 
raumes und des Rachens. Er schickt seinen Ausführungen einige 
Erläuterungen über die einschlägigen Technicismcn voraus: 

Unter Effleurage versteht Kellgken eine Btreichende Be 
wegung, die oberflächlich oder tief ist und von kaum fühlbarem 
Berühren bis zu bedeutendem Druck gesteigert werden kann. 

Vibrationen nennt K. leichte, doch rasch auf eiuauder erfolgende 
Erschütterungen, die stets im Ellbogengelenk ihren Ausgangspunkt 
nehmen und hauptsächlich mit der Bengeseite der Finger ausgeführt 
werden. Die Bewegungen des erschlafften Haudgelenks sind Ab- 
duction und Adduction; die Hand selbst bleibt unbeweglich mit der 
Stelle in Berührung, wo sie aufgelegt wurde. Bei diesem Vorgang 
mü 9 scn die Bewegungen der Muskeln so gering sein, daß sie mit 
der aufgelegten Hand kaum fühlbar Bind. Wenn man auf die 
Mitte eines ziemlich großen Tisches ein Glas Wasser stellt, so muß 
bei eorrector Ausführung der Bewegungen die Wasseroberfläche nur 
in ihrer Mitte erzittern. Durchschnittlich kann man 200—300 Vibra¬ 
tionen in der Minute ausführen. Daraus geht schon die Feinheit 
dieser Bewegungen hervor, wodurch auch erklärt wird, weshalb 
sie in Fällen Anwendung findet, bei denen sonstige Massage¬ 
bewegungen gar nicht in Frage kommen können. 

Effleurage und Vibrationen wirken direct auf den zu be¬ 
handelnden Theil oder das zu behandelnde Organ ein. Sie beein¬ 
flussen die Circulation in den Venen und Lymphgefäßen und wirken 
zugleich schmerzstillend, wovon man sich bei congestiven acuten und 
chronischen Entzündungen überzeugen kann. 

Die physiologische Wirkung dieser Bewegungen besteht in der 
Beförderung der Aufsaugung. 

B. hat das KELLGREN’sche System innerhalb 3% Jahren an 
nahezu 1000 Personen mit durchwegs günstigen Resultaten ange¬ 
wendet. Er führt die Bewegungen mittelst einer schreibfederartig 
gehaltenen Kupfersonde aus, die einerseits genügende Festigkeit 
besitzt, um die Ausübung eines energischen Druckes zu gestatten, 
andererseits wegen ihrer bedeutenden Biegsamkeit und Elasticität 
sich sowohl den anatomischen Verhältnissen der Nas!, des Nasen¬ 
rachenraumes und des Kehlkopfes anzupassen, als auch die leichten 
wellenförmigen Armbewegungen fortzuleiten vermag, nm sie der 
Schleimhaut mitzutheilen. 

Mit einem aseptischen Wattebäuschchen wird der Sondenknopf 
so umwickelt, daß er von der Watta um etwa 2 Cm. überragt wird, 
worauf man diese so um den gerillten Sondenhals dreht, daß sie 
in keinem der zu vibrirenden Räume abgestreift werden kann. Die 
so armirte Sonde wird nun in jene Lösung oder Salbe getaucht, die 
man der Schleimhaut einzuverleiben gedenkt. Bei besonders empfind¬ 
lichen Personen gebraucht B. gewöhnlich für den Rachen eine 20°/ 0 
CocaYnlösung, oder eine 10% Mentholvaselinsalbe, oder 10% Jod- 
Jodkali-Glycerin; für die Nase und den Nasenrachenraum dieselben 
Lösungen oder Sublimat-Lanolin oder Perubalsam. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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Die Däner der jeweiligen einmaligen Vibration hängt von der 
Widerstandsfähigkeit des zu behandelnden Individuums ab und 
schwankt zwischen 1 / s und 60 Secunden. 

Die beleuchtete Nasen- oder Rachenschleirahaut, auf welche 
die Kupfersonde aufgesetzt wurde, wird nun, insoweit sie sichtbar 
ist, vibrirt; die Bewegungen müssen leicht, elastisch, gleichmäßig 
und rasch ausgeführt werden. Nachdem die Zunge niedergedrückt 
ist, beginnt B. sofort die Erschütterungen in der Weise, daß er 
entweder vom Centrum des Rachens ausgeht, dann nach links bis 
hinter den Arcus pharyngopalatinus, von da nach oben, dann längs 
des Randes des Velums nach rechts abwärts zur Pars pharyngea 
fortschreitot, um dann schließlich nach links zu den noch uner¬ 
schütterten Stellen zurückzukehren. Die Vibrationen der Nasen- 
scbleimhaut werden folgendermaßen ausgeführt: Nachdem der Nasen¬ 
eingang kräftig dilatirt und beleuchtet ist, beginnt man am vorderen 
Ende der unteren Muschel, vibrirt dieselbe ihrer ganzen Länge und 
Breite nach, um von deren hinterem'Ende auf die mittlere Muschel 
zu überspringen und schließlich am vorderen Ende der letzteren aufzu¬ 
hören. Mit einer zweiten Sonde wird der mittlere und untere Gang, 
der Nasenboden und das Septum vibrirt. Nöthigenfalls kann mit 
einer dritten Sonde durch die Riechspalte die höher gelegene Schleim¬ 
haut behandelt werden. 

Diese Bewegungen erzeugen eine höhere Vitalität, welche nicht 
nur den fortschreitenden pathologischen Proceß sistirt, sondern auch 
ein derart umgewandeltes Verhältniß der Gewebselemente schafft, 
daß bei einzelnen Processen, die durch Mikroorganismen hervor¬ 
gerufen werden, diesen die günstigen Existenzbedingungen entzogen 
werden. 

So hat B. mit dfeser Methode 23 Fälle von Rhinitis foetid. 
atrophicans behandelt, von denen er nur zwei besonders hervorhebt. 
Der erste betrifft eine 45jährige Frau, die seit 20 Jahren an dieser 
Erkrankung litt. Nach 134 Sitzungen wurde nicht nur der Fötor 
und die Secretion vollständig behoben, sondern auch die erkrankte 
Schleimhaut derart umgewandelt, daß dieselbe sohon seit 3 Jahren 
ganz das Aussehen einer normalen, gesunden Schleimhaut darbietet. 

In einem zweiten Falle genügte eine ßwöchentliche Behand¬ 
lung, um das seit 4 Jahren bestehende Uebel zu beheben. 

In einem Falle von Ozaena nach Masern wurde die Krankheit 
in 4 Sitzungen zum Schwinden gebracht. 

Ebenso rasch und intensiv ist der Erfolg beim rareficirenden 
Rachencatarrh. 

Bei hochgradigen atrophischen Rachencatarrhen vibrirt B. ge¬ 
wöhnlich 4 Wochen hindurch täglich, durch 4 Wochen jeden zweiten 
Tag, hierauf je nach dem Befinden des Kranken zwei- oder einmal 
wöchentlich. 

In keinem Falle waren bis nun mehr als 80 Sitzungen zur 
restitutio ad integrum nothwendig. 

Bei ausgedehnter Gesehwulstbildung und bei prominenten, 
resistenten Granulationen des Rachens und Nasenrachenraumes, 
ebenso wie bei hochgradigen und derben polypoiden Degenerationen 
der Nasenschleimhaut cauterisirt B. die erstere punktförmig, die 
letztere oberflächlich, um einen oder zwei Tage später mit dem 
Vibriren zu beginnen und dasselbe so lange fortzusetzen, bis die 
Schwellung geschwunden ist. 

Weichere Granulationen des Rachens und nicht allzu derbe 
Hypertrophie der Nase werden durch consequente Vibration zum 
Schwinden gebracht. Bei allen acuten Entzündungen wirken Vibra¬ 
tionen, obgleich sie selbst bei Anwendung von 20% Cocaiulösung 
äußerst peinlich sind, geradezu coupirend. Es werden durch die¬ 
selben nicht nur die oft hochgradigen Schling- und Athembeschwerden 
behoben, sondern auch die locale Schwellung und das begleitende 
Fieber rasch zum Schwindeu gebracht. 

Ueber die Erfolge der Vibration des Zahnfleisches bei Glosso- 
dynie, sowie bei tuberculöBen Geschwüren der interarytänoidalen 
Schleimhaut bei chronisch catarrbalischeu Erkrankungen der Schleim¬ 
haut des Kehlkopfes bei postdiphtherischen und hysterischen Läh¬ 
mungen des Rachens und der Stimmbänder, beim Heufieber, beim 
Nasenasthma, sowie bei Erkrankungen der Tuba wird B. gelegentlich 
berichten. 


Schließlich macht B. noch darauf aufmerksam, daß, so oft er 
bei den zugleich mit Drack- und Schmerzgefühl im Kopf verbundenen 
Na8encatarrhen die Schleimhaut vibrirte, diese Erscheinungen sofort 
aufhörten, sowie das vordere Ende der zweiten Muschel und dessen 
nächste Umgebung etwas stärker erschüttert wurde. Angeregt durch 
diese Thatsache, versuchte B. Vibrationen in Fällen von Kopfdruek, 
Kopfschmerz, Migräne und supraorbitalen Neuralgien, bei denen 
keinerlei Erkrankung der Nase oder des Nasenrachenraumes nach¬ 
weisbar war. 

Der Erfolg war zumeist ein überraschender, die Schmerzen 
sistirten sofort, und Anfälle, die sonst zwei-, (frei- oder viermal 
wöchentlich sich wiederholten, blieben oft wochenlang aus, ja in 
einem Falle, bei dem Jahre hindurch nahezu täglich Anfälle von 
fast unerträglicher Hemicranie auftraten, wurde die Patientin nach 
8 Sitzungen von ihrem Uebel derart befreit, daß sie bis jetzt, d. i. 
seit 5 Monaten, keinen Anfall mehr hat. Es scheint, daß in Folge 
der Erregung der peripheren Enden gewisser Nervenäste der durch 
diese im Centralorgan möglicher Weise verursachte Angiospasmus 
behoben und dadurch die Blutcirculation in demselben in’s Gleich¬ 
gewicht gebracht wird. S. 


Notizen. 

Wien, 8. Novepaber 1890. 

Aus Berlin. 

Unser Berliner Correspondent sendet uns folgendes Stimmungs 
bild aus Deutschlands Metropole: 

Die Ve-suche Koch’s zur Heilung derTuberculose be¬ 
schäftigen augenblicklich die Berliner ärztliche Welt und nehmen ihr 
besonderes Interesse in Anspruch. Die Erwartung ist in der That 
auf’s Höchste gespannt. Wo sich zwei Collegen begegnen, im ärzt¬ 
lichen Verein oder auf der Straße, oder bei einer Consultation: 
das Gespräch kommt sehr bald anf ein bestimmtes Thema, (las 
gewissermaßen auf Aller Lippen ruht und selbst dem Schweigsamsten 
die Zunge löst: die Versuche von Koch. Wenn man bedenkt, daß 
der Norddeutsche gewöhnlich kühl und zurückhaltend ist und die 
Dinge im Allgemeinen ruhig abwartend an sich herankommen läßt, 
so muß es schon ein ganz außergewöhnlich wichtiger Gegenstand 
sein, der ihn aus dieser kühlen Reserve aufrüttelt und sein Blut 
rascher fließen macht. In dem vorliegenden Falle rechtfertigt 
das Ziel, welches Koch sich in seinen Untersuchungen gesteckt hat, 
eine derartige Erregung vollkommen und eröffnet, wenn seine Durch¬ 
führbarkeit gesichert ist, für Hunderttausende von Menschen eine 
ungeahnte Perspective. Wird die Lösung der gestellten Aufgabe eine 
vollkommene sein? Das ist jetzt die von allen Seiten aufgeworfene 
Frage, ohne daß es momentan möglich ist, darauf eine bestimmte 
Antwort zu geben. Bei einem so genialen und zugleich vorsichtigen 
Forscher, wie Koch, ist es ja ganz selbstverständlich, daß er ohne 
einen gewissen Abschluß positiver Resultate niemals ein Wort hätte 
an die Oeffentlichkeit gelangen lassen, wie es auf dem letzten inter¬ 
nationalen Congreß geschehen ist. Allein zwischen der Bekämpfung 
der künstlichen Infection eines Thieres und der Heilung einer Spontan- 
Erkranküng beim Menschen ist ein gewaltiger Unterschied, und des¬ 
halb sehen gar Manche, welche mit warmer Verehrung zu dem 
großen Bacteriologen aufblicken, der Veröffentlichung seiner End¬ 
ergebnisse mit einer gewissen Bangigkeit entgegen, weil sie fürchten, 
daß diese vielleicht doch nicht völlig den großen Erwartungen ent¬ 
sprechen könnte, welche namentlich in der Tagespresse zum Aus¬ 
drucke gekommen sind. 

Ueberhaupt sind es sicherlich falsche Freunde, welche wißbe¬ 
gierigen Reportern allerlei Mittheilungon über die Art der Methode etc. 
gemacht haben, denn Koch selbst bewahrt gegenüber den hunderten von 
Briefen und persönlichen Anfragen, welche täglich an ihn herantreten, 
die strengste Zurückhaltung. Nur das Eine ist als feststehend zu be¬ 
trachten, daß es sich um ein ähnliches Verfahren, wie die PASTEOR’sche 
Impfung handelt, welches in zahlreichen Fällen äußerst günstige Resultate 
geliefert hat. — Im Monat December wird Koch in der Berliner medi- 
cinischen Gesellschaft über seine Untersuchungen und den Ausfall der - 


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selben persönlich Vortrag halten. Bemerkenswerth ist, daß der Cultus- 
minister v. Gosslee sich täglich über den Stand der Untersnchnngen 
nnd den Zustand der einzelnen behandelten Patienten berichten läßt. 

Welche ungeheuren Hoffnungen seitens des großen Publikums 
in das Ergebniß der KoCH’schen Untersuchung gesetzt werden, 
davon mag folgender Fall, den ich der Mittheilung eines augen¬ 
blicklich sehr gesuchten Consiliar-Professors verdanke, ein eclatantes 
Beispiel geben. Ein Herr aus der Praxis elegans consultirt ihn wegen 
einer Hämoptoö. 'Der Professor findet trotz sorgfältigster Unter¬ 
suchung keinerlei objective Veränderungen, räth ihm aber der Vorsicht 
wegen, auf acht Wochen nach San Remo zu gehen nnd sich dann 
wieder vorzustellen. Lächelnd erwidert der also Berathene: „Diese 
Vorsicht erscheint mir überflüssig, Herr Professor, denn in acht 
Woeben ist bereits das KocH’sche Verfahren veröffentlicht, und dann 
werden alle Lungenschwindsüchtigen auch hier geheilt.“ — Das 
genügt! —r. 


(J. N. Nussbaum f.) ln seiner Vaterstadt München ist am 
30. October der berühmte Chirurg Johann Nepomuk R. v. Nussbaüm 
einem schweren Leiden erlegen. Am 2. September 1829 geboren, 
oblag N. in München dem Studium der Mcdicin, woselbst er 1855 
promovirt wurde, besuchte als Student sowohl, wie als junger Arzt 
die hervorragendsten chirurgischen Kliniken Europas und hatte Ge¬ 
legenheit, Langenbeck, Thiersch, Textob, Nelaton, Spencer 
Wells, Lister u. A. am Operationstische wie am Krankenbette zu 
sehen. Schon 1860 erhielt N. die Berufung als ordentlicher Professor 
der Chirurgie an die Universität München , woselbst er bis in die 
letzten Jahre eine segensreiche ärztliche und didactisohe Thätigkeit 
entfaltete. Schweres Siechthnm, das den Gebrauch der unteren Ex¬ 
tremitäten ausschloß, hindert? den genialen Operateur und gefeierten 
Lehrer nicht, seine Vorlesung abzuhalten und an der Universitäts¬ 
klinik sowohl, wie in dem von ihm gegründeten, auch der mittel¬ 
losen Bevölkerung offen stehenden Sanatorium zu wirken. Zahlreiche 
Monographien aus allen Gebieten der Chirurgie geben Zeugniß von 
der hohen Begabung und dem unermüdlichen Fleiße des Verstorbenen, 
welcher, einer der Ersten in Deutschland, Lister’s und Pasteür’s 
epochale Entdeckungen propagirte. Die „Wr. Med. Presse“ verliert in 
Nussbaüm einen wohlwollenden Förderer ihrer Bestrebungen; einen der 
hervorragendsten ihrer Mitarbeiter, der stets bemüht war, bei den prak¬ 
tischen Aerzten das Interesse für die Chirurgie wach zu halten, und 
es nicht verschmähte, in detaillirter Ausführung die Technik des 
Eingriffes und Verbandes zu erörtern. — Sein einsames Leben — 
er hatte einer geliebten, früh verstorbenen Braut die Treue bewahrt 
— war reich an äußeren Ehren. Seine verdienstvolle Thätigkeit in 
den Feldzügen 1866 und 1870 wurde durch die Ernennung zum General- 
Arzte ä la suite, sein der Menschheit gewidmetes, selbstloses Wirken 
u. A. durch Verleihung des Geheimrathstitels, zahlreicher Orden, 
des Ehrenbürgerrechtes seiner geliebten Vaterstadt ausgezeichnet. 
Sein Leben und Wirken werden unvergessen bleiben. — Wie die 
„Münchener Med. W.“ berichtet, ergab die auf letztwillige Verfü¬ 
gung vorgenommene Obduction von Nussbaum’s Leiche Fettherz 
mit mäßiger Dilatation und Hypertrophie. Als Nebenbefunde wurde 
außer hochgradiger Fettleber chronische Pachymeningitis mit Hyper¬ 
ostose und Sclerose des Schädeldachs, ferner im Bereiche des ganzen 
8kelets jene räthselhafte und seltene Form der Knochenbrüchigkeit 
constatirt, die von den Autoren als idiopathische Osteopsathyrosis 
bezeichnet wird. Am rechten Femur fanden sich die Residuen von 
drei Spontanfracturen, von welchen zwei mit enormer hyperplastischer 
Callusbildung geheilt waren, während ein Sehenkelhalsbruch zur 
Bildung einer Pseudarthrose geführt hatte. 

(Niederösterreicbi8cher Landes - Sanitätsrath.) 
An Stelle des, wie berichtet, in den Obersten Sanitätsrath berufenen 
Stabsarztes Prof. Kratschmer ist der Director der n. ö. Landes- 
Gebäranstalt, Dr. Ernst Braun, zum ordentlichen Mitgliede des 
Landes-Sanitätsrathes für den Rest der dreijährigen Functionsdauer 
ernannt worden. 

(Die feierliche Installation des Rectors der 
deutschen Universität in Prag), Prof. Dr. Philipp Knoll, 
hat, wie uns aus Prag berichtet wird, am 24. October 1. J. mit 
üblichem Gepränge in Gegenwart hoher staatlicher Würdenträger 


und zahlreicher Gäste stattgefungen. In dem Berichte, welchen der 
Prorector, Theol. Dr. Prof. 8prinz, über das verflossene Studienjahr 
abstattete, wurde als das wichtigste Ereigniß die mit Allerhöchster 
Entschließung vom 9. Juli 1. J. vollzogene Activirung einer theolo¬ 
gischen Facultät an der czechischen Universität in Prag bezeichnet. 
Dadurch ist die Zweitheilung der alten Carola-Ferdinandea eine voll¬ 
ständige geworden, und hat die deutsche Universität ihren vollen 
organischen Ausbau erhalten. Die deutsche Carola - Ferdinanden 
werde zwar auch in Zukunft den internationalen Charakter der 
Wissenschaft nicht außer Acht lassen, sie Werde aber doch in hervor¬ 
ragender Weise bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit sich gerade jener 
wissenschaftlichen Mittel bedienen, welche eben die deutsche Cultur 
auf den verschiedenen Gebieten des menschlichen Wissens zu Tage 
gefördert und großgezogen hat, und sie werde sich dadurch voll¬ 
kommen ebenbürtig den übrigen Heimstätten der deutschen Wissen¬ 
schaft an die Seite stellen als vollberechtigte Bundesgenossin in dem 
geistigen Wettkampfe zum Wohle der gesammten Menschheit. Der 
materielle Verlust, den die deutsche Universität durch Activirung 
einer czechischen theologischen Facultät erlitten hat, werde dadurch 
aufgewogen, daß sich fortan alle ihre einzelnen Theile nur noch 
harmonischer an einander anschließen werden. -— Im Wintersemester 
des vorigen Jahres waren im Ganzen 1580 Hörer und darunter an 
der medicinischen Facultät 655 ordentliche und 51 außerordentliche, 
im Sommersemester im Ganzen 1328 und darunter an der medici¬ 
nischen Facultät 464 ordentliche und 17 außerordentliche inscribirt. 
Dieses Minus findet seine entsprechende Erklärung durch das Ins¬ 
leben treten des neuen Wehrgesetzes, wonach die Freiwilligen nicht 
inscribirt sein dürfen, und die Medioiner ihren halbjährigen activen 
Truppendienst vom 1. April bis 1. October abzuleisten haben. 
Promotionen wurden im Studienjahre 1889—90 im Ganzen 115, 
darunter 60 medicinische, vorgenommen. — Frau Bertha Ambrosi 
legirte für Waisen nach Med.-Doctoreu deutscher Nationalität den 
^ktrag von 12.000 fl., Dr. Tieftrunk für den Witwenfond 2600 fl. 
-J^^mhdem der neue Rector Prof. Knoll die feierliche Angelobung 
hatte und mit den Insignien seiner neuen Würde bekleidet 
wora^war, hielt derselbe einen Vortrag über „Schützende, regelnde 
und ausgleichende Vorgänge im Organismus 4 *, welcher mit lebhaftem 
Beifalle aufgenommen wurde und, wie alle Enunciationen des be¬ 
rühmten Gelehrten, das größte Interesse hervorrief. Wir bringen 
denselben ausführlich nach einem Stenogramme unseres Referenten 
an erster Stelle der vorliegenden Nummer. 

(Eine med. Facultät für Oberösterreich.) Beim o.-ö. 
Landtage, wurde ein auf Errichtung einer medicinischen Hochschule 
in Linz zielender Antrag eingebracht. In der dem Anträge voraus¬ 
geschickten Begründung wird darauf hingewiesen, daß der in ganz 
Oberösterreich seit mehr als einem Jahrzehnt fühlbare Aerztemangel 
in vielen Theilen des Landes eine unzweifelhaft große Calamität 
bildet, die im Falle des Ausbruches einer epidemischen Krankheit 
das ganze Land treffen würde. Als Ursache des Aerztemangels wird 
die Aufhebung der Chirurgenschulen und die lange Dauer und Kost¬ 
spieligkeit der medicinischen Studien bezeichnet. Da die Wieder¬ 
errichtung der Chirurgen schulen nach der bestehenden Sachlage nicht 
zu gewärtigen ist, so wird als Mittel zur Abhilfe des Aerztemangels 
in Oberösterreich die Errichtung einer medicinischen Facultät in Linz 
erklärt, für welche das Bedürfniß des Landes Oberösterreich allein 
eine Anzahl von Hörern der Medicin und die theils erfolgte, theils 
zu gewärtigende Ausgestaltung der Linzer Heilanstalten das erfor¬ 
derliche Lehrmaterial gewährleisten würde. Weiter wird ausgeführt, 
daß außer den einheimischen Studirenden auch Fremde eine medi¬ 
cinische Hochschule in Linz frequentiren würden, besonders solche 
von der Wiener Universität (V), die ohnehin sehr überfüllt sei. Der 
Antrag, welcher von 28 Abgeordneten unterfertigt war, wurde dem 
Schulausschusse zur Vorberathung zugewiesen. 

(Eine neue Anwendung des Phonographen.) Auf 
Anregung des Redacteurs des „British medical Journal“, Ebnest Hart, 
benutzte Colonel Gouraud den EuisON’schen Phonograph dazu, die 
für manche Krankheiten charakteristischen Veränderungen im Klange 
der Stimme, wie z. B. bei Keuchhusten, bei Laryngismus stridulus, 
und die charakteristischen Formen der Dysphonie, wie sie bei manchen 
Formen von Hysterie und partieller Lähmung der Stimmbänder in 




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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


1800 


Folge von CompreBsion des N. laryngeus recurrens Vorkommen, anf- 
xunehmen nnd zu reproduciren. Felix Bemon wählte zu diesem 
Zweeke einige Kranke seiner Abtheilung im St. Thomas Hospital, 
bei denen solche pathologische Veränderungen der Phonation vor¬ 
handen waren. Der Versuch gelang vollkommen, und in einer vorigen 
Samstag abgehaltenen Versammlung von Aerzten in London setzte 
der Phonograph die zahlreichen Besucher durch die Exactheit der 
von ibm reproduoirten Töne in Erstaunen. Es wurde u. A. der Husten 
der Tussis convulsiva mit der Reprise so naturgetreu wiedergegeben, 
daß man ein keuchhustenkrankes Kind im Saale wähnte, ebenso 
wurde die rauhe, pfeifende Stimme der Larynxstenose mit ver¬ 
blüffender Genauigkeit reproducirt. In den Londoner ärztlichen Kreisen 
ist man allgemein der Ansicht, daß diese neue Anwendung des 
Phonographen einen bedeutenden Gewinn für die Diagnostik und für 
den klinischen Unterricht bildet. Es wird in Zukunft durch Auf¬ 
stellung einer Reihe von Cylindern in einem Hörsaale — was mit 
geringen Kosten und ohne Schwierigkeit geschehen kann — er¬ 
möglicht werden, den Studirenden eine Reproduction der charak¬ 
teristischen Veränderungen des Stimmklanges zu geben, wie sie 
durch die genauesten Beschreibungen nie geliefert werden kann. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) In der Montag 
den 10. November 1890. um 7 Uhr Abends, im Hörsaale dpa Herrn Prof. 
Ludwig (Allgemeines Krankenhaus, patholog. Institut) stattfindenden wissen¬ 
schaftlichen Vtrsammlnng wird Hofrath Prof. Dr. Ludwig seine Vorträge, 
die'neueren Arbeiten über die Chemie des Blutes betreffend, fort- 
vetcen. 

(Statistik.) Vom 26. October bis incl. 1. November 1890 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 4241 Personen behandelt. Hievon wurden 735 
entlassen; 90 sind gestorben (l0'S°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden auB der Civilbevölkerung Wiens nnd der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei alserkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 51, ägyptischer Augenentztindung 5, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 8, Dysenterie —, Blattern 29, Varicellen 73, Scharlach 54, 
Masern 130, Keuchhusten 26, Wundrothlauf 25, Wochenbettfleber 5. — In 
der 44. Jahreswoche sind in Wien 353 Personen gestorben (-{-72 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Ottakring bei Wien der 
praktische Arzt Felix Kühn, 64 Jahre alt; in Saaz Dr. Hubert 
Titlbach , langjähriger Bürgermeister und Landtag^abg^^R^t^ 
dieser Stadt, im 79. Lebensjahre; in GFStfingen*"der em. Professor 
der Gynäkologie an dortiger Universität, Dr. Hkrman.v Schwabtz, 
69 Jahre alt. 


Curse für Aerzte 

über 

Massage und Heilgymnastik 

an klinischem Material. 

Theilnehmerzahl leschränkt. — Dauer 3 Wochen. — Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, I., Hegelgasse 21 (3—4). 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Auszugsweise Kundmachung. 

Für den provisorischen Sanitätsdistrict Voran mit den Gemeinden 
Voran, Pachegg, Schachen, Vornholz, Kainberg, Riegersbach and Kleinschlag 
kommt die Districtsarztes-Stelle mit dem Sitze in Voran zu besetzen. Die 
Subvention für diesen Posten be-tebt in der Landessubvention von 400 fl. 
und je 100 fl. vom Bezirke und vom Chorherrenstift in Voran, somit ins- 
gesammt 600 fl-. vorläufig auf ein Jahr. Die ordnungsgemäß instroirten Ge¬ 
suche sind bis 15. November I. J. an den steiermärkischen Landes-Ansschuß 
zu richten. Näheres in der betr. ausführlichen Kundmachung in Nr 44 der 
„Wiener Med. Presse“. 722 

Di8triot8arzte88telle in Hink (Mähren), mit dem Gehalte 

von 536 fl.. Reise pauschale 300 fl. Der District besteht aus 6 Gemeinden 
mit 6til7 Einwohnern; alle Gemeinden, mit Ausnahme einer, sind durch Straßen 
verbanden. Bewerber, die der böhmischen und deutschen Sprache mächtig 
sind, haben ihre Eingaben bis znm 1. December d. J. zn richten an den 
Vorstand der Gesundheits-Commission 
Hink, am 23- October 1890. 718 

Onfedniöek, Obmann. 

ANZEIGEN. 

Schering’s Pepsin - Essenz 

tiiSBfi Vorschrift'von Dr. Oaear Uebrelob, Professor der Arrnelmlttollokro an dar Uni¬ 
versität Berlin, int nach vielfach angestelltenVernnchen das wirksames voa allen Papaln- 
prlparaten bei den verschiedenartigsten Bagenlelden. — Zn haben nur in Origin&lflasohen 
in W iun, Bodapent, Lemberg, t*rag, Arco etc. Inden Apotheken. 700 


(Dr. Svktlin’s Heilanstalt für Gemüthskranke)in Wieu hat 
nunmehr den Benütznngsconsens für ihren Znban erhalten, welcher in diesem 
Monate eröffnet wird. Auch in diesem Adiexe sind dieselben hygienischen 
and ffachärztlieben Einrichtungen dnrchgrführt worden, welche sich im bis¬ 
herigen Anstaltsgebände so trefflich bewährten nnd welche den ungeteilten 
Beifall aller Fachgenossen fanden. Dr. Svetlin wird demnächst einen aus¬ 
führlichen Bericht über die Anstaltsthätigkeit nnd die erzielten, hocherfreu¬ 
lichen Heilresnltate den Collegen vorlegen. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Literatur. 

(Der Redaction eingerondete Recensiona-Exemplare.) 

Fürst C., Die Vorkehrungen zur Erreichung der Asepsis bei Geburten. 
Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Krafft-Ebiog R. v., Lehrbuch der Psychiatrie. Vierte, theilw. nmgearb. 
Anfl. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Bardenbeaer, Leitfaden der Behandlung von Fracturen and Lnxationen der 
Extremitäten mittelst Feder-, resp. Gewiohtsextension. Mit 109 Holzschn. 
Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

TOrök A. Y., Grandzüge einer systematischen Kraniometrie. Mit zahlreichen 
Abbildungen. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Brass A., Tafeln znr Entwicklun.sgeschichte nnd topographischen Anatomie 
des Menschen. 4.5. Heft. Leipzig 1890. Gebhardt & Williscli. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


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681 




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1 



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487 Salrator-Qunllan-Dimction, Epwlti (Ungarn). 




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Nr. 46. 


Sonntag den 16. November 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Große-Ouart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „wienerKlinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
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ln Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
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Wiener 


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Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--sie«- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Robert Koch’s Behandlung der Tuberculose. 

(Original-Telegramm der „Wiener Med. Presse“.) 

Berlin, 14. November 1890, 10 Uhr Vormittags. 


Ein hochbedentsames wissenschaftliches Ereigniß hat sich 
vollzogen. Robert Koch publicirt in der soeben erschienenen 
Nummer der „Deutschen med. Wochenschrift“ die Resultate 
seiner erfolgreichen, zunächst an Thieren, später an Menschen 
erprobten Behandlung der Tuberculose. Der Wichtigkeit des 
Gegenstandes Rechnung tragend, sei im Folgenden eine getreue 
Reproduction der epochalen Mittheilung gegeben. 

Obgleich Koch über Natur, Provenienz und Darstellung 
seines Heilmittels noch immer tiefes Stillschweigen bewahrt, 
und obwohl ein relativ kurzer Zeitraum seit Beginn seiner 
Versuche an Menschen verstrichen ist, so kann angesichts der 
Sicherheit seiner, wenn auch noch immer zurückhaltenden An¬ 
gaben und der Verläßlichkeit des gewissenhaften deutschen 
Forschers kein Zweifel darüber bestehen, daß Koch ein Heil¬ 
mittel gegen die verheerendste Krankheit des 
Menschengeschlechtes gefunden hat. 

Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, die Resultate 
seiner Untersuchungen erst dann zu veröffentlichen, wenn die¬ 
selben vollständig zum Abschluß gebracht sind, genügende 
Erfahrungen über die Anwendung des Mittels in praxi vor¬ 
liegen und die Herstellung desselben in größerem Maßstabe 
möglich ist, sieht sich Koch , da übertriebene und entstellte 
Mittheilungen in die Oeffentlichkeit gelangt sind, genöthigt, 
„um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen“ , schon 
jetzt eine vorläufige „ orientirende Uebersicht über den gegen¬ 
wärtigen Stand der Sache“ zu geben. 

Bezüglich der Wirkung des Mittels zeigte sich, daß 
der Mensch viel empfindlicher gegen dasselbe ist, als das Meer¬ 
schweinchen. Während bei letzterem eine subcutane Injection 
von 2 Cubikcentimetem und darüber kaum merkliche Verände¬ 
rungen hervorruft, bedingt beim gesunden Menschen eine 
solche von 025 Ccm. schon eine intensive Wirkung. Die Sym¬ 
ptome, welche eine solche Injection hervorruft, hat Koch an 
sich selbst erprobt und schildert dieselben wie folgt: 

„Drei bis vier Stunden nach der Injection Ziehen in 
den Gliedern, Mattigkeit, Neigung zum Husten, Athem- 
besch werden, welche sich schnell steigerten; in der fünften 
Stunde trat ein ungewöhnlich heftiger Schüttelfrost ein, 
welcher fast eine Stunde andauerte, zugleich Uebelkeit, 
Erbrechen, Ansteigen der Körpertemperatur bis zu 39'G. 
Nach 12 Stunden ließen sämmtliche Beschwerden nach, 
die Temperatur sank und erreichte bis zum nächsten Tage 
wieder die normale Höhe. Schwere in den Gliedern und 


Mattigkeit hielten noch einige Tage an, ebenso lange Zeit 
blieb die Injectionsstelle ein wenig schmerzhaft und ge- 
röthet. Die untere Grenze der Wirkung des Mittels liegt 
für den gesunden Menschen ungefähr bei 0 01 Ccm. (gleich 
einem Cubikcentimeter der hundertfachen Verdünnung), 
wie zahlreiche Versuche ergeben haben. Die meisten Menschen 
reagiren auf diese Dosis nur noch mit leichten Glieder¬ 
schmerzen und bald vorübergehender Mattigkeit. Bei Ei¬ 
nigen trat außerdem noch eine leichte Temperatursteigerung 
ein, bis zu 38 Grad oder wenig darüber hinaus.“ 

Was die Dosis des Mittels betrifft, so reagirt der ge¬ 
sunde, sowie der kranke, aber nicht tuberculose Mensch auf 
001 gar nicht, oder nur in geringem Maße. Anders steht die 
Sache bei Tuberculosen. 

„Wenn man diesen dieselbe Dosis des Mittels (001 
Ccm.) injicirt (Kindern im Alter von 3 bis 5 Jahren haben 
wir ein Zehntel dieser Dosis, also 0 001, sehr schwäch¬ 
lichen nur O’OOO') Ccm. gegeben und damit eine kräftige, 
aber nicht besorgnißerregende Reaction erhalten), dann 
tritt sowohl eine starke allgemeine, als auch eine örtliche 
Reaction ein. Die allgemeine Reaction besteht in einem 
Fieberanfall, welcher, meistens mit einem Schüttelfrost 
beginnend, die Körpertemperatur über 39 Grad, oft bis 
40 Grad und selbst 41 Grad steigert; daneben bestehen 
Gliederschmerzen, Hustenreiz, große Mattigkeit, öfters 
Uebelkeit und Erbrechen. Einigemale wurde eine leichte 
ikterische Färbung, in einigen Fällen auch das Auftreten 
eines masernartigen Exanthems an Brust und Hals beob¬ 
achtet. Der Anfall beginnt in der Regel 4 bis 5 Stunden 
nach der Injection und dauert 12 bis 15 Stunden. Aus¬ 
nahmsweise kann er auch später auftreten und verläuft 
dann mit geringerer Intensität. Die Kranken werden von 
dem Anfalle auffallend wenig angegriffen und fühlen sich, 
sobald er vorüber ist, verhältnißmäßig wohl, gewöhnlich 
sogar besser wie vor demselben.“ 

Die örtliche Reaction kann am besten an solchen 
Kranken beobachtet werden, deren tuberculose Affection sicht¬ 
bar zu Tage liegt, also z. B. bei Lupuskranken; bei diesen 
treten Veränderungen ein, welche die specifisch antituberculose 
Wirkung des Mittels in einer ganz überraschenden Weise er¬ 
kennen lassen; einige Stunden, nachdem die Injection unter 
die Rückenhaut, also an einem von den erkrankten Haut- 
theilen im Gesicht u. s. w. ganz entfernten Punkte, gemacht 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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ist, fangen die lupösen Stellen, und zwar gewöhnlich schon 
vor Beginn des Frostanfalles, an, zu schwellen und sich zu 
röthen. Während des Fiebers nimmt Schwellung und Röthung 
immer mehr zu und kann schließlich einen ganz bedeutenden 
Grad erreichen, so daß das Lupusgewebe stellenweise braun- 
roth und öfters die stark geschwollene und braunroth gefärbte 
Stelle von einem weißlichen, fast einen Centimeter breiten 
Saum eingefaßt wird, der seinerseits wieder von einem breiten, 
lebhaft gerötheten Hof umgeben erscheint. Nach Abfall des 
Fiebers nimmt die Anschwellung der lupösen Stellen allmälig 
wieder ab, so daß sie nach zwei bis drei Tagen verschwunden 
sein kann. Die Lupusherde selbst haben sich mit Krusten von 
aussickerndem und an der Luft vertrocknetem Serum bedeckt, 
sie verwandeln sich in Borken, welche nach zwei bis drei 
Wochen abfallen und mitunter schon nach einmaliger Injection 
des Mittels eine glatte rothe Narbe hinterlassen. Gewöhnlich be¬ 
darf es aber mehrerer Injectionen zur vollständigen Beseitigung 
des lupösen Gewebes. 

DieseVeränderungen beschränken sich durch¬ 
aus auf die lupös erkrankten Hautstellen. An 
einzelnen Stellen geht dies, wie der Augenschein lehrt, in der 
Weise vor sich, daß das kranke Gewebe schon nach einer 
ausreichenden Injection unmittelbar abstirbt und als todte 
Masse abgestoßen wird. An anderen Stellen scheint mehr ein 
Schwund oder eine Art von Schmelzung des Gewebes einzu¬ 
treten , welche, um vollständig zu werden, wiederholter Ein¬ 
wirkung des Mittels bedarf. 

Weniger frappant, aber immer noch für Auge und Ge¬ 
fühl wahrnehmbar, sind die örtlichen Reactionen bei Tuber- 
culose der Lymphdrüsen, der Knochen und Gelenke 
u. s. w., bei welchen Anschwellung, vermehrte Schmerzhaftig¬ 
keit, bei oberflächlich gelegenen Theilen auch Röthung sich 
bemerklich machen. 

Die Reaction in den inneren Organen, zumal in den 
Lungen, entzieht sich dagegen der Beobachtung, wenn man 
nicht etwa vermehrten Husten und Auswurf der Lungen¬ 
kranken nach den ersten Injectionen auf eine örtliche Reaction 
beziehen will. In derartigen Fällen dominirt die allgemeine 
Reaction; gleichwohl muß man annehmen, daß auch hier sich 
gleiche Veränderungen vollziehen , wie sie beim Lupus direct 
beobachtet werden. 

Die geschilderten Reactionserscheinungen sind, wenn 
irgend ein tuberculöser Proceß im Körper vorhanden war, 
auf die Dosis von 0 01 Ccm. in den bisherigen Versuchen aus¬ 
nahmslos eingetreten, und Koch glaubt deswegen nicht zu 
weit zu gehen, wenn er annimmt, daß das Mittel in Zu¬ 
kunftein unentbehrliches diagn o s ti sch es Hil f s- 
mittel bilden wird. „Man wird damit im Stande sein, 
zweifelhafte Fälle von beginnender Phthisis selbst dann noch 
zu diagnosticiren, wenn es nicht gelingt, durch den Befund 
von Bacillen oder elastischen Fasern im Sputum, oder durch 
die physikalische Untersuchung eine sichere Auskunft über 
die Natur des Leidens zu erhalten. Drüsenaffectionen, ver¬ 
steckte Knochen-Tuberculose, zweifelhafte Haut-Tuberculose 
u. dgl. werden leicht und sicher als solche zu erkennen sein. 
In scheinbar abgelaufenen Fällen von Lungen- und Gelenks- 
Tuberculose wird sich feststellen lassen, ob der Krankheits- 
proceß in Wirklichkeit schon seinen Abschluß gefunden hat, 
und ob nicht doch noch einzelne Herde vorhanden sind, von 
denen aus die Krankheit wie von einem unter der Asche glim¬ 
menden Funken später von Neuem Umsichgreifen könnte.“ 

Ueber den Heilungsvorgang läßt sieh mangels 
histologischer Untersuchungen nichts Bestimmtes aussagen. 

Nur so viel steht fest, daß es sich nicht um eine 
Abtödtung der im Gewebe befindlichen Tuberkel¬ 
bacillen handelt, sondern daß nur das Gewebe, 
welches die Tuberkelbacillen einschließt, von 
der Wirkung des Mittels getroffen wird. In diesem 
treten, wie die sichtbare Schwellung und Röthung zeigten, 
erhebliche Circulationsstörungen und damit offenbar tief¬ 


greifende Veränderungen in der Ernährung ein, welche das 
Gewebe je nach der Art und Weise, in welcher man das 
Mittel wirken läßt, mehr oder weniger schnell und tief zum 
Absterben bringen. Das Mittel tödtet nicht die Tu¬ 
berkel, sondern ist nur im Stande, lebendes tu 
berculöses Gewebe zu beeinflussen; auf bereits 
t o d t e s, z. B. abgestorbene käsige Massen, nec rotische 
Knochen u. s. w. wirkt es nicht, ebenso wenig auch auf 
das durch das Mittel selbst bereits zum Absterben gebrachte 
Gewebe. In solchen todten Gewebsmassen können dann immerhin 
noch lebende Tuberkelbacillen lagern, welche entweder mit 
dem necrotischen Gewebe ausgestoßen werden, möglicherweise 
aber auch unter besonderen Verhältnissen in das benachbarte 
noch lebende Gewebe wieder eindringen könnten. Gerade diese 
Eigenschaft des Mittels ist sorgfältig zu beachten, wenn man 
die Heilwirkung desselben richtig ausnützen will, es muß 
also zunächst das noch lebende tuberculöse Ge¬ 
webe zum Absterben gebrachtunddann Alles auf- 
geboten werden, um das todte sobald aismöglich, 
z. B. durch chirurgische Nachhilfe, zu entfernen. 
Da aber, wo dies nicht möglich ist, und nur durch 
Selbsthilfe des Organismus die Aussonderung 
langsam vor sich gehen kann, muß zugleich durch 
fortgesetzte Anwendung des Mittels das gefähr¬ 
dete lebende Gewebe vor dem Wiederein wandern 
der Parasiten geschützt werden. Daraus, daß das 
Mittel das tuberculöse Gewebe zum Absterben bringt und 
nur auf das lebende Gewebe wirkt, läßt sich ungezwungen 
noch ein anderes, höchst eigenthümliches Verhalten des Mittels 
erklären, daß es nämlich in sehr schnell gesteigerten Dosen 
gegeben werden kann. Zuletzt könnte diese Erscheinung als 
auf Angewöhnung beruhend gedeutet werden. 

Wenn man aber erfährt, daß die Steigerung der Dosis 
im Laufe von etwa drei Wochen bis auf das 500fache der 
Anfangsdosis getrieben werden kann, dann läßt sich dies wohl 
nicht mehr als Angewöhnung auffassen, da es an jedem Analogon 
von so weitgehender und so schneller Anpassung an ein stark¬ 
wirkendes Mittel fehlt. Man wird sich diese Erscheinung viel 
mehr so zu erklären haben, daß anfangs viel tuberculöses 
lebendes Gewebe vorhanden ist, und dementsprechend eine 
geringe Menge der wirksamen Substanz ausreicht, um eine 
starke Reaction zu veranlassen; durch jede Injection wird 
aber eine gewisse Menge reactionsfähigen Gewebes zum 
Schwinden gebracht, und es bedarf dann verhältnißmäßig 
immer größerer Dosen, um denselben Grad von Reaction wie 
früher zu erzielen. Danebenher mag auch innerhalb gewisser 
Grenzen eine Angewöhnung sich geltend machen, sobald der 
Tuberculöse so weit mit steigenden Dosen behandelt ist. daß 
er nur noch ebenso wenig reagirt, wie ein Nichttuberculöser; 
dann darf man wohl annehmen, daß alles reactionsfähige 
tuberculöse Gewebe getödtet ist. Man wird alsdann nur noch, 
um den Kranken, so lange noch Bacillen im Körper vorhanden 
sind, vor einer neuen Infection zu schützen, mit langsam 
steigenden Dosen und mit Unterbrechungen die Be¬ 
handlung fortzusetzen haben. 

Zur Art und Weise der Anwendung des Mittels 
übergehend .hat Koch fast bei allen Lupuskranken von vorn¬ 
herein die volle Dosis von O’Ol Ccm. injicirt, dann die Reaction 
vollständig ablaufen lassen und nach 1—2 Wochen wieder 
O'Ol Ccm. gegeben, so fortfahrend, bis die Reaction immer 
schwächer wurde, und schließlich aufhörte. Bei zwei Kranken 
mit Gesichtslupus wurden in dieser Weise durch drei, bezw. vier 
Injectionen die lupösen Stellen zur glatten Vernarbung ge¬ 
bracht, die übrigen Lupuskranken sind der Dauer der Behand¬ 
lung entsprechend gebessert. Alle diese Kranken haben ihr 
Leiden viele Jahre getragen und sind vorher in der ver¬ 
schiedensten Weise erfolglos behandelt worden. Ganz ähnlich 
wurden Drüsen-, Knochen- und Gelenkstuberculose behandelt, 
indem ebenfalls große Dosen mit längeren Unterbrechungen 
zur Anwendung kamen. Der Erfolg war der gleiche wie bei 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


1814 


Lupus: schnelle Heilung in frischen und leichteren Fällen, 
langsam fortschreitende Besserung bei den schweren Fällen. 

Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse bei den 
Phthisikern. Diesbezüglich sagt Koch: 

„Kranke mit ausgesprochener Lungentuberculose sind 
gegen das Mittel weit empfindlicher als die mit chirurgischen 
tuberculösen Affectionen behafteten. Wir mußten die für 
Phthisiker anfänglich zu hoch bemessene Dosis von 0*01 Ccm. 
sehr bald herabsetzen und fanden, daß Phthisiker fast regel¬ 
mäßig noch auf 0*002 und selbst 0*001 Ccm. stark reagirten, 
daß man aber von dieser niedrigen Anfangsdosis mehr oder 
weniger schnell zu denselben Mengen aufsteigen kann, welche 
auch von den anderen Kranken gut ertragen werden. Wir 
verfuhren in der Regel so, daß der Phthisiker zuerst 0*0Ü1 Ccm. 
injicirt erhielt, und daß, wenn Temperaturerhöhung danach 
eintrat, dieselbe Dosis so lange täglich einmal wiederholt 
wurde, bis keine Reaction mehr erfolgte; erst dann wurde 
auf 0*002 gestiegen, bis auch diese Menge reactionslos ver¬ 
tragen wurde, und so fort immer um 0*001 oder höchstens 
0*0u2 steigend bis zu 0 01 und darüber hinaus. Dieses milde 
Verfahren schien mir namentlich bei solchen Kranken ge¬ 
boten, deren Kräftezustand ein geringer war. Wenn 
man in der geschilderten Weise vorgeht, läßt es sich leicht 
erreichen, daß ein Kranker fast ohne Fiebertemperatur 
und für ihn fast unmerklich auf sehr hohe Dosen des 
Mittels gebracht werden kann. Einige noch einigermaßen 
kräftige Phthisiker wurden aber auch theils von vornherein 
mit großen Dosen, theils mit forcirter Steigerung in der 
Dosirung behandelt, wobei es den Anschein hatte, als ob 
der günstige Erfolg entsprechend schneller eintrat. 

„Die Wirkung des Mittels äußerte sich bei 
den Phthisikern im Allgemeinen so, daß Husten und Aus¬ 
wurf nach den ersten Injectionen gewöhnlich etwas Zu¬ 
nahmen, dann aber mehr und mehr geringer wurden, um 
in den günstigsten Fällen schließlich ganz zu verschwinden; 
auch verlor der Auswurf seine eitrige Beschaffenheit, er 
wurde schleimig, die Zahl der Bacillen (es sind nur solche 
Kranke zum Versuche gewählt, welche Bacillen im Aus- 
würfe hatten) nahm gewöhnlich erst dann ab, wenn der 
Auswurf schleimiges Aussehen bekommen hatte. Sie ver¬ 
schwanden dann zeitweilig ganz, wurden aber von Zeit zu 
Zeit wieder angetroffen, bis der Auswurf vollständig weg- 
blieb. Gleichzeitig hörten die Nachtschweiße auf, das 
Aussehen besserte sich, und die Kranken nahmen an Ge¬ 
wicht zu. Die im Anfangsstadium der Phthisis behandelten 
Kranken sind sämmtlich im Laufe von vier bis sechs 
Wochen von allen Krankheitssymptomen befreit, so daß 
man sie als geheilt ansehen konnte. Auch Kranke mit 
nicht zu großen Cavernen sind bedeutend gebessert und 
nahezu geheilt. Nur bei solchen Phthisikern, deren Lungen 
viele und große Cavernen enthielten, war, obwohl der 
Auswurf auch bei ihnen abnahm und das subjective Be¬ 
finden sich besserte, doch keine objective Besserung wahr¬ 
zunehmen. 

„Nach diesen Erfahrungen möchte ich annehmen, daß 
beginnende Phthisis durch das Mittel mit 
Sicherheit zu heilen ist. Dieser Ausspruch bedarf 
allerdings noch insofern einer Einschränkung, als augen¬ 
blicklich noch keine abschließenden Erfahrungen darüber vor¬ 
liegen und auch noch nicht vorliegen können, ob die Heilung 
eine definitive ist, Recidiven sind selbstverständlich vorläufig 
noch nicht ausgeschlossen. Doch ist wohl anzunehmen, daß 
dieselben ebenso leicht und schnell zu beseitigen sein werden, 
wie der erste Anfall. Andererseits wäre es aber auch 
möglich, daß nach Analogie mit anderen Infectionskrank- 
heiten die einmal Geheilten dauernd immun werden. Auch 
dies muß bis auf Weiteres als eine offene Frage ange¬ 
sehen werden. Theilweise mag dies auch noch für die 
nicht zu weit vorgeschrittenen Fälle gelten. Aber Phthisiker 


mit großen Cavernen, bei denen wohl meistens Complica- 
tionen, z. B. durch das Eindringen von anderen eiter¬ 
erregenden Mikroorganismen in die Cavernen durch nicht 
mehr zu beseitigende pathologische Veränderungen in 
anderen Organen u. s. w., bestehen, werden wohl nur aus¬ 
nahmsweise einen dauernden Nutzen von der Anwendung 
des Mittels haben. Vorübergehend gebessert wurden in¬ 
dessen auch derartige Kranke in den meisten Fällen. Man 
muß daraus schließen, daß auch bei ihnen der ursprüng¬ 
liche Krankheitsproceß, die Tuberculose, durch das Mittel 
in derselben Weise beeinflußt wird, wie bei den übrigen 
Kranken, und daß es gewöhnlich nur an der Möglichkeit 
fehlt, die abgetödteten Gewebsmassen nebst den secundären 
Eiterungsprocessen zu beseitigen. Unwillkürlich wird da 
der Gedanke wachgerufen, ob nicht doch noch manchen 
von diesen Sch werkranken durch Combination des neuen 
Heilverfahrens mit chirurgischen Eingriffen oder mit anderen 
Heilfactoren zu helfen sein sollte? Ueberhaupt möchte 
ich dringend davon abrathen, das Mittel in 
schematischerWeise und oh ne Unterschied bei 
allen Tuberculösen anzuwenden. Am einfachsten 
wird sich voraussichtlich die Behandlung bei beginnen¬ 
der Phthise und bei einfachen chirurgischen Affectionen 
gestalten, aber bei allen anderen Formen der Tuberculose 
sollte man die ärztliche Kunst in ihre vollen Rechte treten 
lassen, indem sorgfältig individualisirt wird und andere 
Hilfsmittel herangezogen werden, um die Wirkung des 
Mittels zu unterstützen. In vielen Fällen habe ich den 
entschiedenen Eindruck gehabt, als ob die Pflege, welche 
den Kranken zu Theil wurde, auf die Heilwirkung von 
nicht unerheblichem Einflüsse war, und ich möchte des¬ 
wegen der Anwendung des Mittels in geeigneten Anstalten, 
in welchen eine sorgfältige Beobachtung der Kranken und 
die erforderliche Pflege derselben am besten durchzuführen 
ist, vor der ambulanten oder Hausbehandlung den Vorzug 
geben. 

Der Schwerpunkt des neuen Heilverfahrens liegt, wie 
gesagt, in der möglichst frühzeitigen Anwendung. Das 
Anfangstadium der Phthise soll das eigentliche 
Object der Behandlung sein, weil sie diesem gegen¬ 
über ihre Wirkung voll und ganz entfalten kann; deswegen 
kann aber auch gar nicht eindringlich genug darauf hin¬ 
gewiesen werden, daß in Zukunft viel mehr, als es 
bisher der Fall war, seitens der praktischen 
Aerzte Alles aufgeboten werden muß, um die 
Phthisis so frühzeitig als möglich zu diagno- 
sticiren. Bislang wurde der Nachweis der Tuberkelba- 
eillen im Sputum mehr als eine nicht uninteressante 
Nebensache betrieben, durch welche zwar die Diagnose 
gesichert, dem Kranken aber kein weiterer Nutzen ge¬ 
schaffen wird, die deßwegen auch nur zu oft unterlassen 
wurde. In Zukunft muß das anders werden: ein Arzt, 
welcher es unterläßt, mit allen ihm zu Gebote stehenden 
Mitteln, namentlich mit Hilfe der Untersuchung des ver¬ 
dächtigen Sputums auf Tuberkelbacillen, die Phthisis so 
früh als möglich zu constatiren, macht sich damit einer 
starken Vernachlässigung seines Kranken schuldig, weil 
von dieser Diagnose und der auf Grund derselben 
schleunigst eingeleiteten specifischen Behandlung das 
Leben des Kranken abhängenkann. In zweifel¬ 
haften Fällen sollte sich der Arzt durch eine Probe-Injection 
die Gewißheit über das Vorhandensein oder Fehlen der 
Tuberculose verschaffen. Dann erst wird das neue Heil¬ 
verfahren zu einem wahren Segen für die leidende 
Menschheit geworden sein, wenn es dahin gekommen 
ist, daß möglichst alle Fälle von Tuberculose 
frühzeitig in Behandlung genommen werden.“ 

* * 

* 

1* 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 46. 


1816 


Berlin, 14. November 1890, Mittags. 

Die Versuche mit Koch’s Heilmittel sind von Dr. Libbebtz 
und Stabsarzt Pfuhl, dem Schwiegersöhne Koch’s, unter dessen 
Aufsicht an Kranken der Abtheilungen von Briegeb, Fbaentzel, 
Koehler, Bergmann und William Lewy vorgenommen worden. 
Das Mittel selbst stellt eine klare, bräunliche, haltbare Flüs 
sigkeit dar, welche mit Wasser oder halbpercentiger Phenol¬ 
lösung verdünnt zur Anwendung gelangt, vor dem Gebrauche je¬ 
doch durch Erhitzung sterilisirt werden muss. Zur subcutanen 
Injection wird eine leicht desinficirbare Spritze mit Gummiballon 
ohne Stempel verwendet und die Einspritzung in die Rücken¬ 
haut zwischen den Schulterblättern oder die Lenden gegend 
vorgenommen. Die Injection ist fast schmerzlos. 

* * 

* 

Diejenigen Aerzte, welche jetzt schon Versuche mit 
dem Mittel anstellen wollen, können dasselbe von Dr. A. 
Libbertz (Berlin, NW., Lüneburgerstraße 28) beziehen, welcher 
unter Koch’s und Dr. Pfuhl’s Mitwirkung die Herstellung 
des Mittels übernommen hat. Doch ist der zur Zeit vor¬ 
handene Vorrath nur ein sehr geringer, und werden erst 
nach einigen Wochen etwas größere Mengen zur Verfügung 
stehen. 


Aus der Klinik des JProf.^v. Koränyi in Budapest. 

Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Dr. Moriz Strioker und Dr. Wilhelm Friedrich. 

(Fortsetzung.) 

1. Die Wirkung des aof einmal in den Magen anfgenommenen 
Wassers verschiedener Menge auf die Zahl der Herzcontrac- 
tionen, den Blutdruck und die Harnausscheidung. 

A. Auf gesunde Herzen. 

Das in den Magen aufgenommene'Wasser wird nach 
den allgemein bekannten Lehren und Erörterungen zum großen 
Theile schon im Magen resorbirt. Beclard fand einen Theil 
des auf nüchternem Magen getrunkenen Wassers schon 
30 Secunden nach dem Trinken in der Oeffnung einer Duodenal- 
tistel, aus welcher Erscheinung wir natürlich schließen können, 
daß das Wasser aus dem Magen bald verschwindet. Die 
Experimente Jaworski’s n ) bewiesen, daß 1 / i Stunde nach dem 
Trinken Va Liter Wassers kaum die Hälfte desselben im 
Magen vorzufinden, und daß dasselbe nach >/ 2 Stunde aus dem 
Magen schon ganz verschwunden sei. 

Die Beschaffenheit der Gefäße in der Magen- und Darm¬ 
schleimhaut lassen darauf schließen, daß das resorbirte Wasser 
auf dem Wege der Lymphgefäße und Venen in den Blutlauf 
gelangt und auf diese Weise den Wassergehalt des Blutes 
vermehrt. 


") Vergleichende experimentelle Untersuchungen über das Verhältniß 
des Kissinger und Carlsbader Wassers im menschlichen Magen. Von W. Jawobski. 
Deutsches Archiv für klin. Medicin. 1884. 


Bouisson 18 ) fand bei Thieren, welche kurze Zeit nach 
dem Wassertrinken verschieden, die Vena portae stark er¬ 
weitert und mit wasserreichem Blute gefüllt. 

Auch beim Menschen wurde das Blut nach reichlicherem 
Wassertrinken untersucht; die diesbezüglichen Resultate sind 
aber von einander sehr verschieden. Während Magendie das 
specifische Gewicht und Leichtrnstern 1S ) den Hämoglobingehalt 
des Blutes kürzere und längere Zeit nach dem Trinken nicht 
verringert fanden, glaubt Nasse, daß der Wassergehalt des 
Blutes nach dem Trinken, wenn auch in geringerem Maße, 
beeinflußt sei; dasselbe bestätigt auch Lecanu, während Schultz 
eine beträchtliche Vermehrung des Wassergehaltes im Blute 
constatirte. Böcker 14 ) wies an der Hand seiner Experimente 
nach, daß 1 j t Stunde nach reichlichem Wassertrinken das 
Blut dünner, wasserreicher sei, als wenn dasselbe Individuum 
sich 24 Stunden hindurch der Flüssigkeitsaufnahme entzieht, 

Aehnliche Versuche machte Frater 16 ) auf der internen 
Klinik Prof. Koränyi’s. In allen seinen Beobachtungen war 
der Hämoglobinprocentsatz vor dem Mittagessen höher als 
nachher, das Blut wurde daher dünner. Im Durchschnitte 
betrug der Unterschied des Hämoglobingehaltes vor und nach 
dem Essen, mit dem FLEiscHL’schen Hämometer gemessen, 6*3. 

Die obgenannten Forscher stimmen trotz der verschie¬ 
denen Resultate in dem einen Punkte überein, daß auch bei 
reichlicherer Wasseraufnahme die Veränderungen des Blutes 
nur im geringen Maße und während kurzer Zeit bestehen. 

Mantegazza 16 ) fand bei seinen im Jahre 1859 vollführten 
Versuchen, daß nach Aufnahme größerer Mengen Wassers die 
Zahl der Pulsschläge anderthalb Stunden nach dem Trinken 
sich auch dann verringert, wenn in den ersten Minuten die 
Zahl der Pulsschläge zugenommen hat. Er fand daher, daß 
nach der Reflexwirkung sich die Massen Wirkung des Wassers 
bewährt. Aehnliche Resultate berichten Liebermeister und 
Winternitz 17 ) auf Grund ihrer Experimente. 

Böcker erklärt die von ihm beobachtete Verminderung 
der Pulsschläge nach der Wasseraufnahme daraus, daß bei 
lebhafterem Stoffwechsel das Herz weniger arbeiten muß, daher 
die Herzcontractionen sich vermindern. 

Wolfner 18 ), der bei seinen an 2 Individuen durch längere 
Zeit (24 Tage) vollführten Versuchen nur den Blutdruck beob¬ 
achtete, kommt zu dem Resultate, daß die Blutspannung, resp. 
der Blutdruck unter den verschiedenen Verhältnissen ständig 
einen gewissen Werth einnimmt, um welchen er nur zeitweilig, 
auf verhältnißmäßig kurze Zeit geringe Schwankungen auf¬ 
weist, je nachdem wir die Wasseraufnahme vermehren oder 
verringern. 

Der Einfluß des auf einmal getrunkenen Wassers ver¬ 
schiedener Menge auf die Harnausscheidung bei Menschen 
wurde bis jetzt durch keine ausführlicheren Experimente eruirt. 

Falck 19 ) machte diesbezügliche Versuche an Thieren. 
Er goß 500—1000 Cubcm. Wasser in den nüchternen Magen 
von Hunden und entleerte nachher stündlich die Blase des 
Thieres mittelst Katheters; im Verlaufe von 2—3 Stunden 
war der größte Theil, ja beinahe die ganze Menge des ein¬ 
genommenen Wassers aus dem Körper ausgeschieden. Die 
Steigerung der Harnausscheidung, die sogenannte Harnfluth, 
zeigte sich beiläufig 1 Stunde nach dem Trinken. 

ll ) Hermann, Physiologie. 

**) Leichtknstkrn , Balneotherapie. 

,4 ) Untersuchungen über die Wirkungen des Wassers von Böcker. 
Breslan nnd Bonn 1864. 

li ) Kiserletek a Fleisch l f&le hämometerrel. Közlemöny Koranyi tur 
egyetemi belgyogykörodäjäböl. Közli Frater Imre 1886. 

16 ) Sülle virtu igieniche e medicinali e. c. t. Milano 1859. Schmidt's 
J ahrbücher. 

,T ) Die Hydrotherapie auf physiologischer nnd klinischer Grundlage. 
Von Dr. W. Wintkrnitz, 1877. 

18 ) Sphygmomanometrische Beobachtungen über den Einfluß vermehrter 
und verminderter Wasserzufuhr. Von Dr. Felix Wolfner. „Prager Vierteljahres¬ 
schrift für prakt. Heilkunde.“ 1887. 

18 ) Ein Beitrag zur Physiologie des Wassers. Von F. A. Falck. „Zeit¬ 
schrift für Biologie“. Bd. 12. 7. 3. 


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1817 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


1818 


Aus dem oben Angeführten ersehen wir, daß das Wasser, 
in verschiedener Menge in den Organismus eingeführt, sowohl 
auf die Herzaction, als auf die Harnausscheidung einen wich¬ 
tigen Einfluß ausübt. Damit wir uns nun von der Größe und 
Dauer der Wirkung, welche das auf einmal getrunkene Wasser 
in. Folge seiner Masse auf die Herzaction und Harnausschei¬ 
dung ausübt, Ueberzeugung verschaffen, brachten wir die unten 
angeführte Methode bei unseren Versuchen in Anwendung, 
welche wir an folgenden gesunden Individuen vollführten: 

1. F. V., 23 Jahre alt, Mediciner, mittlerer Gestalt, gut ge¬ 
nährt. Körpergewicht 62 Kgrm. Zahl der Pulsschläge 62 in der 
Minute. Blutdruck 130 Mm. Hg (an der Radialarterie). 

2. 8. M., 23 Jahre alt, Mediciner, mittlerer Gestalt, gut ge¬ 
nährt. Körpergewicht 64 Kgrm. Zahl der Pulsschläge 70 in der 
Minute. Blutdruck 125 Mm. Hg (an der Radialarterie). 

Vor Allem brachten wir den Organismus dieser Individuen 
durch eine schon mehrere Tage vor dom Experimentiren eingeführte 
gleichmäßige Diät in ein gewisses Gleichgewicht; dieselbe Diät 
wurde auch während des ganzen Versuchscyclus womögüch bei- 
bebalten. Unsere Versuche vollführten wir nun mit 75—150 bis 
300—500—1000—2000 Ccm. 16 - 5gradigem Wasser in der Weise, 
daß die Wassermengen bis 500 Ccm. auf einmal, und die darüber 
stehenden binnen 15—30 Minuten von den Betreffenden in den 
Magen aufgenommen wurden. Wir gebrauchten deshalb 16 5gradiges 
Wasser, weil das Wasser solcher Temperatur, wie wir dies im 
I. Theile nachwiesen, in Folge seiner Temperatur auf die Herzaction 
einen nur sehr geringen Einfluß ausübt. 

Vor dem Wassertrinken, welches immer auf nüchternem Magen 
geschah, bestimmten wir die Zahl der Pnlsscblägo, den Blutdruck 
mittelst des BASCH’schen Sphygmomanometers und die Gefäßspannung 
mit dem Sphygmographen. ao ) 

Mit diesen Aufzeichnungen verglichen wir die während der 
3—4 1 / a Stunden dauernden Versuche gewonnenen Aufnahmen, da 
wir je 10—15 Minuten die Veränderungen der Herzaction, des 
Blutdruckes und der Blutspannung aufzeiehneten. 

Außerdem ließen wir vor dem Versuche die Blase entleeren und 
bestimmten das specifisohe Gewicht des so gewonnenen Harnes. Bei 
dem während des Versuches auftretenden geringsten Harndrange 
wurde die Blase entleert und zeichneten wir jedesmal die entleerte 
Urinmenge und deren spec. Gewicht auf. 


F. V., 23 Jahre alt. 



Zeit 

Zahl der Puls¬ 
schläge 

M 

v 

Ö 

U 

1 

« 

Harn 

Cnrven 

Anmerkung 

a 

« 

a 

p 

55 

Minuten 

Secunden 

Menge 

Spec. 

Gewicht 

i ® 

4 

II 

H 

cardio- 

graphische 


8 

50 

_ 

60 

125 

_ 

1026 

l*) 

I 












1 trank er 500 Ccm. 16'4° 











l Wasser 


9 

10 

— 

60 

— 

— 

— 

— 

— 



9 

15 

— 

59 

— 

— 

— 

— 

— 



9 

25 

— 

58 

145 

— 

— 

II 

— 



9 

30 

— 

57 

145 

— 

— 

— 

11 



9 

45 

— 

57 

150 

— 

— 

— 

— 



9 

55 

— 

72 

— 

— 

— 

— 

— 

Heftiger Drang zum Uriniren 


10 

— 

— 

— 

— 

300 

1009 

— 

— 



10 

10 

— 

56 

150 

— 

— 

— 

— 



10 

15 

— 

56 

— 

— 

— 

III 

— 



10 

25 

— 

56 

— 

— 

— 

— 

III 



10 

30 

— 

— 

— 

330 

1004 

— 

— 



10 

45 

— 

56 

140 

— 

— 

— 

— 



11 

— 

— 

57 

135 

— 

— 

— 

— 



11 

IC 

— 

57 

135 

— 

— 

IV 

— 



11 

30 

— 

59 

130 

— 

— 

— 

— 



11 

40 

— 

— 

— 

250 

1006 

— 

— 



12 

— 

— 

61 

126 

— 

— 

— 

IV 



12 

30 

— 

61 

126 

— 

— 

V 

— 



1235 

— 

— 

— 

60 

1009(?) 

— 

— 



*°) Bei dieser Versuchsreihe zeichneten wir mittelst des MARREY’schen 
Polygraphen auch die Veränderungen der Herzcontractionen graphisch auf. 
Die Cardiogramme zeigten aber auch die gröberen Veränderungen nur sehr 
▼erwischt und dunkel, so daß wir dieselben hier gar nicht vorlegen und auf 
die von denselben abzuleitenden Folgerungen gar nicht reflectiren. 

*) Siehe Fig. 7. 


Zeit 

Zahl der Puls¬ 
schläge 

Blutdruck 

Harn 

Cnrven 

Stunden 

Minuten 

Secnnden 

© 

bc 

g 

s 

. M 

u 

02 ® 

O 

• ® 
11 
51 
s-S, 

41 

s f 

925 — 

62 

128 

— 

1027 

I*) 

I 

9 35- 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

9 4öj— 

— 

— 

— 

— 


— 

9 47- 

59 

140 

— 

_ 

_ 

_ 

9 50 - 

57 

145 

— 

— 

— 

— 

IO- 1 - 

54 

155 


— 

II 

— 

10 10 — 

53 

160 

— 

— 

— 

— 

10 15 - 

— 

— 

190 

1005 

— 

— 

10 20 — 

53 

— 

— 

— 

— 

ii 

10 25 - 

52 

165 

— 

— 

— 

— 

10 30- 

— 

— 

320 

1000-5 

— 


10 40 — 

52 

165 

— 

— 

— 


10 50- 

53 

— 

— 

— 

III 

— 

10 55 - 

— 

— 

290 

1000-5 

— 

— 

11 — 

55 

155 

— 

— 

— 

in 

11 15- 

— 

— 

30) 

1001 

— 

— 

,11 20- 

57 

145 

— 

— 

— 

— 

11 25- 

57 

— 

— 

— 

— 

— 

11 35 — 

59 

— 

— 

— 

IV 

— 

11.50- 

— 

— 

650 

1001 

— 

— 

1155- 

58 

130 

— 

— 

— 

IV 

12 10- 

59 

— 

— 

— 

— 

V 

12 25- 

1 1 ' 

60 

130 


— 

V 



Anmerkung 


trank er 500 Ccm. 16'4° 
& 880 r 

| trank er 500 Ccm. 16'4° 
[ Wasser 



. Vor der Einnahme des Wassers 
aufgenommene Curve. 

,. 86 Minuten nach der Einnahme. 

. 1 Stunde 16 Minuten nach der 
Einnam.ie. 

. 8 Stunden 15 Minuten nach der 
Einnahme. 


..... 8 Stunden 85 Minuten nach der 
Einnahme. 



Fig. 7. 


Vor der Einnahme des Wassers anfgenommene 
Curve. 


. . 20 Minuten nach der Einnahme. 


1 Stunde 10 Minuten nach der Einnahme. 


l Stunde 66 Minuten nach der Einnahme. 

.. . 2 Stunden 46 Minuten nach der Einnahm'' 


F'g. 8. 


Zur Darstellung des Verlaufes legen wir die beim Trinken 
500 und 1000 Ccm. Wassers aufgezeichneten Tabellen sammt den 
dazu gehörigen sphygmographischen Cnrven vor, welch letztere 
genug klar beweisen, inwiefern sie den gleichzeitig aufgezeicbneten 
Blutdruckwerthen entsprechen, und in welchem Maße die Vermehrung 
der Wassermenge mit der Veränderung der Blutspannung Schritt hält. 


*) Siehe Fig. 8. 


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Google 






























1819 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


1820 


Behufs leichteren Ueberblickes unterlassen wir die Erwähnung 
jedes einzelnen Versuches und zeichnen nur durchschnittlich in 
Zahlen jene Werthe auf, zu welchen diese Versuche führten : 


w 

' & w 

:j*| 

Maximum der 
Abnahme 

Eintrittszeit 
des Abnahme¬ 
maximums 
(in Miunten) 

Maxinfum der 
Zunahme (in 
Mm. Hg) 

Eintritt8zeit 
des Zunahme¬ 
maximams 
(in Minuten) 

Die 

Wirkungs¬ 

dauer 

i ° ü 

1 w> g .5 





Ö 

s i 

1 § M w 

*! 

der Herzcontracl ionen 

des Blutdruckes 

fl 

B 

Ui 

B ' 

75 

150 

2 

2 


45 

155 

1 

19 1 

300 

7 

102-5 

14 

52 5 

2 

22 

500 

6 

117*5 

14 

575 

2 

57 1 

1000 

10 

500 

325 

57-2 

3 

05 

2000 

10 

17*5 

37 

67-5 

3 

15 


Menge des 

getrunkenen Wassers 
(in Ccm.) 

bo 

U ö 

•S 2 
s 

a> 

1 - 
Menge « ”3 

(in ! 

Ccm.) 1 o 

Menge 

(in 

Ccm.) 

£ . | Zeit der Eot- 

•S«« leernng 

Spec. Gewicht des 
vor dem Trinken 
entleerten Harnes 

Durchsch 
Iiches sp 
Gewich 

Stunde 

® 

0 

fl 

S 

des nach dem Trinken 
zum ersten Male ent¬ 
leerten Harnes 

des gesammten entleerten 
Harnes 

75 

85 

1 

87-5 | — 

87-5 

1 

57-5 


150 

72-5 

165 1009 

215 

— 1 3 

10 

1025 

300 

93 

210 1015 

235 

1015 | 2 

2 

1026 

500 

70-5 

275 1007-5 

655 

1009 | 2 

56 

1026 

1000 

67-5 

260 1006 

1260 

1004 1 2 

54 

1027 

20t 0 

60 

290 1007 

2140 

1003 | 3 

35 

10275 


Nach gründlicher Durchsicht dieser zwei Tabellen fassen wir 
unsere Resultate in folgende Punkto zusammen: 

1. 200 Ccm. oder noch weniger in den Magen aufge¬ 
nommenes Wasser übt in Folge seiner Masse auf Herzaction 
und Blutdruck nur eine sehr geringe Wirkung aus. 

2. Nach Vermehrung der Wasseraufnahme vermindert 
sich die Zahl der Pulsschläge (wenn auch nicht im geraden 
Verhältnisse), der Blutdruck steigt, und zwar so, daß die 
Vermehrung der Wasseraufnabme in geradem Verhältnisse 
steht zur Wirkungsdauer sowohl in Betreff der Herzaction, 
wie hinsichtlich des Blutdruckes. 

3. Die Menge des auf einmal getrunkenen Wassers übt 
auf den Blutdruck keinen ständigen Einfluß aus, indem letzterer 
nach kürzerer oder längerer Zeit (1— 3 1 :« Stunden) den Ori¬ 
ginalwerth wieder erreicht. 

4. Die Ausscheidung des getrunkenen Wassers offenbart 

sich zum ersten Male beiläufig eine Stunde nach dem Trinken 
im Harne. Die ganze Menge des aufgenommenen Wassers 
wird in 2—3'/ 2 Stunden aus dem Organismus ausgeschieden. 
Eine größere Menge Wassers benöthigt längere Zeit zur voll¬ 
ständigen Ausscheidung; allein größere Mengen getrunkenen 
Wassers (1000 — 2000 Ccm.) werden verhältnißmäßig schneller 
ausgeschieden, als Mengen mittlerer und kleinerer Größe 
(500 Ccm.) (Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Heusner (Barmen): Ueber Behandlung der Oberschenkel- 
bröche im:Umhergehen. 

Der von H. in Nr. 38 der „Deutschen med. Wochenscbr.“ be¬ 
schriebene Verband besteht aus zwei, an der Knie- und Knöehel- 
gegend mit Charnieren versehenen Seitenschienen aus biegsamen 
Stablstäben, welche oben einen Sitzring zur Unterstützung des Beckens 
tragen und unten an einer Sohle aus Stahlblech befestigt sind, 
welch letztere die Fußsohle um 1—2 Cm. überragt. Die Fußplatte 
und die Seitenstangen sind inwendig mit weichem Filz gefüttert, und 
zwar die Seitenstangen mit Filzplatten von solcher Breite, daß sie 


nach dom Anlegen des Apparates den Ober- und Untersohenkel 
beinahe ganz umschließen. Zur Polsterung des Sitzringes benutzt 
man derben, dicken Schabrackenfilz, welcher bei Personen mit 
zarter Haut noch mit weichem Leder überzogen wird. Die Schiene 
wird angelegt, sobald die Auschwellung dos gebrochenen Gliedes 
etwas nachgelassen hat, d. h. am 3. bis 8. Tage nach der Ver¬ 
letzung. Dabei wird der Kranke auf einen passenden Tisch gebracht, 
und es werden die Bruchenden mittelst starken Gewichtszuges, und 
zwar boi großer Empfindlichkeit in Narcose, auseinandergezogen. 
Jetzt wird der Apparat mit dem Ringe voran über Fuß und Bein 
hinaufgeschoben, bis das l ilzpolster des Sitzringes dem 8itzknochen 
dicht anliegt, sodann die seitlichen Stahlschienen, welche schon 
vorher einigermaßen nach den Umrissen dos Beines geformt werden, 
den Conturen des Gliedes mit Hilfe passender Biegezangen möglichst 
genau angesebmiegt. Hierauf wird die Schiene nebst Filzplatten 
mittelst weicher Gazebinden an das Bein festgemacht, wobei die 
Stellen über und unter dem Knie, sowie über der Hake mit Watte 
oder Filz noch besonders unterpolstert werden. Ueber die ungestärkte 
Binde kommen Touren von gestärkten Gazebinden in mehrfachen 
Lagen, welche, um die Dauerhaftigkeit des Verbandes zu erhöhen, 
noch mit Tischlerleim überstrichen worden. Nachdem der Verband 
soweit fertig gestellt ist, entfernt man die extendirenden Gewichte, 
durchschneidet die Heftpflasterscblingo und bindet ihre beiden Enden 
unter der Stahlsohle zusammen, um die Extensionsstellung festzu*- 
halten. 1 ) Nachdem der Verband getrocknet ist, werden die Ge¬ 
lenke frei beweglich gemacht, indem man am Knie- und Fußgelenk 
entsprechende Stücke aus dem Verbände herausschneidet. Der Kranke 
kann jetzt — d. h. ein oder zwei Tage nach dem Anlegen des 
Verbandes — das Bett verlassen und wird nun zunächst in einen 
Lanfstubl gestellt, in welchem er seine Gehübungen beginnt. Nach 
dem Aufstehen hängt das gebrocheue Bein in dem Apparate frei- 
schwebend, indem die Fußsohle dts Patienten die eiserne Fußplatte 
des Apparates nicht erreicht, und wird vermöge der Heftpflaster¬ 
befestigung, wie auch durch die Eigenschwere des Gliedes in Ex¬ 
tension erhalten. Die Last des Körpers wird also nicht von dem 
kranken Gliede, sondern ausschließlich von dem Stützapparat, resp. 
dessen Sitzring, auf welchem der Sitzknochen ruht, getragen; nur 
das Aufheben des bandagirten Beines beim Gehen, sowie die Be¬ 
wegungen der Gelenke werden von den Muskeln des kranken Gliedes 
selbst besorgt. Muthige und geschickte Kranke können in der Regel 
schon nach wenigen Tagen zum Gebrauch von Krücken und weiterhin 
von Stöcken übergehen ; manche lernen es, sieh auch ganz ohne Stütze 
umherzubewegen und selbst Treppen zu steigen, aber nicht alle. 

H. hat den beschriebenen Verband nicht bloß für Oberschenkel- 
brüche, sondern auch für eine Reihe von Unterschenkelbrüchen und 
Knjcscheibenbrüchen (filr letztere in einer modificirten Form) benutzt. 
Auch bei Unter.-cheokelbrüchen hat sich das Umhergehen des Pat. 
im Verbände als eine große Erleichterung und als zweckmäßiges 
Mittel gegen zurückbleibende Gelenksteifigkeit bewährt. Endlich 
hat H. nach dem Vorgänge Hfssing’s seinen Apparat mit recht 
gutem Erfolge zur Behandlung der Gelenkerkrankungen der unteren 
Extremitäten, namentlich bei tuberculöseu Hüftgelenkserkrankungen 
benützt. T. 

Ueber Orexinum muriatictun. 

Dr. Umpfenbach berichtet in Nr. 10 der „Tber. Monatshefte“ 
über die Resultate seiner Versuche mit Orexinum muriaticum, die 
er an der rbein. Provinzial-Irrenanstalt angostellt hat. Die Versuche 
an seiner eigenen Person fielen jedesmal zu Gunsten des Mittels aus. 
Beim ersten Versuch wurdo 0‘25 Orcxin als Pulver mit sehr wenig 
Flüssigkeit genommen; nach 3 Stunden trat Heißhunger ein und nach 
10—11 Stunden ein ziemlich heftiger Schwindel mit Brechreiz. Ein 
zweiter Versuch fiel ebenso aus; bei den späteren Versuchen genügte 
eine einmalige Dosis von 0*25, um für einige Tage außerge¬ 
wöhnlichen Hunger ohne die nachfolgenden üblen Folgen zu er¬ 
zeugen. 

Bei 4 weiteren, an geistig gesunden Leuten gemachten Ver¬ 
suchen war der Erfolg mit einer Ausnahme der gewünschte. Das 

*) Vergl. den Artikel: „Eine neue Schiene zir Behandlung von Ober- 
schenkelbrilchen ohne dauernde Bettlage“ (Wr. Med. Presse“ 1890, Nr. 1). 


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1821 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 46. 


Mittel wuide ferner 25 Geisteskranken gegeben. Darunter waren 4, 
bei denen in Folge von Verdanungsstörongen oder anderen körper¬ 
lichen Krankbeiten der Appelit darniederlag; sechs waren hysterische 
and Hypochonder, die übrigen 11 verweigerten vollständig jede 
Nahrung. Von den 4 erstgenannten war bei 3 der Erfolg ein guter, 
bei den Hysterischen und Hypochondern fünfmal. Von den 11 letzten 
trat bei 5 nach 1—2 Dosen Orexin der Hanger derart ein, daß 
sie auf die Dauer allein genügend aßen, während sie früher ge¬ 
füttert werden mußten. In einem Falle war der Erfolg vorüber¬ 
gehend , bei den übrigen 5 blieb jede Wirkung aus Ueble Nach¬ 
wirkungen waren ganz gering. Bei einem Kranken trat 2mal Er¬ 
brechen ein, sobald das Orexin in der Futtersuppe beigebracht wurde. 

In 3 Fällen schien die Darmperistaltik vermehrt. — 

Bei den Versuchen mit dem Orexin auf der internen Abtheilung 
des Prof. Pabenski verwendete P. trotz der Empfehlung Penzoldt’s 
das Mittel nicht mit Extr. Gentian., sondern mit Extr. et pulv. 
Liquir., um seine Wirkung durch ein anderes Stomachicum nicht zu 
beeinträchtigen. Obwohl nicht in GelatinekapBeln gereicht, gab es 
selten Veranlassung zu ernsteren Zufällen, wie Brennen in der Mund¬ 
höhle oder im Magen. Die Dosen betrugen 0*1—2*0 pro die. Bei 5 
mit Bronchitis laev. grad., Ischias, Rbeum. musc. und Gonitis träum, 
behafteten Kranken konnte man eine deutliche, obwohl ge¬ 
ringe Vermehrung der Salzsäure constatiren, und zwar 
von 40—50 (ohne) auf 45—55 (mit Orexin). Was die Wirkung 
des Mittels auf Beendigung der Verdauung betrifft, so war eine 
Beschleunigung dieses überhaupt schwer zu constatirenden Momentes 
nicht zu bemerken. (Es bemerkt Aut. bei dieser Gelegenheit, daß bei 
vollständig Gesunden die Schnelligkeit der Verdauung z. B. einer 
LEDBE’schenMahlzeit größer sei, als allgemein angenommen 
wird; während gewöhnlich die 7. Stunde als Schluß der Verdauung 
angesehen wird, sah Verf. den Magen immer in 4 Stunden 
leer.) 

Symptomatische Wirkung entwickelt das Orexin nur sehr 
vorübergehend, was sich sowohl bei Gesunden wie auch 
Kranken bestätigte. Nur bei einem Phthisiker war nach Dar¬ 
reichung eine dauernde und bedeutende Zunahme des Appetits zu 
bemerken, bei Anderen wirkte es nur 1—2 Tage, den Appetit für 
einige Stunden nach Darreichung verbessernd. Bei 2 Kracken mit 
Cat. acid. ventr. c. dilatatione und Carcinoma ventr. verschlimmerte 
Orexin den Zustand so sehr und trat im zweiten Falle so heftiges 
Bluterbrechen auf, daß man davon Abstand nehmen mußte. 

Resumirend glaubt P. (Przeglad lekarski, 1890, Nr. 22), das 
Mittel werde im Arzneischatze nur eine untergeordnete Bedeutung 
einnehmen, als momentan den Appetit anregendes Mittel nach Art 
der Gewürze, welches aber im Stande sei, nach längerer Darreichung 
ernste Störungen der Verdauung hervorzurufen. Vor Allem aber 
warnt Verf. vor Verabfolgung des Orexins bei Magenkranken. 

Dr. Ebersohn. 


Neuere Literatur über Hygiene. 

1. Lehmann, Prof. Dr. K. B.: Die Methoden der praktischen Hygiene. An¬ 
leitung zur Untersuchung und Beortheilung der Aufgaben des täglichen Lebens. 
Wiesbaden 1890. J. F. Bergm a nn. — 2. Gottstadt, Prof. Dr. Alb.: Deutsch¬ 
lands Gesundheitswesen. Organisation und Gesetzgebung des Deutschen 
Reiches und seiner Einzelstaaten. Leipzig 1890. Georg Th ieme. — 3. Dämmer, 
Dr. 0.: Handwörterbuch der öffentlichen und privaten Gesundheitspflege. Für 
Medicinalbeamte, Aerzte, Apotheker, Chemiker, Veiwaltungsbeamte, Beamte 
der Kranken- und Unfall-Versicherung, Fabriksbesitzer, National-Oekonomen, 
Landwirthe, Ingenieure und Architekten. 1. Lieferung. Mit 19 in den Text 
gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1890. Ferd. Enke. — 4. Juhisch, Dr. K. W.: 
Die Verunreinigung der Gewässer. Eine Denkschrift im Aufträge der Flu߬ 
commission des Vereins zur Wahrung der chem. Industrie Deutschlands. 
Berlin 1890. R. Gaertner. 

Der auf dem Gebiete der Hygiene vortheilhaft bekannte Ver¬ 
fasser hat sich in seinem Werke über „die Methoden der 
praktischen Hygiene“ (1) die Aufgabe gestellt, erstens dem An¬ 
fänger auf dem Gebiete der hygienischen Untersuchung eiue aus¬ 
führliche, möglichst verständlich gehaltene, aber doch streng wissen¬ 
schaftliche Anleitung bei seinen Untersuchungen zu liefern, zweitens 
das für die hygienische Beurtbeilung der Untersuchungsobjecte zu 
Gebote stehende Material kritisch zu verarbeiten. Dieser Aufgabe 
ist Verf. in allen Theilen in vorzüglicher Weise gerecht geworden. 


1822 

Mit einer Gründlichkeit, Genauigkeit und Ausführlichkeit, wie wir 
sie bei den bisher erschienenen hygienischen Lehrbüchern noch 
vielfach vermissen, hat Verf. sowohl die allgemeine Methodik, als 
die speciellen Untersuchungen (Luft, Boden, Wasser, Nahrungs- und 
Genußmittel, Gebrauchsgegenstände etc.) bearbeitet, so daß das 
Werk als eine Anleitung im wahren Sinne des Wortes bezeichnet 
werden muß. Um dem Leser ein weiteres Eindringen in die vom 
Verf. behandelten Gebiete thunlichst zu erleichtern, hat derselbe am 
Schlüsse jedes Capitels die Specialliteratur, welche bis in die neueste 
Zeit berücksichtigt wurde, raitgetbeilt. Mit großem Fleiße und Sach- 
keontniß hat Verf. die Abschnitte über die hygienische Beurtheilung 
der Untersuchungsobjecte bearbeitet, und wenngleich das ausge¬ 
zeichnete „Lehrbuch der hygienischen Untersuchungsmethoden“ von 
C. Flügge dem Verf. in der Anlage zum Vorbilde diente, so hat 
er doch in der Art der Behandlung des Stoffes volle Selbst¬ 
ständigkeit bewahrt. 

Ein ausführliches Register erleichtert den Gebrauch des Werkes, 
welches in jeder Hinsicht eine werthvolle Bereicherung der hygieni¬ 
schen Literatur bildet. Wir können das LEHMANN’sche Werk auf 
das Wärmste empfehlen. — 

Einen erfreulichen Einblick in Deutschlands staatlicher Thätig- 
keit im Gesundheitswesen gewährt uns das von Dr. Guttstadt 
unter dem Titel „Deutschlands Gesundheitswesen“ herausgegebene 
Werk (2). Der vorliegende er ste Theil enthält in übersichtlicher An¬ 
ordnung die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen über die Zu¬ 
sammensetzung, die Geschäftsaufgaben und den Geschäftsgang der 
obersten, mittleren und unteren Medicinalbehördeu in jedem der 
26 Staaten des Deutschen Reiches; daran schließen sich die Befug¬ 
nisse und Aufgaben der Selbstverwaltungsorgano, der Gesundheits¬ 
commission und der staatlich anerkannten Standesvertretungen der 
Aerzte. In einem besonderem Abschnitte werden die Rechte und 
Pflichten des Arztes erörtert und die bestehenden Vorschriften über 
die ärztlichen Honorare (Taxen) für die Privatpraxis, wie über die 
Gebühren der Medicinalbeamten ausführlich mitgetheilt. 

Das mit großem Fleiße bearbeitete Werk, welches Zeugniß 
davon ablegt, wie schnell im Deutschen Reiche alle 
wichtigen Fragen der Gesundheitspflege einer ge¬ 
deihlichen Lösung entgegengehen, kann bestens empfohlen 
werden. — 

Das umfangreiche Gebiet der Hygiene in einem encyklo- 
pä di sehen Nachschlagebuche zu behandeln, muß sicherlich als ein 
sehr zeitgemäßes Unternehmen bezeichnet werden, namentlich wenn 
sich der Herausgeber die Aufgabe stellt, auch dem Verwaltungs¬ 
beamten und dom Richter, dem Gewerbetreibenden und dem ge¬ 
bildeten Laien Aufklärung über alle in das Gebiet der Hygiene 
einschlagenden Fragen zu geben. Die vorliegende erste Liefe¬ 
rung des DAMMER’schen Handwörterbuches (3) behandelt bereits 
eine Anzahl wichtiger Fragen in längeren Artikeln, von denen wir 
namentlich hervorheben: Ueber Abwässer von Dr. Petri, Arznei¬ 
mittelverkehr von Dr. Wernich, bacteriologische Untersuchungs¬ 
methoden von Dr. Heller, antiseptische Conservirungsmethoden von 
Dr. Wernich etc. Soweit aus der ersten Lieferung hervorgeht, 
dürfte das Werk allgemeinen Anklang finden und behalten wir uns 
vor, auf die noch in Aussicht gestellten 10 — 12 Lieferungen näher 
einzugehen. — 

Der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen In¬ 
dustrie Deutschlands ernannte im Jahre 1886 eine Commission behufs 
eingehender Erwägung der Frage der Beseitigung der Industrie¬ 
abwässer. Diese Flußcommission sammelte durch Rundfragen und 
Berichte ein möglichst einschlägiges Material, welches von dem 
Verf., soweit es die technische Seito des Gegenstandes berührt, ein¬ 
gehend bearbeitet worden ist. Bei der Bedeutung, welche die 
Abwässerreinigung namentlich vom hygienischen Standpunkte hat, 
muß die sehr fleißige und äußerst sorgfältige Arbeit des Verf. (4) 
allen Interessenten zur Einsicht angelegentlichst empfohlen werden. 

Die Ergebnisse, zu denen die erwähnte Commission gelangt 
ist, sind: 

1. Eine generelle Behandlung der Abwässerfrage muß als eine 
Unmöglichkeit bezeichnet werden. Natur und Menge der Abwässer, 


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1823 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


1824 


WaMenncnge des Flusses, Strömung, örtliche Lage der Fabrik, 
Bodenverhältnisse, bisherige Verwendung der Flußwässer etc. werden 
in jedem einzelnen Falle zu erwägen sein und für den einzelnen 
Fall die Entscheidung geben müssen. 

2. Die Ableitung der Fabrik-Abwässer in die Flüsse ist noth- 
wendig und berechtigt. Die Flüsse sind als die natürlichen Ab¬ 
leiter der Abwässer anzuseben und zu benutzen, wobei in jedem 
einzelnen Falle die Bedingungen zu prüfen und fcstzustellen sind; 
insbesondere zu berücksichtigen ist der Einfluß der Wassermenge der 
Flüsse nnd Bäche auf die Unschädlichmachung der Abwässer 1. durch 
Verdünnung, 2. durch chemische Einwirkung, 3. durch vegetabilische 
und animalische Lebensprocesse. 


Feuilleton. 


Prostitution und Abolitionismns. 

„Laissez faire, laissez aller* 

Von der Matrosenschänke, von der Brasserie, dem Caf6 concert, 
von dem vornehmen Maison de passe, in dem die Clubs der jeunesse 
doröe tagen, von den 8alons der großen Courtisane, in denen die 
diplomatische Action und die politische Intrigue das Licht der Welt 
erblicken, führt eine große, breite Heerstraße zu den Krankensälen 
des Hospitals und zum Wartezimmer des berühmten Sy philidologen. 
In bunter, wechselnder Folge ziehen Jung und Alt, Reich und Arm 
an uns vorüber; bier sucht die zerstörte Gesundheit Hilfe, das 
hoffnungslose Siechthum Trost, hier finden sich die gefallene Tugend 
und das schamlose Laster. Ans dem gesenkten Blick der Unglück¬ 
lichen und der verlogenen Stirne der Gemeinen erschließen sich vor 
den Augen des Beobachters die socialen Schäden und das geborene 
Laster, die mit fatalistischer Grausamkeit ihre Opfer zu sich herab¬ 
ziehen. Der construirte Typus und das blasse Schema, das in den 
Köpfen der Moralisten und wohlthätigen Samariter spukt, nimmt 
vor dem Blick des erfahrenen Arztes wirkliche Gestalt an: wer 
anders, als er, kann sehen, wie Prostitution und Syphilis in unheil¬ 
voller Verkettung Familie, Gesellschaft und Staat in ihren Bannkreis 
ziehen ? 

Seitdem die Aerzte anfingen, die Prostitution in ihren Er¬ 
scheinungsformen näher zu stndiren und ihre Beziehungen zu den 
venerischen Krankheiten genauer festzustellen, hat sich die Notb- 
wendigkeit einer Ueberwachung der Prostitution, einer Reglementirung 
derselben immer zwingender ergeben. Die Gesellschaft selbst sieht 
sich durch das Unwesen der Prostitution in ihrem Bestände geschädigt, 
sie fühlt sich durchseucht und schreitet mit aller Energie an die 
Selbsthilfe. Allein die Prostitution kann nicht abgeschafft werden, 
sie ist ein Uebel, eine Erscheinungsform des Lasters, nnd da wir 
sie nicht ans der Welt setzen können, müssen wir mit ihrem Bestände 
rechnen. Es ist die Aufgabe der Social-Pathologie in gleicher Weise, 
wie sie die Trunksucht bekämpft, gegen die Ausbreitung der 
Syphilis zu Felde zu ziehen und, weil sie dies nur radical und 
rationell thun kann, sucht sie den Seuchenherd auf, sie bewacht und 
schützt sich selbst vor den Auswüchsen der Prostitution. 

Als im Jahre 1864 das englische Parlament die Ueberwachung 
der Prostitution durch die unter dem Namen „The contagious diseases 
prevention Act“ bekannto Bill zum Gesetze machte, erhob sich ein 
Sturm des Protestes gegen diese „Grausamkeit“. Allen voran die 
Gonföderation der Barmherzigen, die es sich zur Lebensaufgabe 
machen, die Prostituirten auf den Weg des Guten zu leiten. Der 
Abolitionismus, der Ruf nach Abschaffung der Reglementirung der 
Prostitution, wurde immer lauter und dringender und schon im 
Jahre 1877 tagte der erste Congreß der „Federation britaonique 
continentale et g6n6rale“ zu Genf, und der werkthätigen Propaganda 
dieser Vereinigung folgte im Jahre 1886 die Aufhebung des Actes 
über die ansteckenden Krankheiten, die Prostitution war wieder frei. 
Weniger glücklich als in England und Italien war der Abolitionismus 
in Frankreich, Deutschland und Rußland. 


3. Die Feststellung allgemeiner Grenzwerthe des Gehaltes an 
schädlichen Bestandtheilen der Abwässer beim Eintritt in die 
Floßläufe ist nicht durchführbar, weil solche Grenzwerthe jeweilig 
den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles anzupassen sind. 

4. Die Entstehung epidemischer Krankheiten durch Fabrik¬ 
abwässer ist bisher nicht nachgewiesen. 

5. Die Industrie erkennt im Uebrigen grundsätzlich ihre Ver¬ 

pflichtung an, nach Maßgabe der durch Wissenschaft und Praxis 
gegebenen Mittel Belästigungen durch Abwässer nach Möglichkeit 
zu vermeiden oder zu mindern. JOLLES. 


Aber die Action dauert fort, und namentlich in Rußland bedurfte 
es — wie Tabnowsky in seinem ausgezeichneten Buche 1 ), das den 
Agitationen der Abolitionisten mit der ganzen Meisterschaft lang¬ 
jähriger Erfahrung im Gewände einer glänzenden Darstellung entge¬ 
gentritt, des Näheren aosführt — einer energischen Entgegnung, um 
die Ueberwachung der Prostitution zum Besten des Staates und der 
Gesellschaft, aufrecht zu erhalten. „Noch in diesen TageD,“ erzählt 
Tarnow sky „ist eine neue Broschüre zu Gunsten der Freiheit der 
Prostitution erschienen. Im westlichen Europa wird die Herausgabe 
der Zeitschrift der Abolitionisten, allerdings in sehr verschmälerter 
Gestalt, fortgesetzt, und noch lange werden englische Quäcker, fran¬ 
zösische Radicale, spanische Freimaurer, katholische Cleriker, luthe¬ 
rische Pastoren, Wohlthäterinnen aller Schattirungen, Idealisten aller 
Länder, mitleidige Seelen, denen aus der Wirklichkeit weder die 
Prostituirten noch die Syphilis bekannt sind, die stille Predigt der 
Liebe, Freiheit und Moral vertheidigen. Es ist in der That eines 
christlichen Staates so würdig zu sagen: Ich dulde keine Prostitution, 

ich kenne nicht das Laster.-Doch wirft man einen Blick auf 

die Tausende armer Jünglinge, die durch die Lebensbedingungen 
der Gesellschaft in die Lage versetzt sind, ihr völlig gesetzliches 
physiologisches Bedürfniß nicht anders, als auf dem Wege der Pro¬ 
stitution befriedigen zu können; sieht man sich nähet diese Frauen¬ 
zimmer an, die ohne Gewissensbisse und Scham Verderbniß herum¬ 
tragen, die das Uebel, welches sie den Menschen bringen, nicht be¬ 
greifen und nicht zu begreifen im Stande sind, diese moralisch ver¬ 
kümmerten und von Geburt an unentwickelten Geschöpfe; überzeugt 
man sich, daß die besten Kräfte des Staates in Gestalt der städtischen 
lernenden Jugend sich diesen Frauenzimmern, die das Laster als 
Profession betreiben, in die Arme werfen, daß diese jungen Kräfte 
einer persönlichen Freiheit unsittlicher Geschöpfe 
geopfert werden sollen, einer Freiheit, von der nichts 
als Schaden zu erwarten ist; — erwägt man dies Alles mit 
unparteiischem Auge, so lernt man den Umfang des Uebels schätzen, 
welches von Leuten bewirkt wird, die zur Entscheidung dieser Frage 
die Handhabung des so bequemen Grundsatzes: „Laissez faire, laissez 
aller“ seitens des Staates und der Gesellschaft anrathen.“ 

Und fassen wir nun die Forderungen der Abolitionisten zu¬ 
sammen, wie sie in den Punotationen der britischen Gesellschaft zum 
Ausdruck kommen. Da ist die sittliche und persönliche Freiheit der 
Prostituirten durch die Ueberwachung eingeengt, von Seite einer 
Gesellschaft, die statt die Prostitution sich dienstbar zu machen, 
dieselbe ausrotten sollte. Was kümmert uns, sagen die Abolitionisten, 
der Gesundheitszustand lasterhafter Frauen ? Mag Jeder selbst sehen, 
sich vor der Syphilis zu schützen, die Angst vor der Infection wird 
die Männer zwangsweise zur Enthaltsamkeit führen. Damit wird auch 
der Prostitution jeder Boden entzogen. Sehr ländlich, sehr sittlich 
und fürwahr sehr einfältig! Aber berufen wir uns auf den Mann, 
der 30 Jahre lang am KALiNKi.N-Hospitale die Kehrseite der gro߬ 
städtischen Vergnügen mitangesehen. 

Die Verfolgung der Prostitution, der Versuch, sie aus der Welt 
zu schaffen, ist so oft gescheitert, daß es uns Wunder nimmt, noch 
jetzt so fromme Vorschläge zu hören. Als die Kaiserin Maria Theresia 

') „Prostitution nnd Abolitionismus.“ Briefe von Dr. B- Tamowskt, 
Professor an der medicinischen Akademie za St. Petersburg. Hamburg und 
Leipz'g, Leop. Voß, 1890 


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1825 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


1826 


in dem großen, nach ihr benannten Strafcodex gegen die Prostitution 
und das Concubinat die strengsten Maßnahmen ergriff, nahm die 
heimliche Prostitution in Wien eine ungeahnte Ausdehnung. Als 
besondere Erscheinung der clandestinen Prostitution dieser Tage 
erwähnen die Chronisten die zierlichen, goputzten, Allen zugänglichen 
Wiener Stubenmädchen, ein Genre, das sieb, wie wir hören, noch 
bis auf den heutigen Tag erhalten hat. In Italien wurde zur Zeit 
der Herrschaft der Päpste die Prostitution auf das Grausamste 
verfolgt; an Stelle der öffentlichen, der Behörde zugänglichen Pro¬ 
stitution, entwickelte sich dort die familiäre Prostitution, eine er¬ 
schreckende Ausgeburt der Corruption, die in Gestalt junger, zarter 
Mädchen oder Knaben schamlos umherzicht, in ihrem Gefolge Eltern 
und Geschwister, deren Lebensunterhalt sie bestreitet. Die strenge 
Forderung der Abolitionisten, die Prostitution auszurotten, berührt 
fast lächerlich — os klingt fast wie eine Reglementirung der ge¬ 
schlechtlichen Functioucn. — „Hebt das Proletariat auf, 
schafft dieArmeen ab, macht die Bildung in kürzerer 
Zeit zugänglich, gebet All.en, die es wünschen, die 
Möglichkeit zu heiraten, garantirt ihnen Ruhe im 
Familienleben und überzeugetAIle, sittsam, ehrbar, 
gemäß der Lehre Christi zu leben, und dann ...auch 
dann wird die Prostitution fort bestehen.“ 

Allein auch die Gestattung der Prostitution gefährdet die 
Moral. So sagen die Abolitionisten; die Erfahrung aber zeigt, 
daß in England, wo die Prostitution seit Heinrich VIII. verboten 
ist und für die Behörden nicht existirt, die Corruption unter den 
Augen der Behörde ihr schamloses Unwesen treibt. Und wenn man der 
Pall Mall Gazette Glauben schenkt, blüht iu London ein schwung 
hafter Mädchenhandel, der nur in letzter Zeit durch die freie Concur- 
renz und das die Nachfrage übersteigende Angebot stark gedrückt ist 
Begreiflich , daß bei eiuem so gangbaren Artikel sich auch die un¬ 
reelle Gebahruug eiugeschlichen hat, die zum Verkaufe gefälschter 
(patched up) Jungfrauen führt. Und bei alledem der Ruf, daß die 
öffentlichen- Häuser eine stete Quelle der Demoralisation bilden, 
einen activen Anreiz zum Laster bedeuten. Die Erfahrung und die 
Statistik zeigt, daß die Prostitution aus dem maison de tolörance in 
die Familie gedrängt wird, daß sich die Speculation und der Geschäfts¬ 
geist ihrer bemächtigt, und wiewohl die überwachten Lupanarien in 
allen Städten Europas an Zahl abnehmen, nimmt doch die Prostitution 
stetig zu. Bedarf es noch der Statistik der Erkrankungen, die lehrt, 
daß in der englischen Armee die Zahl der Primäraffecte im Laufe 
von 12 Jahren seit der Einführung der „Act“ fast um die Hälfte 
abgenommen hat? 

Die Abolitionisten nehmen es auch mit der Menschenkenntniß 
nicht sehr genau. Sie haben sich eine so sentimentale Auffassung 
der Prostituirten, die bedrückt und verfolgt werden, deren Menschen¬ 
rechte man schützen müsse, zurechtgelegt, wie sie sehr gut zur 
ganzen Humanitätsduselei ihrer Anhänger stimmt. Gewiß gibt es 
viele recht schuldlose, unglückliche Geschöpfe unter ihnen, allein an 
dem größten Thoile derselben scheitern die Versuche, sie zu bessern. 
So hat die werkthätige Nächstenliebe den reuigen Sünderinuen 
Barmherzigkeitshäuser eröffnet. in denen sie liebevoll gepflegt und 
auf den Weg der Buße geführt werden. Allein den Wenigsten 
behagt ein ruhiges, der Arbeit gewidmet« s Leben. Erfahrene Auf¬ 
seherinnen der Magdalenenstifte errathen an der Charakterveränderung 
der Bekehrten, daß sie bald entfliehen werde. Sie wird fleißiger, sitt¬ 
samer, betet uud arbeitet, und sucht mit Gewalt den inneren Trieb, 
der sie zum früheren Leben drängt, zu bezwingen, sie kämpft — 
und in wenigen Tagen fiuden wir sie wieder bei der Bordellwirthin. 
Dieses Spiel wiederholt sich oft mehrere Male, und die Gewalt, die 
solche Mädchen zu ihrem früheren Leben drängt, gleicht dem blinden 
Triebe der an Dipsomanie lcideuden Trinker. Ja! die Gesellschaft 
tyrannisirt diese armen Geschöpfe, die ihre eigene Gesundheit so leicht 
nehmen, wie dio ihrer Mitmenschen, sie stellt schuldlose Opfer unter 
einen Zwang, der mit zehnfacher Gewalt nicht fähig wäre, ihr heil¬ 
loses Treiben einzudämmen ! Es gibt eine Classe von Frauen, dio 
mit der Schande in dio Welt treten, geborene Prostituirte würden 
wir sie nennen, die schon in früher Kindheit verlogen, schamlos, 
arbeitsscheu und mit moralischen Defecten aller Art behaftet, durch 
abnorme Geschlechtsverhältnisse, krankhafte Triebe, durch Eigen¬ 


sinn und Coquctterie, sowie durch physische Dcgencrationszeichen 
zur Prostitution von Haus aus prädestinirt erscheinen. — 

„Den Teufel spürt das Völkchen nie, selbst wenn eres beim Kragen 
hätte.“ Die Stumpfheit und die Apathie gegenüber körperlichen Leiden, 
die Blindheit für ihren tiefen gesellschaftlichen Fall, die im auf¬ 
fallenden Gegensätze zu den übrigen geistigen Qualitäten steht, der 
Hang zur Trunksucht, die Frivolität, mit der Prostituirte Proselyten 
machen, haben in uns oft den Verdacht einer psychischen Perver¬ 
sität erregt. Und können wir infirmen ludividuen einen Freibrief 
geben zur ungehinderten Verbreitung einer, gleich anderen Epidemien, 
verheerenden Seuche? Dio strengste Ueberwachung ist noch nicht 
im Stande, selbst groben Fehlem auszuweichen. Wir erwähnen nur 
einiger Thatsachen, um zu beweisen, mit welchem Raffinement öffent¬ 
liche Frauen, zumal in Frankreich, die Controle hintergehen. 2 ) 

Die große Mehrzahl der Frauen und Mädchen, die so warm 
für den Abolitionismus in dio Schranken treten , kennt' nicht die 
Prostitution in ihrer wahren Gestalt und weiß nichts von den 
Schrecken jener verheerenden Krankheit, die auch das Kind im 
Schoße der Mutter nicht schont und in später Folge eine große Zahl 
schuldloser, krüppelhafter Erben an die Mildthätigkeit und Opfer¬ 
willigkeit der Mitmenschen weist. Der Einfluß der Syphilis auf dio 
Quantität und Qualität des Bevölkerungszuwachses spricht mit unab¬ 
weisbarer Eindringlichkeit für dio Abwehr der zügellosen Prostitution, er 
fordert internationale Maßnahmen zur Prophylaxe dieser Krankheit. Die 
Brüsseler und Pariser „Aeadömie de Mödecine“ haben sich mit aller 
Entschiedenheit nach längeren Debatten für die strenge Reglementirüng 
der Prostitution ausgesprochen, und der letzte Congreß der Derma¬ 
tologen und Syphilidographcn zu Paris hat von demselben Stand¬ 
punkte die Frage der Syphilisprophylaxe zu einer internationalen 
erhoben. Die Abolitionisten uud in ihrem Gefolge die weichherzigen 
englischen Damen haben zum Mindesten oiue frische thatkräftige 
Action verzögert. G. S. 


Die ungarische baineologische Landes- 
Conferenz. 

(Origiual-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

III. 

Als Ergänzung zum Vortrage von Prof. Than führen wir 
noch die auf Grund seiner vergleichenden Analysen aufgestellte Classi¬ 
fication 74 hervorragender ungarischer und ausländischer Mineral¬ 
wässer an. Demnach sind: 1. Alkalische Säuerlinge: Szolyva, 
Preblau, Härsfalva, Kroudorf, Gießhübl, Paräd (Csevicze), Neuenahr. 
2. Alkalisch-erdige Säuerlinge: Deutsch-Kreuz, Szinnye- 
Lipöcz (Salvator), Borszök (Hauptbrunuen), Lublö, Vfeghles, Moha, 
Paräd, Gleichenberg 3. Eisensäuerlinge: Szliäcs, Elöpatak, 
Buziäs, Langenschwalbach, Pyrmout, Bartfeld, Rank-Herrlin, Visk- 
Värhegy. 4. Kochsalzsäuorlinge: Kissingen (Räköczy- und 
Maxbrunnen), Niederselters, Luhatschowitz, Gleichenberg (Constantin- 
quelle), Szäntö, Tarcsa. 5. Sulfatsäuerlinge: Franzensbad, 
Marienbad, Balaton-Füred, Rohitsch, Koritnyicza. 6. Alkalische 
Bicarbouatwä8ser: Bilin, Vichy, Luhi, Czigelka, Bikszäd, Palics. 
7. Bitterwässer: Budapest (Hunyadi Jänos und Franz Josef¬ 
quelle), Püllna, Budapest (Fr. Deäkquelle), Saidschütz, Budapest 
(Räköczy), Alsö-Alap, Friedrichshall. 8. Haloidwässer (d. s. 
außer Chlor, noch Brom und Jod enthaltende): Heilbrunn, Hall, Csiz 
(alte Quelle), Kreuznach, Szobräncz. 9. Thermen: a) alkalische 
und Kochsalzthermen: Ems, Lipik; b) alkalische und 
Sulfatthermen: Carlsbad (Schloß- und Mühlbrunn); c) Eisen- 
thormon: Vihnye, Szliäcs (Spiegelbad); d) Schwefelthermen: 
Pistyän, Harkäny, Budapest (Stadtwäldchen und Margarethen-Insel), 


s ) r Un grand ecueuil des visites faites dans les maisons de tolörancei 

c’est la Simulation .Un morceau de bandruche habilement coloriä 

dissiniule ä merveille une ulcerat on; saebant, que l'examen est moins appro- 
fondi, lorsque la fille, qui y est soumise a ses r&gles, des femmes malades se 
barbouillent les lüvres et le vagin de saug, afin d’eviter cet examen. Les 
ulcerations buccales ou pharyngiennes sont adroitement masqufees par la masti- 
cation de quelques pastilles de cbocolat, avant la visite.“ Reuss : „La Prosti¬ 
tution en France et 4 l’6tranger. 


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2 




1827 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


Herkulesbad (Elisabeth-, Szapäry- und Ludwigsquelle); e) Ge¬ 
mischte Thermen: Herkulesbad, Stubnya. 

Prof. Fodor spricht über „die hygienische Beurtheilung 
der Bäder“. In eingehender, formvollendeter Weise erläutert 
Vortr. die wichtigeren hygienischen Maßregeln der Bäder, insbe¬ 
sondere die hygienischen Erfordernisse der Wohngebäude, Heilbäder, 
Approvisionirung, die öffentliche Reinlichkeit und die ärztliche Be¬ 
sorgung der Bäder. Die Eisenbahnen Bollen directe Waggons in 
Verkehr setzen. Die Hotels und Wohngebäude sollen unserem 
Klima entsprechend solid gebaut sein, wofür die leichte Schweizer 
Bauart sich nicht eignet. Er bespricht ferner die Einrichtung der 
Speise-, Conversations-, Lese- und Berathungssäle, die Versorgung 
mit Trinkwasser, die Ableitung der gebrauchten Wässer. Jeder 
Badeort soll ein Spital haben, ferner einen entfernter liegenden, 
isolirten Bau für acute Infectionskrankheiten ; besondere Rücksicht 
erheischen in sanitärer Beziehung die tuberculösen Kranken, nach 
denen die Wohnzimmer stets sorgfältig desinficirt werden müssen u. s. w. 

Dr. Stefan Bolemann (Vihnye) referirt Uber „das Ver- 
hältniß unserer Bäder zur Administration“. Als Heil¬ 
anstalten standen die Bäder schon früher unter öffentlicher Auf¬ 
sicht; in neuerer Zeit regelte das Sanitätsgesetz vom Jahre 1876 
das Verhältniß der Administration zu unserem Badewesen. Theoretisch 
sorgt dieser Gesetzartikel in Beziehung der Gesundheitspflege vor¬ 
züglich für die Bäder und die dieselben aufsuchenden Kranken; 
derselbe sichert auch den Bädern Vortbeile, wie z. B. die Einrich¬ 
tung von Post- und Telcgraphenämtern, die Instandhaltung der 
Straßen und Wege, zwanzigjährige Steuerfreiheit. Kur machen 
spätere Verordnungen und Gesetze diese Vortheile zum großen Theile 
wieder illusorisch, und so ist die Einführung der in dem Gesetze 
decretirten und in hygienischer Beziehung tadellosen Institutionen 
sehr erschwert; die Controle ist den Comitatsbehörden übertragen, 
die bei ihren anderen dringenden Agenden für die Bäder nicht ge¬ 
hörig sorgen können. In dieser Beziehung läßt sich nur dann eine 
Besserung erwarten, wenn die Ueberwachung des gesammten Bad*- 
wesens etwa durch einen Landes-Sanitätsinspector ausgeübt wird, 
der die Bäder periodisch zu visitiren und darüber zu berichten 
hätte. Diese Berichte sollten dann nebst der Beschreibung der be¬ 
treffenden Curorte sämmtlicben Aerzten Ungarns zugesendet werden. 

Anknüpfend an den Antrag Bolkmann’s bezüglich der Insti¬ 
tution des Bade-Inspectors, schlägt Prof. Fodor auch die staatliche 
Einrichtung eines Bade-Ingenieurs und -Architekten vor, welche mit 
technischem Rathe den Badeeigenthümern beistehen sollen. 

Dr. V uja (Herkulesbad) bespricht „die praktische Ver- 
werthungder natürlichen Mineralwasserdämpfe“. Um 
in den Rahmen der Balneologie mehr Krankheitsarten aufnehmen 
zu können, genügt es nicht, sich, wie bisher, auf die üblichen 
Trink- und Badecnren zu beschränken. Es sollen alle Mittel der 
Badetechnik angewendet werden, um die Quellen auch in gasförmiger 
Form in möglichst ausgedehntem Maßstabe zur Geltung zu bringen. 
Den bei uns wenig berücksichtigten Quellengasen und -Dämpfen, 
welche zu Inhalationeu, Dampf- und Gasbädern, Douchen, Sturz 
bädern dienen könnten, verdanken manche ausländische Bäder einen 
großen Theil ihrer Frequenz. In den sogenannten „Dampfhöhlen“ 
(wie bei uns in Skleno, Herkulesbad) hat die Natur selbst Dampf¬ 
bäder geschaffen, welche selbstverständlich nur allgemein zugänglich 
gemacht werden müßten. 

Dr. S. Papp (Schmeks) spricht über „die Besitzverhält¬ 
nisse der Karpathenbäder“ und Dr. C. Chyzer Uber einige 
neue Bäder, wie Almadi am Plattensee, Stinade Valet im 
Biharer Comitat und das croatische Seebad Cerkvenicza. 

Zum Schluß wurde der Antrag des ad hoc entsendeten Comitös 
bezüglich der Bildung eines balneologischen Landesvereines unter 
dem Protectorate der Gesellschaft der Aerzte in Budapest ange¬ 
nommen. Dagegen wurde die Bildung eines Verbandes der Bade- 
eigenthümer nicht befürwortet. Der Verein soll aus einer ärztlichen 
und einer ökonomischen Section bestehen und jedes Frühjahr eine 
Versammlung abhalten. 

Zum Abschied fand man sich noch zu einem fröhlichen Bankett 
zusammen, wo durchaus nicht mehr dem Wasser zugesprochen wurde. 

- n. 


1828 


Kleine Mittheilungen. 

— Dem dritten Bericht über die cantonale Krankenanstalt 
Aarau (Correspbl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 18) ist eine Arbeit von 
Dr. Widmer beigegeben, welche das von Prof. Nencky in Bern 
dargcsteiite Kresalol als Wundbehandlungsmittel warm empfiehlt 
und namentlich seine Vorzüge gegenüber dem Jodoform hervorhebt. 
Kresalol ist salicylsaures Kresol. Alle drei Isomeren desselben, 
Ortho-, Meta- und Parakresalol sind weiße, leichte, krystallinische, 
im Wasser gar nicht, in Alkohol und Aether leicht, in Oel schwer 
lösliche Pulver, von salolähnlichem Geruch. An Stelle des Jodoforms 
verwendete B. seit October 1889 das Kresalol in ganz gleicher 
Weise wie Jodoform und applicirte es als Streupulver bei Fläcben- 
wunden, als Gaze bei Fisteln und nnterminirten Wunden. Die 
Kresalolgaze wird zubereitet, indem man eine sterilisirte feuchte 
Gazebinde auf einer Glasplatte unter einem feinen Schüttelsieb mit 
Kresalolpulver durchzieht und die so präparirten Gazestücke in 
Flaschen mit weitem Hals und Glasstöpsel aufbewahrt. Die Re¬ 
sultate der W.’schen Beobachtungen über das Kresalol faßt W. in 
folgenden Sätzen zusammen: Das Orthokresalol ist wegen seiner 
physikalischen Eigenschaften als Streupulver für die Wunden 
unzweckmäßig. Das Meta- und Parakresalol, welche beide treffliche 
Dienste leisten, wirkt auf Wunden gleich, doch verdient ersteres, 
weil es sich nicht ballt und deshalb leichter blasen läßt, den Vorzug. 
Gegenüber dem Jodoform haben beide den Vorzug, daß sie nicht 
giftig sind, die Secretion der Wunden noch mehr beschränken als 
dieses und einen nur schwachen, keineswegs unangenehmen Geruch 
verbreiten. 

— Balthasar Hkrnandez Bkiz berichtet in „Revista clinica 
de los bospitales de Madrid“, Nr. 14, 1890 („D. Med.-Ztg.“, Nr. 70, 
1890) uber die Resultate der Behandlung des Keuchhustens 
mittelst Inhalationen von Fluorwasserstoffsäure. Als erster Fall 
wird ein 6jähriger Knabe angeführt, der in einem bejammerns- 
werthen Zustande sich befand, indem er täglich mehr als 30 Paro- 
xysmen auszuhalten hatte und fast alles Genossene ausbrach, be¬ 
denklich an Epistaxis sowie an Stomatitis ulcerosa litt und bei den 
Hustenanfällen durch Zerreißung eines kleinen Gefäßes der Schleim¬ 
haut aus dem Munde blutete. In dieser Situation inhalirte Pat. das 
erste Mal 10 Minuten hindurch und hustete in der folgenden Nacht 
weniger, und als er nach 2 Tagen wieder inhalirt hatte, litt er 
kaum noch an spasmodischen Anfällen und wurde ruhiger; nach 
der wieder 2 Tage später angewandten dritten Inhalation war die 
Besserung eine auffallende: weder erbrach Pat. jetzt, noch traten 
mehr als 2-3 HustenaDfälle leichter Art auf; mit der vierten 
Inhalation waren die Paroxysmen beseitigt und nur ein geringer 
Bronchialcatarrh ohne jeden spasmodischen Anfall war zurück 
geblieben, welcher nach einer Mixtur von Brom und Syr. de 
Tolu sistirte. In einem anderen Falle, der ein lOjähriges Mädchen 
betraf, war die Behandlung mit fünf Inhalationen in Zwischenräumen 
von einigen Tagen mit vollständiger Heilung beendet. In einem 
anderen, einen kleinen Knaben betreffenden Falle gestaltete sich das 
Resultat analog den vorherigen, da vier Inhalationen die Heilung 
bewerkstelligten. Verf. theilt mit, daß ihm kürzlich von Dr. Cisneros, 
ebenfalls am Madrider Hospital general, die Mittheilung gemacht 
wurde, daß er bei drei Brüdern mittelst 3—4 Inhalationen von 
Fluorwasserstoffsäure den Keuchhusten geheilt habe, und daß man 
diese Zahl der Inhalationen nicht überschreiten soll, da sonst die 
Säure reizend auf den Nervus vagus wirkt und die krampfartigen 
Hustenanfölle vielleicht nach dem Gewohnheitsgesetze sich wieder¬ 
holen. Auch Dr. Perez Valdes, ein bekannter Laryngologe, hat 
nach Verf. mit ausgezeichneten Erfolgen Versuche mit dieser Be¬ 
handlung angestellt; er setzt bei jeder Inhalation 2(M) Säure zu 
2 Liter Wasser. Zum Schluß hebt Verf. hervor, daß man nicht 
über fünf Inhalationen hinausgehen und dieselben einen Tag um 
den anderen vornehmen lassen soll. Der Husten, der bisweilen 
zu persistiren pflegt, ist rein catarrhalischen Charakters, da be¬ 
kanntlich mit dieser Krankheit mehr oder weniger entzündliche 
Complicationen der Schleimhaut verbunden sind, die mit den ge¬ 
wöhnlichen Mitteln niederzuhalten sind. 

— In der Section für Neurologie und Psychiatrie der 63. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Bremen („Nourol. 


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1829 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 46. 


1830 


Ctbl. M , Nr. 20) hielt Dr. Frenkel (Horn am Bodensee) einen Vor¬ 
trag Ober Behandlung atactischer Bewegungsstörungen , in 
welchem er mittheilt, daß er in zwei Fällen von Tabes gewisse 
atactische Bewegungen methodisch sehr häufig habe üben lassen und 
auf diese Weise eine überraschende Steigerung der Coordination 
derselben erzielte. Bei Ataxie der Handmuskeln ließ er z. B. die 
Patienten täglich 1— 2 Stunden lang gerade Linien ziehen, vorge- 
zeicbnete Kreise nachziehen, ihren Namen schreiben, mit den Fingern 
gewisse Punkte treffen u. s. w. Für die Ataxie der unteren Extre¬ 
mitäten sind feinere Uebungen nicht anwendbar, aber auch nicht 
nöthig. Vortr. ließ auf die Diele einen schwarzen Strich von Stiefel- 
breite malen und die Kranken auf demselben systematische aus¬ 
dauernde Gehübungen machen und übte das Rotiren des Beines über 
einem auf die Diele gemalten Kreise. Die Erfolge dieser allerdings 
große Geduld von Seiten des Arztes wie des Patienten erfordernden 
Methode übertrafen die Erwartungen des Vortr. Wenn auch das 
Allgemeinbefinden keine Aenderung erfuhr, so war doch die Besse¬ 
rung der Ataxie derartig, daß die Kranken sich der Mühe der Cur 
gern unterzogen. Vortr. erklärt sich diese Resultate damit, daß 
mau das Centralnervensystem daran gewöhnen könne, auch mit 
einem geringen Quantum von Sensibilitätseindrücken genügende Be¬ 
wegungsassociationen zu bilden. 

— Da das Jodoform seines schlechten Geruches wegen bei 
Mund- und Zahnkrankheiten von den Pat verpönt ist, hat J. V. 
Kejzlar das Arlstol als Antisepticum in der Zahnheilkunde in 
Anwendung gezogen und berichtet im October-Heft der „Viertel- 
jahresschr. f. Zahnheilk.“ über seine damit erzielten Resultate. Er 
versuchte es überall da, wo man bei den verschiedensten Zahnleiden 
die bisher üblichen Antiseptica anweudete, also bei gangränösen 
Pulpen zur Reinigung inficirter Wurzelcanäle, Desinfection cariöser 
Höhlen vor Einführung der Plombe u. dgl. Auf gangränöse Pulpen 
streut er mit einem Pinsel Aristol in Substanz, zur Desinfection von 
Wurzelcanälen und cariösen Höhlen benützt er eine 10% Aristol- 
lösuug von Aristol in Schwefeläther; durch schnelles Verdunsten des 
Aethers bildet Aristol eine gleichmäßige Decke und trocknet die 
Cayität schnell aus. Bei Fisteln benützt er Stäbchen aus zehn 
Theilen Cacaobutter und einem Theil Aristol, wodurch' die Granu¬ 
lation und Vernarbung schnell vorwärts schreitet. Das Aristol hat 
keinen unangenehmen Geruch und wird selbst von den empfindlichsten 
Pat. gut vertragen. Es besitzt keine toxischen Eigenschaften, reizt 
nicht, haftet sehr gut an bloßliegenden Pulpen und hat ausgezeichnete 
vernarbende Eigenschaften. 

— Dr. Haeberlin empfiehlt in Nr. 20 des „Correspondenzbl. 
f. Schweizer Aerzte“ die Aetzung mit Chlorzink als palliative 
Behandlung der inoperablen Uteruscarcinome. ln den 6 von 

ihm mitgetheilten Fällen wurde eine bedeutende temporäre Besse¬ 
rung constatirt. Die Blutungen blieben mehrere Monate aus, der 
früher profuse, zum Theil übelriechende Ausfluß verschwand, die 
heftigen Schmerzen sistirten für einige Monate, das Allgemein¬ 
befinden ist bei allen zum Mindesten gleich geblieben. Diese Erfolge 
sind umso erfreulicher, als nur die absolut ungünstigen Fälle für 
die palliative Behandlung aus der geburtshilflich - gynäkologischen 
Klinik in Zürich gewählt wurden. Von der Anwendung des Ferrum 
candens und der Verschorfung mit Chlorzink wurde nur in den 
Fällen Abstand genommen, wo bei der Auskratzung mit dem scharfen 
Löffel schon eine Perforation in die Bauchhöhle entstand, oder die 
Blasenwaod diffus infiltrirt war, so daß eine Fistelbildung sicher zu 
befürchten war. Die Behandlung bestand in der ausschließlichen 
Anwendung der Paste. Chlorzink und Mehl wurden zu gleichen 
Theilen mit etwas Wasser zu einem zähen Brei angerührt. Ein mit 
der Größe des Dcfectes variirender Tampon aus Watte wurde mit 
dem Brei bestrichen und in einem Speculum in die Scheide gebracht. 
Die Fixation und der spätere Schutz der Scheide wurde durch 
Tamponade mit Jodoformgaze erzielt. Die Dauer der Aetzung er¬ 
reicht im Maximum 24 Stuuden, schwankte aber je nach der beab¬ 
sichtigten Intensität. Nach der Entfernung der Aetzpaste wurde 
die Scheide mit dcsinficircnden Mitteln irrigirt. Gegen die ent¬ 
stehenden Schmerzen Eisblase und Morphin 0*01 subcutau. Aus 
seinen Beobachtungen schließt H., daß in Fällen von Gebärmutter¬ 
krebs , wo nach der Totalexstipation eine Rccidive sicher zu er¬ 


warten ist, die von dem Eingriff zu erhoffende Besserung in keinom 
Verhältniß zu den Gefahren derselben steht, ferner daß in diesen 
zweifelhaften und sicher inoperablen Fällen auf viel einfachere, un¬ 
gefährlichere Weise noch schöne Erfolge erzielt werden können. Er 
bestreitet daher die Ausdehnung der Indicationsgrenzc und die 
Berechtigung der Uterusoxstirpation um ihres palliativen Nutzens 
willen. 

— Dr. Bierwirth empfiehlt in Nr. 9 der „Med. Mtsschft.“ 
das Atropin zur Behandlung visceraler Blutungen und theilt 
einige Fälle mit, in welchen dieses Mittel prompte Erfolge geliefert 
hat. So bewirkte eine subcutane Injection von 1 / 100 Gran Atropin 
bei einer sehr profusen Hämoptoe bei acuter Phthisis binnen zehn 
Minuten Aufhören der Blutung, ln einem 2. Falle von Hämoptoe, bei 
dem durch 10 Tage vergeblich Ergotin und Opium, sowie Eis äußer¬ 
lich angewendet worden war, genügte eine Injection von % 00 Gran 
Atropin, um die Quantität des Blutes im Sputum herabzusetzen, und 
drei solche Injectionen, um die Hämoptoe gänzlich zum Schwinden 
zu bringen. In einem Falle von 24 Stunden dauernder Epistaxis 
bewirkte eine Injection von V100 Gran eine Sistirung der Blutung, 
die nicht wiederkehrte. Was die Wirkungsweise des Atropins be¬ 
trifft, so glaubt B., daß es kaum ein rationelleres Mittel geben kaun, 
da nach Graham Brown’s Untersuchungen das Atropin eine völlige 
Lähmung der constrictorischen Fasern oder ihrer peripheren End¬ 
apparate bewirkt. Der Effect ist also gerade umgekehrt wie beim 
Ergotin. Während dieses die Blutzufuhr zu den Capillaren ver¬ 
mindert, öffnet das Atropin sozusagen alle Schleußen zu dem 
ganzen Capillargebiet und vermindert dadurch die Zufuhr zu einem 
einzelnen, hier dem blutenden Bezirk. Unangenehme Nebenwirkungen 
hat weder B., noch die anderen von ihm angeführten Autoren, welche 
das Atropin als Hämostaticum anwendeten, gesehen. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Pariser Gesellschaften. 

fOriginal-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Acadömie de mödeeine. 

Sitzung vom 7. Octöber 1890. 

Desnos: Ueber Exalgin. 

Das Exalgin (Methyl-Acetanilid) ist ein Analgeticum aus der 
aromatischen Reihe und bildet ein weißes, geschmackloses, in alkohol¬ 
haltigem Wasser leicht lösliches Pulver, welches seine Wirkung haupt¬ 
sächlich auf das verlängerte Mark und das cerebro-spinale System 
ausübt. Das Exalgin wird in Dosen von 0*25 — 1 Gr., 1*25 und 
sogar 1*50 verabreicht. Doch darf eine Erhöhung der Dosis nur mit 
der größten Vorsicht stattfinden. Dosen von Uber 0*75 erzeugen 
eine leichte Cyanose, die aber mit dem Aussetzen des Mittels schwindet 
und keine schädlichen Veränderungen des Blutes nach sich zieht. 
Die Untersuchung mit dem Henocque’ sehen Spectroskop hat ergeben, 
daß die durch Exalgin hervorgerufene Veränderung des Blutes nie 
bis zur Bildung von Methämoglobin geht, daß aber das Oxyhämo¬ 
globin in Folge der Zerstörung einer gewissen Anzahl rother Blut¬ 
körperchen abnimmt. Die Cyanose trat nur in etwa 10% der Fälle 
ein. Ein großer Vorzug des Exalgin vor anderen ähnlichen Mitteln, 
namentlich vor Antipyrin, besteht darin, daß es vom Magen gut ver¬ 
tragen wird, wenn es nur nicht in einer stark alkoholischen Flüssig¬ 
keit verabreicht wird. Schließlich sei hervorgehoben, daß das Exalgin 
keine Exantheme erzeugt. 

D. hat das Exalgin bei verschiedenen Neuralgien und namentlich 
bei congestiven Neuralgien des Gesichtes, bei Intercostalneuralgien, 
Ischias, in einem Falle von Neuralgie des Ramus ophthalmicus mit 
Veränderungen des Nerven in Folge von Zoster, mit Erfolg ange¬ 
wendet. In einem Falle von Ischias, der allen gegen diese Krankheit 
gebräuchlichen Mitteln trotzte, hatte das Exalgin in Dosen von 1*75 
eine gute Wirkung. Auch bei anämischen Neuralgien hat sich das 
Exalgin bewährt, nur kommt es hier zu Recidiven, falls nicht die Blut¬ 
zusammensetzung geändert wird. Gegen die lancinirenden Schmerzen 
der Tabetiker ist Exalgin ein wirksames Mittel. Eine Paralysis 
agitans ist auf Dosen von 0*25 —1*50 rapid geschwunden, doch 


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1890. — Wiener Mediziniöclio Presse. 


flr. 4G. 


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stellte sich Recidiv ein. Auch der Rheumatismus wird durch Exalgin 
günstig beeinflußt, nur muß man die Fälle wählen. In Fällen, bei 
welchen die Schmerzhaftigkeit über die Gelenkerscheinungen über¬ 
wiegt, ist das Exalgin wirksam, während das salicylsaure Natrium 
den Vorzug verdient, wenn die Gelenkschwellung in den Vorder¬ 
grund tritt. 

Zum Schluß betont D., daß das Exalgin weder ein Hypnoticum, 
noch ein Antithermicum, sondern ausschließlich ein energisch wir¬ 
kendes Analgeticum ist, mit dem der Arzt vorsichtig umzugehen hat, 
das aber nicht den Phantasien des großen Publicums ausgeliefert 
werden darf, wie dies mit dem Antipyrin geschehen ist. 


Soci6t6 de blologie. 

Sitzung vom 11. October 1890- 

Sanchez-Toledo und Veillon : Ueber die Gegenwart von Tetanus¬ 
bacillen in den Dejectionen gesunder Pferde und Rinder. 

Bekanntlich findet sich der Tetanusbacillus nicht nur in der 
Erde, sondern auch in anderen Medien. So fand Sormani, daß Thiere, 
die mit Futter gefuttert werden, welches mit Gartenerde vermengt ist, 
keinen Tetanus bekommen , daß aber die Dejectionen dieser Thiero 
Tetanusbacillen enthalten. Nachdem Verff. diese Beobachtung durch 
vielfache Versuche bestätigten, suchten sie die Tetanusbacillen auch 
in den Dejectionen gesunder Thiere. Die Untersuchungen bezogen 
sich auf Pferde uud Kühe. Die Dejectionen wurden im Momente der 
Defäcation in sterilisirte Gefäße aufgefangen und in geringen Quan¬ 
titäten in Hauttaschen von Kaninchen gebracht. Von den so ge¬ 
impften Thieren starben manche an Septikämie binnen 2—3 Tagen, 
andere aber nach 5—6 Tagen unter den ausgesprochenen Erschei¬ 
nungen des Tetanus. Bei der mikroskopischen Untersuchung des 
Wundeiters oder-Serums fanden sich, nebst anderen Bacterien, charak¬ 
teristische Tetanusbacillen in allen Formen. Ueberimpft man den 
Eiter auf Kaninchen, Mäuse oder Meerschweinchen, so bekommen 
dieselben typischen Tetanus und zeigen wieder die charakteristischen 
NicoLAiER’scben Bacillen. Aus dem Wundeiter und -Serum der mit 
Pferdedejectionen geimpften Thiere konnten die Tetanusbacillen auch 
in Rcincultur gezüchtet werden. 

Diese Versuche lehren also, daß die Dejectionen von gesunden 
Thieren Tetanusbacillen in voller Virulenz enthalten können. Dieses 
Resultat liefert eine wichtige Stütze für die Ansicht Verneüil’s, der 
durch genaue Nachforschungen festgestellt hat, daß Tetanus sehr 
häufig in Folge von Traumen bei Individuen vorkommt, dio mit 
Pferden zu thun haben. 

Wie gelangt nun der Tetanusbacillus in den Organismus des 
gosunden Pferdes? Wahrscheinlich in Form von Sporen mit dem mit 
Erde häufig vermengten Futter. Diese Sporen widerstehen der Ein¬ 
wirkung des Magensaftes und finden sich dann in den Dejectionen 
mit ihrer vollen Virulenz. 


Soetätä medicale des liöpitanx. 

Sitzung vom 17. October 1890. 

Debove: Profuse Magen-Darmblutungen bei Lebercirrhose und 
bei anderen Leberkrankheiten. 

D. theilt 14 Fälle aus eigener und fremder Beobachtung mit, 
ans denen hervorgeht, daß nicht selten bei Lebercirrhose schwere 
profuse Magen- oder Magen Darmblutungen Vorkommen. Dieselben 
bilden eine schwere Gomplication, dio rasch zum Tode führen kann. 
Sic gehen dem Ascites voraus, d. h. sie entstehen zu einer Zeit, wo 
die Cirrhose noch schwer diagnosticirbar ist, werden daher häufig 
einem einfachen Magengeschwür zugeschrieben. 

Was die Entstehung dieser Blutungen anbelangt, so liegt es 
zunächst nahe, an die Circulationsstöruug in der Leber zu denken. 
Dagegen läßt sich aber anführen, daß nach Unterbindung der großen 
Vcnonstämme oder nach ihrer Verstopfung durch ein Gerinnsel keine 
Blutungen entstehen, daß ferner die Blutungen zu einer Zeit ent¬ 
stehen , wo die Circulationsstörung noch keine sehr erhebliche ist. 
Es ist daher der Circulationsstörung in der Leber keiue ausschlie߬ 
liche Rolle in der Pathogenese dieser Hämorrhagien zuzuschreiben. 
Eine locale Wirkung des Alkohols würde keine Erklärung für das 
plötzliche Zerreißen mehrerer Capillaren abgeben. Die von IIaxst 


angeführte Ruptur von Varices des Oesophagus fand Bich nur in 
3 Fällen. 

Debove erklärt das Zustandekommen dieser Blutungen durch 
eine Congestion im Pfortadersystem. Das abdominale vasomotorische 
System bewirkt unter nervösen Einflüssen eine viel heftigere Con¬ 
gestion in den Bauchorganen als in anderen Gefäßbezirken. Beim 
gesunden Individuum gibt aber diese Congestion keine Veranlassung 
zu Blutungen, weil die Leber große Blutraengen iu sich aufnehmen 
kann. Bei Cirrhose hat aber die Leber ihre Elasticität verloren und 
die Abflußwege in die Vena cava sind verengt. Kommt es dann zu 
einer Congestion im Pfortadergebiete, so kann dasselbe so ausgedehnt 
werden, daß eine Ruptur und folglich eine Blutung entsteht. Diese 
Ruptur findet seltener in den vorgeschrittenen Stadien der Krankheit 
statt, während die Circulationsstörung eine bedeutendere ist, vielleicht 
weil da der Ascites einen Gegendruck ausübt, der die Congestion 
verhindert, vielleicht auch wegen des anämischen Zustandes, in dem 
sich die Kranken in diesem Stadium befinden. Ist ciue Stolle vor¬ 
handen, an welcher in Folge einer früheren Erkrankung eine Herab¬ 
setzung der Rosistenz Platz gegriffen hat, so findet hier die Ruptur 
statt. Dies ist der Fall bei den Varices des Oesophagus. K. 


X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XV. 

Aus den Sectionen. 

Section für pathol. Anatomie. 

Pathogenese und pathologische Anatomie der Tuberculose. 

BolLINGER (München) bespricht die Infectionswege des tuber- 
culösen Giftes, wobei die äußere Haut, die angrenzenden Schleim¬ 
häute, sowie der Respirationsapparat nur cursorisch berührt werden, 
während die intestinale Infection und die Frage der Gefährlichkeit 
von Milch und Fleisch tuberculöser Thiere etwas eingehender er¬ 
örtert wird. 

Die unverletzte und bis zu einem gewissen Grade sogar die 
verletzte Haut spielt auch gegenüber dem Tuberkelgift erfolgreich 
ihre Rolle als Schutzorgan der Körperorgane. Die auf dem Wege 
der Contactinfection entstandene Hauttuberculose zeichnet sich durch 
ihre Neigung zur Localisation und zur spontanen Heilung aus. 
Die geringe Disposition des Hautorganes zur Aufnahme des tubercu- 
löseu Giftes ist, abgesehen von experimentellen Ergebnissen, durch 
dio Seltenheit der Hanttuberculose bei Menschen erwiesen, die 
vermöge ihres Berufes vielfach, fast alltäglich, mit tuberculösen 
Producten in Berührung kommen, und durch die Seltenheit der Haut¬ 
tuberculose bei Phthisikern. Bei Kindern nnd namentlich bei Säug¬ 
lingen ist die Empfänglichkeit der Haut für die Aufnahme des 
Tuberkelgiftes größer als bei Erwaehseuen. 

Die Frage, ob bei Gelegenheit der Vaccination das tubereulöse 
Gift übertragen werden kann, ist zu verneinen, da dasselbe aus dem 
tuberculösen Organismus in die Lymphe der Impfpustel nicht über¬ 
gebt. Durch dio natürlichen Poren vermag das tubereulöse Gift 
nicht eiuzudringen. 

Die der Haut angrenzenden Schleimhäute des Kopfes besitzen 
eine große Neigung, das tubereulöse Gift passiren zu lassen, ohne 
selbst zu erkranken. Dahin gehören die primären Affectionen der 
Scrophulose. 

Unter den Eingangspforten, durch welche das tubereulöse Gift 
in die Gewebe des Körpers eintritt, steht in erster Linie die Lunge, 
doch ist außer Zweifel, daß die weitaus größte Mehrzahl der in die 
Lungcu eindringenden Tuberkelkeimc von den physiologischen Kräften 
des Organismus vernichtet wird. Die locale Prädisposition der 
Lungenspitzen für die Aufnahme und Vermehrung der Tuberkel- 
bacillen beruht wahrscheinlich auf mehreren Factoren, wobei die 
mangelhafte Function dieses Lungentheiles, die Anämie und wahr¬ 
scheinlich Reizzustände eine wesentliche Rolle spielen. Das tuber- 
culöso Gift vermag namentlich bei Kindern und jüngeren Leuten 
das intacte Lung( ugewebe zu passiren, um iu den iutrathora- 
cischen Lymphdrüsen sich festzusetzen und zu vermehren. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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Bei einigermaßen resistenten Individuen zeigt sowohl die loca- 
lisirte Spitzentuberculose als auch die Tuberculose der intrathora- 
cischen Lymphdrüsen eine ausgesprochene Neigung zu chronischem 
Verlauf, zur Verödung mit Bildung bindegewebig schwieliger Narben, 
Verkalkung und schließlich zur vollständigen Heilung. Jede suspecte 
Spitzenaffection der Lunge und jede analoge Erkraukung der Lymph¬ 
drüsen ist als infectiös und nicht geheilt zu betrachten, solange noch 
käsige oder käsig-kalkige Producte vorhandeu sind. 

Die allgemeine Prädisposition der Lungo für die Ansiedlung 
der Tuberkelbacillen zeigt sich ferner im Auftreten der metastatischen 
Tuberculose der Lunge. 

Bezüglich der primären Tuberculose des Hodens, der Knochen 
und Gelenke muß eine latente hämatogene lufection angenommen 
werden. 

Die obere Hälfte des Verdauungstractes ist für die Ansiedlung 
der Tuberkelbacillen wenig dispouirt. 

Die Prädilectionsorgane bei der intestinalen Infection sind die 
Lymphfollikel des lleum und des Dickdarmes. Im Vergleich mit der 
Lunge ist der Darm jedoch weniger disponirt und offenbar wider¬ 
standsfähiger gegenüber dem tuberculösen Gift. 

Die Darmtuberculose kommt selten als primäre, viel häufiger 
als seeuudäre Erkrankung vor. Die primäre Darmtuberculose ist auf 
Nabrung8infection (Genuß roher Milch tuberculöser Kühe, durch 
tubereulöse Ammen) zurückzuführen. 

Die seeuudäre Darmtuberculose entsteht durch Autoinfection, 
indem infectiöso Sputa in den Darm gelangen. Das tubereulöse Gift 
vermag das intacte Darmepithel zu passiren und in die Darmfollikel 
einzudringen. Es kommt dann zu käsiger Necrose der letzteren, zur 
Bildung von Geschwüren zur regionären Verbreitung der Bacillen 
auf dem Wege der Scrosa und auf die meseraisehcD Drüsen. 

Die verschiedenen Formen der Bauchfelltuberculose entstehen 
am häufigsten tertiär, entweder continuirlich fortgesetzt von tuber¬ 
culösen Darmgeschwüren oder von tuberculösen Drüsen des Unter¬ 
leibs, oder fortgeleitet vom Urogenitalsystem, namentlich bei Weibern, 
oder endlich auf dem Wego der Verschleppung von der Pleura und 
den Lungen aus. Auch durch hämatogene oder lymphogene Infection 
bei allgemeiner Miliartuberculose kann Tuberculose des Bauchfells 
entstehen; eine primäro Bauchfelltuberculoso ist sehr selten. 

In Bezug auf den Einfluß, den der Genuß der Milch und des 
Fleisches tuberculöser Thiere auf die Entstehung der menschlichen 
Tuberculose hat, ist vorläufig als feststehend anzusehen, daß die von 
tuberculösen Kühen producirte Milch eminent gefährlich ist hei der 
Eutertuberculose. Die Milch tuberculöser Kühe dagegen, deren Euter 
normal ist, ist weniger, wenn auch nicht unerheblich virulent. 

Auch die verschiedenen Milchproducte bewahren ihre Infec- 
tiosität. Da die Verdünnung der infectiösen Milch im Stande ist die 
Infectiosität derselben zu vermindern und auch aufzuheben, so ver 
dient die sogenannte Sammelmilch immer den Vorzug. 

Das Fleisch tuberculöser Thiere ist namentlich bei hochgradiger 
und generalisirter Tuberculose virulent. Die Giftigkeit geht durch 
gründliches Kocheu und länger einwirkende Siedehitze, nicht aber 
durch Einpöckeln und Räuchern verloren. Die Virulenz hängt vom 
Grade und dem Stadium der Erkrankung ab. Das sicherste Mittel, 
um die Infectiou des Menschen durch Milch und Fleisch tuberculöser 
Thiere -zu verhüten, ist der Kampf gegen die Tuberculose der 
Schlachtthiere. 

Zum Schlüsse bespricht B. den Einfluß der Quantität des 
tuberculösen Giftes auf die Entstehung und den Verlauf der Tuber¬ 
culose. Je größer die Menge des aufgenommenen Giftes, umso rascher 
erfolgt die Weiterverbreitung im Körper. Die Schwere der Affection 
und die Intensität des Verlaufes siud einerseits bedingt durch die 
Quantität des eingeführten Giftes, andererseits durch die allgemeine 
(individuelle) und locale Disposition. Während bei hämatogener In¬ 
fection (directe Injcction von Rcinculturcn in's Blut) der Tod der 
Impfthiere schon nach 2 1 j i Wochen erfolgt, wirken bei subcutaner 
Injection, sowie bei spontaner, primärer Drüsentuberculose die Lymph¬ 
drüsen vielfach als natürliche Filter, als eine Art Scheidewand, 
welche zunächst Localisation der Tuberculoso bedingt. Je mehr 
Drüsensystemc der Bacillus zu passiren hat, umso langsamer kommt 
es zur Allgemeininfection. ! 


Bezüglich der Organdisposition läßt sich folgende Stufenleiter 
aufstellen: 

A. Für die spontane menschliche Tuberculose. 

1. Lungen, 2. Lymphdrüsen, 3. Darmschleimhaut, 4. seröse 

Häute, 5. Kehlkopf, 6. Milz, 7. Gelenke, 8. Knochen, 

9. Leber, 10. Niere, 11. Genitalien, 12. äußere Haut. 

13. Gehirn und Rückenmark. 14. Musculatur (fast immun). 

B. Für die künstliche Infection: 

1. Lymphdrüsen, 2. Milz, 3. Lungen, 4 seröse Häute, 

5. Leber, 6. Nieren, 7. Genitalien, 8. äußere Haut, 9. Gelenke, 

10. Knochen. 

In Bezug auf die Form der Disposition unterscheidet Bollinger : 

1. Disposition der Gattung und Art (Mensch, Affe, Rind, 
Schwein). 

2. Disposition der Familie (vererbte Constitution, phthisischer 
Habitus). 

3. Disposition des Individuums (allgemeine Körperdisposition, 
vielfach erworben). 

4. Disposition der Organe: 

a) des ganzen Organs (Lymphdrüsen, Milz, seröse Häute, 
Lungon), 

b) localisirte (Lungenspitzen, basale Meningitis, Schleim¬ 
haut des Kehlkopfs). 

5. Disposition der Zelle (Endothelien, Wanderzeileo etc.). 

Schließlich weist B. darauf hin, daß die am meisten disponirten 

Körperorgane gleichzeitig am häufigsten zur Spontanheilung neigen. 

PONFICK (Breslau) bespricht die Wechselwirkungen zwischen 
örtlicher und allgemeiner Tuberculose. Die Tuberculose ist, weil 
stets durch einen exogenen Bacillus entstehend, eine zunächst ört¬ 
liche Krankheit, doch sind weder der Darm allein, noch die Lungen 
allein die Einschleppungsstätten des Giftes. Selbst die resistentesten 
Stellen, wie die Hautdecken, können als Eingangspforten dienen. 
Hieher gehören ferner die Fälle, wo eine unabsichtliche Impfung 
tuberculösen Materials zu einer schweren Tuberculose führt. Auch 
der Sexualapparat ist, wenn nicht gerade häufig, als Infectionspforte 
zu betrachten. 

Die häufigste Eingangspforte bildet allerdings der respirato¬ 
rische Apparat. Doch haben wir bei diesen Kranken nicht blos die 
Verzweigungen des Bronchialbaumes, sondern auch Nase und Rachen 
sammt Seitenhöhlen, besonders das Mittelohr, zu berücksichtigen. 
Durch das Eindringen des Bacillus in die Athemwege, welches wir 
uns meist als ein indirectes vorzustellen haben, wird die Schleim¬ 
haut sowohl der Hauptbahnen, als der Nebenräume zu einer Reac- 
tion augeregt, die sich zunächst als indifferenter Catarrh darstellt. 

Dieser entzündliche Zustand ist es, welcher das lockere Polster 
der Schleimhaut mit zähem, als beste Nährlösung wirkendem Exsu¬ 
date bedeckt und so den keimfähigsten Boden für rasche Vermeh¬ 
rung der vielleicht noch harmlosen Keime schafft. Widersteht aber 
selbst die Auskleidung der gröberen Röhrchen dem Eindringen der 
Parasiten, so bleibt jedenfalls der Isthmus der Infundibula eine 
neue und weit schwerer zu überwindende Klippe, da hier die Ba¬ 
cillen sich leicht ansiedeln und eine Peribronchilis zunächst zur 
Folge haben. Von hier aus kann es zur centrifugaleu Verbreitung 
des Virus in eine wechselnde Zahl von Alveolen oder zu einer centri- 
petalen Verschleppung erst in die entsprechenden bronchialen Stämme, 
dann selbst in rückwärtige Läppchen kommen und somit zu einer 
immer ausgedehnteren Verbreitung bacillärer Entzündungsherde. Im 
besten Falle kann durch eine energische demarkirende Entzündung 
eine Abkapselung der parasitären Eindringlinge entstehen. Doch 
sind wir aus dem Verlauf, aus dem Zurückgehen der catarrhalischen 
Erscheinungen, der Symptome diffuser Infiltration, aus dem Aufhören 
des Fiebers, ja selbst aus dem vollkommenen Verschwinden der 
Bacillen aus dem Sputum noch nicht auf eine absolute Heilung zu 
schließen berechtigt. Denn an einer der vielen Stellen, welche einst 
inficirt gewesen sind, oder lediglich in einer verborgenen Bronchial¬ 
drüse kann eiu noch so geringer Rest der Eindringlinge lebenskräftig 
geblieben sein, ruhig des Augenblickes harrend, wo sich güustigere 
Bedingungen für ihre Vermehrung bieten. 

Die selbst mehrere Jahre dauerndo Latenz beruht nach P. 
auf Rügenden Umständen. Zunächst kaun der Grund dafür in der 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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Verstopfung der Saftcanälc der Parenchyme mit geronnenem Exsudat, 
mit weißen Blutkörperchen oder zusammengeballten Bacillen liegen. 
Bei den dem Herde entstammenden Lymphgefäßen und den Vasa 
efferentia ist die Latenz durch eine Verlegung des Lumens durch 
dieselben Bestandtheile oder durch Endothel Wucherung und entzünd¬ 
liche Verdickung der Wandmembran bedingt. In den Lymphdrüsen 
verdanken wir dieselbe einer überreichlichen Wucherung der in den 
Rindensinus vorhandenen lymphoiden Elemente, wodurch die Maschen¬ 
räume erst strotzend ansgefüllt, weiterhin verödet werden. Von der 
größten Tragweite ist auf alle Fälle der Umstand, ob das bezüg¬ 
liche Vas efferens mit verschlossen oder frei geblieben ist. Am meisten 
leisten diejenigen Herde Gewähr für dauernde örtliche Beschränkung, 
bei welchen sämm tliche Lymphgefäße ein und desselben Querschnittes 
vollständig verödet sind. Gelangt dann ein selbst längere Zeit latent 
gebliebener Herd, sei es durch neue Entzündungen, Traumen oder 
in Folge von Anastomose eines versperrten Lympbrobres mit einem 
normalen Gebiet in den freien Strom eines der Hauptstämme, so 
entsteht Miliartuberculose. 

Ebenso wie sich die Tuberculose innerhalb des Hauptlymph- 
rohres festsetzen kann, ebenso wird zuweilen auch das Blutgefä߬ 
system , und zwar direct in Mitleidenschaft gezogen, indem durch 
allmälige Infiltration oder durch plötzliche Zerstörung der Venen- 
wand oin Einbruch, sei es von einem Herd der Lunge aus, sei es 
der Nebenniere, des Rückenmarks oder anderer Organe, statt¬ 
findet. 

Dio Umstünde, welche diese Verallgemeinerung der Tuber- 
culoseo gerade in dem gegebenen Augenblicke anregen, sind noch 
unbekannt. Vor Allem bleibt es räthselhaft, warum dieselbe in 
manchen Fällen so plötzlich auftritt und durch die Anzahl der Herde 
rasch zum Tode führt und in anderen so unvergleichlich langsamer 
verläuft. 

P. bekämpft die allgemein herrschende Vorstellung, als ob die 
Ausstreuung von Bacillenkeimen in die Säftemasse schlechthin gleich¬ 
bedeutend sei mit einer tuberculösen Erkrankung der Mehrzahl der 
Organe und mit einer nahen Gefährdung des Lebens. Im Gcgeu- 
theil, es unterliegt keinem Zweifel, daß trotz einer nachweislichen 
Dissemination die Gesundheit mitunter nur vorübergehend bedroht 
wird, vorausgesetzt, daß die arteriellen Gefflßbezirke, innerhalb 
derer die Bacillen schließlich stecken bleiben, nicht einem lebens¬ 
wichtigen Organe angehören. Bedenkt man aber, wie ausgedehnte 
Gebiete einem embolischen Haften der Bacillen offenstehen, so in 
den großen Drüsen des Unterleibs, Leber, Milz und Nieren, im 
Knochenmark, ja in den serösen Häuten, so wird man zugeben 
müssen, daß sehr wahrscheinlich nur eines oder das andere der 
letztgenannten Organe zunächst ergriffen wird, und daß erst wieder¬ 
holte Einschleppung dazu führt, daß auch im Bereich anderer Or¬ 
gane, Lunge, Gehirn etc. dasselbe sich ereignet. 

Daraus ergibt sich, daß neben der acuten auch eine chro¬ 
nische Miliartuberculose auzunehmen ist. Unter letzterer haben wir 
einen Zustand zu verotehen, wo im Anschluß an eine locale Tuber¬ 
culose die Säftemasse wohl mitbetheiligt ist, jedoch so, daß die 
Metastase zunächst nur das oder jenes weniger maßgebende Organ 
befällt, einen Zustand also, wo Mangels der Einschwemmung der 
virulenten Keime in lebenswichtigere Organe keine unmittelbare Be- 
sorgniß gehegt zu werden braucht. Es sind daher die klinisch als 
acute Miliartuberculose bczciohneten Krankheitsbilder sozusagen blos 
die Elite aus der ungleich größeren Gesammtheit derjenigen, bei 
welchen eine Einschleppung der Bacillen und secundäre Eruption 
miliarer Knötchen überhaupt platzgreift. In Wirklichkeit bilden die 
Fälle von chronischer Miliartuberculose die Mehrheit. 

HELLER (Kiel) beschäftigt sich vorwiegend mit der Disposition. 
Nach ihm ist eine Disposition für tuberculose Infection nicht zu 
bestreiten, obgleich zugegeben werden muß, daß man diesen Begriff 
zu weit ausgedehnt hat. Er definirt dieselbe als eine Verminderung 
derjenigen Widerstandsfähigkeit, die ursprünglich allen Menschen in 
gleichem Maße eigenthümlich ist. Diese Herabsetzung der Wider¬ 
standsfähigkeit kann eine örtliche und eine allgemeine sein. Die 
erstcre betrifft namentlich die Epithclicn, die in solchen Fällen den 
Boden für eine Vermehrung der Bacillen abgeben können. Selbst¬ 
verständlich kann ein Verlust des Epithels für die tuberculöse In¬ 


fection von der größten Wichtigkeit sein, obgleich die Tuberkel¬ 
bacillen auch durch das unverletzte Epithel hindurchdringen können. 
Die Menge der eingedrungenen Bacillen ist zwar gewöhnlich eine 
geringe, doch können diese sich an der Eingangsstelle vermehren, 
namentlich wenn daselbst entzündliche Exsudate, Blutergüsse etc. 
vorhanden sind. Durch solche Verhältnisse wird die örtliche Dispo¬ 
sition vermehrt. 

Bei der allgemeinen Disposition kommt der allgemeine Er¬ 
nährungszustand in Betracht. Dieselbe ist häufig mit der localen 
Disposition combinirt. Wichtig für die allgemeine Disposition sind 
ferner: 

1. Sehr jugendliches und sehr hohes Alter, wobei auch die 
Art der Nahrung, der Verkehr mit Tuberculösen und manches 
Andere in Betracht kommt. 

2. Das männliche Geschlecht ist durch die häufigen Berufs¬ 
schädigungen besonders disponirt. 

3. Die erbliche Uebertragung der Tuberculose kann nicht 
bestritten werden, spielt aber nur eine geringe Rolle; hingegen ist 
die Uebertragung der Disposition von der größten Bedeutung. 

ßANG (Kopenhagen) bespricht die Frage, ob die Milch tuber- 
culöser Kühe virulent ist, wenn das Euter nicht ergriffen ist. Er 
hat eine Reihe von Versuchen über diese Frage an Meerschweinchen 
ausgeführt. Die Anzahl der untersuchten Kühe beträgt 21 und die 
der geimpften Meerschweinchen 40. Die Impfung wurde intra- 
peritoneal gemacht, und es wurden in jedem Falle 1—2 Ccm. 
mittelst sterilisirter Pipetten eingebracht. Die Milch wurde in 
sterilisirte Flaschen gemolken, und zwar wurden nur solche Kühe 
gewählt, welche hochgradig tuberculös waren, bei denen aber das 
Euter nicht mit ergriffen war. Das Resultat war, daß die Milch 
von 17 der untersuchten Kühe keine Tuberculose hervorzurufen 
vermochte, während die von 4 sich virulent erwies. In 3 von 
diesen 4 Fällen fand aber B. durch genaue Durchmusterung des 
Euters, daß sich entweder in demselben ganz wenige kleine Knötchen 
oder eine ganz geringe Infiltration vorfand. In allen diesen Fällen 
fanden sich in diesen tuberculösen Veränderungen Tuberkelbacillen. 
Je weniger entwickelt die tuberculöse Affection im Euter ist, desto 
geringer auch die Menge der Bacillen in der Milch. Es bildet somit 
der Uebergang von Tuberkelbacillen in die Milch bei gesundem 
Euter eine seltene Ausnahme. Wäre dies eine häufig eintretende Er¬ 
scheinung, so müßte man bei der in vielen Gegenden sehr bedeu¬ 
tenden Verbreitung der Rindvieh-Tuberculose erwarten, daß die 
Tuberculose durch die rohe Milch und durch die Producte der Mileh- 
wirthschaft (Butter, Käse) colossal häufig verbreitet würde, was wohl 
nicht der Fall ist. 

Bezüglich der Prophylaxe wäre demnach auch fernerhin ein 
großes Gewicht auf das möglichst frühzeitige Erkennen der tuber¬ 
culösen Natur einer Euteranschwellung zu legen. Die Milch einer 
tuberculösen Kuh mit anscheinend gesundem Euter ist somit in der 
Regel nicht gefährlich. Da man aber im concreten Falle nicht 
wissen kann, ob man es nicht mit einem jener Ausnahrasfälle zu thun 
hat, so ist eine solche Milch immer als ansteckungsverdächtig 
anzusehen. 

WYSSOKOWICZ (Charkow) berichtet über die Resultate seiner 
Versuche über den Einfluß dor Quantität der verirapften Tuberkel¬ 
bacillen auf den Verlauf der Tuberculose. Um diese Frage zu 
studiren, impfte er Kaninchen und Meerschweinchen mit kleinen 
Mengen Bacillen. Um eine ganz regelmäßige Suspension der Tu¬ 
berkelbacillen zu erhalten, hat er sowohl Sputum als Aufschwem¬ 
mungen der Reinculturen durch sterilisirtes Filterpapier filtrirt und 
den Gehalt an Tuberkelbacillen ziemlich genau bestimmt. 6 Kaninchen 
und 8 Meerschweinchen erhielten theils subcutan, theils intravenös 
oder intraperitoneal 8—50 Tuberkelbacillen. 

Außerdem wurden 3 Meerschweinchen zur Controle mit einer 
größeren Menge desselben Materials geimpft. Es ergab sich aus 
diesen Versuchen, daß, je weniger Tuberkelbacillen den Meerschweinchen 
verimpft wurden, desto langsamer die Tuberculose verlief. Viel 
interessanter war die Wirkung gleich geringer Mengen auf Kaninchen. 
Es zeigte sich n.'tmlich, daß von G Kaninchen, welche theils sub- 
entan, theils intraperitoneal mit circa 8 Tuberkelbacillen einer Rein- 
cultur bis 30—40 aus dem Spuntum inficirt wurden, bei keinem 


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1837 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


1838 


der nach 92—145 Tagen getödteten Thiere irgendwelche tuber- 
culöse Veränderungen in inneren Organen oder Lymphdrüsen vor¬ 
handen waren. Nur bei einem, welches eine Verdünnung von tuber- 
culösem Sputum mit 20 —30 Tuberkelbacillen intravenös erhalten 
hatte, wurden in den Lungen einige kleine Herde von interstitieller 
Pneumonie tuberculösen Ursprungs gefunden. 

Diese Versuche zeigen somit, daß die Quantität der verimpften 
Bacillen einen sehr starken Einfluß auf die Entwicklung der Tuber- 
culose bei Thieren ausübt, und daß diese Verschiedenheit noch viel 
deutlicher an Kaninchen, d. h. an solchen Thieren, welche wider¬ 
standsfähiger als Meerschweinchen gegenüber der Tuberculose sind, 
erscheint. S. 


Notizen. 

Wien, 15. November 1890. 

Die Heilung der Tuberculose. 

An leitender Stelle unseres Blattes reproduciren wir ein 
ausführliches Telegramm unseres Berliner Correspondenten über 
die soeben erschienene, mit großer Spannung erwartete Enun- 
ciation Robert Koch’s die Heilung der Tnberculose des Menschen 
betreffend. Die nur als vorläufige Mittheilung zu betrachtende 
Publication Koch’s eröffnet der Welt eine bis in die aller¬ 
jüngste Zeit nicht erhoffte Perspective. Durch die Entdeckung 
eines Mittels, welches, dem Organismus einverleibt, nicht nur 
im Stande ist, die Tuberculose, der Menschheit furchtbare Geißel, 
zum Stillstände zu bringen, sondern auch wahrscheinlich nach 
erreichter Heilung vor weiterer Infection zu schützen vermag, 
steht der Heilkunde eine Wandlung bevor, wie sie in solcher 
Tragweite wohl noch niemals sich vollzogen, seit der erste 
Arzt an ein Krankenlager getreten. Es ist somit der jetzt 
lebenden Generation von Aerzten gegönnt, den kranken Mit¬ 
menschen die Früchte ernster wissenschaftlicher Forschung 
bieten zu können. Eine neue, hoffnungsreiche Aera winkt der 
Therapie; ist doch Koch’s Mittel allen Aerzten zugänglich, 
die Anwendung desselben in Form subcutaner Injectionen 
eine so einfache, daß es von jedem Arzte ohne besondere 
technische Vorstudien gcbiaucht werden kann. Eine noch 
größere Bedeutung gewinnt die folgenschwere Entdeckung 
Koch’s, wenn man in Betracht zieht, .daß das von ihm Ge¬ 
fundene nicht nur therapeutisch, sondern auch diagnostisch 
verwerthet werden kann. Weitere, auch die Casuistik berück¬ 
sichtigende Mittheilungen Koch’s und seiner Mitarbeiter über 
die Heilung der Tuberculose der Lungen, der Haut, der Knochen 
und Gelenke etc. stehen für die nächsten Tage bevor. 

(Auszeichnungen.) Dem Oberstabsarzte Dr. Julius Barber, 
Sanitäts-Referenten im Ministerium für Landesvertheidigung, wurde 
„in Anerkennung seiner langjährigen, sehr ersprießlichen Leistungen 
auf diesem Dienstposten“ das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens 
verliehen. — Dieselbe Auszeichnung wurde dem Zahnarzte der The¬ 
resianischen Akademie, Hofzahnarzte Dr. Philipp Rabatz in Wien 
zu theil. — Das goldene Verdienstkreuz mit der Krone erhielt der 
in den dauernden Ruhestand versetzte Bezirksarzt Dr. Wilhelm Barth 
in Baden, sowie der Bürgermeister und Stadtarzt in Gottesgab, 
Franz Rothberger. 

(Das Wiener mediciuische Do ctoren - Collegi um) 
hielt am 10. November eine wissenschaftliche Versammlung, in welcher 
Prof. Ludwig seinen Vortrag über die Chemie des Blutes 
fortsetzte. Er beschäftigte sich zunächst mit dem Blutfarbstoff und 
dessen Veränderungen. Der Blutfarbstoff muß im Blutkörperchen 
in Form complicirter Verbindungen gedacht werden. IJoppe-Seyler 
nennt die Blutfarbstolfverbindung im arteriellen Blute Arterin, 
jene im venösen Blute Phlebin. Setzt man das Oxyhämoglobin 
dem Vacuum aus, so entweicht allmälig der Sauerstoff. Läßt man 
dasselbe einige Zeit mit starken Alkalien stehen, so werden die 
Krystalle trüb, sind nicht mehr löslich, es hat sich Parahämo¬ 
globin gebildet. Bei Einwirkung oxydirbarer Substanzen (Ozon, 
Jod, Brom, Amylnitrit, salpetrige Säure etc.) auf den arteriellen 


Blutfarbstoff, entsteht das Methämoglobin, welches sich oft in 
Ovariencysteninhalt, alten Extravasaten, unter Umständen auch im 
Harn findet und einen deutlich wahrnehmbaren Absorptionsstreifen 
in Roth zeigt. Behandelt man Hämoglobin mit Alkalien, so spaltet 
sich ein Eiweißkörper ab und es entsteht eine Verbindung, die man 
Hämochromogen nennt. Dieses verändert sich bei Sauerstoff¬ 
zutritt und bildet ein Product, welches man auch erhält, wenn man 
das Oxyhämoglobin mit einer Säure behandelt, nämlich das Hämatin, 
welches in seiner salzsauren Verbindung in gerichtlich-medicinischer 
Hinsicht zum Nachweis von Blut (TEiCHMANN’sche Krystalle) Be¬ 
deutung erlangt hat. Durch Ausscheidung des Eisens aus dem 
Oxyhämoglobin ist es Nencki gelungen, einen Körper zu erhalten, 
den er Hämatoporphyrin nennt und die gleiche procentische 
Zusammensetzung hat, wie das Bilirubin. Der Blutfarbstoff wird auf 
synthetischem Wege im Körper gebildet. L. ging hierauf zur Be¬ 
sprechung des Blutserums über. Dasselbe enthält 7 - 5—9*2°/ 0 
feste Stoffe, darunter 6*2—7*G°/ 0 Eiweißkörper (von denen das 
Serumalbumin und das Serumglobulin die wichtigsten sind), 
ferner kleine Mengen Cholesterin, Lecythin, kleine Mengen Fette, 
Seifen, Zucker, etwas Harnsäure, Kreatin und Carbaminsäure. Zum 
Schlüsse bespricht Redner die Gase des Blutes. In der nächsten, am 
17. d. M. stattfindenden Sitzung soll die Gerinnung erörtert werden. 

(DieAethertrinker in Irland) bildeten den Gegenstand 
eines sehr interessanten Vortrags, den Ebnest Hart in der londoner 
Gesellschaft zur Bekämpfuug der Trunksucht jüngst gehalfeu hat. 
Der Ursprung dieses sonderbaren Abusus ist nicht festgestellt. Die 
Einen behaupten, die irländischen Bauern hätten das Aethertrinken 
im Jahre 1840, zur Zeit der Predigten des Pater Mattheu gegen 
den Alkohol, begonnen ; die Anderen beschuldigen die Aerzte, den 
Aether zu freigebig verordnet zu haben, noch Andere führen 
diesen Unfug auf die Einschränkung der Brantweinbrennereien 
zurück. Die Bevölkeruug des nordischen Theiles von Irland trinkt 
den in England fabricirten billigen Aether mit Alkohol gemischt. 
Im Norden Irlands wird mehr Aether consumirt, als im ganzen 
übrigen England. In Draperstown und Cookstown ist an 
den Markttagen die Luft mit Aetherdämpfen geschwängert, und der¬ 
selbe Geruch herrscht auch in den Waggons 3. Classe der Derry 
Central Railway. In dieser Gegend trinken Männer, Weiber und 
Kinder Aether, und zwar hauptsächlich die katholische Bevölkerung. 
Man trinkt gewöhnlich den Aether in Dosen von 8—15 Gnn. mehr¬ 
mals nach einander. Um das brennende Gefühl, das der Aether er¬ 
zeugt, abzuschwächen, trinken die Anfänger Wasser nach. Eine 
Portion Aether wird um 5 Kreuzer verkauft und genügt häufig, um 
Trunkenheit zu erzeugen. Manche Leute könneu 150—500 Grm. 
Aether in mehreren Portionen vertragen. Die Trunkenheit tritt rasch 
auf und verschwindet eben so rasch. Die ersten Erscheinungen sind : 
heftige Aufregung, profuse Salivation und Aufstossen, zuweilen treten 
auch epileptiforme Krämpfe auf. Nach großen Dosen tritt auch ein 
Stadium von Stupor ein. Erscheinungen, wie bei Delirium tremens 
wurden nie beobachtet, mit Ausnahme der Fälle, wo mit dem Aether 
auch Whisky getrunken wird. Der Aethertrinker ist zänkisch, lüg¬ 
nerisch, er leidet an Mageostörungen und nervöser Prostration. Ob 
der Aether, ähnlich dem Alkohol, dauernde Veränderungen in den 
Geweben erzeugt, ist nicht nachgewiesen. Der Aethertrinker ist 
Sklave seiner Gewohnheit und wird nur selten geheilt. 

(Statistik.) Vom 2. bis inclusive 8. November 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4378 Personen behandelt. Hievon wurden 755 
entlassen; 91 sind gestorben (l0 - 75°/ o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 70, egyptischer Augenentzündung 8, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 8, Dysenterie —, Blattern 34, Varicellen 77, Scharlach 67, 
Masern 20f, Keuchhusten 38, Wundrothlauf 28 Wochenbettfieber 4. — ln 
der 45. Jabreswoche sind in Wien 322 Personen gestorben (—31 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Kassa (Ungarn) Dr. David 
Kain, Präsident des Vereines der Aerzte und Apotheker von Abanj- 
Torna, im 70. Lebensjahre; in Gent Prof. Dr. Nicolaus Doumolin, 
der Vorsitzende der dortigen medicinischen Gesellschaft, 60 Jahre 
alt; in Christiania der Präsident des diesjährigen Alkoholcongresses, 
Dr. Dahl ; in London Dr. Robert M’ Cormik, Generalinspector der 
Marine-Hospitäler, 91 Jahre alt. 

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1839 


1840 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


„Niemals kann ein pharmaceutisches Präparat so vortrefflich wirken, 
wie ein natürliches Mineralwasser, welches dieselben chemischen Bestandtheile 
besitzt wie dieses, da die innige chemische Verbindung solcher nicht nacli- 
zuahmen ist“, sagt Lokwig. Dieses zeigt sich auch beim Vergleiche pharma- 
ceutisch hergeslelKer Purgantien mit natürliche i salinischen Mineralwässern, 
als deren heivoirageodsten Repräsentanten man das „Hunyadi Janos- 
Bitterwasser“ von Saxlehner betrachlen muß. Seine ebenso rasche als 
milde Wirkung und die leichte Art seiner Dosirung erklären seine Beliebtheit 
und die besondere Gunst, deren sich derselbe bei den Aerzten erfreut. 


(Aerztliches Pädagogium für geistig schwache Kinder 
in Tulln bei Wien.) Seit Jahren besteht schon die wohlrenommiite An¬ 
stalt des Heirn Dr. Vigili von Kreutzinkeld für ruhige Geistesschwache in 
Tulln. Nun hat er in der Person des Pädagogen Dr. Krenberger eine Persön¬ 
lichkeit gewonnen, welche aus Autopsie die Einrichtungen zur Erziehung und 
zum Unterricht geistig schwacher Kinder kennt und ein Fachmann darin ist. 
In Folge dessen besteht tun in Tulln eine besondere Kinderabtheilung, die 
wegen ihrer opulenten Einrichtung, ihrer Organisation und der leitenden 
Männer der Empfehlung der Herren Aerzte besonders würdig ist. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Eingesendet. 

Eine einfache Methode der Entfernung von Nasenpolypen. 

Hochgeehrter Herr Redacteur! 

Bezüglich der von Dr. Edgar Kurz ans Florenz in Nr. 44 der „Wr. 
Med. Presse“ angegebenen Methode der Entfernung der Nasenpolypen erlaube 
ich mi^tnitzutheilen, daß im Jahre 1875 auf der Dorpater chirurgischen 
Klinik des Prof. v. Bergmann bei ausgebreiteten Schleimpolypen in der Nase 
ein ähnliches Verfahren geübt wurde, mit dem Unterschiede, daß statt d> r 
Schwämme verschiedener Größe gewöhnlich ein Wattebausch auf demselben 
W*ge mittelst der BELLocQUE’scben Röhie durch die Choanen durchgezogen 
wurde. Vor etwa vier Monaten sah ich in meiner Privatpraxis eine Kranke, 
bei der mittelst der Polypenzange zweimal der Versuch gemacht worden war, 
einen Nasenpolypen zu entfernen und jedesmal nur eiu Theil des Polypen mit 
ziemlich stark' r Nachblutung entfernt werden konnte. Da der Polyp immer 
nachwuchs, begab sich die Patientin in meiue Behandlung und ich führte in 
Anwesenheit zweier Collegen die Operation mit ziemlich starkem Wattebausch 
aus. Durch den Wattebausch wurden ein paar erbsengroße Anhäugsel und 
die Hauptmasse des Polypen herausgerissen; derselbe war durchsichtig, von 
knorpeliger Consistenz und von der Größe der letzten Daumenphalango und 
saß mit einer ungefähr 1 Cm. breiten Basis auf; die Nachblutung war ganz 
gering, beinahe Null. 

Ich finde, daß die Anwendung der Schwämme zarter ist, als die eines 
stärkeren Wattebausches und verspreche dieselbe Operation zu versuchen, ob¬ 
wohl ich vermuthe, daß, falls der Polyp nicht mit dem ersten Schwamme abge¬ 
rissen wird, das Vorbeigleiten der Schwämme gewissermaßen decouragirend, 
wenn nicht auf den Operateur, so doch auf den zu Operirenden wirkt. Diese 
kurze Mittheilung diene zur Erhärtung des Satzes: „Les beaex esprits se 
rencontrent“. 

Jarmolince, 7. November 1890. 

Dr. Constantin Flatt. 


INHALT: Uriginallen and klinische Vorlesungen. Robert Kocu’s 
Behandlung der Tuberculose. (Orig.-Telegramm.) — Ans der Klinik des Prof, 
v. Koränyi in Budapest. Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers von 
verschiedener Temperatur und Menge auf das gesunde und kranke Herz. Von 
Dr. Moriz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. 1. Die Wirkung des auf einmal 
in den Magen aufgenommenen Wassers verschiedener Menge auf die Zahl der 
Herzcontractionen, den Blutdruck und die Harnausscheidung. — Referate 
und literarische Anzeigen. Heusneu (Barmen): Ueber Behandlung der 
Oberschenkelbrüche im Umhergehen. — Ueber Orexinum muriatienm. — Neuere 
Literatur über Hygiene. — Feuilleton. Prostitution und Abolitionismus. — 
Die ungarische baineologische Landes-Conferenz. (Orig.-Corr.) III. — Kleine 
Mittheilungen. Kresalol als Wundbehandlungsmittel. — Die Behandlung des 
Keuchhustens mittelst Inhalationen von Fluorwasserstoffsäure. — Ueber Be¬ 
handlung atactischer Bewegungsstörungen. — Das Aristol als Antisepticum 
in der Zahnheilkunde. — Die Aetzung mit Chlorzink als palliative Behandlung 
der inoperablen Uteruscarcinome. — Atropin zur Behandlung visceraler 
Blutungen. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Pariser Gesell¬ 
schaften. (Orig.-Ber.) Academie de mtdecine. — Societe de biologie. — Soci6t6 
medicale des hüpitaux. — X. Internationaler medicinischer Congreß. Ge¬ 
halten zu Berlin 4.-9. August 1890. (Orig.-Ber.) XV. — Notizen. Die Heilung 
der Tuberculose. — Veränderungen im k. Ungar, landwehrärztlichen Offlciers- 
corps. — Literatur. — Aeritliche Stellen. — Anzeigen. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Langenbach, Der Lebcrechiuococcus und seine Chirurgie. Mit 19 Abb. 
Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Kobert R., Arbeiten des pharmakol. Institutes zu Dorpat. V. .Stuttgart 1890. 
Ferd. Enke. 


Veränderungen im k. ungar. landwehrärztlichen Officierscorps. 

Ernannt wurden: .aj im Activstande: zum Oberstabsarzt« 
II. CI.: der St.-A.: Dr. A. Gälffy v. Märtonos; — zum Stabsarzt«: 
der R.-A. I. CI. des Activstande<: Dr. A. Stern; — zuRegimentsärzten 

I. CI.: die R.-A. II. CI. dos Activstandes: DDr. A. Koväcs, R. K6b- 
märszky, 0. Fritsch, 0. Papp, M. Radnai und I. Erdödi; — zu 
Regimentsärzten II. CI.: die O.-A. des Activstandes: DDr. F. Gyulai, 
C. Kenessey, J. Chalaupek, F. Ryll und A. Weil; — zum Ober¬ 
arzt: der O.-A. in der Reserve: Dr. C. Toronyi; — h) in der Reserve: 
zu Regimentsärzten I. CI : die R.-A. II. CI.: DDr. B. Bäcskai, D. 
Spatz, A Blau, F. Major und S. Trajtler; — zu Regiments¬ 
ärzten II. CI.: die O.-A. in der Reserve: DDr. J. Prochnov, L. Poszvök 
und J. Kenezy; — zu 0 berärzten : die Reserve-Assistenzärzte: DDr. 
E. Derczeny, J. Papp, K. Päpay, F. Högyes, J. Zöldy, J Marko- 
vits, J. Wächter, J. Danderer, L. Klein, H. Kätser, E. Body, 

J. Ponoczky, M. Honig, G. Ecsedy, K. Szekely, A. Pain, (4. 
Huszär, J. Ernyei, B. Rosenberg, A. Aaron, M. Cserhäti, P. 
Räthonyi, C. Vajner. E. Szabö und A. Stock 1; ferner die ärztlichen 
Eleven I. CI. in der Resorvi:: DDr. A Gyuritza, L. Nagy, St. Publig 
und B. Lindner; — zu Assistenzärzten: der Res.-A.-A.-Stellv.: Dr. 
N. Me8kö; die ärztlichen Eleven I. CI. in der Reserve: DDr. A. Fodor 
und C. Schneider; die ärztlichen Eleven II. CI in der Reserve: DDr. W. 
Berger und J. Leitner. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das November- 
Heft der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Zur Be¬ 
handlung der chirurgischen Nierenerkrankungen.“ Von Dr. med. 
Paul Wagner, Docent an der Universität Leipzig. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Zur Besetzung der Districtsarztesstelle in Urban (Bezirk 
Znaim in Mähren) mit einem .Tahresgehalt von 350 fl., eiuem Jahrespauschale 
von 150 fl. uud einem Quartiergeldbeitrage von 100 fl. wird der Concurs 
ausgeschrieben. Der Sanitätsdistrict Urbau, in welchem nur die deutsche 
Sprache üblich ist, umfaßt 143'85 Quadr.-Km., 6 Gemeinden mit 3637 Ein¬ 
wohnern, wovon auf den Wohnsitz des Districtsarztes Urbau 1130 Seelen ent¬ 
fallen. Die Obliegenheiten des Arztes sind durch das Gemeinde-Sanitäts-Gesetz 
vom 10. Februar 1884, L.-G.- und V.-Bl. Nr. 28, und die Dienst-Instruction 
für Gemeindeärzte vom 16 September 1884, R.-G.-Bl. Nr. 68 bestimmt. Be¬ 
werber um diese Stelle wollen ihre im Sinne der Bestimmungen des §.11 des 
obeitirten Gesetzes instruirten Gesuche bis 20. November 1. J. beim Obmann 
des Sauitätsdistrictes, Bona Ventura Tallafus in Urbau bei Znaim, ein- 
bringen. 728 

Urbau, am 28. October 1890. 

Kundmachung. 

Für den provisorischen Sanitätsdistrict Gonobitz kommt die Stelle 
eines District-arztcs zur Besetzung. Zu diesem Sanitätsdistrict« gehören einst¬ 
weilen Markt Gonobitz, wo der neu zu ernennende Arzt seinen Wohnsitz zu 
neh men hat, ferner die Ortsgenieinden Gonobitz, Rötschach, Stranitzen, Tepina 
Dorf und Wösinn. Die Subveniion für den vorläufig auf ein Jahr provisorisch 
aiizustollenden Arzt beträgt 400 fl. am dem Landesfonde. Hiefür hat der 
Districtsarzt in oberwähnten Gemeinden die Todtenbeschau unentgeltlich vor- 
zn neh men , resp. zu überwachen, die Armeu des Districtes unentgeltlich zn 
behandeln, die ötl'entliche Impfung in denselben vorzunehmen und den Ge¬ 
meinden bei Eifüllung der denselben in den §§. 3 und 4 des Gesetzes vom 
30. April 1870, Nr. 68 R. G. Bl., vorgezcichneten Pflichten an die Hand zu 
gehon. Die ordnungsgemäß inst uirten Gesuche sind bis 30. November 1. J. 
anher zu lichten. 729 

Graz, am 29. October 1890. 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 

Kundmachung. 

ln dem provisorisch gebildeten Sanitätsdistricte St. Lambrecht, 
umfassend die vier Oitsgemeindeu St. Lambrecht, St. Blasen, Uariahof und 
Teufeabach, mit 3092 See'en und einem Flächenmaße von 146'4 Quadr.-Km. 
kommt mit I. December die Districtsarztesstelle zur Besetzung. Diese Stelle 
ist vom steiermärkischen Landesfonde mit 300 fl., vom Bezirke Neumarkt mit 
60 fl. und von der Benedictiner-Abtei St. Lambrecht mit 500 fl. vorläufig 
auf ein Jahr dotirt. Die Pflicht des Anzustellenden besteht einstweilen in 
unentgeltlicher Armou-Krankenbehandlung, Vornahme, resp. Ueberwachnng der 
Todtenbeschau und Unterstützung der Gemeinden bei Durchführung der ihnen 
ans dem Reichs-Sanitäts-Gesetze obliegenden Verpflichtungen. Die mit Tauf¬ 
schein, Heimatschein, Diplom und bisherigen Verwei.duugszeugnissen instruirten 
Gesuche sind bis 20. d. M. an den steiermärkischen Landes-Ausschuß zu 
richten. 730 

Graz, am 6. November 1890. 

Vom steiermärkischen Landes-Ausschusse. 



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Nr. 47. 


Sonntag den 23. November 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint Jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Gross-Quart-Format stark. Hiezn eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
sogleich anch selbstständig; erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse" 
in Wien, I., Maximilianstrasae Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I.. Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnemeutspreise: „Mediz. Presse' und „Wiener Klinik* 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj. 2 fl. 5Q kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Bachhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland : 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Adminiatr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianatr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-«se- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban A Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Ueber die Behandlung der Lungentuberculose nach Robert Koch. Vortrag, gehalten im „Verein für 
innere Medicin“ zu Berlin am 17. November 1890. Von Prof. Obcar Fräntzel. — Ueber die Behandlung der Tuberculose nach der KocH'schen 
Methode. Vortrag, gehalten in der SitzuDg der „Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins“ an» 16. November 1890. Von Geh.-R. Prof. v. Bergmann. ■—■ 
Ans der Klinik des Prof. v. Koranyi in Budapest. Die Wirkung innerlich anfgenommenen Wassers von verschiedener Temperatur und Menge auf 
das gesunde und kranke Herz. Von Dr. Moriz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. — Referate und literarische Anzeigen. Schräder 
(Hamburg): Eine neue Methode zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt. — Okttingbb (Paris): Ein Fall von Pyocyankrankheit beim Menschen. — 
Karze Anleitung zur qualitativen chemischen Analyse und medicinisch-chemischen Analyse. Namentlich zum Gebrauche für Mediciner und 
Pharmacenten bearbeitet von Dr. Carl Arnold, Ordinarius für Chemie und Vorstand des chemischen Instituts an der königl. thierärztlichen 
Hochschule zu Hannover. — Die Behandlung der häufigsten und wichtigsten Angenkrankheiten. Von Dr. L. Königstein, Docent an der k. k. Universität 
in Wien. — Feuilleton. Briefe aus Böhmen. (Orig.-Corresp.) II. — Kleine Mittheilungen. Beckenhochlagerung bei Laparotomien. — Chloramid 
bei Geisteskranken. — Der schwarze Kaffee bei schweren Coca'inintoxicationen. — Ammonium sulfo-ichthyolicum bei Gonorrhoe. — Transplantation 
von Gehirnsubstanz. — Hydronaphthol zur Behandlung der Diarrhoe. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler medicinischer 
Congreß. Gehalten zu Berlin 4. —9. August 1890. (Orig.-Ber.) XVI. — Notizen. Robert Koch’s Behandlung der Tuberculose. — Literatur. — 
Aerztllohe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die Behandlung der Lungentuberculose 
nach Robert Koch. 

Vortrag, gehalten im „Verein für innere Medicin“ zu Berlin 
am 17. November 1890. *) 

Von Prof. Oscar Fr&ntseL 

Meine Herren ! 

Wir sind in der Lage, die denkwürdigen Mittheilungen 
Koch’s über sein Verfahren in klinischem Sinne zu ergänzen, 
Ihnen Details vorzubringen. Wir müssen uns aber vergegen¬ 
wärtigen, daß die innere Medicin hier mühsamer arbeitet, sie 
kommt, möchte ich sagen, schlechter weg, als die Dermatologie 
und Chirurgie. Deshalb möchte ich Jedem, der an solche Ver¬ 
suche herangeht, rathen, nicht zu viel auf einmal in Angriff zu 
nehmen. Sie müssen bedenken, meine Herren, daß Sie jedesmal 
eine Reihe von Untersuchungen bei jedem Ihrer Fälle vorzu¬ 
nehmen haben, die recht mühselig sind und sehr aufhalten. Sie 
müssen jedesmal da3 Sputum untersuchen, alle physikalischen 
Veränderungen genau fuhren, um sich ein Bild über den Krank¬ 
heitsverlauf zu machen. Es ist deshalb gut, an einem kleineren 
Materiale zu arbeiten. 

Die ersten Versuche wurden am 13. September an meiner 
Abtheilung gemacht, zuerst von Pfühl, dann von mir selbst¬ 
ständig und in Gemeinschaft mit Pfühl. Das Material 
bestand größtenteils aus Phthisikern, es wurden jedoch 
auch an Leuten mit gesunden Lungen Versuche angestellt. 
Bei Gesunden erzeugt die Injection kleiner Dosen keine Re- 
action, dagegen machen starke Dosen eine Reaction, die sich 
durch ziemlich hohe Temperatur, 39° und darüber, Schüttei- | 
frost, Gliederschmerzen, allgemeine Mattigkeit charakterisirt. I 
Wie aus Koch’s Mitteilungen bereits zu ersehen war, hat 
das Verfahren auch einen großen diagnostischen Werth, 
da wir bei latenter Tuberculose durch die allgemeinen und 
localen Reactionserseheinungen, die der Application folgen, 

*) Orig -Bericht d. „Wiener Med Presse“. 


in der Lage sind, über den Sitz der Krankheit Aufschluß zu 
erhalten. So sahen wir einen jungen, schwächlichen Mann mit 
Gibbus, der hereditär belastet und der Tuberculose verdächtig 
war. Im Sputum fehlten die Bacillen, aber schon nach den 
ersten Injectionen entwickelte sich nebst den allgemeinen 
Reactionserseheinungen eine Anschwellung eines Kniegelenkes, 
die über den Sitz des Processes keine Zweifel aufkommen ließ. 
Wir haben also hier eine Wirkung, die in zweifelhaften Fällen 
von großem Werte ist und analog der Wirkung des Chinins 
bei der Malaria ist. 

Die Versuche mit dem Mittel bei weit vorge¬ 
schrittener Lungenschwindsucht erstreckten sich auf 
4 Personen, welche, hereditär belastet, eine ausgedehnte Er¬ 
krankung beider Lungen, zum Theile schon mit Cavernenbildung 
zeigten: 

1. Ein 48jähriger Tischler, hereditär belastet, mit vorge¬ 
schrittener Phthise, Leber- und Nierenvergrößerung. 

2. Ein 29jähriger Schahmacher, hereditär belastet, mit 
Caverneu in der Lunge, Febris hoctica, Laryngitis tuberculosa. 

3. Ein 30jähriger Kellner, hereditär belastet, Febris hec- 
tica mit vorgeschrittener Lungenphthise. 

In allen 3 Fällen waren zahlreiche Bacillen im Sputum 
vorhanden. Ein vierter Fall dieser ersten Reihe betraf einen 
40jährigen Phthisiker mit Tuberculose der linken Mittelhand- 
und Mittelfußknochen. 

In sämmtlichen vier Fällen konnte die Injection des 
Mittels ein Fortschreiten des tuberculösen Processes in den 
Lungen nicht verhindern. Eine Reaction in Gestalt von 
Temperaturerhöhung trat jedoch in drei Fällen ein. 

Bei zwei zur Obduction gelangten Fällen ließ sieh 
keine Neigung zu Schrumpfungsprocessen in der Lunge er¬ 
kennen, dagegen fanden sich in den Cavernen schmierige, käsige 
Massen. 

Die zweite Reihe unserer Fälle betraf 8 Erkrankungen 
mittleren und leichteren Grades. Die Krankenge¬ 
schichten Einzelner derselben sind in Kürze folgende: 

1. Ein 29jähriger Mann ans gesunder Familie, der in seiner 
Jugend Lympbdrö8entuberculose mit Vereiterung der Drüsen 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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durcbmacbte, später Hämoptoe und Nachtsobweiße hatte. Dämpfung 
RV bis zur zweiten Rippe, RH bis zur Spina scapulae, Rassel¬ 
geräusche, linke Lnnge frei, Bacillen im Sputum. Nach 35 
Tagen Dämpfung R noch nachweisbar, Auswurf 
geringer, glasig, kein Blut in demselben, Nacht¬ 
schweiße geschwunden. Bacillen zeitweise ge¬ 
schwunden. 

2 Pat. aus gesunder Familie, Infiltration R bis zur zweiten 
Rippe, Rasseln, copiöser Auswurf, linke Lunge frei. Nach 
56 Tagen Allgemeinbefinden gebessert, Auswurf 
täglich 10 Kubik-Cm. Nachtschweiße selten. Ge¬ 
wichtszunahme 5 Pfund. 

3. Schuhmacher, blaß, schwächlich gebaut, im Sommer 
Hämoptoö RV. Dämpfung in der Fossa supraclavicul.; LV 
bis zur zweiten Rippe Rasseln. Nach 57 Tagen Schall 
links unter der Clavicula aufgehellt, Husten nur 
Nachts und des Morgens, tagsüber gar nicht vor¬ 
handen, Rasselgeräusche spärlich, Bacillen zeit¬ 
weise ganz verschwunden, Gewichtszunahme vier 
Pfund. 

4. 28jähriger Mann, klein gewachsen, Husten, Atbem- 
beschwerden, Dämpfung beider Spitzen, Rasseln, Auswurf schleimig¬ 
eitrig. Nach 42 Tagen links Rasseln geschwunden, 
Dämpfung beider Fossae supraclavicul. aufgehollt, 
Befinden gebessert, Anfangs Gewichtsabnahme, 
später Zunahme. Bacillen zeitweise verschwunden. 

5. 20jähriger Schuhmacher, mittelgroß, kräftig, Hämoptoe, 
beide Fossae supraclavicul. gedämpft, RHO Dämpfung, bron¬ 
chiales Atbmen. Nach 42 Tagen Schall beider Fossae 
s upraclavicular. leicht gedämpft, links spärliches 
Rasseln, Dämpfung hinten geschwunden. Gewichts¬ 
zunahme um 3 1 /* Pfund. 

6. 30jähriger Mann, früher Creosotbebandlung, VR bis zur 
5. Rippe klingendes Rasseln, Auswurf reichlich, eitrig. Nach 
15 Tagen Rasseln spärlicher, Schall R heller, 
Husten nur Nachts und Morgens, am TagegeriDger, 
Bacillen zeitweise verschwunden. Zunahme S 1 j % 
Pfund. 

Was die Dosirung des Mittels anlangt, so wurde 
anfänglich nur 1 Mgrm. injicirt, bei späteren Versuchen 
aber gleich mit 2 Mgrm. begonnen und die Dosis der 
Injection verstärkt, wenn nach derselben kein Fieber mehr 
eintritt. Diese Steigerung wurde ganz allmälig bis auf 1 Cgrm. 
weitergeführt und schließlich selbst 1 Dgrm. gegeben. Höhere 
Dosen haben wir niemals angewendet. Der Frost tritt ge¬ 
wöhnlich erst dann ein, wenn das Fieber auf 39° ange¬ 
stiegen ist. Da das Mittel, per os gereicht, ohne jeden Erfolg 
ist und bei Inhalation eine genaue Dosis sehr schwer möglich 
ist, so werden in allen Fällen Injectionen gemacht» welche 
sich am wenigsten schmerzhaft an den unterhalb der Scapula 
gelegenen Stellen erwiesen. 

Bei Betrachtung des Verlaufes der erwähnten acht Fälle 
ergibt sich, daß es sich hier in der That um ein specifisch 
wirkendes Mittel handelt. Dasselbe zeigt etwa folgende 
Reaction: Ungefähr 6 Stunden nach der Injection tritt bei 
leichten Dosen Frösteln, bei starken Schüttelfrost auf. Die 
Temperatur erreicht eine Höhe von 40° und darüber, zugleich 
stellen sich Appetitlosigkeit, Mattigkeit, ziehende, sehr störende 
Schmerzen in der Brust ein. Diese Erscheinungen lassen sich, 
ebenso wie das Fieber, durch ähnliche Vorgänge wie an den 
lupös erkrankten Stellen erklären, an welchen bekanntlich 
4—8 Stunden nach der Injection lebhafte Röthung und 
schmerzhafte Anschwellung wahrnehmbar ist. Die erwähnten 
Symptome zeigen sich auch bei den späteren Injectionen, nur 
in geringerem Maße, sie hören schließlich trotz Verstärkung 
der Dosis gänzlich auf. 

Besonders hervorzuheben ist, daß die Tuberkelbacillen 
selbst nicht zum Absterben gebracht werden, doch vermindern 
sie sich deutlich und verschwinden zuweilen sogar vollkommen. 
Bei mikroskopischerUntersuchung zeigen sich gegen¬ 


über der Form der normalen Tuberkelbacillen deutlich nach¬ 
weisbare Veränderungen nach der Einwirkung des Kocfl’schen 
Mittels, so daß sich im Allgemeinen vier verschiedene Form¬ 
veränderungen nach weisen lassen. Die meisten auf diese Weise 
veränderten Tuberkelbacillen sind fast um die Hälfte kleiner 
und wesentlich schmäler, so daß sie anfangs selbst das geübte 
Auge nur schwer entdecken kann. Ein Theil derselben zeigt 
eine leichte Anschwellung an beiden Enden, ein Theil ist in 
der Mitte durchgebrochen, ein Theil besteht nur noch aus 
perlschnurartig angeordneten Bröckeln. Letztere Form findet 
sich nur bei lange Zeit bestehender Phthisis. 

Mit diesen in jedem behandelten Falle sichtbaren Ver¬ 
änderungen der Bacillen geht eine Reihe von Besserungs¬ 
erscheinungen Hand in Hand. Die Symptome mehr oder 
minder aus^ebreiteter Lungenverdichtung werden rückgängig; 
das schleimig-eitrige Secret wird von glasiger Beschaffenheit; 
die mit dem abgetödteten Gewebe verkümmerten Bacillen 
werden oft vollkommen, in Form von Reinculturen, nach außen 
abgestoßen. Fieber und Nachtschweiße verschwinden, leb¬ 
hafter Appetit, Gewichtszunahme treten ein. 

Freilich darf man nicht glauben, daß sofort sämmtliche 
verkümmerte Bacillen mit dem Auswurf nach außen befördert 
werden; dieselben bleiben vielmehr in recht bedeutenden Mengen 
in den großen, die Expectoration überdies oft durch ihre 
eigentümliche Formation erschwerenden Cavernen abgekapselt 
liegen. Letztere aber können durch ihre reichliche Secretion 
den geschwächten Körper rasch so weit erschöpfen, daß der 
Exitus eintritt. Die bisherigen Erfahrungen haben 
die von vornherein wahrscheinliche Annahme bestä¬ 
tigt, daß inFällen, in denen schon großeHöhlen- 
bildungen in der Lunge bestehen und die Kranken 
schon erschöpft sind, die Anwendung des Koch- 
schen Heilverfahrens nicht von Erfolg ist. Inwie¬ 
weit auch in dieser Beziehung noch gewisse Erfolge zu er¬ 
reichen sind, müssen weitere Untersuchungen lehren. Aber 
auch bei weniger vorgeschrittener Lungentuberculose sind 
solche Erfolge wie bei Lupus nicht zu erwarten, denn bei 
dieser Affection werden die infiltrirten Stellen abgestoßen, 
bei jener bleiben sie zunächst in schmierige käsige Massen 
eingebettet liegen. Diese zwar abgestossenen, aber doch lebens¬ 
fähigen Tuberkelbacillen können den Organismus bei geeig¬ 
neter Gelegenheit von Neuem inficiren, und daher wird man 
auch die anscheinend mit günstigem Erfolge behandelten 
Phthisiker in größeren Intervallen von Neuem prüfen müssen, 
ob ihre Immunität gegen Tuberculose erhalten geblieben ist. 
Welcher Forscher aber auch in Zukunft sich mit diesen 
Fragen beschäftigen wird, sein erstes Wort wird immer ein 
Dank sein für Robert Koch. 

lieber die Behandlung der Tuberculose nach 
der Koch sehen Methode. 

Vortrag, gehalten in der Sitzung der „Freien Vereinigung der Chiru rgen 
Berlin’s“ am 16. November 1890.*) 

Von Geh.-Rath Prof. v. Bergmann. 

Meine Herren! 

Seit den Zeiten des Hippokbates und Galenus hat 
es keinen Mann gegeben, dem es vergönnt war, die Er¬ 
scheinungen der Krankheiten, ihre Ursache und ihren Sitz 
kennen zu lernen und gleichzeitig ihre Heilung zu sichern. 
Es scheint, als ob in Koch unserer Nation dieser Forscher 
und Arzt geschenkt worden wäre. Einem Unbekannten freilich 
hätte man die Behauptung, er habe ein Heilmittel für die 
Tuberculose gefunden, einfach nicht geglaubt. Dem Manne 
aber, welcher die greifbare Ursache der Tuberculose gefunden, 
welcher festgestellt hat, daß keine Tuberculose ohne Tuberkel¬ 
bacillus besteht, muß man unbedingt Glauben schenken. Ich 
schätze mich glücklich, Koch im Namen der Versammlung 
Dank und Huldigung aassprechen zu können. Leider ist Der- 

*) Orig.-Bericht d. „Wiener Med. Pre»ie u . 


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selbe durch keine Ueberredungskunst zu bewegen gewesen, 
die wunderbaren, in unserer Klinik erzielten Erfolge selbst 
vorzutragen. 

Die Fälle, an denen Versuche mit dem KocH’schen Mittel 
an gestellt sind, lassen sich in 4 Kategorien theilen: 1. Lupus¬ 
fälle. 2. Tuberculose der Lymphdrüsen, 3. Gelenk- und Knochen 
tuberculose. 4. Tuberculose des Larynx. 

In Bezug auf die Lupuserkrankungen hat Koch 
in seiner Veröffentlichung am 13. November d. J. diese Er¬ 
krankungsform als die für die Wirkung seines Heilverfahrens 
am meisten instructive bezeichnet. Von den 13 vorgestellten 
Lupusfällen wurde bei den 5 ersten die Injection erst am 
heutigen Morgen 9 Uhr gemacht, und zwar hat jeder Patient 
ein Centigramm des Mittels erhalten. Die Wirkung des Mittels 
ist bekanntlich eine zweifache: einmal eine allgemeine Wirkung 
auf den Gesammtorganismus, documentirt durch Fieber und 
bei weiterem Ansteigen durch Schüttelfrost und Erbrechen; 
ferner eine locale Einwirkung, und zwar nur auf tuberculös 
erkrankte Körperstellen. Die Reaction ist bei einzelnen dieser 
Patienten eine ganz intensive gewesen: sämmtliehe lupös affi- 
cirte Körperstellen, wie Nase, Wange, Augenlider, Kinn etc., 
sind in ihrer ganzen Ausdehnung stark geröthet und bedeutend 
geschwollen, so daß sie über das Niveau der übrigen Haut 
hervorragen, und die Tuberkelknötchen deutlich sichtbar sind. 
Von besonderem Interesse ist, daß selbst Stellen, an denen man 
bei der Untersuchung Nichts von Lupuserkrankung wahrnahm, 
jetzt auf einmal an der Röthung und Schwellung theilnahmen 
als ein Zeichen, daß auch sie der Sitz versteckter Lupus¬ 
knötchen waren. In allen Fällen trat ferner wenige Stunden 
nach der Injection eine bedeutende Steigerung der am Morgen 
normalen Temperatur ein, welche sich in einzelnen Fällen bis 
zu 41° und selbst 41 - 2° erhob. Dieses Fieber erreicht in 12 bis 
15 Stunden seinen Höhepunkt und sinkt dann wieder zur 
pormalen Temperatur herab. 

Das Curverfahreii wird ferner sofort angewendet in einem 
Falle von schwerer, seit 11 Jahren bestehender multipler 
Hauttuberculose, sowie in einigen anderen Lupusfällen. 

Es folgen sodann 3 Lupuskranke, welche bereits seit dem 
G. November von uns behandelt worden sind. Der erste, seit 
4 Jahren leidende, 28jährige Kranke zeigte nach der ersten 
Injection eine Temperatursteigerung bis über 40° mit allmäligem 
Abfall. Am dritten Tage erneute Injection, welcher eine 
geringere Temperaturerhöhung folgte, weshalb die nächste 
Dosis verstärkt wurde. Die 4. Injection bewirkt eine Tempe¬ 
ratur von 39‘5; die 5. von 38'5°. Patient erhält jetzt die 
ß. Injection. Koch empfiehlt die Injectionen so lange fortzu¬ 
setzen, bis keine Temperatursteigerung mehr eintritt, alsdann 
vollzieht sich schnell die Rückbildung. Erscheinungen der¬ 
selben sind in diesem Falle, in welchem es sich um eine lupöse 
Zerstörung der Nasenflügel und des knorpeligen Theiles der¬ 
selben handelte, bereits deutlich sichtbar. Die Tuberkel knoten 
hatten sich schon mit Krusten und Borken bedeckt, welche 
der Demonstration wegen entfernt wurden. Beim Herüberfahren 
mit dem Finger fühlt man die Tuberkelknötchen nicht mehr, 
und es bildet sich eine völlig glatte Haut. Am meisten waren 
vom Lupus die Lippen betroffen, welche, fast um das Dreifache 
verdickt, rüsselförmig hervorstanden. Nach der ersten Injection 
wurde diese Verdickung noch verschlimmert, dann aber trat 
eine bedeutende Verminderung der ursprünglichen Schwellung 
ein. Auch hier war auffällig, daß Röthung und Schwellung 
an Stellen auftraten, welche vorher, weder sicht- noch fühlbar, 
eine Lupuserkrankung nicht hätten vermuthen lassen. 

In einem anderen Falle waren der harte Gaumen und 
der Processus alveolaris lupös erkrankt. An den erkrankten 
Stellen überall starke Erhebungen, an denen die Knötchen¬ 
form deutlich hervortrat. Alle Erscheinungen wurden während 
der Einwirkung des Mittels zunächst wesentlich verstärkt, so 
daß Pat. sogar die Berührung von Wasser und Speisen kaum 
noch ertrug. Mit der Abheilung bildeten sich die Symptome 
zurück, und jetzt zeigen sich schon glatte, weiche Geschwürs¬ 


flächen , welche sich voraussichtlich bald mit einer Epithel¬ 
schicht bedecken werden. Nach den letzten Injectionen ist bei 
dem Patienten die Temperatur nur von 37'1 auf 37'7 ge¬ 
stiegen , so daß nach den Voraussetzungen von Koch bei 
diesem Patienten das Stadium erreicht sein dürfte, von 
welchem aus der Heilungsproceß ohne Unterbrechung zum 
Abschluß kommt. 

Von besonderer Wichtigkeit ist die Mittheilung, daß 
auch Controlversuche an relativ gesunden Menschen ange¬ 
stellt worden sind, deren Ergebniß namentlich in differential¬ 
diagnostischer Beziehung außerordentlich lehrreich ist. 

Ein großer kräftiger Mann, nicht ganz frei von Jugend¬ 
sünden , wendete sich an uns mit der Frage, welcher 
Art eine auf seiner Wange bestehende Neubildung wäre. 
Verschiedene Aerzte hatten dieselbe für carcinomatös 
erklärt. Es handelte sich um ein zerklüftetes, an der Basis 
jedoch nicht hartes Geschwür. Die Untersuchung eines excidirten 
Stückes wies auf gummöse Neubildung hin. Eine am Morgen 
in der gleichen Dosis wie bei den übrigen Patienten vor¬ 
genommene Injection des Mittels rief absolut keine Reaction, 
namentlich auch kein Fieber hervor. 

Es folgen zwei typische Fälle von Scrophulose mit 
dick aufgewulsteter Nase, wiederholentlich aufgetretenen Kera¬ 
titiden, Stockschnupfen und großen Packeten geschwollener 
Lymphdrüsen zu beiden Seiten des Halses. Das eine Kind, 
welches am Morgen eine Temperatur von 37T° zeigte, bekam 
eine Injection von 1 Cgrm. Um 3 Uhr Schüttelfrost und 
starkes Erbrechen bei 40°; augenblicklich T. 40'3. Die Drüsen 
erscheinen noch etwas stärker geschwollen. 

Bei einer jungen, anscheinend auch lungenkranken 
Patientin, welche im Ganzen 5 Injectionen innerhalb 10 Tagen 
bekommen hat, trat nach jeder Injection an Brust und Schultern 
ein masernartiges Exanthem, ähnlich einer papulösen Roseola, 
auf, welches allmälig wieder abblaßt. Die Drüsenjjackete 
waren früher bedeutend stärker als jetzt. Eigenthümlich ist 
in diesen Fällen das spätere Eintreten des Fiebers und seine 
längere Dauer, Erscheinungen, welche in der Abkapselung 
der käsigen Massen ihren Grund haben. 

Es folgt dann die Vorstellung von 18 Patienten mit 
tuberculösen Gelenk- und Knochenleiden. Zunächst 
sei eine Anzahl Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren mit 
Coxitis demonstrirt. Es handelt sich um frische oder seit 
längerer Zeit bestehende Hüftgelenkserkrankung mit charak¬ 
teristischer Stellung, zum Theil mit Zerstörung des Gelenks 
und Absceßbildung. Die Kinder haben am Morgen eine In¬ 
jection von 2—5 Mgrm. des Mittels erhalten. Die Reaction 
ist eine ungemein hohe. Es ist Fieber bis 40‘5°, starke 
Schwellung und Flexion bis zur Winkelstellung, vollkommene 
Unbeweglichkeit und außerordentlich starke Schmerzhaftigkeit 
eingetreten. 

Zwei Kinder mit Tuberculose der Mittelfußknochen, bei 
denen Abscesse, Fisteln und Uebergreifen auf die Gelenke 
eingetreten sind, erhalten die erste Injection. Die geringste 
Dosis, */ 2 Mgrm., bekommt ein Kind im Alter von 14 Mo¬ 
naten , welches seit 6 Wochen eine Spina ventosa an der 
ersten Phanlax zeigt. 

Drei junge Patienten mit Coxitis haben seit dem 6. No¬ 
vember 5 Injectionen von verschieden großer Dosis erhalten. 
Der eine Pat. bekam jedesmal 5 Mgrm. ohne allzustarke 
Reaction. Bei dem zweiten fehlte seit der 4. Injection die 
Temperatursteigerung, welche jedoch nach der erhöhten Dosis 
erfolgte. Es fällt die geringe Empfindlichkeit der Hüfte auf; 
das Kind kann das Bein ohne Schmerz strecken und zeigt 
eine entschiedene Zunahme der Beweglichkeit. Wird injicirt, 
so zieht das Kind sehr bald das Bein an und duldet nicht 
die geringste Berührung. — Bei einem 2 1 / 2 jährigen Kinde 
mit Coxitis sind 5 Injectionen gemacht worden. Nach der 
ersten Injection Temperatursteigerung bis 40’8, nach der 
zweiten 40\5, nach der dritten 40‘3. Nach der 4. Injection 
blieb jede Reaction aus. Verdoppelung der Dosis (2 MgrmA 

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In diesem Falle, in welchem es sich um eine frische Coxitis 
mit Adduction und Lösung der Epiphyse handelte, hat die 
Schmerzhaftigkeit bedeutend abgenommen. — In einem dritten 
Falle handelte es sich um eine Coxitis mit starker Zerstörung des 
Gelenkes, Adduction, Spontanluxation und großem Absceß unter 
dem Trochanter major. Bei dem seit l 1 /* Jahren kranken Kinde 
ist die Reaction immer eine geringe gewesen. Es vergehen 
9—10 Stunden bis zum Eintritt des Fiebers, und ebenso 
langsam geht dasselbe zurück. Das Kind hat sich während 
der Injectionen erholt, kann das Bein ohne große Empfind¬ 
lichkeit strecken; der Absceß ist nicht kleiner geworden, 
doch ruft Druck in der ganzen Umgebung desselben keine 
Schmerzempfindung hervor. 

Bei einem Patienten mit einer sehr schnell sich ent¬ 
wickelnden Gonitis und Lungenspitzencatarrh ist eine sehr 
schwere, besorgnißerregende Reaction des Mittels eingetreten. 
Im' Verlaufe der je 1 Cgrm. betragenden Injectionen war die 
früher gar nicht mehr wahrgenommene Patella wieder fühlbar 
und der Absceß kleiner geworden. Nach der letzten Injeetion 
Aussetzen des Pulses, tiefe Ohnmacht, starker Collaps. Durch 
Campherinjectionen gelang es, diese gefahrdrohenden Erschei¬ 
nungen zu beseitigen. 

Bei einem 8jährigen Kinde endlich bestand ein starker 
Absceß an der Vorderfläche des Oberschenkels. Das Bein ist 
sehr im Wachsthum zurückgeblieben. Bei der zweiten In- 
jection trat keine Reaction mehr ein, auf Grund dessen 
wir annahmen, es handle sich jetzt um einen abge¬ 
kapselten Proceß, und die Tuberculose sei abgelaufen. Der 
Absceß wurde nun gespalten und dicke käsige Massen ent¬ 
leert. Verband, fieberfreier Verlauf. Von besonders diagnosti¬ 
schem Interesse sind schließlich drei Fälle von sicher con- 
statirter Tuberculose des Larynx mit starken Zer¬ 
störungen in den Stimmbändern, der Epiglottis etc. und 
gleichzeitig bestehender Lungenerkrankung. Bei dem ersten 
Pat., bei dem der Proceß in den Lungen bereits abgelaufen 
und Schrumpfung eingetreten ist, stellte sich auf die heute 
Früh vorgenommene Injeetion die Reaction erst ziemlich spät am 
Nachmittage ein; Temp. jetzt 39'2. — Bei dem zweiten Pat., 
bei welchem die Lungenaffection auf beiden Seiten fortschreitet, 
ist die Temp. auf 41° ohne Eintritt irgendwelcher Athem- 
beschwerden gestiegen. — Bei dem dritten Pat., bei dem die 
Lungenaffection nicht bedeutend erschien, ist die Temperatur¬ 
steigerung erst sehr spät eingetreten. 

Zwei andere Patienten mit wesentlich vorgeschrittener 
Larynxaffection erhielten nur kleine Dosen von 2 und 5 Mgrm. 
und zeigten trotzdem Athemnoth. 

Die Diagnose der Kehlkopftuberculose ist mitunter leicht, 
in nicht seltenen Fällen aber kann man Carcinom und Tuber¬ 
culose schwer auseinanderhalten, selbst nach Untersuchung 
exstirpirter Gewebsstückchen. Daher wurde bei dem letzten 
vorgestellten Patienten, bei dem man sowohl an Tuber¬ 
culose, wie an Carcinom denken konnte, am Morgen eine volle 
Dosis des Mittels injicirt. u. zw. ohne jede Spur von Reaction. 

Die vorgestellten Fälle sollen hauptsächlich den Eintritt 
der localen, wie der allgemeinen Reaction demonstriren. In 
chirurgischer Beziehung wird es von besonderem Interesse 
sein, zu prüfen, in welcher Weise die chirurgischen Eingriffe 
mit der KocH’schen specifischen Behandlung der Tuberculose 
verbunden werden können. Abscesse und mechanische Störungen 
müssen ja auch in Zukunft auf operativem Wege beseitigt 
werden. Wird man nach der Operation auch die Recidive 
verhüten können, so ist das höchste Ziel der Chirurgie nach 
dieser Richtung erreicht. 

Hochverehrte Versammlung! Ich bin am Ende meiner 
Demonstrationen. Dieselben haben Ihnen ein Unzweifelhaftes 
vorgeführt: die Thatsache, daß die subcutane Application des 
KocH’schen Mittels in den vom Tuberkel-Bacillus angegriffenen 
und veränderten Organen der Haut und Schleimhaut, den 
Lymphdrüsen, den Gelenken und den Knochen Veränderungen 
herbeiführt, welche in Schwellung, Röthnng und Zu¬ 


nahme der Schmerzhaftigkeit wie der Functionsstörungen be¬ 
stehen — und zwar Veränderungen, welche in andersartig 
als tuberculös erkrankten Geweben des menschlichen Körpers 
sich nicht geltend und bemerkbar machen, nicht an den 
Producten der Syphilis und nicht an den Producten 
der Carcinomatose und nicht an gesunden Menschen. Wir 
kennen kein Mittel, das auch nur eine diesem vergleichbare 
und analoge Wirkung herbeiführte. Es ist daher diese That¬ 
sache allein und für sich schon eine, die das allergrößte ärzt¬ 
liche Interesse in Anspruch nimmt und von einer enormen 
therapeutischen Bedeutung ist. Von einer entfernten Körper¬ 
stelle aus, lediglich durch den Transport, welchen das krei¬ 
sende Blut besorgt, beeinflussen wir einen localen Krankheits 
herd in einer ebenso sicheren als bestimmten Weise, ausnahmslos 
und gleichartig. Die örtliche Einwirkung ist verbunden mit 
einem hohen und schweren Fieber, welches im schnellen An¬ 
steigen der Körpertemperatur, großer Pulsfrequenz, leicht 
icterischer Verfärbung der Haut, Kopfschmerz, Uebelkeit, Er¬ 
brechen, Reißen in den Gliedern, Erschöpfung, Mattigkeit und 
Zerschlagenheit sich offenbart. Das sind die ersten Wirkungen 
des KocH’schen Mittels, und diese Ihnen, meine Herren, heute 
zu zeigen, war die Aufgabe, welche ich von dem berühmten 
Entdecker desselben mir habe stellen lassen. 

Aber noch mehr! Ich habe Ihnen an den Lupuskranken 
und einem kleinen mit einer tuberculösen Coxit’s behafteten 
Pat. zeigen können, daß die Anwendung des Mittels, welche 
Sie, meine Herren, gesehen haben, ebenso unzweifelhaft und 
deutlich Rückbildungsvorgänge in den tuberculös erkrankten 
Geweben und Organen hervorruft. Das tuberculose Geschwür 
am Oberkiefer und am harten Gaumen ist in Vernarbung be¬ 
griffen. Der eine der Lupusfälle ist so gut wie vollständig 
geheilt — und der zweite Lupusfall hat die größte Zahl der 
Knötchen verloren und eine Besserung erfahren, wie sie augen¬ 
fälliger gar nicht sein kann. Eine seit wenigen Wochen bcr, 
stehende Coxitis hat ihre Schmerzhaftigkeit verloren, die Be¬ 
weglichkeit ist größer worden, die Schwellung kaum noch 
nachweisbar, und es ist mir eben vor Ihnen gelungen, das bis 
dahin flectirt gehaltene Bein schmerzlos und vollständig zu 
strecken. 

Diese Thatsachen genügen, um die Anwendung des 
Mittels in den Fällen unserer chirurgischen Localtuberculosen 
einem jeden Chirurgen so angelegen als empfohlen sein zu 
lassen. Wir geben uns der Hoffnung hin, daß der Entdecker 
des Tuberkel-Bacillus auch das Mittel entdeckt hat, die schäd¬ 
lichen Wirkungen dieser Noxe zu hemmen und endlich zu 
bannen 

Schließen kann ich aber nicht eher, als bis Sie, erlauchte 
Gäste und hochverehrte Collegen, mir gestattet haben, mit 
meinem innigen und aufrichtigen Danke an Koch für die Er- 
laubniß zu diesen Demonstrationen auch den Ihrigen zu ver¬ 
binden. 

W r gehen mit der Huldigung vor der Größe des For¬ 
schers, mit dem Danke an unseren berühmten und hocldier- 
zigen Collegen auseinander. 

Aus der Klinik des Prof. v. Kordnyi in Budapest. 

Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Or. Moriz Stricker und Dt. Wilhelm Friedrich. 

(Fortsetznng.) 

B. Auf kranke Herzen. 

Um die Wirkung zu erforschen, welche das auf einmal 
in den Magen aufgenommene Wasser bei kranken Herzen auf 
Herzaction, Blutdruck und Harnausscheidung ausübt, voll¬ 
führten wir den eben angeführten ganz ähnliche Versuche, 
j ganz nach derselben Methode, nur mit dem Unterschiede, daß 


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1857 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1858 


wir den Kranken um 6 Uhr Morgens gestatteten, 300 Ccm. 
Milch einzanehmen und mit unseren Versuchen erst um 9 Uhr 
begannen. Ebenso mußten wir auf die Erforschung der Wir¬ 
kung von 2000 Ccm. Wasser verzichten, da wir in Betracht 
ziehen mußten, welchen bedeutenden und nicht ganz unschäd¬ 
lichen E'nfluß schon 1000 Ccm. Wasser auf incompensirte 
Herzen ausübte. 


e 

Menge des ge¬ 
trunkenen Wassers 
(in Ccm.) 

Zeit der 
Entleerung 
(in 

Minuten) 

3 

® ä 

tü o 
fl O 
<X> 

Sä 

Spec. 

Gewicht 

Menge 

(in 

Ccm.) 

s/g 

Zeit der Ent¬ 
leerung 

Stunde Minuten 

Spec. Gewicht des 
vor dem Trinken ent¬ 
leerten Harnes 

a 

p 

p 

V 

’S 

a 

m 

■s 

e 

® 

> 

des nach dem 
Trinken zum ersten 
Male entleerten 
Harnes 

des gesammten entleerten 
Harnes 


I 

155 

90 

1027 

90 

1027 

2 

50 

1028 

i 


75 

143 

100 

1021 

100 

1021 

2 

23 

1021 

n 


1 

165 

100 

1018 

100 

1018 

2 

45 

1028 

iii 


( 

160 

110 

1026 

110 

1026 

2 

40 

1026 

i 


150 

135 

150 

1013 

150 

1013 

2 

15 

1021 

ii 


1 

110 

125 

1015 

125 

1015 

1 

50 

1025 

m 


[ 

122 

80 

1020 

140 

1020 

2 

02 

1025 

i 


300 

175 

260 

1016 

260 

1016 

2 

55 

1022 

ii 



145 

180 

1020 

180 

1020 

2 

45 

1026 

in 


( 

77 

180 

1008 

330 

1010 

2 

45 

1026 

i 


500 

95 

220 

1009 

320 

1009 

2 

45 

1023 

n 


1 

53 

100 

1013 

310 

1011 

3 

10 

1029 

m 


( 

70 

200 

1007 

490 

1012 

3 

40 

1026 

i 


1000 

95 

450 

1003 

550 

1010 

3 

15 

1019 

ii 



50 

150 

1007 

480 

1007 

3 

05 

1025 

in 


Wir vollführten unsere bezüglichen Versuche an den im 
ersten Theile näher beschriebenen Kranken, und zwar mit 


compensirten (I. O. N.) — in kleinem Maße incompensirten 
(II. F. J.) — in hohem Maße incompensirten (III. Zs. E.) 
Herzen. Nach Aufnahme zahlzeicher sphygmographischer 
Curven gelangten wir auch hier, so wie im ersten Theile, 
zur Ueberzeugung, daß der Sphygmograph die nur kurze Zeit 
dauernden und rasch auf einander folgenden Veränderungen 
desto unverläßlicher und unregelmäßiger andeutet, je größer 
die Incompensation des Herzens und je schwächer der Puls¬ 
schlag ist, so daß wir auch hier blos auf die durch das 
Sphygmomanometer gegebenen Werthe angewiesen waren. 

Die in den einzelnen Fällen gefundenen Resultate sind 
in vorstehenden Tabellen zusammen gestellt. 

Aus diesen tabellarischen Zusammenstellungen ersehen 
wir, daß sich bei kranken Herzen 

1. durch Vermehrung der Wasseraufnahme die Zahl der 
Herzcontractionen vermindert; jedoch besteht zwischen der 
Vermehrung der Wasseraufnahme und der Verminderung der 
Zahl der Herzcontractionen kein gerades Verhältniß. 

2. Die Wirkung der Menge des getrunkenen Wassers 
auf den Blutdruck ist von der Größe der Herzincompensation 
abhängig, indem 

a) im Falle des Vorhandenseins eines compensirten Herz¬ 
fehlers die Wirkung mit der bei gesunden Herzen wahrge 
nommenen gleichbefunden wurde; 

b) im Falle geringer Incompensation die Vermehrung der 
Wassermenge den Blutdruck in geiingem Maße gesteigert; 

c) im Falle hochgradiger Incompensation die Vermehrung 
der Wassermenge den Blutdruck kaum erhoben hat. 

3. Je größer die Menge des getrunkenen Wassers, um 
so später tritt der Höhepunkt der Wirkung auf die Herz- 
contractionen. wie auf den Blutdruck ein. 

4. Nach Aufnahme größerer Mengen (500—1000 Ccm.) 
Wassers ist die Zahl der Herzcontractionen, wie auch der 
Blutdruck nach 3—4 Stunden noch nicht auf den Originalwerth 
zurückgelangt. 

5. Das in den Magen aufgenommene Wasser zeigt sich bei¬ 
läufig 1—1*/ 2 Stunden nach dem Trinken im abgesonderten 
Harne. 80 ) Die Verminderung des specifischen Gewichtes sowohl 
des erst entleerten, als auch des gesammten Harnes steht in 
geradem Verhältnisse zur Vermehrung der Wasseraufnahme. 

6. 200—1000 Ccm. im Magen aufgenommenes Wasser ist 
nach 3—4 Stunden noch kaum zur Hälfte aus dem Organismus 
ausgeschieden. 

7. Die Menge des. entleerten Harnes steht nur bis zu 
einer gewissen Grenze in geradem Verhältnisse zur Menge des 
getrunkenen Wassers. Bei diese Grenze übersteigenden Wasser¬ 
aufnahmen (200—1000 Ccm.) ist die Menge des ausgeschiedenen 
Harnes im Verhältnisse zur getrunkenen Wassermenge immer 
geringer. 

Die Wirkung des in den Magen aufgenommenen Wassers 
gleicher Temperatur, aber von verschiedener Menge, welche 
wir im letzten Abschnitte kennzeichneten, kann nicht allein 
von der Temperatur des Wassers abhängig sein, sondern es 
müssen auch andere Factoren mitgewirkt haben, welche diese 
Veränderungen hervorbrachten und letzteren ist auch jener 
auffallende Unterschied zuzuschreiben, welcher sich nach der 
Aufnahme des Wassers einerseits von verschiedener Temperatur 
und andererseits von verschiedener Menge, besonders im Ver¬ 
laufe und der Zeitdauer der Wirkung, offenbart. Während 
nämlich nach dem Trinken kleiner, aber gleicher Mengen ver¬ 
schieden temperirten Wassers die Wirkung schon nach 10 
bis 15 Minuten aufhörte, dauerte dieselbe nach Aufnahme 
von Wasser gleichmäßiger Temperatur, aber verschiedener 
Menge im Verhältnisse zur letzteren viel längere Zeit, ja sie 

i0 ) Daß sowohl in diesen Fällen, als auch beim gesunden Herzen mit 
dem 1—2 Stunden nach dem Trinken entleerten Harne schon das getrunkene 
Wasser ausgeschieden wurde, erhellt daraus, daß dieser nach dem Trinken 
entleerte Harn ein bedeutend ger ngeres specifisches Gewicht hatte, als der 
vor dem Trinken entleerte; während nämlich letzteres 1021—1030 betrog, hatte 
das erste nur 1003—1014. 


Menge 

des getrunkenen Wassers 

(in Ccm.) j 

Maximum der Abnahme 1 

Eintritts¬ 
zeit des 

Abnahme¬ 

maximums 

Die Wirkungs¬ 
dauer auf die 

Zahl der Herz¬ 
contractionen 

Maximum der Zunahme 
(in Mm. Hg) 

Eintritts¬ 
zeit des 

Zunahme¬ 

maximums 

Die Wirkungs¬ 
dauer auf den 

Blutdruck 

a 

p 

p 

12 

-3 

p 

m 

■8 

p 

g 

© 

> 

der Herz¬ 
contractionen 

des Blutdruckes 


3 1 St. 25 M. 

+ 2 St. 50 M. 

_ 

_ 

_ 

1 

75 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

II 


10 

2 St. 45 M. 

+ 2 St. 50 M. 


— 

— 

III 

. 

14 

1 St. 35 M. 

+ 2 St. 50 M 

5 

— 50 M. 

2 St. 40 M. 

I 

150 

5 

— 40 M. 

2 St. 25 M. 

7 

— 55 M. 

2 St. 10 M. 

11 


7 

1 St. 

+ 2 St. 

2 

— 45 M. 

1 St. 25 M. 

UI 

( 

7 

1 St. 2 M. 

+ 2 St. 42 M. 

10 

- 30 M. 

2 St. 32 M 

I 

300 J 

8 

— 45 M. 

+ 3 St. 

5 

1 St. 05 M. 

+ 3 St. 

II 

1 

11 

1 St. 45 M 

+ 2 St. 45 M. 

— 

— 

— 

III 

| 

9 

— 45 M. 

2 St. 42 M. 

20 

1 St. 15 M 

- _ 

I 

500 

6 

1 St. 10 M. 

2 St. 45 M. 

2‘) 

1 St. 30 M. 

+ 2 St. 45 M. 

11 

1 

8 

1 St. 45 M. 

+ 3 St. 

6 

1 St. 30 M. 

+ 3 St. 

III 


20 

1 St. 45 M 

+ 3 St. 40 M. 

40 

1 St. 45 M 

+ 3 St. 40 M. 

I 

1000 

8 

1 St. 15 M. 

+ 2 St. 25 M. 

15 *) 1 St. 10 M. 

2 St. 40 M. 

II 


19 

3 St. 10 M. 

+ 3 St. 35 M. 

5 3 ) |2 St. 5 M. 

+ 3 St. 10 M. 

III 


Das Zeichen -f bedeutet, daß innerhalb der bezeichneten Zeit der Original¬ 
werth noch immer nicht erreicht wurde. 

*) Der Blutdruck sinkt 1 St. 55 M. nach dem Trinken mit 5 unter 
den Original werth. 

J ) Der Blutdruck sinkt 1 St. 50 M. nach dem Trinken mit 3 unter 
den Originalwerth. 

*) Der Blutdruck sinkt 2 St. 20 M. nach dem Trinken mit 4 unter 
den Original werth. 


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1859 


1890. — Wiener Medizinische. Presse. 


1860 


— Nr. 47. 


hörte manchmal selbst nach 3— 3\, Stunden nicht auf. Es 
fragt sich nun, welches jener Factor sei, der diese ganz ver¬ 
schiedene Wirkung hervorbrachte; zur Antwort diene folgende 
Erörterung : 

Die Veränderungen nach Aufnahme kleiner, gleichmäßiger 
Mengen verschieden temperirten Wassers können, wie wir dies 
im I. Theile schon erörterten, nur der von den Magen¬ 
nerven ausgehenden Reflexwirkung zugeschrieben werden. 
Eben dort fanden wir, daß die Reflexwirkung 200 Ccm. 
16'5gradigen Wassers sehr unbedeutend und von sehr kurzer 
Zeitdauer ist; eben dieser geringen Reflexwirknng halber ge¬ 
brauchten wir diese Temperatur in den im II. Theile ange¬ 
führten Versuchen als Einheit. Nachdem wir aber bei letzteren 
Versuchen das Wasser in weit größeren Mengen zu trinken 
gaben, ist es leicht einzusehen, daß, wenn auch 200 Ccm. 
16*5gradigen Wasser? nur als geringer Reiz auf die Magen¬ 
nerven gewirkt hatten, 50 —2000 Ccm. eben solch tempe 
rirten Wassers mit der Magenvvand auf einer viel größeren 
Fläche in Berührung kommen, dieselbe auf viel längere Zeit 
abkühlen, daher die von den Magennerven ausgehende Reflex¬ 
wirkung eine bedeutende und länger dauernde sein wird. 
Daraus ersehen wir. daß die im letzteren Theile gewonnenen 
Versuchsresultate mit der durch das Wasser auf die Magen¬ 
wand ausgeübten Reizwirkung unbedingt im causalen Ver¬ 
hältnisse stehen. Wenn wir nun aber nach Durchsicht unserer 
Tabellen im II. Theile den Verlauf der einzelnen Versuche 
aufmerksam verfolgen, ersehen wir, daß dieser ganz verschieden 
ist von dem Verlaufe, welchen wir im ersten Theile beobachten 
konnten. Die Wirkung nimmt nämlich nach einer gewissen 
Zeit nach dem Trinken langsam, aber stetig zu, erreicht erst 
in 1—l'/ a Stunden, der Menge des aufgenommenen Wassers 
gemäß, ihren Höhepunkt und nimmt bedeutender erst dann ab, 
wenn ein großer Theil des Wassers schon im Harne erscheint; 
weiters zeigt sich der Höhepunkt der Wirkung sowohl bei 
den Herzcontractionen als beim Blutdrucke um so später, je 
größer die Menge des getrunkenen Wassers war. Diese beiden 
Erscheinungen im Verlaufe eines jeden Versuches können aus 
der Reizwirkung des Wassers auf die Magenwand nicht erklärt 
werden, aber leicht finden wir ihre Erklärung, wenn wir an¬ 
nehmen, daß diese Erscheinungen größtenteils von der in 
den Blutlauf gelangten Wassermenge bedingt sind, nämlich, 
daß das in den Magen aufgenommene Wasser nach einer ge¬ 
wissen Zeit in den Blutlauf aufgenommen wird und so auf 
die Herzaction und den Blutdruck Qinwirkt. Daraus folgt 
nun von selbst, daß die Aufnahme der ganzen Menge des 
Wassers in den Blutlauf einige Zeit in Anspruch nimmt, 
nach deren Verlauf die Wirkung erst ihren Höhepunkt er¬ 
reicht , daher die langsame und stetige Zunahme derselben; 
zweitens, daß größere Mengen Wassers auch mehr Zeit bean¬ 
spruchen , bis sie vollständig in den Blutlauf aufgenommen 
werden, daher der Höhepunkt der Wirkung auch später eintritt. 

Auf Grund dieser Erörterung können wir nun sagen, 
daß der Einfluß größerer Mengen getrunkenen Wassers nebst 
der Reflexwirkung der Magennerven auch von der in den 
Blutlauf aufgenommenen Wassermasse bedingt ist. 

Aus dieser Annahme erklären sich nun leicht die während 
des Versuches aufgetauchten verschiedenen Erscheinungen: 

Das durch Aufnahme des getrunkenen Wassers in seiner 
Menge vermehrte Blut gelangt auf dem Wege der Venen 
in’s Herz und von hier weiter in die Arterien, die Gefäße 
füllen sich in Folge der größeren Blutmenge in stärkerem 
Maße, daher der Blutdruck in denselben steigt. Die mit der 
Zunahme des Blutdruckes einhergehende Verminderung der 
Herzcontractionen ist mit der ersteren besonders beim gesunden 
Herzen schwer in causalen Zusammenhang zu bringen, da 
das gesunde Herz in Folge seiner Accommodationsfähigkeit sich 
schnell den auf seinem Wege auftretenden Hindernissen anpaßt. 
Die Verminderung der Herzcontractionen ließe sich aber sehr 
leicht erklären, wenn wir in Betracht ziehen, daß die Bestand- 
theile des Blutes in Folge des resorbirten Wassers sich ver¬ 


ändert haben, d. h. das Blut wasserreicher und daher an festen 
Bestandteilen verhältnißmäßig ärmer wurde; in Folge dessen 
übt es auf das Herz einen schwächeren Reiz aus, was eine 
Verminderung der Herzcontraction zur Folge hat. Zu dieser 
Annahme berechtigen uns die Experimente Lüdwiö’s und 
KiiONECkeh’s, nach welchen die geringste Zunahme des Wasser¬ 
gehaltes im Blute auf die Musculatur des Herzens und dessen 
Nerven einwirkt und die Herzaction wesentlich beeinflußt. 

Aus dem bisher Gesagten können wir uns auch leicht 
jenen bedeutenden Unterschied erklären, welcher zwischen der 
Wirkung auf das gesunde und der auf das kranke Herz besteht: 

Beim gesunden Herzen stößt die Fortbringung des in 
die Venen gelangten Wassers in die Arterien in Folge der 
Accommodationsfähigkeit des Herzens auf kein Hinderniß. Mit 
der Zunahme des aufgenommenen Wassers füllen sich die 
Arterien stärker, der Blutdruck steigt in denselben, daher auch 
in den Nierenarterien, in Fo'ge dessen die Harnausscheidung 
auch in gesteigertem Maße vor sich geht. Das aufgenommene 
Wasser wird daher binnen kurzer Zeit in seiner ganzen Menge 
aus dem Körper ausgeschieden. 

Bei kranken Herzen aber gesellen sich zu der geringeren 
Reizwirkung des Blutes noch jene complicirten Veränderungen, 
welche im Laufe der Krankheit in der Musculatur und im 
Nervensystem des Herzens entstehen, und nun ist es von dem 
Verhältnisse dieser Veränderungen abhängig, ob das Herz den 
überflüssigen Wassergehalt des Blutes durch die Nieren zur 
Ausscheidung bringt, oder ob dasselbe unter der schweren 
Last nur noch mehr erschlafft. Dementsprechend fanden wir 
auch in dem Falle, wo'der Herzfehler compensirt, die Accommo¬ 
dationsfähigkeit des Herzens wieder hergestellt war, bei Ver¬ 
mehrung der Wasseraufnahme die Steigerung des Blutdruckes 
in Verbindung mit der Zunahme der Harnausscheidung. Zu 
bemerken ist nur, daß in diesem Falle das aufgenommene 
Wasser während der Versuchszeit kaum bis zur Hälfte, ent¬ 
leert wurde, während beim gesunden Herzen das Wasser 
während dieser Zeit aus dem Organismus schon vollständig 
ausgeschieden war. In dem Falle mit geringer, aber noch 
mehr bei jenem mit schwerer Incompensation, wo die Herz- 
musculatur degenerirt, die Herzaction unregelmäßig, die venöse 
Stauung im großen Maße vorhanden war, dort konnte das 
Herz seiner erschwerten Aufgabe nicht entsprechen, was sich 
darin offenbarte, daß der Blutdruck in den Arterien trotz der 
großen Menge getrunkenen Wassers kaum eine Steigerung 
zeigte; das Herz war daher nur wenig oder kaum im Stande, 
die große Menge des Blutes in das Arterien System zu treiben. 
Demzufolge stieg der Blutdruck auch in den Nierenarterien 
nur in sehr geringem Maße, daher die Harnausscheidung trotz 
der großen Menge getrunkenen Wassers nur eine geringe 
Vermehrung zeigte; ein Theil des aufgenommenen Wassers 
mußte daher im Körper zurückgehalten worden sein. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Schräder (Hamburg): Eine neue Methode sur Einleitung* 
der künstlichen Frühgeburt. 

In der gynäkologischen Gesellschaft zu Hamburg theilte Sch. 
eino neue Methode zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt mit, 
die nach dem in Nr. 42 dos „Ctbl. f. Gynäk.“ veröffentlichten 
Berichte auf der Beobachtung beruht, daß die Kälte auf die Nerven 
und damit auch auf die Musculatur eine größere erregende Wirkung 
ausübt als die Wärme. Da aber Irrigationen von kaltem Wasser 
von 6° R. nicht ohne Weiteres durchführbar sind, indem die Kälte 
zuletzt unerträgliche Schmerzen hervorrufen würde, so erachtete es 
Sch. für nothwendig, einen kalten Strahl wiederholt zeitweise durch 
einen warmen Strahl zu unterbrechen. Zu diesem Zweck verband er 
ein gläsernes Vaginalrohr durch ein T Rohr und die nöthigen Gurami- 
schläuche mit zwei Irrigatoren, welche zur Aufnahme des kalten 
und warmen Wassers dienen. Durch abwechselndes Zudrücken der 


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1861 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1862 


Schläuche kann man nun beliebig kaltes oder warmes Wasser durch 
das Vaginalrohr in die Scheide abfließen lassen. 

Zu einer derartigen Wechseldonche sind zwei Personen nöthig, 
eine zum Füllen der Irrigatoren, die andere zur Verabfolgung der 
Douche. Zu jeder Sitzung braucht man circa 24 Liter kaltes (6° R.) 
und halbsoviel warmes Wasser (35° R.). Die Fallhöhe der Douche 
beträgt etwa 1 1 / 4 —l 1 /, M. Die Paritura erhält die Douche auf 
einem Stuhle sitzend, dessen Vorderbeine in einer größeren Wanne 
Btehen, dabei legt sie sich mit dem Rücken etwas nach hinten über, 
damit der Druck des Abdomens die Aus iehnuugsfähigkeit des 
Scheidengewölbes weniger beeinträchtige. Mau beginnt mit dem warmen 
8trahl (circa % Liter) und läßt den kalten Strahl einwirken, nachdem 
man duroh Druck mit dem Vaginalrohr auf den Damm das zurück- 
gehaltene warme Spülwasser aus der Vagina wieder tbunlichst ab¬ 
gelassen hat. Auf diese Weise tritt die Kälte, resp. die Temperatur¬ 
differenz desto plötzlicher ein. Ebenso entfernt man auch das kalte 
Spülwasser vor Eintritt des warmen Strahles. Vom kalten Wasser 
läßt man jedesmal 1%—2 Liter durchfließen, also etwa doppelt 
soviel als von dem warmen. Unter derartigem Wechsel zwischen 
warmem und kaltem Strahl wird in einer Sitzung das ganze Wasser 
verbraucht. 

Derartige Wechseldouchen werden durchschnittlich in 1%- 
stündigen Pausen verabfolgt. In besonders trägen Fällen ist die 
Zwischenzeit auf etwa 1 Stunde zu kürzen. Später sind die Douchen, 
eventuell in großen Zwischenabscbnitten, so lange zu wiederholen, 
bis anch in den Zwischenzeiten die Wehenthätigkeit recht eoergisch 
und der Fortschritt der Geburt ein solchor geworden ist, daß man 
eine Sistirung derselben für höchst unwahrscheinlich hält. 

Mit dieser Methode wurde die Frühgeburt in 22 Fällen ein¬ 
geleitet, jedoch ausschließlich mit ihr nur I8mal durchgeführt, da 
4mal daneben auch andere Methoden zur Anwendung kamen. Die 
Indication war 20mal Beckenenge, lmal künstlicher Damm, lmal 
Nierenerkrankung. Das Endergebniß für die 22 Mütter war fol¬ 
gendes: 1 starb an Eklampsie 12 Stunden nach der Geburt, alle 
übrigen machten ein gutes Wochenbett durch. 

Von den 18 Frauen, bei denen die Frühgeburt ausschließlich 
durch Wechseldouchen eingeleitet worden war, wurden 20 Früchte 
geboren. Von diesen kamen 15 = 75% lebend zur Welt. 

Zur Einleitung der 18 Fälle waren insgeeammt 192 Wechsel¬ 
douchen, also durchschnittlich 10'6 nöthig. In der Hälfte der 
Fälle genügten 32 Douchen, also 3*6 im Durchschnitt. Als Regel 
kann gelten: Je mehr man die Kälte des Wassers steigert und die 
Zwischenzeiten zwischen den einzelnen Sitzungen kürzt, desto weniger 
Wechseldouchen werden nöthig, und desto kürzer wird die Ge¬ 
burtsdauer. M. 

Oettinger (Paris): Ein Fall von Pyooyankrankheit 
beim Mensohen. 

Bis nun wußte man, daß der Bacillus pyocyaneus manche 
Thiere, wie Meerschweinchen, Frösche, Kaninchen etc., zu tödten 
vermag, daß er aber beim Menschen eine nur locale Wirkung 
äußert, die sich durch den blauen Eiter kundgibt. 

In jüngster Zeit haben aber einige Antoren, wie Ehlebs und 
Neumann, gezeigt, daß dieser Mikroorganismus auch beim Menschen 
eine Allgemeinerkrankung hervorrufen kann, deren Erscheinungen 
den beim Kaninchen künstlich hervorgerufenen ähnlich sind. 

Oettingkk beschreibt nun in Nr. 46 der „Sem. m6d. u einen 
neuen Fall von Pyocyankrankheit beim Menschen, der wegeu der 
Seltenheit dieser Erkrankung hier im Auszuge wiedergegeben werden 
soll. Es handelt sich um einen 18jährigen jungen Manu, der bei 
seinem Eintritt in’s Krankenhaus am 5. Tag der Erkrankung flhn 
liehe Erscheinungen wie im Initialstadium des Abdorainaltyphus 
zeigte, nämlich: heftige Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, Ver¬ 
stopfung etc. Da aber die charakteristischen Erscheinungen fehlten, 
und eine kleine eiternde Wunde am Zeigefinger der rechten Hand 
bestand, so mußte an die Möglichkeit einer von einer localen Eite¬ 
rung ausgehenden Allgemeininfection gedacht werden. Doch traten 
in den folgenden Tagen die Erscheinungen des Abdominaltyphus in 
ausgesprochener Weise auf: Diarrhoe, Gargouillement in der rechten 
Fossa iliaca, Milztumor, charakteristische Zunge, Fieber mit Morgen¬ 


remissionen und abendlichen Exacerbationen, Albuminurie, Roseola. 
Während der folgenden Tage hielt sich die Temperatur auf einer 
Höhe von 39’5—39*8, nahm hierauf allmälig ab und erreichte am 

19. Tage 37 4 des Morgens, 38‘8 des Abends. 

Alles schien darauf hinzuweisen, daß die Krankheit im Ab¬ 
nehmen begriffen und die Reconvalescenz im Anzuge sei. Am 

20. Tage der Erkrankung aber stieg die Temperatur Abends wieder 
auf 39‘4, in den nächsten Tagen auf 39*6 und selbst 40-4. Gleich¬ 
zeitig wurde die feuchte Zunge trocken, fuliginös, die Diarrhoen 
traten, wenn auch nicht so heftig, wieder auf, es schien eine Ro- 
cidive des Typhus vorhanden zu sein. 

Allein ein Ausschlag, der am Scrotum auftrat und dem 
Kranken heftige Schmerzen verursachte, leukte die Aufmerksamkeit 
auf ein anderes Moment. Dieser Ausschlag bestand in Blasen von 
verschiedener Größe, welche am Scrotum, in der Schamgegend, in 
der Schenkelbenge und auf der Unterfläche des Penis saßen, die 
Größe einer kleinen Linse bis zu der einer Haselnuß hatten, mit 
einem anfänglich durchscheinenden, bald aber hämorrhagisch wer¬ 
denden Inhalt gefüllt und von einer Haut umgeben waren, die 
mit einem Blutextravasat infiltrirt zu sein schien. Mehrere dieser 
Blasen confluirten und erreichten eine beträchtliche Größe. 

Nach kurzer Zeit platzten die Blasen, der Inhalt entleerte 
sich, und es zeigte sich nun, daß der Grund der Geschwüre weißlich 
diphtheroid aussah, ähnlich einer fibrinösen Infiltration der Cutis. 
In der Peripherie dieser Geschwüre bildete sich allmälig ein De- 
marcationsrand, und die geschwürige Partie stieß sieb langsam in 
Form von weißlichen Fetzen ab, die einen gangränösen, sehr 
charakteristischen Geruch verbreiteten. Nach der Abstoßung blieb 
eine 1—2 Mm. tiefe, mit blutig infiltrirten, ausgefransten Rändern 
versehene Ulceration zurück. Diese Geschwüre waren sehr schmerz¬ 
haft und vernarbten nur langsam, so daß sie am 40. Tage nach 
ihrem Auftreten noch nicht gänzlich geheilt waren. 

Während 4 Tagen vor dem Auftreten dieser Eruption war 
der Allgemeinzustand ein sehr schlechter; es bestand eine sehr be¬ 
deutende Schwäche, Prostration, trockene Zunge, leichte Albuminurie, 
Diarrhoe, Fieber. Plötzlich, 48 Stunden nach Auftreten des Aus¬ 
schlages, fiel das Fieber und der Allgemeinzustand besserte Bich. 

Die bacteriologische Untersuchung des flüssigen Inhaltes der 
Blasen ergab in unzweideutiger Weise das ausschließliche Vor¬ 
handensein des Bacillus pyocyaneus, dessen Culturen alle bekannten 
charakteristischen Eigenschaften zeigten. Auch die Ueberimpfung 
auf Thiere ergab ein positives Resultat. Schnibeb. 


Kurse Anleitung zur qualitativen ohemischen Ana 
ly»e und medioinisoh-chemisohen Analyse. Nament¬ 
lich zum Gebrauche für Mediciner und Pharmaceuten 
bearbeitet von Dr. Carl Arnold , Ordinarius für Chemie und 
Vorstand des chemischen Instituts an der königl. thierärztlichen 
Hochschule zu Hanno vor. III. Auflage. Mit 12 Tafeln. Hannover 
1890. Carl Meyer (Gustav Prior). 

In der ersten und zweiten Abtheilung dieses netten Büchleins 
bespricht der Verf. in knapper, aber übersichtlicher Form die 
Reactionen der häufiger vorkommenden Basen und Säuren, um in 
der IU Abtheilung den Leser in die Systematik der qualitativen 
Analyse einzuführen. Die Vorprüfungen auf nassem und trockenem 
Wege, sowie die Trennung und der Nachweis der einzelnen Gruppen 
werden hier in tabellarisch-übersichtlicher Weise vorgeführt. Einige 
Seiten widmet der Verf. der qualitativen Analyse organischer Ver¬ 
bindungen und dem Nachweiße der wichtigsten organischen Gifte 
und der Alkaloide Sehr klar und bündig erörtert der Verf. im 
medicinischen Tbeile die Untersuchung des Harns betreffs der patho¬ 
logischen und accidentellen Bestandteile, die Analyse des Blutes, 
der Galle und Gallenconcremente, die Prüfung des Mageninhaltes, 
der Fäces, der Milch und des Trinkwaesers, ein Umstand, der diese 
treffliche Anleitung zur praktischen Arbeit im Laboratorium für 
Mediciner und Pharmaceuten umso werthvoller erscheinen läßt. 

Die empfehlende Ausstattung von Seite der Verlagshandlung 
sichert dem Büchlein eine weite Verbreitung. G. 


i. 


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1863 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1864 


Die Behandlung der häufigsten und wichtigsten 
Augenkrankheiten. Von Dr. L. Königstein, Docent an 
der k. k. Universität in Wien. II. Heft: Krankheiten der 
Hornhaut. Wien 1890. Wilh. Braumüller. 

Der detaillirten Besprechung der einzelnen Krankheitsformen 
an der Cornea schickt der Yerf. einige allgemeine Bemerkungen 
Uber die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei Cornealaffec- 
tionen voraus. Der Praktiker findet darin sehr zweckmäßige Winke 
über die Bedeutung und Verwendung der Schutzgläser, des Ver¬ 
bandes, der Umschläge, über den Werth der Blutentziehung, der 
Mydriatica und Miotica, über die Anwendung der Reizmittel und 


F e u i 11 e t o n. 


Briefe aus Böhmen. 

(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Die sanitären Zustände in Prag während und nach der 
Ueherschwemmnng. 

Die Indolenz der Stadtvertretung und, sagen wir es geradezu, 
der Mangel an gutem Willen gegenüber allen die öffentliche Hygiene 
berührenden Fragen hat sich während und nach der furchtbaren 
Wasserkatastrophe, welche über Prag Anfangs September 1. J. herein¬ 
gebrochen ist, an den Bewohnern und auch an der Gemeinde 
bitter gerächt. 

Die Folgen der im Vergleiche zu der heurigen ganz unbedeu¬ 
tenden Ueberscbwemmung im März 1886 hätten eine dringende 
Mahnung sein sollen, die Assanirung der Stadt ungesäumt in An¬ 
griff zu nehmen. Der in Prag nie erlöschende Typhus abdominalis 
ist damals in den überschwemmt gewesenen Stadttheileu zu einer 
in- und extensiven Epidemie angeschwollen: die Zahl der Typhus¬ 
fälle war von 35 im Monate März auf 195 im Monate April ge¬ 
stiegen, und im Ganzen waren in der Altstadt 228 Fälle = 5 - 13% 0 
und in der am tiefsten gelegenen Josefstadt 202 Fälle = l8'9l%o 
constatirt, und der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung 
wurde um so klarer, als der böchstgelegene Stadttheil Hradschin 
das Morbiditätsmiuimum von 5 Fällen = O , 85 0 / 0 o aufwies. „Erst 
als die örtlichen Uebelstände, nämlich die Inundation der Keller 
und Brunnen, beseitigt waren, verlor sich der Typhus allmälig 
wieder.“ (Zahoä’s Jahresbericht des Stadtphysikats für 1886, S. 15.) 
Nun wurden zwar neue Credite zum Aufschlüsse guten Trinkwassers 
bewilligt, eine sogenannte Canalisirungskanzlei errichtet, Lagerpläne 
entworfen , aber mit dem Schwinden der Gefahr erlahmte der Eifer, 
und das drohende Mene Teke , welches der Würgeengel an die 
Wand des Berathungssaales geschrieben hatte, blieb fernerhin 
unbeachtet. Die ganze Angelegenheit versumpfte wieder; die war¬ 
nenden Stimmen einsichtsvoller Männer im eigenen Lager wurden 
als Verrath an der Stadt gebrandraarkt, indem dadurch der Fremden¬ 
zufluß abgehalten werde. 

Da kam die furchtbare Wasserkatastrophe in den ersten 
Septembertagen 1890. 

Es ist nicht der Zweck dieser Zeilen, die Begebenheiten dieser 
Schreckenstage zu schildern , die Unzulänglichkeit der getroffenen 
Maßnahmen uod die Kopflosigkeit bei der Ausführung derselben 
darzulegen; nur über das, was in sanitärer Beziehung getban wurde, 
will ich berichten. 

Im Ganzen sind rund 1100 Häuser mit rund 4000 Familien 
iuundirt gewesen. In einem sehr großen Tbeile der überschwemmten 
Gasseu und Häuser war jedoch das Wasser nicht direct aus dem 
angeschwollenen Flusse, sondern indirect aus den in die Moldau 
mündeuden Canälen gedruugen. Wäre die längst geplante Canali- 
»irnng in der Weise durchgefübrt gewesen, daß die Hauptcanälc 
weit unterhalb der Stadt in die Moldau münden, so wäre die Kata¬ 
strophe bei weitem nicht so furchtbar gewesen und viel Unheil und 
materieller Schaden erspart geblieben. 

Die wenigen, trinkbares Wasser liefernden öffentlichen und 
Privatbrunnen des Inundationsgebietes waren begreiflicherweise unzu¬ 
gänglich geworden, und demzufolge trat Mangel an Trinkwasser ein, 


der Massage. Der specielle Theil ist sehr klar und anschaulich ge¬ 
halten und berücksichtigt in erster Linie die Bedürfnisse des Prak¬ 
tikers. Ebenso bespricht Verf. mit kurzen Worten die Pathologie 
der im vorigen Jahre zuerst von Stellwag beschriebenen neuen 
Form von Hornhautentzündung, für die er als passendste Bezeich¬ 
nung statt des von Fuchs stammenden Namens Keratitis punctata 
superficialis, Keratitis maculosa superf. vorschlägt. 

Aus der ganzen anschaulichen Zusammenstellung, in welcher 
der Autor auch Differenzen in der Nomenclatur gerecht wird, kann 
der praktische Arzt sehr viel Unterstützung finden. G. 


das nur mit großen Kosten ans weiter Ferne herbeigeschafft werden 
konnte; in einzelnen Häusern herrschte sogar absoluter Wasser¬ 
mangel , indem auch die Leitung des Nutzwassers aus der Moldau 
versagte, und mußten sich die Leute mit dem mit Cloakeninhalt 
vermischten Ueberschwemmungswasser behelfen. 

Bezüglich der Approvisionirung mit Lebensmitteln waren die 
nicht die öffentliche Mildthätigkeit in Anspruch nehmenden Bewohner 
ganz auf sich angewiesen. Da Fleisch und Milch schwer erhältlich 
war und auch das Brennmaterial zum Kochen fehlte, so mußten 
Krauke, Greise und Kinder im zartesten Alter durch mehrere Tage 
der entsprechenden Nahrung entbehren. 

Sehr im Argen lag der Rettungsdienst, oder besser gesagt, 
er war gar nicht organisirt. Den ständigen Ueberschwemmungs- 
commissionen war kein Sanitätsorgan beigeordnet. Verunglückte 
oder plötzlich Erkrankte waren ganz auf die Humanität der pri¬ 
vaten praktischen Aerzte angewiesen, die sich, zu ihrem Ruhme sei 
es gesagt, in diesen Tagen der Noth glänzend bewährte. Auf den 
Rücken von Dienstmännern ließen sie sich durch die strömende Fluth 
zu den ihrer Hilfe Bedürftigen schleppen und verrichteten unbe¬ 
kümmert um Bezahlung oder auch nur Anerkennung ihre Samaritaner¬ 
dienste; immerhin jedoch mußte mancher Kranke tagelang ohne 
ärztliche Hilfe bleiben. < •• * 

Als nun die Fluthen aus den Straßen verlaufen und der tosende 
Strom in sein Bett zurückgekehrt war, da zeigte sich das sanitäre 
Elend in seinem ganzen Umfange. In den Straßen und Häusern 
mepbiti8cher Gestank von dem zurückgebliebenen Cloakenschlamme, 
alle Keller weit Uber die Grenzen des eigentliehen Inundationsrayons 
mit stinkendem Wasser innundirt, die Bruanen selbst in den nicht 
überschwemmt gewesenen Häusern und auch in den höher gelegenen 
Stadttheilcn durch eingedrungene Canaljauche verdorben. Die Eva- 
enirung der öffentlichen Brunnen wurde zwar bald in Angriff ge¬ 
nommen , aber die Qualität des Wassers läßt noch heute in Folge 
Bemenguug mit schlechtem Grundwasser viel zu wünschen übrig; 
mit der Auspumpung der privaten Brunnen ist noch bis beute — 
9 Wochen nach der Ueberschwemmung — nicht begonnen worden. 
Zahlreiche, zum Glück nicht schwere Fälle von Gastro-Enteritis 
sind die Folge des Genusses des schlechten Trinkwassers gewesen. 

Auch die hygienisch wichtige Maßregel, die schleunige Ent¬ 
fernung des Wassers aus den Kellern, ist in arger Weise vernach¬ 
lässigt worden. Erst hieß es, das Auspumpen der Keller soll vom 
Bauamte systematisch und auf Kosten der Gemeinde vorgenommen 
worden; nach eiuigen ungeschickt angefangeuen Versuchen wurde 
die Arbeit im Stiche gelassen und den Hausbesitzern das Entfernen 
des Wassers aus den Kellern zur Pflicht gemacht, uud als diese 
sich saumselig zeigten, wurde einige Wochen später beschlossen, 
die Entwässerung der Keller auf Gemeindekosten durchzufUhren. 
Beschlossen, aber nicht durchgeführt! Denn noch bis heute ist das 
Auspumpen des Wassers nicht energisch in Angriff genommeu 
worden. Unterdessen hat der Boden Zeit gehabt, allen Schmutz 
und Schlamm und mit ihm die in demselben sich bergenden Krank- 
heitskeime aufzunehmen, und es ist sehr zu befürchten, ja sogar 
wahrscheinlich, daß nach der Entfernung dos Wassers, möge nun 
dasselbe sich spontan im Boden verlieren oder endlich doch ausge- 
schöpft werden, die in dem inficirten Boden eingebettete Saat auf¬ 
gehen und dadurch viele Infcctionskrankheiten entstehen werden. 
Das schon jetzt gehäuftere Auftreten von Typhus abdominal» und 
die vielen Fälle von Gastro-Enteritis in dem Inundationsgebiete sollte 


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1865 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1866 


eine strenge Mahnung sein, die Entwässerung der Keller unge¬ 
säumt vorzunehmen und nach gründlicher Entfernung des dem Boden 
aufliegenden Schlammes eine sorgfältige Desinficirung der Keller- 
ränme vorzunehmen. Selbstverständlich müßten diese Proceduren 
von der Gemeinde unter steter Controle verläßlicher Organe aus¬ 
geführt werden. 

Charakteristisch für das hier beliebte Vorgehen in hygienischen 
Angelegenheiten ist der Umstand, daß die städtische Sanitätscommis¬ 
sion, deren maßgebendes Votum über alle diese Fragen dem Ge¬ 
setze nach einzuholen gewesen wäre, erst mehrere Wochen nach 
Verlauf der Wasser einberufen worden ist, und daß ihre sachge¬ 
mäßen Ratbschläge nicht die mindeste Berücksichtigung gefunden 
haben. 

Nur eine einzige Maßregel, nämlich die Delogirung der Par¬ 
teien aus den inundirten Wohnungen und die Trockenlegung der 
nassen Wohnräume, ist zielbewußt und mit Energie ausgeführt worden; 
auch durften dieselben erst nach sorgfältiger Desinficirung wieder 
bezogen werden. Gewiß ist es nnr diesem zweckmäßigen Vorgehen 
und dem glücklichen Zufall, daß im September und October größten¬ 
teils trockenes Wetter herrschte, zu danken, daß die Morbidität in 
diesen Monaten eine verbältnißmäßig günstige gewesen ist. 

Nicht unerwähnt darf das segensreiche Wirken der Wiener 
freiwilligen Rettungsgesellschaft bleiben. Sie hat in hochherziger 
Weise der schwer getroffenen Stadt zwei ambulante Küchen wägen 
unentgeltlich zur Verfügung gestellt nnd durch längere Zeit täglich 
12—1500 Menschen auf eigene Kosten mit kräftiger wohlschmecken¬ 
der Mittagskost versorgt. Dadurch ist nicht nur viel materielle Noth 
gemildert worden, sondern es wurde auch indirect dem Auftreten 
von Krankheiten vorgebeugt, indem die mit kräftiger Kost Gesät¬ 
tigten widerstandsfähiger gegen die vielen auf sie einwirkenden 
Schädlichkeiten gemacht worden sind. 

Und die Assanirung der Stadt? — Wie die Sachen liegen, 
ist sehr zu befürchten, daß sie auch nach dieser Katastrophe ad 
Calendas graecas verschoben werden wird; es sei denn, daß ein 
mächtigerer Factor die Väter der Stadt an die Pflichten mahnt, 
welche eine Großcommune wie Prag gegenüber der Gesundheit, dem 
leiblichen Gedeihen und dem Leben der Einwohner hat. —z. 


Kleine Mittheilungen. 

— Seit Anfang März d. J. wendet Leopold die von Teen- 
delenburg empfohlene Beckenhochlagerung bei Laparatomien 
an und theilt in Nr. 42 d. „Centrlbl. f. Gynäk.“ die Vorzüge der¬ 
selben mit. Die Därme sinken nach dem Zwerchfell zu, das Becken 
wird frei; daß hie und da Därme selbst bei ruhiger Narcose Vor¬ 
dringen, kommt kaum zur Beobachtung. Mit einem großen breiten 
Schwamm im oberen Wundwinkel dämmt man die Därme von der 
oberen Bauchhöhle ab, und eine Eventration der Därme zur Frei¬ 
legung etwa verwickelter Verhältnisse im Becken ist ganz unnöthig. 
Die Organe im Becken lassen sich vortrefflich übersehen. Die Ver¬ 
löthungen zwischen Mastdarm und Gebärmutter, die verschiedenen 
Formen der chronischen Salpingitis und Oophoritis und die gegen¬ 
seitige Lagerung der kranken Organe, beginnende Tubenschwanger¬ 
schaft, die verschiedenen Methoden der Stielbehandlung und Ver- 
nähung, ferner die quere Vernähong des Beckenbauchfells nach 
gänzlicher Herausnahme des Uterus von oben her nnd Anderes 
mehr, alles dieses läßt sich den Zuschauern deutlich an der Le¬ 
benden demonstriren. Die Vorrichtung zum Hochlagern ist außer¬ 
ordentlich einfach; sie besteht aus einem Holzuntergestell, mit 
welchem durch ein Charniergelenk eine Stellklappe verbunden ist, 
deren unterer, kürzerer Theil, auf den die Unterschenkel zu liegen 
kommen, gegen den oberen, längeren Theil, auf welchem das Becken 
und die Oberschenkel ruhen, bis zu einem rechten Winkel nach 
unten abgebogen werden kann. Durch eine Stütze kann die Stell¬ 
klappe vom Untergestell bis auf 51 Om. erhöht werden, so daß 
die Stütze mit dem oberen Theil der Stellklappe einen Winkel 
von ungefähr 30° bildet. Je länger man die Stütze macht, umso¬ 
mehr kann man die Beckenlage beliebig erhöhen. Nachtheile durch 
die Hochlagerung hat man nicht zu befürchten. Einzelne Kranke 


werden leicht cyanotisch, hie und da tritt bei bronchitischen 
Kranken nach der Operation vermehrter Hustenreiz auf. Jedesfalls 
sind aber nennenswerthe Störungen nie vorgekommen, und die Vor¬ 
züge der Hochlagerung, wie aus einer Reihe von 64 Laparatomien 
ersichtlich, so groß, daß namentlich in schweren Fällen diese 
Lagerung jeder anderen vorzuziehen ist. 

— Dr. Umpfenbach berichtet in Nr. 10 der „Ther. Monatsh.“ 
über die in der rheinisch. Provincialirrenanstalt zu Andernach an- 
gesteiiten Versuche mit Chloralamid bei Geisteskranken. Das Mittel 
wurde in absolutem Alkohol 1 : 2 gelöst und unter Hinzufügung 
von Wasser und Syrup den Kranken gegeben. Es wurde mit 2 Grm., 
Abends vor dem Schlafengehen genommen, angefangen und bis zu 
6 Grm. pro dosi und die gestiegen. Das Mittel wurde in 55 Fällen 
(14 Tobsüchtige, 13 Paranoiker, 3 Melancholiker, 8 Paralytiker, 
9 Fälle von Erregungszuständen bei Blödsinn und 8 von solchen 
bei Epilepsie) verabreicht. In 30 Fällen war der Erfolg der ge¬ 
wünschte, in 12 Fällen blieb er aus und in 13 Fällen war er 
nur vorübergehend. Bei Paranoia, Paralyse und den kurz vorüber¬ 
gehenden Erregungszuständen bei Epilepsie war das Mittel meist 
wirksam, während es bei der Unruhe der Blödsinnigen nnd den 
frischen Psychosen der Tobsüchtigen und der Melancholiker fast 
stets versagte, oder doch nur ganz vorübergehenden Erfolg hatte. 
Trat Schlaf ein, so dauerte er in den meisten Fällen längere Zeit, 
bis circa 1 Stunde nach dem Einnehmen. Das Mittel wurde auch 
auf die Dauer, selbst Monate lang gut vertragen und hatte keinerlei 
nachtheilige Folgen. Das Chloralamid wurde auch in je einem Falle 
von Tremor essentialis , Chorea hereditaria und Sclerosis dissemin. 
cerebr. gegeben. Bei der Sclerose blieb jeder Effect aus, dagegen 
wurde bei den beiden erstgenannten Fällen die motorische Unruhe 
geringer, nachdem das Chloralamid in kleinen Dosen 0’5—2*0 pro 
die angewendet worden war. 

— A priori sollte man glauben, daß die Erscheinungen der 
CocaYnintoxication — wie außerordentliche Blässe, Muskelschwäche, 
schwacher und unregelmäßiger Puls u. s. w. — am besten durch 
starke Excitantia bekämpft werden können. Dem scheint aber nicht 
so zu sein, denn nach einer Mittheilung Mitchell’s im „Medical 
Record“ bewährt sich der schwarze Kaffee bei schweren Cocai’n- 
intoxicationen besser als andere starke Excitantien. In einem 
solchen schweren Falle, bei welchem nebst den beschriebenen Er¬ 
scheinungen auch Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Schmerzen in der 
Präcordialgegend, allgemeine Muskelsteifigkeit vorhanden waren, ließ 
M., nachdem Ammoniak, Cognac, Digitalis, allgemeine Faradisation 
erfolglos geblieben waren, eine große Tasse schwarzen Kaffee 
trinken, worauf sofort erhebliche Besserung eintrat. Der Puls hob 
sich, die Schmerzen und die Angst schwanden, ebenso die übrigen 
Symptome mit Ausnahme der Maskelsteifigkeit. Diese Wirkung des 
Kaffee wiederholte sich auch später constant in zahlreichen Fällen 
von beginnender CocaYnintoxication. 

— Dr. Köster (Lyke) berichtet in Nr. 87 der „Deutsch. 
Med.-Ztg.“ über die eclatante Wirkung des Ammonium 8Ulfo- 
ichthyolicum bei Gonorrhoe, das er in 4 Fällen (3 männliche 
Tripper, 1 weibliche Cystitis gonorrhoica) in 1 °/ 0 Lösung erprobt 
hat. Bei den männlichen Pat. ließ er 3raal täglich mit der üblichen 
Spritze Injectionen in die Harnröhre machen. Am 2. Tage der 
Behandlung hörten die Schmerzen beim Uriniren, sowie die schmerz¬ 
haften Erectiones nocturnae gänzlich auf. Der Ausfluß währte im 
Ganzen 8—20 Tage und blieb dauernd fort. Bei der Patientin 
mit Cystitis gonorrhoica, die sehr viele locale Beschwerden hatte, 
injicirte K. 6—8 Tage täglich 2raal je 150 Grm. obiger Lösung 
mittelst Irrigators in die Blase und ließ das Quantum nach fünf 
Minuten von der Pat. durch Uriniren abfließen, wodurch zugleich die 
Urethra ausgespült wurde; dann machte K. noch etwa eine Woche 
lang täglich dasselbe Experiment. Nach 2tägiger Behandlung war 
der Urin frei von dem sehr starken schleimig eiterigen Satz, die 
heftigen Schmerzen beim Uriniren waren vorüber und nach etwa 
14 Tagen war und blieb der .Urin klar. 

— Behufs Studium der Vitalität und Degeneration der Gehirn- 
Substanz stellte Gilman Thompson eine Reihe von interessanten 
Versuchen über Transplantation von Gehirnsubstanz an, deren 
Resultate er im „Med. and surgic. Reporter“ vom 30. August mit- 

2 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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theilt. Zwei großen Hunden wurde gleichzeitig die Trepanation an 
entsprechenden Stellen der rechten Occipitalgegend gemacht, worauf 
je 8 Cm. Gehirnsubstanz excidirt und von einem Thier auf das andere 
zur Deckung des^Substanzverlustes übertragen wurdeu. Am 3. Tage 
wurden die Thiere getödtet. Die transplantirten Hirnstücke hatten 
normales Aussehen, adhärirten an die darunter liegende Masse, die 
von einer fibrinösen Exsudation bedeckt war, so daß es unmöglich 
war, sie zu trennen, ohne sie zu zerreißen. Bei beiden Thieren war, 
wie vorausgesehen, totale Blindheit des entgegengesetzten Auges 
vorhanden. In einem zweiten Versuche wurden ein Hund und eine 
Katze gleichzeitig trepanirt und 3 1 / 2 Cm. Gehirnsubstanz aus der 
linken Occipitalgegend des Hundes in einen ebenso großen Substanz¬ 
verlust derselben Gegend der Katze transplantirt; nach 3 Tagen 
wurde die letztere getödtet. Das transplantirte Stück war mittelst 
einer dicken Fibrinschichte an das .Gehirn der Katze befestigt. 
Dasselbe Resultat ergab die Transplantation von der Katze auf den 
Hund, ln einem 4. Versuche wurde einem Hunde eine Trepankrone 
von dem Durchmesser eines halbeo Daumens gesetzt und in der linken 
Occipitalgegend eine unvollständige Knochenresection gemacht, so 
daß eine kleine Verbindungsbrücke als Charnier übrig blieb. Nun 
wurden 2 Cm. von der Gebirnsubstanz entfernt und a / 9 Cm. Ge¬ 
hirnsubstanz vom Occipitallappen einer Katze transplantirt, der 
Defect mit dem Knochen verschlossen und die Wunde antiseptisch 
verbunden. Der Hund, welcher am rechten Auge vollständig 
erblindete, wurde nach 6 Wochen getödtet. Das transplantirte Stück 
war vollständig eingeheilt, und zwar fand die Vereinigung mittelst 
organisirten Bindegewebes statt. Es beweisen also die Versuche die 
Möglichkeit einer Einheilung von Gehirnsubstanz von Thieren ver¬ 
schiedener Arten. 

— J. M. Clarke empfiehlt das Hydronaphtol zur Behänd* 
lung der Diarrhoe. Zunächst stellte Clarke mehrere künstliche 
Verdauungsversuche an und erhielt das Resultat, daß Hydronaphtol 
einen sehr großen hemmenden Einfluß auf die Eiweißverdauung, 
geringen auf die Milchverdauung im Magensafte habe, ohne Einfluß 
auf die Pancreasverdauung von Eiweiß und Milch und besonders 
auf die Umwandlung von Zucker in Stärke sei. Daher könne bei 
alleiniger Milchdiät Hydronaphtol ohne Furcht vor ernsteren Ver¬ 
dauungsstörungen verabreicht werden. Etwa eintretende Uebelkeit 
sei wahrscheinlich abhängig von verlangsamter Magenverdauung und 
Anhäufung unverdauter Milch im Magen. In solchen Fällen sei die 
Darreichung in Pillenform mit Keratin Überzug zu empfehlen, damit 
das Hydronaphtol den Magen ohne Wirkung passire und erst im 
Duodenum dieselbe entfalten könne. Clarke hat es im Allgemeinen 
in Gelatinekapseln oder einfach in Milch verordnet, und zwar in 
einer Dosis von 0’1—0 - 2 Grm. 2sttindlich. Bei einfacher Diarrhoe 
kann man es nach den ersten 3—6 Dosen 3—4stündlich geben. 
Für Kinder unter 1 Jahre beträgt die Dosis 0*03 Grm., für ältere 
0 03—0 05 Grm. 1—2stündlich oder auch je nach den Umständen 
weniger. Was nun die Erfolge der Anwendung dieses Mittels be¬ 
trifft, so hat Clarke, wie die „Fortschr. der Med.“, Nr. 21, be¬ 
richten, 5 zum Theil recht schwere Typhusfälle günstig damit be¬ 
handelt. Am besten beginne man beim Typhus mit einer Dosis von 
circa 0’2 Grm. 2stündlich und nach Beseitigung der Diarrhoe 3stünd- 
lich während der Dauer der Pyrexie. Clarke hält das Hydro- 
naphthol für ein sehr werthvolles bei der Behandlung der Sommer¬ 
diarrhoen der Kinder, wenn gleich ihm nur eine kleine Anzahl für 
die Verwendung in solcheu Fällen zu Gebote stand. In 6 Fällen, 
in denen er 0'05—O'l Gr. stündlich ordinirte, hörte die Diarrhoe 
2mal in 12 Stunden, 3mal in 24—36 Stunden auf; lmal blieb es 
ohne Erfolg. Clarke empfiehlt eine Zufügung von DowER’schem 
Pulver in kleinen, dem Alter des Patienten entsprechenden Dosen. 
Bei ernster dysenterischer Diarrhoe hatte Clarke 2mal Erfolg. In 
dem einen Falle bestand das Leiden 5 Wochen trotz Anwendung 
zahlreicher Heilmittel. Es bestanden täglich 25—30 Entleerungen 
mit vielem Schleim vermischt und unter Tenesmus. Pat. war sehr 
schwach, abgemagert und anämisch. Unter Milchdiät und Hydro¬ 
naphtol wurden die Entleerungen in 4 Tagen auf 4 tägliche von 
normalem Aussehen reducirt und am 13. Tage war der Pat. ge¬ 
heilt. In dem 2. Falle trat nach dem 3. Tage bereits eine Ver¬ 
minderung der Zahl der Stühle, am 8. Tage ein Verschwinden des 


Schleimes und ein regelmäßiger Stuhlgang ein. In einem 3. Falle 
war kein Erfolg zu verzeichnen, wohl in Folge von Nichtbefolgung 
der ärztlichen Vorschriften. Bei einer Pat. mit Darmtuberculose 
wurde die 2 Monate bestehende Diarrhoe in einer Woche beseitigt 
durch eine Dosis von circa O’l 3stündlich. Bei gewöhnlicher 
Diarrhoe in Folge Diätfehler, Erkältungen etc. ist der Erfolg sehr 
wechselnd. Keinen Nutzen hatte Hydronaphtol bei Dyspepsie, ver 
bunden mit Flatulenz, und bei Magenerweiterung. 


Verhandlungen Ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu , Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XVI. 

Aus den Sectionen. 

Sectlon für Chirurgie. 

Petersen (Kiel): Ueber die Arthrodese. 

Vortragender möchte zu der von Albert (Wien) erfundenen 
Arthrodese nur diejenigen Operationen gerechnet wissen, bei denen 
eine Ankylose erstrebt wird. Diesen Zweck zu erreichen, genügt 
weder eine längere, einfache Ruhigstellung noch, wie Vortragender 
versucht hat, ein Durchtreiben von Nägeln durch das Gelenk. Das 
Gelenk muß eröffnet und die Knorpel entfernt werden. Der Schnitt 
durch die Weichtheile soll diese möglichst schonen, die wund- 
gemachten Knochenflächen sollen möglichst genau aufeinander passen. 
Durch Haut und Knochen nach der Hautnaht durchgetriebene ver¬ 
nickelte Stahlnägel sichern am besten die Lage. Ist man genöthigt, 
mehr als die Gelenkknorpel fortzunehmen, dann muß man sich 
hüten, dem Epiphysenknorpel zu nahe zu kommen. Die Synovialis 
wird nicht exstirpirt, weil sie die Heilung nicht hindert. Das Ein¬ 
legen von Jodoformgazestreifen, um durch die Eiterung eine festere 
Verbindung zu erwirken (Zinsmeister), hält Vortr. nicht für richtig,' 
weil dadurch der Heilungsvorgang in die Länge gezogen wird, und 
ein genaues Aneinanderpassen der Knochenwundfläcben genügt. — 
Beim Beginn des Gebrauches der Extremität ist, wenn es sich um 
Lähmung handelt, Vorsicht nöthig, wegen der großen Knochen¬ 
brüchigkeit, die aber durch den Reiz der Function gewiß später 
geringer wird. Vielleicht empfiehlt sich hier die Darreichung von 
Phosphor. — Bei der Geringfügigkeit des Eingriffes kann man 
gern mehr als ein Gelenk zur Zeit operiren. 

Am wichtigsten ist die Arthrodese am Kniegelenk, und zwar 
bei spinaler Kinderlähmung. Die Patienten erhalten „lebende Stelzen“ 
anstatt der sonst zur Fortbewegung nöthigen, schweren, kostspieligen, 
oft ausbesserungsbedürftigen und zu erneuernden, häufig drückenden 
Stützapparate. Als weitere Indicationen können in Betracht kommen : 
angeborene Kniegelenkverrenkung und habituelle Verrenkung der 
Kniescheibe. 

Am Fuße geben auch besonders die Lähmungen zur Arthro¬ 
dese Veranlassung, doch ist hier die Operation v^rhältnißmäßig viel 
seltener nöthig, weil ein solches Einknicken wie am Kniegelenk 
nicht vorkommt, der Unterschenkel schließlich doch seine Stütze 
findet. Vortr. hat in einem Falle mit bedeutender Verkürzung des 
leidenden Beines die Arthrodese in Spitzfußstellung gemacht, wodurch 
der Längen unterschied ausgeglichen werde. (Ganz wie nach der 
MiKULicz’schen Operation.) Die Arthrodese am Fuß kann ferner 
angezeigt sein nach der CHOPART’schen Operation (Helferich), bei 
sonst nicht zu beseitigendem angeborenem Klumpfuß, bei hart¬ 
näckigem Plattfuß. Für den Weichtheilschnitt ist der vollkommen 
ausreichende, vordere, innere Längsschnitt zu empfehlen. 

Beim Hüftgelenk ist die Arthrodese angezeigt, wegen Lähmung 
der Hüftgelenksmuskeln, eine Ankylose aber schwer zu erreichen. 
Die Resectionen wegen angeborener Verrenkung, bei denen eine 
Ankylose nicht erstrebt wird, sind nicht als Arthrodesen aufzufassen. 

Spinale und myopathische Lähmungen haben Albert und 
Jül. Wolff Veranlassung gegeben, am Schultergelenk die Arthro¬ 
dese zu machen, ersterem ebenso eine Lähmung am Ellenbogengelenk, 


DigitizecTby 


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1869 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1870 




letzterem eine irreponible Verrenkung am Schlüsselbein-Schulterblatt- 
Gelenk. 

Vortragender hofft, der segensreichen Operation neue Freunde 
erworben zu haben. A. 


Section för innere Medicin. 

J. A. Kimmell (Findlay, Ohio): 0n milk sikness. 

Die bisher wenig bekannte, von Kimmell beschriebene 
Krankheit tritt hauptsächlich im centralen Theile der Vereinigten 
Staaten von Amerika, speciell in der Mississippi-Ebene, auf und ist 
besonders in bisher von der Cultur unberührten, frisch angebauten 
Gegenden zu beobachten. Die Krankheit befällt nur Herbivoren, 
wie Pferde, Kühe etc., welche auf bestimmten Weideplätzen be¬ 
sonders früh Morgens oder spät Abends grasen. Die erkrankten 
Thiere lassen den Kopf hängen, verlieren den Appetit, bekommen 
Stuhlverstopfnng, werden erregt, zittern an allen Gliedern und sind 
nach 2—4 Tagen todt. Durch den Genuß der Milch und des 
Fleisches dieser Thiere kann die Krankheit auf andere Thiere und 
auch auf den Menschen übertragen werden. Die Art der Ver¬ 
breitung weist darauf hin, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach 
um eine Infectionskrankheit handelt. 

Der Symptomencomplex der Erkrankung beim Menschen ist 
so charakteristisch, daß die Diagnose leicht zu stellen ist. Die 
Krankheit kann plötzlich auftreten, oder was häufiger ist, allmälig 
mit prodromalen Erscheinungen. 

Die ersten Symptome sind unüberwindliche Mattigkeit, große 
Muskelschwäche und Abneigung gegen Anstrengungen, zu denen 
bald Verdauungsstörungen, namentlich Uebelkeit und heftiges Er¬ 
brechen, sowie hartnäckige Verstopfung hinzutreten. Der Durst ist 
sehr lebhaft, der Puls normal, es besteht kein Fieber, vielmehr ist 
die Temperatur um einen Grad herabgesetzt. Die Haut ist trocken, 
die Athmung erschwert, die Zunge anfangs feucht, später belegt. 
Der Patient ist häufig erregt, verlangt zu trinken und erbricht das 
Wasser sofort wieder. Der Urin ist sparsam, klar und von niedrigem, 
specifischem Gewicht. Der Leib ist eiugezogen, die peristaltiscben 
Bewegungen scheinen ganz aufgehoben zu sein. Das Bewußtsein 
bleibt immer klar, Delirien sind selten. Allmälig wächst die Reiz¬ 
barkeit des Magens und das Erbrochene nimmt eine kaffeesatzartige 
Beschaffenheit an. Die Prostration macht weitere Fortschritte, so 
daß der Kranke die Glieder nicht mehr bewegen kann und unter 
Coma erfolgt schließlich der Tod. 

In anderen Fällen lassen die schweren Symptome allmälig 
nach und die Krankheit verläuft günstig, jedoch ist in allen schwereu 
Fällen die Reconvalescenz sehr langsam und die Recidive nicht 
selten. 

Die mildere Form der Erkrankung verläuft in 5—10, die 
schwerere in 15—20 Tagen. Das charakteristische Unterscheidungs¬ 
merkmal der „Milchkrankheit“ von anderen pernieiösen Krankheiten 
ist die vollständige Apyrexie. 

In therapeutischer Beziehung empfiehlt Redner vor Allem 
das Capsicum annuum, Abführmittel und, bei drohender Herzschwäche, 
stimulirende Alkoholica. 

Andrew H. Smith (New-York): Some oonsiderations in regard 
to acute obstructive diseases of the iungs. 

Der Vortragende gibt folgendes Resum6 seiner Beobachtungen: 
Bei acuten, mit Behinderung des Lungenkreislaufs verbundenen 
Krankheiten droht Gefahr durch Erschöpfung dos rechten Herzens; 
der Radialispuls gibt deshalb Uber die bedenkliche Lage keinen zu¬ 
verlässigen Aufschluß, wohl aber die Auscultation der linken Pul¬ 
monalarterie. Eine deutliche Verstärkung des zweiten Pulmonaltones 
weist auf eine kräftige Thätigkeit des rechten Herzens hin, das 
gegen die Lungenkreislaufstörung ankämpft. Eine Abnahme der 
früher vorhandenen Stärke des Pulmonaltones mit mäßiger Athem- 
noth ist ein Zeichen für die Abnahme der Lungenstasis. Verminde 
rung der Tonstärke bei steigender Dyspnoe bedeutet beginnende 
Erschöpfung des rechten Herzens. 

Die Bekämpfung der von einer Erschöpfung des Herzens 
drohenden Gefahr kann unterstützt werden a) durch Regulirung der 


Diät, entsprechend der verminderten Kraft der Verdauung und Blut¬ 
bildung, b) durch Darreichung von Mitteln, welche die Arterien er¬ 
weitern und den Uebertritt des Blutes in die Venen erleichtern, 
c) durch Sauerstoffinhalationen, d) durch künstliche Athmung, 
e) durch Anlegung von Ligaturen um die Extremitäten behufs 
Zurückhaltung des Blutes in denselben und Verhinderung seiner 
Rückkehr zum Herzen. 

Nenadoviö (Pancsova, Ungarn): Ueber den Einfluß der Malaria¬ 
gegend auf den Verlauf der infectionskrankheiten. 

Redner weist darauf hin, daß man bei manchen Patienten nur 
durch Zufall zu der Diagnose „Malaria“ gelangt. Solche Patienten 
klagen nicht über Schüttelfrost oder ein allgemeines Krankheits¬ 
gefühl, sondern nur über ein abwechselndes Auftreten von Hitze 
und Kälte. Bei der Untersuchung wie bei der Obduction findet 
man eine Vergrößerung von Leber und Milz. Die Temperatur- 
Schwankungen verschwinden auf stärkere Dosen Chinin. Das blasse, 
elende Aussehen der meisten Einwohner, besonders aber der ärmeren 
Bevölkerung im südlichen Ungarn und im Gebiete der unteren 
Donau ist nach des Vortragenden Ansicht auf eine fast allgemeine 
Malaria-Infection zurückzuführen. In Folge dieser Durchseuchung 
mit Malaria erleidet die gesammte Bevölkerung eine Schwächung 
ihrer Constitution und vermag deshalb den Infectionskrankheiten be¬ 
deutend weniger Widerstand entgegenzusetzen. Masern, Scharlach und 
Diphtheritis treten fast immer mit besonderer Intensität auf und 
führen relativ häufig zu Collapserscheinungen und eventuell zum 
letalen Ausgang. Die an diesen Affeotionen erkrankten Kinder 
gehen fast ausnahmslos zu Grunde. Der Mortalitätsprocentsatz an 
Scarlatina z. B. ist nach Nenadovic’b Beobachtungen 80% und 
darüber. Catarrbalische Pneumonien sind die Regel, auch die croupöse 
Pneumonie tritt häufig auf. Auch bei dieser Erkrankung findet sich 
auffallender Weise stets Milz Vergrößerung vor, welche in anderen 
Gegenden nicht zu constatiren ist. Die Darreichung des Chinins 
muß daher bei allen erwähnten Krankheiten das Hauptmittel in der 
Behandlung bleiben, um so mehr, als es verhältnißmäßig die besten 
Resultate liefert. —r. 


Notizen. 


Wien, 22. November 1890. 

Robert Koch’s Behandlung der Tnberculose. 

Die Thüre der stillen Gelehrtenstube hat sich geöffnet; 
die Früchte mühevoller, gewissenhafter Forschung sind der 
ungeduldig harrenden, nunmehr hoch erregten Menge über¬ 
geben, welche den bescheidenen Gelehrten einem Gotte gleich 
anbetet, dem anspruchslosen Manne in geräuschvollster Weise 
huldigt. Die Tagespresse läßt ihre Fanfarentöne erklingen, 
und Alle, welche den Versuchen Robert Koch’s, soweit diese 
durch die Indiscretion sensationslüsterner Blätter bekannt 
wurden, mit fieberhafter Spannung entgegensahen, Kranke und 
Aerzte, strömen in dichtgedrängten Schaaren nach Berlin, um 
Heilung und Belehrung zu suchen. 

Gar rasch ist dem internationalen medicinischen Congresse, 
der vor wenigen Wochen in der Metropole des deutschen 
Reiches tagte, eine neue internationale medicinische Versamm¬ 
lung recht seltsamer Art gefolgt. Diesmal verschwindet aber 
die große Zahl von Heilkünstlern, die nach Berlin pilgern 
und von denen so Manche — mit Beschämung sei es gestan¬ 
den — diese Stadt aufsuchen, mehr um gesehen und genannt 
zu werden, als um selbst zu sehen, in der vieltausendköpfigen 
Menge Kranker, welche uns doppelt bedauemswerth erscheinen 
müssen, zuvörderst ihres schweren Siechthums wegen und dann 
um der Leiden willen, die ihnen aus der peinlichen Situation 
erwachsen, in welche sie durch die Schuld der kritiklosen, 
jubelnden Menge gerathen sind. Trotz der rauhen Jahreszeit 
eilen diese Armen aus allen Weltgegenden statt nach dem 
sonnig durchwärmten Süden nach der kalten nordischen Stadt, 
der mächtigen Attraction folgend, die ein einzelner Mann auf 
sie ausübt, und mit ihnen sehen in gespanntester Erwartung 


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1871 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1872 


die Ferngebliebenen — Aerzte, wie Laien — den jeweiligen 
Nachrichten entgegen, die über einen der bedeutsamsten Fort¬ 
schritte der medicinischen Kunst — die Heilung der 
Tube reu lose — verlautbart werden. Zum Theil ist es wohl 
in der so allgemeinen Verbreitung der tuberculösen Erkran¬ 
kungen, zum Theil in der Erwartung der Eröffnung neuer, 
vielversprechender Bahnen für die ärztliche Thätigkeit über¬ 
haupt begründet, daß sich das allgemeine Interesse für diese 
letzte Errungenschaft der Medicin in so warmer Weise be- 
thätigt, und daß die neueste Entdeckung des berühmten Berliner 
Bacteriologen aller Orten einen Enthusiasmus entfesselte, wie 
er in den Annalen ärztlichen Wirkens aller Zeiten bisher 
nicht zu verzeichnen war. 

Und was noch mehr bedeuten will; während sonst jeder 
Fortschritt der Medicin. zumal auf therapeutischem Gebiete, im 
ärztlichen Lager selbst einer, mitunter ziemlichen kräftigen, 
ja derben Opposition begegnete, sind es diesmal Aerzte selbst, 
die voll Begeisterung den Reigen führen. Wie skeptisch stand 
man doch, um nur ein naheliegendes Beispiel zu erwähnen, 
den Präventivimpfungen Pastkur's gegen die Lyssa gegenüber, 
wie ungehört verhallen jetzt die Stimmen, die wenigstens die 
Aerzte zu nüchterner Prüfung und ruhigem Abwarten mahnen, 
in den Wirbeln begeisterter Erregung! 

Noch nie wurden die Erwartungen Aller so nachhaltig, 
so andauernd gespannt erhalten, wenn es sich um ein neues 
Heilmittel handelte, und es mag als ehrendster Beweis für 
das unerschütterliche Vertrauen, das die medicinische Welt 
Robert Koch entgegenbringt, gelten, daß jetzt die Aerzte aller 
Länder schon Monate hindurch mit vollster Aufmerksamkeit 
den allerdings bewundernswerthen therapeutischen Versuchen 
folgen, die in Berlin mit einem Geheimmittel angestellt 
werden. Und so sehnsüchtig auch die Aerzte diesbezüglichen 
Mittheilungen entgegensehen, soll doch noch für längere Zeit 
das Wesen des neuen Heilmittels gegen die Tuberculose den¬ 
selben unbekannt bleiben. Peinlich, wie diese Thatsache um¬ 
somehr empfunden werden muß, als sich dadurch der baldigen 
allgemeinen Verwendung des neuen Mittels unüberwindbare 
Hindernisse entgegenstellen, mag dieselbe in dem Bestreben 
und den Versuchen des gefeierten Berliner Bacteriologen, dem 
doch sicherlich jede Monopolisirungsabsicht fernliegt, begründet 
sein, die Principien des neuen Heilverfahrens noch weiter aus¬ 
zubauen und Modificationen desselben bei anderen Infections- 
krankheiten in Anwendung zu bringen. 

Doch sah sich Koch, um die durch fremde Einflüsse aufs 
Höchste gesteigerten Illusionen in Bezug auf die Wirksamkeit 
des neuen Heilmittels gegen die Tuberculose zu zerstören, noch 
vor Abschluß seiner diesbezüglichen Untersuchungen zu einer 
vorläufigen Publication genöthigt, in welcher über die wichtig¬ 
sten Ergebnisse seiner Versuche am Menschen berichtet wird. 

Viel instructiver wären allerdings, wenigstens für die 
ärztliche Welt, nähere Mittheilungen über die Resultate seiner 
Thierversuche gewesen, bei welchen doch die vorgenommenen 
Sectionen authentische Aufschlüsse über den Effect des Mittels 
geben mußten. 

Uebcr das neue Arcanum selbst finden wir in der KoCH’schen 
Publication nur äußerst dürftige Angaben. Wir erfahren aus 
derselben nicht, ob wir es mit der ungemischten Substanz oder 
einer Lösung derselben zu thun haben, ja wir werden nicht 
einmal darüber belehrt, welche chemische Reaction die Flüssig¬ 
keit besitzt, und Niemand, der dieselbe bezieht, kann beurtheilen, 
ob das Mittel echt oder verfälscht, rein oder zersetzt und so¬ 
mit als wirksames oder unwirksames Heilagens in seine Hände 
gelangt. Schon soll in Berlin dieser Uebelstand von Betrügern 
zu Irreführung und Ausbeutung des Publicums benützt werden. 
Selbst unter den, auch der Tagespresse gegenüber so mit¬ 
theilsamen Aerzten, die nach Berlin eilten, sobald Koch sein 
erstes Wort gesprochen, hat sich Keiner gefunden, der auch 
nur die geringsten Versuche zur Aufklärung seiner Collegen 
in dieser Richtung unternommen hätte. 

* * 

•y. 


Was injicirt Koch? Wieso wirkt seine Injec- 
tion specifisch? Das sind die Fragen, die gegenwärtig auf 
Aller Lippen schweben. Mit zwingender Wahrscheinlichkeit läßt 
der bisherige Gang der KoCH’schen Forschungen überhaupt, ver¬ 
eint mit dem Umstande, daß die Herstellung des Mittels einen 
nach Wochen zählenden Zeitraum erfordert, wohl darauf 
schließen, daß Koch’s Arcanum nicht der lateinischen Küche ent¬ 
nommen wurde, sondern ein Product complicirter biochemischer 
Proceduren ist. Weitere Nahrung für diese Vermuthung finden 
Viele in den Erfolgen, die Pasteur durch seine Schutzimpfungen 
gegen den Milzbrand und seine Präventivimpfungen gegen 
Lyssa erzielt hatte; sie gelangen zu der Vorstellung, daß 
Koch’s Verfahren gegen die Tuberculose als letztes Glied der 
Impfmethodik, als Heilimpfung, zu betrachten sei. Wir 
wissen ferner, daß die Bacterien nicht bloß mechanisch, son¬ 
dern auch chemisch auf das Gewebe wirken, in das sie ein¬ 
gedrungen sind, daß die von den Bacterien auf ihren Nähr¬ 
böden — den organisirten und den nichtorganisirten — erzeugten 
Stoffwechselproducte für diese selbst giftig sind, und daß Ver¬ 
dünnungen der letzteren eine immunisirende Wirkung haben, 
und mag hier nur auf die bekannten Arbeiten von Cbaurix, 
Arloing, Roux und Yersin (Diphtherie), Emerlch, Wooldridge ‘) 
verwiesen werden. Diese Stoffwechselproducte, deren chemische 
Natur allerdings noch nicht mit Sicherheit feststeht, gehören zum 
großen Theile den Gruppen der Globuline und der Enzyme an, 
welchen auch die Schlangengifte zuzuzählen sind, und es mag 
interessant erscheinen, daß Henry Sewalg Versuche über Prä¬ 
ventivimpfungen mit dem Gifte der Klapperschlange mit gün¬ 
stigem Resultate anstellte, indem er nach wiederholter Appli¬ 
cation subletaler Dosen des mit Glycerin verdünnten Giftes eine 
wachsende Resistenz gegen den Biß des Crotalophorus terge- 
minus erzielte. An die stürmische Wirkung dieser 
Körper auf den normalen Organismus erinnert 
die Reaction des tuberculösen Organismus auf 
Koch’s Mittel; sie gebietet Vorsicht. 

Seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus strebten alle 
therapeutischen Versuche gegen die Tuberculose dem einzigen 
Ziele zu , die Infectionsträger, die Bacillen , zu tödten ; die 
von Koch hervorgehobene Thatsache, daß die Heilung die 
Lebensfähigkeit der Bacillen nahezu unbeeinflußt lasse, mußte 
daher überraschend wirken. „Nur das tuberculose Gewebe 
wird getödtet,“ sagt Koch. Es scheint sich also nicht um 
einen rein morphologischen, sondern um einen chemischen 
Proceß zu handeln, und der specifisehen Reaction auf 
das Mittel muß auch eine specifisch - chemische Beschaffen¬ 
heit des erkrankten Gewebes entsprechen. Um die Chemie 
erkrankter Gewebe im Allgemeinen hat man sich bisher 
kaum bekümmert, und es wird mit eines der Verdienste 
Koch's sein, durch seine Untersuchungen das Studium der 
Biochemie mächtig belebt zu haben. Was speciell die Tu¬ 
berculose betrifft, so wurde allerdings vor Jahren von Freund 
in Wien darauf hingewiesen,' daß die tuberculösen Gewebe 
sowohl als auch das Blut Tuberculöser in reichem Maße einen 
Körper enthalten, der alle Eigenschaften der Cellulose zeigt, 
eine Beobachtung, die bei dem Umstande, daß die Cellulose bis 
dahin noch nie im Gewebe eines Wirbelthieres nachgewiesen 
wurde, gewiß weitere Beachtung verdient hätte. 

Die Dauer der Kocu’schen Versuche ist viel zu kurz, 
als daß ein Urtheil über die Wirksamkeit des Mittels derzeit 
schon möglich wäre. Auch sind die Beobachtungen, so weit 
sich aus den bisherigen Publicationen entnehmen läßt, nicht 
in der Weise angestellt wie wir es sonst bei therapeutischen 
Prüfungen gewohnt sind. Wir haben bisher Nichts erfahren 
über den Einfluß des Mittels aut' den Blutdruck, auf den 
Stoffwechsel, und sind im Unklaren darüber belassen worden, 
ob nicht etwa secundäre Erkrankungen der drüsigen Organe 
und des Nervensystems der Application, zumal der häufig 
wiederholten Application des Mittels folgen. 


‘) Schutzimpfung ohne Bacterien. 


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1873 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1874 


Hoffentlich wird Koch seiner vorläufigen Mittheilung 
in nicht allzu ferner Zeit Aufschlüsse über all die Fragen 
folgen lassen, welche den denkenden Arzt. unbeirrt von dem 
Freudentaumel der Massen, beschäftigen. An Koch wird es 
sein, über Bereitung und Zusammensetzung seines Mittels, 
über das Warum seiner Wirkung die ärztliche Welt aufzu¬ 
klären. Der Aerzte selbst aber, zumal der Kliniker, harrt die 
hochbedeutsame Aufgabe, das Wie zu beobachten und die 
Grenzen der Anwendbarkeit des Mittels zu stecken. a ) Nie 
hat es für therapeutische Versuche irgend welcher Art ein 
reicheres, mannigfaltigeres und willfährigeres Mateiial gegeben, 
wie im gegenwärtigen Zeitpunkte, wo die mit neuen Hoffnungen 
beseelten Phthisiker die neu gerüstete ärztliche Hilfe erflehen. 
Mögen ihre und unsere Hoffnungen — denn nur von Hoff¬ 
nungen können wir heute sprechen — voll und ganz in 
Erfüllung gehen, möge unerschüttert bleiben der neu gestärkte 
Glaube an die Macht der Wissenschaft! Dr. Rker. 

* * 

* 

Unser Berliner Correspondent schreibt uns: 

Noch immer bewegt ein Ereigniß die Gemüther der Laien weit 
wie der Aerzte: Koch ist jetzt die Parole des Tages, und jeder 
Tag bringt neue Erregungen. Die politischen Zeitungen sind täglich 
gefüllt mit neuen Details und halten das bis zur Fieberhaftigkcit 
gespannte Interesse immer von Neuem wach. Ein gewaltiger Zustrom 
von fremden Collcgen aus aller Herren Länder hat bereits statt¬ 
gefunden, und wer sich ein wenig auf Typen verstand, konnte in 
der letzten Sitzung des Vereins für innere Medicin unter den vielen 
fremden Gesichtern sehr wohl den Engländer von dem Hussen, den 
Schweden von dem Oesterreicber unterscheiden. Dabei melden sieh 
täglich officielle ärztliche Delegationen seitens verschiedener Regie¬ 
rungen an, welche nach Berlin entsandt sind , um das KocH’sche 
Verfahren an Ort und Stelle zu studiren und im Interesse ihres 
Landes zu verwerthen. In, den verschiedenen Kliniken, welche mit 
dem KocB’schen Heilmittel versehen sind, fiuden jetzt täglich De¬ 
monstrationen der Art des Verfahrens und der Veränderungen statt,, 
welche dasselbe bei den einzelnen Kranken hervorgerufen bat. 
Auch den Studenten der Medicin wird das neue Heilverfahren in 
den für den Unterricht bestimmten Kliniken bereits gezeigt. Hier 
wird besonderer Werth auf die Feststellung derjenigen tuberculösen 
Erkrankungsarten gelegt, welche sich hauptsächlich für die An¬ 
wendung des KocH’schen Verfahrens eignen, bezw. welche wenig 
oder gar keine Aussicht für die Heilung darbieten. Auch dieso 
Demonstrationen in den Universitätskliniken versammeln stets eine 
große Schaar von fremden Collegen als Zuhörer. 

Nicht unerwähnt kann jedoch bleiben, daß gegenüber den auf’s 
höchste gespannten Erwartungen schon jetzt eine gewisse Reaction 
eingetreten ist. Im näheren Gespräch mit einzelnen Collegen machte 
sich mir fast überall eine gewisse Depression bemerkbar, welche 
meiner Ueberzeugung nach zwei bestimmten Momenten entstammt. 
Einmal soll hier constatirt werden: Es hat bisher noch kein 
einziger vollständig geheilter Fall von Tuberculose 
vorgestellt werden können. Bei der Kürze der Zeit, seit 
welcher die Versuche am Menschen stattfinden, ist das ja allerdings 
kaum anders zu erwarten, und Koch’s Name, seine gewissenhafte 
Forschung verbürgt die Wahrhaftigkeit der Mittheilungen und die 
Sicherheit des Erfolges. Aber der Mensch und vorzüglich der Arzt 
neigt nun einmal zur Skepsis, und diese wird daher erst gänzlich 
schwinden, wenn eine Anzahl dauernd von ihrer Tuberculose ge¬ 
heilter Patienten vorhanden sein wird. 


*) Es ist wohl schon heute an der Zeit, s-.u erwägen, ob nicht Mittel 
zu finden wären, das colossale, in den nächsten Wochen und Monaten den 
Aerzten zuströmende Material nach im Vorhinein festgesetzten (jesetzen zu 
vichten und durch gleichmäßiges Vorgehen sämmtlicher, den Kocu’sehen 
Impfstoff handhabender Aerzte eine umfassende S a mme 1 for sc hu n - über 
Dosirnng, Wirkung, Anzeigen und Gegenanzeigen des Mittels, sowie bezüglich 
des Stadiums der Krankheit, in welchem der Einzelfall der Behandlung unter¬ 
zogen wurde, vorzubereiten. Nur große Zahlen gestatten ja verwerthbare 
statistische Schlüsse. Kritiklose Injettionen an nicht genau untersuchten und 
nicht weiter beobachteten Kranken entbehren jedes Werthes für die 
Allgemeinheit. Die Red. 


Das zweite, fast noch wichtigere Moment ist der Modus pro- 
cedendi in Bezug auf den Impfstoff. Fern sei es von mir, dem 
hochverdienten Forscher einen Vorwurf machen zu wollen, allein er 
hätte sich unbedingt sagen müssen, daß mit dem Moment der Ver¬ 
öffentlichung seiner neuen Heilmethode der Ansturm der Hilfe und 
Rettung Suchenden ein ganz ungeheurer sein würde, und daß dann 
auch dem Praktiker das Mittel hätte zugänglich sein müssen, um 
seiner Aufgabe im täglichen Leben gerecht werden zu können. Für 
die breiten Schichten der praktischen Aerzte ist aber bis jetzt das 
neue Heilmittel absolut nicht erreichbar, selbst ein einziges Lymph- 
röhreben ist nicht für Geld zu erhalten, und nicht anders ergeht 
es den meisten öffentlichen Krankenhäusern. Hier muß entschieden, 
sobald als es nur irgend möglich ist, Wandel geschaffen werden, 
soll nicht Unzufriedenheit und Mißvergnügtsein immer weitere Kreise 
ergreifen. Die Augen der ganzen Welt sind auf unseren Robert 
Koch gerichtet; möge er dafür sorgen, daß in die begeisterte Be¬ 
wunderung der Collegen sich auch nicht eine Spur von Mißton 
mische! —r. 

* * 

-X- 

Von unserem, nach Berlin entsendeten Special-Bericht¬ 
erstatter erhalten wir folgende Mittheilungen: 

Montag Abends versammelte sich im Sitzungssaale des Vereines 
für innere Medicin im Architekteuhause die Berliner Aerztewelt 
und eine große Zahl ausländischer Aerzte, daruuter vorwiegend Eng¬ 
länder und Oesterreichor. Geheimrath Leyden, der den Vorsitz führte, 
begrüßte die Versammlung und die Gästo auf’s Herzlichste, unter 
letzteren namentlich Prof. Zikmsskn aus München. „Wir sind“, sagte 
Leyden, „gegenüber der KocH’schen Entdeckung von den Zeitungen 
in Athem gehalten. Wir haben die Zuversicht, daß K. ein speci- 
fisches Heilmittel gegen Tuberculose gefunden hat und binnen 
Kurzem der Welt darbringen wird. Schon jetzt häufen sich die 
Mittbeilungen Schlag auf Schlag, und wir freuen uns, von dieser 
Stelle aus dem klinischen Mitarbeiter Koch’s das Wort zu ertheilen, 
umsomehr, - als dies die erste Mittheilung eines inneren Klinikers 
über die Anwendung des KocH’schen Verfahrens bildet. Gestatten 
Sie mir, meine Herren, Ihnen vorher zu berichten, daß die Ge¬ 
schäftscommission des Vereines für innere Medicin einstimmig be¬ 
schlossen hat, Ror. Koch zu ihrem Ehrenmitgliede zu ernennen.“ 
(Lebhafter, andauernder Beifall.) 

Hierauf nahm Prof. Fraentzel das Wort, um über die An¬ 
wendung der KocH’schen Methode an den Kranken seiner Klinik 
zu berichten. s ) 

Aus der Klinik Fraentzel’s. 

Ihr Berichterstatter hatte Gelegenheit, gestern auf Fraentzel’s 
Klinik genauen Aufschluß über die Methode und Technik der 
Impfungen zu erhalten und sich auch durch per¬ 
sönliche Beobachtung davon zu überzeugen, daß 
die Technik der lnjectionen keine er¬ 
heblichen Schwierigkeiten bietet. 

Zunächst wollen wir die Darstellung der zur 
Impfung verwendeten Flüssigkeit besprechen. Wir 
verdanken diese Details und die Demonstration des 
Iinpfverfahrens der Liebenswürdigkeit des Herrn 
Stabsarztes Runkwitz, dem wir zu bestem Danke 
verpflichtet sind. Die KocH’sche Norraallösung, über 
deren Wesen bisher noch nichts geäußert wird, ist 
eine braune, leicht bewegliche, geruchlose Flüssig¬ 
keit von der Farbe des bayrischen Bieres. Siede 
hitze schadet derselben nicht; es muß im Gegentheile 
betont werden, daß es nöthig ist, die Flüssigkeit, 
wenn sie sich durch längeres Stehen getrübt haben 
sollte, vor dem Gebrauche in einem sterilisirten 
Reagensglase aufzukochen. Die KocH’sche Ballon¬ 
spritze (s. Fig.) wird vor dem Gebrauche mit abso¬ 
lutem Alkohol gereinigt und sorgfältig durchgeblasen, damit der Alkohol 

®) Wir veröffentlichen den Vortrag Fkaentzei.'s nach dem ausführlichen 
Berichte unseres Berliner Correspondenten an erster Stelle dieser Nummer. 

Die Red. 



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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


1876 


an der Innenwand des Glaacylinders verdunstet, da die FlQssigkeit mit 
Alkohol eine Fällung gibt. Dann gießt man, nachdem die Hohl¬ 
nadel, welche in 2 °/ 0 Carbollösung desinficirt worden, an der Spritze 
angesetzt wurde, 1 Ccm. der Normallösung auf und schließt den 
Hahn nnterhalb des Ballons. Das Füllen der Spritze erfolgt durch 
Saugwirknng; man comprimirt mit dem Daumen den Gummi¬ 
ballon und läßt, während die Hohlnadel in die Flüssigkeit ein¬ 
taucht, sehr langsam und stetig mit dem Drucke nach , damit das 
Einströmen der Flüssigkeit langsam erfolgt und keine Luftblasen 
mit eindringen. Diese Spritze der Normallösung wird daun in 
eine sterilisirte Eprouvette entleert, und man fügt dann 9 Spritzen 
V 2 °/o Carbollösung hinzu. Wir haben daun in 10 Theilen Flüssig¬ 
keit eine Normallösung, deren Concentration demnach 10°/ 0 beträgt. 
Das ist die stärkere Lösung, und eine Spritzederselben enthält 
0-01 Ccm. der Normallösung; ein Theilstrich dieser Lösung ent¬ 
hält 0-01 Ccm. 

Injectionen am Arme erzeugen Kältegefühl und Schmerzhaftigkeit; 
auch am Rücken bleibt eine Druckempfindlichkeit nach der Injection 
zurück. Man wählt daher die unterhalb der Schulterblätter gelegene 
Partie, weil sie beim Liegen weniger dem Drucke ausgesetzt ist. 

Zur Bereitung der schwächeren Lösung nimmt man eine 
Spritze der 1. Lösung und mengt diese wieder mit 9 Spritzen 
\ 2 °;o Carbollösung. Die Concentration beträgt hier 1%; ein Theil¬ 
strich dieser Lösung entspricht 0*001 Ccm. Mit dieser Dose beginnt 
man bei Fraentzel die Behandlung. Man liebt eine Hautfalte von 
der unteren Partie des Rückens auf und sticht in der Mitte des Drei¬ 
ecks in das Unterhautzellgewebe ein. Darauf läßt man sehr sorgfältig 
und langsam die gewünschte Menge der Injectionsflüssigkeit ab¬ 
fließen, indem man die Spitze der Nadel im Cnterhautzellgewebe 
stetig etwas zurückzieht , um das Abfließen der Flüßigkeit zu 
erleichtern. Wird eine ganze Spritze injicirt, so läßt man die letzten 
Tropfen der Injection nicht nachfließen, damit nicht gleichzeitig Luft 
in das Gewebe nachströmt, was zu Infiltraten und Absces?en führen 
würde. Ist die Flüssigkeitssäule am gewünschten Theilstrich augelangt, 
so schließt mau den Hahn und zieht langsam die Spritze heraus. 

Wir sahen eine Reihe von Lungenphthisen auf der Klinik, die 
meistens erst einige Wochen in Behandlung stehen. Die Zahl und 
Stärke der Injectionen richtet eich nach den individuellen Ver¬ 
hältnissen, und es muß hier aus dem gesammten Krankheitsbilde die 
Indication zur allmäligen Steigerung der Dosirung abgeleitet werden. In 
den ersten 14 Tagen wurde täglich injicirt, nach weiteren 14 Tagen 
jeden 2. Tag, in der 5. und 6. Woche meist jeden 3.—4. Tag. 
Wenn die Reaction zu Beginn der Behandlung eine sehr starke ist, 
das Fieber hoch anöteigt, so muß man gleich anfangs einen Tag 
aussetzen. Bleibt jedoch die Temperatur nach zweimaliger Injection 
derselben Dose die gleiche, oder tritt das zweitemal keine oder nnr 
eine geringe Reaction auf, so steigert man die Dose um 1—3 
Tausendstel, resp. Hundertstel Ccm. Den Abschluß der Behandlung, 
der meist in 6-8 Wochen erreicht wurde, bildet die Dose von 0*1 
Ccm., über die hinauszugehen auch bei Gesunden sehr ominös wird. 
Fraentzel erzählte von einem Falle, in dem bei einem Kranken 
nach der Injection von 0*2 Ccm in 24 Stunden unter sehr schweren 
Erscheinungen der Exitus letalis eintrat. Koch selbst, der sich diese 
Dose injicirt hatte, erkrankte, wie uns Herr Dr. Cobnet erzählte, 
unter sehr schweren Erscheinungen. 

Die Stärke der Reaction, die bei der Lungen¬ 
phthise vornehmlich durch das Fieber Charakterisirt 
ist, stehtim geraden Verhältniß zur Schwere der 
Erkrankung. Ueberdies reagiren schwere Phthisen in 
noch höherem Maße aufsehr kleine Dosen der Injection. 
Man muß hier mit sehr kleinen Dosen beginnen, da 
bei größerer Ausdehnung der Infiltration bei der 
starken localen Reaction, die auch in der Lunge 
auftritt, der Eintritt eines Lungenödems zu be¬ 
fürchten ist. 

Wir sahen einen Fall bei Fraentzel, der mit ziemlich vor¬ 
geschrittener Infiltration der rechten Seite in Behandlung kam, wo 
Stabsarzt Runkwitz Bedenken hegte, 0*001 Ccm. zu injiciren. In¬ 
dessen vertrug der Kranke diese Dose leichter als zu erwarten war, 
sein Befinden besserte sich zusehends, er nahm 5 Pfund zu und 


ist derzeit, in der 7. Woche der Behandlung, fieberfrei. Die objectiven 
Symptome sind, bis auf die Dämpfung, die ja der Ausheilung mit 
Schwielenbildung entspricht, geschwunden. Der Mann erhält jetzt, 
wo er als geheilt betrachtet wird, jeden 4. Tag eine Controlspritze 
von 0*1 Ccm., ohne Reactionserscheinungen zu bieten. Die Bacillen 
im Aus würfe lassen sich manchmal noch eine Zeit lang nach der 
Heilung, allerdings in geringerer Zahl, constatiren, da ja die abge¬ 
storbenen Gewebsmassen erst allmälig cxpectorirt werden. Nebst 
dieser Behandlung kommt noch ein sehr kräftiges diätetisches Regime 
bei F. in Anwendung. So lesen wir auf dem Speisezettel mehrerer 
Pat.: Bouillon mit Ei, Braten, Brot mit Butter, Süßwein, Mehl¬ 
speisen. 

Aus Dr. Cornet’ 8 PrivatkJinik. 

Angrenzend an Prof. Krause’s Poliklinik hat Cobnet in der 
Ziegelstraße einige Zimmer für eine Privatklinik adaptirt. Dort 
herrscht den ganzen Vormittag über eine lebhafte Bewegung. Hun¬ 
derte von Aerzten und Patienten zwängen sich in den engen Räumen 
umher, und während Cobnet zwischen den Krankenbetten Poliklinik 
hält, demonstrirt Krause im angrenzenden Raume die Kehlkopf- 
tuberculosen. Wir waren in der Lage, ungestört uns einzelne Kranke 
dieser Abtheilung anzusehen und wollen über genauere Details noch 
später näher berichten. Ein 22jähriger junger Mann mit Dämpfung 
LV. bis zur 2. Rippe, LHO. bis zur 8pina scapulae, R. Dämpfung 
der Fossa supraclavicularis, consonirendem Rasseln, hat nach 3 In¬ 
jectionen bis 0*003 noch keine Reaction gezeigt. Der kurze Status 
notirt bei ihm auch ein Geschwür an den Aryknorpeln. Bei einem 
zweiten jungen Manne bestand eine Schwellung des Kniegelenkes mit 
Fistelbildung; man schwankte zwischen Nekrose und Tuberculose; 
der Eintritt der Reaction entschied für letztere. Cornet empfahl, 
in der Dosirung langsam anzusteigeu, da man namentlich bei vor¬ 
geschrittener Phthise Schüttelfröste vermeiden muß. Uebrigens zeigen 
die Reactionserscheinungen sehr große individuelle Verschiedenheiten. 
Bei einem Manne, der früher an Asthma gelitten hatte, wurden durch 
die Injectionen jedesmal asthmatische Anfälle ausgelöst. Etwas er¬ 
nüchternd wirkt die Erzählung von 2 Beobachtungen aus Cornet’s 
Privatpraxis. Die erste betrifft einen Mann mit diffuser tuberculöser 
Infiltration der ary-epiglottischen Falten. Die reactive Schwellung 
war so bedeutend, daß ein Glottisödem zu befürchten war. Bei einer 
Dame mit Larynx und Pharynxphthise setzte die Reaction eine so 
bedeutende Stenosirung der obersten Luftwege, daß man jederzeit 
zur Tracheotomie gerüstet war, die jedoch durch Rückgang der 
Erscheinungen unterbleiben konnte. G. 

* * 

* 

In Wien haben Koch’s Mittheilungon den größten Enthusias¬ 
mus erregt. Die am 14. d. M. stattgehabte Sitzung der k. k. Ge¬ 
sellschaft der Aerzte wurde vom Präsidenten, Hofrath 
Billroth, mit einer Ansprache eröffnet, in welcher er den lebhaft 
acclamirten Antrag stellte, folgendes Telegramm an Robert Koch 
abzusenden: 

„Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien begrüßt Sie mit ehr¬ 
furchtsvoller Bewunderung und Dankbarkeit. Sie ersucht, da ihr kein 
anderer Ausdruck ihrer unbegrenzten Verehrung zu Gebote steht, laut 
heutigem Versamml ngsbeschluß, Sie in die Reihe ihrer Ehrenmitglieder 
einreihen zu dürfen.“ 

Das „Wiener med. Doctoren-Collegium“ begrüßte 
den großen Bacteriologen gleichfalls telegraphisch. Der Inhalt der 
am 17. d. M. abgesandten Depesche lautet: 

„Das Wiener medicinische Doctoren-Collegium fühlt sich gedrängt, 
Ihnen, hochverehrter Herr, seine Bewunderung auszusprechen und seinen 
Dank für die unschätzbaren Dienste, die Sie der leidenden Menschheit 
und unserem Stande geleistet haben. Ihre hohe Begabung und Ihre Be¬ 
harrlichkeit begründen eine neue Epoche für die medicinische Wissen¬ 
schaft, die wir freudig und vertrauensvoll begrüßen.“ * 

Die hervorragendsten Kliniker unserer Facultät, Nothnagel, 
Albert, Billroth, Stkllwag u. A. hoben in ihren Vorlesungen 
die große Bedeutung der KoCH’schen Entdeckung hervor, ihre Zu¬ 
hörer gleichzeitig zur Ruhe und Besonnenheit ermahnend. — 
Der Oberste Sanitätsrath, welcher am 15. d. M. eine mehr¬ 
stündige außerordentliche Sitzung abhielt, beschloß, dem Ministerium 
des Innern zu empfehlen, zwei Mitglieder des obersten Sanitäts- 


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1877 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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ratbes, und zwar den fachmännischen Vertreter der klinischen 
Mediein nnd Epidemiologie, Obersanitätsrath Prof. Dr. Dbasche, 
und den Vertreter des bacteriologischen Faches, Obersanitätsrath 
Prof. Dr. WeichselbaüM, zur eingehenden Information und Bericht¬ 
erstattung nach Berlin zu entsenden; die demnächst gewärtigte 
Sendung eines Vorrathes des KocH’schen Heilmittels nur unter 
genauer Anweisung der berufenen Aerzte der k. k. Krankenanstalten 
bezüglich des sorgsamen Vorgehens in zur Heilung geeigneten Fällen 
zu verwenden; weiteren Kreisen von Aerzten Gelegen¬ 
heitzubieten, dieWirkungen der neuen Heilmethode 
zu verfolgen; im Falle der Ermöglichung der Erzeugung des 
Heilmittels im Inlande für die Gewinnung desselben in staatlichen 
Instituten und in einer vom Staate gewährleisteten Qualität vorzu¬ 
sorgen ; nebst der Frage der Heilung der Tuberculose auch die bisher 
nicht hinreichend gewürdigte Frage der zur Verhütung ihrer Ver¬ 
breitung erforderlichen hygienischen Maßnahmen dem eingehendsten 
Studium zu unterziehen. Mit dem letzteren wurde das epidemiolo¬ 
gische Comitö des Obersten Sanitätsrathes — Obmann Hofrath Prof. 
Dr. E. Ritter v. Hofmann — betraut. — Im nieder österr. Land¬ 
tage, sowie im Wiener Gemeinderathe wurde die Entsendung von 
Aerzten nach Berlin beantragt, wohin außer zahlreichen jüngeren 
Collegen, klinischen Assistenten und Solchen, die es werden wollen, 
namentlich Delegirte klimatischer Curorte in hellen Schaaren strömen. 
—- Der Verein deutscher Aerzte in Prag ernannte Robert 
Koch zu seinem Ehrenmitgliede. — Zu Beginn der letzten Sitzung 
der k. Gesellschaft der Aerzte in Budapest stellte, wi^ 
uns berichtet wird, Prof. KorAnyi folgenden Antrag: 

„Die k. Gesellschaft der Aerzte spreche Robkbt Koch ihren Dank 
nnd ihre Bewunderung für d'e unsterblichen Verdienste aus, welche er 
sich durch seine Heilmethode der Tuberculose nm die leidende Menschheit 
und die Förderung der Wissenschaft erworben hat.“ 

Der Antrag wurde mit großer Begeisterung einstimmig an¬ 
genommen und dem Gefeierten telegraphisch mitgetheilt. Gleich¬ 
zeitig wurde die Einsetzung eines Comitös behufs Prüfung der 
KoCH’scben Methode beschlossen. 

*. * 

* 

In der gestrigen 8itzrmg der Gesellschaft der Aerzte in Wien 
demonstrirte Doo. Dr. v. Hebra 2 nach der KoCH’schen Methode behan¬ 
delte Lupus fälle. Der eine wurde am selben Tage injicirt. Eine Tem¬ 
peratursteigerung ist bis nun nicht eingetreten. In der graulich aus¬ 
sehenden Narbe haben sich ziemlich elevirte Knoten von rother 
Farbe entwickelt; auch am linken Ringfinger bat sich ein beträcht¬ 
licher Tumor gebildet. Den Anschwellungen ist ein geringer Schmerz 
vorausgegangen. Im zweiten Falle wurden gestern 3 Spritzen injicirt; 
es trat Fieber und ein scharlachartiges Exanthem am ganzen Körper 
auf; die lupösen Stellen haben sich bedeutend geröthet, in ihrer 
Umgebung sind Bläschen aufgetreten, nach deren Beratung weiße 
Borken zurückblieben. An der geheilt aussehenden Stelle am Ober¬ 
arme sind neue rothe Knoten aufgetreten, die heute bereits etwas 
flacher geworden sind. Der Vortragende verspricht die Fälle in der 
nächsten Sitzung wieder vorzustellen. — Dr. Jolles demonstrirt Prä¬ 
parate von Tuberkelbacillen von Individuen die nach der KoCH’scben 
Methode behandelt wurden. Abgesehen von zahlreichen rosenkranzför¬ 
migen Bacillen, zeigt das Protoplasma mancher Stäbchen eine Degene¬ 
ration, als ob sie einen Scbrumpfungsproceß durchgemacht hätten. Dieser 
Zerfall der Bacillen, bemerkt Hofr. Billroth, spricht nicht für ein 
Absterben der Bacillen. — Doc. Dr. Ullmann hat auf der Klinik des 
Prof. Neumann einen Fall von Lupus heute geimpft und ladet zur 
Besichtigung des Falles ein. 

* * 

* 

So oft ein die große Menge bewegendes Ereigniß auf medi- 
cinischem Gebiete sich abspielt, fehlt es nicht an Aerzten, welche, 
da nun einmal die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Heilkunde 
und deren Vertreter gerichtet ist, bemüht sind, in der betreffenden 
wissenschaftlichen Frage eine Rolle zu spielen oder doch den Schein 
zu erwecken, als wären sie zu dieser Rolle berufen. Mag es sich 
um die Todeskrankheit eines gekrönten Hauptes oder um die Ent 
deckung eines neuen Heilmittels handeln, sofort sind sie bereit, 
eine sensationsbedürftige Tagespresse durch Mittheilungen, Reise¬ 
berichte, Bedenken ond Erwägungen zu befriedigen, vorausgesetzt, 


daß ihr Name nur recht oft und deutlich genannt werde. Kaum 
hatte Koch gesprochen, trat man in volle Action. Man reiste eilends 
nach Berlin, hat Koch besucht, Impfungen nnd Geimpfte gesehen, 
sich einige Tropfen des neuen Mittels verschafft, ist rasch zurück- 
gekehrt, hat — wie großartig 1 — schon selbst injicirt und be¬ 
richtet der staunenden Mitwelt zum Frühstück und Nachmittagskaffee 
getreulich die Resultate seiner so gründlichen Beobachtungen. In 
den Bemühnngen, das große Publicum durch ihre widersprechenden 
Mittheilungen an die so „zudringlichen“ Journalisten zu verwirren, 
die eigene Person hiebei jedoch kräftig in den Vordergrund zu 
drängen, hat sich im Laufe dieser Woche eine Reihe von Aerzten, 
darunter leider auch akademische Titel führende Personen, hervor- 
gethan. Sie haben ihren Zweck erreicht, sie wurden genannt; 
was kümmert sie der traurige Eindruck, den ihr Benehmen auf ihre 
Standesgenossen macht? Wir werden sie bei nächster Gelegenheit 
wieder vielgeschäftig auf der Scene erblicken, die Kärrner, welche 
schweißtriefend ihre niedrige Arbeit versehen, wenn die Könige der 
Wissenschaft ein neues, stolzes Gebäude errichten. 


(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
Sitzung vom 14. November stellte Doc. Dr. Hochenkgg einen 
39jährigen Mann vor, der nach einem starken Hustenanfall einen 
plötzlichen Riß in der linken Bauchseite empfand, worauf eine 
Vorwölbung der linken Flankenseite sich einstellte. In den diese 
Vorwölbung bedeckenden Weichtheilen finden sich spangenför¬ 
mige Knochen; Oberhalb derselben zieht sich die ganze Gegend bei 
tiefer Inspiration ein und wölbt sich bei der Exspiration vor. Die 
Knochenspangen gehören den unteren (8.—12.) Rippen an. Zwischen 
der 7. und 8. Rippe besteht eine Diastase, die durch Ruptur 
zwischen den Rippen und den betreffenden Rippenknorpeln und 
Muskeln zu Stande gekommen ist. — Dr. Kovacs berichtete über 
einen Fall von Lungenödem nach Thoracocentese. Es 
handelt sich um eine 45jährige Frau, die mit einer Herzinsufficienz 
durch degenerative Veränderungen des Herzmuskels in Folge von 
dauernder Ueberanstrengung des Herzens und reichlichem Alkohol¬ 
genuß behaftet war, und bei der wegen der bedeutenden Flüssig¬ 
keitsansammlung in den Pleuren die Thoracocentese gemacht wurde. 
Kurz darauf bekam die Kranke Lungenödem. K. bespricht die verschie¬ 
denen Ansichten, die für das Zustandekommen des Lungenödems nach 
Thoracocentese gegeben wurden und hält die Herzschwäche für die 
plausibelste. Diese war auch im mitgetheilten Falle vorhanden und 
war bedingt durch totale Synechie des Pericards und schwielige 
Mediastinitis. An der Discussion betheiligen sich Prof. v. Basch, 
Prof. Kahler und Dr. Grossmann. — Dr. Koritschoner berichtete — 
nicht ganz zeitgemäß — über Versuche, die er mit Blausäure bei 
Lungenschwindsucht angestellt hat. Die Blausäure erzeugt wohl 
symptomatische Besserung, bat aber auf den tuberculösen Proceß keinen 
Einfluß. — In der gestrigen Sitzung dieser Gesellschaft referirte Dr. 
v. Eiselsberg über eine gelungene Transplantation einer 
malignen Geschwulst von einer Ratte auf die andere. In 
Narcose wurde zwei Ratten eine Oeffnung im Peritoneum gemacht, 
dann erst die mit einem Fibrosaroom behaftete Ratte narcotisirt, 
aus der Mitte der Geschwulst je ein linseugroßes Stück excidirt 
und in eine Falte des Mesenteriums eingenäht. Eines der Thiere 
blieb gesund. Nach 2 Monaten war beim anderen eine nußgroße 
Geschwulst nachweisbar. 5 Monate nach der Impfung ging das Thier 
zu Grunde; bei der Seotion fand sich ein höckeriger Tumor im 
Mesenterium. Für das Gelingen solcher Versuche sind zwei Be¬ 
dingungen nötbig: 1. muß immer dieselbe Thiergattung gebraucht 
werden; 2. muß das transplantirte Stück möglichst frisch sein. — 
Prof. Csokor berichtete über einen Fall von Botriomykosis. 
ln einer Milchdrüse eines Rindes fand er eine knollige Geschwulst¬ 
masse , die sich bei mikroskopischer Untersuchung als chronische 
disseminirte Mastitis erwies. Im Innern der Bindegewebswucherung 
fanden sich granulirte Körnchen, die sich als Bötriomyces erwiesen. 
Dieser Pilz nähert sich dem Actinomyces, er besteht aus Scheiben, 
von denen die mittleren klein sind, von denen aber einzelne hinaus¬ 
wuchern. Wenn man sie durch 3 Wochen in der feuchten Kammer 
züchtet, so bilden sich kolbenförmige Ausläufer, die in der Peripherie 
unregelmäßig werden und wieder Scheiben erzeugen. Bei Färbung 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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nach Gram erweist sich das Innere als aus coccenartigen Körpern 
bestehend, die in einer gelatinösen Masse liegen. Die Peripherie ist 
von einer doppelt contourirten Membran umgeben. Der Botriomyces 
wurde bis nun beim Pferde wiederholt, beim Rinde aber noch nicht 
gefunden. Er weist große Aehnlichkeit mit dem von Billroth be¬ 
schriebenen Ascococcus auf. Hofr. Billroth bestätigt diese Aehn¬ 
lichkeit ; er zweifelt, daß es sich um eine selbstständige Form handelt, 
sondern nimmt an, daß man es mit einer Zwischenform zu thun hat, 
deren Entwicklung noch unbekannt ist. 

(Das Wiener medicinische Doctoren-Collegium) 
hielt am 17. November eine wissenschaftliche Versammlung ab, in 
welcher Prof. Ludwig seine Vorträge über die Chemie des 
Blutes beendete. Der Vortragende beschäftigte sich zunächst mit 
der Gerinnung des BluteB. Dieselbe wird verhindert: 1. durch 
die lebende Gefäßwand; 2. wenn man Blut in gut gekühlte, dünn¬ 
wandige Glasgefäße auffängt; 3. durch Zusatz gewisser Substanzen 
(Glauber-, Bitter- oder Kochsalz, Zucker); 4. wenn man das Blut 
in ein mit flüssiger Vaseline eingeschmiertes Gefäß auffängt und Oel 
darüber gießt (Freund). L. bespricht ferner die Theorien der 
Blutgerinnung: 1. die von Alex. Schmidt, nach dem der Vorgang 
der Gerinnung ein fermentativer ist, bedingt durch die Wirkung 
eines Fermentes auf das Serumglobulin und Fibrinogen; 2. die 
von Wooldrige, nach dem das Lecithin und Verbindungen desselben 
mit Eiweißkörpern die Ursache für die Fibrinbildung abgeben; 
3. die von Freund, wonach die Gerinnung unter Bildung von 
Phosphaten eintritt. — Schließlich bespricht L. die pathologischen 
Befunde im Blute: die Veränderung des Verhältnisses zwischen Kali- 
und Natronsalzen bei Tuberculose (Freund) ; Leucin und Thyrosin 
bei acuter gelber Leberatrophie; Aceton im Fieber (Jaksch) ; Zucker 
bei Carcinom (Freund) ; Methämoglobin nach gewissen Medicamenten ; 
Pepton bei Leukämie und Sarcomatose; Cellulose bei Tuberculose 
(Freund). 

(Aus Prag) wird uns berichtet: Die feierliche Installation 
des k. russischen Staatsrathes Prof. Dr. Vladimir Tomsa zum 
Rector magnif. der czechischen Carolo-Ferdinandei- 
schen Universität in Prag hat am 7. d. M. in üblicher Weise 
stattgefunden. In seinem Berichte über das abgelaufene Studienjahr 
hob der abtretende Rector, Prof. Dr. TaliR, mit besonderer Genug- 
thuung die nach langjährigen vergeblichen Bemühungen endlich voll¬ 
zogene Activirung der czechischen theologischen Facultät hervor. 
Durch diese Thatsache sei die czechische Universität eine complete 
Universitas litterarum geworden, und wenn sie trotz ihrer bisherigen 
Unvollständigkeit in Bezug auf die Zahl der Hörer unter den öster¬ 
reichischen Universitäten die zweite und nach der Wiener die erste 
Stelle einnahm, so werde erst jetzt der Besuch derselben zu Gunsten 
der czechischen Nationalität auf das rechte, correcte und gerechte 
Maß gebracht werden, so daß sie den best frequentirten Universitäten 
Europas werde an die Seite gestellt werden können und schon da¬ 
durch der schlagendste Beweis ihrer Berechtigung erbracht sein 
werde. Leider müsse aber bis jetzt die czechische Universität noch 
mancher unumgänglich nöthigen materiellen Mittel entbehren. So 
seien an der philosophischen Facultät die naturwissenschaftlichen 
Institute in verschiedenen Häusern und in gemietheten, ganz unzwek- 
mäßigen Localen untergebracht, an der medicinischen fehlen noch 
manche dringend nöthige Einrichtungen zur gründlichen Ausbildung 
der Mediciner für ihren schweren und verantwortlichen Beruf, die 
Räumlichkeiten für die juridische seien noch immer in einem bau¬ 
fälligen und zu Unterrichtszwecken ganz ungeeigneten Gebäude 
untergebracht. Was den Besuch anbelangt, so zählte die Universität 
im ersten Semester 2528 und im zweiten 2167 Hörer; die geringere 
Frequenz gegen das Vorjahr und des Sommersemesters gegen daß 
Wintersemester hat ihren Grund in den neuen Wehrgesetzbestim¬ 
mungen. Die größte Zahl der Hörer stammte aus Böhmen, die 
nächstgrößte — 217 — aus Mähren. Strenge Prüfungen wurden 
607 abgehalten, 198 Studirende wurden zu Doctoren promovirt, 
darunter 99 Mediciner. — Nach geleisteter Angelobung hielt 
der neue Rector einen Vortrag über den Einfluß der medici¬ 
nischen Gesammtwissenschaft auf die Entwicklung 
unserer physiologischen Kenntnisse. 

(Statistik.) Vom 8. bis inclusive 15. November 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4506 Personen behandelt. Hievon wurden 799 


entlassen; 87 sind gestorben (9‘82°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 66, egyptischer Augenentztindung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphns 5, Dysenterie —, Blattern 46, Varicellen 99, Scharlach 59, 
Masern 226, Keuchhusten 34, Wundrothlauf 32. Wochenbettfleber 8- — In 
der 46. Jahreswoche sind in Wien 331 Personen gestorben (+9 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Linz der Leiter des 
dortigen Garnisonsspitales, Oberstabsarzt Dr. Theodor Fischer; 
in Meran der Director der Provinzial Irrenanstalt in Wehlau, Dr. 
Wähner. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 

Eingesendet. 

Dr.med. J. von TYMOWSKI 

prakticirt während der Wintersaison in 

Nizza, 31 Boulevard Dubouchage. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Im Kaiser Franz Josef-Krankenhause in Rndolfsheim 

ist. die Stelle eines Primararztes der medicinischen Abtheilung zn besetzen, 
mit welcher ein Gehalt von 1200 fl. ö. W. mit drei QuinquennalZulagen von 
je 200 fl. nnd Pensionsberechtigung verbunden ist. Bewerber mit specieller 
kliiischer Ausbildung für dieses Fach werden bevorzugt. Die bezüglichen, 
mit Beilagen versehenen Gesuche sind an die Verwaltungskanzlei des Kaiser 
Franz Josef - Krankenhauses in Rndolfsheim bis 10. December 1890 ein- 
zusenden. 

Curatorium des Kaiser Franz Josef-Krankenhauses in 
Rudolfsheim 

am 15. November 1890. 

Obmann-Stellvertreter: Holocher. 


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Nr. 48. 


Sonntag den 30. November 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die «Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 3 Bogen Grose-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage. aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die «Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von I 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- nnd Insertions- 
aofträge sind an die Administration der „Media. Presse" 
ln Wien, I., Maximilian Strasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und «Wiener . Klinik “ 
Inland: Jährl. 10 fl., halhj. 5 fl., viertelj. 8 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24 Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--«ÜB- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Sehwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Ueber die Heilung der Tnbercnlose mit specieller Berücksichtigung der neuen Methode von R. Koch. 

Von Prof. Dr. Hükppk in Prag. — Aus der Abtheilung für äußerlich Kranke im königl. Charitfekraukenhauae in Berlin. Ueber die Versuche mit 
dem von Koch gegen Tuberculose empfohlenen Mittel. Von Oberstabsarzt Dr. R. Köhlrb und Stabsarzt Dr. Westphal. — Aus der Klinik des 
Prof. v. Ko ra myi in Budapest. Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers von verschiedener Temperatur und Menge auf das gesunde und kranke 
Herz. Von Dr. Mobiz Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. 2. Die Wirkung des während 24 Stunden im Magen aufgenommenen Wassers von 
verschiedener Menge auf die Harnausscheidung. — Referate und literarische Anzeigen. J. A. Amann jun. (München): Einige Versuche mit 
dem elektrischen Schröpfkopf. — Kabbwski (Berlin): Ueber Operationen an paralytischen Gelenken. — Neuere zahnärztliche Literatur. — Kleine 
Mittheilnngen. Experimentelle Untersuchungen über Transplantation der Schleimhäute. — Ein Fall von Heilung von Pterygium mit Qaeck- 
silberlanolin. — Ein tödtlich endender Fall von Sulfonalvergiftung. — Ueber die Chloroformbehandlnng des Typhus. — Die Behandlung der 
Enuresis. — Zur Ichthyolbehandlung bei Frauenkrankheiten. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin. (Orig.-Ber.) — Verein der Chariti-Aerzte in Berlin. (Orig.-Ber.) — 
Verein der Aerzte in Steiermark. (Orig.-Ber.) — Notizen. Robkbt Koch’s Behandlung der Tuberculose. — Eingesendet. — Literatur. — 
Aentliche Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen 

Ueber Heilung der Tuberculose 

mit 

specieller Berücksichtigung der neuen Methode von B. Koch. 

Von Prof. Dr. Hneppe in Prag.*) 

Seitdem die Medicin, den Impulsen Vjrchow’s folgend, 
sich in streng naturwissenschaftlichem Rahmen bewegt, ist die 
Kritik die selbstverständliche Voraussetzung jeder wissen¬ 
schaftlichen Leistung, besonders wenn es sich um die Anwendung 
einer Methode oder eines Mittels für Heilzwecke handelt. 
Merkwürdigerweise begegnen wir der neuen epochalen Ent¬ 
deckung Koch’s gegenüber einem vollständigen Mangel aller 
sachlichen Beurtheilung, nnd von der überschwänglichen Lob¬ 
preisung auf der einen und der kritiklosen Auffassung auf 
der anderen Seite sticht sehr wohlthuend die Selbstkritik und 
die Zurückhaltung Koch’s selbst ab. 

Seitens der Laien ist der Enthusiasmus wohl zu begreifen, 
weil bis jetzt die Tuberculose im Allgemeinen für eine un¬ 
heilbare Krankheit galt, von Seite der Aerzte ist dieser nur 
verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Koch ein 
Mittel versprochen hat, welches sich ganz einfach ver¬ 
schreiben und ganz bequem anwenden läßt. Hätte Koch von 
einer Methode gesprochen, welche anatomische, physiologische 
oder hygienische Kenntnisse voraussetzt, so würde für eine 
solche nie die Begeisterung, wie für ein einfaches Mittel, her¬ 
vorgerufen worden sein, und doch ist das KocH’sche Mittel 
nur Theil einer Methode, die ziemlich gründliche Kenntnisse 
und Studien erfordert. 

Durch Entdeckung des Tuberkelbacillus hatte Koch die 
Möglichkeit gewonnen, Krankheiten unter einem gemeinsamen 
Gesichtspunkte zu ordnen, die man früher theilweise nicht 
für zusammengehörig gehalten hatte; denn nachdem für 
Phthisis, Scrophulose, Lupus, Perlsucht ein identischer Krank¬ 
heitserreger nachgewiesen wurde, so schien auch die Identität 

*) Vortrag, gehalten im k. k. hygienischen Institute in Prag am 20. No¬ 
vember 1890. — Original-Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


dieser Krankheitsprocesse erbracht. Später lernte man dies¬ 
bezüglich kleine Abweichungen kennen, und man ist zur Ein¬ 
sicht gekommen, daß der Verlauf und der Charakter der 
Krankheit nicht allein von den erregenden Bacterien, sondern 
auch von der Natur und Art des befallenen Organismus ab¬ 
hängig ist. So habe ich vor einiger Zeit auf kleine Differenzen 
der Organismen der Perl sucht gegenüber denen anderer tuber- 
culöser Processe aufmerksam gemacht, und Koch selbst hat 
Differenzen der Organismen der Hühnertuberculose kennen 
gelehrt. Wir wissen ferner, daß die Organismen dem Nähr¬ 
boden angepaßt sind oder sich anpassen können, daß daher 
der Nährboden eine wichtige Rolle beim Zustandekommen des 
tuberculösen Processes spielt; wir nennen das summarisch 
Disposition einer Art, einer Rasse, eines Individuums. Diese 
D sposition kann angeboren oder erworben sein, sie kann sich 
schon im äußeren Ansehen zeigen, oder sie betrifft nur Eigen¬ 
schaften gewisser Organe oder Gewebe, sie kann allgemein 
oder auf gewisse Organe beschränkt sein, und so differenzirt 
sich je nach der örtlichen oder allgemeinen Disposition der 
Verlauf der Tuberculose, Scrophulose und des Lupus.' So ist 
thatsächlich trotz der Identität des Infectionserregers die 
Tuberculose nicht einmal in ihren verschie lenen Stadien als 
gleichgestaltet zu betrachten, um wie viel weniger der viel¬ 
gestaltige Proceß der Lungenschwindsucht des erwachsenen 
Menschen. Alle diese Dinge spielen auch bei der Heilung eine 
wichtige Rolle, und die Chirurgen haben schon seit langer 
Zeit mit dem Messer oder scharfen Löffel gewisse Formen der 
Tuberculose erfolgreich bekämpft. 

Aber auch die Heilbarkeit der Lungentuberculose ist 
seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angezweifelt und be¬ 
sonders von Brehmer an überreichem Materiale bewiesen worden. 
So werden in den nach Brehmer’s Methode geleiteten Sana¬ 
torien selbst bei den schwersten Fällen noch einige Procente 
Heilungen erzielt, im Durchschnitte ohne Rücksicht auf die 
Schwere der Fälle gegen 33 0 * und bei genügend frühzeitigem 
Eintritte in die streng klinisch-hygienische Behandlung steigt 
sogar der Procentsatz der Geheilten auf 50°/o und darüber. 

Zu diesen beiden Methoden, der operativen Entfernung 
tuberculös entarteter Gewebe und der klinisch-hygienischen, 


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auf Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Organismus ge¬ 
richteten hat nunmehr Koch eine specifische hinzugefügt, 
welche aber nur gegen das tuberculöse Gewebe und nicht 
gegen die Tuberkelbacillen selbst gerichtet ist, so daß eine 
Methode, welche die Krankheitserreger selbst zu vernichten 
im Stande ist, noch zu erforschen ist. Diese epochale Ent¬ 
deckung ist nicht einem bloßen Zufalle zu verdanken, sondern 
ist die Frucht jahrelanger Studien und Forschungen, bei 
welchen aber Koch nach und nach von jenen Absichten ab¬ 
ging, welche er selbst in die Wissenschaft einführte, und 
andere, von ihm früher auf das Lebhafteste bekämpfte, zu 
den seinigen machte. Während Koch früher von der Idee aus¬ 
ging, welche er noch auf dem letzten Berliner Congresse ver¬ 
trat, daß zur inneren Heilung nur solche Mittel heranzuziehen 
seien, welche die Parasiten auch außerhalb des Organismus zu 
vernichten im Stande sind, ist sein Mittel, wie er ausdrücklich 
hervorhebt, gegen das tuberculöse Gewebe und nicht gegen 
die Tuberkelbacillen gerichtet. Während Koch früher die 
Schutzimpfungen Pasteuk’s energisch bekämpft hatte, hat er 
jetzt das von diesem Forscher bei der Hundswuth eingeführte 
Verfahren der Heilimpfungen vollständig angenommen. Hiezu 
kam noch die Ermittlung, daß die Mikrobeü bei ihrem Lebens- 
vorgange aus den Eiweißkörpern Gifte abspalten, welche, in 
geringen Mengen dem thierischen Organismus einverleibt, bald 
tödten, bald wieder Schutzkraft verleihen, und von diesen 
verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend kam er zur Dar¬ 
stellung eines Körpers, der als specifisches Stoffwechselproduct 
der Tuberkelbacillen auch specifische Wirkungen entfaltet. 

Es frägt sich nun, was können wirvonKocH’s 
Mittel erwarten? 

Zweifellos gestattet dieses Mittel eine Sicherheit der 
Diagnose und ein frühes Erkennen der Krankheit, wie solches 
bisher nicht möglich gewesen ist. Als specifisch gegen die 
Tuberkel gerichtet muß das Mittel unbedingt in jedem Falle 
von Tuberculöse zur Wirkung gelangen, und auf ähnliche 
Weise, wie man in zweifelhaften Fällen ex juvantibus die 
Diagnose auf Syphilis sicherstellt, wird auch durch das Koch- 
sche Mittel in zweifelhaften Fällen von Tuberculöse die Dia¬ 
gnose gemacht werden können. 

Weil das Mittel ferner gegen die kleinsten Tuberkel 
seine Wirkung entfaltet, stößt es alles tuberculöse Gewebe 
bei richtigem und genügend intensivem Gebrauche ab, und 
dadurch wird in allen der Operation zugänglichen Fällen die 
Sicherheit der Entfernung ailer krankhaften Theile gegeben. 
Solche Affectionen sind in erster Reihe die ganz offen ver¬ 
laufenden Processe, wie Lupus und Tuberculöse der Haut, 
dann die nahe der Oberfläche verlaufenden und die nächsten 
Drüsenpackete nicht überschreitenden, wie Gelenks- und 
Knochentuberculose der Extremitäten, Leichentuberkel, Scro- 
phulose. Bei der ebenfalls einem operativen Eingriffe von 
außen zugänglichen Tuberculöse des Kehlkopfes ist an die 
Möglichkeit zu denken, daß bei der heftigen Reaction der 
Gewebe auf das Mittel der Reiz bis zum vorübergehenden 
Verschlüsse der Luftröhre, also bis zur Erstickungsgefahr, sich 
steigern kann, gegen welche jedoch dem Arzte Mittel zur 
Verfügung stehen. Obgleich nun alle diese genannten Affec¬ 
tionen bisher bereits in vielen Fällen der Heilung zugänglich 
waren, so hat doch das neue Mittel die älteren Methoden 
theils ganz überholt, theils sicherer und milder gestaltet, und 
der Fortschritt wäre auch dann schon ein ganz ungeheuerer, 
wenn es auch sonst nichts weiter leisten sollte. 

Auch bei der acuten Miliartuberculose, die bisher für 
absolut unheilbar gehalten wurde, läßt sich vielleicht bei der 
rompten Wirkung dieses Mittels ein möglicher Erfolg er- 
offen. 

Die Lungentuberculose, die eigentliche Schwindsucht, ist 
bekanntlich keine reine Tuberculöse mehr, sondern eine so¬ 
genannte Mischinfection, bei der sich zur Tuberculöse die 
Eiterung und Einschmelzung des Lungengewebes hinzugesellt. 
Früher bekämpfte man die excessiven Eiterungen durch In¬ 


halationen von Terpentin, Kreosot u. s. w. oft ganz günstig 
und brachte sie darum zuweilen zum Stillstand. Mit Koch’s 
Mittel dürfte es möglich sein, die reactive Abstoßung der 
Tuberkel in früheren Stadien einzuleiten und dadurch die 
Lunge selbst gegen zu weit gehende Eiterung zu schützen. 

Immerhin ist jedoch festzuhalten, daß die Lungenschwind¬ 
sucht, wie Koch selbst richtig erkannt und warnend bemerkt 
hatte, nur an Orten behandelt werden sollte, welche sämmt- 
liche Heilfactoren einer klinisch-hygienischen Heilmethode 
bieten, wie dies in Sanatorien der Fall ist. Aus diesem 
Grunde muß es als der größte Unfug betrachtet werden, daß 
Phthisiker, die in Sanatorien gehören, massenhaft nach Berlin 
strömen, wo sie unter den für solche Kranke ungünstigsten 
Bedingungen existiren müssen. Hoffentlich hat dieser Unfug 
mit seinen unausbleiblich schlechten Nachwirkungen nicht den 
Erfolg, das Gute der neuen Methode zu discreditiren! 

Bei dem Umstande, daß durch Koch ’s Methode die Tuberkel¬ 
bacillen nicht getödtet werden, besteht die Gefahr, daß beim 
Abstoßen der Massen eine neuerliche Infection stattfindet. 
Dieser Gefahr suchte die ältere Methode durch Erhöhung der 
Widerstandsfähigkeit des ganzen Körpers und speciell der 
Lungen zu begegnen. Möglich daß das KocH’sche Mittel, wie 
aus den Thierversuchen zu schließen ist, dem Körper eine 
gewisse Schutzkraft verleiht. 

Vermag auch das KocH’sche Mittel in dem einen oder dem 
anderen Punkte den gehegten — überspannten — Erwartungen 
nicht zu entsprechen, so ist dasselbe jedenfalls eine der be¬ 
deutendsten Errungenschaften der neueren Medicin, voraus¬ 
gesetzt, daß es nicht einseitig angewendet, sondern dabei 
immer den Forderungen der Hygiene Rechnung getragen wird. 
Aus der neuen Entdecknng Koch’s erwächst für den praktischen 
Arzt die Lehre, mehr als es bisher der Fall war, das Augen¬ 
werk den praktischen Naturwissenschaften, wie Physiologie, 
Chemie, Hygiene u. s. w., zuzuwenden, da es nur dadurch 
möglich ist, mit der Wissenschaft fortzuschreiten und die neue 
Errungenschaft richtig anzuwenden. 

Die zweite Lehre, die daraus zu ziehen ist, betrifft die 
Behörden. Der Forscher kann nur dann seinen Arbeiten sich 
voll und ganz widmen, wenn ihm vom Staate die Mittel zur 
Verfügung gestellt werden, welche er zur Ausführung seiner 
Untersuchungen unbedingt benöthigt. Sehen wir uns die Ver¬ 
hältnisse in Deutschland und Frankreich an, mit welchen 
Dotationen dort die wissenschaftlichen Institute und die an 
denselben wirkenden Forscher bedacht sind, und vergleichen 
wir hiemit die kärglichen Subventionen bei uns in Oesterreich, 
so werden wir uns nicht wundern, wenn wir hier nicht gleichen 
Schritt mit jenen zu halten im Stande sind. Mit 600 fl. jähr¬ 
licher Dotation lassen sich Untersuchungen, wie die von Koch 
gemachten, nicht ausführen. 


Aus der Abtheilung für ttusserlich Kranke im 
königl. Charitekrankenhause in Berlin . 

Ueber die Versuche mit dem von Koch gegen 
Tuberculöse empfohlenen Mittel. 

Vom Oberstabsarzt Dr. R. Köhler und Stabsarzt Dr. Westph&L*) 

Seit dem 11. October dieses Jahres sind auf der Neben¬ 
abtheilung der BARDELKBEN’schen Klinik an folgenden Fällen 
mit dem von Geheimrath Koch gegen Tuberculöse empfohlenen 
Mittel Versuche angestellt und bis jetzt fortgesetzt worden. 
Die Versuche hatten 12 Kranke der Abtheilung zum Gegen¬ 
stand, und zwar: 

1. Den 28jährigen T heiss (Lupus des Gesichtes). 

2. Die 20jährige Thon (Lupus des Gesichtes). 

3. Die 20jährige Borgwardt (rheumatische Fußgelenks¬ 
entzündung, tuberculöse Narbe am Halse). 

*) Vorliegende, in Nr. 47 der „Deutschen med. Wochenschrift“ publi- 
cirte Arbeit ist die erste, welche die Effecte der Kocn’schen Injectionen an 
der Hand ausführlicher Krankengeschichten erörtert. 


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1893 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


1894 


4. Die 21jährige Gutschmidt (tuberculöse Narben am 
Halse). 

5. Die 18jährige Spicbalski (tuberculöse Fußgelenksent¬ 
zündung). 

6. Die 18jährige Friedrich (tuberculöse Kniegelenksent¬ 
zündung). 

7. Die 20jährige Kulzer (Spina ventosa des linken Mittel¬ 
fingers). 

8. Den 11jährigen Kramer (Narben und Fistel am Ober¬ 
schenkel ). 

9. Den 48jährigen Reek (Narben am Knie nach Resection 
desselben). 

10. Den 39jährigen Wangenheim (Brandnarbe des rechten 
Armes). 

11. Den 21jährigen Raschig (Unterschenkelgeschwür). 

12. Den 19jährigen Fuss (Schnittwunde). 

In den meisten Fällen wurde eine l°/ 0 ige Verdünnung 
des KocH’schen Mittels mit destillirtem Wasser, in einigen 
wenigen eine solche mit 0 - 5%iger Carbollösung angewandt. 
Dieses Mittel stellt in der angegebenen Verdünnung eine 
wässerige, hellgelbe, geruchlose, bezw. schwach nach Carbol- 
säure riechende Flüssigkeit dar, welche mittelst der KocH’schen 
Spritze subcutan in den Rücken, bei Erkrankungen der Gelenke, 
sowie bei den nicht tuberculösen Narben und Wunden, aber 
auch in deren nächste Umgebung injicirt wurde. Die wässerige 
Lösung des Mittels wurde behufs Verhütung einer Trübung 
täglich nach den Injectionen einmal erhitzt und die Kocu’sche 
Spritze vor und nach jedesmaligem Gebrauch mittelst absoluten 
Alkohols desinfieirt. Die Technik der Einspritzung unterscheidet 
sich in nichts von der gewöhnlichen subcutanen Injection. I >ie 
Injectionen wurden im October von Stabsarzt Dr. Pfuhl, im 
November von uns ausgeführt. 

In vier Fällen wurde mit der Injection von OT Ccm. des 
1 °/ 0 igen Mittels begonnen und die Menge successive bis 1 Ccm. 
gesteigert, viermal wurde beim ersten Mal PO Ccm., einmal 
0*2, zweimal 0.3 und einmal 0*5 Ccm. eingespritzt. Ueber die 
Dosis von 10 wurde nicht hinausgegangen. Die bei den ein¬ 
zelnen Kranken im Ganzen verbrauchten Quantitäten vertheilen 
sich folgendermaßen: 

1. Friedrich 6*2 Ccm. der l°/ 0 igen Lösung = 0*062 des 
reinen Mittels. 

2. Thon 5*8 Ccm. der 1°/ O igon Lösung = 0*058 des reinen 
Mittels. 

3. Spicbalski 4*9 Ccm. der l°/ 0 igen Lösung = 0*049 des 
reinen Mittels. 

4. Th ei ss 4*0 Ccm. der l°/ 0 igen Lösung = 0*04 des reinen 
Mittels. 

5. Gutschmidt 2*1 Ccm. der l%igen Lösung = 0*021 des 
reinen Mittels. 

6. Kramer 2*1 Ccm. der l%igen Lösung = 0*021 des 
reinen Mittels. 

7. Borgwardt 2*0 Ccm. der l%igen Lösung = 0*02 des 
reinen Mittels. 

8. Kulzer 0*8 Ccm. der leigen Lösung = 0*008 des 
reinen Mittels. 

Die Injection selbst verursachte keine anderen Empfindun¬ 
gen, als die eines schwachen Nadelstiches, mit Ausnahme eines 
Falles (Friedrich), in welchem das Eindringen der Flüssig¬ 
keit in’s subcutane Gewebe lebhafte Schmerzen hervorrief, 
welche jedoch nach wenigen Minuten wieder verschwunden 
waren. Dagegen wird von den Patienten übereinstimmend 
angegeben, daß einige Zeit, etwa eine halbe Stunde nach der 
Injection, ein in geringem Grade schmerzhaftes Gefühl an der 
Injectionsstelle sich bemerkbar mache, und daß letztere während 
der nächsten 24 Stunden gegen Druck empfindlich sei. Während 
nach den Injectionen am Rücken, selbst bei den größten Dosen, 
abgesehen von der erwähnten Empfindlichkeit, keine Verände¬ 
rungen der Haut zur Beobachtung kamen, wurde zuweilen in 
der Gegend dicht unterhalb der Kniescheibe die Injectiuns- 
stelle und deren Umgebung roth, schmerzhaft und schwoll in 


mäßigem Grade an, ebenso wie bei den Einspritzungen auf 
dem Fußrücken, in welchem Falle zweimal die Röthung und 
Schwellung von der Injectionsstelle aus sich sogar über den 
ganzen Fußrücken verbreitete. Diese Erscheinungen, welche 
nach Einspritzungen an der oberen Extremität (am Finger) 
nicht zur Beobachtung kamen, waren jedoch nach 24 Stunden 
fast gänzlich wieder verschwunden. In keinem Falle traten 
an der Injectionsstelle unangenehme Folgen. wie Absceßbil- 
dung oder Necrose, ein. Augenscheinlich hatte die Menge der 
injicirten Flüssigkeit auf diese Begleit- und Folgeerscheinungen 
der Injection an der betreffenden Stelle leinen Einfluß, die 
erwähnten Veränderungen der Haut am Kniegelenk und am 
Fuß traten jedoch nach Einspritzung von 1*0 bezw. 0*6 und 
0*3 Ccm. nicht constant ein. 

Die Injection ist daher fast schmerzlos und nur von einer 
geringen localen Reaction begleitet. 

An 4 Kranken, bei welchen Tuberculöse mit Sicherheit 
ausgeschlossen werden konnte, wurden Versuche angestellt, 
um über eine etwa sich zeigende Einwirkung des Mittels auf 
Wunden, Geschwüre und Narben, welche zur Tuberculöse in 
keiner Beziehung standen, ein Urtheil zu gewinnen. Diese 
Versuche fielen negativ aus. Am 25 October wurde bei zwei 
jungen Männern, von denen der eine ein Unterschenkelgeschwür, 
der andere eine in der Vernarbung begriffene Schnittwunde 
an der Hand hatte, 1*0 Ccm. der wässerigen Lösung in den 
Rücken injicirt, und am 12. November erhielt ein Mann mit 
einer fast den ganzen Arm einnehmenden Verbrennungsnarbe, 
in deren Mitte sich eine gut granulirende Wunde von 11 Cm. 
Länge und 6 Cm. Breite befand, 0*3 Ccm. der mit 0*5°/ 0 iger 
Carbolsäure verdünnten Lösung in den Rücken, und ein vierter 
Mann mit zwei unterhalb der rechten Kniescheibengegend lie¬ 
genden, bogenförmigen, die beiden Condylen des Oberschenkels 
verbindenden Narben von 16 Cm. Länge und 0*5 Cm. Breite, 
welche von einer Resection des Kniegelenks im December 1888 
herrührten (Reek), 0*3 Ccm. derselben Flüssigkeit dicht unter¬ 
halb der Narbe eingespritzt. 

Bei diesen Leuten stellten sich an demselben Abend Ein¬ 
genommensein des Kopfes und Kopfschmerzen ein, welche die 
Nacht hindurch bis zum nächsten Morgen anhielten. Bei dem 
Manne mit der großen Verbrennungsnarbe kam an dem Tage 
der Injection um 8 Uhr Abends ein Frostanfall zur Beobach¬ 
tung, nach welchem die Temperatur bis 38*6 stieg. Nachdem 
Patient sehr unruhig geschlafen hatte, betrug am nächstfol¬ 
genden Tage die Temperatur um 7 Uhr 38*3, Abends 38*5, 
und war am nächstfolgenden Morgen normal. Daneben be¬ 
standen während der Fieber zeit ziemlich starke Kopfschmerzen, 
Gliederschmerzen und Appetitlosigkeit. 

Auch bei dem Fall Reek trat nach vorherigem Wohl¬ 
befinden am 12. November, dem Tage der Injection, eine 
etwas erhöhte Temperatur und Nachts Frösteln und Kopf¬ 
schmerz auf. Am 14. betrug jedoch die Morgentemperatnr 
wieder 36*7, während bei nicht belegter Zunge die Appetit¬ 
losigkeit fortbestand. An der Injectionsstelle fand sich eine 
rothe, infiltrirte Stelle, welche im Laufe des Tages verschwand. 
Eine Veränderung der Narben und Wun en, bezw. deren Um¬ 
gebung wurde nicht beobachtet. Auch bei dem mit Lupus 
behafteten Theiss trat bei einer von einem Unterschenkel - 
geschwür herrührenden Narbe keine Veränderung auf. Das 
Mittel kann daher auch bei nicht Tuberculösen allgemeine 
Symptome hervorrufen, verhält sich aber gegen Wunden und 
Narben nicht tuberculösen Ursprunges ganz indifferent. In 
differential-diagnostischer Beziehung ist dieser Umstand von 
großer Wichtigkeit 1 ), denn die locale Wirkung bleibt bei 
chirurgischer Tuberculöse niemals aus. 

Wir wenden uns jetzt zu den mit tuberculösen Affec- 
tionen behafteten Patienten, bei welchen die Injection meistens 


‘) Die Krankengeschichten der erwähnten vier nicht tnbercnlösen 
Kranken sind, weil für unseren Zweck belanglos, nicht weiter in extenso 
mitgetheilt; aus demselben Grunde sind diese Kranken bei der oben statt- 
gefundeneu Bcrcchnu-g der verabre chion Dosen des Milfels nicht berücksichtigt. 

1 * 


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zwischen 9 und 10 Uhr Morgens und nur zuweilen zwischen 
4 und 5 Uhr Nachmittags gemacht wurde. Bei Allen trat 
einige Zeit nach der Einspritzung Fieber auf; nur einige 
Male blieb, worauf wir später zurückkommen werden, dasselbe 
nach der Injection aus. 

In den meisten Fällen wurde das Fieber durch einen 
Frost eingeleitet, welcher gewöhnlich Nachmittags gegen 
4 Uhr, also etwa 6 Stunden nach der Einspritzung, sich ein¬ 
stellte. Bei dem mit Lupus behafteten Theiss, welchem 
jedes Mal TO Ccm. injicirt wurde, begann derselbe schon 
nach 3—4 Stunden. Dieser Frostanfall bestand bald in einem 
wirklichen Schüttelfrost, bald nur in einem Frösteln, dauerte 
bei den verschiedenen Kranken 1 ; 8 bis 1 Stunde und war von 
Hitzegefühl gefolgt. Der Frostanfall, welcher die Kräfte der 
Kranken auffallend wenig absorbirte, zeigte sich bei einigen 
Patienten, z. B. Gutschmidt, Friedrich, Theiss. regel¬ 
mäßig nach jeder Einspritzung, fehlte bei Spichalski und 
Borgwardt einige Male trotz eintretenden Fiebers und kam 
in dem Falle Kulzer überhaupt nicht zur Beobachtung. 
Sehr selten blieb die erwartete Temperatursteigerung trotz 
des deutlichen Frostanfalles aus. 

Der Verlauf des Fiebers, resp. der Temperatursteigerung 
war bei den verschiedenen Patienten nicht vollkommen gleich. 

Bei dem mit Lupus nasi behafteten Theiss, welchem 
viermal PO Ccm. injicirt worden war, erreichte die Tempe¬ 
ratur innerhalb 6— S Stunden das Maximum, welches beim 
ersten Mal 39 6, beim zweiten Mal 40’2, beim dritten Mal 
40 0 und beim vierten Mal 39 8 betrag. Bei den beiden ersten 
Fieberanfällen vollzog sich der Abfall der Temperatur in der 
Weise, daß dieselbe bald nach Erreichuug des Maximums bis 
zum anderen Morgen um 16, bezw. 18 Zehntelgrade sank, um 
darauf wieder eine Exacerbation von 9, bezw. 5 Zehntelgrade 
zu machen, und in der darauffolgenden Nacht definitiv bis zur 
normalen zu fallen. Bei den beiden letzten Anfällen sank die 
Temperatur schon in der auf die Injection folgenden Nacht 
ununterbrochen bis unter die Norm. Dementsprechend wurde 
die Dauer des Fiebers bei jedem neuen Anfall kürzer, und 
zwar betrug sie das erste Mal ungefähr 30 Stunden, das zweite 
Mal etwa 24, das dritte und vierte Mal weniger als 18, bezw. 
15 Stunden. Es hat aber ferner auch den Anschein, als ob 
nach jeder wiederholten Injection das Maximum früher er¬ 
reicht wurde, denn die Fiebercurve war beim ersten Fieber¬ 
anfall innerhalb 8 Stunden, bei den folgenden innerhalb 77a. 
6 6 Stunden bis zu ihrem Gipfel emporgestiegen. 

In dem zweiten Fall von Lupus des Gesichtes (Thon) 
wurden dem Mädchen vom 11. bis 16. October nacheinander 
OT, 0’2, 0’3, 0’5, 0’7, und dann erst wieder am 1., 3., 8. und 
10. November je l’O Ccm. injicirt. Die Temperatur stieg hier 
ebenfalls am Tage der Einspritzung bis zu einem Maximum in 
die Höhe und fiel in der darauffolgenden Nacht wieder bis 
zur Norm oder unter dieselbe. Die an den verschiedenen Tagen 
erreichten Maxima waren jedoch von einander sehr verschieden. 

Während der ötägigen Periode vom 11. bis 16. October, 
in der eine allmälige Steigerung der injicirten Dosis vorge¬ 
nommen wurde, war das Maximum der Temperatur am 12. 
und 16. October 38 5, am 15. October 38 0, am 13. und 
14. October nur 37 4, und am 11. October nach der ersten 
Einspritzung von 0’1 Ccm. stieg die Temperatur nicht über 
37‘2. In dem Zeitabschnitt, wo die angewandte Dosis PO Ccm. 
betrug, war das Maximum am 1. November 39 0, am 3. No¬ 
vember 38’3, und am 8. November trat nach Injection von 
PO Ccm. keine Temperatursteigerung mehr ein. 

Dem verhältnißmäßig geringen Fieber der Patientin ent¬ 
sprach die vergleichsweise geringe Reaction des Lupus im 
Gesicht auf die Einspritzungen. 

Die Temperaturverhältnisse bei den Kranken Friedrich 
(t.uberculöses Kniegelenk), Spichalsky (tuberculöses F uß- 
gelenk:, Borgwardt (tubereulöse Narbe am Halse und Fu߬ 
gelenksentzündung) zeigten ein ähnliches Verhalten, wie in den 
beiden oben beschriebenen Fällen. Die Temperatur erreichte 


am Abend nach der Injection ihr Maximum, um während der 
Nacht bis zur Norm oder unter dieselbe zu fallen. Zuweilen 
kam es vor, daß am Tage nach der Injection, wenn dieselbe 
nicht wiederholt worden war, eine geringe Temperatursteige¬ 
rung auftrat. Die höchste Temperatur, welche bei diesen 
Kranken nach der Einspritzung beobachtet wurde, war 40'2. 

Bei der Patientin S p i c h a 1 s k y fanden wir, daß jedes¬ 
mal, wenn hintereinander dieselbe Dosis eingespritzt worden 
war, das nach Wiederholung der gleichen Dosis aufgetretene 
Fieber geringer war, als beim vorigen Mal. Ferner stellte 
sich heraus, daß eine Vermehrung der injicirten Dosis keines¬ 
wegs immer eine entsprechend höhere Steigerung der Tempe¬ 
ratur zur Folge hatte; denn bei derselben Kranken stieg nach 
Einspritzung von 0‘3 Ccm. die Temperatur auf 40’2, 13 Tage 
später nach Injection von 0'6 Ccm. nur auf 37’6. Dagegen 
trat am 13. November nach Injection von PO Ccm. eine Tem¬ 
peraturerhöhung bis 38'9 auf. Aehnliche Beobachtungen hin¬ 
sichtlich der ungleichen Wirkung des Mittels auf die Tempe¬ 
ratursteigerung wurden auch bei anderen Kranken gemacht. 

Während in den erwähnten Fällen das Fieber in der 
Regel nicht 24 Stunden lang dauerte, verlief es bei dem 
Dienstmädchen Gutschmidt, welches am Halse nach Drüsen¬ 
exstirpationen zurückgebliebene Narben besitzt, in der Weise, 
daß nach einmaliger Einspritzung von l - 0 Ccm. die Tempe¬ 
ratur an demselben Abend bis auf 39*6 stieg und dann 
während der folgenden 4 Tage staffelförmig bis zur Norm abfiel. 

Während nach der Injection bis zum Eintritt des Frostes 
das Wohlbefinden der Patientin nicht gestört war, traten mit 
dem Frost Kopf- und Gliederschmerzen, sowie Schmerzen im 
Rücken und leichte Benommenheit auf, welche nach erfolgtem 
Temperaturabfall am nächsten Morgen in der Regel wieder 
verschwunden waren. Einige Kranke bekamen gleichzeitig mit 
dem Frost ziemlich heftige Schmerzen in der Magengegend 
und Erbrechen, bei anderen machten sich diese Beschwerden 
erst gegen Abend auf der Höhe des Fiebers bemerkbar. Nach 
dem Abfall desselben waren auch diese Erscheinungen' ver¬ 
schwunden. Dagegen blieben die gleichzeitig mit dem Fieber 
eintretende Appetitlosigkeit und die belegte Zunge, welche 
meist mit einem mehr oder weniger starken gleichmäßigen 
rauhen Belag überzogen war, zuweilen aber ein himbeer- 
artiges Aussehen hatte, länger bestehen und wurden noch 
3—4 Tage nach der Injection beobachtet. Die oft mit dem 
Fieber einhergehende Schlaflosigkeit pflegte dasselbe nicht zu 
überdauern. Wenn nun auch unsere Beobachtungen ergeben 
haben, daß tuberculös Erkrankte mit ihrem Allgemeinbefinden 
nicht in ganz gleicher Weise gegen das Mittel reagiren, 
so ist doch eine gewisse Regelmäßigkeit im Verhalten nicht zu 
verkennen. Wir können annehmen: 

1. Daß Tuberculöse in ihrem Allgemeinbefin¬ 
den außerordentlich viel stärker auf das Mittel 
reagiren (gleiche Dosis vorausgesetzt), als nicht 
Tuberculöse. 

2. Daß meist nach 6 Stunden ein Frösteln 
oder ein Frostanfall eintritt, welchem hohe Tem¬ 
peratursteigerung bis 40° und darüber folgt. 

3. Daß meistens vor Ablauf von 24 Stunden 
die Temperatur bis zur normalen oder unter die 
normale sinkt. 

4. Daß bei Wiederholung derselben Dosis die 
Reaction geringer wird. 

5. Daß steigende Dosis keineswegs eine 
immer stärkere Temperatursteigerung bedingt. 

Die Pulsfrequenz stieg während des Fiebers beträcht¬ 
lich, und wurde wiederholt eine Frequenz von 130—140, ein¬ 
mal sogar von 160 in der Minute constatirt. Der Puls war 
meistens hoch, ziemlich stark gespannt, die Radialis voll. 
Zeichen von Herzschwäche wurden nicht bemerkt. 

Außer diesen dem Fieber zuzurechnenden Symptomen 
kamen noch folgende auffallende Erscheinungen und Compli- 
cationen zur Beobachtung. 


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Bei den beiden mit Lupus behafteten Personen und bei 
der an tuberculösen Drüsennarben am Halse leidenden Gut¬ 
schmidt zeigte sich nach jeder Injection, sowohl nach der 
schwachen wie nach der starken, ein Exanthem. Dasselbe 
wurde schon am Abend des Injectionstages oder auch erst am 
folgenden Tage bemerkt und bestand bei den beiden Lupus¬ 
kranken in einem scharlachrothen, gleichmäßig sich über den 
Rumpf verbreitenden, auf den Gliedmaßen weniger deutlich 
ausgeprägten Ausschlag, welcher nach zweitägigem Bestände 
wieder abgeblaßt war und eine feine Abschilferung der Haut 
zurückließ. Bei diesen beiden Kranken entstand zuweilen 
auch, sowie bei der besagten Gutschmidt jedes Mal, ein 
Ausschlag, welcher die Form vonrothen, theilweise zusammen¬ 
fließenden Quaddeln aufwies, welche bei dem lupuskranken 
Manne auch auf den Armen und Oberschenkeln sich zeigten. 
Zuweilen hatte das Exanthem einen roseolaartigen Charakter. 
Bei den übrigen Kranken kam ein Exanthem nicht zum Vor¬ 
schein. 

Bei den beiden an Lupus Leidenden stellte sich im Laufe 
der Behandlung Icterus der Haut und der Schleimhäute ein. 
Bei dem lupösen Manne zeigte er sich nach der 2. Injection, 
also nach Einverleibung von 2 ‘0 Ccm. der 1° 0 igen Flüssigkeit, 
und war, nachdem inzwischen noch zwei Einspritzungen ge¬ 
macht worden waren, nach 6 Tagen noch vorhanden. Bei dem 
Mädchen wurde er nach der 4. Injection, d. h. nach Einver¬ 
leibung von im Ganzen P8 Ccm., bemerkt und dauerte 4 Tage. 
Nach der 9. Einspritzung, d. i. nach Verbrauch von etwa 
4’6 Ccm., trat er zum zweiten Mal bei dieser Patientin auf 
und besteht noch gegenwärtig in geringem Grade. Der zu 
dieser Zeit braunrothe, mit gelbem Schaum versehene Urin 
wurde frei von Eiweiß befunden. Der wiederholt versuchte 
Nachweis des GallenfarbstofFes mittelst der GMEi.ix’schen Probe 
gelang nicht. Abgesehen von der Temperatursteigerung, führte 
das Mittel in allen von uns beobachteten Fällen von chirur¬ 
gischer Tuberculose zu einer hohen Pulsfrequenz; in manchen 
ruft es ein scharlabhähnliolres oder auch großfleckiges, mit 
Abschilferungen einhergehendes Exanthem hervor, in einzelnen 
führt es zu Icterus. 

Was nun die locale Einwirkung dieser Injectionen auf 
die tuberculös erkrankten Körpertheile betrifft, so war dieselbe 
beim Lupus am auffälligsten. 

Bei dem Kranken Theiss mit Lupus nasi trat schon 
zwei Stunden nach der Einspritzung ein Gefühl von Hitze, 
Brennen und Spannung im Gesicht auf; drei Stunden später, 
zu einer Zeit, wo gerade der Beginn des Frostes beobachtet 
wurde, war das Gesicht, besonders über der Nase, bereits ge- 
• röthet. Nach fünf Stunden hatte die Schwellung und Röthung 
der lupös erkrankten Partien beinahe ihren Höhepunkt er¬ 
reicht. Die Röthung und Schwellung beschränkte sich aber 
nicht auf die lupösen Stellen, sondern nahm auch die Um¬ 
gebung derselben in ziemlich weiter Ausdehnung ein. Zu dieser 
Zeit, also nach fünf Stunden, war schon ein beträchtliches 
Exsudat auf der Nase und der ebenfalls lupös entarteten 
Oberlippe in Form von gelben Tropfen und Krusten aufge¬ 
treten. Während die Röthe und Anschwellung bis *Zum fol¬ 
genden Tage nicht mehr erheblich zugenommen hatte, wurden 
die Schorfe noch zahlreicher und dicker. Die Exsudation schien 
jedoch im Ganzen nicht über 48 Stunden hinaus zu dauern. 
Nach zwei Tagen begann die Röthung und Schwellung der 
kranken Stelle und ihrer Umgebung abzunehmen, beschränkte 
sich nach fünf Tagen nur noch auf die lupösen Partien, und 
auch diese blaßten in den folgenden drei Wochen noch be¬ 
deutend ab. Fünf Tage nach der Einspritzung begannen die 
Schorfe abzubröckeln und ließen sich am neunten Ta<ze mit 
Leichtigkeit von ihrer Unterlage abheben. Es stellte sich nun 
heraus, daß die Nase nicht mehr geschwollen und größten- 
theils glatt und blaßroth aussah. Sie war ebenso wie die 
übrigen lupösen Stellen im Gesicht von einer zarten Narbe 
überzogen, welche weiße Abschilferungen trug. Nur an den 
beiden Nasenflügeln und deren Rändern, sowie am Naseneingang 


befanden sich blaße Granulationen, die sich in den nächsten 
Tagen wieder mit einem Schorf bedeckten, unter welchem sie 
bis zum 24. Tage völlig vernarbt waren. Die Nase, welche 
nach Beseitigung der Schorfe, abgesehen von den durch die 
Ulcerationen an den Nasenflügeln und dem Naseneingang be¬ 
dingten Defecten und einer Verbreiterung der Nasenspitze, 
ihre normale Form wiedergewonnen hatte, behielt ihr glattes 
Aussehen jedoch nur bis zum 15. Tage, an welchem sich auf 
dem Nasenrücken zahlreiche steck nadelkopfgroße, weiche, rothe 
Prominenzen zeigten, deren Centrum oft ein kleines Bläschen 
trug, und zwischen denen die blaßrothe glatte junge Narbe 
stehen geblieben war. Die Zahl dieser Knötchen und Bläschen, 
welche der Nase wieder ein unebenes dunkelrothes Aussehen 
gaben, nahm bis zu dem Tage der nächsten Injection noch an 
Menge zu. Die Einspritzungen wurden vom 27. Tage nach der 
ersten Injection mit Intervallen von 2 und 1 Tag noch drei¬ 
mal wiederholt. Nach jeder Injection traten noch an demselben 
Tage wieder Anschwellung, Röthung und Exsudation j jedoch 
bei weitem nicht mit derselben Intensität wie das erste Mal, 
auf. Gegenwärtig, am 14. November, ist die Röthung. Schwel¬ 
lung und Schorfbildung noch nicht vorüber. 

Auch bei dem zweiten Fall (Thon) von Lupus des Ge¬ 
sichts, bei welchem mit der Einspritzung von 01 Ccm. der 
l° 'o Lösung begonnen wurde, und die Dosen successive und 
rasch hintereinander gesteigert wurden, trat nach jeder In¬ 
jection, und zwar bald nach dem Eintritt des Fiebers, An¬ 
schwellung und Röthung des Gesichts und besonders der 
lupösen Partie desselben, jedoch nur zweimal eine sehr geringe 
Exsudation und Schorfbildung auf der Oberlippe auf. Nach¬ 
dem nach den ersten 5 Einspritzungen und nach Einverleibung 
von im Ganzen P8 Ccm. der 1% Lösung dieselben vorläufig 
für die nächsten 14 Tage ausgesetzt worden waren, zeigte sich 
auch hier feine Schuppenbildung auf der lupösen Narbe. Die 
Haut derselben wurde viel glatter, die Knötchen und Uneben¬ 
heiten verschwanden mehr und mehr, die dunkelrothe Farbe 
machte einer blaßrothen Platz. Nach den darauf folgenden 
4 Einspritzungen von je l’O Ccm. trat ebenfalls jedesmal 
wieder Anschwellung und Röthung, jedoch keine erhebliche 
Exsudation auf. Auch dieser Fall zeigte am 14. November 
noch die Folgen der am 10. November gemachten In¬ 
jection. 

Bei den nach Vereiterung oder Exstirpation tuberculöser 
Drüsen zurückgebliebenen Narben trat nach der Injection 
Röthung, Schwellung und Schmerzhaftigkeit der Narben und 
ihrer Umgebung auf, welche nach wenigen Tagen verschwunden 
waren. Jedoch wurden jene Narben nicht gleichmäßig stark 
von Röthung etc. betroffen; bei derselben Person w r ar die 
Reaction an einigen Narben sehr auffallend, an anderen nur 
unbedeutend oder gar nicht vorhanden. Gerade dieser Umstand 
erscheint besonders interessant, und die aus ihm zu ziehenden 
Schlüsse liegen auf der Hand. 

Bei den tuberculösen Fußgelenkentzündungen wurde be¬ 
obachtet, daß nach den Injectionen das Gelenk anschwoll, die 
Haut glänzender und gespannter wurde und sich heiß anfdhlte. 
Die Messung des Gelenkumfanges vor und nach der Injection 
ergab zwar meistens nur eine Zunahme von 0 5 Cm., jedoch 
wurde nach Injection von PO Ccm. auch eine Verdickung 
um 1 Cm. sicher constatirt. Die Anschwellung und erhöhte 
locale Temperatur pflegte nach einigen Tagen wieder ver¬ 
schwunden zu sein, was am Fuß auch daran kenntlich w ? ar, 
daß die Haut sich in Falten zu legen begann. Bei der Knie¬ 
gelenksentzündung konnte Schwellung des Gelenks nicht sicher 
constatirt werden, wohl aber eine fortschreitende Besserung 
der Beweglichkeit desselben. 

Bei der Kranken Kulzow, welche an einer Spina ven- 
tosa des linken Mittelfingers mit völliger Unbeweglichkeit im 
mittleren Gelenk litt, war nach Einspritzung von 0 - 8 Ccm. 
der l°/o Lösung der Finger um 1 Cm. abgeschwollen und konnte 
in dem bisher steifen Gelenk bis fast zum rechten Winkel 
gebeugt werden. 


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1899 


Schließlich ist noch zu erwähnen, daß bei dem Fall 
Gutschmidt (tuberculöse Narben am Halse) 3 Tage nach 
der Injection von 10 Ccm. in den Rücken eine acute Horn¬ 
hautentzündung auf einem Auge mit starker pericornealer In¬ 
jection und einem 4 Mm. langen Geschwür im inneren unteren 
Quadranten auftrat. 

Es ist möglich, daß wir es hier mit einer zufällig auf¬ 
tretenden Augenaffection zu thun haben, aber auch der andere 
Fall ist denkbar, daß bei der Patientin das Auge tuberculöses 
Gewebe enthielt. (Fortsetzung folgt.) 


Au» der Klinik de» Prof. v. Kordnyi in Budapest. 

Die Wirkling innerlich angenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Dr. Moriz Stricker and Dr. Wilhelm Friedrich. 

(Fortsetzung.) 

2. Die Wirkung des während 24 Stunden im Magen auf¬ 
genommenen Wassers von verschiedener Menge anf die 
Harnausscheidung. 

Seit Mitte dieses Jahrhunderts bis in die neueste Zeit 
wurden zahlreiche eingehende Untersuchungen darüber ange¬ 
stellt, in welchem Verhältnisse das getrunkene Wasser sich 
zur täglichen Urinmenge verhält, welche Schwankungen durch 
die Vermehrung des getrunkenen Wassers oder durch die 
Wasserentziehung im Harne eintreten; überhaupt, welche Ver¬ 
änderungen sich im Stoffwechsel des Organismus nach dem 
Trinken des Wassers einstellen. 

Bischoff 31 ) war einer der Ersten, die sich mit dieser 
Frage beschäftigten. Bei seinen Versuchen macht er auf jenen 
wichtigen Factor aufmerksam, daß der Einfluß des Wassers 
anf die Menge des Harnes nur bei gleicher Diät bestimmt 
werden kann. Bei Bestimmung des Harnstoffes brachte er zu¬ 
erst die LiEBiG’sche Titrirmethode in Gebrauch. 

Er, sowie seine Zeitgenossen Böckir 32 ), Genth 88 ), Lehmann 
und Ferber 24 ) gelangten im Laufe ihrer wissenschaftlichen 
Forschungen zu dem übereinstimmenden Resultate, daß die 
während eines Tages entleerte Harnmenge nach dem Trinken 
größerer Quantitäten Wassers nicht nur absolut, sondern auch 
relativ zunimmt; dabei vermehren sich die festen Bestandtbeile, 
wie Harnstoff, Chloride, phosphorsaure und Schwefelsäure Salze, 
die Harnsäure dagegen verringert sich. 

Mayer 26 ) beobachtete bei Thieren, daß bei Vermehrung 
der Wasserzufuhr die Ausscheidung des Harnes zunahm, und 
zwar in etwas größerem Maßstabe, als dies dem Plus der 
Wassereinfuhr entsprach. 

Die Versuche von Mosler 20 ) , Becqdfrel 27 ) , Fai.cel* 8 ), 
Winter und Nasse bekräftigen die von Böcker gefundenen 
Resultate. Mosler gelangte im Laufe seiner Versuche noch 
zu dem Resultate, daß die Ausscheidung der festen Bestand- 
theile um vieles kleiner sei, wenn ein größeres Wasserquantum 
auf einmal getrunken wird, als wenn dieselbe Quantität partie¬ 
weise während eines Tages dem Organismus einverleibt wird; 
ferner, daß diejenigen Bestandteile des Harnes, welche wäh- 

*‘) Bischoff, „Der Harnstoff als Maß des Stoffwechsels.“ Giessen 1853. 

**) Untersuchungen über die Wirkung des Wassers. Breslau und Bonn 1854. 

**) Untersuchungen über den Einfluß des Wassertrinkens anf den Stoff¬ 
wechsel. Wiesbaden 1856. 

**) Ff.rbeh B. H.. „Der Einfluß vorübergehender Wasserznfuhr auf Menge 
und Kochsalzgehalt des Harns.“ 

**) Jacques Mayf.r, .Leber deu Einfluß der vermehrten Wassereinfubr 
auf den Stoffumsatz im Thierkörper.“ Zeitschrift für klin. Mcdicin. II. Band, 
1. Heft. 

*•) Mosler, „Untersuchungen über den Einfluß des innerlichen Ge¬ 
brauches verschiedener Quantitäten vom gewöhnlichem Trinkwasser auf den 
Stoffwechsel des menschlichen Körpers.“ Archiv für wissenschaftliche Heil¬ 
kunde. 1857. 

*’) Becquerel, „Conferences diniques sur l'hydrotherapie.“ 1859. 

1% ) Falck, „Ein Beitrag zur Physiologie des Wassers.“ Zeitschrift für 
Biologie. 187Z. 


1900 


rend des Trinkens größerer Quantitäten Wassers sich vermehrt 
haben, an den dem Versuche folgenden Tagen, an welchen 
nämlich die Wasserzufuhr wieder in gewöhnlichem Maße er¬ 
folgt, sich in viel geringerer Quantität im Harne vorfinden. 
Im Laufe dieser Versuche, bei welchen er auch auf das ver¬ 
schiedene Geschlecht, Alter und Constitution Rücksicht nahm, 
fand er, daß das reichliche Trinken des Wassers auf den Or¬ 
ganismus der Kinder und Frauen eine bedeutend größere 
Wirkung ausübt, als auf Erwachsene und Männer. 

Den durch die oben erwähnten Forscher gefundenen 
Resultaten gegenüber behaupten Schmidt und Bidder, daß die 
im Harne enthaltenen festen Bestandteile nach reichlichem 
Wassert rinken keine Veränderungen auf weisen. 

Seegen 29 ) beobachtete bei seinen Thier versuchen, daß 
die größere Wasserein nähme die Harnausscheidung derart vei> 
mehre, daß der Ueberschuß des eingeführten Wassers mit dem 
Harne vollkommen ausgeleert wird. 

Petteneoffer 80 ) und Voit S1 ) behaupten, daß die Harn¬ 
menge im Vergleiche zur getrunkenen Wassermenge relativ 
größer ist an jenen Tagen, an welchen weniger getrunken 
wird. Nach Vorr’s Meinung tritt nach dem Trinken des Wassers 
in den Organen eine größere Strömung ein und wird dadurch 
der Zerfall des Eiweißes gefördert. 

Beneke 32 ) nimmt als Durchschnittsresultat seiner Be¬ 
rechnungen an, daß einer Vermehrung des Wassers um 300 Ccm. 
eine Harustoffvermehrung von 1 Grm. entspricht. 

Gi.ax 88 ) äußert sich über das kalte Wasser als vorzüg¬ 
liches Diureticum, weil es den Tonus der Blutgefäße steigere 
und dadurch den Blutdruck hebe. 

Während die b sher angeführten Forscher ihre Unter¬ 
suchungen ausschließlich an Individuen mit gesunden Herzen 
vollführten, breitete Oertel 84 ) seine Untersuchungen auf 
kranke compensirte, wie auch auf schwächer und stärker in- 
compensirte Herzen aus. 

Bei Kranken mit gesunden Herzen und bei solchen 
mit kranken* aber compensirten Herzeu bemerkte er, daß ent¬ 
sprechend der mäßigen Entziehung des zu trinkenden Wassers, 
die Tagesmengen des Harnes sich relativ vermehrten; bei 
bedeutender Wasserentziehung dagegen war die Menge des 
Harnes etwas größer, als die Quantität des getrunkenen 
Wassers. 

Bei den mit einem incompensirten Herzfehler behafteten 
Kranken fand er, abweichend von den Individuen mit gesunden 
Herzen, daß bei Reduction der eingenommenen Flüssigkeit 
sich bei der Menge des ausgeschiedenen Harnes nicht nur eine 
relative, sondern auch eine bedeutende absolute Vermehrung 
des Harnes einstellte; die Menge des ausgeschiedenen Harnes 
überstieg bedeutend die Menge des getrunkenen Wassers. Je 
bedeutender die Herzerkrankung, je größer die Wasseran¬ 
sammlung im Organismus war, umso eher stellte sich bei 
Reduction der Flüssigkeitsaufnahme die Harnfluth ein, und 
parallel damit ging das Sinken des venösen Blutdruckes. 

Feiichenfkld S6 ) bekräftigt nicht die Resultate der 
OEBTEL’schen Versuche. Bei seinen an gesunden, sowie an 
kranken,* aber vollständig compensirten Herzen vollzogenen 
Untersuchungen zeigte sich zwar hei Wasserreduction eine 
relative Harnsteigerung; bei denjenigen Herzkranken hingegen, 

* 9 ) S fegen, „Physiologisch-chemische Untersuchungen über den Einfluß 
des Karlsbader Wassers auf einige Factoren des Stoffwechsels.“ Wiener med. 
Wochenschrift. 1860. 

a0 ) Pkttknkoffeh nnd Voit, „Untersuchungen über den Stoffverbrauch 
des normalen Menschen.“ Zeitschrift für Biologie 1866. 

M ) Ueber den Einfluß des Kochsalzes auf den Stoffwechsel. 

3 *) Benf.kk, „Grundlinien der Pathologie des Stoffwechsels.“ 1874. 

8B ) Ueber die Wirkung der Trinkcureu. Jahresbericht für Balneologie. 
1876, I. 

“ 4 ) Dr. M. J. Oertel, „Therapie der Kreislaufstörungen.“ Leipzig 1885. 
— „Zusätze und Erläuterungen zur allgemeinen Therapie der Kreislauf¬ 
störungen.“ 1886. 

es ) Ueber Okrtel’s Heilverfahren mittelst Flüssigkeitsentziehnng, mit 
besonderer Berücksichtigung des Einflusses anf die Diurese von Dr. W. Fkilchen- 
fkld. Zeitschrift für klin. Medicin. 18°6. 


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bei welchen sich schon Incompensation gezeigt hatte, konnte 
er die sogenannte „Harnfluth“ überhaupt nicht beobachten; 
nur in einzelnen Fällen war eine kleine relative Vermehrung 
der Hammengen bemerkbar. 

Wir beobachteten bei unseren Experimenten dieser 
Richtung sowohl die Wirkung der Wasserreduction als auch 
die des reichlichen Wässertrinkens und nahmen außer der 
täglichen Menge und des specifischen Gewichtes des Harnes 
auch auf die in demselben enthaltenen Menge des Harnstoffes, 
der Chloride und festen Bestandtheile Rücksicht. Die Be¬ 
stimmung der Hamstoffmenge geschah nach der LiEBio’scben, 
die der Chloride nach der Voi.HARü’schen Methode. Im Laufe 
der ganzen Untersuchungszeit verblieb das zu untersuchende 
Individuum bei ein und derselben Lebensweise und Diät. 

Die Temperatur des getrunkenen Wassers war womöglich 
die gleiche (18* R.). (Schluß folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

J. A. Amahn iun. (München): Einige Vennohe mit dem 
elektrischen Sohröpfkopf. 

Der in Nr. 36 der „Wiener Med. Presse“ besprochene, von 
Frbund in Straßburg angegebene elektrische Schröpfkopf zur Er¬ 
regung von Wehen wurde auf der Münchener Universitäts-Frauen¬ 
klinik angewendet, und berichtet Verf. in Nr. 43 des „Ctbl. f. 
Gynäk.“ über die Resultate seiner Versuche. Bei einer Ill-Gravida, 
bei welcher die künstliche Frühgeburt wegen Beokenenge im achten 
Monate eingeleitet werden sollte, erregte der Apparat zwar Wehen, 
doch wurde das Weiterführen des Versuches nicht zugegeben. Bei 
einer IV-Gravida im achten Monate mit rachitischem Becken 
konnten mittelst Strömen von 15 Milliamperes, 2mal täglich je 
1 bis l 1 /] Stunden lang angewendet, keine Wehen ausgelöst 
werden. Einen besseren Erfolg hatte A. bei der Anwendung des 
elektrischen Schröpfkopfes bei kurz vor der Geburt stehenden 
Schwangeren, bei Kreissenden und bei eben Entbundenen vor und 
nach der Placentarausstoßung. So wandte er bei einer I-Geschwängerten, 
die kurz vor dem Ende ihrer Schwangerschaft stand, Ströme von 
6—8 Milliamperes an; vorher hatte sie nur über unbestimmte Leib¬ 
sohmerzen geklagt; auch entsprach der innere Befund nicht einer 
Kreissenden. Schon nach der 3. Schließung stellte sich eine deutlich 
fühlbare und auch von der Betreffenden als Wehe empfundene Con- 
traction des Uterus ein, die 60 Secunden dauerte. Spontan erfolgten 
noch nach der Oeffnung des Stromes 2 Wehen von gleicher Inten¬ 
sität; der Strom wurde noch 3mal in Abständen von circa 5 bis 
10 Minuten mit jedesmal 3 oder 4 Schließungen angewandt, worauf 
häufige Wehen eintraten, die Wehenpausen immer kürzer wurden, 
und die Wehen selbst an Intensität Zunahmen. Jetzt entsprach auch 
der innere Befund dem einer Kreissenden, und ohne daß der Schröpf 
köpf noch weiterhin aufgesetzt wurde, war die Eröffnungsperiode in 
einer für eine I-Para sehr kurzen Zeit vollendet. 

Zur Beschleunigung der Geburt wurde der elektrische Sohröpf¬ 
kopf noch häufig bei Kreissenden mit schwachen und seltenen Wehen, 
mit Phthisis pulmon., Herzfehlern und einmal bei Nephritis mit 
oolossalen Oedemen angewandt. Fast in allen Fällen trat nach 
3—8 Schließungen eine Wehe ein. Meist traten nun, ohne daß man 
eine weitere Schließung vornahm, durchschnittlich 3—7 neue Wehen 
von gleicher Stärke wie die vorhergehende ein; nun aber war es 
iu der Mehrzahl der Fälle nöthig, erneute Schließungen, manch¬ 
mal auch mit stärkeren Strömen vorzunehraen, um die erreichte 
größere Häufigkeit und Intensität der Wehen beizubehalten; aller¬ 
dings genügten in 2 Fällen mit seltenen schwachen Wehen nur einige 
Schließungen, um dauernd bis zur Geburt häufige und immer stärker 
werdende Wehen hervorzurufen, während in einem Falle wohl anfangs 
Wehen häufiger und stärker erzengt werden konnten, später aber 
auch mit Anwendung von Strömen bis zu 14 Milliamperes keine 
Verstärkung der nun noch längere Zeit schwach bleibenden Wehen 
zu Stande gebracht werden konnte. Ließ man die Kette längere 
Zeit geschlossen, so traten meistens während dieser Zeit in kurzen 
Pausen Wehen ein; der Grund hiefflr ist wohl der, daß während 


des Geschlossenseins des Stromes die Erregbarkeit an der Kathode 
eine gesteigerte ist und somit der Reiz des Schröpfkopfes allein, 
wenn er gut sitzt, genügt, Wehen zu erzeugen. 

Häufig wurde fernerhin der elektrische Strom zur Ausstoßung 
der Placenta angewandt; hiebei zeigte sich, daß der Erfolg im 
Wesentlichen vom Zeitpunkt der Anwendung abhängt; sofort nach 
der Geburt war man wohl im Stande, nach 3—10 Schließungen 
Contractionen des erschlafften Uterus zu erzeugen, allein zur 
Expression der Placenta waren diese, nur mit Mühe mit der 
aufgelegten Hand fühlbaren Wehen zu schwach. So war in den 
Fällen, bei welchen Blutung sofort nach der Geburt die Entfernung 
der Placenta indicirte, der elektrische Strom nicht ausreichend, 
sondern es mußte der CREDE’sche Handgriff zu Hilfe genommen 
werden. Dagegen war 1—2 Stunden nach der Geburt, nachdem 
die Erregbarkeit der Uterusmusculatur wieder zugenommen hatte, 
die Reaction auf den elektrischen Strom meistens eine s$hr prompte; 
nach wenigen Schließungen trat zumeist eine kräftige Wehe ein, 
mit welcher die Placenta herausschoß; es folgten dann öfters einige 
spontane Nachwehen, und der Uterus blieb häufig gut contrahirt. 
Bei Ersehlaffungszuständen am ersten Wochenbettstage wendete A. 
2 mal den elektrischen Schröpf köpf mit Erfolg an. Im Allgemeinen 
scheint aus den Versuchen hervorzugehen, daß sehr große indivi¬ 
duelle Verschiedenheiten vorhanden sind, die das Verfahren zu 
einem nicht in allen Fällen mit sicherem Erfolge anwendbaren 
machen. 

In Anbetracht des einfachen Verfahrens und seiner anschei¬ 
nenden Gefahrlosigkeit ist es nach A. wohl anzurathen, dasselbe 
weiterhin zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt zu versuchen. 
Selbst bei den stärksten, häufig unterbrochenen und öfters auch ge¬ 
wendeten Strömen (die Anwendung der Anode auf die Brustwarze 
ist viel schmerzhafter und fast erfolglos) sah A. außer Röthung der 
Brustwarze mit leichtem Stechen nie eine üble Folge. In einigen 
Fällen, bei welchen vor der Geburt der elektrische Sohröpfkopf an¬ 
gewendet worden war, beobachtete Verf. ziemlich bedeutende 
Blutungen post partum, die aber wohl kaum als Folge etwa einer 
Uebermüdung des Uterus durch die vermehrten Wehen aufzufassen 
sind; jedenfalls müssen über diesen für die Gefahrlosigkeit des Ver¬ 
fahrens nicht gleichgiltigen Punkt erst größere Versuchsreihen Auf¬ 
schluß geben. M. 


Karewski (Berlin): UeberOperationen an paralytischen 
Gelenken. 

In jenen Fällen von Functionsstörungen und Deformitäten 
von Gelenken, welche in Folge spinaler Kinderlähmung entstehen, 
und bei denen weder durch orthopädische Behandlung, noch durch 
Maschinen Hilfe gebracht werden kann, erscheint die operative 
Gelenkverödung, resp. Stellungsverbesserung, wie sie zuerst von 
Albert mit gutem Erfolg gemacht wurde, am Platze. 

Verf. theilt in Nr. 4 und 5 der „Deutsch, med. Wocbenschr.“ 
seine Erfahrungen über diese Operationsmethoden mit und theilt 
letztere in solche, welche nur eine Stellungsverbesserung bei beweg¬ 
lichem Gelenk bezwecken, und in solche, welche einerseits an Stelle 
der gelenkigen eine starre Verbindung der Theile einer Extremität 
und andererseits gleichzeitig auch Aufhebung abnormer Stellungen 
erzielen. 

Die Operation, welche das Gelenk beweglich läßt, ist der 
ideale Weg des Vorgehens, kommt aber nur bei eiuem bestimmten, 
immerhin seltenen Zustande in Frage, d. i. bei der echten paraly¬ 
tischen Luxation des Hüftgelenkes. Bei der Luxation nach vorne 
unten ist das Bein soweit abducirt und nach außen gerollt und 
zudem verlängert, daß eine Vorwärtsbewegung ohne Maschine so 
gut wie unmöglich ist. In solchen Fällen erscheint, falls der Femur¬ 
kopf auf andere Weise nicht reponirbar ist, die operative Reposition, 
die vom Verf. in 4 Fällen mit Erfolg gemacht wurde, als ein noth- 
wendiger Eingriff. Das Verfahren findet jedoch nur bei der Luxatio 
pubica Anwendung, während dasselbe bei der hinteren Luxatio 
wegen der baldigen Recidive ohne Erfolg bleibt. 

Einen viel ausgedehnteren Gebrauch gestattet die von Albert 
ersonnene Methode der Gelenkverödung oder Arthrodesis. Für diesen 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 48. 


1904 


Eingriff sind in erster Linie jcno Fälle geeignet, in welchen durch 
sonstige therapeutische Bestrebungen, mit Elektricität, Massage oder 
orthopädischen Maschinen, keine Besserung zu erzielen ist. Hiezu 
ist es aber unbedingt nöthig, daß die genannten curativen Me¬ 
thoden mindestens ein Jahr lang mit Ausdauer durchgeführt sind, 
resp. vollkommener Verlust der galvanischen und faradischen Er¬ 
regbarkeit sich eingestellt hat, ehe man einen operativen Eingriff 
in Anwendung bringt. 

An der oberen Extremität ist die Arthrodesis bei der seltenen 
Monoplegia brachialis, bei der der Arm schlaff herabbängt und nur 
Schleuderbewegungeu ausführen kaun, indicirt. Durch die Sperrung 
des Schultergelenkes überträgt der Schultergürtel seine Bewegungen 
auf den mit ihm fix verbundenen Arm. Die Fixirung des Ellbogen¬ 
gelenkes ist nicht am Platze, so lange nur eine Spur functions¬ 
fähiger Muskeln vorhanden ist, also z. B. der Brachialis internus 
Beugebewegungen vermitteln kann, wobei die Schwere die Streckung 
zu Stande bringt, — oder der Biceps noch Streckung besorgt, 
während durch die einfache Einschaltung eines elastischen Zuges an 
Stelle des Biceps Beugung zu verschaffen ist. 

An der unteren Extremität kommt die Verödung für das Knie- 
und Fußgelenk in Betracht. Es läßt sich nämlich kein Fall denken, 
in dem die Ankylosirung des Hüftgelenks Nutzen bringen könnte, 
indem selbst das hochgradigste Schlottergelenk, sobald das Bein im 
Knie- und Fußgelenk eine Stütze gibt, keinen Hinderungsgrund für 
die Benutzung desselben bildet. Darum ist auch die Resection und 
Ankylosirung der Hüfte bei Luxatio coxae congenita ein ungeeig¬ 
netes Verfahren. 

Für das Kniegelenk ist die Anzeige ebenfalls eine eng begrenzte. 
Selbst bei completer Lähmung aller das Knie bewegenden Muskeln 
kann dasselbe, sofern nur die Hüftmuskeln wenigstens theilweise 
intact sind, passiv sowohl streck- als beugewärts bewegt und als 
Stütze benutzt werden. 

Am Fußgelenk gibt sowohl die schlottrige Beschaffenheit wie 
auch die Contractur Grund zu dem operativen Eingriff, und an 
diesem Gelenke ist bisher die Methode der Arthrodese am häufigsten 
mit Erfolg geübt worden. 

Bei Paralyse des ganzen Beines ist es mitunter nöthig, sowohl 
Knie- als Fußgelenk künstlich zu veröden. Durch die Arthrodese 
wird eine Wachstbumsstörung nicht gesetzt, vielmehr zeigt es sich, 
daß die allgemeine Ernährung der vor der Operation atrophirenden 
Extremitäten sich nach derselben gehoben hat. 

Die Ausführung der Operation geschieht mittelst der den 
betreffenden Gelenken entsprechenden Resectionsschnitte. Bei sehr 
jungen Individuen nagelt man die zu vereinigenden Knochen mittelst 
Elfenbeinstiften zusammen, beim Schultergelenk näht man den 
Humernskopf an die Gelenkpfanne an. G. 


Neuere zahnärztliche Literatur. 

I. Bibliographie fran^aiae de l’art dentaire par le docteur Th. David 
Paris 1869. Felix Alcan. — 2. Atlas zur Pathologe der Zähne. Von 
Prof. Dr. M. Hkidkh und Prof Dr. C. Wedl. Zweite vermehrte Auflage, bear¬ 
beitet von Dr. J. v. Mktnitz. Leipzig 1890 Arthur Felix. — 3. Lehrbuch 
der praktischen Zahnheilkunde für Aerzte und Studirende Von Med. Dr. Ernst 
Jksskn. Leipzig und Wien 1890. Franz Deuticke. — 4. Lehrbuch der 
Zahnheilkunde mit besonderer Berücksichtigung von Medicin und Chirurgie. 
Von Dr. med. Ludwig Brandt. Berlin 1890. August Hirschwald. 

Die Bibliographie des Dr. David (1), ein 307 Seiten starkes 
Buch, verzeichnet das Inventar der Zahnheilkunde, soweit dieselbe 
in französischer Sprache dargestellt wurde. Außer den Arbeiten 
über die Zähne und deren Affectionen findet man darin auch jene 
aufgenommen, die Krankheiten des Mundes und Gesichtes betreffen, 
welche in einer causalen Beziehung zu Zahnerkrankungen stehen 
können. Das Buch zerfäll in drei Abtlieilungen. Die erste ent¬ 
hält die periodischen Zeitschriften, nach Aneiennität geordnet. In der 
zweiten findet man die Werke, Brochuren, Thesen und Separat¬ 
abdrücke in alphabetischer Anordnung nach den Namen der Autoren. 
Die letzte enthält das Sachregister, alphabetisch geordnet, und sind 


überdies jedem Gegenstände die alphabetisch geordneten Namen 
der Autoren, die über denselben geschrieben und die in der zweiten 
Abtheilung bereits aufgezählt sind, beigefügt. Wer sich mit litera¬ 
rischen Arbeiten beschäftigt, wird in dem vorliegenden Buche 
manchen werthvollen Aufschluß finden. Steht auch dasselbe hinter 
der 1885 erschienenen Dental Bibliographv compiled by C. Geo 
Cbowley, welche die dentistisohe Literatur aller Nationen und 
den Zeitraum 1536—1885 umfaßt, in Bezug auf Vollständigkeit 
nach, so genießt es vor ihr den Vorzug größerer Exactheit auf 
seinem freilich beschränkteren Gebiete und den einer besseren Ein- 
theilung, indem das alphabetische Sachregister, welches das Naoh- 
schlagen so sehr erleichtert, bei Crowley eigentümlicher Weise 
fehlt. Ein zweites Buch von Dr. David, welches das vorliegende 
insofern zu vervollständigen bestimmt ist, als es die in französischen 
periodischen Zeitschriften enthaltenen Artikel, Berichte und Auszüge 
dentistischen Inhalts aus fremden Zeitungen anzeigen wird, befindet 
sich in vorgeschrittener Vorbereitung. 

Eine zweite vermehrte Auflage des Atlas zur Patho¬ 
logie der Zähne von Prof. Dr. M. Hrider und Prof. Dr. C. Wedl (2) 
dürfte von vornherein der ungeteilten Sympathie der Fachkreise 
sicher sein. Gilt auch diese Sympathie in erster Reihe und haupt¬ 
sächlich den ursprünglichen Verfassern Heider und Wedl, diesen 
um die Odontologie so hochverdienten Männern, so hat dieselbe 
durch die Person des Bearbeiters, Dr. v. Metnitz, der sich bisher von 
seichter Vielschreiberei fern hielt und nur Weniges, aber Gediegenes 
veröffentlichte, durchaus keine Einbuße erfahren. Der Atlas wird 
in vier Lieferungen erscheinen und am Ende dieses Jahres voll¬ 
ständig abgeschlossen sein. Die vorliegende erste Lieferung 
enthält sechs Tafeln, von denen jede bestimmte Anomalien 
illustrirt. Der den Tafeln vorausgehende Text zur Erklärung der 
Figuren ist präcise abgefaßt, und zwar so, daß jede Textseite zwei 
gleiche Spalten enthält, von denen die eine dem deutschen Texte, 
die andere der englischen Uebersetzung desselben gewidmet ist. 
Wenn die folgenden Lieferungen ebenso stark sein werden, wie die 
vorliegende, wird der neue Atlas eine .ganz bedeutende und werth¬ 
volle Vermehrung gegenüber dem alten aufweisen, welcher letztere 
im Ganzen nur 16 Tafeln enthält. Als selbstständiges Werk sowohl 
als auch als Illustration zu Wedl’s Pathologie der Zähne wird der 
neue Atlas für jeden Zahnarzt von großem Werthe sein, da er ihm 
das Verständniß der pathologischen Processe wesentlich erleichtern 
wird. Zeichnung, Lithographie und die Ausstattung im Allgemeinen 
sind tadellos. 

Nach der im Vorworte von Dr. Jessen gekennzeichneten Be¬ 
stimmung seines vorliegenden Lehrbuches (3) soll dasselbe dem 
Mediciner, nioht dem Studenten der Zahnheilkunde 
— eine Unterscheidung, die nach der deutschen Studienordnung be¬ 
gründet ist, nach der österreichischen jedoch nicht — einen kurzen 
Ueberblick über das Specialfach der Zahnheilkunde geben, ferner 
ein Handbuch sein für den praktischen Arzt, der auch Zahn¬ 
erkrankungen behandeln, diagnosticiren oder zum Mindestens seine 
Patienten berathen will. Demgemäß werden die beim Durchbruche 
der Milchzähne auftretenden constitutionellen Störungen, die der Arzt 
viel häufiger als der Zahnarzt zu behandeln in die Lage kömmt, 
sowie deren Behandlung ausführlicher als in anderen Lehrbüchern 
erörtert. Auf der chemischen Theorie der Caries fußend, nach welcher 
letztere durch Entziehung der Kalksalze und die dadurch bedingte 
Erweichung der Zahn Substanzen, die dann in Fäulniß übergehen, 
entsteht, empfiehlt der Verf. als oberste prophylaotische Regel die 
gründliche Reinigung der Zähne nicht blos durch Spülen, sondern 
durch Bürsten, um Speisereste und Schleim, welche durch Gährungs- 
processe die Entwicklung von Säuren berbeiführen, zu beseitigen. 
Gegen den grünen Belag empfiehlt er die Anwendung der weichen 
Schmirgelrädchen. (Ein passend zugeschnittenes Stückchen weichen 
Holzes mit etwas pulverisirtem Bimstein darauf ist aus vielen 
Gründen vorzuziehen.) Unter Neuralgie wird darauf hingewiesen, 
daß im ganzen Gebiete des Trigeminus in Folge von Pulpitis und 
Periostitis Schmerzen auftreten können, welche, wenn deren Ursache 
nicht erkannt wird, jeder Medication trotzen. Der Verf. leugnet die 
Existenz eines rheumatischen Zahnschmerzes; letzterer sei stets nichts 
Anderes, als eine gewöhnliehe Pulpitis oder Periostitis, mit deren 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


bloßen Beseitigung auch die subjective Erscheinung des Schmerzes 
verschwinde. Gegen sensibles Dentin beim Excaviren empfiehlt er, 
auf das trockene Dentin CocaYn in Substanz zu bringen und darauf 
10 Minuten zu belassen. Mit seiner Empfehlung des Hill’s stopping 
als Schutzmittel gegen Druck bei aus Versehen bloßgelegter Pulpa 
wird eiu erfahrener Zahnarzt kaum einverstanden sein. Wie in den 
meisten Lehrbüchern, begegnet man auch hier bei der Behandlung 
der Wurzeln, deren Pulpa zu Grunde gegangen ist, einer Dar*. 
Stellung, welche die Dinge auf den Kopf stellt. Eine Behandlung, die 
in ausnahmsweise in der Praxis vorkommenden Fällen durch¬ 
führbar ist, wird als Regel aufgestellt, weil man sich merk¬ 
würdiger Weise scheut, die Grenzen des Könnens einzugestehen. 

Hingegen verdient das bei Anderen vermißte, bei ihm jedoch 
vorhandene Zugeständniß der eventuellen Unextrahirbarkeit 
von Pulpastümpfen Anerkennung. Andererseits entfernt er sich 
wieder von der Thatsächlichkeit, indem er jene zurückbleibenden J 
Stümpfe auf Commando unter der Wirkung der Jodoformpasta zu 
aseptischen Strängen einschrumpfen läßt. Das letzte Capitel: Pro¬ 
these ist zu compendiös, um daraus etwas zu lernen, und zu um 
fänglich mit Rücksicht auf das Ziel des Lehrbuches. Die Darstellung 
im Allgemeinen ist trotz ihrer Knappheit klar und übersichtlich und 
erstreckt sich auf Alles, was für den Praktiker von Interesse 
sein kann. 

Das Lehrbuch der Zahnheilkunde von Dr. Ludwig Bbandt (4) 
entspricht allen billigen Anforderungen, die man an ein solches 
stellen darf. Was für den Arzt wissenswerth ist, findet sich darin 
klar und präcise abgebandelt, und für Denjenigen, der Uber einzelne 
Fragen eine speciellere Information wünscht, als sie in einem die 
ganze Materie umfassenden Lehrbuch geboten werden kann, wird 
die jedem Abschnitte vorausgeschickte reichliche Literaturangabe 
ein verläßlicher Führer sein. Das Buch ist 698 Seiten stark und 
in 12 Abschnitte eingetheilt. Bei den im 4. Abschnitte abgehandelten 
Stellungsanomalien der Zähne wäre eine minder dürftige Erörterung 
der Regulimethoden erwünscht. Mit der eifrigen Abwehr der Entfernung 
des 2. Bicuspis rennt der Verf. otfeüe Thüren ein, da ein solches Ver¬ 
fahren nicht in Frage kommt; hingegen läßt er die mitunter indi- 
cirte -Entfernung des 1. Bicuspis unerwähnt. Lobend hervorgehoben 
zu werden verdient die exacte Behandlung des Capitels Caries, wie 
die ausführliche Besprechung der verschiedenen Füllungsmaterialien 
und der percentualen Zusammensetzung der Amalgame. Betreffs der 
Cemente ist jedoch die Behauptung, daß die größere oder geringere 
Friction bei dem Masticationsgeschäfte ihre Dauerhaftigkeit bestimmt, 
unzutreffend, da es jedem erfahrenen Praktiker bekannt ist, daß 
gerade die Cementplomben auf der Kaufläche am längsten wider¬ 
stehen. 

Die geringschätzige Meinung des Verf. über den Werth des 
rohen, kunstlosen, euphemistisch „Amputation“ der Pulpa benannten 
Verfahrens wird jeder selbstständig Urtheilende billigen. Durch 
Phenolbäuschchen die Bildung von Ersatzdentin fast mit Sicherheit 
herbeizuführen, ist zur Stunde allenfalls ein Geheimniß des Verf.’s. 
Bei Parulis den Inhalt des Abscesses auf Actinomyceskörner zu 
untersuchen, ist eine beachtenswerte Anregung. Die Retentions¬ 
verbände bei Unterkieferfracturen erscheinen eingehend erörtert. 
Betreffs des Empyems des Antri Highmori steht der Verf. auf Seite 
Derjenigen, die den dentalen Ursprung als Regel, die Fortleitung 
von der erkrankten Nasenschleimhaut als Ausnahme ansehen. Zum 
Schlüsse erörtert er in klarer, verständlicher Weise die Gaumen- 
defecte, die verschiedenen Methoden ihrer Behandlung und beschreibt 
den von ihm selbst construirten Gaumen- und Rachenobturator mit 
der luftgefüllten, elastischen Blase. 

Wer das Buch durchgelesen hat, wird die darauf verwendete 
Zeit nicht bereuen. Es enthält die für den Studirenden nothwendige 
Belehrung hinsichtlich der Theorie sowohl als der Praxis und bietet 
selbst dem praktischen und erfahrenen Arzte manche werthvolle 
Anregung. Dr. Witzinger. 


1906 


Kleine Mittheilungen. 

— Im Laboratorium des Prof. W. W. Podwyssozki in Kiew 
stellte E. Djatschenko experimentelle Untersuchungen über 
Transplantation der Schleimhäute an, deren Resultat er in Nr. 36 

des „Ctbl. f. d. med. Wissensch “ mittheilt. Es zeigt die Unter¬ 
suchung, daß das verpflanzte Stück etwa gegen den 9. Tag mit 
dem Mutterboden vollständig verwachsen ist. An Präparaten, welche 
1—2 Monate nach der Verpflanzung ausgeschnitten werden, kann 
man sich überzeugen, daß die Verwachsung der verpflanzten Schleim¬ 
haut mit dem Mutterboden eine dauernde und vollständige ist, und 
daß das lockere Bindegewebe hiebei an der Stelle der Verwachsung 
gar nicht in eigentliches Narbengewebe übergeht. In den meisten 
Fällen gelingt es nur sehr schwierig, die Grenze zwischen dem 
Mutterboden und dem verpflanzten Stück zu finden. Aus den Unter¬ 
suchungen des Verf. lassen sich folgende für die Chirurgie in prak¬ 
tischer Beziehung wichtige Schlüsse ziehen: 1. Das verpflanzte Stück 
muß fest und innig dem Mutterboden anliegen: Die Blutung muß 
zu dem Zwecke sorgfältig gestillt werden, das geronnene Blut muß 
möglichst vollständig entfernt und das transplantirte Stück an die 
Wundfläche genügend angepreßt werden. 2. Vor der Verpflanzung 
muß das transplantirte Stück in sterilisirter 0’6proc., warmer (37 
bis 38° C.) Kochsalzlösung abgespült werden (das längere Liegen 
[bis l x / 2 Stunden] in dieser Lösung wirkt nicht nachtheilig). 3. Von 
der Unterseite des verpflanzten Stückes muß das überflüssige Fett¬ 
gewebe mit der Scheere entfernt werden; jedoch darf nicht das 
ganze submucöse Zellgewebe abgeschnitten werden, weil sonst die 
Bedingungen für die Wiederherstellung der Blutcirculation im ver¬ 
pflanzten Stück weniger günstig werden. 4. Das zum Verpflanzen 
bestimmte Stück, sowie die Wundfläche dürfen nicht dem Einfluß 
starker Desinficientia ausgesetzt werden; die Transplantation soll 
möglichst aseptisch ausgeführt werden. 5. Das verpflanzte Stück 
muß die ganze Wundfläche möglichst vollständig bedecken, da sich 
auf der mit dem verpflanzton Stücke nicht bedeckten Stelle eine 
Narbe bildet. 6. Das verpflanzte Stück muß vor dem Vertrocknen 
geschützt werden. 

— In der letzten Sitzung der ophthalmologischen Gesellschaft 
zu Paris berichtete Darier über einen Fall von Heilung von 
Pteryglum mit Quecksilberlanolin. Derselbe betraf einen Mann, 
der schon seit 20 Jahren an Pterygium litt. Die Krankheit hatte 
die Cornea beiderseits derart ergriffen, daß das Sehvermögen be¬ 
deutend beeinträchtigt wurde. Pat. wurde bereits 3mal operirt. An 
der äußeren und inneren Seite zeigte die Cornea eine röthliche, 
fleischige, dreieckige Masse, deren Spitze bis gegen das Centrum der 
Cornea vordrang, die aber nicht das gewöhnliche Aussehen eines 
Pterygium zeigte. Der Limbus zeigte eine colloide halbdurchsichtige 
Infiltration, die mit kleineu Vacuolen erfüllt war, ähnlich wie beim 
Frühjahrscatarrh. Mittelst Massage mit Quecksilberlanolin gelang es, 
die Cornea aufzuhellen, und binnen 3 Wochen war der Pat. geheilt. 
Es ist dies der zweite von Darier nach derselben Methode be¬ 
handelte Fall. 

— U. H. E. Knaggs (Morley) berichtet im „Brit. med. 
Journ.“ vom 25. October über einen tödtlich endenden Fall von 
Sulfonalvergiftung. Derselbe betraf einen Mann, der über 30 Grm. 
Sulfonal zu sich genommen hatte. Es stellte sich ein Zustand von 
Stupor ein, aus dem der Kranke theilweise erweckt werden konnte. 
Trotz Anwendung der Magenpumpe und verschiedener Excitantien 
kam es zu vollständiger Anästhesie; die Pupillen waren normal und 
reagirten auf Licht, die Conjunctiva auf Berührung ganz unempfind¬ 
lich, der Puls war langsam, die Temp. schwankte zwischen 37'8 
und 39‘4; der Körper war mit Schweiß bedeckt, die Urinsecretion 
nach 12 Stunden vollkommen aufgehoben. Dieser Zustand hielt 
3 Tage an, worauf die Respiration plötzlich kurz und saccadirt 
wurde und dann sistirte. 

— Ueber die Chloroformbehandlung des Typhus äußert 
sich Dr. Stepp in Nürnberg in Nr. 45 der „Münch, med. Woch.“ 
sehr günstig. Das Chloroform wurde in Dosen von 1 Grm. auf 150 
in drei Theilen täglich verabreicht. Die schweren Fälle wurden in 
der günstigsten Weise dahin beeinflußt, daß in wenigen Tagen die 
Somnolenz, die vorhandenen Delirien einem klaren Bewußtsein Platz 
machten, daß die trockene, borkige Zunge feucht wurde und das 

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1907 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


1908 


Gesammtbefindeu sich erheblich besserte. Die Temperatur sank in 
8—10 Tagen erheblich herab, und das remittirende Stadium, das 
nur kurz war, führte bald zur Keconvalescenz. Auch Recidive 
wurde beobachtet, aber auch diese ging rasch vorüber. Im Durch¬ 
schnitt hatte das Fieber bei schweren Fällen eine 19tägige Dauer, 
bei leichten eine solche von 8 Tagen. Die längste Fieberdauer 
betrug 30, die kürzeste 8 Tage. 8. nimmt an, daß das Chloroform 
unzersetzt durch den Körper geht und auf diese Weise eine günstige 
antibacterielle Wirkung ausübt. Irgend welche nachtheilige Wirkung 
hat er nie gesehen. Im Gegentbeil ist das Chloroform in dieser 
Anwendung geradezu als Reizmittel zu betrachten. In der That 
ist auch, selbst wenn die Gesammtmenge von 10—20 Grm. während 
der ganzen Krankheitsdaoer in Betracht gezogen wird, eine schäd¬ 
liche Wirkung auf das Blut nicht denkbar. 

— San.-Rath Dr. Kupke (Posen) empfiehlt in Nr. 86 der 
„Allg. med. Centr.-Ztg.“ die Behandlung der Enuresis, insoferne 
ihr kein organisches Leiden zu Grunde liegt, durch die gleichzeitige 
Anwendung eines inneren Mittels, der Rhus aromatica, und eines 
äußeren, der Faradisation. Ersteres wird als Extract. fluid, rhois 
aromat. tropfenweise Früh und Abends in einem Glase Milch ge¬ 
reicht, und zwar in der Weise, daß kleine Kinder bis zu 2 Jahren 
2mal zu je 5 Tropfen, größere bis zu 6 Jahren je 10 und ältere 
bis zn je 15 Tropfen bekommen. Das Mittel muß längere Zeit, oft 
3—4 Monate, gegeben werden, wenn ein dauernder Erfolg erzielt 
werden soll. Die Faradisation geschieht in der Art, daß die große 
Anode auf die Lendengegend, und zwar auf den letzten Brust- und 
den ersten Lenden-Wirbel stabil aufgesetzt wird, während die kleine 
Kathode die Blasengegend labil bestreicht. Dauer der Sitzungen 1 bis 
6 Minuten, Anzahl derselben 20—30; der faradische 8trom darf 
nur so stark sein, daß er ohne Schmerzen (bei größeren Kindern) 
und ohne Weinen (bei den kleineren) ertragen wird. Dabei muß 
die Lebensweise durch Zunahme von weniger flüssigen und 
mehr festen Speisen geregelt werden. Abends gar keine Getränke, 
hartes Lager (Matratze, Roßhaarkissen, Steppdecke, Fußkissen), 
regelmäßige Blasenentleerungen und kalte Waschungen des Körpers, 
im Sommer Flußbäder. Jeder Kranke muß übrigens vor Beginn 
der Behandlung betreffs der Harn- und Geschlechtsorgane auf das 
Sorgfältigste untersucht werden, damit organische Fehler sogleich 
operativ behoben werden können. Die Rhus aromatica scheint eine 
besondere Wirkuog auf die Blasenschleimhaut auszuüben. Früher, 
bevor die Rhus aromatica als Heilmittel bekannt war, wurde das 
Strychnin angewendet. Die Tinct. nuc. vom. ist ganz unzuverlässig: 
am besten ist die subcutane Anwendung des Strychnin um nitricum, 
und zwar in der Gabe von 1 Milligramm, täglich lmal. Es soll 
sofort Besserung eintreten. Zu bemerken ist noch, daß das Uebel 
bis zum 14. Jahre gehoben sein muß, da es nach dem 15. Jahre 
sich sonst sehr schwer beseitigen läßt. 

— Einen neuen Beitrag zur Ichthyolbehandlung bei Frauen¬ 
krankheiten liefert H. W. Freund in Nr. 45 der „Berl. klin. 
Woch.“ Er bestätigt zunächst seine bereits früher gemachten An¬ 
gaben von der vorzüglichen Wirkung des Ichthyols bei Exsudaten. 
Seit Beginn dieses Jahres hat er in geeigneten Fällen einen häufigen 
Gebrauch vom Ichthyol zur Behandlung der Endometritis gemacht, 
und zwar bei der Endometr. corp. und cervicis. In den ersten 
Tagen wird bei Bettruhe und allgemeiner Antiphlogose zunächst 
das Laquear vag. mit Ichthyolglycerin tamponirt, bis der erkrankte 
Cervix gut abgeschwollen ist. Dann wird im Spiegel die entzündete j 
Scbleimhant mit reinem Ichthyolammonium oder -Natrium dick be¬ 
pinselt und täglich nur eine warme Scheidenausspülung gegeben, zu 
der man Salzwasser oder eine adstringirende Lösung verwenden 
kann. Das Aufstreichen des reinen Mittels ist fast immer nur in 
einer Woche nothwendig, dann ist die Mucosa so ausgetrocknet und 
abgeschwollen, daß der Rest der Affection mit adstringirenden In- 
jectionen bald völlig verschwindet. In einer Reihe von Fällen konnte 
man sich nach Monaten von der dauernden Heilung überzeugen, 
darunter in zwei, in denen die gonorrhoische Natur des Leidens sicher 
nachgewiesen war. In einigen Fällen von einfachem Uteruscatarrh, 
welcher Lageveränderungen und Anschwellungen der Gebärmutter zu 
begleiten pflegt — eine Affection, die durch Curettement nicht be¬ 
handelt worden sollte — hat F. schnelle und gute Erfolge durch 


einfache Scheidentamponade mit Ichthyolglycerin erzielt, wenn zu¬ 
gleich das primäre Leiden rationell behandelt wurde. Schließlich 
scheint im Ichthyol endlich ein Mittel gefunden zu sein, welches 
zur Heilung von Schrunden der Brustwarze allgemein verwendet zu 
werden verdient. Hier scheint die als Ichthyolzink in den Handel 
gebrachte zweckmäßige Verbindung, rein auf die Schrunde (mit dem 
Finger, einem Pinsel oder Stäbchen) nach vorheriger Abwaschung 
aufgetragen, das vorzüglichste Präparat zu sein. Eclatant äußert 
sich hier die schmerzstillende Wirkung des Ichthyols; auch wenn 
die Schrunde nicht schnell heilt, ist doch die Unempfindlichkeit der 
verletzten Partie meist schon nach 1—3maligem Aufstreichen groß 
genug, um das Anlegen des Kindes ohne Störungen und Schmerzen 
zu gestatten. Auch bei rein empfindlichen Brustwarzen, die keine 
Schrunden erkennen lassen, ist diese Wirkung unverkennbar. Ihr 
ist vielleicht auch zum großen Theil zuzuschreiben, daß das bei 
Schrunden oft zu constatirende Fieber schon nach kurzer Ichthyol¬ 
behandlung abfällt. Hervorzuheben ist, daß die Heiluugsdauer eine 
sehr kurze ist; alle Fälle heilten in 2—5 Tagen. Man muß die 
schwärzliche dicke Ichthyolzinkdecke jedesmal vor dem Anlegen des 
Kindes durch Wasser entfernen, was leicht zu erreichen ist; dann 
nehmen die Kinder die Brust, wie vorher. Wird das Abwaschen 
nicht exact ausgeführt, bleibt auf der Schrunde Ichthyol längere 
Zeit haften, so tritt hier keine Heilung ein, weil die aufgestrichene 
Masse dann sehr hart und zäh wird und so nur als Reiz wirkt. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 28. November 1890- 

Ueber das KoCH’sche Heilverfahren. 

Prof. KAHLER berichtet über seine ersten Versuche mit der 
KoCH’sohen Methode und hebt zunächst deren diagnostische Be¬ 
deutung hervor. 

In einem Falle von Pleuritis ohne eine Spur .einer parenchy¬ 
matösen Lungenerkrankung rief eine Injection von 2 Milligrm. eine 
heftige Reaction hervor, wodurch die tuberculöse Natur des Exsudates 
festgestellt wurde. In 2 Fällen von tuberculöser Peritonitis trat 
nach Injection von 2 Milligrm. starke Reaction ein, während welcher 
in einem der Fälle Schmerzen im Unterleibe auftraten, die früher 
nicht vorhanden waren. Bei einer Frau mit Drüsennarben 
und ganz gesunden Lungen stellte sich nach einer Injection von 
2 Milligrm. eine evidente Reaction ein. In 4 Fällen von Wirbel- 
caries erzeugte die KoCH’sche Flüssigkeit lebhafte Reaction, die 
über 48 Stunden anhielt. In einem Falle von asthenischer Pneumonie 
blieb nach der Lösung eine Dämpfung in der rechten Lungenspitze, 
deren Deutung schwierig war. Die durch die Injection hervorgerufene 
Reaction zeigte, daß es sich um eine alte Tuberculöse handelte. 

Bei allen Kranken mit Lungenphthise war nach den Injec- 
tionen eine exquisite Zunahme der Rasselgeräusche, starker Husten¬ 
reiz , Vermehrung der Sputa und außerordentliche Zunahme der 
Menge der Bacillen im Sputum zu constatiren. Die locale Reaction 
auf das tuberculöse Gewebe und das vermehrte Auswerfen von Tu¬ 
berkelbacillen lassen die Möglichkeit einer Heilung annehmen. 

Hofrath BlLLROTH fordert die Dermatologen auf, an excidirten 
Hautpartikelchen die nach der Injection der KocH’schen Flüssigkeit 
entstehenden histologischen Veränderungen der Haut zu studiren, da 
man nach den bisherigen Angaben, das Mittel wirke auf das tuber¬ 
culöse Gewebe, nicht weiß, ob es auf das primäre Tuberkel- oder 
auf das umgebende Gewebe wirkt. B. ist mit der Injection sehr 
vorsichtig. Bei Kindern beginnt er mit l /a Milligrm., da ja möglicher¬ 
weise bei solchen Kindern auch an der Gehirnbasis Tuberkel vor¬ 
handen sein können. 

Prof. KAPOSI bemerkt, daß Bergmann bei Lupus nicht so 
ängstlich mit der Dosirung ist; dennoch ist Vorsicht geboten, da 
unangenehme Erscheinungen auftreten können. So konnte sich ein 
Kind nach einer Injection von */ 2 Milligrm. lange nicht erholen und 
laborirte an Diarrhoen und continuirlichem Fieber. In manchen 


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1909 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


1910 


Fallen geht die locale Reaction beim Lupus dem Beginne des Fiebers 
voran. Es macht den Eindruck, als ob die Knötchen exfoliiren würden; 
an der Schleimhaut kommt es zu einer etwas intensiveren Schmelzung 
des Gewebes, auf der Haut scheint eine oberflächliche Entzündung 
stattzufinden ; wenn nun unter dieser eine Rückbildung vor sich geht, 
so wäre bei öfterer Wiederholung der Injection in einigen (5—6) 
Monaten eine vollständige Rückbildung möglich. Auf diese Aeußerung 
Kaposi’s erwiderte Koch, er glaube, daß nicht so viel Zeit nöthig 
sei, sondern daß dies etwa in 5—6 Wochen möglich wäre. Auf 
die Frage Kaposi’s, ob das Mittel nicht auch auf andere Gewebe 
als tuberculöse einwirke, erwiderte Koch , daß er das nicht be 
stimmen könne. Das Auftreten von Icterus weist jedenfalls auf einen 
Einflnß auf die rothen Blutkörperchen hin. Auf Syphilis hat das Mittel 
keinen Einfluß. Man müßte auch Gummata, Lepra und Rhinosclerom 
diesbezüglich untersuchen. Kaposi wird morgen 15 Fälle von Lupus, 
2 von Lepra, 2 Syphilis und gesunde Individuen injiciron und nach 
der Reaction excidirte Hautstückchen und das Blut untersuchen. 

Hflfr. BlLLROTH constatirt, daß in Folge anderer Entzündungen, 
wie z. B. Erysipel, Sarcome sich zurückbilden, daß dieselben aber 
nach Ablauf des Rothlaufes wieder wachsen. Was die Reaction be¬ 
trifft, so hängt dieselbe von der injicirten Quantität, vielleicht aber 
auch von der Zubereitung der Flüssigkeit ab. Er hat 1 Ccm. 
Originalflfl68igkeit mit 9 Ccm. , / 9 0 / 0 Carbollösung versetzt und 
von dieser Lösung wieder 1 Ccm. mit 9 Ccm. J /,% Carbollösung. 
Vielleicht war die große Menge Carboleäure Schuld an den geringen 
Reactionen in seinen Fällen. 

Prof. GÄRTNER versucht die locale und die allgemeine Reaction, 
sowie die Wirkung des Mittels durch Einwirkung desselben auf die 
local, aber auch wahrscheinlich im ganzen Organismus befindlichen 
Stoffwechselproducte der Tuberkelbacillen zu erklären, so daß die eine 
Substanz wie ein Ferment auf die andere einwirken würde. 

Prof. Dr. Leo BUR6ERSTEIN hält einen Vortrag über 
hygienische Untersuchung der Schulz u stände, in 
welchem er auf die äußerst mangelhaften hygienischen Verhältnisse 
der Schulen hinweist. deren Abhilfe nur durch eine gründliche 
Untersuchung der Scbulzustände herbeigefübrt werden kann, an der 
die Eltern, Lehrer und Aerzte thätig wären. Er legt es der Gesell¬ 
schaft nahe, sich der Angelegenheit anzunehmen. 

Prof. RßCSS stellt den Antrag, man möge den Verwaltungs¬ 
rath auffordern, sich mit dor Frage zu beschäftigen. (Angenommen.) 

_ S. 

Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege zu Berlin. 

( Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 24. November 1890. (Im hygienischen Instituto.) 

Oberstabsarzt Or. Köhler: Mittheilungen über das KocH’sche 
Heilverfahren mit Krankenvorstellung*) 

M. H. Ich schätze es als eine besondere Ehre, daß ich hier 
an der Stätte des Wirkens und Schaffens von Robert Koch, des 
Mannes, dessen Name jetzt auf Aller Lippen ist, reden darf von 
der Wirkung des Mittels, welches er angegeben hat. Die Beobach¬ 
tungen sind von Dr. Westphal und mir auf einer Nebenabtbeilong 
der Klinik des Geh.-R. Bardeleben gemacht worden. Sie erstrecken 
sich auf einen Zeitraum von 6 Woeben, eine kurze Spanne Zeit, 
und wir hätten gewünscht, noch Monate lang in unserer stillen 
Thätigkeit schaffen zu können. Es hat anders sein sollen. Ich will 

*) An anderer Stelle dieser Nummer beginnen wir die Reproduction 
eines ausführlichen, in Nr. 47 der „Deutsch, med. Wochen sehr “ er-chienenen 
Berichtes Köhlkr’s u r d Westphal’s über die an der chirurgischen Abtheiluog 
der Charitfe unternommenen Versuche mit dem Koch sehen Mittel. Wenige 
Tage nach Publication dieser Arbeit hielt Oberstabsarzt Dr Köhler einen mit 
großer Spannung erwarteten Vortrag über dasselbe Thema in den Räumen 
jenes Institutes, in welchem — wie der Vorsitzende, Geh.-R. Scinola, hervor¬ 
hob — eine so phänomenale Entdeckung zur Reife gediehen ist. Der Vortrag 
bildet eine willkommene Ergänzung des gekannten Berichtes, da Köhler be¬ 
müht ist, die nach der Kocß'schen Injection Z' r Beobachtnng gelangten Er¬ 
scheinungen zu erklären und die Stellung der Chirurgie zu der KocH’schen 
Behandlung äußerlicher tnbercnlöser Erkrankungen zu skizziren. Die Red. 


Ihnen daher eine Reihe von Patienten vorstellcn, an denen Sie die 
Wirkung des Mittels studiren können. 

Was die Wirkung des Mittels auf den menschlichen Organismus 
anbetrifft, so ist es ein ganz gewaltiger Unterschied. ob dasselbe 
bei chirurgisch Kranken, welche tuberculös, und solchen, welche 
nicht tuberculös sind, injicirt wird. 

Bei chirurgisch Kranken welche nicht tuberculös sind, ergibt 
sich bei Injection ganz kleiner Dosen keine Reaction. Mittlere Dosen, 
etwa 0*5 der einprocentigen Lösung, rufen Unbehagen hervor, zu¬ 
weilen auch Uebelkeit nnd Erbrechen; dabei besteht ein Gefühl von 
Angegriffensein, die Temperatur steigt bis auf 38 5°. Nach 10 bis 
12 Stunden ist das Befinden jedoch wieder ein normales. Was aber 
für den Chirurgen die Hauptsache ist: niemals tritt eine 
loeale Reaction ein, niemals wird das in chirurgischer Be¬ 
ziehung kranke Gebiet durch irgend eine locale Veränderung 
affieirt. 

Ganz anders bei chirurgisch Kranken, deren Krankheit auf 
tuberculöser Basis beruht. Hier machen bereits ganz kleine Dosen 
von 0*1 der 1% Lösung eine ganz gewaltige Reaction. In 5 bis 
6 Stunden steigt die Temperatur auf 40—41° und fällt steil wieder 
ab, so daß sie bereits am nächsten Tage wieder normal oder selbst 
subnormal ist. Gewöhnlich tritt nach 5—6 Stunden Schüttelfrost auf, 
der sich aber auch anders verhält, wie bei sonstigen Erkrankungen. 
Die Patienten fühlen sich bei Weitem nicht so angegriffen, wie sonst 
bei Schüttelfrost; ihr Allgemeinbefinden wird nicht entsprechend der 
hohen Temperatur alterirt. Der Schüttelfrost dauert 1 / a —1 Stunde 
und endet dann zwar nicht in voller Euphorie, aber die Patienten 
fühlen sich verhältnißmäßig wohl. Im Gegensatz za den oben er¬ 
wähnten Fällen ist demnach als ein besonders wichtiges Factum 
hervorzuheben, daß bei chirurgisch Kranken mit Tuber- 
culose sofort die locale Reaction eintritt. 

Der zaerst vorgestellte Knabe ist vor 6 Monaten in Köhler’s 
Behandlung gekommen. Pat. erblich nicht belastet, befand sich in 
einem sehr elenden Zustande, er war bedeckt mit Geschwüren am 
Halse, am Ober- nnd Unterschenkel. Nach dem äußeren Aussehen 
der Geschwüre handelte es sich um Hauttnbercnlose. Eine Behandlung 
mit Perubalsam hatte absolut keinen Erfolg. Eines Tages entdeckte 
Köhler, daß das Secret der Geschwüre von zäh-flüssiger Beschaffen¬ 
heit war, ähnlich derjenigen- bei .Syphilis, so daß die Diagnose anf 
Lues gestellt wurde. Der Knabe wurde einer Schmiercur unterworfen 
und sein Allgemeinbefinden besserte sich, verschiedene Geschwüre 
vernarbten. Einzelne Geschwüre am rechten Ober- und Unterschenkel 
sind jedoch nicht vernarbt, haben vielmehr in die Tiefe gefressen 
nnd zu FistelbilduDgen geführt wie bei Tuberculöse, so daß Redner 
zu der Vermuthung kam, es sei ein Knochenleiden die Ursache der 
Fisteln. Trotz breiter Spaltungen ist er jedoch nicht auf kranken 
Knochen gekommen. 

Vom 11. October ab ist Patient den Einspritzungen mit der 
KocH’schen Flüssigkeit unterworfen worden. Vor der Injection war 
die Temperatur 36 8. Nach einer Injection von 0*1 einer 1% Lösung 
stieg die Temperatur binnen wenigen Stunden auf 38'9. Das mußte 
den Vortr. stutzig machen. Merkwürdiger Weise fand aber in der 
Gegend der Geschwüre absolut keine Reaction statt, ein Beweis, 
daß an diesen keine Tuberculöse vorliegen konnte. Am folgenden 
Tage wurde nochmals 0*1 der Lösung eiDgespritzt, es erfolgte 
keine Reaction. Anf eine Injection von 0‘2 am folgenden Tage stieg 
die Temperatur sofort auf 39*0. Es mußte demnach irgendwo eine 
Tuberculöse bei dem Kinde vorhanden sein. Die Lungen waren frei. 
Stabsarzt Pfuhl beobachtete nun, daß jedesmal nach der Einspritzung 
die Nasenspitze des Kindes sich röthete und erst alluiälig wieder 
weiß wurde. Wahrscheinlich sind im subcutanen Gewebe kleine Lupus¬ 
knötchen vorhanden. 

Es folgen nun einige Fälle von Lupus. Pie locale Reaction 
ist hier eine ganz prägnante. Es röthen sich nach 5—6 Stunden 
nicht blds die lupösen Stellen, sondern auch deren Umgebung wie 
beim Erysipel. Nach einer Einspritzung am Morgen fand sich am 
Abend folgendes Bild. Ueberall zeigten sich Risse in der Haut und 
aus diesen trat Flüssigkeit, wie Serum aussehend, hervor, welche 
sehr bald zu Schorfen trocknete. Dieser Vorgang war bei jedem 
Lupus zu beobachten. Nach Abfallen der Schorfe zeigt sich eine 


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röthliche feine Narbenhaut. Diese Narbe hält jedoch noch nicht 
Stand, nach neuen Injectionen tritt wieder eine Transsudation ein, 
die ursprünglich erkrankten Stellen röthen sich von Neuem. Ver- 
bältnißmäßig häufig hat Redner einen Ausschlag beobachtet, ähn¬ 
lich wie bei Scharlach, welcher zuuächst an Hals und Brust erscheint. 
Oefters tritt auch Icterus auf und, zwar sehr schnell; Gallenfarb¬ 
stoff findet sich aber nicht im Urin. Der Icterus läuft in 4—5 Tagen 
ab. Bei einigen Patienten wurden nach neuen Injectionen Recidive 
beobachtet. Zuweilen hat das Exanthem einen anderen Charakter, 
es sieht wie Urticaria aus. Auch wurde es dann vornehmlich an 
den Stellen beobachtet, wo die Kleider eng anliegen und drücken, 
bei Frauen z. B. an den Stellen der Bänder. 

Wie haben wir uns die Wirkung des Mittels bei 
Lupns vorzustellen? Wir müssen uns in dieser Beziehung 
immer an das halten, was Koch bewiesen hat: das tuberculöse 
Gewebe stirbt ab, die Bacillen bleiben leben. Handelt es sich um 
einen ganz oberflächlich verlaufenden Lupus, so ist es denkbar, daß 
das umgebende Gewebe mit den eingeschlossenen Tuberkelbacillen 
durch die starke Reaction und Transsudation nach außen geworfen 
wird; alsdann kann schon auf diese Weise a priori eine Heilung 
eintreten. Anders liegen die Verhältnisse, wenn die Lupusknoten, 
wie das meistens der Fall ist, tief in das Corium hineingehen oder 
selbst im subcutanen Gewebe liegen. In diesem Falle ist, nachdem 
das tuberculöse Gewebe abgestorben ist, die Natur nicht im Stande, 
diesen Fremdkörper nach außen zu werfen, denn über demselben 
liegt auch das dicke, zum Theil sogar narbig geschrumpfte Corium. 
Was wird nun aus diesem abgestorbenen tnberculösen 
Gewebe mit den lebenden Tuberkelbacillen? Entweder 
es wird mitsammt den Bacillen resorbirt, und das wäre höchst ge¬ 
fährlich und könnte zu allgemeiner Tuberculöse führen, oder es 
könnte das abgestorbene Gewebe resorbirt werden und die Tuberkel¬ 
bacillen bleiben in loco. Dann würde nach Wochen und Monaten 
ein locales Recidiv eintreten können. Es kann aber auch sein, daß 
das Gewebe nicht resorbirt wird, denn es gibt bekanntlich Herde 
im Körper, welche für den Organismus ansgescbaltet sind, allerdings 
unter einer gewissen Reserve. Wenn irgend ein Druck oder Stoß 
auf dieses Gewebe mit den lebenden Tuberkelbacillen einwirkt, so 
kann die käsige Hülle zerstört werden, die Bacillen werden frei, 
rufen in loco ein Recidiv hervor oder gehen in den Körper über. 
Wir Alle wissen, daß es tuberculös erkrankte Kniegelenke gibt, 
welche wir durch sorgfältige Behandlung so weit bringen, daß wir 
von relativer Heilung reden können. Das Knie bleibt aber in Flexions¬ 
stellung. Machen wir nur zur Beseitigung dieser Stellung ein Brise¬ 
ment forcö, so kann die Tuberculöse von Neuem hervortreten. Offen¬ 
bar sind die abgekapselten Herde zerrissen und die Bacillen sind 
frei geworden. Es ist aber auch denkbar, daß die Bacillen einen 
anderen Nährboden haben und immer wieder von todtem Gewebe 
umgeben werden, daß mit der Zeit ihre Virulenz verloren geht 
und sie absterben. Diese Annahme ist jedoch noch nicht erwiesen. 

Aus diesen Erwägungen folgt mit logischer Con- 
sequenz, daß wir beim nicht ganz oberflächlichen 
und tiefen Lupus chirurgisch nachhelfen müssen. 
Wir wollen durch diese chirurgische Nachhilfe nichts weiter, als es 
dem Körper möglich machen, das tuberculöse Gewebe an die Ober¬ 
fläche zu bringen. Wir löffeln daher das erkrankte Gewebe aus 
und machen dann eine Injection, worauf nun eine Reaction und 
Exsudation eintritt. Es ist dann denkbar, daß jetzt die Bacillen 
nach außen geworfen und auf diese Weise unschädlich werden. 

Wir können aber auch den umgekehrten Weg einschlagen, 
indem wir in derselben Weise operiren wie bisher, den Lupus vor 
der Injection auskratzen, dann injiciren und sehen, an welcher 
Stelle noch locale Recidive auftreten, schließlich die Injectionen so 
lange wiederholen, bis das locale Recidiv ausbleibt, ein Beweis, daß 
die tuberculösen Massen nach außen entleert sind. 

Vorstehende Erwägungen sind aber bisher noch rem theore¬ 
tischer Natur. Wären sie richtig, so müßte der ulcerirende Lupus 
bessere Bedingungen zur Heilung geben als der nicht ulcerirende. 
Das scheint in der That der Fall zu sein. 

Bei einem älteren Patienten bestehen seit vielen Monaten 
Lupusknoten der Wange, des Nasenrückens und der Nasenflügel 


mit theilweiser Zerstörung derselben. Nach der ersten Injection von 
l'O wurde drei Wochen lang nicht eingespritzt, um die Reaction 
des Körpers genau zu beobachten. Nach Abfallen der Schorfe fand 
man überall ein feines rothes Häutcheu. Auf dem Nasenrücken trat 
aber bald wieder Zerfall ein, offenbar durch neue Knötchen ver¬ 
anlaßt. Dagegen hatte sich, was höchst charakteristisch ist, an den 
Stellen der Nasenflügel, an denen die ulcerirten Knötchen vorhanden 
waren, eine feste Narbe gebildet, welche auch jetzt noch besteht. 
Ob sie von Dauer sein wird, bleibt immerhin noch abzuwarten. 
Wenn aber die Möglichkeit eines neuen Auftretens von Lupusknötohen 
nicht absolut ausgeschlossen ist, so sind solche doch jetzt nicht mehr 
zu fühlen. 

Im Uebrigen liegt noch ein zweiter Fall vor, bei welchem die 
exulcerirten Lupusstellen seit 6 Woches geheilt sind, während die 
anderen noch keine einwandfreie Heilung zeigen. Große Dosen 
von 3'0 rufen absolut keine Reaction mehr bei diesem Patienten 
hervor. 

Der nächst vorgestellte Fall, eine Frau in den mittleren Jahren, 
beweist, daß Lupus durch das Mittel allein heilen kann. Es bestehen 
bei der Pat. verschiedene Formen von Lupus: An den Stellen, an 
denen er ganz oberflächlich war, ist Heilung eingetreten. An den 
Wangen ist eine vollkommen normale Haut entstanden, die Aus¬ 
führungsgänge der Drüsen sind deutlich zu sehen, und es stellt sich 
schon Lanugo ein. Die Pat. hat so lange große Dosen injicirt be¬ 
kommen, bis sie nicht mehr reagirte. Auch am Augenwinkel und 
Ohr ist von einer Knotenbildung nichts mehr zu sehen. Von einer 
Heilung spricht Köhler aber auch in diesem Falle noch nicht, 
sondern verlangt weitere Beobachtung; jedenfalls ist dieser Fall aber 
in der Heilung am weitesten vorgeschritten. 

Redner stellt hierauf eine Pat. vor, bei welcher eine große 
Reihe tuberculöser Halsdrüsen exstirpirt ist, und zwar auf 
beiden Seiten des Halses. Es wurden in der Ueberzeugung, daß nur 
bei Tuberculöse eine locale Reaction eintritt, große Dosen injicirt. 
Die Umgebung der Narben am Halse röthete sich intensiv, die 
Narben wurden schmerzhaft. Eine “Narbe, bei welcher die Exstir¬ 
pation der Lupusknötchen sehr gründlich vorgenommen war, zeigte 
keine Reaction. In der Nähe der gerötheten Narben liegen in diesem 
Falle zweifellos tuberculöse Massen. Die Injection hat zur Abscedirung 
geführt, und es ist möglich, daß auf diese Weise die Massen nach 
außen entleert werden und dadurch Heilung erfolgt. 

Diese Pat. hat mehrfach nach den Injectionen Icterus und 
Exanthem gezeigt. Nach der ersten Injection von 10 Flüssigkeit 
stieg die Temperatur auf 39 6. Zugleich trat starke Conjuuctivitis 
und heftige Entzündung der Cornea auf. Wahrscheinlich lag auch 
Tuberculöse des Auges vor. Erst auf eine neue Einspritzung ging 
die Entzündung zurück. Nach jeder neuen starken Dosis röthet sich 
die Conjunctiva, während die Cornea jetzt unbeeinflußt bleibt. 

Die nächste Pat., erblich belastet, leidet seit vielen Monaten 
an fungöser Entzündung des Kniegelenkes in Form von 
tuberculösem Hydrops. Man hätte hier schwankend sein können, ob 
die Entzündung tuberculöser Natur, nur das Moment der erblichen 
Belastung konnte auf eine Tuberculöse als Ursache der Erkrankung 
führen. Bei einer kleinen Dosis stieg die Temperatur auf 40°; das 
Kniegelenk war heiß anzufühlen. Am nächsten Tage wurde dieselbe 
Dosis eingespritzt, es erfolgte keine Reaction. Es wurde nun all- 
mälig bis zur höchsten Dosis gestiegen, und schließlich erfolgte auch 
auf diese keine Reaction mehr. Unter dieser Behandlung ist das 
Knie sehr abgeschwollen. Während früher eine active Bewegung 
des Knies überhaupt nicht, eine passive nur unter großen Schmerzen 
möglich war, kann Pat. das Gelenk jetzt etwas bewegen; die Con- 
touren sind mehr hervorgetreten. 

Soll man in solchen Fällen das kranke Gelenk 
sofort eröffnen? Sicher wird sich kein Chirurg dazu entschließen, 
I da sich Pat. auf dem Wege der Besserung befindet. Anders liegen 
j die Verhältnisse in einem anderen Falle von Entzündung des Knie¬ 
gelenkes , wo die allgemeine und locale Reaction abgelaufen ist. 
Wegen eingetretener Abscedirung hat Redner die Abscesse eröffnet 
und war erstaunt, daß sich aus ihnen lauter necrotische Pfröpfe 
herausdrücken ließen, wie bei Phlegmone. Nach Köhler’s Auffassung 
wird man in solchen Fällen dem tuberculösen Gewebe einen Ausweg 


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1913 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


1914 


schaffen müssen. „Wir müssen in der Weise Vorgehen, 
daß wir ruhig weiter reseciren, wie früher, aber die 
Wunde nicht zunähen, sondern sofort mit den Einspritzungen Vor¬ 
gehen. Tritt hohes Fieber ein, so ist der Körper wenigstens in dor 
Lage, die alsdann sicher vorhandenen tuberculösen Massen beraus- 
zuschaffen. Wenn wir einen Sequester im Knochen sitzen haben, so 
müssen wir auch ferner operiren, aber die Bedingungen der Heilung 
sind dabei gegeben. 

In der Charitö befinden sich jetzt viele Dutzende derartiger 
Kranker in Behandlung. In einem Falle von Rippenresection dachten 
wir an Actynomicose, Pilzrasen wurden indeß nicht gefunden. Nach 
Injection einer kleinen Dosis stieg die Temperatur sofort auf 40°. 
Dadurch ist die Diagnose gesichert, es handelt sich um Tuberculosc. 

Es folgt eine jugendliche, erblich belastete Pat. mit schmerz¬ 
hafter Anschwellung beider Fußgelenke chronischer Art. Es war 
nicht das gewöhnliche Bild des Fungus, doch lag wegen der erb¬ 
lichen Belastung die Vermuthung auf Tuberculose nahe. Außer der 
Schwellung der Fußgelenke zeigte Pat. noch zahlreiche Narben an 
den Unterschenkeln, deren Natur nicht klar war. Nach Injection 
einer kleinen Dosis trat ein Fieber weit über 40° ein. Trotzdem 
trat an den Fußgelenken absolut keine Reaction ein, was stutzig 
machen mußte. Da machte Pat. auf einen schmerzhaften Punkt am 
Balse aufmerksam: es war eine Narbe, welche offenbar von einer 
früheren Drüsenexstirpation herrflhrte. Diese Narbe war enorm ge¬ 
schwollen and hier war die Ursache des Fiebers zu suchen. Auch 
bei weiteren Injectionen trat immer nur an dieser Stelle Schwellung 
ein. Die Narbe wurde daher exstirpirt. Daß das Fußgelenk nicht 
der Sitz einer tuberculösen Erkrankung war, geht außer dem Fehlen 
jeder localen Reaction auch daraus hervor , daß nach Darreichung 
von Natr. salioyl. die Schwellung der Gelenke zurückging. —r. 

Verein der Charite-Aerzte in Berlin. 

,v< (Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 21. November 1890. 

Vorsitzender, Generalarzt Mühlhausen : 

Es war am 13. März 1882, als Koch mit der Entdeckung der 
Tuberkelbacillen vor die Welt trat, und schon damals sagte er, daß 
die Lebensbedingungen der Bacillen Aussicht auf eine erfolgreiche 
Behandlung der Tuberculose gewähren. Seither hat Koch vor kaum 
einer Woche die weitere Frucht seiner Arbeit veröffentlicht, und wir 
haben durch ihn ein Verfahren gewonnen, mit Hilfe dessen wir die 
Tuberculose, die bedeutendste aller Infeotionskrankheiten, bekämpfeu 
können. Ich glaube, wir können von dieser Stelle Koch für seine 
große Leistung nicht besser danken, als dadurch, daß wir uns 
bemühen, durch genaue Erprobung und ohne Ueberhastung 
die Grenzen des Verfahrens festzustellen. 

Hierauf demonstrirten Prof. 0. Fräntzel und Oberstabsarzt 
Dr. Köhler mehrere nach Koch’s Methode behandelte Kranke. 
Nachdem die „Wiener Med. Presse“ die bisherigen Erfahrungen 
beider Vortragenden bereits ausführlich mitgetheilt hat, begnögen wir 
uns damit, an dieser Stelle das Resumö Köhler’s wiederzugeben. 
Derselbe schloß seine Ausführungen mit folgenden Sätzen: 

1. E8 steht fest, daß wir durch das KocH’sche 
Mittel im Stande sind, die ersten Anfänge chirur¬ 
gischer Tuberculose mit Sicherheit zu erkennen zu 
einer Zeit, wo unsere bisherigen diagnostischen Hilfsmittel uns immer 
noch im Stich lassen und die Verhältnisse der Kranken günstige sind. 

2. Das KocH’sche Mittel hat eine eminent differen¬ 
tiell-diagnostische Wichtigkeit. Wir können mittelst des¬ 
selben mit Sicherheit Tuberculose ausschließen. Bei den Fällen von 
Coxitis können wir mit mathematischer Gewißheit sagen: in diesem 
Falle liegt zweifellos tuberoulöse Coxitis vor, in jenem nicht. 

3. Das KocH’sche Mittel ist in derThat ein Heil¬ 
mittel gegen Tuberculose; in welchen Grenzen, muß die 
Zukunft lehreu. 

Wenn nun auch die Hoffnungen, welche namentlich die poli¬ 
tische Presse durch übertriebene Mittheilungen erweckt hat, sich 


nicht in vollem Umfange erfüllen, so ist doch sicher, daß Koch zu 
den genialsten Forschern aller Zeiten gehört. Lassen wir ihm hier 
laut Dank sagen, dem Meister unserer Wissenschaft. G. 


Verein der Aerzto in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 10. November 1890. 

Prof. LlPP demonstrirt einen Fall von eigentümlicher Keratose 
der Haut an einer oberen Extremität. Es handelt sich um einen 
bejahrteren Mann, welcher an der rechten oberen Extremität folgeudo, 
merkwürdige, bisher gewiß in dieser Weise noch nicht beobachtete 
Bildungen aufweist. Von der Radialseite des Dorsum manus ziehen 
sich gegen die Ulnarseite hin einzelne unregelmäßig begrenzte Gyri 
vollständig verhornter Partien hin. Dieselben übergreifen auch zum 
Theile auf die Vola manus und finden sich in Form kleinerer, ver¬ 
hornter Partien auch an verschiedenen Stellen der einzelnen Finger 
dieser Hand vor. Diese verhornten Stellen überragen das Epidermis- 
niveau um ein Erkleckliches, haben eino graubraune Farbe, wie sie 
das Cornu cutaneum darbietet, und in ihrer unmittelbaren Umgebung 
findet sich ein schmaler gerötheter Hof an der Haut, sie begrenzend. 
Die umliegende Haut ist vollkommen zart und gesund, so daß die 
beschriebenen Bildungen streng begrenzt sind. Bei seitlicher Beleuchtung 
sieht man, wie diese Excrescenzcn aus Prismen von Hornsubstanz 
bestehen. Nach all dem kann es sich um nichts anderes handelu, als 
um eine multiple Bildung von Cornu cutaneum in dieser höchst 
eigenthümlichen Anordnung. Ae t io logisch ist in diesem Falle 
nur zu constatiren gewesen, daß der Mann vor circa 10 Jahren ein 
Trauma heftigerer Art an dieser jetzt afficirten Stelle erlitten hat. 
Sicher seit 5 Jahren leidet er an der jetzigen Erkrankung. Mikro¬ 
skopisch finden sich, wie Rindfleisch nachgewiesen hat, von den 
verhornten Partien aus tief in die Epidermis eindringende Epithel¬ 
zapfen , welche eine Exstirpation mit nachfolgender Auskratzung in 
diesem Falle als illusorisch erscheinen lassen, da von diesen auf 
solche Weise nicht zu zerstörenden Herden aus, die Wiederentstehung 
der entfernten Gebilde stets von Neuem vor sich geht. Ebenso wenig 
Aussicht auf Erfolg hat nach des Vortragenden Meinung eine Be¬ 
handlung mit ätzenden Salben. Lipp wird daher den thermo-oder 
galvanocaustischen Weg einschlagen zur Erzielung der Heilung 
in diesem Falle. Daß die Affection heilbar ist, beweisen ja einige 
atrophische kleine Hautpartien, welche früher ebenfalls von den 
gleichen Bildungen eingenommen gewesen waren. 

A88i8t. Dr. REGNIER demonstrirt einen Fall von gelungener 
Cheiloplastik. Es handelte sich um ein Carcinom der Unterlippe 
und der gesetzte Defect wurde mit einem vom Halse entnommenen 
Lappen gedeckt. Der Fall wurde auf der Klinik Prof. Wöfller’s 
operirt. 

DOC. Dr. I.AKER demonstrirt einen Rhinolithen. Derselbe 
hatte sich um einen Kirschkern herum gebildet, welcher sich in dem 
Raume zwischen mittlerer und unterer Nasenmuschel und Septum 
festgesiedelt hatte. 

Prof. Börner : Zur Kenntniß des Geburtsactes älterer Erstge¬ 
bärender. 

Der Vortr. skizzirt zuerst den Standpunkt, den verschiedene 
Forscher in dieser Frage heute einnehmen. Als ältere Primiparae 
betrachtet er solche von circa 32 Jahren an. Bei solchen Frauen 
pflegte gemeiniglich späte geschlechtliche Entwicklung einzutreten, 
die ersten Menses treten spät auf und Hand in Hand geht mit diesen 
Anomalien eine gewisse Trägheit des Geschlechtslebens einher. Es 
gibt außerdem sicherlich gewisse Zustände des Geschlechtsapparates, 
die zur Zeit ihres Bestehens eine Conception verhindern, ohne ärzt¬ 
liches Zuthun gut werden können, und jetzt eine Conception er¬ 
möglichen. Manche Fälle spät eingetretener Gravidität mögen auf 
solche Weise erklärlich werden. 

Was den Schwangerschaftsverlauf bei ältereu Erst¬ 
gebärenden betrifft, so ist derselbe charakterisirt durch die Dispo¬ 
sition zu Nierenerkrankungen. Bei dem G eb ur ts verl aufe ist das 


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Nr. 48. 


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— Wiener Medizinische Presse. — 


1890. 


hervorstechendste Symptom gelegen in der Wehenschwache und der 
Schmerzhaftigkeit der Wehen. Die Dauer der Geburt ist deswegen 
eine sehr protrahirte. Es muß in einer großen Zahl von Fällen 
operativ eingeschritten werden. Der Geburt folgt große Ermattung 
und Erschöpfung der Gebärenden, so daß selbst einzelne Todesfälle 
in ihrem Gefolge notirt sind. Die Früchte sind überwiegend männ¬ 
lichen Geschlechtes. Auch während des Wochenbettes finden wir 
ungünstige Verhältnisse. Der Vortr. fuhrt nun einen Fall seiner Praxis 
an, der geeignet ist, das Vorstehende zu illustriren und in gewisser 
Beziehung zu erweitern. Eb handelt sich um eine 35jährige, kräftige 
und vollkommen gesunde Primipara, welche erst im 11. Jahre ihrer 
Ehe zum erstenmale concipirte. Zur vollkommen gehörigen Zeit trat 
der Beginn der Geburt ein, und zwar begann dieselbe mit Abgang 
des Fruchtwassers bei noch geschlossenem Muttermunde. Dio in regel¬ 
mäßigen Zwischenräumen sich ein6tellenden Wehen waren durch 
große Schwäche gekennzeichnet, so daß ihr Effect trotz aller er¬ 
denklichen angewendeten Mittel zu ihrer Verstärkung kein weiterer 
war, als die Eröffnung des Muttermundes auf etwa Kreuzergröße. 
Nachdem dieselben 5 Tage lang gedauert hatten, trat bei der Krei- 
ßenden tin vorübergehender Tobsuehtsanfall auf. Endlich mußte die 
Geburt am 6. Tage künstlich beendet werden, und zwar mußte, ila 
dieselbe keinen Schritt vorwärts machte und Gefahr im weiteren 
Verzüge vor Allem für die Mutter da war, zur Perforation und 
Extraction des Kindes geschritten werden. Auch die Placenta mußte 
manuell entfernt werden, da die Utoruscontraotionon nicht zu deren 
Ausstoßung hinreichten. Das Kind war vollkommen ausgetragen, 
männlichen Geschlechtes, die Lage eine gewöhnliche Hinterhauptslage, 
die Beekcnvcrhältnisse vollständig normale. Das Wichtigste in diesem 
Falle ist die absolute EfiVctlosigkeit der Weben. Die Ursache für 
diesen Umstand findet der Vortr. gelegen in Unzulänglichkeiten im 
Nerven- und Muskelapparale des Gebärorganes, basirend auf Ver¬ 
änderungen in dessen Geweben, die wir heute noch nicht präcisiren 
und mit dem Mikroskope demonstriren können. Außerdem ist noch 
zu bedenken, daß an sich gleich starke Wehen bei Multipara einen 
viel größeren Effect erzielen werden als bei einer Primipara wegen 
der großen Verschiedenheit der zu überwindenden Hindernisse in 
beiden Fällen, dann ist der Uterus bei einer Multipara wie jedes 
geübte Organ leistungsfähiger, nicht verkümmert. 

Was die hier in Anwendung gezogene Art der Entbindung 
betrifft, so hätte außerdem noch in Betracht kommen können die 
Methode von Dürbssen: Anlegung mehrerer tiefer Incisionen in den 
Cervix und Extractionen des Kindes mit der Zange. Die letzteren 
haben die Gefahr des Weiterreißens bei der Extraction und sind 
erst in einer geringen Reibe von Fällen, allerdings mit gutem Re¬ 
sultate für Mutter und Kind, erprobt worden. Jedenfalls ist zu 
wünschen, daß diese Methode auf Kliniken vorerst durchgeprüft 
werde, ihre Indicationen fest präcisirt werden, damit sie dann Ge¬ 
meingut des praktischen Arztes werden könne. hs. 


Notizen. 


Wien, 29. November 1890. 

Robert Koch’s Behandlung der Tnberculose. 

Aus Berlin sendet unser Special-Berichterstatter folgendes 
Stimmungsbild: 

Auri sacra fames! das ist im Augenblicke der große Motor, 
der die Aerzte aller Zungen aus allen Richtungen der Windrose in 
die große Hauptstadt getrieben, die in Bismarck , Moltke und 
Koch ihre größten Erfolge verkörpert. Das alte „dat Galenus 
opes“ war bereits etwas fadenscheinig geworden, da kommt mit 
einem Male Koch’s große Entdeckung mitten in die sensations¬ 
durstende Menge, und mit einem mächtigen Ruck hat sich die Therapie 
und mancher Therapeut, der es versteht, die Frucht stiller Gelehrten¬ 
arbeit in klingendes Gold urazusetzen, auf die Beine geholfen. Alles 
fliegt auf den Kriegsschauplatz, dort schlägt die große Trommel, 1 
hier wird die Fanfare geblasen und der Kriegslärm, den die 
falschen Freunde einer großen Bewegung anstimmen, übertönt die I 


schüchterne Stimme der Kritik. Seit der ersten Proclamation von 
Koch’s Thesen notirt der Büchermarkt bereits eine Unzahl von 
Publicationen, die der wißbegierigen Menge und den armen, nach 
Heilung schmachtenden Kranken erzählen wollen, wie man nach 
Koch’s Methode die Tubereulose heilt, während Gerhardt, FrIntzEl 
und Bergmann nicht müde werden, zu wiederholen, daß sie mit 
ihren Versuchen noch zu sehr im Beginne der Beobacbtnng wären, 
um sich ein fertiges Urthcil bilden zu können. Aber die Kranken 
drängen mit lautem Ungestüm, und der ersehnte Erfolg blendet die 
Sinne. So sehen wir die Kliniken der Charite, der Universität, die 
Ordinationszimmer der Ambulatorien und die medicinisohen Ver¬ 
sammlungen , in denen ’es sonst still und ernst zngeht, von einer 
großen, eigenartigen Meuge überfluthet. Das kleine Häuflein wi߬ 
begieriger Leute und ernster Forscher unterscheidet man wohl von 
der buuten Menge, die Neugier, Schaulust und Gewinnsucht her- 
goführt hat; die drängt und jagt Allen voran, maßlos im Wollen 
und genügsam in der Aufnahme des Gesehenen, und in ihrem Nach¬ 
trab jene bekannte Schaar harmloser Schlachtenbummler, die auf 
allen Kriegsschauplätzen bivouakiren. 

Die nachhaltige Bedeutung joner vielgestaltigen Krankheit, 
deren Heilung uns durch die KocH’sche Entdeckung in Aussicht 
gestellt ist, das tiefe Unglück für das Individuum und die Familie, 
der schwerwiegende Einfluß auf die socialen Verhältnisse, der in der 
großen Frequenzziffer seinen Ausdruck findet, lassen es begreifen, 
daß Kranke und Gesunde mit Leidenschaft und Ostentation sich 
einer Frage bemächtigen, die leider zu früh aufgeworfen wurde, 
die früher gestellt, als gelöst ist. Was verspricht sich die Welt 
von der Entdeckung des genialen Forschers, und was wird die ruhige 
überlegene Prüfung, was wird die Erfahrung einzuhalten in der 
Lage sein? Zwischen dem, was der heiße Wunsch begehrt, und 
was in den Ergebnissen der thatsächlicheu Beobachtung jetzt vor¬ 
liegt, bleibt ein großer, leerer Raum, der erst durch eine der im¬ 
posanten Wichtigkeit der Tuberculose entsprechenden Zahl sorgfältiger 
Prüfungen ausgefüllt werden soll. Die Kliniker Berlins, die sich 
erst seit Kurzem mit der KocH'schen Methode beschäftigen, von 
denen die Welt mit gespannter Erregung fertige Schlüsse und klare 
Thesen verlangt, sind noch nicht in der Lage, über die Wirkungs¬ 
weise des neuen Arcanqms mit wissenschaftlicher Genauigkeit mehr 
zu sagen, als Koch in seiner so zurückhaltend abgefaßten ersten 
Mittheilung aqsführte, sie studiren erst aus der Casuistik die klini¬ 
schen Erscheinungen, die auf die Application der Impfung sich ein¬ 
stellen. Das Thierexperiment, das uns nach physiologischer, patho¬ 
logischer und anatomischer Richtung belehren soll, fehlt noch. Die 
Rcactionserscheinungen, die der Infectiou folgen, verlaufen bald 
unter dem Bilde einer schweren fieberhaften Allgemeinerkrankung, 
oder sind bei der gleichen Dose in anderen Fällen so gering, daß 
die subjectiven und objectiven Erscheinungen keine Aenderung gegen 
das frühere Verhalten ergeben. Der Fieberverlauf nach der Injection 
zeigt keine Constanz der Form, die Temperatur steigt bald gewaltig 
in die Höbe, um wieder rasch abzufallen, oder erhält sich mehrere 
Tage mit fieberfreien Intervallen auf einem Niveau. Die individuellen 
Reactionserscheinungen allgemeiner Natur wechseln zwischen leichter 
Störung des Allgemeinbefindens und hochgradiger Benommenheit mit 
Delirien — und diese verschiedene Wirkung kann nach derselben 
Dose bei verschiedenen Personen eintreten. Die localen Reactionen, 
die bei Lupus mit so dominirender Prägnanz in die Erscheinung 
treten, sind der staunenswerthe Ausdruck einer örtlichen Verände¬ 
rung, die von der Blutbahn aus angeregt wurde; diese Veränderung 
erzeugt eine unverkennbare Einwirkung auf den Krankheitsproceß, 
ob das Alles aber einer Heilungstendenz gleichkommt, ob wirkliche 
Heilung den Abschluß dieser merkwürdigen Erscheinung bildet, wer 
vermag es heute schon zu beantworten? 

Das sind — wohl gemerkt — Aussprüche gewiegter und be¬ 
rufener Beobachter, wir können sie Tag für Tag in den Hörsälen 
der Berliner Kliniken vernehmon. Wie ein einstimmiger Protest 
gegen allfällige falsche Deductionen klingt das stereotype, immer 
wiederkehrende freimüthige Bekenntniß der Berliner Aerzte, die 
nicht anstehen, zu erklären, daß sie selbst noch nicht viel positive 
Erfahrungen über die neue Methode gewonnen hätten. „Ich selbst 
bin noch Tiro“, sagte uns neulich Prof. Fräntzel, „jeder Tag 


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Nr. 48. 


1918 


1917 1890. — Wiener Medizinische Presse. — 


bringt mir neae Erfahrungen. w Was Koch selbst sagte, bat sieh 
bisher in vollem Umfange bestätigt, allein ans seinen Aeußerungen 
spricht jene vornehme Reserve, die mehr hält, als sie in Aussicht 
stellen will. Er spricht nirgends von einer Heilung der Tuberculose, 
obwohl er zweifellos durch die große Reibe seiner sorgfältigen 
Untersuchungen vor allen Anderen im Stande wäre, diese Frage zu 
beantworten. „Wir müssen daran festbalten“ — dies sind Berg- 
mann’s eigene Worte — „daß wir einen Fall von effectiver Heilung 
bisher noch nicht gesehen haben.“ „Wir können hier,“ sagte erst 
heute Gebhardt, „nur von Nächstwirkungen, noch nicht aber von 
Heilwirkungen sprechen.“ Der große diagnostische Werth, die Be¬ 
deutung des KoCH’schen Verfahrens für die Erkennung der Tuber- 
culo86, für die Unterscheidung derselben von anderen Erkrankungen, 
bleibt allein Schon ein höher und würdiger Erfolg, wenn auch der 
therapeutische Werth des Verfahrens sich noch nicht in seiner ganzen 
Ausdehnung bemessen läßt. Hoffen wir, daß uns Koch , der Ent¬ 
decker der Tnberkelbacillen, auch in den Stand gesetzt hat, die 
Lungenphthise möglichst frühzeitig zu erkennen und wirksam zu be¬ 
kämpfen, daß er uns ein Verfahren an die Hand gegeben hat, mit dem 
lwir den Lnpus ohne Feuer und Eisen heilen können; wir können viel¬ 
leicht auch mit Zuversicht erwarten, daß die KocH’sche Methode 
dem Chirurgen ein schätzbarer und werthvoller diagnostischer und 
therapeutischer Behelf für die conservative und operative Behandlung 
der localen tuberculösen Erkrankungen sein wird. Ob sie aber das 
Messer des Chirurgen entbehrlich machen oder die Schwindsüchtigen 
dem sicheren Tode entreißen wird — das heute zu fragen oder zu 
beantworten erscheint uns nicht am Platze. 

Das lautere Gold der KocH’schen Entdeckung muß noch zur 
gangbaren Münze geprägt werden; was von der großen wissen¬ 
schaftlichen Errungenschaft sich vollends in der Praxis bewährt, 
wird die vorurtheillose Prüfung berufener Beobachter ergeben. 

G. 

* * 

* 

Die Wien er Kliniker sind nunmehr in den Besitz des Koch- 
schen Mittels gelangt und haben ihre Versuche bereits begonnen. 
Eine vorläufige Mittheilung über die diagnostische Bedeutung 
‘des KocH’schen Mittels erstattete Prof. Kahler in der gestrigen 
Sitzung der Gesellschaft der Aerzte. Wir referiren über die 
an zahlreichen Fällen gemachten diesbezüglichen Erfahrungen 
Kahler’s und die sioh anschließende, anregende Discussion an 
anderer Stelle der vorliegenden Nummer. Wie jede streng wissen¬ 
schaftlich ausgeführte Prüfung, wird die Untersuchung über den 
therapeutischen Werth der KocH’schen Injectionen, ihre An¬ 
zeigen und Gegenanzeigen geraume Zeit in Anspruch nehmen. Von 
dieser Seite sind daher rasche Publicationen nicht zu erwarten. 
Als wünschenswerth aber muß es bezeichnet werden, wenn die Vor¬ 
gänge an den Kliniken von der Tagespresse minder gewissenhaft 
reproducirt würden. Was der Lehrer zu seinen Schülern spricht, hat 
keinerlei Werth für das große Publikum, welches durch derartige, 
für den Hörsaal berechnete Mittheilungen nur noch mehr verwirrt 
wird. Wir sind überzeugt, daß unsere, der Reclame weder bedür¬ 
fenden noch huldigenden Kliniker gerne darauf verzichten, ihre Namen 
in den Spalten der Tagesblätter zu finden, welche nunmehr, nachdem 
die erste, gewiß begreifliche Erregung ob Koch’s epochaler Ent¬ 
deckung vorüber, die ruhige objective Prüfung am Krankenbette 
durch unverbürgte, aphoristische Meldungen aus Lehrsälen und 

Krankenzimmern nicht stören sollten. 

* * 

* 

Im hiesigen chemisch - mikroskopischen Laboratorium der 
Doctoren Jolles ist eine — mit Rücksicht auf die geringe Quan¬ 
tität der disponiblen Flüssigkeit — vorläufige qualitative Ana 
lyse des KocH’schen Mittels vorgenommen worden, welche 
folgendes Resultat ergab: 

Das KoCH’sche Mittel stellt eine syrupöse Flüssigkeit 
von brauner Farbe dar, welche namentlich in verdünnten 
Lösungen eine schwach grünliche Fluorescenz zeigt. Ihr Ge¬ 
ruch ist ein sehr merkwürdiger und specifischer und er¬ 
innert in erster Linie an den Geruch von älterer Hefe oder 
Sauerteig, gleichzeitig ist aber der Geruch auch süßlich und 


aromatisch, wie etwa Honig. Beim allmäligen Erhitzen der 
Substanz tritt der Hefegeruch mehr zurück, und ein angenehmer 
frischer Obstgeruch herrscht vor. Wird die Erhitzung noch 
mehr erhöht, dann nimmt man den Geruch nach brennenden 
Haaren oder Federn wahr, der schließlich brenzlich wird , wie 
etwa verkohltes Horn. Beim Glühen der Substanz im Gebläse 
verbrennt die Kohle vollständig und hinterläßt fast gar keine 
Asche, sicher unter 1 °/ 0 . — Die Flüssigkeit reagirt neutral, 
aber nioht amphoter. Versetzt man dieselbe mit einigen Tropfen 
verdünnter Essigsäure, dann tritt eine schwache Trübung ein 
(Mucin, Casein), die sich auf Zusatz von 2 biB 3 Tropfen einer 
Ferrocyankalilösung — ein Ueberschuß wirkt lösend — noch 
erhöbt (Albumin). Jedoch sind diese Reactionen nicht so stark, 
um die Hauptsubstanz der KOCH’scher Flüssigkeit zu charakte- 
risiren. Die Biuretreaction ist sehr stark (Pepton). Beim Be¬ 
handeln der Substanz mit FEHLiNG’scher Lösung traten beim 
Erhitzen Spuren einer Reduction ein, wobei jedoch die Abwesen¬ 
heit von Zucker unter den reducirenden Substanzen festgestellt 
wurde. Schwefel und Phosphor in anorganischer Bindung oder 
aus organischen Verbindungen leicht abspaltbar konnte nicht 
nachgewiesen werden, hingegen ließen sich geringe Mengen von 
Chloriden constatiren. Die Abwesenheit von Metallen schließt 
auch den vermutheten Gehalt von Goldcyan Verbindungen voll¬ 
ständig aus. Aus Mangel an Substanz konnte keine Trennung 
zwischen Albuminoiden und eventuellen Alkaloiden vorgenommen 
werden. Allein jene Reagentien, welche auch bei Gegenwart 
von Eiweißsubstanzen specifisohe Alkaloide anzuzeigen im Stande 
sind, gaben durchaus negative Resultate. 

Fassen wir die Ergebnisse der qualitativen Analyse zu¬ 
sammen, so resultirt, daß wir es in der KocH’schen Flüssigkeit 
mit eiweißähnlichen Substanzen (Albuminoiden) zu thun haben, 
welche wahrscheinlich der Gruppe der Toxalbumine 
oder Enzyme (ungeformte Fermente) angehören. Diese letztere 
Vermuthung könnte bestärkt erscheinen durch die fulminante 
Reaction, welche geradezu homöopatische Dosen der Flüssigkeit 
zu bewirken im Stande sind, und für welohe Wirkung wir bisher 
nur in der Fermentwirkung von Diastase, Pepsin, Schlangen¬ 
gift etc. ein Analogon besitzen. ') Im chemischen Sinne kann 
jedenfalls bis jetzt noch kein Unterschied zwischen Toxalbuminen 
und Fermenten geltend gemacht werden. Diese Körper gehören 
dem Grenzgebiete der organischen Chemie und Biochemie an, 
ein Gebiet, welches eine Reihe noch ungelöster Probleme ent¬ 
hält und zu dessen intensiverer Bearbeitung die epochemachende 
Entdeckung Koch’s aufs Mächtigste angeregt haben wird. 

* * 

* 

Aus Prag wird uns berichtet: Im Hörsaale des deutscheu 
hygienischen Institutes hielt Prof. Hueppe am 20. d. M. vor einem 
zahlreichen und distinguirten Auditorium einen Vortrag, in welchem 
or seine Ansichten über das KocH’sche Heilverfahren entwickelte. 
Nebst vielen praktischen Aerzten waren der Statthaltereirath und 
Landessanitätsreferent Dr. Pelc, Statthaltereirath Prof. Dr. Piesling, 
Sanitätschef Oberstabsarzt Dr. Kbist u. A. als Gäste anwesend. 
Prof. Hüeppe, lebhaft begrüßt, ging sofort an die Besprechung 
seines Themas. Rauschender Beifall begleitete die hochinteressanten 
Ausführungen des Vortragenden, und die Hörer gaben ihrem Danke 
durch lebhafte Prositrufe Ausdruck. Es ist zu wünschen, daß der 
Schmorzen8ruf des berühmten Gelehrten wegen der armseligen Do¬ 
tation seines und überhaupt aller wissenschaftlichen Institute com- 
potenten Ortes nicht überhört werde, und daß seitens unserer Unter¬ 
richts Verwaltung allen wissenschaftlichen und insbesondere den hygie¬ 
nischen Instituten eine ausgiebigere Unterstützung zu Theil werde, 
damit sio ihrer hohen Aufgabe gerecht werden können im Interesse 
der Wissenschaft — aber auch im Interesse der Menschheit. — 
Wir bringen den interessanten Vortrag nach einem Stenogramme 
unreres Referenten an erster Stelle dieser Nummer. 

') Vergl. „Wiener Med. Presse“, 1890, Nr. 47, pag. 1872. D. Red. 


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1919 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


1920 


(Wissenschaftlicher Verein der k. und k. Militär¬ 
ärzte der Garnison Wien). Mit der außerordentlichen General- 
Versammlung vom 25. October 1. J. eröffnete dieser rührige Verein 
das 18. Jahr seines Bestandes. Die statutenmäßige Wahl des Aus¬ 
schusses ergab als Vereinspräsidenten den General-Stabsarzt Dr. Hoor, 
als 1. Vorsitzenden den Oberstabsarzt Dr. Weisbach, als 2. Vor¬ 
sitzenden den Stabsarzt Dr. v. Fillenbaum, als 1. Schriftführer den 
Stabsarzt Dr. Kaiser , als 2. Schriftführer den Regiraentsarzt Dr. 
Habart. Die wissenschaftliche Thätigkeit wurde durch zwei Krankcn- 
vorstellungen und einen Vortrag in anregendster Weise eingeleitet. 
Regimentsarzt Dr. Veszely demonstrirte einen Fall von angeborener 
Kürze der Lider mit consecutivem mangelhaftem Lidschlusse und 
chronischer Bindehaut- und Lidrandentzündung, ferner einen Fall von 
Netzhautablösuug am rechten Auge, entstanden während der Aus¬ 
führung von Gelenkübungen (Rückwärtsbeugen). Stabsarzt Prof. Dr. 
Kratschmer sprach in seiner bekannten formvollendeten Art über 
„Zuckerbildung im Thierkörper und deren Bedeutung“, wobei er ein 
klares Resum6 der diesbezüglichen Untersuchungen von Seegen 
u. A. lieferte und die Bedeutung der gegenwärtigen Anschauungen 
über die Zuckerbildung für die Ernährungsfrage betonte. — In der 
nächstfolgenden Sitzung vom 8. November demonstrirte Regiments¬ 
arzt. Dr. Veszely abermals 2 interessante Fälle, u. zw. einen Fall 
von Tarsorrhaphie bei hochgradigem Ectropium des rechten unteren 
Lides nach der von Prof. Fuchs modificirten Methode mit sehr 
günstigem Enderfolge, dann einen Fall von Bulbuspbthise, in welchem 
zur Stütze für den unteren Rand des einzulegenden künstlichen Auges 
erst eine Art unteres Lid operativ hergestellt werden mußte. — 
Stabsarzt Dr. v. Fillenbaum führte einen vollkommen geheilten Fall 
von Sprunggelenksresection bei fungöser Ostitis vor. Regimentsarzt 
Dr. Faulhaber zeigte das Präparat einer auf der BiLLROTH’schen 
Klinik vorgenommenen Gastroenterostomie, sowie mikroskopische 
Präparate eines Nierensarkoms. Zum Schlüsse sprach Stabsarzt Dr. 
Janchen „über Tetanie“ im Anschlüsse an zwei vom ihm vorgeführte 
Fälle, welche in symptomatologischer Beziehung manche Abweichungen 
von dem typischen Bilde boten. Regimentsarzt Dr. Kowalski knüpfte 
an diesen Vortrag Bemerkungen über die Verwendbarkeit des von weil. 
Prof. Dr. Chvostek zuerst erkannten Facialissymptomes zur Diagnose 
der Tetanie am Assentplatze und bei der Krankenvisite in der Caserne. 
In der Sitzung vom 22. November berichtete Regimentsarzt Dr. 
Hinterstoisser über eine von ihm Tags vorher vorgenommene 
totale Sprunggelenksresection bei einem Soldaten, der sich durch 
Sturz aus dem 2. Stockwerke eine schwere complicirte Fractur dieses 
Gelenkes zugezogen hatte. Hierauf demonstrirte Regimentsarzt 
Dr. Habart zwei Fälle von der ALBERT’schen Klinik (Actinomycosis 
sublinguali8, Hemiotomia inguin.), ferner Schußpräparate von 
menschlichen Leichentheilen mit dem Man nlieher • Gewehre, und 
hielt sodann einen Vortrag: „Ueber Radicalbehandlung von Leisten¬ 
hernien mit Würdigung des Verfahrens von Prof. Bassini“. 

(Vororte-Spitäler.) Zwei neue, große Krankenhäuser an 
der Peripherie Wiens sehen ihrer baldigen Eröffnung entgegen. In 
Rudolfsheim ist das Kaiser Franz Josephs-Bezirkskrankenhaus, 
in Ottakring das Wilbelminenspital nahezu vollendet, und werden 
beide Anstalten demnächst der Benützung übergeben werden. 
Durch die Errichtung dieser beiden Anstalten wird der Belegraum 
der Vororte-Spitäler auf annähernd 1000 Betten, d. i. etwa den 
vierten Theil des Belegraumes der vier großen Krankenhäuser Wiens, 
erhöht, und damit den Bedürfnissen der Vorortebevölkerung wenigstens 
theil weise entsprochen werden. Es wird Sache Groß-Wicns sein, 
diesem Bedürfnisse durch Errichtung weiterer Krankenhäuser, vor 
Allem von Kinderspitälern zu genügen, deren Zahl schon derzeit 
eine durchaus unzureichende ist. Wir werden Gelegenheit nehmen, 
die sanitären Aufgaben, deren Lösung der Großcommune harrt, des 
Näheren zu besprechen. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Col legiu m.) Programm für 
d ! e Montag, den 1. Deccmber 1890. um 7 Uhr Abends, im Saale der Gesell¬ 
schaft der Airzte .stattfindende wissenschaftliche Versammlung: Dr. Max 
Wkjss: Ein neu artiger Graphitrheostat mitRollcoutact (Demon¬ 
stration). — Prim. Dr. Josef Englisch: Ueber idiopathische Ent¬ 
zündung des dieBlaseumgebendenZellgewebesimCavumRetzii. 

(Statistik.) Vom 16. bis inclusive 22. November 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4679 Personen behandelt. Hievon wurden 864 


entlassen: 113 sind gestorben (11*56°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurdon ans der Civilbevölkernng Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 60, egyptischer Augenentzttndung 8, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 9, Dysenterie , Blattern 59, Varicellen 109, Scharlach 53, 
Masern 227, Keuchhusten 54, Wundrothlauf 26. Wochenbettfleber 4. — In 
der 47. Jahreswoche sind in Wien 319 Personen gestorben (—12 gegen 
.die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Mödling Dr. Alexander 
Rotbziegel im 32. Lebensjahre; in Kis-Värda (Ungarn) der prak¬ 
tische Arzt Dr. Mauritz Balkänyi, 28 Jahre alt, an Herzschlag; 
in Leipzig der Professor der Augenheilkunde, Dr. Coccius, im 
65. Lebensjahre. 

Das weltbekannte Bonyadi Janos Bitterwasser findet seine An- 
wenlung in doppeltem Sinne: als medicamentöses und als diätetisches Heil¬ 
mittel. Als Medicanjent ist sein Gebrauch bei chronischen Magen- und Darm- 
catarrhon von ausgezeichneter Wirkung gefolgt. Als Palliativ und diätetisches 
Mittel Sohr erfolgrei h bei den Rück Wirkungen habitueller Obstipation mit 
all den dieselbe begleitenden unangenehmen Erscheinungen. Bei Hysterie, 
Hypochondrie, Depressionszuständen etc. leistet dieses Mittel durch Belebung 
der Circulation und Erhöhung der Lebensfuoctionen vorzügliche Dienste. 

(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Eingesendet. 

Sehr geehrter Herr Redacteur! 

Von der Ueberz-ugung ausgehend, daß Sie jederzeit in Ihrem geschätzten 
Blatte für die Standesehre eine Lanze einlegen, sei Ihnen der folgende Fall, 
wo das ärztliche Decornm nichts weniger als gewahrt wurde, zur gefälligen 
Veröffentlichung mitgetheilt. 

In der Gemeinde Unterthemenau (N.-Oe) fungirt seit einigen Wochen 
als Gemeinde-Arzt ein k. und k. Regimentsarzt, Doctor der ges. Heilknnde. 
Vor circa 14 Tagen ließ nun der Gemeinde-Vorstand von Unterthemeuan den 
Herrn k. und k. Regimentsarzt (ohne dessen Vorwissen?) in den umliegenden 
Nachbargemeinden al* einen geschickten, anf der Wiener Klinik ansgebildeten 
Doctor — horrible dictu — austrommeln! Selbst die Bauern schüttelten 
lachend die Köpfe über diese seltene Reclame. 

Hochachtungsvoll 

N. N.‘) 


l ) Der Name des Einsenders ist der Red. bekannt. 


Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Acrztllcher Bericht des öffentl. Bezirks-Krankenhanges in Sechshaus pro 
1889. Wien 1890. Selbstverlag. 

■arktanner-Turneretseher G., Die Mikrophotographie als Hilfsmittel natur¬ 
wissenschaftlicher Forschung. Halle a. S. 1890. Wilh. Knapp. 
Neuhaus R., Lehrbuch der Mikrophotographie. Mit 61 Abb. in Holzsohn. 
4 Autotypien, 2 Tafeln in Lichtdiuck und 1 Photogravure. Brann- 
schweig 1890. Harald ßruhn. 

SchefT J., Die Replantation der Zähne. Mit 6 lithogr. Tafeln. Wien 1890. 
Alfred Holder. 

Müller J., Das Absehen der Schwerhörigen, Hamburg 1890. Selbstverlag. 
Lenzmann U,, Ueber den schädlichen Einfluß der behinderten Nasenathmung 
auf die körperliche unü geistige Entwicklung des Kindes. Bielefeld 1890. 
A. Helmich 

Käst A.. Jahrbücher der Hamburgischen Krankenanstalten. I. Jahrgang 
(1889). Mit 16 Taf. u 55 Abb. im Text. Leipzig 1890 F.C. W. Vogel. 
Bum A., Therapeutisches Lexikon für praktische Aerzt*. Lieferung 13/14. 

Wien und Leipzig 189 1 ). Urban & Schwarzenberg. 

Hellerninnn , Ueber die heutige Ausbildung der Mediciner und deren Wir¬ 
kung auf • ie ärztlichen Verhältnisse. Leipzig 1890 F. C. W. Vogel. 
Löhlein H., Gynäkologische Tagesfragen 1. Heft. Mit Abbildungen. Wies¬ 
baden 1890. J. F. Bergmann. 

Graeser E., Die Unterleibsbräche (Anatomie, Pathologie und Therapie). Mit 
62 Abbildungen. Wiesbaden 1891. J. F. Bergmann. 

Lorenz, Ueber zweckmäßige Einrichtungen von Kliniken. Berlin 1890. 
Ernst & Korn 

Hammarsten 0.. Lehrbuch der physiologischen Chemie. Mit einer Spectral- 
tafel. Wiesbaden 1891. J. F. Bergmann. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. 


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Nr. 49. Sonntag den 7. December 1890. XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
; 2 bis 8 Bogen.Gross-Quart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage, aber 
zngleioh auch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Forfnat. — Abonnements- und Insertions- 
..aufträge sind an die Administration der „Media. Presse“ 
ln Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21, 


Wiener 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse* und „Wiener Klinik“ 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 6 fl., viertel), 2 fl. 60 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl.4fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslande 
bei allen Buchhändlern und Postämtern Im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlniatr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianatr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-:--g»-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Oliginalien nnd klinische Vorlesungen. Ueber die Wirkung des KocH’scben Heilmittels. Von Prof. Dr. R. v. Jakbch in Prag. — Die 
Behandlung der Tuberculose nach R. Koch. Klinischer Vortrag von Geh.-R Prof. Dr. Gerhardt in Berlin. — Aus der Abtheilang für äußerlich 
Kranke im königl. Charitekraukenhause in Berlin. Ueber die Versuche mit dem von Koch gegen Tuberculose empfohlenen Mittel. Von Oberstabsarzt 
Dr. R. Köhler und Stabsarzt Dr. Westphal. — Referate nnd literarische Anzeigen. Mittheilungen über das KocH’sche Heilverfahren gegen 
Tuberculose. I.: 1. Denqel (Berlin): Praktische Bemerkungen zur Behandlung der Tuberculose; 2. H. Feilchenfeld (Berlin): Ueber den Verlauf 

einiger mit dem KooH'schen Heilverfahren behandelter Fälle von Tubercnlose verschiedener Organe; 3. Hertel (Berlin): Mittheilungen über die 
Einwirkung des Kocu’schen Mittels auf Kehlkopftnbercnlose; 4. W. Lublinski (Berlin): Einige vorläufige Mittheilungen über die Behandlung der 

Kehlkopftnbercnlose; 5- O. Israel (Berlin): Bericht über die anatomischen Befunde an zwei mit dem KocH’schen Heilmittel behandelten tubercnlösen 
Localerkrankungen. — Kleine Mittheilungen. Elin Fall von Lupus uteri. — Ueber die Wirkung des Hypnals. — Resorcin gegen Leichengift. — 
Die systematische Behandlung der Angina pectoris mit Nitroglycerin. — Die innerliche Anwendung des Jodkalium zur Heilung der Höhlenwunden. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaß der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Dermatologische Vereinigung zu Berlin. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. Robert Koch’b Behandlung der Tuberculose. — Literatur. — Aerztliehe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

, Ueber die 

Wirkungen des Koch’schen Heilmittels. 

Von Prof. Dp. R. v. Jakzeh in Prag.*) 

Meine Herren! 

Durch die Güte des Herrn Dr. Libbertz ist es mir er¬ 
möglicht worden, eine ziemlich große Reihe von Untersu¬ 
chungen mit dem KocH’schen Mittel an meiner Klinik anzu¬ 
stellen, und wenn ich mir erlaube, Ihnen schon heute darüber 
zu berichten, so muß ich im Vorhinein bemerken, daß ich 
weder mit etwas Abgeschlossenem über die Wirkung des Mittels, 
noch mit einem fertigen Urtheil über den therapeutischen 
Werth desselben vor Sie trete, sondern daß ich Ihnen bloß 
an der Hand der vorzuführenden Fälle die Wichtigkeit und 
die große Bedeutung dieser epochalen Entdeckung ad oculos 
demonstriren will. 

Gestatten Sie, daß ich zuvor die Art und Weise, 
wie an meiner Klinik die Untersuchungen mit diesem Mittel 
(ingestellt werden, mit einigen Worten schildere. 

Zur Einspritzung bediente ich mich bisher der KocH’schen 
Ballonspritze, welche, wie Sie sehen, ans einem genau gra- 
duirten 1 Ccm. haltenden Glascylinder mit konischer Glas¬ 
spitze, einer genau auf letztere passenden Hohlnadel und einem 
Gummiballon besteht, der mit einem H&hne aus Neusilber 
versehen ist, dessen konisch angebohrtes Ansatzstück luft¬ 
dicht auf den oberen Tbeil des Glascylinders paßt. Damit 
Ballon und Nadel luftdicht ansitzen, empfiehlt es 
sich, den oberen Theil und die konische Spitze 
des Glascylinders mit Vaselin zu bestreichen. 
Ist die Nadel unter die Haut eingestochen, Wird der Hahn 
geöffnet und die Einspritzung der im Glascylinder befindlichen 
Flüssigkeit durch Druck auf den Ballon ausgeführt. Viel 
handlicher erscheint mir der Gebrauch der gewöhnlichen 
PRAVAz’schen Spritze, und habe ich zu diesem Behufe solche 

, • *). Vortrag, gehalten im Vereine deutscher Aerzte in Prag am 28. No¬ 

vember 1890. — Original-Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


anfertigen lassen, deren Stempel mit Asbest armirt ist. Selbst¬ 
verständlich muß die Spritze, es sei Ballon- oder PßAVAz’sche, 
vor jedesmaligem Gebrauche sorgfältig desinficirt werden, 
was bezüglich des Glascylinders am zweckmäßigsten mit abso¬ 
lutem Alkohol geschieht, welcher dann im Vacuum zur Ver¬ 
dunstung gebracht wird. 

Die Herstellung der l°/ 0 igen Lösung geschieht am ein¬ 
fachsten auf folgende Weise: In einen mittelst absolutem 
Alkohol desinficirten, genau graduirten, 10 Ccm. fassenden 
Glascylinder wird 1 (mit Pipette abgezogener) Ccm. des 
Mittels und dazu 9 Ccm. einer Va'Voigen Phenollösung gebracht, 
so daß ein Theilstrich des an der Ballonspritze angebrachten 
Glascylinders genau O'OOl, und 10 solche Theilstriche genau 
001 des Wittels entsprechen. 

Als die geeignetste Stelle zur Injection erscheint der 
Raum zwischen den Schulterblättern unterhalb der Spinae; 
ich habe mich überzeugt, daß der Einstich hier viel weniger 
schmerzhaft ist, als an der Seite oder höher oben zwischen 
den Spinis. Nach Entfernung der Nadel wird die kleine 
Stichwunde nach dem Vorschläge des Prof. Gussenbauer mit 
Jodoformcollodium bestrichen, und ist es gewiß diesem Um¬ 
stande sowohl, als auch der vorhergegangenen sorgfältigen 
Desinficirung der Haut zu danken, daß bisher keiner einzigen 
Injection irgendwelche Reactionset scheinungen folgten; immer¬ 
hin jedoch bleibt die Stelle durch einige Tage druckempfindlich. 

Bevor ein Patient zum Versuche herangezogen wird, 
wird Anamnese und Status gründlich aufgenommen, das 
Körpergewicht, die Temperatur, die Pulsfrequenz, der Hämo¬ 
globingehalt des Blutes, die Beschaffenheit des Harnes in 
physikalischer, chemischer und morphologischer Beziehung 
genau bestimmt, und bei Lungentuberculose oder Verdacht 
auf dieselbe vor und nach jeder Einspritzung das Sputum auf 
Bacillen untersucht und die angefertigten Präparate mit An¬ 
gabe des Datums zu Vergleichsuntersuchungen aufbewahrt. 
Zur genauen Controle aller oder einzelner dieser Verhältnisse 
wurde ein Permanenzdienst organisirt, so daß die geimpften 
Kranken Tag und Nacht unter ärztlicher Beobachtung bleiben. 
Bei Lupösen oder mit äußerer Tuberculose Behafteten werden 
Photogramme der afficirten Körpertlmile vor und nach der 


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1931 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1932 


Injection, resp. während der örtlichen Reaction aufgenommen. 
Alle diese Arbeiten erfordern viele Mühe, Geduld und An¬ 
strengung, und ich fühle mich verpflichtet, meinen Herren 
Assistenten für ihren Pflichteifer und die mir entgegengebrachte 
Unterstützung an dieser Stelle meinen Dank auszusprechen. 

Erwähnen muß ich noch, daß alle Versuchspersonen, 
soweit es ihre Verdauung gestattet, kräftig genährt werden 
und gute feurige Weine zu trinken bekommen ; ich hebe diesen 
Umstand deshalb hervor, damit ein etwaiger Mißerfolg des 
Mittels nicht hinterher der schlechten Spitalsverpflegung in 
die Schuhe geschoben werde. 

Und nun will ich Ihnen die mit dem KocH’schen Mittel 
behandelten Fälle demonstriren; es sind ihrer im Ganzen 20, 
an denen bisher zusammen 50 Injectionen gemacht worden sind. 

Der besseren Uebei sicht wegen theile ich sämmtlichc 
Fälle in 3 Gruppen ein. 

A. Lupus und Tuberculose der Lymjjhdrüsen. 

B. Tuberculosis pulmonum im Beginne und 
im vorgeschrittenen Stadium. 

C. Zweifelhafte Fälle, bei denen die Injec¬ 
tion zur Sicherstellung der Diagnose gemacht 
worden ist. 

Sie sehen zuerst diese 2 Fälle von Lupus, welche mir 
durch die Freundlichkeit des Herrn Prof. Pick zur Impfung 
und zur Beobachtung überlassen worden sind. Die Photo¬ 
gramme der beiden Kranken geben Ihnen eine genaue An¬ 
schauung der Verhältnisse, wie solche vor der Injection be¬ 
standen. Sie sehen, daß es sich bei beiden um Lupus mit 
Ulcerationen der Nase, einzelner Stellen des Gesichtes und 
um Narben am Halse in Folge exstirpirter Lupusknoten mit 
Anschwellung der Halsdrüsen handelt. Dem Manne wurde 0*01, 
dem Mädchen 0 005 injicirt. Die locale und allgemeine Wir- 
kung des Mittels war eine horrende und entspricht in allen 
Punkten genau den Angaben, welche Koch in seiner berühmten 
Abhandlung gemacht hat. Eihige Stunden nach der Ein¬ 
spritzung, noch vor Eintritt intensiverer Allgemeinerschei¬ 
nungen, schwollen die lupösen Stellen an und wurden schmerz¬ 
haft; bei dem Manne wurde dann später die Schwellung und 
Röthung so intensiv, daß das ganze lupöse Gewebe in eine 
braunrothe nekrotische Masse umgewandelt wurde, während 
bei dem Mädchen kein Zerfall des Gewebes erfolgte. Diese 
Veränderungen beschränkten sich, ganz genau wie Koch an¬ 
gibt, nicht auf die greifbaren lupös erkrankten Hautstellen, 
sondern auch die früher nicht faß- und sichtbaren, im Narben¬ 
gewebe versteckten Knötchen schwollen an und rötheten sich, 
und gleichzeitig vergrößerten sich die Lymphdrüsen des Halses 
fast um das Doppelte und wurden sehr schmerzhaft und druck¬ 
empfindlich. Nach Abfall des Fiebers ging die Schwellung 
der lupösen Stellen und der Lupusknötchen zurück; bei dem 
Manne wu r d e n diese mit Krusten und später mit Borken 
bedeckt, bei dem Mädchen blieb nur eine bedeutende Desqua¬ 
mation zurück. 

Die Allgemein erschein ungen waren bei den Kranken, wie 
gesagt, sehr bedeutend. 

Wie Sie aus den Curven, die ich circuliren lasse, er¬ 
sehen können, begann die Temperatursteigerung 8—10 Stunden | 
nach geschehener Injection und circa 4 Standen nach Beginn 
der localen Veränderungen. Sehr bald stieg dann die Tempe¬ 
ratur auf 39—40° und darüber, blieb mit deutlichen Schwan¬ 
kungen einige Stunden auf derselben Höhe, sank dann staffel- 
förmig ab, um abermals auf 39° anzusteigen, bis dann nach 
48 Stunden vollkommene Entfieberung eintrat. Bei beiden 
Kranken wurde die Steigerung von 38° aufwärts mit einem 
heftigen Schüttelfröste eingeleitet, der eine Kranke erbrach, 
das Mädchen hatte Nausea. Der Puls war auf der Höhe des 
Fiebers ungemein beschleunigt, 140—150, klein aber regel¬ 
mäßig. Es bestand zwar keine Somnolenz oder Bewußtseins¬ 
störung, aber beide Kranken waren benommen, der Mann mehr 
als das Mädchen; die subjectiven Beschwerden bezogen sich 
auf Kopfschmerz, Oppressionsgefühl, starke Schmerzen an 


den lupösen Stellen und den geschwollenen Lymphdrüsen 
und außerdem bedeutende Schmerzhaftigkeit an einzelnen 
Knochen, ohne daß irgend eine Veränderung an derselben oder 
in deren Umgebung nachgewiesen werden konnte. Um Wieder¬ 
holungen zu vermeiden, will ich hier gleich hervorheben, daß 
fast bei allen Kranken, welche auf .die Injec¬ 
tionen reagirten, nach denselben Schmerzen in 
einzelnen Knochen, vornehmlich an den Epiphysen 
auftraten, die erst mit dem vollkommenen Nach¬ 
laß des Fiebers zurücktraten. Worauf diese Schmerzen 
in den Knochen zurückzuführen seien, darüber vermag ich 
nicht einmal eine Vermuthung auszusprechen. 

Ueber den curativen Werth des KocH’schen Mittels bei 
Lupus enthalte ich mich jedes Urtheils; es muß den Fach¬ 
männern überlassen bleiben, über die Vor- und Nachtheile 
dieses Mittels gegenüber den bisherigen Methoden, sowie über¬ 
haupt über den bleibenden Werth des KocH’schen Heilver¬ 
fahrens bei Lupus abzuurtheilen, was selbstverständlich erst 
nach längerer, sorgfältiger Beobachtung der so behandelten 
Fälle möglich sein wird. 

Sehr interessant gestalteten sich die Verhältnisse bei 
diesem 1 ljährigen Knaben, den Herr Prof. Sattler aus seiner 
Augenklinik auf die meinige verlegen ließ, um das Mittel bei 
ihm in Anwendung zu bringen. 

Der Knabe kam vor einem Monate wegen eines halb¬ 
mondförmigen Defectes am linken oberen Augenlide, der an¬ 
geblich in Folge eines Gerstenkornes vor ungefähr einem 
Jahre entstanden sein soll, auf die Augenklinik. Hier coii- 
statirte man bei dem blaßen, schwächlichen Patienten außer¬ 
dem starke Injection der Conjunctiva und am Uebergangs- 
theile des oberen Augenlides ein kleines Knötchen, das in 
Anbetracht der vorhandenen Vergrößerung der Halsdrüsen 
und einer scrophulösen Narbe am Halse als Tuberkel ange¬ 
sprochen wurde. Da Herr Prof. Sattlek später über den Fall 
ausführlich berichten wird, will ich hier nur ku z erwähnen, 
daß nach einer Injection von 0 005 nebst starken Allgemein¬ 
erscheinungen, die aber durchaus nicht die Heftigkeit wie bei 
den 2 lupösen Kianken erreichten, intensive Reaction an der 
Conjunctiva des linken Auges mit Schwellung des Lides und 
schmerzhafte Geschwulst der Halsdrüsen und der Narbe auf¬ 
trat, so daß über die tuberculose Natur des Leidens am 
linken Auge kein Zweifel obwalten kann. 

Von den Fällen mit Lungentuberculose , die ich Ihnen 
vorführe, sind einige mit mehr oder weniger stark vorge¬ 
schrittener Phthise, andere in dem ersten Stadium ohne 
Schmelzung der Lungen (Spitzencatarrh mit mäßiger Infil¬ 
tration). Bei Allen wurde die Diagnose durch die physika¬ 
lischen Erscheinungen und den Nachweis von Tuberkelbacillen 
im Sputum gemacht. Es wurde durchgehende mit 0 001 des 
Mittels begonnen und bei jeder folgenden Injection nur 0'0005 
bis ’O’OOl gestiegen. Bei den Fällen mit vorgeschrittener 
Phthise, welche ja ohnehin mehr oder weniger stark fieberten, 
hatten die Injectionen bis jetzt kaum einen bemerkbaren Ein¬ 
fluß auf die Temperaturcurve, nur bei zweien fand einmal 
nach einer Injection ein Aufstieg von 1—l 1 // statt, wie 
das aus der Curve deutlich zu ersehen ist. 

Bei den leichteren Fällen, als deren Typus dieser 18jäh- 
rige Handlungsgehilfe und eine 30jährige Frau mit Spitzen- 
catarrh und geringer Infiltration gelten sollen, ist nach der 
ersten Injection gar keine fieberhafte Reaction aufgetreten, 
und erst nach der zweiten stieg bei dem jungen Manne die 
Temperatur über 38°; auch bei diesen haben sich die 
typischen Knochenschmerzen eingestellt. 

Bei allen Kranken war, wie das von Koch angegeben 
ist, das früher eitrige und verhältnißmäßig spärliche Sputum 
einige Stunden nach der Einspritzung sehr copiös, schaumig 
und schleimig-eitrig geworden, der früher quälende Hustenreiz 
wurde auffallend gering, der Schlaf war gut, die Nacht¬ 
schweiße waren mäßig oder hatten ganz aufgehört. Ausculta- 
torisch ließ sich eine bedeutende Verminderung der Rassel- 


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1933 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1934 


gerätische nach weisen. Ich bin geneigt, diese Veränderung 
auf die vorausgegangene, durch das Mittel bewirkte starke 
Expectoration und nicht etwa auf beginnende Heilung der 
tuberculösen Herde zu beziehen, zumal auch percutorisch 
keine Veränderung des Umfanges der Dämpfung und der 
Tiefe des Dämpfungsschalles zu constatiren war. 

Bezüglich der Tuberkelbacillen fand nur bei 2 Fällen 
nach jeder Injection eine Abnahme der Zahl und eine auf¬ 
fallende morphologische Veränderung statt. Ohne daß ich den 
Ursprung der von meinen Assistenten angefertigten Präparate 
kannte, ist mir eine bedeutende Verschmächtigung der spär¬ 
lichen Bacillen aufgefallen und diese Verschmächtigung blieb 
zwar nicht die einzige, aber doch constanteste Veränderung, 
welche die Bacillen boten, weshalb ich auch auf sie das größte 
Gewicht lege. Sie können selbst aus den unter zwei ganz 
gleichen Mikroskopen aufgelegten Präparaten, von denen das 
eine vor, das Andere nach der Injection angefertigt worden 
ist, diese geschilderten Veränderungen leicht erkennen. 

Alle Patienten, sowohl die mit vorgeschrittener, als mit 
beginnender Tuberculose loben ihren Zustand sehr. Sie 
fühlen sich stärker, ihre Stimmung ist gehobener, der Schlaf 
ist besser. Ich lege aber darauf gar kein Gewicht und ver¬ 
halte mich sehr reservirt, diese günstigen Veränderungen der 
Wirkung des Mittels zuzuschreiben, denn erstens werden die 
Kranken, wie ich früher bemerkte, sehr gut genährt, und 
zweitens, was bei der Benrtheilung sehr in’s Gewicht fällt, 
ist die nicht zu leugnende Euphorie zum größten Theile auf 
Suggestion zu beziehen. 

Sämmtliche Kranke wissen von dem neuen Mittel, einige 
sind sogar zum Behufe der Anwendung desselben auf die 
Klinik gekommen, und hoffnungsfreudig, wie alle Tuberculösen 
nun e : nmal sind, erwarten sie sicher Hilfe von demselben, und 
diese Autosuggestion wirkt stimulirend auf sie. 

Der letzte Fall dieser Gruppe betrifft einen Phthisiker 
mit Tuberculose des Kehlkopfes und Schwellung der Oberlippe. 
Aus leicht begreiflichen Gründen mußte eine stärkere Reaction 
auf der Kehlkopfschleimhaut vermieden werden und wurde 
daher mit 0'005 des Mittels begonnen. Es trat nach derselben 
weder allgemein, noch örtlich eine nennenswerthe Reaction auf, 
nur an der Oberlippe zeigte sich auch nach dieser geringen 
Dosis die elective Wirkung des Mittels: sie schwoll an, wurde 
röther und schmerzhaft, so daß der Proceß an derselben als 
tuberculöser zu betrachten ist. 

Bei einer dritten Gruppe von Kranken wurde das Mittel 
zur Erprobung seines diagnostischen Werthes angewendet. 

Höchst interessant und sehr wichtig ist in dieser Be¬ 
ziehung der Fall, den ich aus dieser Gruppe zuerst vorstelle. 
Er betrifft eine 33jährige Frau, die nach einem abgelaufenen 
Typhus fortwährend, wenn auch nur mäßig, fieberte. Bei der 
Untersuchung der Lungen fand sich nirgends Dämpfung oder 
verstärkter Pectoralfremitus, aber ausgebreitete Rasselgeräusche 
über beiden Lungen. In dem unzähligemal untersuchten Sputum 
konnten niemals Tuberkelbacillen nachgewiesen werden, wes¬ 
halb auch die Diagnose nur mit einiger Reserve auf Tuber¬ 
culose gestellt worden ist. Es wurde am 22. d. M. eine Injection 
von 0 001 gemacht und am folgenden Tage konnte percu¬ 
torisch umschriebene Dämpfung in der rechten Fossa supra- 
spinalis und auscultatorisch klingende Rasselgeräusche an 
dieser Stelle nachgewiesen werden. Nach einer zweiten Injection 
ergab die physikalische Untersuchung das Vorhandensein eines 
solchen Herdes auch in der Fossa subclavicularis. In dem 
durch die Injection copiöser und flüssiger gewordenen Sputum 
wurden nun auch Tuberkelbacillen gefunden. Bei fortgesetzter 
Anwendung des Mittels wurde die Zahl der Bacillen viel 
geringer und sie nahmen auch die oben geschilderten morpho¬ 
logischen Veränderungen an; allmälig verlor sich auch die 
Dämpfung sowohl vorn als rückwärts. Dabei besserte sich der 
KräfWustand und Patientin lobt ihren Zustand. Um also 
kurz zu resumiren, so ist bei diesem Falle von latenter Lungen- 


tuberculose die elective Wirkung des Mittels scharf hervor¬ 
getreten. 

Der zweite Kranke, ein 30jähriger Mann, lag im August 
dieses Jahres mit croupöser Pneumonie auf der Klinik. Einige 
Zeit nach Ablauf derselben stellte sich abermals Fieber ein, 
der Kranke magerte ab, hustete viel und expectorirte große 
Massen purulenten, bacillenfreien Sputums. Es kam zur 
Schmelzung in der rechten Lunge mit ausgesprochener Höhlen- 
bildung. Nach mehrfacher Injection des Mittels keine charak¬ 
teristischen Allgemeinerscheinungen, auch keine Veränderungen 
im Lungenbefunde und keine Bacillen im Sputum, und daher 
ganz bestimmt keine Lungentuberculose. 

Ferner sehen Sie hier 2 Männer mit PoTT’schem Uebel 
und consecutiver Compressionsmyelitis. Bei dem einen Kranken, 
einem 18jährigen Manne, erfolgte auf wiederholte Injectionen 
weder örtlich«, noch allgemein die geringste Reaction und es 
ist daher sicher, daß hier bloße Necrose der Wirbels und nicht 
auf Tuberculose beruhende Caries vorhanden ist. Hingegen er¬ 
folgte bei dem 2. Kranken nach einer Injection von 0 001 exor¬ 
bitante allgemeine Reaction. Sehr hohe Temperatur, Benommen¬ 
heit, sehr frequenter, elender, arhythmischer Puls, unregelmäßiges, 
sehr beschleunigtes, schnappendes Athmen. Nach der heftigen 
Reaction zu schließen, haben wir es hier mit Tuberculose der 
Wirbelsäule zu thun, und auch die bestehende Verdichtung der 
Lungen R. H. 0. ist auf bacillären Ursprung zu beziehen. 

Bei einem Falle von Magenkrebs trat nach einer Injection 
von 0-001 Fieber auf und es dürfte daher irgendwo ein latenter 
tuberculöser Herd vorhanden sein; bei einer anderen Frau mit 
Magenkrebs, die aus einer unbekannten Ursache seit einiger 
Zeit continuirlich fiebert, erzeugte die wiederholte Einspritzung 
des Mittels nicht die geringste Reaction. 

Nun, meine Herren, ich bin mit meiner Demonstration zu 
Ende, und es wird Ihnen nach dem Mitgetheilten leicht sein, 
sich ein Urtheil zu bilden. 

Sicher ist die 'elective Wirkung des Mittels auf Tuber¬ 
culose der Haut, der Lymphdrüsen , der Knochen, und wie 
uns der elfjährige Knabe zeigte, auch der Bindehaut. Besonders 
phänomenal ist die Affinität des Mittels zu Lupus. 

In zweifelhaften Fällen kann das Auftreten oder Aus¬ 
bleiben einer allgemeinen und örtlichen Reaction die Diagnose 
sichern, ob Lungentuberculose vorliegt oder nicht. 

Höchst wahrscheinlich, ja beinahe sicher ist anzunehmen, 
daß die Tuberkelbacillen durch dieses Mittel eine Veränderung 
in ihrem morphologischen, vielleicht auch biologischen Ver¬ 
halten erleiden. Ob das Mittel die Bacillen zu tödten im 
Stande ist, muß weiteren eingehenden Untersuchungen Vorbe¬ 
halten bleiben. Es kann daher erst nach sehr langer Be¬ 
obachtung der einzelnen Fälle entschieden werden, ob und 
welcher Heilwerth dem KocH’schen Mittel für die Tuberculose 
zukommt. 

Die reichliche Expectoration und die Verflüssigung des 
Sputums nach Anwendung dieses Mittels läßt dasselbe als ein 
vorzügliches Expectorans bei Lungentuberculose erscheinen. 

Bei Gebrauch des Mittels ist die größte Vorsicht er¬ 
forderlich, und bei der verschiedenen individuellen Reaetibili- 
tät gegen dasselbe ist es gerathen, mit den minimalsten Dosen 
zu beginnen. In der Privatpraxis wird das Mittel nur dann 
angewendet werden können, wenn der Kranke bis zum gänz¬ 
lichen Verschwinden der reactiven Erscheinungen fortgesetzt 
unter ärztlicher Beobachtung bleiben kann. 

Dieses Mittel besitzt die höchst merkwürdige, bisher 
noch bei keinem anderen beobachtete Eigenschaft, beim ge¬ 
sunden Menschen Fieber hervorrufen zu können. 


I* 


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1935 


1890. — Wiener Medizinische Preßse. — Nr. 49. 


19.36 


Die Behandlung der Tuberculose nach ß. Koch. 

Klinischer Vortrag*) 

Von Geh -R. Prof. Dr. Gerhardt in Berlin. 

M. H.! "Wir haben bereits in der vergangenen Woche 
damit begonnen, Ihnen die Pat., die nach der KocH’schen Me¬ 
thode an unserer Klinik behandelt werden, vorzuführen. Ich 
will Ihnen nun jedesmal Kranke, die ein besonderes Interesse 
bieten, vorstellen, damit Sie einen Einblick in den Krankheits¬ 
verlauf gewinnen, und gleichzeitig die Erfahrungen, welche 
wir durch die Versuche an unserer Klinik machen, unmittelbar 
verfolgen können. 

Ich beginne mit einem Kranken, der Vielen von Ihnen bereits 
bekannt ist. Sie sehen hier einen 23jährigen Mann, dessen Aussehen 
ein ziemlich gutes ist. In seinem Auswurfe fanden sich keine Ba¬ 
cillen, er hatte, bevor er in Behandlung kam, kein Fieber, und die 
Untersuchung ergab nur eine geringe Dämpfung RHO. 

Nach der ersten Injection von 0*005 Ccm. reagirt der Kranke 
nicht, es tritt keine Temperatursteigernng ein, wohl aber steigt die 
Athmungsfrequenz auf 45, das Allgemeinbefinden ist nicht verändert. 
Nach der zweiten Injection von 0*005 Ccm. steigt aber die Tem¬ 
peratur auf 38 0°, Respiration 44, das Allgemeinbefinden ist ein 
sehr schlechtes, es tritt heftiges Erbrechen ein. Dieselbe Dose, die 
das erste Mal keine Einwirkung hervorrief, erzeugte das zweite Mal 
eine mäßige Fiebersteigerung, aber eine heftige Reaction von Seite des 
Allgemeinbefindens. Sie sehen also, wie der Schluß, daß hier keine 
Tuberculose vorliege, ein voreiliger gewesen wäre, wenn wir uns blos 
nach dem Eintritte der Reaction nach der ersten Injection gerichtet hätten. 
Hier scheint überhaupt mehr eine Einwirkung auf die Athmung als 
auf das Fieber vorzuliegen; ob dieselbe durch eine Schwellung und 
locale Veränderung im Lungengewebe oder durch eine Reizung der 
Nervencentfa, speciell des Athmungscentrums hervorgerufen ist, muß 
ich vorderhand dahingestellt sein lassen. 

2. Ein 38jähriger Mann reagirt auf 0 002 Com. mit 38 5°, 
die 2. Injection von 0*002 Ccm. bringt eine Temperatur von 38*0°, 
die 3. Injection von 0*005 Ccm. nur eine Temperatur von 38-2° 
hervor. Hier hat also die 2. Dose gar kein Fieber, die 3. Injection 
mit mehr als der doppelten Gabe ein nur geringes Fieber erzeugt. 

3. Bei diesem Kranken verlief die Lungen affeotion afebril. 
Nach der 1. Injection (0 002 Ccm.) 37*0°; nach der 2. Injection 
(0*002 Ccm.) 37*8°; 3. Injection 0*005 Ccm. 37*5°; 4. Injection 
0*007 Ccm. 37*6°, der Pat. befindet sich an den Tagen zwischen 
den Injectionen wohl. 

4. An dem folgenden Pat. zeigt sich bei der Untersuchung mit dem 
Kehlkopfspiegel eine rothe Wucherung, die aus der linken Morgagni- 
schen Tasche gegen die Glottis zu hervorwächst. Das rechte Stimm¬ 
band ist etwas ausgezackt, es- bestehen keine Schling- und Athem- 
beschwerden. Der Verlauf ist vor der Injection afebril. Nach der 

1. Injection von 0 001 Ccm. steigt die Temperatur auf 38*1°, die 
örtliche Reaction ist sehr beträchtlich, die Geschwulst röthet sich, 
wird größer und nähert sich dem rechten Stimmbande so, daß 8 , 6 der 
Glottis verschlossen sind. Trotzdem sind die subjectiven Beschwerden 
gering, auch Dyspnoe ist nicht verbanden, weil der Tumor dem 
Stimrabande nicht direct aufliegt. Nach der 2. Injection von 0*001 Ccm. 
keine Temperatursteigerung, beträchtliche Athemnoth, vermehrte sub- 
jective Beschwerden Heute ist die Schwellung bereits geringer ge¬ 
worden; ungefähr der 4. Theil der Glottis steht offen und wir 
können jetzt mit der Dose auf 0*002 Ccm. steigen. 

5. Dieser 45jährige Mann ist seit dem 14. September krank, 
seine Lungenaffection ist nicht weit vorgeschritten, er ist gut ge¬ 
nährt. Der Larynx ist geröthet, etwas geschwellt, seine Stimme ist 
rauh, es bestehen Schlingbeschwerden. 1. Injection 0*002 Ccm., keine 
Temperatursteigerung, 2. Injection 0*005 Ccm. ruft ebenfalls kein 
Fieber hervor. Nach der 3. Injection 0*01 Ccm., Temperatur 37*9°. 
4. Injection 0 01 Ccm., Temperatur 38*2°. Dieselbe Temperatur von 
38*2° trat bei einem anderen Pat. bereits nach 0*001 Ccm. auf, 
während bei diesem Pat. 0*01 Ccm. nur 38° Temperatur erzeugt. 

*) Orig.-Hericht der ^Wiener Med. Presse“. 


Aus den bisher angeführten Daten werden Sie, m. H., 
bereits entnommen haben, welchen individuellen Schwankungen 
der Fieberverlauf und der Ausfall der Reaction bei den ein¬ 
zelnen Kranken unterworfen ist. Wir haben hier überhaupt 
ein Grift vor uns, bei welchem sehr rasch, rascher als bei 
anderen Mitteln, eine Angewöhnung eintritt, so daß wir 
im Verlaufe, der Behandlung mit der Dose immer steigen 
müssen. Sie haben andererseits wieder gesehen, wie inconstant 
die Wirkungen gleicher Dosen auf verschiedene Individuen 
sind, wie die gleiche Dose bei dem einen ein hohes, bei dem 
andern fast gar kein Fieber hervorruft, ohne daß die Reactions- 
losigkeit so vieler Pat. in einer Angewöhnung an das Mittel 
ihren Grund hätte. 

6. Bei dieser Frau zeigt die Fiebercurve folgende Verhältnisse: 
0*002 Ccm. ohne Wirkung, 0*005 Ccm. 38*3°, 0*005 Ccm. 37*3°, 
0*01 Ccm. 38*9°, auch hier sehen Sie eine rasche Angewöhnung 
eintreten. 

7. An einem anderen Pat. hat die 1. Injection (0*001 Ccm.) 
an der vorher intacten Epiglottis rauhe Exsudate hervorgerufen, aus 
denen seichte, oberflächliche Geschwüre entstanden, Temperatur 38 8°, 

2. Injection 0*002 Ccm. 38*2°, die 3. Injection 0*003 Ccm. 38*8°. 
Die allgemeine Reaction ist gering, das subjective Befinden ist bis 
auf mäßige Schlingbeschwerden ein gutes. 

8. Bei dieser Pat. hat die 1. Injection von 0*002 Ccm. die 
Temperatur auf mehrere Tage gegen früher erhöht, so daß wir hier 
einen jener Fälle vor uns haben, in denen ein vorher afebriler Ver¬ 
lauf in ein, mehrere Tage anhaltendes Fieber umgewandelt wird 
Aber auch ein vor der Injection bestehendes niedriges Fieber kann 
durch die KoCH’sche Behandlung selbst nach einer einzigen Injection 
beträchtlich erhöht werden, in der Weise, daß die Steigerung sich 

: auf mehrere Tage nach einer Injection forterstreckt. Wir sehen also, 
daß wir weder die Höhe des Fiebers, noch die Dauer desselben an 
nähernd im Voraus bemessen können, daß wir überhaupt die fieber¬ 
hafte Reaction nicht in der Hand haben. 

9. Hier sehen Sie, m. H., ein Mädchen, bei welchem die Tuber¬ 
culose der Lungen unter dem Bilde einer pernieiösen Anämie 
verläuft. Die fahle Blässe ihres Gesichtes und die Anämie der sicht¬ 
baren Schleimhäute ist ganz hervorstechend. Der Fieberverlauf bei 
dieser Kranken ist der einer unregelmäßigen Febr. recurrens, wie 
er häufig bei HODGKiN’scher Krankheit beschrieben wird; fieberhafte 
Perioden wechseln mit Perioden fieberlosen Verlaufes. Die Zählung 
der Blutkörperchen ergab 800.000 rothe Blutzellen im Cubikmilli- 
meter. Sie erhielt eine Injection von 0*002 Ccm., die Temperatur, 
die Tags zuvor sich zwischen normalen Werthen bewegte, erreicht 
nach der 1. Injection 38*9 und in den zwei, der Injection folgenden 
Tagen tritt abendüches Fieber auf. Die Untersuchung an den schmerz¬ 
haften oberen Thoraxpartien ergab eine Verdichtung einer Lungen¬ 
spitze und Rasselgeräusche. Es war klar, daß hinter dieser pernieiösen 
Anämie eine Tuberculose stecke. Die 2. Injection von 0*002 Ccm. 
gibt denselben Effect, auch hier traten während der nächsten Tage 
abendliche Temperatursteigerungen auf. Wir werden nun, so lange 
diese abendlichen Exacerbationen anhalten, von weiteren Injectionen 
absehen. 

10. Bei diesem 23jährigen Mädchen mit Spitzeninfiltration 
waren die Reactionserscheinungen nach 0*002 gering, das Fieber 
erreichte 39*9°, nach der 2. Injection von 0*003 Ccm. 39*8°, nach der 

3. Injection von 0*005 38*6, die Pulsfrequenz nach der letzten In¬ 
jection steigt, die Athmung beschleunigt sich, aber aus dem Ver¬ 
laufe sehen Sie wieder die Inconstanz der Symptome und die Un¬ 
gleichheit in der Wirkung des Mittels. 

11. Bei der folgenden Patientin, einer 42jährigen Frau, die seit 
l‘/ 2 Jahren krank ist, bestand, ehe sie in Behandlung genommen 
wurde, eine Febris continua mit den Ziffern 38*7°, 38*5°, 38*2°; 
im Sputum sind Bacillen vorhanden. Die 1. Injection von 0*002 hat 
nicht mehr zu Stande gebracht als 37*6°, nach 0*003 38", nach 
0*008 38°; es gelang nicht, die Temperatur ordentlich in die Höhe 
zu bringen. 

Sehr lehrreiche Beobachtungen machten wir bei der letzten 
Pat., die ich Ihnen heute noch demonstriren will. Sie hat bereit* 
öfters an Hämatemesis gelitten und es lag die Vermuthung. nahe, 




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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 49. 


1938 







1937 

daß sie an einem Ulcus ventriculi leide. Bei der Untersuchung be¬ 
merkten wir auch an der Nase eine glatte Narbe nach Lupus, die 
den Eindruck einer vollständigen Heilung machte. Sofort'nach der 
1. Injection trat in dieser Narbe Röthung auf, die Stelle schwoll an, 
wurde höckerig und bedeckte sich mit Bläschen, die einen serösen 
Inhalt führten. Temperatur stieg auf 38-2, die Athmungsfrequenz 
nahm zu. Gleichzeitig klagte die Pat. Ober Schmerzen und Stechen 
auf der Brust und im Rücken in der Höhe des Schulterblattes. Die 
Untersuchung der Lunge zeigte uun eine Dämpfung an der Spin, 
scapulae rechterscits und Rasselgeräusche, ein Befund, auf den wir 
erst durch die subjectiven Symptome der Pat. geführt wurden. Nach 
der 1. Injection zeigte sich auch an der vorderen Commissur der 
Stimmbänder eine circumscripte Röthung, eine Erkrankung, von der 
man auch früher nichts gewußt hatte. 

Aua solchen Beobachtungen können wir zweifellos folgern, 
daß das Koca’sche Mittel ein Reagens auf tuberculöses 
Gewebe ist, das namentlich tuberculöse Affectionen der Haut 
und des Larynx, die früher latent waren, aufdeckt; am Larynx 
kommen nach den ersten Injectionen häufig Geschwürchen, die 
früher nicht zu sehen waren, besser zum Vorschein und wir 
können auch bei Infiltrationen der Lungen durch die schmerz¬ 
haften localen Reactionen auf Erkrankungen aufmerksam wer¬ 
den, die früher unserer Kenntniß sich entzogen hatten. Schon 
das Fieber allein zeigt die Gegenwart von Erkrankungen 
tuberculöser Natur an, deren Sitz durch locale Symptome und 
Veränderungen sich offenbart. Ueber das Fieber und dessen 
Beeinflussung durch die Kocü’sche Behandlung habe ich Ihnen 
bereits das Wichtigste gesagt. Die Bacillen im Sputum können 
sich erst nach längerer Zeit verändern, doch möchte ich 
auf sogenannte degenerative Veränderungen an 
den Bacillen keinen Werth legen. Das Sputum ver¬ 
ändert seine frühere eitrige Beschaffenheit, es wird zunächst 
schleimig-eitrig und zuletzt rein schleimig. Doch können wir 
bei der kurzen Dauer unserer Beobachtungen nur von einer 
Nächstwirkung, noch nicht aber von einer Heilwirkung 
sprechen. 


Aus der Abtheilung für äusserlich Kranke Im 

königl,. Charitekrankenhause in Berlin. 

Ueber die Versuche mit dem von Koch gegen 
Tuberculose empfohlenen Mittel. 

Vom Oberstabsarzt Dr. R. Köhler and Stabsarzt Dr. Westph&l. 

(Fortsetzung.) 

Wie das KocH’sche Mittel im Einzelfalle gewirkt hat, 
darüber geben die folgenden Krankengeschichten speciellere 
Auskunft. 

1. Der 28jährige Kaufmann Max Theiß, welcher sich seit 
seit dem 22. November 1889 auf der Nebenabtheilung der chirur¬ 
gischen Station der Charitö wegen Lupus der Nase, Oberlippe, der 
Kinngegend und der Wangen befindet, erkrankte vor 6 Jahren an 
einem knötchen- und pustelförmigen Ausschlag der Oberlippe, welche 
durch ärztliche Behandlung scheinbar beseitigt wurde. Nach einem 
halben Jahre trat der Ausschlag an derselben Stelle, sowie an der 
Nase und den Backen wieder auf. Trotz jedes Jahr vorgenommener 
mehrmonatlicher Behandlung dehnte sich der Proceß immer mehr 
auf die Nase aus. Bei seiner Aufnahme war die ganze Nase, mit 
Ausnahme der Nasenwurzel, sowie die Oberlippe lupös eutartet, die 
Nasenflügel zum Theil zerstört, auf beiden Wangen und unter dem 
Kinn befanden sich etwa zehnpfennigstückgroße lupöse Flecken. Am 
28. November 1889, sowie am 18. April, 17. Juni, 9. Juli und 
18. August dieses Jahres wurden die Knötchen und geschwürigen 
Stellen kauterisirt und nachher mit Perubalsam behandelt. 

Am 10. October 1890 war die Nase bis zur Nasenwurzel, 
und ein 1 Cm. breiter Streifen zu beiden Seiten der Nase, sowie 
die Oberlippe dunbelroth höckrig, mit Knötchen, bezw. kleinen Ge¬ 
schwürchen bedeckt. An den im geschwürigen Zerfall begriffenen 
Nasenflügelrändern war in Folge des Ulcerationsprocesses jederseits 
ein etwa 0*5 Cm. breites Stück verloren gegangen, und die Ge- 


sohwürsbildung erstreckte sich in den Naseneingang hinein und auf 
das Septum. Dicht am linken Mundwinkel befand sich ein zehn- 
pfennig8tückgroßer rother, mit Knötchen besetzter Fleck, und 4 Cm. 
vom rechten Mundwinkel entfernt, sowie an der Unterkinngegend 
Flecke von gleicher Größe. 

Am 12. October, Morgens 10 s / 4 Uhr eine Injection von 1*0 Ccm. 
der l° /0 Lösung des Mittels in den Rücken und Hineinstecken von 
Federposen in die Nasenlöcher, um etwaiges Zuschwellen derselben 
während der Periode der Reaction zu verhüten. Um 1 Uhr Gefühl 
von Hitze, Brennen und Geschwollensein im Gesicht, gleich darauf 
Schüttelfrost, die Nase zu dieser Zeit bereits gerCthet und etwas 
geschwollen. Um 4 1 ' a Uhr Nachmittags war das ganze Gesicht gc- 
röthet und etwas geschwollen. Die Nase und die übrigen kranken 
Stellen stark geschwollen, von dunkelrother Farbe, ebenso die iinter 
den Augen liegende Partie der Wangen. Die untere Hälfte der Nase, 
der mittlere Theil der Oberlippe, die Flecke auf den Wangen und 
unter dem Kinn sah man mit einem gelblichen Exsudat, welches 
zum Theil schon zu einer Kruste eingetrocknet ist, bedeckt. Hals 
und Rumpf von einem scharlachartigen Exanthem eingenommen. 
Klagen über Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit; Appetitlosigkeit, 
belegte Zunge. Der Puls beträgt 120 in der Minute und ist voll, 
hoch und ziemlich stark gespannt. Am 13. October war das Gesicht 
noch ebenso gerötbet und geschwollen, und der Schorf hatte an 
Ausdehnung zngenommen. Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit waren 
viel geringer. Zunge roch belegt, Puls 96, mittel, hoch, mäßig ge¬ 
spannt. Das Exanthem ist ebenfalls noch vorhanden. Die Temperatur 
schwankt den Tag über zwischen 38*0 und 38 9. 14. October: Das 
Aussehen des Gesichts ist dasselbe wie gestern. Das Exsudat zum 
größten Theil eingetrocknet. Temperatur schwankt zwischen 36*7 
und 37 5. 15. October: Die Röthung des Gesichts ist im Abnehmen. 
Das Exsudat überall zu einem festen Schorf eingetrocknet. Auf dem 
Nasenrücken, an der oberen Grenze des Schorfes, erscheint die Haut 
etwas eingezogen und in feine, dem Nasenrücken parallele Fältchen 
gelegt. Höchste Temperatur 37*2. 17. October: Die Röthung des 

Gesichts beschränkt sich nur noch ayf die Nase und ihre nächste 
Umgebung, auf die Oberlippe und die Flecke an Wangen und Kinn, 
und ist ungefähr so stark wie vor der Injection. Die Flecke auf 
der rechten Wange haben ihre Schorfe bis auf einen kleinen im 
Centrum verloren und erscheinen glatt. An einzelnen Stellen der 
Nase und Oberlippe fangen die Krusten an abzubröckeln. Keine 
erhebliche Eiterung. Am 18. und 19. October keine wesentliche 
Veränderung. Temperatur stets normal, Allgemeinbefinden und Appetit 
gut. 20. October: Röthung und Schwellung des Gesichts wie gestern. 
Die Schorfe an der Oberfläche der Nase und dem Fleck der rechten 
Wange lassen sich leicht abheben. Nasenrücken und Nasenspitze 
erscheinen glatt und hellroth und von junger zarter Narbe bedeckt. 
Am oberen Theil beider Nasenflügel, sowie an den Rändern derselben 
blasse Granulationen. Der rothe Fleck auf der linken Backe bis auf 
eine stecknadelkopfgroße Stelle vernarbt und glatt. 21. October: Die 
Vernarbung auf der Nase hat weitere Fortschritte gemacht. Die 
Ränder der Nasenflügel noch granulirend. Entfernung der Schorfe 
von der Oberlippe. Dieselbe ist größtenteils glatt und mit feiner 
Narbe überzogen. Unter der Nase eine erbsengroße und einige 
kleinere Granulationen. 21. und 22. October: Keine wesentliche Ver¬ 
änderung. 24. October: Lippe vollständig vernarbt, die Nase und 
die Flecke mit weißen Schüppchen bedeckt. 25. October: Die Röthung 
der Nase geringer. Die Flecke auf der rechten Seite der Backe voll¬ 
kommen glatt. 27. October: Die Ränder der Nasenflügel uud der 
Naseneingang noch mit dicken Schorfen bedeckt. Die Oberfläche der 
Nase schuppt sich ab, ist aber nicht mehr vollkommen glatt. Viel¬ 
mehr bähen sich mehrere rothe, stecknadelkopfgroße, weiche Er¬ 
habenheiten gebildet, von denen einige im Centrum ein gelbes 
Bläschen tragen. 29. October: Die Wunden an den Nasenlöchern 
frei von Schorfen und theilweise vernarbt. 2. November: die granu 
lirenden Stellen der linken Nasenhälfte fast verheilt. 5. November: 
Die Nase hat im Ganzen eine blaßrothe Farbe und wird an den 
Seiten von einem 1 Cm. breiten hellrothen glatten Saum eingefaßt, 
welche allmälig in die normale Wangenhaut übergeht. Auf dem 
Nasenrücken wechseln die erwähnten, ziemlich zahlreichen Promi¬ 
nenzen mit dazwischen befindlichen tiefer liegenden weißen, narbigen 


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1939 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1940 


Stellen ab. Oberlippe, die Flecke an den Wangen und der Unler- 
kinngegend blaßrotb, glatt, etwas abscbilfernd. Das Allgemeinbefinden 
war bis jetzt gut, und die Temperatur normal oder subnormal ge¬ 
blieben. Am 7. November Mittags 1 Uhr Iojection von 1*0 Ccm. 
der 1% Lösung in den Rücken. Um 4Vs Uhr Gänsehaut am ganzen 
Körper, ziemlich starkes Frösteln. Die Nase röther als vor der 
Injection. Zunge nicht belegt. Kopfschmerzen. Puls 120, hoch ziem¬ 
lich stark gespannt. Um 5 l / s Uhr Klagen über Abgeschlagenheit und 
das Gefühl starker Spannung im Gesiebt. Letzteres geröthet, Schwel¬ 
lung und Röthung der Nase und der übrigen lupösen Theile ziemlich 
stark. Gleichmäßig rothes Exanthem am Rumpf, an den Gliedmaßen 
nur schwach ausgeprägt. Der Frostanfall dauerte eine halbe Stunde 
und wurde von Hitze gefolgt. Temperatur um 1 ' 3 8 Uhr 40'2. 
8. November früh: Nase, Oberlippe, die Flecke an den Wangen 
und unter dem Kinn, die W'angen unterhalb den Augen noch ziem¬ 
lich stark geröthet und geschwollen. Röthung und Schwellung nicht 
so stark wie nach der ersten Injection. Auf Nase und Oberlippe 
wieder gelbe Schorfe, welche jedoch nicht, wie nach der ersten 
Einspritzung, die ganze rothe Fläche derselben bedecken und viel 
spärlicher sind. Auf den schorffreien Stellen der lnpösen Nasenhaut 
kleine weiße, anschei¬ 
nend mit Eiter gefüllte 
Bläschen und Stipp- 
chen. Naseneingaug 
nicht zugeschwollen. 

Die gesund gebliebene 
Nasenwurzel wenig ge¬ 
röthet und frei von 
jedem Schorf. In der 
vergangenen Nacht 
Fieberabfall bis 38‘4. 

Die höchste Tempera¬ 
tur heute 38*9. Puls 
96, ziemlich hoch, voll, 
mäßig gespannt. Kopf¬ 
schmerzen, Appetitlosigkeit, Zunge grau belegt. Exanthem erheblich ab¬ 
geblaßt. 9. Nov., Morg. 8 Uhr: Gesicht wie gestern. Geringer Icterus der 
Haut und Conjunctiva. Appetitlosigkeit, belegte Zunge, geringe 
Kopfschmerzen. Ein aus rothen Quaddeln bestehendes Exanthem am 
Rumpf und den Gliedmaßen, am stärksten da, wo die Kleidergnrte 
sitzen. Puls 80, mittelhoch, mäßig gespannt. Urin braunroth, mit 
gelbem Schaum, frei von Eiweiß. 10. November: Die Nase, sowie 
eine an ihre Seiten angrenzende 3 Cm. breite Partie der Wangen 
und die übrigen Flecke noch beträchtlich röther und derber als vor 
der zweiten Elinspritzung, aber bereits blasser als gestern. Die Schorfe 
haben an der Oberlippe an Masse zugenommen und kleiden auch 
den Naseneingang aus. Der Fleck auf der rechten Backe ebenfalls 
mit Schorfen, derjenige links und unter dem Kinn mit zahlreichen 
weißen Schuppen bedeckt. Icterus noch vorhanden. Morgentem¬ 
peratur 36 - 5, Puls 100, mittelhoch, mäßig gespannt. Schlaf war 
gut. Appetit schlecht, Zunge wenig belegt. Exanthem verschwunden. 
Um 3 / 4 9 Uhr Morgens Injection von 1‘0 Ccm. der l°/o wässerigen 
Lösung in den Rücken. Frost um 12 Uhr, Dauer eine Stunde. Die 
Temperatur erreicht um 3 und 6 Uhr Nachmittags 40’0 und fällt 
dann bis zum andern Morgen um 9 Uhr auf 36‘3. Um 5 Uhr 
Nachmittags ist noch keine Veränderung im Verhalten des Gesichtes 
eingetreten. An Brust und Rücken ein maculöses Exanthem. Keine 
Kopfschmerzen. Puls 120, hoch und voll. 11. November: Localer 
Befund wie gestern, vielleicht ist die Röthung etwas geringer als 
gestern. Die Schorfe sitzen noch fest. Auf den übrigen rothen Par¬ 
tien weiße Schüppchen. Exanthem verschwunden.’ Puls 68. Gegen 
4 Uhr Nachmittags Erbrechen. Die Temperatur erreichte heute nicht 
37 0. 12. November, Morgens 8 Ubr: Die Nase und der unter den 
Augen liegende Theil der Wangen blasser als gestern, aber noch 
immer erheblich geröthet. Icterus besteht noch, Zunge nicht belegt. 
Appetitlosigkeit. Keine Kopfschmerzen. Puls 72. Um a ! t $ Uhr Mor¬ 
gens Injection von 1*0 Ccm. der 1° 0 Lösung in den Rücken. Um 
12 , / 4 Uhr Mittags schwaches Frösteln, Dauer eine Stunde, darauf 
Hitzegefdhl. Uebelkeit, Magenschmerzen, kein Erbrechen. Auf'der 
Unterbauchgegend, den Armen und Oberschenkeln rothe Quaddeln. 


Um 2 Uhr Klagen über starke Spannung im Gesicht, am Gesicht 
selbst noch keine Veränderung. Kopfschmerzen. Um Vs5 Uhr Nach¬ 
mittags: l)ie Nase, mit Ausnahme der Wurzel, und ihre seitliche 
Umgebung in einer Breite von 3 Cm. stärker geschwollen, geröthet 
und derber als heute Morgens. Auf der linken Seite reicht dieser 
rothe Streifen bis zum Mundwinkel und umfaßt den dort liegenden 
lupösen Fleck. Der Rücken mit Ausnahme des Nackens und der 
Schulterblattgegend roth und weiß marmorirt. Auf diesem Untergrund 
heben sich röthere zehnpfennigstückgroße Flecke hervor; auf der 
Brust, den Armen und den Seiten des Halses ähnliche rothe, etwas 
erhabene Flecke, von denen einige feine Bläschen tragen. Das 
Exanthem juckt nicht. Respiration 28. Puls 112, hoch, von starker 
Spannung. Zunge grau belegt. Appetitlosigkeit. Icterus stärker, Urin 
dunkelrothbrann, frei von Eiweiß. Die GuELTN’sche Probe gelingt 
nicht. Die Temperatur hatte um 3 Uhr Mittags 39*8 erreicht und 
fiel dann bis zum andern Morgen um 6 Uhr auf 36 - 2, um von 
jetzt ab subnormal zu bleiben. 13. November: Heute Morgens fieber¬ 
frei, Schlaf war gut, Appetit ziemlich gut, Zunge nicht mehr belegt, 
Puls 72, mittelhoch, mäßig gespannt. Das Exanthem bedeutend ab¬ 
geblaßt. Icterus noch vorhanden. Urin dnnkelbraunroth, frei von 

Eiweiß. Gallenfarb¬ 
stoff mittelst der Gme 
L iN’schen Probe wird 
nicht nachgewiesen. 
Die Nase und ihre Um¬ 
gebung blässer als ge¬ 
stern und weniger ge¬ 
schwollen. Die Schorfe 
sitzen noch fest. 

Am 14. Novem¬ 
ber batte die Röthung 
und Schwellung noch 
mehr abgenommen, 
war aber noch erheb¬ 
lich stärke^ als vor der 
zweiten Injection. Eine starke Schuppenbildung und Abschilferung 
auf den lupösen Theilen hatte Platz gegriffen. 

Behufs Verhütung von Fäulniß des Eiters, bezw. zum Schutz 
der jungen Narbe wurde an einem Tage die Nase mit einer in über¬ 
mangansaurem Kali befeuchteten Compresse bedeckt und während 
zweier Tage mit Borvaselin bestrichen. 

Patient hat bis jetzt im Ganzen 4 - 0 Ccm. der l°/o Lösung 
= 0‘04 Ccm. des Mittels eingespritzt erhalten. 

2. Die 21jährige Arbeiterin Auguste Thon leidet seit ihrem 
siebenten Lebensjahre an Lupus des Gesichtes, welcher zuerst in 
Form von rothen Flecken und Knötchen an der Nase auftrat und 
angeblich durch ärztliche Behandlung beseitigt wurde. Im 14. Lebens¬ 
jahre trat das Leiden von Neuem auf und verbreitete sich allmftlig 
über das ganze Gesicht. Eine plötzliche Steigerung der Krankheit 
im Februar 1890 führte sie am 10. April in die Charitö. Bei ihrer 
Aufnahme nahm der Lupus, bezw. die von der früheren Behandlung 
herrührende Narbe die ganze Nase und Oberlippe, die linke und 
rechte Wange bis zumOhr und zum hinteren Rand des Sternoeleido - 
mastoideus ein; an einigen Stellen war der Lupus ganz ober¬ 
flächlich. An der linken Seite überschritt der Lupus den Unterkiefer 
nach unten um 4 Cm. und erstreckt sich an der Unterkinngegend 
in einer Breite von 4 Cm. bis in die Zungenbeingegend, von wo 
aus die Grenze nach links oben bis zum linken Mundwinkel auf¬ 
steigt. Auf der rechten Seite überschritt er den Unterkiefer nach 
unten nicht. Nach oben schnitt die Erkrankung mit den Augen und 
der unteren Schläfengegend ab. Die unter dem Mund befindliche 
Haut bis über das Kinn hinaus war gesund geblieben. Am 30. Juli, 
19. und 30. August und am 17. 8eptember 1889 Canterisatiou der 
lupös entarteten Stellen mit nachfolgender Jodoformbehandlung. Einen 
wesentlichen Einfluß hatte die Behandlung nicht. Am 10. October 
dieses Jahres hatte die Krankheit noch die beschriebene Ausdehnung. 
Die Haut war dunkelroth, stellenweise dunkelbraunroth, sehr derb 
und verdickt, uneben und an verschiedenen Stellen, besonders auch 
an den Grenzen, mit Lupusknötchen bedeckt. Am 11. October In¬ 
jection von 0‘1 Ccm. der 1% wässerigen Lösung in den Rücken. 


T h e i s s. 



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1942 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1941 


Hierauf kein Frost, aber Kopfschmerzen, Mattigkeit, Brennen im 
Gesicht. Die Temperatur überstieg nicht 37*2. 12. October: Das 
ganze Gesicht kupferroth, heiß und geschwollen; kein Exsudat. An 
Hals und Brust rothe, wenig erhabene bis 5 Pfennigstück große 
Flecke. Morgentemperatur 37*5. Um 10 Uhr Injection von 0*2 Ccm. 
der l°/ 0 Lösung in den Rücken. Gegen 4 Uhr Nachmittags Frösteln 
Va Stunde lang, gleichzeitig Gefühl von Hitze und Spannung im 
Gesicht. Die Temperatur stieg bis um 7 Uhr Abends auf 38*5 und 
fiel in der Nacht bis zum nächsten Morgen auf 37*2. 13. October: 
Klagen über Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit. Zunge etwas belegt. 
Puls 72, mittelhoch, mäßig gespannt. Die Röthung und Schwellung 
des Gesichts hat erheblich nachgelassen. Um 9'/a Uhr Morgens In¬ 
jection von 0*3 Ccm. Die Temperatur überschritt an diesem Tage 
nicht 37*4. 14. October: Schlaf gut. Appetit besser, Zunge nooh 
etwas belegt. Am Gesicht keine Veränderung. Das Exanthem an 
der Brust ist verschwunden, dagegen eine große Zahl von Acne- 
pusteln auf der Stirn anfgetreten. . Um 10 Uhr Morgens Injection 
von 0*5 Ccm der Lösung. Um 4 Ubr gelindes Frösteln, obwohl die 
Tagestemperatur 37*4 nicht überschritt. Um dieselbe Zeit Gefühl 
von Hitze und Spannung im Gesicht. Das Gesicht gegen Abend 
etwas mehr geschwollen und röther. 15. October: Das Gesicht heute 
Morgen ziemlich stark geröthet und geschwollen. Das Roseolaartige 
Exanthem am Rumpf wieder erschienen. Zunge etwas trocken und 
mit grauweißem Belag. Puls 80, klein, weich. Um 10 Uhr Morgens 
Injection von 0*7 Ccm. Um 4 Uhr */ 2 Stunde langer Frost, bald 
darauf Gefühl von Hitze und Geschwollensein im Gesicht, welches 


linken Backe gefunden! Am 31. October hatten sich die oben er¬ 
wähnten Hautpartien nach allen Seiten weiter ausgedehnt. Die an 
anderen Stellen befindlichen Narben batten ein glattes Aussehen. An 
Brust und Rücken bestand noch geringe Abschuppung. Am 1. No¬ 
vember, Morgens 10 Uhr, Injection von 1*0 Ccm. der 1% Lösung 
in den Rücken. Gegen 4 Uhr Frost, welcher eine Stunde dauerte, 
Mattigkeit, Appetitlosigkeit und belegte Zunge. Bald darauf wurde 
Anschwellung und Röthung des Gesichtes beobachtet. Um 7 Uhr 
Abends hatte die Temperatur 39*0 erreicht, worauf sie während der 
Nacht abfiel. Um dieselbe Zeit traten heftiges Erbrechen und 
Magen-, sowie Kopfschmerzen auf. Der Schlaf war sohlecht. An 
Bauch, Brust und Rücken wurde an diesem Abend ein gleichmäßig 
rothes Exanthem bemerkt. Am 2. November, Morgens, waren die 
Magen- und Kopfschmerzen vorüber, der Appetit jedoch noch schlecht 
und die Zunge belegt. Bei noch stark geröthetem Gesicht war der 
Ausschlag blasser geworden. Die Morgentemperatur hielt sich bis 
1 Uhr Mittags auf 37*8 und fiel dann bis um 7 Uhr Abends auf 37*2. 
Der Puls hatte Vormittags eine Frequenz von 104 und war voll 
und gut gespannt. Am 3. November war das Gesicht, an welchem 
keine Exsudation stattgefunden hatte, blasser, ohne jedoch den Grad 
der Abblassung vor der letzten Injection erreicht zu haben. Das 
Exanthem am Rumpf war nur in einzelnen rothen Flecken vorhanden, 
und die BruBt fing an, wieder abzuschilfern. Die Temperatur war 
nicht über 37*2. An diesem Tage wurde um 9 Uhr Morgens wieder 
1*0 Ccm. der 1 °/ 0 Lösung in den Rücken eingespritzt. Ein Frost 
trat an diesem Tage nicht auf. Kopf- und Magenscbmerzen blieben 


Auguste Thon. 



zu dieser Zeit schon stärker geröthet erscheint. Die Röthung hat 
am Abend beträchtlich zugenommen, auch ist jetzt die Schwellung 
deutlich. Die Temperatur erreicht um 7 Uhr 38*0 und fällt in der 
Nacht bis auf 36*0. 16. October: Das Gesicht stärker roth und 
geschwollen als vorher. Auf der Oberlippe, an den beiden Mund¬ 
winkeln und an der Nasenöffnung ist die Haut von einom mäßig 
dicken gelben 8chorf bedeckt. Die übrigen lupösen Theile des Ge¬ 
sichts mit ziemlich zahlreichen weißen Schüppohen behaftet. Nach 
dem Mittagessen Erbrechen. Geringer Icterus an Haut und Conjunctiva 
wird Nachmittags entdeckt. Trotzdem an diesem Tage keine Ein¬ 
spritzung gemacht worden war, stieg die Temperatur doch bis auf 38*5, 
um während der Nacht bis unter die Norm zu fallen. 17. October: 
In der vergangenen Nacht ist die Temperatur bis auf 36*4 gefallen. 
Der Appetit ist noch schlecht, die Zunge belegt, das Allgemeinbe¬ 
finden aber im Ganzen besser. Der Icterus besteht fort, in dem 
dunkelrothen Urin kein Eiweiß. Die Haut an den lupösen Stellen 
bedeutend abgeblaßt, legt sich in kleine feine Falten. Die Injectionen 
wurden vom 16. October bis zum 1. November ausgesetzt. Während 
dieser Zeit war die Körpertemperatur subnormal, und das Allgemein¬ 
befinden, so wie der Appetit gut. Der Icterus war am 21. October 
verschwunden, und seit diesem Tage wurde ein kleienförmiges Ab¬ 
schilfern der Haut des Rumpfes beobachtet, welches bis zum Ende 
des Monats dauerte. Die Haut des Gesichtes wurde von Tag zu Tag 
blasser, weicher und glatter; von den früheren Unebenheiten und 
von Knötchenbildung war nach der Abschwellung nichts mehr zu 
bemerken. Am 22. October kam in der Mitte der linken Backe, da, 
wo der Lupus nur oberflächlich war, ein 4 Cm. langer und 2 Cm. 
breiter Fleck zum Vorschein, an welchem die deutlich erkennbaren 
Poren der Hautdrüsen und die belle Farbe der Haut den Beweis 
lieferten, daß hier normale Haut wieder zu Tage kam. In den 
nächsten Tagen wurde ein gleicher Fleck gesunder Haut auf der 


ebenfalls aus. Am Nachmittag wurde das Gesicht röther und trug 
an einigen Stellen über stecknadelkopfgroße Eiterpusteln. Die Tem¬ 
peratur stieg bis um 7 Uhr auf 38*3. 

Am 4. November war die Morgentemperatur 36*8 und über¬ 
schritt bis zur nächsten Einspritzung nicht wieder die Norm. Das 
Gesicht war wieder erheblich blasser und schilferte ab. Das Exan¬ 
them am Rumpf war fast ganz verschwunden und eine kleien- 
förmige Abschuppung vorhanden. Die Zunge noch belegt, der Appetit 
aber gut. 

Am 8. November batte eine Einspritzung von 1*0 Cm. um 
4 Uhr Nachmittags weder einen Frost, noch eine Temperaturstei¬ 
gerung über 37*0 zur Folge. Trotzdem traten um 1 / a 10 Uhr Abends 
starke Röthung des Gesichtes, Leibschmerzen und starkes Erbrechen 
auf. Am 9. November waren die Schmerzen wieder verschwunden, 
der Puls 80, mittelhoch, wenig gespannt. Neben leichter diffuser 
Röthung der Brust war wieder geringer Icterus aufgetreten. Die 
Temperatur war am Morgen normal, am Nachmittag subnormal 
(36 6) gewesen. Am 10. November war das Gesicht blasser ge¬ 
worden und schuppte immer noch an der Nase und der Oberlippe 
ab. Die Stollen normaler Haut auf beiden Backen hatten sich be¬ 
trächtlich nach der Nase und dem Unterkiefer zu vergrößert und 
erreichten beinahe den unteren Rand desselben. Icterus, belegte Zunge, 
Absohilfern der Brust bei fehlendem Exanthem noch bemerkbar. 
Um 9 Uhr Morgens wurde 1*0 Ccm. der l°/ 0 Lösung in den Rücken 
injicirt. Ohne daß Frost auftrat, stieg auffallender Weise die Tem¬ 
peratur viel schneller als sonst, so daß sie um 9 Uhr Morgens 38*3, 
um 3 Uhr 38*9 betrug, worauf sie in der Nacht bis auf 37*2 ab¬ 
fiel. Am Nachmittag 5 Uhr war wieder starke Röthung und mäßige 
Schwellung im Gesicht neben Kopfschmerzen, vermehrter Appetit¬ 
losigkeit und einem Exanthem am Rumpf aufgetreten. Der volle, 
hohe Puls hatte eine Frequenz von 136. 


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1943 


■1944 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


Am 11. November stieg die Temperatur ohne vorangegangeue 
Einspritzung von 37*2 um 7 Uhr Morgens bis 38*5 um 1 Uhr 
Mittags, fiel dann bis um 7 Uhr Abends auf 37*8, um während 
der Nacht und des folgenden Vormittages bis auf 39 7 um 1 Uhr 
Mittags sich zu erheben, worauf ein rascher Abfall bis zum andern 
Morgen auf 36*5 erfolgte, nach welchem die Temperatur normal, 
bezw. subnormal bis heute blieb. Dieser ungewöhnliche Fieberverlauf 
wurde von folgenden Erscheinungen am Gesicht begleitet. Am 
11. November wurde am Morgen über beiden Augenbrauen, also 
an einer Stelle, wo sich keine lupöse Affection befand, eine etwa 
thalergroße, blfiulichrothe Anschwellung beobachtet, auf welcher die 
Oeffnungen der Hautdrüsen als verhältnißroäßig große Poren auffielen. 
Am folgenden Tage hatte sich diese Anschwellung über die ganze 
Stirn bis zur Haargrenze ausgebreitet, an welcher sie am 13. No¬ 
vember stehen blieb und bedeutend blasser und geringer wurde, 
während gleichzeitig auf der Stirnhaut zahlreiche Eiterpusteln ent¬ 
standen. 

Heute, am 14. November, besteht nur noeh eine geringe Schwel¬ 
lung und Röthung der Stirnhaut, welche noch zahlreiche kleine 
Eiterpusteln trägt, während die lupösen Partien eine blaßbläulich- 
rothe Farbe angenommen haben. Die Ränder derselben sind theils 
glatt und erhaben, theils liegen sie mit der benachbarten gesunden 
Haut in gleichem Niveau. Die Mitte der rechten Wange wird von 
einem 8 Cm. langen und 3 Cm. breiten Fleck gesunder Haut ein¬ 
genommen, während auf der linken Wange ein etwas kleinerer Fleck 
von normalem Aussehen sich befindet. Die lupösen Partien sind zum 
größten Theil glatt und haben vielfach ein marmorirtes Aussehen, 
indem röthliche, etwas erhabene Stellen mit weißen, etwas einge- 
zogenen abwechseln. Zwei Stellen erscheinen noch verdächtig (17. No¬ 
vember, Tag der Correctur). 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate und literarische Anzeigen. 

Hittheilungen Aber das Kooh’sche Heilverfahren 
gegen Tnbercnlose. 

I. 

1. Dergel (Berlin): Praktische Bemerkungen zur Behandlung der 
Tnbercnlose nach Koch. — 2. H. Feilchehfeld (Berlin):. Ueber den Yerla,uf 
einiger mit dem KocH’schen Heilverfahren behandelter Fälle von Tnbercnlose 
verschiedener Organe. — 3. Hertel (Berlin): Mitteilungen über die Ein¬ 
wirkung des KocH'schen Mittels auf Kehlkopftuberculose. — 4. W. Ldbumski 
(Berlin): Einige vorläufige Mittheilungen über die Behandlung der Kehlkopf¬ 
tuberculose nach dem KocH’schen Verfahren. — 5. 0. Israel (Berlin): Bericht 
über die anatomischen Befunde an zwei mit dem KocH’schen Heilmittel behan¬ 
delten tuberculdsen Localerkrankungen. 

Dengkl bespricht in Nr. 47 der „Berl. klin. Woch.“ einige 
kleine Handgriffe und Beobachtungen, die bei der Ausführung des 
Verfahrens kennenswerth sind. Auffallend ist der im Gegensätze zur 
Angabe Koch’s stehende Ausspruch desVerf.: „Da das KoCH’sche 
Verfahren sich ausschließlich gegen die Tuberkel¬ 
bacillen wendet“, bedarf es natürlich vor Allem der Sicher 
Stellung der Diagnose durch die mikroskopische Untersuchung des 
Sputums oder der sonst verdächtigen Gewebe u. s. w. Ist somit 
der Charakter der Krankheit festgestellt, so bedarf es in gewissen 
Fällen einer strengen Sichtung derjenigen Kranken, welche für die 
Behandlung geeignet sind und welche nicht. Denn nicht in allen 
weit vorgeschrittenen Fällen kann man das Koca’sche Verfahren 
anwenden, und würde Nichts demselben größeren Schaden thun, als 
eine planlose Anwendung desselben bei hoffnungslosen Fällen. Es 
kann dieser Punkt von vorneberein nicht genug betont werden. 
Diejenigen Kranken, deren Leiden auf einem Punkte angekommen 
ist, wo die Lebensfähigkeit des Gesammtorganisraus auf ein Minimum 
reducirt ist und die Arbeitsleistung der Lungen in keiner Weise 
mehr für den Körper genügt, sind entschieden als nicht mehr für das 
KoCH’sche Verfahren geeignet zurückzuweisen, oder wenigstens mit 
der erforderlichen Reserve demselben zu unterwerfen. 

Von den Folgen der Einspritzung sei hier nur der eintretende 
Frost und Schüttelfrost erwähnt, zu dessen Bekämpfung sich in 
allen Fällen gewärmte Betten und heiße Getränke als hinreichend 
erwiesen. Manchmal vermochte Phenacetin, prophylactisch genommen, 


die Temperatursteigerung bis zu einem gewissen Grade zu eoupirea. 
Bei genügender Vorsicht in der Dosirung haben sich üble Zwischen¬ 
fälle bisher stets vermeiden lassen, doch erfordern vorgeschrittene 
Fälle jeglicher Art eine genaue Controlirung mit dem Thermometer, 
und kann nicht genug vor einem zu schnellen Steigern der Dosis 
in schweren Fällen gewarnt werden, wenn auch hier gerade das 
Streben nahegelegt sein dürfte, möglichst schnell einen Stillstand 
des Leidens herbeizuführen. 

Das Verhalten der einzelnen Kranken bei fortgesetzten Ein¬ 
spritzungen ist ein so mannigfach variatites, daß es in jedem einzelnen 
Falle genau beobachtet werden muß, um die etwa noch zu treffenden 
Maßnahmen zu entnehmen. So wird namentlich der Reizhusten, die 
Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit immer noch eine Behandlung 
nebenher erheischen, bis diese Erscheinungen unter der Hebung des 
Allgemeinbefindens allmälig verschwunden sein dürften. 

Feilchenfeld hat auf der Privatklinik Levy’s eine Reihe 
von nach dem KocH’schen Verfahren behandelten Fällen von Tuber- 
culose verschiedener Organe beobachtet, über deren Verlauf er in 
einer Sonderausgabe der „Therap. Monatsb.“ berichtet. Von den 
drei mitgetheilten Lupusfällen ist der erste wegen der Deutlichkeit 
der Erscheinungen — ungewöhnlich hohes Ansteigen des Fiebers, 
enorme Schwellung der erkrankten Partien bis zur Neigung zur 
Gangrän, sehr breiter, rother, pseudoerysipelatöser Saum um die 
erkrankte Partie, Steigerung des schlechten Allgemeinbefindens bis 
zur Benommenheit — von Interesse. Der Fall ist auch deshalb 
lehrreich, weil man nach dem Verlauf desselben nach einer Injec- 
tion hätte glauben können, er sei geheilt, da es wirklich den An¬ 
schein batte, als wäre das erkrankte Gewebe mit einem Locheisen 
aus der Haut herausgeschlagen; die späteren Injectionen zeigten 
aber, daß trotz der oberflächlichen Narbenbildung in der Tiefe 
immer noch tuberculöses Gewebe vorhanden war, und ist die Kranke 
noch lange nicht als geheilt anzusehen. Interessant ist auch der 
dritte Fall von Lupus, weil er von den ausgedehnteren Fällen der¬ 
jenige ist, bei dem die Heilung am weitesten vorgeschritten ist (der 
Fall ist'seit dem 15. October in Behandlung); doch spricht Verf. 
immer nur von einer vorläufigen Heilung. 

In Bezug auf das Verhalten des Allgemeinbefindens zur Zeit 
der Reaotion vermag Verf. bei den Fällen von Lupus nicht die An¬ 
sicht zu unterdrücken, als ob die Schwere der Veränderung des 
Allgemeinbefindens zu der Flächenausdehnung des Falles in einem 
directen Verhältniß stehe. Auch ein Fall von Tuberculosis verrucosa 
cutis geht nach dieser Behandlung seiner Besserung entgegen. 

Von den weiteren Angaben Feilchenfeld’s sind insbesondere 
jene von Interesse, die sich auf die Lungentuberculose beziehen. 
Drei Patienten mit beginnender Phthise sind als geheilt entlassen 
worden, da sich das Sputum als bacillenfrei erwies und zugleich 
die auscultatorischen Erscheinungen wesentlich zurückgingen. Doch 
gibt er selbst zu, daß dies noch kein stricter Beweis ist für die 
endgiltige Heilung. Bei schwereren Formen, wo bereits Cavernen- 
bildung vorhanden ist, ist zwar noch keine endgiltige Heilung, wohl 
aber wesentliche Besserung erzielt worden. Das Fieber und die 
Nacbtschweiße wurden zum Schwinden gebracht, das Sputum nahm 
ab und wurde mehr schleimig. EineKörpergewiehtszunahme 
wurde trotz bedeutender Besserung des Allgemein¬ 
befindens nie beobachtet, aber auch bei den fort- 
gesebrittensten und verzweifeltsten Fällen keine 
Abnahme. Auch die Abnahme des Hustens war nicht sehr be- 
merkens werth. 

In Bezug auf die Wirksamkeit des Mittels bemerkt Verf., daß 
die verdünnten Lösungen bei längerer Aufbewahrung und öfterem 
Erhitzen zum Zwecke der Sterilisirung unwirksam werden, weshalb 
man möglichst (Tische Lösungen benutzen muß. Daher rührt es, 
daß die prompte Reaction, die nunmehr differential-diagnostisch eine 
so hohe Bedeutung gewonnen hat, sehr beeinträchtigt wird durch 
Verwendung nicht ganz frischer Lösungen. Man muß also, wenn 
bei Gebrauch der verdünnten Lösungen einmal die Reaction aus¬ 
bleibt , daran denken, daß man eine wirkungslose Lösung einge¬ 
spritzt bat. 

Aus der Klinik Gerhardt’s wurden bis nun 18 Fälle von 
Kehlkopftuberculose der KocH’schen Behandlung unterzogen, über 


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1945 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


194G 


die Hertel in Nr. 48 der „Deutsch, med. Woch.“ Bericht er¬ 
stattet. Bei 14 Kranken war vor der Anwendung des neuen Mittels die 
tuberculöse Erkrankung durch den Nachweis der Bacillen im Aus¬ 
wurf sichergestellt, bei drei der Kranken war er wegen des Mangels 
an Auswurf nicht möglich, jedoch war hier einerseits der wahr¬ 
scheinliche Nachweis geführt durch noch vorhandene Lupusknötchen 
an der Narbe der Nasenspitze und Narben an den Gliedmaßen 
nach früheren Operationen am Knochenskelett andererseits durch den 
physikalischon Befund in einer Lungenspitze und verdächtige Kehl- 
kopfvoränderungen, sowie durch den in der Mund und Rachenhöhle 
und im Kehlkopf sich abspielenden sichtbaren Krankheitsproceß. 
Beim vierten Kranken wurde die Iujection probatorisoh gemacht. 

Die bisherigen Beobachtungen haben bei der Kürze der Zeit 
ergeben: 

Die Behandlung mit der KocH’schen Injectionsflüssigkeit bringt 
überall, wo tuberculöse Herde im Kehlkopfe sich finden, dieselben, 
soweit sie überhaupt durch den Kehlkopfspiegel erkannt werden 
können, zu Gesicht. 

Meist schon nach wenigen Milligrammen tritt nach kürzerer 
oder längerer Zeit unter stärkerer oder weniger starker, mitunter 
auch fehlender allgemeiner Reaction eine örtliche Reaction ein. Die 
örtliche Reaction läßt sich genau mit dem Kehlkopfspiegel ver¬ 
folgen. Sie besteht zunächst io einer Röthung und Schwellung des 
erkrankten Gewebes. Dasselbe schwillt mehr oder weniger stark 
an und röthet sich in verschiedener Weise. Nach Ablauf von kaum 
24 Stunden nach der Einspritzung verändert das geröthete und ge¬ 
schwollene Gewebe seine Farbe. Meistens bedeckt sich dasselbe mit 
einem grauweißen Belage von der Mitte her, während die Randzone 
noch. roth bleibt, und es beginnt meist ebenfalls von der Mitte her 
eine Zerklüftung, ein Zerfall. Es bildet sich ein trichter¬ 
förmiges Geschwür, dessen Mitte in der Mitte des erkrankten Ge¬ 
webes liegt. Die Zerklüftung, der Zerfall schreitet von der Mitte 
naeh dem Rande zu fort; auch die Ränder des Geschwürs ver¬ 
färben sich meist grauweiß, und ohne daß man ein eigentliches 
Abstoßen von der Oberfläche bemerken könnte, wird das entstandene 
Geschwür flacher und flacher. Es sinkt so das ganze er¬ 
krankte Gewebe scheinbar in sich zusammen, wobei je nachdem 
eine mehr oder weniger starke Absonderung von Schleim und 
Flüssigkeit aus der Mund- und Rachenhöhle, bezw. aus den oberen 
Luftwegen stattfindet. Eine Heilung ist bei der Kürze der Beob¬ 
achtungszeit bisher nicht beobachtet worden, wohl aber eine stetig 
zunehmende Besserung und Abnahme der Erscheinungen des örtlichen 
Befindens. 

Lüblinski macht an derselben Stelle einige Bemerkungen 
über die Fälle von Kehlkopftuberculose, die auf der LEVY’schen 
.Klinik nach dem KocH’schen Verfahren behandelt wurden. Zuvörders 
sieht man, wie das Infiltrat der hinteren Larynxwand in Folge der 
Injeetion, etwa 4—5 Stunden nach derselben, anzuscbwellen beginnt. 
Diese Anschwellung ist am nächsten Morgen nicht allein wieder ver¬ 
schwunden, sondern die Stelle ist auch gegen früher etwas einge¬ 
sunken , nnd so sieht man nach wiederholten Injectionen dieselbe 
sich immer mehr abflachen, ohne dabei zu zerfallen. Aehnlich ist 
der Vorgang bei den Infiltraten der Epiglottis. In einem Falle — 
Perichondritis arytaenoidea sin., Infiltratio epiglottidis et chord. voc. 
spar., Ulcerat. plicae interaryt. — war die Epiglottis außerordentlich 
infiltrirt, aber nicht zerfallen; das linke Stimmband stand unbe¬ 
weglich in der Medianlinie, beide Aryknorpel, besonders der linke, 
waren stark geschwollen, ebenso die Falten und Taschenbänder, 
während die hintere Wand ulcerirt war; die Stimmbänder waren 
vollkommen verdeckt und während der wochenlangen Beobachtung 
niemals sichtbar gewesen; die Rima war noch nicht 0‘5 Cm. weit. 
Das Gewebe sah während des Fiebers succulent aus, die Schleim¬ 
menge war stark vermindert, die Schwierigkeit des Schluckens war 
etwas vermehrt. Am nächsten Morgen waren die geschwollenen 
Partien abgeblaßt und abgefallen, und nach weiteren Injectionen ist 
es nunmehr möglich, die hinteren Enden der Stimmbänder zu er¬ 
blicken. Auch das Sehlucken ist dem Kranken erleichtert; während 
er früher jede Speise 4—5mal ruminiren mußte, kann er jetzt, 
wenn auch mit einiger Unbequemlichkeit, doch mit weit weniger 
Mühe Nahrung zh sich nehmen. 


Auch die Geschwüre werden günstig beeinflußt. Bei einem 
Kranken sah man, wie während des Fiebers das um die Ulceration 
liegende Gewebe stärker anschwoll, so daß das Geschwür verkleinert 
erschien. Am nächsten Morgen war der Rand desselben weniger 
hoch, die Zacken waren kleiner, der Geschwürsgrund reiner. Nach 
zwei weiteren Injectionen sieht das Geschwür so rein aus, der Rand 
so abgeflacht, als wenn es cürettirt worden wäre. In einem Falle, 
wo auf der Epiglottis Infiltration und Ulceration vereint sind, ist 
objectiv noch wenig Veränderung zu bemerken. Die Geschwüre be¬ 
ginnen sich zu reinigen, der Kranke, ein 14jähriger Knabe, be¬ 
hauptet, besser schlucken zu können. 

Eine Heilung ist bisher noch nicht beobachtet; aber eine, 
wenn auch langsam vorschreitende Besserung ist auch in den 
Schwerin Fällen zu verzeichnen. Wie weit dieselbe führen wird, 
kann erst die Beobachtung lehren. 

Auch differential-diagnostisch hat das KocH’sche Verfahren 
werthvolle Dienste geleistet. In einem Falle, wo die Meinung 
zwischen hereditärer Lues und Lupus des Pbaryux und Larynx 
schwankte, hat die Probe-Injection zu Gunsten des Lupus ent¬ 
schieden. 

Die erste anatomische Untersuchung an nach der 
KocH’schen Methode behandelten tuberculösen Local¬ 
erkrankungen wurde von 0. Israel am pathologisch-anatomischen 
Institut zu Berliu ausgeführt, und theilt Verf. die gemachten Befunde 
in der letzten Nummer der „Berl. klin. Woch.“ mit. Die Untersuchungen 
beziehen sich auf die zwei Patientinnen Köhlkr’s, Spichalski und 
Borgwardt. (S. „Wiener Med. Presse“, Nr. 48 u. ff.). 

Köhler eröffnete das stark geschwollene Fußgelenk der 
Spichalski, welche bis dahin im Ganzen 13 Einspritzungen, 
die letzte am 13. November, erhalten hatte, am 21., Nachmittags, 
durch zwei Einschnitte Uber dem Malleolus ext. und unter dem 
Malleolus extern, und intern., welche in periarticuläre Abscesse 
führten, die 8—12 Mm. unter der Haut gelegen waren, und 
deren Wandung durch mit einem käsigen Ueberzuge bedeckte 
Granulationen gebildet wurde. Aus den Höhlen entleerte sich ein 
dünner, blaßgölber Eiter, der mit reichlichen feinen Bröckelchen 
käsigen Materials vermischt war. Nur aus einzelnen Ausbuchtungen 
trat auf Druck dickflüssiger, zäher Eiter hervor von etwas inten¬ 
siverer Färbung. 

Sehr auffällig waren in dem Eiter befindliche größere, lockere, 
in sich zusammenhängende Fetzen, die, bis zu 2 Cm. lang und 
1 Cm. dick, mit Eiter durchtränkt, im Ganzen den bei acuten 
Phlegmonen sich abstoßenden neorotischen Theilen ähnelten. Von 
einer phlegmonösen Eiterung war der Zustand jedoch durch seine 
räumliche Abgrenzung, durch das Fehlen jeder hämorrhagischen 
Erscheinung, sowie durch die Auskleidung der Höhlen mit der dicken, 
zusammenhängenden, käsigen Schicht unterschieden. Die während 
der Operation bereits vorgenommeue vorläufige Untersuchung des 
Eiters ergab neben fettigem und eiweißartigem Detritus, daß der¬ 
selbe eine solche Quantität Eiterkörperchen enthielt, wie sie bei 
tuborculöser Erweichungsflüssigkeit ungewöhnlich ist. Ein kleiner 
Theil der Eiterzellen ist fettig metamorphosirt, die meisten sind 
glasig gequollen, von ziemlich gleicher Größe. Der Eiter ist reich 
an Mucin und enthält spärliche Tuberkelbaoillen. 

Für die weitere Untersuchung waren zwei Gesichtspunkte 
maßgebend; erstens die schon von Koch in seiner Publication an¬ 
geregte Frage, in welcher Weise der Schwund, bezw. die Schmelzung 
des abgestorbenen Gewebes vor sich geht, dann aber schien es auch 
wichtig, über die Verbreitung der Bacillen in dem noch nicht abge¬ 
storbenen , dem makroskopischen Ansehen nach tuberculösen Ge¬ 
webe, bezw. in dessen Nachbarschaft Ermittelungen anzustellen. 

Die vorläufige Untersuchung ergab in den necrotischen Gewebs- 
fetzen rein faseriges Bindegewebe und reichliche amorphe käsige 
Massen, mit Eiterkörperchen dicht durchsetzt, hin und wieder auch 
eine mit entfärbten, zusammengesinterten Blutkörperchen gefällte 
Capillare. Ein eigentümliches Bild bot der Durchschnitt durch die 
Wand des Abscesses, soweit dieselbe an einem Ausschnitt sich be¬ 
urteilen läßt. Es zeigte sich da bei schwacher Vergrößerung neben 
der etwa 1 Cm. breiten Schicht, die aus amorphen, sehr undurch¬ 
sichtigen , in Essigsäure fast vollständig löslichen körnigen Massen 

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1890. — Wiener Medizinische&Presse. — Nr. 49. 


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besteht, eine zweite, 0‘4 — 0‘6 Cm. breite Schicht, welehe, viel durch¬ 
sichtiger als die andere, dennoch fleckweise stark wolkig gefärbt 
erscheint und vielfach durch reihenweise angeordnete dunklere Punkte 
unterbrochen, sich mit einem grobzackigen scharfen Rand gegen die 
völlig durchscheinende dritte Zone, diejenige des lebenden Granu¬ 
lationsgewebes absetzt. Die dunkleren Punkte, welche an der Grenz¬ 
linie einen continuirlichen Saum bilden, erweisen sich als fettig 
metamorphosirte Zellen, indeß die leichte, in dieser Zone bemerkbare 
Färbung sich auf Essigsäure rasch auflöst, offenbar ein Bezirk par¬ 
tieller Necrose, die sich an die ältere, ebenfalls scharf begrenzte 
anschließt. Nur in dem necrotis eben Gewebe fanden sich noch ein¬ 
zelne Bacillen, und zwar sowohl in der frischen, als distincte Zone 
erkennbaren Necrose, als auch in dem gänzlich kernlosen Material 
und in dem Eiter der Abscesse. Daß ans dem Befunde der doppelten 
Necrosenzone ein Schluß auf ein regelmäßiges Vorkommen derselben 
zulässig sei, möchte mit Grund bezweifelt werden, sie aber in dem 
vorliegenden Falle auf eine durch die Injectionen hervorgerufene 
Progredienz der Necrose zu beziehen, scheint zulässig. 

Weniger deutlich sind die Verhältnisse der bei der Borg¬ 
wardt befindlichen Narbe, die auf die Injcction reagirte, da die¬ 
selbe nur wenig Tuberculöses aufwies. S. 


Kleine Mittheilungen. 

— In der gynäkologischen Section der Naturforscher-Ver¬ 
sammlung zu Bremen theilte Prof. Zweifel (Leipzig) einen Fall 
VOn LupU8 Uteri mit. Die 28jährige, von einem schwindsüchtigen 
Vater stammende Pat. kam im Januar 1889 in die Behandlung Z.’s 
mit der Diagnose : Carcinoma port. vag. Die erste Probeabrasion 
ergab, daß kein Carcinom vorlag, mikroskopische Schnitte wiesen 
einen Geschwürskrater auf, dessen Basis nur aus welligem Binde¬ 
gewebe bestand, während an den Rändern die Pflasterepithelien in 
vielen Schichten über einander lagen. Die Diagnose schwankte 
zwischen syphilitischem und lupösem Geschwür. Eine antisyphilitische 
Behandlung blieb ohne Einwirkung auf das Geschwür. Die Diagnose 
wurde darauf auf Lupus vaginae gestellt und Actzungen des Geschwüres, 
Aufpinseln von Perubalsam und Jodoform vorgenommen. Das Resultat 
war Besserung des Geschwürs in der Scheide, Weiterkriechen der 
Krankheit auf die Mucosa uteri, fortwährende Blutungen. Im Sommer 
1889 wurde ein Curettement der Uterusschleimhaut vorgenommen, 
worauf die Kranke Jauchung aus dem Uterus und hohes Fieber 
bekam. Es fanden sich in der Schleimhaut Tuberkel, aber keine 
Riesenzellen und Tubcrkelbacillcn. Wegen fortwährender Blutungen 
entschloß sich die Frau endlich zur Uterusexstirpation. Der heraus¬ 
geschnittene Uterus zeigte nur bis etwas über den inneren Mutter¬ 
mund ein flaches Schleimhautgeschwür, keine Höhlen oder Buchten, 
keine Tuberkeln in der Uterussubstanz oder auf der Serosa. Die 
Tuben waren vollkommen gesund. Es waren dies Momente, welche 
wesentlich dazu beitrugen, die Diagnose Lupus zu stützen. In der 
Discussion berichtet Kochs (Bonn) über eine einschlägige Beobachtung 
von NebeneiDanderbestehen von Gesichtslupus und einer Knötchen- 
ernption an der Portio vaginalis. Es fand sich nämlich bei einer 
Kreissenden eine derbe Conglutinatio orifio. ext., die als Geburts- 
hinderniß wirkte. Das untere Uterinsegment war stark in die Scheide 
vorgewölbt und die Portio aufgegangen in diesen vorgewölbten Ab¬ 
schnitt des Organs. Die Oberfläche der Wölbung, durch die man 
den vorliegenden Kindestheil hindurch fühlen konnte, war dicht mit 
kleinlinsengroßen Knötchen durchsetzt. Da nun die Kreissende an 
Lupus der linken Gesichtswange litt, war kein Zweifel, daß es sich 
auch um einen Lupus des Uterus handelte, wobei die Erkrankung 
der Portio zwar die Conception nicht verhindert hatte, aber während 
der Gravidität zur Verklebung der Cervicalscbleimhaut Veranlassung 
gegeben hatte. 

— In Nr. 36 des „Bull. g6n. de Th6rap.“ theilt Frau Dr. 
Fraenkel die Resultate einer Reihe von Untersuchungen Über die 
Wirkung des Hypnals mit. Das Hypnal oder Monochlorantipyrin 
ist das Resultat der Vereinigung von Chloral mit Antipyrin. In Dosen 
von 1—2 Grm. unter die Haut von Kaninchen eingespritzt, erzeugt 
dasselbe Somnolenz, Schlaf und Temperaturherabsetzung; toxische 
Erscheinungen wurden nicht beobachtet. In Gegenwart von schwachen 


Alkalien und wahrscheinlich auch im Blute zersetzt sich das Hypnal 
in seine zwei Bestandtheile. Das Präparat ist im Wasser nicht leicht 
löslich, viel leichter löst sich dasselbe in Alkohol, daher es in al¬ 
koholischen Lösungen am besten za verabreichen ist Eine sehr an¬ 
genehme Verordnungsweise ist die von Bardet empfohlene: 


Rp. Hypnali.1*0 

Aq. dest.15*0 

Chartreuse.4 0 


Anßerdem läßt sich das Hypnal in Pulvern von 1 Grm. oder in 
kleinen Kapseln von 0'25 verabreichen. Weniger gut eignet sich 
das Mittel zu subcutanea Injectionen wegen der großen Menge des 
Vehikels, welche dazu nothwendig ist. Im Allgemeinen genügt die 
Dosis von 1 Grm. fast immer, um Schlaf hervorzurufen und die 
Schmerzen zum Schwinden zu bringen. Diese Wirkung tritt ge¬ 
wöhnlich 1 / a —1 Stunde nach Verabreichung des Medicamentes ein, 
jedoch gibt es Fälle , bei denen die Dosis wiederholt werden muß. 
Ein großer Vorzug des Hypnals gegenüber dem Chloral besteht in 
dem Fehlen des unangenehmen Geschmacks und der Reizung des 
Magens. Das Mittel kann lange Zeit gegeben werden, ohne den Magen 
zu belästigen. Auf der Abtheilung von Ddjardin Beaumbtz verab¬ 
reichte Verf. das Mittel in folgenden Fällen: 5 Fälle von Schlaf¬ 
losigkeit in Folge von Nervosität oder Ueberanstrengung, 5 Fälle 
von Schlaflosigkeit, in Folge von Husten durch acute Tracheobron¬ 
chitis bedingt. 7 Fälle von Schlaflosigkeit bei Tuberculose in Folge 
von Husten oder Fieber, 1 Fall von Laryngismus stridulas, Neural¬ 
gien verschiedener Nerven, 7 Fälle von Zahnneuralgie, 1 Fall von 
alkoholischer Schlaflosigkeit, 1 Fall von Hemiplegie mit Kopfschmerz, 
1 Fall von syphilitischem Kopfschmerz, 1 Fall von Pleuritis mit 
hartnäckiger Schlaflosigkeit und 1 Fall von Tic douloureux. Am besten 
wirkte das Mittel bei Schlaflosigkeit, die durch Schmerzen verursacht ist. 
Die Wirkung stellt sich schon nach einer Dosis ein, die 1 / s oder 
Vs von der nothwendigen Chloraldosis beträgt. Das Hypnal ist gleich¬ 
zeitig ein hypnotisches und analgetisches Mittel. 

— Wiederholt vorgekommene Fälle von Blutvergiftung nach 
Fingerverletzungen veranlassen Justus Andekr, das Resorcifl gegen 
Leichengift zu empfehlen. Die Versuche mit jauchiger Pancreas- 
flüssigkeit und ähnlichen septischen Stoffen, welche in ihren Wir¬ 
kungen und Folgen vielfache Aehnlichkeit mit denen des Leichen¬ 
giftes darbieten, zeigen nach Verf. zur Genüge, wie sicher letzteres 
diese Gifte, im Falle sie alkalische oder neutrale Reaction zeigen, 
unschädlich zu machen vermag. Zu gleichem Resultate, wie diese 
Thierversuche, haben Autoexperimente bezüglich des Resorcineinflusses 
bei Wundinfection septischer Gegenstände und Instrumente, sowie 
nicht wenige Beobachtungen an anderen Menschen geführt. Von 
letzteren berichtet Verf. in Virchow’s Arch. Bd. 122, Heft 2, 1890 
folgenden Fall: J. Z., damals und noch heutigen Tages Diener am 
physiologischen Laboratorium in Würzburg, hatte, in Berührung mit 
septischen Objecten, unmerklich am Arm sich verletzt. Als nach ein 
Paar Tagen dieser zu schmerzen und anzuschwellen begann, wurde 
graue Quecksilbersalbe, sowie der Reihe nach die neuen antisepti¬ 
schen Mittel (Phenol etc.), aber Alles erfolglos, dagegen angewendet. 
Die Ellenbogen- und Achseldrüsen, kurz der ganze Arm schwollen 
proportionell ihrer zunehmenden Schmerzhaftigkeit zusehends an, 
Schlaflosigkeit, Angst und Durstgefühl wechselten miteinander ab. 
Angesichts der trostlosen Lage, in welche Pat. nun gerathen war, 
wandte er sich mit der Bitte an Verf., in letzter Instanz noch das 
Resorcin bei ihm zu versuchen. Dies geschah, und der von ober¬ 
flächlicher und tiefer Lymphangoitis mißfarbige, umfangreiche, glühend 
anzufüblende Arm mit Resorcin in passender Form und Gabe be¬ 
handelt. Schon wenige Stunden hernach fühlte sich Pat. in Folge 
schneller Aufsaugungsfähigkeit des Mittels durch den erkrankten 
Lymphapparat sichtlich erleichtert, so daß er bereits in der 
nächsten Nacht guten Schlaf bekam. Am folgenden Morgen 
war eine bedeutende Abschwellung deB ganzen Armes unverkennbar, 
und das Schmerzgefühl, ehedem von so vielfach wechselnder Form 
und Stärke, ohne Druck ganz und bei Druck beinahe geschwunden. 
Eine Woche darauf war Pat. völlig hergestellt und wieder arbeits¬ 
fähig. Gerade auf Grund dieses schlagenden Beweises unfehlbarer 
Resorcin Wirkung bei Leichengift, sowie weiterer Thier- und Eigen- 


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versuche mit septischer, bezw. von Cadavern inficirter Erde, empfiehlt 
Verf. das Resorcin hei Biß und Stich giftiger Thiere, bei Stich und 
Schnitt infectiöser Instrumente. 

— William Murell empfiehlt in Nr. 11 der „Ther. Mon.“ 
die systematische Behandlung der Angina pectoris mit Nitro¬ 
glycerin. Dasselbe steht in seiner physiologischen Wirkung dem 
Amylnitrit und den Nitriten im Allgemeinen sehr nahe, obwohl es 
kein Glycerylnitrit, sondern ein Nitrat ist. Was die Dosirung betrifft, 
so ist dieselbe sehr verschieden; viele zarto Frauen können nicht 
mehr als O'OOOl nehmen, ohne die charakteristischen Kopfschmerzen 
und das Klopfen der Arterien zu empfinden, wahrend viele an 
Angina pectoris Leidende ohne Bolfistigung und mit Vortheil viel 
grössere Dosen vertragen. Bald stellt sich eine Angewöhnung an das 
Mittel ein, so daß die Dosis Tag ftlr Tag und Woche für Woche 
gesteigert werden kann. M. verordnet gewöhnlich 3stündlich eine 
Dose und eine Extradose sofort bei Beginn eines Anfalles oder nach 
irgend einer ungewöhnlichen Anstrengung. Er verschreibt die geeignete 
Dosis Nitroglycerin mit Spiritus chloroformii, Tinotura capsici und 
Aqua menthae piperitae. Es ist zweckmäßig, dem Pat. eine Anzahl 
Dosen in kleinen Flaschen in seiner Westentasche tragen zu lassen, 
damit die Mischung bis fast auf Körpertemperatur erwärmt werde, 
ehe sie eingenommen wird. Der große Vortheil des Nitroglycerin 
vor dem Amylnitrit ist seine viel länger anhaltende Wirkung. Nitro¬ 
glycerin, innerlich genommen, wirkt ein wenig langsamer als Amyl- 
nitritinhalationen, aber der Unterschied in der Zeit ist gering, 
besonders wenn das Nitroglycerin in Form der Capsicum-Pfeffer- 
minzmixtur angewendet wird. In schweren Fällen von Angina pectoris 
wendet M. nebst Nitroglycerin Massage, sowie den constanten und 
unterbrochenen Strom an. Dadurch ist man im Stande, selbst in sehr 
schweren Fällen Heilung herbeizuführen. 

— Gelegentlich von Untersuchungen über den Schede’ sehen 
Blutschorf, wobei Hunden und Kaninchen Knochenhöhlen wunden an¬ 
gelegt worden, die mit theils mit Blut, theils mit verschiedenen Salzen, 
auch mit Jodkalium imprägnirten Schwämmen ausgefüllt wurden, 
machte Dr. C. L. Schleich die Beobachtung, daß in dio mit Jod¬ 
kalium imprägnirten Schwämme auffallend reichere Einwanderung von 
Leuoocyten stattfand, als in die mit anderen Salzen beschickten. 
Diese Emigration der weißen Blutzellen war ebenso deutlich ver¬ 
mehrt, als später das Jodkalium innerlich und subcutan verabfolgt 
wurde. Es schien also, daß das Jodkalium die leucocytären Processe 
an dem Orte einer durch chirurgische Eingriffe gestörten Circulation 
zu steigern vermag. Dadurch kam Schleich auf die Idee, die innor- 
liehe Anwendung dee Jodkaliums zur Heilung von Höhlenwunden 
zu verwerthen. Er berichtet summarisch in Nr. 11 der „Ther. 
Monatsh.“ über 92 Fälle, in welchen er das Jodkalium angewendet 
hat. Davon entfallen 14 auf Knocbenhöblenwunden (Osteomyelitis 3, 
Knochontuberculose 6, Trepanation des Warzenfortsatzes 2, Eröffnung 
des Antrum Highmori und des Frontalsinus 3), 17 auf Geschwulst- 
oxstirpationswunden ohne primäre Naht, 50 auf tiefere phlegmonöse 
Processe, 11 auf primär nicht geschlossene Exarticulations-, Resections- 
und Amputationswunden. Dies waren nur zum Theil (25) solche 
Fälle, bei denen die Grauulationsbildung äußerst langsam vor sich 
ging; unter dem Jodkaliumgebrauch vollzog sich die Reinigung der 
Granulationen außerordentlich prompt. Die vorher glatten, schmutzig 
grauen, theilweise mit Fibrin überzogenen Wundflächen erhielten 
nach 4 Tagen ein schön rothes, körniges, vascularisirtes Aussehen, 
während die vorher spärliche Secretion viel reichlicher wurde. Die 
übrigen 77 Fälle zeigten von vornherein gute Granulationsbildung, 
doch wurde mit Verabreichung von Jodkalium eine nicht unerhebliche 
Abkürzung der Heiluugsdauer erzielt. Verf. gibt das Jodkalium in 
Lösung von 5 : 200, bei Kindern 3 : 200, 3 Mal täglich einen 
Eßlöffel. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

( Original-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 5. December 1890- 

0OC. Dr. HOCHENEGG demonstrirt ein von ihm exstirpirtes 
Gumma der Leber. Es handelt sich um eine 42jährige Frau, 
die vor einem Jahre Schmerzen im Unterleibe bekam, welche immer 
Zunahmen. Vor 6 Monaten bemerkte sie eine harte, eigroße Ge¬ 
schwulst unter dem rechten Rippenbogen. Bei der Untersuchung fand 
sich unter dem rechten Rippenbogen eine die Athembewegungen mit¬ 
machende apfelgroße Geschwulst, die der Leber angehörte. Bei der 
Operation fand sich ein Tumor im rechten Leberlappen, der mit 
dem Paquelin exstirpirt wurde und der sich als Gumma heraus¬ 
stellte. Die Blutung konnte weder durch Umstechen, noch mit 
Sehieberpincetten, sondern nur durch Austamponiren der Wundhöhle 
mit Jodoformgaze und Fixirung mittelst einer Fibromnadel an die 
vordere Bauohwand gestillt werden. Eine bleibende Fixirung der 
Leber an die Bauchwand findet, wie Hochenegg au einem vor 
mehreren Monaten operirten Falle demonstrirt, nicht statt. 

Hochenegg berichtet ferner über einen Fall von inoperablem 
Carcinom der hinteren Vaginalwand, den er in der Weise operirt 
hat, daß er das Rectum nach der sacralen Methode frei legte, den 
ganzen unteren Abschnitt des Rectum ablöste, den Anus durchschnitt, 
die kranke Partie von der gesunden abtrennte und sammt dem er¬ 
krankten Uterus entfernte. Einen Monat nach der Operation wurde 
die Pat. mit einem Anus praeternaturalis sacralis geheilt entlassen. 

Ueber das Koch’sche Heilverfahren gegen Tuberculose. 

Prim. Dr. Riehl hat bei einer 53jährigen Frau, der vor 5 Jahren 
wegen Caries im Kniegelenk die Amputation gemacht wurde und 
bei der sich an der Haut des Stumpfes einige Knoten entwickelten, 
die confluirten und Geschwüre bildeten, das KocH’sche Verfahren 
eingeleitet. Das Geschwür war unregelmäßig zerfallen, wies ein 
ziemlich dichtes Infiltrat auf und an den frischen fortschreitenden 
Stellen graue miliare Tuberkel. Die Injectiou des KocH’schen Mittels 
erzeugte nebst der allgemeinen eine locale Reaction, ähnlich wie bei 
Lupus. Die mikroskopische Untersuchung eines excidirten Haut- 
stückcbens ergab eine bedeutende Vermehrung der Zahl der Rund¬ 
zellen , und zwar nicht al'ein der granulirten, sondern auch der 
Leucocyten. Zwischen dem Gewebe, namentlich am Rande, ist Fibrin 
zu finden. In den Gefäßen wandständige oder ganz außerhalb der 
Gefäßwand stehende Leucocyten. Die Tuberkel selbst sind vom 
Rande her durchsetzt von Leucocyten uud von einem dichten Fibrin¬ 
netz umgeben. Die erste Wirkung des KoCH’schen Mittels scheint 
also eine acute Entzündung zu sein, die besonders um das tuber- 
culöse Gewebe herum prononcirt ist. Auf Tuberkelbacillen hatte R. 
noch keine Zeit zu untersuchen. 

Prof. Kaposi macht einjge in Bezug auf den diagnostischen 
Werth des KocH’schen Mittels wichtige Bemerkungen. Er hat nebst 
den Fällen von Lupus auch Pat. mit anderen Affectionen injicirt. 
So 3 Fälle von Syphilis — 2 mit gruppirten und 1 mit gummösen 
Syphiliden behaftete Kranke. Von diesen haben 2 selbst auf größere 
Dosen nicht reagirt, während ein mit einem gruppirten Syphilid 
Behafteter eine ganz colossale Reaction zeigte. In einem Falle von 
Lupus erythemat. (eine Affection, die einem diffusen Entzündungs- 
proceß, aber keinen Lupus darstellt) stellte sich nicht nur eine all¬ 
gemeine, sondern auch eine locale Reaction ein. Ferner trat allgemeine 
Reaction ein in einem Falle von Sarcom, in einem von Lepra, und 
zwar auf nicht zu große Dosen von 4—5 Mgrm. Hingegen war bei 
2 Lupuskranken trotz der localen keine allgemeine Reaction vor¬ 
handen. Interessant sind die localen Erscheinungen in nicht tuber- 
culösen Fällen. So stellte sich beim ulcerösen Gumma nach der 
Injection eine stärkere seröse Exsudation ein. Bei der Lepra maculosa 
trat eine auffallende Schwellung der Flecke ein, so daß die Er¬ 
krankung nach der Injection das Aussehen einer Lepra tuberosa 
hatte. In einem Falle von Sarcom des Pharynx war nach Injection 

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von 5 Mgrm., später 1 Cgrm., jedesmal eine ausgesprochene Schwellung, 
seröse Durcbtränkung und Röthung zu beobachten, während nach 
der Defervescenz eine Verkleinerung und größere Beweglichkeit des 
Neugebildes wahrnehmbar war. In einem Falle von macula-papulösem 
Syphilid mit specifischer Angina trat nach Injection von 1 Cgrm. eine 
deutliche locale Reaction au der rechten Tonsille ein. 

In Bezug auf die Methodik bemerkt E., daß bei rasch auf 
einander folgenden Injectionen die Erscheinungen geradezu be¬ 
ängstigende sind , weshalb es angezeigt erscheint, die nächste Injection 
immer erst dann vorzunehmen, wenn die Pat. sich von der ersten 
vollständig erholt haben , da sonst eine Cumulirung des Giftes zu 
Stande kommt. 

Prof. Neumann berichtet über einige von ihm mit dem Koca- 
schen Mittel behandelte Fälle. Bei Lupus erzeugte das Mittel die 
bereits beschriebenen allgemeinen und localen Erscheinungen. Inter¬ 
essant ist der Fall eines Kranken, der gleichzeitig Syphilis, tubcr- 
culöse Epididymitis und Lupus'hatte. Bei diesem Pat. wurde die Syphilis 
von dem Mittel nicht beeinflußt, der Lupus wurde wesentlich ver¬ 
ändert und das tuberculöse Gewebe im Nebenhoden bedeutend afficirt. 
In 2 Fällen von Syphilis trat allgemeine, aber keine locale Reaction ein. 

Doc. Dr,. Kraus bestreitet die von Kaposi behauptete Cumu- 
lativwirkung; er hat im Gegentheil die Beobachtung gemacht, 
daß die Kranken sich sehr rasch an das Mittel gewöhnen. 

Doc. Dr. Kraus hält hierauf einen Vortrag über Locali- 
8ationimCervicalmarke. S. 

Dermatologische Vereinigung zu Berlin. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Versammlung am 2. December 1890 im pharmakologischen Institute. 

Geh. R. Prof. G. Lewin: a) Verhalten des Lupus erythematodes 
zur Koch’schen Injection mit Krankenvorstellungen. — 
b) Diagnostischer Werth der Koch’schen Injection bei ein¬ 
zelnen fraglichen syphilitischen Krankheiten der Gelenke 
und Hoden mit Krankenvorstellungen. 

Meine Herren! Wenn der innere Kliniker wie der Chirurg be¬ 
lieben, über Lupus zu sprechen, kann der Dermatologe nicht schweigen. 
Was ich aber bisher vermisse, ist der Hinweis auf die verschiedenen 
Stadien des tuberculösen Lupus, in denen das KocH’sche Mittel sich 
heilsam erweisen kann. Solcher lupöser Affectionen lassen sich sechs 
unterscheiden: 

1. Der Lupus vulgaris; 

2. das tuberculöse Geschwür an den Oeffuungon der Körper¬ 
höhlen, wie Mund, After etc.; 

3. das Scrophuloderma mit Geschwürsbildung in großer Aus¬ 
dehnung ; 

4. der Lupus erythematodes; 

5. die Verruca tuberculosa cutanea, welche bei Fleischern, 
Geflügelhändlern, Köchen vorkommt; 

6. die Leichentuberkeln. 

Man muß genau die StadieD des Lupus kennen, um entschei¬ 
den zu können, ob eine Heilung noch möglich ist. Bekanntlich be¬ 
ginnt der Lupus mit der Entstehung kleiner Knoten im Corium, 
welche auf der Haut Erhöhungen darstellen. Hier kann man mit 
Bestimmtheit helfen. Beginnen die Knötchen abzuschuppen, so ist 
in diesem Stadium der Beobachtung wohl zu differenziren, ob es sich 
nicht etwa um Acne oder Syphilis handelt. Alsdann entwickelt sich 
der Lupus nach vielen Seiten hin und nimmt Formen an, wie z. B. 
der Lupus verrucosus, mit großen papillären Hervorragungen. Auch 
hier ist das KocH’sche Verfahren von großer Bedeutung. Endlich 
nimmt der Lupus seinen Ausgang in Gangrän. Hier können die 
Knötchen so versteckt gelegen sein, daß es nur durch das KocH’sche 
Mittel möglich ist, sie zur Wahrnehmung zu bringen. Nicht ganz 
selten ist der Uebergang des Lupus in Carcinom. Im Jahre 1865 
stellte Redner einen solchen Fall in der Berliner med. Gesellschaft 
vor, bei dem auch v. Langenbeck Zweifel aussprach. Seitdem sind 
40 evidente Fälle veröffentlicht, während Redner circa 80 Fälle aus 
weiteren Mittheilungen kennt. 

In Frage steht noch immer, ob der Lupus erythematodes 
ubcrcnlö8er Natur ist oder nicht, wenigstens bat bisher noch Niemand 


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Tuberkelbacillen bei dieser Affection entdecken können. Die An¬ 
sichten in dieser Beziehung sind in Deutschland und Frankreich 
sehr verschieden. Von verschiedenen deutschen Autoren, wie Lksskr, 
Pfeil u. A., ist die Behauptung aufgestellt worden, der Lupus ery¬ 
thematodes gehöre überhaupt nicht zum Lupus. In Frankreich glaubt 
man mehr an die tuberculöse Natur derselben. Bedenkt man, daß. 
die Bacillen nicht immer sich im erkrankten Gewebe befinden, sondern 
auch in’s gesunde übergehen und selbst in den von ihnen erzeugten 
Ptomainen untergehen, so ist das seltene Auffinden der Tuberkel¬ 
bacillen in diesen Fällen erklärlich. 

Bei derart bestehenden Zweifeln hielt es Redner daher für an¬ 
gezeigt, einen solchen Fall von Lupus erythematodes mit KocH’scher 
Flüssigkeit zu behandeln. Das vorgestellte 17jährige Dienstmädchen 
leidet an unbedeutenden Erosionen der Clitoris, an Fluor und an 
Lupus erythematodes auf der Wange in der gewöhnlichen Discus- 
form. Temperatur vor der Injection 36‘5, Puls 60, Respiration 80. 
Nach der ersten Injection von 5 Mgrm. stieg die Temperatur nach 
2 Stunden auf 36‘8, Puls 64. Zwei Stunden später Temperatur 37, 
Puls 80, Respiration 20. Nach weiteren zwei Stunden Temperatur 
37*1—37*3, drei Stunden später 37‘8, Puls 84, Respiration 18. Es 
trat auch eine locale Reaction ein, Schwellung und erythematöse 
Röthung. Die Schwellung ergriff auch die seitlichen Submaxillar- 
drüBen, welche etwas empfindlich wurden. 

Zwei Tage später erfolgte die zweite Injection von 2 Mgrm. 
Nach 2 Stunden betrug die Temperatur 37°, ging bald darauf wieder 
auf 36'9° zurück und wurde dann normal. Der Puls stieg von 64 
auf 76, die Respiration von 18 auf 20. Nach der dritten Injection 
von 3 Mgrm. stieg die Temperatur bis auf 39°. Allgemeine Er¬ 
scheinungen, wie Uebelkeit etc., wurden nicht beobachtet. 

Resultat der Behandlung: Nach der ersten Injection 
zeigten die Efiflorescenzen eine nur geringe ödematöse Erhöhung und 
ein Lockerwerden der weißlichen Schuppen. Im Centrum sickerte 
etwas blutig gefärbte Flüssigkeit hervor, welche zur Bildung von 
Krusten führte. Nach Wegoahme derselben zeigte sich das charak¬ 
teristische Bild des Lupus erythematodes, man konnte deutlich die 
Oeffnungen der Talgdrüsen und Haarbälge unterscheiden. Nach der 
letzten Injection waren die Localerscbeinungen in der Umgebung 
der Affection gleich Null. Dagegen ist eine bedeutende Verkleinerung 
des Lupus eingetreten, und zwar um über */ 3 des Umfange«. Die 
zweite Zone zeigt bereits Uebergang zur ersten Zone der Heilung, 
während in der Mitte die blutig gefärbten, braunschwarzen Krusten 
hell geworden sind nnd ebenfalls eine Verdünnung zeigen. 

Nach dieser Erfahrung erscheint es berechtigt, den 
L. erythematodes für tuberculös zu erklären. 

Die zweite Patientin, eine 26jährige Arbeiterin, mit kleinen 
Erosionen an der Portio, zeigt eine große Zahl Narben am linken 
Unter- und Oberarm, welche zum Theil mit dem Knochen in Verbindung 
stehen. An einzelnen Stellen finden sich Papeln mit Schuppen. Die 
Diagnose schwankte zwischen Syphilis hereditaria und Tuberculöse. 
Für Syphilis sprach die eigenthümliche Configuration einzelner 
Papeln in Kreis- oder Hufeisenform. Gegen Syphilis sprachen die 
allgemeinen Erscheinungen, so daß Redner zu der Diagnose 
Tuberculöse neigte. Nach der ersten Injection zeigte sich eine 
heftige Reaction. Das Fieber stieg auf 39° und höher, weitere 
Allgemeinerscheinungen waren nicht vorhanden, wohl aber trat eine 
locale Reaction auf. Noch jetzt sind die betroffenen Theile des 
Armes wesentlich wärmer anzufühlen, die kleinen Erhebungen haben 
eine fioride Färbung angenommen. Die eingetretene Schuppung deutet 
auf Regeneration der Haut. 

Bei beiden Patienten ist noch besonders die Reactionsfähigkeit 
für larvirte Tuberculöse hervorzuheben. Die erste Pat. zeigte bei 
der Aufnahme einen kleinen rothen Punkt auf der Nase, welchen 
Redner für beginnende Acne hielt. Nach der ersten Einspritzung 
wurdo diese Stelle erheblich größer und heller und zugleich empfind¬ 
lich. Bei der zweiten Pat. fanden sich nach der Injection an einer 
Narbe zwei dunkelrotbe Papeln mit Schuppen bedeckt, ein Hinweis, 
daß dieser Körperthcil noch Bacillen enthielt. 

Ein anderer Patient zeigt zweierlei Erscheinungen: 1. kleine 
Geschwüre an der Stirne und 2. Anschwellung des Hodens. Bei 
genauer Untersuchung zeigte sich, daß links die Geschwulst nur 






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vom Nebenhoden gebildet wird. Es war fraglich, ob hier Syphilis, 
gonorrhoische Epididymitis oder Tuberculose vorlag. Bei Tuberculose 
des Nebenhodens darf man nicht zögern, schnell einseitig zu castriren, 
weil von dieser Stelle aus die Tuberculose nach Urethra, Prostata 
und Ureteren und von dort in die Lunge aufsteigt, wie Redner in 
zwei Fällen beobachtet hat. Gegen Syphilis sprach der Sitz der 
Schwellung im Nebenhoden, denn bisher ist keine exacto I eobachtung 
von syphilitischer Erkrankung des Nebenhodens nachgewiesen, viel¬ 
mehr ist stets der Hoden selbst von Syphilis afficirt. Für Tuber¬ 
culose ließ sich nur eine gewisse Weichheit der Geschwulst in An¬ 
spruch nehmen. Keine hereditäre Anlage, jedoch an einer Stelle der 
Lunge verdächtiges Rasseln. Nach der ersten Injection sehr be¬ 
deutende allgemeine Reaction. Nach den bisherigen zwei Ein¬ 
spritzungen sind indeß local keine besonderen Veränderungen zu 
constatiren. 

Der vierte Fall ist durch sein negatives Resultat interessant. 
Pat. kam mit geheilten Geschwüren, welche ganz die Natur der 
Syphilis zeigten, zur Aufnahme. Er litt an einer Anschwellung des 
rechten Kniegelenks. Kniegelenksentzündungen in Folge von Tumor 
albus sind sehr selten syphilitisch. Für die syphilitische Erkrankung 
sprach dagegen der schmerzlose Verlauf, die fehlende Druckempfind¬ 
lichkeit, die pralle Elasticität. Auf zwei Injectionen der KocR’schcn 
Flüssigkeit erfolgte weder eine allgemeine, noch eine locale Reaction. 

(Schluß folgt) 


Notizen. 

Wien, 6. December 1890. 

Robert Koch’s Behandlung der Tuberculose. 

Das Ereigniß der Woche bildet die Erwiderung de 8 
preußischen Cultusmi nisters Dr. v. Gossler auf eine Inter¬ 
pellation des Landtagsabgeordneten Dr. Graf, Vorstandes des 
deutschen Aerztevereinsverbandes, welcher die Regierung aufgefordert 
batte, diö Schritte bekannt zu geben, die sie behufs Förderung 
und weiterer Nutzbarmachung des KocH’schen Heilmittels zu unter¬ 
nehmen gedenke. Ans der Antwort des Ministers geht zunächst die 
interessante Thatsache hervor, daß er, der Minister, es war, welcher 
die Geheimhaltung des Mittels verlangte. „Koch hatte damals (am 
7. November) noch die Absicht, Alles, was er wußte, frei und offen 
zu sagen. Aber aus der sehr eingehenden Besprechung (in Gegen¬ 
wart von zwei Zeugen) ergab sich, daß Koch überhaupt nicht dasjenige 
sagen konnte, was eine wirksame Nachbildung des Mittels garantirte. 
Er konnte zwar sagen, aus welchem Stoff das Mittel hergestellt würde, 
und die Methode beschreiben, aber das Zeigen der Methode war 
nicht möglich, und doch ist die Methode so schwierig und verant¬ 
wortungsvoll, daß sie eben nicht erdacht werden kann; sie muß er¬ 
sehen oder durch Versuche selbst erfunden werden, was Koch bei 
einem geübten Forscher auf sechs Monate berechnet. Andererseits 
lag darin eine Gefahr, daß das Mittel nachgeahmt würde, ohne die 
Möglichkeit, dessen Wirksamkeit zu controliren. Die Menschheit hätte 
von Schwindlern heimgesucht werden können, die Zeit wäre verpaßt 
und unendlich viel Hoffnungen und Menschenleben vernichtet.“ 

Bezüglich der Natur und Wirkung des Mittels, als dessen 
geistigen Eigenthümer der Minister wiederholt Robert Koch be¬ 
zeichnet, gibt er folgende, von Koch gebilligte „Aeußerung eines 
Laien“ ab: „Ich glaube annehmen zu dürfen, daß ein Mittel gefunden 
ist, welches, wenn es einem lebenden Menschen zngeführt ist, auf 
die im Menschen befindlichen Gewebe, wo eine ganz bestimmte 
Species von Bacillen sich gebildet hat, eine überaus heftige 
Wirkung hat. Das Mittel ist nur wirksam, wenn die betreffende 
Species des ßacillns vorhanden ist. Die Wirkung tritt auch ein, 
wenn das Mittel an von der Erkrankung selbst weit entfernten 
Stellen angewendet wird. Die Wirkung ist eine ganz eigenartig ge¬ 
waltige und mittelbar auf die Tuberkelbaoillen gerichtete. Sie tritt 
nicht, oder nur in vermindertem Maße ein bei Nichttuberculösen, 
oder wenn Bacillen einer anderen Species vorliegen. Das Mittel 
entzieht sich anscheinend der sicheren Feststellung durch die heutige 
organische Chemie; es scheint über ein dunkles Gebiet derselben 


Licht zu verbreiten. Die Methode, durch welche das Mittel ge¬ 
wonnen wird, ist voraussichtlich auf andere Infectionskrankheiten 
übertragbar.“ 

Der Minister weist hierauf auf die Umwälzung hin, welche 
das ganze öffentliche Leben (Schulen, Krankenhäuser, Pflegeanstalten, 
Ordenshäuser) durch die KoCH’sche Entdeckung erfahren werde, und 
hebt die unerhörte Thalsache hervor, daß ein Geheimmittel, dessen 
Zustandekommen man vielleicht ahnt, dessen Bestandteile man aber 
nicht kennt, von der gesammten Welt auf den einfachen Namen 
eines einzelnen Mannes acceptirt wird, welcher selbst vor jeder über¬ 
triebenen Auffassung — leider vergebens — gewarnt hat. 

Von ganz besonderem Interesse sind die Mittheilungen Gossler’s 
über die Erzeugung und Verbreitung des Mittels: „Die 
Schwierigkeit liegt heute ausschließlich darin, daß es noch keine 
Methode gibt, welche zur Herstellung des Mittels im Großen geeignet 
ist. Man braucht nämlich 6 W T ochen zu seiner Herstellung: Dr Lib- 
bertz erzeugt und Dr. Pfohl prüft dasselbe. Es ist gar keine 
Garantie gegeben durch einfache Herstellung ohne Weiteres, daß das 
Mittel wirksam sei. Es wird kein Mittel abgegeben, welches nicht 
in einer durch Koch festgestellten Woise an Thieron erprobt worden 
ist. Es werden mindestens drei Thierversuche gemacht, und wenn 
die Reactionen nicht genau so eintreten, wie sie durch die bisherige 
wissenschaftliche Forschung festgestellt sind, so wird das Mittel ver¬ 
worfen. Koch, der mich in Alles eingeweiht, hat mir erklärt, daß 
es ihm unmöglich ist, das Mittel aus seinen Händen geben zu lassen, 
ohne daß er persönlich eine Controle hat eintreten lassen. Darin 
liegt eine ungeheure Schwierigkeit, und die andere liegt im Vertriebe. 
Ich kann Ihnen nun nach den vielen Verhandlungen, die ich dieser- 
halb mit Koch gehabt habe, zu meiner Freude sagen, daß ich gestern 
mit ihm auf eine Basis getreten biu, welche zu einer Verstaat¬ 
lichung des Mittels führt. Wir werden nicht ruhen und nicht 
rasten, bis der Staat das Mittel in die Hand bekommt. Selbst wenn 
es nicht gelingt, so rasch die Quantität zu vermehren, als durchaus 
nothwendig ist, so wird, glaube ich, in der gesammten Welt eine 
Beruhigung eintreten, daß der preußische Staat seine Firma unter 
die Sache setzt. Gleich nach Schluß der Sitzung werden die weiteren 
Verhandlungen beginnen, und ich zweifle nicht, daß der Herr Finanz- 
minister in seiner Güte mir auch zur Seite stehen wird, ein Provi¬ 
sorium auf das andere zu häufen, bis wir die Sache für abge¬ 
schlossen betrachten können. Die Sache ist nicht so einfach. In der 
Fabrikation würde ein Unterschied nicht eintreten, wohl aber im 
Vertriebe; es müßte ein administratives Organ geschaffen werden, 
welches den Vertrieb und die Vertheilung des Mittels besorgt. Für 
dieses müssen naturgemäß Directionen von der Centralstelle gegeben 
werden. Das Organ selbst wird sich ja wohl im Laufe der Zeit 
umgestalten, aber es muß Sicherheit dem Publicum und der ganzen 
Menschheit gegeben werden, daß hier eine Behörde ist, welche 
absolut mit finanziellen und anderen naheliegenden Erwägungen 
nicht in Verbindung gebracht werden kann.“ 

Der Minister schließt seine enthusiastisch aufgenommene Rede 
mit der Aufzählung der vom Staate und der Stadt Prof. Koch zur 
Verfügung gestellten und in Aussicht genommenen Arbeits- und 
Krankenräume und der zu diesem Zwecke von privater Seite ange¬ 
botenen enormen Summen. Gleichzeitig weist Herr v. Gossler die 
gegen einzelne, die KocH’schen Injectionen ausführenden Aerzte ge- 
richteten Angriffe wiederholt und energisch zurück. 

* * 

* 

Der österreichische Oberste Sanitätsrath nahm in seiner 
am 29. v. M. stattgehabten Sitzung den von Prof. Weichselbaum 
erstatteten Bericht nach Berlin entsendeten Delegirten ent¬ 
gegen. Die Beobachtungen derselben betreffen 1. die Beschaffen¬ 
heit und Bereitung des von Koch angegebenen Mittels; 2. die 
Art seiner Anwendung; 3. die Wirkung des Mittels. Bezüglich des 
ersten Punktes hebt der in „Das österr. San.-Wesen“ publicirte 
Bericht hervor, daß, wie aus einer Unterredung mit Koch 
hervorgeht, das Mittel in unverdünntem Zustande keiner Veränderung 
unterliege, eine Versenduug und längere Aufbewahrung daher ohne 
besondere Vorsichtsmaßregeln gestatte. Bezüglich der Verwendung 
der Flüssigkeit ist den in Koch’s Arbeit gemachten Angaben bloß 
hinzuzufügen, daß in Berlin nicht ausschließlich die von KOCH 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1956 


empfohlene Ballonspritze angewendet wird, sondern auch eine ge¬ 
wöhnliche PßAVAz’sche Spritze oder eine derselben Ähnliche, bei 
welcher die Met&llmontirung abnehmbar und der Stempel mit Asbest 
umwickelt ist. Bei letzterer Modification kann die Desinfeotion der 
Spritze ebenfalls leicht und sicher vorgenommen werden. 

Bezüglich der Wirkungen des Mittels, welches, nach Mitthei¬ 
lung der Delegirten, im Allgemeinen in geringeren Anfangsdosen ge¬ 
geben wird, als Koch früher zu thun pfleglo, gelangen dieselben 
nach Schilderung der bekannten allgemeinen und örtlichen Reac- 
tionserscheinungem zu folgendem Resumö: 

„Was die Frage betrifft, ob die geschilderten Reactions- 
erscheinungen ausschließlich bei tuberculösen Personen auftreten, 
so sind wir nicht in der Lage, dieselbe mit Sicherheit zu beantwor¬ 
ten, da wir nur vereinzelte Controluntersuchungen zu Behen Gelegen¬ 
heit hatten. Dagegen können wir die Behauptung Koch’s , die 
charakteristischen Reactionserscheinungen würden bei dem Vor¬ 
handensein irgend eines tuberculösen Processes ausnahmslos sich 
einstellen, insoweit bestätigen, als wir in jedem der von uns 
beobachteten zahlreichen Fälle, in denen das Be¬ 
stehen eines tuberculösen Processes nach der 
klinischen oder bacteriologischen Untersuchung 
angenommen werden konnte, wirklich auch Reac- 
tionserscheiTiungen auftreten sahen, obwohl dieselbeu 
in einzelnen Fällen nicht schon nach der ersten Minimaldose, 
sondern erst nach Steigerung der Dosis sich bemerkbar machten. 
Da uns ferner auch Kranke demonstrirt wurden, bei denen vor 
der Injection durch die physikalische Untersuchung keine tuber- 
culöse Affection uachgewiesen werden konnte, die aber auf die 
Injection der KoCH’schen Flüssigkeit in charakteristischer Weise 
reagirten und dann auch wirklich eine, in Folge der Injection 
manifest gewordene tuberculösc Erkrankung zeigten, so dürfte 
es keinem Zweifel unterliegen, dass das KoCH’sche Mittel 
ein sehr empfindliches Reagens für das Vorhanden¬ 
sein tuberculöser Prooesse im menscLliohen Organismus 
darstellt. 

„Hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit die Heilung 
der tuberculösen Processe dürch das KoCH’sche Mittel 
beeinflußt wird, konnten wir zunächst in den von uns unter¬ 
suchten Lupusfällen, von welchen einige schon seit 4—6 Wochen 
mit dem KoCH’schen Mittel behandelt wurden, constatiren, daß 
zwar an einzelnen oder mehreren Hautstellen Narbenbildung auf¬ 
getreten war, an anderen Stellen aber Lupusknötchen oder In¬ 
filtration noch fortbestanden, ja daß sogar an solchen Partien, 
die nach den ersten Injectionen vernarbt waren, bei späteren 
lnjectionen von Neuem Infiltration oder Knötchen entstanden. 
Wir können somit bezüglich des Lupus uns dahin aussprechen, 
daß wir nicht in der Lage waren, eine vollständige 
Heilung dieses Processes nach der Anwendung des 
KoCH’schen Mittels festzustellen. 

„Noch mehr gilt dies für die tuberculösen Drüsen, 
Knochen- und Gelenkserkrankungen. Zwar konnte 
auch hier eine mehr oder minder bedeutende Abnahme der 
Schwellung und der Schmerzhaftigkeit der erkrankten Partien, 
beziehungsweise eine leichtere Beweglichkeit der erkrankten Ge 
lenke constatirt werden; aber dies war auch Alles. Bei diesen 
Erkrankungsformen besteht somit die schon von Koch betonte 
Notbwendigkeit chirurgischer Nachhilfe und Ein¬ 
griffe, welche dann zeigen werden, ob durch die vorausgegan¬ 
genen Injectionen der KoCH’schen Flüssigkeit wirklich alles 
tuberculöse Gewebe zum Absterben gebracht werden konnte oder 
nicht. Demgemäß müssen wir unser Urtheil über die Heilbarkeit 
der genannten Erkrankungsformen durch das KoCH’sche Mittel 
vorläufig ebenfalls in suspenso lassen. 

„Was die Lungentuberculose betrifft, so haben wir 
eine Anzahl von Fällen beobachtet, in denen die Kranken — 
es hatte sich immer um beginnende Tuberculöse gehandelt — 
nach längerer Behandlung mit dem KoCH’schen Mittel soweit 
hergestellt waren, daß sie aus dem Spital entlassen werden 
konnten; da aber in ihrem Sputum noch Tuberkelbacillen nach¬ 
zuweisen waren, so können sie selbstverständlich nicht als voll¬ 
kommen geheilt angesehen werden. Nichtsdestoweniger seheint 


es festzustehen, daß bei Kranken dieser Art durch die Anwen¬ 
dung des KoCH’selien Mittels zum mindesten eine wesentliche 
Besserung des Processes erzielt werden kann. 

„Was schließlich die Kehlkopftuberculose betrifft, so waren 
die uns zu Gesicht gekommenen Kranken erst wenige Tage in 
Behandlung, so daß wir über die Heilung dieser Form kein 
Urtheil fällen können. 

„Wenn wir nun die Resultate unserer Beobachtungen in 
Kürze wiedergeben sollen, lauten dieselben folgendermaßen: 

1. Das KoCH’sche Mittel stellt ein äußerst em¬ 
pfindliches Reagens hinsichtlich des Bestehens 
tuberculösor Processe im Organismus dar uud bildet daher 
ein sehr wichtiges diagnostisches Hilfsmittel. 

2. Die Reaction, welche auf die Injection des Koch- 
schen Mittels cintritt, verläuft nicht immer nach dem von 
Koch beschriebenen Typus, sondern kann mannigfache Ab¬ 
weichungen darbieteu, ohne daß wir gegenwärtig anzugeben 
vermögen, von welchen Factoren diese Abweichungen bedingt 
werden. Aus diesem Grunde, und weil die allgemeine und ört¬ 
liche Reaction mitunter einen sehr schworen, selbst 
lebensgefährlichen Charakter annehmen kann, ist eine 
fortwährende ärztliche Ueberwachung der mit dem Koch- 
schen Mittel behandelten Kranken und die Vorsorge für rasche 
ärztliche Hilfeleistung unumgänglich nothwendig. 

3. Ein sicheres Urtheil über die Frage, ob die 
tuberculösen Processe durch das KoCH’sche Mittel allein 
oder in Verbindung mit anderen ärztlichen Behandlungsarten 
definitiv geheilt werden können, kann wegen der Kürze der 
Beobachtungsdauer dermalen noch nicht abgegeben 
werden, dagegen kann schon jetzt behauptet werden, daß 
eine Alteration der tuberculösen Gewebe durch das 
KoCH’sche Mittel erfolgt, und zwar in der Richtung, daß hie¬ 
durch eine Ausheilung des Krankhoitsprocesses angebahnt wird. 
Ebenso kann angenommen werden, daß mit der Auffindung des 
KoCH’schen Mittels der Weg angedeutet ist, auf welchem man 
in Zukunft die Frage der Behandlung infectiöser Krankheiten zu 
lösen hat.“ 

Der Oberste Sanitätsrath pflichtete den Anschauungen seiner 
Delegirten bei und sprach sich nach eingehender Erörterung der 
hinsichtlich der Anwendung des KocH’scben Heilverfahrens sowohl 
in Krankenanstalten, wie in der ärztlichen Privatpraxis sich er¬ 
gebenden Verhältnisse dahin aus, daß eine objective wissenschaftliche 
Prüfung des KoCH’schen Heilverfahrens in den Universitätskliniken 
und jenen großen Krankenanstalten, in denen die Bedingungen für 
streng wissenschaftliche Untersuchungen erfüllt werden können, drin¬ 
gend geboten ist, zu welchem Zwecke es wünschenswerth sei, daß 
die unter staatlicher Verwaltung stehenden Krankenanstalten die 
nöthigen Mengen KoCH’scher Injectionsflüssigkeit erhalten und nach 
Abschluß ihrer Untersuchungen erschöpfende wissenschaftliche Berichte 
über die Resultate der letzteren dem Ministerium des Innern vorlegen. 

Weiterhin bezeiebnete der Oberste Sanitätsrath die ambula¬ 
torische Behandlung von Kranken mit dem KoCH’schen Mittel 
als nicht zulässig und empfahl, .daß die Acrzte, welche das 
KoCH’sche Heilverfahren in ihrer Privatpraxis anwenden wollen, 
verpflichtet werden, hievon der politischen Behörde die 
Anzeige zu erstatten und sich über die Provenienz 
der Injectionsflüssigkeit auszuweisen. 

* * 

* 

Der letzte Antrag des Obersten Sanitätsrathes hat nicht ver¬ 
fehlt, in den Kreisen der praktischen Aerzte unliebsames Aufsehen 
zu erregen. So berechtigt der Ausschluß jedweder ambulatorischen 
Anwendung eines Mittels ist, dessen allgemeine und looale Reac- 
tionen bisher weder dem Grade noch der Zeit nach genau fest¬ 
gestellt werden können, für so unmotivirt erklärt man den Vor¬ 
schlag unserer obersten Sanitätsbehörde, welcher jeden, das KocH’sohe 
Verfahren in praxi ausübenden Arzt unter amtliche Controle stellt. 
Wie wir von maßgebender Seite erfahren, besitzt der citirte Antrag 
des Obersten Sanitätsrathes, falls er — woran im Uebrigen kaum 
zu zweifeln ist — zum Gegenstände eines Ministerin! - Erlasses 
gemacht werden sollte, lediglich die Bedeutung einer Uebergangs- 


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1957 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1958 


be Stimmung dem KocH’ßchen Geheimmittel gegenüber, 
welche in dem Augenblicke außer Kraft tritt, in welchem die 
Zusammensetzung des Mittels bekannt gegeben wird. Auch die 
Sanitätsbehörden befinden sich angesichts des KocH’schen Mittels 
in einer ganz exceptionellen Stellung. Zum ersten Male wird den 
Aerzten vertrauensvoll ein Geheimmittel in die Hand gegeben, 
welches ein heftiges, in seinen Wirkungen bisher noch nicht ge¬ 
nügend erforschtes Toxicum darstellt; die Sanitätsbehörden erklären 
sich nun außer Stande, sich jener Controle bezüglich der Gebah- 
rung mit dom Mittel zu begeben, die selbst bei genau gekannten 
Giften dem Apotheker und dem eine Hausapotheke führenden Arzte 
gegenüber geübt wird, um Mißbräuchen zu begegnen. Vexato- 
rischeMaßregeln aber sin d, wie uns versichert wird, nicht 
beabsichtigt. — Aus dem Mitgetheilten geht hervor, daß der 
sonst kaum verständliche Vorschlag des Obersten Sanitätsrathes 
weder ein Mißtrauensvotum gegenüber den praktischen Aerzten, 
noch irgend eine Einschränkung ihrer Thätigkeit bedeutet. 

* * 

* 

Die gestrige Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte 
in Wien war zum großen Theil der Discussion über das KocH’sche 
Heilverfahren gewidmet. Wir berichten über die bemerkenswertheren 
Mittheilungen, die zumal die Versuche mit dem KoCH’scben Mittel 
seitens der Dermatologen betrafen, an anderer Stelle dieser Nummer. 

Aus Prag wird uns berichtet: In der am 28. November 
von Mitgliedern und eingeführten Gästen ungemein zahlreich 
besuchten Sitzung des Vereines deutscher Aerzte in 
Prag, welche diesesmal auf den Kliniken der Professoren v. Jaksch, 
Pick und Gussrnbauer abgehalten wurde, hielt zuerst Prof, 
v. Jaksch unter Vorführung vieler geimpfter Fälle einen Vortrag: 
„Ueber die Wirkung des KocH’schen Heilmittels“, 
welchen wir an leitender Stelle dieser Nummer reproduciren. Hierauf 
berichtete Prof. Pick über die von ihm geimpften Fälle. Unter 
diesen waren zwei, ein Mann und ein Weib, mit Lupus behaftet. 
Beide boten nach Injection von O'Ol die typischen localen und Allgemein¬ 
erscheinungen. Besonders heftig waren diese bei dem Manne mit 
lupöaen Ulcerationen an der Nase, lupöser Infiltration der Oberlippe, 
lupösen Geschwüren und Narben am Gesichte, Halse, Oberschenkel 
und mit Lupusknoten am harten und weichen Gaumen aufgetreten. 
Die Nase und die Oberlippe sehwoHen zu unförmigen Maasen an 
und bedeckten sich mit dicken Krusten und Borken. An den lupösen 
Narben traten zahlreiche Lupusknötehen hervor, während eine hand¬ 
tellergroße, in Folge eines Trauma entstandene Narbe am Gesäße nicht 
die geringste Reaction zeigte, und es erfahren somit die Ausführungen 
Koch’s durch diesen Fall eine glänzende Bestätigung. Auch der lupös 
infiltrirte Gaumen zeigte heftige Reaction, und wegen möglicher 
Gefahr einer Suffocation waren alle Vorbereitungen zur Tracheotomie 
getroffen. Bei dem Weibe entwickelte sich während des reactiven 
Fiebers ein über den ganzen Körper ausgebreiteter, scharlacbähnlicber 
Ausschlag, der sich erst nach Ablauf dos Fiebers verlor. Ferner bat 
Pick einen Kranken mitRhinoaelerom also einer gleichfalls bacil- 
lären Affection, geimpft. Es erfolgte weder an der Nase, noch an 
den Lippen, noch an dem Gaumen die geringste Reaction, aber 
der Mann fieberte, bekam OppressionsgefUhl und, als man die 
früher intact befundenen Lungen untersuchte, constatirte man 
R. H. 0. Dämpfung und Rasseln, welche Erscheinungen nach Ablauf 
des Fiebers wieder zurückgingen. Endlich berichtete Pick über 
einen vierten geimpften Fall, der die charakteristischen Erschei¬ 
nungen der Addison’ schen Krankheit bot. Da jede Reaction 
ausblieb, glaubt Pick, daß Carcinom, nicht Tuberculoso der 
Nebenniere vorliege. Prof. Güssenbauer demonstrirte drei geimpfte 
Fälle. Der erste betraf einen 33jäbrigen Mann mit tuberculöser 
Infiltration des Coecum. Nach Impfung von 0‘001 keine 
ausgesprochenen Allgemeinerscheinungen, aber deutliche Zunahme 
der Intumescenz des tuberculösen Darmstückes. Die zweite Kranke, 
ein 21jähriges Mädchen, wurde wegen Synovitis tuber- 
culosa am rechten Fußrücken mit O’Ol geimpft. Sehr heftige 
locale und allgemeine Reaction. Erythem über den ganzen Körper. 
Das Interessante bei diesem Falle war die nach der Injection er¬ 
folgte schmerzhafte Anschwellung sämmtlicher oberflächlicher und 
tieferer Halsdrüsen, die bei der Aufnahme nicht vergrößert gefunden 
waren. Nach Aufhören des Fiebers Abschwellung der Halsdrüsen, 


aber Zurückbleiben einer, wenn auch geringeren Schwellung und 
Röthung des afficirten Fußes. Bei dem dritten Falle handelte es sich 
um eine junge Frau mit Lymphom am Halse und Schwellung der 
Oberlippe nach einem geheilten Eczem. Nach Impfung mit O’Ol 
traten die vehementesten Erscheinungen auf. Temperatur 40*9°, 
Puls 150, Benommenheit, Oppression, unwillkürlicher 8tuhlabgang, 
wiederholtes Erbrechen, ausgebreiteter scharlachähnlicher Ausschlag, 
ungeheure Schwellung der Halsdrüsen und der Oberlippe. Erst nach 
vielen Stunden gingen die bedrohlichen Erscheinungen zurück, und 
gleichzeitig nahm die Geschwulst' der Drüsen und der Oberlippe ab. 
Bei allen diesen Fällen trat die außerordentlich elective Wirkung 
des Mittels hervor; die bedrohlichen Erscheinungen, namentlich beim 
dritten Falle, mahnen zur größten Vorsicht bei Anwendung desselben. 

* * 

* 

In Nr. 47 unseres Blattes haben wir Gelegenheit genommen, 
die anläßlich der jüngsten Publication Koch’s wieder einmal zu 
Tage getretene Vordringlichkeit einzelner Aerzte zu rügen. Unsere 
Ausführungen scheinen Jene, welchen sie galten, schwer getroffen 
zu haben. Man hat erregt und in einem Tone zu erwidern 
versucht, der eine nunmehr glücklich überwundene Epoche unserer 
mediciniscben Journalistik charakterisirt. Durch derartige Enun- 
ciationen unberührt, werden wir uns auch in Zukunft nicht 
abhalten lassen, rücksichtslos für das Interesse unseres Standes ein- 
zustehen, welcher durch Sonderhestrebungen Einzelner nur schon allzu¬ 
sehr gelitten hat. Dies halten wir für eine der wichtigsten Auf¬ 
gaben eines mediciniscben Blattes. Daß wir hierin nicht irren, beweist 
uns eine Reihe zustimmender Aeußerungen aus dem Kreise unserer 
Leser, beweist uns der wohlerwogene Ausspruch einer ärztlichen 
Corporation, welche zu den angesehensten unserer Stadt zählt. Der 
„Aerztliche Verein der südlichen Bezirke Wiens“ hat in seiner 
letzten Plenarversammlung folgende Resolution zum Beschlüsse 
erhoben: 

„Der Verein hält die Voreiligkeit, mit welcher in wissen¬ 
schaftlicher Richtung über das KocH’sche Heilverfahren geurtheilt 
wird, der großen Wichtigkeit und dem Nutzen der Sache für 
abträglich, so auch die Vordringlichk eit, mit welcher 
Koch’s Entdeckung von Einzelnen aus ge beutet 
wird, mit derWttrde des Standes nicht vereinbar, 
und erklärt sich mit allen Bestrebungen, welche 
solchem Vorgehen entgegentr eten, einverstanden; 
insoferne aber durch die Anträge des Obersten Sanitätsrathes die 
Rechte der praktischen Aerzte beeinträchtigt werden, muß der 
Verein sich gegen diese Anträge aussprechen.“ 


(Joseph Hyrtl), der in ländlicher Zurückgezogenheit 
lebende gefeierte Anatom, begeht heute seinen 80. Geburtstag. Zahl¬ 
reiche Verehrer des geliebten Meisters, darunter die Vertreter der 
hervorragendsten ärztlichen Vereinigungen der Residenz, haben sich 
gerüstet, den Nestor der deutschen Anatomen in seinem Tusculum 
aufzusueben und ihm die Glückwünsche dör Aerzte Wiens zu über¬ 
bringen , welche keinen Anlaß vorübergehen lassen, ihrem unver¬ 
gessenen Lehrer Beweise ihrer Dankbarkeit und Verehrung darzu¬ 
bringen. Die „Gesellschaft der Aerzte“ hat Hyrtl zu ihrem Ehren¬ 
mitglied gewählt. 

(Friedrich Salzer f.) Am 30. v. M. ist der Primararzt 
der II. chir. Abtheilung des Wiener allgemeinen Krankenhanses, 
Prof. Fbiedrich Salzer, plötzlich gestorben. Am 30. September 1827 
zu Birthalm in Siebenbürgen geboren, promovirte der Verblichene 
im Jahre 1853 an der Wiener Universität, fungirte 1854—1859 
als Assistent Scbuii’s, erhielt 1865 eine Primararztesstelle an der 
Rudolphsstiftung, drei Jahre später eine solche im allgemeinen 
Krankenhause und wurde 1875 zum a. o. Professor der Chirurgie 
an der Wiener Universität ernannt. Prof. Salzer, der seit Jahren 
die Stelle eines Chefarztes der österr. Staatsbahnen bekleidete, war 
seinerzeit einer der gesuchtesten Operateure unserer Stadt und übte 
als Vorstand einer großen chirurgischen und gynäkologischen Ab¬ 
theilung eine geräuschlose, segensreiche Thätigkeit. Einer seiner 
Söhne, Dr. Fritz Salzer, ehemals Assistent der Klinik Billroth, 
bekleidet seit Kurzem die Lehrkanzel der Chirurgie an der Univer¬ 
sität Utrecht. 


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1959 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


1960 


(Das Wiener medicinische Doctoren-Collegium) 
hielt am 1. December 1890 eine wissenschaftliche Versammlung, 
in welcher Dr. Max Weiss einen neuen Graphitrheostaten 
mit Rollcontact demonstrirte. Derselbe zeichnet sich dadurch 
aus, daß die Continuität der Widerstandsmasse nicht unterbrochen 
ist, daß durch einen geeigneten und einfachen Schraubenmechanismus 
ein inniger continuirlicher Contact zwischen Widerstandsmasse und 
einem Platinröhrchen hergestellt ist. Die erstere ist in eine 
schraubenförmige Nute eingelegt, die in die Mantelfläche eines Hart- 
gummicylinders ein geschnitten ist. Bei diesem Rheostaten kann die 
Stromstärke in flößenden Uebcrgängen abgestuft werden. Die 
WiderstHndsmasse besteht aus Graphit, dem eine concentrirte Leim¬ 
lösung beigemischt ist. Der Widerstand beträgt nahezu 50.000 Ohm. 
— Prim. Englisch hielt einen Vortrag über idiopathische 
Entzündung des Zellgewebes des Cavum Retzii und 
demonstrirt einen einschlägigen Fall. Der Pat. bekam im Juli ohne 
Veranlassung Schmerzen im Unterleibe und Störungen der Harn¬ 
entleerung. Bei der Untersuchung fand sich die Blasengcgend stärker 
vorgewölbt. Zu beiden Seiten der Linea alba fand sich je eine 
Infiltration, von denen die rechtsseitige beim Aufsetzen verschwand, 
die linksseitige aber blieb. Bei Untersuchung per rectum fand sich 
die ganze Blase von einer Geschwulst eingenommen, die nach rechts 
bis an die Wand des kleinen Beckens reichte, links durch eine 
Furche von der Beckenwand getrennt war. Nach Ausschluß einer 
Erkrankung eines benachbarten Organs wurde die Diagnose auf 
idiopathische Entzündung des subperitonealen Zellgewebes gestellt. 
Unter Eisbehandlung nahm die Geschwulst und die Schmerzhaftigkeit 
langsam ab. Es ging etwas Eiter mit dem Harn ab; als aber der 
Entzündungsproceß nach links und aufwärts schritt, wurde an einer 
Stelle, an der die Haut sich geröthet hatte, incidirt, worauf dann 
langsam die Erscheinungen zurückgingen. Bezüglich der weiteren 
Ausführungen des Redners verweisen wir auf seine in der „Wiener 
Klinik“, 1889, erschienene ausführliche Publication Uber diesen 
Gegenstand. 

(Personalien.) Prof. Dr. Carl Maydl ist zum Director 
und Primarius der chirurgischen Abtheilung und Dr. Josef Toelg 
zum Primarius der medicinischen Abtheilung im neuerrichteten 
Ottakringer Wilhelminen Spitale ernannt worden. — Der Privat- 
docent an der deutschen Universität in Prag, Dr. Johann Haber- 
mann, ist zum a. o. Professor der Ohrenheilkunde an der Grazer 
Hochschule ernannt worden. 

(Das hundertjährige Jubiläum des Prager k. k. 
allgemeinen Krankenhauses) wurde, wie uns aus Prag be¬ 
lichtet wird, am 1. d. M. ohne Sang und Klang gefeiert; nur eine 
stille Messe, welche in der Krankenhaus-Capelle gelesen wurde, und 
welcher der Spitalsdirector Dr. Stastn? nebat einigeu Beamten und 
Dienern des Hauses beiwohnte, bezeichnote den Tag, an welchem vor 
100 Jahren eine der hochherzigsten Stiftungen Kaiser Jo sef II., die 
zweitgrößte Krankenanstalt der Monarchie, ihre segensreiche Wirk¬ 
samkeit eröffnet hat. Das Gremium der Primarärzte bat zwar unter 
Vorsitz des Directors Berathungen abgehalten und Beschlüsse gefaßt, 
um das hundertjährige Jubiläum des Prager allgemeinen Kranken¬ 
hauses auf würdige Weise zu feiern, die geplanten Veranstal¬ 
tungen konnten jedoch nicht zur Ausführung gelangen, weil von den 
compotentcn Behörden die Sanction hiezu verweigert wurde. Nur 
die die Kliniken besuchenden Studenten der Medicin feierten den 
Jubeltag des Krankenhauses, in welchem hervorragende Kliniker 
lehrten und ausgebildet wurden, indem sie denselben als Ferialtag 
erklärten uud die Kliniken nicht besuchten. 

(Statistik.) Vom 23. bis inclusive 29. November 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4754 Personen behandelt. Hievon wurden 856 
entlassen; 101 sind gostorben (10*44Vo des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens nnd der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler "bei der k. k. Statthalterei als erkranktgemeldet: An 
Diphtheritis 85, egyptisclier Angenentzündung 5, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphos 7, Dysenterie—, Blattern 63, Varicellen 161, Scharlach 61, 
Masern 288, Keuchhusten 31, Wundrothlauf 29. Wochenbettfieber 8. — In 
der 48. Jaireswoche sind in Wien 365 Personen gestorben (-|- 46 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: Iu Wien der praktische Arzt 
l)r. Franz Zipfel, ein allgemein geachteter College; in Leeds der 


Prof, der Chirurgie A. F. Mc. Gill; in Madrid der Prof, der Chemie, 
Dr. Ramon Torres de Luna. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Verantwortlicher ftedactenr: Dr. M. T. Schnirer. 

Eingesendet. 


Dr. med. J. von TYMOWSKI 

prakticirt während der Wintersaison in 

Nizza, 31 Boulevard Dubouchage’ 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Kundmachung. 

In der 1920 Einwohner zählendei Sanitäts-Gemeinde Nenzing in 
Vorarlberg, mit 2 größeren Spinnereien mit eigener Fabrikskrankencasse und 
einer Filiale der Arbeiterkr.inkenunterstütznngscasse, ist die Gemeinde-Arztes¬ 
stelle zur Neubesetzung erledigt. Mit dieser Stelle ist ein jährliches Pauschale 
von 3 Jö fl. nnd freie Wohnung nebst Holzbezug wie ein Börger, mit der 
einzigen Verpflichtung, die Krankenbesuche im Armenhause unentgeltlich zu 
machen, verbunden. Der jeweilige Arzt ist auch Todtenbeschaner nnd Impf¬ 
arzt in der Gemeinde. Bei Bürgern ausstrhende uneinbringliche Forde¬ 
rungen des Gemeinde-Arztes übernimmt die Gemeinde. Gesuche bis 1. Januar 
1891 wollen an die Gemeindevorstehung eingesendet werden. 739 

Gemeinde-Vorstellung Nenzing, 
am 2. December 189.*. 

_ Jos. Marte, Vor teher. 

Vorteilhafter ärztlicher Posten. Ein mit angenehmer nnd 

nicht beschwerlicher Praxis verbundener ärztlicher Posten auf dem Lande, 
mit einem sicheren Einkommen von jährlichen 4500 fl. ist wegen Uebernahme 
der Leitung eines ärztlichen Etablissements an einen graduirten Arzt, der 
eines slavischen Idioms mächtig ist, um die Ablösungssumme von 2600 fl. zu 
vergeben. Mit diesem Posten ist auch die Haltung einer gut gangbaren Haus¬ 
apotheke verbunden, und ist in der erwähnten Ablösungssumme auch die 
Uebernahme der sehr gut und schön - eingerichteten Hausapotheke mitinbegriffen. 
Gefällige Zuschriften sind behufs Weiterbeförderung unter Chiffre V. P. 4500 
an die Administration der „Wiener Med. Presse“ in Wien I., Maximilian¬ 
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Nr. 50. 


Sonntag den 14. December 1890. 


XXXI. Jahrgang. 


Dte „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Qnart-Format stark. Hiezu eine Reihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Bella«, aber 
zugleich auch selbstständig, erscheint die „wiener Klinik , 
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Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions- 
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die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
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Inland: Jährf. io fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 60 kr. Ausland: 
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Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

--«OB.- 


Begründet 1860. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


IN HAL T: Originalien nad klinische Vorlesungen. Zwei Fälle von cystisch erweichtem Banchsarcom- Von Prof. Dr. Bkrthold Stiller in Budapest. — 
Weitere Erfahrungen über das KocH’sche Verfahren. Von Dr. W. Loblikski in Berlin. — Aus der Abtheilung für äußerlich Kranke im königl. 
Charitäkrankenhause in Berlin. Ueber die Versuche mit dem von Koch gegen Tubercnloae empfohlenen Mittel. Von Oberstabsarzt Dr. R. Köhler und 
Stabsarzt Dr. Westphal. — Zur Behandlung des Lupus mit KocH'schen Injectionen. Nach Beobachtungen an den Berliner Kliniken. Mitgetheilt 
von Dr. Gustav Sjkobr in Wien. — Referate and literarische Anzeigen. Mittheilungen über das KocH’sche Heilverfahren gegen Tubercnloae. 
II. — Behrihg und Kitasato: Ueber das Zustandekommen der Diphtherie^Immunität und der Tetanus-Immunität bei Thieren. — Diagnostik 
und Therapie der Kehlkopfkrankheiten. Von Dr. L. Rärin. — Kleine Mittheilnngen. Ein frühzeitiges Symptom des Uternscarcinoms. — 
Arsenik gegen Akromegalie. — Die Behandlung der Acne des Gesichtes mit Chrysophansänre. — Die Behandlung der Fissuren der Brustwarzen 
mit Aristol. — Heilung von Diabetes mellitus mittelst subcntanen Injectionen von Ergotinin. — Die Anwendung des Crotonchloral bei Neuralgien.— 
Zur Behandlung der Mouches volantes. — Die Wirkung des Salipyrin. — Uebergang von Typhusbacillen von der Mutter auf den Fötus. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Laryngologische Gesellschaß zu Berlin. (Orig.-Ber.) — 
Dermatologische Vereinigung zu Berlin, (Orig.-Ber.) — Notizen. Das KocH’sche Heilverfahren. — Literatur. — Aerztliche Stellen. — 
Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zwei Fälle von cystisch erweichtem Bauch- 

sarcom. 

Von Prof. Dr. Berthold Stiller in Bndapest. 

Die durch centralen Zerfall von Sarcomen gebildeten 
Psendocysten des Unterleibes sind nicht nur in der klinischen, 
sondern auch in der pathologisch-anatomischen Literatur so 
außerordentliche Seltenheiten, daß es nicht überflüssig erscheint, 
zwei selbstbeobachtete Fälle mitzutheilen. Der erste datirt 
schon vor 5 Jahren und ist nach seinem ganzen Verlaufe ein 
wahres Unicum; ein ganz ähnlicher, in seiner klinischen Ge¬ 
staltung bei weitem nicht so interessanter, doch glücklich 
operirter Fall wurde 3 Jahre später aus der BiLLROTH’schen 
Klinik veröffentlicht. Mein zweiter Fall, mit ganz anderen 
topographischen Verhältnissen, wurde im laufenden Jahre 
beobachtet; einen etwas analogen, aber nicht reinen Fall fand 
ich vom Genfer pathologischen Anatomen Zahn mitgetheilt. 
Andere Fälle habe ich in der ganzen mir zugänglichen Lite¬ 
ratur nicht vorgeftmden. 

Der erste Fall ist folgender: 

Der 62jflhrige Hatmacher J. Feder erschien im October 1885 
als Ambulant im hiesigen israelitischen Spitale mit der Klage, daß 
er seit einigen Wochen in der Magengegend eine Geschwulst wahr- 
uehme. Die Untersuchung ergab in der Mitte des Oberbauches, bis 
unter die Nabelhorizontale reichend, eine mannsfaustgroße, rundliche 
Geschwulst von glatter Oberfläche, elastisch resistenter Consistenz, 
ohne 8pur von Fluctuation, prompt den respiratorischen Bewegungen 
des Zwerchfells folgend. Da der Kranke nicht kachektisch aassah, 
und außer Appetitlosigkeit über keine heftigeren Beschwerden seitens 
des Magens geklagt wurde, war ich geneigt, auf den ersten Blick 
den Tumor als in’s Parenchym eingebetteten Echinococcus des linken 
Leberlappens anzusprechen. 

Darauf sah ich den Kranken erst am 3. December wieder, als 
er die Aufnahme in’s Krankenhans verlangte. Der kräftig gebaute, 
abgemagerte, blasse, aber nicht kachektische Patient berichtete nun, 
daß er seit etwa einem Jahre den Appetit verloren, vor 9 Wochen 


zuerst eine Geschwulst mehr gegen die linke Seite des Oberbauches 
wahrgenommen, und seitdem die stetige Vergrößerung derselben be¬ 
obachte. Seit 3 Wochen täglich unmittelbar nach dem Essen mehr¬ 
maliges Erbrechen, welches seit einigen Tagen aufgehört hat. Fieber 
war nie verspürt worden. 

Die Untersuchung des Unterleibes ergab folgenden Befund: 
Den größten Theil der Bauchhöhle, vorwiegend nach links, nimmt 
eine große elliptische Geschwulst ein, mit verticaler Längs- und 
kleinerer Querachse; die Prominenz des Tumors fällt schon bei der 
Inspection auf. Die Oberfläche ist gleichmäßig glatt; der dumpfe 
leere Schall des Gebildes fließt mit der Herz- und Milzdämpfang 
zusammen, nimmt daher auch den TRAUBE’schen Raum ein. Im 
ganzen Bereiche der Geschwulst ist deutliche Fluctuation zu erzeugen, 
welche minder scharf sich auch auf die Intercostalräume der Milz- 
gegend erstreckt. Die untere, fast bis zur Symphyse reichende Grenze 
des Tumors steigt bei tiefer Inspiration deutlich nach abwärts; der 
Dämpfungsbezirk desselben ist, außer nach oben, ringsherum von 
hellem Darmscball umgeben, nach rechts in weiterer Ansdehnung, 
als nach links und unten. Die Luftaufblasnng des Dickdarms ergibt, 
daß weder das Colon transversum, noch descendens über der Geschwulst 
verlauft. Der Harn ist dunkel, doch ohne abnorme Bestandteile, 
namentlich enthält er weder Eiweiß, noch Eiter; Harnbesehwerden 
oder von den Lenden ausstrahlende Schmerzen waren nie vorhanden. 

Nach dem beschriebenen Befunde mußte die pathologische 
Diagnose, auch in Anbetracht des nicht kachektischen, wenn 
auch bleichen Aussehens des Kranken, auf ein rasch wachsendes, 
nicht bösartiges, und bei der großwelligen Fluctuation be¬ 
stimmt einfaches oder einkämmeriges cystöses Gebilde gestellt 
werden. Viel schwieriger war die topographische Bestimmung 
des als Cyste agnoscirten Tumors. Die nun ausgesprochen 
linksseitige Lage desselben, die Behauptung des Kranken, daß 
er denselben auch im Beginne auf der linken Seite wahrge¬ 
nommen , und der normale Befund der Leber schloß diese als 
Ausgangspunkt der Geschwulst mit Sicherheit ans. Der Magen 
durfte angesichts der großen vorliegenden Cyste bestimmt 
außer Acht gelassen werden. Die oberflächliche, den Magen 
und Darm deckende Lage des Tumors konnte schon allein die 
Annahme einer Pankreascyste ansschließen. Die äußerst seltenen 
Mesenterial- oder Peritonealcysten konnten bei der Größe 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1972 


1971 


des von der Brustapertur ausgehenden Tumors unberücksichtigt 
bleiben. Gegen eine linksseitige Nierengeschwulst, die hier nur 
eine Hydronephrose oder ein Echinococcus sein konnte, sprach 
mit Bestimmtheit die oberflächliche Lage des Tumors, der 
Verlauf des Quer- und absteigenden Colons unter dem¬ 
selben, noch eindringlicher der volle Schall der linken seit¬ 
lichen und Lendengegend, welche auch palpatorisch sich als 
tumorfrei erwies, und endlich die respiratorische Beweglichkeit 
der Geschwulst. Hingegen ergaben: Die linksseitige Lage, das 
Zusammenfließen der Tumordämpfung mit derjenigen der Milz, 
die Eluctuation der Intercostalräume in der Milzgegend, zu¬ 
sammen mit Athmungsbewegungen der Geschwulst, einen 
Symptomencomplex, welcher mit großer Bestimmtheit auf die 
Milz als den Sitz der Neubildung hinwies; und nachdem in 
diesem Organe eine andere cystische Geschwulst, als ein 
Echinococcus, kaum vorkommt, so beruhigten wir uns mit 
dieser Annahme. 

Der Verlauf war noch eigenthümlicher, als der Befund. 

Schon nach einigen Tagen, am 8. December, erschien der 
bisher pralle Tumor viel weicher und schlaffer, bei Constanz der 
Dämpfungsverhältnisse; ein- bis zweimal tägliches Erbrechen. Bis 12. De¬ 
cember konnte zeitweise eine tympanitische Zone über der Geschwulst 
constatirt werden, welche dieselbe von der Herz- und Milzdämpfung 
trennte; dabei ergab sich bei Lageänderung Dämpfung der unteren, 
Aufhellung des Schalles der nach oben gelagerten Partie, so daß 
nebst der Flüssigkeit die Gegenwart von Luft in der Cyste ange¬ 
nommen werden mußte. Der Tumor wird zusehends weicher und 
kleiner. Zeitweise Erbrechen bräunlicher Flüssigkeit, meist so rasch 
auftretend, daß das Erbrochene in’s Bett oder auf den Boden entleert 
wird und nicht gesammelt werden kann. Am 13. Diarrhoe; perito¬ 
nische Schmerzen nie vorhanden, wodurch eine Ruptur in die Bauch¬ 
höhle ausgeschlossen erscheint, an die man denken mußte, nachdem 
am 13. die Geschwulst kaum die halbe ursprüngliche Größe hat, 
nun ganz nach links gelagert ist und sowohl nach rechts als unten 
die Nabelverticale und Horizontale kaum überschreitet. Dabei ist die 
Consistenz fast eine feste geworden, Fluctuation fast nicht mehr 
nachweisbar; der cystöse Charakter ist also verschwunden; die 
Dämpfungsverhältnisse bleiben auch bei Lageänderung dieselben. 
18. December: geringe Fieberbewegungen, braunröthliches bluthaltiges 
Erbrechen, Diarrhoe; der Bauch ist weder empfindlich, noch enthält 
er Flüssigkeit. Der knapp bis zum Nabel reichende Tumor ist elastisch 
resistent und zeigt keine Spur von Fluctuation. 20. December: Bauch 
meteoristisch, auf Druck überall empfindlich, bis 38 6 reichende 
Temperatur. 23. December: unregelmäßige geringe Fieberbewegung; 
der aufgetriebene Leib enthält etwas Flüssigkeit; die Geschwulst 
erreicht kaum die Nabelhorizontale; die Tumordämpfung fließt mit 
der Milzdämpfung zusammen; zwischen ihr und dem Rippenbogen 
tympanitischer Schall. 24. December: Diarrhoe, Erbrechen und endlich 
unter Collapserscheinungen der Tod. 

Die Interpretirung des geschilderten Verlaufes war eine 
sehr schwierige. Nachdem die große cystische Geschwulst sich 
vor unseren Augen stetig verkleinerte und zusehends in ein 
solides Gebilde verwandelte, mußte vor Allem an Ruptur ge- 
•dacht werden. Doch sprach die Abwesenheit von peritonitischen 
Erscheinungen und von Flüssigkeit im Bauchraume entschieden 
gegen diese Annahme. Als in den letzten Lebenstagen endlich 
deutliche Zeichen von Peritonitis auftraten, waren sie in jenem 
Sinne nicht mehr zu verwerthen, denn da war die Metamor¬ 
phose der Cyste in einen festen Tumor längst beendet. Die 
gewöhnliche diarrhoische Qualität der Stuhlentleerungen schloß 
auch einen Durchbruch des Cysteninhalts in den Darm aus. 
Der bräunliche, dunkle, zuletzt auch blutige Vomitus, welcher 
immer in plötzlicher Eruption herausgeworfen, stets in’s Bett 
oder auf den Boden entleert ward, ist zu meinem großen Be¬ 
dauern nicht mikroskopisch untersucht worden, erregte aber 
jedenfalls im weiteren Verlaufe den Verdacht, daß eine 
Communication mit der Magenhöhle bestehe; und bei Zunahme 
dieses Verdachtes mußte bei der Qualität des Erbroohenen die 
ursprüngliche Annahme eines Echinococcus vollends aufgegeben 


werden. Es läßt sich denken, mit welcher Spannung ich unter 
diesen Schwankungen des diagnostischen Bodens dem Ergebniß 
der Leichenschau entgegensah. 

Die Befunde der von Prof. Scheuthaüeb am 25, De¬ 
cember vorgenommenen Section waren in Kürze folgender 

Die Lungen sind blutarm, von schaumigem Serum durchtränkt. 
Im Herzbeutel wenig seröse Flüssigkeit. Das Herz ist mäßig zusammen¬ 
gezogen, seine Musculatur blaßroth, dicht. Die Leber sehr blutarm, 
gelb, fetthaltig, in der Gallenblase grüne dickliche Galle. 

Vom Fundus des Magens geht, einen großen Bezirk des¬ 
selben einnehmend, nach unten eine mehr als zwei faustgroße cysten¬ 
artige Geschwulst aus, deren Wandung über 1 Cm. Dicke hat. Die¬ 
selbe ist von einem Peritonealüberzug bedeckt, welcher sich in die 
Bauchfellhülle des Magens fortsetzt; ihre innere, die Höhlung aus¬ 
kleidende Fläche besteht aus einer bräunlichen, flockig-fetzig zerfallenen 
Schichte, während die eigentliche Grundsubstanz und Wandung der 
Cyste, welche zwischen der äußeren und inneren Fläche liegt, aus 
einer weißlichen, injicirten, markähnliohen Schichte besteht. Die Höhlung 
der Cyste enthält Gase und etwas bräunliche, jauchige Flüssigkeit; 
sie communioirt mit der Magenhöhle vermittelst dreier erbsengroßer, 
scharf- und blaßrandiger Oeffnungen, deren eine an der Mitte des 
Magens, die übrigen am Fundus desselben sich befinden. Der Magen 
selbst ist erweitert, seine Schleimhaut gewulstet, aber blaß, von etwas 
gelblichem Schleim bedeckt. 

Die Milz ist mit der linken Cystenwand und dem, die unteren 
Rippen bedeckenden Bauchfell durch dicke Pseudomembranen fest 
verwachsen, und zu Halbmondform comprimirt; Ueberzug und Septa 
sind verdickt. 

Die Mesenterialdrüsen sind sämmtüch vergrößert und zeigen eine 
markartige, gefäßreiche Schnittfläche; eine zwischen Cyste und Qoer- 
darm gelegene Drüse ist kindsfaustgroß, und außer einer 2 Mm. dicken 
Rindenschichte zu einem rosenfarbenen halbflüssigen Brei erweicht. 
An dem Peritoneum, noch mehr an den Appendices der Diokdärme 
sind hasel- bis walnußgroße Gebilde, welche Haufen erbsengroßer, 
weißer bis röthlicher markiger Neugebilde darstellen. 

Die Nieren sind sehr blutarm, die Schnittfläche derselben von 
graugelber Farbe. 

Der Obducent erklärte auf Grund seiner Untersuchung 
alle diese Neugebilde für Sarcome, und gestand, ein ähnliches 
mit dem Magen zusammenhängendes und mit demselben com- 
municirendes cystöses Neugebilde trotz seiner reichen viel¬ 
jährigen Erfahrung an der Seite Rokitansky’s, und im eigenen 
Wirkungskreise noch nicht gesehen zu haben. Auch über den 
Ausgangspunkt der Geschwulst konnte er keinen sicheren 
Aufschluß geben. Die Communicationsöffnungen hielt er für 
primäre Magengeschwüre, welche in die Cyste perforirten. 

(Schloß folgt.) 


Weitere Erfahrungen über das Koch'sche 
Verfahren. 

Von Dr. W. Lublinski in Berlin.*) 

M. H.! Ich will zu • den in der vorigen Sitzung der 
laryngologischen Gesellschaft gegebenen „vorläufigen Bemer¬ 
kungen“ (s. „Wr. Med. Presse“, Nr. 49, pag. 1945 u. f.) nur 
Dasjenige hinzusetzen, welche die längere Erfahrung und Beob¬ 
achtung ergeben haben. Zuvörderst muß ich in Betreff der 
Höhe der Dosis meine Angabe dahin modificiren, daß ich 
jetzt glaube, mit einer höheren Dosis als O’OOl nicht beginnen 
zu dürfen. Es hat sich nämlich bei einem jungen, kräftigen, 
mit Lupus des Gesichts, des Rachens und des Kehlkopfs be¬ 
hafteten Mädchen nach dieser Gabe ein heftiges bis zu 41° 
ansteigendes Fieber eingestellt, das 48 Stunden anhielt und 
starke Prostration mit zeitweiliger Bewußtlosigkeit bewirkte. 
Worin der Grund für die heftige Reaction zu suchen ist, 
kann vorläufig mit Sicherheit nicht festgestellt werden, da in 

*) Vorgetragen in der Berliner laryngologischen Gesellschaft am 5. De¬ 
cember 1890. (Orig.-Ber. d. „Wr. Med. Presse“.) 


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1973 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 50. 


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anderen Fällen bei weit höherer Dosis so heftige Erscheinungen 
nicht auftraten. Daß die größere Ausdehnung des tuberculösen 
Processes auf die Stärke der Reaction einen Einfluß ausübe, 
glaube ich nach den an verschiedenen Kranken gemachten 
Erfahrungen nicht annehmen zu können. Jedenfalls ist es 
rathsam, mit dieser kleinsten Dosis zu beginnen und erst nach 
und nach mit derselben zu steigen, u. zw. muß zwischen den ein¬ 
zelnen Dosen ein solches Intervall liegen, daß in demselben 
nicht allein die allgemeine, sondern auch die locale Reaction 
als abgelaufen anzusehen sind. Ferner ist zu bemerken, daß 
bei steigenden Dosen trotz noch bestehender, ausgedehnter 
tuberculöser Herde eine Gewöhnung an das Mittel eintritt. 
Als Beispiel möchte ich einen Fall anführen, bei dem anfangs 
auf O'OOö eine Temperatur von 40° erreicht wurde, während 
später bei der lOfaehen Dosis nur 38 und 39° zu constatiren 
waren; Die Steigerung der Dosis scheint nothwendig zu sein, 
wenn dieselbe injic : rte Menge nur noch ein geringes Ansteigen 
der Temperatur ergibt und die localen Erscheinungen auch 
nur sehr mäßig sind. Bisher war die höchste Gabe 0’05. 

Auf die Fiebercurve habe ich schon in meinem vorigen 
Vortrag aufmerksam gemacht; es scheint nicht selten zu sein, 
daß die Temperatur zweimal eine Acme aufweist und zwischen 
den Gipfeln die Fieberhitze bedeutend heruntergeht. 

Puls und Athemfrequenz stehen im Allgemeinen mit der 
Höhe der Temperatur im Einklang. Ausnahmen finden sich 
jedoch bei hochgradiger Zerstörung des Lungengewebes; als¬ 
dann scheint die Athemfrequenz eine stärkere zu sein. Eine 
Abnahme der Athemzüge bei sehr frequentem Puls und hoher 
Temperatur wie v. Noorden bei beträchtlicher Verengerung des 
Athmungsrohrs in Folge Zunahme der Schwellung beobachtet 
hat, konnte ich in einem derartigen Falle constatiren. 

Von den Allgemeinerscheinungen, die bei länger anhal¬ 
tender Behandlung eintreten, wären noch Gelenkschmerzen und 
Gliederzittern zu erwähnen. Diese Symptome machen sich 
auch in der fieberfreien Zeit bemerkbar und mahnen, mit den 
Injectionen vorläufig aufzuhören. Auch ein leichter Icterus 
der Conjunctiva — offenbar hämatogener Natur — wurde 
einmal bemerkt; ebenso einmal eine leichte Albuminurie, die 
aber kaum 24 Stunden anhielt. Bei einem Diabetiker wurde 
eine Steigerung der Zuckermenge nicht beobachtet. 

Von Exanthemen wurde auch noch in einem zweiten 
Falle ein Herpes labialis, ein andermal ein masernartiges flüch¬ 
tiges Exanthem bemerkt. 

Auch wäre noch zu erwähnen, daß bei einem Patienten 
im Verlaufe der Behandlung starke Appetit- und Schlaflosig¬ 
keit zu beobachten war. Daß auch eine Abnahme des Körper¬ 
gewichts bei den meisten Kranken eintrat, glaube ich auch 
nicht unerwähnt lassen zu müssen. 

Von den localen Erscheinungen möchte ich noch folgende 
hervorheben, welche für den außerordentlichen Werth des 
Mittels auch als diagnostisches Hilfsmittel sprechen. In dem 
einen Falle wurde nach der zweiten Injection während der 
Reaction eine erbsengroße, blaß-röthliche Erhebung auf der 
hinteren Rachenwand bemerkt, die vorher nicht vorhanden 
war. Am nächsten Morgen sah man an Stelle derselben einen 
graugelblichen Belag , der sich Abends abstieß und ein Ge¬ 
schwür mit reinem Grunde zeigte. Dieses Geschwür ist augen¬ 
blicklich in. Verkleinerung begriffen. Es war also daselbst 
ein tuberculöses Infiltrat vorhanden, dessen Diagnosticirung 
ohne das Mittel vorläufig wenigstens nicht möglich war. 
Genau dasselbe wurde auf einer Tonsille bemerkt; es ist ja 
bekannt, wie häufig Tuberculose in den Tonsillen vorkommt, 
ohne daß dieselbe erkannt werden kann, da tuberculose Ge¬ 
schwüre allein auf denselben sehr selten Vorkommen. Hier 
bewirkte das Mittel die prompte Diagnose. Hoffentlich wird 
sich das künstlich hervorgerufene Geschwür ebenso schnell 
wieder zurückbilden. 

Im Larvnx sind die Infiltrate während der Reaction 
stärker geröthet und geschwollen, aber auch solche Stellen, 
welche anscheinend ganz normal sind, verrathen sich durch 


diese Symptome als tuberculös. In dem einen Falle, bei einem 
jungen Menschen mit tuberculösem Infiltrate der hinteren 
Larynxwand und kolbenförmig verdicktem und am hinteren 
Ende exulcerirtem linken Stimmband, zeigte das anscheinend 
normale rechte Stimmband in seinem hinteren und mittleren 
Drittel diese Erscheinung. Ebenso war es bei einem 48jäh- 
rigen Collegen, dessen hintere Larynxwand und linkes Stimm¬ 
band geschwürig verändert war; auch in diesem Falle zeigte 
sich während der Reaction das anscheinend gesund aussehende 
rechte Stimmband in seinem hinteren Ende geröthet und ge¬ 
schwollen. Ich kann Rosenbach nicht zustimmen, der diese 
Veränderungen als solche bezeichnet, wie sie bei hohem Fieber 
überhaupt Vorkommen. Denn einmal sind dieselben circum- 
script, dann bestehen sie nach dem Aufhören des Fiebers 
fort und drittens gehen sie gleich den im Pharynx und auf 
der Tonsille beobachteten Infiltraten Veränderungen ein, welche 
sie als tuberculose kennzeichnen. In beiden Fällen und ebenso 
' in anderen auf Epiglottis und Taschenbändern bilden sich an 
diesen Stellen graugelbliche Auflagerungen, nach deren Ab¬ 
stoßung ein reiner Geschwürsgrund deutlich sichtbar ist; auch 
diese Geschwüre zeigen ein deutlicheres Bestreben, sich zu 
reinigen und zu verkleinern als die schon bestehenden älteren. 

Was die Lungen anbetrifft, so kann ich nur von einem 
Falle berichten, der als eine locale Reaction aufzufassen ist. 
Die Erscheinung ist sehr merkwürdig, wird aber durch 
v. Noorden, dem ein reicheres Material zur Verfügung steht, 
bestätigt. Bei dem einen Kranken, der eine bis zur zweiten 
Rippe reichende leichte Dämpfung mit verschärftem Athmen 
und dumpfen Rasselgeräuschen hatte, war nach der zweiten 
Einspritzung die Dämpfung offenbar verbreitert und verstärkt, 
während gleichzeitig das Athmungsgeräusch bronchial und die 
Rasselgeräusche klingend wurden. Gleichzeitig nahm die Ex- 
pectoration zu, das Sputum wurde zwar schaumiger, zeigte 
aber bedeutend mehr Pfropfe auf dem Boden des Glases, als 
bisher. Dieser Zustand hielt fast drei Tage an,'um dann 
allmälig wieder abzunehmen. 

Sonst habe ich meinen früheren Auseinandersetzungen 
nichts hinzuzufügen. Von einer Heilung kann bei den zum 
Theil recht schweren Fällen vorläufig keine Rede sein; eine 
sehr allmälig vorschreitende Besserung ist aber ganz offenbar 
und berechtigt zu der Annahme, daß bei den leichten Fällen 
auch ohne weitere locale Maßnahmen eine Heilung wohl mit 
der Zeit eintreten wird. 


Aus der Abtheilung für äusserlicli Kranke im 
königl . Charitekrankenhause in Berlin . 

Ueber die Versuche mit dem von Koch gegen 
Tuberculose empfohlenen Mittel. 

Vom Oberstabsarzt Dr. R. Köhler und Stabsarzt Dr. Westph&l. 

(Fortsetzung.) 

3. Das 21jährige Dienstmädchen Anna Gutschmidt kam 
am 24. September 1890 mit einer Lymphdrüsenschwellung unter 
dem rechten Unterkiefer auf die Abtheilung. Es wurde ihr die Drüse 
am 27. September exstirpirt, worauf die Wunde, in den nächsten 
14 Tagen vernarbte. Sie trug am Halse mehrere von früheren 
Drüsenausschälungen herrührende Narben. Der Status praesens am 
Tage der ersten Einspritzung war folgender: An der linken Seite 
des Halses verlaufen dicht neben einander eine 11 Cm. lange und 
J / 2 Cm. breite Narbe und eine 7 Cm. lange, von denen die erste 
vom Processus mastoideus bis zum Zungenbein verläuft. Eine 8 Cm. 
lange und 2 Cm. breite weiße NaFbe steigt von der linken Fpssa 
supraspinata am Halse hinauf. Dicht unter dem rechten Ohr zieht 
eine 8 Cm. lange Narbe parallel mit dem Kieferrand nach vorn, 
während die jüngste der Narben 5 Cm. laug und mit einem Schorf 
bedeckt ist. Am 23. October stellte sich nach einer Einspritzung 
von 1*0 Ccm. der 1% Lösung Morgens 9 Dhr, um 4 Uhr Nach¬ 
mittags, ein Schüttelfrost von 1 / 9 Stunde UDd gleich darauf Kopf- 

1* 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 50. 


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schmerzen, Rücken- und Gliederschmerzen ein. Am Abend waren die 
Narben mit Ausnahme der zuletzt entstandenen, sowie ihre nächste 
Umgebung stark geröthet und geschwollen und die unter den Ohren 
befindlichen Narbenpartien sehr druckempfindlich. Auf dem Rumpf 
bestand ein kleinfleckiges, rothes Exanthem. Die Temperatur stieg 
bis 7 Uhr Abends auf 39*6 und fiel dann in den folgenden vier 
Tagen stufenweise bis unter die Norm. Während die Narben nun 
aUmälig abschwollen, blässer wurden und am 29. October ihre 
frühere Farbe und geringe Empfindlichkeit wieder erlangt hatten, 
trat am 26. October eine starke pericorneale Injection des rechten 
Augapfels, am folgenden Tage eine kleine centrale Trübung der 
Cornea und ein 4 Mm. langes und 2 Mm. breites Geschwür im 
inneren unteren Quadranten auf. Unter Anwendung von Atropin 
und gelber Salbe besserte sich der Zustand und besonders die 
Röthung der Bindehaut nur wenig, bis am 10. November nach einer 
achten Einspritzung von 0*1 Com. eine rasche und fast vollständige 
Entfärbung der Conjunctiva bulbi eintrat. 


röthet und empfindlich, ausgenommen diejenigen unter dem rechten 
Unterkiefer und die in der linken Oberschlüsselbeingrube entsprin¬ 
gende. Dabei auch das Gesicht im Ganzen geröthet. Auf dem Rumpf 
zahlreiche rothe Quaddeln. Stechen im Kehlkopf, fortwährender Husten 
mit schaumig-schleimigem AuBwurf. Mäßige Röthung und geringe 
Schwellung des Rachens und der Tonsillen. Die Temperatur hatte 
um 7 Uhr Abends 40*0 erreicht und fiel dann bis zum nächsten 
Mittag auf 38*2. Am 14. November bestanden die beschriebenen 
Erscheinungen noch fort. Die Schmerzhaftigkeit der Narben, weniger 
ihre Röthung und Schwellung hatten sehr nachgelassen. Das Horn- 
hautgeschwtir besteht noch in derselben Größe. Das Exanthem ist 
auch an den Gliedmaßen deutlich und reichlich zum Vorschein 
gekommen und besteht aus etwa fünfpfennigstückgroßen, rothen 
Flecken. 

4. Das 20jährige Dienstmädchen Frida Borgwart kam am 
10. October 1890 wegen doppelseitiger Fußgelenksentzündung, welche 
seit mehreren Monaten besteht, auf die Abtheilung. Ihre Eltern sind 


Anna G utscbmidt. 




Frida Porgwart 


Diese Einspritzung am 8. November, welche um 4*/ 9 Uhr 
Nachmittags vorgenommen wurde, erzeugte am späten Abend einen 
Frostanfall und eine Temperatursteigerung, welche am folgenden 
Morgen um 10 Uhr ihr Maximum 38*8 erreichte, worauf bis zum 
11. November ein allmäliger Abfall unter der Norm eintrat. Am 
9. November waren die Narben mit Ausnahme der unter dem rechten 
Unterkiefer befindlichen und der am linken Halse emporsteigenden 
stark geschwollen, roth und schmerzhaft. Dabei bestanden Kopf¬ 
schmerzen, Appetitlosigkeit, belegte Zunge und am Rumpf ein diffuses, 
rothes Exanthem mit dunkleren, etwas derbe anzufühlenden Flecken. 
Der Puls betrug 132 und war hoch und gespannt. Am 12. November 
waren die Narben wieder abgeschwollen, von gewöhnlicher Farbe 
und wenig druckempfindlich. Ara 13. November, um 8 /«10 Uhr Mor¬ 
gens, Injection von l’O Ccm. der l°/ 0 Lösung in den Rücken. Um 
1 /*2 Uhr Mittags ein Schüttelfrost von einer halben Stunde und ein 
zweiter von 2 1 /* bis 2 1, a Uhr. Gleichzeitig heftige Magenscbmerzen. 
Um 5*/ 4 Uhr ist die Zunge von einem dicken grauen Belag bedeckt. 
Appetitlosigkeit, Schmerzen im Rücken und den Gliedmaßen. Puls 144, 
weich, klein. Die Narben am Halse schon stark geschwollen, ge- 


an Lungenkrankheiten gestgrben. Sie selbst bat phthisischen Habitus 
ohne nachweisbare Störungen an den Lungen. An beiden Fußge¬ 
lenken war in der Umgebung der Knöchel eine mäßig starke, fluo- 
tuirende Anschwellung. Die Frage, ob ein tuberculöser Proceß der 
Fußgelenke vorlag, war eine offene. Am 12. October Injection von 
0‘1 Ccm. der Lösung in den Rücken, keine Reaction, kein Fieber. 
13. October, Morgens 10 Uhr, Injection von 0*2 Ccm. Nach einem 
Frost gegen 3 Uhr Nachmittags Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, 
belegte Zunge. Kein Exanthem. Puls 120, voll, gespannt, hoch. An 
den Fußgelenken keine Veränderung. Die Temperatur erreichte um 
10 Uhr Abends 39’8 und fiel in der Nacht und am folgenden Vor¬ 
mittag bis auf 37*1. 14. October: Temperatur erreicht um 7 Uhr 
Abends 37'6. Kopfschmerzen heute vorbei, Appetit besser. 15. October: 
Nach Injection von 0*2 Ccm. um 9 Uhr steigt die Temperatur bis 
auf 38 0 um 7 Ubr Abends. Um 2 Uhr fand leichtes Frösteln statt. 
Allgemeinbefinden gut. 16. October Morgens 10 Uhr 0*3 Ccm. ia 
den Rücken injicirt. Um 4 Uhr Frost, Kopfschmerzen, große Pro¬ 
stration, Zunge belegt, Appetitlosigkeit. Die Temperatur erreicht um 
7 Uhr ihr Maximum von 39*8. Eine bis dahin nicht beachtete, von 



t_Diöjtized -by 








































































































































































































1977 


1B90. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1978 


einer Drüsenexstirpation herrührende, 5 Cm. lange Narbe an der 
rechten Seite des Halses, welche in der Mitte einen erbsengroßen 
Schorf trägt, ist am Abend stark geröthet, geschwollen nnd druck¬ 
empfindlich, und wird von einem 3 Cm. breiten, rothen, derben Hof 
umgeben. Kein Exanthem. An den Füßen keine Veränderung. 
17. October: Die Temperatur ist während der Nacht bis 37*2 ge¬ 
fallen und erreicht am 18. October Morgeus 7 Uhr 36*5°. Kopf- 
und Gliederschmerzen verschwunden, Appetit besser. Die Narbe 
weniger roth und weniger geschwollen. 18. October: die Narbe noch 
stärker abgeblaßt, hat ihre gewöhnliche Farbe aber noch nicht er¬ 
reicht. Um 10 Uhr Morgens Injection von 0 4 Ccm. Um 2 Uhr 
Frost, heftige Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit, um 4 Uhr Er¬ 
brechen. Abends ist die Narbe und ihre Umgebung wieder so stark 
geröthet und geschwollen, wie am 16. October. Kein Exanthem. An 
den Fußgelenken keine Veränderung. Die Temperatur erreichte um 
7 Uhr Abends ihr Maximum von 40*2 und fällt in der Nacht und 
am nächsten Morgen bis um 10 Uhr auf 370. 19. October: Die 

Narbe blasser und wenig geschwollen. 8tarkes Gefühl von Unwohl¬ 
sein, Abends Erbrechen. Abendtemperatur 37‘9. Die Injectionen 
werden ausgesetzt, da sie keinen Einfluß auf die Fußgelenke aus¬ 
üben. Die Narbe batte am 20. October ihre normale Beschaffenheit 
wieder angenommen und das Allgemeinbefinden war wieder gut. 
Die Fußgelenke wurden später durch Natr. salicyl. beeinflußt. Wir 
hatten es offenbar nicht mit einer tuberculÖBen, sondern mit einer 
rheumatischen Gelenkentzündung zu thun, trotzdem die Narbe am 
Felde tuberoulöses Gewebe enthielt. Am 13. October, 10 Uhr Morgens, 
nochmals eine Versuchsinjeotion von 0 8 Ccm. der Lösung in den 
Rücken. Nachmittags 1 j i S Uhr zweistündiger Frost, zugleich Kopf¬ 
schmerzen und wiederholtes Erbrechen. Große Mattigkeit, Zunge be¬ 
legt, von himbeerartigem Aussehen. Puls 132, hoch, weich, voll. Die 
Narbe und ihre Umgebung stellt eine 5 Cm. lange und 3 Cm. breite 
dunkelrothe, schmerzhafte Anschwellung dar. An den Fußgelenken 
nichts Besonderes. Mehrere von Unterschenkelgesohwüren herrührende 
große Narben am rechten Schienbein haben ihre normale Farbe be¬ 
halten, die Temperatur erreichte um 7 Uhr Abends 39*5 und fiel 
während der Nacht bis auf 37*6. 14. October: Schlaflose Nacht, 
Morgens etwas Erbrechen. Appetit schlecht. Am Nachmittag hat sich 
das Allgemeinbefinden erheblich gebessert. 

6. Die 20jährige Therese Kubzer ist seit dem 30. October 
auf der Abtheilung wegen einer Spina ventosa des linken 
Mittelfingers, welche seit dem 3. October 1890 sich spontan ent¬ 
wickelt haben soll. Der linke Mittelfinger vom Ende der Basal- 
Phalanx bis zum Nagelfalz spindelförmig verdickt und leicht geröthet. 
Auf der Volar- und Dorsalseite der zweiten Phalanx je eine 3 Cm. 
lange Narbe, von einem am 20. October gemachten Einschnitt be¬ 
hufs Entleerung von Eiter berrührend. Active Bewegungen in den 
beiden distalen Gelenken nicht ausführbar. Größter Umfang, etwa 
Mitte der zweiten Phalanx, 7 4 Cm. Am 11. November, 6 Uhr 
Nachmittags, Injection von 0*2 Ccm. der 1 % Lösung in den Rücken 
der ersten Phalanx. Kein Frost, kein Uebelbefinden. Temperatur er¬ 
reicht um 8 Uhr Abends das Maximum von 37*8. 12. November: 
Morgentemperatur um 7 Uhr 37*8, steigt bis um 1 Uhr auf 38*1 
und fällt bis zum Abend auf 37*2. Allgemeinbefinden nicht gestört, 
Injeotionsstelle etwas geröthet und schmerzhaft. Haut des Fingers im 
Ganzen etwas röther. 13. November: Der Finger hat eine mehr 
blaß bläulich-rothe Farbe angenommen. Umfang an der dicksten 
Stelle 7*0 Cm. Um 10 Uhr Morgens Injection von 0*6 Ccm. in den 
linken Vorderarm. Kein Frost. Am Abend geringe Appetitlosigkeit, 
Zunge nicht belegt. Höchste Abendtemperatur 37*9. 14. November: 
Nachts schlechter Schlaf und starkes Hitzegefühl, gegen Morgen 
starker Schweiß nnd Kopfschmerzen. Am Nachmittag wieder starker 
8chweiß bei ungestörtem Allgemeinbefinden. Größter Umfang des 
Fingers 6*4 Cm., also um 1 Cm. geringer als vor drei Tagen. Der 
Finger kann im mittleren Gelenk activ bis fast zum rechten Winkel 
gebeugt werden. 

(Schluß folgt.) 


Zur Behandlung des Lupus mit Koch’schen 
Injectionen. 

Nach Beobachtungen an den Berliner Kliniken. 

Mitgetheilt von Dr. Gustav Singer in Wien. 

Es war vorauszusehen, daß in der klinischen Verwerthung der 
KoCH’schen Methode das theoretische Interesse — nnd dieses sieht 
ja von der großen praktischen Ausbeute einer in Aussicht gestellten 
Heilung der verbreitetsten und gefürchtetsten Krankheit vorderhand 
ab — sich in erster Linie den sichtbaren tuberculösen Affectionen 
der Haut und der Schleimhäute zuwenden werde. Wir können in 
diesen wenigen Zeilen, welche blos ein Resume unserer Eindrücke 
geben, die wir während eines 14tägigen Aufenthaltes beim Besuche 
der Berliner Kliniken gewonnen haben, nicht des Näheren erörtern, in 
welcher Weise die noch immer strittige Frage nach der Aetiologie 
des Lupus durch die neue Entdeckung Koch’s eine Klärung oder 
Lösung erfahren kann. Die Einwirkung der Injectionen auf tuber- 
culöse Affectionen verschiedenster Art ist ja, trotz mancher Aus¬ 
nahmen, in der großen Mehrzahl der Fälle eine so prägnante und 
evidente, daß die Berliner Beobachter, die zwar bisher eine Heilung 
noch nicht constatiren konnten, von dem KocH’schen Mittel als einem 
Reagens auf tuberoulöse Processe sprechen. Es ist ja bekannt, wie 
bezüglich der Aetiologie des Lupus die Meinungen der einzelnen 
Pathologen einander gegenflberetehen, daß früher der Befund von 
Riesenzellen in den Lupusnestern als Kriterium für die tuberoulöse 
Natur des Lupus angesehen wurde. Die Giltigkeit der Annahme, daß 
die Riesenzellen für die Tuberculose charakteristisch seien, wurde 
später vollends erschüttert, nachdem der gleiche Befund auch bei 
anderen Processen gemacht wurde, namentlich bei solchen, die 
Neigung zur regressiven Metamorphose haben. Von den Prooessen, 
bei denen Riesenzellen mit ein Constituens der pathologischen Ver¬ 
änderung bilden, erwähnen wir das Gumma, die tuberculösen und 
pnstulösen Syphilide, das Sarcom, die Osteomyelitis u. s. w., und 
auch die bedeutsame Entdeckung der Tuberkelbacillen vermochte 
die strittige Frage nicht zu- lösen. Es ist ja bekannt, daß die 
Bacillen beim Lupus nur in geringer Zahl und nicht immer naehzu- 
weisen sind; überdies ist es bisher noch nicht gelungen, Lupus als 
solchen durch Impfung zu übertragen, und das nicht seltene Fehlen 
sonstiger tuberculöser Erkrankungen, sowie der häufige Mangel der 
sogenannten lymphatischen Diathese mußte den Autoren, die im 
Lupus eine Krankheit sui generis sehen — und unter diesen äußert 
sich namentlich Kaposi in bestimmter Weise — eine Stütze gegen¬ 
über den Beobachtern bieten, die für die tuberoulöse Natur des 
Lupus eintreten, ein Standpunkt, den bereits früher Volkmann, 
Billroth, in neuerer Zeit Friedländer und, von klinischen Gesichts¬ 
punkten aus, Nedmann vertreten. Vielleicht hat die KocH’sche Ent¬ 
deckung einen Weg gezeigt, die noch ausstehende Beantwortung 
dieser Frage in bestimmterer Weise zu präcisiren. 

Diese Erwägungen wollten wir hier nur der theoretischen Be¬ 
deutung halber gestreift haben ; es tritt unleugbar nach den Injec¬ 
tionen mit der KocH’schen Flüssigkeit beim Lupus locale Reaction 
ein,' und diese wiederholt sich bei allen Fällen, die wir zu sehen 
Gelegenheit hatten, in ganz bestimmter und regelmäßiger Erschei¬ 
nung. Wenn man auch jetzt über das Wesen jener localen Ver¬ 
änderungen, die durch die KoCH’Bchen Injectionen von der Blutbahn 
aus augeregt werden, wegen Mangels histologischer Untersuchungen 
nur wahrscheinliche Annahmen zu hören bekommt, wenn man auch 
heute trotz des prägnanten Effectes von einer specifischen Einwirkung 
nicht sprechen kann, so läßt sich doch mit Bestimmtheit erwarten, 
daß die greifbaren Veränderungen, die am Lupus unter der Koch- 
schen Behandlung zu Tage treten, den Ausgangspunkt für das 
8tudium des Verfahrens, und daß die Erfolge, die beim Lupus er¬ 
zielt werden, den Index für den praktischen Werth der Methode 
bilden dürften. 

Indem wir hier eine Andeutung der wichtigsten Veränderungen, 
die als Ausdruck der localen Reaction angesehen werden, folgen 
lassen, beziehen wir uns auf eine große Reihe von Fällen, die wir 
in verschiedenen Phasen des Verlaufes verfolgen konnten. In vielen 
derselben traten die localen Veränderungen früher auf, als die allge- 


i. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1979 

meine Reaction, die bekanntlich nicht so constant und nicht bei allen ] 
Fällen in prompter Weise sich einstellt. Wir wollen nur kurz er¬ 
wähnen, daß der ganze Complex der Erscheinungen, aus denen sich 
die sogen ahnte Allgemein reaction aufbant, - dör Schüttelfrost, das 
hohe, oft die Medication überdauernde Fieber vom Typus der pyä¬ 
mischen Temperatursteigerungen, die Kopf- und Gliederschmerzen, 
die schweren gastrischen Symptome, die Delirien, Somnolenz, der 
Icterus und die eigentümlichen Hautexantheme, die Vermutung, daß 
es sich um die Einwirkung eines Giftes handle, das in Anbetracht der 
bedeutenden Wirksamkeit bei geringer Concentration den Toxinen 
nahesteht, nicht ganz unberechtigt erscheinen läßt. Schon eine 
Zeit vor dem Eintritte der Temperatursteigerung kann man an den 
lupösen Hautbezirken eine binnen Kurzem sich ausbildende Schwellung 
und Rötung beobachten. Am deutlichsten kann man diese Ver¬ 
änderungen an den umschriebenen Plaques der Wange und am 
Lupus der Nase verfolgen. Die bläulichrote Oberfläche wird ge¬ 
spannter, praller, glänzender, die discreten und die aus der Ver¬ 
schmelzung mehrerer kleiner Knötchen entstandenen größeren Knoten 
treten mehr hervor, werden prominenter und sind mehr elevirt, an 
der Peripherie des lupösen Bezirkes bildet sich ein mehr minder 
breiter, roter, infiltrirter Hof aus, der manchmal, wie beim Erysipel, 
sich wallartig abgrenzt, oder mehr diffus , wie ein collaterales Oedem, 
die benachbarten Theile in die Schwellung einbezieht, die sich oft 
bis zur Stirne und Haargrenze erstreckt und zu einer beträchtlichen 
Verkleinerung der Lidspalte, sowie zur mechanischen Behinderung 
des Lidschlages führt. Die lupösen Stellen selbst fühlen sich wärmer 
an, als die Umgebung, es besteht daselbst Spannungsgefühl und oft 
beträchtliche Schmerzhaftigkeit. 

Diese ersten Erscheinungen können 24 Stunden andauern; 
selten tritt schon nach einer Injectiou, meist erst nach der zweiten 
und dritten Injection, die Eruption Stecknadelkopf- oder mohnkorn¬ 
großer Bläschen auf, die mit hellgelbem, fast eiterähnlichem Serum 
gefüllt sind. Dieses Serum, das auch sonst an dqr Oberfläche des 
mächtig veränderten Lupus hervorquillt, vertrocknet bald an der 
Luft, bo daß in späteren Stadien-die Oberfläche des Lupösen mit 
Krusten und Schuppen bedeckt erscheint, die dem Ganzen das Aus¬ 
sehen eines alten Eczems oder eines Eczema impetiginosum geben. 
Einzelne oberflächlich gelegene discrete Knötchen bedecken sich nach 
wenigen Injectionen mit Schuppen und verschwinden durch Exfoliation. 
Die Krusten nehmen später eine gelbe bis dunkelbraune Farbe an; 
nach Ablösung der Krusten und Schuppen, die durch Application 
indifferenter Salben und Fette befördert wird, präsentirt sich die 
Oberfläche der Plaques saturirt roth, glänzend, und zeigt, namentlich 
am Rande, noch persistirende, eingestreute Knötchen. Wird die Appli¬ 
cation des KocH’schen Mittels für einige Tage ausgesetzt, so runzelt 
sich die früher glatte Oberfläche, während die noch deqtliche In¬ 
filtration der erkrankten Partien die Ausdehnung des Processes 
nach der Tiefe bemessen läßt. Nach neuerlicher Injection glättet 
sich wieder die Oberfläche, wird gespannt, das erkrankte Gewebe 
wird praller, vorgetrieben, schmerzhaft, und das ganze Spiel der 
Erscheinungen wiederholt sich. Anschwellungen der regionären Drüsen 
konnten wir nicht sehen. * Dagegen traten sehr häufig begleitende 
Erytheme auf, denen wohl die Bedeutung von Arzneiexanthemen 
zu vindiciren ist. Dieselben zeigten sich nicht selten um die Einstich¬ 
stellen am Rücken gruppirt, deren Umgebung oft beträchtlich infiltrirt, 
schmerzhaft und an der Oberfläche bis zu Thalergröße und darüber 
eine intensive Röthung des Integuments zeigte. Am häufigsten sahen 
wir urticariaähnliche, leicht erhabene, etwa linsengroße, nicht juckende 
Efflorescenzen von rosenrother Farbe, die zumeist am Stamme, am 
Nacken, in der Unterbauchgegend und der Leiste zu dichteren Gruppen 
angeordnet waren und in einem Falle an den Seitentheilen des 
Thorax dem Verlaufe der Rippen deutlich folgten. Diese begleitenden 
Erscheinungen wechselten oft von einer diffusen leichten Röthung 
des Stammes und Kückens bis zu einem scharlachähnlichen Erythem 
an Hals und Brust und morbillenähnlichen Eruptionen. Bei , einer 
Frau, die an der Klinik Bergmann wegen tuberculöser Lymphome in 
Behandlung stand, welche, nebenbei bemerkt, sich deutlich verkleinerten, 
sahen wir am Nacken zu Gruppen gestellte, flache Knötchen, die 
im Centrnm mit Pusteln versehen waren. Bei einzelnen derselbe!} 
trocknete der Inhalt der Bläschen zu Krusten ein, bei anderen zeigte 


198Q 


sich, eine seichte centrale Depression, so daß'das Ganze das Aus-, 
sehen einer Acne varioliformis darbot. 

Von den in der Heilung am meisten vorgeschrittenen Kränken 
erwähnen wir den Pat. Klingbeil an der Klinik Bergmann* Er. 
hatte nach der 6., 7. und 8. Injection-von 0*01 Ccm., . welches 
auch die Anfangsdosis war, nicht mehr reagirt. Aus dem Ausbleiben 
einer Reaetion, ganz abgesehen vom localen Befunde, auf Heilung 
zu schließen, erscheint schon wegen der von den meisten Berliner 
Klinikern hervorgehobenen raschen Angewöhnung an das Mittel nicht 
zulässig. Als wir ihn nach der 8. Injection sahen — er stand schon 
seit mehr als 3 Wochen in Behandlung — war die Oberfläche der 
lupösen Partie, die in Form eines Dreiecks mit der Spitze nach oben 
Nase und Oberlippe einnahm, glatt; leicht geröthet, die Oberlippe 
jedoch infiltrirt, mit noch persistirenden Knötchen an der Grenze 
des Erkrankten versehen; er war also trotz fehlender Re¬ 
action nicht geheilt. Wir stützen uns hier auf den Ausspruch 
der bekannten Dermatologen Prof. Haslünd und Behrbnd , denen 
wir überhaupt für die freundliche Unterstützung, die sie uns zu Tbeil 
werden ließen, besten Dank schulden. Als Bergmann diesen Pat. 
am 26. v. M. vorstellte, hatte derselbe auf eine bereits gesteigerte 
Dose von 0-02 Ccm. wieder local reagirt, ein erneuter Beweis,. d»ft 
dieser Fall — und wir halten ihn für den schönsten , den wir 
gesehen haben — noch nicht als geheilt zu betrachten war. 

Daß die Zeit. der Beobachtung und klinischen Prüfung der 
KocH’schen Entdeckung noch zu kurz sei, um dem gewissenhaften 
Klinikern positive und bindende Äußerungen über den Heilwerth 
der neuen Methode zu gestatten , das, und wohl nur das dürfte 
Bergmann gemeint haben, als er äußerte, es müsse noch viel Wasser 
die Spree abwärts fließen, bevor man effectiv geheilte Fälle werde 
sehen können. Hoffen wir, daß die vorurtheilslose Prüfung berufener 
Beobachter uns nach Wochen und Monaten so Manches von dem 
eröffnen und erhärten wird, was die Begeisterung und ein beispiel-, 
loser Enthusiasmus, der der ersten Proclamation des großen deutschen 
Gelehrten folgte, vielfach bereits vorweggenommen hat. 

Referate und literarische Anzeigen. 

Mittheitangen über das Koch’ache Heilverfahren * 
gegen Tuberoulose. 

II. ’ • . 

1. 0. Bosenbach (Breslau): Beobachtungen über die nach Anwendung 
des KocH’schen Mittels auftretenden Reactionserscheiqungen. — 2. Carl 
v. Noorden (Berlin): Ueber frühzeitige Veränderungen der Lungen unter dem 
Einflüsse der KocH’schen Heilmethode. — 3. Ernst Kbomkyeb (Halle): Histo¬ 
logisches über die. Wirkung des KocH’schen Heilmittels gegen Tuberculose. — 

4. Oppenheimer (Heidelberg): Fall von Larynxtubercnlose, rasche Heilung. —> 

5. Kraü8e (Berlin): Mittheilnngen über die bisher beobachteten Wirkungen 

des KocH’schen Mittels auf die Keblkopftuberculose. — 6. E. Leyden (Berlin); 
Bericht über die Anwendung des KocH’schen Heilmittels auf der I. medicini- 
sehen Klinik vom 20.—27. November 1890. — 7. A. Jarisch (Innsbruck): 
Lupus vulgaris; Tod 36 Stunden nach Injection von 2 Milligrm. KocH’scher 
Lymphe. — 8. M. Nencki und H. Sahli (Bern): Die Enzyme in, der 
Therapie. * . 

Die von Rosenbach in Nr. 49 der „Deutsch, med. Wooh.‘ c 
veröffentlichten Beobachtungen über das KoCfl’sche Heilverfahren weisen 
darauf hin, daß es im Interesse der Kranken sich empfiehlt;, mit 
minimalen Dosen, also mit 00Ö1, zu beginnen und lieber langsam 
als schnell zu steigern, wenn keine Reaction eintritt. 2 Fälle haben 
gezeigt, daß namentlich dort, wo die Nieren nicht ganz frei sind, 
das Mittel den Eiweißgehalt Vermehrt und Anurie hervorrnft, ganz 
abgesehen von den Fällen von Icterus, die ‘nicht als hepatogene, 
sondern als hämatogene aufgefaßt werden müssen. Die bedeutende 
Menge des sich auf Salpetersäurezusatz bildenden braunen Farb¬ 
stoffes spricht beim Fehlen von Bilirubin und nur schwachem Uro¬ 
bilingehalt des Urins dafür, daß ein Zerfall von Eiweiß im Blute 
oder im Innern der Gewebe stattfindet, ähnlich wie’bei der Hämo¬ 
globinurie und gewissen Intoxicationen und Stoffwechselkrankheiten. 
Bemerkenswerth bezüglich der Thätigkeit der Nieren nach Injection 
des KocH’schen Mittels erscheint auch die Thatsache, daß manche 
Kranke, die nach den Injectionen stark fieberten, einen auffallend hellen 
und vermehrten Urin zeigen, und daß die Vermehrung der Urin¬ 
menge bisweilen noch am nächsten Tage vorhanden ist. Eine be- 





•mi 


1890.-'— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 60: 


1982 


sondere Berücksichtigung scheint nach R. auch die Frage Von der 
Reaction des Kehlkopfes bei Kehlkopfphthise zu verdienen, da er 
bis jetzt, trotzdem er Fälle der verschiedenstes Art, von den 
leichtesten Graden bis zu ansgedehnten Zerstörungen in Behandlung 
batte, mit Ausnahme eines Falles keine Reaction beobachtete. End¬ 
lich ist noch eines Umstandes zu gedenken, der zweifellos einen 
Einfluß auf die fieberhafte Reaction hat, nämlich des Zeitpunktes 
der Injection. Es scheint, als ob zu Zeiten, in denen die Temperatur 
-eine Neigung zu Abfall hat, die Temperatursteigerung nicht bo aus¬ 
geprägt ist, als wenn das Mittel und die Tendenz zur Steigerung 
schon a priori Hand in Hand gehen. 

Unter den auf der GERHARDT’schen Klinik'ihit dem KoCH’schen 
Mittel behandelten Lungenkranken trat bei einigen nach den Injeotionen 
eine auffallende und bemerkenswerthe Veränderung in dem phy sika- 
-lisohen Befunde der Lunge hervor, den Docent v. Noorden 
?ih Nr. 49 der „Deutsch, med. Woch. u beschreibt. - Zunächst wurde 
•constatirt, daß unter dem Einflüsse des KoCH’schen Mittels verborgene 
tuberculöse Lungenberde physikalisch nachweisbar werden können, 
•welche wohl mehr als diagnostische Bedeutung beanspruchen. 

' In zweiter Linie ist der Veränderungen zu gedenken, welche 
die offenkundig tnbercnlösen, zumeist in den Spitzen gelegenen 
Herde unter dem Einflüsse des Mittels dorchmaehten. Um ganz 
sicher zu gehen, wurden auf dem Körper eines jeden in die Be¬ 
handlung eintretenden Lungenkranken vor der ersten Injection die 
Grenzen der Verdichtnngsherde mit lange haftender Farbe anfge- 
zeichnet. Verf, fand in mehreren Fällen nach einigen Einspritzungen 
eine wesentliche Zunahme der Verdiohtungsersebeinungen. In jedem 
der Fälle trat eine Vergrößerung des Dämpfnngsbezirkes auf, zum 
'Theil von nicht unbeträchtlichem Umfange. Außerdem wurde in 
diesen Fällen bemerkt, daß die ursprünglich erkrankten Stellen einen 
dumpferen Schall geben als vorher. Das würde als eine Abnahme 
des Luftgehaltes zu deuten sein. 

- Sehr auffallend war mehrmals, wie an Stellen, die vor dem 
Eintritt in die Behandlung bei leichter Dämpfung nur schlürfendes, 
bezw. verschärft schlürfendes Athmnngsgeränsch und unbestimmtes 
Rasseln erkennen ließen, später reines Röbrenathmen und helltönende, 
■klingende Rasselgeräusche in großer Zahl hörbar wurden. 

24 Stunden nach der vollen Ausbildung der Veränderung, 
manchmal auch später, begannen m mehreren Beobachtungen die 
Erseheinungen abzuklingen ; die Verdiohtnngserscheinnngen nahmen 
lallmälig ab, an Umfang sowohl wie an Stärke. Die Lösung der 
arzneilich geschaffenen Verdichtung machte rasche Fortschritte, 
während neue Einspritzungen nachfolgten. Daß der Husten und 
meist auch • der Auswurf nach einer Injection bei Lungenkranken 
meist stark vermehrt wi!rd, ist bekannt. 

Außerdem sei erwähnt, daß mehrere Kranke nach der ersten 
Injection über pleuritisehe Schmerzen klagten, die früher nicht da 
waren. Es gelang meistens, in der schmerzenden Gegend Reibe- 
geränsehe zu hören. Man wird kaum zweifeln, daß man in den 
beschriebenen Erscheinungen den Ausdruck einer localen Reaction 
zu erbliokeh hat. Die vorübergehenden Verdichtungen leiten wahr¬ 
scheinlich den Heilnngsvorgang eim ^ J 

Eine neue h i s t o 1 o g i s c h eU nter s u chungeineslupösen 
Haut s t ü c k e s nach Einwirkung des KoCH’schen Mittels verdanken wir 
dem Doc. Ernst Kbomeyer, der in Nr, 49 der „Deutsch, med. Woch. u 
die Resultate derselben mittheilt. Die Excision wurde 7^2 Standen 
nach der Injection gemacht. Was zunächst die normale, an die 
Lnpnsherde angrenzende Haut betrifft, so zeigte sie, je näher sie 
den Tuberkeln lag, eine zunehmende Infiltration von mebrkernigen 
Rundzellen, hauptsächlich in der Peripherie der Gefäße. Einzelne 
durch ihre Verzweigungen als venöse Capillaren charakteriairte Ge- 
fäßchen waren vollkommen von einem dichten Zellmantel aus zahl¬ 
reichen Randzellen eingehüllt. - An dem Gewebe der Cutis selbst 
waren keine weiteren Veränderungen zu constatiren. Die Epidermis 
zeigte an einzelnen Stellen, die nahe den lnpös erkrankten Partien 
lagen, Veränderungen, die anf eine Exsudation von Flüssigkeit in 
die Epidermis und somit anf einen entzündlichen Proceß der Cutis 
sicher schließen ließen. Die Epithelien waren zu länglichen Ge¬ 
bilden ausgezogen, das Protoplasma zum Theil verschwunden , und 
es war jenes Faser- und Netzwerk vorhanden, das für beginnende 


Bläschen in der Epidermis charakteristisch ist. Gleichzeitig waren 
zahlreiche Wanderzellen in die Epidermis an diesen Stellen einge 
drungen und füllten die Maschen des Netzwerkes zum Theil aus. 
Diese Veränderungen lassen mit Sicherheit auf eine acute Entzündung 
schließen und stehen mit den klinischen Beobachtungen der Schwel¬ 
lung, Rötbung und des Schmerzes im besten Einklang. Viel präg¬ 
nantere Veränderungen indessen, als die normale Haut, zeigt das 
Bindegewebe in unmittelbarer Umgebung der Tuberkel, die Epidermis, 
welche über die lupös erkrankten Partien hinwegzieht, und die 
Tuberkel selbst. Die Umgebung der Tuberkel ist von einer Unzahl 
von Rundzellen durchsetzt, an einigen Stellen -in so großer Menge, 
daß man nicht mehr von Infiltration, sondern von Eiterung sprechen 
kann. 

Analoge Veränderungen zeigt die Epidermis; zahllose Wandor- 
zellen durchsetzen das Epithel und haben sieh unter der Hornschicht 
oder mitten im Strat. spinös, zu Haufen angesammelt. Das Epithel 
ist stellenweise in ein Netzwerk verwandelt, in dessen Maschen die 
Reste der Epithelkerne und zahlreiche Rundzellen liegen. Es handelt 
sich hier schon nm ausgebildete kleinste Bläschen in der Epidermis, 
die makroskopisch als kleinste gelbliche Punkte wahrnehmbar waren. 

Aehnlicbe Einschmelzungserscheinnngen wie die Epithelien der 
Epidermis, zeigt auch das Gewebe der Pars papillaris der Cutis, 
welches sieh bekanntlich nicht nur durch deu größeren Gefäßreioh- 
thnm, sondern anch durch die zartere bindegewebige Struetur von 
der eigentlichen Cutis unterscheidet. Die Bindegewebsbtindel sind 
aaseinandergedrängt und bilden ein unregelmäßiges Netzwerk, 
dessen Maschen wieder von zahlreichen Rundzellen und spärlichem 
feinem Gerinnsel ausgefüllt werden. Noch zwei histologische Er¬ 
scheinungen aus der Umgebung der Tuberkel sind bemerkenswerth, 
um das Bild einer acuten Entzündung zu vervollständigen. 

Einmal sind viele Capillaren oder kleinste Venen mit weißen 
Blutkörperchen dicht ungefüllt, während zahlreiche gleiche Zellen 
in der Umgebung und an der Außenwand derselben liegen, znm 
anderen finden sich Spalten, im Gewebe, die nach Configuration und 
Wandung wohl als Lymphcapillaren anznsprechen sind, angefüllt mit 
fein- und grobkörnigen Gerinnseln, die sieh mit der Weigert’ sehen 
Fibrinmethode blau färben, während sie naeh Gram entfärbt werden. 
Es handelt - sieh - wohl wahrscheinlich um Fibrinmassen in Lymph- 
bahnen. Daß die Lymphgefäße in Mitleidenschaft gezogen sind, zeigt 
anch deutlich das Verhalten der zugehörigen LymphdrIlsen an. 

- - Die submaxillaren Lymphdrüsen zeigten zur Zeit der Excision 

schon sehr deutliche Schwellung and Schmerzhaftigkeit, während sie 
vor der Injection nicht zu fühlen waren. Aus den bisher beschriebenen 
Veränderungen müssen wir auf eine im Leben bestandene acute 
Entzündung des die Tuberkel umgebenden Gewebes schließen, die 
nnr der Wirkung des KoCH’schen Heilmittels zuzuschreiben ist. 

Durchmustert man bei starker Vergrößerung einen Tuberkel, 
so fällt zunächst die große Zahl von rundzelligen Elementen auf, 
wie man sie bei so langsam wachsenden Tuberkeln, wie sie dem 
Lnpns angehören, nicht gewohnt ist. Verf. konnte leicht constatiren, 
daß diese Rundzellen mehrkernig, also Eiterzellen sind, und für den 
Tuberkel ein fremdes Element darstellen. Von der Mitte des Tu¬ 
berkels nach der Peripherie nehmen diese Eiterzellen an Zahl zu. 
Durch eine längere Färbung mit Hämatoxylin werden diese Wander¬ 
oder Eiterzellen tiefblaoschwarz gefärbt, während die ursprünglich 
den Tuberkel zusammensetzenden Zellen nur eine eaturirt blaue 
Färbung aufweisen. Dadurch werden sie leicht kenntlich. Sie stimmen 
in diesem Verhalten genau - mit den zahlreichen Wanderzellen, die 
sieh in der Epidermis finden, überein, so daß eine etwaige Ver¬ 
wechslung mit kleinzelligen Elementen des Tuberkels, die immer 
einkernig sind, ausgeschlossen erscheint. Schon aus der beschriebenen 
Vertheilung der Eiterzellen können wir schließen, daß die Wander¬ 
zellen von der Peripherie des Tuberkels aus in das Innere desselben 
Vordringen. Da wir aber wissen, daß die Wanderzellen aus Blut¬ 
gefäßen auswandern, und ferner, daß der Tuberkel selbst keine Blut¬ 
gefäße besitzt, sondern von der stark vascolarisirten Umgebung er¬ 
nährt wird, so gewinnt diese Annahme an Sicherheit. Das KoCH’sche 
Mittel wirkt nach dieser Darstellung also dadurch, daß in der Um¬ 
gebung des Tuberkels eine Entzündung ausgelöst wird, welche 
ihrerseits zu einer Vereiterung des Tuberkels führt. 


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1983 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 60. 


1984 


Prof. Oppenheimer beschreibt an derselben Stelle folgenden 
Fall: Eine 28jährige verheiratete Kranke, nicht erblich belastet, 
seit 2 Jahren krank, zeigt Infiltration des rechten oberen Lappens 
und linksseitige Spitzendämpfung, Bronchialathmen und feuchte 
Ronchi, Bacillen im Auswurf. Seit September dieses Jahres con- 
tinuirliches Fieber mit abendlichen Exacerbationen und Nacbt- 
schweißen. Am meisten wird die Kranke jedoch von einem 6- bis 
8mal täglich auftretenden Hustenreiz geplagt, der hauptsächlich 
nach den Mahlzeiten sich einstellt und Erbrechen alles Genossenen 
veranlaßt. Der fortwährende Hustenreiz und eine klanglose, heisere 
Stimme legten den Gedanken nahe, daß eine Affection des Kehl¬ 
kopfes bestehen könne. Doch war darüber keine Aufklärung zu er¬ 
langen , weil eine laryngoskopische Untersuchung trotz mehrmaliger 
ausgiebiger Anwendung von CocaYn wegen der Empfindlichkeit des 
Larynx nicht möglich war. Die sehr schwache Frau wurde am 

22. November injicirt (0*001). Reaotion gering. Während des Tages 
bleibt Hustenreiz und Erbrechen unverändert. 

23. November. Injeetion von 0*001. Temperatur steigt nach 
9 Stunden von 37*6 anf 39*0. In der Nacht viel Uebelkeit, Kopf¬ 
schmerz, Hustenreiz, Verminderung der Menge des Sputums. 

24. November. Injeetion von 0*001 um 10 Uhr Morgens. Um 
6 Uhr Temperatur 39*0. Schwindel, Kurzathmigkeit, Gefühl von 
Beengung im Halse, keine Schlackbeschwerden, geringer Hustenreiz, 
die Stimme ist weniger heiser. Mit großer Leichtigkeit läßt sich jetzt 
eine laryngoskopische Untersuchung ausführen. Dieselbe ergibt auf 
dem vordersten Theil des rechten Stimmbandes eine birsekorngroße 
Excrescenz von bläulichrothem Aussehen, der übrige Theil des 
Stimmbandes grauröchlich gefärbt, sonst normal, Taschenband und 
Aryknorpel normal. 

Am nächsten Tage war die Wucherung verschwunden, und 
nur eine Röthung und leichte Schwellung des Stimmbandes nachzu¬ 
weisen. Von dem Tage an hörten der abnorme Hustenreiz und das 
Erbrechen vollständig auf und haben sich bis heute (1. December) 
nicht wieder eingestellt. Nur über ein leichtes Schmerzgefühl in der 
Gegend des Kehlkopfes, das sieh 8—10 Stunden nach jeder Injeetion 
einstellt und 3—4 Stunden andauert, beklagt sieh die Krank e, deren 
Lungentuberculose bis jetzt keine nachweisbare Veränderung zeigt. 

Von den in Nr. 49 der „Berl. klin. Wochensohr. 4 veröffent¬ 
lichten Beobachtungen Kraüse’s sei nur erwähnt, daß nach ihm 
unzweifelhaft im Kehlkopf eine specifische Reaction, die 
durch das Mittel hervorgerufen wird, bemerkbar ist, welche sich 
sabjectiv nachweisbar zeigt in dem Auftreten von mehr oder minder 
diffuser Röthnng und Schwellung, in der Rückbildung der Schwellungen, 
in der Verminderung und im fast völligen Versiegen, seltener in 
der Zunahme der Secretion. Ferner sah K. das Auftreten von punkt¬ 
förmigen oder tiefer greifenden Exfoliationen und Necrosen, Ver¬ 
änderungen des Geschwürsgrundes, meist in günstigem Sinne, das 
Anschwellen, Bowie den späteren Zerfall und Schwund von Infiltraten, 
plötzliche tumorenähnliche Ausbreitung des infiltrirten Grundes und 
endlich offenbare Neigung zn Vernarbung und Heilung. Ueber eine 
völlige Heilung kann er bei der kurzen Dauer ( 2 1 / 2 Wochen) nicht 
berichten. 

Aus der in Nr. 50 der „Berl. klin. Wochenschr.“ erschienenen 
Mittheilung Leyden’s, dessen Beobachtungen mit denen der anderen 
Autoren übereinstimmen, seien nnr einige Momente hervorgehoben. 
In allen Fällen (4—5) von Pleuritis trat eine lebhafte Reaction ein. 
In einem ist sogar nach 3 Injectionen ein Auswurf mit Tuberkel- 
bacillen erfolgt, während vorher überhaupt kein Auswurf da war. 
Von nicht tuberculösen Individuen, die auf das KocH’sche Mittel 
reagirten, sind einige absolut nicht suspect, wie z. B. ein Fall von 
Soarlatina, ein anderer von Erysipel; von anderen könnte man viel¬ 
leicht glauben, daß sie eine latente Tuberculose haben. 

Jarisch berichtet in Nr. 50 der „Wr. klin. Wochensehr.“ 
über einen Todesfall nach Injeetion von 0*002 KocH’scher 
Flüssigkeit bei einem 17jährigen, an Lupus exulcerans des 
Gesichtes leidenden Mädchen. Die Reaction trat mit Temperatur¬ 
erhöhung (39*6) und Schüttelfrost 5 Stunden nach der Injeetion auf, 
die Temperatur stieg in der 6. Stunde auf 40*3, erreichte 14 Standen 
post injectionem 41*1, sich im Laufe des nächsten Tages zwischen 
40 und 41 erhaltend. Gleichzeitig Erbrechen, Somnolenz, kleiner, 


aussetzender Puls, unfreiwillige Stuhlentleerung. Trotz angewandter 
Excitantien trat 24 Stunden nach der Injeetion der Exitus ein. Die 
schon 12 Stunden nach Eintritt des Todes vorgenommene Ob- 
duction ergab:. Schwellungen und Röthungen an knötchenartig 
begrenzten und ansgebreiteten Stellen innerhalb und in der Um¬ 
gebung der größtentheils vernarbten und geschrumpften Bezirke der 
lupösen Hauterkrankung, desgleichen an den die Wangenschleimhaut 
und die vordere Gaumenfläche einnehmenden Geschwüren. Lockere 
Infiltration und drüsige Schwellung an der freien Kante der ver¬ 
kürzten Epiglottis, resp. an der unteren hinteren Fläche der letzteren. 
Hochgradige Schwellung der Bubmaxillaren Lymphdrüsen, sowie der 
innseitliohen Halsdrüsen, der Drüsen entlang der Trachea, unter 
deren Bifnrcation und an den Lungenwurzeln. — Die Lymphdrüsen, 
unter der Theilung der Trachea zu einem bis über 6 Cm. langen, 
4 1 /, Cm. breiten, über 2 Cm. dicken, höckerigen Packet zusammen¬ 
geflossen , welches einen an mehreren Stellen erweichten, bröcklig 
zerfallenen, 3—4 Cm. messenden, unregelmäßig bucklig gestalteten, 
weißgelblichen, käsigen Herd einschließt. Derselbe ist umrahmt von 
einem zumeist nur 1—-2, höchstens 5—6 Mm. breiten Saume röthlieh 
bis dunkelroth gefärbten, auch hie und da schwärzlich pigmentirten 
Drüsengewebes. Die Drüsen in der Umgebung der Bronchien erster 
und zweiter Ordnung bis zu Bohnen- und Haselnußgröße geschwollen, 
theils blaß, theils dunkelroth gefärbt, sehr feucht; in einer linker¬ 
seits gelagerten, über haselnußgroßen, stark gerötheten Drüse central 
einige stecknadelkopfgroße, weißgelbliche Knötchen. Bei der näheren 
Untersuchung der Bronchial- und unteren Halsdrüsen fällt vielfach 
auf, daß die nächste Umgebung der eingelagerten käsigen Herde 
von einer feingriesigen, weißlichen, 1—2 Mm. breiten Zone gebildet 
ist, welche auf der Schnittfläche stärker vorspringt als das übrige 
düster geröthete, serös durchtränkte, peripherige Drüsengewebe. — 
In sehr deutlicher Weise treten die reactiven Veränderungen auch 
an den gleich näher zu beschreibenden, duroh besondere Eigenthüm- 
liohkeiten von gewöhnlichen tuberculösen Darmaffectionen unter¬ 
schiedenen Geschwüren hervor, welche sich im Dick- und Dünn¬ 
darm fanden. Es ist das Coeoum bis auf 13—14 Cm. hin von der 
Valvula Bauhini, die Gegend der linken Flexur und die obere Grena- 
partie der Flexura sigmoidea auf eine Strecke von je 9—10 Cm. 
hin in ein starres enges Rohr umgewandelt. Dabei das ganze Colon, 
namentlich aber diese drei Stellen mit mächtigen Appendices epiploieae 
und mit einem bis 1 Vs Dm. messenden diffusen Fettgewebslager 
bekleidet. Die Tänien an diesen Stellen mit lockeren, schlotterigen 
Bindegewebssohicbten überzogen, in denen und deren nächster Um¬ 
gebung bis hanfkorngroße, markigweiße, weiche Knötchenbildungen 
auffallen. Das Coecum durch solche Bindegewebsausbreitungen an 
die Gegend des unteren Poles der rechten Niere genähert. — In der 
Mitte jeder der drei den Dickdarm ringförmig umgreifenden Ver¬ 
engerungsstellen fallen mit glatter, narbig fixirter und verdichteter 
blasser Schleimhaut ausgestattete Partien auf; im Coeoum geht diese 
vernarbte Mittelpartie über in die völlig abgeflachte, glatt narbig 
verstrichene, starre Valvula Bauhini, welohe nur für den kleinen 
Finger durchgängig ist. Im Uebrigen sind die Grenzen der besagten 
Verengerungsstellen auf die Breite von 2—3 Cm. hin ringsherum 
mit zu zackigen Contouren confluirenden, vielfach strahlig zusammen¬ 
gezogenen Substanz verlosten eingenommen. Die Basis derselben zur 
meist von unebenem, lockerem, gerötbetem Gewebe gebildet, in 
welchem gleichwie in dem zackigen, meist schlaff geschwollenen und 
düster gerötheten Rande der Geschwüre hie und da weißliche, halb¬ 
stecknadelkopfgroße und noch kleinere Knötchen eingelagert sind. 
Zwischen diesen Geschwüren theils glattes Narbengewebe, theils 
vom unebenen, granulirenden Boden wie polypös vorragende, starr 
geschwollene, stark geröthete, bis hanfkorngroße Wucherungen. In 
der narbigen Schleimhaut in der Nähe der Valvula Bauhini überdies 
einzelne bis halbbohnengroße catarrhalisohe Ulcerationen. — Die 
Obduction wies neben den angeführten reactiven Veränderungen an 
den lupösen, respective tuberculösen Erkrankungsherden an acut aus¬ 
gebildeten Zuständen naeh: Durchsetzung beider Lungen mit zahl¬ 
reichen disseminirten pneumonischen Infiltrationen und Oedem der¬ 
selben; Oedem des Gehirns und Rückenmarkes von hochgradiger 
Ausbildung; acute Schwellung der schon in chronischer Weise ver¬ 
dichteten Milz (Länge der Milz über 14 Cm., Breite 9*5 Cd?., Dicke 






1985 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1986 


4'5—5 Cm.); ferner parenchymatöse Schwellung der Leber und 
Nieren geringen Grades. Capillare Hftmorrhagien der Lungenpleura, 
des parietalen Pericardiumblattes, der Thymus und an einzelnen 
Stellen des Rückenmarkes. — Die benützte Lymphe war durch Ver¬ 
mittlung der österr.-ung. Botschaft in wohlverwahrtem Zustande aus 
Berlin eingetroffen und in einwandsfreier Weise verdünnt worden. 

In Nr. 23 des „Corresp.-Bl. für Schweizer Aerzte“ machen 
Nbncki und Sahli einige interessante Bemerkungen über Enzyme, 
die auch auf das RocH’sche Mittel Anwendung finden können. Es 
ist bekannt, daß Peptone, in’s Blut injicirt, eine toxische Wirkung 
auf den Organismus ausüben, daß ferner intravenöse Injectionen von 
Enzymen auf den Organismus eine stark giftige Einwirkung haben. 
Peptone und die sie bildenden Enzyme gehören zu den Eiwei߬ 
körpern. Man kann auf Grund der bisherigen Forschung sagen, daß 
es kein Lebewesen gibt, selbst wenn es nur ein einzelliger Or 
ganismus ist, welches nicht Enzyme producire. Diese Enzyme gehören 
vielleicht mit zu den Waffen, deren sich der Organismus zur Be¬ 
kämpfung der Infectionskrankheiten bedient. Es ist merkwürdig, 
daß unter normalen Verhältnissen die Enzyme des Verdauungstractes 
und auch die Peptone entweder gar nicht oder nur in minimalen 
Mengen in die Blutbahn gelangen. Von den Peptonen wissen wir, 
daß sie bereits in der Schleimhaut des Verdauungssohlauches in echte, 
in der Hitze gerinnende Eiweißkörper verwandelt werden. Bei den 
labilen Enzymen dürfte die Ueberführung in eine active Form eben¬ 
falls sehr leicht geschehen. Man sollte meinen, daß die jenseits des 
Verdauungsoanals liegenden Organe gegen die toxische Wirkung der 
Enzyme und Peptone geschützt sein sollten. Diese Einrichtung ist 
wohl zweckmäßig unter normalen Verhältnissen. Werden jedoch ein¬ 
zelne Organe durch Mikroben bedroht, so wäre es wohl möglich, 
durch locale Zufuhr der wirksamen Enzyme dem betreffenden Gewebe 
zu siegreichem Kampfe gegen die Spaltpilze zu verhelfen. Wegen 
der Aehnlichkeit in der physiologischen Wirkung glauben Verff., daß 
die KocH'sche Lymphe auch ein solcher enzym- oder peptonartiger 
Körper sein könnte. Diese Vermuthung ist deshalb nahe liegend, 
weil Dr. Hammebschlao im..Laboratorium der Verff. . aus der Leib¬ 
substanz der Tuberkelbacillen eine stark toxisch wirkende, albumos e 
artige Substanz isolirte. S. 


Behring und Kitasato : Ueber das Zustandekommen der 
Diphtherie - Immunität und der Tetanus-Immu¬ 
nität bei Tbieren. 

Den Verff. ist es gelungen, bei beiden in der Ueberschrift 
erwähnten Infectionskrankheiten mittelst eines erst später zu be¬ 
schreibenden Verfahrens sowohl inficirte Thiere zu heilen, als auch 
die gesunden derartig vorzubehandeln, daß sie später nicht mehr 
an Diphtherie, bezw. an Tetanus erkranken. Von principiellem 
Interesse ist die von den Verff. in Nr. 49 der „Deutsch, roed. Woch.“ 
gegebene Erklärung für das Zustandekommen dieser Immunität. 
Während man bisher die vitale Thätigkeit der Phagocyten, die 
bacterienfeindliohe Wirkung des Blutes und die Giftgewöhnung des 
thierischen Organismus zur Erklärung der Immunität heraDgezogen 
hatte, begegnen wir hier zum ersten Male in der Literatur der 
Ansicht, daß bei Kaninchen und Mäusen, die gegen Tetanus immu- 
nisirt worden sind, die Immunität darauf beruht, daß die zellen¬ 
freie Blutflüssigkeit die Fähigkeit besitzt, die von den Tetanus- 
bacilen producirten toxischen Substanzen unschädlich zu machen. 

Als Beweis hiefttr mögen folgende Versuche gelten. Ein Ka¬ 
ninchen wurde (auf eine erst zu beschreibende Art) gegen Tetanus 
immunisirt. 10 Ccm. einer virulenten Tetanusbacillen - Cultur , von 
der für normale Kaninchen 0‘50 Ccm. genügten, um dieselben ganz 
sicher an Tetanus zu Grunde gehen zu lassen, ließen jenes ganz 
gesund. Dieses Thier hatte aber nicht nur gegen die Infection mit 
lebenden Tetanusbacillen Immunität erlangt, sondern auch gegen 
das Tetanusgift; denn es vertrug ohne jeden Schaden das 20fache 
derjenigen Menge des Giftes, die genügt, um normale Kaninchen 
ausnahmslos zu tödten. Von dem flüssigen Blute dieses Kaninchens, 
sowie vom Blutserum vermochten 0*2 Ccm., Mäusen in die Bauch¬ 
höhle eingespritzt, dieselbe gegen Infection mit virulenten Tetanus- 
baoillen immun zu machen. Aber auch therapeutische Erfolge lassen 


sich mit dem Serum in der Weise erzielen, daß man die Thiere 
zuerst inficirt und hinterher das Serum in die Bauchhöhle einspritzt. 

Schließlich wurden Versuche angestellt, welche die giftzerstö¬ 
rende Wirkung des Serums demonstriren. 5 Ccm. des Blutserums 
des immunisirten Kaninchens wurden mit 1 Ccm. einer Tetanus- 
Cultur vermischt, von der 0*00005 Ccm. eine Maus zu tödten 
vermochten. Nach 24stündiger Einwirkung vermochten selbst 0*2 Ccm., 
also 0*033 Ccm. Cultur oder mehr als das 300facho der sonst für 
Mäuse tödtlichen Dosis, diese Thiere nicht mehr krank zu machen. 

Aus diesen Versuchen ziehen Verff. folgende Schlüsse: 

1. Das Blut des tetanusimmunen Kaninchens besitzt tetanus- 
giftzeretörende Eigenschaften. 

2. Diese Eigenschaften sind auch im extravasculären Blute und 
in dem daraus gewonnenen zellenfreien Serum nachweisbar. 

3. Die Eigenschaften sind so dauerhafter Natur, daß sie auch 
im Organismus anderer Thiere wirksam bleiben, so daß man im 
Stande ist, durch die Blut-, bezw. Serumtransfusion hervorragende 
therapeutische Wirkungen zu erzielen. 

4. Die tetanusgiftzerstörenden Eigenschaften fehlen im Blute 

solcher Thiere, die gegen Tetanus nicht immun sind, und wenn 
man das Tetanusgift nicht immunen Thieren einverleibt hat, so 
läßt sich dasselbe auch noch nach dem Tode der Thiere im Blute 
und in sonstigen Körperfltissigkeiten nach weisen. Schnireb. 


Diagnostik und Therapie der Kehlkopfkrankheiten. 

Von Dr. L. Räthi. Leipzig und Wien. 1890. Fr. Deuticke. 

In kurzer Zeit, nur durch einige Monate getrennt, haben wir 
in der laryngologisch-rhinologischen Literatur das Erscheinen zweier 
Werke zu verzeichnen, welche beide dazu bestimmt sind, dem An¬ 
fänger im Studium der Laryngoskopie und Rhinoskopie als Führer 
zu dienen, nämlich das Büchlein von Flataü *) und das vorliegende 
von Dr. R6thi. — Allein, während Flatau hauptsächlich die 
Technik und die Methoden der Laryngoskopie und Rhinoskopie 
und die durch diese Untersuchungsarten gewonnenen normalen 
Bilder behandelt, und die Therapie in allgemeinen Zügen streift, 
beschreibt Rethi die Spiegelbilder der einzelnen Krankheiten 
des Kehlkopfes, lehrt den Anfänger diese Spiegelbilder deuten, d. h. 
die Diagnose machen, und fügt auch jeder Krankheit die dieser 
entsprechende Therapie bei. Es ergänzen sich somit diese -beiden 
Werke in sehr vortbeilbafter Weise, und so wie wir das erstere zum 
Studium der Laryngoskopie und Rhinoskopie überhaupt empfohlen 
haben, können wir das vorliegende Buch allen Jeuen, die sich mit 
dem Studium der Kehlkopfkrankheiteu befassen wollen, als Leitfaden 
bestens empfehlen. 

Das Buch zerfällt in einen allgemeinen und einen speciellen 
Theil. Der allgemeine Theil behandelt die Anatomie, Physiologie 
des Larynx, die Laryngoskopie, das laryngoskopische Bild und die 
Apparate und Instrumente zur endolaryngealen Behandlung. 

Im speciellen Theile werden die einzelnen Krankheiten, ins¬ 
besondere mit Rücksicht auf die im Spiegelbilde wahrnehmbaren 
Veränderungen, gesondert besprochen, und sofort auch die einzu¬ 
schlagende Therapie erwähnt, — eine Einrichtung, die dem Anfänger 
in kurzer, übersichtlicher Weise das wichtigste Wissenswerthe über¬ 
mittelt, und hiedurch eine sichere Basis für etwaige weitere Studien 
auf diesem Gebiete schafft. — Die Beschreibung der einzelnen Krank¬ 
heitsbilder ist kurz und prägnant, hebt jede einzelne Phase der 
Krankheit hervor und wird, wo cs noththut, durch gute Holzschnitte 
illustrirt. 

In einem Anhänge folgt noch die Diagnostik der wichtigsten 
Veränderungen an der Epiglottis, an der hinteren Kehlkopfwand 
und an den Stimmbändern. 

Wir hoffen und wünschen, daß dieses vorzügliche Büchlein in 
den interessirten Kreisen die Werthschätzung und Verbreitung finden 
möge, die es verdient. Roth. 


*) Vergl. „Wiener Med. Presse“, 1890, Nr. 30. 


2 


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1987 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 50. 


1988 


Kleine Mittheilungen. 

— Dr. Addby macht in Nr. 47 des „Lyon m6d. w auf ein 
frühzeitiges Symptom des Uteruscarcinoms aufmerksam, das von 
Laroyenne zuerst gefunden wurde. Die Wichtigkeit eines solchen 
Symptoms für die Diagnose des Gebärmutterkrebses zeigt sich 
namentlich in jenen Fällen, wo eine Unterscheidung von Metritis 
schwierig ist. Kann man, bei suspectem Aussehen des Collum und 
der Cervicalhöhle, den Nagel eingraben und einige Gewebsfetzen 
abkratzen, so bat man es mit einer epitheliomatösen Erkrankung 
zu thun. Dieses Zeichen läßt mit Sicherheit das Carcinom des 
Cervix von einer chronischen Metritis unterscheiden. Bei der letzteren 
ist das Gewebe in manchen Fällen zwar auch weich, doch läßt sich 
nie der Nagel einstoßen and mit demselben Gewebspartikel ab¬ 
kratzen, während dies selbst beim härtesten Epitheliom möglich ist. 

— Dr. H. Campbell in London hat Arsenik gegen Akro¬ 
megalie angewendet und eine merkliche Besserung erzielt. Der so 
behandelte Kranke erhielt zunächst 5 Tropfen Solutio Fowleri 3mal 
täglich. Alle 8 Tage wurde die Dosis um 2 Tropfen erhöht, bis 
schließlich der Kranke 2 Grm. täglich erhielt, worauf sich ein pustu- 
löses Exanthem der Haut entwickelte. Von Zeit zu Zeit wurde auch 
Eisen, Strychnin und Leberthran gegeben. Unter dem Einflüsse 
dieser Behandlung trat eine erhebliche Besserung des Allgemein¬ 
befindens ein, das Volum des Kopfes, des Gesichtes und der Hände 
nahm merklich ab. 

— Ein amerikanischer Arzt, Dr. Metcolf, empfiehlt die Be¬ 
handlung der Acne des Gesichtes mit Chrysophansäure. Die 

in Nr. 53 der „Sem. mfed.“ angegebene Formel lautet: 


Rp. Acid. chrysophan. . . . 0 - 15—0’30 

Vaselin. 30’0 

M. f. ung. 

8. Salbe. 


Allabendlich wird nach Abwaschung mit' heißem Wasser und Seife 
die Salbe in die betroffenen Partien gut eingerieben und diese 
Procedur so lange wiederholt, bis eine Dermatitis auftritt. Nun wird 
die Behandlung so lange unterbrochen, bis die Entzündung der 
Haut vorüber ist. Man thut gut, den Kranken im Vorhinein zu 
sagen, daß die Chrysophansäure die Finger nnd die Kleider färbt 
und die Augen reizt. 

— C. Vinay empfiehlt in Nr. 40 des „Lyon mödical“ die 

Behandlung der Fissuren der Brustwarzen mit Aristol. Zu 

diesem Behufe gebraucht er folgende Mischung: 


Rp. Aristol.4’0 

Vaselin, liquid.20 0 

S. Aeußerlich. 


Er zieht das flüssige Vaselin vor, weil es besser als das gewöhnliche 
und als die Fette in die Zwischenräume der Papillen eindringt. Die 
Anwendung des Aristol geschieht nach jedem Säugen, und zwar in 
folgender Weise: Um die Papillen gut hervortreten zu lassen und 
sämmtliche Sprünge zu Gesicht zu bekommen, drückt man mit dem 
Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Basis der Brust 
warze zusammen und bepinselt mit einem mit obiger Mischung ge¬ 
tränkten Pinsel die erkrankten Stellen. Die trocknende Wirkung 
des Aristol macht sich sehr bald geltend, die Schmerzen hören schon 
am 2. Tage auf, und gewöhnlich sind die Fissuren am 4. Tag ge¬ 
heilt. Selbstverständlich ist eine sorgfältige Reinigung der Brust¬ 
warze nach dem Stillen, sowie der Gebrauch eines Warzenhütchens 
von großem unterstützenden Werthe für die Behandlung. 

— Einen sehr bemerkenswerthen Fall von Heilung Von 
Diabetes mellitus mittelst subcutanen Injectionen von Ergotinin 
theilt Dr. Laurens in Nr. 40 des „Bull. g6n. de thörap.“ mit. 
Dr. Df.henne in Paris hat vor mehreren Jahren zur Bekämpfung 
von Retinalblutungen bei Diabetikern subcutane Injectionen von 
Ergotin und Ergotinin angewendet und bei dieser Gelegenheit die 
Beobachtung gemacht, daß die Glycosurie verschwand, ohne daß an 
der Diät irgend eine Aenderung vorgenommen worden wäre. In dem 
von L. mitgetheilten Falle handelt es sich um eine 45jährige arme 
Frau, die an heftigem Jucken der Haut, brennendem Gefühl an den 
Genitalien, das zur Schlaflosigkeit führte, Polydipsie, Polyurie und 
Abmagerung litt. Die am 28. Januar 1890 vorgenommene Unter¬ 


suchung des Urins ergab 46 Grm. Zucker im Liter. Trotz Regelung 
der Diät und Gebrauch von Vichy-Wasser zeigte der Urin am 
12. Februar 48 Grm. Zucker. Am 18. Februar wurde mit Injectionen 
von Ergotinin begonnen, und zwar zunächst 4 Tropfen, jeden 2. Tag 
um 1 Tropfen mehr, bis zu 7 Tropfen, injicirt. Die Diät wurde 
nicht geändert, sondern blieb die gewöhnliche, wie sie Pat. seit jeher 
gewohnt war. Unter dieser Behandlung nahm der Durst und die 
Polyurie ab, das Jucken ließ nach und die Kräfte nahmen zu. Am 
28. Februar fanden sich nur noch 8 Grm. Zucker im Liter Harn. 
Angesichts der Besserung ließ sich die Kranke keine Injection mehr 
machen, sondern nahm nur das Vichy-Wasser bis zum 15. Mai fort. 
Am 2. April fand sich kein Zucker im Harn, Pat. absolut wohl. 
Am 15. September kein Zucker im Harn, Pat. ganz gesund. Ob 
die Heilung eine definitive bleiben wird, ist jetzt noch nicht zu be¬ 
stimmen. Jedenfalls ist der Erfolg ein höchst bemerkenswerther. 

— Während Chloralhydrat in der Mehrzahl der Fälle ein aus¬ 
gezeichnetes Schlafmittel ist, versagt es seine "Wirkung bei Schlaf¬ 
losigkeit, die mit schmerzhaften Zuständen verbunden ist, wenn es 
nicht in gefährlichen Dosen verabreicht wird. H. A. Hare empfiehlt 
daher in „Med. News“ vom 30. August die Anwendung de8 Croton- 
chloral bei Neuralgien. Die wirksame Dosis beträgt für die meisten 
Fälle 0-35 in Pillenform. Als Illustration für die Wirkung des 
Croton- oder Butylchloral theilt Hare den Fall einer 45jährigen 
Frau mit, die seit 2 Jahren an einer heftigen Supraorbitalneuralgie 
iu Folge einer Mittelohrerkrankung litt, die von Ohrensausen, Appetit- 
und Schlaflosigkeit begleitet war. Es wurde 0 - 35 Butylchloral in Pillen¬ 
form verwendet, 2stündlich 1 Dose. Nach 6 Pillen hörten die 
Schmerzen auf, Appetit und Schlaf stellten sich ein. Die Wirkung 
dauerte 24 Stunden. Auf neuerliche Anwendung von 6 Pillen hörten 
die Schmerzen wieder auf und kehrten in den nächsten 6 Wochen 
nicht wieder. Bei organischen Erkrankungen, sowie bei anderen 
Neuralgien als jenen der Hirnnerven bleibt das Mittel wirkungslos. 
Bei Migräne leistet es vorzügliche Dienste, ebenso bei durch cariöse 
Zähne hervorgerufenen Neuralgien, hingegen ist es bei Zahnschmerzen 
ganz wirkungslos. Ein großer Vortheil des Butylchloral ist seine 
Anwendbarkeit bei Herzkranken. 

— Dr. Valude in Paris empfiehlt folgende Behandlung der 
Mouches volantes, die so häufig bei Kurzsichtigen und Erkrankungen 
der Augenmembranen Vorkommen. Er läßt täglich einige Tropfen 
einer Lösung von 

Rp. Kal. jodat.0’05 

Aq. destill.10 - 0 

in die betroffenen Augen einträufeln. Bei fortgesetzer Anwendung 
dieser Behandlung sollen die Mouches volantes verschwinden. 

— Dr. Oscar Kollmann berichtet in Nr. 47 der „Münch, 
med. Wochen8chr. u über einen Fall, in welchem die Wirkung d08 
Salipyrin (Antipyrinsalicylat) in einer für die Kenntniß dieses neuen 
Mittels nicht unwichtigen Weise hervortrat. Es handelte sich um 
ein 19jährige8 Mädchen, das an einer mit Fieber einhergehenden 
Periostitis scapulae litt. Es wurde nebst Inunctionen von Sapo 
viridis 3mal täglich durch 10 Tage je 1 Grm. Salipyrin verabreicht, 
unter welcher Behandlung eine auffallend rasche Resorption der 
Geschwulst eintrat. Am 11. Tage stellte sich Erbrechen, Uebelkeit, 
Mattigkeit, Fieber und ein Exanthem ein. Diese Erscheinungen ver¬ 
schwanden nach Aussetzen des Mittels. Da aber inzwischen das 
Fieber und die Geschwulst wieder Zunahmen, wurde am 21. October 
wieder 3mal täglich je 1 Grm. Salipyrin gegeben, worauf noch am 
selben Tage das Exanthem in erhöhtem Maße und größerer Aus¬ 
dehnung auftrat. Am 23. October trat Erbrechen, Sprach- und 
Bewußtlosigkeit auf, Mydriasis, unwillkürlicher Abgang von Harn 
und Stuhl, Spuren von Eiweiß und Zucker im Harn. Diese Er¬ 
scheinungen gingen allmälig zurück. Aus dieser Beobachtung zieht 
Verf. folgende Schlüsse: Daß das Salipyrin ein kräftiges Anti- 
pyreticum und Resolvens ist; daß seine Wirkung durch Reizung 
der Vasomotoren und seines Centrums entsteht; daß eine Tages 
dosis von G Gr. als Norm zu groß ist; daß selbst Tagesdosen von 
3 Grm. für gewisse Fälle höchst alarmirende Symptome hervorbringen ; 
daß bei Darreichung des Salipyrins streng zu individualisiren ist, 
d. i. daß man in jedem Falle mit kleineren Dosen beginnen muß, 
um die Resistenzfähigkeit des Individuums kennen zu lernen, 


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1989 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1990 


und bei den ersten unangenehmen Symptomen (hier das Erbrechen) 
sofort das Mittel aussetzen muß; daß das Salipyrin nicht lange 
fortgebraucht werden soll, da die Nachwirkung eine längere ist. 

— Als Beitrag zur Frage nach dem Uebergang von Typhus- 
bacillen von der Mutter auf den Fötus theilt Dr. Josef Giglio 
(Palermo) in Nr. 46 des „Ctbl. f. Gynflk.“ folgenden Fall mit: 
Eine Frau hatte ungefähr im 3. Monate der Schwangerschaft unter 
dem Einflüsse eines typhusartigen Infectionsfiebers (Temperaturen von 
38*5—40*5°, geringe Anschwellung der Milz, Meteorismus, Stuhl¬ 
verstopfung), an dem sie seit einem Monat litt, einen Abortus ohne 
äußere Veranlassung durcbgemacht. Der Fötus war in gutem Zu¬ 
stande und zeigte keine Spur von Fäulniß; er wurde in Alkohol 
gelegt, dann unter den nöthigen Cautelen zerschnitten. Von der 
Leber, Milz und den Eingeweiden, sowie vom Blute wurden auf 
Gelatine, Agar, Fleischbrühe und Kartoffeln Culturen angelegt, die 
sich vom EBKBTH’scben Typhusbacillus durch Nichts unterschieden. 
Sowohl das Wachsthum auf Gelatine und Kartoffeln, die lebhafte 
Beweglichkeit der Stäbchen, die Nichtentfärbung der farbigen Gela¬ 
tine, sowie das morphologische Aussehen sprechen für die Identität 
mit dem Typhusbacillus. Ein zweiter Beweis dafür ist die An¬ 
wesenheit der Bacillen im placentaren Gewebe und in den Blut¬ 
gefäßen, da sich in dem placentaren Strom doch nur von der Mutter 
herrührende Keime finden können Auch die Uebertragungsversuche 
auf Kaninchen und Meerschweinchen ergaben positive Resultate, und 
unterschieden sich die so erzeugten Veränderungen durch Nichts von 
den dureh den EBERTH’schen Typhusbacillus erzeugten. Es kann 
somit dieser Fall als ein sicherer Beweis für die Möglichkeit des 
Ueberganges von Typhusbacillen von der Mutter auf den Fötus an¬ 
gesehen werden. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 12. December 1890- 

Prof. HOFMOKL demonstrirt ein 5 Monate altes Kind, welches 
eine seltene angeborene Abnormität zeigt. Oberhalb der rechten 
Clavioula und in der Achselhöhle befindet Bich je eine apfelgroße 
Geschwulst, welche die Athembewegungen mitmacht, sich zuBammen- 
drttcken läßt, sich wie Lungenparenchym anfüblt und deren Aus- 
cultation Athemgeräusche wahrnehmen läßt. Es handelt sich offenbar 
um eine Lungenhernie. 

Prof. Hofmokl stellt ferner eine Frau vor, bei der er die 
Ven tro fixation des Uterus wegen starken Prolapses ausge- 
führt hat. Die Seidennähte wurden entfernt und die Pat. befindet 
sich jetzt, 6 Wochen nach der Operation, ganz wohl. Sie hat keine 
Schmerzen, hat schmerzlos menstruirt, der Uterus steht hoch. 

Prof. Weinlechner würde mehr Vertrauen in die Dauer der 
Heilung setzen, wenn die Seidennähte nicht entfernt worden wären. 
In einem von ihm mit Catgut genähten Fall tritt bereits wieder 
Reoidive ein. 

Prof. WEINLECHNER demonstrirt die Harnblase eines Mannes, 
dem er Papillome der Blase entfernt hatte, und der an Pyämie zu 
Grunde ging. Die Section zeigte, daß an den Stellen, wo die Papillome 
entfernt wurden, vollständige Heilung eingetreten war. Günstiger 
war der Erfolg bei einem zweiten vorgestellten,.39jährigen Kranken. 
Derselbe hatte Papillome der Blase und einen Prostataabsceß. Durch 
den Perinealschnitt wurde zunächst der Prostataabsceß eröffnet und 
ein dickes Drain in die Blase eingeführt. Nach einiger Zeit wurde 
dann der hohe Blasenschnitt gemacht und nicht nur die Papillome 
cauterisirt, sondern, da die ganze Blasenschleimhaut zottig aussah, 
diese in ihrer ganzen Ausdehnung mit dem Thermocauter verschorft. 
Drainage durch die Blase. Günstiger Verlauf. Heilung. 

Docent Dr. v. EiselsberG: Zur Therapie der tuberculösen 
Spondylitis. 

Vortr. erwähnt Eingangs der von Horsley und Mac Ewen 
inaugurirten chirurgischen Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 
In den Fällen , wo die tüberculöse Spondylitis keine weiteren Er¬ 
scheinungen macht, führt die übliche Behandlung (Entlastung und 
Ruhe) zum Ziele. In Fällen, die mit Absceßbildung verlaufen, ist, 


wenn der Absceß keine Beschwerden macht, die in den erstgenannten 
Fällen erwähnte Therapie ausreichend. Macht der Absceß Be¬ 
schwerden , so ist Punction mit nachträglicher lnjection von Jodo¬ 
formglycerin oder breite Spaltung, Ausräumung der pyogenen 
Membran, Anfüllung der Höhle mit Jodoformglycerin und Naht 
häufig von gutem Erfolge begleitet. 

In Fällen, wo die Spondylitis Lähmungen verursacht, ist eine 
radicale Therapie indicirt. Die Lähmungen gehen oft, bei einfacher 
Entlastung, zurück. Sobald aber auch Lähmungen der Blase und 
des Darmes dazukommen, ist ein chirurgischer Eingriff angezeigt. 
Dieser besteht in medianer Incision über der höchsten Kuppe der 
Kyphose, Entfernung der Proc. spinosi und transversi, resp. der 
cariöseu Wirbelstücke, und Excision der pachymeningitischen Schwielen. 
Diese letzteren und nicht die Compression seitens der Wirbel sind es, 
welche die Lähmung verursachen. 

Vortr. theilt 2 Fälle mit, bei denen Senkuugsabscesse mit 
Jodoformglycerin behandelt wurden, wo aber bald der Exitus letalis 
eintrat; ferner einige Fälle von retropharyngealen Abscessen. Diese 
letzteren empfiehlt er, von außen durch einen Schnitt zu eröffnen, 
der vom Proo. mastoideus bis zur Clavicula reicht. Diese Methode 
ist der Eröffnung vom Munde aus vorzuziehen, da bei der letzteren 
einerseits eine Infection der Wunde durch Mundbacterien, anderer¬ 
seits durch Aspiration oder Verschlucken von Tuberkelbacillen eine 
Weiter Verbreitung des tube culösen Processes zu Stande kommen kann. 

E. demonstrirt ein lOjähr. Mädchen, dem wegen einer arcuären 
Kyphose, die den 4.—8. Brustwirbel betraf und von vollkommener 
Paraplegie und Blasenlähmung begleitet war, die Dornfortsätze und 
die Wirbelbögen des 7.—11. Brustwirbels resecirt und eine paohy- 
meningitisohe Schwiele excidirt wurde. Wenige Tage darauf war 
die Funotionsfähigkeit der Extremitäten wieder hergestellt, und nach 
2 Monaten war die Kranke vollständig geheilt. Die pachymenin- 
gitische Schwiele muß in einer solchen Ausdehnung excidirt werden, 
bis unterhalb der erkrankten Stelle Pulsationen des Rückenmarkes 
beobachtet werden. 

Die Operation ist indicirt besonders in Fällen, in welehen der 
Allgemeinznstand ein relativ guter ist, Paraplegie und Lähmung der 
Blase besteht, dann in Fällen, wo eine genaue Untersuchung bei¬ 
läufig den Sitz der Erkrankung zu localisiren erlaubt. 

Contraindicirt ist die Operation bei älteren Leuten und in 
Fällen, in welchen bereits Tuberculose der Lungen besteht. Mit der 
Ausbildung der Heteroplastik und durch die Möglichkeit der Locali- 
sirung des tuberculösen Processes mittelst des KoCH’schen Heilmittels 
wird die chirurgische Behandlung der tuberculösen Spondylitis viel¬ 
leicht bessere Erfolge liefern. — 

Hofr. Billroth setzt aus pathologisch-anatomischen Gründen 
keine großen Hoffnungen in die Zukunft dieser Operationen. Ab¬ 
gesehen von der Erfahrung, daß viele solcher Fälle von selbst heilen, 
ist zu bedenken, daß der Eingriff ein schwerer und die Blutung 
eine recht bedeutende ist. Nicht in allen Fällen geht die Erkrankung 
von der vorderen Fläche der Wirbelkörper, sondern in manchen 
Fällen vom hinteren Theile aus; ferner läßt sich nicht im Vornhinein 
bestimmen, wie viel Knochen noch übrig geblieben ist, um den 
Wirbeln einen festen Halt zu bieten. 

Prof. v. SCHRÖTTER macht einige Bemerkungen über das Koch- 
sche Heilverfahren. Das Kochin ist nach seiner Ansicht ein 
unschädliches Mittel, wenn es richtig angewendet wird. Er fängt mit 
sehr kleinen Dosen (1 Milligr.) an und steigt nur ganz allmälig. 
Was die diagnostische Bedeutung des Mittels betrifft, so hat er 
Reaction nur bei tuberculösen Erkrankungen gesehen. Zu Heil¬ 
zwecken wurde das Mittel in leichteren und schwereren Fällen von 
Larynx- und Lungentuberculose angeweudet. Bei Kehlkopftuberculose 
konnte er nach den Injectionen gar keine Veränderungen im Larynx 
wahrnehmen. Auch in den Lungen ließ sich, außer einer Vermehrung 
des Auswurfes, keinerlei Veränderung, namentlich keine Zunahme 
der Verdichtungserscheinungen, constatiren. Trotz guter Verpflegung 
trat in allen Fällen eine Abnahme des Körpergewichtes 
ein. Einen sicheren Einfluß hat das Mittel auf die Tuberculose der 
äußeren Haut. Ueber die Heilwirkung kann erst eine längere Beob¬ 
achtung Aufschluß geben. 8. 


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1991 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1992 


Laryugologische Gesellschaft zu Berlin. 

fOriginal-Bericht der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 5. December 1890 in der Klinik des Dr. W. Lkvy. 

Dr. W. Lublinski berichtet Ober weitere Erfahrungen mit dem 

KoCH’SChen Verfahren. (In extenso an anderer Stelle dieser 

Nummer mitgetheilt.) 

Dr. GbabOWER demonstrirt eine Reihe von Erkrankungen an 
Kehlkopftuberculose, welche seit 4—5 Wochen unter seiner 
Beobachtung stehen, eine Beobachtungsdauer, welche wohl als die 
längste fflr alle bisher mit dem KccH’schen Mittel behandelten Fälle 
von Larynxtuberculose verzeichnet werden muß. 

Zunächst eine 31jährige, hereditär stark belastete Patientin, 
welche mit Infiltration beider Lungenspitzen und mäßiger Zahl von 
Tuberkelbacillen im Sputum am 9. November in die Station aufge¬ 
nommen wurde. Im Kehlkopf bestand eine exquisite Initialerschei¬ 
nung der Tuberculose: eine auf der vorderen Fläche der hinteren 
Larynxwand hart aufsitzende, sieh mächtig über die Schleimhaut 
erhebende, grauweiße, tuberculöse Infiltration mit theils glatter, theils 
gezackter Oberfläche und fester Consistenz; in der Breite dehnte 
sich dieselbe über den ganzen Raum zwischen den hinteren Enden 
beider Stimmbänder aus (an einer Zeichnung demonstrirt). 

Die Patientin erhielt bis jetzt 8 Injectionen von 0*01 bis all- 
mälig ansteigend 0 04. Nach der ersten Injeotion zeigte sich eine 
stärkere Durchfeuchtung der Infiltration. Nach der zweiten Injection 
trat eine auffallende Verkleinerung derselben ein, die Infiltration fiel 
gewissermaßen in sich zusammen. Man sah nunmehr nicht wie 
früher eine Erhebung, sondern nur noch eine Auflagerung auf der 
Schleimhaut, welche sich nach weiterer Injection mehr von den 
Seiten nach der Mitte zurückzog und nach den letzten Injectionen 
sich in einzelne kleine Inselchen zerklüftete. Jetzt sieht mannur noch 
einen dünnen, aus grauweißen Spitzchen zusammengesetzten Belag, 
welcher etwa so aussieht, wie eine epidermoidale Verdickung der Schleim¬ 
haut. Gbabower macht bei Besprechung der Dosirung darauf aufmerksam, 
wie sehr die Patienten sich an das Mittel gewöhnen, und erklärtauf 
Grund seiner Erfahrungen, daß man bei Kehlkopf- undLungentuberculose 
dreist mit 5 Milligrm. beginnen und bald zn 0*01 ansteigen darf. 
Nur in denjenigen Fällen, wo Complication en mit 
tuberculösen Drüsenschwellungen vorliegen — wie 
bei einer weiterhin von Gbabower vorgestel Iten 
Patientin — dürfe man nur mit 1 Milligrm. beginnen 
und müsse auch bei weiteren Injectionen noch lange 
bei dieser Dosis verharren. Denn die von ihm bei dieser 
Complication gesehenen Reactionserscheinungen sind sowohl, was 
Fieberhöhe, als auch Allgemeinstörungen, besonders Alterationen der 
Herz- und Nierenthätigkeit anbetrifft, außerordentlich heftige. Auch 
der Heileffect ist bei tuberculösen Drüseuschwellungen bei Anwen¬ 
dung der genannten kleinen Dosis ein ungleich größerer als sonst; 
mau sieht nach einer solchen Injection tuberculÖBe Drüsen um das 
4facbe bis 3fache ihres Volumens zurückgehen; einen annähernd 
ähnlichen Heileffect fand Gbabower darin, daß bei den genann¬ 
ten Gebilden, Drüsen und Wulstungen, das tuberculöse 
Gewebe in compacter Masse auf einemkleinen Orte 
concentrirt ist und daher das eingespritzte Virus 
ein großes Angriffsobject auf kleinem Raume hat, 
auf welches es schneller und ergiebiger zerstörend 
einwirken kann zum Unterschied von den zerstreut 
in anderen Organen befindlichen isolirten kleinen 
Herden, welche das Mittel sich erst mühsam und all- 
mälig aufsuchen muß. 

Einiges Licht auf das Zustandekommen des Heilungsprocesses 
wirft die von Gbabower wiederholt in dem vorgestellten Falle ge¬ 
machte Wahrnehmung, daß am Tage nach der Reaction sich auf 
der Infiltration eine graue, einer dünnen Speckmembran ähnliche 
Auflagerung zeigte, welche einmal an einer Stelle ihres Umfanges 
buckelig abgehoben war; nach einigen Stunden war die membranöse 
Auflagerung verschwunden und darunter die feinen Zacken der In¬ 


filtration sichtbar. Aehnliohes wurde anch bei lupösen Erkrankungen 
der Conjunctiva am Tage nach der Reaction wahrgenommen. 

Bei der Patientin hat die Zahl der Tuberkelbacillen im Sputum 
beträchtlich abgenommen, eine Dämpfung in der rechten Spitze hat 
sich nicht unbeträchtlich aufgehellt, und ebendaselbst ist, während 
früher ein unbestimmtes Inspirationsgeräusch gehört wurde, jetzt 
deutliches vesiculäres Atbmen zu hören. Die früher zahlreichen 
klingenden Rasselgeräusche sind seltener geworden. Der am Tage 
nach der Reaction untersuchte Urin enthielt kleine Mengen von Eiweisa. 

Diesem bis jetzt schon außerordentlich günstig verlaufenden 
Fall von Initialtuberculose de3 Larynx und der Lungen reiht 
Gbabower einen anderen an, in welchem bereits seit 2 1 / % Jahren 
Lungentuberculose und seit 1 1 / a Jahren Kehlkopftuberculose besteht. 
Er betrifft einen 31jährigen Arbeiter, dessen ganze linke Lunge 
und die Spitze der rechten infiltrirt ist, der sehr reichliche Tuberkel¬ 
bacillen im Sputum aufweist und in dessen Kehlkopf sich neben 
alten narbigen Einziehungen an beiden Stimmbändern ein tieferes 
und ein flacheres Ulcus an der hinteren Kehlkopfwand fanden. Das 
tiefere Ulcus zeigte einen dicken, wulstigen unebenen Rand, das 
flachere war am Rande gezackt. Außerdem waren starke Schwel¬ 
lungen der Schleimhaut der Aryknorpel und der Interarytaenoidfalte, 
sowie der Taschenbänder vorhanden. 

Das Resultat nabh nunmehr 9 Injoctionen war, daß zunächst 
die Schwellungen bedeutend abnahmen, die Geschwürsränder sich 
zum großen Theil abstießen und die Secretion der Geschwüre nach¬ 
ließ, ein für die kurze Zeit der Behandlung bei so vorgeschrittener 
Erkrankung sehr bemerkenswerther Erfolg. 

Der dritte von Dr. Gbabower vorgestellte und sorgfältig 
beobachtete Fall erregte ein ganz besonderes Interesse. Er betraf 
ein 14jähriges Mädchen, welches an Lupus des Rachens, des Kehl¬ 
kopfes und eines Theiles der Nasenschleimhaut leidet, verbunden 
mit sehr starken tuberculösen Drüsenschwellungen am Halse, mit 
lupösen Geschwüren an der Wange und lupösen Wucherungen an 
der Conjunctiva des rechten unteren Augenlides. Die Schleimhaut 
der Uvula des. Rachens his hinauf zum JRachendaoh und des Kehl¬ 
kopfes in allen seinen einzelnen Theilen waren mit einer sehr großen 
Zahl von Körnchen und Buckeln dicht besetzt und stark geschwellt; 
auch auf der Schleimhaut der linken unteren Muschel saßen zahl¬ 
reiche körnige, lupöse Wucherungen. Es wurden bis jetzt im Ganzen 
3 Injectionen gemacht, jede nur von 0*001 des Mittels. Die Reaction 
nach jeder Injection war eine sehr heftige und bestand in einem 
über eine Stunde anhaltenden heftigen Schüttelfrost mit leichter 
Cyanose im Gesichte einer darauffolgenden Temperaturerhebung bis 
zu 41°, welche nach ihrem Abfall noch am selben Tage zweimal 
wieder anstieg und auch am nächsten Tage noch nicht zur Norm 
zurückgekehrt war, und einem großen, mehrere Tage anhaltenden 
Mattigkeitsgefühl. Der locale Erfolg war überraschend. Man sieht 
jetzt an zahlreichen Stellen, wo früher Erhebungen saßen, dellige 
Vertiefungen und Ulcerationen, überall haben sich lupöse Knötchen 
in großer Zahl abgestoßen, die Drüsen haben sieh bedeutend ver¬ 
kleinert, die Ulcera im Gesichte verflacht und die lupösen Wuche¬ 
rungen auf der Conjunctiva um ein Beträchtliches verringert. Um 
über das Wesen des Heilungsvorganges näheren Aufschluß zu er¬ 
halten, hat Gbabower einen Tag nach der Reaction ein Stück aus 
der lupösen Wucherung der Nasenschleimhaut exstirpirt, gehärtet 
und nach Einbettung in Celloidin gefärbt. Die vorgelegten Präparate 
zeigten einen frappanten Unterschied gegen sonstiges lupöses Ge¬ 
webe, indem die Rundzelleninfiltration sich viel massen¬ 
hafter und ganz gleichmäßig Uberdas ganze Gesichts¬ 
feld angeordnet fand. Dr. Gbabower führte aus, daß, 
während sonst die Knötchenform vorherrscht und die Zelleninfiltration 
dagegen zurücktritt, bei den vorgelegten Präparaten im Gegentheil 
die Knötchen gegen die massenhaften Rundzellen stark zurücktreten, 
ein Beweis dafür, daß der Heilungs Vorgang durch 
massenhaften Austritt weißer Blutkörperchen einge¬ 
leitet wird (Demonstration der Patientin). 

Die Discussion über diese Vorträge wurde für die nächste 
Sitzung anberaumt. —r. 


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1993 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1994 


Dermatologische Vereinigung zu Berlin. 

(■Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Versammlung am 2. December 1890 im pharmakologischen Institute. 

(Schluß.) 

Discussion Aber den Vortrag des Prof. G. Lewin. *) 

Dr. 0. Rosenthal demonstrirt drei Fälle von Lupus vul¬ 
garis, welche mit KoCH’scher Flüssigkeit behandelt worden sind. 
Im ersten Falle von Lupus der ganzen Oberlippe bis zum Nasen¬ 
gang zeigte sich nach der gestrigen lnjection eine sehr heftige 
Reaetion. — Im zweiten Falle, welcher seit 8 Tagen mit Injectionen 
behandelt ist, sind glatte weiße Narben wahrnehmbar, welche sich 
über die ganze linke Wange vom Ohr bis zur Nase hin ausdehnen. 
Die erste lnjection betrug 5 Mgr., die zweite 1 Cgrm., dann 2 Mal 
2 Cgrm. Die AUgemeinreaotion war sehr bedeutend, nicht minder 
die locale Reaetion. Man kann schon während der relativ kurzen 
Zeit der Behandlung von einem curativen Erfolge sprechen. Es 
besteht jetzt ein Lopus exfoliativus, ein Theil der Knötchen ist 
gänzlich verschwunden, ein Theil trocknet ein und exfoliirt. Der 
dritte Fall, eine seit 9 Tagen in Behandlung befindliche Frau, zeigt 
Lupus beider Ohrmuscheln und der angrenzenden Theile der Wange. 
Diese Patientin zeigte keine allgemeine, sondern nur eine örtliche 
Reaetion. Auch der gleichzeitig bestehende Lupus der Conjunctiva 
hat sehr lebhaft auf die lnjection roagirt. Auch anscheinend gesunde 
Partien hinter der Ohrmuschel schwollen an, wodurch auch hier 
Tuberkelknötchen constatirt werden konnten. Außerdem trat nach 
jeder lnjection ein Erythem auf. 

Prof. Köbner constatirt, daß wir trotz der großen Zahl der 
Fälle von Lupus, welche in den letzten Wochen nach der KocH’schen 
Methode behandelt worden sind, auch nicht in einem einzigen Falle, 
selbst nach 13—15 Injectionen, eine complete Heilung haben wahr¬ 
nehmen können. Dennoch ist für jeden 8achkenner die specifische 
Reaetion ausschließlich des lupösen Hautgewebes eine so auffallend 
deutliche und das Markirtwerden einzelner unserem Auge sonst nicht 
sichtbarer, inmitten alten Narbengewebes placirter Knötchen «in© so 
prägnante, daß diese TbatBache allein schon epochemachend Bein 
wird in der Therapie der Dermatologie, auch wenn sich nicht die 
glänzende Aussicht für die Heilung des Lupus vulgaris eröffnen 
würde. Die KoCH’sclie lnjection hat die experimentelle Probe auf 
das Exempel geliefert, und ein für alle Mal ist die Frage der 
ldentificirung des Lupus mit Tuberculose der Haut für uns und gegen 
die Wiener Schule, speciell gegen Kaposi, Schwimmer, sowie Vidal 
entschieden. Redner erwähnt, daß bei dem Zweitältesten Patienten 
des Dr. Lewt ungefähr zwischen der 10. und 13. lnjection neue 
Gruppen von Knötchen aufgetreten, also ein Recidiv noch während 
der Fortsetzung der Cur und bei erhöhter Temperatur aufgetreten ist. 

Der von Herrn Lewin vorgestellte erste Fall erscheint nicht 
geeignet, die bisherige Scheidung zwischen dem tuberculösen Lupus 
der Haut und dem Lupus erythem. hinwegzuräumen. Der Fall macht 
eher den Eindruck eines Lupus vulgaris, weil Pat. seit ihrem 
5. Lebensjahre an der Affection leidet und diese nur auf zwei kleine 
Stellen der Wange beschränkt ist. 

Dr. Lassar beschränkt sich seit einigen Wochen auf die Be¬ 
obachtung von Lupus erythem. In einem solchen mit Caroinom ver¬ 
bundenen Falle hat der Lupus ganz evident auf die lnjection reagirt, 
während das Carcinom ganz unverändert geblieben ist. Die Frage 
des Lupus erythem. wird an der Hand dieses diagnostischen Mittels 
von so hoher Dignität vielleicht leichter als bisher zu lösen sein, 
doch ist Redner trotz einer Reihe von Injectionen noch nicht zu 
einem abschließenden Urtbeil gelangt. Es müssen hier noch etwas 
complicirtere Verhältnisse vorliegen. So viel steht aber nach einer 
3*/,wöchentlichen Beobachtung von 4 Pat. fest, daß der Lupus 
erythem. keinesfalls so reagirt wie der Lupus vulgaris. In Fällen, 
in welchen der Lupus eryth. die typische Reaetion nach 6 Stunden 
zeigt, würde Redner gewisse Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose 
haben. Der erste Fall von Lupus eryth. zeigte nach der lnjection 
Fiebererscheinungen bis 38-3 mit unregelmäßigem Typus (Eintritt j 


*) S. „Wiener Med. Presse“ Nr. 49. 


des Fiebers erst in der folgenden Nacht). Nur an einer kleineu 
Stelle am Ohre zeigte sich eine geringe Reaetion. Der zweite Fall 
ist besonders typisch durch den über den ganzen Körper und das 
Gesicht disseminirten Lupus eryth. Nach lnjection von 2 Cgrm. ist 
auch nicht die geringste Fieberreaction erfolgt, nur soll das bis 
dahin vorhandene starke Jucken seitdem verschwunden sein. Eine 
dritte Pat. mit Lupns eryth. bekam eine stark fieberhafte Reaetion, 
aber nicht die leiseste Veränderung der erkrankten 8tel!en. Eine 
vierte Pat. reagirte ebenfalls nicht auf die verschiedenen Injectionen. 
Allerdings ist der Lupus eryth. zunächst stark abgeblaßt, wenige 
Tage später aber wieder roth geworden. Es handelt sich hier also 
um Erscheinungen, auf welche man im Verlaufe eines Fiebers früher 
nicht geachtet hat. Soviel geht aber aus den bisherigen Beobach¬ 
tungen des Vortragenden hervor, daß eine ldentificirung des Lupus 
eryth. mit dem Lupus vulg. nicht die geringste Bestätigung findet 
und daß das speciell Diagnostische hier eine neue Basis gewinnt. 

Dr. 0. Rosenthal berichtet über 3 ganz ausgesprochene 
Lupus eryth.-Fälle von Neisser. Bei sämmtlichen drei Pat. keine 
örtliche Reaetion, bei zwei weiblichen Patienten nach lnjection von 
5 Mgrm. beträchtliche Temperatursteigerung ohne Allgemeiner- 
scheinungen. 

Doc. Dr. G. Brhrend hält den Lupus eryth. überhaupt nicht 
für Lupus, sondern für eine oberflächliche Hautentzündung. Er warnt 
vor einem zu frühzeitig abschließenden Urtheil. Das KocH’sche Mittel 
ist im Stande, Lupns nicht allein leichter diagnosticiren zu lassen, 
sondern auch gewisse Erscheinungen zur Heilung zu bringen. Welche 
Erscheinungen dies sind, wird erst eine Jahre lange Beobachtung 
erweisen können. 

Prof. G. Lewin : Daß es sich in dem vorgestellten Falle in 
der That um Lupus eryth. gehandelt hat, beweist das Fehlen aller 
Knötchen sowohl an der erkrankten Stelle, als in deren Umgebnng, 
der Mangel der Knötchenulceration und die fehlende Hautzerstörung, 
Erscheinungen, welche bei Lupus vulgaris immer gefunden werden. 

Dr. Saalfeld stellt noch einige Fälle von Lupus vul¬ 
garis vor, bei denen durch Excision, bezw. methodische Auslöffelung 
mit folgender Paquelinbehandlung ein recht gutes Resultat erzielt 
worden ist. 

Dr. Isaac stellt einen Fall von Acne varioliformis an 
den Streekseiten der Extremitäten bei einem 8jährigen Mädchen vor. 

—r. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4.—9. August 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XVII. 

Aus den Sectionen. 

Sectlon für innere Medicin. 

Naunyn (Straßburg): lieber die Bildung der Gallensteine. 

Für die Behandlung der Cholelithiasis ist die Frage nach der 
Bildung und dem Wachsthum der Gallensteine von besonderer 
Wichtigkeit. Die Erkrankung der Schleimhaut der Gallenwege ist 
hauptsächlich als Ursache der Gallensteinbildung zu bezeichnen, 
keineswegs aber werden die Steinbildner ohne Weiteres aus der 
Gallenblase niedergeschlagen und krystallisirt, vielmehr sind die 
fertigen Gallensteine meist metamorphotische Gebilde. Sie zeigen 
einen gut charakterisirten Kern und eine verhältnißmäßig dünne 
Schale. Ursprünglich war der Kern eines solchen Gallensteines 
breiig weich und wurde erst allmälig mit Cholesterin infiltrirt. Indem 
fortwährend Cholesterinmassen in den Stein eindringen, kommt es 
zu einer allmäligen Versteinerung. Das Cholesterin selbst hat haupt¬ 
sächlich aus krankhaften Theilen der Galle seinen Ursprung. 

G. Harley (London): lieber die Behandlung der Gallensteine. 

Harlky’s „Digital-Manipulation“ zur Entfernung aller Art 
von Gallenconcrementen aus der Gallenblase besteht darin, daß man 
in Rückenlage des Patienten einen allmälig gesteigerten Druck auf 
den Fundus der erweiterten Gallenblase ausübt. Redner demonstrirt 
eine größere Anzahl solcher einzig und allein durch diese Methode 


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199B 


' 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


1996 


aus den Gallengängen heransgepreßter Gallensteine von beträchtlicher 
Größe, welche Bich meist 40—20, bezw. 10 Stunden nach An¬ 
wendung des Druckes im Stuhl vorfanden, nicht selten schon nach 
einer einzigen Sitzung. Daß in der That die Digital-Manipulation 
den Durchgang der Gallenconcremente in den Darm bewirkt, geht 
unzweifelhaft daraus hervor, daß in kürzester Zeit eine beträchtliche 
Volnmenverminderung der Gallenblase nachweisbar war und gleich¬ 
zeitig die bis dahin vollkommen vermißte gallige Färbung des 
Stuhles in reichlicher Weise eintrat. 

Eine Contraindioation für die Anwendung der von Harley 
geübten Compressionsmethode, welche im Grunde genommen nichts 
Anderes als eine Nachahmung der von der Natur selbst gemachten An¬ 
strengungen zur Entfernung der die Passage versperrenden Fremd¬ 
körper ist, ist dann gegeben, wenn die Befürchtung vorliegt, es 
könnten durch die mit der Methode verbundenen Manipulationen 
ulcerative Processe in der Gallenblase oder in den Gallengängen 
hervorgerufen werden. 

Petresco (Bukarest): lieber die Behandlung der Pneumonie mit 
Digitalis in großen Dosen. 

Petresco hat als Generalarzt der rumänischen Armee viele 
hundert Fälle von fibrinÖBer oder croupöser, d. h. rein entzündlicher 
Erkältungspneiimonien zu behandeln Gelegenheit gehabt und stellt 
auf Grund seiner Beobachtungen folgende Thesen auf: 

1. Die Pnenmonie kann durch große, im Beginn der Krank¬ 
heit gegebene Digitalisdose coupirt werden. 

2. Diese Abortivbehandlung ist die rationellste, denn sie 
beruht auf der pathogenen Indication der Pneumonie. 

3. Die Wirksamkeit dieser Behandlung wird durch die Statistik 
bestätigt; die niedrigste Mortalität wird bei den mit großen Dosen 
Digitalis behandelten Pneumonien beobachtet. 

4. Die Dosis von 4—8 Grm. Fol. digital, im Infus pro die 
(halbstündlich 1 Eßlöffel) ist die therapeutisch wirksame Dosis bei 
der Pneumonie der Erwachsenen; von dieser Dosis allein haben 
wir das Recht, sofortige Heilwirkungen zu erwarten. 

5. Die Toleranz und die Nichtgiftigkeit dieser therapeutischen 

Dosis wird in unbestreitbarer Weise durch mehr als 600 mit alleu 
Einzelheiten von Redner und seinen Schülern veröffentlichten Fällen 
von Pneumonie bewiesen. —r. 


Notizen. 

Wien, 13. December 1890. 

Das Koch’sche Heilverfahren. 

Die bereits angekündigte Verordnung desMinisteriums 
des Innern, „betreffend die Anwendung des von Prof. Dr. Koch 
in Berlin entdeckten Heilmittels gegen Tuberculose“ ist nunmehr 
amtlich verlautbart worden. Sie hat folgenden Wortlaut: 

„Da das von Prof. Dr. Koch in Berlin entdeckte Heilmittel 
gegen Tuberculose nach dem Gutachten des Obersten Sanitäts- 
rathes ein werthvolles Hilfsmittel zur Diagnose und ärztlichen 
Behandlung tuberculöser Erkrankungen darstellt, derzeit jedoch 
noch ein Geheimmittel ist, und durch seine Anwendung zu 
Heil versuchen unter Umständen sehr heftige und selbst lebens¬ 
gefährliche Wirkungen auf den Organismus erfolgen können, 
findet das Ministerium des Innern, um das Studium der Wirkungs¬ 
weise, sowie die rationelle Anwendung dieses Mittels zum Wohle 
der mit tuberculösen Erkrankungen behafteten Hilfsbedürftigen 
zu ermöglichen und zu fördern, zugleich aber den in Folge des 
Gebrauches dieses Mittels möglicherweise eintretenden Gefahren 
vorzubeugen, bis auf Weiteres nachstehende Anordnungen zu 
treffen: 

1. Der Bezug des obgedachten Heilmittels ist nur aus den 
von der königl. preußischen Staatsverwaltung autorisirten Er- 
zeugungs- und Versandstätten und bis auf Widerruf nur den 
Vorständen von Heilanstalten und wissenschaftlichen mt diciniscben 
Instituten, sowie den zur Praxis in den imReichsrathe 
vertretenen Königreichen und Ländern berech¬ 
tigten Aerzten gestattet. — Im Falle nachgewiesenen 


Mißbrauches der Befugniß zum Bezüge und zur Anwendung 
dieses Mittels kann dieselbe von der politischen Landesbehörde 
unter Offenlassung des Recurses an das Ministerium des Innern 
entzogen werden. 

2. Die Anwendung des Heilmittels am Menschen darf nur 
unter der Voraussetzung der zuverlässigen Provenienz 
und der auch in der nothwendigen Verdünnung unverdorbenen 
Beschaffenheit desselben, sowie unter allen durch die wissen¬ 
schaftliche Erfahrung gebotenen Vorsichten stattfinden. — Die 
ambulatorische Behandlung von Kranken mit diesem 
Mittel ohne gesicherte ärztliche Ueberwaohung derselben zum 
Zwecke der - eventuell nothwendigen ärztlichen Hilfeleistung wäh¬ 
rend des nach Einführung des Mittels in den Körper eintretenden 
Reactionsstadiums ist verboten. 

3. Alle Aerzte sind verpflichtet, über die Behandlung von 
Kranken mit diesem Heilmittel genaue Aufzeichnungen za führen 
und über Aufforderung der politischen Behörde 
sachliche Auskünfte zu geben, sowie sich hinsichtlich der Pro¬ 
venienz des angewendeten Heilmittels auszuweisen. 

4. Jene Aerzte, welche nicht als klinische Vorstände von 
Heilanstalten an medicinischen Facultäten oder als Abtheilungs¬ 
vorstände in den der Staats- oder Landesverwaltung unmittelbar 
unterstehenden Krankenanstalten bestellt sind, sind gehalten, 
die Inangriffnahme der Krankenbehandlung unter 
Anwendung dieses Heilmittels der zuständigen 
politischen Behörde anzuzeigen. 

5. Von jedem Todesfälle, welcher nach Anwendung des 
Heilmittels im Reactionsstadium oder in Folge desselben statt¬ 
findet, hat der verantwortliche Arzt — in Heilanstalten durch 
Vermittlung der Direction derselben — der politischen Behörde 
unter genauer Angabe aller in Betracht kommenden Umstände 
ungesäumt die besondere Anzeige zu erstatten. 

6. Der politischen Behörde obliegt es, wahrgenommene 
Mißbräuehe und Unzukömmlichkeiten in der Gebahrung mit dem 
Heilmittel abzustellen, die Beobachtung der vorstehenden Be¬ 
stimmungen zu überwachen und in Uebertretungsfällen nach den 
einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, bezw. nach der Mi- 
nisterial-Verordnung vom 30. September 1857, R. G. Bl. 198*) 
vorzugehen. 

7. Diese Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Kund¬ 
machung in Kraft.“ 

Wie aus den einleitenden Worten der Verordnung ersiohtlioh, 
hat dieselbe den Zweck, die Modalitäten der ärztlichen Anwendung 
eines Geheimmittels festzustellen und Mißbräuchen desselben 
vorzubeugen. Es muß zweifelsohne die Berechtigung dm 1 politischen 
Behörden als Sanitätsstellen anerkannt werden, in einem so ganz 
exceptionellen Falle jene Vorsichtsmaßregeln zu treffen, welche ge¬ 
eignet erscheinen, die Verwendung eines seiner Zusammensetzung 
nach vorläufig unbekannten, in seinen Wirkungen noch nicht ge¬ 
nügend erprobten Mittels unter eine gewisse Controle zu stellen; es 
kann auch nicht geleugnet werden, daß das in Alinea 2 der Ver¬ 
ordnung enthaltene Verbot der ambulatorischen Behandlung durch 
die dem Grade und der Zeit nach nicht mit Sicherheit vorher za 
bestimmende Reaction begründet ist, wenn wir auch die Substituirung 
des Wortes „verboten“ durch den milderen Ausdruck „unzulässig“ 
vorgezogen hätten ; es ist ferner nur eine Consequenz des Erörterten, 
wenn die Verordnung die Anzeige der „Inangriffnahme der 
Krankenbehandlung unter Anwendung dieses Heilmittels“ — 
also nicht, wie befürchtet wurde, die specielle Anzeige jedes Einzel¬ 
falles — verlangt: wir können die Verordnung daher weder als 
Eingriff in das Recht der freien Ausübung der Praxis, noch in das 
der freien Forschung betrachten, welche ja nicht allein an Faeultäte- 
instituten und Staatsanstalten, sondern au jedem Krankenbette geübt 

*) Die citirte Verordnung lautet: „Alle Handlungen oder Unterlassungen, 
welche durch die bestehenden Gesetze oder von den Behörden innerhalb ihres 
Wirkungskreises erlassene Verordnungen zwar im Allgemeinen als strafbar, 
oder doch aus polizeilichen oder anderen öffentlichen Rücksichten als gesetz¬ 
widrig erklärt sind, ohne daß in den darüber erlassenen Verordnungen eine 
bestimmte Strafe dagegen verhängt erscheint, sind, insoferne das allgemeine 
Strafgesetzbuch auf dieselben keine Anwendung leidet, mit Geldstrafen 
von 1—100 H. oder mit Arrest von 6 Stunden bis 14 Tagtn'zu ahnden.“ 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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wird. Die Verordnung stellt daher auch keineswegs, wie behauptet 
wird , eine Beleidigung der praktischen Aerzte dar; sie ist nichts An¬ 
deres als das Mittel, welches den Sanitätsbehörden eine Art Controle 
der Anwendung eines Geheimmittels ermöglicht, das — worüber ja 
kein Zweifel bestehen kann — in den ersten Anfängen wissenschaft¬ 
licher Prüfung sich befindet. 

Wenn in der Ministerialverordnung eine Gefährdung der 
Interessen der praktischen Aerzte befürchtet wird, wenn die Letzteren 
gleichsam instinctiv gegen dieselbe Stellung Dehmen, so ist die Be¬ 
rechtigung zu diesem Vorgehen in principiellen Gründen zu suchen. 
Wie es das erstemal geschieht, daß ein unbekanntes Heilmittel, wenn 
auch unter gewissen Cautelen, officiell zugelassen wird, so sehen sich 
die praktischen Aerzte zum erstenmale in ihrer Thätigkeit am Kranken¬ 
bette durch Verfügungen der politischen Behörde an gewisse Voraus¬ 
setzungen gebunden. Man fürchtet die Schaffung eines Präjudizes. 
Man fürchtet, ein künftiger Oberster Sanitätsrath könnte, mit Hinweis 
auf die jüngste Verordnung, eines Tages den Beschluß fassen, es sei 
die Behandlung dieses oder jenes Leidens nur in Krankenhäusern 
und Sanatorien, nicht aber in den Wohnungen der Krankeu zu 
gestatten, es sei den praktischen Aerzten überhaupt verboten, 
diesen oder jenen Eingriff vorzunehmen, falls sie nicht vorher 
die Genehmigung der politischen Behörde ein geholt haben. 
Und doch entbehren diese Befürchtungen jedweder Grundlage. 
Ausnahmezustände können Ausnahmsverordnungen wünsohenswerth 
machen; nie und nimmer aber darf eine behördliche Ausnahms¬ 
verfügung dieser Behörde das Recht eines Eingriffes in die freie Aus- 
bung des ärztlichen Berufes, ärztlicher Forschung vindiciren. Frei, wie 
die Wissenschaft nnd ihre Lehre, ist die Thätigkeit des zur Praxis zu¬ 
gelassenen Arztes; nach wie vor ist er nur sich und dem Richter 
für sein Thun und Lassen verantwortlich. 

Auch das KocH’sche Verfahren wird in dem Augenblicke un¬ 
geschmälertes Gemeingut aller Aerzte sein, in welchem der große 
Bacteriologe die Zusammensetzung und Herstellung seines Mittels der 
Welt verkündet haben wird. Unbedeutende, von den Sanitätsbehörden 
im Interesse der Gesamratheit vorläufig auferlegte Unbequemlich¬ 
keiten*) sollten uns daher nicht verstimmen. Bilden sie doch weder 
für die Gegenwart, noch für die Zukunft eine Beeinträchtigung Jener, 
welche die Früchte wissenschaftlicher Forschung an das Kranken¬ 
lager zu tragen berufen sind, der praktischen Aerzte. 

* # 

* 

Wir haben in Nr. 47 über die Technik der KüCH’schen 
Injectionen ausführliche Mittheilungen gebracht. Die „St. Petersburger 
med. Wochenscbr.“ ist nun in der Lage, Uber die beste Methode 
der Herstellung von Verdünnungen des KocH’schen Mittels 
zu berichten, wie sie an Fräntzel’s Klinik in Berlin geübt wird. 
Vorräthig sind: 

1. eine 1 / % °/ 0 wässerige Carbollösung; 

2. 2—4 mittelgroße Reagensgläser; 

3. ein leeres Wasserglas mit Watte auf dem Boden (zum 
Hineinstellen der Reagensgläser); 

4. Alkohol, absol.; 

5. eine Spirituslampe; 

6. KoCH’sche Spritze, mit Alkohol, absolut, ausgespritzt. 

Die leeren Reagensgläser werden mit Wattebäuschchen tüchtig 
zugepfropft und dann wird die Sterilisation vorgenommen. Hiezu 
faßt man das Reagensglas zwischen 2 Fingern oben und erwärmt 
den unteren Theil über der Spiritusflamme ziemlich stark (d. h. man 
durchglüht), dann allmälig aufsteigend, soweit die Finger dies 
gestatten, auch die höher liegenden Theilc. Darauf faßt man mit 
einem Tuche den basalen Theil des Gläschens und erwärmt in 
gleicher Weise den oberen zugepfropften Theil, wobei man riskirt, 
daß die daB Gläschen zum Theil überragende Watte anbrennt, oder 
daß die inwendig befindliche Watte sich bräunt, was beides nicht 
schadet. In dieser Weise behandelt, sind die Gläser steril und werden 
in’s Wasserglas gestellt. Darauf wird die Verdünnung der primitiven 

*) Die Berliner Aerzte sind, einer neuerlichen Verfügung der Polizei¬ 
behörde zu Folge, gehalten, alle in „dem öffentlichen Verk hre dienenden 
Aufenthaltsorten“ vorkommenden Fälle von Lungen-, Kehlkopf- nnd Darm- 
tuberculose znr Anzeige zu bringen. 


KocH’schen Flüssigkeit vorgenoramen, wobei zu empfehlen ist, sowohl 
die Verdünnung, als auch die Injection mit ein und derselben Spritze 
vorzunehmen, da die letzteren durchaus nicht immer genau graduirt 
sind, und man nur auf diese Weise eine richtige Dosirnng erzielen 
kann. Man saugt also vorsichtig und langsam 0*5 der KocH’schen 
Flüssigkeit in die Spritze auf, öffnet rasch eines der Reagensgläschen, 
was am besten von einem Gehilfen geschieht, entleert darin den 
Inhalt der Spritze, worauf sowohl die KocH’scbe Flüssigkeit, als 
auch das Reagensglas wieder rasch zugekorkt werden müssen. 

Jetzt fügt man in derselben Weise zu den 05 Grm. noch 
4*5 Grm. VaVo Carbollösung, d. h. 4 1 /,, ganze Spritzen X 1*0 Grm., 
und verschließt wieder rasch das Reageusglas. Man gewinnt somit 
eine Verdünnung, 

wo in 5 - 0 der Spritze = 0‘5 der K.’scheu Fl. enthalten ist, 
also in 10*0 „ „ = l’O „ „ „ = 10°/ 0 Lösung. 

Eine volle 10 Spritze von dieser Lösung enthält also O’l der 
KocH’schen Lymphe. Da die KocH’sche Flüssigkeit sich mit Carbol- 
wasser schlecht mischt, so muß das Reageusgläschen etwa 5 Mal im 
ruhigen Tempo umgedrebt werden, wobei der die Oeffnung des 
Glases zubaltcnde Daumen vorher mit Alkohol ordentlich abgerieben 
und getrocknet werden muß. 

Soll eine schwächere Lösung präparirt werden, so werden 0‘5 
der vorigen 10% Lösung, welche also 0*05 enthalten, in oben er¬ 
wähnter Weise in einem anderen, sterilisirten Reagensglase ebenfalls 
mit 4’5 l / a °/e Carbolwasser vermischt. Man erhält also: 

in 5‘0 Miscbflüssigkeit = 0*05 KocH’sche Flüssigkeit, 
also in l’O (ganze Spritze) = O’Ol „ „ 

in 1 Theilstrich = O'OOl (ein Mgrm.) „ 


(IIYRTl’s 80. Geburtstag) gestaltete sich, wie vorauszu¬ 
sehen war, zu einer überaus solennen Ovation für den greisen Ana¬ 
tomen. Das Land Niederösterreich, die Stadt Wien, sämmtliche ärzt¬ 
liche Corporationen der Residenz, zahlreiche Aerzte und Verehrer 
Hyrtl’s batten ihre Glückwünsche schriftlich oder in Form von 
Adressen entsendet, welche von Deputationen der Vereine überreicht 
wurden. In vollster geistiger und körperlicher Frische dankte der 
Jubilar für die ihm erwiesenen Ehren. An das „Wiener med. Doctoren- 
Collegium“ hat Hyetl folgendes Schreiben gerichtet: 

„Geehrte Collegen und Freunde! 
leb wünsche meinen Dank an das Collegium Medicorum Vionnense in 
einem lateinischen Schreiben anszudrücken, welches ich in so vielen Exem¬ 
plaren werde drucken lassen, als Exemplare der wissenschaftlichen Mit¬ 
theilungen den Collegiums versendet werden, so daß mein Brief als eine Beilage 
dieser Alittheilungen erscheint. 

Da dieser Brief das Letzte ist, was ich auf dieser Welt 
schreibe nnd drucken lasse, mögen meine alten Schüler ihn 
als Andenken an ihren Lehrer bewahren. Der Brief wird ein sehr 
langer sein, da er außer Dankesworten au :h anderes Zeitgemäßes enthält. 

Treu und dankbar 
J. H?btl, 

S-omicoecus, ideo pauca haec distortaque verba Vesiram merentur veniam.“ 
Perchtoldsdorf, 7. December 1890. 

(Aus dem österreichischen Abgeordnetenhause.) 
In einer der letzten Sitzungen dieses Hauses interpellirte der Ab¬ 
geordnete Dr. Fuss den Obmann des Sanitätsausschusses über den 
Stand der Frage der Errichtung von Aerztekammern und 
fragte, ob es möglich sein werde, diese Angelegenheit noch im 
Laufe dieser Session zur Berathung zu bringen. Aus der Antwort 
des Obmannes Abg. Gniewosz geht hervor, daß in der so oft ver¬ 
tagten Angelegenheit das Gutachten des Obersten Sanitätsrathes er¬ 
wartet werde, worauf der Bericht erstattet werden wird. — Abg. 
Pernerstorfer urgirte die im Jahre 1888 beantragte Vorlage der 
Protokolle jener Untersuchungscommission, welche die Zustände im 
Wiener allgemeinen Krankenhause zu untersuchen batte. 
Bekanntlich war es der genannte Abgeordnete, welcher seinerzeit 
eine Aufsehen erregende Schilderung der Mißstände bezüglich War¬ 
tung und Verpflegung der Kranken dieses Hauses geliefert hat. — 
Der Antrag Roser, betreffend die Errichtung eines Reichsge¬ 
sundheitsamtes, welcher vor 4 Jahren einem Ausschüsse zu¬ 
gewiesen worden war, kam, beträchtlich abgeändert, in der gestrigen 
Sitzung zur Verhandlung. Der Ausschuß beantragte: 1. a) An jeder 


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der mediciniscben Faoultäten Lehrkanzeln für die Fächer der hygie¬ 
nischen und bacteriologischen Forschung in’s Leben zu rufen und zweck¬ 
entsprechend mit genügenden Mitteln auszustatten; b) anzuordnen, daß 
für die ordentlichen Hörer der Medicin künftighin das Studium der 
Hygiene obligater Gegenstand werde. 2. Die Ausgestaltung des 
öffentlichen Sanitäts-Aufsichtsdienstes durch bessere Stellung und 
vermehrte Anzahl der vom Staate angestellten Aerzte ehethunlichst 
in’s Werk zu setzen, sowie durch CreiruDg von Sanitüts-Inspectoren — 
in einer jedem Verwaltungsgebiete entsprechenden Zahl — den 
öffentlichen Sanitätsdienst zu heben. 3. Den Obersteu Sanitätsrath wie 
auch die Landessanisätsräthe durch Berufung bewährter Fachmänner 
der Hygiene, des Baufaches, der Statistik u. A. ra. zu ordentlichen, 
beziehungsweise außerordentlichen Mitgliedern zeitgemäß, dem jetzigen 
Stande der wissenschaftlichen Forschung entsprechend, zu ergänzen und 
ihren Wirkungskreis wie auch ihre Mittel zu erweitern. Insbesondere 
wären dem Obersten 8anitätsrathe jene Hilfsinstitute zur Verfügung 
zu stellen, welche ihn in die Lage versetzen, die wissenschaftlichen 
Grundlagen und Vorarbeiten für die sanitäre Gesetzgebung, den 
Fortschritten der Hygiene entsprechend, durchzuführen. 4. Den 
öffentlichen Sanitätsorganen in reinen Fachfragen eine größere Un¬ 
abhängigkeit bei Stellung von Initiativ-Anträgen gegenüber den Vor¬ 
gesetzten politischen Behörden zu gewähren. 5. Die Reform des Apo¬ 
thekenwesens anzubahnen uud insbesondere in der Richtung Vorsorge 
zu treffen, daß jeder Tiro bei Beginn seiner praktischen Lehrzeit eine 
höhere Vorbildung zu erbringen habe. — Wir kommen auf diese für die 
Ausgestaltung des Sanitätswesens in Oesterreich hochwichtige An¬ 
gelegenheit demnächst zurück. 

(Die Hygiene in den Curorten.) Wiederholt haben wir 
(in Nr. 11 und 24 dieses Jahrganges) Gelegenheit genommen, auf 
die mangelhaften hygienischen Einrichtungen zahlreicher Cur- und 
Badeorte hinzuweisen. Mit Genugthuung sei daher die erfreuliche 
Tbatsache verzeichnet, daß von einzelnen Bade-Verwaltungen eine 
Besserung dieser sicherlich nicht im Interesse der Curorte gelegenen 
Zustände angestrebt und durchgeführt wird. So hat der Curort 
Gleichenbcrg einen Dampf-Desinfectionsapparat aufgestellt, in 
welchem die Betten (Pölster, Decken, Matratzen etc.) jener Personen 
desinficirt werden müssen, welche an einer acuteu oder chronischen 
Infectionskrankheit (selbstredend also auch an Lungentuberculose) 
gelitten haben und abgereist oder gestorben sind. Die Benützung 
des strömenden Wasserdampfes zu Desinfectionszweokon sollte auch 
von anderen, zumal von Phthisikern besuchten Curorten adoptirt werden. 

(Roth’s Jahresbericht) über die Leistungen und Fort¬ 
schritte auf dem Gebiete des Militärsanitätswesens enthält in dem 
als Supplement zur „Deutschen militärärztlichen Zeitschrift“ kürzlich 
ausgegebenen 15. Jahrgange ein Resumö von 562 Arbeiten auf 
militärärztlichem Gebiete aus dem Jahre 1889. Diese Arbeiten rühren 
von 308 Autoren her, unter welchen 20 k. und k. Militärärzte ge¬ 
nannt sind. Aus dem Journalverzeichnisse erfahren wir, daß selbst¬ 
ständige militärärztliche Zeitschriften in Frankreich (Archives de 
mödecine et de pharmacie militaires; Revue dos medecines des armöes), 
Deu tschland (Deutsche militärärztliche Zeitschrift), Italien 
(Giornale medico del regio esercito e della regia marina), Nieder¬ 
lande (Nedelandsch militair geneeskundig Archief), Spanien (Re- 
vista de sanidad militar), Schweden (Tidskrift i militär helsovärd), 
Rußland (Wojenno-medizinski Journal; Wojenno sanitarnoje Djelo), 
bestehen. Die seit Herbst 1889 in zwanglosen Heften erscheinenden 
„Mittheilungen des k. und k. Militär-Sanitäts Comites“ sind in dem 
vorliegenden Berichte noch nicht berücksichtigt. Die Referate sind 
in demselben in acht Capiteln gruppirt, und zwar: Geschichtliches, 
Organisation, Förderung der wissenschaftlichen Thätigkeit im Sanitäts¬ 
dienst, Militär-Gesundheitspflege, Dienstbrauchbarkeit und deren Fest¬ 
stellung, Armeekrankheiten, Militär-Krankenpflege, Gesundheitsbe- 
richte. Auf den höchst interessanten Inhalt dieser Capitel näher ein¬ 
zugehen, müssen wir uns versagen und können nur den Wunsch 
aussprechen, daß die RoTH’schen Jahresberichte in der Bücher- 
sammlung jedes Militärarztes zu finden sein mögen. 

(Aus Moskau) wird der „St. Petersb. med. W.“ berichtet: 
Vor Kurzem wurden in der russischen med. Fachpresse (Med. Oboer., 
Wratsch) Briefe von zwei Aerzten veröffentlicht, welche es vergeblich 
versucht hatten, Prof. Sachabjin in Moskau betreffs ihrer eigenen 


Person zu consultiren; ihre Bemühungen hatten nur das Resultat 
nachzuweisen, dass der berühmte Herr Professo r kranke 
Collegen unter keiner Bedingung, auch nicht für Zahlung:, 
empfängt. Die in der Presse zu diesem incollegialen und inhumanen 
Verhalten eines Arztes und Unversitätsprofessors, wie es wohl sonst 
in der civilisirten Welt nicht beobachtet worden ist, gelieferten 
Commentare waren selbstverständlich nicht sehr schmeichelhaft, ins¬ 
besondere da es bekannt ist, daß Prof. S. jedem Kranken, aller¬ 
dings nur für unmäßig hohes Honorar, zugänglich ist. In Nr. 45 
theilt nun der „Wratsch“ eine Adresse mit, iu welcher 29 Mit¬ 
glieder der Moskauer med. Facultät Prof. S. aus Anlaß jener Ver¬ 
öffentlichungen ihrer „größten Hoehachtnng und aufrichtigen Dank¬ 
barkeit“ versichern, wobei sie auf die 40jährige fruchtbare Thätig¬ 
keit S.’s hinweisen. Der „Wratsch“ macht dazu die treffende Be¬ 
merkung, daß eine solche Adresse, welche die erwähnten Thatsachen 
in keiner Weise in Abrede stellt und stellen will, an der Beur- 
theilung der Sache leider Nichts ändern kann, besonders da neulich 
wieder drei weitere Fälle im „Wratsch“ mitgetheilt worden sind, in 
welchen Prof. S. kranken Collegen seinen Rath und seine Hilfe ver¬ 
sagt hatte. Zudem fehlen unter den Unterschriften der Adresse nicht 
wenige Mitglieder der Moskauer Facultät und zwar nicht die un¬ 
bekanntesten (Bobrow, Pawlinow, Sklifassowski, Erismann), 
während von den Unterzeichnern der Adresse Manche in der Presse 
der Reclame und der Weigerung, einen schwer Kranken zu besuchen, 
beschuldigt sind, ohne sich gerechtfertigt zu haben. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) Programm für 
d'.e Montag, den 15. December 1890, um 7 Uhr Abends, im Saale der Gesell¬ 
schaft der Aerzte stattfindende wissenschaftliche Versammlung: Dr. Cabl Hoch- 
singeb: Ueber Diagnostik angeborener Herzfehler bei Kindern 
(mit klinischen und anatomischen Demonstrationen). 

(Statistik.) Vom 30. November bis incl. 6. December 1890 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 4897 Personen behandelt. Hievon wurden 875 
entlassen; 91 sind gestorben (9 80°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 71, egyptischer Augenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 4, Dysenterie—, Blattern 48, Varicellen 131, Scharlach 60, 
Masern 378, Keuchhusten 31, Wnndrothlauf 16, Wochenbettfieber 4. — In 
der 49. Jahreswoche sind in Wien 362 Personen gestorben (— 3 gegen 
die Vorwoche). 


(Levi co-Arsen-Eisen wasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Bedaction eingesendete Recensiona-Exemplare.) 

Jahn E, und Hennlg H., Leitfaden zur ökonomischen Arznei Verordnung. 
Stuttgart 1890. Ferd. Enke. 

Ford A. , Die Trinksitten, ihre hygienische und sociale Bedeutung. Stutt¬ 
gart 1891. Ferd. Enke. 

Kronfeld A., Die Leichenverbrennung in alter und nener Zeit. Mit 4 Abb. 
Wien 1890. M. Perles. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. _ 

Der Gesammt-Auflage dieser Nummer liegt ein Prospectus 
von Knoll & Co., chem. Fabrik in Ludwigahafen a. Rh., betr. 
„Dluretin Knoll“ bei, und verfehlen wir nicht unsere Leser 
hierauf besonders aufmerksam zu machen. 745 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das December- 
Heft der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Oie 
Geschoßwirkung der Manniicher-Gewehre (Modell 1888).“ Ein 
kriegs-chirurgisch er Beitrag von Dr. Josef Bogdanik, Primararzt 
am allgemeinen öffentlichen Krankenhause in Biala. 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Vortheilhafter äiztlicher Posten. Ein mit angenehmer und 

nicht beschwerlicher Praxis verbundener ärztlicher Posten anf dem Lande, 
mit einem sicheren Einkommen von jährlichen 4500 fl. ist wegen Uebernahme 
der Leitung eines ärztlichen Etablissements an einen graduirten Arzt, der 
eines slavischen Idioms mächtig ist, um die Ablösungssumme von 2600 fl. *u 
veigeben. Mit diesem Posten ist auch die Haltung einer gut gangbaren Haus¬ 
apotheke verbunden, und ist in der erwähnten Ablösungssumme auch die 
Uebernahme der sehr gut und schön eingerichteten Hausapotheke mitinbegriffen. 
Gefällige Zuschriften sind behufs Weiterbeförderung unter Chiffre V. P. 4500 
an die Administration der „Wiener Med. Presse“ in Wien I., Maximilian- 
Straße 4, zu richten. 737 


—Digitized by 



Sonntag den 21. December 1890. 


Nr. 51. 


XXXI. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
8 bis 8 Bogen Gross-Onart-Fonnat stark. Hiezu eine Beihe 
ausserordentlicher Beilagen. Als regelmässige Beilage. aber 
zugleich anch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 8 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- und Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Media. Fresse" 
in 'Wien, L, Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum. Wien, I., Hegelgasse Nr. 2L 


Wiener 


Abonnementspreiee: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik* 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 8 fl. 50 kr. Ansland: 
Für das Deutsche Reich, alle Bachhändler und Postämter: 
Jährl. 30 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 6 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 18 Mrk. „Wiener 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.; Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nacb Tarif berechnet. Man abonnirt Im Analande 
bei allen Buchhändlern and Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Media. Fresse“ in Wien,!., Maxlmlilanstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--Gie*— : -- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Uriginalien and klinische Vorlesungen. Ans dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium der DDr. M. and Ad. Jolles in Wien. Eine neue 
quantitative Methode zur Bestimmung der freien Salzsäure des Magensaftes. Von Dr. Adolf Jolles. — Zwei Fälle voncystisch erweichtem Banchsarcom- 
Von Prof. Dr. Bkbthold Stilleb in Budapest. — Aus der Abtheilung för äußerlich Kranke im königl. Charitäkrankenhause in Berlin. Ueber die 
Versuche mit dem von Koch gegen Tuberculose empfohlenen Mittel. Von Oberstabsarzt Dr. B. Köhleb und Stabsarzt Dr. Webtphal. — Referate 
and literarische Anzeigen. Mittheilungen über das KocH’sche Heilverfahren gegen Tuberculose. III. — Cabl Fhaenkel (Königsberg): Immunisirnngs- 
versnche bei Diphtherie. — Behbing: Untersuchungen über das Zustandekommen der Diphtherie-Immnnität bei Thieren. — Feuilleton. Joseph Hyhtl’s 
Dankschreiben an das „Wiener medicicinische Doctoren-Collegium“. — Kleine Mittheilungen. Santoninoxym als Ersatzmittel für Santonin. — 
Ein neues Suspensorium. — Ueber die antiseptische Wirknng des Creolin. — Ueber das Verhalten der Tuberkelbacillen an der Eingangspforte der 
Infection. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Verein der Aerzte in Steiermark. 
(Orig.-Ber.) — Verein für innere Medicin in Berlin. (Orig.-Ber.) — Deutsche Gesellschaß für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. Das Kocn’sche Heilverfahren. — Literatur. — Aerztliohe Stellen. — Anzeigen. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium 
der DDr. M. und Ad. Jolles in Wien. 

Eine nene quantitative Methode zur Bestim¬ 
mung der freien Salzsäure des Magensaftes.*) 

Von Dr. Adolf Jolles in Wien. 

Bei der Bedeutung, welche die Bestimmung der freien 
Salzsäure im Magensafte dadurch erlangt hat, daß in ihrer 
Abwesenheit, gleichwie in ihrer vermehrten Abscheidung ein 
wichtiges diagnostisches Kennzeichen erkannt worden ist, 
ist es erklärlich, daß zahlreiche Methoden zur qualitativen 
und quantitativen Bestimmung der freien Salzsäure des Magen¬ 
säfte« in Vorschlag gebracht worden sind. Nachdem ich häufig 
in die Lage komme, die ärztlicherseits gestellte Frage zu be¬ 
antworten , ob die saure Reaction des Magensaftes von Salz¬ 
säure oder organischer Säure herrühre und eventuell wie groß 
die vorhandene Salzsäuremenge sei, habe ich es mir zur Auf¬ 
gabe gestellt, die bisher empfohlenen Methoden auf ihre 
Empfindlichkeit und Brauchbarkeit zu prüfen. 

Ich behalte mir vor, die Resultate dieser meiner Unter¬ 
suchungen an andererStelle bekanntzugeben, und erlaube mir 
nur zu bemerken, daß, während wir zum Nachweise der 
freien Salzsäure im Magensafte im Methyl violett, 
Congoroth, Brillantgrün, Tropaeolin, Phloroglucin und Vanillin 
immerhin brauchbare Reagentien haben, uns die zur quali¬ 
tativen Bestimmung der freien Salzsäure empfoh¬ 
lenen M et ho den wenig befriedigen. Von den letzteren 
kommt nur die Methode von A. Cohn und F. v. Merino 1 ), 
sowie die von F. Sjöquist 2 ) in Betracht. 

Die CoHN-MERiNG’sche Methode, welche auf der Neutrali¬ 
sation des Magensaftes mit Cinchonin und Bestimmung der 
Salzsäure im Abdampfrückstande des Chloroforms, das mit 


*) Vorgelegt der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. 

‘) v. Mbbing nnd v. Cohn, Deutsches Archiv fflr klin. Medicin. 39, 
233, 1886. 

*) Sjöquist, Zeitschrift für physiolog. Chemie. 13, I, 1889. 


dem Prüfungsobjecte bis zur Erschöpfung geschüttelt worden 
ist, beruht, zeigt aber, wie ich in Uebereinstimmung mit 
v. Pfungen 3 ), Klemperbr 4 ), van der Velden 6 ) gefunden habe, 
nicht blos freie Salzsäure, sondern auch an organische 
Substanzen gebundene an. 

Dieselben Nachtheile hat aber auch die neuerdings 
empfohlene Methode von F. Sjöquist, die auf dem Principe 
beruht, daß durch Zusatz von kohlensaurem Baryt die im 
Magensaft enthaltenen Säuren in ihre Barytsalze übergeführt 
werden, wobei bei der nachfolgenden Veraschung das aus der 
Salzsäure gebildete Chlorbaryum unverändert bleibt. 

Nachdem nun für klinische Zwecke nur die wirklich 
freie, d. h. nicht von Eiweißkörpern und Albumen 
gebundene Salzsäure, welche allein die Verdanungs- 
tüchtigkeit eines Magensaftes beweist, von Wichtigkeit ist, 
so resultirt, daß zu deren Bestimmung bisher keine Methode 
existirt. 

Ich erlaube mir nun, eine im Verein mit meinem 
Assistenten Herrn F. Wallenstein ausgearbeitete neue Me¬ 
thode bekanntzugeben, welche bei einfacherAusführung 
die Menge der im Magensafte enthaltenen freien Salz¬ 
säure mit genügender Schärfe anzeigt. Diese Methode 
beruht auf der Anwendung des Eosins. Das Eosin gehört 
in die Gruppe der Phtalei'ne, welche Abkömmlinge des 
Trimethylmethans sind, und wird dargestellt durch Einwirkung 
von Brom oder Bromwasser auf in Eisessig gelöstes Fluo- 
rescein, es scheidet sich dabei als rothe krystallinische Masse 
ab. Das Eosin kommt im Handel als krystallisirtes, im Wasser 
leichtlösliches Natron- oder Kalisalz vor, und hat mit den 
Phtalefnen die Eigenschaft gemein, daß es in neutralen 
und besonders in alkalischen Lösungen fluorescirt. 

In sauren Lösungen existirt diese Fluorescenz nicht; 
während aber organische Säuren in verhältnißmäßig sehr 
großen Mengen zugefügt werden müssen, um diese Fluo¬ 
rescenz aufzuheben, haben bereits sehr geringe Mengen 
freier Salzsäure dieselbe Wirkung. 


! ) Wiener klinische Wochenschrift. 1889. 

*) Zeitschrift für klinische Medicin. 14, 147—164. 

*) Deutsches Archiv für klin. Medicin. Bd. XXVI, pag. 186 n. ff. 


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2011 


2012 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


Dieses differente Verhalten zeigt sich noch bedeutend 
schärfer bei spectroskopischer Beobachtung. 

Eine neutrale Eosinlösung zeigt im Spectrum zwei 
schwarze Streifen im blaugrünen Theil des 
Spectrums, welche in alkalischer Lösung an Intensität 
zunehmen. 

Enthält nun die Eosinlösung wenige Milligramm freier 
Salzsäure, dann gelangen die Streifen zum Verschwinden, 
während mehrere Gramme freier Milchsäure, Buttersäure, 
Essigsäure, Ameisensäure noch nicht im Stande sind, diese 
Wirkung hervorzurufen. Auf Grund diefer Thatsachen läßt 
sich das Eosin mit großem Vortheile zur Titration der freien 
Salzsäure bei Gegenwart organischer Säuren verwenden, was 
namentlich für die Bestimmung der freien Salzsäure 
im Magensafte von Werth ist. 

Das Princip der Methode beruht darauf, daß Magensaft 
unter Verwendung von Eosin als Indicator mit Natronlauge 
titrirt wird, wobei der Endpunkt der Reaction spectroskopisch 
erkannt wird. 

Wir gehen wie folgt vor: 

Die Indicatorlösung wird durch Auflösen von lc <7 Eosin 
in 100c?» 3 Wasser hergestellt und lern® dieser Indicatorflüssig- 
keit zu 100cm® der zu titrirenden Flüssigkeit hinzugefügt. Die 
Titration wird in Gefäßen mit planparallelen Wänden durch¬ 
geführt. 

Titrirt wird mit Kali- oder Natronlauge. Den Gehalt 
der zu titrirenden Flüssigkeit an Salzsäure in Milligrammen 
finden wir nach folgender Formel: 

x — n . a + c, 

wobei darin bedeutet: 

n die Anzahl der verbrauchten cm® titrirter Lauge, 

a die Milligramme Salzsäure, welche von leem Lauge 
neutralisirt werden, und 

c eine Constante, welche von der Dicke der Flüssigkeits¬ 
schichte und Concentration der Eosinlösung abhängig ist. 

Diese Constante, deren Bestimmung sich aus der Dar¬ 
stellung unseres Untersuchungsganges von selbst ergeben wird, 
kann in jedem Laboratorium durch einen einmaligen Versuch 
ein für alle Mal festgestellt werden. — Vor allem anderen 
titrirten wir nur l l^mg Eosin in 100cm® Wasser mit Salzsäure, 
um den spectroskopischen Neutralitätspunkt zu bestimmen, 
d. h. jenen Titrationsmoment, bei welchem die Streifen spectro¬ 
skopisch eben erscheinen oder verschwinden. 

Dieser Versuch, welcher keine Titration im chemischen, 
sondern im optischen Sinne darstellt, ergab, daß, sofern die 
Schichte, durch welche man sah, 4cm dick war, die Streifen 
nach Zusatz von 20mg Salzsäure verschwanden. — Dieser 
Punkt mußte als Ausgangspunkt für unsere Salzsäure-Be¬ 
rechnung gelten. 

Gemäß unseren Versuchen blieb für ein und dasselbe 
Gefäß, sowie für ein und dieselbe Concentration der Indicator¬ 
lösung der Salzsäure Zusatz, welcher zum Verschwinden der 
Streifen nothwendig war, derselbe und war unabhängig von 
der Intensität der Lichtquelle. 

Wurde der Eosingehalt der Lösung, oder die Dicke der 
Schichte vergrößert, so wuchs die zur Erreichung des spectro¬ 
skopischen Neutralitätspunktes nothwendige Salzsäuremenge. 
Daraus ergab sich die Nothwendigkeit, stets mit gleicher Ln- 


dieatorconcentration und stets mit gleichgeformten Gefäßen 
zu arbeiten. 

Fügt man zu 1 l }0 mg Eosin in 100cm® Wasser 5 g Milch¬ 
säure oder bg Essigsäure oder bg Buttersäure hinzu, so er* 
scheinen die Streifen im Spectrum kaum abgeschwächt. Fügt 
man jedoch 20 mg Salzsäure hinzu, dann verschwinden die 
schwarzen Eosinstreifen vollständig. Hiemit ist der Beweis 
erbracht, daß auch bei Gegenwart von mehreren Grammen 
organischer Säuren ganz geringe Mengen freier Salzsäure sich 
constatiren lassen. 

Unter der Annahme, daß bei allmäliger Neutralisation 
von Säure-Gemischen, die Salzsäure zuerst und ausschließlich 
neutra'isirt werde, mußte man die freie Salzsäure mit Natron¬ 
lauge titriren können, natürlich nur bis zu jenem Punkte, 
bei welchem durch die Natronlauge das Wiedererscheinen der 
Absorptionsstreifen bewirkt wird. 

Bei Einhaltung der von uns angeführten Bedingungen, 
tritt, wie aus unseren früheren Versuchen hervorgeht, dieser 
Punkt in einem Augenblicke ein, wo sich in der Lösung noch 
20wg freier Salzsäure befinden. 

Bei Ausführung von Salzsäure-Bestimmungen war es 
demnach nöthig, zu jener Salzsäuremenge, welche aus dem 
Verbrauch der Natronlauge berechnet wurde, noch jene Salz¬ 
säuremenge hinzu zu addiren, welche bei dem optischen Neu¬ 
tralisationspunkt sich noch im freien Zustande befindet, im 
vorliegenden Falle also 20mg. 

Diese Anzahl von Milligrammen Salzsäure, welche hin- 
zuaddirt werden müssen, bilden unsere Constante c, und sind 
— wie erwähnt — leicht dadurch zu bestimmen, daß man 
100cm* Wasser mit einer abgemessenen Menge der Indicator-' 
lösung versetzt und dann mittelst Salzsäure bis zum optischen 
Neutralisationspunkt titrirt. 

Obige Methode haben wir nun zunächst für die specielle 
Bestimmung der freien Salzsäure im Magensafte ausgearbeitet 
und demgemäß wurden nur solche Salzsäuremengen titrirt, 
wie sie überhaupt in Magensäften Vorkommen können, also 
Mengen von 0 bis 0’5 Procent. 

Des Weiteren wurde vorläufig nur der Einfluß aller jener 
Substanzen auf die Methode festgestellt, welche in Magensäften 
Vorkommen können; hieher gehören Chloride, Phosphate, Al¬ 
bumin, Pepton, Pepsin, ferner von Säuren: Milchsäure, Essig¬ 
säure, Buttersäure und Ameisensäure. 

Die Resultate sind in nachfolgender Tabelle zusammen¬ 
gestellt : 

Bestimmung der Constante. 

Versuch I. 

a) 100cm* destillirtes Wasser wurden mit Normal-Salzsäure 
bis zum optischen Neutralisationspunkt titrirt; verbraucht 20m^ 
Salzsäure. 

b) 100cm destillirtes Wasser wurden mit Normal-Salzsäure 
bis zum optischen Neutralisationspunkt titrirt; verbraucht 20mg 
Salzsäure. 


Titration von Salzsäure in wässerigen Lösnagen. 

Versuch II. 


a) 100cm* 

Wasser enthielten 100m<7 Salzsäure; 

gefunden 

104m<7. 

b) 100cm® 

n 

„ 200m^ „ 

D 

205 mg. 

c) 100cm® 

V 

„ 300 mg „ 

n 

294 mg. 

d) 100cm® 

?? 

„ 400 mg „ 

Y) 

A06mg. 

e) 100cm* 

n 

n b00m 9 » 

n 

608 mg. 


Salzsänre-Titration bei Gegenwart geringer Mengen organischer Säuren. 

Versuch III. 

a) 100cm 3 Wasser enthielten: 6Cm? Essigsäure 4- 60m? Buttersäure + 6^m? Milchsäure + 100 m? Salzsäure . . . gefunden 93m? Salzäure. 

b) 100cm 3 „ „ 6('mg n +60 mg „ + 60?n? „ + 200?«? „ ... „ 191m? „ 

c) 100cm 3 „ n 60 mg „ + 60?«? „ + 60?«? „ + 300?«? „ ... * 297m? „ 

d) 100cm 3 _ „ 60 mg „ + 60m? „ + 60?«? „ + 400m? „ ... „ 395mg „ 

Salzsäure-Titration bei Gegenwart grösserer Mengen organischer Säuren. 


Versuch IV. 


a) lOOcm* 

Wasser enthielten: 600?«? 

Essigsäure + 600?«? Buttersäure + 600m? Milchsäure 

+ 100m? Salzsäure . . 

. . gefunden 104??«? Salzsäure 

b) lOOcm 3 

n 

„ (»00 mg 

„ + 600m? „ + 600?«? „ 

+ 200?«? 


. . • „ 196?«? 


c) 100cm 3 

n 

„ 600mp 

„ + 600?«? „ + 600m? „ 

+ 300m? 


. . . „ 309?«? 


d) 100cm 3 

n 

„ tWQmg 

„ + 600m? „ + 600?«? „ 

+ 400?«? 


. . . . 398 mg 


•) 100cm 3 

» 

„ 600m? 

„ + 600m? „ + 6C0m? „ 

+ 500?«? 

» • • 

. . . „ 510?«? 

F* 








2013 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2014 


Salzsäure-Titration bei Gegenwart von Pepton, Pepsin nnd Kochsalz ln geriugen Mengen. 

Versuch V. 


a) 100cm* Wasser enthielten: 10mg Pepsin 4- 10mg Pepton -{- 10mg Kochsalz 4- 100mg Salzsäure . 

. gefunden 96mg Salz s änre. 

b) 100cm* „ 

„ 10mg 

„ + 10mg „ + 10mg „ 

4- 200mg „ 

198mg „ 

c) 100cm» „ 

n 10mg 

* + 10mg „ + 10mg „ 

-|- 300mg „ 

307mg 

d) 100cm 8 „ 

n 10mg 

„ 4- 10mg „ + 10mg „ 

4- 400mg „ 

389mg 

e) 100cm» „ 

» 10mg 

» 4- 10mg „ + 10mg „ 

4- 500mg „ 

512mg 


Salzsäure-Titration bei Gegenwart von Pepton, Pepsin and Kochsalz ln grösseren Mengen. 



Versuch VI. 



100cm 8 Wasser enthielten: 300mg Pepsin -+* 300mg Pepton + 2000mg Kochsalz 4- 100mg Salzsäure . 

. . gefunden 98mg Salzsäure. 

100cm* „ 

„ 300mg 

„ 4- 300mg „ 4- 2000mg „ 

4- 200mg „ 

• • n 195mg „ 

100cm* „ 

„ 300mg 

» 4- 300mg „ 4- 2000mg „ 

4- 300mg „ 

. . „ 30lmg „ 

100cm* „ 

„ 300mg 

» 4- 300mg „ 4- 2000mg „ 

+ 400mg 

• • ' „ 404mg , 

100cm* „ 

n 300mg 

n -j- 300mg „ • -f- 2000mg „ 

4- 500mg „ 

. . » 497mg 


Combinlrte Titrirnngsversuehe. 

Versuch VII. 


Pepton . . 
Pepsin . . 
Milchsäure 
Essigsäure . 
Buttersäure 


8 de; 

r Löf 

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3u0 

3v0 

30 

30 

300 

30 

15 

10 

100 

20 

10 

300 

300 

30 

30 

300 

30 

15 

10 

10J 

20 

10 

30 

30 

30 

300 

300 

300 

30 

150 

30 

300 

300 

30 

30 

30 

300 

300 

300 

30 

150 

30 

300 

300 

30 

30 

30 

300 

300 

300 

30 

150 

30 

300 

300 

2000 

2000 

200 

— 

2000 

2000 

200 

2000 

200 

— 

2000 

100 

500 

300 

17 

50 

75 

200 

800 

40 

100 

400 

104 

496 

293 

21 

55 

76 

194 

803 

37 

97 

407 


freie 8alzsäure 


Salzsäure-Titration in Elweisslösnngen. 

100cm 8 Wasser enthielten Zbmg Eiweiß + 421 mg Salzsäure, 
gefunden 420/n^ Salzsäure. 

100cm 8 Wasser enthielten 105my Eiweiß 4- 42lm^ Salzsäure, 
gefunden 427 mg Salzsäure. 

100cm 8 Wa3scr enthielten 27bmg Eiweiß + 421mg- Salzsäure, 
gefunden 426 mg Salzsäure. 

Salzsäure-Titration in nachfolgender compllcirt zusammengesetzter 

Lösung. , 

In 100cm 8 Wasser sind enthalten: 

Pepton. 300mg Buttersäure .... 300mg 

Pepsin. 300mg Chlornatrium .... 300mg 

Eiweiß. 300mg j Salzsäure. 300mg 

Essigsäure. 300mg | 

Die Lösung wurde zunächst mit 1cm 8 der Eosinlösung ver¬ 
setzt und mit Normalnatronlauge titrirt; es wurden verbraucht bis 
zum Neutralitätspunkte 720cm 8 Natronlauge. 1cm 8 Natronlauge = 
36'5 Salzsäure. 

Unsere Constanle war für unsere Titrationsverhältnisse, wie 
bereits erwähnt, 20mg Salzsäure, d. i. 20mg Salzsäure waren 
nöthig, um die Absorptionsstreifen unserer Eosinlösung auszu¬ 
löschen. 

Setzen wir diese Werthe in erwähnte Formel x = n . a + c 
ein, dann beträgt x = 7*8 x 36*5 -f 20 = 304mg Salzsäure. 

Die thatsächlich zugefügte Salzsäuremenge betrug 300mg, 
somit kann das Resultat als ein sehr befriedigendes bezeichnet 
werden. 

Aus obiger Tabelle geht mit Sicherheit hervor, daß man 
die freie Salzsäure, selbst wenn die erwähnten begleitenden 
Substanzen in sehr großer Menge, wie sie überhaupt in Magen¬ 
säften gar nicht Vorkommen, vorhanden sind, bis auf 10mg, 
d. h. bis auf 0‘01% genau bestimmen kann. 

Erwägt man nun, daß diese Menge den 20.—30. Theil 
der im normalen Magensaft vorkommenden Salzsäuremenge 
darstellt, so muß die von uns in Vorschlag gebrachte Methode 
in ihrer jetzigen Form zur quantitativen Bestimmung der 
freien Salzsäure im Magensafte als genügend genau bezeichnet 
werden. 

Denn ist der Magensaft wirklich normal, d. h. enthält er 
thatsächlich 0*2—O‘3°/ 0 freier Salzsäure, so wird ein Fehler 
von Vioo°/o für die Diagnose vollends gleichgiltig sein; eine 
so geringe Menge von 10mg Salzsäure kommt überhaupt nur 
dann in Frage, wenn es sich darum handelt, festzustellen, ob 


in dem zu untersuchenden Magensaft überhaupt Salzsäure, resp. 
in sehr geringen Spuren vorhanden ist. 

Für diesen Fall gibt es heute schon genügende Indi- 
catoren, welche 1mg Salzsäure und noch weniger mit ge¬ 
nügender Schärfe anzeigen. 

Uebrigens wollen wir hier bemerken, daß wir in Kurzem 
eine einfache Methode zum Nachweis von Salzsäurespuren und 
gleichzeitiger qualitativer Schätzung veröffentlichen werden. 


Zwei Fälle von cystisch erweichtem Bauch- 

sarcom. 

Von Prof. Dr. Berthold Stiller in Budapest. 

(Schloß.) 

Eine vollständige Aufklärung über diesen klinisch und 
anatomisch gleich merkwürdigen Fall erhielt ich erst einige 
Jahre später durch den analogen, oben erwähnten Fall aus 
der BiLLROTH’schen Klinik. 1 ) Er betraf eine 42jährige Bäuerin 
aus Ungarn, welche früher gesund, seit März 1887 an heftigen 
Leibschmerzen und Erbrechen litt, und im Mai eine faustgroße 
kuglige Geschwulst unterhalb des Nabels bemerkte. Im No¬ 
vember in die Klinik aufgenommen, constatirte man an der 
kräftig gebauten, etwas abgemagerten, blaßgelblichen Frau 
einen kopfgroßen, festen, glatten, nicht fluctuirenden, kugligen 
Tumor, dessen obere Grenze etwas über dem Nabel, die untere 
etwas über der Symphyse fühlbar war; nur in verticaler 
Richtung beweglich; kein Zusammenhang mit den Genitalien. 
Diagnose: Tumor in abdomine, Ausgangspunkt und Art 
zweifelhaft. — Bei der Operation zeigte sich, daß es ein 
fluctuirender Tumor war, welcher incidirt eine beträchtliche 
Menge, mit krümmeligen Massen untermengte, dickliche 
schmutzig braunrothe Flüssigkeit ergießt. Beim Herausziehen 
der Geschwulst wird wider Erwarten auch der Magen hervor¬ 
gezogen, an dessen großer Curvatur der Tumor in breitem 
Umfang adhärent ist. Derselbe wird mit einem Theile des 
Magens resecirt; die Kranke wird nach 20 Tagen gesund 
entlassen. 

Am Präparate zeigte es sich, daß, wie in meinem Falle, 
die Serosa der Geschwulst direct in den Bauchfellüberzug des 
Magens übergeht. Der Tumor haftet mit breiter Basis an der 
großen Curvatur bis zur pars Pylorica, deren größter Theil 
auch resecirt werden mußte. Die Wandung der Cyste ergab 
eine wechselnde Dicke von 3—8 Mm. uni besteht aus einem 
Fasergewebe von weißer, blaßröthlicher Farbe. Die Innenfläche 
ist durchaus uneben durch vorspringende Balken, ausgekleidet 
von einer Schichte eines röthlichbraunen, hinfälligen, bröckligen 
Gewebes. Die Basis der Cyste ist von der verdickten Muskel¬ 
wand des Magens gebildet, welche gegen den Pylorus zu aber 
dünner wird, und an einer über erbsengroßen Stelle voll¬ 
ständig geschwunden ist, entsprechend einer etwa hanfkorn¬ 
großen Lücke der Magenschleimhaut. Es besteht also ein 
seichter Fistelgang, durch welchen die Cystenhöhle mit dem 
Magenlumen, communicirt. Die mikroskopische Untersuchung 

‘) Hinterstoisseb, Cystisch erweichtes Sarcora der Magenwand. Wiener 
med. Wochenschr. 1888, Nr. 4, 5. 

1 * 


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2016 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2016 


ergibt ein großzelliges Rundzellensarcom. Als Ausgangsort 
der Neubildung ist das subseröse und intermusculäre Binde¬ 
gewebe anzusehen. 

Unser Fall bietet also die vollständigste Analogie. In 
beiden Fällen eine von der Bindegewebssehickte des Magens 
subperitoneal ausgehende, mit breiter Basis aufsitzende, an 
Fundus und großer Curvatur befindliche sarcomatöse Ge¬ 
schwulst, welche durch regressive Processe in centrale Er¬ 
weichung übergeht, dadurch in ein cystisches Gebilde um ge¬ 
wandelt wird und endlich durch Arrodirung der gemeinsamen 
Cysten- und Magenwand beide Höhlen in Verbindung bringt. 
Als ich den Kranken zuerst im October als Ambulanten sah, 
erschien die Geschwulst noch solid, ebenso wie im Billroth- 
schen Fall; im December war aber die centrale Erweichung 
schon so weit fortgeschritten, daß der Tumor als Cyste zu 
erkennen war, welche die Diagnose auf Abwege führte. Nach¬ 
dem Magen- und Cystenhöhle durch die drei Oeffnungen in 
Communication geriethen, mußte durch den eindringenden 
peptischen Mageninhalt der centrale Zerfall des Tumors rapid 
gesteigert werden. Die verflüssigten Massen wurden nun theils 
durch Abfließen während der Bettlage des Kranken, theils 
durch die Bauchpresse schubweise in den Magen befördert 
und durch meist eruptiv auftretendes Erbrechen nach außen 
entleert. In Folge dessen verkleinert sich die Cyste zusehends 
und verliert nach und nach ihren cystösen Chaiakter; eine 
kurze Zeit zu Beginn dieser Metamorphose konnte in dem 
Sacke neben Flüssigkeit auch Luft constatirt werden, welche 
allem Anscheine nach aus dem Magen stammte. 

Ob die communicirenden Oeffnungen zwischen Magen- 
und Cystenhöhle ursprünglich in der Magenwand als runde 
Geschwüre auftraten und der Durchbruch dieser in das Stroma 
der Geschwulst mit Hilfe des peptischen Magensaftes die Er¬ 
weichung ihres Innern angeregt habe, oder ob umgekehrt von 
dem spontan zerfallenden Tumorcentrum die Durchbruchs¬ 
richtung gegen den Magen ausging, ist wohl schwer mit 
Sicherheit zu bestimmen. Doch kann ich mir nicht leicht vor¬ 
stellen, daß eine so allgemeine gleichförmige bis zur exquisiten 
Cystenbildung fortschreitende Erweichung von außen her den 
Anstoß erhalten habe; eine Perforation vom Magen aus hätte 
höchstens einzelne fistulöse Erweichungsgänge erzeugen können, 
wenn nicht schon von innen her der Zerfall im Gange war; 
wir können dem Eindringen des Magensaftes höchstens eine 
Beschleunigung des Zerfalles zumuthen. Dafür spricht auch 
das Auftreten des Erbrechens in einem späten Stadium der 
Krankheit, und auch die Verhältnisse des BiLLROTH’schen 
Falles, wo der Durchbruch in den Magen durch eine kleine 
uncharakteristische FistelöfFnung, zweifellos ein secundärer 
Proceß war, als Folge der von der Cyste aus fortschreitenden 
Verdünnung der Magenwand. 

Die zweite Frage ist die, ob die durchgebrochenen specifi- 
schen runden Magengeschwüre schon primär bestanden oder nicht. 
Da in der Anamnese des Kranken Ulcussymptome, Cardialgien, 
Erbrechen, Hämatemese, durchaus fehlten, erscheint es mir 
plausibler, die Geschwüre als secundäres Ereigniß aufzufassen, 
und ich stelle mir vor, daß die fortschreitende Necrose des 
Tumors, bis zur Magenwand vordringend, die ihr in den Weg 
kommenden Magengefäße thrombosirte und so nicht einfache 
Rupturen, sondern specifische Magengeschwüre erzeugte, welcher 
Umstand unserem so seltenen Falle noch ein interessantes 
Moment verleiht. Ja es erscheint selbst die. Annahme einer 
Thrombose als überflüssig, wenn wir bedenken, daß jede wie 
immer geartete Verletzung des Magens durch die peptische 
Einwirkung des Magensaftes die Form des specifischen Magen¬ 
geschwüres anzunehmen geneigt ist. 

Magensarcome gehören zu den größten Seltenheiten. Der 
Bearbeiter des BiLLROTH’schen Falles, Hintrrstoisser , konnte 
blos 4 Fälle aus der Literatur bezeichnen. Noch viel seltener 
ist die centrale Erweichung eines Magensarcoms, so daß 
Hinter8toisser überhaupt keinen analogen Fall erwähnt. Der 
meinige ist der einzige, der ihm an die Seite gestellt werden 


kann, ja sogar klinisch und anatomisch einen Typus darstellt, 
der als Unicum gelten kann, insofern als der centrale Zerfall 
soweit fortgeschritten war, daß der Tumor schon am Kranken¬ 
bett als unverkennbare Cyste in Erscheinung trat. Dadurch 
mußte, bei absoluter Unkenntniß der Möglichkeit einer solchen 
pathologischen Bildung die Diagnose auf falsche Fährte ge¬ 
leitet werden. Auch die Entstehung von runden Magenge¬ 
schwüren auf diesem Wege ist in der Literatur nicht ver¬ 
zeichnet. Ein Pendant zu meinem Falle konnte ich auch in 
den ausführlichsten Werken über pathologische Anatomie nicht 
auffinden. Einen einzigen Fall von central erweichtem Sarcom, 
aber unter ganz differenten pathologischen und topographischen 
Verhältnissen, fand ich, wie erwähnt, in Vibchow’s Archiv 1889, 
115. Band. Es handelte sich um ein Mesenterialsarcom, welches, 
mit dem Uterus und dem Colon descendens in Verbindung 
tretend, dieselben infiltrirt und perforirt und so eine Commu¬ 
nication zwischen beiden Organen hergestellt hat. Am Kranken¬ 
bett wurde der Tumor für eine Uterinalgeschwulst gehalten. 
Es bestand ein fötider blutiger Ausfluß, sehr heftiger Unter¬ 
leibsschmerz, und wegen plötzlich auftretender starker Blutung 
wurde eine Auskratzung der Uterushöhle vorgenommen, nach 
welcher binnen einigen Stunden der Tod erfolgte. Bei der 
Obduction fand Zahn sehr verwickelte anatomische Verhältnisse, 
deren Ergebniß der erwähnte Befand war. Der Autor nimmt 
an, „daß zuerst von der Uterushöhle aus das bis in sie herab¬ 
gestiegene Geschwulstgewebe abstarb, darnach die entzünd¬ 
lichen Erscheinungen sich bis in’s Innere der Hanptgeschwulst 
fortsetzten und hier einen Eiterherd bewirkten, von dem aus 
ein Senkungsabsceß in Form eines Fistelganges der Wirbel¬ 
säule entlang und ein anderer gegen den Darm zu sich fort¬ 
setzte“. 

Ich habe den Fall erwähnt, da ich keinen andern von 
innerer Erweichung eines Sarcoms in der Literatur außer dem 
BiLLROTH’schen auffinden konnte. Doch ist aus der Schilderung 
ersichtlich, daß es sich eigentlich nur um Analogien, keines¬ 
wegs aber um eine Congruenz der pathologischen Verhältnisse 
handelt. Es ist weder ein wirklich vom Centrum ausgehender 
Zerfall des Gewebes, noch eine einfache necrotische Erweichung 
vorhanden, da von entzündlichen Erscheinungen und von 
Eiterung die Rede ist; endlich liegt eine bis zur Cystenbildung 
Transformation der soliden Geschwulst nicht vor. 
’sche Fall ist demnach für unser Thema nur per 
tangentem zu verwerthen, und es bleibt als Analogon zu 
meinem Falle nur der BiLLROTH’sche übrig. 

Ein glücklicher Zufall brachte mir nun im Laufe dieses 
Jahres einen Fall zur Beobachtung, der, an den ZAHN’schen 
erinnernd, fast alle Attribute des ersten Falles rein zur Dar¬ 
stellung bringt: 

Der 72jährige J. K. wurde am 22. April 1. J. in das israeli¬ 
tische Krankenhaus aufgenommen, wo er schon im verflossenen 
Herbste an Lungenemphysem behandelt war. Er hustet seit 2 Jahren; 
seit 3 Wochen hat er starke Schmerzen im Uhterleibe; seit einigen 
Monaten ist er abgemagert. 

Am Unterbauche ist eine fast kindskopfgroße Geschwulst zu 
ermitteln, deren obere Grenze bis zur Mitte der Symphysen-Nabel 
linie reicht, die untere ist nicht zu umgreifen, da sie sich hinter 
den Schambeinen in’s Becken verliert. Der Tumor ist rundlich, von 
glatter Oberfläche, elastisch härtlicher Consistenz, ganz unbeweglich, 
und macht aus dem Becken auftauohend ganz den Eindruck einer 
vollen Blase. Der Schall über der Geschwulst ist ganz leer. An der 
rechten Seite derselben liegt über dem PoüPART’schen Bande ein 
etwas beweglicher kleinerer Tumor von ähnlicher Beschaffenheit und 
von der Form und Größe einer Pflaume. Bei Digitaluntersuohung 
des Rectums ist die Grundgeschwulst nur ganz dunkel in der Tiefe 
des Beckeus zu palpiren; die Untersuchung der Harnblase mit einem 
Metallkatheter ergibt nichts Abnormes, ebenso wenig die Prüfung 
des Harnes. Subjectiv ist nur häufiger Harn- und Stuhldrang vor¬ 
handen ; Fieberbewegung hat der Kranke nie wahrgenommen. 

Bei Stellung der pathologischen Diagnose konnte kaum, 
ein Zweifel sein, daß wir es mit einem bösartigen Neugebilde 


gediegene 
Der Zahn 


Digit-iz-ed byj 


Google 


2017 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2018 




zu thun haben. Dafür sprach die Abmagerung, die Gesichts¬ 
farbe, das Fehlen entzündlicher Erscheinungen, das Alter des 
Kranken und die Invasion einer benachbarten Lymphdrüse; 
in Anbetracht der elastischen Resistenz und der gleichmäßig 
glatten Oberfläche des Tumors erklärte ich denselben für ein 
Sarcom. Was die topographische Diagnose betrifft, so konnte 
ich mit ziemlicher Sicherheit ausschließen, daß die Geschwulst 
irgend ein Bauchorgan betreffe, da hier nur Blase und Darm 
in Betracht kommen konnten, diese aber unmittelbar keine 
Veränderung darboten. Die ganze Situation und Form der 
Geschwulst erinnerten mich lebhaft an einen vor Jahren be 
obachteten Fall 8 ), wo sich ein ähnlicher, aber größerer Tumor 
in derselben Lage, Form und Consistenz bei der Leichenschau 
als Kryptorchis sarcomatosus erwies. Bei unserem jetzigen 
Kranken waren aber beide Hoden an normaler Stelle nach¬ 
weisbar. Ich nahm also mit Ausschluß aller anderen Möglich¬ 
keiten ein von irgend einem Beckenorgan oder Gewebe aus¬ 
gehendes selbstständiges Gewächs oder Neugebilde an. 

Die Geschwulst nahm langsam, aber stetig zu, so daß 
sie Mitte Juli, als ich meine Ferienreise antrat, bis zur Höhe 
des Nabels reichte; die Consistenz blieb dieselbe, auch keine 
Spur von Fluctuation war je wahrzunehmen. Während meiner 
Abwesenheit vergrößerte sich nach den Aufzeichnungen meines 
Assistenten der Tumor noch über die Nabel horizontale; es 
trat Oedem der Füße, starke Diarrhoe zeitweise mit blutiger 
Entleerung, zuletzt auch Erbrechen auf. Der Tod erfolgte durch 
Erschöpfung am 22. August. 

Der Befund der von Prof. Schbüthauer gemachten Section 
war in Kürze folgender: 

Die Lungen sind luft- und substanzarm, aufgebläht, von 
schaumigem Serum erfüllt. In der ünken Bpit-ze eine haselnußgroße 
schwärzliche Narbe, in deren Centrum eia trockener käsiger Herd. 
Das Herz ist breiter, seine Musculatur fahl, zerreißlich; die Wand 
des rechten Ventrikels um das Doppelte verdickt. Die Leber ist 
fetthältig, schlaff, fäulnißgrün. Milz rothhrauu, weich. Die Schleim¬ 
haut des Magens und Duodenums schiefergrau, die des tlbrigen 
Dünndarmes blaß, ödematös, die des Dickdarmes blaßgrau 
gewulstet. Die Nieren sehr blutarm, schlaff, die Kelche und Ureteren 
aufs Dreifache erweitert, letztere geschlängelt, ihre Schleimhaut 
graulich. 

Die leere Harnblase ist durch eine mannskopfgroße runde, 
zwischen ihr und dem Mastdarm befindliche Geschwulst zusammen- 
gedrückt. Die Schleimhaut ist blaß. Di$ Geschwulst hat eine fibröse 
Hülle, das Stroma ist weich, mürbe, theils markweiß, theils rosen- 
röth, von mittlerem Blutgehalt, durch Schaben der Schnittfläche ist 
wenig rahmartige Flüssigkeit zu gewinnen. Das Centrum der Ge¬ 
schwulst ist in einem etwa apfelgroßen Raume zu einer graubraunen 
dicklichen Flflssigkeit zerfallen. Die Wandung der dadurch gebildeten 
rundüohen Höhlung besteht aus fetzigem, morschem, bräunüohem 
Gewebe; ihr Lumen oommunicirt durch eine strohbalmdicke Fistel 
mit dem Mastdarm, in einer Entfernung von 4 Cm. über der Anal¬ 
öffnung. Um die Communioationslücke der vorderen Rectalwand ist, 
von normaler Schleimhaut bedeckt, eine weiße rundliche platten - 
förmige Geschwulst vorhanden, deren Schnittfläche dem großen Tumor 
analog ist. Am rechten Hüftbeinteller befinden sich ähnliche, etwa 
kindesfaustgroße Neubildungen. Einige Mesenterialdrüsen sind zu 
haselnußgroßen, weichen, weißlichen Tumoren vergrößert. Die Pro¬ 
stata ist klein und blutarm. — Die mikroskopische Unter¬ 
suchung all dieser Geschwülste ergibt neben einem spärlichen 
bindegewebigen Gerüste eine gleichmäßige Anhäufung von mittel¬ 
großen spindelförmigen Zellen, welche parallel verlaufende Stränge 
bilden. Diagnose: Sarooma fascioulatum. 

Epikritisch erwies sich demnach, daß die Diagnose dnrch 
die Section nach zwei Richtungen hin bestätigt wurde. Die 
Art der Geschwulst ergab sich in der That als Sarcom, dessen 
centrale Erweichung aber nicht so weit fortgeschritten war, 
um am Krankenbett durch das Zeichen der Fluctuation con- 
statirt werden zu können, ganz so wie im BiLLROTH’schen 

*) Beitrag zur Casuistik der Bauchtumoren. Pester med. Presse 1884. 


Falle, wo die Verhältnisse so wenig Anhaltspunkte ergaben, 
daß eine Diagnose überhaupt nicht gemacht wurde. Den Sitz 
der Geschwulst betreffend, ergab es sich ebenfalls, daß die 
Geschwulst im Sinne der gestellten Diagnose kein Bauchorgan 
repräsen tirte, sondern ein selbständiges, neoplastisches Gebilde 
war, dessen Ausgangspunkt selbst die Leichenuntersuchung 
nicht feststellen konnte. Das Rectum zeigte sich wohl auch 
angegriffen, aber die Invasion des Neugebildes auf die Darm¬ 
wand mußte zweifellos als secundär angesehen werden, und 
kam offenbar erst in einem späten Stadium der Krankheit zu 
Stande. 

Die Lehre, die wir aus diesen Fallen, namentlich aus 
dem ersten, schöpfen können, ist die, daß wir von nun ab in 
der Diagnostik von Bauchtumoren bei Gegenwart eines cysti- 
schen Gebildes auch an die bisher ganz unbekannten und daher 
vollständig außer Acht gelassenen Pseudocysten denken müssen, 
welche durch centrale Erweichung von Sarcomen entstehen. 
Sie bilden wohl außerordentliche Seltenheiten, doch sind 
manchmal auch solche Raritäten zu verwerthen, wie ein von 
mir mitgetheilter Fall 8 ) beweist. Ich hatte nämlich vor Jahren 
im Krankenhause einen Fall einer dunkeln BauchgeschwuLt 
beobachtet, welche sich am Leichentische als polycystische 
Entartung einer Niere ergab; bei Erwachsenen einer der 
seltensten Befunde. Und auf Grund dieser frisch gebliebenen 
Reminiscenz hatte ich nach Verlauf von fast 10 Jahren den 
Muth, in einem schwierigen Tumorfalle, der fachtüchtigen 
Collegen als Lebergeschwulst imponirte, wo ich aber alle 
übrigen klinischen Möglichkeiten auszuschließen mich für be¬ 
rechtigt hielt, die bestimmte Diagnose auf einen Nierentumor 
und die Wahrscheinliehkeits- oder Möglichkeitsdiagnose auf 
polycystische Entartung der rechten Niere zu stellen. Die 
Kranke wurde von Tauffer operirt, und ich hatte das Glück, 
eine Diagnose bestätigt zu finden, die überhaupt am Kranken¬ 
bette noch nie gemacht worden war. Daher gebe ich auch die 
Hoffnung nicht auf, daß mein mitgetheilter Fall von sarcomatöser 
Pseudocyste des Magens einst am Krankenbett diagnostisch 
verwerthet werden könnte. 


Aus der Abtheilung für üusserlich Kranke im 
königl. Charitekrankenhause in Berlin . 

Ueber die Versuche mit dem von Koch gegen 
Tnberculose empfohlenen Mittel. 

Vom Oberstabsarzt Dr. R. Köhler and Stabsarzt Dr. Westph&l. 

(Schluß.) 

6. Die 18 Jahre alte Leonadia Spichalski befindet sich 
seit dem 28. Mai 1890 wegen einer Entzündung des rechten Fu߬ 
gelenks, welche um Weihnachten vorigen Jahres ohne äußere Ur¬ 
sache entstanden war und mit zeitweiligen Remissionen ununter¬ 
brochen gedauert hatte, auf der Abtheilung. Das Gelenk war bei 
der Aufnahme ziemlich beträchtlich geschwollen, so daß die Knöchel 
nicht so deutlich wie am anderen Fuß hervortreten, und passive 
Bewegungen waren äußerst schmerzhaft. Der Fuß wurde mit Gyps- 
verbänden ohne jeden Erfolg behandelt. Am 11. October war das 
Fußgelenk sowohl über dem Spann als besonders in der Umgebung 
der Knöchel stark geschwollen. Die Anschwellung setzte sich auf der 
Innenseite gegen die Achillesferse entsprechend dem Sprungbein- 
Fersenbeingelenk fort. Die Haut von normaler Farbe und nicht 
ödematös. Unter dem inneren Knöchel Fluctuation und bläuliche Ver¬ 
färbung der Haut, welche früher schon bald mehr, bald weniger deutlich 
vorhanden war. Active Beweglichkeit des Fußes nur innerhalb sehr 
enger Grenzen möglich, der Versuch passiver Bewegungen verur¬ 
sacht heftige Schmerzen. Umfang des Fußes über Spann und Haken 
gemessen 27 - 5 Cm. Diagnose: tuberculöse Fußgelenk-Entzündung. 
Am 11. October, 10Vs Uhr Morgens, Injection von O'l Ccm. der 


*) S. Verhandlungen des Congresses für innere Medicin und Wiener 
med. Wochenschr. 1888: Zur Diagnostik der Nierentumoren. 


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2019 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2020 


# 


1 °/o Lösung in den Rücken. Starker Frost gegen 4 Uhr, Kopf¬ 
schmerzen, Mattigkeit, später Appetitlosigkeit. Maximum der Tem¬ 
peratur um 7 Uhr Abends 39*7. Puls 120, voll, gespannt. Der 
Fuß fühlt sich am Abend heißer an als der rechte, die Haut glatter 
und gespannter. Umfang des Fußes etwas über 27 5 Cm. 

Die Einspritzungen wurden nun in folgender Weise vorge¬ 
nommen : 

am 12. und 13. October:.0*2 Cmm. 


55 

14. 

„ 16- 

55 

... 0-3 

55 


18. 

October: . 


... 0-4 


55 

21. 

55 

• • • • • 

... 0-5 

55 

55 

23. 

55 


... 0-5 

55 

55 

25. 

55 


... 0-5 

55 

55 

27. 

55 

. 

... 0-6 

55 


8. 

November: 

. .... 

... 0.1 


55 

11. 

55 


... 02 

55 

55 

13. 

55 


... 1-0 

55 


am 4. November wieder verschwunden. 8. November Nachmittags 
4 Uhr Einspritzung von 0'1 Ccm. der 1% Lösung in den Fu߬ 
rücken. Kein Frost, kein Fieber. Am folgenden Tag intensive 
Röthung in der Umgebung der Injectionsstelle über dem 1. und 
2. Mittelfußknochen, die Haut hier etwas geschwollen und empfindlich. 
Umfang des Fußes zwischen Spann und Ferse 28’5 Cm. An der 
Außenseite hinter dem obersten Ende des äußeren Knöchels eine 
mehr als bohnengroße fluctuirende Geschwulst von normaler Haut¬ 
farbe wahrnehmbar. 12. November, 5 Uhr Abends, Injection von 
0-2 Ccm. der l°/ 0 Lösung in den Fußrücken. Kein Frost, kein 
Fieber. Am folgenden Morgen Fußrücken nicht roth, nicht ge¬ 
schwollen. Die Gegend unterhalb des inneren Knöchels, welche anoh 
schon vor dieser Behandlung zuweilen vorübergehend Fluctuation 
zeigte, fluctuirt wieder und ist hellroth gefärbt. Die fluctuirende 
Anschwellung hinter dem äußeren Knöchel besteht noch. Im Fuß 
keine spontanen Schmerzen. Beweglichkeit noch nicht gebessert. 
13. Novemler: Am Morgen der Fuß an der Innenseite noch prall 




Wie aus der vorstehenden Tcmperaturcurve ersichtlich ist, 
stellte sich fast nach jeder Einspritzung ein rasches Emporsteigen 
bis zu einem Maximum an demselben Abend, und des Nachts ein 
Abfall bis zur Norm oder uuter dieselbe ein. Der Frost begann 
meist um 4 Uhr und mit ihm traten Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, 
Appetitlosigkeit, belegte Zunge ein. Am folgenden Tage war das 
Allgemeinbefinden gewöhnlich wieder besser. Bald nach dem Auf¬ 
treten des Frostes wurde das Fußgelenk jedesmal etwas dicker, die 
Haut praller gespannt, aber nur selten röther. Nach den ersten 
9 Einspritzungen konnte jedesmal am nächsten Morgen eine me߬ 
bare Zunahme um 1 , 3 Cm. constatirt werden, während am Tage 
nach der Einspritzung der Umfang des Fußes wieder auf sein 
früheres Maß von 37*5 Cm. zurückging, wobei sich seine Haut an 
der Innenseite und zuweilen auch auf dem Fußrücken in feine 
Falten legte. Nach den letzten Injectionen, bei denen auch 0 - 6 und 
1*0 Ccm. injicirt war, wurde nun die Anschwellung erheblich stärker, 
wie aus Folgendem hervorgeht: 

27. October: Um 10 Uhr Morgens Injection von 0*6 Ccm. in 
den Fußrücken, um 1 / a 4 Uhr geringer Frost, Kopfschmerzen, Mattig¬ 
keit, Uebelkeit. Injectionsstelle etwas roth, die Röthung dohnt sich 
bis über den ganzen Fußrücken aus, welcher leicht geschwollen ist, 
bat aber am 29. October bedeutend nachgelassen und ist am 
30. October wieder verschwunden. Umfang zwischen Spann und 
Ferse 28 x / 4 Cm. Diese Anschwellung des Gelenks ging allmälig 
derart zurück, daß der Umfang am 2. November noch 28 Cm. 
und erst am 4. November wieder 27*6 betrug. Eine am 17. October 
vor und unter dem äußeren Knöchel aufgetretene Fluctnation war 


geschwollen und roth. Umfang noch 28 1 / 4 Cm. Um */, 10 Uhr 
Morgens Injection von 1*0 Ccm. auf dem Fußrücken. Kein Frost. 
Um 4 Uhr Kopfschmerzen, Zunge nicht belegt. Umfang zwischen 
Spanu und Ferse 29 Cm. Fußrücken, sowie Innenseite des Fußes 
stärker geschwollen als sonst, heiß anzufühlen. Stechende Schmerzen 
im Fußgelenk. Die Fluctuation besteht an den erwähnten Stellen 
noch. Die Temperatur hatte um 4 Uhr 39 - 9 erreicht. 

7. Die 18jährige Bertha Friedrich, welche vor 4 Jahren 
an einem Gelenkrheumatismus der unteren Gliedmaßen 1& Wochen 
lang gelitten batte, erkrankte Mitte Januar dieses Jahres an starker 
Anschwellung, Steifigkeit und Schmerzhaftigkeit des linken Knies. 
Behandlung mit Salicylsäure, Jodkali, Gyps- und Schienenverbänden, 
sowie Einspritzung von 1 Ccm. Jodoformglycerin am 8. und 12. Oc¬ 
tober führten keine Besseruug herbei. Das Bein wurde activ nicht 
bewegt und setzte den sehr schmerzhaften passiven Bewegungen 
bedeutenden Widerstand entgegen. Das Knie war gleichmäßig ge¬ 
schwollen und die Haut von normaler Farbe und Temperatur. Am 
17. October betrug der Umfang: 



Mitte der Kniescheibe 

. 

, , 

. 33 Ccm. 


oberhalb der Kniescheibe 


. 32 „ 


unterhalb „ „ 


# . 

. 32 „ 

Es 

wurden injicirt: 



am 

17. October . . . 

05 

Ccm. 

am Rücken 

55 

18. „ ... 

10 

55 

55 55 

55 

20. „ ... 

10 

55 

»5 55 

55 

23. „ ... 

1-0 

55 

in der Kniegegend 

55 

1. November . . . 

1-0 

55 

55 55 55 


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2021 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2022 


am 8. November 
„ 10 . 


12 . 


0*2 Ccm. in der Kniegegend 
0-5 
1-0 


Referate und literarische Anzeigen. 


Die Injeetionen wurden Morgens zwischen 9 und 10 Uhr ge¬ 
macht. Um 4 Uhr stellte sich in der Regel Frost, Kopfschmerzen, 
Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, belegte Zunge ein, welche Er¬ 
scheinungen am folgenden Tage gewöhnlich geringer geworden 
waren. Exanthem trat niemals auf. Nach den Einspritzungen von 
1*0 Ccm. trat jedesmal eine beträchtliche, aber verschieden hohe 
Temperatursteigerung noch an demselben Abend aaf, während der 
Abfall in der Nacht oder auch am folgenden Tage vor sich ging. 
Die Injeetionen von 0‘2 und 0*5 Ccm. vermochten die Temperatur 
gar nicht oder nur unbedeutend in die Höhe zu treiben. Das Aus¬ 
sehen des Knies wurde, abgesehen von zuweilen um die Injections- 
stelle am Knie herum auftretende Röthe und geringe Schwellung, 
nicht Verändert. Insbesondere nahm die Haut niemals eine pralle 
8pannung oder starke Röthung an. Dagegen war nach der Ein- 
epritzung die Temperatur des Knies dem Gefühl nach ziemlich stark 
erhöht. 

Eine Zunahme des Umfanges des Knies nach den einzelnen 
Einspritzungen konnte nicht mit Sicherheit constatirt werden. Die 
Differenzen bei den täglichen Messungen betrugen nicht mehr als 
einen halben Centimeter. Dagegen hatte sich schon am 26. October 
die active Beweglichkeit des Knies ganz auffallend gebessert, und 
diese Besserung hat solche Fortschritte gemacht, daß seit dem 
9. November die Beugung bis zu einem Winkel von etwa 45° ans¬ 
geführt werden kann. 

8.- Der 11jährige Knabe Emil Kramer hatte die Abtheilung 
wegen seit einem halben Jahre auftretender geschwüriger Processe 
an den Oberschenkeln und am HalBe aufgesucht. Im August trat in 
der Gegend der linken Kniekehle ein Absceß auf, welcher gespalten 
werden mußte und dann heilte. Am rechten Bein befanden sich 
noch im October mehrere Wunden an der Außen- und Innenseite, 
welche den Eingang zu am Bein emporsteigenden, bis 10 Cm. langen 
Fistelgängen bildeten, ohne daß eino Erkrankung des Knochens 
naCbgewiesen werden 'konnte. Xuße’r'dem befanden sich am Hals, 
sowie an beiden Scbenkelbeugen mehrere theils geschlossene, theils 
ujeerirende Narben. Die muthmaßliche Diagnose war Syphilis. Da 
jedoch Tubereulose nicht ausgeschlossen werden konnte, so wurden 
dem Knaben folgende Einspritzungen der 1 °/ 0 Lösung in den Rücken 
gemacht: 


11. 

October 

0*1 

Ccm, 

13. 

» 

o-i 

n 

14. 

n 

0*2 


15. 

r> 

0-2 

’j 

16. 

ii 

0*3 

n 

22. 

n 

03 

n 

25. 

n 

0-4 

n 

27. 

n 

0*5 

ii 


Obwohl nach den meisten Injeetionen ein schnelles Ansteigen 
der Temperatur bis 38, bezw. 39‘0 und darauf ein rasches Ab¬ 
fallen derselben eintrat, zeigten die Einspritzungen innerhalb einer 
17tägigen Behandlung gar keine Einwirkung auf die Narben, Fisteln 
und Geschwüre, weshalb von weiteren Versuchen Abstand genommen 
wurde. 

Um die Wirkung des Mittels rein beobachten 
zu können, haben wir uns jedes chirurgischen 
Eingriffes bei unseren Kranken bis jetzt ent¬ 
halten. 

Unsere Publication ist erfolgt, um einen 
kleinen Beitrag zu liefern zu der „orientirenden 
Uebersicht über den augenblicklichen Stand der 
Sache“ im Sinne des Herrn Geheimrath Koch. 
Ein abschließendes Urtheil beanspruchen daher 
unsere Beobachtungen nicht. 


Mitthe&longen über das Koch’sche Heilverfahren 
gegen Tuberenlose. 

III. 

H. Senator, E. Henoch (Berlin), Litten (Berlin): Ueber das KocH’sche 
Heilverfahren gegen Tuberenlose. — K. Turban (Davos) : Der physikalische Nach¬ 
weis der KocH’schen Reaction in tnberculösen Langen. — CA. Ewald (Berlin): 
Ueber die Erfahrungen mit dem KocH’schen Mittel — Helferich (Greifswald): 
Ueber die Erfolge, welche mit dem KocH’schen Heilmittel bei Kranken der 
chirnrg. Kliniken bisher erzielt worden sind. — F. Wolff (Görbersdorf): Die 
Reaction der Lungenkranken bei den KocH’schen Impfnngen. — E. Armng 
(H amburg): Mittheilnr.gen über Versuche mit der Koch’s chen Iojectionsflüssig- 
keit bei Lepra und Lupus erythematodes. — Schede, Maes, Thost, Käst (Ham¬ 
burg): Demonstration der vorläufigen Ergebnisse der Versuche mit dem Koch- 
sehen Mittel gegen Tuberenlose in den allgemeinen Krankenhäusern in Ham¬ 
burg. — P Guttmann (Berlin): Ueber das KocH’sche Heilverfahren bei Lungen- 
tuberculose. — R. Heinz (Breslau): Experimentelles zur JodkaliwirkuDg nebst 
einem Vorschläge zur gelegentlichen Combinirnng der KocH’schen Methode 
mit interner Jodkalibehandlnng. — Cornil (Paris): De la methode de Koch. — 
H. Büchner (München): Die Bacterienprotei'ne und deren, Beziehung zur Ent¬ 
zündung und Eiterung. 

Senator hat das KocH’sche Mittel bis nun in 53 Fällen au¬ 
gewendet und berichtet über seine interessanten Beobachtungen in 
Nr. 51 der „Berl. klin. Wocbenschr.“ Er hebt zunächst hervor, 
daß die Stärke der Reaction, sowie ihre Dauer und auch die Schnellig¬ 
keit ihres Eintrittes in keinem Verhältniß zur Stärke oder Ausbrei¬ 
tung des tuberculösen Processcs steht. Ungemein wichtig für die 
Frage der Anwendbarkeit des Koca’schen Verfahrens ist die Art 
der örtlichen Reaction, welche in einer in der Umgebung des tuber¬ 
culösen Gewebes stattündenden reactiven Entzündung besteht. Dieser 
Vorgang spielt sich am leichtesten und am günstigsten an freien 
Flächen ab, und in der That scheint nach den Beobachtungen Senator’s 
die Darmtuberculose sehr günstig beeinflußt zu werden, besonders 
ohne jene Störungen abzulaufen, welche an anderen, weniger günstig 
gelegenen Stellen auftreten und das Leben gefährden. Zu diesen 
gehört der Kehlkopf. Noch weniger günstig liegen die Verhältnisse 
au den Lungen, weshalb wir für die Lungentuberculose unsere Er¬ 
wartungen nicht zu hoch spannen dürfen. Als Zeichen örtlicher 
Reaction in der Lunge traten in seinen Fällen wiederholt leichte 
Pleuritiden auf und dreimal Zeichen frischer Verdichtung, welche 
nach 2—4 Tagen zurückgingen. Umgekehrt bat Senator in 2 Fällen 
von pleuritischem Exsudat unter der Behandlung das eine, welches 
seit Monaten bestand, bis auf geringe Reste, das andere, wenige 
Wochen alte etwa auf die Hälfte zurückgeben gesehen. Die Tuber- 
culose der geschlossenen Höhlen bietet die ungünstigsten Verhältnisse. 

Für vollständig contraindicirt hält Senator das Mittel bei 
Tuberenlose innerhalb der Schädelhöhle, also des Gehirns oder der 
Hirnhäute, wenigstens bei geschlossener Schädelkapsel, wegen der 
Gefahr, die einmal durch die entzündlich wirkende Hyperämie und 
das Oedem und damit durch die mögliche Resorption des Infections- 
stoffes bedingt wird. Andere mehr oder weniger wichtige Contra- 
indicationen bilden 1. die Nephritis, wenn sie nicht ganz unbedeutend 
ist und zumal, wenn Hydrops oder die Neigung dazu besteht, wegen 
des zu fürchtenden Lungenödems, 2. große Pleuraergüsse. Was die 
Hämoptoe betrifft, so scheint dieselbe nicht immer durch das Koch- 
sche Verfahren gesteigert zu werden; sie bleibt sogar in manchen 
Fällen aus. Daß bei vorgeschrittenem Kräfteverfall, Kachexie, aus¬ 
gedehnter amyloider Erkrankung das Verfahren zu uuterbleiben hat, 
ist selbstverständlich. 

An derselben Stelle berichtet Henoch über seine an 11 tuber^ 
culösen Kindern gesammelten Erfahrungen. Die Kinder standen im 
Alter von 2— 11 Jahren. Die Iujectionen wurden mit 1 ;, 0 Milligrm. 
begonnen, und als diese Dosis keine Reaction gab, wurde auf 2 / 10 
und s /io Milligrm. gestiegen; bei dieser letzteren Dosis stellte sich 
fast immer eine mehr oder weniger lebhafte Reaction ein. Die Er¬ 
scheinungen stimmen im Großen und Ganzen mit jenen bei Erwachsenen 
überein. Interessant ist ein Fall von chronischer tuberculöser Peri¬ 
tonitis, bei dem nach der Injection eine Zunahme des Bauchumfanges 
auftrat, worauf nach der zweiten Injection die angesammelte Flüssig¬ 
keit verschwand. Ein Kind mit Meningitis tuberculosa im letzten 
Stadium starb trotz der Injection. Die Section ergab eine enorme 


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2023 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2024 


Hyperämie und Injection sfimmtlioher Gefäße der Meningen und der 
grauen Substanz des Gehirns. 

Interessant ist ein von Litten an derselben Stelle veröffent¬ 
lichter Fall einer 28jährigen Frau, die angeblich nach einer Infection 
der Nase durch ein von einer Tuberculösen gebrauchtes Taschentuch 
tuberculöse Ulcerationen der Nase, ein ebensolches Geschwür des 
oberen Zahnfleisches und eine acute Miliartuberculose desselben be¬ 
kam. Nach der ersten Einspritzung von 1 Milligrm. röthete sich 
das Zahnfleisch intensiv, das bis dahin oberflächliche Geschwür zer¬ 
fiel und in der Umgebung desselben traten neue miliare Knöt¬ 
chen auf. Litten berichtet noch über zwei günstige Befunde: der 
eine betrifft einen Fall von Lungen- und Larynxphthise. Der Kranke, 
der gar nicht mehr mit tönender Stimme sprechen konnte, sprach 
jetzt nach etwa Mtägiger Behandlung schon mit etwas klangvoller 
Stimme, was davon berrührt, daß, während man früher die wahren 
Stimmbänder gar nicht sehen konnte, jetzt die Anschwellung des 
Taschenbandes wesentlich zurückgegangen ist. Der zweite Fall be¬ 
trifft eine tuberculöse Pyelitis. Hier ist unter vermehrtem Abgänge 
eigentümlicher fetzenartiger Massen eine wesentliche Besserung ein¬ 
getreten, und namentlich sind die Anfangs in großer Anzahl vor¬ 
handen gewesenen Bacillen bis auf wenige geschwunden. 

Die Beobachtungen, die Turban in derselben Nummer ver¬ 
öffentlicht hat, ergeben, daß in den Lungen nach Anwendung des 
KoCH’schen Mittels eine Verstärkung der Intensität einer schon zu¬ 
vor festgestellten Dämpfung oder frische Dämpfung an einer Stelle, 
an der zuvor Nichts nachzuweisen war, auftritt, daß ferner die 
Athmung8- und Rasselgeräusche sich verändern und daß die spiro- 
metrische Lungencapacität abnimmt. 

Aus den Erfahrungen Ewald’s an gleicher Stelle ist zu 
entnehmen, daß es sieh empfiehlt, auch bei den gut reagirenden, 
d. h. durch das Fieber nicht mitgenommenen Patienten eher eine 
größere als eine zu kleine Pause zwischen den einzelnen Injectionen 
eintreten zu lassen. Von den einzelnen Reactionserscheinungen, die 
Ewald beobachtet hat, sei eine bedeutende Milzschwellung erwähnt, 
die mit dem Aufhören des Fiebers ein wenig znrflckging. Objectiv 
wahrnehmbare zweifelhafte Zeichen eines Rückganges des anatomischen 
Processes in den Lnngen konnten nicht nachgewiesen werden, dagegen 
änderten sich die auscultatorischen Befunde entsprechend der vermehrten 
und dann stark beschränkten Secretion und Expectoration in zum 
Theile sehr günstiger Weise. In einzelnen Fällen bat Ewald unter dem 
Einflüsse der Injection Dämpfungen auftreten sehen oder sogar die 
charakteristischen Erscheinungen einer Caverne gefunden, die sicher 
vorher nicht bestand. 

Von Interesse sind die Resultate, die Ewald in Bezug auf die 
differential-diagnostische Bedeutung des Mittels erhalten 
hat. Dieselben gruppiren sich in der negativen und positiven 8eite. Zu 
den ersteren gehören Fälle von schwerer Neurasthenie, die den Ver¬ 
dacht eines occulten Lungenleidens nahe legen, sodann ein Fall chro¬ 
nisch-eitriger Processe in den Lungen mit Verdichtung der Pleura und 
Retraction der betreffenden Seite, Caries des Sternums und Fistel¬ 
gängen, bei dem selbst nach 40 Milligrm. keine Fieberreaction auf¬ 
trat. Positive Ergebnisse wurden bei chronisch-dyspeptischen Zu¬ 
ständen , die häufig als Initialsymptome beginnender Phthise auf¬ 
treten, bei scheinbar genuiner seröser Pleuritis, bei Drüsen, Tumoren, 
bei chronischer Cystitis und Pyelitis und endlich bei einem Falle 
von Ulcus ventriculi gefunden. 

Die in Nr. 50 der „Deutschen med. Wocbensebr.“ veröffent¬ 
lichten Referate Helferich’s beziehen sich zunächst auf 4 Lupus- 
fälle und stimmen im Wesentlichen mit dem bereits Bekannten über¬ 
ein. Bei 8 Coxitisfällen wurden ebenfalls die typischen Folgen der 
Injection beobachtet, jedoch nur in einem Falle eine geringe Ver¬ 
besserung der Beweglichkeit. Der letztere Erfolg ist natürlich ab¬ 
hängig von der speciellen Beschaffenheit des erkrankten Gewebes. 
Aeltere Fälle mit narbiger Schrumpfung der Kapsel, mit Narben¬ 
bildung im periarticnlären Gewebe werden natürlich eine functioneile 
Besserung nnr so weit erfahren können, als durch Verminderung 
oder Aufhören der Schmerzen möglich ist. Beginnende Fälle, na¬ 
mentlich synoviale Formen, werden aber in jeder Richtung gebessert 
werden. „ Bei den schweren älteren Formen werden wir glücklich 
sein“ sagt Helfbrich, „durch die Injection solche Verhältnisse zu 


schaffen, daß wir therapeutisch nur mehr eine orthopädische Auf¬ 
gabe zu lösen haben und daß wir nach den Operationen von Re- 
cidiven und langwieriger Fisteleiterung verschont bleiben“. Er hat 
den Eindruck, als ob die localen Beschwerden der Reaction durch 
die acute entzündliche Erscheinung geringer seien, wenn die übliche 
mechanische Extensionsbehandlung nicht aufgegeben wird. 

Die aus den an derselben Stelle veröffentlichten Beobachtungen 
Wolff’s aus der BREHMER’schen Heilanstalt in Görbersdorf resul- 
tirenden Schlüsse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Lun¬ 
genkranke, die durch hygienisch-diätetische Behandlung auf den 
Weg der Heilung gebracht sind, reagiren auf kleine Dosen des 
KoCH’schen Mittels in der Regel nicht mit hohem Fieber. Das Fieber 
ist in der Regel eine nicht nothwendig begleitende Erscheinung der 
Reaction, welche zuweilen in nicht unbedeutenden subjectiven Sym¬ 
ptomen gesucht werden muß. Bei früher eingeleiteter und während 
des KoCH’schen Verfahrens fortgesetzter Freiluftonr treten die Er¬ 
scheinungen der Reaction auch bei schwer Kranken mit leiehten 
Fieberbewegungen nnd ohne wesentliche Schwächung der Kranken 
auf. Schwer Kranke zeigen eine gewisse Reaction schon bei mini¬ 
malster Dosis der Injection. Bei langsam steigender Dosis ist eine 
Besserung der subjectiven Symptome zuweilen auch bei schwer 
Kranken zu beobachten. Selbst bei den kräftigsten und scheinbar 
unempfindlichsten Patienten dürfen die KoCH’schen Injectionen zu 
Beginn nur in kleinster Dosis gegeben werden, und stets ist vor 
rascher Vermehrung der Injeotionsmenge zu warnen. Interessant ist 
die Mittheilung Wolff’s, daß die Injectionen in einigen Fällen 
schwere hysterische Erscheinungen hervorriefen. 

Arning berichtet in derselben Nummer, daß er in 2 Fällen 
von reiner uncomplioirter Lepra von den KoCH’schen Injectionen 
keinerlei locale oder allgemeine Reactionen gesehen. In einem Falle 
von Lepra tuberosa stellte sich allgemeine Reaction ein. In 2 Fällen 
von Lupus erythematodes reagirten beide Patienten schon gegen 
eine sehr kleine Dosis des KoCH’schen Mittels, 0*002. Der eine mit 
Schüttelfrost und hohem, über zwei volle Tage sich erstreckendem 
Fieber und Albuminurie, der andere durch ein außerordentlich leb¬ 
haftes , bei jeder Einspritzung sich wiederholendes Erythem, Kopf¬ 
weh, Larynxreizung und allgemeine Abgeschlagenheit, ohne irgend 
welche nennenswerthe Temperatursteigerung. Bei beiden Fällen blieb 
indessen eine deutliche locale Reaction an den von Lupus erythem. 
befallenen Stellen aus. 

Die von Schede an derselben Stelle mitgetbeilten Beobachtungen 
bei Lupus decken sich im Großen und Ganzen mit dem bereits Be¬ 
kannten. Bei einem Kinde mit mehrfach recidivirender tuberoulöser 
Coxitis stellte sich eine starke Schwellung der Hüftgeleuksgegend 
ein, die sich aber nachträglich verlor. Die vorher sehr reichliche 
eiterige Secretion aus den Fisteln hörte auf und machte einer sehr 
spärlichen serösen Flüssigkeit Platz; auch einige Fälle von Gelenks- 
tuberculose reagirten auf die Injection ziemlich lebhaft. 

Maes hat in den von ihm mit dem KoCH’schen Mittel be¬ 
handelten Lupusfällen beobachtet, daß bei allen Kranken die locale 
Reaction >/*—1 Stunde früher deutlich sichtbar eintrat, als der 
Schüttelfrost und der Temperaturanstieg einsetzte. Er sieht daher 
das Fieber als Resorptionsfieber an. 

Von seinen Controlversuchen sei erwähnt, daß ein Fall von 
acuter, fieberhafter, exsudativer Pleuritis, der Phthise verdäohtig, 
auf Injection von 0*01 gar nicht reagirte. Auch 2 Fälle von 
Syphilis zeigten keinerlei Reaction. In einem Falle von Lepra 
tuberosa trat auf 0*005 zwar eine heftige Allgemeinreaotion, aber 
keinerlei locale Reaction an den Lepraknoten auf. 

Nach Thost scheint für die Therapie der Larynxphthise 
unter dem Einflüsse des KoCH’schen Mittels so viel festzostehen: 
die frischen Infiltrationen werden erkennbar, stoßen sich ab und 
der ganze Proceß wird in Heilung und Benarbung rasch gefördert. 

Die Pnblication Padl Güttmann’s in Nr. 52 der „Berl. klin. 
Woch.“ verdient ein besonderes Interesse, weil die Versuohe im 
Krankenbause Moabit unter den Auspieien Koca’s angestellt werden. 
In erster Reihe hebt G. die prompte Fieberreaction bei fieberfreien 
Tuberculösen nach subcutanen Injectionen des KoCH’schen Mittels 
hervor. Die Temperatursteigerung beginnt meist nach 6 Stunden, 
erreicht gewöhnlich in 4, spätestens 6—8 Stnnden ihr Maximum, 


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2025 


1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 51. 


2026 


fällt daun allmälig oontinuirlich ab, um 12—24 Stunden später 
wieder das Normalniveau zu erreichen. 

Ganz anders, als nach der ersten Injection, zeigt sich die 
Stärke der fieberhaften Reaction bei Wiederholung der Injectionen. 
Es zeigt nämlich die zweite Injection bei gleicher Dosis eine be¬ 
deutend schwächere Reaction als die erste, und in Fällen, wo die 
erste Dosis schon schwach wirkte, hat sie gar keine Wirkung. Ja, man 
kann, wenn jede folgende Injectionsdosis immer nur um 1 Mgrm. er¬ 
höht wird, auf 10, 15 und mehr Milligramm steigen, ohne daß eine 
fieberhafte Reaction erfolgt. In diesen ßeobacbtungen ist die Ant¬ 
wort enthalten auf die wiederholt gestellte Frage, wie es komme, 
daß bei sicher gestellter Phthisisdiagnose, bei sehr zahlreichen 
Tuberkelbacillen im Sputum, keine Fieberreaction erfolgt ist in 
wiederholten Injectionen. Die Reaction erfolgt eben nicht bei nur 
ganz allmälig gesteigerten Injectionsdosen, wohl aber tritt sie ein, 
selbst wenn sie bei der ersten Dosis von 1 Mgrm. nicht vorhanden 
war, bei sofortiger Steigerung der Dosis von 1 auf 3 oder auf 
4 Mgrm. 

Ebenso prompt wie die fieberlosen, wenig vorgeschrittenen 
Fälle, reagiren auch meistens die weiter vorgeschrittenen fieberlosen 
Fälle. Weniger stark waren die Reactionen bei den fieberhaften 
Phthisikern, namentlich bei den hoch fieberhaften. Ueber die Ver¬ 
hältnisse des Körpergewichtes läßt die kurze Beobachtungszeit noch 
kein Urtheil zu. Ein Kranker, der bereits Injectionsdosen von 15 
und jetzt 20 Mgrm. erhalten, hat in einer Woche um 2 1 /* Kgrm. 
au Gewicht zugenomraen. 

Was die Frage der Dosirung der Injectionen bei Tuberculösen 
betrifft, so wird man für therapeutische Zwecke folgende Grundsätze 
aufstellen können: Wenn nach 1 Mgrm. Reaction eintritt, so wird 
der nächste Tag frei gelassen, am dritten Tage die gleiche Dosis 
injicirt, und so kann man allmälig, stets mit einem Tage Zwischen¬ 
raum (zur controlirenden Beobachtung des Temperaturverlaufs) die 
Injectionsmenge um 1 Mgrm. steigern. Ist man erst auf etwas 
höhere Dosen, z. B. auf 6—8 Mgrm., gelangt, dann kann man auoh 
bei den folgenden Injectionen um je 2 Mgrm. steigen, natürlich 
nicht fortdauernd, sondern immer individualisirend nach den beob¬ 
achteten Einwirkungen auf den Kranken. Unter den Kranken des 
Verf. befinden sich solche, bei welchen er jetzt nach 17 Tagen 
schon auf 2 Cgrm. gestiegen ist, und einige andere, die auf Ver¬ 
anlassung Koch’s, unter dessen Auspicien sie schon längere Zeit 
(seit Ende September, bezw. Anfang October) mit Injectionen be¬ 
handelt waren, in’s Krankenhaus zur weiteren Beobachtung ge¬ 
schickt worden sind, erhalten Injectionsdosen von 5 Cgrm., bezw. 
10 Cgrm. 

Unter diesen schon früher mit Injectionen behandelten Kranken 
befinden sich auoh zwei junge Mädchen, bei denen die deutlich aus¬ 
gesprochen gewesenen tuberculösen Erscheinungen zurückgegangen 
sind. Das eine Mädchen (17 Jahre alt) hatte im December 1889 
die Initialsyroptome der Tuberculose, 8mal Hämoptysis, im Januar 
1890 Wiederholung der Hämoptysis; es traten die physikalischen 
Symptome einer doppelseitigen Spitzeninfiltration auf, wiederholt 
wurden Tuberkelbacillen im Sputum nachgewiesen. Seit 30. September 
KoCH’sche Injectionen. Gegenwärtig: sehr geringer Husten, im 
spärlichen schleimigen Secret keine Tuberkelbacillen, normaler Per¬ 
cussionsschall , kaum hie und da einmal ein trockener Rhonchus 
hörbar. Vollständig fieberfrei. Blühendes Aussehen. Das zweite 
Mädchen (25 Jahre alt), seit 2 Jahren brustleidend, mit linksseitiger 
Spitzeninfiltration bis zur 3. Rippe, Tuberkelbacillen im Sputum, 
seit dem 1. October der KoCH’schen Behandlung unterworfen, bietet 
gegenwärtig bei der physikalischen Untersuchung keine Abnormitäten, 
ist vollständig ficberlos, das spärliche Broncbialsecret ist von Tuberkel- 
baoillen frei. Beide Mädchen können als von der Tuber 
culose geheilt betrachtet werden. 

Die von Heinz in derselben Nummer mitgetheilten Unter¬ 
suchungen haben ergeben, daß unter dem Einflüsse des Jods die 
Leucocyten eine regere Thätigkeit entfalten und in größerer Zahl 
und mit lebhafteren Bewegungen auswandern. H. ging nun weiter 
zur Prüfung der Frage, ob auch nach anderer Richtung hin die 
Leucocyten durch die Jodsalze zu gesteigerter Thätigkeit angeregt 
würden ; ob etwa ihre Arbeitsleistung als Transporteure resorbir- 


baren Materials gesteigert werde. In dieser Absicht injicirte er 
Fröschen, Meerschweinchen, Kaninchen gleiche Mengen feinst ver¬ 
riebenen Zinnobers in die Bauchhöhle und verfolgte dann die Fort- 
sebaffung und Ablagerung durch die Leucocyten. Hier ergab sich 
nun als durchschnittliche Beobachtung: 1. Das Blut der mit JNa 
behandelten Thiere zeigt zahlreichere zinnoberhaltige Leucocyten im 
Gesichtsfelde, als das Blut der nicht behandelten Thiere. 2. Die 
Deponirungsorte für Fremdkörper (namentlich Leber und Milz) 
zeigten in mikroskopischen Schnitten von möglichst gleichen Stellen 
bei den Jod-Thieren eine entschieden reichere Zinnoberinfiltration. 

Die Ergebnisse der angeführten Versuche scheinen hinzuleiten 
zu einem Verständniß der resorptionsbefördernden Wirkung der 
Jodsalze. Dieselbe scheint sich durch eine specifische Einwirkung 
der Jodide auf die weißen Blutkörperchen zu erklären, denen ja 
die Hauptarbeit bei der Resorption festen Materials obliegt. Diese 
Einwirkung besteht sicher nicht allein in einer vermehrten Bildung 
von Leucocyten; vielmehr beweist die Einwirkung der Jodide auf 
frischeste Entzündung bei der Kürze der hier in Betracht kommenden 
Zeit, daß es sich hiebei um eine Anregung zu vermehrter Thätigkeit 
und intensiver Kraftleistung handelt. Wenn überhaupt irgendwo, 
so findet vielleicht gerade an den Leucocyten eine Spaltung der 
Jodide und Freiwerden von Jod statt, und dieses letztere verursacht 
die beschriebenen „reizenden“ Wirkungen. 

H. macht nun den Vorschlag, an die KoCH’sche Behandlung 
eine energische Jodkaliumbehandlung überall da anzuschließen, wo 
eine Entfernung des tuberculösen Herdes nach außen ausgeschlossen, 
eine Resorption aber noch möglich ist und wünschenswert^ erscheint. 
Wie wir durch Koch wissen, sind nach Ausbleiben der örtlichen 
wie allgemeinen Reaction auf sein Mittel die tuberculösen Keime noch 
nicht abgetödtet, dagegen ist das erkrankte Gewebe dem nekro- 
biotischen Untergange verfallen. Es bleibt ein nekrotischer Herd 
zurück und dieser bedingt eine stete Gefahr für den Organismus. 
Denselben wegzuschaffen, dürfte Aufgabe der Jodkaliumbehandlung 
sein. Voraussichtlich ist gerade der Zeitraum der durch das Koch- 
sche Mittel bedingten Immunität für eine rasche Fortschaffung des 
Krankheitsherdes weniger bedenklich, als ein späteres gelegentliches 
spontanes Ausbrechen. 

Diese Ueberlegungen gelten zunächst für tuberculöse Processe in 
der Tiefe der Gewebe, jedoch ist nicht abzusehen, ob nicht auch 
bei Tuberculose der Oberflächen, auch der Lunge — zumal in 
frischen Fällen — der Heilungsproceß durch Jodbehandlung wesent¬ 
lich begünstigt werden könnte. 

In einer klinischen Vorlesung theilte Prof. Cornil in Paris 
mit, daß die von ihm mit dem KoCH’schen Verfahren gemachten 
Erfahrungen mit den Angaben Koch’s vollständig übereinstimmen. 
Cornil beabsichtigt, das KoCH’sche Verfahren mit antimycotischeu 
Mitteln zu combiniren. 

Büchner macht in Nr. 50 des „Ctbl. f. Chirurgie“ darauf 
aufmerksam, daß der plasmatische Inhalt des Zellkörpers der Bacterien, 
das sog. Bacterienprotei'n, intensiv entzündungserregend wirkt. 
Auch die PflanzencaseTne, besonders GlutencaseTn, haben stark ent¬ 
zündungserregende Wirkung. Dieses Verhalten kann vielleicht eine 
praktische Bedeutung gewinnen, da die Entzündung eines der wirk¬ 
samsten natürlichen Schutzmittel des Organismus gegenüber den 
Bacterienvegetationen darstellt. Einen ähnlichen Ideengang scheint 
nach Büchner auch die Entdeckung Robert Koch’s zu verfolgen. 

S. 


Carl Fraenkel (Königsberg): Immunisirungsversuche bei 
Diphtherie. 

Behring : Untersuchungen über das Zustandekommen 
der Diphtherie-Immunität bei Thieren. 

Das von Fraenkel in Nr. 49 der „Berl. klin. Wochenschr.“ 
angegebene Mittel, um Immunität gegen Diphtherie hervorzurufen, be¬ 
steht in der Injection eiuer auf 65—70° eine Stunde lang erhitzten 
Bouilloncultur vou Diphtheriebacillen. 10—20 Ccm. einer 3 Wochen 
alten, so präparirten Cultur, Meerschweinchen unter die Bauchhaut 
gespritzt, genügen, um das Thier gegen die nachfolgende subeutane 
Impfung mit virulenten Bacterien zu immunisiren. Allerdings ist 
eine Vorsichtsmaßregel hiebei nicht außer Acht zu lassen: die 

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2027 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2028 


Infection mit dem virulenten Material darf frühestens 14 Tage nach 
Ausführung der Schutzimpfung stattfinden. Geht man etwas unter 
diese Grenze herab, so werden die Erfolge unsichere; ein Theil 
der Thiere stirbt noch, in der Regel freilich erst mehrere Wochen 
nach der Infection. In den allerersten Tagen nach Einverleibung 
der sterilisirten Flüssigkeit dagegen pflegt die Widerstandsfähigkeit 
des Organismus sogar eine herabgesetzte zu sein; die Thiere erliegen 
der Impfung mit den virulenten Bacillen fast noch rascher als 
vorher. 

Hält man sich an die angegebene Vorschrift über die erforder¬ 
liche Quantität der immnnisirenden Cultur, so wird man nur in Aus¬ 
nahmefällen eine örtliche Reaction in der Umgebung der Infections- 
stelle bei den Thieren wahrnehmen. In der Regel wird die erwähnte 
Menge vielmehr anstandslos vertragen und resorbirt. 

Die Immunität besteht aber nur gegen die nachfolgende „sub- 
cutane Impfung“. Bei mehreren weiblichen Thieren hat sich auch 
nach Injection der sterilisirten Flüssigkeit noch eine diphtheritische 
Entzündung der Vaginalschleimhaut vermittelst der von Löffler 
hiefür empfohlenen Methode erzeugen lassen. Aber auch hier war 
ein gewisser Erfolg der Schutzimpfung nicht zu verkennen. 

Nach Fraenkel’s Auffassung befinden sich in der Cultur- 
flüssigkeit der toxische und der Impfschutz verleihende Stoff neben 
einander. Der erstere wird durch Temperaturen von 50—60° seiner 
specifischen Kraft beraubt, der letztere verträgt erheblich höhere 
Hitzegrade. Durch Erhitzen der Culturflüssigkeit auf 66—70° verliert 
daher die toxische Substanz ihren Einfluß, während die immuni- 
sirende allein wirksam bleibt. Schließlich ergeht aus den Versuchen 
Fraenkel’s, daß dieselbe Substanz, welche ausgiebigen Impfschutz 
verleiht, therapeutisch völlig machtlos ist. 

Behring berichtet in Nr. 50 der „Deutsch, med. Wochenschr.“ 
über die verschiedenen Mittel, empfängliche Thiere immun gegen Diph¬ 
therie zu machen. Die eine Methode ist die obige von Fraenkel, die 
Verf. auf Grund eigener Versuche als sehr zuverlässig bezeichnet. Ferner 
hat B. Meerschweinchen in folgender Weise immun gemacht: Er 
setzte zu 4 Wochen alten Diphtherie-Culturen Jodtrichlorid in solcher 
Menge hinzu, daß dasselbe in der Cultur im Verhältniß von 1 : 500 
enthalten war, und ließ das Jodtrichlorid 16 Stunden auf die Cultur 
einwirken. Dann spritzte er 2 Meerschweinchen von der so be¬ 
handelten Cultur 2 Ccm. in die Bauchhöhle. Nach 3 Wochen inficirte 
er die Meerschweinchen mit 0*2 Ccm. einer Diphtheriecultur, die 
4 Tage lang in einer Bouillon mit Jodchloridzusatz 1 : 5500 ge¬ 
wachsen war. Das Controlthier starb nach 7 Tagen; die beiden 
vorbehandelten Thiere blieben am Leben. Nach weiteren 14 Tagen 
vertrugen dann beide Thiere so viel von einer vollvirulenten Diph- 


F e u i 11 e t o n. 


Joseph Hvrtl’s Dankschreiben 

an das 

„Wiener medicinische Doctoren-Collegium“.*) 

Inelyto Medicorura Yiennensiom Collegio Salntem. 

Spectabiles, Amplissimi, Meritissimi Viri. 

Annis, non animo senex, Clarissimo Vestro Collegio has ex 
Anticyra mitto literas, quas aequi bonique consulere Vobis placeat rogo. 

Senectus ipsa morbus est, ait Cicero, cui addendum 
esse censeo: m o r b u s certedirus, quianulla panaceasana- 
bilis. Quioumque hoc morbo correptus est, is ne minimam salutis 
recuperandae spem fovere potest, sed, labentibus paullatim corporis 

•) ln der Ankündigung des folgenden, in classischem Latein abgefaßten 
Schreiben» sagte Hybtl: „Da dieser Brief das Letzte ist, was ich 
auf dieserWelt schreibe und drucken lasse, mögen meine alten 
Schüler ihn als Andenken an ihren Lehrer bewahren.“ —Sicher¬ 
lich findet sich unter unseren Lesern manch ehemaliger Schüler des großen 
Anatomen, welchem die erhebenden Worte des Greises eine werthvolle Erinne¬ 
rung an den genialen Lehrer bilden werden, dessen hohe, ungebeugte Gestalt, 
dessen geistsprühende Rede so lebendig noch im Gedächtnisse Derjenigen er¬ 
halten ist, die einst in unvergeßlichen Stunden seinem Meistervortrage lauschen 
durften. Die Red. 


theriecultur, als für normale Meerschweinchen genügte, um dieselben 
nach 36 Stunden zu tödten. Bei beiden genannten Methoden sind 
es die Stoffwechselproducte, die von den Diphtheriebacillen in Cul- 
turen erzeugt werden, durch welche die Immunität zu Stande 
kommt. 

Es gelingt aber auch die Immunisirung durch diejenigen Stoff¬ 
wechselproducte, welche von den Diphtheriebaoillen im lebenden 
thierischen Organismus erzeugt werden. In der Pleurahöhle der an 
Diphtherie verendeten Thiere findet man ein baoillenfreies toxisches 
Transsudat, welches in Dosen von 10—15 Com. Meerschweinchen 
injicirt, dieselben in den meisten Fällen tödtet. Die Überlebenden 
sind gegen die Infection mit Diphtheriebacillen immun. 

Eine andere, bis nun noch nicht benutzte Immunisirungsmethode 
kann auch auf die Wirkung der Stoffwechselproducte der Diphtherie¬ 
bacillen zurüokgeführt werden. Sie besteht darin, daß man die Thiere 
zuerst infioirt und dann die deletäre Wirkung durch therapeutische 
Behandlung aufhebt. Durch subcutane Injection von Jodtrichlorid 
gelingt es, mit Diphtherie inficirte Meerschweinchen, noch besser 
Kaninchen, zu heilen. B. betont aber ausdrücklich, daß das Jod¬ 
trichlorid, welches bei Thieren so respectable therapeutische Wir¬ 
kungen hervorzurufen im Stande ist, für den Menschen kein Heilmittel 
ist. Abgesehen von der starken Aetzwirkung des Mittels, und ab¬ 
gesehen davon, daß B. über die Heilungsmöglichkeit solcher Thiere, 
die vom Larynx oder der Trachea aus inficirt worden sind, nur 
wenig Erfahrung hat, ist er durch vorsichtig an diphtheriekranken 
Kindern angestellte Versuche zur forcirtereu Anwendung des Jod- 
trichlorids nicht sehr ermutbigt worden. Was das Zustandekommen 
der Diphtherie-Immunität durch diese Methode betrifft, so ist Verf. 
zu der Annahme der Mitwirkung von Stoffwechselproducten der 
Diphtheriebacillen durch die Thatsache veranlasst, daß es ihm nicht 
gelungen ist, durch alleinige Vorbehandlung mit Jodtrichlorid Meer¬ 
schweinchen immun zu machen. 

Man ist nun auch im Stande, Meerschweinchen und Kaninchen 
durch ein Mittel gegen Diphtherie zu immunisiren, welches mit den 
Stoffwechselproducten der Diphtheriebacillen Nichts zu thun hat, 
nämlich durch Wasserstoffsuperoxyd. 

Alle diese 5 Immunisirungsmethoden sind für den Menschen 
nicht verwerthbar. Was das Zustandekommen der Diphtherie-Immu¬ 
nität betrifft, so handelt es sich nach Verf.’s Ansicht nicht um eine 
Giftgewöhnung, sondern — ähnlich wie bei der in der vorigen Nummer 
dieses Blattes beschriebenen Tetanusimmunität — um eine besondere 
Eigenschaft des von lebenden Zellen befreiten Blutes, das Diphtherie¬ 
gift unschädlich zu machen. Schniker. 


animique viribus, proxime instantis et inevitabilis lethi vicinia angi- 
tur et deprimitur. Quapropter condolendum et consolandum potius, 
qnam laetandum et congratulandum esse arbitror, si mortalium fatis 
imperantes Pareae, vitae stamina, nolentibus aut volentibus, ultra 
octoginta annos produxerint. 

Senem, qui, virentibus quondam annis, meliora tempora vidit, 
de ejus quod nunc agitur taedio oonqueri, tot graves causae sunt, 
ut Coelestium irae ipsam Pandorae pyxidem, Omnibus malis refertam, 
super prosperam et beatam antehao Austriam effudisse videantur, 
niUla prorsus spe ad fundum remanente. Quid enim? Inter prae- 
sentis aevi fastidium, et venturi anxium timorem, — inter turpia 
cujusvis generis facinora, quorum publica in actis diurais renunciatio, 
bonorum omnium animos summo dolore contristat, — inter longam 
Diadem scelerum criminumque, quae vel auri sacra fames subdole 
maohinatur, vel famelicae egestatis desperatio perpetrare jubet, — 
inter exardescentes plebis perditae seditiosos turaultus, armorum vi 
compescendos, — inter furta et rapinas, inter latrocinia, homicidia 
et auTo^eipia? quotidie recurrentes — inter turbae capite censae 
socialem miseriam, et ex ea natam corporum et animorum nequitiam, 
— inter vitae nostrae publicae et privatae deliquia, morumque paene 
exstinctorum deplorandam corruptionem, — inter Rerum Sacra- 
rum late vagantem incuriam, pro judicii liberioris oonsummati fortis- 
que ingenii eriterio habitam, — inter gentium stirpiumque Austriae 
importuna discidia, et fractionum implacabilium effrenes contentiones, 




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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 51. 


2030 


— inter mendaoes deniqne pacis duraturae asseverationes, quibus 
totus personat orbis, et belli omnium contra omnes continuas et 
roinosas nndique praeparationea, — inter tantam inqnam tristium 
cauiarum affluentiam, honestus quisque vir, cujus praecordia patriae 
amore calent, addubitare cogitur, an sub tali saeculi nostri genio aut 
daemone, de rei publicae salute, et inde manante civium felicitate 
serio eogitare lioeat. 8i haec mea verba legentibus insolita, ne dicam 
nimia appareant, eorum tarnen veritatem nemo, cui sanum sinciput, 
infitiaa ire poterit. 

Equidem philosophorum placita monent, aequo animo ferenda 
esse, quae mutare nefas. Tanto lubentius aureum hoc praeceptum 
sequi, et sedecim lustrorum onus patienter sustinere didici, quum 
talem animi temperiem natura mihi concesserit, quae nec adversis 
rebus perturbatur, nec secundis insolescit. Amentiae, quae nunc tem- 
poris per populos grassatur, tacitum spectatorem agere magis con- 
venit, quam censorem aut castigatorem pravi et vesani ardoris, quo 
homines ad alterandas vel pervertendas societatis humanae condi- 
tiones, a priscis temporibns, ad nostros usque dies, se transversos 
rapi passi sunt, patienturque. DEUS avertat, ne Austriades, propriae 
inolumitatis damno experiantur, qnam verum Romani Oratoris effa- 
tum slt: „discordia res maximae dilabuntur“. 

Iam vero oportet vela contrahere, ne ex angusto hujus epistolae 
familiaris portu, in vastnm et inhospitum mihi dissertationis politioae 
pelagum efferar. Quare amotis seriis, laetioribus verbis calamnm 
nostrum implere juvabit. 

„Non qni diu, sed qui utiliter vixit, is bene 
vixiiBe dicendus est. u Gravem banc Sene cae sententiam 
annosa tempornm experientia abunde confirmavit. Profecto senectus 
nullum speciosius ornamentum habere potest, quam vitae longae, 
utiliter applicatae, reminisoentiam. Quodsi itaque ex vita mea, inter 
cadaverum sordes transacta, aliquid utile in scientiam anatomicam 
amplificandam et exornandam redundaverit, Musa mea, quae nunc 
silet, et inter privates tugurii mei rustici parietes inglorie conse- 
nescit, hoe unico legitimo solatio erigitur, quod neque scientiae, cni 
totus vixi, excolendae, nec discipulorum meorum desideriis apte ex- 
seqnendis , eorumque commödis, omni ope promovendis, unquam 
defuerit. 

Quae qnum ita sint, Collegii Medici Viennensis Perillustri 
Praesidi et Sociis Henoratissimis, qui ex discipulorum 
meorum coetu in vitae praetieae scenam prodierunt, et in arduis 
suis offieiis indefesso labore et felicissimo successu persequendis, conci- 
vinm approbationem laudesque, et jure meruerunt, et libenter ab 
omnibus obtinuerunt, pro piis votis, quae in hoc meo feste natali 
octogesimo mihi nuncnparunt, gratae meae Vobisque devotissimae 
mentis affectum hisce scriptis verbis testari gaudeo. 

Ardenter opto et exopto, nt res Vestra, divo humanitatis 
ministerio nobilitata, ad artis salutiferae florem et perfectionem, ad 
aegrorum salutem et solatium, ad Medicorum Viennensium famam 
avitam, omni decore ornandam, in posterum vigeat valeatque, quam- 
diu durabit virtutis bonos, et virorum bene meritorum gloria immotis 
stabit legibus. Ita etiam eveniet, ut inter operosas Vestri muneris 
curas, quae nec dies otiosos nec noctes quietas concedunt, nunquam 
felicitate ista careatis, quae, inter tot tantasque rerum humanarum 
vicissitudines, ingenio tantum et labore paratur. 

Deniqne enixe rogo, ut favorem, quem tum aliis occasionibus, 
tum hoc nuperrimo tempore, in me conferre dignati estis, ad sum- 
mum usque vitae meae diem, quem nec opto nec metuo, mihi con- 
servare velitis. 

Yivite felices, memores et vivite nostri. 

Dabam in Foro Sti. Bertoldi, 
prope Viennam Anstriae, 

VI. Iduum Decembris, 

anni MDCCCXC. 


Josephus Hyrtl. 


Kleine Mittheilungen. 

— Santoninoxym als Ersatzmittel für Santonin empfiehlt 
Prof. Coppola. Dasselbe ist nach dem Berichte der „D. M.-Ztg. u 
von Prof. Canizzaro aus dem Santonin entnommen worden und stellt 
sich in Form weißer Nadeln dar, die sich bei Licht nicht, wie es 
das Santonin thut, verändern. Im Wasser unlöslich, löst es sich in 
Alkohol, Aether, Oelen und Fetten, verbindet sich nicht mit kohlen¬ 
sauren Alkalien und löst sich weder in Milchsäure, noch in anderen 
organischen Säuren, ebensowenig im Magensaft. Von Thieren, bei 
denen das Santonin in geringeren Dosen epileptiforme Convulsionen 
entwickelt, wird das Santoninoxym auch in hohen Dosen gut ver¬ 
tragen. C., der den bislang unbestimmten therapeutischen Mecha¬ 
nismus des Santonins sehr exaot prüfte, behauptet, daß dasselbe, 
selbst in hohen Dosen, die Spulwürmer nicht tödtet, daß es durch 
Entwicklung wahrer Convulsionen bei den Wärmen agirt, in Folge 
deren diese ihre Bewegungen nicht mehr beherrschen können und 
leicht entfernt werden, wenn durch Abführmittel die peristaltischen 
Bewegungen angeregt werden. Anderseits wird das Santonin durch 
seine Löslichkeit und die Leichtigkeit, mit der es lösliche Verbin¬ 
dungen eingeht, von der Magen-Darm Schleimhaut leicht resorbirt, 
wodurch es mehr oder weniger lästige Erscheinungen und häufig 
wirkliche Vergiftungen hervorruft, und so, wie seine anthelmin- 
tischen Wirkungen lediglich von dem direct auf den Parasiten selbst 
ausgeübten Einfluß abhängen, so wird die therapeutische Bedeutung 
um so mehr geschwächt, je mehr von dem Mittel in die Circulation 
übergeht, wobei die Gefahren einer Intoxication für den Kranken 
zunehmen. Bei den deshalb angestellten Versuchen mit den Deri¬ 
vaten des Santonin fand C. in dem 8antoninoxym einen Ersatz, 
der die anthelmintischen Eigenschaften des Santonin bewahrt, ohne 
dessen Nachtheile und Gefahren zu theilen, da es sehr schwer 
resorbirt wird. Das Santoninoxym wurde bei mit Spulwürmern be¬ 
hafteten Personen in 2—3mal höheren Dosen, als das Santonin, 
angewendet und brachte den therapeutischen Erfolg hervor, ohne 
eine Störung zu verursachen. Bezüglich der Anwendungsmethode 
räth C. auf Grund seiner zahlreichen Erfahrungen über den thera¬ 
peutischen Mechanismus dieser Anthelmintica, das Santoninoxym 
2—4 Tage hindurch in dreifach höheren Dosen, als man sie beim 
Santonin verordnen würde, zu reichen und hinterher ein Abführ¬ 
mittel zu geben. 

— Dr. Schdstkr in Aachen empfiehlt in Nr. 50 der „Deutsch, 
med. Wochenschr.“ ein neues Suspensorium. Dasselbe ist nichts 
Anderes als ein großes Taschentuch, am besten eines von derjenigen 
Sorte, die der Wohlhabende als Beidenes Foulard benutzt, oder der¬ 
jenigen, die heute noch der Landmann gebraucht. Dasselbe muß 
nämlich so groß sein, daß, wenn die gegenüberliegenden Zipfel auf 
einander gelegt werden und so zwei sich deckende rechtwinkelige 
Dreiecke entstehen, deren Grundlinie — als die Diagonale des Tuches 
— bequem vorn um den Leib und die Hüften gelegt werden kann, 
so daß ihre hinten im Rücken sich treffenden freien Zipfel enden 
leicht geknotet werden können. Eine Diagonale von 125 Cm. Länge 
genügt allen Anforderungen. Man nimmt also ein — am besten 
seidenes — großes Taschentuch, legt die gegenüberliegenden Spitzen 
aufeinander, knotet sie und — das Suspensorium ist fertig. Vor 
diesem Spitzenknoten ist nämlich eine Tasche entstanden, in die 
eine Faust sich bequem hineinlegen kann, und eine Hodengeschwulst 
ist ebenso bequem darin geborgen, sowie dieser Knoten hinter dem 
Hoden dem Mittelfleisch anliegt. Man legt nun den freien langen 
Rand um den Leib und knotet seine freien Zipfel im Rücken zu¬ 
sammen; durch mehr weniger starkes Anziehen dieser Zipfel läßt 
sich das Suspensorium höher oder tiefer stellen. Nicht allein der 
Hoden, auch das Glied wird so bequem gestützt; letzteres bewährt 
sich besonders nach vorgenomraener Circumcision des Erwachsenen, 
besonders wenn er das Bett verlassen kann. Will der Kranke ein 
Bedürfniß verrichten, so hebt er vorher den am Perineum liegenden 
Knoten über den Hoden nach vorn, und Stuhl- oder Blasenentleerung 
ist auf keine Weise gehindert, während das Suspensorium mit 
seinem um den Leib geschlungenen Theile unverrückt liegen 

bleibt. Hierauf wird der Knoten wieder an seine Stelle 

geschoben, womit der Hoden wieder in seine Tasche gebracht 

2 * 


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2031 1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 2032 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


ist, die ihn angenehm stützt, ohne daß der dem Perineum anlie¬ 
gende Knoten im Geringsten unangenehm fühlbar wird. 

— In einer Inangural-Dissertation Ober die antiseptische 
Wirkung de8 Creolin (Centralbl. f. Gynäk. Nr. 49) theilt H. Bittee 
mit, daß das Mittel in der Breslauer Frauenklinik in mehr als 
2000 Fällen als Desinficiens angewendet worden ist. Die Resultate 
sind andauernd ziemlich günstige gewesen. In 4 Fällen traten während 
der Ausspülung des puerperalen Uterus mit Creolin Erscheinungen 
auf, die den Verdacht einer Intoxication hervorrufen mußten. Bei drei 
Wöchnerinnen stellten sich plötzlich Unruhe, große Angstgefühle, 
Uebelkeit, Schwarzsehen und Ohnmachtsanwandlungen ein, alle 
klagten über einen intensiven theer- oder rauchartigen Geschmack 
im Munde. Dieser hielt längere Zeit an, die anderen Erscheinungen 
verloren sich bei sofortiger Unterbrechung der Ausspülung schnell. 
Bei einer 4. Wöchnerin hielt auch große Unruhe und Schwäche¬ 
gefühl mehrere Tage an. Der 1 1 / 3 Tage nach dem Anfall durch 
den Katheter entleerte Urin war dunkelbraun, schwarz, stark eiwei߬ 
haltig. Die Anzeichen der acuten Nephritis gingen nach wenigen 
Tagen zurück. Eiweiß war auch dann noch nachznweisen. — Als 
besondere Vorzüge des Creolin vor anderen Desinficientien hebt B. 
seine relative Ungiftigkeit für den höheren Organismus, stark desodo- 
risirende Eigeuschaften hervor, ferner, daß es weniger reizend auf 
Haut, Schleimhaut und Wundfläche, wie jene einwirkt. Außerdem 
wird durch Scheiden- und Uternsausspülungen mit Creolin die 
Schlüpfrigkeit und Dehnbarkeit der Scheide in keiner Weise beein¬ 
flußt. Eine eigentlich blutstillende Wirkung hat das Creolin nicht. 
Nachtheile des Creolins sind die Undurchsichtigkeit der Emulsionen 
und die Uncontrolirbarkeit des jetzigen Präparates. 

— Ueber das Verhalten der Tuberkelbacillen an der 
Eingangspforte der Infection stellte Dr. Fr. Tangl im Labora¬ 
torium Baumgarten’s eine*Reihe von Versuchen an, deren Resultate er 
in Nr. 25 des „Centralbl. f. allg. Pathol. u. path. Anat.“ mittheilt. — 
Es wurden Meerschweinchen und Kaninchen subdural mit Tuberkel- 
knötohen oder Tuberkelbacillen geimpft, entweder 1. mit Tuberkel¬ 
knötchen aus Perlknoten oder aus der Lunge von tubereulösen 
Kaninchen, die in ein Grübchen der Großhirnrinde unter die 
Dura geschoben, oder es wurden 2. Tuberkelknötchen mit sterili- 
sirtem Wasser zu einer Emulsion verrieben und unter die Dura 
gespritzt, oder 3. Reinculturen von Tuberkelbacillen in sterilisirtem 
Wasser aufgeschwemmt und subdural injicirt. — In allen Fällen 
entwickelte sich sowohl bei Meerschweinchen als Kaninchen eine 
locale Erkrankung (Tuberculose) der Hirnhäute oder des Gehirnes, 
und wenn die Thiere lang genug am Leben blieben, auch allgemeine 
Tuberculose. Kaninchen und Meerschweinchen wurden weiterhin 
Reinculturen von Tuberkelbacillen in den unverletzten Conjnnctivalsack 
eingetröpfelt. Bei Kaninchen entwickelte sich danach nie, weder 
locale, Doch allgemeine Tuberculose, bei Meerschweinchen hingegen 
allgemeine Tuberculose, aber mit tuberculöser Erkrankung der Con- 
junctiva; zu gleicher Zeit entstand eine ausgedehnte Tuberculose 
der Nasenschleimhaut. — Kaninchen und Meerschweinchen wurden 
die Nasenlöcher mit einer Emulsion von Tuberkelbacillen aus- 
gepinselt. In einigen Fällen erfolgte keine Erkrankung der Thiere 
(Kaninchen), weder locale, noch allgemeine Tuberculose. In den meisten 
Experimenten hingegen trat sowohl bei Meerschweinchen als Kaninchen 
locale Tuberculose der Nasenschleimhaut, und wenn die Thiere ge¬ 
nügend lange am Leben blieben, allgemeine Tuberculose auf. Eine 
sehr weit vorgeschrittene Tuberculose zeigten bei diesen Versuchen 
die regionären Lymphdrüsen, besonders bei Meerschweinchen. Diese 
Resultate, zusammengenommen mit den zahlreichen früheren Er¬ 
mittelungen Baumgarten’s (cf. Path.Mykol.) und den neueren Unter¬ 
suchungen Dobroklonsky’s (Ueber Darmtuberculose) lassen es als 
Regel aussprechen, daß die Tuberkelbacillen nicht in den Körper 
eindringen können, ohne an der Eintrittsstelle tuberculöse Ver¬ 
änderungen hervorzurufen. Aus dieser Erkenntniß folgt wiederum, 
daß in jenen Fällen von primärer Lymphdrüsen- oder Knochen- 
tuberculose, wo selbst nach längerem Bestände der genannten Er¬ 
krankungen keine tuberculöse Veränderung an irgend einer der 
möglichen äußeren Eingangspforten zu finden ist, die Tuberculose 
nicht durch äußere Ansteckung entstanden sein kann. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original - Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 19. December 1890. 

Prof. Maydl demonstrirt einen durch die seltene und vielfache 
Localisation interessanten Fall von Echinococcus. Der Pat. 
erkrankte vor 3 Jahren unter den Erscheinungen eines rechtsseitigen 
pleuritischen Exsudates. Bei der Operation fand sich ein secundärer 
Echinococcus der Pleura, der aus der Leber in die Pleura perforirt 
hatte. Ungefähr 1 Jahr nach der Heilung entwickelten sioh an der 
Vorderseite ein pleuraler, an der Hinterseite ein subdiaphragmaler 
Echinococcus. Der letztere heilte 6 Wochen nach der Operation, 
die vordere Wunde schloß sich aber nicht, es entleerten sich fort¬ 
während Blasen aas der Wunde und durch den Mund, später kam 
es zur Berstung der alten Narbe, es entleerte sich eine kindskopf- 
große Blase, gleichzeitig trat eine Pneumorrhagie und subcntanes 
Hämatom ein; es wurde eine Contraincision gemacht und drainirt, 
worauf, nach wiederholter Entleerung von Blasen, Heilung eintrat. 

Doc. Dr. V. Eiseisberg Stellt einen 37jährigen Pat. vor, 
der am 15. September von einem Gerüste stürzte. Die dadurch ent¬ 
standene kleine Wunde am rechten Scheitelbeine heilte reactionslos. 
Nach 2 Tagen trat ein Schwirren im ganzen Schädel ein, welches 
über dem linken Scheitelbein besonders intensiv war. Man findet 
über den ganzen Schädel ein mit der Systole synchron einhergehendes 
lebhaftes Schwirren, welches über dem linken Os zygomaticum be¬ 
sonders stark ist und dnrch Oompression der linken Carotis oder 
durch Aufeinanderbeißen der Kiefer zum Schwinden gebracht werden 
kann. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Aneurysma der 
A. maxillaris interna. 

Prof. ExNER demonstrirt von Dr. R. Wagner in Halle ein¬ 
geschickte Photogramme von Spiegelbildern des Kehlkopfes 
von Thieren und Menschen. 

Dr. A. Hammerschlag: Ueber eine neue Methode zur Be¬ 
stimmung des specifischen Gewichtes des Blutes. 

Dieselbe beruht auf dem Principe, daß, wenn ein Körper in 
einer Flüssigkeit schwimmt, sein specifisches Gewicht dem der Flüssig¬ 
keit gleich ist. Die Untersuchung wird derart ausgeführt, :daß Benzol 
und Chloroform in einem Becherglasq zusammengemischt werden und 
in diese Mischung ein der Fingerbeere entnommener Bluttropfen ge¬ 
bracht wird. Schwimmt der Tropfen nach oben, so wird noch Benzol, 
sinkt er nach unten, so wird noch Chloroform hinzngefügt, so 
lange bis er weder nach oben, noch nach unten geht. In diesem 
Zustande ist das specifische Gewicht des Blutes dem der Mischung 
gleich, welches mittelst eines Aräometers bestimmt wird. Die Resul¬ 
tate sind ziemlich genaue. Der relative Fehler der Methode beträgt 
circa 2 °/ 0 . 

Mittelst dieser Methode wurde das specifische Gewicht des 
Blutes gesunder Menschen bestimmt. Dasselbe beträgt durchschnitt¬ 
lich bei Männern 1061, bei Frauen 1054—1059. Nach Aufnahme 
von Flüssigkeiten tritt eine Verminderung des specifischen Gewichtes 
ein, die aber bald verschwindet. Durch Flüssigkeitsabgabe (Schwitzen) 
steigt das specifische Gewicht des Blutes. Was die Schwankungen 
des specifischen Gewichtes bei demselben Individuum betrifft, so ergaben 
die Untersuchungen Hammerschlag’s, daß dasselbe Früh am höchsten 
ist, nach dem Essen sinkt, dann wieder ansteigt und am Abend die 
Höhe erreicht, die es des Morgens hatte. 

Was die Veränderungen des specifischen Gewichtes des Blutes 
in Krankheiten betrifft, so werden dieselben durch 2 Factoren be¬ 
dingt: durch Zunahme des Wassergehaltes im Serum (Hydrämie) und 
durch Verminderung des Hämoglobingehaltes. Bei Nephritis ist die 
Abnahme des specifischen Gewichtes des Blutes dnrch Abnahme des 
Hämoglobingehaltes bedingt. Ein Zusammenhang zwischen der Ab¬ 
nahme des specifischen Gewichtes des Blutes und dem Auftreten von 
Oedem ist nicht nachweisbar. Bei Herzfehlern ist das specifische Ge¬ 
wicht des Blutes normal oder nur wenig verändert. Ein Zusammen 
hang zwischen der Verminderung des specifischen Gewichtes und 
dem Auftreten von Transsudaten ist nicht vorhanden. Auch zwischen 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 51. 


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den anämischen Geräuschen und der Abnahme des specifischen Ge¬ 
wichtes besteht kein Zusammenhang. 

Bei Diabetes zeigte sich trotz Polydipsie keine Verminderung 
des specifischen Gewichtes. 

Prof. Winternitz erinnert an eine ältere Arbeit von Becker, 
der nachgewiesen hat, daß nach Flüssigkeitsaufnahrae der Wasser¬ 
gehalt des Blutes größer wird, aber nach etwa */ 4 Stunden geringer 
wird, als vor der Flttssigkeitsaufnahme. 

Prof. v. Basch fand, daß nach Transfusion der Venendruck 
schon nach ganz kurzer Zeit wieder normal wird, was eine indirecte 
Bestätigung der Resultate Hajimerschlag’s bedeutet. 

Dr. N. Ortner: Zur angeborenen regelwidrigen Enge des 
Aortensystems. 

Ortner berichtet über 2 Fälle von typhöser Enteritis, sowie 
über 1 Fall von Pneumonie mit abnormem Verlauf, bei denen ange¬ 
borene Enge des Aortensystems die Ursache des rasch eiugetretenen 
Todes war. Auch aus der Literatur citirt er einige solche Fälle von 
Typbus, die nach plötzlich aufgetretener Melaena letal endeten und 
bei denen ebenfalls angeborene Enge des Aortensystems gefunden wurde. 

Nicht bloß auf den Verlauf acuter, sondern auch auf chronische 
Krankheiten hat die angeborene Enge des Aortensystems einen 
schlechten Einfluß. Während sonst die durch Botriocephalus latus 
bedingte pernieiöse Anämie nach Abtreibung des Wurmes durch 
Extr. filicis maris heilt, trat in einem Falle von Müller, mit ange¬ 
borener Enge des Aortensystems, trotz Extr. filicis maris das letale 
Ende ein. 

Die Diagnose der angeborenen Enge des Aortensystems kann 
aus der Hypertrophie des linken Ventrikels, den gespannten und 
engen Arterien, dem Fehlen der Pulsatio aortica in jugulo, dem 
Zurückbleiben im Wachsthum der Individuen und gewissen Gegensätzen 
(wie stark entwickelte Mammae und infantiler Uterus, starker Haar¬ 
wuchs am Kopfe und kaum angedeutete Pubes etc.) gestellt werden. 
Die Individnen mit angeborener Enge des Aortensystems haben 
gewöhnlich subnormale Temperaturen, zeigen eine Verminderung 
der Stoffwechselproducte (der Phosphate, Chloride des Harnstoffes) 
und eine Verminderung der Lymphocyten. Schließlich weist Redner 
auf die forensische Bedeutung der angeborenen Enge des Aorten¬ 
systems hin. 

Prof Kahler : Zur KenntniB der Wirkung des Koch’schen Mittels. 

Da durch das KocH’sche Heilmittel die tuberculösen Krank- 
heitsproducte zerstört und, wenn sie nicht nach außen geschafft 
werden, resorbirt werden, so stand zu erwarten, daß beim Auftreten 
der Reaction Peptonurie nachweisbar sein würde. Die dies¬ 
bezügliche Untersuchung an 29 Individuen mit 200 Einzelunter¬ 
suchungen ergab 33mal ein positives Resultat. Es besteht kein 
Verhältniß zwischen der Höhe des Fiebers und dem Auftreten der 
Peptonurie, auch nicht zwischen diesem und der Höhe der injicirten 
Dosis und den anderweitigen Reactionserscheinungen. Da aber der 
Versuch an Nichttuberculösen in 2 Fällen ebenfalls Peptonurie 
ergab, so kann dieselbe nicht auf die Resorption der tuberculösen 
Producte zurückgeführt werdeu, es muß vielmehr angenommen 
werden, daß es sich um eine toxische Peptonurie handelt, daß also 
das KocH’sche Mittel ein Protoplasmagift ist. 

Ferner macht K. auf einige Anomalien der Reaction auf¬ 
merksam.. 2mal blieb die Reaction bei Tuberculösen aus. In einem 
Falle, in dem die allmälige Steigerung der Dosis um 1 Mgrm. täglich 
keine Reaction hervorrief, erzeugte nach lOtägiger Pause eine In- 
jection von 5 Mgrm. lebhafte Reaction. Schließlich erwähnt K. die 
Fälle von verspätetem Auftreten der Reaction 33, resp. 39 Stunden 
nach der Injection. S. 


Verein der Aerzte in Steiermark. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 9. December 1890. 

Prof. WÖLFLER demonstrirt einen Fall von Syn- und Poly- 
dactylie, der sich durch besonders seltene Schönheit und Hoch¬ 
gradigkeit der Affection auszeichnete. 

Prim. Dr. IPOVIC zeigt ein dreijähriges Kind mit einem 
Sarcom der Nase. 


Prof. LlPP spricht hierauf über die Behandlung des Lupus 
mit KoCH’scher Lymphe. Nachdem der Redner die bereits 
über dieses Thema vorliegenden Erfahrungen zusammengefaßt hatte, 
demonstrirt er eine Reihe von Fällen aus seiner Klinik. Ein ab¬ 
schließendes Urtheil läßt sich über diese nur insoweit heute schon 
fällen, als Lipp hervorhebt, daß er die Injectionen mit KoCH’scher 
Lymphe für die beste aller bisher gegen diese Krankheit ange¬ 
wendeten Methoden hält. Er weicht übrigens insoferne von dem 
allgemein geübten Usus ab, daß er die Wirkung einer jeden einzelnen 
Injection erst vollkommen ausklingen läßt, bevor er zu einer neuen 
schreitet, und wenn sich dieses Abwarten auch auf mehrere Tage 
ausdehnen sollte. Er injicirt erst daun von Neuem, bis auch jede 
locale Reaction vorüber ist. Dabei hat sich gezeigt, daß nach Ab¬ 
lauf der ersten prompt eintretenden Temperatursteigerung mitunter 
ein neuerlicher Anstieg der Temperatur, scheinbar grundlos, aufge- 
treten war, der allerdings die volle Höhe des ersten nicht erreicht 
hatte. Scharlachartige Exantheme von mehrerer Tage Dauer bat 
Lipp ebenfalls gesehen. Von den vorgestellten Fällen hatte sich 
besonders einer, ein ausgedehnter Lupus in der Gesäßgegend, durch 
schöne locale Reaction ausgezeichnet. Lipp injicirt nur geringe 
Dosen, 3 Mgrm. 

Prof. ESCHERICH,' welcher von Seiten der Facultät als Ab¬ 
gesandter nach Berlin gesendet worden war, berichtet über die bei 
dieser Gelegenheit gemachten Erfahrungen. Er spricht vornehmlich 
von der Behandlung der Lungentuberculoso. Sie ist der wichtigste 
Prüfstein für den Werth des Mittels. Wir stehen vor einer solchen 
Umwälzung in der Möglichkeit der Diagnose, wie seinerzeit, als der 
Tuberkelbacillus entdeckt wurde, weil wir jetzt im Stande sind, die 
Diagnose sehr frühzeitig zu machen und nicht warten müssen, 
bis das Lungengewebe zerfällt. Manche Fälle von Lungentuberculoso, 
die Redner in Berlin sah, reagirten nur local, ohne Temperatur¬ 
steigerung. Endgiltige Heilungen konnte er keine beobachten, es 
handelte sich jedoch, wie bei Spitalspatienten zumeist, fast nur um 
bereits weit vorgeschrittene Fälle. Die so zuversichtlich klingenden 
Aeußerungen Koch’s, betreffend die Möglichkeit der Heilung von 
Lungentuberculoso, beziehen sich auf Anfangsstadien des Processes 
und auf Erfahrungen, die in den Privatanstaltea, z. B. der Cornkt’s, 
welche, wie Redner sich überzeugt hat, gut geleitet wird, gemacht 
wurden. 

Vorsichtig muß man mit dem Mittel sein bei Herzschwäche, 
hohem Fieber, Hämoptoe, miliarer Tuberculose, geschwürigen Pro¬ 
cessen und Infiltrationen ira Larynx. Die auf seiner Klinik ge¬ 
machten Erfahrungen gedenkt der Redner nächstens zu besprechen. 

hs. 


Verein für innere Medicin in Berlin. 

Sitzung vom 15. December 1890- 
(Original-Corresp. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Dr. Lublinski: Fall von Kehlkopftuberculose. 

Der vorgestellte College, welcher in Deutsch Lothringen eine 
angestrengte Land- und Fabrikpraxis inne hat, war bis zu seinem 
46. Lebensjahre gesund und erkrankte im Winter 1887/88 an Laryngo- 
Tracheitis, welche durch entsprechende Curen anscheinend geheilt 
wurde. Im Anschluß an die Influenza erkrankte Pat. im Februar d. J. 
auf’s Neue an Husten, wurde heiser und kam schließlich in Redners 
Behandlung. 

Untersuchungsbefund: Verdickung des hinteren Endes 
des linken Stimmbandes, Proc. vocalis stark ulcerirt, hintere Larynx- 
wand stark infiltrirt und ulcerirt. Rechtes Stimmband anscheinend 
normal. In den Lnngen Dämpfung bis zur zweiten Rippe, auf der 
Höhe der Atbmung inspiratoiisches Rasseln. Temperatur normal, 
keine Nachtschweiße. Verminderung des Körpergewichtes im Laufe 
des letzten Jahres um 10 Kilo. 

Am 25. November erste Injection von 1 Cgrm. KoCH’scher 
Lösung. Allgemeine und locale Reaction. Auch am rechten Stimm¬ 
band zeigt sich jetzt eine stark infiltrirte und geröthete Stelle. 
Leichter hämatogener Icterus verschwindet nach einigen Tagen. Nach 
der 3. Injeetion deutliche Verbreiterung der Lungendämpfung, bron¬ 
chiales Atbmen, klingendes Rasseln. Zerfall der ulcerirten Geschwüre 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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des Kehlkopfes. Die 6. Injection, welche 2 Cgrm. betrug, rief keine 
Reaction hervor. Nach 2 Tagen 7. Injection von 3 Cgrm. Starke 
Reaction, Temperatur 40°, Oppressionserscheinungen. 

Bisheriges Resultat: Infiltration des linken Stimmbandes 
verschwunden, infiltrirte nnd stark ulcerirte Interarytaenoidalfalte be¬ 
deutend abgeflacht, Ulcerationen beider Stimmbänder fast vollständig 
verschwunden. Die Fortsetzung der Behandlung läßt eine baldige 
völlige Herstellung erwarten. 

Dr. Jürgens (Custos am pathologischen Institut) .* Sectionsresultate 
bei zwei Phthiaisffillen nach KoCH’scher Injection. 

Die Sectionsergebnisse beziehen sich auf fast alle Organe und 
sind nach dem Sitz des tuberculösen Processes verschieden. In den 
Lungen nur noch geringe Gebiete von parenchymbaltigem Gewebe, 
keine Andeutung einer vorhandenen Wirkung des specifischen Mittels, 
dagegen in beiden Fällen schwere Pleuritis. 

Von den Schleimhäuten zeigten die Halsorgane ausgedehnte 
Zerstörungen durch tuberculösc Geschwüre, doch boten diese einen 
ganz ungewöhnlichen Habitus. Die Ränder der Geschwüre sind nicht 
wie gewöhnlich opak und grau infiltrirt, sondern sind von hellem 
Aussehen, die Geschwüre selbst nicht blaß und anämisch, sondern 
zeigen eine frische lebhafte Vascularisation und erinnern durch¬ 
aus nicht mehr an Tuberculose, sondern eher an Gummiknoten. Die 
Tuberkeln in der Schleimhaut zeigen nicht mehr das ihnen eigen¬ 
tümliche Grau, sondern ein mehr gelbliches Colorit. Statt der kä¬ 
sigen Massen und Granulationen- ist überall in Folge der Einwirkung 
des KocH’schen Mittels eine Infiltration und Eiterung eingetreten, 
die Tuberculose ist in eine einfache granulirende Wundfläche über¬ 
gegangen. 

Anders sind die anatomischen Verhältnisse im Magen. In¬ 
mitten desselben findet sich ein einfaches Ulcus rotundum, umgeben 
von zahlreichen sicher constatirten tuberculösen Ulcerationen von 
verschiedener Größe mit tief unterminirten Rändern, aber, mit Aus¬ 
nahme eines Geschwürs in der Nähe des Pylorus, ohne Tuberkeln. 
Bei Betrachtung der Geschwüre ergibt sich sofort, daß im Magen 
eine in der Tiefe der Submucosa liegende Tuberculose vorhanden 
gewesen ist und daß in Folge der Einwirkung des Mittels frische 
Tuberkelbildungen in der Umgebung der käsigen Substanz zur 
Ulceration gekommen sind. Auf diese Weise wird der necrobiotische 
Herd fast losgelöst, während ein Theil der Schleimhaut an der 
Oberfläche noch intact besteht, und schließlich kommt eine Geschwürs¬ 
form wie bei den echten Folliculargeschwüren im Darm zu Stande. 
Bei Untersuchung der Ulcerationen keine tuberculösen Erkrankungen 
in der Umgebung, nur an einzelnen Geschwüren tuberkelähnliche 
Anhäufungen von lymphatischen Zellen. 

Auch die tuberculösen Erkrankungen der Darm¬ 
schleimhaut zeigen die Einwirkung des Heilmittels. Ueberall 
untorminirte Ränder, eigentümlich hämorrhagische Form der 
Geschwüre, sowohl am Rectum wie am Dünndarm und Colon. Es 
handelt sich bei diesen verschiedenen Formen unzweifelhaft tuber- 
culöser Ulcerationen jedesmal darum, daß durch die Wirkung des 
Mittels der specifische Tuberkel eliminirt wird und die Ulceration 
einen gutartigen Charakter mit Tendenz zur Heilung annimmt. 

Auch die Nieren zeigen höchst interessante Veränderungen 
der Tuberculose. Es fällt auf, daß einzelne Renculi ein wesentlich 
tieferes Niveau, als die umgebenden und ein verändertes Aussehen 
zeigen. Auf der Schnittfläche siebt man die Mitte eines Markkegels 
biszu 2 /g der Basis von einem wie Käse aussehenden Herde eingenommen, 
während in der Umgebung hämorrhagische Hyperämie besteht. In der 
Peripherie des großen tuberculösen Herdes sieht man nur vereinzelte 
accessorische Knoten, nicht mehr von grau opakem bösartigem Aus¬ 
sehen, sondern durchscheinend gelblich wie bei Gummiknoten. Auch 
der ganze Herd ist nicht trocken, dicht und grau, sondern gelbgrau, 
feucht und locker, also ganz anders wie sonst bei einer tuberculös- 
käsigen, im großen Parenchym abgeschlossenen Substanz. Diese Ver¬ 
änderung beruht lediglich auf der Bildung einer großen Zone von 
Granulationsgewebe in der Peripherie. Keine Riesenzellen mehr, son¬ 
dern nur eiterige Infiltration. Der ganze Renculus bat sich ohne 
Hinderniß abstoßen und durch den Ureter in die Blase gelangen 
können. Von den vertieft liegenden Renculi, in deren Umgebung 


Tuberkel nicht mehr zu finden waren, ist anzunehmen, daß hier der 
tuberculöse Herd vollständig zum Stillstand kommen konnte. 

Die Leber zeigt starke Fettinfiltration und Icterus, sowie 
reichliche Tuberculose. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand 
sich das ganze Leberparenchym mit Rundzellen durchsetzt, wie bei 
leukämischer Infiltration; vereinzelte Riesenzellen. Vielleicht ist auch 
diese Rundzelleninfiltration als Heilungsvorgang aufzufassen. 

Das Knochenmark ergab zu zwei Dritttheilen sehr reich¬ 
liche Hämatoidinbildung und sehr starke zelüge Wucherung, zahl¬ 
reiche Riesenzellen, nur wenige Tüberkelbacillen. 

In dem ersten, mit 4 Injectionen behandelten Falle fand sich 
außerdem noch eine sehr starke Kalkmetastase in den Gef&ßknäueln 
und Harncanälchen , welche wahrscheinlich nicht mit dem KocH’schen 
Mittel in Zusammenhang steht. 

In den Mesenterialdrüsen und der Milz endlich fand 
sich überall dasselbe gelbliche Aussehen der Tuberkel wie sonst 
niemals, zugleich aber eine markige Hyperplasie der Lymphdrüsen 
und der Pulpa der Milz; ihre Follikel waren wenig vergrößert. — 

Geh.-Rath Prof. Leyden ergänzt diese Mittheilungen durch 
einige Notizen über die beiden schwer tuberculös erkrankten Pat. 
Bei dem einen Pat. trat nach 8 Injectionen bis zu 4 Cgrm. niemals 
eine nennenswerthe Reaction ein. Nur einmal stieg die Temperatur 
nach 3 Cgrm. auf 38‘5°. Kein wahrnehmbarer Einfluß auf das 
bestehende Leiden, Verschlechterung des Zustandes, Exitus. —r. 


Deutsche Gesellschaft für öffentliche 
Gesundheitspflege. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 8. December 1890 im hygienischen Institut. 

Mittheilungen über das KocH’sche Heilverfahren. 

Medicinalrath Dr. LlNDNER vom Augusta-Hospital: M. H. 1 
Wenn ich das, was wir im Augusta-Hospital bei Behandlung der 
Kranken mit chirurgischer Tuberculose erfahren haben, 
zunächst kurz zusammenfassen soll, so möchte ich es folgender¬ 
maßen formuliren: Wir haben auch bei chirurgisch Tuberculösen, 
wie erwartet, constatiren können, daß Alles, was Koch in seinen 
Publicationen angegeben hat, sich auch bei uns vollständig bewährt 
hat. Wir haben constatiren können, daß von diesem Mittel ein 
ganz bedeutender Einfluß auf die chirurgisch tuberculösen Kranken 
ausgeübt wird, und wir haben den Eindruck gehabt, als ob die 
Heilung der chirurgischen Tuberculose unter dem Einflüsse diese« 
Mittels rascher vor sich ginge als früher. Das Letztere sind aber 
persönliche Eindrücke und durchaus nicht bewiesen; es werden 
jedenfalls Jahre vergehen müssen, ehe sich ausweisen kann, ob 
diese persönlichen Eindrücke auf Wahrheit beruhen oder falsch sind. 
Das Eine aber läßt sich schon jetzt sagen, daß mit den weiteren 
Arbeiten sich die Hoffnungen, mit der Zeit therapeutische Erfolge 
zu erzielen, sich gehoben haben. 

Im Einvernehmen mit allen bisherigen Rednern in dieser Frage 
kann der Vortragende constatiren, daß das KocH’sche Mittel ein 
außerordentlich feines und sicheres Reagens auf tuberculöse Er¬ 
krankungen im Körper darstellt. Auch die kleinsten Herde bringen 
auf eine subcutane Injection des Mittels eine entschieden specifische 
Reaction hervor. Eine allgemeine Reaction ohne locale Reaction 
ist von Lindner nicht beobachtet worden, wenn letztere auch noch 
so minimal war. Mit der Örtlichen Reaction ist aber nicht immer 
eine allgemeine Reaction verbunden. Ueberhaupt muß man nicht 
denken, daß nach den ersten Einspritzungen sofort die Reaction 
eintritt. Wir haben es mehrfach erlebt, daß nach den ersten Ein¬ 
spritzungen geringer Dosen die Reaction ausblieb, daß nach Ein¬ 
spritzung größerer Dosen zunächst eine örtliche und dann schließlich 
erst eine allgemeine Reaction eintrat. 

Wenn, wie ich glaube, durch das Herangelangen des Mittels 
an tuberculöse Herde und durch den Uebergang der Zerfallsproducte 
in die Circulation zuerst die örtlichen und später die Allgemein¬ 
erscheinungen eingeleitet werden, so wird man Bich diese ab¬ 
weichenden Beobachtungen leicht deuten können. Wenn die Tuberkel- 


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2037 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


1890. — 


bacillen in narbigem, schwartigem Gewebe eingebettet liegen, so 
-wird das KocH’sche Mittel nicht in dem Maße hinzngelangen können, 
um sofort eine intensive Wirkung zu entfalten, and wenn es eine 
Wirkang entfaltet hat, werden die Zerfallsproducte nicht in dem 
Maße in die Circulationsorgane hineingelangen können, als bei 
Herden, welche unter günstigen Resorptionsverhältnissen stehen. 

Erst allmälig, wenn dorch stärkeren Zerfall und reactive 
Vorgänge in der Umgebung der Herde eine bessere Circulation an¬ 
gebahnt ist, werden stärkere Quantitäten der die Reaction erzeugenden 
Massen in die Circulation hineingelangen. 

Man darf demnach nicht annehmen, daß, wenn 
nicht sofort eine Reaction auf die Einspritzung er¬ 
folgt, keine Tuberculose im Körper vorhanden ist. 

Dies Moment ist von besonderer Wichtigkeit für die diagno¬ 
stische Anwendung des Mittels. 

Bei einem Kinde verlief die erste Injection resultatlos, die 
zweite und dritte ergab eine örtliche Reaction und erst die vierte 
rief die typische Allgemein reaction hervor. — Bei einer Frau mit 
Ellbogengelenksentzflndung schwankte die Diagnose zwischen ein¬ 
facher Entzündung und Tuberculose. Drei Einspritzungen sind 
resultatlos verlaufen und erst die vierte hat eine schwere örtliche 
und allgemeine Reaction ergeben. 

Eigentümlich sind diejenigen Fälle, bei denen gar keine 
Reaction eintritt und doch eine erhebliche Besserung der krankhaften 
Erscheinungen wahrzunehmen ist. Redner stellt einen Mann vor, der 
ganz evident für tuberculös gehalten und demgemäß operirt worden 
ist. Er behielt im EUbogengelenk eine Schmerzhaftigkeit, Schwellung 
und Bewegungsstörung zurück, sowie eine sich nicht schüeßende 
Wunde. Im Krankenhause wurde auf Injectionen keinerlei Reaction 
beobachtet, allein die Wunde hat sich geschlossen, das Gelenk ist 
abgeschwollen und Pat. kann jetzt recht gute Bewegungen mit dem 
Arm ausführen. — In der inneren Abtheilung des Hospitals wurde 
ferner ein älterer Lehrer mit einer großen Anzahl von Fisteln auf 
dem Sternum und sehr erheblichen Lungenveränderungen im Ganzen 
mit 0*03 Flüssigkeit behandelt. Bei der heute, nach 14 Tagen, 
vorgenommenen Untersuchung hat Redner den Eindruck gewonnen, 
daß die Affection in voller Heilung begriffen ist. Die Fisteln sind 
zum großen Theil geschlossen, die übrigen lassen die untersuchende 
Sonde nur wenig eindringen. 

Mit Rücksicht auf die Erfahrung, daß das KocH’sche Mittel 
ein außerordentlich feines Reagens auf Tuberculose ist, wurde das¬ 
selbe in einer Anzahl von zweifelhaften Fällen eingespritzt und da¬ 
durch ein außerordentlich werthvoller Anhaltspunkt für Diagnose 
und Therapie gewonnen. 

Zunächst wurde die Einspritzung zur Sicherung der Diagnose 
bei zwei Fällen von Osteomyelitis gemacht, wie vorauszusehen war, 
ohne Erfolg. 

Bei einem Pat. mit einer Affection des uropoetischen Systems, 
welche sich durch Schmerzen und Absonderung charakterisirte, ergab 
die Cystoskopie negative Resultate. Die Behandlung mit dem Koch- 
schen Mittel ergab eine erhebliche Reaction, und auch die übrigen 
Symptome sprechen deutlich für eine Tuberculose des uropoetischen 
Systems. Es wurden ferner zwei Fälle von Empyem mit Injectionen 
behandelt. Bei dem einen Pat., einem Manne mit Rippenresection 
und Thoraxfistel, ergab sich keine Reaction. Der zweite Fall, bei 
welchem eine Probepunction ausgeführt war, wurde mit der Diagnose 
„kleines Empyem“ in’s Krankenhaus geschickt. Bei einer neuen 
Punction fand sich kein Eiter mehr. Die erste Injection blieb 
erfolglos, eine spätere rief eine ganz typische Reaction hervor. — 
In einem anderen Falle von periprootitischer Höhle, welche den 
ganzen Mastdarm umgriff, wurde zum Zwecke der Differentialdiagnose 
zwischen Tuberculose und Lues eingespritzt. Die Injection hat für 
Lues entschieden, Pat. ist seit 14 Tagen mit Jodkali erfolgreich 
behandelt worden. — Ein Fall von Fistula ani hat auf Koca’sche 
Einspritzungen bis jetzt nicht reagirt, dagegen hat ein anderer 
Fall, welcher ganz unverdächtig erschien, eine ganz enorme Reac 
tion, sowohl örtlich, wie allgemein bekommen. — Im letzten Falle 
handelt es sich um eine vor Jahren auswärts wegen Tuberculose 
ausgeführte Resection der Hüfte. Patientin klagte über heftige 
Schmerzen im resecirten Gelenk. Da wiederholte Einspritzungen 


2038 


ohne jeden Erfolg blieben, so ist anzunehmen, entweder daß Pat. 
mit falscher Diagnose resecirt worden, oder daß die Tuberculose 
ausgeheilt ist. In einer anderen Reihe von Fällen ist die auf Tuber¬ 
culose gestellte Diagnose bestätigt worden. 

Es wäre selbstverständlich, wenn auch gar nichts Anderes 
aus den Untersuchungen mit dem KocH’schen Mittel sich ergeben 
hätte, als diese diagnostische Seite, dennoch ein ganz unberechen¬ 
barer Gewinn gerade für die Chirurgie, wenn wir die einzelnen 
Erkrankungen darauf prüfen könnten, ob sie tuberculöser Natur sind, 
und ferner, ob wir alles Krankhafte entfernt haben oder nicht. Bei 
Prüfung der kurz vor Veröffentlichung des KocH’schen Mittels 
operirten tuberculösen Fälle hat Redner gefunden, daß sie sämmtlich 
typisch reagirten. In einem Falle von Kniegelenkscontractur mit 
scheinbarer Ausheilung wurde eine Resection vorgenommen, die 
Condylen abgesägt und ein Herd gefunden, in welchem ein typischer 
Sequester lag. Nach einer kurz darauf vorgenommenen Einspritzung 
ist die Temperatur auf 40° gestiegen. In einem anderen Falle von 
Hüftgelenksentzündung, welche mit Jodoformeinspritzungen behandelt 
war, trat nur eine einmalige Reaction auf, alle späteren Injectionen 
blieben erfolglos. Seitdem kann das Kind sehr gut gehen. 

Von den Beobachtungen bei unzweifelhaft constatirter Tuber¬ 
culose interessirt vor Allem das Fieber. Die allgemeine Reaction 
zeigt sich stets in Temperaturerhöhung. Diese ist aber außer¬ 
ordentlich verschieden nach Geschlecht, Lebensalter und Kräfte¬ 
zustand. Kinder und Frauen reagiren viel stärker als Männer. 
Temperaturen von 40—41° sind bei Kindern nichts Seltenes, während 
sie bei Männern zu den Ausnahmen gehören. Auch die Aus¬ 
dehnung des örtlichen Processes ist durchaus ohne 
Einfluß auf das Fieber. Man kann Kranke mit kleinen 
tuberculösen Herden ganz enorm fiebern sehen, während Kranke 
mit ausgedehnten tuberculösen Affectionen nur ganz minim reagiren. 

Der Verlauf des Fiebers ist im Augusta-Hospital ein ziemlich 
constanter gewesen. Wir konnten meist schon bei der zweiten Messung 
ein Ansteigen der Temperatur bemerken. Die Höhe des Fiebers 
lag 8—10 Stunden nach der Injection, dann erfolgte der Abfall, so 
daß meist am anderen Morgen die Temperatur zur Norm zurück¬ 
gekehrt war. Nur bei einer einzigen Curve lag die Spitze am 
zweiten Tage. Nicht selten aber kommt es vor, daß die Temperatur 
erst im Laufe des folgenden Tages, etwa um Mittag, zur Norm 
abfällt. In den reinen Fällen sind die Kranken in der zwischen 
den einzelnen Reactionen liegenden Zeit fieberfrei. Es kommt aber 
eine Anzahl Fälle vor, in denen die Kranken in der Zwischenzeit 
ebenfalls fiebern, und zwar trägt das Fieber einen völlig hectischen 
Charakter. Es haben sich hier nach Ansicht des Vortragenden in 
Folge der Einspritzungen Processe an den kranken Stellen ent¬ 
wickelt, welche zur Verhaltung von Secreten führten. 

Auffallend ist, daß das Fieber im Ganzen nicht 
allzu sehr angreift. Wenn man einen Kranken, welcher aus 
anderer Ursache fiebert, und einen anderen, welcher in Folge der 
KocH’schen Einspritzung fiebert, betrachtet, so wird man einen 
großen Vortheil zu Gunsten des letzteren finden. Das Allgemein¬ 
befinden dieser Kranken ist nur wenig gestört, außer auf der Höhe 
der Curve pflegen sie ganz frisch zu sein. 

Von Complicationen des Fiebers sind beobachtet worden: 
Herpes labialis, ferner in vielen Fällen Schüttelfröste, namentlich 
bei Kindern, meist nur ein einziger, in manchen Fällen jedoch 
nach jeder Einspritzung. Durchfälle fanden sich recht häufig bei 
Kindern, welche einen Tag lang oft recht unangenehm zu leiden 
hatten, doch ging die Affection gewöhnlich schnell vorüber. Exan¬ 
theme wurden wiederholt beobachtet; ein Patient zeigte ein scarla- 
tinöses Exanthem. Bei einem Kinde mit einer Knochen affection am 
Fuße und einer scrophulösen Ulceration der Wange trat vom An¬ 
fang an schon bei kleinen Dosen eine enorme allgemeine und ört¬ 
liche Reaction und nach der dritten Einspritzung ein über den 
größten Theil des Körpers verbreitetes Exanthem auf, ähnlich dem 
Erysipelas bullosum, mit starker Infiltration und Blasen, welche 
platzten, an dem Rücken starke Ulcerationen hinterließen. Später 
hat die Haut sich geschält. Bei der nächsten Einspritzung stellte 
sich ein neuer Ausschlag, aber ohne Infiltration, ein. Um ein Ery¬ 
sipel kann es sich nicht gehandelt haben, denn das Kind hat in 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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der Zwischenzeit nicht gefiebert. Rednor glaubt, daß die letztge¬ 
nannten Complicationen wohl septischer Natur sind, daß in der 
KocH’schen Lymphe in wechselnder Menge septische Stoffe vor¬ 
handen sind, wenigstens haben diese Durchfälle ebenso wie die 
Exantheme den Eindruck septischer Symptome gemacht. Bei einem 
jungen Mädchen mit Caries der Fußwurzelknochen erfolgte bei den 
ersten Einspritzungen eine starke örtliche und allgemeine Reaction, 
und das Grundleiden besserte sieb ungemein. Bei der 4. Injeetion trat 
ein außerordentlich bedrohlicher Zufall ein. Respirationsfrequenz 96, 
starker, quälender Hustenreiz, Präcordialangst und starke Collaps- 
erscheinungen, so daß Pat. den Eindruck eines vollständig ver¬ 
lorenen Falles machte. Bei Untersuchung der Lungen wurde L. H. 0. 
eine kleine Dämpfung (vielleicht ein miliarer Herd) uachgewiesen. 
Die bedrohlichen Erscheinungen sind vollkommen zurückgegangen, 
das Mädchen befindet sich recht wohl, hat aber nach Injeetion von 
2 Mgrm. wieder einen recht erheblichen Anfall gehabt. 

In Bezug auf die Bedeutung der KocH’schen Ein¬ 
spritzung für die Heilung tuberculöser Wunden hat 
Redner den Eindruck gewonnen, als ob die Heilung unter der Ein¬ 
wirkung des Mittels rascher vor sich geht, als es sonst der Fall ist. 
Bei Durchsicht sämmtlicher von ihm und seinem Vorgänger ope- 
rirten Fälle ist Redner vielfach erstaunt gewesen, wie weit die 
Heilung vorgeschritten ist. Allerdings ist kein großer Verlaß auf 
solche Fälle. Redner hat Fälle von Fisteln gesehen, von denen er 
bestimmt glaubte, daß sie am nächsten Tage geschlossen sein 
müssen. Nach zwei Tagen abe? zagten sie wieder das Bild der 
classiscben tuberculösen Fisteln. 

Unmittelbar nach der Einspritzung secerniren sämmtlicho 
eiternde Wunden in ganz erheblich stärkerer Weise, Abscesse 
werden bedeutend größer, es platzen vielfach die alten, schon ver¬ 
heilten Fisteln wieder auf, es bilden sich furunkelartige Knoten 
in der Haut, welche aufquellen und necrotiscbe Pfröpfe entleeren, 
so daß entschieden ein ganz bedeutender Einfluß auf das tuber- 
culöse Gewebe geübt wird. So bat Redner vor 12 Tagen in einem 
Falle von ausgedehntem pararticulärem Absceß des Ellbogens mit 
vollständig freiliegendem Knochen und mächtiger tuberculöser Mem¬ 
bran nur quer drainirt und nach Koch eingospritzt: es sind alle 
Erscheinungen zurückgegangen. Ein anderer wegen eines außer¬ 
ordentlich großen tuberculösen Abscesses operirter Kranker weist 
heute nur noch oberflächliche Granulationsstreifen nicht tuberculöser 
Natur auf. — Ein verschiedentlich operirter Pat. mit Caries der 
Rippen und des Sterno-CIaviculargelenks kam mit offenen Fisteln 
und einem großen Absceß in’s Hospital. Er erhielt 5 Ein¬ 
spritzungen. Es bildete sich ein zweiter Absceß neben dem ersten, 
und letzterer mußte gespalten werden. Redner kam in eine große 
tuberculöse Höhle, welche mit Eiter ganz gefüllt war und durch 
welche eine Rippe ganz entblößt hindurchlief. Es stürzte eine 
Masse necrotischer Fetzen hervor, und spontan war die innere 
Wand der Höhle vollkommen frei und zeigte eine gut granulirende 
Wunde. Die eine Fistel ist inzwischen geheilt, die übrigen haben 
ein gutes Aussehen. Redner bat den Eindruck, daß es sich um eine 
ostitisch verdickte Rippe handelte. 

Aus allen Beobachtungen hat Redner den Eindruck gewonnen, 
daß wir hoffnungsvoll in die Zukunft blicken dürfen. Das Schwert 
ist geschliffen, es kommt nur darauf an, daß wir cs führen lernen. 
Wenn wir noch Erfahrungen sammeln in Bezug auf Dosirnng und 
Anwendungsweise des KocH’schen Mittels wird sich voraussichtlich 
ein noch erheblich besseres Resultat zeigen, als es nach den bis¬ 
herigen Versuchen der Fall sein kann. 

Prof. Dr. A. Frankel (vom städtischen Krankenbause am 
Urban): M. H.! Die Impfungen haben im Krankenhauso am Urban 
am 22. November begonnen. Es sind bis jetzt 32 Personen geimpft 
worden, und zwar 25 Männer und 7 Frauen, darunter 27 Patienten 
mit unzweifelhafter L u n g e n p h t h i s e. Vou den restirenden 5 Fällen, 
bei denen es bisher nicht gelungen ist, Tuberkelbacillen nachzu¬ 
weisen , handelte es sich bei einem Pat. um eine tuberculöse Peri¬ 
tonitis, bei einem anderen um byperplastiscbe Lymphombildungen 
der Cervicaldrüsen, zwei zeigten Pleuritiden und einer, der als 
Controle zu den Impfungen diente, chronische Bronchitis mit bronchi- 


ektatiachen Caverven. Die zur Beobachtung ausgewählten Patienten 
stellen, soweit sie lungenkrank sind, sämmtlich nur leiohte Fälle 
vor. Schwere Fälle mit Cavernen sind, um den freien Blick nicht 
zu beeinträchtigen, absichtlich aus der Beobachtung fortgelassen 
worden. Bei den meisten Patienten ergab die physikalische Unter¬ 
suchung nur in einer Lungenspitze, selten in beiden, Abschwächnng 
des Athemgeräuscbes, nur in drei mittelschweren Fällen sind die 
acustischen Erscheinungen in Form von Rasselgeräuschen etwas aus¬ 
geprägter jedoch ist keine Höhlenbildung vorhanden. 

Redner hat ferner nur eine beschränkte Anzahl von Fällen 
mit dem KocH’schen Mittel behandelt, denn je größer das Material, 
um so schwerer läßt sich feststellen, ob im Verlaufe von Monaten 
wirklich eine Besserung, bezw. Heilung eingetreten ist. Die Beob¬ 
achtung ist für die internen Mediciner durch die zeitraubende Unter¬ 
suchung der Sputa entschieden erschwert. Wenn aber auch in 
mehreren Präparaten keine Tuberkelbacillen gefunden werden, so 
ist es keineswegs sicher, daß das Sputum überhaupt keine Bacillen 
enthält, und es müssen alsdann controlirende Untersuchungsmethoden 
zu Hilfe genommen werden, am besten die von Biedert angegebene 
Sedimentiruugsmethode. Sie besteht darin, daß man einen 
Eßlöffel Sputum mit 2—3 Eßlöffeln Wasser versetzt, einige Tropfen 
Natronlauge hinzufiigt, dann kocht, verdünnt und die dünnflüssige 
Masse im Spitzglase einige Tage stehen läßt. In diesem setzt sich 
dann ein Sediment ab, man decantirt und erhält einen Bodensatz, 
in welchem dem Redner der Nachweis von Bacillen immer noch 
gelungen ist. Diese Methode hat sich außerordentlich vortheilhaft 
erwieseu zum Nachweise der Bacillen in Flüssigkeiten des Körpers, 
in welchen selbst bei Anfertigung zahlreicher Präparate keine Ba¬ 
cillen sich nachweisen ließen, und zwar findet man bei dieser Me¬ 
thode nicht einzelne Bacillen, sondern sie liegen in Häufchen von 
einigen Dutzenden beisammen. 

Redner geht alsdann auf die wichtige Frage der Dosirung 
des Mittels bei internen Kranken kurz ein. Als wir am 22. November 
die erste Impfung von 1 Mgrm. an einer größeren Zahl von Pa¬ 
tienten ausfübrten, -waren wir nicht wenig erstaunt, Abends bei 

4 Patienten keine Wirkung, bei 2 eine nur mäßige Reaction wahr- 
zunehroen. Wir wurden dadurch mutbig gemacht und stiegen in 
der Folge etwas beherzter mit den Dosen, sind aber sehr bald 
wieder davon zurückgekommen, weil wir Erscheinungen, nicht blos 
unangenehmer, sondern selbst bedrohlicher Art beobachteten. Ein 
Pat., welcher schon früher an Hämoptoe gelitten hatte, bekam nach 

5 Mgrm. eine neue Blutung. In einem anderen Falle traten bedroh¬ 
liche dyspnoische Erscheinungen, welche Tage lang anhielten, auf. 
Seitdem haben wir uns streng an die von Koch empfohlene Me¬ 
thode gehalten. Wir steigen milligrammweise, und zwar gibt das 
Verhalten der Temperatur den Wegweiser. Wir lassen nach 
jeder Temperatursteigerung erst den Abfall sich vollziehen und geben 
alsdann dieselbe Dosis so lauge, bis keine Temperatursteigerung 
mehr erfolgt. Dabei kann man bei den verschiedenen Kranken mit 
sehr verschiedener Geschwindigkeit vorwärts schreiten. Bei einzelnen 
Kranken sind wir in acht Tagen zu 1 Cgrm. aufgestiegen, bei 
anderen haben wir diese Dosis noch nicht in 14 Tagen erreicht, 
in einzelnen Fällen sind wir wegen stärkerer Allgemeinerschei¬ 
nungen wieder auf geringere Dosen zurückgegangen, hi dieser Be¬ 
ziehung gibt das Befinden der Patienten gewisse Anhaltspunkte, vor 
Allem das Verhalten der Pulsfrequenz. Diejenigen Kranken, bei 
denen die Pulsfrequenz wenig steigt, vertragen das Mittel nicht 
nur gut, sondern man kann bei ihnen auch mit den Dosen schnell 
vorwärtsgehen. 

Ein anderer Punkt ist die A t h m u n g. Bei den meisten Lungen¬ 
kranken steigt die Atbmung bekanntlich nach der Injeetion bis auf 30 
bis 40 Athemzüge. Wenn sie höher steigt und ein wirkliches Oppres- 
sionsgefühl sich bemerklich macht, so muß man die Einspritzungen 
su8pendiren , bis diese Erscheinungen vorüber sind, um dann mit 
einer noch niedrigeren Dosis als die zuletzt angewendete von Neuem 
zu beginnen. Die höchste bisher vou uns bei Lungenkranken gege¬ 
bene Dosis betrug 3 1 /« Cgrm. 

Redner räth unter allen Umständen zur größten Vorsicht 
bei Anwendung des Mittels, namentlich in der ersten 
Zeit. Ist erst eine gewisse größere Dosis erreicht, so kann man 







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dreister Vorgehen. Als ganz unzweckmäßig verwirft Redner 
die ambulatorische Behandlung der Kranken in der ersten 
Zeit. Gerade bei den ersten Injectionen muß man den Patienten 
mehrmals täglich sehen und darf ihn nicht aus den Augen lassen, 
will man nicht die Anwendung des Mittels überhaupt discreditiren. 

Die Temperaturreaction ist im Anfang der Einspritzungen 
nicht vorauszusehen und hängt durchaus nicht von der Beschaffen¬ 
heit des localen Processes in den Lungen ab. In dieser Beziehung 
sind die Fälle in drei Kategorien zu theilen, solche mit typischer, 
mit mäßiger und mit fehlender Reaction. Von dem gewöhnlichen 
Verhalten des Eintrittes von Frost kommen häufige Varianten vor. 
Es kann Frost bei höheren Temperaturen fehlen, es können an 
einem Tage zwei Temperaturen auftreten, es kann die Temperatur 
nach 24 Stunden wieder ansteigen. In einem Falle von Larynx- 
phthise zeigte sich erst am 9. Tage ein geringer Anstieg. Bei 
einem 12jährigen Kinde mit beiderseitiger Lungenphthise ergab 
1 Mgrm. keine Reaction, und erst nach allmäligem Anstieg auf 
1 Cgrm. fand sich eine geringe Temperaturerhöhung. Das Kind hat in¬ 
zwischen an Körpergewicht zugenommen und ist außerordentlich munter. 

Das Allgemeinbefinden bleibt bei keinem Patienten ganz 
intact, selbst nicht bei denjenigen, welche nicht durch Temperatur¬ 
erhöhung reagiren. Die Patienten klagen sämmtlich über Schwäche 
in den Beinen und Kreuzscbmerzen. Außerdem wurden noch gewisse 
Erscheinungen beobachtet, welche zum Theil jedenfalls als Product 
der toxischen Wirkung des Mittels zn betrachten sind. Viermal 
wurde leichte Albuminurie beobachtet. Sämmtliche Harne wurden 
übrigens täglich auf die EHRLiCH’sche Diazo-Reaction untersucht, 
nur zwei mit Erfolg. Niemals wurde ein Exanthem, dagegen in 
einem Falle mit Lymphon des Halses nach Aussetzen der Injection 
zunehmender starker Icterus mit Entfärbung der Fäces und zu¬ 
nehmender Schwäche des Kranken beobachtet. Bei zwei Patienten 
mit gleichzeitiger Larynxphthise stellten sich aphthöse Geschwüre 
an Zunge und Lippenschleimhant ein, welche indeß schnell heilten. 
Als Effect der Behandlung trat bei einer Anzahl Patienten ein ent¬ 
schieden besseres Aussehen, bei dreien eine g*nz erhebliche Körper¬ 
gewichtszunahme hervor. . 

Bezüglich der Localersoheinungen bestätigt Redner, 
daß bei der Mehrzahl der Patienten im Anfang die Menge des 
Sputums und der Bacillengehalt erheblich znnabm. Bei einigen 
Patienten fiel eine mattere Färbbarkeit der Bacillen auf, was be¬ 
kanntlich bei anderen Bacillenarten als ein Zeichen des Absterbens 
anzosehen ist. Eine Verminderung des Auswurfes hat Redner bisher 
nur in zwei Fällen, dagegen bei einer Reihe von Patienten 
bemerkenswerthe Veränderungen der physikalischen Erscheinungen 
wahrgenomraen. Bei einer Kranken entstand vielleicht als örtliche 
Reaction eine Dämpfung an der unteren rechten Thoraxwand mit 
reichlichen Rasselgeräuschen. Eine andere Pat. zeigte nach jeder 
Injection Reibegeräusche am Thorax, welche Abends verschwanden, 
um nach einer neuen Injection wiederzukehren. Abnahme der aku¬ 
stischen Erscheinungen wurde bisher nur in drei Fällen constatirt. 

Zum Schluß spricht Redner noch über einige Fälle von be¬ 
sonderem Interesse. In einem Falle von tubercnlöser Lungenphthise, 
vergesellschaftet mit Otitis media auf tuberculöser Basis, bei welchem 
eine Perforation des Trommelfells mit geringem Ausfluß bestand, 
wurde bei Beginn der Einspritzung die Eiterung profus. Die Ba¬ 
cillen traten in massenhafter Weise, zu 20—30, auf. In der letzten 
Zeit hat sieh der Ausfluß wieder verringert und die Zahl der Ba¬ 
cillen ist auf 2—3 zurückgekehrt, so daß wahrscheinlich eine Hei¬ 
lung des tuberculösen Processes im Ohre stattfindet. 

Ein zweiter Fall betrifft einen 28jäbrigen, vor 8 Wochen 
aufgenommenen Mann mit tuberculöser Peritonitis und Ascites. Mit 
Hilfe der Sedimentirungsmethode gelang es, in dem Exsudate des 
Pat. massenhafte Bacillen nachzuweisen. Die Lungen zeigten keinerlei 
Veränderungen, es bestand jedoch mäßiges hektisches Fieber. Punction, 
Entleerung von 3—4 Liter Flüssigkeit, schnelle Erneuerung des 
Exsudates, täglich zunehmende Abmagerung, so daß der Exitus letalis 
in einigen Wochen spätestens zu erwarten war. Im Anschluß an 
König’s Vorgehen wurde deshalb dem Pat. ein Schnitt von 20 Cm. 
Länge in der Medianlinie gemacht, das Exsudat abgelassen, ausge- 
tnpft und zugenäht. Heilung per primam intentionem. Am nächsten 


Tage hörte das Fieber auf, nach 14 Tagen konnte Pat. umher¬ 
gehen. Jetzt ist auf Injection keine Reaction eingetreten. 

Ein 16jähriger Schlosserlehrling litt an hyperplastischem 
Lymphom der Cervicaldrüsen. Der Halsumfang betrug in Höhe des 
Kehlkopfes 45 Cm. Hoher Grad von Anämie. Zunächst Behandlung 
mit Arseninjectionen, Verkleinerung der Halsanschwellung um 2*/ 2 Cm. 
Da die Möglichkeit vorlag, daß es sich hier um Tnberculose handle, 
zumal der Pat. ein ziemlich lebhaftes remittirendes Fieber mit Abend¬ 
temperatur von 39° darbot, so wurde zu den KoCH’schen Injectionen 
übergegangen. Es wurde nur 5 Tage injicirt, weil ein zunehmender 
Grad von Anämie, sowie Albuminurie und Icterus auftrat. 

Endlich hat Redner noch 4 Fälle von Pleuritis nach Koch 
behandelt. Zwei Pat. sind dadurch besonders interessant, daß sie 
nach einiger Zeit der Behandlung Tuberkelbacillen auswarfen. Von 
drei Fällen bietet der eine Erscheinungen dar, welche man wohl 
auf beginnende Heilung deuten kann: auf der einen Seite hat sich 
der graue mißfarbige Belag abgestoßen und eine glatte Fläche sich 
gebildet, auf der anderen Seite ist ein birsekorngroßes Infiltrat ent¬ 
standen. 

Aus seinen Beobachtungen hat Redner die Ueberzeugung ge¬ 
wonnen, daß der Weg zu einer effectvollen Behandlung der Lungen¬ 
phthise angebahnt ist, und er gibt der Zuversicht Ausdruck, daß der 
geniale Entdecker des Tuberkelbacillus den betretenen Weg auch 
vollenden wird. 

Diesen beiden Vorträgen schließt sich noch ein dritter von 
Prof. Herm. Krause an, dessen Mittheilungen indeß im Wesent¬ 
lichen eine Wiederholung seines Vortrages in der Gesellschaft der 
CharitO-Aerzte vom 27. November d. J. (s. „Wiener Med. Presse“ 
Nr. 50 p. 1983) bilden. —r. 


Notizen. 

Wien, 20. Deoember 1890. 

Das Koch’sche Heilverfahren. 

In der letzten Sitzung des Obersten Sanitätsrathes gab 
der Präsident, Hofrath E. R. v. Hofmann, dem Befremden darüber 
Ausdruck, daß die jüngste, in Uebereinstimmung mit den Beschlüssen 
des Obersten Sanitätsrathes erflossene Verordnung des Ministeriums 
des Innern in ärztlichen Kreisen als Mißtrauensvotum gegen die 
Aerzte aufgefaßt wurde, während diese Verordnung im Gegentherl 
die bisher unstatthafte Verwendung eines unter Umständen heftig 
wirkenden Geheimmittels legalisirte und durch die ausnahmsweise 
Gestattung des directen Bezuges der Injectionsflüssigkeit ans dem 
Auslande, sowie ihrer Anwendung den Aerzten ein besonderes 
Vertrauen entgegenbringt. Diese Erklärung deckt sich mit unseren 
Ausführungen in dieser, von der Publicistik überflüssiger Weise auf¬ 
gebauschten Angelegenheit vollkommen. Allseitig wird nunmehr, 
nachdem der Wortlaut der Verordnung vorliegt, anerkannt, daß es 
der Obersten Sanitätsbehörde gelungen ist, die Interessen der Be¬ 
völkerung mit jenen der praktischen Aerzte in tactvoller Weise zu 
vereinigen. 

Mit umso größerer Ueberraschung wird man aber von dem 
Wortlaute eines Circularerlasses des Ministeriums des 
Innern an die Unterbehörden Kenntniß nehmen, welcher, das gleiche 
Datum, wie die vielbesprochene Verordnung vom 8. December d. J. 
tragend, direct an die Adresse der praktischen Aerzte ge¬ 
richtet ist. Nachdem im Eingänge dieses, den Charakter einer Durch¬ 
führungsverordnung tragenden Erlasses das besondere Vertrauen 
„in die gewissenhafte Gebahrung mit diesem, selbst in tausendfacher 
Verdünnung bei Tuberculösen unter Umständen außerordentlich heftig 
wirkenden Mittel“ nochmals hervorgehoben worden, fährt der 
Erlaß fort: 

Mit Rücksicht auf die heftige Wirkung dieses Präparates obliegt daher 
den im Besitze desselben befindlichen Aerzten nicht blos die sorgsamste Ver¬ 
wahrung desselben, sondern auch die genaue Beobachtung der von dem Versender 
— Dr. Libbebtz in Berlin, NW.. Lüneburgerstraße 28 — jeder Sendung bei¬ 
gegebenen Gebrauchsanweisung. 

Dabei ist insbesondere zu beachten, daß Verdünnungen der Kocu’schen 
Injectionsflüssigkeit nicht haltbar sind und daher zur Injection nur möglichst 

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frisch und mit der größten Sorgsamkeit nnd Genauigkeit hergestellte Ver¬ 
dünnungen, zu denen am besten die sechsfach mit destillirtem Wasser ver¬ 
dünnte officinelle Aqua caroolisata — d. i. O'öproc. Phenollösung — zu ver¬ 
wenden ist, angewendet werden dürfen. 

Wo immer möglich, wird die Behandlung von Kranken mit der Komi¬ 
schen Injectionsflüssigkeit auf wohl eingerichtete Krankenanstalten zu be¬ 
schränken si in, und ist der, diese Heilmethode anßirhalb solcher Anstalten zur 
Anwendung bringende Arzt für die etwaigen Folgen einer unzureichenden 
ärztlichen Ueberwachung der Kranken ausdrücklich verantwortlich zu machen. 

In dem Falle, daß ein Arzt bezüglich der Gebarung mit dem Komi¬ 
schen Heilmittel sich einer gröblichen Pflichtvernachlässigung 
schuldig machen, oder die ertheilte Befugniß zur Anwendung des 
Mittels in einer mit dem Ansehen des ärztlichen Standes un¬ 
verträglichen gewinnsüchtigen Weise mißbrauchen sollte, ist 
gegen denselben die Amtshandlung einzuleiten und eventuell bei der 
k. k. Landesbehörde der Antrag wegen Entziehung der Befugniß zum 
ferneren Bezüge des Präparates zu stellen. 

Da es dem Arzte nicht zusteht, aus der Verabfolgung des Präparates 
selbstGewinn zu ziehen, darf von demselben für die verbrauchte 
Quantität nur jener Preis gefordert werden, welcher dem 
Anschaffungswerthe nebst den eigenen, gewissenhaft abzu¬ 
schätzenden Auslagen entspricht. 

Im Falle des Vorkommens eines Todesfalles im Reactionsstadium 
oder in Folge desselben nach Einspritzung der Kocu'schen Injectionsflüssigkeit 
wird in der Hegel, insofern zu einer gerichtlichen Amtshandlung kein Anlaß 
gegeben ist, die sanitätspolizeilicbe Obduction zu veranlassen sein. 

Seitens aller Krankenanslalten, in welchen die Behandlung von Tnber- 
culösen unter Anwendung des KocH'schen Präparates geübt wird, ist vorläufig 
nach Ab'auf je eines Vierteljahres, daä erstemal bis Ende April 1891, für die 
bis Ende März obgelaufene Behai dlungsperiode, ein übersichtlicher Bericht 
über die in der Berichtsporiode aus der Behandlung nach dem gedachten 
Verfahren getretenen Kranken zu erstatten und im Wege der politischen 
Landesbehörden im Anschlüsse der aus der Würdigung dieser Berichte sich 
ergebenden Bemeikuugen dem Ministerium des Innern vorzulegen. : 

Ein einheitliches Formulare für d ese Vierteljahres-Nachweisungen der 
Krankenanstalten wird demnächst bekannt gegeben werden. 

Ueber die von den Privatärzten bei Anwendung dieser Heilmethode 
gewonnenen Erfahrungen werden bis auf Widerruf die Aeußerungen derselben 
von den politischen Behörden erster Instanz am Schlüsse des Jahres 1 ) zu 
sammeln und zur Verfassung eines besonderen Theilbeiichtes zum Jahres- 
Sanitätsberichte zu benutzen sein. Die gesammelten Theilberichte sind mit 
einer übersichtlichen Darstellung der in denselben enthaltenen Ergebn : sse anber 
vorzulegen. 

Neben der Angabe der Bezugsquelle den KoCH’ßchen Mittels, 
der sicherlicb berechtigten Mahnung bezüglich der Herstellung der 
Verdünnungen, der vom wissenschaftlichen Standpunkte nur zu 
billigenden Verfügung der sanitätspolizeiliehen Obduction nach Todes¬ 
fällen im Reactionsstadium oder in Folge desselben (?), neben den 
Verfügungen für eine entsprechende Berichterstattung über die bei 
Anwendung des KocH’schen Heilverfahrens gewonnenen Erfahrungen 
enthält der Erlaß einen Punkt, welcher nicht verfehlen wird, in den 
Kreisen der österreichischen Aerzte peinliches Aufsehen zu erregen. 
Ist es wirklich nothwendig, daß die Behörde, welche durch ihre 
erste Verordnung den Unterbehbrden die Befugniß ertheilt hat, 
„wahrgenommene Mißbräuche und Unzukömmlichkeiten in der Ge- 
bahrung mit dem Heilmittel abzustellen“, nochmals warnend den 
Finger gegen die Aerzte erhebt, bevor sie ihnen „vertrauensvoll“ das 
berühmte „Fläschchen“ übergibt, daß sie die Mitglieder eines Standes, 
welcher die Selbstlosigkeit nnd Humanität auf seine Fahne ge¬ 
schrieben, nachdrücklich ermahnt, mit ihrem Pfunde nicht zu wuchern, 
die Kranken, deren Wohl der erste, das eigene Interesse stets der 
letzte Gedanke des Arztes ist, nicht zu üborvortheilen ? 

Wenige Tage sind verflossen, seit der geistvolle Cultusminister 
Preußens unter tosendem Beifall des Hauses von der Tribüne des 
Parlaments herab die angefeindeten ärztlichen Mitarbeiter Koch’s 
mit beredten Worten vertheidigte. Eine solche autoritative Vertretung 
haben die Aerzte in Deutschland gefunden; in Oesterreich warnt 
man davor, die Injectionsflüssigkeit, deren Einzeldosis einen Effectiv- 
werth von 1 — 2 Neukreuzern besitzt — „mit Gewinn“ zu verkaufen. 
Welcher Arzt hat wohl daran gedacht, „für die verbrauchte Quantität 
des Präparates einen Preis zu fordern“? Ist man dies von den 
Aerzten gewohnt ? Geschieht dies etwa bei den zahlreichen Injectionen 
mit Morphium-, Ergotin- oder Sublimatlösungen, mit Aether oder anderen 
Mitteln, die der Arzt bereit hält, um sie im Bedarfsfälle anwenden 
zu können? „Vertrauensvoll“ hätte die oberste Sanitätsbehörde die 
Lösung des — geschäftlichen Theiles der Frage der Humanität, dem 


') Vom Jahre 1891 an. 


gesunden Sinne, dem bewährten Pflicht- und Tactgefühl der Aerzte 
Oesterreichs überlassen können ; stehen ihr ja Mittel und Wege reich¬ 
lich zu Gebote, bedauerlicheu Ausschreitungen Einzeluer mit Erfolg 
en tgegenz u treten. 

#■ 

* * 

Aus Prag wird uns berichtet: 

In der Sitzung des Vereines deutscher Aerzte iu Prag vom 
12. d. M. haben die Professoren Pick und PHibbam einige sehr 
bemerkenswerthe Mittheilungen über die Wirkung des Koca’schen 
Mittels gemacht. 

Prof. Pick stellte den bereits in der Sitzung vom 28. v. M. 
demonstrirten Fall von Morbus Addisonii abermals vor. Die bei dem 
61jährigen Kranken vorhandenen charakteristischen Erscheinungen, 
als: Bronzefärbung des Gesichtes und einzelner Stellen der Extremi¬ 
täten, hochgradige Muskelschwäche trotz des verhältnismäßig günstigen 
Ernährungszustandes, dyspeptisebe Beschwerden, viscerale Algien, 
zuweilen gefolgt von epileptiformen Zuständen, sichern die klinische 
Diagnose. Die am 24. November gemachte Injection mit O'Ol des 
Mittels war weder von allgemeiner, noch örtlicher Reaction gefolgt, 
weshalb P. damals das Leiden nicht auf Tuberculose, sondern auf 
Krebs der Nebennieren beziehen zu müssen glaubte. (Vergl. „Wiener 
Med. Presse“ Nr. 49, p. 1957.) Nachdem die inzwischen gemachten 
Erfahrungen gelehrt hatten, daß selbst bei zweifelloser Tuberculose 
die typische Reaction zuweilen erst nach wiederholter Einspritzung 
des Mittels erfolgt, wurde dem Kranken vor einigen Tagen aber¬ 
mals 0 01 injicirt, und diesesmal traten nicht nur die typischen 
Allgemeinerscheinungen, sondern auch örtliche Reaction in Form 
lebhafter Schmerzen in den Hypochondrien auf, die gegen das 
Epigastrium ausstrahlten. Die nach der zweiten Einspritzung auf¬ 
getretene typische Reaction im Zusammenhänge mit dem Umstande, 
daß die meisten Fälle von AüDisoN’scher Krankheit auf Tuberculose 
der Nebennieren beruhe, veranlaßten P. zu der Annahme, daß dieser 
Proceß auch bei dem vorgestellten Kranken vorliege. — Ferner 
stellte Pick ein 17jähriges Mädchen vor, das mit der seltenen 
Combination von Syphilis univ. und Haut tuberculose 
auf die Klinik kam. Es hatte Condylome am After, den Labien 
und Tonsillen, Adenitis scler. universalis, eine im Verblassen begrif¬ 
fene Roseola syphil. und einen seit mehreren Jahren bestehen¬ 
den, also mit dieser Krankheit durchaus nicht im Zusammenhänge 
stehenden papillomatösea Herd an der Streckseite des linken Vorder¬ 
armes , welcher unzweifelhaft als „Tuberculosis verrucosa“ ange- 
sproeben werden muß. An der inneren Seite des linken Oberarmes 
findet sich eine thalergroße Narbe, welche nach Angabe der Patientin 
vor 3 Jahren aus einor in Eiterung übergegangenen Verhärtung 
dieser Stelle hervorgegangen, ist, und, wie P. meint, als Product 
einer von dem tuberculösen Herde aus fortgeleiteten Adenitis be¬ 
trachtet werden muß. Pat. bekam eine Einspritzuug mit O'Ol, 
worauf die elective Wirkung des Mittels manifest hervortrat. Nebst 
den typischen All gemein erschein un gen erfolgte eine sehr intensive 
örtliche Reaction an dem tuberculösen Herde und an der Narbe 
am Oberarm, analog jener, wie sie in lupösem Gewebe beobachtet 
wird, während die syphilitisch afficirten Stellen nicht die geringste 
Veränderung zeigten. 

Professor Päibram machto einige vorläufige Mittheilungen über 
seine Beobachtungen mit der KocH’schen Injection. 

Fast in allen Fällen, wo trotz manifester Lungentuberculose 
die typische Reaction ausgeblieben ist, konnte örtlich nicht nnr 
eine Zunahme der Rasselgeräusche, sondern auch eine Ausbreitung 
der Verdichtung aufgewiesen werden. Besonders eclatant war dieses 
Verhalten bei einem jungen Manne zu beobachten, bei welchem ohne 
fieberhafte Reaction die Verdichtung und das Rasseln sich von der 
Fossa supraspinata fast bis zur Lungenbasis ausbreitete und erst 
allmälig wieder zurückging. Ob diese Vorgänge als eine Vorbereitung 
zur Heilung des ursprünglichen tuberculösen Herdes in der Lunge 
zu betrachten sind, sei vor der Hand noch eine offene Frage. — 
Auch in 2 Fällen von Tuberculose des Bauchfells sind nach der 
Injection die örtlichen Erscheinungen besonders stark hervorgetreten. 
Das Abdomen wurde aufgetrieben, schmerzhaft, druckempfindlich, 
und war auch eine Zunahme des Ergusses in die Bauchfellhöhle zu 
constatiren. 


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2045 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2046 


Die fast ausnahmslos nach jeder Injection eiugetretene Besserung 
des subjectiven Befindens glaubt PRibram nicht, wie von mancher 
Seite angegeben wird, auf Autosuggestion, sondern auf Beeinflußung 
des vasomotorischen Centrums beziehen zu müssen. Bei sämmtlichen 
Kranken wurde nach der Injection der Puls voller und kräftiger, 
und konnte eine beträchtliche Steigerung des Blutdruckes sphygmo- 
graphisch und manometrisch nachgewiesen werden. Selbst vorge¬ 
schrittene Fälle ließen diese Erscheinung nicht vermissen, und bei 
einem diabetischen Kranken mit vorgeschrittener Lungenphtbise 
konnte dieselbe nach einer Injection von 0*0007 nachgewiesen 
werden. 

Bei einem Falle von Lungenphthisis mit Albuminurie, wahr¬ 
scheinlich in Folge amyloider Degeneration der Niere, trat nach 
einer Injection von 0001 eine sehr erhebliche Steigerung der 
Albuminaus8cbeidung ein, und es sei daher der Gebrauch des 
Mittels bei Mitaffcction der Nieren contraindicirt. 

Immer empfehle es sich, mit minimalen Dosen zu beginnen, 
denn nur so lasse sich dem Eintritte drohender Erscheinungen Vor¬ 
beugen. 


(Oberster Sanitätsrath.) Auf der Tagesordnung der am 
13. d. M. stattgebabten Sitzung des Obersten Sanitätsratbes stand 

и. A. die Begutachtung des im Sanitäts-Ausschüsse des Reichsratbes 
im Verhandlung stehenden Gesetzenwurfes, betreffend die Errichtung 
von Aerztekammern. Der Oberste Sanitätsrath erkannte nach 
den Anträgen des zur Berathung der Angelegenheit eingesetzten 
Subcomitö (Referent: Ministerialrath Dr. E. Kustf) im Principe die 
Berechtigung und Ersprießlichkeit der Errichtung von Aerztekammern 
an und stellte die Gesichtspunkte fest, nach welchen der vorliegende 
Gesetzentwurf einer entsprechenden Revision zu unterziehen wäre. 
Nach dieser, auch im officiellen Organe des Obersten Sanitätsrathes 
nicht näher commcntirten Erklärung dürfte die Hoffnung der Aerzte, 
der Gesetzentwurf betreffend die Errichtung von Aerztekammern 
werde noch in der derzeitigen parlamentarischen Session zur Ver¬ 
handlung kommen, sich als trügerisch erweisen, — Von ganz besonderem 
Werthe ist die vom Obersten Sanitätsrathe aceeptirte Anregung des 
Ministerialrathes Dr. Kusy, betreffend die im Interesse der Handhabung 
der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere mit Bezug auf 
wissenschaftliche Erforschung der Infectionskrank- 
heiten und der Mittel zu ihrer Bekämpfung, nothwendige 
intensive Förderung der bacteriologischen und hygie¬ 
nischen Forschung und der Beschluß, das k. k. Ministerium 
des Innern um die Vermittlung zu ersuchen, damit den zu diesen 
Forschungen berufenen Instituten an den Universitäten und in den 

к. k. Krankenanstalten ausreichende Mittel zur Durchführung 
dieser Aufgaben gewährt werden mögen. Ein Subcomitö wurde mit 
der Berichterstattung über die in dieser Hinsicht und insbesondere 
für die hygienischen Institute nothwendigen materiellen und räum¬ 
lichen Erfordernisse betraut. 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) In 
der am 15. d. M. abgehaltenen wissenschaftlichen Versammlung des 
Collegiums hielt Dr. Carl Hochsinoer einen interessanten, durch 
Demonstration von Patienten und Präparaten erläuterten Vortrag 
über Diagnostik angeborener Herzfehler bei Kindern. 
Wir werden die Ausführungen des Vortragenden nach dessen Manu- 
scripte iu einem der nächsten Hefte der „Wiener Klinik“ repro- 
duciren. 

(Aus Budapest) schreibt man uns: Die am 13. d. statt¬ 
gefundene Generalversammlung der k. Gesellschaft derAerzte 
in Budapost hat auf Antrag des Präsidenten Prof. Koränyi 
unter allgemeinem enthusiastischem Beifall beschlossen, Prof. Hyrtl 
zu seinem 80. Geburtsfeste zu beglückwünschen. — Zum Präsidenten 
wurde Prof. Koränyi wieder-, zum Vicepräsidenten Prof. Kezmärszky 
neugewählt. Zu Sitzungspräsidenten wurden Prof. Stiller und Dr. 
Vidor, zu Secretären Prof. 0. Pertik und E. Moravcsik, zum 
Bibliothekar J. Donath und zum Cassier K. Koller berufen. In 
den Ausschuß gelangten B. Änyän, A. Högybs, S. Löw, K. Laufe- 
nauer, K. Ketli, A. Bökai u. A. Szenässy. Zu correspondirenden 
Mitgliedern wurden Prof. Zaufal (Prag) und Prof. Mosler 
(Greifswald), zum Ehrenmitglied Prof. Lumniczbr gewählt. 


(Jahrbuch für Militärärzte.) Der 26. Jahrgang des 
vom Unterstützungsverein der k. u. k. Militärärzte herausgegebenen, 
vom k. u. k. Stabsarzte Dr. Hermann Alter mit großem Fleiße 
zusammengestellten Jahrbuches für Militärärzte ist soeben erschienen 
und bietet, gleich seinen Vorgängern, ein handliches, übersichtliches 
Nachscblagebuch für active, Reserve- und Landwehr-Militärärzte, das 
über alle Personal fragen rasch und erschöpfend Aufschluß gibt. 
Zweifelsohne wird daher auch der neue Jahrgang, dessen Reiner- 
trägniß dem genannten strebsamen Vereine zufällt, bald in den 
Händen aller Interessenten zu finden sein. 

(Statistik.) Vom 7. bis inclnsive 13. December 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 4970 Personen behandelt. Hievon wurden 853 
entlassen; 114 sind gestorben (ll - 79°/ 0 des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civil Bevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 8J, egyptischer Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 13, Dysenterie—, Blattern 58, Varicellen 113, Scharlach 64, 
Masern 335, Keuchhusten 38, Wundrothlauf 13, Wochenbettüeber 5. — In 
der 50. Jahreswoche sind in Wien 351 Personen gestorben (—11 gegen 
die Vorwoche). 

(Todesfälle). Gestorben sind: in Wien der Zahnarzt Dr. 
Ernst Alexowitsch, im 49. Lebensjahre, und der em. Polizei- 
Bezirksarzt k. Rath Dr. J. G. Kapsammer, 79 Jahre alt; in Brünn 
der praktische Arzt Dr. Anton Plohn im jugendlichen Alter von 
27 Jahren; in Budapest der Honorar-Ober-Physicus des Pester 
Comitates, Dr. Fabids Sdgar ; in Berlin Prof. Heinrich Jacobsohn, 
dirigirender Arzt der inneren Abtheilung des jüdischen Kranken¬ 
hauses, 64 Jahre alt; in Petersburg Geh.-R. Dr. W. R. v. Etlinger, 
ein hervorragender Geburtshelfer und Mitglied des Medicinalrathes. 


(Kalender.) Wie alljährlich, versendet die bekannte Firma Heinrich 
Mattoni auch heuer knapp vor Schluß des alten Jahres einen gefällig aus¬ 
gestatteten Blockkalender für das neue Jahr an die Aerzte, welcher einen ge- 
fäl igen Wandschmuck des Ordinationszimmers bildet. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 


Eingesendet. 


Dr. med. J. von TYMOWSKI 

prakticirt während der Wintersaison in 

Nizza, 31 Boulevard Dubouchage. 


Curse für Aerzte 

über 

Massage und Heilgymnastik 

an klinischem Material. 

Theilnehmerzahl 1 eschränkt. — Dauer 3 Wochen. — Anmeldung bei 
Dr. Anton Bum in Wien, I., Hegelgasse 21 (3—4). 


Literatur. 

(Oer Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Buzzi F., Schemata zum Einzeichnen von Untersuchungsbefunden bei Haut¬ 
kranken. Beilin 1890- Boas & Hesse. 

Schneider ('., und Vogl A., Commentar zur siebenten Ansgabe der österr. 
Pharmakopoe. I. Bd.: Chemische und pharm. Präparate. Mit 26 Abb. 
Wien 1890. Carl Gerold’s Sohn. 

Leser E., Die specielle Chirargie in 50 Vorlesungen. Mit 193 Abbildungen. 
Jena 1890. Gustav Fischer. 

Ziegler E., Lehrbuch der allgem. u. spec. patbol. Anatomie. Sechste, neu 
bearb. Aufi. II. Bd. Mit 435 Abb. Jena 1890. Gustav Fischer. 

S icharjili G. A., Klinische Abhandlungen Berlin 1890. Aug. Hirsch wald. 
Plehn F„ Aetiolo-.ische und klinische Malaria-Studien. Mit 2 lithogr. Tafeln. 
Berlin 1890, Aug. Hirschwald. 

Gerhardt C., Zur Geschichte des Bruststiches. Berlin 1890. Aug. Hirsch¬ 
wald. 

Schoefl E., Sanitätsbericht des k. k. Landes-Sanitätsrathes für Mähren für 
das Jahr 1889. Brünn 1891. C Winiker. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. Schnirer. 

3* 


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2047 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


2048 


Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

Arztesposten. Der seit nrdenkliohen Zeiten bestehende 

Arztespoßten in Brnnn a. d. Wild, an der Reichsstraße zwischen Horn und 
Göpfritz, woselbst die Gemeinde vor sieben Jahren ein neues, mit allen für 
einen Arzt nothwendigen Ubicationen versehenes Hans sammt Gemüsegarten 
und Baumstätte erbaut, hat, ist durch die Anstellnng des jetzigen Herrn Arztes 
als Stadtarzt in Zwettl in Erledigung gekommen. Zum Brunner Rayon ge¬ 
hören folgende Ortschaften mit der Todtenbeschau: Brunn, Happach, St. Marein, 
Fürwald, Frankenreith, Neubau, Atzelsdorf, Wutzendorf, Messern, Dorna, Grub 
und Sitzendorf. Der Arzt führt eine eigene Hausapotheke, die jetzt unter 
günstigen Bedingungen abgelöst werden kann. Die Bevölkerung ist nach¬ 
weisbar gut zahlungsfähig; die Naturalwohnung gesund und schön gelegen. 
Der Zugang ist nach jeder Richtung ein bequemer. Uebei siedlungsgebühr 
30 fl. und freie Zufuhr vom Bahnhof. Der Arzt von Brunn bezieht aus der 
Bezirkskrankencasse einen jährlichen Betrag von 120 — 140 fl. und ist für die 
angeführten Gemeinden auch zugleich Impfarzt. Gefällige Zuschriften an das 
Bürgermeisteramt. 750 

Anton M o 8 e r, Bürgermeister. 

In dem Curorte Karlsbrunn, k. k. Schlesien, kommt 

für die Dauer der jeweiligen Badesaison, d. i. vom 15. Mai bis 15. September, die 
Stelle eines Badearztes, mit welcher vorläufig ein fixer Gehalt von 500 fl- ö. W. 
nebst Wohnung und Beheizu g für obige Zeit verbunden ist, zu besetzen. 
Bewerber um diesen Posten, welche Doctoren der gesummten Heilkunde sein 
und eine mehrjährige Praxis nachweisen müssen, wollen ihre gehörig iusti uirten 
Gesuche unter Beibringung ihres Gebuitsscheines, sowie ihres Diploms und der 
Zeugnisse über ihre bisherige Verwendung mit der Angabe, ob sie ledigen 
Standes oder verheiratet sind, bis 20. Januar 1891 bei der Hoch- und Deutsch- 
meistor'schen Güter-Administration in Troppau eiubringen. Die Aufnahme er¬ 
folgt provisorisch auf ein Jahr. Jene Bewerber, welche Erfahrungen in der 
Anwendung der Kaltwassercur, der Massage, Heilgymnastik und Terraincuren 
nachweisen können, erhalten den Vorzug. Die jährliche Frequenz des Cur- 
ortes beträgt 300—4C0 Parteien. 754 

Nachdruck wird nicht honorirt. 

B argarztess teile. Bei der gefertigten k. k. Bergdirection 

ist die Stelle eines Bergarztes mit dem Range und den Bezügen der X. Rtngs- 
clasBe, einem Reisepanschale von jährlichen 400 fl, einem Holzpauschale von 
38 fl. zur Beheizung des Ordinationszimmers und dem Genüsse einer Natnral- 
wohnung gegen Abzug der Hälfte der Activitätsznlage zu besetzen, und zwar 
gegen die Bedingung, daß der neu eintretende Beigarzt erst nach einer drei¬ 
jährigen tadellosen Probedienstzeit, während welcher ihm der Dienst halb¬ 
jährig gekündigt werden kann, in definitiver Eigenschaft angestellt wird, _ daß 
ihm jedoch Tn'letzterem Falle die drei Probejahre für die Pensionsbemessung, 
nicht aber für die Quinqnennalzulagen angerechnet werden. Die Obliegen¬ 
heiten des Bergarztes bestimmt die Dienstinstruction. Die mit einer 50 kr.- 
Stempelmarke versehenen Gesuche sind unter Nachweisung des Alters, einer 
rüstigen Körperconstitution, des bisherigen ärztlichen Wirkens, der Kenntniß 
der deutschen und slovenischen oder einer anderen slavischen Sprache, sowie 
des erlangten Doctorgrades der Medicin und Chirurgie und das Magisterium 
der Geburtshilfe bis zum 10. Januar 1891 bei der gefertigten k. k. Berg¬ 
direction einzureichen. Auf Bewerber mit längerer Spitalprax<s wird besonders 
Rücksicht genommen. 753 

K. k. Bergdirection Idria, 

am 13. December 1890. 

Gemeindearzt für J4szkis6r (Jäsz-Nagykun-Szolnoker 

Comitat). Gehalt 300 fi. etc. Gesuche an das Ober - Stuhlrichteramt in 
J äszapäti. 

Abonnements-Einladung. 

Mit 1. Januar 1891 beginnt ein neues Abonnement auf die 

Wiener Medizinische Presse 

Wiener Klinik. 

Abonnements-Preise pro 1891: 


— . m Für das Deutsche Reich, die Postämter 

Inland: DD d Buchhändler: 

Jährlich.fl. 10.— Jährlich. 20 Reichsmark 

Halbjährlich.„ 5.— Halbjährlich .... 10 „ 

Vierteljährlich . „ 2.60 Viel teljährlich ... 5 „ 


Wiener Hlinik separat: 

J&hrlloh 4 fl. 9. W. = 8 Reichsmark. 

Man abonnlrt im Inlande durch Einsendung des Betrages per Postanweisung 

an die 

Administration der Wiener Medizinischen Presse 

in Wien, Maximilian strasne Nr. 4. 

Im Auslände bei allen Postämtern und Buchhändlern. 




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iliner Sauerbrunn! 

Altbewährte Heilquelle für Nieren-, Blasen- 
und Magenleiden, Gicht, Bronchialcatarrh, 
Hämorrhoiden etc., vortrefflichstes diäte¬ 
tisches Getränk. 

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catarihen, Verdauungsstörungen überhaupt. 

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Apotheken und Droguen-Handlungen. 

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anstatt. 493 Mechanische Apparate. Neues Logirhans im Bau. 


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* 


9 


Kr. 52. 


Sonntag den^ 28. December 1890. _ XXXI. Jahrgang. t 


Di« „Wiener Medirinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis S Bogen Gross-Onart-Format stark. Hiexu eine Reihe 
ansserordentlicher Beilagen. Als regelmassige Beilage, aber 
angleich anch selbstständig, erscheint die „Wiener Klinik“, 
allmonatlich ein Heft im durchschnittlichen Umfange von 2 
Bogen Lexikon-Format. — Abonnements- nnd Insertions¬ 
aufträge sind an die Administration der „Mediz. Presse“ 
ln Wien, L, Maximilianstrasse Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Hegelgasse Nr. 21. 


W i e ne r 


Abonnementspreise: „Mediz. Presse“ und „Wiener Klinik* 
Inland: Jährl. 10 fl., halbj. 5 fl., viertelj, 2 fl. 50 kr. Ausland: 
Für das Deutsche Reich, alle Buchhändler und Postämter: 
Jährl. 20 Mrk., halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten 
des Weltpostvereines: Jährl. 24Mrk,, halbj. 12 Mrk. „Wiener- 
Klinik“ separat: Inland: jährl. 4 fl.: Ausland: 8 Mrk. — Inse¬ 
rate werden nach Tarif berechnet. Man abonnirt im Auslände 
bei allen Buchhändlern und Postämtern im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Admlnistr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 




Begründet 1860. 


Organ für praktisbhe Aerzte. 

-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Zur Theorie der Wirkung der Antipyretica. Von Dr. W. J. Podanowsky und Doc. Dr. S. A. Popoff 
in St. Petersburg. — Aus der Klinik des Prof. v. Koeänyi in Budapest. Die Wirkung innerlich aufgenommenen Wassers von verschiedener 
Temperatur nnd Menge auf das gesunde und kranke Herz. Von Dr. Moaiz Strickes und Dr. Wilhelm Friedrich. 2. Die Wirkung des während 
24 Stunden im Magen aufgenommenen Wassers von verschiedener Menge anf die Harnausscheidung. — Referate and literarische Anzeigen. 
Mittheilungen über das KocH’sche Heilverfahren gegen Tuberculose. IV. — Wilhelm Erb: Dystrophia mnscnlaris progressiva. — Real-Encyclopädie 
der gesammten Heilkunde. Med.-Chirurg. Handwörterbuch für praktische Aerzte. Herausgegeben von Prof. Dr. Albert Eülenburg in Berlin. — 
Internationaler Atlas seltener Hautkrankheiten. Herausgegeben von Malcolm Morris (London), P. 6. Unna (Hamburg), H. Lrloir (Lille) und 
L. A. Dohring (Philadelphia). — Kleine Mittheilongen. Das Zincum sulfnrosnm als antiseptisches Wundbehandlungsmittel. — Aether als 
Menstruum zur Behandlung durch die Haut. — Zur Behandlung der Tbränenschlanchstrictnren. — Der galvanische Strom bei chronischer 
Obstipation. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. X. Internationaler medicinischer Congreß. Gehalten zu Berlin 4. —9. August 1890. (Orig.-Ber.) 
XVin. — Notizen. Das KocH'sche Heilverfahren. — Literatur. — Aerxtliche Stellen. — Anzeigen. 

Dieser Nummer liegen Titelblatt, Autoren-Verzeichniß und Sachregister fttr^das Jahr 1890 hei. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zur Theorie der Wirkung der Antipyretica. 

Von 

Dr. W. J. Podanowsky and Doo. Dr. 8 . A. Popoff 

ln St. Petersbnrg. 

Die Wirkung der Antipyretica erklärt sich, wie bekannt, 
erstens durch ihre Fähigkeit, die Oxydationsprocesse im Körper 
einzuschränken und somit die Wärmebildung herabzusetzen, 
andererseits durch die Eigenschaft, die Wärmeabgabe an der 
Oberfläche des Körpers zu erhöhen. Was die Art der Wirkung 
selbst anbetrifft, so kommen hier zwei Möglichkeiten in Be¬ 
tracht: die Antipyretica können rein local, d. h. auf die Ge¬ 
webszellen wirken, oder aber ihr Einfluß erstreckt sich auf 
die Nervencentren, welche die Wärmeproduction und Wärme¬ 
abgabe reguliren. Für die erste Wirkungsweise sprechen 
zahlreiche Beobachtungen sehr competenter Forscher (wir er¬ 
innern z. B. an die Arbeiten von Binz über die Salicylsäure), 
betreffs der zweiten existiren dagegen, wenigstens bis in die 
neueste Zeit, Behauptungen, daß die regulatorischen Wärme- 
centren selbst noch hypothetisch wären. Im Jahre 1885 wurde 
fast gleichzeitig durch die Arbeiten von Aronsohn und Sax *) 
und;RiCHET 8 ) das Vorhandensein eines Wärmecentrums in dem 
vorderen Theile des Gehirns, im Corpus striatum, erwiesen. 
Diese Autoren constatirten nämlich, daß Stiche in verschiedene 
Theile des Kaninchenhims keine Veränderungen der Tem¬ 
peratur und des Allgemeinbefindens der Thiere bedingen, daß 
aber Nadelstiche in das Corpus striatum eine rasche Er¬ 
höhung der Temperatur hervorriefen, die schon nach einigen 
Stunden ihr Maximum erreichte und einige Tage anhielt. Die 
Quantität der ausgeathmeten Kohlensäure war während dieser 
Zeit erhöht, ebenso die Stickstoffausscheidung. Es entwickelte 
sich somit ein Fieberzustand, der von dem gewöhnlichen durch 
nichts verschieden war. Da die genannten Veränderungen 
nicht durch die Verletzung des Hirns selbst erklärt werden 
konnten (was ja durch die Stiche benachbarter Theile erwiesen 
worden), behaupten die erwähnten Autoren, daß im Corpus 
striatum specifische Centren vorhanden sein müssen, deren 

’) Pflüger s Arch., 1835, Bd. 37, S. 624. 

3 ) ibid., S. 232. 


Reizung Temperaturerhöhung erzeugt, und die sie deshalb als 
Wärmecentren bezeichneten. Da die späteren Beobachtungen 
mit den eben angeführten vollkommen übereinstimmen und 
die Frage von dem Vorhandensein eines Wärmecentrums hiemit 
außer Zweifel gestellt wurde, so konnte man daran gehen, die 
Hypothese von der centralen Wirkung der Antipyretica einer 
experimentellen Bearbeitung zu unterziehen. Und in der That 
erschienen sehr bald zwei Arbeiten, die eine über Antipyrin s ), 
die zweite über Antifebrin 4 ), welche zeigten, daß die tempe¬ 
raturherabsetzende Wirkung dieser Mittel ausschließlich dem 
Einflüsse derselben auf die wärmeregulirenden Gehimcentren 
zuzuschreiben ist. Controlversuche lehrten, daß das dem Ein¬ 
flüsse der genannten Wärmecentren entzogene Gewebe sich 
zu den genannten antipyretischen Mittel vollständig neutral 
verhielt, demnach von einer localen Ursache der Herabsetzung 
der Temperatur keine Rede sein kann. 

Da aber die Resultate, die bei Antipyrin und Antifebrin 
erhalten wurden, die Möglichkeit nicht ausschließen, daß bei 
anderen Antipyreticis die Wirkung eine andere sein könnte, 
stellten wir uns die Aufgabe, auch andere Fiebermittel nach 
dieser Richtung zu prüfen. Da die leitenden Principien nnd 
die Versuchsanordnung bei allen Versuchen die gleichen waren, 
erlauben wir uns, darüber Einiges anzuführen. Wenn man 
dem Thiere das Gehirn knapp hinter dem Corpus striatum 
oder dem Thalamus opticus durchschneidet, so ist der Orga¬ 
nismus von den Wärmecentren isolirt, während die Verbindung 
mit den Respirations- und vasomotorischen Centren erhalten 
bleibt. Die Versuche lehrten nun, daß ein so operirtes Thier 
lange Zeit am Leben bleiben kann, ja noch mehr, die Func¬ 
tionen der übrigen Centren werden sogar sehr wenig gestört: 
der arterielle Blutdruck bleibt unverändert, ebenso die Ath- 
mung. Mit einem Worte, das vegetabilische Leben nimmt 
seinen gewöhnlichen Verlauf, nur die Körpertemperatur be¬ 
ginnt unaufhaltsam zu sinken, so zwar, daß die Temperatur¬ 
abnahme auf keinem Wege mehr sistirt werden kann, sondern 
höchstens durch Einwicklung des Thieres in Watta etwas 
verlangsamt werden kann. JLn einem solchen Zustand ist das 
Thier nicht mehr im Stande zu fiebern, die directe Einspritzung 

3 ) J. G. Sawodowsky, Ueber den Einfluß des Antipyrins auf den tbieri* 
sehen Organismus. Dissert. St. Petersburg 1887. 

4 ) W. J. Podanowsky, Zur Pharmakologie des Antifebrins. Dissert. 
St. Petersburg 1888. 

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2059 


1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


der heftigsten pyrogenen Substanzen, z. B. Fäulnißerreger 
in’s Blut ruft nicht nie geringste Temperaturstörung hervor, 
obgleich alle anderen Symptome der Fäulnißinfection (anfangs 
Sinken, dann Erhöhung des Blutdruckes, Beschleunigung der 
Respiration und der Pulsfrequenz, Diarrhoe, zuweilen sogar 
Schüttelfrost) vorhanden sind. Offenbar besitzt der Organismus 
nicht mehr jenes Centrum, welches auf die Infection durch 
die Bildung einer größeren Wärmequantität reagiren soll und 
die Gewebe selbst können in dieser Hinsicht nichts leisten. 
Ebenso wirkungslos wie die Injection von Fäulnißerregern 
bleibt auch die Einführung von Antipyrin und Antifebrin: 
das Sinken der Temperatur wird dadurch nicht im Geringsten 
beschleunigt, ja in den Fällen, wo es gelang, durch Ein¬ 
wicklung des Thieres in Watta ein zeitweiliges Gleichgewicht 
der Wärme zu erzielen, wurde selbst bei sehr großen Dosen 
dieses Mittels die Temperaturabnahme gar nicht wahrnehmbar. 

Außerdem wurde noch eine interessante Thatsache beob¬ 
achtet : die Hauttemperatur, welche bei normalen Thieren nach 
Injection von Antipyreticis stark erhöht wird, zeigt bei diesen 
Thieren gar keine Veränderung, dabei behalten aber die Haut¬ 
gefäße die Fähigkeit, sich auszudehnen, vollständig, da eine 
Erhöhung der Hauttemperatur auf anderem Wege, z. B. durch 
Reizung des Respirationscentrums durch Würgen des Thieres, 
sich sehr bald einstellte. Daraus folgt, daß bei normalen 
Thieren die Erhöhung der Hauttemperatur unter dem Ein¬ 
flüsse des Antipyrins und Antifebrins nicht von der Wirkung 
dieser Mittel auf die vasomotorischen Centren im Gehirn, 
sondern von einem besonderen höher gelegenen, wärmereguli- 
renden Centrum abhängt. Die weiteren Versuche lehrten, daß 
dieses Centrum von dem eigentlichen Wärmecentrum ver¬ 
schieden ist, obgleich es sich in der nächsten Nachbarschaft 
desselben befinden muß. 

Wir übergehen jetzt zu den von uns erhaltenen Resultaten 
mit Chinin, Resorcin, Thallin, salicylsaurem Natron und Al¬ 
kohol. Durch Versuche über den Einfluß der sogenannten Antipy- 
retica auf die centrale und periphere Temperatur normaler und 
fiebernder Thiere sind wir zu folgenden Resultaten gelangt: 

1. Es besteht kein strenger Parallelismus zwischen der 
wärmeherabsetzenden Wirkung verschiedener Substanzen und 
der Fähigkeit derselben, die Hauttemperatur zu erhöhen; so 
wirkt z. B. Chininum muriaticum, welches keine geringere, 
wenn nicht eine größere temperaturherabsetzende Wirkung 
als die Bromsalze besitzt, auf die Hauttemperatur (im Sinne 
einer Erhöhung derselben) viel schwächer als die letzteren; 
salicylsaures Natron erzeugt in Dosen, die eine geringere 
temperaturherabsetzende Wirkung als C hinin haben, eine viel 
stärkore Erhöhung der Hauttemperatur als dieses. Daraus 
folgt, daß die Wirkung der Antipyretica nicht ausschließlich 
von der vermehrten Wärmeabgabe an der Oberfläche des 
Körpers abhängt. 

2. Sämmtliche von uns untersuchten Antipyretica wirken 
sehr schwach auf die centrale Temperatur normaler Thiere, 
auch die Hauttemperatur wird bedeutend weniger erhöht 
als bei fiebernden Thieren. In letzter Beziehung bildet das 
Chinin, brom. eine Ausnahme, indem es sowohl bei fiebernden, 
als auch bei normalen Thieren die Hauttemperatur gleich¬ 
mäßig erhöht. Zur Erklärung dieser Eigenart des Bromchinin¬ 
salzes prüften wir den Einfluß des Broms selbst auf die Haut¬ 
temperatur, indem wir dasselbe in entsprechender Quantität 
in Form von Bromnatrium einführen. Bei diesen Versuchen 
überzeugten wir uns, daß dem Brom eine active Rolle bei 
der Erweiterung der Hautgefäße zukommt, da die Haut¬ 
temperatur stets nach der Injection desselben, sowohl bei 
fiebernden, als auch bei gesunden Thieren erhöht wurde. 

Die Versuche mit dem Durchschneiden des Hirns an 
den bereits erwähnten Stellen ergaben folgende Resultate: 

1. Injection in’s Blut der operirten Thiere von Chinin, 
Resorcin und Thallin erzeugte gar keine Veränderung der 
centralen Temperatur. Die Beobachtungen über Salicyl und 
Alkohol sind noch nicht abgeschlossen. 

2. Auch die Hauttemperatur bleibt bei Injection dieser 
Substanz unverändert, eine Ausnahme hievon bildete das 


2060 


Chinin, brom., dessen bekannte Wirkung auf die peripheren 
Gefäße 5 ) die Erhöhung der Hauttemperatur erklärt. 

Aus dem bis nun Angeführten glauben wir folgende 
Schlüsse ziehen zu dürfen: 

1. Die temperaturherabsetzende Wirkung der Chinin¬ 
salze, des Resorcin und Thallin, wird durch den specifischen 
Einfluß derselben auf die im vorderen Theile des Gehirns ge¬ 
legenen, wärmeregulirenden Centren bedingt, da bei Trennung 
des Organismus von diesen Centren selbst sehr große Dosen 
der erwähnten Antipyretica ganz ohne Einfluß auf die centrale 
Temperatur bleiben. 

2. Das Wesen dieser Wirkung muß in einer Hemmung 
der genannten Centren bestehen, wobei als erster Effect wahr¬ 
scheinlich eine Erregung derselben anzusehen ist. Zu Gunsten 
der letzteren Ansicht sprechen auch die neuesten Beobach¬ 
tungen über Antipyrin fl ) und Chinin, muriat. 7 ), welche 
zeigten, daß die Wärmebildung sofort nach der Einführung 
dieser Mittel erhöht wird. 

3. Die Wirkungslosigkeit der Mehrzahl der Antipyretica 
auf die Hauttemperatur der operirten Thiere bei unveränderter 
Erregbarkeit der vasomotorischen Centren und die Erweite¬ 
rungsfähigkeit der peripherischen Gefäße bestätigen die Hypo¬ 
these von dem Vorhandensein eines besonderen vasomotorischen 
Centrums im vorderen Theile Gehirns, welches wahrscheinlich 
zur Erhöhung der Wärmeabgabe bei außergewöhnlich ge¬ 
steigerter Wärmebildung dient. 


Aus der Klinik des Prof. v. KorAnyi in Budapest. 

Die Wirkung innerlich angenommenen Wassers 

von verschiedener Temperatur und Menge 

auf das gesunde und kranke Herz. 

Von Dr. Morls Stricker und Dr. Wilhelm Friedrich. 

(Schluß. *) 

A. Gesunde Herzen. 

Die Experimente vollführten wir erst an folgenden voll¬ 
kommen gesunden Individuen mit gesunden Herzen: 

I. L. H., 26 Jahre alt, Kaufmann, mittlerer Statur, gut genährt, 
stark gebaut. Körpergewicht 75 Kgrm. Zahl der Pulsschlage 75 in 
der Minute. Tägliche Nahrung: 2 Suppen ä 300 Grm.; 22 Dekagrm. 
Fleisch; 300 Grm. Gemüse; 300 Grm. Reis; 2 Patronen Milch 
ä 300 Ccm. und 3 Semmeln. 


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1012 

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1972 

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2048 

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1696 

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29. „ 

600 

1200 

1018 

600 

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210 

25 24 

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20-58 

50 16 

30. „ 

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1450 

1015 

650 

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29-88 

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22 88 

51-75 

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1000 

1600,1017 

600 

— 

2-39 

38-15 

1-69 

26-43 

63 29 


l ) L. Tum ab, Materialien zur Pharmakologie des Chininum hydrobromicum. 
Dissertation. St. Petersburg 1883. 

*) J. Archahoff, Der Einfluß des Antipyrins auf den Gaswechsel, und 
Wärmebildung bei fiebernden und normalen Thieren. Vorläufige Mittheilung. 
„Wratsch“, 1888, Nr. 41, 42. 

’) J. Arcuakoff, Der Einfluß des Chinin, muriat. auf die Temperatur, 
den Gaswechsel und die Wärmebildung bei normalen und fiebernden Thieren. 
„Tageblatt des III. Congresses mss. Aerzte“, 1888, S. 79. 

*) S. Nr. 48. 


Digitized by_ 





2061 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


2062 


II. J. P., 19 Jahre alt, Diener, mittlerer Statur, gut genährt 
und stark gebaut. Körpergewicht 65 Kgrm. Zahl der Pulsschläge 
74 in der Minute. Tägliche Nahrung: 2 Suppen ä 300 Grm.; 
22 Dekagrm. Fleisch; 300 Grm. Gemüse; 300 Grm. Reis ; 2 Por¬ 
tionen Milch k 300 Ccm.; 400 Ccm. Wein und 3 Semmeln. 



Differenx 

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1-58 

36-42 

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28-25 


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Aus diesen Tabellen ergeben sich folgende Resultate: 

1. Zwischen der getrunkenen Wasser- und ausgeschiedenen 
Harnmenge ist kein constantes Verhältniß nachweisbar. 

2. Bei Vermehrung oder Verminderung der Wasserauf¬ 
nahme zeigt die Menge des Harnstoffes, der Chloride und 
festen Bestandteile in der größten Zahl der Fälle eine Ver¬ 
größerung, respective Verringerung. 

3. In dem, einer bestimmten, auf einmal getrunkenen 
Wassermenge entsprechenden Harne sind weniger feste Be¬ 
standteile, als in dem derselben Menge, aber während längerer 
Zeit (24 Stunden) partienweise getrunkenen Wassers entspre¬ 
chendem Harne. 

2. Die Wirkung des während 24 Stunden im Magen auf- 
genommenen Wassers von verschiedener Menge anf die 
Harnansscheidnng. 

B. Kranke Herzen. 

Die Individuen mit kranken Herzen wurden während der 
ganzen Versuchszeit (10—20 Tage) ohne Medicamente, wo¬ 
möglichst bei gleicher Diät, gehalten. Täglich aufgenommene 
Nahrung: 2 Suppen k 200Grm.; 20Dekagrm. Fleisch ; 300Grm. 
Reis; 2 Portionen Milch k 300 Grm. und 2 Semmeln. 

I. J. Gy., 27 Jahre alt, klagt über öfteres Herzklopfen und 
Kopfschmerzen. Zahl der Pulsschläge 58 in der Minute. Im Harn 
kein Eiweiß nachweisbar. Diagnose: Insnff. valvul. bieusp. (com- 
pensirt). 



Differenz 
zwischen der 
Menge des ge¬ 
trunkenen 
Wassers und 
der des ent¬ 
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2*72, 26 64 
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2-44 26-34 
2-98, 22-16 


1-68 21-34 
1 25 20 62 
0-91 1628 
1-19 26-38 
1-39 17-34 
1-61 1575 
1-96 1684 
1 44 15-26 
1-2 1296 
118 13-24 


valv. bicuspid. et Stenosis ost. arter. aj n . 
pensirt). 

1* 


zed by Google 








































































































































2063 


1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


2064 


Tag des Versuches 

Die Menge des während 
24 Stunden getrunkenen 
Wassers 

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dessen 

Differenz 
zwischen der 
Menge des ge¬ 
trunkenen 
Wassers und 
der des ent¬ 
leerten Harnes 

Der imHarne 
enthaltene 
Harnstoff 

Die im Harne 
enthaltenen 
Chloride 

Gesammtmenge der im 
Harne enthaltenen festen 
Bestandtheile in Grammen 

Menge 

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Gewicht 

mehr Ham 

weniger 

Harn 

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9.Febr. 

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1400 

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1-09 

15-26 

0-87 

12-18 

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10. „ 

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1600 

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33-56 

11. „ 

2000 

2050 

1012 

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1-26 

25-83 

0-73; 14-96 

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2200 

1012 

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21-56 

0-61 

13-42 

64-06 

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1500 

1016 

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57-66 

14. „ 

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15. „ 

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1023 

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3080 

1-28 

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58-91 

17. „ 

150 

750 

1029 

600 

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328 

24-60 

1*15 

8-05 

51-78 

18. „ 

1250 

1050 

1025 

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200 

3 23 

33-91 

1-18 

12-39 

6116 

19. „ 

1290 

1280 

1023 

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10 

2-87 

36-73 

109 

13 95 

75 95 

20. „ 

600 

1600 

1017 

1000 

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2-26 

36-16 

1-65 

26 40 

69-37 

21. „ 

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1300 

1017 

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2-41 

31-33 

115 

14-95 

51-49 

22. „ 

450 

1800 

1020 

1350 

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— 

— 

— 

83-88 

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180 

1450 

1024 

1270 

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81-58 

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(in großem Maße incompensirt). (Ueber den II., III. und IV. Fall 
siehe Näheres im I. Theile.) 


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Der während 
24 St. ent- 

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dessen 

Differenz 
zwischen der 
Menge des ge¬ 
trunkenen 
Wassers und 
der des ent¬ 
leerten Harnes 

Der imHarne 
enthaltene 
Harnstoff 

Die im Harne 
enthaltenen 
Chloride 

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weniger 

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menge in 
Grammen 

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Gesammt¬ 
menge in 
Grammen 

6. Jan. 

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1016 

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13-49 

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29 17 


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1024 

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2-91 

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27-96 


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2-75 

16-50 

1-28 

7-68 

30-76 



Aus diesen tabellarischen Zusammenstellungen ersehen 
wir Folgendes: 

1. Im I. Falle (compensirt) ist zwischen der Menge des 
getrunkenen Wassers und der des ausgeschiedenen Harnes, 
ähnlich wie bei gesunden Herzen, kein constantes Verhältnis 
nachweisbar. 

Im II., III. und IV. Falle verringert sich die ausge¬ 
schiedene Harnmenge bei Vermehrung der Wasseraufhahme; 
hingegen vergrößert sich die Harnmenge bei Verminderung 
der letzteren, und zwar ist das Verhältnis der Wasserreduction 
zur Harnentleerung um so auffallender je bedeutender die 
Incompensation ist. 

2. Im I. und II. Falle (compensirt) vermehrt, resp. ver¬ 
ringert sich bei Vergröberung, resp. Verminderung der Wasser¬ 
aufnahme die im Harne enthaltene Menge des Harnstoffes, 
der Chloride und gesammten festen Bestandtheile. 

Im III., besonders aber im IV. Falle (incompensirt) zeigt 
sich bei Verminderung der Wasseraufnahme eine bedeutende 
Vermehrung des Harnstoffes, der Chloride und gesammten 
festen Bestandtheile. 


Referate und literarische Anzeigen. 

Mittheilungen über das Koch’sche Heilverfahren 
gegen Tuberculose. 

IV. 

0. Angereb (Mönchen): Beobachtungen über das KocH’sche Heilver¬ 
fahren. — v. Ziemssen (München): Beobachtungen über das Kocu’sche Heilver¬ 
fahren. — Sir Joseph Listeb (London): Lecture on Koch’s treatment of tuber- 
culosis. — J. Burney Yeo (London): Some aspects of Professor Koch’s treatment 
of tnberculosi8. — R, W. Philip (Edinburgh) : Personal impressions of Koch’s 
treatment at Berlin, with early notes of cases treated in the royal infirmary 
of Edinburgh. — Cornil (Paris): La räaction de tempörature et les variations 
de l'oxyh6moglobine aprös les injections du liquide de Koch — Lannelongue 
(Paris): Complications articulaires chez un lupique traite par la lymphe de 
Koch. — Wilhelm Ebstein (GöttiDgen): Mittheilungen über die auf der medi- 
cinischen Klinik angestellten Versuche mit dem KocH’schen Heilmittel gegen 
Tubercolose. — H. Lknhartz (Leipzig): Erfahrungen mit dem KocH'schen Heil¬ 
mittel. — Czerny (Heidelberg): Erster Bericht über die KocH'schen Impfungen. 
— B. Stiller (Budapest): Beiträge zur KocH’schen Heilmethode — Schdlze, 
Doutrelepont, Trendelenburg (Bonn): Mittheilungen in der Niedeirhein’schen 
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn. — Hofmeier (Berlin): Ca- 
suistische Mittheilungen über das KocH’sche Heilverfahren (insbesondere bei 
2 Schwangeren). — Burkart (Bonn): Bericht über Behandlung der Lungen¬ 
schwindsucht mit dem KocH’schen Mittel im Bonner Johannesspital. — E. 
Leyden (Berlin): Ueber die KocH’sche Heilmethode. 

Die von Angerer in Nr. 49 und 50 der „Münchener med. 
Wochenschr.“ gemachten Beobachtungen über die durch das KoCH- 
sche Mittel hervorgerufene Reaction stimmen mit den bereits be¬ 
kannten überein. In der Mehrzahl seiner Fälle (Lupus und chirur¬ 
gische Tuberculose) ist eine unverkennbare Besserung des localen 
Leidens eingetreten. Nach Angerer’s Beobachtungen scheint es, als 
ob offene Tuberculosen, fistulöse Gelenke rascher einer Besserang 
zuneigen, als subcutane Herde, wie überhaupt die chirurgischen 
Tuberculosen rascher eine günstige Beeinflussung erfahren, als die 
Tuberculose der inneren Organe. Er empfiehlt auch bei chirurgischer 
Tuberculose die größte Vorsicht in der Dosirung des Mittels. 

Ziemssen berichtet in Nr. 50 der „Münch, med. Wbcbenschr.“ 
über die an 66 Tuberculösen seiner Abtbeilung gesammelten Er¬ 
fahrungen. In Betreff der Heilerfolge bei den vorgeschritteneren 
Fällen darf man sich freilich keinen Illusionen hingeben; trotzdem 
sagt Z., daß der Gesammteindruck des therapeutischen Erfolges auch 
bei dieser Kategorie der Kranken allgemein ein ziemlich befrie¬ 
digender ist. Nächst dem Fieber ist die Milzschwellang das con- 
stanteste Phänomen. Dieselbe geht nach dem Aufhören der Fieber- 
reaction gewöhnlich etwas zurück und nimmt mit jeder neuen In- 
jection zu. Ein ziemlich constantes Phänomen ist auch die lebhafte 
Hyperämie der Conjunctiva palpebrarum, die mit dem Aufhören des 
Fiebers verschwindet. Von den localen Erscheinungen sei erwähnt, 
daß die serös-schleimige Beschaffenheit und Massenhaftigkeit des 
Answurfes sehr häufig während der fieberhaften Reaction beobachtet 
wurde; ebenso ein peinlicher Hustenreiz neben Unruhe und Schlaf¬ 
losigkeit. Alles das verschwindet mit dem Erlöschen der directen 
Wirkungen der Injection, ebenso wie die bei Kehlkopftuberculose zu 
beobachtende Anschwellung der afficirten Schleimhhauttheile. In der 
Apyrexie ist der Husten geringer und werden dadurch die Nächte 
wesentlich besser. Ganz entschieden vermindert zeigt sich hier der 
Reizzustand in der Lunge, was nicht nur die Abnahme des Hustens 
und die von den Pat. betonte Verminderung des Reizes in der Brußt 
beweist, sondern auch das Ueberflüssigwerden aller Narcotica. Alle 
66 Tuberculösen sind ohne Morphium, und die sonst gewöhnliche 
Bitte um Scblafpulver hat vollständig aufgehört. An den afficirten 
Lungenspitzen findet sich in der Apyrexie, an Stelle des dumpfen 
Rasseins und der knackenden oder sibilirenden Geräusche, reines 
Bronchialathmen oder verschärftes Vesiculärathmen mit bronchialem 
exspiratorischem Hauch. Die Nacbtschweiße schwanden wiederholt 
nach einigen Injectionen. Das Körpergewicht nimmt durchschnittlich 
etwas ab, was wohl auf die künstlich erzeugten Fieberzustände 
zurückzufübren ist. In manchen vorgerückten Fällen, welche auch in 
der Zwischenzeit fieberten, war der Gewichtsverlust sogar erheblich; 
in einigen Fällen, bei denen die Tuberculose keine ausgedehnte 
war, konnte Gewichtszunahme bis zu 2 Kgrm. constatirt werden. 
Von großem Interesse ist ein Fall von tuberculöser Basilarmeningitis, 
Bei welchem vor 8 Tagen mit der KocH’schen Injection begonnen 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 62. 


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wurde. Die Kranke, ein 18jähr. Mädchen mit rechtsseitiger Lungen¬ 
spitzeninfiltration, befand sich nach einem langdauernden und schweren 
Excitationsstadium mit heftigen Delirien im Beginn des Status para- 
lyticus, war vollkommen comalös, zeigte vollständige Oculomotorius- 
und Abducenslähmung links, Facialis- und Extremitätenparese rechter- 
seits, doppelseitige Stauungspapille (keine Chorioidealtuberkel) und 
mäßige Reaction auf die Einspritzung. Sie erhielt täglich eine Ein¬ 
spritzung mit steigender Dosis nnd besserte sich votf Tag zu Tag ersicht¬ 
lich, so daß sie jetzt (am 10. Tage Beit Beginu der Injectionen) wieder 
sprechen, auch etwas rechnen, sich selbstständig aufsetzen und den 
rechten Arm wieder heben kann. Die Augenmuskellähmung links 
ist im Rückgang, die Stauungspapillen indessen eher verschlimmert. 
Kopfschmerz und periodische Somnolenz noch immer vorhanden. 

Listeb, Yeo und Philip schildern im „Brit. med. Journ.“ vom 
13. December ihre in Berlin gewonnenen Eindrücke. Philip weiß 
überdies über einige im Edinburgher Spital mit dem KocH’schen 
Mittel gesammelten Erfahrungen zu erzählen. In leichteren Fällen 
von Lungentuberculose sah er merkliche Besserung eintreten. In 
vielen Fällen schwanden die Nachtschweiße, der Husten hörte auf, 
der Auswurf nahm bedeutend ab, das subjective Befinden besserte 
sich und in einigen Fällen stellte sich auch eine merkliche Gewichts¬ 
abnahme ein. 

In einem klinischen Vortrage schildert Cornil die Verschiedenheit 
der fieberhaften Reaction, die einige Typen unterscheiden läßt. Nach 
dem häufigsten Typus erreicht die Temperatur rasch — binnen 
6, 8—12 Stunden — 39*5° und nimmt rasch ab bis auf 37®. Hierauf 
tritt eine neuerliche ebenso rasche Steigerung ein, die von einer 
Defervescenz bis 37° gefolgt ist. In den nächsten Tagen ist die 
Temperatur unregelmäßig. In einem zweiten Typus findet die 
Temperaturerhöhung nicht in 2, sondern in 3 Zeiten statt, die sich 
in 3 aufeinander folgenden Tagen abspielen. In einem 3. Typus 
ist nur eine einzige Erhöhung zu beobachten, die 6—8 Stunden 
nach der Injection eintritt und von einer regelmäßigen Abnahme 
gefolgt ist. Doch kommen auch Abweichungen von diesem Typus 
vor. Die Wirkung kann sich auch cumuliren, und auf einmal treten 
dann schwere Erscheinungen auf. Cornil berichtet ferner über die 
Veränderungen des Oxyhämoglobins unter dem Einfinß des KocH’schen 
Mittels. Von 22 von Henocqub untersuchten Fällen fand sich bei 
13 eine Verminderung, bei 3 eine Verminderung, dann eine Er¬ 
höhung, bei 3 eine Erhöhung und bei 3 keine Veränderung des 
Oxyhämoglobingehaltes. Die in den meisten Fällen beobachtete Ver¬ 
minderung des Hämoglobingehaltes tritt 1, 2—3 Tage nach der 
Iiyection auf. 

Auf der'Abtheilung LannElongde’s im Höpital Trousseau 
wurde einem mit Lupus der Nase, des Gesichtes und einer Hand 
behafteten, sonst aber gesunden 8jährigen Kinde am 2. December 
1 Mgrm. der KocH’schen Lymphe injicirt; 13 Stunden darnach 
stellte sich Fieber und die charakteristische Localreaction ein. Am 
5. December Injection von 3 Mgrm. Auftreten von Fieber 6 Stunden 
nach der Operation. Nach dieser Injection stellte sich ein confluirendes, 
papulöses Exanthem ein, gleichzeitig klagte Pat. über Schmerzen 
im Knie und in der linken Tibia, die in der Nacht erheblich 
Zunahmen. Am nächsten Tag zeigten sich Störungen in den rotirenden 
Bewegungen des Kopfes, bedeutende Exsudation in beide Ellbogen- 
und Sohultergelenke. Das linke Handgelenk war sehr schmerzhaft. 
Schmerzhaftigkeit und eingeschränkte Beweglichkeit in den Hüft¬ 
gelenken. Seröse Ergüsse in beide Kniegelenke. Diese verschiedenen 
Arthritiden erzeugten periartieuläre Muskelcontracturen und einen 
gewissen Grad von Flexion in jedem Gelenke. Das rechte Kniegelenk 
wurde punctirt, und mit der erhaltenen Flüssigkeit wurden Thiere 
injicirt. Die Resultate dieser Versuohe sollen später bekannt gegeben 
werden. 

In den folgenden, in Nr. 51 der „Deutsch, med. Wocb.“ ver¬ 
öffentlichten Mittheilungen bemerkt zunächst Ebstein, daß schwind¬ 
süchtige Schwangere von der Behandlung mit dem KocH’schen 
Mittel ganz fernzuhalten sind. Man würde nicht nur die Frucht, 
sondern sicher wohl auch durch diese Behandlung die kranke Mutter 
gefährden, indem dieselbe durch Abortus, Partus praematurus etc. 
auf den immerhin nicht gleichgiltigen Eingriff reagiren dürfte. Bei 
der so großen Seltenheit der angeborenen Tuberculose beim Menschen 


erscheinen die Einspritzungen nicht einmal als ein remedium 
anceps für den Fötus gerechtfertigt. Ebstein hat auch Patienten 
von der Behandlung mit dem KocH’schen Mittel ausgeschlossen, bei 
welchen eine schwere tuberculöse Erkrankung des Darmcanals oder 
des Peritoneums angenommen werden mußte, und zwar wegen der 
Gefahren der Durchlöcherung des Darmes, welche bei der Abstoßung 
der durch das Mittel nccrotisch gemachten, tuberculös erkrankten, 
bezw. der durch die Geschwürsbildung stark verdünnten Darmpartie 
drohen. E. sieht als absolute Contraindicationen in dieser Richtung 
an: 1. Darmgeschwüre, welche sich vor Kurzem durch Darm¬ 
blutungen manifestirten; 2. diejenigen Fälle von Tuberculose, 

bei welchen durch constanteSohmerzhaftigkeit, bezw. Druck- 
empfindlichkeit circumscripter Stellen des Bauches auf die Anwesen¬ 
heit von umschriebenen Peritonitiden in Folge von tiefgehenden 
Ulcerationen des Darms mit Wahrscheinlichkeit geschlossen werden 
muß; 3. colli quative Durchfälle, wie sie besonders mit Febris 
hectica vergesellschaftet auftreten; 4. Anwesenheit von tuber- 
culöser Peritonitis mit flüssigem Exsudat. Von den Be¬ 
obachtungen Ebstejn’s sei ein Fall erwähnt, welcher lehrt, daß trotz 
der Injection steigender Dosen des KocH’schen Mittels die vorher 
normale Temperatur bei ausgesprochener Tuberculose 
des Kehlkopfs und der Lunge nicht nur nicht steigt, 
sondern sogar subnormal wird, selbst wenn bis O'Ol des 
Mittels betragende Doseu eingespritzt werden. 

Aus der Mittheilung Lknhartz* sei ein Fall von Morbus 
Addisonii erwähnt, bei dem jegliche Tuberculose ausgeschlossen 
war und bei welchem die Injection von 1*5, 2 3 und 4 Mgrm. der 
KocH’schen Flüssigkeit lebhafte Reaction hervorgerufen hat. „Fast 
scheint es,“ sagt Lknhartz, „als ob das KocH’sche Mittel hier in 
der That ein wahres Heilmittel darstellt, jedenfalls dürfen wir einst¬ 
weilen mit dem Erfolg mehr als zufrieden sein.“ 

Aus den 55 Fällen chirurgischer Tuberculose Czerny’s ergibt 
sich, daß man auch bei diesen Formen der Tuberculose sehr 
vorsichtig sein muß, weil die Reaction durchaus nicht der Menge 
der eingespritzten Flüssigkeit entspricht. Eine Heilung hat Czerny 
in der kurzen Zeit nicht beobachtet.'' 

Die Beobachtungen Stiller’s über die durch das Kochin 
hervorgerufene allgemeine und örtliche Reaction stimmen im Allge¬ 
meinen mit den anderen Autoren überein. Stiller ist der Ansicht, 
daß die Angabe Kromeyer’s, dass bei Lupus die reaetive Entzündung 
eine eitrige sei, nach der Qualität des Sputums auf die Lungen 
nicht anwendbar ist, sondern daß hier der Vorgang ein anderer sein 
müsse. In 4 Fällen hellten sich Dämpfungen in auffallend kurzer 
Zeit bis zur Norm auf. 

Prof. Schültze theilt in der Niederrheinischen Gesellschaft 
für Natur- und Heilkunde zu Bonn mit, daß ältere chronische 
Tuberculosen der Lunge keineswegs stets eine Reaction, selbst bei 
Injectionen von O'Ol, zeigen, daß hingegen frischere Fälle selbst 
auf Dosen von 0 001 stark reagirten. Ein deutlicher Einfluß auf 
tuberculöse Pleuritis und auf Darmgeschwüre konnte bisher nicht 
festgestellt werden. 

Aus der Mittheilung Doutbklepont’s sei ein Fall von vor¬ 
geschrittener Phthise mit Coxitis erwähnt, bei welchem 7 In¬ 
jectionen von 1—5 Mgrm. ohne besonderes Fieber und locale Reaction 
blieben. Der Pat. starb an Peritonitis durch Perforation eines tuber- 
culösen Darmgeschwüres. 

Unter den von Prof. Trendelenburg behandelten 54 Fällen 
zeigten die Patienten mit Wirbelcaries gewöhnlich sehr heftige 
Reactionserscheinungen, die sich sowohl durch hohes Fieber als auch 
besonders durch heftige Schmerzen an der erkrankten Stelle äußerten. 
Im Gegensatz dazu bekamen die Kranken mit Ho den tuberculose 
nur geringe Allgemeinerscheinungen ; 3 unter ihnen boten gar keine 
örtliche Reaction. Es ergab sich ferner, daß im Allgemeinen die 
frischerem Erkrankungen besser reagirten als die älteren. Was 
die therapeutischen Erfolge betrifft, so wurde Besserung beob- 
bachtet bei je einem Falle von Caries des Schädels, des Beckens, 
Fungus des Ellbogens und des Kniegelenkes. Insbesondere zeigten 
die Kranken mit fungöser Handgelenksentzündung nach 
anfänglich stärkerer reactiver Schwellung Schmerzhaftigkeit und 


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1890. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


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Steifigkeit und eine sehr deutlich wahrnehmbare bessere Beweglichkeit 
des erkrankten Gelenkes. 

Ira Gegensatz zu Ebstein theilt Hofmeier in Nr. 53 der 
„Berl. Klin. Woch.“ mit, daß die Injectionen auf die Schwanger¬ 
schaft keinen Einfluß übten, wie dies aus 2 veröffentlichten Fällen 
ersichtlich ist, wovon die eine Gravida im 5. Monate, die andere ira 
7. Monate sieh befand. Interessant ist, daß der fötale Puls im 
2. Falle erst am anderen Tage, nachdem der Einfluß auf den 
mütterlichen Organismus vorübergegangen war, anstieg. Irgend 
welche Unterleibsbeschwerden wurden von der Schwangeren nicht 
verspürt, Uteruscontractionen nicht wahrgenommen. Von Interesse 
ist ferner die Beobachtung Hofmeier’s, daß manche Damen ver¬ 
mehrten Haarausfall während der Cur zeigten, daß ferner das 
Mittel auf die Menstruation gar keinen Einfluß besitzt. 

Aus dem an derselben Stelle veröffentlichten Berichte Burkart’s 
ist zu entnehmen, daß gewisse Formen der Phthise (namentlich 
Schwindsucht, die bereits lange Zeit bestanden hatte, wobei die 
Lungenaffection eine Neigung zum Weiterscbreiten zunächst nicht 
zeigte und der Kräftezustand der Pat. ein befriedigender war) eine 
große relative Unempfindlichkeit gegen das KocH’sche Mittel 
zeigten. In therapeutischer Hinsicht hat Verf. den Eindruck ge¬ 
wonnen, daß einzelne Kranke sich auf dem Wege der Besserung 
befinden. Er sab Nachtschweiße sich vermindern und verschwinden, 
Athemnoth und Auswurf, dementsprechend auch Dämpfung und 
Rasselgeräusche sich bessern. Auch Gewichtszunahme bis zu 1 Kgr. 
in 14 Tagen wurde bei den sich bessernden Kranken beobachtet, 
während andererseits mehrere Pat. durch die Reaction in ihrem 
Allgemeinbefinden beeinträchtigt wurden. 

Auf der LEYDEN’schen Klinik wurden in 4 Wochen — so 
lange wird das Mittel angewendet — 127 Patienten mit 615 In¬ 
jectionen behandelt; das Maximum war bei einem Patienten bisher 
19 Injectionen; die höchste Dose 1 Decigramm. Meist handelte es 
sieb um evident Tuberculöse, speciell um Lungen- und Larynxphthise. 
Einzelne Patienten, die nicht für tuberculös galten , wurden zur 
Coutrole injicirt; von diesen haben etwa die Hälfte reagirt, die andere 
Hälfte nicht. Von den Reagirenden hatte ein Theil latente, jetzt 
erst in die Erscheinung tretende Tuberculöse, bei einem anderen 
Theile war latente Tuberculöse nicht auszuschließen, aber bei einem 
Reste konnte absolut kein Verdacht latenter Tuberculöse begründet 
werden. 

Abstand genommen wurde von der Injection in sehr vorge¬ 
schrittenen Fällen; seltener verweigerten Patienten die Injection. 
Unglücksfälle sind nicht vorgekommen. 

Die vorläufigen Resultate lassen sich, mit aller Reserve, etwa 
folgendermaßen zusammenfassen: 

Der diagnostische Werth des KoCH’schen Mittels ist im Ganzen 
zugegeben, aber keineswegs unbedingt: es gibt Tuberculöse, die 
nicht reagiren, Nichttuberculöse, die reagiren. Diagnostische Probe- 
injectionen sollte man ohne zwingenden Grund nicht machen, außer 
wenn es im Interesse des Kranken liegt, da ein positives Resultat 
doch nicht vollkommen beweisend ist und eventuell einen ungünstigen 
psychischen Einfluß äußert. 

Für die Prognose liegen noch keine Anhaltspunkte vor, ob¬ 
gleich sie im praktisch-therapeutischen Interesse sehr wünschenswerth 
wären. Läßt eine intensive Reaction auf viele, eine geringe auf 
wenig tuberculöse Herde schließen, ist eine Abnahme der Reaction 
günstig und kann aus dem Aufhören auf Heilung geschlossen werden]? 
Diese praktisch so wichtigen Fragen lassen sich noch gar nicht 
beantworten. 

Therapeutisch kann man sagen, daß bei Lupus und Larynx- 
tuberculose schon jetzt eine heilende Wirkung zugegeben werden 
muß. Bei Lungenleidenden war in den schweren Fällen gar kein 
Einfluß zu constatiren gewesen und wurde der Proceß nicht auf¬ 
gehalten ; andere Fälle sind befriedigend verlaufen, andere sehr 
günstig. Ueberaus schwierig ist es aber, schon jetzt etwas über 
Heilung zu sagen, die namentlich im klinisch-ärztlichen Sinne doch 
mehr bedeutet, als im theoretischen. Für den Arzt kann diese Frage 
nicht in wenigen Wochen entschieden werden. Wir haben bis jetzt 
erst einen Lungenkranken für gesund gehalten, wenn er Jahre lang 
frei von Rückfällen blieb. Eine große Schwierigkeit des Urtheils 


liegt darin, daß die Definition der Heilung eine verschiedene ist 
und daß für die Anfänge der Lungentuberculose ein Maß stab des 
Vergleiches der bisherigen Heilresultate mit den jetzigen noch nicht 
gefunden ist. Im Gegensätze zu den maßlosen Aeußerungen der 
Tagespresse muß festgehalten werden, daß die Therapie der be¬ 
ginnenden Phthise, die in erster Linie doch für die KocH’sche Be¬ 
handlung in Betracht kommt auch bisher keineswegs machtlos war; 
denn es hat z. B. Dettweiler etwa ein Drittel seiner Fälle geheilt. 
Doch kommen in die Sanatorien keineswegs nur Fälle im ersten 
Stadium der Erkrankung. In der Privatpraxis sind die Resultate 
für die beginnende Phthise unzweifelhaft noch günstigere gewesen, 
aber freilich man hat nicht behaupten können, daß man die ersten 
Stadien sicher heilt. — Wir hoffen, schließt Leyden , daß wir durch 
K< ch’b Entdeckung ein Specifieum gewonnen haben, welches die 
Zahl der Heilungcu erbeblich vermehren wird. Aber die guten 
Resultate werden nicht dadurch erreicht werden, daß man den 
Kranken Injectionen macht und sich weiter nicht viel um sie be¬ 
kümmert, sondern nur in der Hand eines umsichtigen und erfahrenen 
Arztes, welcher in der Behandlung der Tuberculöse nach unseren 
bisherigen Grundsätzen bewandert ist und welcher die ganze Vor¬ 
sicht, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt besitzt, welche wir auch heute 
noch für die Grundlagen der ärztlichen Kunst halten. S. 


Wilhelm Erb: Dystrophia muscnl&ris progressiva. 

In einer neuen Arbeit Uber diesen Gegenstand (Sammlung 
klin. Vorträge, neue Folge, Heft 2) theilt Verf. zunächst in histori¬ 
scher Entwicklung die Anschauungen über das Wesen dieses Krank- 
hcitsprocesses mit. E. präcirirt den gegenwärtigen Standpunkt in 
der Beurthoilung des genannten Krankheitsbilde* dahin, daß sämmtliche 
zum Theil 6charf von einander geschiedenen Typen der juvenilen, 
hereditären, spinalen, myopathischen und der von französischen 
Autoren, zuerst von Duchenne, sogenannten infantilen Muskelatrophie 
ein Bild erkennen lassen, dessen Grundzüge überall deutlich hervor¬ 
treten. 

Die Uebereinstimmung aller dieser Fälle besteht in der lang¬ 
samen und schleichenden Entwicklung des Leidens, sehr oft auf 
Grundlage hereditärer Einflüsse; in der a'lmäligen Ausbildung eines 
weitverbreiteten Schwundes zahlreicher Muskeln combinirt mit Hyper¬ 
volumen anderer Muskeln; in der merkwürdigen Uebereinstimmung 
der Localisation des Leidens, so daß fast immer genau die gleichen 
Muskeln vorwiegend von Atrophie und wieder die gleichen jeweils 
von Hypertrophie befallen werden; in der Art und Weise dieser 
Localisation am Rumpf, in der Schulter- und Lendengegend und auf 
die proximalen Theile der Glieder, deren distale Enden lange Zeit 
frei bleiben; weiters in der dadurch bedingten eigenthümlichen 
Störung der Körperform, der Körperhaltung, der Bewegungen und 
des Ganges; in dem Verhalten der Muskeln bei der Palpation, in 
der Untersuchung mit mechanischen und elektrischen Reizen, be¬ 
sonders in dem Fehlen der fibrillären Zuckungen, in dem allmäligen 
Schwinden der Sehnenreflexe und endlich in dem Fehlen jeder 
Störung der Sensibilität der Sphincteren, der Hirn- und Sinnes¬ 
nerven und der inneren Organe. 

Und doch zeigen die Fälle insoferne untereinander gewisse 
Verschiedenheit, indem ein Theil derselben nicht auf hereditären 
Einflüssen zu beruhen scheint, daß das Leiden bald in der Kindheit, 
bald erst zur Pubertätszeit und im Jünglingsalter, bald selbst noch 
später entsteht, daß es nicht immer an derselben Stelle beginnt, 
vielmehr einmal im Kreuz und den unteren Extremitäten, ein an- 
deresmal in der Schulter und den oberen Extremitäten, ja manchmal 
im Gesicht einsetzt; endlich daß das Maß der zugleich mit Atrophie 
einzelner Muskelgruppen bestehenden Hypertrophie anderer ein sehr 
wechselndes ist und diese Hypertrophie in einer Zahl von Fällen 
eine echte, in einer anderen eine falsche, durch Lipomatose vorge¬ 
täuschte ist. 

Dennoch sind nach der Ansicht des Verf. diese Unterschiede 
im Symptomencomplexe der Dystrophia muscularis nicht wesentlich 
genug, um die Aufstellung verschiedener Krankheitsgruppen, wie der 
infantilen, der hereditären Muskelatrophie und daneben noch der 


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Pseudohypertrophie zu rechtfertigen. Er hegt vielmehr die Ueber- 
zeugung, daß alle diese Formen zusammengehören und eine klinische 
Kr ankheltseinheit darstellen, in welcher Dur unwesentliche Differenzen 
bezüglich des Beginnes und der Raschheit der Entwicklung der 
einzelnen Erscheinungen bestehen, während in allen wesentlichen 
Pankten die größte Uebereinstimmung herrscht. Dies findet u. A. 
vornehmlich darin seine Bestätigung, als Uebergangsformen zwischen 
den ei nzelnen Typen gar nicht so selten sind und einzelne Formen 
im Laufe der Entwicklung in einander Qberzugeben scheinen. 

Schlagend spricht dafür, wie Verf. meint, das Vorkommen 
versch iedener Typen des Krankheitsprocesses in den gleichen Fa¬ 
milien, also unter Umständen, wo doch an der Einheit der ganzen 
Krankheit ein Zweifel nicht bestehen kann. 

Verf. hebt weiter die wichtigsten Anhaltspunkte bezüglich der 
Differentialdiagnose der Dystrophia muscul. von der spinalen, auf 
disseminirter Degeneration der grauen Vordersäulen basirenden Muskel¬ 
atrophie, sowie von der Syringomyelie und der chronischen, multiplen 
Neuritis hervor, ferner betont er, daß in den Fällen von echter 
progressiver Dystrophie die wichtigsten und wesentlichsten Verän¬ 
derungen in den Muskelfasern selbst zu suchen sind und diejenigen 
im Binde- und Fettgewebe gewiß erst secundär sich einstellen. 

G. 


Be&l-Enoyolopädie der gelammten Heilkunde. Med.- 
Chirurg. Handwörterbuch für praktische Aerzte. Herausgegeben 
von Prof. Dr- Albert Eulenburg in Berlin. Mit zahlreichen 
Illustrationen in Holzschnitt. Zweite, umgearbeitete und 
vermehrte Auflage. Wien und Leipzig 1885—1890. Urban 
& Schwarzenberg. 

Schluß des Werkes! Dies die Aufschrift auf dem Um¬ 
schläge des soeben ausgegebenen 22. und letzten Bandes des Riesen¬ 
werkes. Damit ist die zweite Auflage eines literarischen Unter¬ 
nehmens vollendet, welches auf medicinischem Gebiete seines Gleichen 
nicht findet. Anlage, Art der Bearbeitung und Anordnung des 
colossalen Stoffes, Umfang und Ausstattung des Werkes erheben 
dasselbe zu einer Leistung, welche rückhaltlose Anerkennung ver¬ 
dient. Der Herausgeber sowohl, wie dessen zahlreiche, der Elite 
der deutschen Medicin und Naturforschung angehörende Mitarbeiter 
können mit gerechtem Stolze anf ihre Meisterleistung hinweisen, 
deren reiche Früchte nicht nur den praktischen Aerzten, welchen 
das Werk gewidmet ist, sondern allen Jenen zufallen, die bei 
wissenschaftlichen Arbeiten rascher und doch gründlicher Orientirung 
und eingehenden Quellenstudiums bedürfen. 

Der Werth dieses Monumentalwerkes unserer Literatur wird 
durch ein von L. Lewin mit unsäglicher Mühe zusammengestelltes 
treffliebes Generalregister erhöbt, welches für die Benützung 
der so umfangreichen Enoyclopädie den Schlüssel bietet. An 40 
Druckbogen umfassend, erfüllt es Beinen Zweck, das in den einzelnen 
Bänden und Artikeln zerstreute Material übersichtlich zu ordnen 
und dessen Auffindung zu erleichtern, in vollstem Maße. 

Da die Herausgabe einer neuen Auflage für längere Zeit aus¬ 
geschlossen ist, hat die verdienstvolle Verlagshandlung im Ein¬ 
vernehmen mit dem Herausgeber, Prof. Eulbnburg, beschlossen, 
ein Veraltern dieses großen und kostbaren Werkes dadurch zu ver¬ 
hüten, daß alljährlich erscheinende Suppl'ementbände- die 
Fortschritte der Wissenschaft verzeichnen, das große encyclopädische 
Werk auf der Höhe unseres Wissens erhaltend. Den Besitzern der 
Enoyclopädie werden diese gleichfalls alphabetisch angeordneten und 
in Form und Ausstattung des Hauptwerkes erscheinenden Bände 
eine willkommene Ergänzung des letzteren bilden, und Aerzten, 
welche die Enoyclopädie nicht besitzen, dürften die alljährlich er¬ 
scheinenden „Encyclopädischen Jahrbücher“ nicht minder 
willkommen sein, da jeder Jahresband die neuesten Errungenschaften 
der Heilkunde aus der Feder der bisherigen bewährten Mitarbeiter 
der Enoyclopädie in übersichtlicher Weise bringen wird. — Allseitige, 
volle Anerkennung sei heute, angesichts des vollendeten Werkes, 
dem 1 ; unermüdlichen Herausgeber desselben, Prof. A. Eülknburg, 
ausgedrückt, welcher in der Wahl seiner Mitarbeiter, in der Anlage 
des so umfassenden Werkes, wie in dessen musterhafter Redaction 
Unübertreffliches geleistet hat. B. 


Internationaler Atlas seltener Hautkrankheiten. 

Herausgegebon von Malcolm Morris (London), P, 8. Unna 

(Hamburg), H. Leloir (Lille) und L. A. Duhring (Philadelphia). 

Verleger: Leopold Voss in Hamburg und Leipzig, H. K. 

Lewis in London, G. Mason in Paris. 1890—91. 

Dieser in größtem Folioformate herausgegebene Atlas, von 
welchem nun drei Hefte vorliegen, verspricht eine für die Fach¬ 
genossen wie für die Dermatologie selbst höchst werthvolle Publi- 
cation dadurch zu werden, daß in demselben ganz seltene, von 
den bekannten Typen völlig abweichende Fälle von Dermatosen, 
oder gar U n i c a, die als neue Krankheits-Individualitäten er¬ 
scheinen, zur Anschauung gebracht werden. Das scharf beobachtete 
Krankheitsbild wird in diesem Atlas so genau illustrirt, daß das 
Studium seiner künstlerisch ausgeführten, colorirten Tafeln — die 
mit photographischer Treue jedes Detail zeigen — beinahe die Be¬ 
deutung einer directen Untersuchung und Beobachtung erlangt. So 
gelingt es nicht alloin, vom ursprünglichen Bilde eine bestimmte Vor¬ 
stellung zu gewinnen und Alles gründlich zu erkennen, worauf der 
begleitende Text in erster Linie die Aufmerksamkeit lenken 
will, sondern es ist die Möglichkeit geboten, auch solche besonders 
auffallende Einzelheiten der Darstellung, die etwa in dem auf das 
Hauptsächlichste sich beschränkenden Texte nicht erschöpfend be¬ 
handelt werden konnten, genauer in’s Aüge zu fassen. Der er¬ 
läuternde Text ist in deutscher, französischer und eng¬ 
lischer Sprache abgefaßt. 

Die bisher (in drei Lieferungen) publicirten 9 Fälle werden 
gewiß das Interesse jedes Fachmannes wäcbrufen. Jene präsentiren 
fast ausnahmslos etwas Besonderes und Eigenartiges. 
Höchstens eine dargestellte — von Vittobio Mibelli beobachtete 
— Form von Angiokeratoma dürfte nicht so selten gesehen 
worden sein, um dieselbe einer Sammlung „ganz einzig in ihrer Art 
dastehender“ Fälle einzureihen. 

Dieses periodische Unternehmen wird für die Forschung selbst 
eben aus dem Grunde bedeutend, daß — indem die individuelle 
Erfahrung zum Gemeingute aller Dermatologen gemacht wird — 
Anhaltspunkte zum Vergleiche mit ähnlichen, dem eigenen Er- 
fahrungBgebiete (des Lesers) entstammenden Bildern geboten werden. 
Auf diese Weise wird es zweifelsbhne gelingen, rüoksichtlicb der 
Häufigkeit dieser beschriebenen Formen nnd ihrer Stellung im Com- 
plexe der Dermatosen ein feststehendes Urtheil zu gewinnen. Mit 
der Einreihang der Ausnahmsfälle in eine bestimmte Gruppe wird 
hoffentlich auch die nothWendige Stabilisirung der Krank- 
heitsbenennnng erzielt werden, da eine schwankende Terminologie 
dem Streben nach scharfer Abgrenzung der Begriffe nicht förder¬ 
lich ist. 

Die Bedeutung der an der Spitze des Unternehmens stehenden 
! Autoren ist eine Bürgschaft dafür, daß der Atlas auch fernerhin auf 
der Höhe einer im großen Style ausgeführten wissenschaftlichen 
Publication sich erhalten wird. Diese Einheitlichkeit der Redaction 
war vielleicht am ehesten so zu erzielen, daß die Herausgabe des 
Werkes einem kleineren Kreise von Forschern überlassen blieb ^ so 
daß beispielsweise die Vertreter der Wiener Schule — die zum 
Ansbaue der dermatologischen Wissenschaft manch soliden Grund¬ 
stein beitrugen — nicht zur Mitwirkung bei d«r Edition beigezogen 
werden konnten, was diese selbstverständlich nicht hindern darf, 
ihre reiche Erfahrung der, allgemeinen Zielen dienenden Unter¬ 
nehmung zur Verfügung zu stellen. S. 


Kleine Mittheilungen- 

— Heuston und Fichborne empfehlen in Nr. 12 der „Tberap. 
Monatsb.“ das Zincum sulfuroeum als antiseptisches Wund¬ 
behandlungsmittel , welches hinreichend energische antiseptische 
Eigenschaften besitzt, dabei nicht giftig und nicht örtlich reizend 
wirkt und in der Anwendung bequem und zuverlässig ist. Zink¬ 
sulfit. schwefelsaures Zink, Zincum sulfurosum, wird erhalten 
durch Mischung einer Lösung von 6 Theilen Zinksulfat mit einer 
Lösung von 5V 4 Theilen Natriumsulfit. Die neue Verbindung bildet 
sich langsam und fällt als weißer, krystallinischer Niederschlag aus. 
Zinksulfat ist nur sehr wenig löslich, in Wasser 0*16%. Feucht 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


2072 


oder in Lösung oxydirt es sich dagegen allmälig und geht dabei 
in Zinksnlfit über. Es oocupirt also Sauerstoff und wirkt dadurch 
bacterienfeindlich, während es als Zinksalz gleichzeitig einen für die 
Entwicklung der Mikroorganismen ungeeigneten Nährboden schafft. 
In der Wundbehandlung gelang Zinksulfit als Gaze zur Anwen¬ 
dung, welche in folgender Weise hergestellt wird: Gaze, welche 
vorher durch Kochen in Wasser gereinigt und sterilisirt wurde, 
wird mit einer kochenden Lösung von Zinksulfat und Natriumsulfit 
in äquivalenten Mengen übergossen und 12 Stunden bei Seite ge¬ 
stellt. Das gebildete Zinksulfit hat sich dann in und auf der Gc- 
websfaser niedergeschlagen und haftet ohne Anwendung eines Binde¬ 
mittels, wie Stärke oder dergleichen, der Faser fest an. Durch 
Waschen mit Wasser wird das gleichzeitig gebildete Natriumsulfat 
entfernt und die Gaze darauf mit einem organischen Farbstoff gefärbt 
und getrocknet. Dieses Färben hat einen doppelten Zweck. Einmal 
wird hiedurch die Gaze gegenüber anderem Verbandmaterial ge¬ 
kennzeichnet , und zweitens ermöglicht der Farbstoff in einfacher 
Weise, festzustellen, ob die Gaze auch nach längerem Aufbewahren 
wirksam ist. Ist dieselbe wirksam, d. h. enthält sie Zinksulfit, so 
wird eine in schwefelsäurehaltiges Wasser getauchte Probe sofort 
durch die sich entwickelnde schweflige Säure gebleicht, hat aber 
eine Oxydation zu Zinksulfat stattgefunden, so wird die Farbe un¬ 
verändert bleiben. Bei der Anwendung wird die Gaze in mehrfachen 
Lagen auf die Wunde gebracht und durch einfache Gazebinden 
fixirt. Es kann auch die unterste, direct mit der Wunde in Be¬ 
rührung kommende Lage mit einer schwachen Carboisäurelösung be¬ 
feuchtet werden. 

— Bei der Resorption von Agentien durch die Haut sind es 
drei Momente, die sich der ersteren entgegenstellen: 1. Die Epi¬ 
dermis, 2. die Talgsecretion der Haut, 3. die relative Unlöslichkeit 
des Mittels, das in jedem besonderen Falle angewendet wird. Nach 
einer Reihe von Beobachtungen und Versuchen, die James Sawykr 
angestellt hat, empfiehlt er („Deutsche Med.-Ztg.“, Nr. 100) den 
Aether als Menstruum zur Behandlung durch die Haut mittelst 
Agentien, die sich für die enepidermatische Behandlung eignen und 
kommt zu dem Schluß, daß ätherische Linimente von der Haut aus 
viel kräftiger wirken und daß sie eine wissenschaftlichere Begrün¬ 
dung haben, als Pflaeter, officmelle Einreibungen oder auch Fett- 
salben. Der Aether besitzt eine bedeutende endosmotische Capacität 
und eine Diffusionsfähigkeit hohen Grades, er löst leicht viele 
kräftige Mittel oder deren wirksame Bestandteile; auch löst er 
schnell die fettigen Theile der Talgabsonderung der Haut. Nach 
Versuchen mit einer großen Reihe von Heilmitteln haben sich be¬ 
sonders Capsicum, Belladonna, Jod und Menthol in Form ätherischer 
Tincturen als geeignet für die therapeutische Verwendung durch 
die Haut herausgestellt. Alle diese Tincturen haben ein sehr 
günstiges Resultat ergeben. Die mit Aether zubereitete Capsicum- 
tinctur ist ein sehr kräftiges Rubefaciens und ein sehr wirksames 
Heilmittel bei mehreren schmerzhaften Krankheiten. Die ätherische 
Tinctur der Belladonna soll nach Verf. aus der Wurzel mit Kamplier 
und nicht aus den Blättern präparirt werden, da jene nicht die 
Hautfläche färbt, wie letztere es thut. Das bei Herzkranken ange¬ 
wendete Emplastrum Belladonnae ist zwecklos, wirkt nicht selten 
irritirend und hindert stets die physikalische Untersuchung des 
Herzens. Die vom Verf. angefertigte Jodtinctnr hat dieselbe Stärke, 
wie die officinelle, und die in derselben Art wie diese angewendete 
ätherische Mentholtinctur eignet sich für örtliche therapeutische 
Zwecke, besonders zur Beseitigung oberflächlicher neuralgischer 
Schmerzen. Die schnelle Verdunstung des Aethers erzeugt ein an¬ 
genehmes Kältegefühl, das die analgetische Wirkung des Menthols 
befördert. Am besten applicirt man nach Verf. diese Tinctur 
mittelst eines Glaspinsels. Wenn die Pinselfäden durch die Ver¬ 
dunstung des Aethers mit Menthol bedeckt sind, so löst sich dieses 
durch Eintauchen des Pinsels in die Tinctur sofort auf. 

— Dr. Th. Gejpke (Karlsruhe) empfiehlt in Nr. 12 der 
„Therap. Monatsh.“ eine Behandlung der Thrftnenschlauch- 
8tricturen , die den Vorzug hat, daß sie einmal die betreffende 
Strictur direct, resp. in allernächster Nähe in Angriff nimmt und 
damit eine unnötbige Reizung der nicht erkrankten Schleimhaut ver¬ 
hütet , zweitens den weiteren Vortheil, daß sie ein Recidiv, wenn 


auch nicht völlig, so doch in weit wirksamerer Weise, als dureh 
die bisher geübten Methoden, verhindert. Es verspricht dies die 
Behandlung mit besonders verfertigten und präparirten Sonden. Die¬ 
selben sind nach Analogie der filr Harnröhrenstricturen längere Zeit 
bereits gebrauchten Sonden construirt und bestehen aus den be¬ 
kannten BowMANN’schen Sonden, die mit 4 etwa 1 / s Mm. tiefen 
longitudinalen Rinnen versehen sind. Ueber diese Sonden, die in 
4 Größen vorräthig gehalten werden, wird dann ein Ueberzug mit 
irgend einer adstringirenden, resp. ätzenden 8albe gelegt, welche 
bei Zimmertemperatur in festem Zustand gut mit der Sonde in den 
Thränenschlaucb eingeführt werden kann und dann, daselbst schmelzend, 
die zur Wirkung nöthige flüssige Consistenz erlangt. Es entspricht 
dieser Forderung in sehr guter Weise die von Unna angegebene 


Salbe, die aus 

Rp. Butyri Cacao. 100*0 

Cerae flavae.2—5*0 

(je nach der Außentemperatur 
mehr) 

Argenti nitrici.0'5—1*0 

Bals. Peruviani. 2*0 


besteht. In diese vor dem Gebrauche im warmen Wasserbade ver¬ 
flüssigte, gut umgeschüttelte und in möglichst erkaltetem, aber noch 
flüssigem Zustande befindliche Salbe werden dann die obigen Sonden 
so lange eingetaucht, bis die Längsrinnen völlig ausgeglichen sind 
und die Sonde in toto mit einer gleichmäßigen Schicht umkleidet 
ist. Dann läßt man die Sonden 24 Stunden erkalten (im Dunkeln 
natürlich) und entfernt vor dem Gebrauche den Salbenüberzug bis auf 
die der Strictur etwa entsprechende 8telle.. > Beim Einführen löst 
sich dann meist, besonders bei sehr engen Strukturen, die oberste 
Salbenschioht ab, es bleibt jedoch in den Rinnen ein genügendes 
Quantum von Salbe zurück, das seine gewünschte Wirkung an Ort 
und 8telle entfalten kann. Nach 10—15 Minuten langem Ver¬ 
weilen der Sonde ist die Salbe völlig verflüssigt und kann dann 
erstere entfernt werden. Einen besonderen Schmerz außer leichtem 
Brennen erzeugt die Sonde nicht. Handelt es sich um eine aeute 
Dacryocystitis mit reichlicher Absonderung, so eröffnet» Vsuf. zunächst 
mwt bo w w r e n finfleerung des Seortits das untere Tnränencanälchen 
und läßt adstringirende Umschläge machen. Am nächsten Tage 
wird der Thränenschlauch mit der Spritze ausgespült und dann 
versuchsweise Bowmann III ein geführt, um die Darehgängigkeit des 
Thränenscblauches zu constatiren. Passirt die Sonde ohne Schwierig¬ 
keit, so werden weitere Sondirungen vollständig unterlassen nnd die 
weitere Behandlung auf das Ausspülen des Thränenschlauohes mit des- 
infioirenden, resp. adstringirenden Flüssigkeiten beschränkt. Passirt 
Bowmann Nr. III jedoch nicht oder nur mit einiger Schwierigkeit, 
so wird die cannelirte Sonde I oder II eingeführt, nachdem dieselbe 
an der der strieturirten Stelle entsprechenden Partie mit dem be¬ 
kannten Ueberzug versehen ist. An den nächsten 3 Tagen folgen 
nochmalige Sondirungen. Passirt dann Bowmann Nr. III glatt, so 
werden die weiteren Sondirungeu vorläufig uuterlassen, bis etwa eine 
stärkere Secretion aus dem Thränensack sich wieder einstellt. Bei der 
chronischen Dacryocystitis, wo meist sehr feste, solide Stricturen mit 
der gewöhnlichen Sonde constatirt werden, wird gleich mit Einführung 
der cannelirten Sonden begonnen und während circa 10 Tagen 
alltäglich ein Mal vorgenommen. 

— Als ein gutes Abführmittel erwies sich John Shoemaker 
der galvanische Strom bei chronischer Obstipation („Deutsch, 
med. Woch.“, Nr. 51). Applicirt man einem Kranken 1 Milli¬ 
amperes tärke, ähnlich wie bei der Prostatahypertrophie, indem man 
die negative, olivenförmige Elektrode in das Rectum, den positiven 
Pol auf den Damm bringt, so tritt nach 15—20 Seounden ein Gefühl 
von Wärme und Hitze im Rectum auf, nach einer Minute Stuhldrang, 
der nach der zweiten Minute stark genug ist, um nun den Strom 
unterbrechen zu können. Verf. will die Wirkung einmal aus dem 
Ausgang einer Schleimbautsecretion im Darm durch den negativen 
Pol erklären, während bei Oeffnung des Stromes oder bei Application 
der Anode der Sphincter gerade umgekehrt sieb verengert. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 52. 


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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

X. Internationaler medicinischer Congress. 

Gehalten zu Berlin 4;—9. August 1890. 

(Original-Bericht der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

XVIII. 

Aus den Sectionen. 

Section für Hygiene. 

E. Almquist (Gothenburg): Ueber das vermehrte Auftreten des 
Darmtyphus an einer Anzahl von mehr oder minder 
typhu8freien Orten nach jahrelangen Zwischenräumen. 

Der Referent beleuchtet zuerst die Frage über die Abnahme 
des Darmtyphus durch sanitäre Arbeiten und erwähnt der Arbeiten 
von Buchanan über englische Städte, von Virchow über Hamburg 
und von Pettbnkofkr über München. Auch in Schweden ergibt 
die Erfahrung, daß die Seuche nach Ausführung von Wasserleitungs¬ 
und Drainirungs-Anlagen bedeutend abnimmt. Obgleich es eine 
schwierige Aufgabe ist, zu beweisen, daß eine Krankheit durch 
genannte Arbeiten an Frequenz abgenommen hat, so muß dieses 
bezüglich des Darmtyphus doch als bewiesen erachtet werden. 

Die Bedeutung der Einwirkung genannter Arbeiten ist in der 
Literatur vielfach überschätzt worden. Besonders die letzten Jahre 
haben reichliche Erfahrung, sowohl aus Europa, wie aus Amerika 
dargeboten, wie in einer Stadt der Typhus wieder zunehmen kann. 
Der Referent beleuchtet die letzten Epidemien in Hamburg, Zürich, 
Chemnitz, Wiesbaden, Essen und Berlin. Die genannten Epidemien 
kennzeichneten sich durch Massenerkrankungen und colossale Ver¬ 
breitung über die ganze Stadt oder große Stadttheile. In den meisten 
Städten kamen sie plötzlich zu Stande und hörten schnell wieder auf. 

Bei den beschriebenen Verhältnissen ist man in diesen gut 
canalisirten 8tädten genöthigt, an eine gemeinsame Quelle der In- 
fection und an ein Transportmittel zu denken, das das Gift über 
die ganze Stadt verbreitete. In erster Hand denkt man dann 
natürlicherweise an eine vergiftete Trinkwasserleitung. Durch vor¬ 
liegende Untersuchungen hält Referent es für sichergestellt, daß die 
Epidemien in Zürich 1884 und in Berlin 1889 ebenso gute Trink 
wasserepidemien sind, wie es überhaupt in der Literatur gibt. 

Er betont weiter, daß man sehr gut eine biologische Ent¬ 
wicklung des betreffenden Mikroorganismus außerhalb des mensch¬ 
lichen Körpers annehmen und doch von einer Trinkwasserepidemie 
sprechen kann. Das fertig gebildete Gift muß nämlich mit Wahr¬ 
scheinlichkeit als ebenso giftig angesehen werden, seitdem es in die 
Wasserleitung gerathen ist. Deshalb und aus anderen Gründen wird 
vorgeschlagen, daß die gewöhnlichen, oft mißdeuteten Ausdrücke, die 
„localistiscbe“ und die „contagionistische Theorie“ der „biologischen“ 
und der „mechanischen Auffassung“ Platz machen sollten. Nach 
der erstgenannten Auffassung wird ein biologisches Moment bei dem 
Mikroorganismus außerhalb des Körpers vermuthet, die mechanische 
Auffassung beachtet dagegen nur das mechanische Ueberführen des 
Giftes zu einem disponirten Individuum. 

Wenn auch angenommen wird, daß die meisten der ver¬ 
handelten Epidemien durch vergiftetes Trinkwasser entstanden, so 
ist damit nicht gesagt, daß sie alle so entstanden sind. Vor 
solchem Generalisiren kann nicht dringend genug gewarnt werden. 
Vor Allem in logischer Hinsicht. Die Erfahrung beweist überdies, 
daß verbreitete Typhusepidemien ohne Betheiligung des Trinkwassers 
zu Stande kommen können. 

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß die mehrjährige Epidemie 
in Hamburg durch Trinkwasser wesentlich verursacht wurde. Der 
Referent arbeitet in einer Stadt, wo weder das Trinkwasser mit 
Typhusgift verunreinigt wird, noch der Boden porös ist, und doch 
kommt der Danntyphus nicht selten vor. Durch Milch kommt da¬ 
zwischen Gift nach der Stadt von inficirten Landgütern, jedoch 
kann auch dieser Factor nicht allein das Verhältniß erklären. Man 
muß mehrere Momente als wichtige für die Verbreitung von Typhus 
annehmen. 

Um den Ursprung einer Typhusepidemie festzustellen, müssen vor 
Allem die vereinzelten angegriffenen Häuser genau untersucht werden. Ent¬ 


stehen in vielen gesunden Häusern gleichzeitig massenhafte Erkrankungen, 
muß eine gemeinsame Quelle der Infection, außen belegen, angenommen 
werden ; entsteht in einem Hause zuerst e i n Fall und nach etwa 
vier Wochen mehrere gleichzeitige Fälle, so haben wir eine Herd¬ 
bildung im Hause vor uns; entwickelt sich die Epidemie allmälig 
und werden hauptsächlich schmutzige Häuser heimgesucht, so haben 
wir es auch wahrscheinlich nicht mit einer Trinkwasserepidemie 
zu thun. 

In sehr erleichtertem Transport verschiedener Art finden wir 
eine Ursache, weshalb die moderne Stadt mehr den Krankheiten 
ausgesetzt ist, als Städte vergangener Zeiten. Das Ausbleiben des 
Typhus durch längere Zeit vermehrt die Disposition der Bewohner und 
trägt auch bei, entstandenen Epidemien größere Verbreitung zu ver¬ 
leihen. Hierin haben wir ohne Zweifel wichtige einwirkende 
Momente, deren Bedeutung wir doch nicht zu weit generalisiren 
dürfen. 

Es wurde hervorgehoben, daß Studien über Epidemien in der 
Wirklichkeit viel mehr geeignet sind, Einseitigkeit vorzubeugen, 
als Verarbeitung statistischer Zahlen. Besonders wurde auf die 
eigenthümliche Entwicklung des Typhusherdes hingewiesen. Nach 
dem Referenten bilden Studien darüber den natürlichen Ausgangspunkt 
für Studien über die Biologie der Typhusbacterie. Diese ist bis 
jetzt unvollkommen erforscht, die Sporen sind nicht gefunden und 
die Bacterie ist längst nicht unter so wechselnden Verhältnissen 
untersucht, wie sie in der Natur vorkommt. 

Der Referent fand bei längerem Aufbewahren von Culturen 
verschiedener Bacterien nicht selten Mycelien feinster Art, die sich 
aus Stäbchen zu entwickeln schienen. Die Morphologie der Bacterien 
ist bis jetzt wenig bekannt, auch die Typhusbacterie bietet noch 
ein großes, unbearbeitetes Gebiet. So ist es auffallend, daß letzt¬ 
genannte Bacterie anders bei Körper- als bei Zimmertemperatur 
wächst. Da sie auf allerlei Nährmedien bei niedriger Temperatur 
sich vermehrt, so hat eine biologische Auffassung über die An¬ 
steckung bei Typhus schon eine factische Unterlage. 

Redner gelangt zu folgenden Schlußsätzen: 

Der Darmtyphus nimmt in den Städten durch sanitäre Ar¬ 
beiten, sowie Wasserleitungs- und Canalisationsanlagen im Allgemeinen 
stark ab. Jedoch kann die Krankheit in den kürzere oder 
längere Zeit verschonten Städten wieder bösartig hervortreten und 
sogar Jahre lang schwer herrschen. Die nächste Ursache dieses 
unerwarteten Verhältnisses ist wohl manchmal die Vergiftung der 
Wasserleitung gewesen, bei mehreren Epidemien scheint jedoch dieser 
Erklärungsgrund nicht zutreffend zu sein. Die Aetiologie des Darm¬ 
typhus ist noch nicht genugsam beleuchtet, wir müssen vor Allem 
weitere Untersuchungen über die Biologie der betreffenden Bacterie 
abwarten: auch muß der Entwicklungsgang des localen Krankheits¬ 
herdes näher studirt und mehr gewürdigt werden. A. 


Section für innere Medicin. 

Lewaschew (Kasan): Zur operativen Behandlung der nicht 
eitrigen exsudativen Pleuritiden. 

Die operative Behandlung der Pleuritis ist besonders bei der 
Verwendung der Aspiration mit unangenehmen, schmerzhaften und 
manchmal sogar gefährlichen Erscheinungen, die in Folge des 
raschen Sinkens des Druckes im Innern der vollständig abge¬ 
schlossenen Brusthöhle entstehen, verbunden. Um diese Nach¬ 
theile der operativen Behandlung zu beseitigen und die bedeutenden 
Schwankungen des endothoracischen Druckes auch bei Aspiration 
unmöglich zu machen, kam L. auf den Gedanken, behufs Ersetzung 
des ausgepumpten Exsudates eine Flüssigkeit gradatim in den Pleura¬ 
raum einzuspritzen. Dieselbe muß außerdem eine möglichst voll¬ 
ständige Entfernung des Exsudates ermöglichen, indem sie sich mit 
demselben eng vermischt und es dünner macht. Die zur Einspritzung 
auszuwählende Flüssigkeit muß natürlich für die Pleura vollkommen 
unschädlich sein und darf keine Reizung der in Entzündung be¬ 
griffenen Pleurablätter hervorrufen. Als solche erwies sich nach 
allen Ergebnissen unserer heutigen physiologischen und patholo¬ 
gischen Kenntnisse eine O'7°/ 0 sogenannte physiologische Koch¬ 
salzlösung. Einige Vorversuche, die zum Theil an gesunden Thieren, 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


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zum Theil an solchen mit künstlich in Entzündung versetzter 
Pleura ausgeführt wurden, haben gezeigt, daß die gesunde Pleura¬ 
höhle die Einspritzung sehr bedeutender Mengen solcher, sogar 
ziemlich niedrig temperirter Lösungen ganz gut verträgt und die 
entzündete Pleura dadurch sehr günstig beeinflußt wird. Nach 
diesen Versuchen hat L. angefangen, die Einspritzung der physio¬ 
logischen Kochsalzlösung hei Thoracocentese — raeistentheils in 
Fällen von serös-fibrinösen und anderen nicht eitrigen Pleuritiden — 
zu verwenden, und während der letzten 3 Jahre führte er die 
Thoracocentese auf solche Weise 24mal mit sehr gutem Erfolge aus. 
Die Operation wurde in allen Fällen, in denen trotz aller angewandten 
üblichen Heilverfahren die Menge des Exsudates zunabm, oder eine 
Resorption desselben mehrere Tage hindurch nicht bemerkbar war, 
vorgenommen, ohne Rücksicht darauf, ob Fiebererscheinungen vor¬ 
handen waren oder nicht Mau entleerte ganz vorsichtig und allmälig 
einen Theil des Exsudats vermittelst der DiEüLAFOY’schen Spritze, bis 
die ersten Schmerzempfindungen erschienen. Dann wurde anstatt der 
entleerten Flüssigkeit eine entsprechende Quantität der vollkommen 
sterilisirten und etwa bis + 30° C. erwärmten 0*7°/ 0 Kochsalzlösung 
auch ganz langsam und vorsichtig eingespritzt. Dieses Verfahren wurde 
2—6mal wiederholt, bis man sich überzeugt hatte, daß das Exsudat 
beinahe vollständig entleert, resp. durch die indifferente Flüssigkeit 
ersetzt war. 

Diese Operation ist bei vorsichtiger Ausführung ganz schmerz¬ 
los und wird so gut vertragen, daß sehr oft die Kranken schon 
nach wenigen Tagen um Wiederholung bitten. Nach der Operation 
traten auch niemals an der affieirten Br asthälfte Schmerzen auf, im 
Gegentheil gaben die Kranken immer an, daß die Athembeschwerden 
sich verminderten und ihr Allgemeinbefinden sich besserte. Schon 
nach 24 oder 48 Stunden und noch deutlicher in den folgenden 
Tagen, konnte man ein fortschreitendes Sinken der oberen Dämpfungs¬ 
grenzen an der affieirten Brustseite, eine entsprechende Verbreitung 
der Athemgeräusche, die Rückkehr der dislocirten Organe auf ihre 
normalen Stellen und das Wachsen der vitalen Lungencapacität 
constatiren. In den Fällen, wo besonders ergiebige Ergüsse vor¬ 
handen waren, sah man die Harnmenge nach der Operation mehr 
oder weniger lange Zeit bedeutend zonehmen. 

Die Temperatur veränderte sich gewöhnlich gleich nach der 
Thoracocentese einige Zeit hindurch nicht merklich oder sank auf 
mehrere Stunden, um dann mehr oder weniger zu steigen. Was die 
Ursache einer solchen secundären Temperaturerhöhung anbelangt, so 
muß dieselbe augenscheinlich von verstärkter Resorption der Reste 
des durch die Operation äußerst verdünnten Exsudates abhängen. 
Ausnahmsweise stieg die Temperatur in einigen Fällen nach der 
Operation noch an demselben Tage, da aber hiebei keine Ver¬ 
schlechterung, im Gegentheil deutliche Besserung des Allgemein¬ 
befindens der Kranken und Abnahme des Exsudates erfolgte, so ist 
es klar, daß auch hier die Temperaturerhöhung dieselbe Ursache wie 
oben hatte. In den Fällen, wo ein geringes Fieber den mehr oder 
weniger starken Erguß begleitete und die Däropfungsgrenzen unver¬ 
ändert blieben, d. h. wenn man es mit einer verhältnißmäßig alten 
Pleuritis zu thun hatte, stieg die Temperatur nur ganz wenig, 
ging bald auf die normale Höhe zurück, der Percussionsscball 
bellte sich schon nach wenigen Tagen Uber der ganzen Lunge 
auf und auch die Athemgeräusche stellten sich überall ein. War 
aber die Pleuritis noch von starkem Fieber begleitet, die Exsudat¬ 
menge in Zunahme begriffen, so erreichte die Temperatur bei weitem 
bedeutendere Höhe, fiel langsamer und die Resorption dauerte längere 
Zeit. In dieser Hinsicht scheint es folglich viel vortheilhafter, die 
Thoracocentese dann vorzunebmen, wenn der Eutzündungsproceß in 
der Pleura schon beinahe erloschen ist. Zieht man aber in Betracht, 
daß einerseits, je länger das Exsudat im Pleuraraume bleibt, desto 
mehr die Lungenelasticität darunter leidet und die Entwicklung von 
Adhäsionen und Schwarten der Lungenpleura, welche schon unüber¬ 
windliche Hindernisse zur Entfaltung der Lunge bilden, begünstigt 
wird, andererseits die nach beschriebener Methode ausgeführte Thora¬ 
cocentese selbst während der heftigsten Entzündungserscheinungen 
der Pleura, als Endresultat immer ein ziemlich rasches Erlöschen der 
Entzündung und definitives Verschwinden des Exsudates bewirkte, 
so daß eine Wiederholung der Operation kein einziges Mal noth- 


wendig wurde, so kommt man zum Schlüsse, dass man diesen operativen 
Eingriff vornehmen muß, sobald man sich überzeugt hat, daß das Ex¬ 
sudat trotz aller anderweitigen Maßregeln wächst, oder mehrere Tago 
hindurch in statu quo verbleibt. 

Aus seinen Fällen und dem Vergleiche der dabei erhaltenen 
Resultate mit Ergebnissen früherer anderweitiger Behandlung sol¬ 
cher Kranken hat L. die Ueberzeugung gewonnen, dass das Com- 
biniren der Thoracocentese mit mehrmaliger Einführung in die 
Brusthöhle der 0*7% Kochsalzlösung zum Ersatz des ausgepumpten 
Exsudates sehr wichtige Vortheile liefert. Deswegen empfiehlt er 
warm diese Methode der Thoracocentese und macht dabei schließlich 
die Bemerkung, daß die von ihm schon seit 4 Jahren benutzte 
Flüssigkeit in jüngster Zeit bekanntlich auch in der Chirurgie mehr 
und mehr Verwendung findet. S. 


Section für Laryngologie. 

Paul Koch (Luxemburg): Ueber Trachealtumoren. 

Der Larynx, als actives, den Insulten mehr ausgesetztes Organ, 
ist häufiger der Sitz von Tumoren, welche in der Trachea, einem 
ruhigen und fast nur mit passiven Functionen versehenen Organe, 
viel seltener sind. Zwei in letzter Zeit vom Redner beobachtete 
und tödtlich verlaufene Fälle sollen dazu beitragen, da9 bis jetzt 
nicht vollständig beschriebene klinische Bild und die an betref¬ 
fenden Beispielen arme Literatur zu vervollständigen. — Der erste 
Fall betrifft einen 48jährigen, kräftigen, französischen Haupt¬ 
mann, welcher wegen seiner hübschen Baritonstimme bekannt war; 
das laryngoskopische Examen war recht schwer, die Stimme war 
normal; die Dyspnoe, welche langsam entstanden war, nahm nach 
einem Infiuenzaanfall rasch zu und erlangte bei ausgedehnter Be¬ 
wegung einen bedenklichen Grad; Patient war sich seines bedenk¬ 
lichen Zustandes nicht bewußt und verweigerte die Tracheotomie, 
weil selbe ihm seine hübsche Stimme verderbe. Die Diagnose des 
Trachealtumors war nur durch die von Gerhardt und G. Kiltan 
angegebeue Methode möglich. Nach einigen Tagen mnßte des Nachts 
die Tracheotomie wegen lebensgefährlicher Erstickungsanfälle ge¬ 
macht werden. Statt die tiefe Tracheotomie zu machen, führte der 
Operateur die Cricotracheotonomie aus, das Messer schnitt den Tu¬ 
mor entzwei, die Canüle gelangte nicht über die untere Grenze des 
Tumors; die Erstickungsgefahr dauerte fort, Ströme schwarzen 
Blutes quollen aus der Trachealöffnung hervor; erst nachdeta eine 
dicke, bis an die Bifurcation reichende RÖNiG’sche Canüle eingeführt 
worden war, stand die Blutung mehr weniger still, und athmote 
Patient freier. Nach drei Tagen erlag Patient beim Canülenwechsol 
der stark eintretenden Blutung. Es handelte sich um ein gefä߬ 
reiches Angiosarcom. 

Der zweite Patient, ein 38jähriger Rechtsanwalt, hatte heftige 
Erstickungsaft fälle in Folge eines Trachealtumors, dessen Natur 
nicht eruirt werden konnte; trotz der großen Lebensgefahr ver¬ 
weigerte Patient die Tracheotomie und erlag drei Tage später einem 
Erstick ungsanfalle. 

Trackealcarcinome siud sehr selten, Sarcome sind etwas 
häufiger, gutartige Polypen kommen im Leben am meisten vor. 
Trachealtumoren sind nicht gestielt und erreichen eino bedeutende 
Größe, ehe sie Erstickungserscheinungen hervorrufen; deshalb muß 
man bei diesem Grade des Wachsthums operiren; das Laryngoskop 
zeigt uns nicht die wahre Größe des Tumors, der Grad der Dys¬ 
pnoe ist ein viel besseres Hilfsmittel. Die Stimme ist bei Tracheal¬ 
tumoren meist intact. Die Differentialdiagnoso zwischen Syphilis, 
Granulation nach Tracheotomie und Trachealtumoren ist leicht. So¬ 
bald Dyspnoe besteht, soTl man die prophylactische Tracheotomie 
au3führen; schneidet man den Tumor an, so muß man eine Tam- 
poncanülc, am besten die von Hahn oder Michael, ein führen ; 
tritt keine Erleichterung beim Einführon einer gewöhnlichen Canüle 
ein, so ist die biegsame Canüle von König am Platze. 

Viel größere Seltenheit, schwierige Diagnose, schlechte Pro¬ 
gnose, schwierige Behandlung selbst nach ausgeführter Tracheotomie 
unterscheiden den Larynxtumor von dem der Trachea. 


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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 62. 


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Folgende Schlösse wurden zur Discussion vorgelegt: 

1. Trachealtumoren erreichen eine bedeutende Größe, bevor 
sie den Kranken belästigen und bevor der Arzt oonsultirt wird. 

2. Das Trachealpfeifen zeugt von der bedeutenden Größe 
des Tumors und beweist die Nothwendigkeit der Tracheotomie. 

3. Die Operation per vias naturales soll nur in den seltenen 
Fällen, wo keine Dyspnoe vorhanden ist, versucht werden. 

4. In allen Fällen, ohno Ausnahme, muß dio tiefe Tracheo¬ 

tomie ausgeführt werden; man muß lange Canülcn, die vierblättrige 
DBMARQUAY’sche, die Köxio’sche und die Tamponcanülen zur Hand 
haben. R. 


Notizen. 

Wien, 27. Deoember 1890. 

Das Koch’sche Heilverfahren. 

Aus Budapest wird uns geschrieben: Die Erfahrungen, 
welche mit der KocH’schen Behandlungsmethode an unseren Kliniken 
und Spitälern gemacht wurden, bestätigen im Allgemeinen, daß das 
Mittel behutsam angewendet werden muß, weil die Toleranz dagegen 
individuell sehr verschieden ist, schweren Sopor erzeugen, bei fort¬ 
geschrittener Phthise gefährlich werden kann; daß bei Phthise sogar 
bei verhfiltnißmäßig hohen Dosen das Fieber, bei Knochentuberculose 
die locale Reaotion ausbleiben kann , und daß es die glänzendsten 
Triumphe beim Lupus feiert. 

Die ersten Versuche wurden am hiesigen isr. Hospital auf den 
Abtheilungen von Prof. Stilleb und Dr. Baron gemacht. Prof. 
Stiller hat seit dem 23. November 10 Kranke beobachtet, an 
welchen 43 Einspritzungen (mittelst PRAVAz’scher Spritze mit Asbest¬ 
stempel) gemacht wurden; in 18 Fällen trat hohes Fieber mit All¬ 
gemeinerscheinungen auf; 8mal blieb eine höhere Temperaturstei¬ 
gerung oder Uebelbefinden aus. Es wurde bei einzelnen Kranken 
starke Reaction bei 2 Mgrm. beobachtet, während Andere auf 8 bis 
10 Mgrm. nicht reagirten; ja manche Phthisiker mit reichlichen 
Tuberkelhacillen in den Sputis reagirten nicht einmal auf 18 Mgrm. 
Da bei einem nicht taberculösen Individuum schon auf 10 Mgrm. 
Fieber und Abgeschlagenheit auftraten, welche Menge Koch als die 
minimale bezeichnet, die bei Gesunden noch Reaction hervorruft, so 
gelangt Stiller zur Schlußfolgerung, daß das KocH’sche Mittel nicht 
als qualitatives, sondern nur als quantitatives Reagens auf Tuber- 
culose gelten kann, ohne aber in dieser Beziehung unbedingt ver¬ 
läßlich zu sein. 

Für die specifische Wirkung auf den tuberoulösen Proceß in 
den Lungen sprechen die in der Gegend des Krankheitsherdes auf¬ 
tretenden Schmerzen, die Vermehrung und Verflüssigung der Sputa, 
das Auftreten von elastischen Fasern, welches bei manchen Kranken 
beobachtet wurde und auf den Zerfall der tuberculösen Herde deutet. 
In einem Falle traten unter den Reactionen Schmerzen in der Achsel¬ 
höhle auf, wo früher keine Drüsen naebgewiesen werden konnten; 
nach der ersten Reaction schwollen die Drüsen zu Linsen- bis Bohnen¬ 
größe an und erreichten nach zwei weiteren Einspritzungen Hasel¬ 
nußgröße. Eclatante Aufhellungen von Dämpfungen bat Prof. Stiller 
in 3 Fällen beobachtet. 

Von den 10 Kranken, welche auf der Klinik von Prof. Ko- 
rAnyi bisher behandelt wurden, sind 2 Lupöse auf dem Wege der 
Besserung. Bei den 8 Phthisikern zeigt sich bisher keine wesentliche 
Aenderung. Die allgemeinen Erscheinungen sind bei verschiedenen 
Personen auf sehr verschiedene Mengen eingetreten; während bei 
einem 21jährigen, sehr vorgeschrittenen Phthisiker auf die zweimalige 
Einspritzung von je 1 Mgrm. starkes Fieber aufgetreten ist, zeigte 
sich bei einer 17jährigen gleichfalls vorgeschrittenen Phthisikerin 
selbst auf 8 Mgrm. keine Reaction, nur local trat stärkeres trockenes 
Rasseln auf. Ueberhanpt nehmen bei den Phthisikern Rasselgeräusche, 
Husten und Auswurf regelmäßig zu. Lehrreich ist der Fall einer 
phthisischen Diabetikerin, welche seit Juli d. J. auf der Klinik ge¬ 
legen ist und während dieser Zeit nie gefiebert hat. Die tägliche 
Ausscheidung von 120—250 Grm. Zucker konnte weder durch 
antidiabetische Diät, noch durch Opium, Arsenik, Karlsbader Wasser 


beeinflußt werden. Trotz der großen Caverne im linken Lungenflügel 
konnten Bacillen im Sputum nicht nachgewiesen werden. Am 26. No¬ 
vember erste Injection von 1 Mgrm. bei 4'5°/ 0 Zuckergehalt; keine 
Reaction. Am 27. November stieg auf Injection von 2 Mgrm. die 
Temperatur auf 38‘6°; im vermehrten Sputum konnten Tuberkel¬ 
bacillen nachgewiesen werden; der Zuckergehalt fiel auf 0*4%. 
29. November 1 Mgrm.; Temperaturmaximum 38*4, Zuckergehalt 
0\47°/o- 30. November 1 Mgrm., ohne jede Reaction ; Zucker gänzlich 
geschwunden. Von da ab traten die Erscheinungen der Herzschwäche 
auf, unter denen Pat. am 4. December, 5 Uhr Nachmittags, starb. 
Aus dem Obductionsbefund ist Folgendes hervorzuhebon: In beiden 
Lungenflügeln der sehr anämischen Leiche ausgedehntes Oedem; im 
linken oberen Lungenlappen eine faustgroße, mit röthlich-blutigem 
Schleim erfüllte Caverne; die Wand derselben von Lungengewebs- 
resteu gebildet, welche mit dunkelrothen, hämorrhagischen, succulenten 
Granulationen bedeckt sind. Außerdem noch einige kleine Cavernen 
von ähnlichem Aussehen. In verschiedenen Partien der Lunge erbsen- 
bis nußgroße, matsche, saftreiche, graugelbe, auf der Schnittfläche 
fein granulirte, käsige Knoten, welche meist von einer lebhaft ge- 
rötheten, blutreichen Zone umgeben sind. Die käsigen Herde sind 
im Allgemeinen matscher als gewöhnlich, ragen über die Schnittfläche 
hervor, sind glänzend und schleimig anzufühlen. 

Diese Veränderungen darf man wohl als direote Einwirkung 
des KocH’schen Mittels ansprechen, und erinnern dieselben an die 
analogen Veränderungen bei Lupus. 

Die histologische Untersuchung ergab in den Cavernen zahl¬ 
reiche , theilweise zerfallene Tuberkelbacillen, deren Zahl in den 
Wandungen, von innen nach außen schreitend, eine Abnahme zeigte. 
Um die käsigen Herde stark erweiterte und blutgefüllte Capillaren, 
kleine Extravasate und zahlreiche, ausgewauderte weiße Blutzellen. 

Prof. Ketli hat auf seiner Klinik seit dem 27. November 
13 Lungenkranke nach Koch behandelt, u. zw. mit den obigen ähnlichen 
Ergebnissen. Das individuelle Verhalten gegen das Mittel ist äußerst 
verschieden. Gefährliche Erscheinungen hat er bisher nicht beob¬ 
achtet. Einzelne Kranke vertragen dasselbe sehr gut und unter¬ 
werfen sich gern dieser Prooedur, während andere über heftige 
Schmerzen an der Einstich stelle, Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, 
Diarrhöen, Schlaflosigkeit klagen. Veränderungen konnten im 
Laufe der Behandlung weder an den Lungen, noch in Zahl 
und Gestalt der Bacillen nachgewiesen werden. Die Nachtschweiße 
haben bisher nicht aufgehört, und das Körpergewicht zeigt — mit 
Ausnahme einer einzigen Pat. — bisher keine Zunahme. 

Im Rochus- Krankenhause befinden sich 6 Fälle von 
Lupus, 4 chirurgische Fälle von Tuberoulose und 15 Phthisiker in 
Behandlung. Der älteste Lupusfall ist bereits seit dem 3. December 
fieberfrei, sein Allgemeinbefinden gut; die Schorfe haben sich an 
beiden Gesichtshälften losgelöst, und ihre Stellen sind durch röthliche 
Flecke bezeichnet, doch sind an diesen Stellen noch Lupusknoten 
wabrzunehmen. Die übrigen Lupösen befinden sich in den ver¬ 
schiedenen Stadien der allgemein bekannten Veränderungen. Bei den 
Lungenkranken hat sich unter den bekannten Erscheinungen der 
Auswurf anfangs vermehrt, dann verringert. Die Nachtschweiße haben 
nachgelassen oder aufgehört, der Schlaf ist ruhiger, das Allgemein¬ 
befinden besser geworden. 

Prof. Schwimmer und Dr. Havas haben an ihren Lupus¬ 
kranken den hohen diagnostischen Werth des KocH’schen Mittels voll¬ 
inhaltlich bestätigt. Abweichend von den ersten Berliner Angaben 
haben sie die Injectionen mit 1—2 Mgrm. begonnen und schon bei 
diesen Dosen so heftige Allgemeinerscheinungen auftreten sehen, wie 
sie von Koch, Cornet, Pfuhl, Bergmann u. A. bei 3mal so großen 
Dosen beobachtet wurden. 

An der chirurgischen Klinik von Prof. Lumniczer trat bei 
Knochen- und Lymphdrttsentuberculose wohl allgemeine, aber wenig 
ausgesprochene Localreaction auf. Letztere zeigte sich jedoch in sehr 
günstiger Weise bei einer Coxitis, welche auf die Behandlung erhebliche 
Besserung der Beweglichkeit zeigte. Im Rothen-Kreuzspital, sowie im 
GLüCK’schen Sanatorium (hier durch Dr. Jacob Weiss) wird gleich¬ 
falls die KoCH’sche Behandlungsmethode eifrig angewendet; des¬ 
gleichen wird aus der Provinz, dem Communalspital zu Nagy-Käroly, 
von Dr. A. Aldor eine diesbezügliche Mittheilung gemacht. 

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1890. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


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Die Anomalien,, daß ein Geheimmittel, wie es das KoCH’sche ist, 
dennoch in der ärztlichen Praxis gestattet werden soll, hat bekanntlich 
bei Ihnen eine Ausnahmsverfügung der Regierung veranlaßt, welche 
die Behandlung damit seitens der Aerzte der behördlichen 
Aufsicht unterwirft. Unser Stadtpbysicus, Herr Dr. Gebhardt, 
den die österreichischen Lorbeeren offenbar nicht ruhen ließen, glaubte 
noeh ein Uebriges thun zu müssen. Er will in einer Eingabe an 
das Bürgermeisteramt, welche bereits dem Ministerium des Inneren 
vorliegt, nicht weniger als die gesetzlich garantirte freie Praxis des 
Arztes confiscirt wissen, indem er die Behandlung mit dem KocH’schen 
Mittel für die Privatärzte entweder gänzlich untersagen oder 
wenigstens so beschränken will, daß der praktische Arzt ihn als 
eine Art Abtheilungsvorstand zu betrachten haben soll, dem er nicht 
nur die Behandlung anzumelden, sondern Krankengeschichte, Fieber- 
curven u. s. w. täglich einzuliefern hat und sich von ihm zu jedem 
Zeitmomente controliren lassen soll. Ein Sturm der Entrüstung hat 
sich im gesammten ärztlichen Publikum gegen dieses Ansinnen er¬ 
hoben, der auch in allen ärztlichen Organen bereits zum Ausdrucke 
gelangt ist und noch Weiterungen haben dürfte, ja, bei ernstlichem 
Widerstande dieses unseres behördlichen Collegen, denselben auch 
wegfegen könnte. 

* * 

* 

Aus Rom schreibt man: Von ganz besonderem Interesse 
sind die Versuche, welche Prof. Baccelm mit intravenösen 
Injectionen des Kocu’schen Mittels angestellt hat. Ein 19jähriger 
Phthisiker, welcher, nachdem er ein einziges Mal auf eine subcutane 
Injection von 0’003 mit Temperatursteigerung (39'5°) reagirt hatte, 
während weiterer Injectionen von 0-004—O’Ol resultatlos geblieben 
waren, erhielt eine intravenöse Injection mit O'OOl: ohne Effect. Eine 
zweite intravenöse Injection hatte geringe Temperaturerhöhung (37*8), 
Schmerzen zwischen den Schulterblättern, im Halse und den Knien 
im Gefolge. Erst die dritte intravenöse Einspritzung (0-003) brachte 
typische Reaction, Schüttelfrost, Schwindel, Nausea, Temperatur¬ 
steigerung bis 39°. Die nächste intravenöse Injection derselben 
Quantität rief dieselben, jedoch minder hochgradigen Allgemein¬ 
erscheinungen hervor, ohne eine Temperatursteigerung zu bewirken. 
Eine fünfte Injection mit 0 - 004 blieb resultatlos. Der Zustand des 
Kranken hat sich auffallend gebessert, sein Körpergewicht hat zu¬ 
genommen , die Zahl der Bacillen, die Rasselgeräusche haben sich 
vermindert. — In einem zweiten, eine 45jährige Frau mit beider¬ 
seitiger Spitzeninfiltration betreffenden Falle, welcher sich gegen 
subcutane Injectionen von 0 01—0-02 refraetär erwiesen hatte, rief 
eine intravenöse Injection von 0*001 Kopfschmerzen, Photophobie, 
Somnolenz und Temperatursteigerung bis 38° hervor. Prof. Baccelli 
wird seine Versuche fortsetzen. 

(Vom Obersten Sanitätsrathe.) In der am 20. d. M. 
abgehaltenen Sitzung des Obersten Sanitätsrathes bildeten die von 
der Fach- und Tagespresse genugsam gerügten sanitären Mißstände, 
welche die durch unzweckmäßige Straßenreinigung bedingte Staub¬ 
entwicklung in Wien verursacht, den Gegenstand eingehender 
Besprechung. Diese Angelegenheit wurde dem zur Berathung über 
die Frage der Städte-Assanirung eingesetzten Specialcomit6 zur „be¬ 
schleunigten Berichterstattung“ überwiesen. Es wäre zu wünschen, 
daß die berufensten Wächter der öffentlichen Gesundheitspflege auch 
in dieser Angelegenheit jene Energie entwickelten, welche „zum 
Schutze des Publikums“ gelegentlich der Einführung des KocH’schen 
Geheim mittels aufgeboten wurde. — In derselben Sitzung wurde 
mit Hinweis auf die Sanctionirung des die Errichtung Groß-Wien’s 
decretirenden Gesetzes die bereits angeregte Reorganisation des 
Gemeinde-Sanitätswesens der Reichshauptstadt urgirt. 
— Schließlich referirte Hofrath Albert über die in Betreff der 
gewerbsmäßigen Ausübung der Massage erforderlichen 
Vorkehrungen. Wir kennen den Tenor dieses Referates nicht, glauben 
uns aber der Erwartung hingeben zu dürfen, der Oberste Sanitäts¬ 
rath werde in seinen diesbezüglichen Anträgen an das Ministerium 
des Innern hinter den Verordnungen jener Unterbehörden (so der 
Bezirksbauptmannschaft von Carlsbad etc.) nicht Zurückbleiben, welche 
die Ausübung der Massage durch Laien verbieten. Die Zahl der 


Aerzte, zumal der jüngeren Collegen, welche trotz des Umstandes, 
daß die Schule nur geringen Werth auf die Ausbildung der Medi¬ 
ziner und Aerzte in dieser Heilmethode zu legen scheint, die Technik 
der Mechanotherapie beherrschen, ist bereits so groß, daß die fernere 
Duldung der Curpfuscherei auf diesem Gebiete keinerlei Berechti¬ 
gung besitzt. Wohl aber weisen Studium und Erfahrung nach¬ 
drücklich auf die Gefahren hin, welche den Kranken aus kritikloser 
Anwendung eines Heilmittels erwachsen können, dessen Anzeigen 
und Gegenanzeigen nunmehr gleich jenen anderer Eingriffe fest¬ 
gestellt sind. 

(Aus den Landtagen.) Der galizische Landtag hat 
endlich das Gesetz, betreffend die Organisation des Sanitäts¬ 
dienstes in den Gemeinden, beschlossen, doch soll, den be¬ 
sonderen Verhältnissen des Kronlandes entsprechend, die Organisirung 
nur successive zur Durchführung gelangen. — Der Landtag von 
Steiermark hat zur Abhilfe des Aerztemangels auf dem 
flachen Lande beschlossen, zwölf Stipendien jährlicher 300 fl. für 
in Steiermark heimatberechtigte Mediciner mit der Bedingung zu 
gründen, daß sich diese in einem Reverse verpflichten, nach 
erlangter Befähigung zur Ausübung der Praxis durch achtJahre 
an den ihnen vom Landesaussohusse zugewiesenen, 
nicht unter 400 fl. dotirten Dienstposten am flachen 
Lande in ärztlicher Verwendung zu bleiben. Und 
damit hofft der steiermärkische Landtag dem Aerztemangel abzu¬ 
helfen ! 

(Auszeichnung.) Dem Herausgeber der „Deutschen med. 
Wochenschrift“, San.-R. Dr. S. Güttmann in Berlin, ist der Charakter 
als Geheimer Sanitätsrath verliehen worden. 

(Die Cästration als gesetzliche Strafe.) Ein cali- 
fornischer Arzt beantragt, wie „Le Bullet, möd.“ berichtet, 
die Ausführung der Castration als Strafe für Verbrechen, ein 
Verfahren, welches der Kerkerstrafe vorzuziehen wäre, weil es 
geeignet sei, das Menschengeschlecht zu bessern und die Fort¬ 
pflanzung der Verbrecher zu verhindern. Die Zahl der Degenerirten 
würde rapid abnehmen und mit ihr die Zahl der Verbrechen. — 
Ob Antragsteller die Castration auch auf weibliche Verbrecher aus¬ 
gedehnt wissen will, geht aus dieser Mittheilung nicht hervor. 

(Statistik.) Vom 14. bis inclusive 20. December 1890 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 5063 Personen behandelt Hievon wurden 886 
entlassen; 129 sind gestorben (12 - 70 0 / o des Abganges). In diesem Zeiträume 
wurden ans der Civilbevölkerung Wiens und der angrenzenden Vororte in und 
außerhalb der Spitäler bei derk. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An 
Diphtheritis 65, egyptischer Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, 
Abdominaltyphus 9, Dysenterie —, Blattern 70, Varicellen 112, Scharlach 61, 
Masern 519, Keuchhusten 26, Wundrothlauf 30, Wochenbettfieber 4. 


(Levico-Arsen-Eisenwasser) vide Inserat. 

Literatur. 

(Der Redaction eingesendete Recensions-Exemplare.) 

Brillant M. , Statistischer Bericht über die k. u. k. Kriegsmarine für das 
Jahr 1889. Wien 1890. Hof- und Staatsdruckerei. 
Mosetig-Moorhof R. v., Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen. 
Zweite, gänzlich umgearb. Aufl. Mit 35 Abb. Leipzig und Wien 1891. 
F. Den ticke. _ 

_ Verantwortlicher Redacteur: Dr. M. T. S c h n i r e r. _ 

Erledigungen, ärztliche Stellen etc. 

In dem Cnrorte Karlsbrunn, k. k. Schlesien, kommt 

für die Dauer der jeweiligen Badesaison, d. i. vom 15. Mai bis 15. September, die 
Stelle eines Badearztes, mit welcher vorläufig ein fixer Gehalt von 500 fl. ö. W. 
nebst Wohnung und Beheizung für obige Zeit verbunden ist, zu besetzen. 
Bewerber um diesen Posten, welche Doctoren der gesammten Heilkunde sein 
und eine mehrjährige Praxis nach weisen müssen, wollen ihre gehörig instrnirten 
Gesuche unter Beibringung ihres Geburtsscheines, sowie ihres Diploms und der 
Zeugnisse über ihre bisherige Verwendung mit der Angabe, ob sie ledigen 
Standes oder verheiratet sied, bis 20. Januar 1891 bei der Hoch- und Deutsch- 
meistcr'schen Güter-Administration in Troppau einbringen. Die Aufnahme er¬ 
folgt provisorisch auf ein Jahr. Jene Bewerber, welche Erfahrungen in der 
Anwendung der Kaltwassercur, der Massage, Heilgymnastik und Terraincuren 
nachweisen können, erhalten den Vorzug. Die jährliche Frequenz des Cur- 
ortes beträgt 300—4C0 Parteien. 754 

Nachdruck wird nicht honorirt. 


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